Protokoll:
14128

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 128

  • date_rangeDatum: 27. Oktober 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:31 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 17: a) Abgabe einer Regierungserklärung zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland und Europa b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Jahreswirtschafts- bericht 2000 der Bundesregie- rung „Arbeitsplätze schaffen – Zukunftsfähigkeit gewinnen“ – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, Heidi Knake-Werner, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion PDS zum Jahreswirtschaftsbericht 2000 derBundesregierung „Arbeits- plätze schaffen – Zukunftsfähig- keit gewinnen“ (Drucksachen 14/2611, 14/2721, 14/4076) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12311 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Fuchtel, Gunnar Uldall, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion CDU/CSU: Ar- beitslosenversicherungsbeitrag senken (Drucksache 14/4377) . . . . . . . . . . . . . . . 12311 B Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 12311 C Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 12317 D Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12320 C Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12323 A Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12325 B Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12328 B Dr. Norbert Wieczorek SPD . . . . . . . . . . . . . . 12330 A Gunnar Uldall CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12331 D Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 12333 D Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12335 B Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12337 A Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Günther Friedrich Nolting, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion F.D.P. einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 12 a) (Drucksachen 14/1728 [neu], 14/4420) . . 12338 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 12 a) (Drucksachen 14/4380, 14/4420) . . . . . . . 12338 C Anni Brandt-Elsweier SPD . . . . . . . . . . . . . . 12339 A Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 12340 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12341 B Plenarprotokoll 14/128 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 128. Sitzung Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 I n h a l t : Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12342 C Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12343 B Dr. Hans Peter Bartels SPD . . . . . . . . . . . . . . . 12344 A Irmgard Karwatzki CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 12345 A Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12346 A Christina Schenk PDS (zur GO) . . . . . . . . . . 12347 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 12348 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12351 C Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 16) (Drucksachen 14/2668, 14/4419) . . . . 12348 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zum Römischen Statut des Internationalen Strafge- richtshofs vom 17. Juli 1998 (IStGH- Statutgesetz) (Drucksachen 14/2682, 14/4421) . . . . 12348 B Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12348 C Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 12353 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12355 A Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12356 A Dr. Eberhard Brecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12356 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 12357 D Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 12358 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 12359 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12359 D Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Günter Baumann, Hans-Dirk Bierling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Für mehr Sicherheit an der deutsch-tschechischen Grenze (Drucksache 14/3672) . . . . . . . . . . . . . . . 12362 A Günter Baumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 12362 B Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . . . . . . . . . 12364 A Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12366 B Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . . . . . . 12367 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12367 B Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 12368 C Zusatztagesordnungspunkt 16: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ei- genheimzulagengesetzes und anderer Gesetze (Drucksache 14/4130) . . . . . . . . . . . . . 12369 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Dietmar Kansy, Dirk Fischer (Hamburg), weiteren Abgeord- neten und der Fraktion CDU/CSU ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eigenheimzulagenge- setzes (Drucksachen 14/4131, 14/4422) . . . . 12369 C Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Bundesdaten- schutzgesetzes und anderer Gesetze (Drucksache 14/4329) . . . . . . . . . . . . . . . 12370 A Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Herabsetzung der Grundsteuer bei strukturellem Mietwohnungsleerstand (Drucksache 14/4010) . . . . . . . . . . . . . 12370 B b) Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Gerhard Jüttemann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Existenz vonWohnungsgenossenschaf- ten aus Treuhandliegenschaftsbestän- den in den neuen Bundesländern (Drucksache 14/4011) . . . . . . . . . . . . . 12370 B c) Antrag der Fraktion PDS: UMTS-Mil- liarden für Entlastung von Altschul- den auf dauerhaft leerstehenden Wohn- raum (Drucksache 14/4350) . . . . . . . . . . . . . 12370 C d) Erste Beratung des von der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Eigenheim- zulagengesetzes (Drucksache 14/4351) . . . . . . . . . . . . . 12370 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Heidemarie Ehlert, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000II Vorlage einer Verordnung zur Umset- zung des § 6 a des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes (Drucksache 14/4399) . . . . . . . . . . . . . . . 12370 C Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 12370 D Zusatztagesordnungspunkt 18: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu den arbeitsmarkt- politischen Auswirkungen der angekün- digten Schließung von Bahnwerken durch die Deutsche Bahn AG . . . . . . . . 12372 A Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 12372 A Karin Rehbock-Zureich SPD . . . . . . . . . . . . . 12373 B Norbert Otto (Erfurt) CDU/CSU . . . . . . . . . . 12374 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12375 A Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12376 B Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD . . . . . . . . . 12376 D Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) CDU/CSU . . 12377 C Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12378 C Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12379 B Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12380 B Wieland Sorge SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12381 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12382 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 12383 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Martin Hohmann (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Art. 12 a – (Drucksachen 14/4380 und 14/4420) . . . . . . . 12384 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten René Röspel (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Art. 12 a – (Drucksachen 14/4380 und 14/4420) . . . . . . . 12384 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Jünger, Rolf Kutzmutz, Dr. Gregor Gysi, Dr. Klaus Grehn, Dr. Christa Luft, Dr. Dietmar Bartsch, Pia Maier (alle PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Art. 12 a – (Drucksachen 14/4380 und 14/4420) . . . . . . . 12384 D Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Steffi Lemke und Franziska Eichstädt-Bohlig (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgeset- zes – Art. 12 a – (Drucksachen 14/4380 und 14/4420) . . . . . . . 12385 A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Für mehr Sicherheit an der deutsch-tschechischen Grenze (Tagesordnungs- punkt 20) Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12385 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Eigenheimzulagengesetzes und an- derer Gesetze; – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Eigenheimzulagengesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . 12386 A Wolfgang Spanier SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12386 A Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12386 D Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 12387 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12388 C Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . 12389 A Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 12389 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Ge- setze (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . 12390 A Gisela Schröter SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12390 A Beatrix Philipp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12391 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12392 C Jörg van Essen (F.D.P.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12393 B Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12394 A Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 12395 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 III Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Herabsetzung der Grundsteuer bei strukturellem Mietwohnungsleerstand; – Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Existenz von Wohnungsgenossenschaf- ten aus Treuhandliegenschaften in den neuen Bundesländern; – UMTS-Milliarden für Entlastung von Altschulden auf dauerhaft leerstehen- den Wohnraum; – Vorlage einer Verordnung zur Umset- zung des § 6 a des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes zum Entwurf eines Gesetzes: – Änderung des Eigenheimzulagengeset- zes (Tagesordnungspunkt 22 a bis d und Zusatzta- gesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12395 D Dr. Peter Danckert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 12395 D Dr. Christine Lucyga SPD . . . . . . . . . . . . . . . 12397 A Heinz Seiffert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 12397 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12399 A Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. . . . . . . . . . . 12399 C Anlage 10 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12400 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 Wieland Sorge 12382 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 12383 (C) (D) (A) (B) Austermann, Dietrich CDU/CSU 27.10.2000 Balt, Monika PDS 27.10.2000 Barthel (Berlin), SPD 27.10.2000 Eckhardt Behrendt, Wolfgang SPD 27.10.2000* Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 27.10.2000 DIE GRÜNEN Bohl, Friedrich CDU/CSU 27.10.2000 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 27.10.2000 Deß, Albert CDU/CSU 27.10.2000 Ehlert, Heidemarie PDS 27.10.2000 Eichhorn, Maria CDU/CSU 27.10.2000 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 27.10.2000 DIE GRÜNEN Elser, Marga SPD 27.10.2000 Flach, Ulrike F.D.P. 27.10.2000 Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 27.10.2000 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 27.10.2000 Dr. Gerhardt, Wolfgang F.D.P. 27.10.2000 Glos, Michael CDU/CSU 27.10.2000 Götz, Peter CDU/CSU 27.10.2000 Günther (Duisburg), CDU/CSU 27.10.2000 Horst Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 27.10.2000 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 27.10.2000 Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 27.10.2000 Hermenau, Antje BÜNDNIS 90/ 27.10.2000 DIE GRÜNEN Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 27.10.2000 DIE GRÜNEN Hirche, Walter F.D.P. 27.10.2000 Hollerith, Josef CDU/CSU 27.10.2000 Dr. Hornhues, CDU/CSU 27.10.2000* Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 27.10.2000* Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 27.10.2000 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 27.10.2000 Klemmer, Siegrun SPD 27.10.2000 Klose, Hans-Ulrich SPD 27.10.2000 Dr. Knake-Werner, PDS 27.10.2000 Heidi Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 27.10.2000 Kolbow, Walter SPD 27.10.2000 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 27.10.2000 Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 27.10.2000 Leutheusser- F.D.P. 27.10.2000 Schnarrenberger, Sabine Lintner, Eduard CDU/CSU 27.10.2000 Lippmann, Heidi PDS 27.10.2000 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 27.10.2000 Klaus W. Marhold, Tobias SPD 27.10.2000 Matschie, Christoph SPD 27.10.2000 Michels, Meinolf CDU/CSU 27.10.2000 Müller (Jena), Bernward CDU/CSU 27.10.2000 Müller (Berlin), PDS 27.10.2000 Manfred Neuhäuser, Rosel PDS 27.10.2000 Neumann (Bremen), CDU/CSU 27.10.2000 Bernd Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 27.10.2000 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 27.10.2000 Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 27.10.2000 Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 27.10.2000 Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 27.10.2000 Claudia DIE GRÜNEN Rübenkönig, Gerhard SPD 27.10.2000 Rühe, Volker CDU/CSU 27.10.2000 Schmidt (Eisleben), SPD 27.10.2000 Silvia Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 27.10.2000 Hans Peter Schröder, Gerhard SPD 27.10.2000 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 27.10.2000 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Schütz (Oldenburg), SPD 27.10.2000 Dietmar Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 27.10.2000 Schultz (Everswinkel), SPD 27.10.2000 Reinhard Seiters, Rudolf CDU/CSU 27.10.2000 Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 27.10.2000 Sigrid Dr. Solms, Hermann F.D.P. 27.10.2000 Otto Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 27.10.2000 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 27.10.2000 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 27.10.2000 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 27.10.2000 Dr. von Weizsäcker, SPD 27.10.2000 Ernst Ulrich Wiesehügel, Klaus SPD 27.10.2000 Wissmann, Matthias CDU/CSU 27.10.2000 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 27.10.2000* Dr. Wolf, Winfried PDS 27.10.2000 Zierer, Benno CDU/CSU 27.10.2000* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Martin Hohmann (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Änderung des Grundgesetzes – Arti- kel 12 a – (Drucksachen 14/4380 und 14/4220) Im Grundsatz begrüße ich die Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft. Beim Einsatz mit der Waffe, der zwangsläufig auch zum Einsatz in Kampf- und Kampf- unterstützungstruppen führen wird, kann ich dem jedoch ausnahmsweise nicht zustimmen. Frauen sind in der Kampfzone und in Gefangenschaft ungleich größeren Ge- fährdungen und Verletzbarkeiten ausgesetzt. Es sollte da- her hier nicht schematisch der Gleichheitsgrundsatz zur Anwendung kommen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten René Röspel (SPD) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Artikel 12 a – (Drucksachen 14/4380 und 14/4420) Ich habe bei der heutigen Abstimmung gegen die Neu- fassung des Art. 12 a Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes in der Formulierung „Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden“ gestimmt, weil ich die sich daraus ergebende Konsequenz und die Begründung für die Änderung nicht mittragen kann. In der Begrün- dung der Änderung wird angeführt, „der Ausschluss von Frauen“ vom Dienst mit der Waffe werde „zunehmend als Verstoß gegen die Gleichberechtigung von Männern und Frauen empfunden“. Art. 12 a Abs. 1 Satz 1 sieht vor, dass „Männer … zum Dienst in den Streitkräften ... verpflichtet werden“ kön- nen. Sie sind – in der Regel – verpflichtet, Wehrdienst zu leisten. Die jetzige Regelung manifestiert die Möglichkeit für Frauen, freiwilligen Dienst in den Streitkräften leisten zu können. Wenn mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau argumentiert wird und dies wirklich Zielsetzung gesetz- geberischen Handelns sein soll, so gibt es nur zwei kon- sequente und logische Handlungsoptionen im Bereich der Bundeswehr: Erstens. Die Rechte und Pflichten der Frauen werden denen der Männer angepasst. Das bedeu- tet, dass die Wehrpflicht auch für Frauen eingeführt wird und Frauen mit allen Konsequenzen in allen Waffengat- tungen und Verwendungen verpflichtet werden können. Zweitens. Die Rechte und Pflichten der Männer werden denen der Frauen angepasst. Das bedeutet, dass die Wehr- pflicht für Männer abgeschafft wird und künftig Frauen und Männer auf freiwilliger Basis der Bundeswehr bei- treten können. Die jetzige Regelung bedeutet, dass es für Männer eine Wehrpflicht gibt, während Frauen freiwillig Dienst in der Bundeswehr leisten dürfen. Diese Regelung hat nach mei- nem Verständnis nichts mit Gleichberechtigung zu tun und verschärft nur die bereits existierende Wehrunge- rechtigkeit zwischen den Geschlechtern einer Generation. Deshalb habe ich mit Nein gestimmt. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Jünger, Rolf Kutzmutz, Gregor Gysi, Dr. Klaus Grehn, Dr. Christa Luft, Dr. Dietmar Bartsch, Pia Maier (alle PDS) zurAbstimmung über den Entwurf ei- nes Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Artikel 12a – (Drucksachen 14/4380 und 14/4420) Wir begrüßen – ungeachtet unserer Forderung nach deutlicher Reduzierung der Streitkräfte, unserer Ableh- nung von Zwangsdiensten und der Zunahme militä- rischen Denkens und Handelns – eine Klarstellung des Art. 12 a GG. Solange es Armeen gibt, muss es für jeden Menschen – egal welchen Geschlechts, welcher Haut- farbe oder sexuellen Orientierung – die gleichen Zu- gangsmöglichkeiten geben. Es muss auch weiterhin ausgeschlossen sein, dass Frauen – für Männer wäre es genauso wünschenswert – im Verteidigungsfall dienstverpflichtet werden können. Dies wird durch die Änderung von Art. 12 a erneut klar- gestellt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 200012384 (C) (D) (A) (B) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Steffi Lemke und Franziska Eichstädt-Bohlig (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Artikel 12 a – (Drucksachen 14/4380 und 14/4420) Die geänderte Fassung des Art. 12 a GG legt eindeutig fest, dass Frauen nicht „zum Dienst mit der Waffe ver- pflichtet werden“ können, weshalb ich dieser Änderung des Grundgesetzes zugestimmt habe. Ich teile jedoch nicht die Begründung und unterstütze nicht die Öffnung der Bundeswehr beim freiwilligen Dienst mit der Waffe für Frauen. Der Ausschluss von Frauen beim Dienst mit der Waffe ist nach meiner Auf- fassung kein Verstoß gegen die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, da Gleichberechtigung nicht Gleichsetzung in allen gesellschaftlichen Bereichen be- deuten kann. Verstöße gegen die Gleichberechtigung finden sich in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft. Frauen sind ins- besondere auf den Leitungs- und Entscheidungsebenen von Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft unterre- präsentiert. Dieses Ungleichgewicht zu beseitigen ist wichtiger als der Zugang zum Waffendienst für Frauen und hätte positive Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Die Distanz von Frauen zur militärischen Übung und zu Kriegshandlungen ist kein Nachteil, sondern ein Vor- teil, der in der Vergangenheit positiv in unserer Gesell- schaft gewirkt hat. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Für mehr Sicherheit an der deutsch-tschechischen Grenze (Tagesord- nungspunkt 20) Ulla Jelpke (PDS): In der Begründung zu dem hier vorliegenden Antrag der CDU/CSU heißt es: „Illegale Einreisen und Schleusungen von Ausländern haben an der Grenze zwischen Tschechien und der Bundesrepublik Deutschland, besonders zum Freistaat Sachsen, ein be- drohliches Ausmaß angenommen.“ Und weiter: „Die von Ausländern im Grenzbereich begangenen Straftaten ha- ben stark zugenommen.“ Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Fakten nehmen. Aber mit den mir vorliegenden Jahresberichten des Bundes- grenzschutzes stimmen diese Zahlen auf jeden Fall nicht überein. Der Jahresbericht des Bundesgrenzschutzes für 1998 spricht von 15 486 Zurückweisungen und 6 591 Zu- rückschiebungen wegen unerlaubter Einreise. Im folgen- den Jahresbericht für 1999 ist dann von 12 846 Aufgriffen im deutsch-tschechischen Grenzbereich die Rede. Wörtlich heißt es dort – ich zitiere aus Seite 10 des BGS-Berichts –, dass „an der EU-Außengrenze zur Tschechischen Republik die absolute Zahl der unerlaub- ten Einreisen gegenüber 1998 um ein Drittel zurückge- gangen ist.“ Von einem „bedrohlichen Ausmaß“ oder ei- ner „starken Zunahme“, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, kann also keine Rede sein. Sowieso lehne ich eine Politik, die auf Flucht und Mi- gration mit immer neuen Grenzsperren und Grenzbefesti- gungen reagieren will, prinzipiell ab. Ich will nicht immer mehr Grenzsperren und Grenzbefestigungen, ich will nicht immer mehr Grenzschützer, Infrarotkameras und Polizei an den Grenzen dieses Landes, ich will endlich eine humane und demokratische Flüchtlings- und Migra- tionspolitik. Auf der einen Seite diskutieren wir und andere in der Öffentlichkeit über einen ständig steigenden Bedarf die- ses Landes an Zuwanderung. Auf der anderen Seite kom- men Sie daher und verlangen noch mehr Grenzsperren ge- gen diese Zuwanderung. Das machen wir nicht mit. Das ist falsch, hinterwäldlerisch und inhuman. Bevölkerungsexperten zum Beispiel der UNO spre- chen von einer halben Million Menschen, die in Zukunft jedes Jahr in die Bundesrepublik einwandern sollten, de- ren Zuwanderung und Arbeitsaufnahme also notfalls mit staatlicher Unterstützung wie bei der Green Card geför- dert werden sollte. Ich will jetzt gar nicht über diese Zahlen im Einzelnen und die Green Card reden. Aber dass es viele gute Gründe für eine wachsende Zuwanderung gibt, wird inzwischen von fast niemandem mehr bestritten. Die einzigen Men- schen, die das noch bestreiten, sind offenbar einige Hin- terwäldler in der CDU/CSU. Ich will Ihnen ruhig noch ein paar Zahlen nennen. Die tschechische Fremden- und Grenzpolizei hat 1997 nach eigenen Angaben etwa 32 000 Menschen an der Einreise in die Bundesrepublik gehindert. Wie viele davon Flücht- linge waren, denen damit das Asylrecht genommen wurde, ist unklar. Ich vermute, es waren nicht wenige po- litische Flüchtlinge darunter. 1998 stieg die Zahl der Festnahmen wegen versuchter unerlaubter Einreise in die Bundesrepublik auf der tsche- chischen Seite sogar auf 44 000 Menschen an. Mit ande- ren Worten: Die Grenzbefestigungen und Grenzkontrol- len auf der tschechischen Seite sind in den letzten Jahren bereits erheblich verschärft worden. Auf deutscher Seite hat der BGS seit 1998 zusätzlich zu den ohnehin bestehenden direkten Grenzkontrollen – ich zitiere aus dem Schengen-Erfahrungsbericht – „hin- ter der Grenze eine zweite Linie mit insgesamt 480 mobi- len Kräften aufgebaut“. In dieser Situation einen weiteren Ausbau der Grenzsperren und Grenzkontrollen zu verlan- gen ist für mich nicht nur prinzipiell, sondern auch kon- kret vollständig unbegründet und inakzeptabel. Wir brau- chen nicht mehr Grenzsperren und Grenzpolizei, wir brauchen endlich offene Grenzen für Menschen in Not. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 12385 (C) (D) (A) (B) Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ei- genheimzulagengesetzes und anderer Gesetze; – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ei- genheimzulagengesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 16) Wolfgang Spanier (SPD): Die Zusatzförderung für den Einbau bestimmter energiesparender Anlagen und die Zusatzförderung von Niedrigenergiehäusern laufen, nachdem sie bereits 1998 um zwei Jahre verlängert wor- den sind, zum 31. Dezember 2001 aus. Allein vom Zeit- ablauf ist es deshalb geboten, dass wir rechtzeitig ent- scheiden, ob diese Zusatzförderung fortgesetzt wird. Die Verlängerung der Zusatzförderung um weitere zwei Jahre ist energiepolitisch sinnvoll. Wir wollen die Zusatzförderung für Niedrigenergiehäuser fortsetzen. Wir wollen weiterhin den Einbau zum Beispiel von Wärme- pumpen, Solar- oder Wärmerückgewinnungsanlagen för- dern. Hier schlagen wir eine Veränderung vor. Bisher war für Elektrowärmepumpen eine Leistungszahl von min- destens 3,5 vorgesehen. Zukünftig sollen Elektrowärme- pumpen mit einer Leistungszahl von mindestens 4,0, elektrische Sole-Wasser-Wärmepumpen mit einer Leis- tungszahl von mindestens 3,8 gefördert werden. Die Leis- tungszahlen für die Förderung von Wärmepumpen wer- den damit an den Stand der Technik angepasst. Damit werden auch technische und ökologische Innovationen gestärkt. Diese Ökokomponente im Eigenheimzulagengesetz ist ein Beitrag zu einer nachhaltigen Klimaschutzpolitik. Bis 2005 wollen wir die CO2-Emmissionen um 25 Prozentvermindern. Wir wissen, dass wir gerade im Gebäudebe- reich noch große Möglichkeiten haben, um die CO2-Min-derung wirksam nach vorne zu bringen. In der Sache folgt der Antrag der CDU/CSU unserem Antrag. Beide wollen wir die Ökozulage fortsetzen und auf zwei Jahre befristen. Die Ablehnung der Verlängerung der Ökozulage durch die F.D.P. in der Ausschussberatung ist völlig unverständ- lich. Bisher hat die F.D.P. die Ökozulage immer unter- stützt. Warum sie jetzt solche Kapriolen schlägt, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Natürlich gibt es auch einen Zusammenhang zwischen der Verlängerung der Ökozulage und der geplanten Ener- gieeinsparverordnung. Um es gleich deutlich zu sagen: Die Verlängerung der Zusatzförderung im Eigenheim- zulagengesetz bedeutet nicht, dass die Energieeinsparver- ordnung auf die lange Bank geschoben wird. Die Vorbe- reitungen laufen seit längerem, die Abstimmung zwischen den zuständigen Ministerien ist erfolgt. Notwendig ist auch eine sorgfältige Abstimmung mit den Ländern und natürlich muss diese Verordnung an die EU-Kommission weitergeleitet werden. Wir wissen alle, dass wir uns da auf mindestens sechs Monate Wartezeit einstellen müssen. Das heißt, von der Schlussfassung bis zur Realisierung vergeht mindestens ein Jahr. Ich hoffe, dass es möglichst noch in diesem Jahr einen Kabinettsbeschluss zur Ener- gieeinsparverordnung gibt und dann selbstverständlich auch der Bundestag informativ damit befasst wird. In einem Punkt unterscheiden wir uns allerdings vom Antrag der CDU/CSU-Fraktion: Der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU will die Verlängerung der Öko- zulage um weitere zwei Jahre lediglich durch einen Aus- tausch des Datums erreichen. Damit kann jedoch nicht verhindert werden, dass Wohnungen gefördert werden, die bei einem früheren In-Kraft-Treten der Energieein- sparverordnung bereits dem ordnungsrechtlichen Stan- dard genügen. Die in unserem Entwurf vorgesehene Be- schränkung der Zusatzförderung auf Wohnungen, für deren Errichtung die Wärmeschutzverordnung von 1994 gilt, verhindert, dass Bauherren und Erwerber die Zusatz- förderung erhalten, die bereits die Standards der ge- planten Energieeinsparverordnung erfüllen müssen. Ein reiner Austausch des Datums, wie im Entwurf von CDU/CSU vorgesehen, hätte genau dies zur Folge. Wir sehen die Ökozulage aber auch im Zusammenhang mit der Energiepolitik dieser Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen. Wir verstärken dies noch durch das Modernisierungsprogramm für den Wohnungsbestand, das die Koalitionsfraktionen im Rahmen des Zukunftin- vestitionsprogramms beschlossen haben. 2001, 2002 und 2003 werden jeweils 400 Millionen Mark dafür bereitge- stellt. Wir sehen die Ökozulage aber auch im Zusam- menhang mit der Energiepolitik. Die Verdreifachung des Ölpreises hat uns allen noch einmal deutlich gemacht, dass wir uns stärker vom Öl unabhängig machen müssen. Energieeinsparung und die verstärkte Nutzung regenerativer Energien sind die wich- tigsten Instrumente, um Ressourcen zu schonen und den Energieverbrauch zu senken. Dazu haben wir eine Fülle von Initiativen zur Förde- rung der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme- Kopplung, zur Förderung nachwachsender Rohstoffe für Biodiesel, zur Förderung von Bioenergie insgesamt auf den Weg gebracht. Mit dem 100 000-Dächer-Programm machen wir den Weg frei für eine deutlich stärkere Nut- zung der Solarenergie. In der Klimaschutzpolitik und nachhaltigen Energiepolitik haben wir große Fortschritte erreicht. Die Ökozulage im Eigenheimzulagengesetz ist ein Baustein dieser Politik. Deshalb bitte ich Sie alle um Unterstützung. Horst Schild (SPD): Mit dem Gesetzentwurf der Ko- alitionsfraktionen wollen wir die Ökokomponente der Ei- genheimzulage zwei Jahre länger gewähren, als es bisher vorgesehen war. Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs wurde bereits gesagt, wie erfreulich sich diese Ökokom- ponente ausgewirkt hat. Inzwischen können wir auch mit Zahlen belegen, dass die ökologische Zusatzförderung wirksame Anreize für Investitionen zur Reduzierung des Energiebedarfs ge- schaffen hat. Allein vom Jahr 1997 auf das Jahr 1998 hat sich die Zahl der gewährten Ökozulagen etwa verdoppelt. Für die Zeit ab 1999 zeichnet sich ein weiterer Anstieg ab. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 200012386 (C) (D) (A) (B) Da die neue Energieeinsparverordnung nicht mehr in diesem Jahr kommt, entfällt der Grund für die bisherige Befristung der Ökozulage zum 31. Dezember 2000. Durch die Verlängerung um zwei Jahre erreichen wir für Bauherren und Hauskäufer Planungssicherheit bis En- de 2002. In der Zwischenzeit wird sicherlich die neue Energieeinsparverordnung vorliegen und der Einbau von energiesparenden Anlagen oder der Bau von Niedrig- Energiehäusern bei Bauvorhaben immer mehr zum Stan- dard gehören. Bis zu diesem Zeitpunkt werden weiterhin acht Jahre lang 2 Prozent der Kosten für die Herstellung einer ener- gieeinsparenden Anlage, jedoch maximal 500 DM im Jahr, erstattet. Zusätzlich werden Wohnungen in so genann- ten Niedrigenergiehäusern mit jährlich 400 DM acht Jahre lang gefördert. Der Einbau von Solaranlagen und Wär- mepumpen wird ebenso erleichtert wie die Entscheidung für den Bau eines Niedrigenergiehauses. Bei dieser För- derung bleibt es also nach wie vor, abgesehen von einer geringfügigen Änderung der Fördervoraussetzungen für Wärmepumpen, deren Leistungszahlen an den Stand der Technik angepasst werden sollen. Wir wollen nicht nur Bauherren entlasten, sondern auch die umweltfreundlichen und energieeinsparenden Techniken voranbringen. Denn uns allen müssen gesunde Umweltbedingungen und die langfristige Nutzbarkeit der Rohstoffressourcen am Herzen liegen. Diesem Ziel soll auch die neue Energieeinsparverordnung dienen. Ob mit der Ökozulage oder mit der neuen Verordnung: In jedem Fall wollen wir Investitionen im Interesse höherer Ener- gieeffizienz voranbringen. Die Zulagenförderung muss künftig an die Rahmenbe- dingungen der geplanten Energieeinsparverordnung an- gepasst werden. Hier zeigt sich übrigens ein Unterschied zwischen dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen und dem der CDU/CSU. Wir stellen eine Verknüpfung her zwischen der Ökozulage und der neuen Energieeinspar- verordnung: Bei der Herstellung oder Anschaffung eines Neubaus soll die Förderung auf Wohnungen beschränkt werden, für die noch die alte Wärmeschutzverordnung von 1994 gilt. Diese Beschränkung verhindert, dass auch Bau- herren und Erwerber eines Neubaus die Zusatzförderung für Maßnahmen erhalten, die bereits nach der geplanten Ener- gieeinsparverordnung erforderlich sind. Mitnahmeeffekte wären ansonsten vorprogrammiert. Diese Regelung im Koalitionsentwurf ist konsequent, denn wir wollen mit der Zulage zu einer freiwilligen Investition anreizen, die über das gesetzlich ohnehin erforderliche Energieeinspar- niveau hinausgeht. Ein Anreiz ist überflüssig, soweit der Einbau der entsprechenden Technik bei Neubauten bereits zwingend vorgeschrieben ist. Dieses Gesetz ist Teil unserer Politik, deren erklärtes Ziel es ist, über ein Bündel verschiedener Maßnahmen Energieverbrauch einzusparen. Der gesunkene Ener- giebedarf ist im Interesse der Allgemeinheit wie auch im Interesse des einzelnen Bauherrn. Denn während der lan- gen Lebensdauer ihrer Immobilie werden sich die Ener- giekosten verteuern. Damit wird sich der Nutzen von Energiesparinvestitionen früher oder später rechnen. Da- her gibt es zu der Verlängerung der Ökozulagen aus unse- rer Sicht auch keine vernünftige Alternative. Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Es ist sicher eine gute Nachricht aus dem Deutschen Bundestag, dass die Mehr- heit dieses Hauses nun den bereits im Frühjahr von der Unionsfraktion angeregten Vorschlag aufgreift und die Ökozulagen im Eigenheimzulagengesetz über den 31. Dezember diesen Jahres hinaus verlängert. Anderer- seits darf aber nicht verschwiegen werden, dass diese er- neute Verlängerung – wir beschließen heute bereits die zweite Verlängerung – nur deshalb notwendig ist, weil es die Bundesregierung immer noch nicht geschafft hat, die seit Jahren in Rede stehende Energieeinsparverordnung auf den Weg zu bringen. Über Jahre hinweg hat die Politik darauf geachtet, den ordnungspolitischen Rahmen der Be- stimmungen zum Wärmeschutz mit dem fortschreitenden Stand der Technik weiterzuentwickeln. Mit diesen eindeu- tigen Rahmenbedingungen war vor allem Planungssicher- heit für Hausbesitzer, Planer und Bauwirtschaft gegeben. Ausgerechnet unter der Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung ist der Verordnungsgeber ordnungspoli- tisch weit hinter den Stand der Technik zurückgefallen, von Planungssicherheit kann keine Rede sein. Das ist Gift für die ohnehin labile Bauwirtschaft und auf keinen Fall eine positive Werbung für die Verbesserung des Wärme- schutzstandards im Wohnungsbau. Jedenfalls ist es sehr zu begrüßen, dass die deutsche Bauwirtschaft sich nicht vom Schneckentempo der Bundesregierung bestimmen lässt und im Hinblick auf wärmetechnische Verbesserungen über alle Gewerke hinweg an einem Strang zieht. Auf diese Initiative der Bauwirtschaft sind wir angewiesen, deshalb begrüßen wir diese sehr. Auf die Planungssicherheit stellt auch der Änderungs- antrag der Unionsfraktion zum vorliegenden Gesetzent- wurf ab. Denn dort ist nicht klar zu erkennen, bis zu wel- chem Zeitpunkt die Verlängerung der Ökozulagen für den Neubau gelten soll. Es darf eben nicht sein, dass ein Häus- lebauer erst ein verwaltungsjuristisches Fachseminar be- suchen muss, um zu erfahren, wann und warum er noch eine Förderung des Staates für seine besonderen Be- mühungen um weniger Energieeinsatz erhält. Dem An- trag der Koalition ist zu entnehmen, dass die Förderung wegfällt, wenn zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens die Baugenehmigung noch nicht erteilt ist. Ist die Genehmi- gung zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens bereits erteilt, wird gefördert, wenn die Durchführung der Maßnahme bis Ende 2002 erfolgt. Dies kann zu dem absurden Ergeb- nis führen, dass Maßnahmen, die im Juni durchgeführt werden, nicht mehr gefördert werden, Maßnahmen, die rechtzeitig beantragt, aber erst im Dezember durchgeführt werden, aber noch unter die Förderung fallen. Deshalb sprechen wir uns im Zeichen einer notwendigen Pla- nungssicherheit dafür aus, eine eindeutige zeitliche Befri- stung festzusetzen und damit Klarheit für alle Beteiligten statt Verunsicherung in allen Teilen zu schaffen. Wie gesagt, es ist in der Sache richtig und be- grüßenswert, dass auch noch über das Jahr 2000 hinaus Bauherren, die Wohneigentum erwerben, für den Einbau von Wärmepumpenanlagen, Solaranlagen oder Anlagen zur Wärmerückgewinnung zusätzlich DM 500/anno und für die Bauausführung im Niedrigenergiehausstandard DM 400/anno Zusatzförderung erhalten werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 12387 (C) (D) (A) (B) Die Tatsache, dass diese erneute Verlängerung auf- grund der immer noch ausstehenden Energieeinsparver- ordnung notwendig ist, bedeutet ein Armutszeugnis für die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung, die außer vollmundiger Ankündigungen noch nichts wegweisend Neues auf den Weg gebracht hat. Mit heißer Luft kann man aber die Probleme der Erwärmung des Weltklimas keinesfalls in den Griff bekommen. Die Bundesregierung lebt von den Vorgaben und Ideen der unionsgeführten Vorgängerregierung, die sie doch so vehement als völlig unzureichend kritisierte. Erinnern Sie sich nur daran, wie abschätzig sie das Instrument der Selbstverpflichtung der Wirtschaft an dieser Stelle beurteilt haben. Tatsache ist, dass die deutsche Selbstverpflichtung in Rio bis zu Jahr 2005 die CO2-Emissionen in Deutschland um 25 Prozentzu reduzieren, unter der früheren Bundesregierung zu über 60 Prozent realisiert wurde. Tatsache ist auch, dass seit der rot-grünen Regierungsübernahme in diesem Be- reich Stagnation herrscht, Deutschland hat seine einstige Vorreiterrolle längst verloren, wie die letzten Klima- schutzkonferenzen in aller Klarheit gezeigt haben. Notwendig ist aus unserer Sicht ein durchdachtes Maß- nahmenbündel, um die vorhandenen Einsparpotenziale zu mobilisieren. Neben den ordnungspolitischen Rahmen in der Energieeinsparverordnung müssen wir steuerliche An- reizprogramme, Direktzuschüsse und Zinsverbilligungen stellen, die ein nachhaltiges Programm zur Wärmesanie- rung vor allem im Gebäudebestand anstoßen. Während wir innerhalb der Unionsfraktion über die konkrete Ausgestal- tung von Förderungsinstrumenten diskutieren, mit denen vor allem die CO2-Einsparpotenziale im Gebäudebestandaktiviert werden können, sorgt der Bundesumweltminister weiter für grundsätzliche Verunsicherung. Seine Ankündi- gung im Rahmen der Vorstellung des jüngsten nationalen Klimaschutzbündnisses, er wolle das Energieeinsparungs- gesetz ändern, lässt daran zweifeln, ob die Novelle der Energieeinsparverordnung noch in dieser Wahlperiode in Kraft gesetzt werden kann. Denn offensichtlich gibt es in- nerhalb der Koalition noch Diskussionen über die gesetz- liche Grundlage einer Energieeinsparverordnung. Die Bundesregierung hat diese Woche angekündigt, sie wolle die Energieeinsparverordnung nun noch im Dezember 2000 in die Ausschüsse einbringen. Die Verordnung könne dann im Frühjahr 2002 in Kraft treten. Bei diesem engen Zeitplan darf nichts schief gehen, sonst könnte das In- Kraft-Treten allein aufgrund der Tatsache scheitern, dass im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 keine Sitzungen der Gremien mehr stattfinden. Bei der Änderung des Wohngeldgesetzes geht es inhalt- lich um die Frage, bestimmte steuerfreie Einkünfte in die für die Wohngeldermittlung maßgebliche Einkommenser- mittlung einzubeziehen. Im Sinne einer gesetzlichen Ver- einfachung durch Konsistenz mit dem Zweiten Wohnungs- baugesetz unterstützen wir diese Initiativen. Dass dieser Regelungsbedarf bei der Wohngeldreform 1999 übersehen wurde, wirft ein, bezeichnendes Licht auf die handwerkli- che Qualität der Gesetzgebung der rot-grünen Koalition. Die Einsicht an dieser Stelle ist zu begrüßen, wenngleich Sie, wie bei den Ökokomponenten vorher dargestellt, Nachbesserungen mit Ansage beschließen. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten heute die Verlängerung des Öko- bonus in der Eigenheimzulage bis zum In-Kraft-Tre- ten der Energieeinsparverordnung. Diese Entscheidung ist ein weiterer wichtiger Baustein für mehr Energieeffi- zienz und Klimaschutz am Bau. Bauherren, die in mo- derne Energiespartechnik und/oder Niedrigenergiebau- weise investieren, erhalten acht Jahre lang bis zu 900 DM jährlich zusätzlich vom Staat. Um technische Innovation zu fördern, haben wir die Fördervoraussetzungen für elek- trische Wärmepumpen angehoben. Es werden nur noch moderne, effiziente Wärmepumpen mit einer Leistungs- zahl von mindestens 4,0, bei Sole-Wasser-Wärmepumpen mindestens 3,8, gefördert. Ich bin froh, dass wir das im Ausschuss – und ich hoffe auch hier – einvernehmlich beschließen können. Die CDU/CSU hat völlig recht: Es waren nicht wir, sondern es war der ehemalige Bauminister Töpfer, der diese För- derung eingeführt hat – allerdings auf sanften Druck von Grünen und SPD. Aber wenn ich mir das heutige um- weltpolitische Profil der CDU/CSU ansehe, dann muss ich sagen: Nach Töpfer sind Sie wieder in die ökologische Steinzeit zurückgefallenen: Statt ernsthaftem umweltpoli- tischen Engagement findet man bei Ihnen fast nur noch Polemik und Gedächtnisverlust. Die hohen Ölpreise und weltweite Umweltkatastrophen machen eines doch ganz klar: Wir brauchen einen massi- ven Innovationsschub für mehr Energieeffizienz und mehr Klimaschutz am Bau. Wir können mit moderner Energie- effizienztechnik einem Bruchteil des heutigen Energiever- brauchs erreichen. Nur ein Beispiel: Ein Passivhaus, das heute zu nur geringen Mehrkosten am Markt erhältlich ist, verbraucht für Heizung nur noch circa 180 Liter Öl im Jahr, ein Durchschnittshaus dagegen circa 2 000 Liter. – Rot-Grün hat deshalb in den vergangen zwei Jahren wich- tige Weichen für mehr Energieeffizienz und Klimaschutz am Bau gestellt: Mit der neuen Energieeinsparverordnung, die in den nächsten Wochen verabschiedet wird, wird erstmals die Primärenergieeffizienz zum Maßstab der Anforderungen für Neubauten. Das begünstigt die umweltfreundliche So- lartechnik oder die sehr effiziente Gasbrennwerttechnik gegenüber der stromfressenden Nachtspeicherheizung. Anlagentechnische und bauliche Anforderungen werden zusammengefasst. Nachrüstverpflichtungen für veraltete und teure Heizungen und sehr schlecht gedämmte Ge- bäude sind vorgesehen. Unsere Fraktion hat durchgesetzt, dass aus den Zinser- sparnissen durch die UMTS-Erlöse 400 Millionen DM jährlich für ein Altbausanierungsprogramm eingesetzt werden. Damit können in den nächsten Jahren 6 Milliar- den DM an zinsgünstigen Krediten für Heizungsmoderni- sierung, Wärmedämmung, moderne Energieeffizienz- techniken und regenerative Energien an Hauseigentümer vergeben werden. Ebenfalls aus den UMTS-Zinserlösen werden die Forschungsmittel für Energieforschung um jährlich 100 Millionen DM aufgestockt; davon fließen mindestens 20 Millionen DM in die Forschung für Ener- gieeffizenz am Bau. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 200012388 (C) (D) (A) (B) Die neue Bundesenergieagentur wird den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Energieeffizienz unter anderem im Ge- bäudebereich legen. Beratung, Öffentlichkeitsarbeit und Koordination in diesem Bereich werden entscheidend verbessert. Diese Weichenstellungen nützen nicht nur der Umwelt und dem Geldbeutel von Bauherren und Eigentümer. Sie schaffen und sichern auch zahlreiche Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft, im Handwerk und in modernen Industrie- zweigen. Und nicht zuletzt: Damit verbunden sind auch neue Akzente in der Wohnungsbauförderung: Weg von der einseitigen Orientierung auf Neubau, hin zu einer Er- neuerung, Wertverbesserung und Modernisierung des Wohnungsbestandes. Das nützt den Städten und wirkt der Zersiedelung entgegen. Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Mit der schein- bar guten Nachricht, dass der Ökobonus im Eigenheim- zulagengesetz verlängert werden soll, soll die erfolglose Bau- und Umweltpolitik der Bundesregierung überdeckt werden. Rot-Grün ist nicht in der Lage, den mit der Öko- zulage geförderten Niedrigenergiehausstandard zum Stand der Technik im Neubaubereich zu machen. Die im- mer wieder angekündigte Energieeinsparverordnung, die neuerdings wieder in das Klimaschutzprogramm der Re- gierung aufgenommen wurde, kommt vorerst nicht. Dafür wäre es notwendig, dass sich die Bundesminis- ter Jürgen Trittin, Reinhard Klimmt und Werner Müller auf den Entwurf einer Energieeinsparverordnung einigen und diesen durch den Bundesrat bringen. Wie zu hören ist, besteht zwischen BMU einerseits und BMVBW und BMWi andererseits Dissens. Wir wissen aus Erfahrung, dass Umweltminister Trittin den Streit verlieren wird. Aber noch wehrt er sich tapfer und blockiert die Energie- einsparverordnung. Mit der Verlängerung des Ökobonus ist das Eingeständnis von Rot-Grün verbunden, dass die angekündigte Energieeinsparverordnung in dieser Wahl- periode nicht mehr in Kraft treten wird. Dieses bau- und umweltpolitische Versagen wird – auf den ersten Blick folgerichtig – durch eine Verlängerung des Ökobonus im Eigenheimzulagegesetz kompensiert. Die F.D.P. hat grundsätzlich nichts gegen ökologische Anreize auch im Bereich der Eigenheimneubauförderung. Wir haben bei der Einführung der Eigenheimzulage die nun auslaufende Regelung mitgestaltet. Die schlampige rot-grüne Politik kann die F.D.P. aller- dings nicht unterstützen: Die vorgesehene Verlängerung wird in erster Linie zu Mitnahmeeffekten führen, weil der geförderte Niedrigenergiestandard im Eigenheimneubau in den meisten Fällen auch ohne öffentliche Förderung realisiert wird. Gleichzeitig fehlt im rot-grünen Gesetz- entwurf eine klare Abgrenzung und ein klares Datum, wann die Förderung wirklich ausläuft. Das begünstigt Unsicherheit bei den Bauherren, die so nicht gewollt sein kann. Dreh- und Angelpunkt für eine konsistente Politik zur CO2-Einsparung im Gebäudebereich ist und bleibt derTermin des In-Kraft-Tretens der geplanten Energieein- sparverordnung. Ohne Klarheit über dieses Datum und die Inhalte der Verordnung sind die Förderinstrumente nicht einmal die Hälfte wert. Das gilt übrigens auch für die UMTS-Mittel, die zur Altbausanierung verwendet werden sollen. Dieser rot-grüne Ökomurks muss beendet werden. Le- gen Sie endlich die Energieeinsparverordnung vor! Christine Ostrowski (PDS): Änderung des Eigen- heimzulagengesetzes – oh, dachte ich. Endlich senkt man die Zulage für Neubau und erhöht dafür die Zulage für den Erwerb eines Hauses aus dem Bestand. Gut für die Ent- wicklung der Innenstädte, noch besser für die Vermeidung von Flächenversiegelung, am besten für die Senkung des Ressourcenverbrauchs. Doch ich irrte. Es geht um die so genannte Ökozulage, die Zusatzför- derung für den Einbau von energiesparenden Anlagen, die zwei Jahre verlängert wird. Wir können uns feiern. Was sind wir ökologisch! Wer dagegen ist, muss mit kollekti- ver Ächtung rechnen. Man hat öko zu sein oder ist nicht. Ich traue mich trotzdem: Erstens. Die Verlängerung der Ökozulage ist Ersatz, Ersatz für die neue Energiesparver- ordnung, die 2000 in Kraft treten sollte, mit der Sie nicht aus dem Knick kommen. Deshalb die Verlängerung. Zweitens. Die Ökozulage ist teuer, sie kostet zusätzli- che 46 Millionen. Eine Verordnung kostet nichts. Drittens. Die Ökozulage betrifft vorwiegend den Neu- bau eines Eigenheims. 98 Prozent aller Ökozulagen der letzten Jahre wurden für Neubauten gezahlt, Häuser im Bestand sind vernachlässigbar. Für das einzelne neue Haus mag dadurch die Energiebilanz verbessert sein, die ökologische Gesamtbilanz ist mehr als fraglich. Die Mehrzahl neuer Eigenheime entsteht auf dem Land, das heißt gesamtwirtschaftlich: enormer zusätzli- cher Ressourcenverbrauch, für die Baustoffe, für Straßen, für Verkehr zwischen Arbeit und Wohnung, für Infra- struktur, etc. Bedauerlich, dass Sie sich als ökologisch fei- ern, aber nicht einmal den Versuch einer Gegenrechnung, einer Gesamtbilanz aufmachen. Viertens. Das größte Einsparpotenzial liegt im vorhan- denen Gebäudebestand, der mit der Ökozulage nicht er- fasst wird. 95 Prozent der Heizenergie wird in Altbauten verbraucht, die bis `92 errichtet wurden. Hier müsste die Verschwendung zuerst gestoppt werden. Dieses Feld liegt brach. Fünftens. Vor Zusatzgeld hat der liebe Gott die Analyse gestellt. Sie sind schnell bereit, viel Geld zu geben und zu fördern, so auch über 1Milliarde DM– neu – für das CO2-Minderungsprogramm. Sie sind aber nicht bereit, die Ge- samtwirkung bisheriger Maßnahmen zu analysieren. Ich zitiere aus einem Gutachten der DIW: „Schon in den Neunzigerjahren ist ... ein umfangreiches ... Programm auf den Weg gebracht worden. Dahinter stand das ... Ziel, den CO2-Austoß ... um 25 Prozent zu senken ... die ehr-geizige Vorlage (wird) bei weitem nicht erreicht. Es sind vor allem die Sektoren Verkehr und Haushalte, ... deren Anteil am Energieverbrauch ... gestiegen (ist) ... bei den privaten Haushalten von 25 auf reichlich 28 Prozent ... Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 12389 (C) (D) (A) (B) Verstehen Sie: Die Wirkung der neuen, verschärften Wärmeschutz- und der Heizungsanlagenverordnung aus Mitte `90 ist gleich Null. Eine deprimierende Bilanz, de- ren Ursache ergründet werden muss, will man nicht Ge- fahr laufen, Fördergelder zum Fenster rauszuschmeißen. Sechstens. Ein Letztes. Ganz nebenbei – im Titel nicht zu finden – wird auch das Wohngeldgesetz geändert. Zum wohngeldrechtlichen Einkommen zählen künftig noch der steuerfreie Betrag von Abfindungen, die steuerfreie Rente wegen Minderung der Erwerbstätigkeit, der Unter- haltsvorschuss und freiwillige Unterhaltszahlungen. Das heißt: Für die Betroffenen wird mehr Einkommen ange- rechnet, ihr Wohngeld vermindert sich. Dass wir das nicht befürworten, dürfte klar sein. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 21) Gisela Schröter (SPD): Seit fünf Jahren gibt es die europäische Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr. Die Frist für die Umsetzung in na- tionales Recht ist im Oktober 1998 abgelaufen. Das, was die alte Bundesregierung bis dahin ausgearbeitet hatte, war nicht mehr als eine Minimallösung. Es war fraglich, ob sie überhaupt den Anforderungen der EU gerecht ge- worden wäre. Die neue Bundesregierung musste die Umsetzung der Richtlinie ganz neu angehen. Dabei hat sie sinnvol- lerweise über die Umsetzung hinaus erste wichtige Ände- rungen am geltenden Datenschutzrecht vorgenommen. Dazu waren umfangreiche Abstimmungen mit den Län- dern nötig. Außerdem mussten die besonderen Anliegen der Medien berücksichtigt werden. Ich bin froh, dass wir heute endlich im Parlament die Beratung der Anpassung an die EU-Richtlinie beginnen. Die im Entwurf angestrebte Modernisierung des Da- tenschutzrechts ist der Beginn zur einer grundlegenderen Reform. Es ist ein erster Schritt, die zunehmende Zer- splitterung des deutschen Datenschutzrechts aufzuhalten. Den Ländern bietet er eine gemeinsame Orientierung für die Anpassung ihrer Landesgesetze. Wir alle wissen, die Umsetzung der Richtlinie ist eil- bedürftig. Ich bin mir sicher, dass es in diesem Sinne im Ausschuss zu konstruktiven Beratungen kommen wird. Das ist vor allem auch möglich aufgrund der guten Vor- bereitung in den Abstimmungen mit den Ländern und durch die Einbeziehung der Datenschutzbeauftragten. Die Vorgaben der Richtlinie sind: die Informations- rechte der Bürger zu stärken, die Mitgliedstaaten zur Ein- richtung staatlicher Kontrollstellen auch für den nicht öf- fentlichen Bereich zu verpflichten, ein einheitliches Datenschutzniveau in den Mitgliedstaaten zu schaffen und eine Regelung für die Übermittlung personenbezoge- ner Daten an Drittstaaten einzuführen. Die Umsetzung soll mehr Transparenz und Bürgerfreundlichkeit bringen. Wichtig ist mir der Hinweis auf Neuregelungen im Ge- setz, die über den Anpassungsbedarf hinausgehen. Damit werden erste Elemente der Modernisierung und Verein- heitlichung des Datenschutzrechts eingeführt. Für besonders wichtig halte ich den neuen Grundsatz der Datenvermeidung und Datensparsamkeit, der bereits in der Hardware verankert werden soll. So erreichen wir den gezielten Einsatz datenschutzfreundlicher Technik. Das ist ein guter Weg, um Gefahren für das informatio- nelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen systema- tisch zu reduzieren, wenn nicht gar auszuschließen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Einführung des Datenschutzaudits. Voreiliger Kritik aus der Wirt- schaft, das bringe nur Kosten und Verwaltungsaufwand, will ich hier ausdrücklich entgegenhalten: Schon bald werden die Unternehmen vom Audit profitieren. Das frühzeitige Verfügen über Datenschutzstandards wird Wettbewerbsvorteile bringen. Das schafft doch überhaupt erst das notwendige Vertrauen der Verbraucher in die Da- tensicherheit. Nur dann lassen sich gute Geschäfte ma- chen. Ein weiterer wichtiger Punkt im Änderungsgesetz ist die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume. Anfang Juli gab es hierzu im Ausschuss eine Anhörung. Die Auswertung der Anhörung konnte noch nicht voll- ständig in den Entwurf mit einfließen. Hier ist noch mit Änderungsvorschlägen aus dem Innenministerium zu rechnen. Eine steht schon fest: die Pflicht zur Kenntlich- machung von optischer Überwachung im öffentlich zu- gänglichen Raum. Lassen Sie uns die überfällige Anpassung an die EU-Richtlinie schnell zu Ende bringen. Mit der vorliegenden Novelle ist der Reformbedarf beim Datenschutz bei weitem nicht abgearbeitet. Das ist ein eigenes wichtiges Reformprojekt. Über die Jahre und Jahrzehnte ist das Datenschutzrecht ausgefranst und in zahlreiche bereichsspezifische Regelungen aufgesplittert. Es ist inzwischen so kompliziert und unübersichtlich, dass die wesentliche Aufgabe, der Schutz vor Datenmiss- brauch, immer schwieriger zu erfüllen ist. Unser Ziel ei- ner grundlegenden Reform des Datenschutzes muss es also sein, die Schutzbestimmungen in einem modernen, schlanken und lesbaren Gesetz zusammenzuführen. Jeder weiß, dass unser geltendes Datenschutzrecht nicht mehr mit den rasanten Entwicklungen im I- und K- Bereich mithalten kann. Die heraufziehende Wissens- und Informationsgesellschaft darf nicht den Verlust der Pri- vatheit bringen; das begreife ich als eine zentrale politi- sche Aufgabe. Mitte der 70er-Jahre, als bei uns das Datenschutz- recht konzipiert wurde, bezog sich der Regelungsbedarf auf schwerfällige zentrale Großrechner. Heute sind Da- tenzugang, -übermittlung und -verarbeitung möglich über kleinste Anlagen mit immer größeren Leistungskapazitä- ten. Während sich früher der Umgang mit elektronisch er- fassten Daten fast nur im öffentlichen Bereich abspielte, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 200012390 (C) (D) (A) (B) ist heute jeder private Haushalt mit Internet-Anschluss davon betroffen. Im Laufe der Jahre hat sich der Rege- lungsbedarf zunehmend verschoben vom öffentlichen in den privaten Bereich. Die digitale Vernetzung hat längst den nationalen Rah- men gesprengt. Damit kann eine nationale Regelung al- lein den Datenschutz immer weniger gewährleisten. Tech- nologische Globalisierung erfordert letztlich globale Regelungsmechanismen. Die EU ist hier einen wichtigen Schritt gegangen: Nicht nur wurde der Datenschutz in die EU-Charta auf- genommen. Auch gibt es ganz konkrete Bemühungen, in Verhandlungen mit Drittstaaten beim Datenaustausch europäische Datenschutzstandards verbindlich zu ma- chen. Das „Safe Harbor“-Abkommen mit den Vereinigten Staaten gibt europäischen Bürgern erstmals die Gewähr, dass für ihre in die USA gelangten Daten annähernd glei- cher Schutz gilt wie innerhalb der EU. Datenschutz hatte ursprünglich den Sinn, den Bürger vor staatlicher Macht zu schützen. Heute wird, wie schon gesagt, Datenschutz in der Gesellschaft zwischen Privaten immer wichtiger. Das gilt insbesondere zwischen Unter- nehmen und Verbrauchern. So muss vor allem der „glä- serne Konsument“ verhindert werden. Die Unternehmen, die ihre Umsätze vor allem im Netz machen wollen – ich nenne die Stichworte E-Commerce und E-Business – ha- ben inzwischen erkannt, dass das in ihrem ureigenen Inte- resse liegt. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen: Die Verbrau- cher werden die kommerziellen Angebote im Netz nur nutzen, wenn sie sicher sein können, dass mit ihren Daten kein Missbrauch getrieben wird. Datensicherheit wird da- mit zur Voraussetzung für die Entwicklungschancen einer ganzen Zukunftsbranche. Hier liegt – volkswirtschaftlich gesehen – tatsächlich ein gewaltiges Wirtschafts- und In- novationspotenzial. Mangelnder Datenschutz darf nicht zum Wachstums- und lnnovationshemmnis werden. Ich denke, es ist deutlich geworden: Die Lösung der hier skizzierten Aufgaben kann die vorliegende Daten- schutznovelle nicht leisten. Die erforderliche Neuausrich- tung des Datenschutzes muss in einem gründlichen Dis- kussionsprozess vorbereitet werden. Die Bundesregierung hat einen entsprechenden Gut- achtenauftrag vergeben. Die Regierungsfraktionen wer- den die umfassende Reform mit einer Begleitkommission unterstützen. Lassen Sie uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die überfällige Anpassung an die EU-Richtlinie zügig be- raten und verabschieden. Größere Aufgaben warten auf uns. Beatrix Philipp (CDU/CSU): Wir sprechen heute über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ände- rung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze in erster Lesung. Das Gesetz ist notwendig geworden, weil die bundesdeutschen Gesetze an eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates angepasst wer- den müssen. Diese Richtlinie zielt auf den Schutz natürli- cher Personen bei der Verarbeitung von personenbezoge- nen Daten und auf den freien Datenverkehr. Im Oktober letzten Jahres hat die Bundesregierung schon einmal einen Versuch gestartet, den Datenschutz zu novellieren. Allerdings zerrissen die Medien den Entwurf in der Luft: Da wollte Herr Schily der Presse einen Maul- korb verpassen und in jede Redaktion einen Datenschutz- beauftragten setzen, der den Umgang der Journalisten mit personenbezogenen Daten überwacht. Die in unserem Land so hochgelobte Pressefreiheit wäre damit so gut wie gar nicht mehr vorhanden gewesen; undenkbar, obwohl ich mir manchmal einen etwas sensibleren Umgang mit personenbezogenen Daten wünschen würde. In dem nun vorliegenden Entwurf ist der Maulkorb für die Presse verschwunden. Immerhin zeigt das, dass die Bundesregierung in Teilbereichen „lernfähig“ ist. Wir alle wissen: Der Datenschutz ist ein sensibles Thema, das viele Bereiche betrifft. Mit dem vorliegenden Entwurf wird nicht nur das Bundesdatenschutzgesetz geändert, sondern auch: das Bundesverfassungsschutzge- setz, das Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst, das Bundesnachrichtendienst-Gesetz, das Sicherheits- überprüfungsgesetz, das Bundesgrenzschutzgesetz, das Bundeskriminalamtgesetz und das Sozialgesetzbuch. Das allein setzt schon voraus, dass ein Verfahren gefunden wird, das uns dem Ziel, den deutschen Datenschutz trans- parenter und verständlicher zu machen, näher bringt, in- dem es das Gesetz lesbar oder lesbarer macht. Dies ist mit der heutigen Vorlage nicht unbedingt gelungen. Der Bundesrat hat zu diesem Gesetzentwurf am 29. September 2000 Stellung genommen und insgesamt 19 Empfehlungen ausgesprochen. Leider liegt uns bisher nicht schriftlich vor, was die Bundesregierung mit diesen Empfehlungen machen will: ob sie ihnen folgen oder sie ablehnen will. Eine meines Erachtens ernst zu nehmende Kritik be- zieht sich auf die Einführung eines Datenaudits für „An- bieter von Datenverarbeitungssystemen und -program- men und datenverarbeitenden Stellen“. Die Erfahrungen mit Auditierungen in anderen Bereichen haben gezeigt, dass diese Verfahren sehr kostenintensiv sind, aber den Erwartungen, die an sie gestellt werden, nicht gerecht werden. In der Vergangenheit hat sich die betriebliche Selbst- kontrolle bewährt, die durch den betrieblichen Daten- schutzbeauftragten gewährleistet wurde. Warum soll hier eine doppelte Kontrolle eingeführt werden? Die Ein- führung eines Datenschutzaudits schwächt im Übrigen den betrieblichen Datenschutzbeauftragten, seine Auto- rität und Verantwortung. Man sollte auf das Audit ver- zichten. Ebenso verzichtbar ist meines Erachtens der im Gesetz vorgesehene „Maulkorb für den Datenschutzbeauftrag- ten“. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf bedarf der behördliche Datenschutzbeauftragte bei Meinungsver- schiedenheiten mit dem Leiter der verantwortlichen Stelle demnächst einer Zustimmung der obersten Bundesbehör- de, wenn er sich direkt an den Bundesbeauftragten für Datenschutz wenden will. Durch eine solch einschrän- kende Regelung, die es bisher in keiner Rechts- und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 12391 (C) (D) (A) (B) Verwaltungsvorschrift der Länder gibt, würde die Unab- hängigkeit des behördlichen Datenschutzbeauftragten aufgehoben, zumindest massiv eingeschränkt werden. Auch im Bereich der Zulässigkeit der Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung gibt es die Notwendigkeit zur „Nachbesserung“. So werden bisherige Vorschriften für den öffentlichen auf den nicht öffentlichen Bereich ausgeweitet. Doch die Ausgangslage ist in beiden Bereichen völlig unterschied- lich: Im öffentlichen Bereich werden Aufgabenbereiche durch den Gesetzgeber festgelegt. Da reicht für die Da- tenverarbeitung das so genannte Erforderlichkeitsprinzip. Im nicht öffentlichen Bereich kann sich der Einzelne seine Aufgaben selbst stellen; hier gelten die Prinzipien der freien wirtschaftlichen Betätigung und der Vertragsfrei- heit. Daher sind Vorschriften, die für den öffentlichen Be- reich gelten, hier zu modifizieren. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass zukünftig „per- sonenbezogene Daten beim Betroffenen“ erhoben wer- den. Für den öffentlichen Bereich mag das hoheitliche Auftreten des Staates gegenüber den Bürgern seinen Sinn haben. Aber im Bereich der Privatwirtschaft gilt das Prin- zip der Gleichordnung und der freien Entfaltung – Ge- werbefreiheit, Vertragsfreiheit, um nur einige Begriffe zu nennen. Insofern besteht meines Erachtens für eine Ein- schränkung der Datenerhebung keinerlei Bedürfnis. Die bisherigen Vorschriften der Datenverarbeitung und -nut- zung stellen hier einen ausreichenden Schutz für den Be- troffenen dar. Ein weiterer Punkt ist die Meldepflicht von verarbeite- ten Daten für den öffentlichen und nicht öffentlichen Be- reich. Hier muss klarer formuliert werden. Ebenfalls problematisch scheint es zu sein, dass bei der Datenübermittlung innerhalb der EU-Mitgliedstaaten noch in der täglichen Praxis überprüft werden muss, ob diese Übermittlung überhaupt unter den Anwendungsbe- reich der EG-Datenschutzlinie fällt. Wenn ein neues Gesetz beraten wird, sollte man auch den technischen Fortschritt der Zeit beachten und berück- sichtigen. Das hier vorliegende Gesetz lässt die neuen elektronischen Kommunikationswege völlig außer Acht. Als Einwilligung zur Erhebung, Verarbeitung oder Nut- zung von personenbezogenen Daten schreibt das Gesetz grundsätzlich die Schriftform vor. Gerade in Hinsicht auf den E-Commerce-Bereich muss das Gesetz „moderner“ gefasst werden. Es gibt noch einige Punkte mehr, die im Laufe des Ge- setzgebungsverfahrens angesprochen werden müssen. Ich meine beispielsweise die folgenden Bereiche: die Verar- beitung von personenbezogenen Daten, den Umgang mit für die Werbung genutzten Daten, die Verknüpfung von Angaben aus verschiedenen Datenbeständen in Bezug auf schutzwürdige Interessen der Betroffenen, die strafrecht- lichen Androhungen bei Missbrauch im Umgang mit per- sonenbezogenen Daten, die Kostenfrage muss deutlicher angesprochen und geklärt werden, und schließlich: Auch über die Videoüberwachung muss im Rahmen des Daten- schutzes geredet werden. Wie gesagt, bis heute morgen lag die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Empfehlungen des Bundes- rates nicht vor. Wir werden aber im Laufe der Beratungen genug Zeit haben, ein vernünftiges Datenschutzgesetz hinzubekommen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich freue mich, dass wir heute endlich dieses komplizierte Gesetz auf den parlamentarischen Weg bringen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz weist in seinem neuesten Bericht mit Recht auf die rasante Be- schleunigung des technischen Fortschritts hin. Die Ein- führung des Radios dauerte 38 Jahre. Beim Fernsehen wa- ren nur noch 13 Jahre vonnöten. Das Internet wiederum brauchte nur vier Jahre. Der Markt wächst doppelt so schnell wie die Volkswirtschaft insgesamt. Das hat enorme Auswirkungen auf die Politik und die Gesetzgebung. Wenn mittlerweile jeder Deutsche über 18 Jahre allein 52-mal in Unternehmensdateien gespei- chert ist, schafft das Sorgen und Ängste vor einem gläser- nen Bürger, der jeden Überblick darüber verloren hat, was mit seinen Daten geschieht und was alles über ihn in öf- fentlichen und vor allem in privaten Dateien gespeichert ist. Umfragen zeigen deutlich eine erhebliche Skepsis der Befragten. Bei der von der Konferenz der Datenschutz- beauftragten in Auftrag gegebenen Studie gaben ein Drit- tel der Befragten an, sie hätten persönlich den Eindruck, dass ihre Daten widerrechtlich und gegen ihren Willen missbraucht wurden. Das gilt nicht nur bei Eingriffen durch den Staat, sondern gerade bei den Eingriffen Pri- vater. Dieser Bereich wird immer bedeutsamer. Die Umsetzung der EU-Datenschutzrichtlinie ist ein wichtiger erster Schritt zu einer umfassenden Reform. Halten wir uns vor Augen: Die Struktur unseres Daten- schutzrechts stammt in ihrem Kern noch aus den 70er- Jahren. Die jetzige Fassung ist nach der Umsetzung der EU-Richtlinie für Anwender nicht gut genug lesbar. Seine Steuerungsfunktion kann das Bundesdatenschutzgesetz aber nur wahrnehmen, wenn auch die Nutzerinnen und Nutzer damit arbeiten können. Lesbarkeit und Verständ- lichkeit sind die Voraussetzungen für die Akzeptanz von Gesetzen. Dieses neue Gesetz muss dann weit in die Zukunft wei- sen. Es muss eine Antwort geben auf die Herausforderun- gen der modernen Informationsgesellschaft des 21. Jahr- hunderts. Wir stehen inmitten einer technischen Revolution wie zurzeit der Erfindung der Buchdrucker- kunst. Damals konnten plötzlich viel mehr Menschen Bücher lesen. Heute erleben wir die internationale Ver- flechtung mit unbegrenztem Zugang zum Internet. Mit dieser Anpassung an das EU-Recht allein ist es nicht getan. Wir haben deshalb bereits mit der Vorberei- tung einer völligen Überarbeitung des Datenschutzgeset- zes unter Beteiligung internationaler Fachleute begonnen. Wir wollen diese Diskussion zügig, zugleich aber so of- fen wie möglich gestalten, um den vielen Fachleuten, ins- besondere den Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern, angemessene Mitgestaltungsmöglichkeiten zu Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 200012392 (C) (D) (A) (B) geben. Gemeinsam mit dem Koalitionspartner haben wir zusätzlich das öffentliche Projekt „E-Demokratie“ ent- wickelt, an dem sich alle Interessierten beteiligen können (www.moderner-datenschutz.de). Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregie- rung ist ein solides Fundament für die weitere Diskussion einer Neustrukturierung des Datenschutzrechts. An eini- gen Stellen geht er bereits deutlich über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. So haben wir auch den Bundesdaten- schutzbeauftragten gestärkt. Besonders wichtig ist ferner die gesetzliche Veranke- rung des Datenschutzaudits. Davon versprechen wir uns einen großen technologischen Schub. Die Datenschutzbe- auftragten der Länder haben uns hier sehr ermuntert und gestärkt, für diese Regelung einzutreten. Ich möchte an dieser Stelle für die freundschaftliche und ertragreiche Zusammenarbeit mit den Datenschutzbeauftragten dan- ken. Mit dem heute vorgelegten Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie von 1995 wird der Datenschutz erheblich verbessert und der Datenverkehr innerhalb der EU wird dem inländischen gleichgestellt. Festgeschrieben wird auch der Grundsatz der Datensparsamkeit und der Daten- vermeidung. Neu ist zum Schutz der Bürgerrechte auch die Möglichkeit der Anonymisierung und Pseudonymi- sierung von Datenbeständen. Erweitert werden auch die Benachrichtigungspflichten über die Speicherungen und die Weitergabe von Daten der Betroffenen. Öffentliche Stellen werden nunmehr endlich verpflich- tet, eigene Datenschutzbeauftragte zu ernennen. Die jetzt gefundenen Regelungen sind dazu gewiss noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Insbesondere aber in den Sicher- heitsbehörden stehen manche bürgerrechtlichen Lernpro- zesse noch am Anfang. Die behördlichen Datenschutz- beauftragten werden es hier nicht einfach haben. Mit dem Gesetz wird aber immerhin ein Anfang gemacht, den wir als Parlament aufmerksam begleiten und unterstützen müssen. Jörg van Essen (F.D.P.): Die Novellierung des Da- tenschutzrechts ist seit langem überfällig. Die europä- ische Datenschutzrichtlinie, die wir in das nationale Recht umzusetzen haben, stammt aus dem Jahr 1995. Die Um- setzungsfrist ist vor fast genau zwei Jahren abgelaufen. Bis die parlamentarischen Beratungen abgeschlossen sind und das Gesetz verabschiedet ist, werden weitere Monate vergehen. Dennoch darf sich das Parlament nicht durch die zögerliche Haltung der Bundesregierung unter Zeit- druck setzen lassen. Das Datenschutzrecht ist eine sensible Materie; denn es schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Bürge- rinnen und Bürger. Für die F.D.P. ist andererseits aber auch wichtig, dass datenschutzrechtliche Positionen nicht als Vorwand genutzt werden, um berechtigte Anliegen ab- zuwehren, wie etwa bei der Verbrechensbekämpfung. Die Bundesregierung verfolgt mit dem jetzt endlich vorgelegten Gesetzentwurf im Wesentlichen das Ziel, die Vorgaben der europäischen Richtlinie umzusetzen. In ei- nem zweiten Schritt sollen dann die Arbeiten an einer um- fassenden Neukonzeption des Datenschutzrechts aufge- griffen und weitergeführt werden, mit dem Ziel der Mo- dernisierung, Vereinfachung und Erhöhung der Lesbar- keit des Gesetzes. Dies ist dringend notwendig. Wir sind gespannt, ob die Ankündigung, dieses Ziel noch in der laufenden Legislaturperiode zu erreichen, tatsächlich wahr gemacht wird. Nach den Erfahrungen mit den Pro- jekten dieser Koalition sind daran erheblich Zweifel er- laubt. Der Gesetzentwurf enthält durchaus begrüßenswerte Ansätze, die den Datenschutz, wie ihn die Freien Demo- kraten für richtig und wichtig halten, effektiver machen. Ich denke an den Grundsatz der Datenvermeidung und der Datensparsamkeit, an die Vorabkontrolle, an das Daten- schutzaudit, an die Erweiterung der Rechte des Bundes- beauftragten für den Datenschutz insbesondere im nicht öffentlichen Bereich und an die Regelung der Zulässigkeit der Videoüberwachung. Besonders begrüßen wir, dass die ursprüngliche Absicht der Regierung, in völlig unsensi- blem Umgang mit der Pressefreiheit Journalisten unter die Kontrolle redaktionsinterner Datenschutzbeauftragter zu stellen, nach massiven Protesten unter anderem der F.D.P. nun nicht mehr in dem Gesetzentwurf enthalten ist. Den Grundsatz „Selbstkontrolle kommt vor staatlicher Kontrolle“ musste die Regierung offenbar erst mühsam lernen. Aus dem Entwurf herausgenommen wurde die Rege- lung über die Chipkarten, die im öffentlichen wie im nicht öffentlichen Bereich zunehmend Verwendung finden. Wir werden bei den Beratungen zu prüfen haben, ob wir diese Regelung noch in das laufende Gesetzgebungsverfahren einfügen können. Für uns Liberale bleiben wichtige Bereiche des Daten- schutzes auch nach dieser Novellierung regelungsbedürf- tig. In der Informationsgesellschaft muss der Datenschutz als traditionelles Abwehrrecht gegenüber dem Staat in vergleichbarem Maße auf das Verhältnis zwischen Priva- ten ausgedehnt werden. Das gilt etwa für die Videoüber- wachung, die nach der Novelle lediglich bezüglich der öffentlich zugänglichen Räume, nicht aber – um ein Bei- spiel zu geben – im Bereich der Betriebe erfasst wird. Aber auch darüber hinaus gewinnt die Bildverarbei- tung aufgrund der ständig steigenden Verarbeitungskapa- zität eine neue Bedeutung. Der Vertrieb von Häuseran- sichten, so genannte Großraumprojekte, oder die Zustellung von Ferienfotos über das Internet lassen ahnen, welchen Rang die elektronische Bildverarbeitung im Alltagsleben künftig erhalten wird. Vor allem müssen wir den Bürgern bei der Nutzung von offenen Systemen wie dem Internet die Möglichkeiten des Selbstschutzes geben und damit den Datenschutz fördern. Ich nenne hier nur die Stich- worte: Sicherheitsinfrastrukturen, digitale Signaturen und kryptographische Verfahren. Nicht unerwähnt bleiben darf abschließend, dass alle gesetzlichen Regelungen ineffektiv bleiben, wenn die Aufsichtsbehörden in personeller wie in materieller Hin- sicht nicht ausreichend ausgestattet sind. Schon jetzt ist die Ausstattung zu gering, um die Praxis der Datenverar- beitung in Wirtschaft und Verwaltung auch nur annähernd tatsächlich überprüfen zu können. In dieser Frage sind insbesondere die Länder in der Verantwortung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 12393 (C) (D) (A) (B) Petra Pau (PDS):Gemäß der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Okto- ber 1995 war die Bundesregierung verpflichtet, das bun- desdeutsche Datenschutzgesetz bis zum 24. Oktober 1998 dieser Richtlinie anzupassen. Das ist bis heute nicht ge- schehen. Nicht nur der Bundesbeauftragte für Daten- schutz hat diesen Umstand immer wieder heftig kritisiert. Nun wird mit dem vorgelegten Gesetzentwurf versucht, dieser europäischen Anforderung und der Anforderung nach einheitlichem europäischen Recht Genüge zu tun. Damit sollen die Bürgerrechte gestärkt, staatliche Kon- trollstellen eingerichtet und ein einheitliches Daten- schutzniveau geschaffen werden, der Datenverkehr inner- halb der EU soll dem innerstaatlichen angeglichen, der Austausch personenbezogener Daten mit Drittstaaten ver- einheitlicht werden. Der andere Zweck des Gesetzes ist, das BDSG auf die Entwicklungen der modernen Techno- logien einzustellen und gesetzliche Vorgaben für eine Da- tenminderung zu entwickeln. Ich will nicht verhehlen, dass ich dieses Vorhaben aus- drücklich begrüße und dass ich mich da ganz den Daten- schutzbeauftragten des Bundes und auch der Länder an- schließen kann, die das Gesetzesvorhaben ausdrücklich als wichtigen und notwendigen Schritt begrüßen. Für die Datenschutzbeauftragten hat dabei das Gebot zur Daten- vermeidung und Datensparsamkeit bei der Systemgestal- tung und die Einführung eines Datenschutzaudits durch § 9 a des vorliegenden Gesetzentwurfs besonders positive Kritik hervorgerufen. Diese allgemeinen Bewertungen teile ich, auch wenn sie aus meiner Sicht ein wenig zu eu- phorisch ausfallen. Dass mag vor allem auch daran liegen, dass nach 10 Jahren gesetzlichen Stillstandes endlich diese drängenden Probleme angepackt werden – zu eu- phorisch, weil ich finde, dass eine ganze Reihe von kon- kreten Regelungen enthalten sind, die, was die Datener- hebung, -speicherung und -weitergabe betrifft, über das Ziel hinausschießen. Ich will hier nur einige Beispiele an- führen: Im vorgelegten Entwurf wird im § 6 b die Videoüber- wachung geregelt. Der Entwurf begnügt sich hier mit ganz allgemeinen Regelungen für die Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Raum. Zulässig ist sie, wenn sie zur „Aufgabenerfüllung“ staatlicher Stellen notwen- dig ist. Nach BGS-G und BKA-G gehört zur „Aufgaben- erfüllung“ die Verbrechensvorbeugung. Das heißt, der Entwurf des BDSG legalisiert damit die präventive Vi- deoüberwachung öffentlicher Bereiche. Die Speicherung der so erhobenen Daten wird genauso zulässig wie die Weitergabe. Auch die Vorschriften zur Löschung dieser vorbeugend und völlig willkürlich gewonnenen Daten sind ganz all- gemein und unverbindlich geregelt, nämlich dann, „wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind“, was immer das heißen mag. Und wie wir seit der Anhörung des Innenausschusses wissen, gehen hier die Ansichten von Datenschützern und Wissenschaftlern ei- nerseits und Vertretern der Polizeibehörden andererseits naturgemäß weit auseinander. lm vorgelegten Gesetzentwurf werden alle Vorschrif- ten des BfV-G, des MAD-G, des BND-G, des BGS-G, des BKA-G, des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes übernom- men. Das BDSG soll damit gesetzlich regeln, dass die da- tenschutzrechtlichen Kontrollrechte des Bürgers einge- schränkt werden. Gesetzlich geregelt wird damit, dass der Staat wohl in die Privatsphäre des Bürgers massiv ein- greifen kann, der Bürger aber kaum hiergegen Schutz- möglichkeiten hat. Ich bekomme beispielsweise häufig Klagen von Bürgern, bei denen Hausdurchsuchungen stattgefunden haben, von Bürgern also, in deren privaten Lebensbereich von staatlichen Stellen massiv eingegrif- fen wurde, die aber nicht die Möglichkeit haben, zu kon- trollieren, was mit ihren Daten geschehen ist. Der Daten- schutzbeauftragte wird auch gerade bei der Kontrolle der Eingriffe in das Brief-, Post und Fernmeldegeheimnis aus- geschlossen (siehe Seite 29 der Bundesrats-Drucksa- che 461/00). Das Datenschutzgesetz sollte nicht dazu dienen, den Schutz staatlicher Stellen vor Bürgerkon- trolle zu regeln. Im vorgelegten Entwurf wird auch die Weitergabe von Daten an Drittstaaten geregelt (§ 4 b). Die Datenweiter- gabe an Staaten, die über kein angemessenes Daten- schutzniveau verfügen, ist auch dann zulässig, „wenn die Übermittlung zur Erfüllung eigener Aufgaben einer öf- fentlichen Stelle des Bundes aus zwingenden Gründen der Verteidigung oder der Erfüllung über- und zwischenstaat- licher Verpflichtungen auf dem Gebiet der Krisenbewälti- gung oder Konfliktverhinderung oder für humanitäre Maßnahmen erforderlich ist“. Diese allgemeine Klausel erlaubt eigentlich alles. Im vorgelegten Gesetzentwurf wird auch festgelegt, dass Daten über die ethnische Herkunft und religiöse oder philosophische Überzeugungen nach dem SGB aus Grün- den der Rentenversicherung und der Voraussetzungen des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung national- sozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung ge- speichert werden können. Der Entwurf regelt Ähnliches beim Fremdrentengesetz und beim beruflichen Rehabili- tierungsgesetz. Auch hier wird – was ich äußerst proble- matisch finde – „eine Weiterübermittlung dieser Daten an andere Leistungsträger im Rahmen des § 67 b zulässig“ (Seite 126 der Bundesrats-Drucksache). Ich möchte in diesem Zusammenhang gar nicht länger darüber nach- denken, was mit jenen Daten beispielsweise von Spätaus- siedlern geschieht, die vom BND über die Zustände in der ehemaligen Sowjetunion ausgefragt worden sind, oder mit den Daten jener Menschen passiert, die Antrag auf Anerkennung als Spätaussiedler stellen und bei denen ge- prüft wird, ob sie „eine herausgehobene politische und be- rufliche Stellung innegehabt“ haben. Ich meine von daher: Der Sinn dieses Gesetzes sollte nicht darin bestehen, den lockeren Zugriff auf Daten der Bürger zu legalisieren und damit auf eine neue gesetzli- che Grundlage zu stellen. Ein novelliertes BDSG sollte die Rechte der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich schüt- zen; dies umso mehr, da die bereits jetzt schon vorhande- nen technischen Möglichkeiten es dem Staat ermögli- chen, massiv und fast allumfassend in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen einzugreifen. Lassen sie uns in der weiteren Debatte die Belange der Bürgerinnen und Bürger, ihr Selbstbestimmungsrecht in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 200012394 (C) (D) (A) (B) den Mittelpunkt stellen. Dann könnte dieses Gesetzes- vorhaben tatsächlich mehr Rechtssicherheit und mehr Selbstbestimmtheit bringen und manche Angst vor neuen technischen Entwicklungen nehmen, ja sogar zu ihrer selbstbewussten Nutzung anregen. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Der Gesetzentwurf, den die Bun- desregierung vorgelegt hat, dient der Anpassung des Bun- desdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze an die EG-Datenschutzrichtlinie. Durch diese Richtlinie wird ein einheitliches Datenschutzniveau für die Mitgliedstaa- ten der EU geschaffen. Der innergemeinschaftliche Da- tenverkehr wird künftig dem inländischen Datenverkehr gleichgestellt. Die Informationsrechte des Bürgers wer- den gestärkt. Die von der EG-Richtlinie gesetzte Umsetzungsfrist ist am 24. Oktober 1998 verstrichen. Die alte Bundesregie- rung hatte dem Vorhaben nicht die erforderliche hohe Priorität eingeräumt. Daher zeigte sich im Laufe des Jah- res 1999 noch erheblicher Diskussionsbedarf, etwa sei- tens der Wirtschaft, aber auch von Länderseite. Schließ- lich gab es aufseiten der Medien erhebliche Bedenken, denen Rechnung getragen werden sollte. Die Kommission hat am 11. Januar dieses Jahres die Einleitung der dritten Stufe des Vertragsverletzungsver- fahrens wegen Nicht-Umsetzung der EG-Datenschutz- richtlinie gegen Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und Irland bekannt gegeben. Trotz des langen Vorlaufs ist daher eine zügige Beratung des Ge- setzentwurfs erforderlich. Mit der Richtlinie und ihrer jetzt erfolgenden nationa- len Umsetzung werden die Weichen für ein einheitliches Datenschutzniveau innerhalb Europas gestellt. Dadurch wird ein reibungsloser Austausch personenbezogener Da- ten garantiert. Gleichzeitig wird die Transparenz der Da- tenverarbeitung von Wirtschaft und Verwaltung für den einzelnen Bürger weiter verbessert. Der Datenaustausch mit Drittstaaten wird zwar reglementiert, durch einen großzügigen Ausnahmekatalog wird jedoch dafür Sorge getragen, dass eine Beeinträchtigung des Wirtschaftsver- kehrs nicht eintritt. Dass die von der Richtlinie insoweit eingeführten In- strumentarien praxisgerecht sind, haben die unlängst er- folgreich abgeschlossenen Verhandlungen zwischen der Kommission und dem US-Handelsministerium zum so genannten safe harbor – Konzept des „sicheren Hafens“ – bewiesen. Danach wird auch zukünftig der Austausch per- sonenbezogener Daten zwischen europäischen und ame- rikanischen Unternehmen möglich sein. Hierzu wurden von amerikanischer Seite erstmals konkrete Zusagen im Hinblick auf die Gewährleistung eines effektiven Daten- schutzregimes gemacht. Der Gesetzentwurf ist generell darauf ausgerichtet, die Richtlinie zwar im erforderlichen Umfang umzusetzen, anderseits aber von den zur Verfügung stehenden Optio- nen in einer für Bund, Länder, Gemeinden und Wirtschaft möglichst kostengünstigen Weise Gebrauch zu machen. Die unvermeidlichen Mehrbelastungen der Wirtschaft werden sich daher in vertretbarem Umfang halten. Auf- grund der einheitlichen europäischen Regelungen sind Wettbewerbsnachteile nicht zu befürchten. Mit den Ländern ist bereits im Vorfeld eine intensive Abstimmung des Entwurfs erfolgt. Dabei sind die Kern- forderungen der Länder aufgegriffen worden. Der Bun- desrat hat in seiner Stellungnahme einige weitere Anre- gungen gegeben. Auch der Mehrzahl dieser Anträge beabsichtigt die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zu folgen. Insgesamt wird das in Deutschland bereits be- stehende hohe Datenschutzniveau aufrechterhalten. Nach Auffassung der Bundesregierung besteht ein über die vorliegende unmittelbare Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie hinausgehender Änderungs- und Moderni- sierungsbedarf im Bundesdatenschutzgesetz; es besteht Anlass, eine grundsätzliche Neustrukturierung des Daten- schutzrechts ins Auge zu fassen. Die Bundesregierung hat sich nach sorgfältiger Prüfung für ein zweistufiges Vorge- hen entschieden; sie hat dementsprechend die Ziele für eine Anpassung des Bundesdatenschutzgesetzes in der ersten Stufe, um die es hier heute geht, im Wesentlichen auf die Umsetzung der zwingenden Richtlinienvorgaben beschränkt. In einem zweiten Schritt, der zeitnah dieser ersten Phase nachfolgen soll, wird dann die grundlegende Neu- strukturierung des Bundesdatenschutzgesetzes auf der Tagesordnung stehen, einschließlich einer kritischen Überprüfung des Bestandes an speziellen Datenschutzre- gelungen. Wichtiges dieser zweiten Stufe wird die Ge- währleistung des Rechts auf informationelle Selbstbe- stimmung unter den Bedingungen der sich immer rascher ändernden technischen Rahmenbedingungen sein. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Herabsetzung der Grundsteuer bei strukturel- lem Mitwohnungsleerstand; – Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Existenz von Wohnungsgenossenschaften aus Treu- handliegenschaftsbeständen in den neuen Bundesländern; – UMTS-Milliarden für Entlastung von Alt- schulden auf dauerhaft leerstehenden Wohn- raum; – Vorlage einer Verordnung zur Umsetzung des § 6 a des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes zum Entwurf eines Gesetzes: – Änderung des Eigenheimzulagengesetzes. (Tagesordnungspunkt 22 a bis d und Zusatzta- gesordnungspunkt 17) Dr. Peter Danckert (SPD): Mit ihrem Antrag fordert die PDS, aus den Erlösen der Versteigerung der Mobil- funklizenzen einen Betrag von 3 Milliarden DM für die Entlastung von Altschulden auf dauerhaft leer stehenden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 12395 (C) (D) (A) (B) Wohnraum zu verwenden. Die PDS-Fraktion setzt ihre Versuche fort – zehn Jahre nach der deutschen Einheit –, eine von ihr zu verantwortende Misere in der Wohnungs- wirtschaft mit einem populistischen Federstrich zu been- den. Leider verschließt sie erneut die Augen vor den poli- tischen Realitäten. Die Erlöse in Höhe von 99,4 Milliarden DM aus der Versteigerung sind komplett in die Schuldentilgung des Staatshaushaltes geflossen, um den Haushalt nachhaltig zu konsolidieren und den Sparkurs der Bundesregierung mit entschlossenem, konkretem Handeln zu unterlegen. Wir wissen, dass die PDS immer gerne und immer schnell dabei ist, staatliche Gelder konzeptlos auszugeben – je- denfalls völlig falsche Schwerpunkte setzt. Was mich hier wirklich erstaunt, ist der Umstand, dass die PDS offen- sichtlich nicht zur Kenntnis nehmen will, dass bereits am 1. September 2000 die Novelle zum Altschuldenhilfe-Ge- setz der neuen Bundesregierung in Kraft getreten ist. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf auf- merksam machen, dass auf Initiative der SPD-Fraktion in die Novelle eine „Härtefallregelung“, nämlich der neue § 6 a AHG, aufgenommen wurde. Danach ist die Bundes- regierung zum Erlass einer Verordnung, die bereits in der Mache ist und schon am 1. Januar 2001 in Kraft treten soll, über zusätzliche Altschuldenhilfe ermächtigt. Dieje- nigen Wohnungsunternehmen, die infolge erheblichen dauerhaften Leerstandes in ihrer wirtschaftlichen Exis- tenz gefährdet sind, erhalten so zusätzliche Entlastungen, und zwar unabhängig, ob sie Zinsbeihilfe oder Teilentla- stung in Anspruch genommen haben. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der PDS, die UMTS-Milliarden sind, wie ich bereits sagte, sinnvoll zur Schuldentilgung verwandt worden. Damit Sie sich erst gar nicht die Mühe mit einem weite- ren Antrag machen müssen, kann ich Ihnen auch versi- chern, dass die daraus resultierenden Zinsersparnisse des Bundes von rund 5 Milliarden DM ebenfalls zielgerichtet für Investitionen eingesetzt werden, und zwar in die großen Bereiche Verkehr – Schiene und Straße –, For- schung und Bildung sowie in neue Technologien. Mit die- sem Zukunftsinvestitionsprogramm – auch ZIP genannt – haben diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen entscheidende Impulse für die schnellere Entwicklung und Verbesserung der Infrastruktur gesetzt und mit der massiven Unterstützung von Bildung und Forschung in die Zukunft der jungen Generation investiert. Das hat für uns die erste Priorität: Haushaltskonsolidierung und Zu- kunftsinvestitionen bestimmen unser politisches Han- deln. Doch jetzt zu Ihrem Gesetzesentwurf zur Änderung des Eigenheimzulagengesetzes, den ich als Wohnungspo- litiker interessant finde.Das Eigenheimzulagengesetz för- dert die Herstellung, die Anschaffung oder Ausbauten und Erweiterungen an einer Eigentumswohnung bezie- hungsweise an einer Wohnung im eigenen Haus, sofern der Anspruchsberechtigte die Wohnung zu eigenen Wohnzwecken nutzt. § 17 EigZulG sieht bei der Eigen- heimzulage dann Besonderheiten vor, wenn Genossen- schaftsanteile erworben werden sollen. Voraussetzung für die Förderung nach § 17 EigZulG ist, dass die Mitglieder Anteile in Höhe von mindestens 10 000 DM an einer ei- gentumsorientierten Genossenschaft zeichnen müssen. Die Förderung bezieht sich nur auf selbstgenutztes Wohn- eigentum und auf Anteile an eigentumsorientierten Woh- nungsgenossenschaften.Voraussetzung ist, wie es das Ge- setz in § 17 EigZulG klar definiert, dass die Satzung der Genossenschaft für die Genossenschaftsmitglieder das vererbliche Recht auf Eigentumserwerb für den Fall un- widerruflich vorsieht, dass die Mehrheit der in einem Ob- jekt wohnenden Genossenschaftsmitglieder der Begrün- dung von Wohnungseigentum und der Veräußerung der Wohnungen schriftlich zugestimmt hat. Die PDS möchte sich von diesem Grundsatz lösen und die Förderung auch auf den Anteilserwerb für beste- hende, nicht eigentumsorientierte Wohnungsgenossen- schaften erweitern sowie die Mindesthöhe des Genossen- schaftsanteils als Bedingung für die Gewährung der Zulage entfallen lassen. Ich gebe ja gerne zu, dass es dann den bestehenden Genossenschaften erleichtern würde, neue Mitglieder und finanzielle Mittel für Investitionen in den Bestand zu gewinnen. Aber – und ein „aber“ muss in diesem Fall natürlich kommen – Sinn und Zweck des Ge- setzes ist es doch, was in § 2 EigZulG auch deutlich zum Ausdruck kommt, dass nur Eigentum und damit auch nur Anteile an eigentumsorientierten Wohnungsgenossen- schaften gefördert werden. Was Sie hier wollen, ist nicht nur systemwidrig und verstößt gegen Sinn und Zweck des Gesetzes, sondern stellt auch einen völlig neuen Förder- tatbestand dar! Aber Sie müssen sich an dieser Stelle gar nicht echauf- fieren, denn der Erwerb von Anteilen an bestehenden Wohnungsgenossenschaften wird bereits über die förder- fähigen Bausparbeiträge sowohl im Rahmen der Woh- nungsbauprämie, da hier nur eine wohnungswirtschaftli- che Verwendung Voraussetzung ist, sowie durch das 5. Vermögensbildungsgesetz gefördert. Im sozialen Be- reich kommt bei der neuen Regierung kein Bürger zu kurz; nur die lieben Kolleginnen und Kollegen der Oppo- sition kommen mit ihren Ideen leider immer zu spät! Denn – ich will die Gelegenheit nicht ungenutzt verstrei- chen lassen –: Wir haben doch gerade vor wenigen Minu- ten mehrheitlich für den Gesetzesentwurf zum Eigen- heimzulagengesetz von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt, der den Förderzeitraum für den Einbau be- stimmter energiesparender Anlagen und für Niedrigener- giehäuser um zwei weitere Jahre verlängert. Und – denn das soll bitte auch nicht in Vergessenheit geraten –: Wir haben die Wohngeldnovelle mit einigen be- deutsamen Zielen auf den Weg gebracht, die ab 2001 er- hebliche Verbesserungen vorsieht. Die Wohngeldreform bewirkt einen durchschnittlichen Anstieg des Wohngel- des. Außerdem wird die Zahl der Anspruchsberechtigten durch die Anhebung der Werte in den Wohngeldtabellen erheblich ausgeweitet, weil sich damit auch die Einkom- mensgrenzen verändern. Allein in den neuen Ländern be- kommen 85 000 zusätzliche Haushalte die Chance, Wohn- geld in Anspruch zu nehmen. Und im Zeichen des Aufbau Ost: Wir vereinheitlichen das Wohngeld in Ost- und West- deutschland, wofür 1,4 Milliarden DM mehr zur Verfü- gung stehen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 200012396 (C) (D) (A) (B) Die SPD hat mal wieder – und ich sage hier mit Stolz „mal wieder“ – für die Bürger aus den neuen wie aus den alten Bundesländern, zahlreiche Verbesserungen erreicht! Dr. Christine Lucyga (SPD): Wichtige wohnungs- politische Entscheidungen sind noch in dieser Legislatur- periode zu treffen bzw. umzusetzen. Zu den wichtigsten Aufgaben zählen tragfähige Stadtentwicklungskonzepte, die die Zukunft dauerhaft leer stehenden Wohnraums klären und – angesichts rund 1 Million leer stehender Wohnungen in den neuen Bundesländern auch das Thema Abriss – dort, wo es angebracht ist, nicht länger tabuisie- ren. Messlatte ist dabei unsere erklärte politische Absicht: Wir wollen mehr bezahlbare Wohnungen und mehr Le- bensqualität in unseren Städten und Gemeinden und die besonderen Probleme der ostdeutschen Wohnungswirt- schaft – wie Fehler des Altschuldenhilfe-Gesetzes und die bedrohlich angewachsenen Leerstände – zügig und sach- gerecht lösen, denn wir wollen – auch dies ist eine unse- rer erklärten wohnungspolitischen Zielsetzungen – So- zialwohnungsbestände für eine dauerhafte soziale Wohnungswirtschaft sichern. In der Eigenheimförderung und in der Städtebauförde- rung setzen wir – entsprechend ihrem unverändert hohen Stellenwert – neue Akzente, die auch neue, integrative An- sätze einschließen. Soeben haben wir Änderungen am Eigenheimzulagengesetz beschlossen, oder, wie vor kur- zem, mit der am 1. September in Kraft getretenen Novelle zum Altschuldenhilfe-Gesetz erhebliche Erleichterungen für die Wohnungsunternehmen in den neuen Ländern ge- schaffen. Wenn wir heute – leider wieder einmal zu vorgerück- ter Stunde – über gleich fünf wohnungspolitische Anträge der PDS sprechen, in denen zweifellos wichtige Probleme angesprochen werden, dann ist aber auch festzustellen, dass wir an der Lösung dieser Probleme bereits arbeiten und auch bei ihrer Lösung ein gutes Stück vorangekom- men sind. Wir setzen dabei auf tragfähige Lösungen von Bestand und nicht auf den kurzzeitigen Aha-Effekt, auf den zum Beispiel der PDS-Antrag „UMTS-Milliarden für Entlastung von Altschulden auf dauerhaft leer stehenden Wohnraum“ angelegt ist. Mit diesem Antrag wird, im Grunde genommen, wie- der einmal das Phantom des Goldesels aufgezäumt, der nach Belieben mit einem goldenen Regen aushelfen kann. Aber leider sind Märchen im täglichen Leben ebenso sel- ten wie in der Politik, und ein Fass ohne Boden ist nun ein- mal keine Sparbüchse. Genau dies aber ist die Botschaft Ihres Antrages: Man braucht, wie in einem Selbstbe- dienungsladen, nur zuzugreifen, die Finanzierung erfolgt per Blankoscheck. Ein gewisser Realismus kann indessen beim Umgang mit öffentlichen Mitteln bestimmt nicht schaden und so ziehen wir dem auch eine Lösung vor, die unserer Verant- wortung für die gegenwärtigen Probleme und für die Zu- kunft der jungen Generation entspricht. Wir wollen keine kurzlebigen Effekte, sondern solide Maßnahmen, und deshalb halten wir es für die sinnvollste und beste Lösung, die UMTS-Versteigerungserlöse nicht sofort wieder in konsumtiven Einzelausgaben versickern zu lassen, son- dern im Rahmen der Haushaltskonsolidierung zur Schul- dentilgung und die daraus Jahr für Jahr resultierenden Zinsersparnisse im Rahmen eines Zukunftsinvestitions- programmes für zusätzliche Investitionsmaßnahmen zu verwenden. Zum Beispiel werden drei Jahre lang jährlich mehrere 100 Millionen Mark für zinsgünstige Kredite für die CO2-Minderung im Gebäudebereich eingesetzt: zurErneuerung von Heizungsanlagen, zur Wärmedämmung, für den Einsatz regenerativer Energien und innovativer Gerätetechnik. Von den Mitteln, die in die Erneuerung der Infrastruktur fließen, wird an anderer Stelle zu sprechen sein. Die Entlastung und Erleichterung für die Wohnungs- unternehmen in den Neuen Ländern wollen wir, nach- dem am 1. September bereits die Novelle zum ASHG in Kraft getreten ist, unter anderem durch eine zusätzliche Altschuldenhilfe, wie sie laut dem neu aufgenommenen § 6 des ASHG möglich ist, auf dem Verordnungswege schaffen. Diese Verordnung soll bereits am 1. Januar 2001 in Kraft treten und auch örtliche und regionale Gesamtkonzepte zur Bewältigung des Leerstandspro- blems initiieren, für die von der durch die Bundesregie- rung eingesetzte Kommission „Wohnungswirtschaftli- cher Strukturwandel in den neuen Bundesländern“ bis November diesen Jahres Leitlinien erarbeitet werden. Da- mit ist den im vorliegenden PDS-Antrag enthaltenen An- liegen bereits Rechnung getragen. Auch für das Problem der TLG-Genossenschaften werden wir gemeinsam mit der TLG eine Lösung finden. Verschiedene Maßnahmen zur Unterstützung der betroffenen Wohnungsunterneh- men hat die TLG bereits eingeleitet. Den Vogel abgeschossen haben Sie allerdings mit dem Antrag „Herabsenkung der Grundsteuer bei strukturellem Mietwohnungsleerstand“, denn mit einem solchen An- trag, der sicher gut gemeint ist, würden genau diejenigen getroffen, die ohnehin aufgrund der strukturellen Leer- stände mit besonderen Aufwendungen belastet sind und nun durch Grundsteuermindereinnahmen zusätzlich ge- troffen würden: die Städte und Gemeinden nämlich. Das kann nun wirklich nicht ernsthaft gewollt sein. Im Grunde würde eine Umsetzung dieses Antrages eine so weitrei- chende Systemänderung darstellen, dass der vorgeschla- gene Weg schlichtweg realitätsfremd genannt werden muss. Wer eine tragfähige Lösung will und die Probleme der ostdeutschen Wohnungswirtschaft ernst nimmt – und das tun wir – wird also nicht ohne ein solides Handlungskon- zept auskommen. Wir haben dazu bereits wirksame Schritte getan. Wie ernst wir die gravierenden wohnungs- wirtschaftlichen und stadtstrukturellen Probleme neh- men, die aufgrund der hohen Wohnungsleerstände in den NBL bestehen, haben wir durch die Novelle zum Alt- schuldenhilfe-Gesetz bewiesen. Ebenso werden wir ernst- haft die Maßnahmeempfehlungen der Expertenkommis- sion zum wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Ländern umsetzen. Heinz Seiffert (CDU/CSU): Der Antrag der PDS zielt darauf ab, leer stehende Mietwohnungen vor allem in den neuen Bundesländern nahezu vollständig von der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 12397 (C) (D) (A) (B) Grundsteuer zu befreien. Diese Steuer ist aber für die Kommunen eine wichtige, geradezu unverzichtbare Ein- nahmequelle. Eine teilweise Abschaffung würde zu ganz erheblichen Einnahmeausfällen führen und damit die ohnehin schwierige Finanzlage der Städte und Gemeinden gerade in den neuen Bundesländern noch mehr schwä- chen. Mit einer bürokratischen Regelung würden Sie, fürchte ich, auch den Anreiz mindern, Plattenbausiedlun- gen bedarfsgerecht zurückzubauen und zu sanieren. Eine Grundsteuerbefreiung, die Sie laut Begründung vor allem für die neuen Länder beantragen, wäre nicht praktikabel, ungerecht und streitanfällig. Auch in den al- ten Bundesländern gibt es Leerstandsfälle, beispielsweise wegen falscher Standortentscheidung, in denen selbstver- ständlich die Grundsteuer eingefordert wird. Wie soll man dort verfahren? Mit zweierlei Maß zu messen ist ja wohl kaum der richtige Weg. Entweder die Grundsteuer wird beibehalten, dann muss sie aber auch für alle gelten – es gibt ja sogar eine Härtefallregelung – oder sie wird abge- schafft. Letzteres ist jedoch nicht finanzierbar. Die Grundsteuer ist eine von den Kommunen zu erhe- bende Steuer mit eigenem Hebesatzrecht. Es gibt triftige Gründe, die Grundsteuer zu reformieren und zu erhalten, auch wenn von gewissen Seiten populistisch gefordert wird, sie abzuschaffen. Sie bringt den Kommunen ein ste- tiges, nicht von konjunkturellen Schwankungen oder von Gewinneinbrüchen großer ortsansässiger Unternehmer abhängiges Einkommen. Bei der angespannten Fi- nanzlage haben viele Gemeinden in der Grundsteuer we- nigstens eine sicher kalkulierbare Einnahmequelle, mit der sie weitgehend und unabhängig von der Wirtschafts- lage rechnen können. Die Objekte, auf die Grundsteuer erhoben wird, sind nicht disponibel; Gestaltungsmöglichkeiten scheiden weit- gehend aus. Für die Eigentümer gibt es keine Möglichkeit, sie dem örtlichen Steuergläubiger zu entziehen. Die Grund- steuer deckt viele Ausgaben der Kommunen für die allge- meine Daseinsvorsorge, soweit diese nicht über Beiträge und Gebühren erfasst werden. Im internationalen Vergleich der Industriestaaten ist die Grundsteuerbelastung in Deutschland äußerst be- scheiden. Gemessen am gesamten Steueraufkommen be- trägt das Grundsteueraufkommen in Deutschland nur 1,13 Prozent, in Japan 7,16 Prozent, in Großbritannien 9,11 Prozent und in den USA9,5 Prozent. Allerdings hinkt der Vergleich ein wenig, da die Grundsteuer in den ande- ren Staaten die wesentliche Einnahmequelle der Kommu- nen ist. Dass die Grundsteuer reformbedürftig ist, ist spätes- tens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 klar. Damals wurde in Karlsruhe festge- stellt, dass die nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 – in den neuen Ländern sogar nach denen von 1935 – ermittelten Einheitswerte für das Grundvermögen nicht mehr für Zwecke der Vermögensteuer – die darauf- hin entfallen ist – und der Erbschaft- und Schenkung- steuer angewandt werden dürfen. Allein für die Zwecke der Grundsteuer erscheint die Weiterführung der Ein- heitsbewertung nicht mehr sinnvoll. Das ist wirklich wahr. Auch wenn bei der Grundsteuer die Grundstückswerte nicht mit den Werten anderer Vermögenswerte in Bezug gesetzt werden, entsprechen die schon in den alten Bun- desländern seit mehr als 30 Jahren unveränderten Werte- feststellungen bei der Einheitsbewertung auch in ihrer Re- lation zueinander nicht mehr den realen Verhältnissen. Am 4. Mai 2000 hat sich die Finanzministerkonferenz der Länder nun mehrheitlich auf einen Formulierungs- vorschlag auf der Basis von Modell B verständigt und das Bundesministerium der Finanzen gebeten, ein Gesetzge- bungsverfahren einzuleiten. Gemäß des Modells B wird zukünftig den Wertverhältnissen des jeweiligen Grund- stücks und pauschalen Werten des Gebäudes Rechnung getragen, indem sich die Bemessungsgrundlage aus rea- len, projektbezogenen Daten zusammensetzt. Das hat zwar zur Folge, dass ein gewisser Aufwand zur Beschaf- fung der Daten betrieben werden muss, aber gleichzeitig wird so der Eigenheit eines jeden Grundstücks bzw. Ge- bäudes Rechnung getragen. Insofern werden hier auch Verbesserungen für Mietleerstände eingeführt; denn ge- rade der Wert von Plattenbauten dürfte verhältnismäßig gering sein. Die Erhebung der Grundsteuer aufgrund des Verkehrswertes ist also gerechter und für den Bürger auch einsichtiger als die derzeitige Praxis. Die Einheitswerte, die in den Finanzämtern mit großem Aufwand gepflegt werden, sind auf Dauer ganz sicher keine angemessene Basis für die Grundsteuer. Hier muss die Regierung end- lich aktiv werden. Darüber hinaus haben die Finanzminister der Länder das Ziel vor Augen, das Grundsteuerverfahren vollständig auf die Gemeinden zu übertragen. Das würde die Finanz- ämter erheblich entlasten. Eine Einmischung des Bundes, wie die PDS in ihrem Antrag fordert, wäre also derzeit auch aus diesem Grunde gewiss nicht hilfreich. Nach §§ 33 und 34 des Grundsteuergesetzes kann, wie es die PDS in ihrem Antrag anführt, auf Antrag bei der zustän- digen Gemeinde die Grundsteuer bei bebauten und ver- mieteten Grundstücken bereits jetzt herabgesetzt werden, wenn der normale Rohertrag des Steuergegenstandes um mehr als 20 Prozent gemindert und der Steuerschuldner die Minderung des Rohertrags nicht zu vertreten hat. Das bedeutet, dass es gerade bei Mietleerständen aufgrund struktureller Gegebenheiten dem Hauseigentümer frei- steht, bei der zuständigen Gemeinde eine Ermäßigung der Grundsteuer zu beantragen. Diese Klausel ist für Härte- fälle eingebaut worden. Eine weitere Herabsetzung oder gar eine Aussetzung für bestimmte Fälle war und ist vom Gesetzgeber nicht gewollt und würde auch keinen Sinn machen. Die Grundsteuer ist eine wichtige, konjunkturunab- hängige Einnahmequelle für die Kommunen, die auf je- den Fall beibehalten werden muss. Dabei kann man sicher darüber reden, auf welcher neuen Basis die Berechnung der Steuer erfolgen soll. Da sind wir für konstruktive Vorschläge der Regierung – die allerdings auf sich warten lassen – offen. Es macht jedoch absolut keinen Sinn, jetzt bestimmte Regionen quasi von der Steuer zu befreien. Dies würde zu Ungerechtigkeit und Neid der nicht Be- günstigten führen. Es bleibt abzuwarten, wie das endgül- tige Gesetz aussehen wird, das die Grundsteuer neu regelt. Der PDS-Antrag ist ausschließlich populistisch begrün- det. Auch deshalb muss er abgelehnt werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 200012398 (C) (D) (A) (B) Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich begrüße es sehr, dass die Kollegin Ostrowski und die Fraktion der PDS mit großer Zähigkeit um Lösungen für die wachsenden Leerstandsprobleme in Ostdeutschland ringt. Aber ich bedaure etwas, dass Sie nicht warten können, bis die Ergebnisse der Experten- kommission Leerstand in 14 Tagen vorgelegt werden. Tatsache ist – die Leerstandsprobleme werden in Zu- kunft weiter ansteigen. Bereits heute stehen durchschnitt- lich 13 Prozent des Wohnungsbestandes in Ost leer, ins- gesamt 1 Million Wohnungen. Davon gehören etwa 350 000 Wohnungen kommunalen Wohnungsgesellschaf- ten und Genossenschaften, etwa 650 000 Wohnungen pri- vaten Eigentümern. Aktuell wird der Einnahmenverlust der Wohnungswirtschaft auf jährlich 2,3 Milliarden DM geschätzt. In den nächsten 5 Jahren ist der Abriss von mindestens 250 000 nötig. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die ostdeut- schen Städte und Länder in einem Prozess von 10 bis 20 Jahren einen umfassenden Stadtumbau organisieren müssen, der dem kontinuierlichen Bevölkerungsrückgang ebenso Rechnung trägt wie den sich ändernden Wohnan- sprüchen. Dabei darf es auf keinen Fall nur um Abriss und Rückbau gehen. Im Gegenteil: Es ist von entscheidender Bedeutung, dass der Rückbau mit Aufwertungsstrategien verbunden wird und neuer Optimismus in die ostdeut- schen Städte und Stadtteile einkehrt. Wo ein Straßenzug Platte abgerissen werden muss, müssen Reihenhaussiedlungen, Eigenheime und Grünan- lagen entstehen. Nur so wird es gelingen, den Menschen eine Zukunft in ihrer Heimat zu geben. Diesen Prozess zu initiieren ist ganz wesentlich die Aufgabe der ostdeut- schen Kommunen und Länder. Frau Kollegin Ostrowski, es ist auch Aufgabe der Kommunen, von der geltenden Regel der Grundsteuer- entlastung Gebrauch zu machen, bevor nach neuen Re- geln gerufen wird. Hoyerswerda beispielsweise ist hier vorbildlich und gewährt seiner Wohnungswirtschaft Grundsteuerentlastung für leerstehenden Wohnraum. Zum Antrag der PDS, drei Milliarden DM aus den UMTS-Erträgen der ostdeutschen Wohnungswirtschaft zur Verfügung zu stellen: Die Bundesregierung bereitet die § 6 a-Verordnung vor. Es werden Mittel zur Entlas- tung von Wohnungsunternehmen von Altschulden in den Haushalt eingestellt. Das heißt, der Bund wird in Kürze einen wichtigen Schritt zur Lösung des Problems tun. Minister Klimmt hat zugesagt, dass die Altschulden- entlastung auch für Wohnungen gelten soll, die bereits vom Markt genommen werden mussten. Nun sind Länder und Kommunen am Zuge. Folgende Schritte halte ich als nächstes erforderlich: Erstens. Die Länder müssen den Kommunen Geld für die städtebauliche Planung geben, die erforderlich ist, um klare Entscheidungen über die Prioritäten für Abriss oder Erhalt fällen zu können. Die Kommunen brauchen eben- falls Unterstützung für die städtebauliche Planung, die Rückbau und städtebauliche Aufwertung miteinander verknüpft. Zweitens. Die Länder müssen ihre raumordnerischen Prioritäten bestimmen und ihre eigene Planung und För- derpraxis von Siedlungserweiterung auf Rückbau und Siedlungserweiterung auf Rückbau und Stabilisierung der vorhandenen Siedlungsräume umstellen. Drittens. Die Wohnungsbauförderung der Länder muss hart und klar umgestellt werden. Die Neubauförderung muss reduziert und mit der Stabilisierung und Aufwertung von Rückbaumaßnahmen verknüpft werden. Ähnlich wie es Sachsen bereits gemacht hat, müssen die Länder Pro- gramme für Abriss und Stadtumbau entwickeln. Viertens. Die Länder sollten ihrerseits Runde Tische zur Hilfe für die Wohnungswirtschaft einrichten. Hier müssen gerade auch die Kreditinstitute eingebunden und mit in die Pflicht genommen werden. Weil es sich um die Aufgabe einer umfassenden und lang andauernden Umsteuerung in der Stadtentwicklung in Ostdeutschland handelt und weil davon nicht nur die Wohnungs- und die Bauwirtschaft, sondern mittelbar auch das kleine und mittlere Gewerbe der Städte und Re- gionen betroffen ist, muss dieses Problem in die Solidar- paktverhandlungen und in die weitere Wirtschaftsförde- rung Ost einbezogen werden. Hier müssen Bund, Länder, Gemeinden und Wohnungswirtschaft konstruktiv zusam- menarbeiten. Auch die westdeutschen Länder dürfen ihre Unterstützung nicht versagen. Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): F.D.P. und PDS sind sich in der Beurteilung der Wohnungspolitik für die neuen Bundesländer in zwei Punkten einig: Erstens. Die unternehmerische Wohnungswirtschaft befindet sich in einer existenzbedrohenden strukturellen Krise. Zweitens. Die Maßnahmen der Bundesregierung reichen zur Be- wältigung dieser Krise nicht aus. Die F.D.P. hat deshalb in der Debatte um die Änderung des Altschuldenhilfegesetzes gefordert, der Wohnungs- wirtschaft Ost eine Strukturhilfe zu gewähren. Allen Woh- nungsunternehmen mit einem strukturellen, dauerhaften Leerstand von mehr als fünf Prozent sollte die Möglich- keit eingeräumt werden, sich auf Antrag auch von den restlichen Altschulden in Höhe von 150 DM pro Quadrat- meter zu befreien. Als Gegenleistung wollten die Libera- len ein tragfähiges unternehmerisches Konzept. Leider hat die Bundesregierung die Wohnungswirt- schaft im Regen stehen lassen und ist weder dem Vor- schlag der F.D.P. noch anderen Vorschlägen für eine Strukturhilfe gefolgt. Die Bundesregierung hat stattdes- sen eine Verordnungsermächtigung verabschiedet, wo- nach zusätzliche Strukturhilfen nur nach Maßgabe vor- handener Haushaltmittel und nach den Regeln einer zu erlassenen Verordnung eingesetzt werden können. Diese Verordnung gibt es bisher nicht. Ein unzureichender Ent- wurf ist in Arbeit; der Termin des In-Kraft-Tretens steht allerdings ebenso wenig fest wie die Dotierung der Struk- turhilfe im Haushalt 2001. Ich halte es grundsätzlich für richtig und hilfreich, wenn wir hier im Deutschen Bundestag immer wieder die Probleme der Wohnungswirtschaft in den neuen Bundes- ländern zur Sprache bringen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 12399 (C) (D) (A) (B) Ob die vorliegenden Anträge der PDS allerdings in der Sache hilfreich sind, muss doch bezweifelt werden. Inso- fern endet spätestens jetzt die Gemeinsamkeit mit der PDS: UMTS-Milliarden, Subventionen, einseitige Bevor- zugung bei der Grundsteuer sind altbackene Instrumente der Politik, die bestehende Verkrustungen verstärken und unhaltbare Strukturen festigen, wo doch Wandel gefragt ist. Die F.D.P. will die Wohnungsunternehmen beim not- wendigen Wandel unterstützen. Offenbar gefällt sich die PDS in ihrer Rolle als Ostalgie-Regionalpartei. Die An- träge der PDS zur Absenkung der Grundsteuer, zur Exis- tenzsicherung von Wohnungsgenossenschaften und zur Verwendung von UMTS-Milliarden gehen weit über das notwendige Maß hinaus. Sie deuten insgesamt auf das hin, was politisch beabsichtigt ist: Die PDS will sich als Interessenwahrer der Wohnungswirtschaft Ost präsentie- ren. Die Einseitigkeit und Schmalspurigkeit der Anträge sprechen für sich. Wer sich derartig opportunistisch ver- hält, zeigt, dass er nicht in der Lage ist, Gesamtverant- wortung zu übernehmen. Anlage 10 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 755. Sitzung am 20. Okto- ber 2000 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen gemäß Artikel 84 Abs. 1 Grundgesetz zuzustimmen: – Gesetz zu dem Abkommen vom 10. März 1998 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Republik Südafrika über die Seeschifffahrt – Gesetz zurÄnderung des Personenbeförderungsge- setzes (PBefG) – Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe Die Fraktion der F.D.P. hat mit Schreiben vom 25. Ok- tober 2000 den Gesetzentwurf zur Einsetzung einer unabhängigen Sachverständigenkommission zur Fest- setzung der Abgeordnetenentschädigung – Drucksa- che 14/1732 – zurückgezogen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 02 Titel 686 30 – Beitrag an die Vereinten Nationen – – Drucksachen 14/3487, 14/3574 Nr. 1.4 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltführung 2000 Überplanmäßige Ausgabe in Höhe von 95 000 000 DM bei Kapitel 60 04 Titel 654 01 – Bundeszuschuss an den Ausgleichsfonds (Lastenausgleich) – Drucksachen 14/3606, 14/3720 Nr. 1 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 60 04 Titel 698 08 – Bundesanteil gemäß Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ – – Drucksachen 14/4047, 14/4093 Nr. 1.10 – Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand von Si- cherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bun- desrepublik Deutschland im Jahre 1998 – Drucksache 14/2471 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprin- zips 1998 (Subsidiaritätsbericht 1998) – Drucksachen 14/1512, 14/1616 Nr. 1.9 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/3050 Nr. 2.4 Drucksache 14/3428 Nr. 1.5 Drucksache 14/3428 Nr. 2.12 Drucksache 14/3428 Nr. 2.14 Drucksache 14/3428 Nr. 2.29 Drucksache 14/3576 Nr. 2.6 Finanzausschuss Drucksache 14/3723 Nr. 2.6 Drucksache 14/3723 Nr. 2.7 Drucksache 14/3723 Nr. 2.8 Drucksache 14/3723 Nr. 2.10 Drucksache 14/3723 Nr. 2.15 Drucksache 14/3859 Nr. 2.16 Drucksache 14/3859 Nr. 1.6 Drucksache 14/3859 Nr. 1.7 Drucksache 14/3859 Nr. 2.30 Drucksache 14/3859 Nr. 2.39 Drucksache 14/3859 Nr. 2.42 Haushaltsausschuss Drucksache 14/3859 Nr. 2.23 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/3050 Nr. 1.2 Drucksache 14/3576 Nr. 2.15 Drucksache 14/3576 Nr. 2.36 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 14/4092 Nr. 2,7 Drucksache 14/4092 Nr. 2.8 Drucksache 14/4092 Nr. 2.9 Drucksache 14/4092 Nr. 2.11 Drucksache 14/4170 Nr. 2.71 Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 14/3341 Nr. 2.32 Drucksache 14/3576 Nr. 2.14 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 200012400 (C) (D) (A) (B) Drucksache 14/3576 Nr. 2.16 Drucksache 14/3576 Nr. 2.18 Drucksache 14/3576 Nr. 2.22 Drucksache 14/3576 Nr. 2.29 Drucksache 14/3576 Nr. 2.35 Drucksache 14/3859 Nr. 2.21 Drucksache 14/3859 Nr. 2.25 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/3576 Nr. 2.30 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Drucksache 14/3859 Nr. 2.14 Drucksache 14/3859 Nr. 2.15 Drucksache 14/3859 Nr. 2.16 Drucksache 14/3859 Nr. 2.17 Drucksache 14/3859 Nr. 2.18 Drucksache 14/3859 Nr. 2.19 Drucksache 14/4092 Nr. 2.12 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung Drucksache 14/3050 Nr. 2.26 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/2817 Nr. 1.8 Drucksache 14/3146 Nr. 1.1 Drucksache 14/3341 Nr. 1.4 Drucksache 14/3341 Nr. 2.22 Drucksache 14/3428 Nr. 1.2 Drucksache 14/3428 Nr. 2.18 Drucksache 14/3576 Nr. 1.6 Drucksache 14/3576 Nr. 1.11 Drucksache 14/3576 Nr. 2.10 Drucksache 14/3576 Nr. 2.25 Drucksache 14/3576 Nr. 2.31 Drucksache 14/3576 Nr. 2.38 Drucksache 14/3576 Nr. 2.39 Drucksache 14/3723 Nr. 22 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000 12401 (C)(A) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412800000
Guten Morgen!
Die Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b sowie
Zusatzpunkt 14 auf:

17. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland und
Europa

b) Beratung der Beschlussempfehlung und

(7. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung Jahreswirtschaftsbericht 2000 der
Bundesregierung „Arbeitsplätze schaffen
– Zukunftsfähigkeit gewinnen“

– zu dem Entschließungsantrag der Abge-
ordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, Dr.
Heidi Knake-Werner, Dr. Gregor Gysi und
der Fraktion der PDS zum Jahreswirt-
schaftsbericht 2000 der Bundesregierung
„Arbeitsplätze schaffen – Zukunftsfähig-
keit gewinnen“

– Drucksachen 14/2611, 14/2721, 14/4076 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nina Hauer
Heinz Seiffert
Dr. Barbara Höll

ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Joachim Fuchtel, Gunnar Uldall, Karl-Josef
Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU Arbeitslosenversicherungsbei-
trag senken
– Drucksache 14/4377 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung an-
derthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist es so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412800100
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Am vergangenen Dienstag haben die wirtschafts-
wissenschaftlichen Forschungsinstitute ihre Herbstpro-
gnose zur konjunkturellen Lage vorgelegt. Die Situation
ist so günstig wie schon seit langem nicht mehr. Die In-
stitute bestätigen die positiven Erwartungen der
Bundesregierung: Das Wirtschaftswachstum bleibt stark,
die Arbeitslosigkeit wird sinken, die Inflation bleibt unter
Kontrolle. Die Prognosen entsprechen im Großen und
Ganzen denen der Bundesregierung.

Mit einem Wirtschaftswachstum von 3 Prozent in
diesem Jahr und 2,75 Prozent im nächsten Jahr haben wir
ein Wachstum, wie es seit dem Wiedervereinigungsboom
in den frühen 90er-Jahren in keinem einzigen Jahr in der
Bundesrepublik Deutschland vorhanden war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im vergangenen Monat gab es in Deutschland mehr
Lehrstellenangebote als Bewerber. Wer kann sich eigent-
lich erinnern, wann dies das letzte Mal der Fall war? Sie
müssen schon ein gutes Gedächtnis haben. Bei Ihnen,
meine Damen und Herren von der Opposition, habe ich
den Eindruck, seit Sie in der Opposition sind, haben Sie
vergessen, was Sie in Ihrer Regierungszeit alles nicht zu
Wege gebracht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Das ist kollektiver Alzheimer!)


Eine solche Situation hatten wir das letzte Mal vor fünf
Jahren.

Natürlich ist das nur ein einzelner Indikator. Mit der In-
terpretation muss man daher vorsichtig sein. Regional und
sektoral sind die Unterschiede groß. Deswegen besteht
weiterhin Bedarf am Sofortprogramm der Bundesre-
gierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Das
werden wir regional und sektoral konzentrieren müssen.
Aber, meine Damen und Herren, wer – wie Sie während

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128. Sitzung

Berlin, Freitag, den 27. Oktober 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Ihrer ganzen Regierungszeit – die Notwendigkeit eines
solchen Programms verneint, der versündigt sich an den
jungen Leuten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Lehrstellensituation zeigt exemplarisch, wie posi-
tiv sich die Wirtschaftslage entwickelt. Nicht nur beim
Abbau der Jugendarbeitslosigkeit gibt es Fortschritte.
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland sinkt auf breiter
Front. Die Beschäftigung ist spürbar gewachsen. Die Zahl
der Erwerbstätigen liegt mit 38,6 Millionen deutlich
höher als vor einem Jahr. Damals waren es 555 000 Er-
werbstätige weniger. Die Zahl der Arbeitslosen liegt unter
3,7 Millionen. Damit haben wir 260 000 Arbeitslose we-
niger als vor einem Jahr. Das ist ein Erfolg, der auch – ich
betone: auch – auf die Politik der Bundesregierung
zurückgeht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein Teil dieser Entwicklung ist auf demographische Ef-
fekte zurückzuführen; das bestreite ich überhaupt nicht.
Aber das trifft nur auf den kleineren Teil zu. Der größere
Teil der Entwicklung geht auf das Konto des Aufbaus
neuer Beschäftigung. Das müssen Sie den Menschen im
Lande um der Wahrheit willen endlich sagen, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Margareta Wolf [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Oberstes Ziel der Wirtschafts- und Finanzpolitik der
Bundesregierung ist die Bekämpfung der Arbeitslosig-
keit. Dabei zeigen sich sichtbare Fortschritte. Wir sind
noch längst nicht damit zufrieden; aber wir sind auf gutem
Weg und auf diesem Weg werden wir weitergehen.

Die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft hatte
unter der weltweiten Finanzkrise 1998 stark gelitten. Seit
Mitte 1999 hat sich das Wirtschaftswachstum aber wieder
spürbar beschleunigt. Das gilt für Deutschland, aber auch
für die gesamte Weltwirtschaft. In diesem, aber auch im
nächsten Jahr rechnen wir – das ist die Projektion der
Bundesregierung – mit einem realen Wirtschaftswachs-
tum von rund 2,75 Prozent in Deutschland. Die jüngste
Entwicklung ist derart positiv, dass es für dieses Jahr so-
gar auf 3 Prozent hinauslaufen könnte.

Ich sagte schon, wichtiger Impulsgeber für diese posi-
tive Entwicklung ist zweifelsfrei der Export.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wegen der EuroSchwäche!)


Aber auch die Ausrüstungsinvestitionen wachsen sehr
deutlich. Die Aussichten, dass damit neue Arbeitsplätze
geschaffen werden, sind gut und die Binnennachfrage
steigt systematisch. Auch das, meine Damen und Herren,
ist ein Erfolg unserer Politik, insbesondere unserer Steu-
erpolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Kapazitätsauslastung lag im westdeutschen verar-
beitenden Gewerbe im Juni bei fast 88 Prozent. Der
langjährige Durchschnitt liegt nur bei 85 Prozent. Das
deutet darauf hin, dass neue Erweiterungsinvestitionen
bald folgen werden. Damit einhergehen wird eine weitere
Senkung der Arbeitslosigkeit. Früher sagte man in sol-
chen Situationen: Die Schlote rauchen. Heute müsste man
zutreffender sagen: Die Mäuse klicken.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schlechter ist – das ist keine Frage – die Entwicklung
beim Bau. In den neuen Ländern muss man von einer An-
passungskrise des Baugewerbes sprechen. In Kombina-
tion mit dem anhaltenden Personalabbau im öffentlichen
Dienst, der zu DDR-Zeiten völlig überbesetzt war, erklärt
das auch im Osten die weiterhin deutlich höheren Ar-
beitslosenraten als im Westen. Dies macht übrigens nach
wie vor eine starke aktive Arbeitsmarktpolitik insbeson-
dere in den neuen Ländern notwendig. Auch das sage ich
in Richtung Opposition, die das immer wieder infrage
stellt. Der Arbeitsmarkt in den neuen Ländern stagniert
noch. Die Arbeitslosenquote betrug im September
16,6 Prozent; 1,3 Millionen Menschen in den neuen Län-
dern sind arbeitslos, leider nur 19 000 weniger als vor ei-
nem Jahr.

Nach der Wiedervereinigung wurden im ostdeutschen
Baugewerbe sehr hohe Überkapazitäten aufgebaut. Das
war eine natürliche Reaktion auf die Politik der SED. Zu
DDR-Zeiten ist viel wertvolle Bausubstanz verfallen. Er-
neuerungsbedarf von immenser Größe hatte sich aufge-
staut. Im öffentlichen Sektor, aber auch bei den privaten
Haushalten gab es einen Investitionsstau, der mit großen
Sonderprogrammen abgebaut werden musste. Jetzt er-
folgt schrittweise die Anpassung an den Normalbedarf.
Das ist schmerzhaft und dämpft den Aufholprozess in den
neuen Ländern.

Bei der Verwendung der Zinsersparnisse aus den
UMTS-Erlösen hat die Bundesregierung an die schwie-
rige Lage des Baus gedacht. 2,9 Milliarden DM gehen in
den nächsten drei Jahren zusätzlich, also insgesamt
5,7 Milliarden DM – –


(Zuruf von der CDU/CSU: 8,7!)

– Nein, 8,7 Milliarden DM zusätzlich. Meine Damen und
Herren, ich untertreibe lieber, als zu übertreiben; das müs-
sen Sie sich merken.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Also 8,7 Milliarden DM, jeweils 2,9 Milliarden DM
pro Jahr, gehen zusätzlich in den Infrastrukturausbau.
2 Milliarden DM davon sind für die Bahn vorgesehen.
Das Geld steht für Schieneninvestitionen von Erhaltung
des Bestandsnetzes und zur Beseitigung von Langsam-
fahrstrecken bereit und kommt so der Bauwirtschaft zu-
gute. Das gilt auch für die 900 Millionen DM, die jährlich
zusätzlich für den Straßenbau vorgesehen sind. In den
nächsten drei Jahren sind es also insgesamt 2,7 Milliar-
den DM. Die Mittel zur Sanierung von Altbauten zur




Bundesminister Hans Eichel
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Energieeinsparung werden ebenfalls in der Bauindustrie
für neue Aufträge sorgen. 400 Millionen DM sind das
jährlich in den kommenden drei Jahren, zusammen also
1,2 Milliarden DM.

