Protokoll:
14125

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 125

  • date_rangeDatum: 13. Oktober 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:51 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 11993 A Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Dr. Peter Eckardt . . . . . . . . . . . . . . . . 12057 D Eckart von Klaeden CDU/CSU (zur GO) . . . 11993 B Anni Brandt-Elsweier SPD (zur GO) . . . . . . . 11994 C Jörg van Essen F.D.P. (zur GO) . . . . . . . . . . . 11995 B Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (zur GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11995 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS (zur GO) . . . . 11996 D Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Entfernungs- pauschale und zur Zahlung eines ein- maligen Heizkostenzuschusses (Drucksache 14/4242) . . . . . . . . . . . . . 11997 C b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Ver- gütung der Mineralölsteuer für die Land- und Forstwirtschaft (Agrar- dieselgesetz) (Drucksachen 14/4218, 14/4294) . . . . 11997 C c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Proto- koll vom 22. März 2000 zur Ände- rung des Übereinkommens vom 9. Februar 1994 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung be- stimmter Straßen mit schweren Nutz- fahrzeugen(Drucksachen 14/3651, 14/4052, 14/4273,14/4274) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11997 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion F.D.P.: Ökosteuer zurücknehmen (Drucksachen 14/3519, 14/4276) . . . . 11998 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Weisheit, Annette Faße, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordne- ten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Wettbewerbsposition für die deutsche Landwirtschaft ver- bessern und nachhaltige Entwick- lung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume sichern – zu dem Antrag der Fraktion CDU/CSU: Heizöl als Kraftstoff für die deutsche Land- und Forst- wirtschaft – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Marita Sehn, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Agrodiesel tanken – Gasöl- betriebsbeihilfe abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kersten Naumann und der Fraktion PDS: Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM Gasölbeihilfe zurücknehmen (Drucksachen 14/2766, 14/2690, 14/2384, 14/2795, 14/3724) . . . . . . . . . . . . . . . . 11998 A Plenarprotokoll 14/125 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 125. Sitzung Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000 I n h a l t : f) Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Marita Sehn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P.: Tan- ken von eingefärbtem Agrardiesel unbürokratisch ausgestalten (Drucksache 14/3105) . . . . . . . . . . . . . 11998 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Fraktion CDU/CSU: Unter- glasgartenbau in Deutschland sichern (Drucksache 14/4243) . . . . . . . . . . . . . . . . 11998 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Anpassungsbei- hilfen für Unterglasbetriebe im Garten- bau (Drucksache 14/4257) . . . . . . . . . . . . . . . . 11998 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Kraftfahrzeugsteuer für schwere LKW auf EU-Niveau senken – Bedin- gungen am Güterkraftverkehrsmarkt harmonisieren (Drucksache 14/4254) . . . . . . . . . . . . . . . . 11998 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Kersten Naumann, Rolf Kutzmutz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Schaffung eines Nothilfefonds für existenzbedrohte Unterglasgartenbaubetriebe (Drucksache 14/4291) . . . . . . . . . . . . . . . . 11998 D Angelika Mertens SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11998 D Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 12001 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12003 D Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12006 B Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . 12007 B Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 12007 D Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . . 12009 A Norbert Schindler CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 12011 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12013 C Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12015 B Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12016 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 12017 B Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 12020 C Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . 12021 B Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär BML 12022 B Josef Hollerith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 12023 B Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 12023 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 12024 C Horst Kubatschka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12025 D Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 12027 C Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Fraktion CDU/CSU: Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit ist bislang Stückwerk und muss konse- quent vorangetrieben werden (Drucksache 14/3771) . . . . . . . . . . . . . . . . 12030 A Dr. Ralf Brauksiepe CDU/CSU . . . . . . . . . . . 12030 A Dr. R. Werner Schuster SPD . . . . . . . . . . . . . . 12032 A Joachim Günther (Plauen) F.D.P. . . . . . . . . . . 12033 D Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12034 D Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12036 B Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . . 12037 B Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . 12038 B Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes Drucksachen 14/3764, 14/4265) . . . . . . . . 12040 C Harald Friese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12040 C Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12042 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12043 C Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12044 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12045 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000II Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Gesetzliche Mitspra- cherechte bei Unternehmensübernah- men (Drucksache 14/3394) . . . . . . . . . . . . . . . . 12046 A Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12046 A Nina Hauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12046 D Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 12048 D Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung der §§ 1360, 1360 a BGB (Drucksache 14/1518) . . . . . . . . . . . . . . . . 12050 B Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink und der Fraktion PDS: Personalstruktur- und Dienstrechtsre- form an Hochschulen und Forschungs- einrichtungen (Drucksache 14/3900) . . . . . . . . . . . . . . . . 12050 C Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12050 D Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12051 D Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12053 C Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12055 C Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12056 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12057 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 12059 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz) (122. Sitzung am 29. September 2000, Tagesordnungspunkt 14) 12060 B Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 12060 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gesetzliche Mitspracherechte bei Unternehmensübernahmen (Tagesordnungs- punkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12061 A Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12061 A Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 12061 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der §§ 1360, 1360 a BGB (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12062 D Anni Brandt-Elsweier SPD . . . . . . . . . . . . . . . 12062 D Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12063 C Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12064 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12065 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12066 A Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12066 B Anlage 5 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12066 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000 Ulrike Flach 12057 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000 12059 (C) (D) (A) (B) Behrendt, Wolfgang SPD 13.10.00 Bernhardt, Otto CDU/CSU 13.10.00 Bläss, Petra PDS 13.10.00 Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 13.10.00 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 13.10.00 Borchert, Jochen CDU/CSU 13.10.00 Braun (Augsburg), F.D.P. 13.10.00 Hildebrecht Breuer, Paul CDU/CSU 13.10.00 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 13.10.00 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 13.10.00 Burchardt, Ursula SPD 13.10.00 Diller, Karl SPD 13.10.00 Doss, Hansjürgen CDU/CSU 13.10.00 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 13.10.00 DIE GRÜNEN Elser, Marga SPD 13.10.00 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 13.10.00 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 13.10.00 Joseph DIE GRÜNEN Fischer (Karlsruhe-Land), CDU/CSU 13.10.00 Axel Formanski, Norbert SPD 13.10.00 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 13.10.00 Friedrich (Bayreuth), F.D.P. 13.10.00 Horst Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 13.10.00 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 13.10.00 Glos, Michael CDU/CSU 13.10.00 Goldmann, F.D.P. 13.10.00 Hans-Michael Graf (Friesoythe), SPD 13.10.00 Günter Haack (Extertal), SPD 13.10.00 Karl-Hermann Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 13.10.00 Hauser (Bonn), Norbert CDU/CSU 13.10.00 Hemker, Reinhold SPD 13.10.00 Dr. Hendricks, Barbara SPD 13.10.00 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 13.10.00 DIE GRÜNEN Hoffmann (Chemnitz), SPD 13.10.00 Jelena Hüppe, Hubert CDU/CSU 13.10.00 Irmer, Ulrich F.D.P. 13.10.00 Kossendey, Thomas CDU/CSU 13.10.00 Lehder, Christine SPD 13.10.00 Lippmann, Heidi PDS 13.10.00 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 13.10.00 Klaus W. Metzger, Oswald BÜNDNIS 90/ 13.10.00 DIE GRÜNEN Michels, Meinolf CDU/CSU 13.10.00 Moosbauer, Christoph SPD 13.10.00 Müller (Jena), Bernward CDU/CSU 13.10.00 Müller (Berlin), PDS 13.10.00 Manfred Neumann (Gotha), SPD 13.10.00 Gerhard Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 13.10.00 DIE GRÜNEN Nooke, Günter CDU/CSU 13.10.00 Ostrowski, Christine PDS 13.10.00 Philipp, Beatrix CDU/CSU 13.10.00 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 13.10.00 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 13.10.00 Dr. Richter, Edelbert SPD 13.10.00 Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 13.10.00 Hannelore Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 13.10.00 Claudia DIE GRÜNEN entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Sauer, Thomas SPD 13.10.00 Scheffler, Siegfried SPD 13.10.00 Schily, Otto SPD 13.10.00 Schlee, Dietmar CDU/CSU 13.10.00 Schloten, Dieter SPD 13.10.00* Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 13.10.00 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 13.10.00 Hans Peter Schösser, Fritz SPD 13.10.00 Schröder, Gerhard SPD 13.10.00 Schüßler, Gerhard F.D.P. 13.10.00 Schulz (Leipzig), BÜNDNIS 90/ 13.10.00 Werner DIE GRÜNEN Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 13.10.00 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 13.10.00* Volquartz, Angelika CDU/CSU 13.10.00 Weisskirchen SPD 13.10.00 (Wiesloch), Gert Wettig-Danielmeier, SPD 13.10.00 Inge Wiesehügel, Klaus SPD 13.10.00 Wissmann, Matthias CDU/CSU 13.10.00 Zierer, Benno CDU/CSU * für die Teilnahme an der 104. Jahreskonferenz der Interparlamenta- rischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimm- rechtsausübung (Namensaktiengesetz) (122. Sit- zung am 29. September 2000, Tagesordnungs- punkt 14) Dr. Eckhart Pick (Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz): Das Internet und die neuen Te- lekommunikationsmedien werden in allen Rechtsgebie- ten ihren Niederschlag finden. Die Gesetzgebung muss hier rasch gestaltend eingreifen und die Modernisierung unseres Rechts vorantreiben. Mit dem heute eingebrach- ten Gesetzentwurf wollen wir dies für das Aktienrecht tun. Hier erscheint eine Modernisierung besonders dringlich, weil die Verwendung neuer Technologien in den Kapital- märkten besonders fortgeschritten ist und weil viele Fol- gen der Internationalisierung der Finanzmärkte sich nur mit den neuen Telekommunikationsmedien bewältigen lassen. Um das mit einem Beispiel vor Augen zu führen: Ein Anleger, der von seinem Laptop aus seine Kauf- und Ver- kaufsentscheidungen online trifft, versteht es nicht mehr, dass er dann auch nicht bestimmte Unternehmensmittei- lungen online erhalten oder seine Stimmrechtvollmachten auf diesem Wege erteilen kann. Das Namensaktiengesetz enthält dazu folgende Neue- rungen: Erstens wird das völlig veraltete Recht zur Na- mensaktie grundlegend aktualisiert und auf den Stand moderner Datenübertragung und elektronischer Aktienre- gister gebracht. Dabei haben wir besonderen Wert auf die datenschutzrechtliche Absicherung und Verbesserung ge- legt. Die gefundenen Regelungen befinden sich im Ein- klang mit der Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Zweitens – und vielleicht noch wichtiger –: In dem Entwurf werden viele Formerfordernisse aus alter Zeit rund um die aktienrechtliche Hauptversammlung so weit wie möglich heruntergefahren. Teilnehmerverzeichnisse auf den Hauptversammlungen werden in Zukunft auf Bildschirmen dargestellt, Stimmrechtsvollmachten auch in elektronischer Form erteilt werden können. Dies sind mutige, aber notwendige Modernisierungen unseres Akti- enrechts. Es handelt sich in diesem Punkt zwar auf den ersten Blick um eine eher technische Novelle, die aber zugleich wie ein Innovationsschub wirken wird. Es wird