Wir tun das alles aber nicht nur für den Bau. Diese Mit-
tel sind kein konjunkturelles Strohfeuer. Das ist prakti-
zierte Strukturpolitik. Die Basis für ein lang anhaltendes
Wirtschaftswachstum wird gestärkt. Deutschland braucht
eine leistungsfähige Infrastruktur. Wir sorgen dafür, dass
Deutschland sie bekommt.

Das gilt natürlich auch und besonders für die neuen
Länder. Dort ist der Bedarf an moderner Infrastruktur
noch besonders hoch. Eine funktionierende Infrastruktur
ist gerade dort eine Voraussetzung für ein starkes
Wirtschaftswachstum.

Leider wird die Entwicklung in den neuen Ländern in
diesem Jahr nicht so stark sein wie in den alten. Im nächs-
ten Jahr wird das Wachstum aber wieder zu dem in den al-
ten Ländern aufschließen. Das erwarten auch die For-
schungsinstitute.

Es gibt – das will ich hier deutlich sagen – erhebliche
Fortschritte in der ostdeutschen Industrie, nachdem diese
einen schmerzhaften Strukturwandel durchlaufen hat. Die
Umsätze im verarbeitenden Gewerbe und im Bergbau
Ostdeutschlands lagen von Januar bis August dieses Jah-
res um 15 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Im alten Bun-
desgebiet war der Anstieg ebenfalls kräftig, aber mit
10 Prozent deutlich geringer.

Auch vom gegenwärtigen Exportboom profitieren die
ostdeutschen Industrieunternehmen. Zwar ist ihre Export-
quote noch niedriger als die der Unternehmen im Westen;
aber die Dynamik der Ausfuhren war mit plus 31 Prozent
gegenüber plus 16 Prozent fast doppelt so hoch wie in den
alten Bundesländern.

Man muss an dieser Stelle allerdings auch darauf hin-
weisen, dass darin das positive Sonderproblem der Werf-
ten enthalten ist. Wir werden alle Hände voll zu tun haben,
dass das so bleibt; denn hier haben sich die Bundesregie-
rung und besonders der Bundeskanzler enorm engagiert,
um Hilfen zur Verfügung zu stellen, damit die Chancen
auf dem Weltmarkt genutzt werden können. Die Versteti-
gung dessen ist also eine riesige Aufgabe, die vor uns
liegt.

Das Erfreulichste ist jedoch, dass die Beschäftigung im
ostdeutschen verarbeitenden Gewerbe seit Jahresbeginn
wieder zunimmt. Im August gab es hier rund 20 000
Arbeitsplätze mehr als ein Jahr zuvor; das ist ein Zuwachs
um 3,5 Prozent. Diese Zahlen beziehen sich nur auf die
statistisch erfassten Betriebe mit 20 und mehr Beschäftig-
ten. Die kleineren Betriebe dürften ebenfalls neue
Arbeitsplätze geschaffen haben.

Diese Entwicklungen sind deshalb so bedeutungsvoll,
weil von einer kräftig wachsenden Industrie auch positive
Impulse auf andere Bereiche, zum Beispiel die Dienstleis-
tungen, ausgehen.

Der Aufholprozess der neuen Länder ist noch lange
nicht abgeschlossen. Sie werden auch in Zukunft die So-
lidarität aller Deutschen brauchen. Deswegen werden wir

noch in dieser Wahlperiode einen neuen Solidarpakt für
die Zeit nach 2005 mit ihnen eingehen.

Sieht man einmal vom Baugewerbe ab, ist die Stim-
mung in der deutschen Wirtschaft gut. Die Auftrags-
bücher sind gefüllt; die Auslandsnachfrage ist kräftig ge-
stiegen, im Vorjahresvergleich um über 15 Prozent. Das
Stimmungsbarometer des ifo-Konjunkturtests zeigt zwar
inzwischen eine leichte Eintrübung, der Aufwärtstrend
der Wirtschaft bleibt aber intakt; lediglich die Dynamik
wird sich etwas abschwächen.

Auch die Deutsche Bundesbank erwartet keinen Ab-
bruch des Aufschwungs. Das ist dem Monatsbericht für
Oktober zu entnehmen. Die Bundesregierung teilt diese
Auffassung und erwartet – ich sagte es schon – für das
nächste Jahr weiterhin ein reales Wirtschaftswachstum
von 2,75 Prozent.

Als diese Bundesregierung im Oktober 1998 die Re-
gierungsgeschäfte übernahm, lag Deutschland beim Wirt-
schaftswachstum in Europa an vorletzter Stelle, und zwar
schon seit Mitte der 90er-Jahre. In diesem Jahr sind wir
wieder zur Wachstumslokomotive in der Europäischen
Union geworden. Im zweiten Quartal ist Deutschlands
Wirtschaft stärker gewachsen als die Wirtschaft aller an-
deren großen Länder in Europa, stärker als in Großbritan-
nien, in Frankreich und in Italien. Das Wachstum der
Wirtschaft in der Europäischen Union hat sich von
3,3 Prozent auf 3,7 Prozent erhöht. Selbst wenn es im
zweiten Halbjahr nicht so gut läuft, wird die Kommissi-
onsschätzung von 3,4 Prozent für das Gesamtjahr er-
reicht.

Wir senken mit unserer Politik die Arbeitslosigkeit, wir
stärken das Wirtschaftswachstum und wir schaffen dies
ohne nennenswerte Nebeneffekte in Bezug auf die Infla-
tion.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zwar lag der Preisanstieg im September mit 2,5 Prozent
höher als wir uns das wünschen und als es das Ziel der
Europäischen Zentralbank ist. Das ist aber zur Hälfte auf
die hohen Rohölpreise zurückzuführen. Rechnet man den
Ölpreiseffekt heraus, liegt der Anstieg real nur noch bei
1,2 Prozent.

Natürlich – da komme ich auf den Zwischenruf zu Be-
ginn meiner Rede zurück – spielt auch der Euro-Wechsel-
kurs dabei eine Rolle. Dieser Effekt ist aber nur temporär.
Schon mittelfristig wird der Euro gegenüber dem Dollar
wieder an Wert gewinnen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das haben Sie schon vor einem halben Jahr gesagt! – Gegenruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD]: Das muss deshalb doch nicht falsch sein!)


Im Moment spiegelt der Wechselkurs die Stärke der eu-
ropäischen Wirtschaft nicht wider, wohl aber eher die
Stärke der amerikanischen Wirtschaft. Warten Sie diesen
Tag ab, meine Damen und Herren, wir werden sehen, wie
die neuen Wachstumszahlen im dritten Quartal in den Ver-
einigten Staaten aussehen. Ich sage nur ganz ausdrück-
lich: Ich wünsche mir in den Vereinigten Staaten eine




Bundesminister Hans Eichel

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sanfte Landung und keinen harten Abbruch. Daran wer-
den wir noch einmal zusammen denken müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn auf einem so hohen Leistungsbilanzdefizit, auf ei-
ner so geringen privaten Sparquote lässt sich kein dauer-
haftes Wirtschaftswachstum begründen. Das werden wir
sehen. Ich sage noch einmal: Ich hoffe, diese Probleme
der Weltwirtschaft werden sanft gelöst und nicht im har-
ten Abbruch.

Die Europäische Zentralbank hat auf die Preisentwick-
lung reagiert und die Zinsen erhöht. Das zeigt, wie auf-
merksam sie über den Geldwert wacht. Ich bin mir im
Klaren, dass die Europäische Zentralbank jetzt aufmerk-
sam beobachten wird, ob es zu Zweitrundeneffekten
kommt. Für Deutschland erwarte ich dies aber nicht.

Die Tarifvertragsparteien haben in den abgeschlosse-
nen Lohnrunden großes Verantwortungsbewusstsein ge-
zeigt. Die Lohnabschlüsse in Deutschland waren mode-
rat und – was im Moment viel wichtiger ist – sie waren
langfristig angelegt. In vielen Branchen können gar keine
kurzfristigen Zweitrundeneffekte auftreten, weil die Ta-
rifverträge bis weit ins nächste Jahr, sogar ins übernächste
Jahr hinein gelten.

Diese positive Entwicklung in der Lohnpolitik – hier
sage ich auch einmal einen herzlichen Dank an die Ge-
werkschaften in unserem Lande, weil sie die Hauptlast
tragen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der F.D.P.: Oh! Oh!)


es wird nämlich Zeit, dass das ganz deutlich gemacht wird
– ist nicht zuletzt auf das Bündnis für Arbeit zurückzu-
führen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Wirtschaftsplacebo!)


Dort hatten sich die Tarifvertragsparteien bereits auf mit-
telfristig ausgerichtete stabilitäts- und beschäftigungs-
freundliche Tarifabschlüsse verständigt. Jetzt ziehen wir
alle den Profit daraus.

Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Unternehmen ist international gestiegen. Das zeigt sich
auch am Warenexport. Er ist gegenüber dem Vorjahr um
fast 17 Prozent angewachsen.

Das Bündnis für Arbeit und die darin verabredeten
Grundsätze der Lohnpolitik sichern den Wachstumspro-
zess in Deutschland. Wenn jetzt in allen Mitgliedstaaten
der Europäischen Union auf Lohndisziplin geachtet wird,
braucht die Europäische Zentralbank die Zinsen nicht zu
erhöhen. Die Versorgung der Wirtschaft mit Kapital zu
günstigen Zinsen bleibt dann gesichert. Ich erinnere da-
ran, dass am langen Ende keine Zinserhöhungen stattge-
funden haben – trotz der Zinspolitik oder vielleicht wegen
der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank – und dass
wir deswegen auch keine Gründe haben, damit unzufrie-
den zu sein.

Zweitrundeneffekte zu vermeiden, – dies will ich al-
lerdings mit Nachdruck sagen und ich hoffe, dass auch die
Medien das einmal aufnehmen – ist aber nicht nur Sache
der Lohnpolitik. Von den Unternehmen erwarte ich die
gleiche Disziplin bei der Preisgestaltung, die ich von den
Tarifvertragsparteien bei der Lohnfindung erwarte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer jetzt ohne Not die Preise nach oben treibt, gefährdet
die Stabilität des Aufwärtstrends zulasten von uns allen.
Die Kaufkraft, die durch die Ölpreisentwicklung aus un-
seren Volkswirtschaften abgezogen wird, kann nicht
durch interne Verteilungskämpfe zurückgewonnen wer-
den. Das war der Fehler, der in den frühen 70er-Jahren ge-
macht worden ist. Wir dürfen diesen Fehler nicht wieder-
holen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das jetzige Ölpreisniveau gefährdet die positive Ent-
wicklung nicht nachhaltig. Die Preise schwanken zurzeit
um die 30 Dollar pro Barrel oder liegen etwas darüber.
Wir sollten nicht vergessen, dass wir schon fast ein ganzes
Jahr mit Preisen um 25 Dollar pro Barrel hinter uns haben.
Die Preissteigerung ist groß, aber nicht wirklich bedroh-
lich. Im Übrigen kommt sie von einem sehr niedrigen Ni-
veau her. 10 Dollar pro Barrel – wir dürfen auch nicht nur
unsere Seite sehen; wir müssen auch die andere Seite, die
der Ölförderländer, sehen – sind für die Weltwirtschaft
kein vernünftiger Preis. Die Ölförderländer haben natür-
lich Recht, wenn sie darauf hinweisen: Jetzt, da die Öl-
preise hoch sind, klagt ihr. Aber was habt ihr denn gesagt,
als sie so niedrig waren, dass es für unsere Volkswirt-
schaften nicht auskömmlich war?

Der Internationale Währungsfonds geht davon aus,
dass ein Preis von etwa 25 Dollar pro Barrel für die Welt-
wirtschaft insgesamt vernünftig ist und die beste Grund-
lage für ein Wachstum der gesamten Weltwirtschaft bie-
tet.

Meine Damen und Herren, die Wirtschaft hat sich an
diese Energiepreise gewöhnt, und sie hat reagiert. Die
Abhängigkeit vom Öl ist deutlich gesunken. Auf diesem
Weg müssen wir weitergehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb wird die Bundesregierung mit den eingesparten
Zinsen durch die Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-
Lizenzen auch energiesparende Investitionen fördern.

Wir wiederholen die Politik, die unter unserer Führung
schon in den 70er-Jahren betrieben worden ist und damals
zu vernünftigen Ergebnissen geführt hat.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sehr wahr!)

Hätten Sie diese Politik in Ihrer Regierungszeit ab 1982
weitergeführt, ginge es uns heute wesentlich besser.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





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Die New Economy – so wird sie heute bezeichnet – ist
durch einen geringen Energieverbrauch charakterisiert.
Auch der Trend hin zu einem wachsenden Dienstleis-
tungsangebot zeigt, wie Wirtschaftswachstum ohne höhe-
ren Energieverbrauch möglich ist. Unterstützt wird die
Entwicklung durch die Ökosteuer.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

– Es tut Ihnen weh, dass nun auch die Wirtschaftsfor-
schungsinstitute ausdrücklich sagen,


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Den Leuten tut das weh! Den Familien tut das weh! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Ihnen wird das wehtun! Es wird ein langer, kalter Winter!)


dass wir bei den von uns festgelegten Schritten bis zum
Jahr 2003 bleiben sollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben bei Ihrer Kampagne gegen die Ökosteuer viel-
leicht noch kurzfristig eine Menge Menschen auf Ihrer
Seite, die Ihnen Verständnis entgegenbringen; das ver-
stehe ich, da werden wir noch intensiv argumentieren
müssen. Sie haben aber keinen wirtschaftswissenschaftli-
chen Sachverstand mehr auf Ihrer Seite. Selbst große
Teile der Wirtschaft, zum Beispiel die Automobilindus-
trie, weigern sich, Ihre Kampagne zu unterstützen. Das
sollte Ihnen zu denken geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Wo ist der Wirtschaftsminister? Warum redet er hier nicht?)


Im Übrigen haben die Menschen doch längst gemerkt,
dass die gegenwärtigen Schwankungen der Ölpreise
überhaupt nichts mit Steuern zu tun haben; denn eine Er-
höhung der Ökosteuer hat es das letzte Mal zum 1. Januar
2000 gegeben. Sie rennen also gegen den Verstand der
Leute an. Das wird Ihnen auf die Dauer nicht gelingen;
das sage ich ganz klar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es wird deutlich, dass die Ökosteuer zur Modernisie-
rung der Wirtschaft beiträgt. Dies zeigt sich nicht nur an
dem langfristigen Trend zur Veränderung der Wirtschafts-
struktur. Zu erkennen ist dies auch an energiesparenden
Innovationen, beispielsweise in der Automobilindustrie.
Ich wiederhole, was ich von diesem Pult aus schon einmal
gesagt habe: Dass die deutsche Automobilindustrie inter-
national so erfolgreich ist, hat auch, aber nicht nur mit
dem gegenwärtig niedrigen Kurs des Euro zu tun. Es hat
vor allem damit zu tun, dass die Autos keine Spritsäufer
mehr sind; – solche Autos könnte sich die Welt gar nicht
mehr leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, der Europäische Rat von
Lissabon hat als Ziel formuliert, die Wachstums- und Be-

schäftigungsmöglichkeiten einer wissensbasierten Ge-
sellschaft zu erschließen. Die Bundesregierung setzt dies
in nationale Politik um. Wir haben die Ausgaben für Bil-
dung und Forschung deutlich erhöht. Im Gegensatz zu Ih-
rer Regierungszeit wächst der Anteil des Bildungs- und
Forschungshaushalts am Gesamthaushalt wieder, und
zwar deutlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allein aufgrund der eingesparten Zinsen durch die
Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen wer-
den wir in den nächsten drei Jahren jeweils 1,1 Milliar-
den DM, also insgesamt 3,3 Milliarden DM, für diesen
Bereich zur Verfügung stellen. Diese Mittel werden
zunächst für die BAföG-Reform verwendet. Dass Sie auf
Kosten der Zukunft gespart haben, sieht man daran, wie
niedrig die Zahl der durch das BAföG Geförderten – hier
sind soziale Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit unmit-
telbar verbunden – in Ihrer Regierungszeit war. Durch die
Einschränkungen beim BAföG hatten viele junge Men-
schen aus Haushalten mit geringem Einkommen gar
keine Möglichkeit, ihre Bildungschancen wahrzuneh-
men. Damit haben Sie aber nicht nur diesen jungen Leu-
ten die Bildungschancen entzogen. Sie haben auch der
Gesellschaft das notwendige Produktivkapital Bildung
entzogen. Schlimmer kann man sich an der Zukunft nicht
versündigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Mittel stehen also für die BAföG-Reform, damit
für den Wiederanstieg der Zahl der geförderten Personen-
kreise und für mehr Bildungschancen für Kinder aus
Haushalten mit geringem Einkommen zur Verfügung. Die
Mittel werden aber auch für die Genomforschung, die Zu-
kunftsinitiative „Hochschule“ und weitere Projekte ein-
gesetzt.

Hinzu kommen jährlich 100 Millionen DM für die
Energieforschung. Wir schaffen damit die Grundlagen,
um die deutsche Wirtschaft an die Spitze der Entwicklung
zu führen. Gleichzeitig verringern wir die Abhängigkeit
Deutschlands vom Öl.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Finanzpolitik stützt die-
ses positive Wirtschaftsszenario. Mit dem Konsolidie-
rungsprozess haben wir das Vertrauen in der Wirtschaft
und bei den Bürgerinnen und Bürgern wieder hergestellt.
Investitionen brauchen einen langen Planungshorizont.
Verbraucher trauen sich nur, ihr Geld auszugeben, wenn
sie nicht mit ständig steigenden Steuern und Abgaben
rechnen müssen. Vertrauen ist der Anfang von allem.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Fangt einmal an!)


Wir schaffen es. Die Inlandsnachfrage geht deutlich
nach oben. Seit 1999 ist sie zunehmend der Träger des
Wirtschaftswachstums, der stabilisierende Faktor des
Wirtschaftswachstums in Deutschland.




Bundesminister Hans Eichel

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Vergangene Woche hat das Bundeskabinett die Aktua-
lisierung des deutschen Stabilitätsprogramms verab-
schiedet. Wir erfüllen die Auflagen des europäischen Sta-
bilitäts- und Wachstumspaktes vollständig. Wenn wir
mittelfristig ein nominales Wirtschaftswachstum von
knapp 4 Prozent erreichen und alle Gebietskörperschaften
– das betone ich: alle Gebietskörperschaften – am verein-
barten Konsolidierungskurs festhalten, die Ausgaben
jährlich also höchstens um 2 Prozent steigen, können wir
unseren Plan einhalten. Im Jahr 2004 wird der deutsche
Staat, die Gesamtheit aller öffentlichen Haushalte, kein
Defizit mehr ausweisen. Für den Bund gilt das dann noch
nicht.

Unser Konsolidierungskonzept sieht vor, dass wir im
Jahr 2006 keine neuen Schulden mehr in den Bundes-
haushalt einplanen müssen. Danach können wir mit dem
Abtrag des Schuldenbergs beginnen. Das ist dann ein Er-
gebnis, wie es das seit Jahrzehnten in Deutschland nicht
mehr gegeben hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bund kehrt endlich zu solider Finanzpolitik zurück.
Harte Arbeit, die getan werden musste.

Dieser Konsolidierungskurs wird inzwischen von allen
Mitgliedern der Europäischen Union verfolgt. Ein abge-
stimmter Kurs in der Finanzpolitik ist auch nötig, um eine
gemeinsame Geldpolitik, eine stabilitätsorientierte,
wachstumsfördernde Geldpolitik möglich zu machen.

Mit der Steuerreform 2000 haben wir Angebots- und
Nachfragebedingungen in Deutschland drastisch ver-
bessert. Die Entlastung der privaten Haushalte, die wir be-
reits mit der Einkommensteuerreform begonnen haben,
wird massiv fortgesetzt. Allein im Jahr 2001 tritt eine Net-
toentlastung von 45 Milliarden DM ein. Das ist weitaus
mehr, als dieser Volkswirtschaft durch die Ölpreissteige-
rung an Kaufkraft entzogen wird.


(Beifall bei der SPD)

Deswegen haben auch die Wirtschaftsforschungsinsti-

tute in ihrem Bericht deutlich gemacht, dass diese Steuer-
reform richtig ist, sowohl dem Umfang wie auch dem
Zeitpunkt nach. Es konnte gar keine bessere steuerpoliti-
sche Entscheidung geben, als diese Steuerreform mit die-
ser ganz starken Nettoentlastung von Bürgern und Unter-
nehmen jetzt zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


45 Milliarden DM im nächsten Jahr, ansteigend auf
95 Milliarden DM in 2005, davon allein 65 Mil-
liarden DM bei den privaten Haushalten, 30 Milliar-
den DM bei den Unternehmen, und zwar bei den kleinen
und mittleren – das ist in der Tat ein großes Programm zur
Förderung von Stabilität und Wachstum in der Wirtschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das spürt inzwischen auch der Einzelhandel. Nach
Jahren der Stagnation, die Sie zu verantworten haben,
steigen die Umsätze wieder. Der Einzelhandel verzeich-

nete in den ersten acht Monaten dieses Jahres gegenüber
dem Vorjahr ein Umsatzplus von 2,2 Prozent.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Ehrlich? Welche denn?)


Der Konsum der privaten Haushalte wird allmählich zu
einem stabilen Träger des Wirtschaftswachstums.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Da sind die Tankstellen dabei! – Dagmar Wöhrl [CDU/ CSU]: Und die Apotheken!)


– Ja, es strukturiert sich um. Da haben Sie Recht. Es geht
nämlich sehr viel mehr in den Gesundheitssektor. Aber
der entscheidende Punkt ist, dass der private Verbrauch
steigt. Das ist doch zu Ihrer Zeit überhaupt nicht passiert,
meine Damen und Herren. Darin liegt das Problem.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Aber auch die verstärkte Investitionstätigkeit derUn-
ternehmen in diesem Jahr ist auf die Steuerreform
zurückzuführen. Ab dem nächsten Jahr gelten deutlich re-
duzierte Steuersätze. Wer in diesem Jahr investiert, kann
noch die alten Abschreibungsregeln für die Investitions-
objekte nutzen. Diese Kombination macht die Investitio-
nen in diesem Jahr doppelt reizvoll. Die neuen AfA-Ta-
bellen werden die Abschreibungszeiträume an die
tatsächliche Nutzungsdauer annähern.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Woher denn! Weiter erhöhen!)


Für den Staat ergeben sich daraus rund 3,5 Milliar-
den DM Mehreinnahmen. Die 3,5 Milliarden DM waren
in Ihrem Steuerreformprogramm genauso enthalten. Was
erzählen Sie den Unternehmen in diesem Lande eigent-
lich?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wir haben andere Steuersätze gehabt!)


– Das steht doch in Ihren Finanzierungstabellen.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: 7 Millionen!)


– 3,5 Milliarden DM und nicht mehr. Genauso wird es
auch kommen.

Wenn ich einmal das wunderliche Abstimmungsver-
halten einzelner Länder offen legen würde, die auf der ei-
nen Seite öffentlich erzählen, sie wollten überhaupt keine
Änderung der AfA-Tabellen,


(Joachim Poß [SPD]: Gestern im Finanzausschuss des Bundesrates!)


klammheimlich aber gern mehr kassieren würden, dann
gäbe es in der Republik wirklich etwas zu lachen, meine
Damen und Herren.


(Joachim Poß [SPD]: Wir werden darauf zurückkommen!)


So ist das nämlich: uns öffentlich angreifen, aber unter
dem Tisch die Hand aufhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Bundesminister Hans Eichel
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Genauso verhalten auch Sie sich. In Ihrer Steuerreform
war ja nicht nur eine Entfernungspauschale von
50 Pfennig enthalten – daran muss man die Kraftfahrer
immer wieder erinnern –,


(Joachim Poß [SPD]: 5,1 Milliarden DM Gegenfinanzierung!)


sondern es war auch eine Veränderung der Afa-Tabellen
als ein Instrument zur Finanzierung der Steuerreform ge-
nauso wie bei uns vorgesehen. Deswegen ist die ganze
Debatte, die Sie an diesem Punkt führen, heuchlerisch und
unglaubwürdig. Das sollten Sie in Ihrem eigenen Inte-
resse nicht machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Sie können noch nicht einmal Ihre eigenen Konzepte lesen!)


Die Steuersenkungen erhöhen die Motivation, Investi-
tionen zu tätigen. Die Entlastung schafft aber auch mehr
Spielraum. Die Investitionskraft der Unternehmen und
insbesondere bei den kleinen und mittleren Betrieben die
Eigenkapitaldecke steigen. Das ist übrigens eine sehr er-
freuliche Entwicklung, denn damit geht ein ordentlicher
Rückgang der Zahl der Insolvenzen einher. Sie waren
doch der Insolvenzenkönig: Während Ihrer Regierungs-
zeit gab es die höchste Insolvenzenrate. Jetzt geht die Zahl
der Insolvenzen zurück. Auch das ist ein Ergebnis unserer
Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, unsere Politik wäre nicht so
wirksam, wenn wir nicht in großem Umfang Bezieher
kleiner und mittlerer Einkommen sowie insbesondere die
Familien entlastet hätten.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Der Mosdorf sollte einmal reden!)


Die Besserstellung der Familien allein durch die Er-
höhung des Kindergeldes bewirkt, dass eine Familie mit
zwei Kindern 1 200 DM im Jahr mehr bekommt. Das
heißt, dass viele ein halbes Monatseinkommen im Jahr
mehr alleine aufgrund unserer Familienpolitik bekom-
men.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch das stärkt die Nachfrage und damit den Konsum.
Wir werden unseren Kurs fortsetzen. Die Familien

werden auch in den kommenden Jahren von uns, wo im-
mer es möglich ist, besser gestellt. Das Kindergeld ist aber
nur eine Komponente unserer Politik zur Erhöhung der
sozialen Gerechtigkeit. Ich habe auch schon auf die
BAföG-Erhöhung hingewiesen; durch sie wird deutlich,
dass wir soziale Gerechtigkeit nicht als etwas verstehen,
was Sozialpolitiker kurzfristig interessieren sollte, son-
dern sie für uns, wenn man es richtig machen will, zur
langfristigen Zukunftssicherung beitragen soll. Das Glei-
che gilt aber auch für das Wohngeld, das zum 1. Januar
nächsten Jahres deutlich verbessert wird, und für das Er-
ziehungsgeld.

Da, wo die Defizite der Vorgängerregierung am größ-
ten waren – an vielen Stellen haben Sie größtenteils seit
10 Jahren und an manchen sogar seit 16 Jahren nichts
mehr getan –, greifen unsere Ausgleichsmaßnahmen am
stärksten. Wir wissen nämlich, dass der Sozialstaat nicht
Sozialklimbim am Rande, sondern ein Strukturmerkmal
unserer Gesellschaft darstellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Uns gelingt es mit dieser Politik, die wirtschaftlichen
Aussichten für alle zu verbessern und so den sozialen Zu-
sammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken. Unsere
Politik der Stärkung des Wirtschaftswachstums wäre
ohne soziale Gerechtigkeit nicht vorstellbar. Die Mach-
barkeit dieser Kombination wurde von der Vorgängerre-
gierung immer bezweifelt. Wir zeigen, dass es geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Zukunftsfähigkeit unseres Landes verlangt einen
klaren finanzpolitischen Kurs. Wir müssen aus der Schul-
denfalle heraus. Das geht nur durch strikte Ausgabenkon-
trolle. Außerdem müssen wir Wirtschaft und Bürger ent-
lasten. Die Steuer- und Abgabenlast muss für alle sinken,
um das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen. Das ge-
schieht durch unsere Steuerreform, zu der ich ausdrück-
lich auch die Ökosteuer zähle. Schließlich müssen wir die
Qualität der Staatsausgaben verbessern. Wir wollen nicht
Geld für Schuldzinsen ausgeben, sondern Investitionen in
Infrastruktur, in Bildung und Forschung tätigen. Genau
das, meine Damen und Herren, tun wir. Energie muss in
Deutschland effizienter eingesetzt werden. Die Staatsaus-
gaben müssen die Basis für unseren künftigen Wohlstand
stärken.

Die Bundesregierung tut alles dafür, damit es in diesem
Land in Zukunft allen besser geht. Das wird nicht ohne
harte Arbeit aller möglich sein. Meine Damen und Herren,
lassen Sie uns gemeinsam und beherzt die Chancen er-
greifen, die sich uns jetzt mit dieser Politik bieten.
Deutschland braucht keine Miesmacher, sondern Mitma-
cher. Mit unserem klaren Kurs sind wir auf einem guten
Weg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412800200
Ich eröffne die
Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Peter
Rauen.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1412800300
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Eichel, Sie haben uns im Zusam-
menhang mit der Ökosteuer eben vorgeworfen, wir woll-
ten die Politik der 70er-Jahre wiederholen. Das wollen
wir natürlich nicht. Soweit ich mich erinnern kann, stan-
den damals nicht wir, sondern die SPD in der Regie-
rungsverantwortung. Es war die Union, die in den 80er-
Jahren die Einführung des Katalysators durchgesetzt und




Bundesminister Hans Eichel

12317


(C)



(D)



(A)



(B)


maßgebliche Erfolge bei der Verhütung von Schadstof-
femissionen in der Industrie zustande gebracht hat.


(Klaus Lennartz [SPD]: Lang, lang ist es her!)

Wir wollen die Politik der 70er-Jahre nicht wiederholen.

Ihr Versuch, die gute konjunkturelle Entwicklung
Punkt für Punkt der Arbeit der Regierung zuzuschreiben,
ist ohnehin bemerkenswert.


(Detlev von Larcher [SPD]: Solche Zahlen hätten Sie gern gehabt!)


Es ist gut, dass wir in Deutschland ein anständiges
Wachstum haben. Das ist wichtig für die Arbeitsplätze
und es verbessert die Einnahmen des Staates. Bei genaue-
rem Hinsehen stellt man allerdings fest, dass einiges doch
sehr relativiert werden muss.

Die Weltkonjunktur ist gut. In den USA betrug das
Wirtschaftswachstum 5,3 Prozent. Da nehmen wir uns
doch recht bescheiden aus. Im Euro-Raum ist das Brut-
toinlandsprodukt im ersten Halbjahr 2000 um 3,5 Prozent
gewachsen. Auch hinter diesem Wert bleiben wir zurück.
Deutschland war über Jahrzehnte die Wachstumslokomo-
tive in Europa. Wir sind unter Ihrer Regierung in dieser
Beziehung zum Fußkranken Europas geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Besser fußals geisteskrank! – Klaus Lennartz [SPD]: Das muss doch wehtun!)


Es ist unverkennbar, dass mit den Wachstumsprognosen
einige Risiken für Deutschland verbunden sind.


(Joachim Poß [SPD]: Bei Ihren Aussagen ist das Zweite eher zu vermuten! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Ein recht humorvoller Kollege, der Herr Poß!)


Denn das Wachstum der vergangenen Monate war erheb-
lich begünstigt durch den zwischenzeitlich auf bis zu
83 Cent gefallenen schwachen Euro, durch das starke
wirtschaftliche Wachstum in wichtigen Exportmärkten
– es lässt inzwischen wieder nach –, durch gestiegene Pri-
vatvermögen aufgrund steigender Aktienkurse, die wegen
des damit verbundenen Vermögenseffektes einen höheren
Konsum ermöglichen, durch eine vorübergehend eupho-
rische Aufbruchstimmung in der New Economy und bei
Neugründern, durch vorgezogene Investitionen von Un-
ternehmen aufgrund der Verschlechterung der steuerli-
chen Abschreibungsbedingungen ab dem 1. Januar 2001
und durch eine viele Monate anhaltende expansive Geld-
politik der Europäischen Zentralbank, die den Eckzins bis
auf 2,5 Prozent gesenkt hatte.

Mit diesen Effekten können wir auf Dauer nicht rech-
nen. Diese Risiken – sie könnten die Annahmen der For-
schungsinstitute zunichte machen – sollten bei allem Op-
timismus nicht unterschätzt werden. Die deutsche
Volkswirtschaft zahlt in diesem Jahr für die Ölrechnung
33 Milliarden DM mehr als noch im Jahr 1999. Die Geld-
politik der Europäischen Zentralbank ist nach einer Reihe
von Zinserhöhungen derzeit nur noch auf einem neutralen
Kurs. Weitere Zinserhöhungen drohen, wenn das Geld-

mengenwachstum nicht abflacht und wenn der Kurs des
Euro noch weiter fällt. Ich halte es im Übrigen für äußerst
problematisch, dass der Bundeskanzler selbst den Euro
mit seinen Bemerkungen schwachgeredet hat. Natürlich
begünstigt die schwache Währung den Export und das
Wachstum; dafür importieren wir jedoch Inflation. Ver-
säumte Strukturreformen führen dazu, dass später umso
schmerzhaftere Eingriffe erforderlich werden.

Es besteht ein Risiko hinsichtlich der anstehenden
Lohnforderungen der Gewerkschaften. Wenn sich die
gestiegenen Energiepreise Anfang nächsten Jahres in
Nachzahlungen und steigenden Abschlagszahlungen im
Bereich der Mietnebenkosten bzw. der Energiever-
brauchskosten der privaten Haushalte niederschlagen,
wenn die nächste Erhöhung der Ökosteuer am 1. Januar
2001 kommt, ist es nicht unrealistisch, mit Forderungen
nach Nachschlagzahlungen und höheren Löhnen seitens
der Gewerkschaften zu rechnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das wirtschaftliche Wachstum in der Bundesrepublik

ist unausgewogen. So bleibt die Konjunktur der wichtigen
Bauwirtschaft nach wie vor ausgesprochen schwach.
Neben dem niedrigen Volumen im öffentlichen Bau
führen die abgesenkten Einkommensgrenzen für die Ei-
genheimzulage, die eingeschränkte Verlustverrechnungs-
möglichkeit und der Unfug durch den neuen § 2 b EStG
zu einem starken Rückgang beim Eigenheimbau und
beim Mietwohnungsbau. Die durch den schwachen Euro
verursachten Zinserhöhungen, die Diskussion um die
Höherbewertung des Grundbesitzes bei der Erbschafts-
steuer und die Unsicherheit bei der Altersvorsorge ver-
schärfen die Problematik. Besonders dramatisch ist die
Lage der Bauwirtschaft in den neuen Bundesländern.

Herr Minister, Sie führen immer wieder die Erfolge auf
dem Arbeitsmarkt an. Hier muss man allerdings einmal
genauer hinschauen: Die Erwerbstätigenstatistik ver-
zeichnete in der letzten Zeit erhebliche Zuwächse an Er-
werbstätigen. Nach der neuesten Statistik lag die Zahl der
Erwerbstätigen in der ersten Jahreshälfte 2000 um
630 000 höher als im Vorjahr. Davon sind 530 000 Perso-
nen reine statistische Umbuchungen aufgrund der im
April 1999 eingeführten Sozialversicherungspflicht für
ausschließlich geringfügig Beschäftigte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Sie werden jetzt mitgezählt, was vorher nicht der Fall war.
Mehr gearbeitet wird deshalb aber in Deutschland nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Sind die alle so faul?)


Der tatsächliche Zuwachs an Arbeitsplätzen betrug in den
gesamten sechs Monaten gerade einmal 100 000 Erwerbs-
tätige. Dies ist angesichts des starken wirtschaftlichen
Wachstums in dieser Periode zu wenig. Die Zeitschrift
„Wirtschaftswoche“ bemerkt dazu kritisch:

Der Rentner, der sich etwas hinzuverdient, die Haus-
frau, die ihr Haushaltsgeld durch Putzen aufbessert,
die Studentin, die in der Kneipe jobbt, sie alle gelten
auf einmal genauso als Erwerbstätige wie der Malo-




Peter Rauen
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(C)



(D)



(A)



(B)


cher im Stahlwerk, der Uniprofessor oder Ange-
stellte.

(Joachim Poß [SPD]: Eine Mitarbeiterin von Merz ist dort beschäftigt!)

Das Ganze ist ein plumper statistischer Trick. Mit mehr
Beschäftigung hat das nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Durch diese neue Berechnungsmethode fiel die Er-
werbstätigkeit im Durchschnitt des Jahres 1999 um
1,8 Millionen Personen höher aus als gemäß alter Statis-
tik bisher ausgewiesen; im ersten Vierteljahr 2000 gibt es
immerhin eine Differenz von 2,2 Millionen Personen.

Sicher, der Arbeitsmarkt entspannt sich, die Arbeitslo-
senzahlen gehen zurück. Dies ist aber kein Erfolg Ihrer
Politik.


(Widerspruch bei der SPD)

Es ist die Konsequenz aus der Tatsache, dass aufgrund der
demographischen Entwicklung mehr Arbeitnehmer in den
Ruhestand treten, als junge Menschen auf dem Arbeits-
markt hinzustoßen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Schon im April 1999 haben die wirtschaftswissen-

schaftlichen Institute festgestellt, dass in den Jahren 1999
und 2000 das Erwerbspersonenpotenzial um 520 000
zurückgehen wird.


(Zuruf von der SPD: Das ist der reine Neid! – Gegenruf der Abg. Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist eine Tatsache!)


Einerseits rechnet diese Regierung die Erwerbstätigkeit
also künstlich hoch. Andererseits beruhen ihre Arbeits-
markthoffnungen im Wesentlichen darauf, dass möglichst
viele ältere Arbeitnehmer in Rente gehen. In Wahrheit hat
sich auf dem Arbeitsmarkt viel zu wenig geändert. Es sind
dringend Strukturreformen erforderlich. Dies fordern
nicht nur wir, sondern auch die OECD und der Internatio-
nale Währungsfonds.

Meine Damen und Herren, Herr Minister Eichel, Sie
feiern immer selbst Ihre eigenen Konsolidierungserfolge.


(Joachim Poß [SPD]: Das konnten Sie nicht machen, weil Sie keine Erfolge hatten!)


– Herr Poß, wenn Sie eine Frage stellen, dann kann ich sie
Ihnen beantworten. – Der Rückgang der Nettokreditauf-
nahme in den letzten Jahren ist allerdings nur zum gerin-
geren Teil auf Ihre Sparsamkeit zurückzuführen. Während
Theo Waigel die Ausgaben des Bundes in den Jahren 1993
bis 1998 per saldo konstant gehalten hatte – ich darf die
Zahl einmal nennen: 1993 457,5 Milliarden DM, 1998
456,9 Milliarden DM –,


(Detlev von Larcher [SPD]: Schulden-Theo!)

hat Ihr unmittelbarer Vorgänger Lafontaine vor allem erst
einmal die konsumtiven Ausgaben kräftig gesteigert.

Was Sie unmittelbar nach Ihrem Amtsantritt als großes
Sparprogramm verkauft haben, war im Wesentlichen die

Kompensierung der von Lafontaine verteilten Wohltaten.
Der Hauptgrund, weshalb Sie heute mit einer geringeren
Nettokreditaufnahme auskommen, liegt in dem starken
Anstieg der Steuereinnahmen. Dieser starke Anstieg ist
zum einen eine Folge der günstigen Konjunkturentwick-
lung, zum anderen hängt er mit dem Auslaufen der Son-
derabschreibungen für die neuen Bundesländer zusam-
men.

Sie verkennen immer wieder die Tatsache, dass es in
den Jahren 1994, 1995, 1996 und 1997 Finanzämter gab,
die mehr Steuern erstatteten, als Einnahmen da waren.
Das hat mit der deutschen Einheit zu tun. Mit dem Aus-
laufen dieser Sonderabschreibungen ist zwangsläufig
auch ein höherer Steuereingang einhergegangen.


(Joachim Poß [SPD]: Vielleicht hat das auch mit der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu tun!)


Schließlich ist ein Teil der in diesem Jahr bereits er-
zielten und für das kommende Jahr zu erwartenden Mehr-
einnahmen auf den Anstieg der Geldentwertungsrate
zurückzuführen. Während Sie noch in der Steuereinschät-
zung vom Mai von einer Inflationsrate von 0,7 Prozent
ausgegangen sind, liegen wir aktuell bei 2,5 Prozent und
werden im Jahresdurchschnitt wahrscheinlich bei 1,8 Pro-
zent bis 1,9 Prozent landen. Allein durch diese höhere In-
flationsrate werden in diesem Jahr 8 Milliarden DM bis
10 Milliarden DM mehr in die öffentlichen Kassen ge-
spült.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Aber wen trifft denn das? Die Kleinen!)


– Natürlich, es ist ein Entzug der Kaufkraft.
Herr Eichel, wenn Sie immer wieder behaupten, dass

diese Steuerreform unsere Binnenkonjunktur langfristig
stärken wird, muss ich Ihnen sagen: Mit dieser Steuerre-
form wird der Mittelstand in Deutschland nicht erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Wer mit einer Reform den Mittelstand nicht erreicht, wird
auch keine durchschlagenden Erfolge auf dem Arbeits-
markt zu verzeichnen haben.


(Zuruf von der SPD: Das wird durch Wiederholungen auch nicht wahrer!)


Ein Weiteres: Diese Entlastungsstufen kommen viel zu
spät. Ich habe es mehrmals gesagt und es ist bisher nicht
widerlegt worden: Es ist eine Tatsache, dass ein Arbeit-
nehmer, der in den nächsten fünf Jahren eine Lohner-
höhung von 2,5 bis 3 Prozentpunkten hat, trotz der nächs-
ten Stufen der Steuerreform und damit eines Steuersatzes
von 42 Prozent im Jahre 2005 prozentual mehr Steuern
zahlen wird als im Jahr 2001.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist sozialdemokratische Politik!)


Sie geben den Menschen durch die einzelnen Stufen auf
lange Sicht lediglich das zurück, was ihnen durch die kalte
Progression vorher weggenommen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P)





Peter Rauen

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(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist für die Arbeitsmarktentwicklung und für die Kon-
junktur von großem Nachteil.

Herr Eichel, in allen Ländern, wo durch eine Steuerre-
form anschließend auch Wachstum und Beschäftigung
angestiegen sind, war Voraussetzung, dass damit eine mo-
derate Lohnpolitik einhergegangen ist. Die Tarifpartner
können nur zu einer moderaten Lohnpolitik kommen,
wenn die Arbeitnehmer durch eine wirkliche und zeitnahe
Reform entlastet werden. Dies geschieht durch Ihre Re-
form nicht. Das wird der entscheidende Schwachpunkt für
die Binnenkonjunktur in den nächsten Jahren sein.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert zur Stär-
kung der Binnenkonjunktur und für ein stabiles Wachs-
tum eine Nachbesserung der Steuerreform zugunsten
der mittelständischen Unternehmen und ein Vorziehen der
nächsten Stufen der Steuerreform in das nächste und
übernächste Jahr


(Beifall bei der CDU/CSU)

sowie weitere Schritte zur Senkung der Staatsquote, der
Steuer- und Abgabenquote und – wie auch in unserem An-
trag gefordert – die Senkung des Beitragssatzes zur ge-
setzlichen Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozent. Wir
fordern ferner geeignete Schritte zur Flexibilisierung und
Modernisierung des Arbeitsrechts. Hierbei sagen wir auch
in der Zeit der Globalisierung ein klares Ja zur sozialen
Partnerschaft. Wir fordern den Abbau und die Moderni-
sierung verkrusteter Regelungen, die die Wirtschaft be-
hindern und nicht mehr in das 21. Jahrhundert passen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist schon bemerkenswert, dass Bundeskanzler
Schröder selbst das Ladenschlussgesetz nicht mehr an-
packen will. Zur Vorlage eines schlüssigen Konzeptes für
die Energie- und Umweltpolitik gehört eine bessere Ab-
stimmung zwischen Energie- und Umweltpolitik sowie
die Aufhebung der Ökosteuer, die gescheitert ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Von einer konsequenten Wirtschafts- und Finanzpoli-

tik ist diese Bundesregierung meilenweit entfernt. Die
scheinbar gute Konjunktur täuscht darüber allenfalls hin-
weg. Mit der missratenen Steuerreform hat sich der Re-
formwille dieser Bundesregierung offenbar erschöpft.


(Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Herr Rauen, wer soll Ihnen das glauben?)


Notwendige Reformen am Arbeitsmarkt, in der gesetzli-
chen Krankenversicherung, in der Arbeitslosenversiche-
rung, bei der Arbeitslosenhilfe und bei der Sozialhilfe: al-
les Fehlanzeige.

Der Spagat zwischen der von der Regierung entdeck-
ten „neuen Mitte“ und dem Versuch, es allen recht zu ma-
chen, wird Ihnen auf Dauer nicht gelingen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412800400
Herr Abgeord-

neter, ich muss Sie auf die abgelaufene Redezeit hinwei-
sen.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1412800500
Ja.

Diese Regierung will alles gleichzeitig. Sie gibt vor, zu
modernisieren, und ist gleichzeitig dabei, wieder kräftig
zu reglementieren. Populismus und Beliebigkeit sind mit
einer zukunftsgerichteten Politik im Interesse Deutsch-
lands unvereinbar.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412800600
Herr Kollege
Poß, bevor ich Ihnen das Wort gebe, muss ich Sie drin-
gend ermahnen: Mentale Schädigungen anderen Mitglie-
dern hier im Parlament zu unterstellen entspricht nicht
dem parlamentarischen Brauch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Habe ich selbst gar nicht gehört! Sie können das gerne rügen! Wir wollen das anhand des Protokolls klären!)


– Dann werde ich Sie noch einmal ermahnen, dass die
Präsidentin nicht kritisiert gehört, jedenfalls nicht, so-
lange ich hier oben sitze.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt haben Sie das Wort.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1412800700
Frau Präsidentin, ich habe Sie
nicht kritisiert, ich habe nur festgestellt, dass wir das an-
hand des Protokolls klären werden. Das werden Sie doch
wohl hinnehmen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412800800
Herr Kollege
Poß, ich erteile Ihnen jetzt einen Ordnungsruf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1412800900
Frau Präsidentin, das ändert
nichts daran, dass wir das anhand des Protokolls klären
werden. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sind ein schlechter Verlierer! – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Raus!)


– Wissen Sie, Herr Ramsauer, ich bin dafür, dass man das
sachlich klärt. Wenn ich etwas gesagt habe, was nicht in
Ordnung ist, nehme ich das gerne hin. Ich bin nur dafür,
dass man das in der Sache feststellt.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sind kein Gentleman!)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich ver-
stehe, dass sich Herr Rauen vorhin so schwer getan hat.
Herr Rauen, ich muss Ihnen bescheinigen, dass es Ihnen
gelingt, die Ideenarmut Ihrer Politik besonders anschau-
lich zu machen. Das haben Sie heute Morgen deutlich ge-
zeigt. Ihre Aussagen stehen in krassem Gegensatz zu den
Ausführungen des Herbstgutachtens der Wirtschafts-
forschungsinstitute. Die zentrale Botschaft dieses Gut-
achtens lautet: Konjunktur und wirtschaftliche Entwick-
lung in Deutschland zeigen weiterhin stetig nach oben,




Peter Rauen
12320


(C)



(D)



(A)



(B)


wenn auch mit – zugegeben – leicht verringerter Dyna-
mik. Der anhaltend hohe Ölpreis führt zu einem Transfer
von Kaufkraft in Milliardenhöhe von Deutschland zu den
Erdöl exportierenden Ländern und Unternehmen. Trotz-
dem wird es keine Einbrüche in der wirtschaftlichen Ent-
wicklung geben. Das Problem, mit dem wir es heute Mor-
gen zu tun haben, ist, dass Ihnen diese Botschaft nicht
passt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Forschungsinstitute machen in ungewöhnlicher
Deutlichkeit klar, woran das liegt. Es sind die von uns
durchgesetzten massiven steuerlichen Entlastungen, die
dafür sorgen, dass die Wirtschaft auf Kurs bleibt, und
zwar mit einer beachtlichen Steigerung des Bruttoinlands-
produkts um 2,7 Prozent auch im Jahre 2001. Die Ar-
beitslosenquote sinkt auf 8,5 Prozent und das Preisniveau
bleibt stabil. Das sind positive Botschaften, die von den
Menschen in Deutschland durchaus registriert werden,
und zwar trotz Ihres Geredes.


(Beifall bei der SPD)

Die ökonomischen Aussichten sind gut, aber Sie ver-

suchen das aus machtpolitischem Kalkül kaputt zu reden.
In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere die
Herren Austermann und Merz auf eine wesentliche Aus-
sage im Herbstgutachten hinweisen. Die Gutachter wei-
sen detailliert nach, dass die regierende Koalition die Bür-
gerinnen und Bürger im Jahre 2001 bei den Steuern und
Sozialabgaben insgesamt um 46,4 Milliarden DM entlas-
tet. Dabei ist besonders bedeutsam, dass das Aufkommen
der Ökosteuer hierbei bereits abgezogen worden ist. Das
bedeutet eine Entlastung von knapp 50Milliarden DM für
alle Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik
Deutschland, und zwar entgegen Ihrem Gerede und Ihren
Täuschungen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer jetzt noch behauptet, die Steuer- und Abgaben-
senkungen würden durch die Ökosteuer aufgezehrt, der
handelt unredlich und täuscht bewusst die Öffentlichkeit.
Daher kann ich jedenfalls verstehen, dass ein Mensch wie
Herr Polenz für eine Oppositionspolitik, die sich in ge-
zielten Unwahrheiten und platten Parolen erschöpft, nicht
mehr zur Verfügung steht. Der neue Generalsekretär der
CDU, Herr Meyer – der „Säbel“ – ist uns aus Nordrhein-
Westfalen als Spezialist für das Täuschen und Verdrehen
von Tatsachen sattsam bekannt. Auch dafür ist der Mann
von Frau Merkel geholt worden.

Die Forschungsinstitute sprechen von „kräftigen Im-
pulsen durch die Steuerreform“ und formulieren:

Vor allem aber werden die privaten Haushalte und
Unternehmen durch die Verringerung der Einkom-
mensteuersätze und die Reform der Unternehmens-
besteuerung deutlich entlastet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Jahr 2005!)


– Nein, im Jahre 2001! Sie haben das Konjunkturgutach-
ten offenbar gar nicht gelesen, lieber Kollege.

Niemand wird bestreiten, dass ein anhaltender hoher
Ölpreis die Entwicklung der wirtschaftlichen Dynamik
dämpft. Aber durch den von uns eingeleiteten Poli-
tikwechsel ist die Lage der Bundesrepublik Deutschland
schon heute wesentlich stabiler als noch zu Ihrer Zeit.
Selbstverständlich bleibt noch viel zu tun. Der Bundesfi-
nanzminister hat zu Recht auf die schwierige Situation in
Ostdeutschland hingewiesen.

Durch das im Sommer verabschiedete Steuersen-
kungsgesetz und das Steuersenkungsergänzungsgesetz
haben Investoren und Unternehmen in Deutschland die
notwendigen steuerlichen Rahmenbedingungen.Damit
können wir uns in Europa und auch weltweit sehen lassen.


(Beifall bei der SPD)

Die große internationale Beratungsgesellschaft Arthur

Andersen – das steht im Gegensatz zu dem, was Sie ge-
sagt haben, lieber Herr Kollege Rauen – hat in einem Gut-
achten für das „Handelsblatt“ erst kürzlich festgestellt:
Alle Unternehmen werden unabhängig von ihrer Rechts-
form durch das Steuersenkungsgesetz und seine Ergän-
zung deutlich entlastet. Das gelte vor allem für den Mit-
telstand. Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Detlev von Larcher [SPD]: Ist das eine sozialdemokratische Firma?)


Auch das beweist, dass Ihr Vorwurf, der Mittelstand
werde durch unsere Steuerpolitik benachteiligt, schlicht
absurd ist. Das Gegenteil ist richtig: Der Mittelstand ist
ein großer Gewinner unserer Steuerpolitik. Ich wieder-
hole: In Ihrer Verantwortung ist die Schieflage zulasten
des Mittelstandes entstanden. Wir korrigieren nun diese
Schieflage zugunsten des Mittelstandes.


(Beifall bei der SPD)

Wir erwarten natürlich auch, dass Unternehmen und

Investoren die sich jetzt bietenden Chancen und günstigen
Bedingungen tatsächlich nutzen, um verstärkt in Deutsch-
land zu investieren und so Arbeitsplätze zu schaffen. Als
wir die Regierungsverantwortung übernahmen, haben wir
für eine grundlegende Trendwende in der Steuerpolitik
gesorgt – diese war auch überfällig –, um die ökono-
mischen Herausforderungen der Zukunft bestehen zu
können.

Jetzt gilt es, die Infrastrukturdefizite, die Sie hinter-
lassen haben, zu beseitigen. Das tun wir mit unserem Zu-
kunftsinvestitionsprogramm, das ein Volumen von
15 Milliarden DM hat. Die Öffentlichkeit weiß doch gar
nicht, was Sie hinterlassen haben, wie zum Beispiel der
wahre Zustand der Bahn ist. Wir unterstützen die Bahn
jährlich mit 2 Milliarden DM und verbessern so Stück für
Stück ihren Zustand.


(Beifall bei der SPD)

Ich verspreche Ihnen: Wir werden über Ihre Hinterlas-

senschaften noch weiter im Bundestag diskutieren. Die ei-
gentliche Bestandsaufnahme ist noch gar nicht gemacht
worden. Sie haben nicht nur bei den steuerlichen Rahmen-




Joachim Poß

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(C)



(D)



(A)



(B)


bedingungen, sondern auch bei der Infrastruktur total ver-
sagt. Auch das packen wir an. Das unterscheidet unser
Handeln von dem, was Sie gemacht haben.

Mit der außerplanmäßigen Schuldentilgung in Höhe
von fast 100 Milliarden DM verfolgen wir einen Kurs
strikter und konsequenter Haushaltskonsolidierung. Wie
sah es bei Ihnen aus? Jahr für Jahr wuchs der Schul-
denberg.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Die deutsche Einheit!)

Jahr für Jahr mussten Sie sogar bangen, ob Sie überhaupt
einen der Verfassung entsprechenden Haushalt aufstellen
können. Sie haben die finanzielle Handlungsfähigkeit des
Bundes untergraben. Wir müssen diese jetzt mühsam wie-
der herstellen. So sieht die Situation aus.


(Beifall bei der SPD)

Deswegen werden wir den Konsolidierungspfad konse-
quent verfolgen, und zwar auch in den nächsten Jahren.
Dazu gibt es im Übrigen keine Alternative.

Die Struktur dieses Zukunftsinvestitionsprogramms
macht deutlich, dass wir zwei Ziele gleichzeitig verfol-
gen. Wir wollen einerseits das Wirtschaftswachstum
verstetigen und andererseits die Strukturen von Pro-
duktion und Konsum moderner und zukunftsfähiger
machen. Voraussichtlich gut die Hälfte dieser 15 Milliar-
den DM wird in ökologische Verkehrsstrukturen, in
Energieeinsparprogramme und in die Erforschung rege-
nerativer Energiesysteme gehen. Auch die Forschungs-
institute sagen in ihrem Herbstgutachten klar, dass die
Anstrengungen erhöht werden müssen, um die Abhängig-
keit vom Öl in Deutschland noch weiter zu verringern.
Wir machen das, und zwar konkret mit diesem Zukunfts-
investitionsprogramm.


(Beifall bei der SPD)

Es ist ja nicht zu bestreiten, dass in dieser Politik weg vom
Öl auch ein großes Beschäftigungspotenzial liegt.

Ich möchte an dieser Stelle Herrn Töpfer zitieren. Er
sagte in einem Interview in der „Zeit“:

Es ist nicht sinnvoll, die Ökosteuer als K.o.-Steuer zu
bezeichnen. ... ich sehe mit Besorgnis, in welchen
Misskredit ein sinnvolles Instrument gerät.

Diese Äußerungen sind deshalb bemerkenswert, weil hier
ein früherer Umweltminister, auch nachdem er sein Amt
verlassen hat, seine Überzeugung nicht nach dem Wind
dreht. Ganz im Unterschied dazu hat Frau Merkel ihren
Wechsel in das Amt der Parteivorsitzenden der CDU mit
einem grundlegenden Gesinnungswandel in der Umwelt-
politik verbunden. Damit hat sie sich völlig um ihre
Glaubwürdigkeit gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber mehr noch – und das ist wohl auch die Sorge von
Herrn Töpfer –: Mit der CDU verhält sich eine Volkspar-
tei mit Blick auf die nachfolgenden Generationen voll-
kommen verantwortungslos.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sehr wahr!)


Das unterscheidet uns – die Menschen müssen auch
wissen, wo die Unterschiede zwischen den Parteien lie-
gen; denn es heißt ja, die Unterschiede würden ver-
schwinden –: Wir Sozialdemokraten stehen für Nachhal-
tigkeit und Generationengerechtigkeit. Sie stehen für
blanken Egoismus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie tun so, als hätten Sie keine Kinder und Enkel. Das ma-
chen Sie – das ist bedauerlich – wider besseres Wissen.
Wir erleben derzeit die Verwandlung einer konservativen
Volkspartei in eine populistische Rechtspartei. Das ist das
Bedenkliche in der Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!)


Nachdem wir also die Schulaufgaben in den ersten
zwei Jahren konsequent angepackt haben, werden wir uns
jetzt noch stärker mit der Tatsache beschäftigen, dass un-
sere Wirtschaft und unsere Gesellschaft immer abhängi-
ger von internationalen Entwicklungen werden. Immer
stärker werden weltweit zum Beispiel die Rolle und das
Verhalten der internationalen Finanz- und Devisen-
märkte diskutiert, und das mit Recht. Die Vergangenheit
hat gezeigt, dass es ausgehend vom Verhalten internatio-
naler Akteure sowie ausländischer Staaten und Institutio-
nen zu Störungen der deutschen Wirtschaft kommen
kann. Der Bundesfinanzminister hat zum Euro das Rich-
tige gesagt: Die Entwicklung ist zum großen Teil irratio-
nal. Wir haben eine gesunde ökonomische Basis. Also:
So wichtig nationale Reformen sind, immer wichtiger
wird eine stärkere europäische und internationale Koor-
dination und Zusammenarbeit. Unser Ziel als Sozial-
demokratie ist, dass wir in Fragen der europäischen und
internationalen Finanzpolitik nun wirklich dafür sorgen
– die Bundesregierung ist auf dem Wege dahin –, Europa
handlungsfähig zu machen. Europa muss auf diesem
Markt Akteur werden; wir dürfen nicht länger Spielball in
diesem Hin und Her bleiben, das wir tagtäglich erleben.

Ich denke, das ist ein gutes Ansinnen für die zweite
Hälfte unserer Legislaturperiode. Wir haben bisher nicht
alles geschafft, was Sie uns nach 16 Jahren hinterlassen
haben. Helmut Schmidt hat zu Recht einmal auf dem
Leipziger Bundesparteitag der SPD gesagt: Man braucht
eigentlich zwei Legislaturperioden, um die Fehlentwick-
lungen, die Sie zu verantworten haben, zu korrigieren.
– Wir sind dabei, dies zu tun.


(Beifall bei der SPD)

Dabei werden wir uns jetzt auch noch viel stärker um das
kümmern, was international in Ordnung gebracht werden
muss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412801000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle.




Joachim Poß
12322


(C)



(D)



(A)



(B)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1412801100
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Konjunkturhimmel verdunkelt
sich. BDI und Mittelstand warnen vor einer Verschlechte-
rung der Konjunktur. Die Forschungsinstitute geben ihre
Prognosen nur unter Vorbehalt ab, weil die Anzeichen für
eine Abschwächung des Wachstums deutlicher werden.
Der ifo-Index für das Geschäftsklima ist zum vierten Mal
hintereinander zurückgegangen. Die Preise steigen. Die
Binnennachfrage ist mangels privater Kaufkraft nach wie
vor schwach. Der Euro kränkelt immer stärker.

Es ist übrigens bezeichnend, dass der Wirtschaftsmi-
nister an dieser Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht gar
nicht teilnimmt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das dokumentiert die Bedeutungslosigkeit dieses Minis-
teriums. Ich muss daher sagen – das hat nichts mit einer
mangelnden Würdigung der Arbeit von Herrn Mosdorf zu
tun –: Ein Wirtschaftsminister, der bei der Debatte zum
Jahreswirtschaftsbericht nicht anwesend ist, ist eigentlich
überflüssig. Vielleicht bereitet er sich auf den Ruhestand
vor.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die direkten und indirekten Interventionen der EZB

sind an den Devisenmärkten verpufft, weil bei den
großen EU-Ländern, Deutschland, Italien und Frankreich,
kein abgestimmter Politikwechsel hin zu mehr Flexibilität
auf den Arbeits- und Gütermärkten stattgefunden hat.
Jetzt soll dem Zentralbankpräsidenten Duisenberg der
schwarze Peter zugeschoben werden. Er ist mit seinen
unglücklichen Äußerungen vielleicht für eine Ab-
schwächung von drei Cent verantwortlich. Aber die Poli-
tik in Deutschland, Frankreich und Italien ist für eine
Abschwächung von 30 Cent verantwortlich.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als größte Volkswirtschaft im Euro-Raum trägt
Deutschland die größte Verantwortung an der Euro-Mi-
sere. Aus der einzigen früheren Konjunkturlokomotive
Europas ist eher ein Schlafwagen geworden. Beim Wirt-
schaftswachstum liegt die Bundesrepublik auf dem vor-
letzten Platz der elf Euro-Länder. Von der angebots-
orientierten Agenda aus dem Schröder/Blair-Papier
hinsichtlich Unternehmertum, Verbesserung der Investi-
tionsneigung, Flexibilität der Arbeits- und Gütermärkte
ist nichts mehr zu hören und schon gar nichts mehr zu se-
hen. Die Untätigkeit der Bundesregierung wird von den
Devisenmärkten mittlerweile als bewusste Abwertungs-
strategie interpretiert. Das beschleunigt den Sinkflug des
Euros weiter.

Bedenklich stimmt – nicht nur die internationalen An-
leger –, dass die Bundesregierung offenbar wieder zur
Hühnerhaufenstrategie vom Anfang dieser Legislaturpe-
riode zurückkehrt. Da werden beim Ladenschluss und bei
der Betriebsverfassung sozusagen Beruhigungspillen an
die Gewerkschaften verteilt, damit sie bei der Rentenre-
form stillhalten. Da wird der Ölhahn künstlich zugedreht
und die Atomenergie ohne Not aufgegeben. Ein Konzept
zum Ausgleich des Verlustes im Umfang von 50 Prozent
des Primärenergieverbrauchs hat die Bundesregierung

nicht. Der Aufbau Ost wird zur Chefsache erklärt. Doch
mehr als heiße Luft kommt dabei nicht heraus. Da werden
Projekte zur Gen- und Biotechnologie verschoben, weil
die Grünen ideologische Gefechte von gestern austragen.


(Margareta Wolf [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ha! Ha!)


Ich empfinde es als besonders dreist, dass sich die Grü-
nen als Hüter des Internets aufspielen wollen. In ihrem
Parteiprogramm steht immer noch, dass Computer zur
Sinnentleerung des Menschen führen. Das ist ihre Pro-
grammatik.


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Jahrelang waren es grüne Technikkritiker, die die moder-
nen Kommunikationsmedien abgelehnt und bekämpft
haben. Dass genau diese Partei jetzt noch die unzurei-
chende Verbreitung neuester Kommunikationstechniken
kritisiert, ist pure Heuchelei.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Deutschland bei der Digitalisierung dem Tempo der
Grünen gefolgt wäre, würden wir heute nicht über Daten-
autobahnen, sondern über Buschtrommeln kommunizie-
ren.


(Heiterkeit bei der F.D.P.)

Herr Bundesfinanzminister, einzig die Steuerreform,

die die F.D.P. maßgeblich mitgestaltet hat und damit über-
haupt erst möglich gemacht hat, verbessert die Angebots-
bedingungen langfristig. Es muss möglichst bald eine
Steuerreform II folgen, um die Nachteile für den Mittel-
stand auszugleichen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bis vor kurzem stand Ihre Konsolidierungspolitik noch
auf der Habenseite. Doch diese torpedieren die Koali-
tionsfraktionen immer wieder aufs Neue. Grün-Rot ver-
fällt auf eine strukturkonservierende, zudem prozyklische
Nachfragepolitik.

Nach bester keynesianischer Manier wird ein zusätzli-
ches Investitionsprogramm in Höhe von 15 Milliarden
DM aufgelegt.


(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])

Am Anfang war nur von 5 Milliarden DM die Rede, die
im Zuge der UMTS-Erlöse verteilt werden sollten. Jetzt
hat sich diese Summe verdreifacht.

Ich weiß, dass diese Politik nicht auf Ihrem Mist, Herr
Eichel, gewachsen ist. Sie haben sogar für ein anderes
Vorgehen gekämpft. Denn auch Sie wissen: Die neu er-
wachte Ausgabenfreude der Bundesregierung gefährdet
Ihren Ruf als Sparminister. Zudem ist dieses Programm
volkswirtschaftlich umstritten, weil die vorgesehenen
staatlichen Investitionen private Vorhaben verdrängen
werden. Es ist mehr als fraglich, ob dadurch ein zusätzli-
ches Wachstum ausgelöst wird.


(Beifall bei der F.D.P.)







(C)



(D)



(A)



(B)


Dabei steigen die Preise weiter. Zu den derzeitigen
Preistreibern, zur Euro-Schwäche, zur Ökosteuer und
zum hohen Ölpreis, kommt das so genannte Zukunftsin-
vestitionsprogramm der Bundesregierung hinzu. Die
nächste Zinserhöhung der EZB ist nur eine Frage der Zeit;
die Zinsfalle droht.

Was das für Investitionen und für das Wirtschafts-
wachstum bedeutet, dürfte auch der Bundesregierung klar
sein. Ihr vermeintlicher Wahlkampfknüller ZIP wird zum
Konjunkturkiller.


(Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Da sind Sie wohl neidisch!)


– Auf Sie bin ich bestimmt nicht neidisch.
Besonders drollig ist für mich in diesem Zusammen-

hang das Verhalten der Grünen. Zuerst wollten auch Sie
mit den UMTS-Erlösen die bestehenden Schulden tilgen.
Ihr haushaltspolitischer Sprecher Metzger warnte – ich
zitiere ihn wörtlich –: „Eichels Sparkurs zerrinnt wie But-
ter in der Sonne.“ Jetzt unterstützen die Grünen das Vor-
haben, 3 Milliarden DM aus den UMTS-Erlösen für den
Straßenbau einzusetzen,


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Haben die den Metzger geschlachtet?)


obwohl Sie den Bürgern im Rahmen der Ökosteuer das
Autofahren eigentlich verbieten wollten.

Wer auf unseren Straßen fahren soll, blieb bis letzten
Donnerstag Ihr Geheimnis. Doch dann hat sich Herr
Schlauch im „Stern“ zum wiederholten Male als Spaß-
autofahrer geoutet. Die Logik der Grünen ist ganz ein-
fach: Mit der Ökosteuer machen Sie die Straßen frei, da-
mit Ihr Fraktionsvorsitzender ordentlich Gummi geben
kann.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind die nächste Nominierung für den „Scheibenwischer“!)


Elitärer geht es nicht mehr. Es ist ein Schlag in das Ge-
sicht des Normalbürgers, wenn die Grünen Straßen bauen,
auf denen nur noch Sportwagenökologen fahren können.
Das ist die neue Zweiklassengesellschaft.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ihr Koalitionspartner, die SPD, hat die soziale Schief-

lage, die durch die Ökosteuer entsteht, längst erkannt.
Sie, Herr Eichel, haben den Anfang gemacht: Als erstes
Regierungsmitglied haben Sie das bisherige Öko-
steuerkonzept infrage gestellt. Herr Klimmt und Herr
Riester haben sich hinzugesellt. Damit verabschieden sich
einige SPD-Fachminister von der Ökosteuer. Der Kanzler
ebenfalls: Er will über neue Instrumente diskutieren.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Mehrwertsteuer! – Gegenruf des Abg. Peter Dreßen [SPD]: Steht das in den Sternen!)


Besonders interessant war Herrn Riesters Aussage, die
Rentenversicherung brauche keine weiteren Zuflüsse

aus dem Aufkommen der Ökosteuer. Damit gibt er zu,
dass die Ökosteuer nur der Teilsanierung seiner Renten-
kasse dient.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Argumentation der Grünen, nur mit der Ökosteuer

sei die Rente sicher, ist zutiefst unredlich. Eine umfas-
sende Rentenreform ist ohne dieses ganze Geeiere, Ge-
schiebe und Gegackere über die Ökosteuer billiger,
bürgerfreundlicher und systematischer zu haben.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Auch der Verweis auf die Senkung der Lohnneben-

kosten ist an den Haaren herbeigezogen. Sie entziehen
den Bürgern und den Unternehmen durch die Ökosteuer
mehr Kauf- und Investitionskraft, als Sie über die Sen-
kung der Rentenbeiträge zurückgeben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Das ist die alte Unwahrheit!)


Tatsächliche Senkungspotenziale bei der Arbeitslosenver-
sicherung werden nicht realisiert, obwohl selbst Teile der
Grünen das öffentlich fordern. Damit versuchen Sie von
den Grünen, sich ab und zu zu profilieren. Ihr Koali-
tionspartner, die SPD, hat Sie aber so platt wie eine Flun-
der gemacht, sodass Sie nicht einmal mehr aufmucken.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ten sind platte Reden!)

Soll in Bezug auf die Rentenbeiträge kein Verschiebe-
bahnhof entstehen, müssen wir eine ordentliche Renten-
reform durchführen. Nur mit einer Kapitaldeckung und
der Steuerfreiheit der Beiträge ist das Rentenproblem
wirklich lösbar. Hinsichtlich der Kapitaldeckung sind Sie
von den Koalitionsfraktionen unseren Vorstellungen weit-
gehend gefolgt, obwohl Sie vor der Wahl propagiert ha-
ben, das reine Umlagesystem bleibe bestehen.

Bei der Rentenbesteuerung steht ein Systemwechsel
an. Auch EU-Kommissar Bolkestein hat das gefordert.
Ich weiß, dass auch Sie, Herr Eichel, das wollen. Sie müs-
sen es nur durchsetzen. Dabei werden Sie von der F.D.P.
unterstützt. Wir werden auch bei der Rentenreform kein
populistisches Spiel treiben. Wir werden uns dafür einset-
zen, dass die heutigen Rentner bei einem Systemwechsel
zu einer nachgelagerten Besteuerung einen Bestands-
schutz genießen. Wir werden auch betonen, dass es für
viele Jahrgänge Übergangsregelungen geben wird. Doch
der Systemwechsel bei der Rentenversicherung muss ein-
geleitet werden, sonst bleibt die Reform Stückwerk.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Versagt hat Grün-Rot bei der Arbeitsmarktpolitik.
Die positiven Effekte gehen auf das Wohlverhalten der
Tarifpartner und die demographische Entwicklung zu-
rück. Der Arbeitsminister hat freie Hand, sodass dieser
heute den schon verregelten Arbeitsmarkt noch zusätzlich
„verriestern“ darf. Teilzeitzwang, Ausweitung der be-
trieblichen Mitbestimmung und die Einschränkung




Rainer Brüderle
12324


(C)



(D)



(A)



(B)


befristeter Arbeitsverträge machen den deutschen Ar-
beitsmarkt noch enger, noch starrer und noch weniger fle-
xibel. So werden wir die Arbeitslosigkeit in Deutschland
nicht umfassend abbauen können.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Hier meldet sogar das sehr leise Wirtschaftsressort Kritik
an. Sonst ist es in diesen Fragen leider untätig.

Das Desinteresse der Regierungen an Reformen setzt
sich auf europäischer Ebene fort. Dort wird auf höchster
Ebene für den Erhalt öffentlicher Unternehmen, für un-
sinnige Steinkohlebeihilfen und für ordnungspolitisch be-
denkliche Ökostromförderungen gekämpft.

Die wiederholten Versuche von Frankreich, die Geld-
politik zu politisieren, hat die Bundesregierung öffentlich
nicht kommentiert. Angesichts der Schwäche des Euro ist
das verantwortungslos. Stattdessen leiht sie der PDS poli-
tisch das Ohr. Es gibt eine Vorwärtsstrategie mit der PDS
nach hinten. Die Kritik von Herrn Gabriel und Herrn
Clement daran spricht deutliche Bände, dass das auch in
der SPD mit großer Sorge betrachtet wird. Gehen Sie doch
auf das Schröder/Blair-Papier zurück. Sorgen Sie für eine
ordentliche Reformpolitik. Deutschland braucht Viagra
und nicht Valium. Deutschland braucht Gelb und nicht
Grün.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jedem das Seine!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412801200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Margareta Wolf.

Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Herr Brüderle, ich weiß nicht, ob
Deutschland mehr Viagra braucht, eines scheint mir aber
sicher zu sein: Deutschland braucht weniger Miesmacher
wie Sie – das hat Herr Eichel schon gesagt –, sondern
mehr Mitmacher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Herbstgutachten der Institute zeigt, dass wir mit
unserem Zukunftsprogramm auf dem richtigen Weg wa-
ren, dass wir mit den Steuersenkungen für Unternehmen
und Beschäftigte sowie mit der Senkung der Arbeitskos-
ten in diesem Land wichtige Signale für Investitionen und
somit für Wachstum und Beschäftigung gesetzt haben.

Herr Kollege Brüderle, Sie haben gerade gesagt, wir
hätten ein fehlendes Unternehmertum in diesem Lande.
Es gibt keine Aufbruchstimmung in diesem Lande. Wenn
Sie das Telefonieren einstellen könnten – Ihr Büro kann
Ihnen sicherlich noch hinterher sagen, dass Ihre Rede un-
glaublich gut war –, so könnte ich Ihnen etwas vorlesen.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Kollege Brüderle, in dieser Woche schrieb der
Journalist Uwe Jean Heuser in der „Zeit“ – Zitat –:

Während die Aufregung sich an Börse und Euro, an
New Economy und Öl entzündete, hat sich das Wich-
tigste an der Wirtschaft gravierend verändert: die
Einstellung der Menschen. Noch vor fünf Jahren galt
die Marktwirtschaft zwar als notwendig, aber auch
als hässlich. Das Unternehmertum stand weithin im
Ruf der Ausbeutung, neue Technologie löste bei der
Mehrheit Gleichmut oder Angst aus. Und wer redete
schon ... über Aktien? Heute lässt sich der tonange-
bende Teil der Gesellschaft von einer techno-ökono-
mischen Begeisterung tragen, die an Amerika erin-
nert ... Die neue Wirtschaft ist Teil der Alltagssprache
geworden. Internet hier und Geschäftspläne da ... Sie
wollen an den neuen Möglichkeiten teilhaben. Auch
der Rückschlag an der Börse hat dieser Grundhal-
tung nichts anhaben können. Es ist die Zeit der Öko-
nomie.

Abschließend führt „Die Zeit“ aus:
Die Aussichten für Wirtschaftsdeutschland sind
glänzend.

So repliziert „Die Zeit“ auf das Herbstgutachten der In-
stitute. Ihre Miesmacherei interessiert niemanden mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Und selbst Hans-Olaf Henkel, der scheidende
BDI-Präsident, von dem wir wissen, dass er alle Regie-
rungen, die er begleitet hat, kritisiert hat, sagt heute: Und
Deutschland bewegt sich doch. Der größte Fortschritt,
den wir zurzeit konstatieren können, ist, dass es voran-
geht. Wenn er zudem sagt, Herr Kollege Brüderle und
Herr Kollege Rauen: „Die Bundesregierung unterstützt
den Mittelstand dabei, neue Märkte zu erreichen“, dann
empfinden wir das als Kompliment. Ein solches Kompli-
ment haben Sie nie bekommen, meine sehr verehrten Kol-
leginnen und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Bundesbank stellt in ihrem August-Bericht – Herr
Poß hat schon auf Arthur Andersen verwiesen; die Bun-
desbank schreibt es auch – „entgegen der Meinung so
mancher Auguren“ fest, die Bundesregierung entlaste mit
dem Steuerkonzept die Personengesellschaften mindes-
tens ebenso wie die Kapitalgesellschaften. Herr Rauen,
lassen Sie also Ihre Augurensätze; sie bringen uns einfach
nicht weiter, sie bringen nur schlechte Stimmung in die-
ses Land und entbehren jeder Grundlage.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Wirt-
schaftsforschungsinstitute prognostizieren ein Wirt-
schaftswachstum von 3 Prozent. Das Entscheidende an
dieser Zahl ist, dass sie eine Verdoppelung der Wachs-
tumsquote gegenüber dem Vorjahr darstellt, obwohl die
Ölpreise entgegen den im letzten Jahr geäußerten Erwar-
tungen der Institute angestiegen sind. Die Prognose der
Institute unterstellt dabei, dass der Preis im Winterhalb-
jahr 2000/2001 durchschnittlich 31 US-Dollar pro Barrel
beträgt und im weiteren Verlauf des Jahres 2001 auf




Rainer Brüderle

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(C)



(D)



(A)



(B)


25 US-Dollar zurückgeht. Sie gehen davon aus, dass für
einen merklichen Rückgang des Rohölpreises die Tatsa-
che spricht, dass die OPEC-Länder einen Preiskorridor
von 22 bis 28 US-Dollar anstreben. Ich halte einen festge-
legten Preiskorridor in der Größenordnung 25 +/– 3 US-
Dollar pro Barrel, also eine gewisse Preisstabilität, für
einen stabilisierenden Faktor für die gesamte Weltwirt-
schaft. Er läge also sowohl im Interesse der Schwellen-
länder als auch im Interesse der Industrieländer. Wir soll-
ten mit den OPEC-Ländern darüber reden, dass sie
tatsächlich einen solchen Preiskorridor einziehen; wir ha-
ben das neulich im Iran schon getan.

Für das nächste Jahr prognostizieren die Institute trotz
der Euro-Entwicklung und des Ölpreises ein Wachstum
von 2,7 Prozent. Sie müssen uns konzedieren, dass die
Institute damit sagen, die Weichen seien in diesem Lande
für mehr Beschäftigung und Wachstum gestellt. Die Vor-
aussetzung für diese Entwicklung ist die Steuerreform.
Das Wichtigste an der Steuerreform ist, dass sie Klarheit
und Planungssicherheit schafft und die Menschen bis zum
Jahre 2005 um 93 Milliarden DM entlastet.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das hätten wir schon vor drei Jahren haben können, aber viel besser!)


– Wissen Sie, Sie haben lange über eine Steuerreform ge-
redet, aber Sie haben keine hingekriegt. Vor allen Dingen
konnten Sie keine Planungssicherheit garantieren, Herr
Kollege.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Nein, wir haben sie beschlossen! Sie ist hier beschlossen worden! Herr Ministerpräsident Eichel hat sie abgelehnt! Herr Ministerpräsident Schröder auch!)


Diese Steuerreform – das konzedieren alle; da können
Sie noch so viel dazwischenrufen – wirkt offensichtlich
wie ein Turbolader in diesem Land. Der Aufschwung ge-
winnt an Breite, die Binnennachfrage steigt, Herr
Brüderle,


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Ihre persönliche wahrscheinlich!)


und aufgrund der soliden Konstitution wird die deutsche
Konjunktur die gestiegenen Ölpreise gut verkraften.

Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt anspre-
chen, den ich für besonders erfreulich halte: Die Zahl der
Erwerbstätigen ist in diesem Jahr ständig gestiegen. Die
Zahl der Arbeitslosen – so sagen die Institute – wird im
Jahr 2001 auf 3,5 Millionen sinken.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber nicht wegen Ihrer glorreichen Politik!)


Bei weiterhin positiver gesamtwirtschaftlicher Entwick-
lung können im Jahre 2002, Herr Kollege Niebel, die
Lohnnebenkosten unter 40 Prozent gesenkt werden. Das
ist unser beschäftigungs- und konjunkturpolitisches Ziel.

Als arbeitsmarktpolitische Unterstützung dürfen wir
auch das eindeutige Petitum der Institute begreifen, „über
neue Wege der Arbeitsmarktpolitik nachzudenken, mit
denen die Beschäftigung von Problemgruppen erhöht
werden kann“. Die Institute schlagen vor – Herr Niebel,
es wäre hilfreich, wenn Sie einmal zuhörten –, in stärke-

rem Ausmaß zeitlich begrenzt die Einstellung gering Qua-
lifizierter in unserem Land zu subventionieren. Sie wissen
vielleicht, dass wir im Bündnis für Arbeit angeregt haben,
vier Modellprojekte für den so genannten Niedriglohn-
sektor zu etablieren.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: In Baden-Württemberg machen wir das schon seit über einem Jahr! Das läuft gut!)


Wir werden die Erfahrungen mit diesen Projekten aus-
werten und dann festlegen, ob die Subventionierung des
Niedriglohnsektors eine Strategie zur Erleichterung des
Transformationsprozesses in den ersten Arbeitsmarkt sein
kann.

Darüber hinaus sollte im Zeitalter des Strukturwandels
die Koppelung von Zeiten der Erwerbstätigkeit bzw. von
Freistellungszeiten mit Weiterbildung im Zentrum der
neuen Beschäftigungspolitik stehen. Meine Damen und
Herren, vor zehn Jahren wurde in Dänemark ein arbeits-
marktpolitisches Instrument entwickelt, das hohe Auf-
merksamkeit verdient, die so genannte Job-Rotation.
Dahinter steht die Idee, Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer, vor allem aus kleinen und mittleren Unterneh-
men, für die Dauer der Weiterbildungsmaßnahmen durch
Arbeitslose zu ersetzen. Wir schätzen das


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Dann hätten Sie unserem Antrag zustimmen können!)


– richtig, dazu gibt es auch einen Antrag –, weil dadurch
einerseits die Unternehmen angeregt werden, ihre Ar-
beitskräfte weiterzuqualifizieren, und andererseits den
Erwerbslosen die Chance gegeben wird, sich wieder in
den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Wie die Kollegin
von der CDU/CSU richtig sagte, werden wir dazu im
Kontext der SGB-III-Novelle einen Antrag in dieses Haus
einbringen,


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Aber unseren haben Sie abgelehnt!)


dem Sie dann hoffentlich zustimmen.

(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Warum haben Sie unseren abgelehnt? – Gegenruf des Abg. Klaus Lennartz [SPD]: Weil er so schlecht war! Ganz einfach!)


Das heißt zusammengefasst: Es war und ist richtig, mit
viel Kreativität und Experimentierfreude arbeitsmarktpo-
litisch tätig zu werden. Es war und ist richtig, das Zu-
kunftsprogramm aufzulegen. Es war und ist richtig zu
sparen. Denn Sparen ist kein Selbstzweck, Sparen ist
Voraussetzung für Modernisierung.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das hätten Sie vor der Wahl sagen sollen! – Gegenruf der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir auch!)


Das haben wir auch bewiesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)





Margareta Wolf (Frankfurt)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Es war und ist richtig, den Weg der Haushaltskonso-
lidierung konsequent weiterzugehen. Es war und ist rich-
tig, die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger mit
der Steuerreform in großem Umfang zu entlasten. Es war
und ist richtig, die soziale Marktwirtschaft mit neuem
Leben zu erfüllen, die Menschen wieder zur Politik zu
holen, die Brücke zwischen Menschen und Politik wie-
der herzustellen. Wenn Sie sich erinnern: Auf den Sozio-
logentagen von 1996 bis 1998 wurde vornehmlich über
das Phänomen diskutiert, dass es keine Brücke mehr zwi-
schen Bevölkerung und Politik gibt, dass Politik zum
Selbstzweck geworden ist. Dies haben wir geändert. Auch
das zeigt dieses Herbstgutachten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es war und ist richtig, mit dem Bündnis für Arbeit den
Dialog zwischen Politik und den Sozialpartnern zu ver-
bessern und Letztere in die Gesamtverantwortung für un-
ser Land mit einzubeziehen.

Es war und ist richtig – Hans Eichel hat darauf schon
hingewiesen –, die Ökosteuer in diesem Lande einzu-
führen, im Interesse der nachfolgenden Generationen, und
die Ökologisierung über die Ökosteuer voranzutreiben.
Insofern freuen wir uns besonders, dass die Institute ganz
eindeutig dafür plädieren, die beschlossene Ökosteuer zu
realisieren.


(Lachen des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])

Sie verweisen darauf, dass das Aussetzen der Ökosteuer
die Steuerpolitik von den recht volatilen Bewegungen des
Ölpreises abhängig machen würde, wovor sie dringend
warnen. Herr Kollege Niebel, Sie sollten das Gutachten
einmal lesen; denn Lesen soll bisweilen weiterhelfen.

Die von den Instituten gelobte Lohnzurückhaltung
durch den Abschluss von mehrjährigen Vereinbarungen
als eine der Säulen für den Konjunkturaufschwung liegt
doch in einer gesellschaftspolitisch, in einer gesamtwirt-
schaftlich verantwortungsvollen Verabredung im Bünd-
nis fürArbeit begründet. Bei aller Kritik am Kooperatis-
mus muss man nach der Halbzeitbilanz sagen, dass sich
das Bündnis für Arbeit für dieses Land als Verantwor-
tungsbündnis erwiesen hat, eine Tatsache, die wir aus-
drücklich begrüßen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Einen weiteren wichtigen Beitrag auf dem Weg zur
Wissensgesellschaft stellt das von uns verabschiedete Ak-
tionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der
Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ dar.
Gegenwärtig erleben wir – das kann man, glaube ich, sa-
gen – den dynamischsten Strukturwandel in der Wirt-
schaft, den man nur noch mit der industriellen Revolution
vergleichen kann. Dieser Strukturwandel muss von uns,
von der Politik, aktiv gestaltet werden, damit er nicht zu
einer Spaltung der Gesellschaft führt. Er muss aber auch
gestaltet werden, damit die soziale Marktwirtschaft ge-
stärkt und der Wettbewerb gefördert wird.

Die Unternehmen der New Economy sind Vorreiter für
eine neue Unternehmenskultur in diesem Land. Sie setzen

auf das Miteinander und auf flache Hierarchien. Dort
spricht man nicht mehr von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern, sondern von Mitunternehmern. Durch die
völlig andere Definition von Arbeit im Unternehmen bie-
tet sich auch für die Old Economy eine Chance. Deshalb
ist die Brückenbildung zwischen New Economy und Old
Economy so wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Um diese neue Unternehmenskultur nachhaltig zu för-
dern, unterstützt meine Fraktion die Initiative der 40 am
Neuen Markt gelisteten Unternehmen, Aktienoptionen
von Mitarbeitern steuerlich Optionen, die von Privaten
gehalten werden, gleichzustellen. Wir glauben, dass Op-
tionen ein wichtiger Weg sind, um Mitarbeiter am Pro-
duktivkapital zu beteiligen. Sie sind ein Mittel, um die
Eigenkapitalquote der Unternehmen anzuheben, und sie
sind ein Mittel, um die Wachstumsprozesse nachhaltig zu
unterstützen.

Ein weiterer Aspekt, der mir mit Blick auf die New
Economy, die Wachstumsbranche der Zukunft, sehr wich-
tig zu sein scheint, ist: Wir müssen verhindern, dass Mo-
nopolstrukturen bei den Herstellern entstehen, und plä-
dieren für die verstärkte Anwendung von Open-Source,
wie es ja auch der Bundeswirtschaftsminister respektive
Herr Mosdorf tun.

Wir halten es für ausgesprochen erfreulich, dass sich
die Zahlen beim Zugang zum Internet seit 1998 verdop-
pelt haben und dass wir es durch die Vereinbarungen in
der „D 21“-Initiative geschafft haben, dass 60 000 neue
Ausbildungsplätze in der Multimediabranche geschaf-
fen werden – Ausbildungsplätze, die wir 1996/1997 über-
haupt noch nicht kannten. Ich denke, das ist ein unglaub-
licher Kraftakt, den wir begrüßen und unterstützen
sollten.

Lassen Sie mich aber anknüpfend an die positive Be-
wertung, der Situation in den neuen Bundesländern durch
die Institute noch einige Bemerkungen zur Arbeitsmarkt-
politik machen. Es ist Konsens in diesem Hause, dass der
wirtschaftliche Strukturwandel, die informationstechni-
sche Revolution, die zunehmenden Qualifikations- und
Flexibilitätsanforderungen auch Anpassungen des Ar-
beits- und Sozialrechts erforderlich machen. Gefragt ist
heute eine moderne Beschäftigungspolitik, die sich den
Veränderungen stellt und die gestiegenen betrieblichen
und individuellen Bedürfnisse nach mehr Flexibilität und
Zeitsouveränität mitgestaltet


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Warum machen Sie es denn nicht?)


und tatsächlich auch als Chance begreift. Wir sehen, dass
das System der Flächentarifverträge gerade in den fünf
neuen Bundesländern von Erosion gekennzeichnet ist
– das ist schon länger so, Herr Niebel; Sie haben gar nichts
dagegen getan – und dass gerade in den neuen Wachs-
tumsbranchen die Tarifbindung ausgesprochen gering ist.
Wir wollen als Fraktion ausdrücklich das System der
Flächentarifverträge erhalten und stellen uns gerade des-
halb der notwendigen Reform – die letzte Reform war
1972 und Sie haben in der Zeit danach einfach zuge-
schaut, Herr Kollege –, die auf Basis des Tarifvorrangs




Margareta Wolf (Frankfurt)


12327


(C)



(D)



(A)



(B)


den Spielraum für betriebliche Lösungen vergrößern
sollte.

Unser Vorschlag ist, dass der Arbeitsplatzerhalt bei der
Günstigkeitsabwägung berücksichtigt werden muss. In
angespannten Arbeitsmarktsituationen können ein kondi-
tionierter befristeter Lohnverzicht und befristete Arbeits-
zeitverlängerung für die Arbeitnehmerin und für den Ar-
beitnehmer günstiger wirken, wenn damit Entlassungen
verhindert werden.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Selbstverständlich!)


Wir diskutieren über eine Erweiterung des Günstigkeits-
prinzips in § 4 Abs. 3 des Tarifvertragsgesetzes, weil wir
glauben, dass hier eine Veränderung aus beschäftigungs-
politischen Gründen wünschenswert ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Zuruf des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])


– Sie haben einen Antrag eingebracht, der vorsieht, § 77
Abs. 3 völlig abzuschaffen, Herr Kollege. Wir stehen hin-
ter den Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft.
Das unterscheidet uns von Ihnen maßgeblich.

Eine Schlussbemerkung. Ich möchte unseren Haushäl-
terinnen und Haushältern ganz ausdrücklich zu ihren Ver-
handlungen in Sachen Verteilung der UMTS-Erlöse gra-
tulieren. Es ist begrüßenswert, dass wir die Investitionen
in die Bildungspolitik und in die Erforschung der Brenn-
stoffzelle – heute ist darauf schon hingewiesen worden –
erhöhen konnten, dass wir mehr Mittel in den Bau von
Umgehungsstraßen, in die Bahn und in die Wärmedäm-
mung investieren. Ich denke, das Herbstgutachten und
diese Infrastrukturmaßnahmen beweisen: Wir sind eine
moderne, eine zukunftsorientierte Regierung. Lassen Sie
endlich die Miesepeterei, lassen Sie uns zusammen in die
Zukunft schauen. Ich denke, dieses Land ist auf einem
guten Weg.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412801300
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Christa Luft.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1412801400
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Der Grundton des Herbstgut-
achtens, das wir heute debattieren, ist optimistisch und der
Bundesfinanzminister fühlt sich angesichts dieses Gut-
achtens in seiner Politik geadelt. Dabei kommt es vor,
dass er für seine Bilanz zutreffende Fakten ebenso ver-
wendet wie solche, die offensichtlich nicht zutreffen. Ich
will nur auf einen Satz von ihm zurückkommen. Er sagte,
in der Zeit der rot-grünen Regierung seien die Insolvenz-
zahlen gesunken.

Da muss ich ganz energisch protestieren. In einer Mit-
teilung des Statistischen Bundesamtes vom 4. Oktober
– sie liegt sicherlich auch Ihnen vor – heißt es, dass die
Zahl der Insolvenzen im ersten Halbjahr 2000 gegenüber
dem ersten Halbjahr 1999 um 25 Prozent zugenommen

hat, wobei die Zahl der Unternehmensinsolvenzen um
5 Prozent gestiegen ist. Ich denke, dies darf nicht außer
Betracht bleiben. Wenn man schon seine Erfolgsbilanz
präsentiert, muss man auch die Dinge ganz deutlich an-
sprechen, die misslungen sind. – Ich werde noch auf an-
dere Aspekte zurückkommen.


(Beifall bei der PDS – Rolf Kutzmutz [PDS]: Alles andere ist Schönfärberei!)


Herr Brüderle, Sie haben sich hier ganz tapfer

(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Ich bin so tapfer!)


öffentlich von der PDS distanziert. Aber Sie dürfen auch
einem PDS-Mitglied abnehmen, dass die Insolvenzen im
Bereich der kleinen und mittelständischen Unternehmen
weniger damit zu tun hatten, dass die Steuerbelastung zu
hoch ist. Vielmehr hing dies ganz wesentlich damit zu-
sammen, dass die Zahlungsmoral derart schlecht gewor-
den ist, dass viele Unternehmen in ihrer Liquidität be-
schränkt sind und nicht überleben können. Deshalb
sollten wir – unabhängig davon, dass wir uns in der Öf-
fentlichkeit voneinander distanzieren – quer über alle
Fraktionen hinweg etwas tun, um der schlechten Zah-
lungsmoral in diesem Lande sowohl bei privaten Kunden
als auch bei der öffentlichen Hand ganz schnell beizu-
kommen. Das wäre eine wichtige Schlussfolgerung aus
der heutigen Diskussion.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der PDS, zur CDU/CSU und F.D.P. gewandt: Da können Sie ruhig mitklatschen!)


Bei allem optimistischen Grundton dieses Gutachtens
kommen wir aber nicht umhin, einen Widerspruch zu kon-
statieren: Das Wirtschaftswachstum hält an, wenngleich
auch leicht gedämpft. Der Export wird weiterhin boomen.
Die Beschäftigung wird in der Statistik als günstiger aus-
gewiesen. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen – zu-
mindest in den alten Ländern – nimmt ab. Dennoch, ob-
wohl so viel Positives verzeichnet werden kann, nimmt
die allgemeine Wohlfahrt nicht adäquat zu. Das halte ich
für einen Widerspruch, der heute angesprochen werden
muss.


(Beifall bei der PDS)

Immer mehr Erwerbstätige haben Beschäftigungsver-

hältnisse, die nicht existenzsichernd sind. Dabei habe ich
nicht nur die zunehmende Zahl von 630-Mark-Jobs im
Auge. Ich spreche auch die zunehmende Leiharbeit an
und die Tatsache, dass in der privaten Wirtschaft – in Ost-
deutschland ist das ganz verbreitet, in Westdeutschland
nimmt das zu – Stundenlöhne von 7 oder 8 DM gezahlt
werden; das ist nicht existenzsichernd. Trotz einer zuneh-
menden Beschäftigung gibt es immer mehr Menschen, die
erwerbstätig sind, aber zum Leben zusätzlich Sozialhilfe
brauchen. Das muss hier angesprochen werden; sonst ist
die Bilanz unvollständig.


(Beifall bei der PDS)

Die Benachteiligung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt

hält an. In Ostdeutschland arbeiten knapp 18 Prozent der
Frauen freiwillig Teilzeit. Sie müssen Teilzeitarbeitsver-
hältnisse eingehen, weil es andere Arbeitsangebote gar




Margareta Wolf (Frankfurt)

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(C)



(D)



(A)



(B)


nicht gibt. Aber damit können sie nicht ihren Lebensun-
terhalt bestreiten.

Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze für
junge Leute reicht in den neuen Bundesländern nach wie
vor nicht aus. Ich war schon erstaunt über den Akzent des
Bundesfinanzministers, der dies positiver gesehen hat.
Ich halte es auch für höchst ungerecht, dass dieses JUMP-
Programm, für das sich meine Fraktion immer ausgespro-
chen hat, vom Beitragszahler und nicht vom Steuerzahler
finanziert wird. Das ist ungerecht; denn die Bekämpfung
der Jugendarbeitslosigkeit ist eine gesamtgesellschaftli-
che Aufgabe. Dieses Problem kann nicht beim Beitrags-
zahler abgeladen werden.


(Beifall bei der PDS)

Die Vermögenspolarisierung nimmt zu. Die Dynamik

der Spareinlagenentwicklung nimmt – zumindest im
Osten – ab. Jedes siebte Kind lebt in einer als arm defi-
nierten Familie. Da fragt man sich doch – diese Frage
müssen wir uns heute stellen –: Was ist eigentlich der
Maßstab für wirtschaftlichen Aufschwung und für wirt-
schaftlichen Erfolg?


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wenn die Wirtschaft nicht Selbstzweck sein, sondern im
Dienste der menschlichen Gesellschaft stehen soll, dann
müssen sich verbesserte Konjunktur- und Arbeitsmarkt-
daten auch in verbesserten sozialen Bedingungen für die
Bevölkerung widerspiegeln. Davon sind wir leider weit
entfernt.

Das hat viele Gründe. Die Erfolgsmeldungen bezüg-
lich des Arbeitsmarktes stützen sich zu einem nicht unbe-
trächtlichen Teil auf eine statistische „Innovation“. Ich
weiß nicht, wer in diesem Hause den Bericht, den wir
debattieren, wirklich gelesen hat. Lesen Sie die Seite 54
des Herbstgutachtens! Dort bescheinigen Ihnen die Gut-
achter, dass die Dynamik bezüglich der Beschäftigungs-
lage, die im Bericht statistisch ausgewiesen ist, von dem
Faktum getrübt wird, dass die Zahl der 630-Mark-Jobs
neu ermittelt wird.

Sie können sich also nicht ständig loben, es seien so
viele neue Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt ent-
standen. Nein, es gibt schon eine ganz konkrete Ursache,
die Ihnen auch die Gutachter nennen.

Die Entlastungen der Erwerbstätigen durch die Ein-
kommensteuerreform werden größtenteils kompensiert
durch Mehrbelastungen wegen gekürzter öffentlicher
Ausgaben des Bundes und der Länder sowie durch die
Ökosteuer. Die Binnenkonjunktur – auch das muss man
sagen – hinkt deutlich hinter dem Export her. Sie bleibt
anfällig, weil sie vornehmlich auf der Euro-Schwäche be-
ruht.

Ich muss den Kolleginnen und Kollegen von der alten
Koalition sagen: Sie können die Euro-Schwäche doch
bei weitem nicht der neuen Regierung anlasten. Sie haben
vielmehr in Ihrer Regierungszeit nicht die Grundlagen
dafür gelegt, dass neben einer Einheit Europas im Bereich
der Währung auch auf anderen Gebieten eine Harmoni-
sierung erfolgt. Daran krankt der Euro doch ganz wesent-
lich.


(Beifall bei der PDS)


Die aktive Arbeitsmarktpolitik will die Koalition im
Jahr 2001 weiter einschränken, indem sie den Zuschuss
für die Bundesanstalt für Arbeit völlig streicht. Dabei wird
es im Jahr 2001 – die neuen Eckdaten liegen ja vor – wie-
derum mindestens 100 000 Arbeitslose mehr geben. Da-
mit ist Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU-Fraktion, den Sie heute einbringen, näm-
lich den Beitrag für die Arbeitslosenversicherung zu sen-
ken, in diesen Stunden doch schon obsolet geworden.

Wir leugnen die positiven Tendenzen, die es gibt, nicht.
Wir fordern aber die Bundesregierung auf, in stärkerem
Maß zu einer aktiven, zu einer gestaltenden Wirtschafts-
politik zurückzukehren.

Dazu gehört erstens ein beschleunigter ökologischer
Umbau bei kräftiger Stärkung der Binnennachfrage. Nur
so kann man die Abhängigkeit von den hohen Ölpreisen
und einem schwachen Euro mindern. Wir fordern, dass
die in Koalitions- und Regierungskreisen für das Jahr
2003 angedachte grundlegende Änderung der Ökosteuer-
verwendung hin zu langfristigen volkswirtschaftlichen
Umbauprogrammen vorgezogen wird. Man sollte da nicht
noch zweieinhalb Jahre verstreichen lassen. Es ist not-
wendig, dass früher gehandelt wird. Wir wollen nicht die
Aussetzung der Ökosteuer, sondern wir fordern, dass die
Einnahmen früher für andere Zwecke verwendet werden.

Zweitens brauchen wir eine Innovationsoffensive im
ganzen Land, vor allen Dingen in Ostdeutschland. Man
kann Ostdeutschland im vereinten Deutschland nicht wei-
terentwickeln und keinen sich selbst tragenden Auf-
schwung herbeiführen, wenn man dort weiter auf Lohnzu-
rückhaltung, auf Installierung von Niedriglohnsektoren,
auf Verdrängungskonkurrenz, die nur auf einem Kosten-
wettbewerb beruht, setzt. Wir brauchen dort eine höhere
Wertschöpfung. Sonst kommt der Osten nicht aus dem Tal
heraus, in dem er sich jetzt befindet, und es werden noch
mehr junge qualifizierte Menschen abwandern.

Wir fordern einen Stopp der Wirtschaftsförderung, die
es heute ermöglicht, dass Unternehmen aus dem Westen
in den Osten verlagert werden, ohne dass es einen zusätz-
lichen Arbeitsplatzeffekt gibt. Das geschieht nur, weil
man die niedrigeren Tarife nutzen will.


(Beifall bei der PDS)

Schließlich meinen wir, man könnte insbesondere der

Not leidenden ostdeutschen Bauwirtschaft einen Impuls
geben, indem man sich schnell entschließt, eine Entschul-
dung der dauerhaft leer stehenden Wohnungen vorzuneh-
men. Wir fordern dafür 3 Prozent der UMTS-Lizenz-
einnahmen. Das wären 3 Milliarden DM. Sie wären für
einen guten Zweck eingesetzt. Die Bauwirtschaft käme auf
die Füße. Menschen hätten Arbeit, bekämen existenzsi-
chernde Arbeit. Sie würden wieder Steuerzahler. Es würde
etwas in den Steuersack zurückfließen. Das ist einer unse-
rer Vorschläge.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412801500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wieczorek.




Dr. Christa Luft

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Dr. Norbert Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1412801600
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine
Freude, hier zu sein. Ich erinnere mich an viele Debatten
zu Jahreswirtschaftsberichten und zu den Gutachten der
Wirtschaftsforschungsinstitute. Ich habe selten eine für
die Regierung so gute Konjunkturanalyse gelesen wie die
der Institute in dieser Woche.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde das sehr erfreulich. Dass es Sie ärgert, kann ich
nachvollziehen.

Es ist richtig, dass wir im Moment durchaus mit
Schwierigkeiten zu rechnen haben. Deswegen ist es wich-
tig, dass wir in den zwei Jahren, seit wir an der Regierung
sind, die Grundlagen für eine stabilere innere wirtschaft-
liche Entwicklung gelegt haben.

Wir sind fast wieder beim früheren klassischen Kon-
junkturzyklus der Bundesrepublik angekommen: starke
Exporte, Investitionen, private Nachfrage. Es ist unbe-
streitbar – das zeigen ja auch die Zahlen und Einschät-
zungen des ifo-Institutes und anderer Institute –, dass sich
inzwischen die in den 90er-Jahren ausgesprochen schwa-
che private Nachfrage stabilisiert. Es ist ja kein Zufall,
dass wir das hinbekommen haben. Wir haben es nämlich
geschafft, dass die Zahl der Beschäftigten um 1 Million
auf deutlich über 38 Millionen gestiegen ist; am Ende Ih-
rer Regierungszeit lag sie unter 37 Millionen.


(Beifall bei der SPD)

Außerdem sind die Realeinkommen gerade der Arbeit-
nehmer gestiegen; dies war in den 90er-Jahren nicht der
Fall. Das ist ganz wichtig.

Ich möchte Sie daran erinnern, wie wir das zustande
gebracht haben: Wir haben durch eine Konsolidierung
der Haushalte, auch wenn das in einzelnen Bereichen
immer unpopulär ist, Sicherheit gegeben. Die von uns
durchgeführte Haushaltskonsolidierung hat den Weg
dafür geebnet, dass wir in anderen Bereichen neue Hand-
lungsfähigkeit gewonnen haben. Das hat auch Auswir-
kungen auf die Lohnpolitik, die allerdings nicht unsere,
sondern Sache der Tarifvertragsparteien ist. Aber die
durch das Bündnis für Arbeit vermittelte Sicherheit, dass
vonseiten des Staates keine weiteren Belastungen auf die
Bürger zukommen und die Steuern nicht, wie in den 90er-
Jahren, dauernd erhöht werden, trug ganz entscheiden-
dend dazu bei, dass sich die Gewerkschaften darauf ein-
lassen konnten, langfristige Tarifverträge abzuschließen,
und es zuließen, dass die Gehaltssteigerungen zum Teil
geringer als die Produktivitätsentwicklung ausfielen. So
wurde eine Senkung der Lohnstückkosten möglich. Auch
dieses trug zu den Exporterfolgen bei, dafür war nicht al-
lein der schwache Euro verantwortlich.

Außerdem haben die Gewerkschaften eine Flexibili-
sierung in den Betrieben zugelassen; dieses wurde zu ei-
nem echten Standortvorteil. Sie dagegen tragen immer
noch wie ein Banner die Aussage vor sich her, dass es zu
wenig Flexibilisierung in den Betrieben gäbe. Ich nenne
Ihnen zwei Gegenbeispiele: Es ist doch kein Zufall, dass
Ford seine Autofertigung von London nach Köln verla-

gert. Das hätte man doch nicht getan, wenn hier alles so
schlecht wäre. Das zweite Beispiel stammt aus meinem
eigenen Wahlkreis: Es ist doch kein Zufall, dass General
Motors entschieden hat, ein bedeutendes neues Werk in
Rüsselsheim zu bauen. Es wird zwar auf dem Gelände des
alten Werkes gebaut, aber es handelt sich um ein völlig
neues Werk. Auch das hat etwas mit unserer Politik zu tun.

Vor diesem Hintergrund möchte ich auch noch bemer-
ken, wie wichtig es ist, dass wir uns des Betriebsverfas-
sungsgesetzes annehmen. Dieses wurde seit 1972 nicht
mehr novelliert. Es stimmt heute in einigen Bereichen
nicht mehr mit der Realität überein. Dies gilt insbesondere
für die Bereiche verlängerte Werkbank, Heimarbeits-
plätze usw. Dieses Gesetz ist nämlich die Basis dafür, dass
es in den Betrieben verlässliche Betriebsräte gibt, mit de-
nen man diese Flexibilisierungsabkommen abschließen
kann. Das ist ein wesentlicher Standortvorteil.


(Beifall bei der SPD)

Weil der Strukturwandel vernünftig gestaltet wird,

besteht aber zugleich wieder mehr Vertrauen in die zu-
künftigen Beschäftigungsmöglichkeiten. Das hat – ich
habe es schon gesagt – zur Zunahme der privaten Nach-
frage geführt. Dank unserer Politik, die Steuern gerade
beim Eingangssteuersatz zu senken sowie soziale Ge-
rechtigkeit durch Erhöhung von Kindergeld, Wohngeld,
Erziehungsgeld und jetzt BAföG zu verstärken, wissen
die Leute, dass sie mehr zur Verfügung haben. Auch sta-
tistisch ist das nachweisbar. Auch das führt dazu, dass
mehr Vertrauen da ist. Damit befinden wir uns in einer Si-
tuation – ich will jetzt auf die anderen Punkte nicht mehr
eingehen –, in der wir auf die auf uns zukommenden Be-
drohungen viel besser reagieren können als manches an-
dere europäische Land. Wir haben bei den Wachstums-
zahlen ja deutlich aufgeholt. Das ging bei uns erst
langsam, da wir von den Krisen vor drei Jahren – 1998
Russland und seine Nachbarländer und ein halbes Jahr
davor die Krise in Ostasien – viel stärker betroffen wa-
ren.

Ich möchte deswegen einmal fragen, wie denn die
Konjunktur bei uns aussehen würde, wenn wir diese Maß-
nahmen nicht durchgeführt hätten. Es gibt ja eine gewisse
Dämpfung durch den Abfluss von Kaufkraft in Richtung
OPEC und Ölkonzerne aufgrund der gestiegenen Öl-
preise. Wie würde unsere Lage denn aussehen, wenn wir
zum Beispiel die Staatsquote nicht auf 47 Prozent abge-
senkt hätten? Jetzt ist unsere Lage stabiler als in manch
einem anderen europäischen Land.


(Klaus Lennartz [SPD]: So ist das!)

Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Politik fortsetzen.
Es gibt nämlich innerhalb der Euro-Zone Länder, in denen
sich erste Auswirkungen dieser Schwierigkeiten viel
deutlicher zeigen.

Ich verweise hier in einer Randbemerkung auf Spa-
nien. Ich will zwar nichts Negatives über Spanien sagen,
da ich es bewundere, wie man dort den Wandel geschafft
hat, aber an einigen Stellen – das sage ich insbesondere an
Ihre Adresse, Herr Brüderle, da sie eben gerade nickten –
zeigen sich erste negative Auswirkungen des schnellen
Wandels. Wenn für über 40 Prozent der Arbeitsplätze das






(C)



(D)



(A)



(B)


Hire-and-fire-Prinzip gilt, die Arbeitnehmer also prak-
tisch von heute auf morgen, nämlich innerhalb von 14 Ta-
gen, gekündigt werden können, steigt schon bei den ers-
ten leichten Kälteerscheinungen die Arbeitslosigkeit an.
Die Arbeitslosigkeit kann dann nicht mehr abgebaut wer-
den.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sehr wahr!)

Sie können selber nachrechnen, welche Auswirkungen
das auf das Konjunkturklima hat.

Es ist sehr wichtig, dass wir diese Politik fortsetzen.
Der Haushaltsplan sieht das vor. Wir müssen die Steuer-
reform so, wie geplant, durchsetzen. Ich halte es auch für
wichtig, dass wir bis zum Frühsommer des nächsten Jah-
res endlich die Rentenreform zustande bringen. Ich hoffe,
dass Sie sich darauf besinnen, dass das Grundkonzept der
Rentenreform vernünftig ist. Mit dem Gelingen der Ren-
tenreform können wir das Vertrauen der Bevölkerung in
die langfristige Entwicklung gewinnen: Die Menschen
haben das Gefühl, gesichert zu sein. Wichtig ist auch, dass
sie weiterhin mehr Geld in der Tasche haben. Ich sage das,
auch wenn Sie alle wissen, dass große finanzielle Sprünge
nicht möglich sind. Wir können die Konjunkturstabilisie-
rung auf der Binnenseite mit den derzeitigen Windfall
Profits – ich halte diese Bezeichnung insofern für ange-
messen, als diese Gewinne aus der Euro-Schwäche resul-
tieren – aus dem Export verbinden.

Lassen Sie mich etwas zur Euro-Schwäche sagen. Die
Schwäche des Euro ist eine Schwäche seines Außenwer-
tes. Ich betone: Es ist nicht seine innere Schwäche. Un-
sere Inflationsrate bewegt sich trotz dieser immensen
Energiepreissteigerungen – nicht nur die Preise für Öl,
sondern auch die für Gas sind gestiegen, weil der Gaspreis
an den Ölpreis gekoppelt ist – um 2 Prozent. Die Kernin-
flationsrate hat sich im letzten Jahr praktisch überhaupt
nicht geändert; sie liegt bei 1,2 Prozent oder bei 1,3 Pro-
zent. Wir haben also im Grunde genommen ein span-
nungsfreies Wachstum; denn gegen die externen Effekte
kann man sich nicht wehren.

Auch was den Umgang mit Öl und Gas angeht, müssen
wir aufholen. Vorhin ist das Zukunftsinvestitionspro-
gramm der alten sozialliberalen Regierung – es bestand
bis 1982 – angesprochen worden. Dieses Programm hat
Energieeinsparungen gebracht. Danach ist nichts mehr
geschehen. Jetzt machen wir wieder so etwas. Auch das
ist eine Investition in die Zukunft. Ich erinnere daran, dass
die Mittel für die Altbauwärmedämmung gerade in Ost-
deutschland für das Bauhandwerk und das Ausbauge-
werbe eine bedeutende Wirkung haben werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auf die Bedrohungen der gegenwärtigen Si-
tuation zu sprechen kommen. Wir setzen unsere binnen-
orientierte Politik konsequent fort, weil niemand dafür ga-
rantieren kann, dass wir den Teil der Windfall Profits, der
sich aus dem Euro-Kurs ergibt, weiterhin haben werden.
Im Moment haben wir es mit einer sehr deutlichen
Euro-Schwäche zu tun. Dagegen kann man kaum etwas
machen.

Die Zinserhöhungen der EZB sind an ihr Ende ge-
kommen. Ich bin bei weitem nicht mehr der Einzige – vor
vier Wochen war ich es noch –, der diese Ansicht vertritt.
Heute besteht auf den Märkten weitgehend Einigkeit: Bei
weiteren Zinserhöhungen kann die Konjunktur noch
schwächer werden – sie ist schon durch die bisherigen
Zinserhöhungen geschwächt worden –, weniger in
Deutschland als vielmehr in anderen europäischen Län-
dern, die bedeutend zinsempfindlicher sind. Das ist eine
ganz große Gefahr.

Die EZB sollte sich ihre Politik sehr gut überlegen. Wir
können ihr keine Ratschläge geben; sie ist zu Recht auto-
nom. Die EZB sollte überlegen, ob eine weitere Schwä-
chung der Konjunktur nicht dazu führt, dass noch mehr
privates Geld, zum Beispiel Portfolio-Investitionen, in die
USA abwandert, wie wir es bereits erlebt haben. Unsere
größte Sorge hinsichtlich dieses Geldes – über 160 Milli-
arden, davon über die Hälfte in kurzfristigen Portfolio-In-
vestitionen – ist, dass in den USA keine weiche, sondern
eine harte Landung – Kollege Poß hat es angesprochen –
erfolgen können. Für die Weltwirtschaft wäre eine solche
Entwicklung außerordentlich problematisch. Es kommt
darauf an, dass wir unsere internen Kräfte stärken.

Herr Brüderle, Sie haben die Situation so dramatisch
dargestellt, dass man das Gefühl hatte, ein Untergang
fände statt. Das Gegenteil ist der Fall. Das Problem liegt
doch woanders. In den USA gibt es bereits Probleme bei
der Kreditversorgung. Die Entwicklung der Positionen in
den so genannten Neuen Märkten ist völlig überzogen.
Selbst bei einem Unternehmen wie Amazon stellt man die
Frage, ob es überhaupt überleben könne. Überlegen Sie,
was für ein Land wie die USA mit einer privaten Spar-
quote, die praktisch bei null liegt, ein Umkippen der Ent-
wicklung bedeutet.

Ich erinnere mich daran, wie es war, als in den 80er-
Jahren der Dollar um 3,80 DM kostete. Die gegenwärtige
Schwäche des Euro ist im Vergleich damit geradezu mo-
derat. Ich weiß noch, welche Probleme das plötzliche
Umkippen der Situation für unsere Konjunktur verur-
sachte.

Ich bitte Sie, mit dem Thema sehr vorsichtig umzuge-
hen. Helfen Sie mit, mit einem Policymix – so nennen es
die Ökonomen – die interne Konjunktur zu stärken. Dies
sollte in Verbindung mit den europäischen Nachbarlän-
dern geschehen, damit keiner eine Beggar-my-Neigh-
bour-Policy macht, wie sie ein großes westliches Nach-
barland im Bereich der Mineralölsteuer zuletzt praktiziert
hat. Das war nicht positiv. Auch das darf man hier einmal
sagen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412801700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gunnar Uldall.


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1412801800
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Minister Eichel, lieber Herr




Dr. Norbert Wieczorek

12331


(C)



(D)



(A)



(B)


Kollege Wieczorek, es tut mir herzlich Leid, aber ich
muss das Bild von der schönen neuen SPD-Welt, das hier
gemalt worden ist, ein wenig eintrüben;


(Detlev von Larcher [SPD]: Mies machen!)

denn es ist so beim besten Willen nicht richtig.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber Sie haben doch gehört, dass der Finanzminister gesagt hat: Nicht mies machen, sondern mitmachen!)


Es gibt in der Mitte dieser Legislaturperiode einige in-
teressante Negativrekorde, die bisher von Ihnen, Herr
Minister, und von anderen Kollegen der SPD heute Mor-
gen nicht genannt worden sind. Zunächst einmal: Noch
nie mussten die Bürger in Deutschland so viel Steuern
zahlen wie heute unter Ihnen, Herr Minister Eichel, und
unter Bundeskanzler Gerhard Schröder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Dazu kommen die Abgaben. Ich will sie gar nicht auf-
zählen. Aber 33,6 Prozent des Einkommens gehen heute
für die Einkommensteuer, die Mehrwertsteuer, die Kfz-
Steuer, die Tabaksteuer, die Kaffeesteuer und was es sonst
noch alles an Steuern gibt, weg.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das sind alles Steuern, die wir erfunden haben! – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Er hat die Sektsteuer, die Kaiser Wilhelm eingeführt hat, vergessen!)


Eine solche Belastung, Herr Minister Eichel, hat es noch
nie gegeben. Das Einzige, was ich bei Ihnen bewundere,
ist, dass Sie es geschickt darstellen und den Eindruck er-
wecken, als ob Sie die Belastungen senken würden.


(Detlev von Larcher [SPD]: So ist es!)

Das ist Ihre Kunst.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der zweite Rekord ist: Noch nie mussten die Bürger an

der Tankstelle für einen Liter Benzin so viel wie heute un-
ter Ihnen bezahlen, Herr Minister. Was nützen die vielen
kleinen Prozentzahlen und Trendberichte, die Sie genannt
haben, wenn die Bürger – zum Beispiel an der Tank-
stelle – in diesem Maße zur Kasse gebeten werden? Das
ist für die Bürger relevant; nicht die kleinen Zahlen und
Erleichterungen, die Sie genannt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der dritte Rekord: Noch nie bekamen die Bürger beim

Umtausch ihres Euros so wenig wie heute. Es wurde hier
eben gesagt, das sei doch alles gar nicht so dramatisch,
weil das keinen Einfluss auf die Kaufkraft habe. Herr
Minister Eichel rühmte in seiner Erklärung die Preisstabi-
lität. Auch Norbert Wieczorek nannte diesen Aspekt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Mit Recht!)

Ich empfehle Ihnen: Investieren Sie heute Morgen einmal
3 DM in den Kauf des „Handelsblatts“ und lesen Sie als
Hauptaufmacher: Die Euro-Schwäche treibt die Preise. –
Nicht nur die Mineralölpreise sind davon betroffen, son-

dern das gilt auch für alle anderen Preise in Deutschland.
Ich kann Ihnen wirklich nur empfehlen, dieses Thema
nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, weil Sie glau-
ben, Sie könnten im Moment politisch den Kopf aus der
Schlinge ziehen, indem Sie diese drohende Gefahr ein-
fach negieren.


(Joachim Poß [SPD]: Sie werfen mit Sicherheit keine Schlinge!)


Nein, dies darf nicht gemacht werden. Die Bürger be-
kommen heute für einen Euro nur noch 82 Cents. Zu Be-
ginn waren es 117 Cents.

Die Finanzmärkte, Herr Minister, sind die objektivsten
Beobachter Ihrer Politik.


(Widerspruch bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Aber, Herr Uldall!)


Wenn Ihre Politik als zu leicht empfunden wird, dann fällt
der Euro. Diese Entwicklung haben wir derzeit.


(Joachim Poß [SPD]: Wir haben doch eine Stabilitätspolitik! – Detlev von Larcher [SPD]: Sie wissen genau, dass das nicht wahr ist, Herr Uldall!)


Deswegen können wir alle lebhaften Beiträge und Zurufe
von den Kollegen der SPD überhören. Sie interessieren
nicht. Entscheidend ist, wie Ihre Politik in New York, To-
kio und Frankfurt von den objektiven Beobachtern einge-
stuft wird. Dieses ist schlichtweg negativ.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Bei der EZB: Geht es um deutsche Politik oder um europäische?)


Nun spreche ich einen Punkt an, mit dem sich die So-
zialdemokraten – das gilt heute Morgen für alle Redner –
besonders gebrüstet haben, nämlich die angeblich so her-
vorragende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Wir
müssen zwischen der Arbeitslosenzahl und der Beschäf-
tigtenzahl unterscheiden. Ich komme zunächst zu der Ar-
beitslosenzahl. Sie schaffen es nicht einmal, die Arbeits-
losenzahl so zurückzuführen, wie es allein aufgrund des
Überalterungseffektes in Deutschland der Fall sein
müsste.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: So ist es!)


Stattdessen – das hat Peter Rauen schon sehr eindrucks-
voll dargelegt –


(Joachim Poß [SPD]: Ja, sehr eindrucksvoll! Das fiel mir auch auf!)


ändern Sie schlichtweg die Statistik. Dadurch gelingt es
Ihnen, die Arbeitslosenquote um 0,7 Prozent zurückzu-
führen.


(V o r s i t z: Viizepräsidentin Anke Fuchs)

Meine Damen und Herren, alleine durch eine Neudefi-

nition in der Statistik gelingt es der Regierung von SPD
und Grünen, die ausgewiesene Arbeitslosenquote in
Deutschland um 0,7 Prozent zurückzuführen. Ich kann
wirklich nur sagen: Das ist eine propagandistische Super-




Gunnar Uldall
12332


(C)



(D)



(A)



(B)


leistung. Es wäre besser, wenn an dieser Stelle eine effek-
tive Leistung stehen würde, Herr Minister.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Zum anderen gibt es neben der Zahl der Arbeitslosen
die Zahl der Beschäftigten. Norbert Wieczorek hat eben
gesagt, wir hätten in diesem Jahr rund 600 000 Beschäf-
tigte mehr als im vergangenen Jahr. Die Ursache ist auch
hier eine Änderung der Statistik. Ich empfehle Ihnen al-
len, einmal einen Blick in das Gutachten zur Lage der
Weltwirtschaft zu werfen, über das wir heute debattieren.
Das Gutachten wurde vor einigen Tagen von den Wirt-
schaftsinstituten veröffentlicht, und in einer besonderen
Ausführung zur Revision der Erwerbstätigenstatistik
heißt es:

Diagnose und Prognose der Entwicklung am Ar-
beitsmarkt werden zurzeit durch erhebliche Korrek-
turen der amtlichen Erwerbstätigenstatistik er-
schwert.

Es heißt weiter:
In der ersten Jahreshälfte 2000 war die Zahl der Er-
werbstätigen um 630 000 höher als im Vorjahr.

Hurra, werden die Sozialdemokraten rufen. Aber der
nächste Satz lautet:

Alte Statistik: nur 100 000.
Das, meine Damen und Herren, ist das Ergebnis Ihrer Po-
litik: ein Anstieg der Zahl der Beschäftigten um 100 000.

Nun schauen wir uns das Ganze einmal an: Bei 38 Mil-
lionen Beschäftigten sind das nicht einmal 0,3 Promille;
es sind nur gut 0,2 Promille. Es ist Ihnen also gelungen,
eine Verbesserung der Zahl der Beschäftigten um 0,2 Pro-
mille herbeizuführen. Man kann nun wirklich nicht davon
sprechen, dass sich hier eine Trendwende vollzogen hat.
Vielmehr müssen wir leider feststellen: Nach wie vor ha-
ben wir auf dem Arbeitsmarkt eine Stagnation zu ver-
zeichnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Statistiken werden nur von erfolglosen Regierungen

verändert. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik bedarf
einer Veränderung der Statistik nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)

Nun sollte sich Herr Minister Eichel einmal fragen,

warum der erwartete Konjunktur- und Wachstumsschub
trotz seiner Einkommensteuerreform nicht stattgefunden
hat. Es müsste doch eigentlich so sein, dass die Prognosen
nicht alle nach unten gehen.


(Joachim Poß [SPD]: Die gehen doch auch nicht nach unten, sondern sie gehen nach oben! Was erzählen Sie denn da?)


Vielmehr müsste es so sein, dass die Prognosen, nachdem
Ihre Reform verabschiedet worden ist, entsprechend den
Erwartungen nach oben gehen. Alle Prognosen sind aber
nach unten gegangen,– auch wenn Sie das bezweifeln.


(Joachim Poß [SPD]: Was? Haben Sie das Herbstgutachten gelesen oder nicht?)

– Ja. Die Prognosen gehen zurück.

Ich lese weitere Prognosen vor. DG Bank: von 3,2 auf
3,0; Institut der Wirtschaft: von 3,0 auf 2,9;


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch die Ausgangsposition! Sie gehen doch trotzdem höher!)


Hessische Landesbank: von 3,0 auf 2,8; Commerzbank:
von 3,0 auf 2,7. Das reicht doch wohl. Nun muss man sich
fragen: Warum wurden diese Prognosezahlen nicht alle
kräftig nach oben gesetzt, nachdem die grandiose Steuer-
reform von Herrn Eichel umgesetzt worden ist?

Ich möchte nur einen Satz in den Raum stellen. Einer
der renommiertesten Finanzwissenschaftler in Deutsch-
land schreibt: Eichel hat sein Ziel mit dieser Reform ver-
fehlt.


(Joachim Poß [SPD]: Wie heißt der Mann?)

– Professor Lang aus Köln, dessen Kompetenz auch Sie
nicht bestreiten werden, Herr Kollege.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist kein Finanzwissenschaftler, sondern ein Steuerjurist!)


Diese Reform ist keine tiefgreifende Strukturreform.
Sie ist eine Tarifreform, aber eine Tarifreform, deren po-
sitiven Effekte sofort wieder dadurch aufgehoben werden,
dass Sie die Ökosteuer erhöhen und die Abschreibungsta-
bellen korrigieren. Alle Erleichterungen werden also
gleich wieder zurückgenommen. All das führt dazu, dass
diese Regierung mit der Einkommensteuerreform eine
Riesenchance vertan hat. Es wäre für die konjunkturelle
Entwicklung gut gewesen, wenn wir eine richtige Reform
gehabt hätten. Leider müssen wir auf diese positiven Ef-
fekte verzichten.


(Joachim Poß [SPD]: Eine Leid-Rede!)

Bedauerlicherweise ist es so, dass wir in Deutschland

eine politische Entwicklung haben, die das Marktgesche-
hen kontinuierlich einengt.


(Joachim Poß [SPD]: Von der Leitkultur zur Leid-Rede!)


Deswegen ist es dringend erforderlich, dass wir uns wie-
der zu mehr Marktwirtschaft, zu mehr Vereinfachungen in
unseren Systemen und zu mehr Eigenverantwortung von
Unternehmen und Arbeitnehmern hinwenden. Damit
würden wir mehr Chancen für alle Menschen in Deutsch-
land schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412801900
Das Wort hat nun der
Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1412802000
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Som-
mer 1998 eine Diskussion über die notorisch schlechte




Gunnar Uldall

12333


(C)



(D)



(A)



(B)


Laune in Deutschland gehabt. Manche werden sich daran
erinnern, dass der damalige Bundespräsident davon ge-
sprochen hat, es müsse ein Ruck durch Deutschland ge-
hen, weil Deutschland in einer ungeheuren mentalen
Depression verharre; so hat damals Roman Herzog ge-
schrieben. Er hat hinzugefügt, die Deutschen seien mut-
los geworden, und wenn sich daran nicht bald etwas än-
dere, werde das Land im internationalen Vergleich
zurückfallen. Das war die Ausgangssituation im Sommer
1998.

Nun, lieber Gunnar Uldall, habe ich heute Morgen die
Investition in Höhe von 3 DM getätigt und das „Handels-
blatt“ gekauft. Dort steht: „Henkel gibt der Regierung
Schröder eine gute Gesamtnote für die Finanz-, Wirt-
schafts- und Sozialpolitik“. Das kann man nach zwei Jah-
ren Regierungszeit doch als ordentliches Ergebnis be-
zeichnen.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Aber nicht in der Arbeitsmarktpolitik! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Weiterlesen!)