sehr in- teressant zu beobachten sein, wie in der Zukunft die Stimmrechtsausübung bei den Hauptversammlungen un- serer Aktiengesellschaften neu organisiert werden wird. Das alte Depotstimmrecht der Banken wird Konkurrenz bekommen, so viel können wir heute schon vorhersagen. Das Gesetz enthält weiter eine Einschränkung des sehr bürokratischen und aus heutiger Sicht unverständlich komplizierten Nachgründungsverfahrens für neugegrün- dete Aktiengesellschaften. Dies betrifft besonders die Startup-Unternehmen und die Neuemissionen am Neuen Markt. Die beteiligten Kreise haben diesen Gesetzgebungs- vorschlag mit großer Erleichterung und ungewöhnlich breiter Zustimmung aufgenommen. Ferner werden noch letzte Euro-Umstellungen im Gesellschaftsrecht vorge- nommen und einige Bekanntmachungserleichterungen eingeführt. Es geht dabei um die Abschaffung teurer und aus heutiger Sicht sinnloser Mehrfachveröffentlichungen von Handelsregisterbekanntmachungen. Sie können sich vorstellen – oder sie werden es schon wissen –, dass dieser Entwurf hohe Zustimmung bei allen beteiligten Kreisen gefunden hat und dringlichst erwartet wird. Ich darf Sie daher herzlich bitten, die Bundesregie- rung dabei zu unterstützen, das Namensaktiengesetz bis zum Januar des nächsten Jahres in Kraft treten zu las- sen, damit die Unternehmen es bereits in der Haupt- versammlungssaison 2001 einsetzen können. Viele Gesell- schaften haben bereits in dieser Hauptversammlungssaison Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 200012060 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Vorratsbeschlüsse im Hinblick auf den Entwurf gefasst. Ich freue mich, sagen zu können, das wir damit auch im internationalen Vergleich auf diesem Rechtsgebiet eine innovative Rolle übernehmen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gesetzliche Mitspra- cherechte bei Unternehmensübernahmen (Ta- gesordnungspunkt 18) Margareta Wolf (Frankfurt) (Bündnis90/Die Grü- nen): Mit den hier zur Beratung vorliegenden Anträgen befassen wir uns mit den Ergebnissen der Regierungs- kommission und dem darauf aufbauenden Diskussions- entwurf vom 29. Juni 2000 zum Thema Übernahme- gesetz. Die Eckpunkte des Entwurfs werden von der Mehrzahl der Fachleute in der Finanz- und Unterneh- menswelt ausdrücklich begrüßt. Fast einhellig wird dort ein Übernahmegesetz auf Basis des Gemeinsamen Stand- punktes des Rates vom 9. Juni 2000 befürwortet. Nach Verabschiedung durch den Rat befasst sich zurzeit das Eu- ropäische Parlament mit der Richtlinie. Dort beschlossene und vom Rat mit getragene Änderungen werden wir selbstverständlich mit aufnehmen. Die Mehrzahl der Län- der in der EU verfügen allerdings schon über eine ver- gleichbare Regelung. Der Finanzplatz Deutschland dagegen hat hier noch ein Defizit: Es gibt bisher noch keine verbindlichen Regeln für Übernahmen von Unternehmen. Der freiwillige Über- nahmekodex hat in Deutschland versagt. Dieses hat nicht zuletzt der Fall Mannesmann/Vodafone mal wieder zu- tage gebracht. Die weltweite Fusionswelle rollt weiter, ohne dass in Deutschland private Kleinaktionäre wirksam vor Nachteilen geschützt werden. Ein solches Übernah- megesetz ist eine alte Forderung der Grünen, die von der Vorgängerregierung immer abgelehnt wurde. Die Forde- rung nach Gleichbehandlung aller Aktionäre des zu über- nehmenden Unternehmens – das zentrale Anliegen eines Übernahmegesetzes – ist wesentliche Voraussetzung für die Schaffung einer neuen Aktienkultur in Deutschland: Anleger müssen sich an den Wertpapiermärkten in einem fairen, sicheren und durchschaubaren Umfeld engagieren können. Ich möchte jetzt auf die einzelnen Elemente des zukünftigen Übernahmegesetzes eingehen. Einführend möchte ich feststellen: Ziel ist es, Übernahmen weder zu fördern noch Übernahmen zu behindern. Ein Pflichtange- bot ist nach Überschreiten einer Schwelle vorgesehen. Die Schwelle wird grundsätzlich bei 30 Prozent der Akti- enanteile liegen. Ausnahmeregelungen für den Fall, dass das übernehmende Unternehmen nachweisen kann, dass bei den letzten Hauptversammlungen ein höherer Anteil notwendig war, um die Mehrheit zu erreichen, sind not- wendig. Bei den Dax-Unternehmen bestand im Durch- schnitt in den letzten drei Jahren ein beherrschender Ein- fluss ab 29,5 Prozent. Der Diskussionsentwurf wird noch um freiwillige Angebote ergänzt werden müssen, wenn beispielsweise das Unternehmen seinen Anteil von 40 auf 90 Prozent aufstocken will. Im Diskussionsentwurf ist vorgesehen, den Bieter dazu zu verpflichten, den Aktionären wahlweise als Gegenleis- tung eine Geldleistung anzubieten, wenn in den sechs Mo- naten vor Erlangen der Kontrolle insgesamt mehr als 5 Prozent der Aktien an der Zielgesellschaft gegen Zah- lung einer Geldleistung erworben wurden. Diese Rege- lung begrüßen wir ausdrücklich, da sie eine Gleichbe- handlung aller Aktionäre sichert. Ein wichtiger Punkt ist der Ausschluss von, Minder- heitsaktionären – das „squeeze out“. Der Entwurf sieht diese Möglichkeit vor, wenn der Bieter einen Anteil an den Aktien von 95 Prozent überschritten hat. Hierbei han- delt es sich um einen Eingriff in die privaten Eigentums- rechte, der mit der Sozialverpflichtung des Eigentums – Stichwort: „räuberische Nutzung“ von Rechten – be- gründet wird. Die im Entwurf vorgeschlagene Regelung verursacht noch „leichte Bauschmerzen“, da der Hauptak- tionär die Höhe der Barabfindung festlegt. Diese Ab- findung kann zwar gerichtlich überprüft werden, trotzdem sollte, falls es nach einer Übernahme zu einem „squeeze out“ kommt, der gleiche Preis wie beim Übernahmeange- bot gezahlt werden. Wichtig ist für mich auch: Arbeitnehmer haben zukünf- tig das Recht, über die Pläne des Bieters unverzüglich in- formiert zu werden. Abschließend möchte ich auf einen besonders in der Diskussion befindlichen Punkt eingehen. Ich möchte fest- stellen: Wir halten die grundsätzliche Neutralitätspflicht der Zielgesellschaft für absolut richtig! Im Entwurf sind als Abwehrmaßnahmen erlaubt: Konkurrenzangebot su- chen und/oder Hauptversammlung einberufen, um Kapi- tal zu erhöhen und damit Übernahme teurer zu machen. Die Vermutung, die im Übernahmegesetz enthaltene so genannte Neutralitätspflicht für Vorstand und Aufsichtsrat einer Zielgesellschaft während eines Übernahmeverfah- rens sei verfehlt, da sie die Zielgesellschaft lähme, eine „Waffengleichheit“ von Zielgesellschaft und Bieter not- wendig sei und auch das amerikanische Recht eine solche Regelung nicht vorsehe, halte ich für verfehlt. Lassen sie mich dieses kurz begründen. Erstens. Durch diese Regelung wird die Entscheidung über den Erfolg von Übernahmeangeboten nicht dem be- troffenen Vorstand oder Aufsichtrat, zugewiesen, sondern den Aktionären, das heißt denjenigen, an die sich das An- gebot richtet. Zweitens. Die Regelung ist im europäischen Bereich Standard; die amerikanischen Regelungen sind nicht ver- gleichbar, da dort ein vollkommen anderes Rechtssystem gilt. Drittens. Die Regelung entspricht der bereits geltenden Rechtslage und stellt daher keine neue zusätzliche „Fes- sel“ für potenzielle deutsche Zielgesellschaften dar – im Gegenteil: Durch die Regelungen über die erleichterte Einberufung der Hauptversammlung und die Verlänge- rung der Angebotsfrist in diesen Fällen wird die Durch- führung von Abwehrmaßnahmen erleichtert. Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P): Der vorliegende Antrag der PDS geht – vielleicht nicht ganz zu Unrecht – davon Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000 12061 (C) (D) (A) (B) aus, dass Fusionen in einer globalisierten Welt zu Proble- men führen können. Das mag so sein. Soweit sind wir uns einig. Und natürlich geht es nicht, dass sich das deutsche Kartellamt einschaltet, wenn zum Beispiel zwei nieder- sächsische Marmeladenhersteller einen Zusammen- schluss planen, eine Fusion zwischen Microsoft und SAP etwa aber ohne jegliche Regelung, quasi im rechtsfreien Raum, vonstatten ginge. – Soweit die Gemeinsamkeiten. Es wird Sie aber sicherlich nicht verwundern, wenn ich in den von Ihnen zur Lösung des Problems vorgeschla- genen Maßnahmen das eine oder andere gefunden habe, mit dem wir nicht unerhebliche Bauchschmerzen haben. Auch in Ihrer Analyse finde ich Behauptungen, die sich meines Erachtens bei Betrachtung mit wirtschaftlichem Sachverstand nicht halten lassen. Wie kommen Sie beispielsweise zu der Annahme, der „Shareholder Value“ verlange eine Konzentration auf das Kerngeschäft? Dies ist lediglich eine von vielen Strate- gien, den Unternehmenswert und damit auch den Aktien- wert für die Anteilseigner zu stärken. Man kann das auch durch umfangreiche Diversifizierung, siehe Oetker, errei- chen, da das Unternehmen dadurch weniger anfällig für Krisen auf dem Hauptmarkt ist. Die möglichen gesell- schaftlichen und sozialen Probleme, die sich aus Fusionen ergeben, auf die „Börsenspekulanten“ zu schieben, ist ein- fach zu billig, als dass diese Argumentation verfangen könnte. Sie dürfen nicht vergessen, dass viele Bürger un- seres Landes – vernünftigerweise – einen Teil ihres Er- sparten zur Alterssicherung in Fonds oder direkt in Aktien anlegen. Diese Menschen haben natürlich ein legitimes Interesse an einer Wertsteigerung ihrer Anlage. Wahr ist auch, dass Fusionen dazu führen, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben, die beim Unterbleiben ei- nes Zusammenschlusses gefährdet gewesen wären. Eine gute Position für Wachstum ist eine Position der eigenen Stärke. Nur dann sind international agierende Unterneh- men in der Lage, hohe Entwicklungskosten, die Sie ja auch ansprechen, zu tragen, nur dann können Investitio- nen in Kapazitätsausweitungen getätigt werden, die die Grundlage für ein Mehr an Beschäftigung und Arbeits- plätzen bieten. Einen weiteren Punkt will ich ansprechen: Ich sehe die Tendenz zu einem Oligopol in vielen Bereichen nicht so negativ wie Sie. In einem weiten Oligopol ist der Wettbe- werb am intensivsten. Es wird hart gerungen um Innova- tions- und Preisvorteile, die an die Verbraucher weiterge- geben werden müssen. Die Reaktionszeiten der Unternehmen müssen kurz sein. Kurz, die Volks- wirtschaft als Ganzes profitiert durchaus von diesen wei- ten Oligopolen, sofern ein vernünftiges Wettbewerbs- recht, wie etwa das deutsche, existiert. Die PDS will nun nicht die Probleme der Fusionen mit dem vorliegenden Antrag in den Griff bekommen. Sie macht es sich einfacher und will Hürden aufstellen, die Fusionen und Unternehmensübernahmen in Deutschland verhindern. Sie werden damit lediglich erreichen, dass die Arbeitsplätze bei deutschen Unternehmen, bei denen eine Fusion mit einem internationalen Partner strategisch Sinn macht, vernichtet werden, weil die Fusion nicht zustande kommt. Sie möchten gern den Beschäftigten, vertreten durch die Gewerkschaften, die – wie man an der Mitgliederent- wicklung sieht – mit den Beschäftigten vielfach nichts mehr zu tun haben, das Recht auf einen Fusionstarifver- trag einräumen. Diese Funktionäre sollen darauf achten, dass die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrechte und -gremien geregelt werden. Das wird sich kein internatio- naler Investor – wenn er nicht schon durch das deutsche Arbeitsrecht im Allgemeinen abgeschreckt wurde – an- tun. Weiter möchten Sie den Betriebsräten und Gewerk- schaften ein Vetorecht gegenüber Fusionen und Übernah- men einräumen. Warum Betriebsräte auf der einen Seite nicht über Löhne und Gehälter ihrer Betriebsangehörigen verhandeln können dürfen, hier aber nicht nur ein Mit- spracherecht, sondern gleich ein Vetorecht im Fusions- prozess haben sollen, ist nur schwer nachzuvollziehen. Niemand im Ausland wird sich ernsthaft mit dem Gedan- ken, mit einem deutschen Unternehmen zu fusionieren, befassen, wenn die formale Machbarkeit der Fusion von einem Betriebsrat abhängt, der im Zweifelsfall nicht zu- stimmen wird, da bei jeder Fusion in bestimmten Berei- chen mittel- und langfristig Arbeitsplätze wegen Doppel- tätigkeiten wegfallen. Sie wollen Fusionen in Zukunft weitgehend unterbin- den. Wir glauben, dass Fusionen, auch wenn sie schmerz- hafte Prozesse sind, auch zukünftig möglich sein müssen. Deutsche Unternehmen dürfen hierbei nicht benachteiligt werden. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der §§ 1360, 1360 a BGB (Tagesord- nungspunkt 19) Anni Brandt-Elsweier (SPD): In den Ehen in Deutschland, in denen nur ein Ehegatte erwerbstätig ist, ist dies – gemäß den Angaben des vorliegenden Gesetz- entwurfes – in 79 Prozent der Fälle der Mann. Das besagt im Umkehrschluss, dass es in der Mehrzahl Frauen sind, die nicht berufstätig sind und sich zu Hause um den Haus- halt und die Kinder kümmern. Die Entscheidung einer Frau für Haushalt und Kinder ist in Zeiten immer noch existierender Massenarbeitslosigkeit ein doppeltes Ri- siko. Zum einen bedeuten Kinder aufgrund der Unter- haltskosten und des Verlustes eines weiteren Erwerbein- kommens immer neue wirtschaftliche Belastungen, zum anderen wächst die Gefahr, nach der Familienphase nicht wieder auf dem Arbeitsmarkt in adäquater Weise Fuß zu fassen. Hinzu kommt, dass die unbezahlte Hausarbeit immer noch gesellschaftlich unterbewertet ist. Männer profitie- ren nach wie vor von ihrer überwiegenden Orientierung auf die bezahle Erwerbsarbeit und verteidigen ihre An- sprüche gegenüber Versuchen, eine stärkere Teilung von Erwerbs- und Familienarbeit auf beide Geschlechter zu erreichen. Die differenzierte gesellschaftliche Bewertung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 200012062 (C) (D) (A) (B) führt häufig auch dazu, dass innerhalb der Ehe die Auf- gaben der Frau und des Mannes unterschiedlich gewür- digt werden. Unter diesen Aspekten begrüße ich eigent- lich alle Initiativen, die zu einer Aufwertung der Stellung des haushaltsführenden Partners im Verhältnis zum be- rufstätigen Ehegatten führen könnten. Den vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates halte ich jedoch diesbezüglich nur bedingt für tauglich, da die Regelungen des Entwurfes lediglich klarstellender Natur und somit überflüssig sind. Die §§ 1360 und 1360 a BGB legen bereits ausdrücklich fest, dass die Ehegatten einander zum Unterhalt verpflichtet sind. Der angemes- sene Unterhalt der Familie umfasst alles, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kos- ten des Haushaltes zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten, einschließlich eines Taschen- geldes sowie den Lebensbedarf der gemeinsamen unter- haltsberechtigten Kinder, zu befriedigen – so die ständige Rechtsprechung. Durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Ergänzung wird die Verfügungsbefugnis des nicht erwerbstätigen Ehegatten nicht ausgedehnt, seine Rechtsstellung wird de facto nicht verbessert. Auch der Auskunftsanspruch bringt keine echte Verbesserung der Rechtslage, da es sich bei dieser Regelung nicht um einen generellen Auskunftsan- spruch handelt, sondern dieser durch die Verweisung auf § 1605 BGB nur im Zusammenhang mit einer Klage auf Unterhalt geltend gemacht werden kann. Hier wird den Hausfrauen vorgegaukelt, dass sie eine rechtliche Besserstellung erfahren, die es in der Realität so nicht gibt. Es stellt sich zudem die Frage nach der prak- tischen Relevanz einer solchen Klarstellung. Laut einer repräsentativen Umfrage des Forsa-Institutes im Auftrag der Zeitschrift „Frau im Spiegel“ wirtschaften nur noch 16 Prozent der deutschen Frauen mit Haushaltsgeld und lediglich 12 Prozent erhalten Taschengeld. In der Mehr- zahl der Partnerschaften sind die Haushaltsfinanzen ein „Gemeinschaftsthema“. 