Manche sind ja der Auffassung, dass man Olaf Henkel,
der als ein unerschrockener Interessenvertreter auftritt,
mit Henkell Trocken vergleichen muss: Man kann mit
ihm nur anstoßen; wenn man etwas Gutes tun will, muss
man aber einen anständigen Wein trinken. Doch in der Sa-
che hat er Recht. Wenn Herr Rauen heute Morgen davon
gesprochen hat, wir seien dabei, Deutschland zum Fuß-
kranken Europas zu machen, muss ich sagen: Herr Rauen,
ich weiß nicht, wo Sie leben. Ich weiß nicht, ob Sie den
„Economist“ lesen, der gerade mit dem Thema „Can do
Schröder better?“ aufgemacht hat.

„Yes, he can.“ Der „Economist“ schreibt, wir hätten in
den letzten zwei Jahren unglaublich viel bewegt. Viele
Dinge, die Sie liegen gelassen haben, sind erledigt wor-
den. Wir holen auf und sind dabei, in Europa wieder Spit-
zenpositionen einzunehmen. Ich glaube, Herr Rauen, Sie
haben sich irgendwo im Pfälzer Wald verirrt.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Jedenfalls sind Sie hier in der falschen Veranstaltung. Ihre
Rede war auf jeden Fall mehr als dürftig, und ich bin ge-
spannt, was wir in Zukunft noch von Ihnen hören werden.

Das Gutachten, das wir heute debattieren, kommt zu
dem Ergebnis, dass im Zuge der kräftigen Konjunktur die
Zahl der Arbeitslosen saisonbereinigt Ende 2000 bei
3,8 Millionen und Ende 2001 bei 3,49 Millionen liegen
wird. Damit werden wir das Ziel erreichen, das wir uns
selbst gesetzt haben, nämlich die Arbeitslosigkeit end-
lich zu drücken; das ist das zentrale Anliegen dieser Bun-
desregierung. Wir machen das in einem durchaus schwie-
rigen Spagat. Wir müssen den Haushalt konsolidieren und
sanieren, gleichzeitig die Steuern und Abgaben senken
und trotzdem in Zukunftsfelder investieren. Dieser Spagat
ist nicht einfach, aber wir machen das und finden mittler-
weile bei den internationalen Organisationen, bei Ein-
richtungen, die wirklich unverdächtig sind und ein sach-
liches Urteil fällen, ein positives Echo.

An diesem Montag – vor wenigen Tagen – ist das
Deutschlandexamen des IWF abgeschlossen worden. Es

hat bestätigt, in welchem Maße die Reformpolitik der
Bundesregierung konkrete Wirkungen hat. Der IWF stellt
fest, die Steuerreform habe einen entscheidenden Anteil
daran, dass in Deutschland der Reformstau überwunden
wurde; die niedrigen Steuersätze hätten eine Signal-
funktion, insbesondere für die ausländischen Investoren.
Das ist ein wichtiges Ergebnis. Der IWF merkt an, dass
eine völlige Kehrtwende eingetreten ist. Vorher waren die
ausländischen Investoren über zehn Jahre hinweg sehr
zurückhaltend. Jetzt kommen wir zu einem Ergebnis, das
sich sehen lassen kann.

Wenn Herr Stihl am 24. Oktober in der Zeitung „Die
Welt“ ausführt, der Standort Deutschland sei heute attrak-
tiver als vor zwei Jahren bei unserem Regierungsantritt,
ist das ein Zeugnis, mit dem wir sehr gut leben können. Er
hat Recht, wir haben eine Menge bewegt. Es ist völlig
klar, dass wir dabei sind, gerade auch in den Wachstums-
feldern zu überzeugen.

Das ist übrigens der Grund, warum das World Econo-
mic Forum Deutschland in seinem in den letzten Tagen er-
schienenen „Global Competitiveness Report“, der jähr-
lich vorgelegt wird, höher gruppiert hat, und zwar um
zehn Plätze. Deutschland ist hinsichtlich der Produktivität
auf Rang drei vorgerückt.


(Joachim Poß [SPD]: Das müssen Sie denen von der Opposition bitte schriftlich geben!)


– Ich glaube auch, dass man denen das schriftlich geben
muss.

Der Wirtschaftsaufschwung in Deutschland kommt
voran. In den ganzen 90er-Jahren lag das Wirtschafts-
wachstum in Deutschland trotz des Vereinigungsbooms
durchschnittlich nur bei 1,4 Prozent. Zum ersten Mal seit
längerer Zeit liegt es jetzt wieder bei 3 Prozent. Das ist ein
enormer Fortschritt. Das wirtschaftliche Wachstum wirkt
sich inzwischen auch positiv auf den Arbeitsmarkt aus.

Wir haben angesichts der Erlöse aus der Versteigerung
der UMTS-Lizenzen nicht gesagt: Wir nehmen das Geld
und geben es aus. Vielmehr haben wir die wichtige
Grundsatzentscheidung getroffen, den Erlös in Höhe von
100 Milliarden DM zur Schuldentilgung zu verwenden,
und zwar in einer Phase, in der die Konjunktur gut läuft.
So etwas hätten wir bei Ihnen nie erlebt. Im Vergleich zu
Ihnen gehen wir den umgekehrten Weg: Wir verwenden,
wie gesagt, die 100 Milliarden DM zur Schuldentilgung
und nutzen den durch die Zinsersparnisse entstehenden
geringen Spielraum für wichtige Zukunftsinvestitionen;
denn eines ist klar: Der Spagat zwischen Konsolidierung
und Zukunftsinvestitionen muss durchgehalten werden.
Wir müssen weiter sanieren, weiter Steuern und Abgaben
senken und weiter in die Zukunft investieren. Diese Trias
wird unsere Politik auch in den nächsten Jahren wesent-
lich bestimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben auch auf den Zukunftsfeldern wichtige Fort-
schritte erzielt. Wir haben auf den Wachstumsfeldern von
morgen, insbesondere bei der Informations- und Kom-
munikationstechnologie, wichtige Weichenstellungen




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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(C)



(D)



(A)



(B)


vorgenommen. Die Informations- und Kommunikations-
branche weist in diesem Jahr ein Wachstum von 10,4 Pro-
zent auf. Im nächsten Jahr rechnen wir mit einem Wachs-
tum von 10 Prozent auf diesem wichtigen Zukunftsfeld.

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse
bezeichnet Deutschland als die derzeit führende Internet-
nation in Europa, weil von den 150 größten börsennotier-
ten Internetunternehmen 56 aus Deutschland kommen.
Das heißt, wir haben uns in diesem wichtigen Zukunfts-
feld neu aufgestellt und versprechen uns davon enorme
Arbeitsplatzeffekte. Wir erwarten, dass insbesondere
durch die Weichenstellungen in der Informations- und
Kommunikationstechnik 750 000 neue Arbeitsplätze bis
zum Jahr 2010, also in zehn Jahren, entstehen werden,
dass wir durch die Weichenstellungen in den Wachstums-
branchen von morgen gut aufgestellt sind und dass wir
von der Orientierung hin auf diese Wachstumsfelder pro-
fitieren werden.

Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen:
Das, was Roman Herzog angemahnt hat, nämlich dass ein
Ruck durch Deutschland gehen müsse, ist befolgt wor-
den. Das Klima in Deutschland ist heute ein völlig ande-
res als das von vor zwei Jahren. Das drückt sich sowohl
in demHerbstgutachten der Sachverständigen als auch im
Urteil der wichtigsten internationalen Institute über die
Entwicklung in Deutschland aus. Ich finde, man sollte
dann auch eine positive Zwischenbilanz ziehen. Man
muss nicht immer aus parteipolitischen Gründen gegen
alles sein, wenn es einmal positiv in Deutschland läuft.
Man kann ruhig einmal zugeben, dass sich etwas verän-
dert hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das heißt aber nicht, dass wir aufhören können. Wir
müssen weiterhin hellwach sein. Wir müssen innovativ
sein. Es gilt der Satz von Benjamin Britten: „Lernen ist
wie Rudern gegen den Strom. Wer aufhört, fällt zurück.“
Aber das muss man heute nicht der Regierung, sondern
der Opposition sagen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412802100
Ich erteile das Wort
der Kollegin Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1412802200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Handwerk hat vor eini-
gen Tagen ein Memorandum zur Mittelstandspolitik vor-
gelegt. Dieses Memorandum beginnt mit dem Satz:
„Mittelstandspolitik ist ihrem Wesen nach eine Quer-
schnittsaufgabe.“ Das heißt mit anderen Worten: Mittel-
standspolitik beschränkt sich nicht auf Sonntagsreden, in
denen sie ja immer gelobt wird.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das müssen Sie einmal Ihrer Fraktion sagen!)


Echte Mittelstandspolitik zu machen heißt, in allen Berei-
chen der Gesetzgebung und des staatlichen Handelns für
Rahmenbedingungen zu sorgen, unter denen mittelständi-
sche Betriebe erfolgreich arbeiten können.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Ich glaube, dem wird niemand hier im Saal widerspre-
chen. Aber handeln Sie auch danach, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Regierung?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Ja, das tun wir!)


Das Handwerk ist nicht dieser Meinung. Sein Präsident
findet, dass Ihre Mittelstandspolitik allein als Reparatur-
betrieb funktioniert. Erst verfassen Sie Gesetze, ohne auf
den Mittelstand Rücksicht zu nehmen. Kommt ein Pro-
test, reparieren Sie wieder ein bisschen. Das ist so ge-
schehen bei der Scheinselbstständigkeit, das ist so ge-
schehen bei der Steuergesetzgebung: Immer wieder wird
sukzessive ein bisschen nachgebessert. So geschehen ist
das jetzt auch bei den Betriebsveräußerungen. Ich rate Ih-
nen: Bessern Sie richtig nach. Beziehen Sie die Betriebs-
veräußerungen ab dem Jahr 1999 ein, sonst müssen Sie
wieder reparieren. So geschehen ist es auch beim Rechts-
anspruch auf Teilzeit, wo Sie nachträglich eine Kleinbe-
triebsklausel mit eingebaut haben. Warum arbeiten Sie
nicht von Anfang an sorgfältig, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Regierung?


(Lachen bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist ein sehr guter Vorschlag!)


Hätten Sie im Sinne des Mittelstandes richtig vorgearbei-
tet, dann hätten Sie sich die ganze Gesetzgebung zur
Scheinselbstständigkeit sparen können; denn die von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze hätten ausge-
reicht. Sie hätten eine gute Steuerreform gemacht, wenn
Sie nicht zwischen guten und schlechten Einkünften un-
terschieden hätten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warum haben dann die Bundesländer zugestimmt?)


Sie hätten außerdem bei der Teilzeitarbeit auf Freiwillig-
keit setzen sollen.

Zum Thema Teilzeit: Sie wollen jedem Beschäftigten
einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit geben. In
Ihrem Gesetzentwurf steht, der Arbeitnehmer könne sich
sogar eine gewünschte Verteilung der Arbeitszeit auf die
einzelnen Arbeitstage in der Woche aussuchen.


(Zuruf von der PDS: Sehr gut!)

Können Sie mir sagen, wie Sie dann noch eine ver-

nünftige Personalplanung machen wollen?

(Detlev von Larcher [SPD]: Ja, das kann ich!)


Stellen Sie sich vor, ein Verkäufer aus dem Einzelhandel
kommt am 2. November zu seinem Chef und sagt: Chef,
ab 1. Dezember will ich nur noch montags bis freitags von
9 bis 13 Uhr arbeiten. Der Chef sagt natürlich – es kommt
ja die Weihnachtszeit –: Das geht aus betrieblichen Grün-
den nicht. Dann sagt der Arbeitnehmer: Diese betriebli-
chen Gründe erkenne ich nicht an. Was passiert dann?




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

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(A)



(B)


Dann wird diese Interpretation vor dem Gericht ausgetra-
gen. Bis eine Entscheidung des Gerichts vorliegt, ist das
Weihnachtsgeschäft vorbei.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!)


Ich warne auch noch vor etwas anderem: Prozessan-
fälligkeit hat sich in unserem Staat immer mehr zu einem
Standortnachteil entwickelt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: In den 16 Jahren Kohl!)


Dem müssen wir von vornherein durch eine ausgewogene
Gesetzgebung entgegenwirken. Sie planen einen massi-
ven Eingriff in die Vertragsfreiheit. Der Arbeitgeber wird
zu einer Vertragsänderung gezwungen, die er nicht will.
Ob das mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wollen wir mal
dahingestellt lassen. Wir wissen aber, dass es immer dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss,
wenn ein starker Grundrechtseingriff vorgenommen wird.
Sie brauchen dafür Rechtfertigungsgründe. Bei Ihnen gibt
es aber keine Gründe. Bei Ihnen soll jeder einen Anspruch
auf Teilzeitarbeit haben. Ihr Konzept beruht auf dem von
der Wirtschaftswissenschaft tausendfach widerlegten Irr-
glauben, man könne Beschäftigung schaffen, indem man
einfach die vorhandene Arbeit auf mehr Köpfe umverteilt.
Es gibt aber kein feststehendes Arbeitsvolumen – in einer
globalisierten Wirtschaftsordnung schon gar nicht.

Auch glaube ich, meine sehr verehrten Damen und
Herren, dass mit diesem Gesetz keine Teilzeitstellen ge-
schaffen werden. Im Gegenteil: Es werden Teilzeitstellen
vernichtet; denn welcher Arbeitgeber wird zukünftig noch
mehr Teilzeitkräfte einstellen, wenn er daran denkt, dass
diese später auch einen Anspruch auf Vollzeitstellen in
seinem Betrieb haben werden? Sie haben außerdem eine
immense Schwellenangst geschaffen: Wer wird zukünftig
noch den 16. Arbeitnehmer in seinen Betrieb aufnehmen?

In den letzten Wochen hat Sie beim Thema Arbeits-
recht eine immense Regulierungswut erfasst. Sie schaden
damit dem Mittelstand und verhindern damit mehr Be-
schäftigung. Ebenso ist es mit dem von Ihnen geplanten
Betriebsverfassungsgesetz.Wir haben bis jetzt schon ei-
nes der stärksten Mitbestimmungsgesetze der Welt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Und ein sehr erfolgreiches!)


Die von Ihnen geplante Ausweitung der Mitbestimmung
wäre ein fatales Signal gegen Investitionen. Wir entfernen
uns damit auch immer mehr von unseren europäischen
Partnern. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, dass
wir in Europa ein immenses Mitbestimmungsgefälle ver-
ursachen und somit dem europäischen Binnenmarkt nicht
sehr förderlich sind?

Sie planen auch eine Ausweitung der Mitbestimmung
im Bereich des Umweltschutzes.


(Joachim Poß [SPD]: Ist ja ganz schlimm, ein Frevel!)


Wissen Sie eigentlich, dass Sie damit einen Systemwech-
sel mit unabsehbaren Folgen vornehmen? Erstmals wür-
den die Betriebsräte nicht nur für die inneren Angelegen-

heiten eines Betriebes, sondern auch für die nach außen
gerichteten Aktivitäten eines Unternehmens zuständig.

Man hat fast das Gefühl, dass Ihnen Demokratie und
Minderheitenschutz inzwischen ganz egal sind. Im Hau-
ruck-Verfahren sollen zukünftig Betriebsratswahlen durch-
geführt werden. Minderheiten hätten in einer kurzfristig
anberaumten Betriebsversammlung die Möglichkeit, einen
Betriebsrat durchzusetzen, der möglicherweise nicht dem
Interesse der Belegschaft entspricht.

Es scheint Ihnen auch völlig egal zu sein, was die Um-
setzung Ihrer Pläne kostet. Wir sind ja von Ihnen ge-
wöhnt, dass Sie sich für die Kostenfrage nicht interessie-
ren und dass Sie dem Mittelstand die Kosten, die durch
Ihre Gesetze entstehen, einfach auferlegen. Was glauben
Sie, welche Kosten sich ergeben, wenn man die Grenze
hinsichtlich der Freistellungen und der Betriebsratsgröße
herabsetzt? Der Mittelstand ist momentan am wenigsten
in der Lage, eine solche Kostenerhöhung zu tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wissen auch, dass es für die Unternehmen wichtig

ist, flexibel und schnell ihre Arbeitsorganisation den Be-
dürfnissen des Marktes anpassen zu können. Es sind oft
schnelle Veränderungen am Produkt und in den Produkti-
onsabläufen gefragt. Deswegen darf die Mitbestimmung
das unternehmerische Handeln nicht lahm legen. Ich lege
Ihnen ans Herz: Bitte beachten Sie diesen Punkt, wenn Sie
Ihren Entwurf vorlegen! Wir brauchen Freiräume für die
Betriebe.


(Detlev von Larcher [SPD]: Die Betriebe sind nicht nur die Arbeitgeber!)


Frau Wolf hat dies zu Recht gesagt. Ich appelliere an Sie:
Handeln Sie auch danach! Wir müssen zu einer Auswei-
tung des Günstigkeitsprinzips kommen. Hören Sie also
auf Ihre Kollegin Frau Wolf und setzen Sie ihre Anregung
um!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihnen geht es aber gar nicht um eine Stärkung der Be-

triebsräte. Man hat vielmehr manchmal das Gefühl, es
geht Ihnen um eine Stärkung des Gewerkschaftsein-
flusses.


(Detlev von Larcher [SPD]: Finstere Ideologie!)


Anscheinend soll dies ein verspätetes Dankeschön für die
Unterstützung im Wahlkampf sein. Man kann da von ei-
nem politischen Kuhhandel sprechen, wie es auch beim
Ladenschluss im Zusammenhang mit der Rentenreform
der Fall war.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412802300
Frau Kollegin, bitte
achten Sie auf Ihre Redezeit.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1412802400
Ich will zum Schluss da-
rauf hinweisen: Die wirtschaftliche Lage in Deutschland
hängt ganz entscheidend vom Mittelstand ab.


(Joachim Poß [SPD]: Das unterstreichen wir! Für den haben Sie jahrelang nichts gemacht!)





DagmarWöhrl
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Wenn es dem Mittelstand gut geht, dann geht es auch der
Wirtschaft gut. Denken Sie daran und behandeln Sie die
Mittelstandspolitik nicht als „Reparaturbetrieb“!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben wir noch nie gemacht!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412802500
Nun erteile ich für die
SPD-Fraktion dem Kollegen Jörg-Otto Spiller das Wort.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1412802600
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Wöhrl,
ich finde, die Maske der Weinerlichkeit steht Ihnen nicht.


(Heiterkeit bei der SPD – Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Bitte was? – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie hat keine Maske! Sie ist immer so schön!)


Der Kollege Michelbach hat die Rolle, über die angeblich
schlechte Behandlung des Mittelstandes zu klagen, so gut
drauf, dass Sie ihm in dieser Hinsicht keine Konkurrenz
machen sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das schadet auch Ihrem Ansehen. Ich kann allerdings ver-
stehen, dass Sie darüber traurig sind und dass es Sie är-
gert, dass die Politik der Bundesregierung und der sie tra-
genden Koalition mehr und mehr Zustimmung gerade
auch im Mittelstand findet.


(Beifall bei der SPD – Dagmar Wöhrl [CDU/ CSU]: Lassen Sie das mal meine Sorge sein! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Das ärgert Sie!)


Die deutsche Wirtschaft befindet sich seit 1999 wieder
in einer Phase des konjunkturellen Aufschwungs. Das
ist die Kernaussage des Gemeinschaftsgutachtens der
sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, das jetzt
vorgelegt wurde.


(Zuruf von der F.D.P.: Trotz Rot-Grün!)

Herr Kollege Rauen und Herr Kollege Brüderle, wenn
man Ihre Reden hört, hat man den Eindruck: Das tut Ih-
nen richtig Leid.


(Heiterkeit bei der SPD)

Bei Ihnen, Herr Kollege Brüderle, schwingt noch ein

bisschen die nostalgische Erinnerung an den Wirtschafts-
minister Rexrodt mit, der seine Rolle so verstanden hat,
den Standort Deutschland immer madig zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jedes Mal, wenn der Mann in seiner amtlichen Funktion
im Deutschen Bundestag geredet hat, hat er die Reform-
unfähigkeit in Deutschland beklagt. Solange er mit in der
Regierung saß, hatte er sogar Recht.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es hat sich inzwischen eine Menge getan, und das hat
eben auch mit der Politik zu tun. Das heißt, der politische

Hintergrund, den der Aufschwung bzw. der Wachs-
tumsprozess benötigen, ist inzwischen wieder vorhanden.

Die Institute heben insbesondere hervor, dass der Auf-
schwung an Breite gewonnen hat. Nicht mehr nur die
Auslandsnachfrage trägt den Aufschwung. Vielmehr ha-
ben neben dem Export, der auch weiterhin eine Auf-
triebskraft darstellt, insbesondere die Investitionen, vor
allem die Ausrüstungsinvestitionen, zugenommen. Das ist
das klassische Muster eines erfolgreichen konjunkturellen
Prozesses, ausgelöst durch die starke Konkurrenzfähig-
keit.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: So ist es!)

Auf internationaler Ebene nimmt die Stärke der deutschen
Wirtschaft zu. Sie zieht mit eigenen Investitionen, inzwi-
schen übrigens auch mit Erweiterungsinvestitionen, nach
und schafft neue Arbeitsplätze sowie neue Kapazitäten.
Das strahlt auf die Massenkaufkraft der Beschäftigten
aus.

Eine Sache haben Sie die ganze Zeit über angemahnt,
aber nie erreicht: Wir befinden uns jetzt endlich wieder in
der Situation, dass ein Anstieg der Bruttolöhne und
-gehälter nicht durch wachsende Abgaben und durch
Lohnsteuerbelastungen kaputtgemacht wird.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Ökosteuer!)

– Frau Wöhrl, hören Sie einmal zu. Wahrscheinlich hatten
Sie bei der Vorbereitung Ihrer Rede keine Zeit, in das
Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute hi-
neinzuschauen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Sie sollten es einmal nachlesen. Einen wirklich schönen
Hinweis werden Sie


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Jetzt finden Sie ihn selbst nicht!)


– doch, doch, ich finde ihn schon – auf Seite 50 der jetzi-
gen Fassung finden:

Im kommenden Jahr werden von der Verringerung
der Abgabenbelastung, insbesondere von der Ein-
kommensteuerreform, spürbare Impulse auf den pri-
vaten Konsum ausgehen.


(Joachim Poß [SPD]: 46 Milliarden!)

Die Bruttolöhne und -gehälter werden mit 3,3 Pro-
zent im gleichen Tempo wie im Vorjahr, die Net-
tolöhne und -gehälter wegen der Steuerentlastung
mit 5,3 Prozent deutlich kräftiger zunehmen.

Das haben wir immer gewollt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das ist die Realität!)


Es ist völlig in Ordnung, dass die Wirtschaftsfor-
schungsinstitute darauf mit aller Deutlichkeit hinweisen.
Die Politik spielt in der Wirtschaft eine Rolle. Wirtschaft
findet eben nicht nur in der Wirtschaft statt, wie die F.D.P.
glauben machen wollte. Zu ihr gehört vielmehr auch der




DagmarWöhrl

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richtige politische Rahmen. Man kann sich eben nicht da-
vonstehlen, wie Sie das immer wollten.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Wollen wir gar nicht!)


– Das haben Sie aber immer gepredigt. – Wir machen in
Deutschland jetzt eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die
dem Wachstumsprozess hilft und inzwischen auch zu ei-
ner Zunahme der Beschäftigung führt. Das schlägt sich
nicht nur in steigender Produktion nieder, sondern auch in
steigender Beschäftigung und sinkender Arbeitslosigkeit.
Noch immer haben wir zu viele Arbeitslose in Deutsch-
land. Aber Schritt für Schritt sinkt die Arbeitslosigkeit und
steigt die Beschäftigung.

Herr Kollege Uldall meinte, darauf hinweisen zu müs-
sen, geringfügig Beschäftigte würden in den statisti-
schen Erhebungen anders behandelt als vorher. Das trifft
zu. Aber der Kern ist ein anderer Punkt: Geringfügig Be-
schäftigte werden nicht nur in der Statistik, sondern auch
in der Realität anders behandelt. Das, was Sie jahrelang
befürwortet oder zumindest hingenommen haben,


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Schwarzarbeit lässt grüßen!)


nämlich dass normale versicherungspflichtige Beschäfti-
gungsverhältnisse in Billigjobs umgewandelt wurden, das
haben wir zurückgedreht. Auch für Beschäftigte mit ge-
ringem Arbeitsumfang haben wir eine anständige soziale
Sicherung geschaffen.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Die eichelschen Steuereinnahmen steigen doch deshalb, weil die alle mehr zahlen müssen!)


Ein paar Worte noch zur Wirkung der Steuerreform auf
die Unternehmen, und zwar insbesondere mit Blick auf
Ostdeutschland. Bei aller Freude, die wir über die Zu-
nahme der Beschäftigung und den Rückgang der Arbeits-
losigkeit in Deutschland insgesamt empfinden, ist darauf
hinzuweisen, dass sich der auf dem Arbeitsmarkt festzu-
stellende Erholungsprozess bisher in Ostdeutschland
kaum gezeigt hat. Das liegt insbesondere daran, dass dort
nach wie vor die Produktivität der Betriebe geringer ist.
Die Lücke ist in vielen Bereichen geringer geworden.
Auch die ostdeutschen Unternehmen nehmen inzwi-
schen am Exportwachstum teil. Insgesamt aber bleibt
eine Lücke. Deswegen ist gerade unsere Steuerreform,
die die Inves-titionskraft der Unternehmen stärkt und die
den Gewinn, der im eigenen Unternehmen bleibt, steu-
erlich deutlich geringer belastet, eine wesentliche
Voraussetzung für den weiteren Erholungsprozess in
Ostdeutschland.

Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
weiß, dass Ihnen das nicht schmeckt, denn Sie konnten
solch gute Ergebnisse nie vorweisen. Das Herbstgutach-
ten der Institute ist eine volle Bestätigung unserer Politik.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412802700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussem-
pfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 14/4076.
Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer 1 seiner Beschluss-
empfehlung, den Jahreswirtschaftsbericht 2000 der Bun-
desregierung auf Drucksache 14/2611 zur Kenntnis zu
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
– Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Ziffer 2 seiner
Beschlussempfehlung, den Entschließungsantrag der Frak-
tion der PDS auf Drucksache 14/2721 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe!
– Enthaltungen? – Gegen die Stimmen der PDS ist diese
Beschlussempfehlung angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4377 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 sowie Zusatz-
punkt 15 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Guido Westerwelle, Günther Friedrich
Nolting, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes (Art. 12 a)

– Drucksache 14/1728 (neu)

(Erste Beratung 69. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses

(6. Ausschuss)

– Drucksache 14/4420 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Sabine Jünger
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 12 a)

– Drucksache 14/4380 –

(Erste Beratung 126. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses

(6. Ausschuss)

– Drucksache 14/4420 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Sabine Jünger




Jörg-Otto Spiller
12338


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich weise darauf hin, dass über den zuletzt genannten
Gesetzentwurf namentlich abgestimmt werden soll.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Auch
damit sind Sie einverstanden. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Anni Brandt-Elsweier, SPD-Fraktion.


Anni Brandt-Elsweier (SPD):
Rede ID: ID1412802800
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemer-
kenswert, was eine einzige Frau alles bewegen kann: Er-
innern wir uns an Tanja Kreil, die sich 1996 bei der
Bundeswehr für den Bereich „Instandsetzung von Waf-
fensystemen“ beworben hatte. Ihre Bewerbung wurde ab-
gelehnt mit dem Hinweis auf Art. 12 a Abs. 4 Satz 2 des
Grundgesetzes. Demzufolge war Frauen lediglich der Zu-
gang zum Sanitäts- und Militärmusikdienst offen. Ansons-
ten waren sie vom Dienst mit der Waffe, auch dem frei-
willigen, ausgeschlossen.

Der Europäische Gerichtshof stellte in seiner Entschei-
dung vom 11. Januar 2000 fest, dass dieser allgemeine
Ausschluss der Frauen vom Dienst mit der Waffe gegen
die europäische Gleichstellungsrichtlinie vom 9. Februar
1976 verstößt. Daran haben wir uns zu halten.

Der Verteidigungsminister hat bereits entsprechend
reagiert. Durch eine Änderung des Soldatengesetzes
und der Laufbahnverordnung ist es jetzt den Frauen mög-
lich, sich freiwillig für den Dienst mit der Waffe in der
Bundeswehr zu bewerben.

Nun gilt es noch zu klären, ob über diese einfachge-
setzliche Regelung hinaus auch eine Änderung des
Grundgesetzes erforderlich ist. Die F.D.P. ist dieser An-
sicht und hat bereits im Oktober 1999 einen Gesetzent-
wurf vorgelegt, der die Streichung des Satzes 2 in Art. 12 a
Abs. 4 des Grundgesetzes vorsieht. Der Wortlaut dieses
Satzes – „Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe
leisten.“ – begründete das generelle Verbot für Frauen,
Dienst an der Waffe zu leisten.

Es stellt sich hier jedoch nach wie vor die Frage: Wer
sind „sie“? Da diese Formulierung im Abs. 4 als Satz 2
steht, kann sie sich für den unbefangenen Betrachter ei-
gentlich nur auf Satz 1, also auf die dort erwähnten
zwangsverpflichteten Frauen im Verteidigungsfall, bezie-
hen.

Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des
Grundgesetzartikels zur Wehrpflicht der Männer ist die-
ses Waffendienstverbot aber lange Zeit auf alle Frauen
schlechthin bezogen worden. Zwischenzeitlich hat sich
das gesellschaftliche Bewusstsein gewandelt. Der Aus-
schluss von Frauen, die freiwillig Dienst mit der Waffe
leisten wollen, wird als Verstoß gegen die Gleichberech-
tigung von Mann und Frau angesehen. So haben schon
seit längerem namhafte Rechtsexperten diesem Artikel
eine frauenfreundliche Interpretation gegeben und ihm
nur noch das Waffendienstverbot für dienstverpflichtete
Frauen entnommen, nicht aber das Verbot des freiwilligen
Waffendienstes aller Frauen. Die Anhörung der Sachver-
ständigen am 23. Februar 2000 hat dies im Wesentlichen
bestätigt.

Auch die Entscheidung des Europäischen Gerichts-
hofs zwingt nicht zu einer Grundgesetzänderung. Euro-
parecht ist zweifelsfrei höherrangiges Recht und bei der
Auslegung des Art. 12 a GG entsprechend anzuwenden.
Bei Zugrundelegung der dargelegten Interpretation des
Art. 12 a GG wären die Anforderungen des EuGH erfüllt
gewesen. Die Neuauslegung entspräche auch viel eher ei-
nem unbefangenen Textverständnis als die bisherige enge
Auffassung. Die Verfassung würde also nicht missver-
ständlicher, wenn Art. 12 a GG unverändert bliebe, sodass
es meines Erachtens auch im Sinne einer Klarstellung kei-
ner Grundgesetzänderung bedarf.


(Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Da sind wir anderer Meinung!)


Dies war die Auffassung der Regierungskoalition und es
war auch meine Auffassung. Es war jedoch nicht die Auf-
fassung der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion; das ist
zuzugestehen.

Um ihre Ansicht durchzudrücken, verlangten die bei-
den Oppositionsfraktionen ein Koppelgeschäft mit Art. 16
GG.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben sich unserer besseren Argumentation gebeugt! Das war doch kein Koppelgeschäft!)


Bei der Änderung des Art. 16 GG geht es darum, dass
künftig unter bestimmten Voraussetzungen auch deutsche
Staatsbürger aus der Bundesrepublik ausgeliefert werden
können. Dies war lange Zeit vollkommen unstrittig, näm-
lich so lange, bis CDU/CSU und F.D.P. das Mittel der
Nötigung entdeckten


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wie können Sie das jetzt sagen? Aber Frau Kollegin! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


und ihre Zustimmung zur Änderung des Art. 16 davon ab-
hängig machten, dass die Koalitionsfraktionen einer Än-
derung von Art. 12 a zustimmen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sie erheben hier ja einen strafrechtlich relevanten Vorwurf!)


– Aber ohne Vorsatz, wie ich hoffe.
Dieses Junktim war und ist für mich nicht nachvoll-

ziehbar und wird dem Anliegen auch nicht gerecht. So
kann man meines Erachtens mit Verfassungsänderungen
nicht umgehen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Unser Grundgesetz ist eine allgemein gültige Rechtsnorm
und sollte nicht Gegenstand von Streitereien sein.

Der nach langem Ringen gefundene parteienübergrei-
fende Konsens sieht jetzt die folgende Neuformulierung
für Satz 2 vor:

Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe
verpflichtet werden.

Dieser Kompromiss ermöglicht zum einen den Frauen
den freiwilligen Zugang zur Bundeswehr in allen Berei-
chen und schließt zum anderen aus, dass Frauen einer




Vizepräsidentin Anke Fuchs

12339


(C)



(D)



(A)



(B)


Wehrpflicht unterliegen. Dies entspricht im Ergebnis si-
cherlich dem politischen Willen aller Fraktionen dieses
Hauses.

Im Sinne einer parteienübergreifenden Einigung stim-
men wir der gefundenen Formulierung zu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Margot von Renesse [SPD]: Aber ohne Euphorie!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412802900
Jetzt erteile ich Pro-
fessor Dr. Rupert Scholz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Dr. Rupert Scholz (CDU):
Rede ID: ID1412803000
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Brandt-
Elsweier, das Wort „Nötigung“, das Sie eben benutzt
haben – mir steht es nicht zu, die Präsidentin wegen Un-
terlassung zu kritisieren –, war eine schlichte Unver-
schämtheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es war auch wirklich unnötig, denn das Entscheidende ist:
Wir sind in diesem Hause in der Sache einig,


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Richtig! Das ist sehr erfreulich!)


dass der freiwillige Dienst von Frauen an der Waffe künf-
tig zu ermöglichen ist. Darüber besteht Einigkeit.

Einigkeit bestand – nun sehe ich: bei Ihnen immer noch
nicht – darüber nicht, ob dies einer Verfassungsänderung
bedarf. Ich finde es erstaunlich, dass Sie nun wieder die
Position vertreten haben, dass es keiner Verfassungsände-
rung bedürfe. Sie haben das Urteil des EuGH zitiert. Sie
vergessen aber, deutsche Gerichte zu zitieren. Sie verges-
sen, das Bundesverfassungsgericht und auch das Bundes-
verwaltungsgericht zu zitieren, das noch 1999 ganz klar-
gestellt hat, dass auch der freiwillige Dienst an der Waffe
für Frauen nach der geltenden Fassung des Art. 12 a Abs. 4
Satz 2 des GG ausgeschlossen ist. Das ist dann mit Recht
Staatspraxis geworden. Art. 12 a Abs. 4 Satz 2 war eine
Schutznorm für Frauen, auf der Grundlage trauriger Er-
fahrungen, die wir vor allem unter dem nationalsozialisti-
schen Regime gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ma-
chen mussten.

Das gesellschaftliche Bewusstsein in dieser Frage hat
sich in der Tat geändert. Ich denke, es hat sich mit Recht
geändert. Unsere Bundeswehr ist heute integraler Be-
standteil unserer Gesellschaft; der Bürger in Uniform ist
integraler Bestandteil unserer Gesellschaft. Das führt
dazu, dass auch die Bürgerin in Uniform berechtigter in-
tegraler Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft
sein muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist eine klare Ausgangssituation, die es nun recht-

lich umzusetzen gilt. Sie haben zunächst geglaubt, Sie
könnten das mit dem Federstrich des Gesetzgebers auf
einfachgesetzlicher Ebene über das Soldatengesetz ma-
chen. Damit wären Sie wiederum in einen massiven Ge-

gensatz vor allem zur höchstrichterlichen Rechtsprechung
geraten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Und zur Verfassung!)


Das Feld, um das es hier geht, ist sehr sensibel. Den-
ken Sie einmal an den Ernstfall, daran, wenn eine Frau
wirklich einmal in den Krieg muss. Das wünscht man nie-
mandem, weder einem jungen Mann noch einer jungen
Frau; aber das ist die Konsequenz. Da geht es um eine
Fürsorgepflicht, die nicht nur dieses Haus, sondern jeder-
mann hat. Wollen Sie eine Frau auf einer ungewissen
rechtlichen Grundlage in einen bewaffneten Einsatz
schicken?


(Margot von Renesse [SPD]: Das ist ja das Schlimmste!)


– Eben, das wäre das Schlimmste, Frau von Renesse.

(Margot von Renesse [SPD]: Hauptsache, eine rechtliche Grundlage!)

Deshalb bedarf es auch insoweit der Verfassungsände-
rung. Dabei handelt es sich um eine konstitutive Verfas-
sungsänderung. Es ist gut, dass wir diese im Ergebnis
heute gemeinsam vornehmen.

Über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in
dem Falle Tanja Kreil sollten wir nicht sonderlich streiten.
Man mag dieses Urteil begrüßen, man mag es kritisieren.
Eines steht auf jeden Fall fest: Dieses Urteil beinhaltet ei-
nen eindeutigen Kompetenzverstoß des Europäischen Ge-
richtshofs. Er hat sich unter Berufung auf die Gleichbe-
handlungsrichtlinie auf ein Entscheidungsfeld gewagt,
das nicht zu den Zuständigkeiten der Europäischen Union
gehört, nämlich das Feld der Sicherheitspolitik, der Streit-
kräftestrukturen. Das geht auch nicht über die Gleichbe-
handlungsrichtlinie.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Denken wir an unsere Debatte zur Europäischen Grund-

rechte-Charta zurück. Damals ist in diesem Haus einhel-
lig begrüßt worden, dass in Art. 49 der Europäischen
Grundrechte-Charta steht, dass diese nicht zur Begrün-
dung neuer Kompetenzen dienen darf. Die Gleichbe-
handlungsrichtlinie begründet letztlich den Gleichbe-
handlungsgrundsatz und damit ein Grundrecht. Der
Europäische Gerichtshof hat damit etwas getan – was
auch jetzt mit der Grundrechte-Charta bescheinigt wird –,
was nicht statthaft war. Also bildet auch dieses Urteil des
Europäischen Gerichtshofs für dieses schwierige und
– ich betone es noch einmal – sehr sensible Feld ganz ein-
deutig keine tragfähige Rechtsgrundlage.

Deshalb ist es nicht nur verfassungspolitisch richtig,
sondern auch verfassungsrechtlich richtig, dass Sie, die
Koalition, den Kurs aufgenommen haben, den wir und die
F.D.P. eingeschlagen haben, wobei ich ganz ausdrücklich
hervorheben möchte: Die F.D.P. hat bereits vor dem Ur-
teil des Europäischen Gerichtshofs eine entsprechende
Verfassungsänderungsinitiative eingebracht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Anni Brandt-Elsweier
12340


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte noch einmal zurückblicken. Das Thema der
Notwendigkeit und der Zweckmäßigkeit einer solchen
Verfassungsänderung, durch die den Frauen der freiwil-
lige Dienst an der Waffe ermöglicht wird, ist schon ziem-
lich lange in der Diskussion, gerade in der Union. Ich darf
an die viel zu früh verstorbene Kollegin Michaela
Geiger, frühere Parlamentarische Staatssekretärin im Ver-
teidigungsministerium und dann Vizepräsidentin des
Deutschen Bundestages, erinnern. Sie hat dieses Thema
schon damals mit großem Nachdruck und großer Über-
zeugungskraft vertreten. Auch das sollte man in einer sol-
chen Stunde nicht vergessen.

Die Stimmen und das Werben für diese Änderung sind
alt, aber heute ist der Tag, an dem dieses Thema nun in der
richtigen Form – mit einer entsprechenden Verfassungs-
änderung – abgeschlossen wird. Diese Verfassungsände-
rung ist im Konsens erreicht worden.

Noch einmal, Frau Brandt-Elsweier: Man sollte nicht
wie Sie mit Vokabeln arbeiten, mit denen man im Grunde
diesen Diskussionsprozess, den wir gemeinsam geführt
haben, diskreditiert. Das war bedauerlich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412803100
Ich erteile dem Kolle-
gen Volker Beck von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412803200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem
vorliegenden Entwurf stärken wir die Berufsfreiheit in
Deutschland. Wir beenden ein Stück Diskriminierung von
Frauen im Berufsleben und schaffen hierfür zugleich die
notwendige Rechtsklarheit und Rechtssicherheit in der
Verfassung.

Frauen werden künftig auf freiwilliger Basis in allen
Bereichen der Streitkräfte, auch an der Waffe, Dienst leis-
ten können. Die Verfassung jedenfalls legt ihnen ab dem
heutigen Tag keine Steine mehr in den Weg. Verfassungs-
rechtliche Bedenken, die es aufgrund einer unklaren
Rechtslage gab, werden mit dem vorliegenden Entwurf
ausgeräumt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Europäische Gerichts-

hof hat im Januar dieses Jahres im Fall der Anlagenelek-
tronikerin Tanja Kreil zu Recht gerügt, dass den Frauen in
Deutschland bislang bei der Bundeswehr nur der Zugang
zum Sanitäts- und Militärmusikdienst erlaubt ist. Dieser
Verstoß gegen die europäische Gleichbehandlungsricht-
linie gehört jetzt in Deutschland der Vergangenheit an.
Frauen werden künftig alle beruflichen Chancen und
Möglichkeiten bei der Bundeswehr haben. Die hierfür er-
forderlichen Änderungen im Soldatengesetz hat die Bun-
desregierung bereits auf den Weg gebracht.

Mit dieser Grundgesetzänderung erledigt sich endlich
der leidige Expertenstreit darüber, ob der bisherige Satz 2
des Art. 12 a Abs. 4 GG auch den freiwilligen Waffen-

dienst von Frauen mit verbietet. Eine Interpretation in
diesem Sinne, wie sie übrigens vom überwiegenden ju-
ristischen Schrifttum und auch vom Bundesverwaltungs-
gericht in ständiger Rechtsprechung geteilt wurde


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Genau so ist es!)

und wie es auch jahrzehntelang deutsche Staatspraxis in
diesem Bereich war,


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!)

wäre mit dem Judikat des Europäischen Gerichtshofs oh-
nehin nicht mehr zu vereinbaren gewesen. Jetzt aber wi-
derspricht sie eindeutig unserer Verfassung.

Meine Damen und Herren, ich habe mich von Anfang
an – wie auch meine Kollegin, die verteidigungspoliti-
sche Sprecherin aus unserer Fraktion – für eine solche
verfassungsrechtliche Klarstellung ausgesprochen und
gegen eine bloße gemeinschaftskonforme Auslegung des
Grundgesetzes. Die Rechtslage ist jetzt eindeutig und das
ist gut so. Es drohen keine Gerichtsurteile, die den Frei-
willigendienst von Frauen für verfassungswidrig er-
achten. Wir schaffen Rechtssicherheit, die wir den Bür-
gern – in diesem Fall, besser gesagt, den Bürgerinnen –
schuldig sind.

Diese Gesetzesänderung ist übrigens auch rechtspoli-
tisch vernünftig, so wie wir sie gemacht haben, denn ich
halte nichts von einer schleichenden Uminterpretation des
Grundgesetzes, nur weil es uns gerade opportun zu sein
scheint.


(Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!)


Beabsichtigt hatte der Gesetzgeber damals, dass
Frauen weder aufgrund freiwilliger Meldung noch auf-
grund gesetzlichen Zwanges zu einem Dienst mit der
Waffe herangezogen werden durften. Ich möchte Sie an
die Worte der damaligen Berichterstatterin erinnern – ich
zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus der 132. Sitzung
des Deutschen Bundestages der 2. Legislaturperiode vom
6. März 1956 –: Es komme darauf an, so hieß es damals,
dass mit programmatischem Nachdruck im Grundgesetz
ausgesprochen wird, dass unsere Auffassung von der Na-
tur und der Bestimmung der Frau einen Dienst mit der
Waffe verbietet. – Soweit das Zitat. Man merkt, seitdem
sind doch einige Dinge ins Land gegangen. Ich freue mich
darüber, dass diese heutige Grundgesetzänderung auf eine
breite, parteiübergreifende Zustimmung stößt.

Das war ja nicht immer so. Ich erinnere mich noch recht
gut daran, dass der Unionskollege im Rechtsausschuss,
Herr Scholz, seinerzeit noch die Auffassung vertrat – an-
näherungsweise hat er das heute ja wieder getan –, dass die
europäische Gleichbehandlungsrichtlinie auf den nationa-
len militärischen Bereich überhaupt keine Anwendung
findet. Das war damals ja nicht nur eine juristische Posi-
tion, sondern es war vom Kollegen Scholz eben auch in
der Sache nicht gewollt, zum letzten Mal nachzulesen in
der „FAZ“ vom 22. Juli 1999.

Meine Damen und Herren, die heutige Verfassungsän-
derung öffnet die Bundeswehr für die Frauen, sie führt




Dr. Rupert Scholz

12341


(C)



(D)



(A)



(B)


aber nicht zu einer Wehrpflicht der Frauen. Das sei noch
einmal an alle gesagt, die die Befürchtung haben, mit die-
ser Grundgesetzänderung verbänden sich auch ganz an-
dere Dinge und Möglichkeiten. Das ist auch gut so; denn
wir vom Bündnis 90/Die Grünen wollen keine Aus-
weitung der Zwangsdienste, sondern deren Abschaffung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich drängt sich jetzt die Frage auf, ob die beste-

hende einseitige Wehrpflicht für Männer verfassungs-
rechtlich noch zulässig und vernünftig ist. Italien hat in
dieser Woche eine nach meiner Überzeugung richtige
Entscheidung getroffen. Dort hat man die Armee für
Frauen geöffnet und sich zugleich von der Wehrpflicht für
Männer verabschiedet.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit verzichtet mittlerweile mehr als die Hälfte der
NATO-Staaten, einschließlich der USA, Großbritannien
und Frankreich, auf die zwangsweise Heranziehung jun-
ger Männer in Friedenszeiten.

Dieser konsequente Weg hin zu einer Berufsarmee
steht Deutschland noch bevor; das bestätigen die Zahlen
der Weizsäcker-Kommission. Die heute zu beschlie-
ßende Grundgesetzänderung kann somit auch als Anfang
und bereits als Bestandteil einer umfassenden Reform
der Bundeswehr angesehen werden.

Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss noch
einige Missverständnisse ausräumen, die es im Vorfeld
der heutigen Debatte in verschiedenen Fraktionen und
Ausschüssen gegeben hat. Es sei noch einmal betont, dass
die Klarstellung in Art. 12 a GG zu keinerlei Nachteilen
für die betroffenen Frauen führt. Sie schränkt lediglich
ein, dass Frauen, die im Kriegsfall zum Zwangsdienst he-
rangezogen werden, nicht zum Dienst mit Waffen ver-
pflichtet werden dürfen. Für diesen Fall bleibt das Ver-
pflichtungsverbot erhalten.

Das ist wichtig und richtig und macht auch den ent-
scheidenden Vorteil gegenüber dem Vorschlag der F.D.P.-
Fraktion aus, die diesen Satz ursprünglich einfach strei-
chen wollte. Dann aber hätte man sich fragen müssen:
Wollte der Gesetzgeber mit der Streichung des Satzes 2
zum Ausdruck bringen, dass man Frauen im Rahmen der
Zwangsdienste auch zum Waffendienst verpflichten darf
oder nicht? Wir haben jetzt eine viel saubere und rechts-
klarere Lösung gefunden.

Für Frauen, die sich freiwillig in den Dienst der Bun-
deswehr begeben, hat diese Grundgesetzänderung keine
weitere, die Praxis einschränkende Bedeutung; denn für
sie ist allein ihr Dienstvertrag maßgeblich. Um es einfach
zu formulieren: Wer sich selber verpflichtet hat, kann
nicht mehr verpflichtet werden, weil er bereits verpflich-
tet ist.

Einstellungen und Beförderungen werden sich künftig
ausschließlich nach dem beamtenrechtlichen Leistungs-
prinzip in Art. 33 Abs. 2 GG, der persönlichen Eignung
und Qualifikation, richten. Nur für Frauen, die aufgrund
der in Art. 12 a Abs. 4 Satz 1 GG skizzierten Notlage zum
Dienst herangezogen werden, gilt das Verbot. Wir leisten

den Frauen und der Rechtsklarheit einen guten Dienst,
wenn wir diese Grundgesetzänderung heute einvernehm-
lich beschließen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412803300
Als Nächster hat der
Kollege Jörg van Essen, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1412803400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P.-Bundestagsfrak-
tion freut sich heute in besonderem Maße; denn wir wa-
ren die erste Partei, die sich dafür ausgesprochen hat, den
Frauen den gleichberechtigten Zugang zur Bundeswehr
zu ermöglichen.


(Beifall bei der F.D.P. – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Das muss man neidlos anerkennen!)


Wir waren auch die erste und einzige Fraktion, die einen
entsprechenden Antrag dazu in den Bundestag einge-
bracht hat.

In dieser Debatte war schon die Rede davon, dass man-
ches konservatives Vorurteil zu überwinden war. Aber
auch die andere Seite musste sich bewegen. Ich kann mich
noch daran erinnern, dass vor wenigen Jahren die vertei-
digungspolitische Sprecherin der Grünen ganz heftig ge-
gen das Anliegen der F.D.P. polemisiert hat, indem sie
sagte: Wenn der Dienst der Bundeswehr für die Frauen
geöffnet wird, dann kommt es zu einer Militarisierung der
Gesellschaft. – Ich bin froh, dass wir heute weiter sind.


(Beifall bei der F.D.P.)

Heute ist ein Tag, auf den nicht nur die Frauen, sondern

wir alle stolz sein können; denn heute fällt das letzte ge-
schlechtsspezifische Berufsverbot in der Verfassung. Ich
denke, dies ist gut so.

Sie wissen, dass ich hier nicht nur als Berichterstatter
der F.D.P.-Bundestagsfraktion spreche. Wir haben immer
die Notwendigkeit gesehen, dass es hier zu einer Verfas-
sungsänderung kommen muss. Die Verfassung muss klar
sein. Der bisherige Satz „Sie dürfen auf keinen Fall Dienst
mit der Waffe leisten“ war klar und eindeutig. Es musste
hier eine Änderung erfolgen, um sicherzustellen, dass der
Dienst der Frauen in der Bundeswehr eine eindeutige und
klare verfassungsrechtliche Grundlage hat. Das war übri-
gens auch das Ergebnis der Anhörung. Die meisten
Sachverständigen haben uns dringend geraten, eine sol-
che Verfassungsänderung vorzunehmen.

Viele wissen, dass ich regelmäßig Dienst in der Bun-
deswehr tue.


(Beifall des Abg. Dr. Hans Peter Bartels [SPD])


Als Brigadekommandeur, der ich dann bin, bin ich damit
häufig auch Vorgesetzter von vielen Frauen. Mir ist immer
wieder begegnet, dass junge Frauen in der Bundeswehr
zum Beispiel gesagt haben: Ich möchte Panzerkomman-
dantin, ich möchte Zugführerin eines Panzergrenadier-




Volker Beck (Köln)

12342


(C)



(D)



(A)



(B)


zugs sein. Nur weil ich Soldat sein wollte, bin ich in die
Sanitätstruppe eingetreten.

Es ist gut, dass diese Frauen ihrem Berufswunsch jetzt
auch Folge leisten können.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Christina Schenk [PDS])


Deshalb sagt die F.D.P.-Bundestagsfraktion ein klares Ja
zu dieser Verfassungsänderung.

Wir teilen übrigens nicht die Kritik, die der Kollege
Professor Scholz gegen das Urteil auf der europäischen
Ebene vorgebracht hat. Wir sind der Auffassung, dass die
Befugnis dazu durchaus bestand. Aber wir hätten uns ge-
wünscht, dass es einen Änderungsantrag zu dem ursprüng-
lichen F.D.P.-Antrag gegeben hätte. Das hätte nämlich
deutlich gemacht, dass wir uns nicht dem Urteil des euro-
päischen Gerichts beugen, sondern aus eigener Initiative
zu einer neuen Bewertung gekommen sind.

Es sind leider die Grünen gewesen, die uns dazu ge-
zwungen haben. Das war das kleinste politische Karo, das
wir nach vielen Verhandlungen erreicht haben. Ich denke,
das war dieser Sache nicht angemessen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Frau Kollegin Brandt-Elsweier, ich bin eigentlich trau-

rig, dass Sie hier den Begriff „Nötigung“ verwandt haben.
Denn der Sprecher der Grünen hat ja deutlich gemacht,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir lassen uns nicht nötigen!)


dass es auch Auffassung der Grünen war, dass man zu ei-
ner Verfassungsänderung kommen musste. Wenn auch Ihr
Koalitionspartner das wollte, macht bereits das deutlich,
dass hier keine Nötigung stattfinden konnte. Deshalb soll-
ten wir hier nicht solche Töne anschlagen,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

sondern uns darüber freuen, dass wir gemeinsam für die
Frauen in unserem Land ein Stück vorangekommen sind.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412803500
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Petra Bläss, PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412803600
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Nach dem Urteil des Europäischen Ge-
richtshof vom Januar dieses Jahres geht es in der politi-
schen Debatte längst nicht mehr um ein Pro und Kontra
Frauen in die Bundeswehr. Eine Vielzahl gutachterlicher
Interpretationen und die Debatte infolge des Urteils-
spruchs haben gezeigt, dass die Umsetzung des Urteils,
das heißt die Ermöglichung des Zugangs von Frauen zur
Bundeswehr, eigentlich keine Grundgesetzänderung er-
forderlich macht. Die Diskussionen in dieser Woche auf
Fraktions- und Ausschussebene haben aber deutlich ge-
macht, wie kompliziert die Materie dennoch ist.

Fakt ist, dass die heute zur Abstimmung stehende Ver-
fassungsänderung lediglich festschreiben wird, dass
Frauen im Verteidigungsfall nicht zum Dienst an der
Waffe verpflichtet werden können. Dagegen ist nichts zu
sagen. Deshalb werden die Abgeordneten der PDS auch
nicht gegen die Verfassungsänderung stimmen.

Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige De-
batte und Abstimmung findet nicht im luftleeren Raum
statt. Sie ist in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext
eingebettet. Der Weg für Frauen in die kämpfenden Ein-
heiten der Bundeswehr ist nun frei. Daran führt kein Weg
vorbei. Das ist unsere gemeinsame Geschäftsgrundlage.

Doch stellt sich die Frage, ob wir damit der Emanzi-
pation von Frauen tatsächlich näher kommen. Schreitet
die Militarisierung der Gesellschaft voran, wenn jetzt
auch Frauen kämpfende Soldatinnen werden? Diese Fra-
gen werden auch in meiner Fraktion durchaus kontrovers
diskutiert.

Die PDS ist eine Antikriegspartei, die sich für eine
grundlegende Reform der Bundeswehr ausspricht. Wir
fordern, die Bundeswehr auf ihre defensive Aufgabe der
Landesverteidigung zu beschränken und den Personal-
bestand auf 100 000 zu reduzieren. Wir wollen die
Wehrpflicht abschaffen und eine Freiwilligenarmee. Ein
entsprechender Antrag liegt in den Ausschüssen zur
Beratung vor.

Aus friedenspolitischen Gründen müssten wir diese
Verfassungsänderung eigentlich ablehnen,


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

denn sie führt weder zur Abschaffung der Wehrpflicht
noch zu einer Reduzierung der Bundeswehr. Im Gegen-
teil: Die Rekrutierungsbasis wird eher erweitert.

Für die PDS ist aber gleichzeitig die Gleichstellung
von Frauen und Männern ein zentrales politisches Ziel.
Wir wollen Frauen, die für sich die Entscheidung für die
Bundeswehr getroffen haben, den Zugang nicht verweh-
ren und sie nicht bevormunden. Die Mehrheit der PDS-
Fraktion wird sich deshalb bei der heutigen Abstimmung
der Stimme enthalten.

Ich will das auch aus feministischer Sicht begründen.
Ob die Öffnung des Waffendienstes in der Bundeswehr
für Frauen deren gesellschaftliche Diskriminierung ver-
ringert, bleibt mehr als zweifelhaft. Frauen haben bisher
formal den freien Zugang zu allen anderen Berufsfeldern.
Dennoch wird niemand ernsthaft behaupten wollen, sie
würden dort nicht diskriminiert. Allein die einschlägigen
Zahlen sprechen Bände. Formale Gleichstellung, liebe
Kolleginnen und Kollegen, schafft noch keine Gleichbe-
rechtigung. Es gibt einen Unterschied zwischen emanzi-
patorischer Politik, die auf größtmögliche Freiheitsrechte
aller Menschen zielt, und formaler Gleichstellungspolitik.
Feministischer Politik geht es darum, die Bürgerinnen-
und Bürgerrechte sowie die Freiheitsrechte jeder und je-
des Einzelnen zu stärken.

Für den Bereich der internationalen Beziehungen und
für die Verteidigungspolitik heißt das, neue Wege zu fin-
den, zum Beispiel durch den Auf- und Ausbau ziviler




Jörg van Essen

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(C)



(D)



(A)



(B)


Kräfte, die bei gewalttätigen innerstaatlichen oder inter-
nationalen Konflikten zur Regulierung eingesetzt werden.
Das können Einheiten mit Polizeicharakter sein, die not-
falls – auch unter Einsatz von Waffen zum Selbstschutz –
den Boden für eine Konfliktregulierung bereiten. Das
können zivile Friedenskräfte sein, die bereits vor Aus-
bruch gewalttätiger Konfliktsituationen versuchen, diese
zu entschärfen und zu regulieren.

Wenn nun sämtliche Laufbahnen der Bundeswehr für
Frauen geöffnet werden, dann brauchen wir in der Kon-
sequenz allerdings auch schnell verbindliche Frauenför-
derpläne für die Bundeswehr und einen effizienten Schutz
von Soldatinnen vor sexueller Belästigung. Wir sollten
hier die Erfahrungen von Frauen in Armeen anderer Län-
der berücksichtigen. Vor allem aber müssen wir das
Thema Wehrpflicht angehen. In einer für alle offenen
Bundeswehr nur die Männer zur Wehrpflicht heranzu-
ziehen, widerspricht gleichstellungspolitischen Prinzi-
pien. Deshalb muss die Wehrpflicht insgesamt weg. Wir
werden dazu in Kürze eine parlamentarische Initiative
starten.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412803700
Jetzt erteile ich dem
Kollegen Hans Peter Bartels, SPD-Fraktion, das Wort.


Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1412803800
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wir haben heute ein Jubiläum
zu feiern: Vor 25 Jahren, im Herbst 1975, wurden die ers-
ten Soldatinnen der Bundeswehr eingestellt, zunächst als
Ärztinnen, Zahnärztinnen, Apothekerinnen und Vete-
rinärmedizinerinnen im Offiziersrang, seit 1991 auch als
Unteroffiziere und Mannschaften im Sanitäts- und Mi-
litärmusikdienst.

Zurzeit dienen etwas 4 700 Frauen in unseren Streit-
kräften. Hinzu kommen rund 50 000 Frauen, die zivil in
der Bundeswehrverwaltung arbeiten; das sind mehr als
ein Drittel der Zivilbeschäftigten. Auch von den
5 000 jungen Leuten, die dort jährlich eine Ausbildung
absolvieren, sind mehr als ein Drittel weiblich. 200 Frau-
enbeauftragte sehen in allen Bereichen der Bundeswehr
nach dem Rechten. Frauen und Bundeswehr – das ist also
kein ganz neues Thema. Die Bundeswehr ist kein reiner
Männerverein, schon heute kein unberührtes Reservat des
Patriarchats mehr. Das ist gut so.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes
vom 11. Januar 2000 werden nun ab Januar bzw. Juli 2001
die ersten Einstellungen von weiblichen Unteroffizieren,
Mannschaften und Offiziersanwärtern in allen Laufbah-
nen vorgenommen. Einschränkungen soll es nicht geben.
Auch KSK-Kämpferinnen, Fallschirmjägerinnen, Fern-
späherinnen und Kampfschwimmerinnen sind möglich.
Franziska van Almsicks Karriere muss noch nicht vorbei
sein.

Die Bewerberlage ist gut. Relativ bestehen mehr
Frauen als Männer die Eignungstests. Das muss einen gar
nicht wundern, denn inzwischen machen in Deutschland
auch mehr Mädchen als Jungen Abitur. Die Bundeswehr
wird davon profitieren. Mittelfristig rechnet das Verteidi-

gungsministerium mit einem Frauenanteil von 7 bis
10 Prozent am gesamten Bewerberaufkommen. Der Frau-
enanteil in den Streitkräften dürfte so langfristig auf die
10 Prozent zugehen. Damit liegen wir international im
oberen Feld.

Es ist übrigens interessant, welche militärischen Tätig-
keitsbereiche bei den Bewerberinnen besonders beliebt
sind: Das sind der Stabsdienst und der fliegerische Dienst.
Wenn alles gut geht, dann kann in 30 Jahren der Inspek-
teur der Luftwaffe eine Frau sein. Vorher gibt es vielleicht
eine Inspekteurin des Sanitätswesens oder eine Verteidi-
gungsministerin. Die Bundeswehr wird gewiss nicht die
Vorhut der Gleichstellung sein; aber sie geht mit der Zeit.

Wir wollen keine Quoten in der Bundeswehr. Es bleibt
bei Einstellungen, Verwendungen und Beförderungen
nach Eignung, Befähigung und Leistung. Es wird keine
gesonderten weiblichen Dienstgradbezeichnungen geben.


(Beifall der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])

Gleichbehandlung mit männlichen Kameraden im tägli-
chen Dienst muss die Leitlinie sein. Frauen werden, wie
schon jetzt die Soldatinnen des Sanitätsdienstes, an
Einsätzen der Bundeswehr im Ausland beteiligt sein, mit
allen Risiken und Gefahren.

In diesen Einsätzen können übrigens Fähigkeiten eine
Rolle spielen, die Frauen zusätzlich in die Bundeswehr
einbringen. Es kann durchaus konfliktdämpfend wirken,
wenn in einem muslimischem Umfeld beispielsweise Si-
cherheitskontrollen an Frauen nicht von männlichen, son-
dern von weiblichen Soldaten durchgeführt werden. An-
gesichts der Fülle von quasistaatlichen Funktionen, die
unsere Kontingente in den Friedenstruppen zu erfüllen
haben, böte das Zusammenwirken von Männern und
Frauen auch ein staatsbürgerliches Vorbild. Kurz: Die
Bundeswehr muss heute auf andere Einsätze als vor zehn
Jahren eingestellt sein. Dazu braucht sie zum Teil andere
Fähigkeiten. Frauen bringen solche anderen Fähigkeiten
mit.

Natürlich wird es nicht nur Gleichstellungsjubel, son-
dern auch Probleme geben, wenn künftig in allen Einhei-
ten der Streitkräfte Frauen dienen werden. Frauen werden
auf sehr lange Sicht in der Bundeswehr in der Minderheit
sein. Die weibliche Minderheit in einem männerdomi-
nierten Umfeld sollte deshalb nie zu klein werden. Es soll-
ten in einer Einheit besser vier oder fünf Soldatinnen als
eine einzelne sein.


(Beifall der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])

Soldatinnen werden alle Benachteiligungen, denen

Frauen in der Gesellschaft heute ausgesetzt sind, auch in
der Bundeswehr sichtbar machen. Der Beruf des Soldaten
und der Soldatin ist kein Beruf wie jeder andere; aber die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in jedem Beruf
ein Thema. Übrigens heißt das Thema nicht nur „Frau und
Beruf“, sondern genauso „Mann und Beruf“. Wir brau-
chen keine in besonderer Weise frauenfreundliche,
„durchfeminisierte“ Bundeswehr; vielmehr müssen wir
alles tun, damit unsere Gesellschaft familienfreundlicher
wird, sodass jeder Beruf für Frauen und Männer besser
mit dem Familienleben, das wir alle wollen, zu vereinba-
ren ist.




Petra Bläss
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(C)



(D)



(A)



(B)


Dies können wir allerdings nicht durch eine Grundge-
setzänderung erreichen. Dazu muss sich viel mehr ändern.
Die heutige Debatte ist auch ein Anlass, daran zu erinnern.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412803900
Ich erteile nun der
Kollegin Irmgard Karwatzki, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.


Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1412804000
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter anderem der Mut
einer jungen Frau, Tanja Kreil, hat uns die heutige Debatte
beschert. Tanja Kreil hatte den Mut, vor den Europäischen
Gerichtshof zu gehen und die Klage in Bezug auf Gleich-
berechtigung von Frauen in der bisherigen Männer-
domäne Bundeswehr einzureichen.


(Beifall der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])

Die Möglichkeit, Frauen in allen Bereichen der Streit-

kräfte einzusetzen, wird in unserer Gesellschaft nach wie
vor kontrovers diskutiert. Frauen fürchten, Lückenbüßer
zu sein. Andere halten die Frau für die Rolle eines Solda-
ten für völlig ungeeignet. Manche Kritiker fürchten gar,
die Kampfkraft der Bundeswehr werde durch den Einsatz
von Frauen eingeschränkt. Sie vertreten die Auffassung,
bei einer Abwägung von Vor- und Nachteilen überwögen
die Nachteile. Ich gebe zu: Vor einigen Jahren war auch
ich dieser Meinung.

Insgesamt ist die gesellschaftliche Akzeptanz der
weiteren Öffnung der Streitkräfte für Frauen inzwischen
aber groß. Die Auffassung, dass Frauen ein Dienst an der
Waffe nicht zugemutet werden kann, hat mit der Realität
wenig zu tun. Viele von ihnen wollen den Sonderstatus,
den ihnen das Grundgesetz eingeräumt hat, nicht mehr.
Das Bild von Polizistinnen und Bundesgrenzschutzbeam-
tinnen, die Waffen tragen und auch zum eigenen Schutz
benutzen, ist für uns zu einer Selbstverständlichkeit ge-
worden.

Eben hat ein Kollege bereits gesagt – ich glaube, es war
Herr van Essen –, wir könnten eine große Gruppe nicht
etwa im Wege eines Berufsverbotes von vielen Tätigkei-
ten ausschließen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich denke hier an die technisch anspruchsvollen Tätigkei-
ten, die die Bundeswehr bietet. Auch dürfen wir nicht
außer Acht lassen, dass die Bundeswehr attraktive Aus-
bildungsplätze stellt, zu denen Frauen bisher keinen Zu-
gang hatten.


(Beifall der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])

Wichtig ist mir auch der Aspekt, dass es den Frauen nicht
nur um eine gute Karriere in der Bundeswehr, sondern
auch um eine verantwortungsvolle Aufgabe geht, nämlich
die Sicherheit unseres Landes zu gewährleisten.

Liebe Kollegen, ich weiß es zu schätzen, dass in den
Männern der „Beschützerinstinkt“ bei der Vorstellung er-

wacht, Frauen könnten im Rahmen von Kampfhandlun-
gen gefangen genommen, vergewaltigt, misshandelt oder
sogar ermordet werden.


(Margot von Renesse [SPD]: Das können sie als Zivilistinnen auch!)


– Der Zwischenruf der Kollegin von Renesse ist richtig:
„Das können sie als Zivilistinnen auch.“ Aber wir behan-
deln hier einen ganz speziellen Bereich. – Ich möchte hin-
zufügen: Trotz allem wissen Frauen, die diesen Dienst
freiwillig leisten, dass sie beim Dienst an der Waffe ein
besonderes Risiko eingehen. Im Übrigen gilt dies auch für
Männer. Frauen und Männer sind im Kampfeinsatz glei-
chermaßen betroffen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Eines möchte ich hier nachdrücklich sagen: Eine

Wehrpflicht für Frauen darf es nicht geben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frauen haben in Sachen Dienst an der Gesellschaft keinen
Nachholbedarf. Sie leisten ihre Arbeit in der Familie, bei
der Kindererziehung und im Ehrenamt, um nur einige
Aspekte zu nennen.

Bisher stand das Grundgesetz dem Dienst von Frauen
an der Waffe entgegen. Nach langen und eingehenden
Diskussionen haben wir heute die Möglichkeit, darüber
zu entscheiden. Der Gesetzgeber sorgt mit dieser Ent-
scheidung für eine klare verfassungsrechtliche Grund-
lage. Wir sind uns einig – auch dies möchte ich an dieser
Stelle noch einmal ausdrücklich festhalten –, dass durch
diese Grundgesetzänderung Frauen der freiwillige Dienst
in den Streitkräften und damit auch an der Waffe ermög-
licht wird. Nicht gewollt ist aber erstens, dass Frauen auch
Wehrdienst leisten müssen, und zweitens, dass etwa das
gesamte System der Wehrpflicht infrage gestellt wird.
Dies wollen wir nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es stellt sich nun die Frage: Was ändert sich dadurch
konkret für die Frauen? Es ist schon ausgeführt worden,
dass Frauen bisher nur im Sanitätsdienst und beim Mi-
litärmusikdienst arbeiten konnten. Zukünftig sind die
Streitkräfte in ihrer ganzen Vielfalt für den freiwilligen
Dienst von Frauen geöffnet. Alle Laufbahngruppen,
Laufbahnen und Tätigkeitsbereiche stehen ihnen offen.
Das heißt, dass sie in der Bundeswehr ab 2001 in allen
militärischen Laufbahnen, auch in jenen, die bisher als
ureigene Männerdomänen galten – Kampfjetpilot, Fall-
schirmjäger und Kampfschwimmer –, Dienst leisten.

Es ist für mich außerordentlich wichtig zu erfahren, ob
das Bundesverteidigungsministerium überhaupt in der
Lage ist, den Frauen, die ab dem 1. Januar 2001 in der
Bundeswehr den Dienst leisten wollen, entsprechend
ihren Wünschen Plätze anzubieten.

Ich will einen weiteren Punkt anmerken. Auch wenn
die Dienstleistung von Frauen in den Streitkräften gesell-
schaftlich zunehmend auf Akzeptanz stößt und die Frauen
rechtlich dieselben Karrierechancen wie Männer haben,




Dr. Hans Peter Bartels

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(C)



(D)



(A)



(B)


so sieht die Praxis dennoch anders aus. Das hängt damit
zusammen, dass Frauen in vielen Armeen von Kampf-
funktionen und Kampfeinsätzen fern gehalten werden.
Sie üben eher die weniger prestigeträchtigen und damit
karrierefeindlichen „Zuliefererjobs“ aus. Ein Problem ist
dabei aber sicherlich auch die Tatsache, dass in der männ-
lich dominierten Welt des Militärs die Anerkennung von
weiblichen Vorgesetzten und Truppenführern schwer
fällt.

Lassen Sie mich abschließend anmerken: Ich hoffe,
dass die Auffassung der Frauenbeauftragten des Bundes-
ministeriums der Verteidigung, die gesagt hat – ich zitiere
sie gerne –: „Frauen von heute treffen auf Männer von
gestern“, bald überholt sein wird. Ich persönlich bin sehr
gespannt, wie sich unsere heutige Entscheidung auf die
Perspektive von Frauen in der Bundeswehr und in unse-
rer Gesellschaft auswirken wird.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412804100
Jetzt hat die Kollegin
Margot von Renesse, SPD-Fraktion, das Wort.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1412804200
Sehr verehrte Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Drei Jahre meines
Lebens war ich Schülerin eines katholischen Mädchen-
gymnasiums in Münster, das sich den Namen der Annette
von Droste-Hülshoff zugelegt hat. Da wir von ihr viele
Gedichte gelernt haben, ist mir bekannt – ich teile es Ih-
nen hier wahrscheinlich zu Ihrer Überraschung mit –, dass
Annette eine Vorkämpferin von Tanja Kreil und des
EuGH war.

Ich habe von ihr ein Gedicht gelernt, dessen letzte Stro-
phe ich Ihnen teilweise zitieren möchte. Sie müssen sich
ein katholisches, unverheiratetes, ältliches Fräulein in
Westfalen vorstellen, das mit einer Schwester auf der
Meersburg lebt. Sie schaut aus ihrem Zimmer oben im
Turm auf den See und sehnt sich nach Freiheit. Die letzte
Strophe lautet wie folgt:

Wär’ ich ein Jäger auf freier Flur,
Ein Stück nur von einem Soldaten,
Wär’ ich ein Mann doch mindestens nur,
So würde der Himmel mir raten;
Nun muss ich sitzen so fein und klar,
Gleich einem artigen Kinde, ...

Das war es, was Tanja Kreil und was den EuGH bewegt
hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das war das Motiv: das Eingeschnürtsein, das das bie-
dermeierliche Fräulein am eigenen Leibe massiv erfahren
musste und das Tanja Kreil von einem heiß ersehnten
Hightech-Beruf ausschloss, nur weil sie weiblichen Ge-
schlechts war.

Aber der Beruf des Soldaten, wie ihn sich die Annette
oben auf der Meersburg ersehnt hat, schien nur Freiheit zu

sein. Er war damals die einzige Möglichkeit; für Tanja
Kreil ist das schon nicht mehr so. Hightech-Berufe stehen
Frauen heute Gott sei Dank offen. Wo es noch Hindernisse
gibt, sprechen Gerichte und Gesetze – Gott sei Dank!

Wer sich als Frau den Soldatenberuf erwünscht, als ein
Stück Freiheit, als „ein Stück nur von einem Soldaten“,
verkennt die ganz wichtige Beziehung dieses Berufs zur
Umwelt. Es ist kein Beruf wie der des Schreiners, des Arz-
tes, des Lehrers, des Fleischers oder was weiß ich, son-
dern ein Beruf, dem eine Gewissensentscheidung zu-
grunde liegt. Es ist ein Beruf, der den Kombattantenstatus
nach sich zieht, das heißt, die Erlaubnis oder sogar den
Befehl zum Töten oder Sich-töten-Lassen.

Das bedeutet mehr als alles andere – Frau Karwatzki
hat es angedeutet –: Er schließt eine ganz besondere Ver-
antwortung für sich und andere ein. Auf einer Komman-
deurstagung haben mir einmal die Offiziere, mit denen ich
dort zu tun hatte, samt und sonders erklärt: Gewissen ist
etwas für den Wehrdienstverweigerer; es steht so im Ge-
setz. Die Bundeswehr ist die Normalität, da wird das Ge-
wissen an den Gesetzgeber abgegeben. Der Gesetzgeber
ist das Gewissen.

Nein, es ist anders: Der Kombattantenstatus, wie wir
ihn aus den Kriegsrechtsordnungen kennen, ist immer
auch mit einer Gewissensentscheidung verbunden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Herr Bartels hat es ganz deutlich gemacht: Gerade die
Einsätze in der heutigen Zeit, mit denen die Bundeswehr
ernsthaft zu rechnen hat, verlangen mehr als den High-
tech-Könner, als den Technikfreak und allemal mehr als
den Rambo oder den Macho. Sie verlangen einen Men-
schen, der mit sich und anderen verantwortlich umgeht –
mit den eigenen Leuten und mit denen, denen man ge-
genübersteht und für die man ein Stück Staat, ein Stück
Rechtsstaat, ein Stück freiheitliche Demokratie repräsen-
tiert.

Wenn Frauen hier mitmachen wollen, so werden sie
durch nichts daran gehindert;


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

aber sie sollten es genauso wenig wie Männer nach dem
Motto „Herausforderung Bundeswehr“ tun, mit dem die
Bundeswehr manchmal wirbt. Freiheit, Abenteuer und
Technik werden versprochen. Aber das ist keine gute Wer-
bung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Bundeswehr ist nicht das Dorado der Abenteurer,
schon gar nicht bei Einsätzen im Kosovo oder in Osttimor.
Sie ist vielmehr der Ort, an dem sich freiheitliche Demo-
kratie, Verantwortung und Rechtsstaat zu bewähren ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Irmgard Karwatzk
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn Frauen dazu beitragen, umso besser. Wir kennen
dies von der Polizei, zu der Frauen zwar spät Zugang er-
hielten, in der sie aber schließlich doch sehr stark reprä-
sentiert sind. Die Frauen haben die Polizei verändert. Ich
möchte nicht, dass die Bundeswehr die Frauen verändert,
bin aber sehr zufrieden, wenn die Frauen die Bundeswehr
verändern.

Danke!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412804300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Zur Abstimmung lie-
gen mir nach § 31 der Geschäftsordnung Erklärungen der
Kollegen Martin Hohmann1) und René Röspel2) sowie
mehrere Erklärungen von Kolleginnen und Kollegen der
PDS3) vor. Weiter liegen mir Erklärungen von Dr. Antje
Vollmer, Steffi Lemke und Franziska Eichstädt-Bohlig4)
vor.

Die Kollegin Christina Schenk möchte eine mündliche
Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben.

Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen darauf hin-
weisen, dass wir noch zwei namentliche Abstimmungen
haben werden.

Aber zunächst hat die Kollegin Christina Schenk das
Wort.


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1412804400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich werde – im Unterschied zur
Mehrheit der PDS-Bundestagsfraktion – dem Gesetzent-
wurf zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 12 a, zustim-
men.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das die
Aufhebung des Ausschlusses von Frauen vom freiwilli-
gen Dienst an Waffen in der Bundeswehr erforderlich
macht, habe ich sehr begrüßt. Ich bin der Auffassung, dass
niemand wegen seines Geschlechts von Rechten ausge-
schlossen werden darf, die andere Menschen haben. Das
bisherige Verbot für Frauen, in der Bundeswehr an Waf-
fen Dienst zu tun – auch in Kampfverbänden –, ist eine
klare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Die
gleiche Rechtsstellung von Frauen und Männern im Ge-
setz ist für mich eine der unabdingbaren Voraussetzungen
für die Abwesenheit von Diskriminierung.

Wird dieser Grundsatz – aus welchen Gründen auch
immer – zur Disposition gestellt, ist dies aus meiner Sicht
das Eingeständnis, dass man letztlich willkürliche Aus-
schlüsse oder Einschlüsse – Diskriminierungen also –
beibehalten will bzw. zumindest in Kauf zu nehmen bereit
ist. Insofern scheint mir die Haltung zu der Frage, ob

Frauen nunmehr Zugang zum freiwilligen Dienst in der
Armee unter alleiniger Berücksichtigung von Eignung,
Leistung und Befähigung bekommen sollen, im Zusam-
menhang mit dem Demokratieverständnis zu stehen.
Denn ohne konsequente Achtung des Prinzips „Gleichheit
im Recht“ sind für mich demokratische Verhältnisse nicht
vorstellbar.

Daher begrüße ich – ungeachtet meiner ablehnenden
Haltung zum Denken in militärischen Optionen und Ka-
tegorien im Allgemeinen und zur Bundeswehr und ihrem
in verteidigungspolitischen Richtlinien definierten Auf-
trag im Besonderen – alle Bemühungen, die rechtlichen
Rahmenbedingungen für einen freiwilligen Zugang von
Frauen zur Bundeswehr klarzustellen. Ich wünschte mir,
es gäbe keine Armeen, aber solange es sie gibt, muss der
Zugang unabhängig vom Geschlecht, von der Hautfarbe,
der sexuellen Orientierung oder der Religionszuge-
hörigkeit möglich sein.

Ich begrüße es, dass es zu einer Klarstellung im
Grundgesetz kommt. Es täte der Autorität des Grundge-
setzes nicht gut, nachdem mehr als 50 Jahre lang der letzte
Satz des Art. 12 a Abs. 4 Grundgesetz dergestalt interpre-
tiert wurde, dass der Dienst von Frauen an Waffen ausge-
schlossen ist, nun einfach erklären zu wollen, man hätte
sich auf eine neue Interpretation verständigt.

Ich bin weiterhin der Meinung, dass auch künftig aus-
geschlossen bleiben muss, dass Frauen, die im Verteidi-
gungsfall nach Art. 12 a Abs. 4 Grundgesetz dienstver-
pflichtet werden können, zum Dienst an Waffen
gezwungen werden. Dies wird durch die hier vorgeschla-
gene Änderung des Art. 12 a Abs. 4 Grundgesetz verdeut-
licht. Ich stimme ihr daher zu.

Zum Abschluss möchte ich noch darauf hinweisen,
dass mit dem freiwilligen Zugang von Frauen zur Bun-
deswehr die Ungleichbehandlung von Frauen und Män-
nern zwar verringert, nicht aber aufgehoben ist. Wollte
man hier Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz Rechnung tragen,
kann es nur eine Konsequenz geben: die Abschaffung der
Wehrpflicht. Dies steht für mich jetzt auf der Tagesord-
nung. In diesem Punkt bin ich mit meiner Fraktion wieder
einer Meinung.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412804500
Nun kommen wir zur
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P.
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Art. 12 a des Grundgesetzes, Drucksache 14/4380. Der
Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4420 unter
Buchstabe a, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen ange-
nommen.




Margot von Renesse

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 22) Anlage 33) Anlage 44) Anlage 5

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach
Art. 79 des Grundgesetzes für ein Gesetz zur Änderung
des Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der
Mitglieder des Bundestages, das heißt, mindestens
446 Stimmen, erforderlich ist. Es ist namentliche Abstim-
mung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. –
Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die
Abstimmung. –

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.1)

Wir setzen die Beratung fort und kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Rechtsaus-
schusses zu dem von der Fraktion der F.D.P. eingebrach-
ten Gesetzentwurf zur Änderung des Art. 12 a des
Grundgesetzes, Drucksache 14/1728 (neu). Der Rechts-
ausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4420 unter Buch-
stabe b, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe!
– Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um etwas
Disziplin; denn wir kommen jetzt zu den nächsten Punk-
ten der Tagesordnung. Das Beste wäre, wenn Sie alle Platz
nehmen und zuhören würden. Wer das nicht will, möge
sich bitte aus dem Saal begeben; Stehen ist nicht möglich.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 16)

– Drucksache 14/2668 –

(Erste Beratung 90. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/4419 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Römischen Statut des Internationalen

(IStGH-Statutgesetz)

– Drucksache 14/2682 –

(Erste Beratung 90. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/4421 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Margot von Renesse
Norbert Röttgen
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Ich weise darauf hin, dass über den Gesetzentwurf zur
Änderung des Grundgesetzes namentlich abgestimmt
werden muss.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine
Aussprache von einer Dreiviertelstunde vorgesehen. Sind
Sie damit einverstanden? – Dann eröffne ich die Ausspra-
che und erteile das Wort der Bundesjustizministerin, Frau
Professor Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! In den vergangenen Tagen und in den vergangenen
Sitzungswochen hatte der Bundestag mehrfach Gelegen-
heit, die Bedeutung der Grund- und Menschenrechte zu
betonen und über den Schutz vor Menschenrechtsverlet-
zungen zu beraten. In der vergangenen Sitzungswoche be-
traf das die Grundrechte-Charta der Europäischen Union.
Gestern haben wir über die Europäische Menschenrechts-
konvention debattiert, über dieses einzigartige System
zum Schutz der Menschenrechte. Es war gut – lassen
Sie mich das mit aller Deutlichkeit sagen, sodass es auch
alle Kolleginnen und Kollegen, die jetzt noch reden, ganz
klar mitbekommen –, dass wir in diesen Fragen eine Ge-
meinsamkeit feststellen konnten, die sich deutlich und
wohltuend von den üblichen Unterschieden zwischen den
Parteien abhebt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Heute nun, meine Damen und Herren, wollen wir einen
weiteren Schritt beschließen – auch den gemeinsam –:
Mit der Zustimmung zum Entwurf eines Gesetzes zum
Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs
und zu dem damit verbundenen Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Art. 16 Abs. 2 unseres Grundgesetzes schaffen
wir die Voraussetzungen für die Ratifizierung dieses Sta-
tuts durch die Bundesrepublik Deutschland.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412804600
Frau Ministerin, ent-
schuldigen Sie bitte. Man gibt mir Signale, dass man Sie
nicht versteht.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Es ist zu laut im Saal!)


– Ach so! Ich dachte schon, die Mikrofonanlage sei nicht
in Ordnung. – Die Möglichkeit der Präsidentin, für Ruhe
zu sorgen, ist begrenzt. Da wir aber ein wichtiges Thema
beraten und die Frau Justizministerin spricht, finde ich,
dass der Anstand es gebietet, dass Sie jetzt alle einmal
zuhören.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin, Sie haben das Wort.




Vizepräsidentin Anke Fuchs
12348


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Ergebnis Seite 12351 C

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich werde auch
nicht so laut reden müssen, wenn die Lautsprecheranlage
entsprechend aufgedreht wird. – Das wäre sehr freund-
lich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich sagen, warum das heute ein ganz

wichtiger Schritt ist. Wir reihen uns mit dem Beschluss in
die Kette der bisher 22 Staaten ein, die die Ratifizierung
des Römischen Statuts schon vollzogen haben; darunter
befinden sich viele Mitgliedstaaten der EU. Wir haben im
außenpolitischen Bereich gerade in dieser Frage eine ge-
wisse Vorbildfunktion für manch andere Staaten, übrigens
nicht zuletzt wegen der aktiven Rolle, die die Bundesre-
publik Deutschland – hier erwähne ich gerne unsere Vor-
gängerregierungen – bei den Verhandlungen über den In-
ternationalen Strafgerichtshof gespielt hat.

Wir kommen mit dem heutigen Beschluss – ich glaube,
dessen sollten wir uns ganz bewusst sein – dem wirklich
tief greifenden, ja historischen Ereignis der Schaffung ei-
nes internationalen Strafgerichtshofs ein gutes Stück
näher. Es wird zwar noch einige Zeit dauern – das wissen
wir –, bis die 60 Ratifizierungen wirklich vorliegen.

Wir können aber sagen: Der Internationale Strafge-
richtshof rückt in greifbare Nähe. Wenn das Gericht seine
Arbeit aufnimmt, wird eine Forderung erfüllt, die seit
mehr als 100 Jahren mit zunehmender Dringlichkeit ge-
stellt wurde.


(Beifall bei der SPD)

Es ist die Forderung, dass schwerste völkerrechtliche Ver-
brechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Mensch-
lichkeit und Kriegsverbrechen – das alles sind schwerste
Menschenrechtsverletzungen – endlich wirksam verfolgt
werden. Das ist nur dann möglich, wenn sich die Folter-
knechte, die Befehlshaber und die anderen an Schreibti-
schen und in Befehlsstuben dafür Verantwortung Tra-
genden in ihren Ländern nicht mehr wie bisher sicher
fühlen können.

Bisher war die staatliche Souveränität – sie ist es leider
immer noch – ein wirksamer Schutz für diese Verbrecher.
Das können wir jeden Tag mit Trauer und mit Wut fest-
stellen. Künftig soll sich aber keiner der verantwortlichen
Folterknechte und Befehlshaber hinter der staatlichen
Souveränität von Diktaturen oder vergleichbaren Un-
rechtsregimen mehr verstecken können.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch die Oppositionsparteien werden mir zustimmen,
wenn ich sage: Unser gemeinsames Ziel ist es, das Recht
weltweit durchzusetzen, damit das allzu häufig prakti-
zierte Prinzip vom Recht des Stärkeren zurückgedrängt
wird und schließlich verschwindet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


In diesem Ziel waren und sind sich – Gott sei Dank – die
Parteien des Bundestages einig. Es ist gut, dass wir diese

Gemeinsamkeit haben. Ich darf in diesem Zusammen-
hang feststellen, dass auch die früheren Regierungen par-
teiübergreifend unterstützt worden sind, als es darum
ging, die Verhandlungen in Rom zu einem erfolgreichen
Abschluss zu führen.

Wir können mit Fug und Recht und mit einem gewis-
sen Stolz – allerdings auch in dem Bewusstsein, dass un-
sere Erfahrungen mit der eigenen Geschichte, speziell mit
dem mörderischen Naziregime, uns dazu verpflichten –
sagen, dass die Bundesrepublik Deutschland die Ver-
handlungen maßgeblich beeinflusst hat. Die Verhand-
lungen zum Statut wurden mithilfe der Mitglieder des
Deutschen Bundestags und vieler Interessierter aus dem
Bereich der Zivilgesellschaft zu einem guten Abschluss
gebracht.


(Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])

Mit dem Statut soll ein unabhängiges Gericht auf

rechtsstaatlicher Basis geschaffen werden, das wirksam
tätig werden kann. Dieses Gericht wird die Täter zur Ver-
antwortung ziehen, nämlich die schon genannten Folter-
knechte, die Massenvergewaltiger, die Kriegsverbrecher
und jene staatlichen Repräsentanten, die ihre Macht – in
welcher Funktion auch immer – als Terrorinstrument ge-
gen die eigenen und auch gegen ausländische Bürgerin-
nen und Bürger missbrauchen.

Der Internationale Strafgerichtshof wird seine Arbeit
aufnehmen. Dennoch bleibt die Verantwortlichkeit der
einzelnen Nationalstaaten mit ihren jeweiligen Gerich-
ten voll erhalten. Dies soll schon aus praktischen Gründen
der Fall sein; denn jeder internationale Gerichtshof wäre
überfordert, wenn er weltweit allein zuständig wäre. Aus
diesen pragmatischen, aber auch aus grundsätzlichen
Gründen werden die rechtsstaatlichen Demokratien auch
auf dem Gebiet der Strafverfolgung schwerster Verbre-
chen weiterhin selbst tätig werden. Wir in der Bundesre-
publik tun es bereits heute und werden dies auch in der
Zukunft tun.

Der Internationale Strafgerichtshof ist für jene Fälle
zuständig, in denen die Gerichte der betroffenen Natio-
nalstaaten entweder nicht anklagen können, weil es die
staatliche Ordnung nicht zulässt, oder nicht anklagen wol-
len, weil es politisch nicht gewollt ist. Der Internationale
Strafgerichtshof ist daher als ein komplementärer Ge-
richtshof anzusehen. Er soll und wird die Gerichtsbarkeit
der rechtsstaatlichen Demokratien ergänzen.

Es ist auch klar – darauf haben gerade wir in der Bun-
desrepublik Deutschland großen Wert gelegt; wir legen
weiterhin großen Wert darauf –, dass dieses Statut des In-
ternationalen Strafgerichtshofs all unsere Anforderungen
an rechtsstaatliche Standards erfüllt. Gerade in dieser
Frage können und wollen wir keinerlei Abstriche machen.
Das betrifft die Unabhängigkeit des Gerichts selbst, aber
auch die Garantien für ein faires Verfahren. Darunter fal-
len die Schutzgarantien für die Angeklagten und die Ver-
teidigung. Das betrifft ferner den Schutz gefährdeter Zeu-
gen und das Recht der Opfer, im Verfahren angemessen
angehört und beteiligt zu werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, es ist nun gelungen, dies al-
les in diesem Statut, das weltweit gilt, zu verankern. Das
gehört in der Tat zu den historischen Fortschritten. Das ist
Grundlage der Rechtsstaatlichkeit, die wir bejahen. Diese
Rechtsstaatlichkeit wird eben nicht nur von Anforderun-
gen auf nationaler Ebene geprägt, sondern auch von de-
nen des Internationalen Paktes über bürgerliche und poli-
tische Rechte und der gestern zu Recht gefeierten
Europäischen Menschenrechtskonvention.


(Beifall bei der SPD)

Diese klare rechtsstaatliche Festschreibung ermöglicht

es uns, der Grundgesetzänderung zuzustimmen, die wir
heute gemeinsam mit dem Entwurf eines Gesetzes zum
Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs
vorlegen. Denn bisher – wir alle wissen das – verbietet
Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes die Auslieferung deut-
scher Staatsbürger an das Ausland. Grund dafür ist, dass
wir deutsche Staatsangehörige mit rechtsstaatlichen Ga-
rantien ausgestattet sehen wollen, wenn sie vor Gericht
gestellt werden.

Jetzt – das ist der Sinn der Ihnen vorliegenden Grund-
gesetzänderung – machen wir eine Ausnahme von diesem
Grundsatz, und zwar bei einem internationalen Gerichts-
hof wie dem Internationalen Strafgerichtshof, der wie
auch andere – denken Sie zum Beispiel an den Jugosla-
wien-Gerichtshof in Den Haag und dessen hervorragende
Arbeit – zweifelsfrei den Prinzipien der Rechtsstaatlich-
keit entspricht. Damit leisten wir einen Beitrag zur Schaf-
fung einer wirksamen internationalen Strafgerichtsbar-
keit, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit um der Gerechtigkeit für die Opfer willen
nicht ungesühnt lassen will. Wir reihen uns hier aus-
drücklich ein, obwohl die Bundesrepublik Deutschland
als rechtsstaatliche Demokratie – das habe ich schon er-
wähnt – schwerste Menschenrechtsverletzungen bereits
heute strafrechtlich verfolgt und dies auch weiterhin tun
wird.

Wir machen eine zweite Ausnahme von dem Grund-
satz, dass Deutsche nicht an das Ausland ausgeliefert wer-
den dürfen. In der geänderten Fassung wird es Art. 16
Abs. 2 des Grundgesetzes dem Gesetzgeber ermöglichen,
die Auslieferung an einen anderen Mitgliedstaat der Eu-
ropäischen Union vorzusehen. Auch das ist ein selbstver-
ständlicher Ausdruck der europäischen Integration, der
Integration in ein System von Staaten, die durch hohe
rechtsstaatliche Standards geprägt sind, die auch wir in
unserem Land wollen und haben.

Im geänderten Text des Art. 16 Abs. 2 des Grundgeset-
zes, der Ihnen vorliegt, ist zur Klarstellung der geltenden
verfassungsrechtlichen Grundsätze hinzugefügt worden
– das war in den Beratungen des Rechtsausschusses des
Deutschen Bundestages selbstverständlich –, dass diese
Ausnahme vom Verbot, deutsche Staatsbürger an das Aus-
land auszuliefern, nur bei klarer Beachtung unserer ge-
meinsamen rechtsstaatlichen Standards, die wir in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union längst haben, in
Betracht kommen kann.

Ich freue mich, dass wir heute diese klare gemeinsame
Formulierung bekräftigen. Die Annahme der beiden vor-

liegenden Gesetzentwürfe, also des Entwurfes eines Ge-
setzes zur Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes und
des Entwurfes eines Gesetzes zum Römischen Statut des
Internationalen Strafgerichtshofs, schaffen die Vorausset-
zungen für die Ratifizierung des Römischen Statuts.
Diese werden wir möglichst bald vornehmen.

Weitere Schritte müssen und werden folgen. Das
nächste Ziel ist die Einbringung eines Entwurfes eines
Ausführungsgesetzes zum Römischen Statut, das die er-
forderlichen Regelungen hinsichtlich unserer Zusammen-
arbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und seine
Unterstützung enthalten wird. Der Internationale Strafge-
richtshof ist darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten
seine Arbeit unterstützen. Gestern haben wir über die im
Bereich des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes
bestehenden Probleme gesprochen und die Notwendig-
keit der Unterstützung durch Deutschland festgestellt.
Das gilt natürlich auch für diesen neuen, weltweit zustän-
digen Strafgerichtshof.

Dabei geht es um weitere Fragen, die wir bereits aus
der Zusammenarbeit mit dem Jugoslawien-Gerichtshof in
Den Haag kennen. Es geht um die Unterstützung durch
Verhaftung und Überstellung von beschuldigten Perso-
nen, die Übersendung von Beweismaterial und die Über-
nahme der Vollstreckung von Haftstrafen in nationalen
Strafanstalten, die durch dieses internationale Gericht
verhängt wurden. Ein Beispiel dafür ist die Übernahme
der Vollstreckung eines vom Gerichtshof in Den Haag
verurteilten Verbrechers, die wir gerade in diesen Tagen
vollziehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir arbeiten, wie Sie
wissen, in einem weiteren Schritt an der Schaffung eines
nationalen Völkerstrafgesetzbuches, das in Verbindung
mit der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes
eine moderne und bessere Rechtsgrundlage für die Ahn-
dung von Völkerstraftaten in unserem Land selbst bilden
soll.

Wir werden mit Unterstützung einer hochrangigen Ex-
pertengruppe und in Abstimmung mit den Bundesländern
die Arbeit an dem Entwurf im kommenden Jahr abschlie-
ßen, ihn dann vorlegen und den parlamentarischen Gre-
mien zur Beratung zuleiten. Ich glaube, dann haben wir
das, was wir tun können, erreicht. Dies ist auch erforder-
lich.

Ich habe vorhin den Begriff „historischer Fortschritt“
ganz bewusst benutzt. Nüchterne Schwaben wie ich tun
dies nicht sehr häufig. Ich denke aber, dass es angebracht
ist. Wir wissen, dass mit der Ratifizierung durch die
Bundesrepublik Deutschland und alle Staaten der Euro-
päischen Union allen Vorbildfunktionen zum Trotz das
gemeinsame Ziel noch nicht erreicht ist. Wir wissen auch,
dass wichtige Partnerstaaten der Bundesrepublik, nämlich
die USA und die Volksrepublik China, noch erhebliche
Vorbehalte haben. Wir sagen deutlich, dass das be-
dauerlich ist. Selbstverständlich werben wir darum, dass
sich auch diese Staaten beteiligen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Es wäre gut, wenn das Gericht dann, wenn es seine Arbeit
aufnehmen kann, weltweit verankert wäre, obwohl – las-




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
12350


(C)



(D)



(A)



(B)


sen Sie mich das hinzufügen – der jetzige Geltungsbe-
reich für mehr als die Hälfte der Menschheit schon einen
riesigen Fortschritt bedeutet.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, klar ist, dass
wir alle einen internationalen Strafgerichtshof wollen und
auch brauchen, der in Unabhängigkeit, für und gegenüber
allen auf der Grundlage gemeinsamen Rechtes und unter
klarer Beachtung der beschlossenen rechtsstaatlichen
Grundsätze seine Aufgaben erfüllen kann.

Die Menschenrechte bekommen in unserer Zeit welt-
weit zu Recht ein immer größeres Gewicht. Die Stärke des
Rechts wird und muss die internationale Politik immer
stärker bestimmen. Die Opfer der vielen schrecklichen
Menschenrechtsverletzungen, der Kriegsgräuel und der
Verbrechen gegen Menschen in Bürgerkriegen erwarten
von uns nicht nur Schutz, sondern dort, wo trotz aller

Bemühungen dieser Schutz nicht gegeben werden konnte,
wenigstens einen Beitrag zur Schaffung von Gerechtig-
keit. Diesen Beitrag müssen sie von uns erwarten können.
Der heutige Schritt führt in die richtige Richtung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412804700
Ich gebe das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Schlussabstimmung über den Ge-
setzentwurf zur Änderung des Art. 12 a des Grundgeset-
zes der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die
Grünen und F.D.P. auf den Drucksachen 14/4380 und
14/4420 bekannt. Abgegebene Stimmen 543. Mit Ja ha-
ben gestimmt 512, mit Nein haben gestimmt 5, Enthal-
tungen 26.




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

12351


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 543;
davon

ja: 512
nein: 5
enthalten: 26

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin

Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel

Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)


(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht

Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel




Vizepräsidentin Anke Fuchs
12352


(C)



(D)



(A)



(B)


Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Gudrun Roos
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)


(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica Schwall-Düren
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Cornelie Sonntag-Wol-
gast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss

Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)


(Duisburg)


Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar


(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach

(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein


(Großhennersdorf )


Norbert Hauser (Bonn)


(Rednitzhembach)


Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Klaus Holetschek
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Peter Letzgus

Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Dr. Manfred Lischewski

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)


(Recklinghausen)



(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer

(Wiesbaden)


Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian

Nach Art. 79 des Grundgesetzes bedarf ein Gesetz zur
Änderung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei
Dritteln der Mitglieder des Bundestages, also mindestens
446 Jastimmen. Gemäß § 48 Abs. 3 unserer Geschäfts-
ordnung stelle ich fest, dass die erforderliche Zweidrittel-
mehrheit erreicht ist. Der Gesetzentwurf ist damit ange-
nommen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


In der Debatte zu Tagesordnungspunkt 19 a und b gebe
ich nun dem Kollegen Norbert Röttgen, CDU/CSU-Frak-
tion, das Wort.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1412804800
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Stellen Sie sich
vor, wir hätten in Deutschland zwar ein Strafgesetzbuch,
aber keine Staatsanwaltschaft, die Verbrechen und Straf-
taten anklagt, und kein Gericht, das verurteilt. Bis vor
kurzem war ganz genau das die Situation für Kriegsver-

brecher, für diejenigen, die Völkermord und schwerste
Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten.
Diese mussten kein irdisches Gericht fürchten.

Die Errichtung eines internationalen Strafgerichtsho-
fes bedeutet, dass es in Zukunft eben nicht nur ein mate-
rielles, humanitäres Völkerrecht gibt, sondern dass es sich
auch durchsetzt. Das war bislang der Mangel des Rechts:
Es bestand, aber es war ohne Wirkung. Die Frau Bundes-
justizministerin hat bereits gesagt, es soll in Zukunft das
Recht und nicht das Recht des Stärkeren gelten. Das ist die
Veränderung, die stattfindet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])


Bei allem inflationären Gebrauch des Attributs „histo-
risch“ ist auch unsere Fraktion der CDU/CSU der Auffas-
sung, dass wir es hier mit einer historischen Veränderung
zu tun haben.

Es handelt sich um ein politisches Ergebnis, das in der
Tat in der Kontinuität deutscher Außen- und Justizpolitik




Vizepräsidentin Anke Fuchs

12353


(C)



(D)



(A)



(B)


Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig

Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

F.D.P.

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)


Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Heinrich Fink
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Sabine Jünger
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft
Pia Maier
Angela Marquardt
Christine Ostrowski
Christina Schenk

Nein
SPD
Renate Rennebach
René Röspel
CDU/CSU

Manfred Carstens (Emstek)

Martin Hohmann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Monika Knoche

Enthalten
SPD
Anke Fuchs (Köln)

Konrad Gilges
Ingrid Holzhüter
Christel Humme
Ulrich Kasparick
Adolf Ostertag
Dagmar Schmidt (Meschede)

Hildegard Wester

(München CDU/CSU Wolfgang Dehnel Margarete Späte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Irmingard Schewe-Gerigk PDS Petra Bläss Roland Claus Wolfgang Gehrcke Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Ursula Lötzer Heidemarie Lüth Kersten Naumann Petra Pau Dr. Ilja Seifert liegt. Insbesondere die Vorgängerregierungen haben dieses Ziel immer nach Kräften gefördert. Dieses Ziel wurde immer im Konsens aller Fraktionen und Parteien verfolgt. Es ist sehr positiv, dass wir bei diesen Kernfragen der nationalen und internationalen Politik Übereinstimmung haben, was auch eine Voraussetzung des Erfolges ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Die neue Qualität, die nun eingetreten ist, besteht in der
Bereitschaft der Nationen zum Verzicht auf staatliche
Souveränität. Die Staaten geben etwas von ihrer Souve-
ränität auf und übertragen sie an eine unabhängige inter-
nationale Institution, an einen allgemein zuständigen
Internationalen Strafgerichtshof. Dort, wo der Strafge-
richtshof in Zukunft zuständig sein wird, wird der Schutz
der Menschenrechte, also die Verfolgung von Verletzun-
gen der Menschenrechte, außerhalb und oberhalb der in-
ternationalen Interessenpolitik der Staaten liegen. Jetzt ist
es nicht mehr eine Frage der Opportunität, ob Menschen-
rechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verfolgt wer-
den; dies hängt nicht mehr davon ab, ob es den betroffe-
nen Staaten in ihren machtpolitischen Kram passt. Nein,
es ist jetzt eine Frage des Rechts. Eine unabhängige Insti-
tution wird solche Verbrechen anklagen und verfolgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darum ist die Entscheidung für die Errichtung des In-

ternationalen Strafgerichtshofes die Mitteilung an alle
Kriegsverbrecher und an alle Verbrecher gegen Mensch-
lichkeit und Menschenwürde, in welcher Ecke der Welt
sie sich auch befinden: Ihr werdet nach euren Taten kei-
nen ruhigen Lebensabend haben, eure Taten werden ver-
folgt und angeklagt werden, ihr werdet zur Rechenschaft
gezogen und verurteilt werden. Dies ist eine gute Mittei-
lung, über die wir uns ausdrücklich freuen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei aller Freude über diesen Erfolg müssen wir erken-

nen, dass hier ein Prozess gerade erst begonnen hat. Er ist
noch nicht vollendet, wie eben schon erwähnt worden ist.
60 Ratifikationen sind dafür notwendig, dass das Statut
überhaupt in Kraft tritt; gut 20 liegen vor. Das heißt, die-
ser Prozess wird noch eine lange Zeit in Anspruch neh-
men. Die Bundesrepublik Deutschland wird dem Statut
beitreten und seine Bestimmungen, beginnend mit den
heutigen Beschlüssen, innerstaatlich in vollem Umfange
umsetzen.

Dies bedeutet für die Bundesrepublik Deutschland,
dass wir auch eine Verfassungsänderung vornehmen. Bis-
lang sieht unsere Verfassung in Art. 16 Abs. 2 des Grund-
gesetzes ein uneingeschränktes Verbot der Auslieferung
von deutschen Staatsangehörigen vor. Wenn wir die ge-
schilderte Entwicklung nicht nur begrüßen, sondern an ihr
teilnehmen wollen, dann können wir nicht sagen, das solle
für alle gelten, nur unsere Staatsbürger müssten ausge-
nommen werden, wenn sie denn betroffen sein sollten.
Das wäre ein widersprüchliches Verhalten und darum ist
es richtig, dass wir diese Grundgesetzänderung vorneh-
men.

Wir haben uns diese Änderung nicht leicht gemacht.
Das ist auch richtig so. Manche haben kritisiert, dass da-

rüber so lange geredet werde. Diese Änderung ist aber in
ihren Auswirkungen gravierend und von grundsätzlicher
Bedeutung; denn die Auslieferung bedeutet, dass wir un-
sere Staatsangehörigen außerhalb des Geltungsbereiches
des Grundgesetzes verbringen und ihnen im Ergebnis
auch den grundgesetzlichen und grundrechtlichen Schutz
entziehen. Dieser Vorgang ist so gravierend, dass er nicht
leicht genommen werden darf.

Das Grundgesetz sieht in der nun vorgeschlagenen
Fassung vor, dass aufgrund eines Gesetzes – nicht pau-
schal – die Auslieferung an ein internationales Gericht
oder an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union er-
laubt sein soll. Ich möchte darauf hinweisen, dass es auch
um die Auslieferung an unsere Partnerländer in der Euro-
päischen Union geht. Wir sollten erkennen, dass es sich
hierbei um einen Meilenstein in der europäischen Rechts-
entwicklung handelt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Tampere-Prozess, der mit der Entwicklung eines
Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begon-
nen worden ist, stellt einen weiteren Schritt nach vorn in
der europäischen Rechtsentwicklung dar. Das ist zu be-
grüßen und darf in dieser Debatte nicht vernachlässigt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die europäische Integration auf dem Gebiet des Rechts
schreitet weiter voran.

Der Gesetzgeber ist, wenn er die Auslieferung durch
Gesetz ermöglicht, verpflichtet, in jedem Fall zu prüfen,
ob der rechtsstaatliche Schutz in dem Land, an das er aus-
liefert, bzw. durch das Gericht, an das ausgeliefert wird,
garantiert ist. Ein Gesetz, das die Auslieferung an ein Ge-
richt in einem Mitgliedsland vorsieht, das die rechtsstaat-
lichen Grundsätze nicht erfüllt, wäre verfassungswidrig.

Darüber haben wir debattiert und uns auseinander ge-
setzt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die F.D.P.-
Bundestagsfraktion haben es für notwendig gehalten,
diese Hürde ausdrücklich in die Verfassung aufzunehmen,
auch als Mahnung an den zukünftigen Gesetzgeber, der
diese Hürde nicht leicht überspringen können soll. Es soll
bei jedem Staatsangehörigen, den wir außer Landes brin-
gen wollen, eine rechtsstaatliche Prüfung vorgenommen
werden.

Dass wir darüber länger diskutiert haben, ist positiv. Es
zeugt von der Ernsthaftigkeit des Bundestages in Bezug
auf den rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Schutz
seiner Bürger. Wir haben ein Einvernehmen erreicht. Das
ist ein Erfolg langjähriger Bemühungen der deutschen
Außen- und Justizpolitik.

Ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, dass sich, wenn
das Statut eines Tages in Kraft tritt und der Internationale
Strafgerichtshof seine Arbeit aufnehmen kann, erweisen
wird, dass die Tätigkeit dieses Gerichtshofes ein wesentli-
cher Ausdruck der internationalen Geltung des Rechts
und des Rechtsdenkens sowie ein wesentlicher Beitrag
zur friedlichen Ordnung in der Welt sein wird.




Norbert Röttgen
12354


(C)



(D)



(A)



(B)


Die CDU/CSU-Bundestagfraktion begrüßt diese Ent-
wicklung und unterstützt sie nachdrücklich.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412804900
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412805000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zeit der
Straflosigkeit für Kriegsverbrecher und Völkermörder
geht zu Ende. Das ist eine gute Botschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit Spanien hat diese Woche bereits der fünfte EU-
Staat – von insgesamt 22 Ländern – das Römische Statut
zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs ra-
tifiziert. Auch die deutsche Ratifizierungsurkunde ist mit
dem heutigen Tage abgeschickt worden, Adressat: die
Vereinten Nationen in New York. Darauf können wir stolz
sein.


(Beifall des Abg. Dr. Eberhard Brecht [SPD])

Wenn man berücksichtigt, dass das Vertragswerk von

Rom mittlerweile von 115 Ländern gezeichnet wurde, ist
mir auch im Hinblick auf die zum In-Kraft-Treten noch
erforderlichen 37 Ratifizierungen nicht wirklich bange.
Das kann sehr schnell gehen und das sollte es auch. Denn
jeder Tag, der bis zum In-Kraft-Treten des Statutes noch
vergeht, ist für die Opfer von Völkermord, Verbrechen ge-
gen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ein verlo-
rener Tag.

Es ist erfreulich, dass die Bundesrepublik zu den
Gründungsmitgliedern des Gerichts gehören wird. Ein
Erfolg ist das auch deshalb, weil Deutschland bereits bei
der Ausarbeitung des Vertragswerkes in Rom vor zwei
Jahren eine ganz herausragende Rolle gespielt hat, übri-
gens mit Unterstützung von diversen Nichtregierungsor-
ganisationen. Sie haben erhebliche Verdienste daran, dass
man sich in den nächtelangen Verhandlungsrunden und
hitzigen Debatten nicht von den Skeptikern anderer Staa-
ten in die Knie zwingen hat lassen.

Amnesty International möchte ich an dieser Stelle für
ihr weltweites Engagement in Sachen Strafgerichtshof
ausdrücklich danken. Ohne ihre Unterstützung wäre die
Liste der Nichtunterzeichnerstaaten sicher noch länger
ausgefallen. So müssen wir jetzt nur noch über sieben
Staaten sprechen.

Meine Damen und Herren, der Internationale Strafge-
richtshof ist ein historischer Meilenstein in der Entwick-
lung des Völkerrechts, er ist ein Meilenstein für unsere
Rechtskultur insgesamt,


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

weil eine effektive und angemessene Ahndung schwerster
Verbrechen künftig nicht mehr an absurden Hindernissen

scheitern wird. Kein Pinochet dieser Welt wird sich künf-
tig mehr bei dieser Art von Verbrechen hinter irgendwel-
chen Immunitätsvorschriften verstecken können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie-
ßend noch ein paar Worte zu dem Schauspiel sagen, das
sich im Umfeld der Sommerpause im Rechtsausschuss
zugetragen hat. Es war angesichts der Bedeutung dieses
Themas und der grundsätzlichen Übereinstimmung in der
Sache – Frau Brandt-Elsweier hatte es vorhin schon in ei-
ner anderen Debatte angesprochen – schon etwas merk-
würdig, dass es für die Zustimmung zu dieser Grundge-
setzänderung, die die Glaubwürdigkeitsfrage bei der
Ratifizierung des Statuts des Internationalen Strafge-
richtshofs stellt, Gegengeschäfte geben musste, dass man
Ihnen diese Zustimmung abringen musste.


(Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist doch völlig falsch! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Beck, Sie haben ja keine Ahnung!)


Verehrte Kollegen von der Opposition, diese Koalition
steht vorbehaltlos zum Internationalen Strafgerichtshof.
Sie wollen ihn offensichtlich aber nur im Doppelpack mit
anderen Grundgesetzänderungen. Ein wirklicher inhaltli-
cher Zusammenhang bestand da nicht. Das finde ich be-
schämend


(Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit! Das wissen Sie!)


und dies finden übrigens auch die Bürgerinnen und Bür-
ger. Herr Scholz, Herr Röttgen, Herr Funke, haben Sie den
Appell der 70 Universitätsprofessoren an den Deutschen
Bundestag gelesen?


(Rainer Funke [F.D.P.]: Ja! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben den nicht gelesen!)


Da kommen Sie nicht gut weg. Kein Wunder, denn ein
solches Thema eignet sich nicht zur parteipolitischen Pro-
filierung, schon gar nicht dann, wenn in der Sache par-
teiübergreifend Einigkeit besteht.


(Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie können es doch nicht lassen! – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Das machen Sie doch gerade!)


Lassen Sie uns jetzt noch einmal gemeinsam die De-
batte


(Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Und jetzt an die Gemeinsamkeit appellieren!)


aufgreifen und unsere Gesprächsfäden

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt wollen Sie wieder an die Gemeinsamkeit appellieren! Das ist ein übles Spiel!)


in die Vereinigten Staaten nutzen, um unsere amerikani-
schen Freunde davon zu überzeugen, dass sie a) das Sta-
tut dieses Internationalen Strafgerichtshofs ratifizieren
und b) auch amerikanische Staatsbürger – wie wir das
heute mit der Grundgesetzänderung für deutsche Staats-
bürger regeln – im Zweifelsfall nach dem Statut dieses




Norbert Röttgen

12355


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerichtshofs an diesen Gerichtshof überstellen. Das brau-
chen wir als Glaubwürdigkeitstest der Demokratien, um
auch deutlich zu machen, dass auf dieser Welt für alle
Länder die gleichen Spielregeln des Völkerrechts und der
Menschenrechte gelten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412805100
Für die F.D.P.-Frak-
tion hat der Kollege Rainer Funke das Wort.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1412805200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die F.D.P. begrüßt ausdrücklich die
Grundgesetzänderung, durch die eine Auslieferung deut-
scher Staatsbürger an einen Mitgliedstaat der Europä-
ischen Union oder einen internationalen Gerichtshof nun-
mehr grundsätzlich ermöglicht wird.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ebenso begrüßt die F.D.P.-Fraktion ausdrücklich die

Ratifizierung des Statuts des Internationalen Strafge-
richtshofs, denn dieser Gerichtshof ist ein großer Fort-
schritt des humanitären Völkerrechts und reduziert erneut
die immer noch bestehende Vorherrschaft militärischer
Aspekte bei internationalen Konfliktlösungen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es waren insbesondere die liberalen Außenminister,

Dr. Klaus Kinkel zum Beispiel, und der liberale Justizmi-
nister Professor Dr. Schmidt-Jortzig, die sich massiv für
die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs ein-
gesetzt haben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das Statut des künftigen Internationalen Strafgerichtshofs
ist maßgeblich durch diese beiden liberalen Minister ge-
prägt worden. Dafür auch meinen herzlichen Dank.


(Beifall bei der F.D.P. und des Abg. Norbert Röttgen [CDU/CSU])


Mit der Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland
zum Statut werden Hoheitsrechte auf den Internationalen
Strafgerichtshof übertragen. Auch deswegen ist es not-
wendig, Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes, der bislang ein-
schränkungslos die Auslieferung deutscher Staatsan-
gehöriger verbietet, zu modifizieren.

Diese Ergänzung liegt Ihnen heute zur Beschlussfas-
sung vor. Sie bekräftigt, dass der Verfassungsgeber, also
auch der Bundestag, die Auslieferung von deutschen
Staatsbürgern nicht voraussetzungslos erlauben darf. Viel-
mehr ist dieser erhebliche Grundrechtseingriff nur dann
zulässig, wenn durch Gesetz bei Auslieferung eines deut-
schen Staatsbürgers an einen Mitgliedstaat der Europä-
ischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof
rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. Diese Ein-
schränkung der Auslieferungsmöglichkeiten der Bundes-
republik Deutschland war in dem ursprünglichen Formu-
lierungsvorschlag der Bundesregierung nicht ausdrücklich
enthalten. Sie ist erst nach längeren Diskussionen in meh-

reren Berichterstatter- und Obleutebesprechungen von der
Bundesregierung akzeptiert worden.

Diese Formulierung, die sich an die Formulierung des
Art. 23 des Grundgesetz anlehnt, ist kein Ausdruck
des Misstrauens gegenüber dem Internationalen Straf-
gerichtshof oder gar gegenüber mit uns befreundeten
europäischen Ländern. Realistischerweise müssen wir aber
bedenken, dass es auch in den Ländern der Europäischen
Union Situationen geben kann, in denen zumindest zeit-
weise die Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze infrage
steht. Das Verteidigungsbündnis der westlichen Welt, die
NATO, die sich ebenfalls rechtsstaatlichen Grundsätzen
verpflichtet fühlt, hat erleben müssen, dass einzelne Staa-
ten von diktatorischen Regimen, zumindest von Regimen,
die rechtsstaatlichen Grundsätzen etwas ferner standen, re-
giert wurden. In solchen Situationen kann eine Ausliefe-
rung deutscher Staatsangehöriger natürlich nicht erfolgen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Diskussionen im Rechtsausschuss haben dazu ge-
führt, dass der Gesetzentwurf aus dem Jahre 1999 erst
heute, nach fast einem Dreivierteljahr, beschlossen wer-
den kann. Die Oppositionsparteien hätten es begrüßt,
wenn ihr Kompromissangebot von der Koalition frühzei-
tiger akzeptiert worden wäre. Dann nämlich wäre es ohne
weiteres möglich gewesen, dass die Bundesrepublik
Deutschland entsprechend den Bemühungen der
Vorgängerregierung als einer der ersten Staaten das Rö-
mische Statut ratifiziert hätte. Nur durch das leider viel zu
lange Beharren der Bundesjustizministerin auf ihrem ur-
sprünglichen Gesetzentwurf, ohne auf die Bedenken der
Opposition einzugehen, ist es zu dieser bedauerlichen
zeitlichen Verzögerung gekommen.

Dabei hatte mein Fraktionskollege Schmidt-Jortzig be-
reits in der ersten Lesung am 24. Februar dieses Jahres
deutlich dargelegt, warum die F.D.P.-Bundestagsfraktion
die vorgeschlagene Lösung für noch klärungs- und
präzisierungsbedürftig hält. Er hat bereits damals, übri-
gens als erster und einziger Redner, im Wesentlichen glei-
che rechtsstaatliche Standards der Rechts- und Prozess-
ordnung, aber auch des Vollstreckungsrechts für
notwendig erachtet und angemahnt.

Für meine Fraktion ist daher die gemeinsame
Beschlussfassung ein großer Erfolg und ein Zeichen
dafür, dass es auch in grundsätzlichen rechtsstaatlichen
Fragen in diesem Hause Einigkeit geben kann. Dafür bin
ich dankbar. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412805300
Nächster Redner ist
der Kollege Dr. Eberhard Brecht für die SPD-Fraktion.


Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1412805400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Volker Beck hat eben an die tätige
Mitarbeit der NGOs erinnert. Ich möchte es an dieser
Stelle nicht versäumen, in unserem Haus einen Gast zu




Volker Beck (Köln)

12356


(C)



(D)



(A)



(B)


begrüßen. Auf der Zuschauertribüne sitzt Herr Professor
Whitney Harris, der eigens für unsere Debatte aus den
USA angereist ist. Professor Harris war nicht nur An-
kläger bei den Nürnberger Prozessen, sondern er hat auch
maßgeblich an den Verhandlungen zum Römischen Statut
teilgenommen. Herzlich Willkommen!


(Beifall)

Deutschland hat ein natürliches Interesse an einer mul-

tilateralen Weltordnung unter dem Dach der Vereinten
Nationen. Im Fall des Internationalen Strafgerichtshofes
steht der begrenzten Abtretung nationaler Kompetenzen
ein Zugewinn an internationaler Sicherheit gegenüber.
Lassen Sie mich das an drei Punkten verdeutlichen.

Erstens. Der Internationale Strafgerichtshof wirkt
präventiv, indem er potenziellen Diktatoren und deren
Schergen die juristischen Konsequenzen ihres Handelns
vor Augen führt. Ein Urteil der unabhängigen Richter
wird wie ein Damoklesschwert über jenen Menschen hän-
gen, die ähnlich wie Milosevic, Pol Pot, Hitler, Stalin,
Saddam Hussein oder Pinochet gegen die Menschen-
rechte verstoßen. Potenziellen Tätern wird klar gemacht,
dass sie nicht nur einer internationalen Gerichtsbarkeit
unterliegen, sondern dass es für sie kaum noch Asyl ge-
ben wird.

Einst konnten sich gesuchte Nazikriegsverbrecher ge-
fahrlos nach Lateinamerika absetzen. Aber je mehr Staa-
ten das Römische Statut annehmen, desto dichter wird das
Netz, in dem sich die Verbrecher gegen die Menschlich-
keit verfangen können. Der Weg dieser Täter wird zuneh-
mend, wenn auch manchmal über Umwege, nach Den
Haag führen.

Dies bedeutet doch: Je mehr diese präventive Ab-
schreckung ihre Wirkung entfaltet, desto weniger wird die
internationale Gemeinschaft künftig mit exzessiven Ge-
waltausbrüchen konfrontiert werden.

Zweitens. Mit der Ratifikation des Römischen Statuts
wird aber auch ein jedes Land genötigt, sein nationales
Strafrecht den international vereinbarten Prinzipien anzu-
passen. Damit wird die genannte Präventionswirkung auf
Landesebene noch einmal verstärkt.

Drittens. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
wird durch das In-Kraft-Treten des Römischen Statuts
sein Monopol zur Feststellung einer Aggression verlieren.
Der Internationale Strafgerichtshof kann nämlich diese
Feststellung unabhängig, sachlich und vor allem ohne
Rücksicht auf das interessenpolitische Kalkül einzelner
Staaten feststellen. Damit wird auch ein gewisser Druck
auf andere UN-Institutionen entstehen, bei Menschen-
rechtsverletzungen wie zum Beispiel in Ruanda aktiv zu
werden. Ruanda ist nämlich das deutlichste Beispiel
dafür, dass gerade der Sicherheitsrat diesen Druck drin-
gend nötig hat. Weder der amerikanische Präsident noch
der russische Präsident sollen ein Entscheidungsmonopol
darüber haben, was Gut und was Böse ist.

Meine Damen und Herren, mit der Einrichtung eines
Internationalen Strafgerichtshofs würde der Völkerge-
meinschaft ein Quantensprung des Völkerrechts auf dem
Weg zur weltweiten Respektierung der Menschen-

rechte gelingen. Es muss Ziel deutscher Außenpolitik
sein, dass das Römische Statut von vielen Staaten und so
rasch wie möglich ratifiziert wird. Denn nach Vorliegen
der erforderlichen 60 Ratifizierungsdokumente kann das
Gericht dann auch unabhängig und uneingeschränkt ar-
beiten.

Es ist aber nicht nachvollziehbar, dass einige Staaten,
darunter auch einige Bündnispartner – ich nenne hier aus-
drücklich die Vereinigten Staaten –, einerseits zum Bei-
spiel Jugoslawien auffordern, seine nationalen Vorbehalte
gegen eine Auslieferung von Slobodan Milosevic an das
internationale Jugoslawien-Tribunal aufzugeben, ande-
rerseits aber ihre eigene Zustimmung zum Statut von Rom
aufgrund nationaler Vorbehalte verweigern. Dieser Zu-
stand ist nicht haltbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Vor dem Internationalen Strafgerichtshof müssen alle
gleich sein, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit. Ansons-
ten wird dieses Gericht ad absurdum geführt.

Meine Damen und Herren, ging es beim Reichstag zu
Worms 1495 um den Ewigen Landfrieden, so geht es
heute, 500 Jahre später, um Weltinnenpolitik, um den
„ewigen Weltfrieden“. Die Existenz eines Strafgerichts-
hofs wird keine Wunder vollbringen können. Dafür sind
seine Instrumente zu sehr ein Ergebnis von Kompromis-
sen. Dennoch wird ein solches internationales Gericht ei-
nen spürbaren Beitrag zur globalen Zivilisierung liefern
können.

Meine Damen und Herren, ich werbe dafür, dass wir
diesem Antrag heute möglichst geschlossen zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412805500
Das Wort für die PDS-Fraktion
hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1412805600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion wird dem Ra-
tifizierungsgesetz zum Statut des Internationalen Strafge-
richtshofs zustimmen, weil wir die Gründung dieses
Gerichtshofs für einen bedeutsamen Fortschritt im Völ-
kerrecht halten.


(Beifall bei der PDS)

Zum ersten Mal in der Geschichte wird eine allge-

meine, also nicht nur auf einen Sonderfall bezogene, in-
dividuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit für schwers-
te internationale Verbrechen verbindlich festgelegt, und
zwar ohne Rücksicht auf die amtliche Eigenschaft des Tä-
ters.

Wir stimmen allerdings – im Unterschied zu anderen –
ohne Euphorie und übertriebene Erwartungen zu. Ich
habe schon in der ersten Beratung auf erhebliche Mängel
des Statuts hingewiesen. Nur an einen Punkt will ich




Dr. Eberhard Brecht

12357


(C)



(D)



(A)



(B)


noch einmal erinnern: Das Statut stellt den Einsatz von
atomaren, chemischen und biologischen Waffen sowie
von Landminen nicht unter Strafe und lässt den Tatbe-
stand der Aggression vorerst ungeregelt.

Wir verbinden unser Ja mit der Erwartung, dass sich
die Bundesregierung konsequent dafür einsetzt, dass ers-
tens die Universalität des Statuts erreicht wird – das er-
fordert auf jeden Fall die Teilnahme der USA, Indiens und
Chinas –, zweitens möglichst nicht erst auf der vorgese-
henen Überprüfungskonferenz sieben Jahre nach In-
Kraft-Treten des Statuts die Mängel beseitigt werden und
drittens Versuche vereitelt werden, das Statut zu unter-
wandern.


(Beifall bei der PDS)

Letzteres betrifft vor allem die USA, die verhindern
möchten – das haben sie mit ihrem demonstrativen Fern-
bleiben unterstrichen –, dass jemals ein amerikanischer
Staatsbürger vor die Schranken dieses Gerichts kommt.

Ganz entschieden spreche ich mich auch gegen die be-
kannt gewordenen Versuche aus, sexuelle Gewalttaten ge-
gen Frauen aus dem Tatbestand der Verbrechen gegen die
Menschlichkeit heraus zu nehmen,


(Beifall bei der PDS)

wenn sie, wie es heißt, im Familienkontext begangen wur-
den oder religiös bzw. kulturell sanktioniert sind.

Meine Fraktion wird auch der Änderung von Art. 16
des Grundgesetzes die Zustimmung nicht versagen. Der
Vorbehalt der Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze
bei der Auslieferung von Deutschen an einen internatio-
nalen Gerichtshof oder an einen EU-Staat ist in meinen
Augen allerdings überflüssig und könnte als deutsche An-
maßung ausgelegt werden. Wir interpretieren ihn als ei-
nen Auftrag an den deutschen Gesetzgeber, ein rechts-
staatlich einwandfreies Ausführungsgesetz zu erlassen.
Diese Fassung wurde nach erbitterten Auseinanderset-
zungen im Rechtsausschuss zwischen den Koalitionsfrak-
tionen auf der einen und den Oppositionsfraktionen auf
der anderen Seite ausgehandelt.

Ganz zufällig – man möchte meinen, irrtümlich –
wurde meine Fraktion an den intensiven Berichterstatter-
gesprächen nicht beteiligt. Ich war zwar ordnungsgemäß
als Berichterstatterin benannt worden, meine Einladung
zu Gesprächen wurde jedoch – natürlich wieder rein zu-
fällig, ja völlig unabsichtlich – vergessen. Selbstverständ-
lich wurden wir auch wiederum ganz zufällig nicht ge-
fragt, ob wir den gemeinsamen Antrag aller Fraktionen als
Miteinreicherin mittragen würden. Das ist zwar nicht
mehr die brutalstmögliche „Mit euch nicht auf einen An-
trag“-Variante, jedoch eine subtilere Form davon und das
Ergebnis ist dasselbe.