85 Prozent der Frauen treffen danach Entscheidungen über Anschaffungen gemeinsam mit ihrem Partner, 83 Prozent sind über den Verdienst des Mannes im Bilde und 61 Prozent müssen keine Rechen- schaft darüber ablegen, wofür sie Geld ausgeben. Ich persönlich kenne viele Ehen, in denen die nicht erwerbstätige Frau die „Finanzministerin“ ist. Auch die Tatsache, dass bisher anhängig gewordene einschlägige Rechtsstreitigkeiten lediglich von Gläubigern des haus- haltsführenden Partners ausgegangen sind, spricht für die Tatsache, dass die Ehegatten in der Regel schon heute die Frage der Sicherstellung des Familienunterhaltsanspruchs des haushaltsführenden Partners ohne Inanspruchnahme der Gerichte regeln. Trotzdem wäre natürlich eine Stärkung der Stellung des nicht erwerbstätigen Ehegatten durchaus wünschens- wert. Denn, so schön die Statistiken auch klingen mögen, es gibt immer noch zu viele – in der Regel weibliche – Ehegatten, die in die Vermögensverhältnisse ihres Part- ners keinen Einblick haben. Dies bedeutet, dass sie keinen gleichberechtigten Zugang zu den finanziellen Mitteln haben und somit bis zu einem gewissen Grad vom „Wohl- wollen“ des Partners abhängig sind. Dies zu verbessern ist ein durchaus sinnvoller Ansatz. Das Ziel müsste aber sein, die Rechtslage dahin gehend zu ändern, dass der nicht erwerbstätige Ehegatte auch schon während der Ehe über das Einkommen des er- werbstätigen Partners bzw. über einen Teil davon verfü- gen kann. Der während der Ehe erwirtschaftete Zugewinn sollte nicht erst nach Beendigung der Ehe, sondern bereits während der Ehe aufgeteilt werden bzw. beiden Eheleuten zustehen. Dies würde auf eine Änderung des Güterrechts hinauslaufen, die jedoch ausdrücklich in dem Gesetzent- wurf unter dem Punkt „Alternativen“ ausgeschlossen ist, weil sie mit gravierenden Nachteilen verbunden wird – die Frage ist, für wen? Unter Berücksichtigung dieser Aspekte wird das An- liegen des Gesetzentwurfes im weiteren Verfahren noch sorgfältig zu prüfen sein. Margot von Renesse (SPD): Normalerweise steht es uns im Bundestag wohl an, dem zweiten Verfassungsor- gan der Legislative dadurch unsere Reverenz zu erweisen, dass wir Gesetzesinitiativen aus dem Bundesrat mit großer Achtung und Aufmerksamkeit begegnen. Denn der Bundesrat als Vertretung der mit dem Vollzug von Geset- zen beauftragten Länder weiß in aller Regel recht genau, wo das geltende Recht Mängel aufweist und Schmerzen verursacht. So muss man sich über eine Gesetzesinitiative wie die heute zu beratende doch ein wenig wundern, die erklärtermaßen keine Änderung des geltenden Rechts be- wirken will. Es muss also etwas geschehen – es darf nur nichts passieren. Soll es das wirklich gewesen sein? Man will etwas für Frauen tun, aber man will in Wirk- lichkeit so tun, als ob man etwas täte. „Verdeutlichen“ will man, „Klarstellen“, was schon lange geltendes Recht ist: die Teilhabe des nicht erwerbstätigen Ehegatten, meist der Frau – zunehmend aber auch eines haushaltsführen- den Mannes oder des Partners mit geringfügigem Einkom- men – an dem zum Unterhalt der Familie angemessenen Teil des Verdienstes des erwerbstätigen Partners. Es gibt keine feste Quote – kann es auch nicht geben, weil dieser Anteil von Familie zu Familie, von Einkommens- zu Ein- kommenssituation verschieden ist. Weder für die Haus- frauen und -männer noch für die Gerichte wird der An- spruch auf Familienunterhalt nach § 1360 BGB dadurch einfacher zu handhaben. Das wäre auch ein geradezu ver- fassungswidriger Akt des gesetzgeberischen Hineinregie- rens des Gesetzgebers in die durch Art. 6 GG geschützte Privatheit der intakten Ehe, wenn das Familienrecht sich anmaßen wollte, sich über die Selbstorganisation von Eheleuten hinwegzusetzen. Es bleibt mit Recht ihnen überlassen, welche Einkommensanteile für Konsum – Mie- te, Auto, Urlaub usw. – und welche für Vermögensbildung oder Schuldentilgung verwendet werden sollen. Nichts ist neu und nichts ist klarer in diesem Gesetzentwurf – außer schönen Worten im Entwurfstext gibt es in der Begrün- dung seitenweise nur Bezugnahmen auf das geltende Recht und die dazu vorhandene spärliche Rechtsspre- chung. Und spärlich ist die Rechtssprechung dazu in der Tat, weil aus der intakten Ehe gegen den Partner nun einmal nicht geklagt wird. Soll der vorgeschlagene Text also viel- leicht haushaltsführende Ehegatten zu Klagen gegen die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000 12063 (C) (D) (A) (B) Paschas und die Geizkragen ermutigen? Mitnichten! In der Begründung heißt es, dass mit einer Vermehrung der Klagen aus diesem Bereich nicht zu rechnen sein dürfte – wie beruhigend für die Länderjustizetats! Hier kann man deutlich sehen, dass das pure Nichts geradezu ange- strebt wird. Es handelt sich bei dem Gesetzentwurf um eine Art Gedichtvortrag zum Muttertag. Kindern nimmt man so etwas ab – aber dem Bundesrat? Normalerweise erwartet man vom Bundesrat zumin- dest solide rechtstatsächliche Angaben in einer Gesetzes- begründung. Hier aber ist der Bundesrat wolkig und un- präzise: „In vielen Fällen“ komme es zu Problemen; „mitunter“ verweigere der alleinverdienende Ehegatte dem anderen, was ihm zustehe; „nicht selten“ bleibe die Vorstellung des geltenden Rechts von gleichrangiger Be- teiligung beider Ehegatten an den geschaffenen Werten unerfüllt. Wenn diese wahrhaft beeindruckende Problem- schilderung zutrifft – glaubt denn der Bundesrat ernsthaft, mit noch hübscheren Worten in den §§ 1360, 1360 a BGB „Mein Haus, mein Auto, meine Frau“-Fetischisten zur Verhaltensänderung zu bewegen? Soll durch den Gesetz- entwurf, der sich selbst zu seiner prozessualen Bedeu- tungslosigkeit bekennt, ein Ruck durch die Machos ge- hen? Nun wird ihnen durch die mahnenden Worte des Gesetzgebers klar, was sie ihren Partnerinnen schulden – und reuig überreichen sie ihre lückenlosen Kontoaus- züge! Ich bekenne, dass ich über die Stellungnahme der Bun- desregierung nicht wenig geschmunzelt habe. Da war offensichtlich ein Witzbold am Werk, der mit der ernst- haftesten Miene den Bundesrat durch heftiges „Beim- Wort-Nehmen“ ganz schön auf die Rolle genommen hat. Mein Kompliment an den Verfasser oder die Verfasserin. So spielt man eine Seifenblase mit leichter Hand zurück, dass sie beim Anderen zerplatzt. Was den Bundesrat angeht, so kann das Motiv bei dem Land, von dem die Initiative ausging, nur Folgendes ge- wesen sein: Man wollte vermutlich eine Organisation von lästig werdenden Beschwerdeführerinnen befriedigen, ohne wirklich etwas für sie zu tun. Dass andere Länder mehrheitlich zustimmten, kann ich mir nur so erklären, dass sich keiner so recht traute, einer so wunderbar frauen- freundlich formulierten Initiative entgegenzutreten. Ein Schuft, der Böses dabei denkt! Selbstverständlich kann sich der Bundesrat darauf ver- lassen, dass wir diesen Entwurf zur Neuregelung des Fa- milienunterhalts mit Sorgfalt beraten werden. Ronald Pofalla (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf des Bundesrates hat zum Ziel, dem nicht erwerbstätigen Ehe- gatten die Möglichkeit einzuräumen, sich über die Ein- kommens- und Vermögenssituation des anderen Ehegat- ten Kenntnis zu verschaffen. In diesem Zusammenhang stellt sich eine grundsätz- liche Frage: Was macht die Ehe aus? Ein Thema, zu dem sich jeder von uns wahrscheinlich in epischer Breite aus- lassen könnte und zu dem es hier im Hause wahrschein- lich sehr viele verschiedene Meinungen gibt. Daher besser eingangs folgende Frage: Was unter- scheidet die Ehe im Wesentlichen von der geschiedenen Ehe? Um genauer zu werden: Woran kranken Ehen, die geschieden werden? Die Antwort lautet: Am zerbrochenen Vertrauensverhältnis. Denn genau dieses Vertrauensver- hältnis – und ich denke hierin stimmen wir alle überein – ist der Kern des ehelichen Zusammenlebens, ja eben seine ganz spezifische Besonderheit, eine Besonderheit, welche die Ehe von allen anderen juristischen Konstruktionen des menschlichen Miteinanders unterscheidet. Dem haben die geltenden Gesetze bisher Rechnung getragen. Das spezi- fische Vertrauensverhältnis wird unter anderem eben auch dadurch erreicht, dass bestimmte Dinge nicht einhundert- prozentig justiziabel sind, bestimmte Rechte und Pflich- ten der Ehepartner können eben nicht vor Gericht einge- klagt werden und das ist, wenn man sich das Institut Ehe genau betrachtet, auch gut so. Fehlt aber nun dieses spezifische, nicht einklagbare Vertrauensverhältnis, kann wohl höchstens noch de jure von einer Ehe gesprochen werden. Eine solche Ehe wird wohl nicht lange Bestand haben und für ihr Ende gibt es bereits Regelungen in ausreichendem Maße. Hier ist auch eine umfassende Anspruchsdurchsetzbarkeit notwendig, eben mangels Vertrauens. Warum aber bedarf es noch der Kontrolle durch Gesetz und Gerichte – wie in dem hier in Rede stehenden Gesetz- entwurf vorgesehen – im Falle der intakten Ehe? Das ist ein Widerspruch in sich. Wenn die Ehe intakt ist, bedarf es nicht der gerichtlichen Hilfe. Sollte jedoch gerichtliche Hilfe notwendig sein, dann steht die Ehe eigentlich vor ihrem Ende. Stellen wir also auf die De-facto- und eben nicht die De-jure-Ehe ab, dann gibt es keinen Regelungsbedarf. Denn hier stimmt das Vertrauen: Man lebt zusammen, für- einander – freiwillig wohlgemerkt. Frei nach dem Motto: „Vertrauen ist gut, Kontrolle besser“ funktioniert ehe- liches Zusammenleben wohl kaum. Der hier vorliegende, auf eine gerichtlich durchsetzbare Kontrolle in Form ei- nes einklagbaren Auskunftsanspruchs abzielende Gesetz- entwurf ist daher der Versuch, nicht Regelbares in einer Ehe regeln zu wollen. Hier soll geregelt werden, was nicht geregelt werden muss und darf. Die Argumentation seitens der Verfechter des Entwur- fes, es herrsche insoweit eine unbefriedigende Situation, als dass es bei der so genannten Hausfrauenehe immer wieder zu Problemen hinsichtlich des angemessenen Un- terhalts komme, führt in die Irre. Denn der Anspruch auf angemessenen Unterhalt besteht sowieso schon. Der an- gestrebten Änderung des § 1360 BGB kann insoweit auch keine „Signalwirkung“ mehr zukommen, wie im Gesetz- entwurf behauptet. Der bestehende Wortlaut des § 1360 BGB ist insoweit eindeutig. Gerade der in dem Gesetzentwurf so geschmähte ideelle Anspruch auf Teilhabe an den wirtschaftlichen Er- rungenschaften in der ehelichen Gemeinschaft durch den nicht erwerbstätigen Partner ist doch, wie, schon darge- stellt, ein Teil des Wesens der Ehe. Einer „Klarstellung“ oder „Bekräftigung“ des Anspruchs bedarf es also keines- falls. Der im Entwurf vorgesehene anzufügende Satz Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 200012064 (C) (D) (A) (B) „Beide Ehegatten haben ein Recht auf angemessene Teil- habe an den Einkünften, die dem Familienunterhalt zu dienen bestimmt sind, auch wenn nur einer der Ehegatten über solche verfügt.“ ist insofern überflüssig. Doch auch ein Auskunftsanspruchs analog § 1605 BGB, wie im geänderten § 1360 a BGB vorgesehen, ist unnütz. Gerade eben weil in der Ehe noch das Vertrau- ensverhältnis besteht, ist ein Vergleich mit den echten Auskunftsansprüchen des Trennungs-, Scheidungs- und Kindesunterhaltsrechts nicht möglich. Der bestehende Informationsanspruch, der von der Rechtsprechung aus § 1353 Abs. 1 BGB entwickelt wurde, reicht hier tatsächlich völlig aus. Wie soll denn in der Praxis der „echte Auskunftsanspruch“ des geplanten § 1360 a i. V. m. § 1605 BGB durchgesetzt werden? In- dem die Ehepartner zunächst durch das Gericht ihre finanziellen Streitigkeiten lösen lassen und nach dem Ter- min zusammen für den Haushalt einkaufen gehen? Wer glaubt, dass so etwas funktioniert und dass das Vertrau- ensverhältnis in der Ehe dann noch besteht, ist weltfremd. Es lässt sich daher zusammenfassend feststellen: Der Gesetzentwurf ist der Versuch, nicht Regelbares zu re- geln. Das Regelungsziel des Gesetzentwurfes ist bedenk- lich. Rechte durchsetzbar machen zu wollen, wo Rechte weder gegeben noch genommen werden können, ist recht- lich unmöglich und vor allem ehefeindlich. Denn die Ehe beruht auf Freiwilligkeit und der Kunst, eben nicht immer „Recht“ zu haben. Die Gestaltungsautonomie der Ehegat- ten muss respektiert werden. Die Ehe ist, auch nach un- serer Verfassung, ein zu wichtiges Gut, als dass man aufgrund fragwürdiger Beweggründe beliebig an ihr herumregeln darf. Abschließend noch ein Punkt: In der Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf ist zu lesen, dass die Ehegatten ohnehin schon heute die Frage der Sicherstellung des Familienunterhaltsanspruchs des haus- haltsführenden Partners ohne die in Anspruchnahme der Gerichte regeln. Die insoweit bisher anhängig geworde- nen einschlägigen Rechtsstreitigkeiten gingen allein von Gläubigern des haushaltsführenden Partners aus. Die Gläubiger des haushaltsführenden Partners wären dem- nach, wie auch beim „Taschengeldparagraphen“, die ein- zigen Nutznießer der hier in Rede stehenden Regelung. Ich denke, diese Ausführungen sprechen für sich. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Die Frage von Max Frisch: „Möchten Sie Ihre Frau sein?“ sollte heute noch manchem Ehemann zu den- ken geben. Denn in vielen Ehen ist auch im 21. Jahrhun- dert von Gleichberechtigung keine Spur. Noch immer schultern Frauen den Löwenanteil der unbezahlten Haus- arbeit. Sie sind es, die fast ausschließlich fürs gemein- same Wohl, für Kinderziehung und Pflege von Angehöri- gen zuständig sind. Bis 1977 sicherte das Bürgerliche Gesetzbuch die männlichen Eheprivilegien sogar noch rechtlich ab. Die Frau war für den Haushalt verantwortlich und durfte nur erwerbstätig sein, „soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist“. Ob dies der Fall war, entschied letztendlich der Ehemann. Obwohl Ehefrauen heute das Recht haben, berufstätig zu sein, entscheidet sich fast jede dritte ausschließlich für Hausarbeit und Kindererziehung. Damit ist die Dominanz klar festgeschrieben, ganz nach dem Motto „Wer das Geld hat, hat das Sagen“. Fakt ist: Jede zweite Hausfrau ist mit ihrer finanziellen Beteili- gung nicht zufrieden. Hier setzt der vorliegende Gesetzentwurf an. Er will Hausfrauen in Finanzfragen rechtlich besser stellen. Ih- nen soll ein Teilhaberecht über die Einkünfte des Ehegat- ten sowie ein Anspruch auf Auskunft über den Verdienst des Partners zugestanden werden. Wie bei vielen Vor- schriften des BGB steht der Appellcharakter dabei klar im Vordergrund. Der nicht erwerbstätigen Ehegattin soll signa- lisiert werden, dass sie nicht Bittstellerin für ein bloßes Taschengeld ist, das der Mann ihr „großzügigerweise“ überlässt, sondern dass ihr ein angemessener Teil der Ein- künfte zusteht. Was unter „angemessen“ zu verstehen ist, kann ganz unterschiedlich ausgelegt werden. Das ist ein Problem. Problematisch ist weiterer Sachverhalt: Wird der Ehe- frau ein symbolisches Teilhaberecht eingeräumt – faktisch kann sie dieses Recht ja nur vor Gericht durchsetzen – so wird es künftig Gläubigern der Ehefrau erleichtert, den Unterhaltsanspruch zu pfänden. Wir bewegen uns also hier automatisch im Pfändungsrecht. Wir müssen im Laufe des parlamentarischen Verfahrens noch eingehend prüfen, ob eine wirkliche Verbesserung für Frauen er- reicht wird. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, warum ein Mann nicht für das haften soll, was seiner Frau eigentlich zusteht. Das zweite Element des Entwurfes schätze ich nun klar als Vorteil für die Frauen ein. Derzeit existiert für Ehe- frauen nur ein allgemeiner Informationsanspruch über das Einkommen und das Vermögen des Ehemannes. Er kann darauf verweisen, dass sein Geld seine Sache ist. Mit der Einführung eines echten Auskunftsanspruchs soll dieses Informationsdefizit der nicht verdienenden Ehefrau auf- gehoben werden. Warum soll sie weniger Rechte haben als eine getrennt lebende oder geschiedene Ehegattin. Ich frage mich jetzt aber: Was passiert, wenn der Mann ihr nichts sagen will oder bewusst falsche Aussagen macht? Ein Recht auf Einsicht in die Bankbelege hat sie jedenfalls mit diesem Entwurf nicht. Auch hier bleibt nur der Weg zum Gericht. Auch wenn vielleicht nicht viele Frauen die- sen Schritt wagen, so ist doch wichtig, dass faktisch die Möglichkeit besteht. Ich bin sicher, dass sehr viel mehr Ehefrauen entsprechende Informationen einfordern wer- den, wenn sie wissen, dass sie das Recht dazu haben. Zusammenfassend kann ich sagen: Das Ziel des Ge- setzes, eine rechtliche Stärkung der nicht erwerbstätigen Ehefrauen, wird von meiner Fraktion unterstützt. Aller- dings gibt es noch weiteren Klärungsbedarf, damit die Re- gelungen nicht zu einem Bumerang für Frauen werden. Ich glaube auch nicht, dass der Alternativvorschlag in der Stellungnahme der Bundesregierung die Rechte der Ehe- frauen stärkt, indem das eheliche Güterrecht hinsichtlich einer Gütergemeinschaft überdacht und die Zugewinnge- meinschaft aufgelöst wird. Dies halte ich für einen Rück- schritt. Eine mittellose Ehefrau müsste dann auch für die gesamten Schulden ihres Mannes aufkommen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000 12065 (C) (D) (A) (B) Dass Handlungsbedarf besteht, ist klar. Lassen Sie uns in den Ausschussberatungen über den besten Weg disku- tieren, damit wir das Ziel erreichen können, die Ehefrauen rechtlich zu stärken. Rainer Funke (F.D.P.): Die F.D.P.-Fraktion begrüßt den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der §§ 1360, 1360 a des BGB. Damit wird klargestellt, dass der nicht erwerbstätige Ehegatte ein Recht hat, in an- gemessenem Umfang über Geldmittel zum Familienun- terhalt und zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zu verfügen. Um diesen Anspruch auch durchsetzen zu kön- nen, soll ihm ein entsprechender Auskunftsanspruch ein- geräumt werden. Hintergrund dieser Initiative, die vom Justizminister des Landes Baden-Württemberg, Herrn Professor Dr. Goll, ausgegangen ist, ist das Leitbild einer partnerschaftlich geführten Ehe. Als ich vor einigen Monaten von dieser Initiative er- fuhr, war ich zunächst der Meinung, dass dieser Geldan- spruch, vor allem der Auskunftsanspruch, eine Selbstver- ständlichkeit in einer vernünftig geführten Ehe sei. Ich habe aber leider feststellen müssen, dass die Lebenswirk- lichkeit anders ist und dass in vielen Ehen nach wie vor, insbesondere in finanziellen Angelegenheiten, die selbst- verständliche Offenheit nicht praktiziert wird. Gerade in Gesprächen mit Familienrichtern habe ich feststellen müssen, wie schwer manchmal Auskunftsansprüche durch- zusetzen sind. Die Auskunftsansprüche dienen ja nicht der Befriedigung der persönlichen Neugier, sondern in der Regel der Geltendmachung entsprechender Unterhaltsan- sprüche. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, die Rechts- position des nicht verdienenden Ehegatten zu stärken. Da- mit setzen wir als Gesetzgeber ein Signal für eine partnerschaftlich zu führende Ehe. Und es wird auch deut- lich gemacht, dass man seinen nicht verdienenden Ehe- gatten nicht mit einem häufig entwürdigenden Taschen- geld abspeisen darf. Ich bin sicher, dass die vorgesehene Regelung nicht dazu führen wird, dass mehr Klagen vor dem Familienge- richt auf Auskunftserteilung anhängig gemacht werden, sondern die Verdeutlichung des Gesetzes schon ausrei- chen wird, den verdienenden Ehegatten zur Offenlegung seiner Einkommen zu bringen. Für meine Fraktion sage ich zügige Bearbeitung im Rechtsausschuss zu, sodass dieses wichtige Gesetz auch bald im Bundesgesetzblatt stehen wird. Christina Schenk (PDS): Der Gesetzentwurf des Bundesrates zeichnet ein klares Bild von der Eherealität. Da wissen Frauen nicht, wie viel ihre Männer eigentlich verdienen, müssen nicht nur um ein Taschengeld, sondern auch ums Wirtschaftsgeld für die ganze Familie betteln. Betroffen sind davon nicht zuletzt auch die Kinder. Ich begrüße diesen klaren Blick auf die Ehe, vor allem auch deswegen, weil uns gegenwärtig im Zusammenhang mit der Debatte um die eingetragene Lebenspartnerschaft für Lesben und Schwule einige Briefe aus konservativen Kreisen erreichen, die noch immer völlig kritiklos das Ho- helied von der Ehe und ihrer angeblich herausragend positiven Bedeutung für Frauen, Männer und Kinder sin- gen. Der Antrag des Bundesrates bestätigt die jahrzehnte- lange Kritik von Feministinnen an der Ehe als einer Insti- tution, die unter den gesetzlichen Bedingungen der Bundesrepublik viele Frauen in ökonomische und damit auch persönliche Abhängigkeit von ihrem Ehemann bringt. Nach wie vor dominiert insbesondere das Bild des Fa- milienernährers und der dazuverdienenden Ehefrau und Mutter. Gerade in den westlichen Bundesländern wird Frauen mit Kindern die Erwerbstätigkeit und damit auch der Erwerb eines eigenen Einkommens enorm erschwert. Daran hat die verabschiedete Reform des Bundeserzie- hungsgeldgesetzes nichts geändert. Denn auch die weni- gen positiven Neuregelungen können nicht greifen, weil es an einer Ganztagsbetreuung für Kinder aller Altersstu- fen fehlt. Der Knackpunkt ist die fehlende ökonomische Selbst- ständigkeit von Frauen. In fast 40 Prozent der Familien mit Kindern ist in den alten Bundesländern nur der Ehe- mann erwerbstätig. Im Osten ist dies besser, die Zahl der Ehen, in denen nur einer erwerbstätig ist, wesentlich ge- ringer. Und häufiger als im Westen ist dies dann die Ehe- frau. Das ist insofern nicht verwunderlich, als in der DDR die Erwerbstätigkeit von Frauen selbstverständlich war. Frauen hatten hier einen Anteil am Haushaltseinkommen von 40 Prozent. Im vergleichbaren Zeitraum betrug er in der BRD gerade einmal 18 Prozent. Und auch jetzt stehen die Ostfrauen besser da. Sie sind häufiger erwerbstätig, arbeiten auch in Teilzeit länger und die Einkommens- schere zwischen Männern und Frauen ist geringer. Wer an der Bittstellerposition von Frauen in der Ehe et- was ändern will, muss die Voraussetzungen für ihre Er- werbstätigkeit verbessern. Dazu gehört in erster Linie die Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft für Frauen und für Männer. Wer dies will, muss ein ausreichendes öffent- lich gefördertes Betreuungsangebot für Kinder schaffen. Überfällig ist auch die Aufhebung der Unterhaltsab- hängigkeit zwischen Erwachsenen nach einer Scheidung. Wir wollen, dass während der Ehe Beiträge zum Erwerb eigenständiger Ansprüche auf Arbeitslosengeld und an- dere Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz ge- zahlt werden. Das sichert Frauen ein eigenes Einkommen und verbessert ihre Wiedereinstiegschancen in den Ar- beitsmarkt. Man sollte allerdings nicht nur über ein Gesetz nach- denken, das die Rechte der Ehegatten auf Auskunft und Verfügung über das Familieneinkommen klarstellt, son- dern auch über ein vereinfachtes Scheidungsrecht, um Frauen den Ausstieg aus Abhängigkeitsverhältnissen und entwürdigenden Beziehungen zu erleichtern. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 754. Sitzung am 29. Sep- tember 2000 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 200012066 (C) (D) (A) (B) – Gesetz zur Änderung des Gerätesicherheitsgeset- zes und des Chemikaliengesetzes – Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (Alten- pflegegesetz – AltPflG) sowie zur Änderung des Krankenpflegegesetzes – Drittes Gesetz zur Änderung des Bundeserzie- hungsgeldgesetzes – Gesetz zu dem Abkommen vom 21. Mai 1999 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Amtshilfe bei der Beitreibung von Steueran- sprüchen und der Bekanntgabe von Schriftstücken – Fünftes Gesetz zur Änderung des Aufenthaltsge- setzes/EWG – Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts – Zweites Gesetz zur Änderung des Rindfleischeti- kettierungsgesetzes – Gesetz zur Änderung des Rechts an Grundstücken in den neuen Ländern (Grundstücksrechtsände- rungsgesetz – GrundRÄndG) – Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter (SchwbBAG) – Gesetz zur Änderung produkthaftungsrechtlicher Vorschriften Zu den beiden letztgenannten Gesetzen hat der Bun- desrat die als Anlage beigefügte Entschließung gefasst. Die Fraktion der F.D.P. hat mit Schreiben vom 29. Sep- tember 2000 den Entschließungsantrag „zur Vereinbar- ten Debatte zur Zukunft der Bundeswehr“ – Drucksa- che 14/3511 – zurückgezogen. Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge- teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge- schäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nach- stehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Euro- parats für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1999 – Drucksachen 14/2960, 14/3208 Nr. 2 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamen- tarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 26. bis 30. April 1999 in Straßburg – Drucksachen 14/2563, 14/3208 Nr. 1 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/2817 Nr. 1.2 Drucksache 14/2817 Nr. 1.6 Drucksache 14/2817 Nr. 2.9 Drucksache 14/2817 Nr. 2.13 Drucksache 14/2817 Nr. 2.14 Drucksache 14/2817 Nr. 2.17 Drucksache 14/2817 Nr. 2.19 Drucksache 14/2817 Nr. 2.20 Drucksache 14/2817 Nr. 2.21 Drucksache 14/2817 Nr. 2.22 Drucksache 14/2817 Nr. 2.27 Drucksache 14/2817 Nr. 2.30 Drucksache 14/2817 Nr. 2.32 Drucksache 14/2817 Nr. 2.33 Drucksache 14/2952 Nr. 2.5 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 14/2211 Nr. 1.4 Drucksache 14/3146 Nr. 2.33 Drucksache 14/3341 Nr. 1.2 Drucksache 14/3341 Nr. 2.47 Drucksache 14/3341 Nr. 2.49 Drucksache 14/3428 Nr. 2.8 Drucksache 14/3576 Nr. 1.9 Drucksache 14/3576 Nr. 2.3 Drucksache 14/3576 Nr. 2.5 Drucksache 14/3576 Nr. 2.19 Drucksache 14/3576 Nr. 2.21 Drucksache 14/3576 Nr. 2.27 Drucksache 14/3576 Nr. 2.28 Drucksache 14/3576 Nr. 2.33 Drucksache 14/3859 Nr. 1.4 Drucksache 14/3859 Nr. 2.33 Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Drucksache 14/3859 Nr. 2.6 Drucksache 14/3859 Nr. 2.7 Drucksache 14/3859 Nr. 2.10 Drucksache 14/3859 Nr. 2.11 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit Drucksache 14/3576 Nr. 2.23 Drucksache 14/3576 Nr. 2.26 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Drucksache 14/3576 Nr. 2.32 Drucksache 14/3723 Nr. 2.11 Drucksache 14/3723 Nr. 2.13 Drucksache 14/3723 Nr. 2.14 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung Drucksache 14/3428 Nr. 1.3 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/3146 Nr. 2.4 Drucksache 14/3341 Nr. 2.31 Drucksache 14/3341 Nr. 2.39 Drucksache 14/3341 Nr. 2.43 Drucksache 14/3428 Nr. 2.16 Drucksache 14/3428 Nr. 2.19 Drucksache 14/3428 Nr. 2.23 Drucksache 14/3428 Nr. 2.25 Drucksache 14/3576 Nr. 1.2 Drucksache 14/3576 Nr. 2.13 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000 12067 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412500000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Der Kollege Vizepräsident Seiters hat heute Geburts-
tag; daher möchte ich ihm herzlich gratulieren!