Wir sind aber nicht nachtragend, sondern geben sach-
lichen Argumenten den Vorrang. Wir stimmen deshalb im
Interesse des zügigen In-Kraft-Tretens des Statuts zu. Ent-
scheidend werden ohnehin die einzelnen Bestimmungen
für die mögliche Auslieferung von Deutschen im Aus-
führungsgesetz zu Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes sein.
Wir erwarten, dass hierzu möglichst bald ein Entwurf vor-
gelegt wird.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412805700
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Herr Staatsminister im Auswärtigen
Amt Ludger Volmer.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412805800
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Vor etwa zwei Jahren, am 17. Juli 1998, konnte
bei dem Streben nach weltweiter Gerechtigkeit und der
weiteren Verrechtlichung der internationalen Beziehun-
gen ein entscheidender Durchbruch erzielt werden. Nach
jahrzehntelangen Bemühungen wurde endlich in Rom die
Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes be-
schlossen. 120 Staaten stimmten für das Römische Statut,
welches dem Deutschen Bundestag heute bei der ab-
schließenden Beratung des Internationalen-Strafgerichts-
hofs-Statutgesetzes und des damit verbundenen Gesetzes
zur Änderung von Art. 16 des Grundgesetzes vorliegt.

Mit dem Römischen Statut wurde die Errichtung eines
Strafgerichtshofs beschlossen, der künftig immer dann
strafverfolgend tätig wird, wenn nationale Strafrechtssys-
teme versagen oder wenn Staaten nicht willens oder in
der Lage sind, Völkermord oder Verbrechen gegen die
Menschlichkeit oder schwere Kriegsvergehen ernsthaft
zu verfolgen. Der künftige Strafgerichtshof ergänzt inso-
weit die innerstaatliche Gerichtsbarkeit, deren Vorrang im
Statut vielfach verankert ist.

Mittlerweile ist das Strafgerichtshofvorhaben in
Deutschland wie in der internationalen Öffentlichkeit so
bekannt, dass man die große Bedeutung des Gründungs-
vertrags von Rom und den damit verbundenen rechtspoli-
tischen Fortschritt kaum mehr betonen muss. 115 Staaten
haben das Römische Statut gezeichnet und bereits
22 Staaten haben es ratifiziert. Die Bundesregierung
möchte ihrerseits die Ratifikationsurkunde in New York
sobald wie möglich hinterlegen.

Die Idee, dass sowohl politisch Verantwortliche wie
auch Soldaten nicht hinter dem Schutzschild von Immu-
nität und staatlicher Souveränität straflos schwerste
Verbrechen begehen können, ist erstmals in den Kriegs-
verbrecherprozessen von Nürnberg und Tokio ver-
wirklicht worden. Damals wurde deutlich, dass die Men-
schenwürde auch mit Mitteln des Völkerstrafrechts
geschützt werden muss. Ich freue mich deshalb, dass mit
Professor Harris ein bedeutender Zeitzeuge bei den heuti-
gen Beratungen des Bundestages anwesend ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Der Bundesregierung ist sehr bewusst, dass auch die
letzte Bundesregierung mit ihrem konsequenten Eintreten
für einen möglichst starken und unabhängigen Internatio-
nalen Strafgerichtshof gute politische Arbeit geleistet und
das deutsche Ansehen bei den Vereinten Nationen ge-
mehrt hat. Umgekehrt rechnet die jetzige Bundesregie-
rung nun auf die Unterstützung der heutigen Opposition,
wenn sie an dem von ihr konsequent fortgesetzten Kurs
auch dann festhält, wenn es starken Gegenwind und Kri-
tik besonders aus Washington gibt.


(Beifall des Abg. Rainer Fornahl [SPD] und des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])





Dr. Evelyn Kenzler
12358


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Bundesregierung ist entschlossen, an dieser bisher
von allen Parteien unterstützten Linie festzuhalten. Wir
hoffen daher, dass die heute vor uns liegenden Gesetzent-
würfe möglichst einmütig verabschiedet werden können.
Eine baldige Ratifikation des Römischen Statuts durch
Deutschland würde für viele Staaten in der Welt, die wie
wir das Strafgerichtshofvorhaben unterstützen, eine große
Ermutigung bedeuten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist daher richtig, dass wir uns zusammen mit dem
Gesetz über den Internationalen Strafgerichtshof ver-
tragskonform in die Lage versetzen, dass erforderlichen-
falls auch Deutsche überstellt werden können. Angesichts
der fortschreitenden Integration Europas ist es nur folge-
richtig, diese Möglichkeit auch in Bezug auf die EU-Part-
nerländer Deutschlands vorzusehen.

Lassen Sie mich abschließend in aller Nüchternheit sa-
gen: Der Internationale Strafgerichtshof ist noch nicht er-
richtet, er ist noch nicht gesichert und es bleibt noch viel
Arbeit zu tun. Im Bundestag werden wir in absehbarer
Zeit über Entwürfe für ein Ausführungsgesetz zum Rö-
mischen Statut und für ein Völkerstrafgesetzbuch zu be-
raten haben. Bei den Vereinten Nationen in New York
wird es schwierige Verhandlungen insbesondere über die
Finanzierung des Strafgerichtshofs und über weitere
wichtige Nebeninstrumente geben.

Darüber hinaus geht es darum, die Integrität des Ver-
tragswerks von Rom gegenüber denjenigen zu schützen,
die den Vertrag nachträglich doch noch abändern und da-
durch schwächen wollen. Es ist auch sehr wichtig, dass
wir rechtzeitig qualifiziertes deutsches Personal für den
Strafgerichtshof vorsehen, für den wir uns seit fast einem
Jahrzehnt einsetzen.

Es ist also noch einiges zu tun. Die Bundesregierung
wird engagiert daran weiterarbeiten, dass der Tag näher
rückt, an dem der Gerichtshof seine Arbeit in Den Haag
aufnehmen kann.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412805900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Art. 16 des Grundgesetzes, Drucksachen 14/2668 und
14/4419. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig ange-
nommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach
Art. 79 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der Mit-
glieder des Bundestages, das heißt mindestens 446 Stim-
men, erfordert. Es ist namentliche Abstimmung verlangt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer die vor-
gesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir gegen
14 Uhr eine weitere strittige Abstimmung durchführen
werden. Deshalb bitte ich um eine entsprechende Präsenz
auch nach dieser namentlichen Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich
nicht der Fall.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 13.28 bis 13.34 Uhr)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412806000
Die Sitzung ist wieder
eröffnet.

Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführe-
rinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussab-
stimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung des
Art. 16 des Grundgesetzes, Drucksachen 14/2668 und
14/4419, bekannt. Abgegebene Stimmen 531. Mit Ja ha-
ben gestimmt 528, mit Nein hat ein Abgeordneter oder
eine Abgeordnete gestimmt, Enthaltungen 2.




Staatsminister Dr. Ludger Volmer

12359


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 531;
davon

ja: 528
nein: 1
enthalten: 2

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig

Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)


(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen

Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße




Vizepräsidentin Petra Bläss
12360


(C)



(D)



(A)



(B)


Lothar Fischer (Homburg)

Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)


(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl

Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos

René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)


(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica Schwall-Düren
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann

Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek (Duisburg)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Klaus Bühler (Bruchsal)


(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach




Vizepräsidentin Petra Bläss

12361


(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein


(Großhennersdorf )


Norbert Hauser (Bonn)

Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Dr. Manfred Lischewski
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)


(Recklinghausen)



(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer

Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

F.D.P.
Hildebrecht Braun (Augsburg)

Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick

Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Ilja Seifert
Nein
CDU/CSU
Herbert Frankenhauser
Enthalten
CDU/CSU
Manfred Carstens (Emstek)

F.D.P.
Marita Sehn

Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Nach Art. 79 des Grundgesetzes bedarf ein Gesetz zur

Änderung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei
Dritteln der Mitglieder des Bundestages, zumindest aber
446 Jastimmen. Gemäß § 48 Abs. 3 unserer Geschäfts-
ordnung stelle ich fest, dass die erforderliche Zweidrittel-
mehrheit erreicht ist. Der Gesetzentwurf ist damit ange-
nommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Rö-
mischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs,
Drucksache 14/2682. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf
Drucksache 14/4421, den Gesetzentwurf anzunehmen.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig an-
genommen. Ich verweise noch einmal darauf, dass die
strittige Abstimmung erst gegen 14 Uhr stattfinden wird.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter
Baumann, Hans-Dirk Bierling, Klaus Brähmig,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Für mehr Sicherheit an der deutsch-tschechi-
schen Grenze
– Drucksache 14/3672 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die Kollegin
Ulla Jelpke von der PDS-Fraktion hat ihre Rede zu Proto-
koll gegeben.1) – Auch hierzu höre ich keinen Wider-
spruch.

Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU/CSU-Frak-
tion spricht der Kollege Günter Baumann.


Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1412806100
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Staat und alle gesell-
schaftlichen Gruppierungen sind gefordert, gemeinsam
dafür Sorge zu tragen, dass sich jeder Bürger in unserem
Land, an jedem Ort und zu jeder Zeit, sicher fühlen kann.
Neben der Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität und
jeder Form des Extremismus gehört dazu auch ein ent-
schiedener Kampf gegen illegale Einwanderung und Kri-
minalität an den Grenzen und im Grenzbereich.

Deutschland kommt durch die Schengen-Außengren-
zen zu Polen und Tschechien hierbei eine besondere Ver-
pflichtung zu. Der Freistaat Sachsen hat dabei durch seine
Lage mit einer EU-Außengrenze von 566 Kilometern, da-
von 454 Kilometer allein zu Tschechien, einen ganz be-
sonderen Stellenwert. Leider gibt es im deutsch-tsche-
chischen Grenzbereich eine Vielzahl von Straftaten, die
unsere Bürger in hohem Maße verunsichern; es machen
sich berechtigte Gefühle von Angst breit. Ich kenne dies,
da ich ebenfalls unmittelbar an der Grenze wohne und in-
sofern einige Erfahrungen gemacht habe.

Illegale Grenzübertritte, Schleusungen von Menschen
aus vielen Ländern, Schmuggel sowie Einbrüche und
Diebstähle sind in einigen Grenzorten leider fast schon
an der Tagesordnung. Diese Illegalen – wir wissen das –
nutzen den Grenzübertritt, um in größeren Städten und
Ballungsgebieten unterzutauchen. Schwarzarbeit und
Straftaten sind die Folge. Frau Staatssekretärin Sonntag-
Wolgast erklärte am 18. Oktober, dass jährlich etwa eine
halbe Million Menschen in die EU geschleust werden.
Durch organisierte Kriminalität werden in Deutschland
Umsätze von jährlich 17,6 Milliarden DM erzielt.

Zeitungsschlagzeilen informieren leider beinahe täg-
lich über die traurige Realität, zum Beispiel: „Schleuser
bevorzugen Erzgebirge und Vogtland“, „18 Illegale in
zwei PKWs geschnappt“, „Menschenhandel floriert an
Sachsens Grenzen“ oder – diese Woche ganz aktuell –
„BGS-Fahrzeug bei Kontrolle gerammt“, „Schleuserfahr-
zeug verursacht Unfall“. Ich könnte noch Weiteres auf-
führen.

Im Bundesgrenzschutz-Jahresbericht für das Jahr 1999
des BMI wird festgestellt:

Die Schwerpunkte der unerlaubten Einreisen haben
sich erkennbar verlagert und liegen nunmehr mit
12 846 Aufgriffen an der deutsch-tschechischen EU-
Außengrenze.

Dies sind circa fünfmal so viel Aufgriffe wie an der pol-
nischen Grenze. Von den aufgegriffenen Schleusern wur-
den 30 Prozent an der tschechischen Grenze festgenom-
men. Es gibt auch eine Zunahme an von Ausländern
begangenen Straftaten im Grenzbereich. So hat die Zahl
von Wohnungs- und Garageneinbrüchen sowie von PKW-
Diebstählen in den unmittelbaren Grenzorten stark zuge-
nommen.

Die Männer und Frauen vom Bundesgrenzschutz, vom
Zoll und der Polizei leisten in diesen Regionen eine her-
vorragende Arbeit


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

und verzeichnen – nicht zuletzt durch eine gut funktio-
nierende Zusammenarbeit – viele Erfolge. Es ist mir an
dieser Stelle ein Bedürfnis, den Angehörigen des BGS,
der Polizei und des Zolls für ihre verantwortungsvolle Ar-
beit, die sie täglich für unsere Sicherheit leisten, herzlich
zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich freue mich ganz besonders, dass eine Gruppe von

50 BGS- und Polizeibeamten, die ihren Dienst unmittel-




Vizepräsidentin Petra Bläss
12362


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

bar an der Grenze zu Tschechien tun, von der Besucher-
tribüne aus unsere heutige Diskussion verfolgt. Sie setzen
natürlich große Hoffnungen auf unsere Entscheidungen.
Meine Damen und Herren auf der Besuchertribüne, neh-
men Sie bitte unseren Dank für Ihre wichtige Arbeit in
Ihre Einheiten und in Ihre Dienststellen mit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Da die Probleme im deutsch-tschechischen Grenzge-

biet nicht nur zur Verunsicherung der Bevölkerung
führen, sondern auch nicht sehr förderlich für den Touris-
mus sowie für die Ansiedlung von neuem Gewerbe und
damit für die Schaffung von Arbeitsplätzen sind, ist der
Staat gefordert zu handeln. Die Mitglieder der sächsi-
schen Landesgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
haben sich gemeinsam mit Herrn Staatssekretär Körper
mit diesem Thema in Oberwiesenthal, also vor Ort,
beschäftigt. Es waren auch Verantwortliche des BGS, des
Zolls und der Polizei sowie Bürgermeister und Landräte
aus der betroffenen Grenzregion eingeladen worden. Wir
haben gemeinsam in der so genannten Oberwiesenthaler
Erklärung die Probleme aufgelistet, die aus unserer Sicht
gelöst werden müssen. Hieraus entstand der heutige Ge-
setzentwurf.

Wir fordern:
Erstens. Im unmittelbaren Grenzbereich zu Tschechien

müssen BGS und Zoll personell verstärkt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Nur dadurch kann die Aufgabe der Sicherung der Schen-
gen-Außengrenze ordentlich erfüllt werden. Die Schritte
der Neuorganisation des BGS sollten konsequent und
zügig erfolgen. Auch einige Standorte sind neu zu über-
prüfen. Ich bin der Meinung, dass zehn Jahre nach der
deutschen Einheit nur noch wenige Argumente für die
Aufrechterhaltung von BGS-Standorten an der ehema-
ligen innerdeutschen Grenze sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Kräfte, die dort ihren Dienst tun, müssen in den
Brennpunktbereichen, zum Beispiel an der tschechischen
Grenze, eingesetzt werden. Ich denke hierbei – das sage
ich ganz offen – an Standorte wie Fulda und Duderstadt.
Bei besonderen Gefahrensituationen im Grenzbereich
muss der BGS auch kurzfristig verstärkt werden können.
Dafür müssen entsprechende Mittel bereitgestellt werden.

Zweitens. Die technische Ausstattung des BGS hat
sich zwar in der letzten Zeit verbessert. Aber sie ist kei-
neswegs ausreichend und nicht immer zweckmäßig. Der
Fahrzeugbestand muss beispielsweise schneller schritt-
weise erneuert werden. Dabei sollte daran gedacht wer-
den, dass noch stärker geländegängige Fahrzeuge und Zi-
vilfahrzeuge zum Einsatz kommen sollten.


(Lothar Mark [SPD]: Die Ausstattung ist sehr gut!)


Entscheidend ist eine dezentrale Beschaffung. Auch
darüber haben wir in Oberwiesenthal gesprochen. Damals
wurde uns eine solche dezentrale Beschaffung zugesagt.
Leider wurde sie bis heute nicht realisiert. Vor Ort kann
die Beschaffung sinnvoller erfolgen als zentral. Dafür ein

Beispiel: Zurzeit werden Fahrzeuge des Typs Rover zum
Stückpreis von etwa 90 000 DM beschafft. Die Beamten
vor Ort und auch ich können das nicht nachvollziehen;
denn mit den gleichen finanziellen Mitteln könnten mehr
Geländefahrzeuge deutscher Herkunft, die auch ihren
Zweck erfüllen würden, beschafft werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine schnelle Verbesserung der Kommunikationstech-

nik, zum Beispiel Bildübertragung zum BKA und zu Eu-
ropol, ist besonders wichtig. Gesuchte Straftäter müssen
an der Grenze identifiziert werden können.

Herr Innenminister, im Einzelplan 06 des Planentwurfs
2001 darf es für den BGS keine Kürzungen geben. Ich
bitte Sie, noch einmal mit uns über den jetzigen Entwurf
zu diskutieren.

Drittens. Um die Aufgaben im Grenzbereich besser er-
füllen zu können, müssen bürokratische Wege vereinfacht
werden. Es muss mehr selbstständig vor Ort entschieden
werden können. Es kann nicht angehen, dass zum Beispiel
beim Aufgriff einer größeren Gruppe von Ausländern fak-
tisch keine Grenzsicherung mehr erfolgt, da fast alle
BGS-Beamten mit Formalitäten und Verwaltungs-
aufgaben beschäftigt sind.

Herr Innenminister, wir brauchen nach meiner Mei-
nung auch kein neues Referat im Bundeskriminalamt für
Schleuserkriminalität. Dies ist Aufgabe des Bundesgrenz-
schutzes. Eine bürokratische Zerteilung dieses Aufgaben-
gebietes, die sich gegenwärtig andeutet, ist nicht sinnvoll.

Viertens. Am 19. September 2000 wurde ein Vertrag
zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik
über die Zusammenarbeit der Polizeibehörden und der
Grenzschutzbehörden in den Grenzregionen unterzeich-
net. Hier muss es schnellstmöglich zur Ratifizierung kom-
men. Ich begrüße es, dass der sächsische Innenminister,
Klaus Hardraht, heute in Prag mit dem neuen tschechi-
schen Innenminister, Stanislav Gross, zusammengekom-
men ist und dort bereits über die Umsetzung dieses Ver-
trages verhandelt. Die Zusammenarbeit mit Tschechien
– gemeinsame Streifendienste, Bildung gemeinsamer
Dienststellen und gemeinsamer Ermittlungsgruppen – ist,
glaube ich, der richtige Weg.

Fünftens. Wir sehen es als notwendig an, dass Hilfen
und Hinweise der Bevölkerung im Grenzbereich zur Auf-
klärung von Straftaten noch stärker als bisher in die Arbeit
von BGS, Polizei und Zoll einbezogen werden. Das Sys-
tem des Einsatzes von Bürgerkontaktbeamten hat sich
als richtig erwiesen, aber es reicht nicht aus. Wenn in
mehreren Landkreisen nur ein Bürgerkontaktbeamter für
die Präventionsarbeit in Schulen, bei Einwohnerver-
sammlungen usw. tätig ist, so ist dies einfach zu wenig.

Sechstens. Ich sehe es als besonders wichtig an, den
aus der Grenzregion stammenden BGS-Kräften die
Möglichkeit zu eröffnen, nach der Ausbildung auch in
ihrer Heimat zum Einsatz zu kommen. Ihre Ortskennt-
nis sollten wir unbedingt nutzen. Die gegenwärtige
Regelung, dass junge BGS-Beamte nach der Ausbildung
erst drei Jahre bei einer Bundesgrenzschutzabteilung
Dienst machen müssen, bevor sie in Einzeldienststellen




Günter Baumann

12363


(C)



(D)



(A)



(B)


kommen, müsste meiner Meinung nach überdacht wer-
den. Zumindest müsste es möglich sein, Einzelfallrege-
lungen zu treffen.

Ich bitte die Mitglieder der Regierungskoalition, unsere
Vorschläge aufzugreifen und mit uns gemeinsam – ohne
Parteienpolemik – zu diskutieren, sodass wir gemeinsam
dringend notwendige Veränderungen angehen können.
Unsere Mitbürger in den deutsch-tschechischen Grenzge-
bieten und die dort tätigen Angehörigen von Bundes-
grenzschutz, Zoll und Polizei erwarten, dass wir, die Poli-
tiker, unverzüglich handeln. Lassen Sie uns dies gemein-
sam tun.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412806200
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Günter Graf.


Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1412806300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, das uns
hier heute beschäftigt, ist nicht neu. Ich will in aller Deut-
lichkeit darauf hinweisen, dass auch die Vorgängerre-
gierung Anstrengungen unternommen hat, um die Sicher-
heit im Grenzbereich in Gänze zu verbessern, und dass sie
in diesen Fragen stets die Unterstützung der damaligen
Opposition genossen hat. Ich will auch von Anfang an
sehr deutlich sagen, dass die jetzige Bundesregierung mit
dem Bundesinnenminister Otto Schily dieses Bemühen in
den letzten zwei Jahren in erheblichem Maße verstärkt
hat. All das, was jetzt zwischen dem sächsischen Freistaat
und der tschechischen Regierung geschieht, geschieht in
bestem Einvernehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist gut, dass man sich in Fragen der Sicherheit auf Ge-
meinsamkeiten verständigt und diese Gemeinsamkeiten
weiter pflegt. Es geht nicht um uns als Abgeordnete, es
geht nicht um die Parteien. Es geht um die Menschen, die
im Grenzraum leben. Es geht aber auch um die Menschen,
die in skrupelloser Weise von Schleppern und dergleichen
in unser Land gebracht werden und die dann hier mit ihren
Problemen zu kämpfen haben.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir alle wissen mittlerweile, dass das Geschäft der
Schleusung von Menschen in die Bundesrepublik
Deutschland über die Außengrenzen zu einem lukrativen
Geschäft im Bereich der organisierten Kriminalität ge-
worden ist. Man kann heute davon ausgehen, dass die Ein-
nahmen, die durch diesen Menschenhandel – so kann man
das wohl bezeichnen – zustande kommen, die Einnahmen
aus dem Bereich der Drogenkriminalität übersteigen. Wir
alle wissen, um welche Zahlen es sich dabei handelt. In-
sofern ist es notwendig, das Bemühen ständig zu verstär-
ken, illegale Einreise zu verhindern.

Aber eines will ich vorweg auch ganz deutlich sagen:
Wir können mit noch so viel Material und technischer
Ausrüstung und mit noch so vielen Beamten niemals ab-

solut verhindern, dass illegale Einreisen erfolgen. Das ist
genau wie mit der Kriminalität. Man kann sehr vorder-
gründig sagen: Wir müssen mehr tun, dann gibt es keine
Kriminalität mehr. – Kriminalität hat es stets gegeben; es
gibt sie heute und es wird sie trotz allen Bemühens auch
weiterhin geben.

Aufgabe der Politik muss sein – da sind wir auf einem
sehr guten Wege – den Abstand zwischen Rechtsbrechern
und den staatlichen Verfolgungsorganen so gering wie
möglich zu halten und alles zu tun, unseren Behörden die
notwendige Unterstützung zu gewähren.


(Beifall bei der SPD)

Ich denke, in dieser Frage gibt es einen Konsens.

Ich möchte mich im Folgenden auf das beziehen, was
der Kollege Baumann eben ausgeführt hat. Es ist gut, dass
Sie die Gemeinsamkeiten betont haben. Wir werden in
den Ausschussberatungen sehr differenziert über die ein-
zelnen Punkte sprechen. Wir werden dann allerdings auch
sehr schnell erfahren, dass wir in Bezug auf das, was Sie
im Einzelnen in Ihrem Antrag fordern, gerade in den letz-
ten zwei Jahren, vor allem in diesem Jahr, ein gutes Stück
vorangekommen sind, vielleicht schneller, als dies in der
Vergangenheit der Fall war.

Wenn wir über illegale Einreise reden, müssen wir aber
eines bedenken: Wir haben zu Ihrer Regierungszeit erlebt,
dass wir einen massiven Druck illegaler Einwanderung
über die deutsch-polnische Grenze hatten. Die Reaktion
des damaligen Innenministers war – wir haben sie mitge-
tragen, weil wir die Notwendigkeit anerkannt haben –,
den Personalbestand und die technische Ausstattung im
Bereich der deutsch-polnischen Grenze zu verbessern.
Dieses Vorgehen war erfolgreich; denn wir haben in der
Folge festgestellt, dass die illegale Einwanderung über die
deutsch-polnische Grenze massiv zurückging.

Wir konnten aber auch feststellen, dass in dem Maße,
in dem dort ein Rückgang zu verzeichnen war, eine ver-
stärkte illegale Einwanderung über die deutsch-tschechi-
sche Grenze stattfand. Der Innenminister, Otto Schily, hat
angesichts dieser Situation gleichermaßen reagiert – Gott
sei Dank haben wir ihn alle darin unterstützt –, sodass die
technische und personelle Ausstattung verbessert werden
konnte.

Herr Kollege Baumann, Sie haben die Fahrzeuge an-
gesprochen. Ich will in diesem Zusammenhang daran
erinnern, dass ich mit den Kollegen Wiefelspütz und
Kemper und mit der Kollegin Barbara Wittig beim Grenz-
schutzamt in Pirna war. Wir haben nachts an einer Grenz-
kontrollstreife teilgenommen. Am nächsten Tag haben wir
Gespräche mit den Verantwortlichen vor Ort und auch mit
den Beamten geführt. Ich war überrascht, dass es einen
Fahrzeugpark mit geländegängigen Mercedes-Fahrzeu-
gen gibt. Wir können davon ausgehen, dass auf zwei
BGS-Beamte ungefähr ein Kraftfahrzeug kommt.


(Beifall bei der SPD)

Am Rande sei erwähnt: Die Verhältnisse in Bayern

sind derart – ich will gar nicht in Abrede stellen, dass dort
der Einwanderungsdruck geringer geworden ist –, dass
dort auf sieben Beamtinnen und Beamte ein Fahrzeug




Günter Baumann
12364


(C)



(D)



(A)



(B)


kommt. Ich will mit diesem Vergleich deutlich machen,
welche Bemühungen die Bundesregierung unternommen
hat.

Auch bei der personellen Aufstockung des BGS Ost
sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Wir haben eine
bis dahin noch nicht gekannte Größenordnung erreicht.
Aber bei all unseren Bemühungen sollten wir eines nicht
übersehen: Wenn wir erreichen wollen, dass es überhaupt
keine illegale Einreise mehr gibt, dann müssten wir in
Europa ein Bollwerk errichten, das angesichts der EU-
Osterweiterung keiner will. Wir sollten die Anrainerstaa-
ten vielmehr ermutigen, ein bisschen mehr auf diesem
Gebiet zu tun.

Wir können angesichts des Verhältnisses zu unseren
polnischen Nachbarn feststellen, dass die Kooperation
zwischen dem Bundesgrenzschutz und den Grenzschüt-
zern auf polnischer Seite hervorragend funktioniert. Es
gibt gemeinsame Streifengänge mit den polnischen
Grenzschützern, auch auf polnischem Staatsgebiet.

Leider muss man sagen, dass wir in der Zusammen-
arbeitmit der tschechischen Seite noch nicht so weit sind.
Die Ursachen hierfür liegen in Tschechien. Ich will nicht
verschweigen, dass wir im Hinblick auf das Verhältnis
Tschechiens zur Slowakei sensibel sein müssen. Wir dür-
fen nicht vergessen, dass diese beiden Staaten vor nicht
allzu langer Zeit ein Land waren und es daher natürlich
besondere Verbindungen zwischen diesen beiden Ländern
gibt. Wir müssen daher Verständnis dafür aufbringen, dass
sich die Zusammenarbeit mit Tschechien noch nicht so
positiv gestaltet. Wir streben das Ziel einer Kooperation
aber an. Die entsprechenden Abkommen sind von Ihnen,
Herr Kollege Baumann, schon erwähnt worden. Wir sind
auf einem guten Wege, dieses zu forcieren. Es gibt ein
großes Stück an Gemeinsamkeit.

Was die technische Ausstattung angeht, kann ich fest-
stellen – ich bin in den letzten Jahren regelmäßig in die-
ser Region gewesen –, dass sich eine Menge getan hat.
Man kann immer sagen: Wir brauchen noch mehr Gerät-
schaft. Ich nenne als Beispiel das Wärmesichtgerät. Dazu
muss man aber wissen, dass dieses Gerät nur begrenzt ein-
setzbar ist. Wenn man entsprechende Geländeformatio-
nen hat, Berge und Täler mit dichtem Waldbewuchs, dann
hilft dieses Gerät herzlich wenig. Auch das ist bekannt: Je-
des eingesetzte Gerät bindet zusätzliche Kräfte.

Dass dann, wenn eine Schleusung festgestellt wird und
dadurch Kräfte gebunden werden, weil sämtliche forma-
len Abwicklungen, zum Beispiel Überprüfungen, Verneh-
mungen und dergleichen, durchzuführen sind, die Grenze
in einem bestimmten Abschnitt ungesichert ist – auf die-
ses Problem haben Sie bereits hingewiesen –, ist nicht von
der Hand zu weisen. Die gleiche Situation werden Sie
aber haben, wenn Sie noch mehr Personal an der Grenze
einsetzen. Wenn die erste Gruppe beschäftigt ist, dann ist
die zweite für den nächsten Aufgriff zuständig und die
dritte Gruppe steht alleine da.

Das ist übrigens ein Problem, das auch die Polizei hat.
Es kann sein, dass in einer Dienststelle der Anruf kommt,
dass ein Verkehrsunfall geschehen ist, und dass zwei Mi-
nuten später ein Anruf wegen eines weiteren Verkehrsun-

falles eingeht. Irgendwann ist die Kapazität des Perso-
nals erschöpft; denn Sie können nicht einen für alle Even-
tualitäten erforderlichen Personalpool vorhalten. Das ha-
ben Sie wahrscheinlich so nicht gemeint, als Sie das
angesprochen haben; aber ich wollte einfach einmal diese
Problematik aufzeigen.

Auch in diesem Bereich hat sich eine Menge bewegt.
Sie selbst haben entsprechende Zahlen genannt. Wir
haben zwischenzeitlich im Bereich des Grenzschutzprä-
sidiums Ost 8 000 Beamte eingesetzt. Diese Entwicklung
ist in Ordnung.

Weil die Menschen in der Grenzregion in besonderer
Weise persönlich von kriminellen Handlungen betroffen
sind, hat es eine Vielzahl an Maßnahmen gegeben, die
dazu geführt haben, dass sich die dortige Situation beru-
higt hat. Ich kann mich noch gut an einen zusammen mit
dem Kollegen Kemper vor vier, fünf Jahren gemachten
Besuch bei den Einwohnern von Seifhennersdorf erin-
nern. Diese sind uns fast mit geballter Faust entgegenge-
treten. Denn just an dem Tage, an dem wir dort eine Fa-
milie besuchten, war innerhalb von wenigen Monaten der
siebte Einbruch durchgeführt worden. Wie angesichts
dessen die Stimmungslage bei den dort lebenden Men-
schen war, ist nachvollziehbar.

Auch dies hat dazu geführt, dass man etwas getan hat,
und zwar zum einen, was die Verstärkung im personellen
und technischen Bereich generell angeht, und zum ande-
ren dadurch, dass Kontaktstellen eingerichtet wurden,
um den Bürgerinnen und Bürgern Ansprechstellen anzu-
bieten. Diese Unternehmungen werden fortgesetzt. Wir
haben ein Bürgertelefon und zwischenzeitlich eine Hot-
line eingerichtet, um den dort lebenden Menschen jeder-
zeit einen Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen.

Vieles von dem, was ich hier ausgeführt habe, trifft
natürlich auch für die Zollverwaltung und die sächsische
Landespolizei zu, wobei ich bemerken muss, dass die Ko-
operation gerade im sächsischen Bereich sehr gut ist.

An dieser Stelle möchte ich einmal mit einer Mär
Schluss machen: In letzter Zeit hört man verstärkt, dass
die Zollverwaltung abgebaut wird. Ich will in aller Deut-
lichkeit sagen: Das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
der Fall. Die vom Zoll zu erarbeitende Konzeption dahin
gehend, wie er sich entwickeln wird, wird in enger Ab-
stimmung mit dem zuständigen Ministerium erfolgen,
sodass keine Sicherheitsdefizite auftreten werden. In
diesem Bereich passiert also im Moment gar nichts. Wer
Ihnen etwas anderes erzählt, sagt Ihnen bewusst die Un-
wahrheit.

Ich möchte mich beim Bundesinnenministerium aus-
drücklich dafür bedanken, dass es trotz der Enge der Fi-
nanzen, die wir alle seit Jahren kennen, in diesem Jahr
wieder gelungen ist, auch im Haushalt 2001 – das werden
wir im Laufe der Haushaltsberatungen noch sehen – in
massiver Weise Stellenhebungen durchzuführen. Wir
werden das weiterführen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Günter Graf (Friesoythe)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Fairerweise will ich auf Folgendes hinweisen – denn es
soll kein falscher Eindruck entstehen –: Auch die alte Re-
gierung hat damals mit diesen Stellenhebungen begon-
nen. Ich finde es gut, dass in diesen Fragen – zumindest
weitgehend – Übereinstimmung besteht. Man sollte aller-
dings nicht aus parteipolitischem Kalkül heraus versu-
chen, Punkte zu sammeln, die im Grunde genommen den
eigentlichen Interessen der Betroffenen zuwiderlaufen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit Blick auf meine Redezeit möchte ich zum Schluss
kommen. Aber eines möchte ich nicht versäumen festzu-
stellen – Herr Kollege Baumann hat das deutlich betont –
Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion ganz herz-
lich bei den Beschäftigten des Bundesgrenzschutzes, aber
auch der Zollverwaltung und der Polizei bedanken.


(Beifall bei der SPD)

Ich habe in der Vergangenheit – früher in Bonn und seit
einem Jahr hier in Berlin – von dieser Stelle aus häufig ge-
sagt: Viele, denen wir gedankt haben, könnten sich mit
den Protokollseiten, auf denen diese Dankesworte stehen,
ihre Räume tapezieren. Wenn man Dank sagt, dann muss
auch etwas folgen. Deswegen habe ich in besonderer
Weise auf das Stellenhebungsprogramm hingewiesen. Ich
kann Ihnen versichern, dass wir in unserem Bemühen
nicht nachlassen werden, die Situation der Bundesgrenz-
schutzbeamten und -beamtinnen zu verbessern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe nach Ihrer heutigen Rede, Herr Baumann, das
Gefühl, dass wir gemeinsam auf einem guten Wege sind.
Ich habe die Hoffnung, dass wir das Ganze bei den Bera-
tungen im Innenausschuss gemeinsam bewerkstelligen.
Wenn sich diese Zusammenarbeit so fortsetzt, dann bin
ich guter Hoffnung. Den Menschen in der Grenzregion
können wir dadurch deutlich machen, dass wir ihre Inte-
ressen erkennen und auch in entsprechender Weise wahr-
nehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412806400
Das Wort hat der Kol-
lege Jörg van Essen, F.D.P.-Fraktion.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1412806500
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich finde es gut, dass in dieser De-
batte – der Kollege Graf hat in seiner Rede darauf hinge-
wiesen – Gemeinsamkeit deutlich wird. Gerade in Fragen
der inneren Sicherheit tut es gut, wenn es einen Wettstreit
um die besten Ideen gibt. Wenn die eine oder andere Vor-
lage eingebracht wird, dann enthält sie nicht immer nur
Kritik, sondern auch die Aufforderung, darüber nachzu-
denken, ob die dort gemachten Vorschläge nicht mögli-
cherweise zu einer Verbesserung der inneren Sicherheit
und damit der Sicherheit unserer Bürger führen. Das gilt
auch für die Situation an den Außengrenzen, insbesondere
den Ostgrenzen unseres Landes.

Ich habe nicht die Erfahrungen, die Sie an den Grenzen
zur Tschechischen Republik gemacht haben. Meine per-
sönlichen Erfahrungen beziehen sich auf die Grenze zwi-
schen der Bundesrepublik und Polen. Dort haben wir viele
ähnliche Probleme wie an der Grenze zur Tschechischen
Republik, zum Beispiel eine hohe Schleuserkrimina-
lität. Herr Kollege Graf, es ist richtig, wenn Sie sagen,
dass diese Art von Kriminalität Menschen in besonderer
Weise ausbeutet. Menschen, die arm sind, müssen in aller
Regel hohe Beträge bezahlen, um geschleust zu werden.
Diese Beträge werden von Verwandten besorgt. Ganze
Familien legen Geld zusammen. Wenn man sieht, wie
menschenunwürdig diese Personen behandelt werden,
dann werden wir einsehen: Es muss das ein Schwerpunkt
unserer Anstrengungen sein, zu einer Eindämmung der
Schleuserkriminalität zu kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Umso mehr ärgere ich mich darüber – ich weiß, dass

das nicht die offizielle Meinung der Partei ist –, dass zum
Beispiel eine grüne Kollegin aus Deutschland im Europa-
parlament sogar eine finanzielle Subventionierung dieser
Banden fordert.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Skandalös!)


Das ist genau der falsche Weg. Es ist Gott sei Dank nicht
die offizielle Auffassung der Partei. Ich bin auch sicher,
dass das nie geschehen wird. Dafür wird der Kollege Cem
Özdemir schon sorgen.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es sind Dinge auch kritisch anzusprechen. Darauf
möchte ich das Hauptaugenmerk meiner Überlegungen
richten. Das bezieht sich insbesondere auf die Situation
der Beamten des Bundesgrenzschutzes. Sie haben ange-
deutet, dass bei der Besoldung, der Dienstgestaltung und
der Beförderungssituation über Verbesserungen nachge-
dacht wird.


(Hans-Peter Kemper [SPD]: Das ist schon zu großen Teilen passiert!)


– Richtig. Auch als wir noch an der Regierung waren, ha-
ben wir erste Schritte in diese Richtung eingeleitet. Trotz-
dem müssen wir weiterkommen.

Ich beobachte mit Sorge, dass es beim Bundesgrenz-
schutz eine Tendenz hin zu den Weststandorten gibt. Wir
alle kennen die Gründe, zum Beispiel die Besoldung.
Deshalb möchte ich ansprechen, was immer wieder ge-
nannt wird, wenn man über die Bundeswehr redet: Die un-
gleiche Besoldung in Ost und West in diesem Bereich
führt dazu, dass der schwere Dienst an dieser Grenze, der
in aller Regel sehr viel schwieriger ist als an anderen
Grenzen, manchmal noch schlechter bezahlt wird. Dies
muss unsere Hauptanstrengung sein: Wir müssen zu einer
gleichen Besoldung in West und in Ost kommen. Gleich-
zeitig muss der Tendenz in Richtung Weststandorte ent-
gegengewirkt werden, die zum Teil – das überrascht einen
besonders – an der früheren innerdeutschen Grenze lie-
gen. Man fragt sich, was da der Grund ist. Ich weiß, dass




Günter Graf (Friesoythe)

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(C)



(D)



(A)



(B)


es auch dort Reformen gegeben hat, dass ein Abbau vor-
genommen wurde.


(Hans-Peter Kemper [SPD]: Wer hat diese Reformen und die Standorte denn gemacht?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412806600
Herr Kollege van
Essen, da Sie gerade eine Pause machen: Lassen Sie eine
Frage des Kollegen Graf zu?


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1412806700
Ja.


Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1412806800
Herr Kollege van
Essen, Sie wissen: Die Reformen haben wir damals ge-
meinsam gemacht. In Teilbereichen haben wir uns damals
kritisch dazu geäußert, indem wir gesagt haben, man hätte
flexibler, mit mobilen Komponenten – auch vor dem Hin-
tergrund der beabsichtigten EU-Osterweiterung – arbei-
ten müssen. Was die Standorte an der ehemaligen
innerdeutschen Grenze, insbesondere Duderstadt, angeht:
Das war ein politisches Entgegenkommen zur damaligen
Zeit. Dass wir uns im Stadium der Abwicklung befinden,
dürfte auch Ihnen bekannt sein. Ist das so?


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1412806900
Richtig. Ich weiß, dass wir
dort in die richtige Richtung gehen. Ich weiß aber auch,
dass es Druck von Kollegen aus Ihrer Fraktion, die hohe
Funktionen haben, dahin gehend gegeben hat und noch
gibt, dass der eine oder andere Standort, der sich in der
Mitte Deutschlands befindet, erhalten bleibt. Das festzu-
halten gehört auch zur Wahrheit.

Die letzte Überlegung, die ich in diese Debatte noch
einbringen wollte, ist: Angesichts der Erweiterung der Eu-
ropäischen Union müssen wir natürlich dafür sorgen, dass
die Standorte des Bundesgrenzschutzes zukunftsfest sind.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412807000
Es spricht jetzt der
Kollege Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412807100
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der
Union suggeriert, dass der Bundesgrenzschutz an der
Grenze zu unserem mitteleuropäischen Nachbarn Tsche-
chien in einem völlig desolaten Zustand ist und dass die
Beamten dort von raubenden Horden aus Zentralasien ge-
radezu überrannt werden.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hat keiner gesagt, Kollege Özdemir! Die Diskussion war bisher so sachlich!)


– Dieser Eindruck entsteht, wenn man Ihren Antrag liest.
Notwendig ist eine nüchterne Betrachtung der Pro-

bleme. Dabei muss man die Sorgen der Menschen im
grenznahen Gebiet – darauf wurde in der Debatte zu

Recht hingewiesen – ernst nehmen. Dort gibt es tatsäch-
lich Probleme, die absolut nicht hinnehmbar sind und die
für die Menschen dramatische Belastungen darstellen.

Ich vertraue den Regierungen sowohl in Prag als auch
in Berlin, dass sie gemeinsam mit den Beamten vor Ort al-
les tun werden, um diese zum Teil unhaltbaren Zustände
zu ändern. Der Kollege von der SPD hat bereits darauf
hingewiesen, dass die personelle und technische Ausstat-
tung des Bundesgrenzschutzes und des Zolls fortlaufend
verbessert wird. Dies wird ja auch von allen Fraktionen im
Bundestag unterstützt.

Es geht nicht nur um eine nüchterne Betrachtung der
Situation an der Grenze selbst und im Grenzumland, son-
dern wir müssen uns auch mit den Ursachen für illegale
Grenzübertritte beschäftigen. Ferner muss man das Ver-
hältnis zwischen Deutschland und Tschechien sowie zwi-
schen Tschechien und der Europäischen Union betrach-
ten; auch diese Dimension muss einbezogen werden.
Wenn Menschen den gefährlichen und, wenn sie sich
Schlepperbanden anvertrauen, auch teuren Weg der ille-
galen Einreise nach Deutschland wählen, dann hat dies
viele Ursachen.

Weil Herr Kollege van Essen die Abgeordnete aus dem
Europäischen Parlament zitiert hat, die sich in für meine
Begriffe sehr falscher und unverantwortlicher Weise
geäußert hat, möchte ich bei dieser Gelegenheit auf Fol-
gendes hinweisen: Dies ist nicht nur nicht die Position der
Bundestagsfraktion und der Bundespartei der Grünen,
sondern es ist auch nicht die Position der Fraktion der
Grünen im Europäischen Parlament. Die Fraktionsvorsit-
zende im Europäischen Parlament hat sich davon klar
distanziert. Bei diesen Schleppern handelt es sich um See-
lenverkäufer, die den Tod von Menschen billigend in Kauf
nehmen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es!)

Das hat nichts Romantisches an sich; das muss man in
aller Klarheit sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir werden diese Ursachen auch nicht ohne weiteres
beseitigen können. Ein Problem – das füge ich für meine
Fraktion ausdrücklich hinzu, auch wenn ich hier keine
einfache Lösung anbieten kann – liegt natürlich darin,
dass wir mit der Änderung von Art. 16 des Grundgesetzes,
die hier 1993 beschlossen wurde, den Zugang auf dem
Landwege faktisch ausgeschlossen haben.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Wenn wir das Verbrechen bekämpfen wollen, müssen wir es legalisieren?)


Man könnte böse formulieren, dass das eine Art Arbeits-
beschaffungsmaßnahme für Schlepperbanden sei.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Deshalb haben wir ab F.D.P. ein Zuwanderungssteuergesetz eingebracht!)


– Sie haben ja darauf hingewiesen. Dieser Hinweis legt
uns dringend nahe, dass wir uns mit dem Gesamtkomplex
der Zuwanderung beschäftigen. Deshalb freut es mich,




Jörg van Essen

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(C)



(D)



(A)



(B)


dass in den letzten Tagen die Diskussion über die Frakti-
onsgrenzen hinweg in die Richtung gelaufen ist, wie wir
die Zuwanderung steuern können.

Wir müssen verhindern, dass Menschen ihr Leben aufs
Spiel setzen und etwa beim Überqueren der Elbe lebens-
gefährliche Umstände in Kauf nehmen, um die Bundesre-
publik Deutschland zu erreichen. Niemand – weder die
Menschen im grenznahen Gebiet noch wir, die wir hier
sitzen – kann ruhig schlafen, wenn er sieht, dass Men-
schen ihr Leben bei dem Versuch verlieren, die Grenze zu
überschreiten.

Man muss diese Debatte auch dazu nutzen, dass wir im
Verhältnis zu unserem Nachbarn Tschechien zu einer ähn-
lichen Beziehung kommen, wie wir sie gegenwärtig zu
Polen haben. Wir haben hier sehr großen Nachholbedarf.
Natürlich – das wurde bereits gesagt – ist die Motivation
zur Zusammenarbeit auch in Tschechien nicht immer so
gewesen, wie man es sich wünscht. Das hat aber auch Ur-
sachen, die ich in dieser Debatte nicht verschweigen
möchte. Hier wurden in der Vergangenheit Fehler ge-
macht, wenn ich daran denke, wie Tschechien von uns be-
handelt wurde und wie die Vorgängerregierung falsche
Akzente im Umgang mit Tschechien gesetzt hat.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Was haben wir denn gemacht?)


– Ich erinnere daran, dass der Beitritt Tschechiens zur
Europäischen Union von Ihnen mit unzulässigen Fragen
verknüpft wurde.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Unzulässig? Dass sie die Kriterien erfüllen! Das ist doch alles an den Haaren herbeigezogen!)


Die neue Bundesregierung hat in dieser Frage ein klares
Signal gesetzt. Tschechien kann sich auf uns, auf die Bun-
desrepublik Deutschland, verlassen. Wir sehen uns als
Anwalt Tschechiens in der Frage der Annäherung an die
Europäische Union und in der Frage der Mitgliedschaft in
der Europäischen Union. Wenn Tschechien eines Tages
– hoffentlich in sehr naher Zukunft – Mitglied der Euro-
päischen Union ist und die Grenze eine innereuropäische
ist, wird sich die Frage sicherlich auf eine andere Weise
stellen.

Ich denke, dass wir gegenüber unseren Freunden in
Tschechien, gerade angesichts der Vergangenheit der
Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang
– ich darf an 1938 erinnern, ich darf aber auch daran er-
innern, dass die DDR beteiligt war, als 1968 schlimme
Dinge dort geschehen sind –, eine besondere Verantwor-
tung haben. Deshalb empfehle ich einen sehr sensiblen
Umgang mit diesem Thema.

Ich möchte die Gelegenheit dieser Debatte auch nut-
zen, um einer Kollegin, der Vizepräsidentin des Deut-
schen Bundestages, Antje Vollmer, zu danken, die in der
Vergangenheit – ich glaube, von allen Fraktionen aner-
kannt – sehr viel für das deutsch-tschechische Verhältnis
getan und so dazu beigetragen hat, dass wir an dem Punkt
angelangt sind, an dem wir heute stehen. Wenn wir etwas
tun wollen, auch um das Verhältnis zueinander im grenz-
nahen Gebiet zu verbessern, dann sollten wir uns für eine

Politik der guten Nachbarschaft, des intensiven Jugend-
und Kulturaustausches und der Integration Tschechiens in
die Europäische Union einsetzen. Dies wird den Men-
schen im grenznahen Gebiet zugute kommen.

Ich bin mir sicher, dass die Regierungen auf Landes-
ebene, die Kommunen vor Ort, die Bundesregierung und
die Prager Regierung gemeinsam dafür sorgen werden,
dass die Probleme so schnell wie möglich einer Lösung
zugeführt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412807200
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Bundesminister des Innern, Otto
Schily.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1412807300
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Zunächst
darf ich mich bei den Fraktionen dafür bedanken, dass sie
mir außerhalb der vereinbarten Redezeit die Möglichkeit
zu einigen Bemerkungen geben.

Es freut mich, dass heute Beamtinnen und Beamte des
BGS unter uns sind. Ich halte es auch von meiner Seite aus
für geboten, ihnen für ihre hervorragende Arbeit aus-
drücklichen Dank auszusprechen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Herr Kollege Baumann, Sie haben selber erwähnt, dass
Herr Staatssekretär Körper in Ihrer Arbeitsgruppe war. Sie
können darin ein Zeichen erkennen, dass wir mit Ihnen
gern in einen Dialog eintreten, was die Verbesserungs-
möglichkeiten angeht. Was gut ist, ist immer noch ver-
besserungsfähig; das bestreitet niemand. Wenn es dazu
von Ihrer Seite konstruktive Anregungen gibt, werden wir
diese vorurteilsfrei prüfen. Dann werden wir sehen, ob
sich an der einen oder anderen Stelle Möglichkeiten an-
bieten. Da bin ich völlig offen.

Ich will allerdings keine Versprechungen machen, die
ich nicht einhalten kann. Sie wissen, wir haben einen
Haushalt, der unter Konsolidierungszwang steht. Ich bin
sehr stolz darauf, Herr Kollege Baumann, dass ich trotz
der Sparvorgabe, die ich mit meinem Haushalt zu erfüllen
habe, der zu 60 Prozent der inneren Sicherheit dient und
zu 56 Prozent aus Personalkosten besteht, die Mittel für
den BGS im nächsten Jahr nicht absenken, sondern er-
höhen werde. Das ist ein großer Erfolg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur, damit wir uns richtig verstehen: Hier ist über die
Stellenhebungen gesprochen worden. Ich habe den Um-
fang des Stellenhebungsprogramms im vergangenen
Jahr verdoppelt. Ich erkenne an, dass auch die alte Regie-
rung etwas getan hat; das muss man fairerweise anerken-
nen. Aber wir haben die Zahl der Stellenhebungen ver-
doppelt, und wir werden sie weiter erhöhen, weil die
Stellenstruktur im Bundesgrenzschutz im Vergleich zu




Cem Özdemir
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(C)



(D)



(A)



(B)


den Länderpolizeien nicht in Ordnung ist. Auch das muss
man anerkennen.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mir ist bewusst, dass es an der deutsch-tschechischen
Grenze noch Verhältnisse gibt, die uns nicht frohlocken
lassen. Da haben Sie Recht, Herr Baumann; das haben
auch Herr Graf und andere gesagt. Wir haben die not-
wendigen Kooperationsformen dafür schon geschaffen.
Wir haben mit Tschechien eine Vereinbarung. Ich habe
mit dem Land Sachsen – da bedanke ich mich bei dem
Kollegen Hardraht, mit dem ich hervorragend zusam-
menarbeite; ich glaube aber, dass ebenso von Sachsen das
Verhältnis als sehr positiv beschrieben wird – eine Ver-
einbarung hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen
dem BGS und der Polizei dieses Landes geschlossen.

Aber man muss die Kirche im Dorf lassen. Ich kann
nicht zu Herrn Eichel gehen, um noch ein paar Millionen
abzuholen, denn die werde ich nicht bekommen. Ich bin
schon froh über das, was ich bekomme. Wir müssen die
Realitäten erkennen.

Ich sage mit aller Vorsicht: Dort, wo Migrationsdruck
ankommt, kann man ihn – da hat der Kollege Graf
Recht – nur begrenzt abfedern.

Letztlich ist es eine vernünftige Politik, bei dem Mi-
grationsdruck dort anzusetzen, wo er entsteht. Ich will
jetzt nicht Details schildern; da geht es auch um die
Grenze zur Slowakei und es geht um vieles an der
deutsch-tschechischen Grenze.

Eine letzte Bemerkung gestatten Sie mir, lieber Kol-
lege Cem Özdemir. Ich schätze Sie, wie Sie wissen. Aber
über den Zusammenhang, den Sie zwischen Asylkompro-
miss und Migration hergestellt haben, sollten Sie noch
einmal eine Nacht schlafen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Ich glaube, Sie können nicht sagen, dass es infolge

einer Zugangsregelung – wir werden immer Zu-
zugsbegrenzungen haben –, Schleuser gibt. Natürlich gibt
es einen ursächlichen Zusammenhang. Das macht die
Schleuserkriminalität nicht besser.

Da ich jedoch von Ihnen auch weiß, dass Sie nicht eine
unbegrenzte Zuwanderung wollen und auch nicht wollen,
dass Leute das Asylrecht als Zuwanderungsmöglichkeit
nutzen, müssen Sie diesen Zusammenhang noch einmal
genauer prüfen. Ich biete Ihnen auch dazu ein Gespräch
an, damit wir die Dinge richtig einordnen.

Jedenfalls freue ich mich darüber, dass es auf allen Sei-
ten des Hauses das Bestreben gibt, die Verhältnisse dort
zu verbessern. Ich glaube, das ist eine gute Grundlage für
weitere Zusammenarbeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412807400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3672 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 16 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-

tionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Eigenheimzulagengesetzes
und anderer Gesetze
– Drucksache 14/4130 –

(Erste Beratung 121. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Dietmar Kansy, Dirk Fischer

(Hamburg), Eduard Oswald, weiteren Abge-

ordneten und der Fraktion der CDU/CSU ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Eigenheimzulagengesetzes
– Drucksache 14/4131 –

(Erste Beratung 121. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/4422 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Schild
Elke Wülfing

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kollegin-
nen und Kollegen Horst Schild, Wolfgang Spanier,
Dr. Michael Meister, Franziska Eichstädt-Bohlig, Hans-
Michael Goldmann sowie Christine Ostrowski haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben.1) –


(Beifall bei der SPD)

Ich sehe keinen Widerspruch im Saal.

Deshalb kommen wir sofort zu den Abstimmungen,
und zwar zunächst über den von den Fraktionen der SPD
und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Änderung des Eigenheimzulagengesetzes und
anderer Gesetze, Drucksachen 14/4130 und 14/4422
Buchstabe a). Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Ent-
haltung der PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit bei Enthaltung
der PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung des Ei-
genheimzulagengesetzes auf Drucksache 14/4131. Der




Bundesminister Otto Schily

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4422 unter
Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ge-
gen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Und einer Stimme aus der SPD-Fraktion! – Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Nein, da hast du falsch geguckt!)


– Ich habe hier keine Zustimmung aus der SPD-Fraktion
gesehen. – Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bundesdatenschutzgesetzes und ande-
rer Gesetze
– Drucksache 14/4329 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Kultur und Medien

Es ist interfraktionell vereinbart worden, die Rede-
beiträge zu Protokoll zu geben, und zwar von den Kolle-
ginnen und Kollegen Gisela Schröter, Beatrix Philipp,
Cem Özdemir, Jörg van Essen, Petra Pau sowie vom
Parlamentarischen Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
das so beschlossen.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/4329 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Auch das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 d sowie
Zusatzpunkt 17 auf:
22.a) Beratung des Antrags der Abgeordneten

Christine Ostrowski, Heidemarie Ehlert,
Gerhard Jüttemann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der PDS
Herabsetzung der Grundsteuer bei struktu-
rellem Mietwohnungsleerstand
– Drucksache 14/4010 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf
Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS
Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Exis-
tenz von Wohnungsgenossenschaften aus
Treuhandliegenschaftsbeständen in den
neuen Bundesländern

– Drucksache 14/4011 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
UMTS-Milliarden für Entlastung von Alt-
schulden auf dauerhaft leer stehenden Wohn-
raum
– Drucksache 14/4350 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Haushaltsausschuss

d) Erste Beratung des von der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Eigenheimzulagengesetzes
– Drucksache 14/4351 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss

ZP 17 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Ostrowski, Heidemarie Ehlert,
Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Vorlage einer Verordnung zur Umsetzung des
§ 6 a des Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Altschuldenhilfe-Gesetzes
– Drucksache 14/4399 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist auch das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Christine Ostrowski für die PDS-Fraktion. – Ist es mög-
lich, die Gespräche an der Regierungsbank zu beenden? –
Das wäre sehr nett.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1412807500
Das wäre sehr nett.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Drit-

tel der noch im Osten Beschäftigten sind in der Woh-
nungs- und Bauwirtschaft tätig. Auch das ist ein Grund
dafür, warum wir den Wohnungsleerstand Ost heute zum
wiederholten Male thematisieren – vielleicht zu Ihrer Un-
lust; denn es ist Freitag und bereits nach 13 Uhr.

Ich freue mich selbstverständlich wie Sie über sanierte
Gebäude, die unseren Städten wieder ein Gesicht geben.
Ich freue mich wie Sie über sanierte Wohnungen in Plat-
tenbauten, in denen zu vergleichsweise niedrigen,
bezahlbaren Mieten große Teile der Bevölkerung wohnen.
Ich sage es ganz deutlich: Die DDR hätte es nicht ge-
schafft, diese Wohnsubstanz zu erhalten.

Der Abstand des Ostens zum Westen misst sich aber
nicht an der Zahl der sanierten Gebäude, an Multiplex-




Vizepräsidentin Petra Bläss
12370


(C)



(D)



(A)



(B)


kinos, an Einkaufszentren, an der Infrastruktur. Er misst
sich nicht in zehntel Prozenten; er beträgt ein Vielfaches
davon. Wenn Sie die Lage genau beobachten, dann wer-
den Sie merken, dass überall im Osten – ob der Minister-
präsident nun Biedenkopf oder Stolpe heißt – die Arbeits-
losigkeit im Mittel doppelt so hoch ist wie im Westen,
dass die Kaufkraft deutlich niedriger ist, dass die Ein-
kommen niedriger sind und dass es nirgendwo einen
selbsttragenden Wirtschaftsaufschwung gibt. Weil das so
ist, sind in den letzten zehn Jahren über 2 Millionen Men-
schen abgewandert. Im Saldo hat der Osten einen Bevöl-
kerungsverlust von über 1 Million Menschen hingenom-
men. Dazu kommen in den nächsten Jahren verstärkt eine
Alterung und auch ein Wegsterben der Bevölkerung.

Ich sage es Ihnen aus eigener Erfahrung: Ignorieren Sie
diese Tatsachen nicht! Wir haben auch keine Generallö-
sung. Aber wir legen Ihnen heute fünf sachliche Anträge
vor in der ungetrübten Hoffnung, dass Sie diese sachlich
prüfen werden. Sie sind zwar keine Generallösung, wür-
den aber einer Generallösung auch nicht widersprechen.
Man kann ihnen guten Gewissens folgen.

Der erste Antrag beschäftigt sich mit der Streichung
der Altschulden auf leer stehende und negativ restituierte
Wohnungen. Dafür möchten wir 3Milliarden DM aus den
Erlösen der Versteigerung der UMTS-Lizenzen einsetzen.
Nun werden Sie sagen: 3 Milliarden DM sind aber furcht-
bar viel Geld. – Für sich genommen, ist das richtig. Aber
erstens sind 3 Milliarden DM nur 3 Prozent dieser unver-
hofften Erlöse. Zweitens ist gestern nahezu die gleiche
Summe – zu Recht, damit sind wir einverstanden – für den
Bau von Ortsumgehungsstraßen vorgesehen worden. Ei-
gentlich ist es doch nur recht und billig, die Summe, die
man Orten gibt, die vom Autoverkehr gebeutelt sind, auch
für die Zukunft ostdeutscher Städte auszugeben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es ist doch völlig falsch, hier eine Ost-West-Geschichte draus zu machen!)


Hinzu kommt, dass der Erblastentilgungsfonds
1,3 Milliarden DM an unverhofften Einnahmen durch die
negativ restituierten Wohnungen erzielt hat; darüber wird
mittlerweile geschwiegen. Es wäre doch das Mindeste,
diese Einnahmen dort einzusetzen, wo sie gebraucht wer-
den, nämlich für die ostdeutsche Wohnungswirtschaft.


(Beifall bei der PDS)

Zweitens schlagen wir Ihnen vor, den Eintritt in beste-

hende Genossenschaften zukünftig über eine Genossen-
schaftszulage zu fördern. Dies bezieht sich vor allem auf
Menschen, die weniger zahlungskräftig sind. Eine solche
Förderung ist eine Zukunftsinvestition für Ost wie für
West. Zudem ist sie ökologisch, da sie das Bleiben der
Menschen in den Stadtinnenkernen fördert und dem Er-
halt des Wohnungsbestandes zugute kommt.

Drittens wollen wir den Wohnungsgenossenschaften,
die sich im Osten aus den ehemaligen Werkswohnungs-
beständen gegründet haben, aber inzwischen zu Sorgen-
kindern geworden sind und nahe am Konkurs sind, finan-
zielle Hilfe zuteil werden lassen, um ihre Existenz auch
weiterhin zu sichern. Gerade für diese Genossenschaften
sollte der Bund Verantwortung übernehmen, weil sie sich

in absolut strukturschwachen Regionen befinden – und
zwar nahezu zu 100 Prozent –, weil die Genossenschafts-
mitglieder zumeist älter sind, weil die Genossenschaften
einen großen Wohnungsleerstand haben, weil sie selbst
der Konkurrenz von bestehenden Genossenschaften nicht
mehr standhalten können, weil die Genossenschaftsmit-
glieder dort vergleichsweise hohe Beiträge geleistet ha-
ben.

Viertens wollen wir eine Maßnahme, die leicht mach-
bar und zudem hilfreich ist. Wir möchten, dass den Woh-
nungsunternehmen die Grundsteuer auf leer stehende
Wohnungen erlassen wird.

Fünftens schlagen wir eine Härtefallregelung vor, die
im Gegensatz zu dem Entwurf der Regierung wirklich
existenzbedrohten Wohnungsunternehmen entgegen-
kommt. Es ist schon schlimm genug, dass wir überhaupt
konstatieren müssen, dass es existenzbedrohte Woh-
nungsunternehmen gibt. Unser Antrag setzt die Existenz-
gefährdung nicht bei 15 Prozent Leerstand, sondern bei
10 Prozent an. Er macht die Zahlung des Bundeszuschus-
ses nicht von der Gnade der Banken abhängig. Er berück-
sichtigt Wendewohnungen und bereits abgerissene Woh-
nungen. Er geht vor allem an die Dinge nicht so heran,
dass Geld nur nach Maßgabe des Haushalts gezahlt wird,
sondern er geht vom Auftrag des Gesetzgebers aus, der
besagt, dass den existenzbedrohten Wohnungsunter-
nehmen zu helfen ist. Dabei kann man nicht davon aus-
gehen, wie viel man in der Kasse hat, und hinterher
schaut, wie weit man kommt.

Ich weiß natürlich, dass Sie froh sind, überhaupt eine
Härtefallregelung erkämpft zu haben. Das ist mir durch-
aus bewusst. Aber Sie wissen: Die ostdeutsche Bevölke-
rung schrumpft schnell und altert schnell. Sie wissen, dass
dadurch der Wohnungsleerstand weiter wächst. Sie wis-
sen, dass die schrumpfende Bevölkerung sich auf die
Nachfrage nach wirtschaftlichen Leistungen, Dienstleis-
tungen, Infrastruktur auswirkt. Sie wissen, dass sich eine
Vermögensentwertung bisher unbekannten Ausmaßes
vollzieht.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412807600
Frau Kollegin
Ostrowski, Sie müssen zum Schluss kommen.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1412807700
Damit komme ich zum
Schluss. – Ein Wittenberger Unternehmen schrieb uns
gestern – ich zitiere –:

Der Leerstand hat ... die 40-Prozent-Marke über-
schritten. Der Bevölkerungsrückgang um 2 bis
3 Prozent hält unvermindert an, sodass mit einem
weiteren Leerstand ... im gesamten Stadtgebiet ... zu
rechnen ist.

Ich sage Ihnen: Meine Erfahrung, dass man einen
Herzinfarkt nicht mit einer Schmerztablette heilen kann,
sollten Sie beherzigen. Ich bitte Sie, in Ihrer Politik ent-
sprechend vorzugehen.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412807800
Da die Kolleginnen
und Kollegen Dr. Peter Danckert, Dr. Christine Lucyga,




Christine Ostrowski

12371


(C)



(D)



(A)



(B)


Heinz Seiffert, Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Karlheinz
Guttmacher – ich denke, mit Ihrem Einverständnis – ihre
Reden zu Protokoll gegeben haben, schließe ich die Aus-
sprache.1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/4010, 14/4011, 14/4350, 14/4351
und 14/4399 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Ich rufe jetzt den letzten Tagesordnungspunkt, und
zwar den Zusatzpunkt 18, auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zu den arbeits-
marktpolitischen Auswirkungen der angekün-
digten Schließung von Bahnwerken durch die
Deutsche Bahn AG

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDS-
Fraktion hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel.


(Angelika Mertens [SPD]: Wo ist denn Herr Wolf?)



Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1412807900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Bundestagsfraktion
hat eine Aktuelle Stunde zu dem eben angekündigten
Thema beantragt. Ausgangspunkt ist, dass der Vorstand
der Deutschen Bahn AG Mitte Oktober in einer wahren
Nacht-und-Nebel-Aktion die Schließung von sechs Spe-
zialwerken, die zum Verbund der Deutschen Bahn AG
gehören, sowie von vier Instandhaltungswerken beschlos-
sen hat, sollte sich in den nächsten Tagen und Wochen
nicht kurzfristig noch ein Investor finden. Darüber hinaus
wurde für vier weitere Standorte ein deutlicher Arbeits-
platzabbau angekündigt.

Diese Entscheidung des Bahnvorstandes macht uns
große Sorge. Die Umstände, wie dieser Beschluss zu-
stande gekommen ist, und die Frage, mit welchen Folge-
wirkungen zu rechnen ist, sollen Thema unserer Aktuel-
len Stunde sein. Nicht nur der Vorstand der Deutsche
Bahn AG ist gefordert, auch die Bundesregierung darf
nicht tatenlos zusehen. Bislang haben wir aber den Ein-
druck, dass sie das tut. Das aber ist unverantwortlich.


(Beifall bei der PDS)

Es handelt sich bei den angekündigten Schließungen

um die Werke Gleisbaumechanik Brandenburg, Stahlbau
Dessau, Fahrzeugbau Halberstadt, Stahlbau Vacha, das

(Sachsen-Anhalt)

ländern – sowie um das Fernmeldewerk in München-Au-
bing.

Bei den zur Schließung angekündigten Instandhal-
tungswerken handelt es sich um die Werke Stendal in
Sachsen-Anhalt, Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpom-
mern, Leipzig-Engelsdorf sowie um den Standort Mün-
chen-Neuaubing.

Darüber hinaus soll Arbeitsplatzabbau in Erfurt,
Chemnitz, Hannover sowie in Limburg vorgenommen
werden.

Insgesamt werden mit dieser Entscheidung des Bahn-
vorstandes mindestens 5 000 Arbeitsplätze von Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern in den betroffenen Unter-
nehmen akut gefährdet. In den Zulieferbetrieben und den
Servicebereichen sind darüber hinaus weitere 10 000 Be-
schäftigte betroffen. Die Situation ist also außerordentlich
angespannt; es handelt sich hier um ein akutes soziales und
arbeitsmarktpolitisches Problem.

Es ist kein Zufall, dass sich die Deutsche Bahn AG mit
dieser Entscheidung offensichtlich weiter für den bevor-
stehenden Börsengang fit machen möchte; denn vorange-
gangene Entscheidungen gehen ebenfalls in Richtung ei-
nes sozialen und auch wirtschaftlichen Kahlschlags. Zu
Recht sind deshalb die Proteste der Belegschaften massiv
angewachsen. Auch in anderen Unternehmensbereichen
sieht die Bahn AG künftig Kahlschlag vor: Dazu gehören
der Abbau von Interregio-Verbindungen oder der Verzicht
auf den Einsatz von Mitropa-Wagen in Reisezügen. Allein
durch Letzteres sind etwa 1 000 Arbeitsplätze bei der tra-
ditionsreichen Mitropa, einer Bahntochter, akut gefähr-
det.

Kahlschlagpolitik ist also angesagt. Diese Absichten
der Deutschen Bahn AG ordnen sich in die Politik von
Pleiten, Pech und Pannen ein. Auf dem Rücken der Be-
legschaft der Deutschen Bahn AG – es sind weitere Tau-
sende Arbeitsplätze gefährdet – soll der Börsengang vor-
bereitet werden, bei dem eben nur noch renditestarke
Unternehmensbereiche an die Börse gebracht werden sol-
len. Das lehnen wir ganz entschieden ab.


(Beifall bei der PDS)

Die Entscheidung ist im Bahnvorstand ohne jegliche

Einbeziehung gesellschaftlicher Gremien und unter
grober Missachtung des Betriebsverfassungsgesetzes ge-
troffen worden. Der Vorstand der Transnet – Gewerk-
schaft der Eisenbahner Deutschlands – hat davon erst aus
den Medien erfahren. Wo sind wir denn im Herbst 2000
angekommen, wenn solche Praktiken um sich greifen?

Ich begrüße vor diesem Hintergrund ganz herzlich an-
wesende Betriebsrätinnen und Betriebsräte, Kommunal-
politikerinnen und Kommunalpolitiker aus den betroffe-
nen Unternehmen und Regionen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Bei den betroffenen Regionen handelt es sich überwie-
gend um strukturschwache Gebiete in Ostdeutschland.
Ich frage mich: Welchen Wert hat noch das Wort des
Kanzlers, den Aufschwung Ost persönlich in die Hand zu
nehmen?

Der Vorstand der Deutschen Bahn AG wird von uns
aufgefordert, die angekündigte Schließung der zehn
Werke sofort rückgängig zu machen und alles dafür zu
tun, dass die entsprechenden Unternehmen wettbewerbs-
fähiger werden und eine echte Zukunftschance erhalten.


(Beifall bei der PDS)

Ab sofort ist auch wieder das Betriebsverfassungsgesetz
einzuhalten. Auch die Bundesregierung ist aufgefordert,




Vizepräsidentin Petra Bläss
12372


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 9

denn der Bund ist 100-prozentiger Gesellschafter der
Deutschen Bahn AG.

Die Bundesregierung wird überdies aufgefordert, sol-
che Rahmenbedingungen für die Unternehmen, die heute
zur Diskussion stehen, und auch für weitere, die zum Un-
ternehmensverbund Deutsche Bahn AG gehören, zu
schaffen, dass eine zukunftsfähige Entwicklung und In-
novationen möglich werden. Dafür gibt es gute Chancen.
Unterbleibt das, werden auch die strukturschwachen Re-
gionen und Kommunen weiterhin große Sorgen haben
müssen. Der Arbeitsplatzabbau führt nämlich zu erhebli-
chen Problemen in den Regionen und wird zu Belastun-
gen führen, die wir alle hier nicht hinnehmen dürfen.

Wir fordern die Bundesregierung auf, sich endlich
dazu zu äußern, wie viel Bahn und wie viele dazugehörige
Bahnunternehmen sie haben will. Sie muss sich für die
Beschäftigten in der Deutschen Bahn AG und für diejeni-
gen, die in von ihr abhängigen Bereichen einschließlich
der Bahnindustrie arbeiten, einsetzen; denn in der Bahn-
industrie sind Arbeitsplätze ebenso massiv gefährdet.


(Beifall bei der PDS)

Wir fordern Sie daher auf, die heutige Aktuelle Stunde

zu nutzen, um gegenüber den anwesenden Betriebsrätin-
nen und Betriebsräten, den Kommunalpolitikerinnen und
Kommunalpolitikern der Region konkrete und kontroll-
fähige Aussagen zu treffen und dementsprechende Ent-
scheidungen in der nächsten Zeit im Deutschen Bundes-
tag herbeizuführen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412808000
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Karin Rehbock-Zureich.


Karin Rehbock-Zureich (SPD):
Rede ID: ID1412808100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sorge um die
Arbeitsplätze beschäftigt uns sicher alle. Es zeugt aber
schon von Populismus, wenn die PDS diese Aktuelle
Stunde zu einem Zeitpunkt ansetzt, nachdem Bahnvor-
stand und Gewerkschaft Gott sei Dank ein erstes Ge-
spräch geführt haben.


(Widerspruch bei der PDS)

In einem Beschäftigungsbündnis der DB AG mit den

Tarifpartnern wurde festgelegt, die notwendige Konsoli-
dierung des Unternehmens sozialverträglich zu gestalten.
Dies erfordert für die Bahn die Rücksichtnahme auf die
im Betriebsverfassungsgesetz niedergelegten Rechte und
Pflichten. Ich gebe Ihnen von der PDS Recht: Die Art und
Weise, wie die Bahn ohne vorherige Rücksprache mit den
Mitarbeitervertreterinnen und -vertretern diese Maß-
nahme verkündet hat, hat schlichtweg – dies hat uns alle
auf die Palme gebracht – gegen das Betriebsverfassungs-
gesetz verstoßen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das können wir selbstverständlich so nicht hinnehmen.
Ich verstehe die Verärgerung der Betroffenen. Wir haben

großes Verständnis dafür gezeigt, dass die Eisenbahnerin-
nen und Eisenbahner auf die Straße gegangen sind und
vor der Zentrale der DBAG demonstriert haben.

Für die Konsolidierung der Bahn – die sich wirklich in
einer schwierigen Situation befindet – wird wichtig sein,
dass wesentliche Veränderungen in Zukunft nur im Dia-
log mit den Vertretern der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer beschlossen werden. Betriebsräte und Vorstand
der Bahn müssen zu einer gemeinsamen Linie kommen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass auch die Bundesregie-
rung immer wieder klargestellt hat, dass betriebsbedingte
Kündigungen auf keinen Fall stattfinden werden. Dies hat
Bundesverkehrsminister Klimmt schon im Sommer fest-
gestellt.

Wir begrüßen, dass nach der berechtigten Verärgerung
über die fehlgeschlagene Kommunikation zwischen
Bahnvorstand und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
– dies hat natürlich zu einer völligen Verunsicherung bei
ihnen und ihren Familien geführt, da sie um ihre Existenz
fürchten mussten – ein Gespräch zwischen Bahnvorstand
und Gewerkschaft stattgefunden hat. Bei diesem Ge-
spräch wurde Folgendes festgelegt:

Erstens. Eine Versachlichung der weiteren Diskussion
soll stattfinden.

Zweitens. Die Instandhaltung gehört weiterhin zum
Kerngeschäft der Bahn.

Drittens. Es werden Gespräche mit potenziellen Inves-
toren geführt, um Standorte und damit Arbeitsplätze zu er-
halten.

Die Bundesregierung hat natürlich die Aufgabe, das
System Bahn – die Verkehrsinfrastruktur auf der
Schiene – zu unterstützen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das finden wir auch!)


Schwerpunkt im Zukunftsinvestitionsprogramm sind
2 Milliarden DM, die pro Jahr in die Schiene investiert
werden sollen, und zwar zusätzlich zu den vorhandenen
Investitionsmitteln. Diese Mittel werden dazu beitragen,
das System Bahn zu erhalten und Arbeitsplätze abzusi-
chern.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In den Jahren der Regierung aus CDU/CSU und F.D.P.
sind die vorgesehenen Investitionsmittel jährlich um
3 Milliarden DM gekürzt worden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Hört! So ist das! – Norbert Otto [CDU/CSU]: Weil man sie nicht eingesetzt hat!)


Vor dem Hintergrund der jahrelangen mangelhaften Aus-
stattung muss man natürlich konstatieren, dass die
schwierige Situation der Bahn auch etwas mit Ihren mas-
siven Kürzungen der Investitionsmittel zu tun hat.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: 33 Milliarden DM Schulden haben wir getilgt!)





Dr. Uwe-Jens Rössel

12373


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm den
wichtigen Einstieg geschafft, die Strecken der Bahn in-
stand zu halten. Das heißt, das Netz erfährt eine Konsoli-
dierung.

Abschließend möchte ich sagen, dass nur zusätzliche
Investitionen in die Bahn vonseiten der Bundesregierung
dieses Verkehrssystem für die Zukunft sichern werden.
Wir befinden uns auf dem richtigen Weg. Uns allen ist
klar: Die Sicherung des Verkehrssystems Bahn wird über
das Zukunftsinvestitionsprogramm hinaus, das einen
wirklich guten Start hatte, eine langfristige Angelegenheit
sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412808200
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Norbert Otto.


Norbert Otto (CDU):
Rede ID: ID1412808300
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die
Deutsche Bahn AG bietet zurzeit – zumindest in der Öf-
fentlichkeit – teilweise ein chaotisches Bild. Hieß es noch
vor einigen Wochen, sie wolle zehn Reparaturwerke
schließen und rund 5 000 Beschäftigte entlassen, so ver-
lautete wenig später, von der Kündigung seien tatsächlich
nur 3 000 Mitarbeiter betroffen. Zu Beginn dieser Woche
gab es in der Presse eine Meldung, dass für etwa 1 000 Mit-
arbeiter eine Weiterbeschäftigung in anderen Betrieben
gesichert sei. Gerade gestern war in einigen Zeitungen zu
lesen, dass die Bahn die Schließung von vier Werken vor-
erst auf Eis gelegt habe. „Quo vadis, Bahnvorstand?“,
kann man dazu nur sagen. Oder besser: Wohin willst du
eigentlich?

So spricht es zum Beispiel nicht gerade für Kontinuität
und ein durchdachtes Konzept, dass die Bahntochter
DB Regio unlängst gemeinsam mit dem Land Thüringen
für 200 Millionen DM neue Triebwagen gekauft hat und
das dafür vorgesehene Instandhaltungs- und Wartungs-
werk in Erfurt personell massiv reduzieren will. Es hat
den Anschein, dass der Bahnvorstand – er ist sehr schnell
eingeknickt – entweder seine Entscheidungen mit der
heißen Nadel gestrickt oder sich dem massiven Druck der
Gewerkschaften gebeugt hat. Beide Möglichkeiten wür-
den allerdings kein gutes Licht auf den Bahnvorstand
werfen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na, na!)


In den lautstarken Protesten der vergangenen Tage, die
gerade von den Gewerkschaften und der PDS geschürt
wurden, sind dann aber alle vernünftigen Argumente un-
tergegangen, sodass die unpopulären Schritte der Bahn
nicht erklärt wurden.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Fahren Sie mal Vacha!)


Von allen Seiten – auch aus diesem Hause – wurde die
Bahn AG aufgefordert, sich zu einem profitablen Unter-

nehmen zu wandeln. Mit einer Reihe von Maßnahmen hat
der Vorstand nun diesen notwendigen Weg eingeschlagen,
um endlich aus den massiven betriebswirtschaftlichen
Problemen herauszukommen. Dass hierbei zum Teil tiefe
Einschnitte notwendig waren und sind, weiß jeder Kenner
der Materie. Ich will nichts dazu sagen, wie diese Maß-
nahmen sozial begleitet werden. Das ist ein anderes
Thema. Aber die Forderung, die Bahn in ein rentables Un-
ternehmen umzuwandeln, steht im Raum.

Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
PDS, jetzt utopische Forderungen nach Erhalt aller
Werke, garniert mit einer Aufstockung von Bundesmit-
teln, aufstellen, dann ist das nichts weiter als blanker Op-
portunismus und Populismus.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Planwirtschaft!)


In den Jahren von 1994 bis 2002 werden allein für den
Abbau wirtschaftlicher Altlasten bei der Bahn vom Bund
33 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Es kann beim
besten Willen nicht mehr so weitergehen, dass der Bund
ständig zuschießt und die Bahn ein unrentables Unterneh-
men bleibt. So können wir die Bahn letztlich nicht erhal-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich betone hier ausdrücklich: Die Bahn ist nicht mehr

wie in der Vergangenheit ein staatsmonopolistischer In-
dustriebetrieb, sondern ein Dienstleistungsunternehmen,
das sich wie jedes andere wirtschaftlich, also rentabel,
ohne Verluste, am Markt behaupten muss. Das, was die
Bahn heute beschließt, ist aber in jedem Fall eine be-
triebsinterne Entscheidung. Wir können nicht sagen: Die
Bahn ist zwar ein privatwirtschaftlich geführtes Unter-
nehmen, aber alle Entscheidungen, die innerhalb dieses
Unternehmens getroffen werden, werden kommentiert
und dann zurückgezogen, wenn sie schmerzhafte Ein-
schnitte bedeuten. Wir können hier nicht seit Jahren die
BahnAG auffordern, Kosten einzusparen, um dann, wenn
es zur Sache geht, einzuknicken; das geht nicht. Hier
braucht die Bahn von uns Flankenschutz. Allerdings ver-
langen wir von der Bahn eine gewisse Kontinuität.

Die Bahn muss sich jetzt von defizitären Aktivitäten
trennen. Dazu gehören eben auch die betroffenen Werke,
die nach Aussage der Bahn in den vergangenen Jahren
insgesamt dreistellige Millionenverluste gemacht haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bahn
kann nicht länger am Tropf des Bundes hängen. Aber wir
fordern natürlich vom Bund und von der Bundesregie-
rung, dass die jetzt notwendigen Einschnitte durch die
Bundesregierung sozial begleitet werden. Der Bund als
Anteilseigner der Bahn hat eine gewisse soziale Verant-
wortung für die Arbeitnehmer in diesem Unternehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412808400
Es spricht jetzt Kol-
lege Albert Schmidt von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.




Karin Rehbock-Zureich
12374


(C)



(D)



(A)



(B)


Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Otto, Sie haben an einigen Stel-
len Ihrer Rede davon gesprochen, die Gewerkschaften
hätten Druck aufgebaut, Betriebsräte hätten Proteste ge-
schürt und so weiter.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Kein Wort zu Betriebsräten!)


– Das Wort „geschürt“ haben Sie gebraucht; Sie können
es im Protokoll nachlesen.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Aber kein Wort von Betriebsräten!)


Ihren Vorhalt weise ich ausdrücklich zurück; ich will
Ihnen auch sagen warum.

Die Beschäftigten der Deutschen Bahn AG haben es
nicht nötig, von Ihnen darüber belehrt zu werden, dass die
DB künftig als privatisiertes Unternehmen auch wirt-
schaftlich zu führen ist. Denn in einer beispiellosen An-
strengung ist es in den letzten Jahren gelungen, die Pro-
duktivität dieses Unternehmens um über 100 Prozent zu
steigern. Gerade die Beschäftigten haben dazu einen im-
mensen Beitrag geleistet.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Ja natürlich! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er doch gewürdigt!)


Sie wissen, dass die Produktivitätsverbesserungen
noch weitergehen müssen. Gerade die aktuell verabredete
Lohnrunde hat gezeigt, dass beide Tarifpartner ihre Ver-
antwortung sehr genau kennen. Sie brauchen ihnen keine
Belehrungen darüber zu geben, welchen Druck sie aus-
üben dürfen oder nicht.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Das hat doch gar keiner gesagt! Suchen Sie Ihren Buhmann woanders!)


Zum Zweiten weise ich, Herr Kollege Otto, Ihre Be-
lehrungen darüber zurück, dass eine privatisierte Bahn
keine politischen Eingriffe mehr zu erdulden habe. Nie-
mand anders als die CDU-geführte Bundesregierung hat
der Bahn politisch schöngerechnete Großprojekte aufs
Auge gedrückt. Die Neubaustrecke Frankfurt–Köln war
plötzlich 2 Milliarden DM teurer, als Sie uns damals vo-
rausgesagt haben. Der Knotenausbau Berlin bringt plötz-
lich ein Loch von 2Milliarden DM. Heute lesen wir in der
Zeitung, die Strecke Ingolstadt–München wird auch
1Milliarden DM teurer. – Das waren die von Ihnen schön-
gerechneten Projekte. Gleichzeitig haben Sie die Investi-
tionen jedes Jahr gekürzt. Die Löcher, die jetzt entstanden
sind, haben Sie zu verantworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt aber zur Sache, um die es heute geht. Die Partei-
politik sollte sich sicherlich in tarifliche Auseinanderset-
zungen – auch in Auseinandersetzungen um Arbeits-
plätze – nicht in jedem Fall und immer gleich einmischen.
Aber bei derart gravierenden Standortentscheidungen, um
die es hier geht – es sind die Arbeitsplätze tausender Men-
schen und damit auch ihre Familien, ihr gesamtes Umfeld

betroffen –, möchte ich deutlich sagen, dass alle Hilfsin-
strumente der öffentlichen Hand mobilisiert werden müs-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich bin sehr froh und dankbar, dass der Staatsminister im
Bundeskanzleramt genau dies vor wenigen Tagen klarge-
stellt hat.

Wir stehen erst am Anfang und noch lange nicht am
Ende der Problemlösung. Aber ich bin sehr froh, dass die
erste Runde, die am vergangenen Dienstag stattgefunden
hat, zwischen Vorstand und Belegschaft bzw. Betriebsrä-
ten einige Klarstellungen gebracht hat:

Erstens. Das Drittkundengeschäft und der Fahrzeug-
umbau sollen auch weiterhin wirtschaftlich betrieben
werden. Damit soll Beschäftigung ausdrücklich gesichert
werden.

Zweitens. Die Instandhaltung von Fahrzeugen gehört
auch weiterhin zu den Kernaufgaben des Unternehmens.

Drittens. Es wird und muss in der nächsten Verhand-
lungsrunde für alle Beteiligten – auch für die Beschäftig-
ten und ihre Vertretungen – nachvollziehbares Zahlenma-
terial geliefert werden.

Damit hat eine gewisse Versachlichung stattgefunden,
aber noch längst keine Problemlösung. Ich möchte hier
von politischer Seite aus keine gute Ratschläge geben,
aber ich möchte doch klarstellen, dass wir hier im Deut-
schen Bundestag etwas erwarten. Wir erwarten, dass die
Zusage des Bundesverkehrsministers, wonach betriebs-
bedingte Kündigungen als Instrument der Sanierung aus-
scheiden, auch in diesem Fall und weiterhin gilt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir erwarten ebenfalls, dass künftig Planungsbe-
schlüsse und Planungsvollzug Gegenstand eines Verfah-
rens sind, das mit dem Betriebsverfassungsgesetz in
Übereinstimmung zu bringen ist und das die Beteili-
gungsverfahren gemäß dem so genannten Interessenaus-
gleich vom 20. September dieses Jahres berücksichtigen
muss. Wir erwarten zudem, dass die Durchführung des
weiteren Verfahrens inklusive sämtlicher notwendigen In-
formationen sichergestellt bleibt; wenngleich ich einräu-
men muss, dass die Planungen bereits Anfang 1998
– jedenfalls nach meiner Kenntnis – von der Unterneh-
mensleitung gegenüber den Standorten zumindest infor-
mativ in Gesprächen erörtert worden sind. Schließlich er-
warten wir, dass die Umsetzung von Planungsbeschlüssen
erst nach der Durchführung eines solchen Beteiligungs-
verfahrens vorgenommen wird.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die nun laufenden Gespräche mit möglichen Investo-
ren müssen fortgesetzt werden; das Ziel aller Aktivitäten
muss sein, die Standorte und die Arbeitsplätze zu erhalten.
Das ist der Kern unserer Zielsetzung. Von daher ist es in
der Tat eine positive Klarstellung der letzten Tage, dass






(C)



(D)



(A)



(B)


eine unternehmensinterne Erhebung eine Weiterbeschäf-
tigungsmöglichkeit für mindestens 1 000 Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter im Konzern sieht. Im Übrigen wird
noch nach weiteren Beschäftigungsmöglichkeiten ge-
sucht. Zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten wird es
dann geben können, wenn an Standorten, die bekanntlich
schwarze Zahlen schreiben – zum Beispiel Stendal –, eine
echte Privatisierung ein lukratives Geschäft ermöglicht.
Dann ist es für die Beschäftigten nicht mehr die wichtigs-
te Frage, ob sie ihren Arbeitsplatz innerhalb oder außer-
halb des Konzerns haben, sondern wichtig ist für sie, dass
sie mit ihrem Arbeitsplatz in ihrer Firma eine Zukunft be-
halten.


(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte abschließend sagen: Wir brauchen eine ver-
antwortliche Zusammenarbeit der Tarifparteien. Ich habe
insofern uneingeschränktes Vertrauen. Beide Seiten ha-
ben in den letzten Jahren bestätigt, dass sie dazu in der
Lage sind. Weiterhin brauchen wir eine politische Unter-
stützung, und zwar auf allen Ebenen, von der Landes- bis
zur Bundesebene. Eine solche Unterstützung erwarte ich
ebenso wie die betroffenen Beschäftigten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412808500
Das Wort hat der Kol-
lege Jörg van Essen, F.D.P.-Fraktion.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1412808600
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich bin kein ausgewiesener Ver-
kehrspolitiker und rede trotzdem gerne zu diesem Thema,
weil mir die Produkte der betroffenen Werke als enga-
gierter Eisenbahnfreund bekannt sind, weil ich sie beson-
ders schätze und weil mich in diesem Zusammenhang
auch das Schicksal dieser Werke außerordentlich Weise
interessiert.

Es trifft zu, was der Kollege Otto gesagt hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Wir wollen, dass die Bahn wirtschaftlich handelt. Deshalb
haben wir die Entscheidung getroffen, die Deutsche Bahn
AG als selbstständiges wirtschaftliches Unternehmen zu
schaffen. Dazu gehört, dass dieses Unternehmen auch
eine wirtschaftliche Handlungsfreiheit haben muss, und
zwar auch dann, wenn unangenehme Entscheidungen not-
wendig sind. Das muss betont werden. Würde sich näm-
lich die Politik bei jeder einzelnen Maßnahme einmi-
schen, würde – was wir uns eigentlich erhoffen – ein
Unternehmen, das am Markt Bestand haben kann und da-
mit einen Zustand erreicht, der die Arbeitsplätze für die
Zukunft sichert, immer wieder in Frage gestellt. Das ist
der erste Gesichtspunkt.

Der zweite – für mich ebenso wichtige – Gesichts-
punkt: Wir haben im Bereich der Bahnindustrie Überka-
pazitäten, und zwar nicht nur im Bereich der Bahn, son-
dern auch im Bereich der Privatwirtschaft. Auch im
letzteren Bereich sind Werke in den neuen Bundesländern
betroffen. Wer sich hier für den Erhalt des einen oder an-

deren von der DB betriebenen Werkes in die Bresche
wirft, muss auch auf die Frage nach den anderen, den pri-
vatwirtschaftlichen Unternehmen Antworten parat haben.
Wir hatten gerade wieder einen Zusammenschluss, weil
eine Unternehmenssparte im Bereich der Bahnindustrie
verkauft worden ist, und zwar die Firma Adtranz. Dieser
Vorgang wird zu Zusammenschlüssen und damit zu Ka-
pazitätseinschränkungen sowie möglicherweise zu einem
Arbeitsplatzabbau führen. Auch das gehört mit zu den
Realitäten.

Deshalb geben wir als F.D.P. in diesem Zusammen-
hang eine zweifache Antwort: Wir wollen erstens, dass
alle Möglichkeiten innerhalb des Konzerns geprüft wer-
den. Ich glaube, es macht für die Bahn auch Sinn, sowohl
eigene Instandhaltungskapazitäten als auch eigene Um-
baukapazitäten weiter vorzuhalten. Wer sich zum Beispiel
vor Augen führt, welches neue Produkt aus den „langen
Halberstädtern“ geschaffen wird, muss zugeben, dass der
neu geschaffene Wagen wirklich wettbewerbsfähig ist. Er
erfüllt die Ansprüche der Bevölkerung an ein modernes
Fahrzeug voll. Wir wollen aber auch sehen, welche Mög-
lichkeiten es für ein Outsourcing und für Privatisierungen
gibt. Wir wissen, dass zu diesem Thema bereits heute
Möglichkeiten angedacht werden.

Zweitens wollen wir, dass alle Maßnahmen für die Be-
schäftigten durchsichtig werden, dass sie einbezogen wer-
den, dass alles versucht wird, um möglichst viele Arbeits-
plätze zu erhalten, und zwar nicht nur im Bereich der
Bahn, sondern auch in privatisierten Unternehmen.

Wenn dieser Weg der Vernunft gegangen wird, dann
dient das der Deutschen Bahn als Unternehmen und dann
dient es auch allen Mitarbeitern. Wir sollten uns gemein-
sam anstrengen, diesen Weg zu begleiten, aber auch nur
zu begleiten; denn Aufgabe der Politik ist es nicht, sich in
Entscheidungen einzumischen oder sich sogar selbst zum
Entscheider zu machen. Darauf legen wir größten Wert.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412808700
Nächste Rednerin für
die SPD-Fraktion ist die Kollegin Jelena Hoffmann.


Jelena Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1412808800
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorige Woche, am
19. Oktober, haben die Eisenbahner hier in Berlin vor der
Zentrale der Deutschen Bahn AG demonstriert. Ich war
auch dabei. Ich war zwar in den letzten zehn Jahren auf
mehreren Demonstrationen und Kundgebungen, aber
zum ersten Mal hatte ich wieder ein Gefühl, das mich an
1989 erinnert hat.

Bitterernst war es den Frauen und Männern am Sony-
Forum mit ihrer Forderung, die Personalpolitik à la
Mehdorn zu beenden. Es war nicht nur Wut, die allein aus
Chemnitz etwa 800 Eisenbahner nach Berlin gebracht hat.
Es war auch Verzweiflung und die Sorge um die Zukunft
ihrer Familien. Allen ist klar: Herr Mehdorn hat keine ein-
fache Aufgabe. Viele Strecken sind marode. Man muss




Albert Schmidt (Hitzhofen)

12376


(C)



(D)



(A)



(B)


viel investieren. Doch die Umsatz bringenden Fahrgäste
fehlen. Aber auch die Eisenbahner muss man verstehen.
Sie haben Angst, weil sie wissen: Sie werden schlicht und
einfach rausgeschmissen.

Als wir im Jahre 1993 die Bahnreform beschlossen ha-
ben, war das hoffnungsvolle Ziel dieser Reform, die Bahn
durch Privatisierung zu einem selbstständigen, profita-
blen und auch kundenorientierten Unternehmen zu ent-
wickeln. Dass wir dabei immer wieder auf unbequeme
Tatsachen stoßen würden, war uns auch klar. Trotzdem
kommt bei mir der Zweifel auf, ob die jetzige Bahnpoli-
tik die richtige ist, vor allem im Osten des Landes.

Es sollen vier Standorte geschlossen werden. Drei da-
von liegen in den neuen Bundesländern, Stendal, Leipzig-
Engelsdorf und Neustrelitz. Es stehen noch fünf weitere
Standorte vor dem Aus. Davon liegen wiederum drei in
Ostdeutschland. Auch von den vier Werken, in denen Per-
sonal reduziert werden soll, liegen zwei in Ostdeutsch-
land, und zwar in Erfurt und in Chemnitz, meinem Wahl-
kreis. Nach Personalabbau soll der Chemnitzer Betrieb
wohl ganz geschlossen werden. Aber wir brauchen keine
Entlassungspolitik in Ostdeutschland, sondern eine ver-
nünftige Investitions- und Aufbaupolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Chemnitzer Werk schreibt schwarze Zahlen. Dort
sind etwa 930 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäf-
tigt. Davon sind 36 Schwerbehinderte und 80 Azubis. In
der Region ist das Werk der größte Arbeitgeber im
produzierenden Gewerbe, an dem auch viele Arbeits-
plätze bei den Zulieferern und Dienstleistern hängen.
Nach Aussage der Belegschaft bedeutet der Abbau von
400 Arbeitsplätzen den Untergang des Werkes, da der Be-
trieb mit dem Rest der Mitarbeiter nicht mehr wirtschaft-
lich arbeiten kann. Dabei entsteht für die Region ein Ver-
lust an Fachkräften. Natürlich werden die jüngeren
Fachkräfte wegziehen. Dadurch entsteht ein Verlust an
Kaufkraft, der besonders die meist nur regional agieren-
den kleinen und mittleren Unternehmen trifft. Es entsteht
ein Verlust an Steuereinnahmen, der die Kommunen an-
gesichts ihrer ohnehin knappen Kassen schwer trifft. Die
Beschlüsse von Herrn Mehdorn sind für die Region kata-
strophal und volkswirtschaftlich überhaupt nicht zu ver-
treten. Auch die betriebswirtschaftliche Rechnung ver-
steht niemand im C-Werk in Chemnitz.

Chemnitz ist nur ein Beispiel aus der Streichliste von
Herrn Mehdorn. Mit der „Gleisbau-Mechanik“ aus dem
brandenburgischen Kirchmöser, bei der 130 Eisenbahner
beschäftigt sind, könnte ich die Liste fortführen. Ich be-
grüße die Betriebsräte und Mitarbeiter dieses Betriebs, die
oben auf der Besuchertribüne sitzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht der Hauptsinn der Geschäftsordnung, gnädige Frau!)


Hinzu kommt die Art und Weise, wie die Mitarbeiter
von den Plänen des Vorstandes erfahren haben: Weder die
Belegschaft samt Führungskräften noch die Vertreter der

Region sind in den Entscheidungsprozess einbezogen ge-
wesen. Es ist nach dem Motto „Die Entscheidung ist ge-
fallen, jetzt können wir miteinander reden“ verfahren
worden. Mag ja sein, dass die Bahn AG mit einigen we-
nigen Strecken, wie im Frankfurter oder im Düsseldorfer
Raum, wirtschaftlich gut dastehen wird bzw. schon da-
steht. Aber ob dann das privatisierte Unternehmen auch
dem entsprechen wird, was im Jahre 1993 vom Bundes-
tag gewollt war, wage ich zu bezweifeln.

Deshalb fordere ich den Vorstand der Bahn AG nach-
drücklich auf, gemeinsam mit allen Beteiligten neue Vor-
schläge zu erarbeiten. Darauf warten die Menschen vor
Ort.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412808900
Der nächste Redner ist
der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich, CDU/CSU-Frak-
tion.


Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1412809000
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die
Nachricht über die Pläne der Deutschen Bahn AG, Werke
stillzulegen und Instandhaltungskapazitäten zurückzufah-
ren, kam überraschend. Kollege Otto und Kollege van
Essen haben Recht: Die Bahn muss sich von unrentablen
Unternehmen trennen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob
hinreichend geprüft worden ist – da würde ich gern ein-
mal den Herrn Aufsichtsrat der DB AG fragen, ob er an
einer solchen Prüfung beteiligt war –,


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Herr Kollege Schmidt, Sie sind gerade angesprochen worden!)


dass diese Unternehmen tatsächlich defizitär sind und so
unwirtschaftlich arbeiten, wie es immer heißt. Denn es
handelt sich um hoch spezialisierte Unternehmen. Das
sind Unternehmen, die auf die Bedürfnisse der Bahn zu-
geschnitten sind. Auch die Begründung der DB AG über-
rascht mich etwas. Sie sagt nämlich: Instandhaltung und
Spezialwerke gehören nicht zu unserem Kerngeschäft.
Tatsache ist doch, dass der Imageverlust der Deutschen
Bahn in den vergangenen Monaten und Jahren nicht zu-
letzt deswegen zustande kam, weil man – angesichts von
Verspätungen, Unglücken und Sonstigem – den Eindruck
hat, dass schon zu viel an Instandhaltungskapazitäten ab-
gebaut worden ist.

Es wird deswegen meiner Ansicht nach zu Recht be-
zweifelt, dass das, was die Bahn braucht, tatsächlich so
leicht auf dem feien Markt erhältlich ist. Es scheint mir
außerordentlich kurzsichtig zu sein, wenn die Bahn hoch
qualifizierte Mitarbeiter und damit ein großes Potenzial
an qualifizierten Spezialisten verschenkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sollte tatsächlich noch einmal nachrechnen, ob das
selbst kurzfristig betriebswirtschaftlich vernünftig ist.
Allerdings – lieber Herr Schmidt, da spreche ich Sie als




Jelena Hoffmann (Chemnitz)


12377


(C)



(D)



(A)



(B)


Aufsichtsrat der Bahn an – habe ich die Befürchtung, dass
die Bahn zurzeit überhaupt nicht mehr in der Lage ist,
langfristige betriebwirtschaftliche Überlegungen und
Vergleiche anzustellen; sie befindet sich nämlich
offensichtlich in einer finanziellen Engpasssituation,


(Angelika Mertens [SPD]: Wo die wohl hergekommen ist!)


die sie panikartig zu Streckenstilllegungen, zum Abbau
von Service und zu solchen Reaktionen wie jenen, über
die wir jetzt reden, bewegt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie mehr Mittel zur Verfügung stellen!)


Ziel der Bahnreform war – das sage ich Ihnen ganz
klar –, dass die Aufgaben der Bahn effizienter, preisgüns-
tiger und schneller erledigt werden. Ziel der Bahnreform
war aber doch nicht, dass die Aufgaben abgebaut werden,
die Bahn sich also sozusagen aus allen möglichen Aufga-
benbereichen zurückzieht. Sie haben als Eigentümer der
Bahn – der Bund ist Eigentümer der Bahn – natürlich auch
nach der Privatisierung eine verkehrspolitische und auch
eine sozialpolitische Verantwortung; das ist doch unbe-
stritten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Angesichts dessen wundert es mich schon, dass die Frau
Kollegin Rehbock-Zureich sagt: Na ja, da gibt es den Dia-
log. – Was macht eigentlich die Bundesregierung? Warum
haben Sie denn offensichtlich erst aus der Presse erfahren,
dass es zu Stilllegungen kommt? Sie müssen sich doch als
Eigentümer rechtzeitig darum kümmern und auch ein-
schalten, anstatt hinterher Krokodilstränen zu weinen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Angelika Mertens [SPD]: Bleiben Sie doch mal logisch!)


Herr Schmidt, es ist schon ein dreistes Stück, wenn
man sagt, die alte Bundesregierung habe der Bahn Inves-
titionen aufgenötigt. Sie stellen der Bahn zu wenig Mittel
zur Verfügung, um ihre Aufgaben zu erfüllen! Das ist
doch der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Dass die Bahn, auch durch Verkehrsleistungen, attraktiver
werden muss, ist doch unbestritten. Ihre Doppelstrategie
ist einfach nicht mehr hinnehmbar.


(Angelika Mertens [SPD]: Das ist doch eine unglaubliche Frechheit, was Sie sich hier leisten!)


Sie können die Leute nicht einfach bei der Ökosteuer ab-
kassieren, damit sie alle mit der Bahn fahren, und den
Leuten dann, wenn sie fragen: „Wo ist denn die Bahn?“,
antworten: „Diese Strecke mussten wir betriebsbedingt
leider stilllegen.“ Das geht nicht; das ist eine Doppelstra-
tegie, die wir auf Dauer nicht mitmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was die Steuerzahler erwarten, deren Geld beim Bau

des Lehrter Bahnhofs und von gewissen ICE-Strecken so-
zusagen vergraben wird, ist, dass das Verkehrsangebot

auch in der Fläche ausreichend vorhanden ist. Die Steuer-
zahler in Regensburg, in Weiden, in Marktredwitz, in Hof
und in Plauen wollen mit der Ertüchtigung ihrer Ver-
kehrsanbindung nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag
vertröstet werden, während sie am Lehrter Bahnhof und
an der ICE-Strecke Frankfurt–Köln sehen, dass sich dort
Großes bewegt.


(Angelika Mertens [SPD]: Das ist wirklich die Höhe! Hat von uns jemand den Lehrter Bahnhof geplant? Er musste zum Bundeskanzleramt passen!)


Schließlich hat die Bahn – auch der Eigentümer der
Bahn AG – Rücksicht auf die Bahnbediensteten zu neh-
men, und zwar in allen Geschäftsbereichen. Was diese
Menschen in den letzten fünf bis sechs Jahren mitgemacht
haben, muss man erst einmal schultern. Mein Respekt gilt
daher den Bahnbediensteten überall im Land, die diese
Veränderungen großartig verkraftet und gut gearbeitet ha-
ben. Sie haben ein Anrecht darauf, dass die Bundesregie-
rung als Eigentümerin neben ihrer verkehrspolitischen
auch ihre sozialpolitische Verantwortung wahrnimmt.
Dazu fordere ich sie auf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412809100
Der nächste Redner ist
der Kollege Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen.

Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die DB AG beabsichtigt die Betriebseinstel-
lung in einer Reihe von Werken der schweren Instandhal-
tung von Loks und Wagen sowie die Personalreduzierung
in weiteren Werken und die Einstellung der Arbeit in Spe-
zialwerken. Außerdem soll es Personalreduzierungen in
einigen Servicebereichen geben. Hauptsächlich betroffen
sind hierbei Werke und Arbeitsplätze in den neuen Bun-
desländern.

Klarzustellen ist, dass es sich bei der DB AG um ein al-
lein dem Aktienrecht unterliegendes Unternehmen han-
delt. Intention der Bahnreform war, unternehmerische
Entscheidungen allein dem Unternehmen zu überlassen,
um diesem eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Tätigkeit
zu ermöglichen. Es ist zwar richtig, dass der Bund eine
grundsätzliche raumordnungspolitische Verantwortung
trägt und dass zumindest einige der betroffenen Werke in
strukturschwachen Regionen liegen.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Die meisten!)

Dies ermöglicht der Bundesregierung aber keine Einfluss-
möglichkeit auf die Geschäftspolitik der DB AG. Dies ist
eine Folge der Bahnreform, deren Grundlagen in einer
nicht immer glücklichen Weise von der früheren Regie-
rung geschaffen worden sind.

Nicht zu übersehen ist, dass seitens der DB AG in den
vergangenen Jahren eine Vielzahl von Neufahrzeugen be-
schafft wurde, die einem deutlich geringeren Wartungs-
aufwand unterliegen als Altfahrzeuge. Dadurch konnten
die Instandhaltungsfristen verlängert und die Lebenszy-
kluskosten gesenkt werden.




Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

12378


(C)



(D)



(A)



(B)


Nicht übersehen werden darf allerdings, dass die
DB AG den bisherigen Konsens mit den Gewerkschaften
verlassen hat. Dieses Vorgehen war – es ist bereits gesagt
worden – rechtswidrig. Auch die Geschäftspolitik der
DB AG war nicht immer glücklich. Diese Tatsache kann
ebenfalls nicht geleugnet werden.

Die faktische Entwicklung hat aber gezeigt, dass die
Tarifpartnerschaft zwischen Gewerkschaft und Unterneh-
men funktioniert. Nach den zwischen den Tarifpartnern
am Dienstag dieser Woche geführten Verhandlungen hat
der Bahnvorstand akzeptiert, an den Verhandlungstisch
mit der Gewerkschaft zurückzukehren, und anerkannt,
dass seine Abkehr vom bisherigen Konsens massive Un-
ruhe unter den Arbeitnehmern ausgelöst hat. Die Tarif-
partner sind sich jetzt einig, dass die Instandhaltung wei-
terhin zu den Kernaufgaben der DB AG gehört und dass
darüber hinaus das Drittkundengeschäft und das Geschäft
mit Fahrzeugumbauten nicht vernachlässigt werden sol-
len, um Beschäftigung zu sichern.

Der vomVorstand getroffene Planungsbeschluss wird
Gegenstand eines nach dem Betriebsverfassungsgesetz
durchzuführenden Beteiligungsverfahrens der zuständi-
gen Betriebsratsgremien sein. Der Bahnvorstand hat
sich bereit erklärt, hierfür nachvollziehbares Zahlenma-
terial für die nächsten Verhandlungen zwischen den Ta-
rifpartnern zu liefern, und wird auch die Gespräche mit
potenziellen privaten Investoren fortsetzen, um die
Standorte möglichst zu erhalten sowie alternative
Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten der durch eventu-
elle Werksschließung betroffenen Mitarbeiter zu schaf-
fen.

Die Bundesregierung sieht es als ihre Aufgabe an, die
Bahn zu fördern. Das zeigt gerade das soeben beschlos-
sene Zukunftsinvestitionsprogramm mit hohen zusätzli-
chen Investitionen zugunsten der Bahn. Auch das sichert
Arbeitsplätze. Die Bundesregierung steht zu ihrer Verant-
wortung – der Bahn und den Eisenbahnern gegenüber.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412809200
Das Wort hat die Kol-
legin Dr. Christa Luft, PDS-Fraktion.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1412809300
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Rehbock-
Zureich, zunächst muss ich sagen: Die PDS-Fraktion hat
diese Aktuelle Stunde nicht gestern Nachmittag oder
heute Morgen, sondern am Montag beantragt. Vielleicht
ist es ja möglich, dass die Öffentlichkeit, die damit zu-
sätzlich im Parlament geschaffen wurde, dazu beigetra-
gen hat, dass die Gespräche zwischen der Deutschen Bahn
AG und den Gewerkschaften beschleunigt worden sind.
Das kann ja vielleicht sein.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Überschätzen Sie sich mal nicht, Frau Luft!)


Dem Kollegen Otto möchte ich, da er behauptet, die
PDS würde hier Unzufriedenheit schüren, sagen: Sie
überschätzen unsere Möglichkeiten. Im Übrigen kann
man niemandem Existenzängste einreden. Sie werden

vielmehr von den Beschäftigen gefühlt. Darum haben sie
sich ja so artikuliert, wie sie es getan haben.

Herr Staatssekretär, ich habe es als höchst bedauerlich
empfunden, dass weder der Minister noch Sie die Gele-
genheit genutzt haben, sich mit den betroffenen Betriebs-
räten bei deren Besuch hier in diesem Hause – und sei es
nur für wenige Minuten – zu treffen. Wenn es so ist, dass
inzwischen „fast alles in Butter“ ist, wie die Kollegin
Rehbock-Zureich sagt, dann hätten Sie doch eigentlich
mit Freude vor die Betriebsräte treten können, um ihnen
zu sagen, dass ihre Sorgen zumindest abklingen können.


(Beifall bei der PDS)

Ich habe es sehr bedauert, dass Sie diese Möglichkeit

nicht wahrgenommen haben – und das, nachdem heute
Morgen in diesem Hause über die wirtschaftliche Lage in
der Bundesrepublik Deutschland gesprochen worden ist
und die Bundesregierung noch einmal alle Schwüre ge-
schworen hat, wie sehr ihr der Erhalt von Arbeitsplätzen
am Herzen liegt und was sie alles tun möchte, um zum Ar-
beitsplatzerhalt und zum Neuaufbau von Arbeitsplätzen
beizutragen. Wenn ich dann aber sehe, was mit den Bahn-
werken geschehen soll, muss ich sagen, dass all die
Schwüre von heute Morgen ziemlich hohl waren.

Das, was hier abläuft, ist erstens die Wiederholung des-
sen, was in Ostdeutschland vielfach in der Industrie pas-
siert ist. Dort hat man gesagt, dass die Unternehmen
– zunächst die volkseigenen Betriebe, dann die Treuhand-
unternehmen – viel zu groß seien; damit sie marktfähig
werden und sich wirtschaftlich betätigen können, müssten
sie sich klein und fein machen. Das war die Losung. Ich
erinnere mich ganz genau.

Inzwischen sind die Beschäftigtenzahlen der Bahn-
werke in der Regel bis auf ein Zehntel der ursprünglichen
Beschäftigtenzahlen geschrumpft. Sie haben zudem ihre
Rentabilität erhöht. Jetzt heißt es: Ihr habt eine unterkriti-
sche Betriebsgröße, ihr seid am Markt nicht mehr überle-
bensfähig. Da sage ich mir doch: Das ist absurd und ver-
höhnt die Beschäftigten, die diese großen Umbrüche
hinter sich gebracht und immer noch mit Optimismus in
die Zukunft geschaut haben.


(Beifall bei der PDS)

Das, was hier abläuft, ist zweitens Ausdruck dessen,

dass es dem Bund zuvörderst um Haushaltssanierung
geht. Darum will er sich von seinem Vermögen trennen.
Das ist zum Beispiel im Falle der Bundesdruckerei so, die
privatisiert werden soll. Die Umstände dort sind insofern
ähnlich, als Beschäftigte überhaupt erst durch gewisse In-
diskretionen erfahren, in welcher Weise über ihr Schick-
sal inzwischen verhandelt worden ist.

Auch bei der Deutschen Bahn AG will man Auf-
wendungen für die Zukunft einsparen und daher mög-
lichst schnell Strukturveränderungen herbeiführen. Dabei
übt der Anteilseigner Bund Druck auf die Bahn aus. Sie
soll sehr schnell ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, um
börsenfähig zu werden.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD – Angelika Mertens [SPD]: Ein bisschen mehr Realitätssinn wäre ganz schön!)





Helmut Wilhelm (Amberg)


12379


(C)



(D)



(A)



(B)


Das alles ist ökonomisch zunächst einmal verständlich.
Aber die Bundesregierung als Anteilseignerin hat ihre ei-
genen Schulaufgaben, um die Bahn wettbewerbsfähiger
zu machen, bisher nicht erledigt, weil sie die Bahn nach
wie vor steuerlich stärker belastet als andere Verkehrsträ-
ger, weil also die Wettbewerbsverzerrung, die es in Bezug
auf andere Verkehrsträger gibt, nicht beseitigt ist. Nun
aber vorrangig Druck in Richtung Personalabbau und
Einsparungen im Sicherheitsbereich auszuüben, um wett-
bewerbsfähiger zu werden, das kann nicht gut gehen. Das
ist weder wirtschaftlich noch sozial.


(Beifall bei der PDS)

Längerfristig ist das auch kontraproduktiv. Für die Mobi-
lität der Menschen, die auf die Bahn angewiesen sind,
kann man Schlimmes befürchten.

Das, was hier abläuft, ist drittens: Betrieben droht die
Schließung nicht wegen fehlender Aufträge – die sind
nämlich vorhanden –, sondern offenbar deshalb, weil man
die Forcierung von Konzentrationsprozessen vorantrei-
ben will. Als Beispiel nenne ich hier nur das Forschungs-
und Entwicklungswerk Blankenburg. Es hat vor wenigen
Monaten eine Ausschreibung gewonnen – dies spricht ja
wohl für Wettbewerbsfähigkeit –, wartet aber seit vielen
Monaten auf die Zusage einer Finanzierung der Aufträge.
Am 17. Oktober 2000 erging in dieser Angelegenheit ein
Brief des Betriebsrates an den Bundesverkehrsminister.
Bis heute wurde er nicht beantwortet. Das macht keinen
guten Eindruck, wenn es um soziale Belange von Men-
schen geht.

Schließlich: Dass gerade in Bundesunternehmen oder
solchen Unternehmen, bei denen der Bund Anteilseigner
ist, Strukturveränderungen – und davon berührte Perso-
nalfragen – stets ohne oder mit viel zu später Einbezie-
hung der Beschäftigten, der Betriebsräte und der Ge-
werkschaften erfolgen, ist nicht hinzunehmen. Das ist
kein vorbildliches Verhalten. Wie wollen wir der privaten
Wirtschaft etwas abverlangen, wenn der Bund selbst nicht
in Vorleistung tritt?


(Beifall bei der PDS)

Informationen geraten an die Betroffenen oft nur durch
Indiskretion. Das ist kein gutes Zeichen.

Ich hoffe, dass sich die kritischen Akzente, die ich bei
einigen Koalitionsabgeordneten in der Debatte gehört
habe, nicht nur auf Äußerungen in der Aktuellen Stunde
beschränken, sondern dass Sie auf den Anteilseigner
Bund in geeigneter Weise Einfluss nehmen, damit den Be-
schäftigten ihre berechtigte Sorge genommen werden
kann.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412809400
Für die Bundesregie-
rung spricht der Parlamentarische Staatssekretär Siegfried
Scheffler.

S
Siegfried Scheffler (SPD):
Rede ID: ID1412809500
Frau

Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Be-
triebsräte der betroffenen Werke und Regionen, ich darf
Sie alle recht herzlich begrüßen.

Wie so oft hat auch hier die Medaille zwei Seiten. So-
wohl von der ganz linken Seite als auch von der rechten
Seite möchte im am Anfang einiges zurückweisen. Frau
Kollegin Luft, Sie haben gesagt, der Bund – damit meinen
Sie ja offensichtlich die DB AG – habe Druck gemacht,
damit Sicherheitsstandards eingeschränkt und Infrastruk-
turvorhaben nicht realisiert werden. Das weise ich aus-
drücklich zurück. Wenn Druck entstanden ist, dann des-
halb, weil man sich Anfang der 90er-Jahre auf eine
– parteiübergreifend verabschiedete – große Bahnreform
festgelegt hat, mit der die Deutsche Reichsbahn und die
Bundesbahn zu einem wirtschaftlich selbstständigen Un-
ternehmen zusammengeführt wurden. Der entscheidende
Punkt ist, dass im Jahre 2003 die wirtschaftliche Selbst-
ständigkeit erreicht werden soll. Es geht also gar nicht da-
rum – ich habe das heute noch nicht aus dem Deutschen
Bundestag heraus gehört; auch können Sie es noch nicht
von der Bundesregierung gehört haben –, dass zu diesem
Zeitpunkt die Börsenfähigkeit hergestellt sein soll. Das
gemeinsame, parteiübergreifende Ziel, das wir mit der
Bahnreform verbunden haben, war die Wirtschaftlichkeit.
Ob die alte oder die jetzige Bundesregierung, beide haben
– das ist auch unser Auftrag – gewaltige Anstrengungen
zur Beseitigung der Altlasten unternommen. Unser Auf-
trag im Rahmen der Bahnreform war: zum einen Ausbau
der Infrastruktur – ob in den alten oder den neuen Bun-
desländern – und zum anderen Bereinigung der Altlasten,
die mit der Zusammenführung der beiden deutschen Bah-
nen verbunden waren.

Wie schwierig dieser Prozess ist, zeigt nicht nur die
Diskussion um die Standorte, um die es heute geht. Es
geht um wesentlich mehr. Auch der Kollege Rössel weiß,
dass es bei der Deutschen Bahn AG um insgesamt
175 Unternehmen mit circa 23 000 Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern geht, die alle von derartigen Untersu-
chungen betroffen sind.

Dass die Gleisbauausbesserungswerke, die Instandhal-
tungswerke und die Reichsbahn-Ausbesserungswerke auf
dem Gebiet der ehemaligen DDR gegenüber den Betrie-
ben in den alten Bundesländern natürlich in der Mehrzahl
waren, ist auch bekannt. Aber der jetzigen Bundesregie-
rung vorzuwerfen, sie komme ihrer politischen Verant-
wortung zu wenig nach, das muss ich ganz klar zurück-
weisen.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Das ist doch offensichtlich, Herr Staatssekretär!)


Dass das nicht stimmt, beweist – Herr Kollege Albert
Schmidt hat das hier schon angesprochen – das Zukunfts-
investitionsprogramm Schiene. Aber wir haben für die
nächsten drei Jahre nicht nur die 6Milliarden DM aus die-
sem Programm zur Verfügung, sondern setzen darüber hi-
naus ab 2003 aus dem Anti-Stau-Programm und den Ein-
nahmen der streckenbezogenen LKW-Gebühr weitere
2,8 Milliarden DM ein.




Dr. Christa Luft
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(C)



(D)



(A)



(B)


Bevor ich zum eigentlichen Punkt komme, möchte ich
Ihnen noch verraten, dass mich gestern Abend Betriebs-
räte von anderen Standorten, die überwiegend in den
neuen Bundesländern sind, sowie der Hauptgeschäftsfüh-
rer des Verbandes der Bahnindustrie, also auch ein Ver-
treter der Schienenfahrzeugindustrie, angerufen und mir
gesagt haben: Herr Staatssekretär, die Bundesregierung
will doch wohl nicht Geld in die Hand nehmen, um ange-
sichts der vorhandenen Überkapazitäten in Görlitz, in
Bautzen, bei Adtranz in Henningsdorf und in Pankow
Standorte zu subventionieren;


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Genau das habe ich auch gesagt!)


nachdem wir in den Lokomotivbau und in die Werke, die
das rollende Material – ob nun Güterwaggons oder Per-
sonenwaggons, ob Nahverkehrsmittel wie S-Bahnen oder
Regionalzüge – herstellen, immens investiert haben, kön-
nen wir uns doch nicht eigene Wettbewerber schaffen. In-
sofern muss die Bundesregierung, die insgesamt verant-
wortlich ist, alle Probleme beachten.

Ich kritisiere aber die offensichtlich mangelhafte In-
formations- und Kommunikationspolitik der DBAG.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Ja, das scheint so!)


Da Sie uns aber gemeinsam von links und rechts Vorwürfe
gemacht haben,


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Sie sind doch an der Regierung! Was wollen Sie denn?)


muss ich noch einmal betonen: Der Abstimmungsprozess
mit den betroffenen Betriebsräten, mit den Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern läuft seit dem 1. Januar 1998,
als entsprechende Konzepte seitens der DB AG vorge-
stellt worden sind. Offensichtlich haben weder die Bun-
desregierung noch das Parlament – das gilt übrigens auch
für die PDS – bisher Veranlassung gehabt, hier einzugrei-
fen; denn selbst das GdED-Info – ich habe heute noch ein-
mal angerufen und auch mit Herrn Mehdorn persönlich
gesprochen – geht ja von einer Rückkehr an den Ver-
handlungstisch aus. Die Arbeitnehmervertreter haben ja
seit dem 1. Januar 1998 am Verhandlungstisch gesessen
und über die Prozesse gesprochen. Ich stimme Ihnen zu,
dass diese Verhandlungen formalisiert werden müssen.
Die Absichten der DB AG müssen Gegenstand eines Be-
teiligungsverfahrens nach dem Betriebsverfassungsge-
setz werden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412809600
Herr Kollege
Scheffler, da Sie, wie mir soeben gesagt worden ist, nicht
für die Bundesregierung sprechen, verfügen Sie auch nur
über die in einer Aktuellen Stunde normale Redezeit. Ich
muss Sie also an die Redezeit erinnern.

S
Siegfried Scheffler (SPD):
Rede ID: ID1412809700
Wir
fordern also, dass Betriebsräte beteiligt werden. Aber der
Bund als Eigentümer erwartet von der Unternehmens-
führung auch, dass alle im Unternehmen möglichen Effi-

zienzsteigerungen genutzt werden. Die Bundesregierung
erwartet ferner, dass die DB AG ein Minimum an unter-
nehmerischer Verantwortung zeigt, wie es auch bei ande-
ren Unternehmen selbstverständlich ist. Es gibt ja auch
positive Beispiele,


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Richtig!)

die von der Öffentlichkeit offensichtlich nicht wahrge-
nommen werden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412809800
Herr Kollege
Scheffler, ich muss Sie noch einmal ermahnen. Ich tue das
sehr ungern. Aber Sie müssen wirklich zum Schluss kom-
men.

S
Siegfried Scheffler (SPD):
Rede ID: ID1412809900
Frau
Präsidentin, ich komme jetzt zum Schluss.

Als Beispiele nenne ich das Eisenbahnwerk in Arnstadt
oder in Greifswald.

Insofern sind wir hier sowohl mit den Betriebsräten
und der Gewerkschaft als auch mit Herrn Mehdorn einer
Meinung. Sie müssen gemeinsam an den Tisch zurück-
kommen. Auch die Bundesregierung fordert: keine be-
triebsbedingten Kündigungen!

Vielen herzlichen Dank.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412810000
Der nächste Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Wieland Sorge. Er spricht
für die SPD-Fraktion.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Aber mit eingeschränkter Redezeit!)



Wieland Sorge (SPD):
Rede ID: ID1412810100
Frau Präsidentin! Ich werde
versuchen, mich kurz zu fassen; das meiste ist gesagt
worden.

Wir sind eigentlich hier zusammengekommen, um da-
rüber zu beraten, wie wir bei der Lösung der Probleme
helfen können, die dadurch entstehen, dass, wie jetzt von
der Presse angekündigt, 14 Werke der Bahn entweder ge-
schlossen oder angepasst werden sollen. Da muss ich sa-
gen, Herr Dr. Rössel und Frau Dr. Luft: Was Sie an Emp-
findungen haben, macht Ihnen keiner streitig. Sie haben
auch das Recht, diese Dinge hier darzustellen. Ich zolle
Ihnen ebenfalls meinen Respekt, wenn Sie sich bei
Schwierigkeiten einsetzen, um die Dinge zu bereinigen.
Aber dabei habe ich etwas vermisst: Weder bei Ihnen,
Herr Dr. Rössel, noch bei Ihnen, Frau Dr. Luft – das Glei-
che gilt aber für die rechte Seite – habe ich Vorschläge
hören können, wie die Situation gerettet und Arbeitsplätze
bewahrt werden können. Das gehört jedoch dazu.


(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Wo ist denn hier eine rechte Seite? Wir sind die Mitte!)


Gestatten Sie mir noch zwei Bemerkungen. Als Ost-
deutscher kann ich natürlich nicht ruhig bleiben, wenn
von den 14 Werken, die hier zur Diskussion stehen, zehn




Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler

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(C)



(D)



(A)



(B)


in Ostdeutschland sind. Die Bahn stellt sich die Frage:
Worauf können wir in diesem oder jenem Bereich ver-
zichten, um den Auftrag, den uns der Bund gegeben hat,
erfüllen zu können? Diese Entscheidung müssen wir ganz
allein der Bahn zubilligen. Aber – da gebe ich Herrn
Schmidt Recht, der das hier deutlich gemacht hat – wir
können nicht tatenlos zusehen, weil wir eine soziale Ver-
antwortung haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit komme ich zu Ihnen, Herr Friedrich.

(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Da bin ich aber gespannt!)

Sie haben hier groß geredet, Sie würden die soziale Ver-
antwortung in der Koalition vermissen.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: In der christdemokratischen Koalition ist diese Verantwortung getragen worden!)


– Dazu will ich das aufgreifen, was der Herr Staatssekre-
tär gesagt hat: Seit dem 1. Januar 1998 gibt es in den Wer-
ken diese Diskussion. Wer mit diesen Werken als Abge-
ordneter in Verbindung stand, wird wissen, was sich dort
in dieser Zeit alles abgespielt hat.

Ich selbst stehe seit vielen Jahren mit solchen Werken
in Verbindung. Ich nenne als Beispiel nur das RAWMei-
ningen, das einen – das gebe ich zu – schmerzlichen Ver-
lust von über 1 000 Leuten zu verzeichnen hat. Wir woll-
ten dem Werk damals schon das Licht ausdrehen, weil wir
gedacht haben, dass es keine Perspektive mehr hat. Dann
haben wir überlegt, welche Möglichkeiten es gibt: an der
Seite der Bahn weiterarbeiten oder privatisieren. Es gab
nur Schwierigkeiten. Schließlich haben sich zwei Leute
als Geschäftsführer an die Spitze des Werkes gesetzt. Da-
nach haben wir in den letzten anderthalb Jahren endlich
schwarze Zahlen geschrieben, mit dem Ergebnis, dass die
Bahn sagt: Ihr habt das toll gemacht, ihr habt viele Auf-
träge hereingeholt; wir übernehmen euch, keine Diskus-
sion mehr. – Wir haben natürlich Geschäftsfelder
hereingeholt, die mit der Bahn überhaupt nichts zu tun
hatten, um so gut wie möglich arbeiten zu können. Heute

haben wir wieder die Chance, Leute einzustellen. Das ist
der richtige Weg!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Dann machen Sie das doch!)


– Gut, Herr Friedrich. Aber wieso sind wir denn allein in
der Bundesrepublik für die Bürger verantwortlich? Sie
doch auch! Sie sagen immer: „Machen Sie!“ Aber auch
Sie sind doch Abgeordneter und haben die gleiche Ver-
pflichtung wie wir.

Nun zu dem Werk in Vacha. Dazu will ich etwas sagen,
weil es in meinem Wahlkreis liegt. In diesem Werk gibt es
19 Mitarbeiter. Es ist bedauerlich, wenn sie ihre Arbeit
verlieren. Es genügt natürlich nicht, Herr Dr. Rössel, dass
wir hier große Reden halten. Wir können jedoch nicht un-
seren Einfluss in der Form geltend machen, dass wir die
Bahn auffordern, das Werk in Vacha wieder funkti-
onstüchtig zu machen und alle Entscheidungen zurückzu-
nehmen. Wir können zur Landesentwicklungsgesellschaft
gehen, wir können zu anderen Firmen, die in der Nähe
sind, gehen, wir können zur Landesregierung gehen und
wir können zu Verbänden gehen. Das verspreche ich Ih-
nen: Vacha werde ich durch diese Maßnahmen wieder
zum Leben erwecken.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412810200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta-
ges auf Mittwoch, den 8. November 2000, 13 Uhr, ein.

Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen,
die bis zum Schluss ausgeharrt haben, und wünsche al-
len – auch den Zuschauerinnen und Zuschauern auf der
Tribüne – ein schönes Wochenende!

Die Sitzung ist geschlossen.