(Beifall)

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir

einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Frak-
tion der CDU/CSU hat fristgerecht beantragt, die heutige
Tagesordnung zu erweitern um die Beratung des Antrags
auf Drucksache 14/4244 mit dem Titel „Verfassungs-
klage der Bundesregierung gegen das Land Nord-
rhein-Westfalen wegen der Verletzung seiner verfas-
sungsmäßigen Pflichten gegenüber dem Bund im
Verfahren zur Aufhebung der Immunität des Abge-
ordneten Ronald Pofalla“. Die Vorlage soll mit einer
Debattenzeit von 30 Minuten beraten werden.

Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort ge-
wünscht? – Das ist der Fall. Ich erteile dem Abgeordneten
Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1412500100
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich darf besonders die Frau
Bundesjustizministerin begrüßen.

Seit Festigung des Immunitätsrechts in den letzten
Jahrzehnten ist erstmals ein Abgeordneter des Deutschen
Bundestages mit einer falschen Tatsachendarstellung um
seine Immunität gebracht worden. Das alles geschah drei
Tage vor einer wichtigen Landtagswahl, bei der der Kol-
lege Ronald Pofalla als Kandidat für das Amt des Lan-
desjustizministers an prominenter Stelle engagiert war.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie geht das denn?)


Die Einzigartigkeit dieses Vorgangs ist der Grund für die
Besonderheit unseres Antrages.

Weil das Landgericht Kleve rechtskräftig festgestellt
hat, dass die gegen ihn geführten Ermittlungen von An-
fang an rechtswidrig waren, sind die Ermittlungen seit
zwei Monaten eingestellt. Der zuständige Generalstaats-
anwalt ist in den einstweiligen Ruhestand versetzt und der

zuständige Landesjustizminister hat sich beim Kollegen
Ronald Pofalla persönlich entschuldigt


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das reicht aber nicht!)


– auch ich finde das in Ordnung –, mit der ausdrücklichen
Aufforderung, eine verfassungsgerichtliche Klärung die-
ses Vorgangs herbeizuführen. Dieser Aufforderung Ihres
Parteifreundes wollen wir heute nachkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Einzigartigkeit des Vorgangs begründet die Sorg-
falt, mit der wir den Antrag vorbereiten mussten, und sie
hat auch Konsequenzen für das Verfahren. Logische
Voraussetzung und Grundlage unseres heutigen Antrags
ist die Beteuerung des Bundesjustizministeriums sowie
der Ausschussvorsitzenden des Immunitätsausschusses,
dass der nordrhein-westfälische Antrag auf Aufhebung
der Immunität im Bund mit aller gebotenen Sorgfalt bear-
beitet worden ist.

Wenn es aber nach Ansicht des Hauses daran keinen
Zweifel gibt, dann müssen die Ermittlungen der nord-
rhein-westfälischen Justizbehörden und die Antragstel-
lung durch das Land Nordrhein-Westfalen in den Mittel-
punkt unseres Interesses rücken. Zu den Ermittlungen der
nordrhein-westfälischen Justizbehörden hat das Landge-
richt Kleve in seinem Beschluss am 11. August 2000
festgestellt, dass die dem Antrag zur Aufhebung der Im-
munität zugrunde liegenden Durchsuchungs- und Be-
schlagnahmebeschlüsse ausnahmslos rechtswidrig gewe-
sen sind.

Zu der vom nordrhein-westfälischen Justizminister er-
betenen verfassungsgerichtlichen Klärung ist daher der
Bund-Länder-Streit die richtige Klageart. Unser gelten-
des Immunitätsrecht beruht gerade auf der Verpflichtung
zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und zur Einhaltung
der verfassungsmäßigen Kompetenzen. Gegen diesen
Grundsatz hat das Land Nordrhein-Westfalen grob und in
eklatanter Weise verstoßen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


11993


(C)



(D)



(A)



(B)


125. Sitzung

Berlin, Freitag, den 13. Oktober 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Wir müssen mit unserem Antrag die Bundesregierung
auffordern, weil nach dem Wortlaut des Gesetzes allein
die Bundesregierung Antragsteller sein kann.

Warum müssen wir den Antrag heute aufsetzen? Die
Sechsmonatsfrist läuft in Kürze ab. Um auf der sicheren
Seite zu sein, müssen wir annehmen, dass mit dem Ein-
gang der Bitte auf Aufhebung der Immunität am 28. April
die Bundesregierung Kenntnis erlangt hat und die Sechs-
monatsfrist zu laufen begann. Sie würde damit am
28. Oktober enden. Um dem Bundestag die Prüfung die-
ses Antrages in einem geregelten parlamentarischen Ver-
fahren im Rahmen der Antragsfrist möglich zu machen
und uns nicht in die Situation zu versetzen, gegebenen-
falls gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen,
müssen wir uns heute mit dem Antrag befassen, ihn zu-
mindest auf die Tagesordnung setzen. Selbst umfängliche
Gesetze werden nach unserer ständigen Übung und im
Rahmen der Geschäftsordnung nach drei Tagen aufge-
setzt. Deshalb kann ich nicht verstehen, dass die anderen
Fraktionen diese Kurzfristigkeit kritisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auf einige Um-

stände des Verfahrens hinweisen, die deutlich machen,
dass zur sorgfältigen Vorbereitung uns entsprechende In-
formationen erst zuteil werden mussten. Am 11. August
stellte das Landgericht Kleve die Rechtswidrigkeit aller
Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen und da-
mit der gesamten Ermittlungen fest. Am 14. August
erfolgte die Einstellung des Ermittlungsverfahrens und
damit die theoretische Möglichkeit für Ronald Pofalla, in
die Ermittlungsakten Einsicht zu nehmen. Auf dem
Dienstweg ist die Einstellungsverfügung bis heute nicht
an den Deutschen Bundestag gelangt. Erst am 12. Sep-
tember erhielten die Anwälte des Kollegen Pofalla
tatsächlich Akteneinsicht. Bis heute haben sie noch keine
Einsicht in die Akten der Steuerbehörden erhalten, ob-
wohl das vor mehr als drei Wochen versprochen worden
ist.

Bereits am 29. Mai beantragten wir, dass Justizminis-
ter Dieckmann vor den Immunitätsausschuss geladen
wird. Trotz mehrfacher Aufforderung seitens meiner
Fraktion und der F.D.P.-Fraktion ist Herr Dieckmann bis
heute nicht vor dem Immunitätsausschuss erschienen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Skandal! – Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört!)


Ich komme zum Schluss, Herr Präsident, und möchte
eine persönliche Bitte an Sie richten: Überlegen Sie ein-
mal, was es für Sie persönlich bedeutet, wenn Ihre Immu-
nität vor einer wichtigen Wahl rechtswidrig aufgehoben
wird und Sie durch die lokale und nationale Presse ge-
schleift werden. Wenn Sie schon, was diesen Vorgang an-
geht, unsere Empörung nicht teilen, sorgen Sie we-
nigstens mit uns gemeinsam dafür – das wäre meine
herzliche Bitte –, dass sich so etwas nicht wiederholen
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412500200
Ich erteile das Wort
der Kollegin Anni Brandt-Elsweier, SPD-Fraktion.


Anni Brandt-Elsweier (SPD):
Rede ID: ID1412500300
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Mit ihrem Antrag verlangt die
CDU/CSU-Fraktion in Sachen des Kollegen Pofalla eine
sofortige Entscheidung des Bundestages


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nein!)

mit dem Ziel, der Bundestag möge beschließen, die Bun-
desregierung aufzufordern, Klage gegen das Land Nord-
rhein-Westfalen wegen eines Verstoßes gegen seine
verfassungsmäßigen Pflichten zu erheben. Das ist sicher-
lich ein ungeheuerlicher Vorwurf.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: So ist es doch!)


– Das ist ein Vorwurf, selbstverständlich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich vorab betonen, dass ich die tiefe Be-
troffenheit des Kollegen Pofalla über die dem Antrag der
CDU/CSU-Fraktion zugrunde liegende Angelegenheit
verstehen kann. Ihm ist Unrecht geschehen, wie das Land-
gericht Kleve in seinem rechtskräftigen Beschluss vom
11. August 2000 ausdrücklich festgestellt hat. Der Justiz-
minister des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich ja auch
für das Vorgehen seiner Behörde entschuldigt.


(Zurufe von der CDU/CSU)

Es ist das Schicksal von Abgeordneten, dass sie zwei-

fach von Strafe bedroht sind, wenn gegen sie ein Ermitt-
lungsverfahren eingeleitet wird, weil die Aufhebung der
Immunität stets öffentlich gemacht werden muss und sich
die Medien sofort auf diese Sensation stürzen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Also sind die Medien schuld!)


Im Falle des Kollegen Pofalla ist es gut, dass das Landge-
richt Kleve sehr schnell die Rechtswidrigkeit der Maß-
nahmen festgestellt hat und dass das Ermittlungsverfah-
ren eingestellt worden ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schnell?)

Es ist klar, dass die hiermit verbundene Rufschädi-

gung damit nicht ungeschehen gemacht werden kann.

(Werner Siemann [CDU/CSU]: Sie haben ein Rechtsverständnis! – Gegenruf von der SPD: Hört doch einmal zu!)


Dennoch ist dies kein Grund für uns, die Tagesordnung
heute zu ändern und den vorliegenden Antrag aufzu-
nehmen und darüber heute zu entscheiden.

Selbst wenn die Frist für eine Bund-Länder-Klage
demnächst ablaufen sollte, haben wir in der nächsten
Sitzungswoche Gelegenheit und Zeit, den Antrag einge-
hend zu diskutieren und darüber zu befinden. Den Frak-
tionen muss ausreichend Gelegenheit gegeben werden,
die geforderte Verfassungsklage der Bundesregierung ge-
gen das Land Nordrhein-Westfalen, die meines Wissens
in der Geschichte des Bundestages einmalig ist,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der Vorgang ist einmalig!)


in allen rechtlichen Konsequenzen zu prüfen und dann
darüber zu entscheiden. Dies muss mit der gebotenen




Eckart von Klaeden
11994


(C)



(D)



(A)



(B)


Gründlichkeit geschehen, da der Antrag eine Vielzahl
rechtlicher Probleme aufwirft, mit denen die SPD-Frak-
tion äußerst kurzfristig, nämlich am 10. Oktober, kon-
frontiert worden ist.

Insbesondere die Frage der Zulässigkeit muss sorg-
fältig geprüft werden. Ohne in die inhaltliche Diskussion
einzusteigen – es handelt sich ja um eine Geschäftsord-
nungsdebatte –, möchte ich doch auf Folgendes hinwei-
sen: Allein die Sachverhaltsdarstellung im Antrag ist un-
vollständig. Es kann nicht übersehen werden, dass die
Ursachenkette zwischen den Maßnahmen der Staatsan-
waltschaft und der Entscheidung des Immunitätsaus-
schusses bzw. des Bundestages schon dadurch unterbro-
chen worden ist, dass das Amtsgericht Kleve durch seine
Beschlussfassung zu den Beschlagnahmemaßnahmen
eine eigene Entscheidung getroffen hat. Diese wiederum
war auch Grundlage für die Entscheidung des Immu-
nitätsausschusses und des Bundestages.

Niemand wird davon ausgehen – dies wird nicht ein-
mal im Antrag der CDU/CSU-Fraktion behauptet –, dass
der zuständige Richter ohne eigene Prüfung und unter
Missachtung von Gesetzen seine Beschlüsse gefasst hat.
Die Entscheidung des Amtsgerichts wird in dem vorlie-
genden Antrag nicht einmal erwähnt. Sowohl der Immu-
nitätsausschuss als auch der Bundestag haben die Aufhe-
bung der Immunität in diesem Fall nach Recht und dem
geltenden Gesetz und den selbst gegebenen Regeln auf
der Grundlage gerichtlicher Beschlüsse einstimmig – ich
betone: einstimmig – beschlossen.

Um die schwerwiegende Verletzung der Bundestreue
durch das Land Nordrhein-Westfalen feststellen zu kön-
nen, bedarf es einer eingehenden und seriösen Beratung;
denn auch bei näherer Befassung mit dem Antrag drängt
sich dieser Verstoß nicht auf.

Wir lehnen diesen Geschäftsordnungsantrag ab.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412500400
Ich erteile dem Kolle-
gen Jörg van Essen, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1412500500
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Auch
wir werden dem Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSU-
Fraktion nicht zustimmen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr gut!)

Ich habe gemerkt, dass bei diesem Thema die Emotio-

nen natürlich hochkochen. Ich glaube, das ist zu Recht der
Fall; denn jeder von uns kann sich vorstellen, in welche
Situation man kommt, wenn man für ein höheres Amt
vorgesehen ist und dann wenige Tage vorher eine solche
Maßnahme durchgeführt wird, von der sich hinterher
auch noch herausstellt, dass sie klar und eindeutig rechts-
widrig war. Deshalb stehen wir in der Verpflichtung – und
zwar in der Verpflichtung gegenüber diesem Haus, aber
auch gegenüber jedem und jeder einzelnen Abgeordne-
ten –, Konsequenzen daraus zu ziehen.

Wir als F.D.P. haben dies als eine persönliche Ver-
pflichtung empfunden. Zum Beispiel habe ich als Erster
die Vorladung des nordrhein-westfälischen Justizmi-
nisters vor den Immunitätsausschuss beantragt, damit er
vortragen kann, welche Konsequenzen er zieht. Für mich
gehört zu dieser Verpflichtung ferner, dass in Zukunft die
Akten des Verfahrens zur Generalstaatsanwaltschaft und
zum Justizministerium mitgeschickt werden müssen, da-
mit dort eine sachliche Prüfung stattfinden kann, was jetzt
nicht geschehen ist. Die F.D.P.-Landtagsfraktion in Nord-
rhein-Westfalen hat die Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses beantragt. Auch das scheint mir eine
vernünftige Reaktion zu sein.

Warum sagen wir aber heute Nein zu dem Antrag? Die
Begründung ist ganz einfach. Wir ziehen uns nicht darauf
zurück, dass wir noch Zeit brauchen. Wenn Fristen ablau-
fen, sollte es auch möglich sein – wir als kleine Fraktion
haben dies getan –, die Sachverhalte schnell zu prüfen.
Wir kommen aber zu dem Ergebnis, dass ein Antrag durch
die Bundesregierung, wie von der CDU/CSU vorgeschla-
gen, nicht erforderlich ist. Die CDU/CSU kann nämlich
aus eigenem Recht einen Antrag stellen. Aufgrund der
Konstellation – die Bundesregierung ist mit der gleichen
Farbe besetzt wie die Landesregierung – sollte man von
der Bundesregierung nicht verlangen zu klagen, sondern
man sollte aus eigenem Recht einen Antrag stellen. Ich
denke, das entspricht der politischen Hygiene.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein zweiter Aspekt hat für uns dabei eine Rolle ge-

spielt. Wenn man die Prüfung aus eigenem Recht vor-
nimmt, könnte es sein, dass der Prüfungsumfang einge-
schränkt ist, dass nicht so weit geprüft werden kann, wie
die Angelegenheit es verlangt. Aber auch das ist nicht der
Fall.

Da die Situation so ist, sollten wir der CDU/CSU-Frak-
tion raten, diesen Weg zu gehen. Wir sind dafür, dass es
zu einer verfassungsrechtlichen Prüfung kommt, aber
dann auf diesem Wege. Deshalb werden wir dem Antrag
der CDU/CSU-Fraktion nicht zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412500600
Ich erteile das Wort
der Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412500700
Herr
Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Namens der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen widerspreche ich dem
Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Aufsetzung des An-
trages auf die heutige Tagesordnung.

Sie haben dem Deutschen Bundestag äußerst kurzfris-
tig einen absolut ungewöhnlichen Antrag vorgelegt und
verlangen, dass innerhalb von drei Tagen über einen so
weitreichenden Antrag entschieden wird. Ich halte das bei
dem Ansinnen, das dieser Antrag enthält, für der Sache
nicht angemessen, zumal der Antrag nach einer ersten
Prüfung aus meiner Sicht unzulässig, juristisch äußerst




Anni Brandt-Elsweier

11995


(C)



(D)



(A)



(B)


zweifelhaft begründet und die Bundesregierung der
falsche Adressat für Ihr Ansinnen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie wollen, dass die Fraktionen dieses Hauses die Bun-
desregierung zu einer Klage vor dem Bundesverfas-
sungsgericht auffordern, ohne dass Sie diesen Fraktio-
nen, im Übrigen auch Ihrer eigenen, ausreichend
Gelegenheit geben, diesen Antrag zu prüfen. Ich teile
nicht die Argumentation, dass die Zeit für eine Prüfung
nicht ausreichen würde, da zum Ende dieses Monats eine
Verjährung des Vorganges eintreten würde. Ich denke,
dass genug Zeit wäre, diesen Antrag sorgfältig zu prüfen.

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das Angebot
aller Fraktionen dieses Hauses vorliegt, sich mit den Vor-
gängen in Nordrhein-Westfalen eingehend zu beschäfti-
gen. Wir haben Ihnen dieses Angebot im Immunitätsaus-
schuss unterbreitet. Sie haben im Immunitätsausschuss
dazu bisher keine eigenen Vorschläge eingereicht. Sie ha-
ben dort nicht dargelegt, wie man sich mit diesem Ver-
fahren noch einmal beschäftigen kann. Der Kollege
van Essen hat darauf hingewiesen, dass von ihm der Vor-
schlag ausgegangen ist, Justizminister Dieckmann in den
Ausschuss einzuladen. Ich denke, Sie sollten zunächst im
Ausschuss für Immunität Ihrer Sorgfaltspflicht hinsicht-
lich dieses Vorganges nachkommen, bevor Sie den Bun-
destag mit Ihrem Antrag befassen.

Das Landgericht Kleve hat vor zwei Monaten ent-
schieden, dass die Vorgänge in Nordrhein-Westfalen nicht
in Ordnung waren.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Sie hatten zwei Monate Zeit, den Bundestag mit einem
solchen Antrag zu konfrontieren. Sie hatten zwei Monate
Zeit, Vorschläge zu unterbreiten, wie die Angelegenheit
juristisch geprüft werden kann. Kollege Pofalla war vor
vier Wochen im Immunitätsausschuss anwesend und hat
uns dort seine Sicht der Dinge dargelegt, in einem sehr
emotionalen Vortrag, was ihm aber angesichts der
Schwere des Vorganges mit Sicherheit zustand.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich! Jetzt ist noch der Pofalla schuld! – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)


Aber dann nach vier Wochen mit einem solchen Antrag
vor den Bundestag zu treten, finde ich nicht in Ordnung.
Die Forderung an die Bundesregierung, eine Bundesver-
fassungsgerichtsklage einzureichen, ist die falsche
Forderung.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wo bleibt der Anspruch der Grünen auf Recht und Moral? Völlig verkommen!)


– Es geht nicht um Recht und Moral bei Ihrem Antrag.

(Lachen bei der CDU/CSU)


Wir haben gesagt, dass wir diesen Vorgang sehr wohl
prüfen wollen, nach Recht und Moral,


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: „Recht und Moral“ – weit weg!)


aber nicht auf die Art und Weise, die Sie dem Bundestag
vorschlagen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Dann hätten wir ihn heute an die Ausschüsse überweisen können! Warum lassen Sie nicht zu, dass er heute an die Ausschüsse überwiesen wird? Dann hätten wir Zeit gehabt!)


Sie haben die Bundesregierung aufgefordert, die aber
in dieser Angelegenheit des Immunitätsrechts keine
Rechte hat, den Deutschen Bundestag zu vertreten. Das ist
eine Angelegenheit, die der Deutsche Bundestag selber
klären muss und die nicht seitens der Bundesregierung
über eine Verfassungsgerichtsklage zu klären ist. Das ist
der falsche Weg der Befassung mit diesem Vorgang.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben Ihnen im Immunitätsausschuss zugesichert,
dass wir die Vorgänge in Nordrhein-Westfalen diskutieren
wollen, dass wir bereit sind, zu überprüfen, inwieweit das
Immunitätsverfahren an dieser Stelle verändert werden
muss, um einen solchen Vorgang in Zukunft zu verhin-
dern.

All diese Zusagen liegen Ihnen vor. Offensichtlich le-
gen Sie aber im Moment auf diese Art der Befassung kei-
nen Wert. Ich denke, dass inzwischen seitens des Kolle-
gen Pofalla und auch seitens der CDU/CSU-Fraktion sehr
wohl eine Verfassungsgerichtsklage hätte eingereicht
werden können. Dass Sie darauf abzielen, dass dies die
Bundesregierung tun soll, finde ich nicht richtig.

An dieser Stelle möchte ich dem Kollegen van Essen
widersprechen: Es geht mir nicht darum, dass die Bun-
desregierung die gleiche Konstellation hat wie die Lan-
desregierung in Nordrhein-Westfalen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Das ist nicht die Begründung dafür, dass die Bundesre-
gierung den von Ihnen vorgeschlagenen Weg nicht be-
schreiten soll.

Sie sollten sich vielmehr mit der Argumentation Ihres
Antrages auseinander setzen. Die Bundesregierung über-
nimmt doch nicht die Vertretung der juristischen Angele-
genheiten des Deutschen Bundestages. Sie haben in Ihrem
Antrag eine äußerst zweifelhafte Begründung vorgelegt.
Deshalb werden wir nicht zustimmen, dass sich heute der
Bundestag mit diesem Antrag befassen soll. Wir werden
über das, was vor dem Bundesverfassungsgericht geprüft
werden soll, in unserer eigenen Fraktion noch einmal dis-
kutieren und uns mit diesem Vorgang noch einmal befas-
sen, aber nicht auf die Art und Weise, wie Sie es heute dem
Bundestag vorgeschlagen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412500800
Ich erteile das Wort
der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1412500900
Herr Präsident!
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vorgehen der
Staatsanwaltschaft gegen den Kollegen Pofalla ist in der




Steffi Lemke
11996


(C)



(D)



(A)



(B)


Tat alles andere als rechtmäßig – Konsequenzen sind be-
reits gezogen worden – und das gegenüber dem Immu-
nitätsausschuss des Bundestages unverantwortlich. Damit
hat sich der Bundestag in der Tat noch zu befassen. Beide
Vorgänge sind für uns völlig inakzeptabel.

Dafür, dass Sie den Fall Pofalla zum Anlass nehmen,
Fragen, die die Aufhebung der Immunität betreffen,
grundsätzlich anzugehen, gibt es bei uns ein gewisses Ver-
ständnis.

Nach einer ersten juristischen Prüfung haben wir aller-
dings Zweifel, ob das angestrebte Bund-Länder-Streitver-
fahren das richtige juristische Mittel ist, gegen den
unrechtmäßigen Eingriff in die Immunität des Kollegen
Pofalla vorzugehen. Wir glauben, dass die Bundesregie-
rung hier die falsche Adresse ist. Genau das ist der Grund
dafür, warum auch die PDS dagegen stimmen wird, dass
Ihr Antrag hier heute behandelt wird und dass über ihn
abgestimmt wird.

Ich will das kurz begründen: Wenn die Bundesregie-
rung – genau das ist ja die eigentliche Intention Ihres An-
trages – gegen das größte Bundesland Nordrhein-West-
falen Verfassungsbeschwerde führt, dann ist das etwas,
was nicht jeden Tag vorkommt. Im Gegenteil – das ist
schon angesprochen worden –, das ist ein sehr unge-
wöhnlicher Fall. Wir haben es hier also mit einem richti-
gen politischen Schwergewicht zu tun. Das, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sehen Sie ja
wohl genauso. Deshalb haben Sie sich sehr gründlich vor-
bereitet: Sie haben ein paar Wochen lang recherchiert und
Sie haben Gutachten anfertigen lassen. All das war si-
cherlich auch angemessen.

Was ich allerdings nicht verstehen kann, ist, dass Sie
den anderen Fraktionen hier im Hause nicht die gleiche
Chance zur gründlichen Prüfung zubilligen. Das ist über-
haupt nicht einzusehen. Im Gegenteil, Sie versuchen mit
Ihrem Antrag, das Parlament im Eilverfahren zu ver-
pflichten, einen weitreichenden juristischen Schritt gegen
das Land NRW einzuleiten. Das halten wir für nicht
akzeptabel. Deshalb werden wir nicht zustimmen.

Ein möglicher Konflikt zwischen der Bundesregierung
und dem Land NRW eignet sich nach unserer Auffassung
nicht für einen parlamentarischen Schnellschuss. Ich sage
es Ihnen ganz offen: Wir werden das Gefühl nicht los, dass
es Ihnen mehr um einen Vorführeffekt im Hinblick auf die
SPD auf Bundes- und auf Landesebene in NRWgeht, dass
dies ein Stück weit ein Nachkarten in Bezug auf die Land-
tagswahlen in NRW ist und dass es Ihnen weniger darum
geht, für ein wirklich ernstes Problem eine solide, ge-
meinsame Grundlage zu finden. Darum aber geht es uns
und deshalb stimmen wir nicht zu, dass sich der Bundes-
tag heute mit Ihrem Antrag befasst.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412501000
Wir kommen zur Ab-
stimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der
CDU/CSU-Fraktion? –


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ihr habt ein Rechtsverständnis! Schäbig!)


Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Auf-
setzungsantrag ist mit den Stimmen der SPD-Fraktion,
des Bündnisses 90/Die Grünen, der PDS-Fraktion und
von Teilen der F.D.P.-Fraktion gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion bei einigen Stimmenthaltungen aus
der F.D.P.-Fraktion abgelehnt worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis f sowie die
Zusatzpunkte 11, 12, und 13 auf:

14. a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung
einer Entfernungspauschale und zur Zah-
lung eines einmaligen Heizkostenzuschusses
– Drucksache 14/4242 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung einer Vergütung der Mineralöl-
steuer für die Land- und Forstwirtschaft

(Agrardieselgesetz – AgrdG)

– Drucksachen 14/4218, 14/4294 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Protokoll vom 22. März
2000 zur Änderung des Übereinkommens
vom 9. Februar 1994 über die Erhebung von
Gebühren für die Benutzung bestimmter
Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen
– Drucksachen 14/3651, 14/4052 –

(Erste Beratung 114. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– Drucksache 14/4273 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)



(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/4274 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Dr. Rolf Niese
Matthias Berninger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel




Dr. Heidi Knake-Werner

11997


(C)



(D)



(A)



(B)


d) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Dr. Hermann Otto Solms,
Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der F.D.P.
Ökosteuer zurücknehmen
– Drucksachen 14/3519, 14/4276 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz
Heinz Seiffert
Gerhard Schüßler
Dr. Barbara Höll

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias
Weisheit, Annette Faße, Iris Follak, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Steffi Lemke, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Wettbewerbsposition für die deutsche
Landwirtschaft verbessern und nachhal-
tige Entwicklung der Landwirtschaft und
der ländlichen Räume sichern

– zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Heizöl als Kraftstoff für die deutsche
Land- und Forstwirtschaft

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Marita Sehn, Michael Goldmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Agrodiesel tanken – Gasölbetriebsbeihilfe
abschaffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Kersten
Naumann und der Fraktion der PDS
Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM
Gasölbeihilfe zurücknehmen
– Drucksachen 14/2766, 14/2690, 14/2384,
14/2795, 14/3724 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Detlev von Larcher
Norbert Schindler

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Marita Sehn, Ernst Burgbacher, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Tanken von eingefärbtem Agrardiesel un-
bürokratisch ausgestalten
– Drucksache 14/3105 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit

ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Unterglasgartenbau in Deutschland sichern
– Drucksache 14/4243 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Anpassungsbeihilfen für Unterglasbetriebe im
Gartenbau
– Drucksache 14/4257 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hildebrecht Braun (Augs-
burg), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.
Kraftfahrzeugsteuer für schwere LKWauf EU-
Niveau senken – Bedingungen am Güterkraft-
verkehrsmarkt harmonisieren
– Drucksache 14/4254 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, die
heutige Tagesordnung zu erweitern:
ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kersten

Naumann, Rolf Kutzmutz, Dr. Ruth Fuchs, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Schaffung eines Nothilfefonds für existenzbe-
drohte Unterglasgartenbaubetriebe
– Drucksache 14/4291 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

Der Antrag soll bei diesem Tagesordnungspunkt beraten
werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist
es so beschlossen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Angelika Mertens, SPD-Fraktion. Vorher bitte
ich aber diejenigen, die den Saal verlassen wollen, es
möglichst geräuscharm zu tun, damit die Rednerin eine
Chance hat, gehört zu werden. Herzlichen Dank.


Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1412501100
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich kann auch ziemlich laut sein. Ich
werde also jetzt, am Freitag, dem 13., dagegen anbrüllen.

Seit Anfang der 70er-Jahre haben wir eine problemati-
sche Beziehung zu Energie und vor allen Dingen eine pro-
blematische Beziehung zum Öl. Wir hätten in dieser Zeit




Präsident Wolfgang Thierse
11998


(C)



(D)



(A)



(B)


eigentlich dringend an einer Partnerschaft arbeiten müs-
sen. Wir haben uns aber gar nicht so unwohl gefühlt: Es
hat einen erhöhten Wohlstand gegeben, es hat erhöhte
Mobilität gegeben, es hat erhöhte Gewinne – vor allem bei
den Mineralölkonzernen – und auch erhöhte Steuerein-
nahmen gegeben. Auf der rechten Seite des Hauses sitzen
viele Abgeordnete, die innerhalb ihrer Regierungszeit die
Mineralölsteuer viermal angehoben haben, und zwar um
50 oder 55 Pfennig, die im Haushalt versickert sind.


(Zuruf von der CDU/CSU: Tun Sie doch nicht so, als ob Sie damit nichts zu tun hätten!)


Es hat immer wieder ein paar Krisen gegeben. Man hat
sich dann, was die Energie anging, auch einmal geschwo-
ren, dass endlich Schluss sei. In einer normalen Bezie-
hung hätte man wahrscheinlich den Scheidungsanwalt
angerufen oder wäre wenigstens in eine Partnerschaftsbe-
ratung gegangen. Irgendwie ist es aber doch immer wie-
der zur Versöhnung gekommen.

Der eine Partner hat sich längst neue Nester gebaut.
Die Ölförderländer fördern ihr Öl ja nicht mehr sozusa-
gen von der Hand in den Mund, sondern haben ihr ver-
dientes Geld hoffentlich ordentlich angelegt. Die Mine-
ralölkonzerne produzieren auch nicht nur Mineralöl.

Der andere Partner ist aber eigentlich immer ohne
strukturelle Alternativen gewesen. Er konnte zwar einige
Maßnahmen ergreifen: Er konnte sich ein sparsameres
Auto kaufen, intelligenter fahren oder sich eine neue Hei-
zung zulegen. An der Grundabhängigkeit hat sich aber
nichts geändert. Es ist also bei dieser ungleichen Bezie-
hung geblieben.

Es ist auch schon lange keine Liebesbeziehung mehr.
Wenn man sich jetzt nicht schnell voneinander trennen
kann oder will, dann, denke ich, muss man die Verhält-
nisse klären. Da gibt es eigentlich nur zwei Strategien:
erstens mit dem, was man quasi als Unterhalt bekommt,
so sparsam wie möglich umgehen und zweitens auf die
Piste gehen und sich etwas anderes suchen. Auch andere
Mütter haben schöne Töchter und Söhne. Davon sind ei-
nige schon im beziehungsfähigen Alter. Einige sind noch
ein bisschen jung und müssen noch etwas wachsen. Das
sind leider vor allen Dingen die, die uns Mobilität garan-
tieren oder sie verbessern können.

Die deutsche Automobilindustrie – das muss hier auch
einmal gesagt werden – entwickelt ja alternative Antriebs-
techniken. Wir können uns eigentlich nur wünschen, dass
ihr dies so schnell wie möglich gelingt. Diese Techniken
wären auf dem Weltmarkt der große Renner.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Seit der ersten Ölkrise, also seit mehr als einem Vier-
teljahrhundert, wissen wir, dass wir mit Energie anders
umgehen müssen, besonders mit Öl. Es hat sich schon viel
getan. Der durchschnittliche Benzinverbrauch der Autos
ist zum Beispiel von 9,7 Litern im Jahre 1978 auf 7 Liter
im Jahre 1998 gesunken.

Wenn wir heute einen Gesetzentwurf zur Einführung
einer Entfernungspauschale und zur Zahlung eines ein-
maligen Heizkostenzuschusses vorlegen, bedeutet das
nicht, dass wir irgendetwas an unserer Entscheidung für

die Ökosteuer zur Disposition stellen. Die Ökosteuer ist
für uns nicht verhandelbar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie beträgt zurzeit 12 Pfennig pro Liter plus Mehrwert-
steuer. Der übrige Preisanstieg geht voll auf das Konto der
OPEC, der anderen Rohölexporteure, des starken US-
Dollars – über den sich übrigens unsere exportierende
Wirtschaft richtig freut – und der Mineralölkonzerne. Die
Einnahmen durch die Ökosteuer oder besser die ökolo-
gisch-soziale Steuer werden in vollem Umfang zurückge-
geben. Die Rentenbeitragssätze sind um 1,2 Prozent-
punkte gesunken.

Die CDU hat mit ihrer dümmlichen Ökosteuer-Kam-
pagne eines bewirkt, nämlich dass den Menschen klarer
geworden ist, wohin die Einnahmen fließen und warum
sie dahin fließen.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Wollen Sie die Menschen, die das unterschreiben, als dumm bezeichnen?)


Es hat – das können Sie auch sehen – sehr viel Akzeptanz
für die Ökosteuer gegeben und diese Akzeptanz steigt
auch weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Die sagen: Wählt nie wieder SPD!)


Es ist klug, den Energieverbrauch zu verteuern und Ar-
beit preiswerter zu machen. Es ist klug, dies schrittweise
zu tun, damit sich die Verbraucher und vor allem die Ver-
kehrsteilnehmer darauf einstellen können. Auf der rechten
Seite des Hauses gibt es genügend Kronzeugen, die das
belegen können: Herr Schäuble, Herr Merz und Frau
Merkel.


(Zuruf von der CDU/CSU: Gucken Sie einmal richtig hin!)


Von ihnen gibt es diverse Aussagen, die ich hier nicht
noch einmal zitieren muss.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Alles falsch zitiert! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Da muss er selber lachen!)


Im Übrigen liegen unsere Benzinpreise trotz der Öko-
steuer innerhalb Europas im Mittelfeld. Außerdem gibt es
bei uns keine Belastung der Verkehrsteilnehmer durch
Maut.

Die F.D.P. will die Ökosteuer gänzlich abschaffen.

(Beifall bei der F.D.P. – Cornelia Pieper [F.D.P.]: Genau!)

Die Partei der Marktwirtschaft beruft sich auf das Prinzip
von Angebot und Nachfrage. Dazu sage ich Ihnen: Eine
Preisreduzierung durch den Wegfall der Ökosteuer würde
nicht erst in Wochen, sondern schon in Tagen oder viel-
leicht sogar Stunden von den Mineralölkonzernen ausge-
füllt werden. Dies belegen auch die nach Abzug der Steuer
unterschiedlichen Preise in Europa. Die Mineralölkon-
zerne nehmen das, was der Markt hergibt. Dies ist auch




Angelika Mertens

11999


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht verwerflich, sondern entspricht den Grundsätzen der
Marktwirtschaft.

Ich frage Sie von der F.D.P.: Für wen kämpfen Sie ei-
gentlich? Kämpfen Sie für die Mineralölkonzerne oder
für die Autofahrer?


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Für die Bürger kämpfen wir! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Thiele, der Bürgeranwalt!)


Man kann natürlich von einer Partei, die bei einem bun-
desweiten Anteil von 6,7 Prozent einen Kanzlerkandida-
ten nominieren will, vielleicht auch nichts anders erwar-
ten. Hier übersteigt das Angebot wohl entscheidend die
Nachfrage. Seit Möllemann Ihren Kurs bestimmt, haben
Sie sich als ernsthafter Gesprächspartner verabschiedet.


(Zuruf von der SPD: Das ist wie Gasbildung in einem leeren Tank!)


Wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir
die Kilometerpauschale endlich in eine verkehrsmittel-
unabhängige Entfernungspauschale umwandeln. Wir
machen Schluss mit der sozialpolitisch und ökologisch
bedenklichen Bevorzugung des Autos.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dadurch legalisieren wir auch eine beliebte Form der
kreativen Steuererklärung.

Gleichzeitig erhöhen wir die Pauschale um zehn Pfen-
nig auf 80 Pfennig pro Kilometer. Damit tragen wir den
sprunghaft gestiegenen Benzin- und Dieselpreisen Rech-
nung, für die wir nichts können. Dies bedeutet für jeman-
den, der schlau handelt, bares Geld, wenn er den ÖPNV
nimmt. Auch – das freut mich als Großstädterin beson-
ders – gibt es weiterhin die Möglichkeit, die Monatskarte
abzurechnen. Dies ist besonders für diejenigen interes-
sant, die sehr kurze Strecken zu fahren haben.

Wir gewähren einkommensschwachen Haushalten ei-
nen einmaligen Heizkostenzuschuss in Höhe von 5 DM
pro Quadratmeter Wohnfläche, um die drastisch gestiege-
nen Heizölpreise aufzufangen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Noch nicht einmal ein Almosen ist das!)


Diesen Zuschuss erhalten Wohngeld- und Sozialhilfe-
empfänger, BAföG-Empfänger, die nicht mehr zu Hause
wohnen, und Haushalte mit niedrigem Einkommen; das
heißt derjenige, der nicht mehr als 1 650 DM monatlich
als Haushaltsvorstand plus 650 DM für die zweite und
550 DM für jede weitere Person verdient. Mit diesen
Maßnahmen helfen wir zielgenau denen, die von den ge-
stiegenen Ölpreisen besonders betroffen sind: den Berufs-
pendlern und den einkommensschwachen Bürgerinnen
und Bürgern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Betonung liegt hier auf dem Wort „zielgenau“. Wir
wollen, dass denen geholfen wird, die es wirklich brau-
chen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nur eine Reparatur!)


Für die Union und die F.D.P. mag diese Zielgenauigkeit
zwar Flickschusterei sein, aber für uns Sozialdemokraten
ist sie eine Frage sozialer Gerechtigkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Durch Bürokratie ist noch nie Gerechtigkeit geschaffen worden!)


Wir müssen davon ausgehen, dass die Ölpreise lang-
fristig steigen werden. Wir können auf die vorhersehbaren
Preisentwicklungen nicht mit regelmäßigen Heizkosten-
zuschüssen reagieren. Es wird also Zeit für eine Energie-
effizenzoffensive. Das mag zwar die Opposition in ihrem
Kampf gegen die Ökosteuer nicht mitbekommen haben.
Aber wir haben schon einmal ohne sie angefangen, die
ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhun-
derts in Angriff zu nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir schaffen die notwendigen Rahmenbedingungen
für eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene. Ihre
Krokodilstränen, was die Schiene angeht, können Sie sich
wirklich sparen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben geschlafen, als Sie für die Schiene hätten ein-
treten können. In den nächsten Jahren werden wir der
Bahn 6 Milliarden DM aus dem Zukunftsinvestitionspro-
gramm zur Verfügung stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um eine Gleichberechtigung der Partner zu gewährleis-
ten, führen wir ab 2003 die entfernungsabhängige
LKW-Maut ein. Damit werden wir auch endlich das Ver-
ursacherprinzip in die Verkehrspolitik mit einbeziehen.

Auch in der Wohnungs- und Baupolitik setzen wir
neue Akzente. Wir wissen, dass etwa ein Drittel des Ener-
giebedarfs für den Gebäudebestand verwandt wird. Hier
gibt es enorme Einsparpotenziale, die wir nutzen sollten,
damit Heizen nicht zu einem unerschwinglichen, dauer-
subventionierten Luxus wird.

Wir haben jetzt ein umfangreiches Maßnahmenpaket
beschlossen. Wir streben mit der Energieeinsparverord-
nung eine Senkung des Energieverbrauches bei Neubau-
ten um durchschnittlich etwa 30 Prozent an. Ein weiteres
wichtiges Instrument ist die Bekämpfung von sinnloser
Energieverschwendung durch das CO2-Minderungspro-gramm, das knapp 12 Milliarden DM umfasst.

10 Milliarden DM werden für die Wohnraummoderni-
sierung der KfW zur Verfügung gestellt. Auch hier wer-
den wir erhebliche Einspareffekte erzielen. In der Eigen-
heimförderung ist eine Ökokomponente eingebaut. Am
1. April dieses Jahres trat das Erneuerbare-Energien-Ge-
setz in Kraft. Mit ihm stärken wir die Entwicklung erneu-
erbarer Energiequellen ebenso wie mit dem 100 000-
Dächer-Programm.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412501200
Frau Kollegin, Sie
sind schon über Ihre Redezeit hinaus.




Angelika Mertens
12000


(C)



(D)



(A)



(B)



Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1412501300
Gestern haben wir außer-
dem beschlossen, 300 Millionen DM für die Erforschung
schadstoffarmer Antriebe zur Verfügung zu stellen. Das,
meine Damen und Herren, ist moderne Verkehrs-, Ener-
gie- und Umweltpolitik sowie übrigens auch Arbeits-
marktpolitik. Nur so gestaltet man die Zukunft. Das heißt:
mehr Wohlstand und Mobilität durch weniger Energie-
verbrauch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412501400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion.

Peter Rauen (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
zur Einführung einer Entfernungspauschale und zur Zah-
lung eines einmaligen Heizkostenzuschusses gesteht auch
die Bundesregierung ein, dass die Ökosteuer gescheitert
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben von Anfang an gesagt, dass es sich hier um
eine Mogelpackung handelt. Die Grundidee der Öko-
steuer ist ja, den Energieverbrauch aus umweltpolitischen
Gründen zu verteuern und die dadurch eingenommenen
Erträge der Rentenversicherung zuzuführen. Dieses Kon-
zept konnte von vornherein nicht aufgehen. Lassen Sie
mich den gedanklichen Fehler, der diesem Konzept zu-
grunde liegt, einmal überspitzt formulieren. Wenn ich die
Steuer auf ein bestimmtes Gut verdopple, dann kann ich
damit die Erwartung verbinden, dass sich der Verbrauch
dieses Gutes halbiert. Oder ich kann damit die Erwartung
verbinden, dass sich die Steuereinnahmen verdoppeln.
Beide Wirkungen zugleich eintreten zu lassen, das wird
selbst dem größten Staatsmann des Jahres 2000 nicht ge-
lingen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Weltstaatsmann!)


Inzwischen wird auch in der Bundesregierung offen
darüber nachgedacht, wie man sich möglichst geräusch-
los aus der Ökosteuer verabschieden kann. Der Bundesfi-
nanzminister hat sich dafür ausgesprochen, den engen
Zusammenhang zwischen Ökosteuer und Rentenver-
sicherungsbeiträgen aufzugeben. Ich kann Sie dazu nur
beglückwünschen, Herr Finanzminister.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Auch der Bundeskanzler lässt keine Gelegenheit unge-
nutzt verstreichen, vor allem bei Treffen mit den Bossen
der Automobilindustrie zu zeigen, was er von der Öko-
steuer hält, nämlich eigentlich gar nichts.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber er ist dafür verantwortlich!)


Das eine Mal lässt er verlauten, dass er das Instrument
nicht für ideal halte. Das andere Mal lässt er seinen Ver-

kehrsminister verkünden, dass ab 2003 mit dieser Steuer
Schluss sei.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der Kanzler der Beliebigkeit!)


Auch wenn es kurz darauf heißt, dass das alles nicht so
gemeint gewesen ist, Herr Kollege Schmidt: Der Bundes-
kanzler ist auf jeden Fall dabei, die Ökosteuer sturmreif
zu schießen, oder wie „Die Welt“ schrieb – ich darf das zi-
tieren, weil mir der Satz so hervorragend gefallen hat –:

Wenn der Bundeskanzler seine Macht gefährdet
sieht, dann verabschiedet er sich mit Brutalität von
Positionen, die gestern noch als unverbrüchlich gal-
ten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: So ist er!)

Diese Lockerungsübungen in Sachen Ökosteuer sind

aber natürlich keine Antwort auf die Probleme, vor denen
die Menschen in Deutschland heute aufgrund des enor-
men Anstiegs der Energiekosten stehen. Inzwischen hat
auch die Regierung gemerkt, dass diese selbstgefällige
Attitüde sie bei den bevorstehenden Wahlen teuer zu ste-
hen kommen könnte. Vor allem die Sozialdemokraten ha-
ben erkannt, dass etwas geschehen muss, um die über den
Energiepreisanstieg beunruhigten Wähler zu beschwich-
tigen. Das Nächstliegende und einzig Richtige, die Öko-
steuer abzuschaffen, so wie wir dies fordern, wollen sie
aber nicht tun.


(Joachim Poß [SPD]: Und das können Sie auch ganz gut finanzieren, nicht!)


Zum einen würde das ihr grüner Koalitionspartner nicht
hinnehmen. Zum anderen wäre damit das offene Einge-
ständnis verbunden, dass diese Steuer von Anfang an
falsch war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was allerdings stimmt!)


Wenn man erkannt hat, dass man etwas tun muss, das
einzig Richtige aber nicht tun kann, dann bleibt in der Re-
gel immer nur die Möglichkeit, etwas Falsches zu tun. Ge-
nau dies, nämlich das Falsche, tut die Bundesregierung
mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Dieser Gesetzent-
wurf ist ein Meisterstück an Flickschusterei.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Er ist eine Notlösung, der nicht an der Sache, sondern an
rein taktischen Erwägungen orientiert ist.

Der Energiepreisanstieg betrifft in der einen oder an-
deren Form jeden Menschen in Deutschland. Die heute
von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen
kommen aber nur einem kleinen Teil der Bürger zugute.


(Joachim Poß [SPD]: Denjenigen, die es nötig haben!)


Das sind noch nicht einmal unbedingt diejenigen, die un-
ter dem Energiepreisanstieg und den hohen Kosten am
meisten zu leiden haben.






(C)



(D)



(A)



(B)


Von der Einführung der Entfernungspauschale pro-
fitieren diejenigen am meisten, die darauf am wenigsten
angewiesen sind, weil ihnen durch die Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte keine oder nur geringfügige
Kosten entstehen. Das sind Fußgänger, Radfahrer oder
Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel. Sie sollen mit dem
Pauschbetrag von 80 Pfennig pro Kilometer künftig we-
sentlich höhere Kosten absetzen können, als ihnen
tatsächlich entstehen. In vielen Fällen wird die Kluft so
groß sein, dass die tatsächlichen Aufwendungen sogar ge-
ringer als die Steuerminderungen sind, die sich aus dem
Abzug des Pauschbetrages ergeben. In diesen Fällen
bringt jeder Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
dem Arbeitnehmer bares Geld ein.

Viele werden die Entfernungspauschale als Steuerge-
schenk zu nutzen wissen. Ich nenne ein Beispiel aus der
Wirklichkeit, das wir in der Arbeitswelt in Berlin erleben.
Ein Fernpendler, der 200 Kilometer fahren muss und ei-
nen guten ICE-Anschluss hat, kann jeden Tag 160 DM ab-
setzen. Bei 200Arbeitstagen sind das 32 000 DM im Jahr.
Bei einer Steuerquote von 35 Prozent hat er eine Steuer-
ersparnis von 11 200 DM aus dieser Entfernungspau-
schale. Davon kauft er sich für 6 500 DM bei der Bundes-
bahn eine Netzkarte. Damit hat er ein gutes Geschäft
gemacht und kann auch noch privat kostenlos fahren.
Vom Überschuss kann er auch seiner Frau eine Netzkarte
kaufen; mit diesem Geschenk haben dann beide völlig
freies Fahren mit der Deutschen Bundesbahn.

Ein anderes Beispiel: Wenn einer hier in Berlin 15 Ki-
lometer Entfernung zur Arbeitsstelle hat, sind das bei
80 Pfennig Kilometerpauschale 840 DM Steuerersparnis
im Jahr, wenn er seine Werbungskosten ansonsten aus-
nutzt. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen auf
dem Lande, die zu ihrem Auto keine Alternative haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Was wollen Sie denn?)


– Herr Poß, hören Sie einmal zu und rechnen Sie nach.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412501500
Sie gestatten keine
Zwischenfrage des Kollegen Poß?


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1412501600
Nein, keine Zwischenfra-
gen jetzt.


(Joachim Poß [SPD]: Er ist wieder mutig!)

Wie sieht es bei dem aus, der auf das Auto angewiesen

ist? Bei einer Entfernung von zum Beispiel 20 Kilometern
zum Arbeitsplatz – er hat ansonsten keine Werbungskos-
ten – kann er 8 Kilometer geltend machen.


(Joachim Poß [SPD]: Was hatten Sie denn in Ihrem Steuerkonzept stehen: 5,1 Milliarden DM als Gegenfinanzierung und eine Entfernungspauschale auf der Basis von 50 Pfennig! Äußern Sie sich doch einmal dazu!)


– Ich komme gleich darauf zurück. Herr Poß, wer schreit,
weiß sich sonst nicht zu helfen; das ist eine alte Regel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das Beispiel tut ihm weh,

(Joachim Poß [SPD]: Sie hätten mich ja fragen lassen können!)

deshalb will er mich stören, damit das nicht im Zusam-
menhang vorgebracht werden kann.

Also noch einmal: Wer auf dem Lande wohnt und
20 Kilometer Entfernung zum Arbeitsplatz und ansonsten
keine Werbungskosten hat, kann 8 Kilometer ansetzen. Er
bekommt einen Groschen mehr Pauschale, also 80 Pfen-
nig am Tag; mal 20 Tage im Monat sind das 16 DM. Bei
einer Steuerbelastung von 35 Prozent hat er 5,60 DM Er-
sparnis.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist doch Quatsch! Ihre Beweisführungen haben noch nie gestimmt! – Weiterer Zuruf von der SPD: Er kassiert doch sowieso die Werbungskostenpauschale, obwohl er keine Werbungskosten hat!)


Ab dem 1. Januar muss er dann aufgrund der nächsten
Stufe der Ökosteuer 7 Pfennige mehr bezahlen. Er fährt
800 Kilometer im Monat. Bei einem Verbrauch von 10 Li-
tern Benzin pro 100 Kilometer sind das 80 Liter. Er muss
dann 7 Pfennige mehr bezahlen, dann sind das 5,60 DM.
Also, Sie verarschen genau die Leute, die Sie durch die-
ses Gesetz eigentlich begünstigen müssten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Er bleibt ein tumber Tor!)


Es kommt noch eines hinzu. Für Arbeitnehmer, die
zum Auto keine Alternative haben, bringt der Gesetzent-
wurf sogar echte Verschlechterungen. Das ist bisher nur
wenigen aufgefallen. Wer auf der Fahrt zwischen Woh-
nung und Arbeitsstätte einen Unfall erleidet, konnte die
dadurch entstehenden Kosten bisher zusätzlich zu den
Pauschbeträgen absetzen. Nach dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung soll diese Möglichkeit künftig ausge-
schlossen werden. Auch das trifft diejenigen besonders
hart, die ohne Rücksicht auf die Witterungsverhältnisse
täglich weite Strecken mit dem Auto zurücklegen müssen.

Die Einführung der Entfernungspauschale führt auch
nicht zu einer Verwaltungsvereinfachung. Im Gegenteil:
Die meisten Steuerpflichtigen, die das Fahrrad oder öf-
fentliche Verkehrsmittel benutzen, kommen mit ihren
Werbungskosten bisher nicht über den Arbeitnehmer-
pauschbetrag von 2 000DM hinaus. Das würde sich durch
die Einführung der Entfernungspauschale ändern. Viele
dieser Steuerpflichtigen – Herr Eichel, Sie werden das er-
leben – werden sich deshalb überlegen, welche zusätzli-
chen Aufwendungen, zum Beispiel für Fortbildung, für
Arbeitsmittel, für Berufskleidung, sie noch absetzen kön-
nen, um die Steuerersparnis aus der Entfernungspau-
schale voll ausnutzen zu können. Herr Eichel, was Sie da
machen, ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die
Finanzämter. Wundern Sie sich nicht, wie findig die Men-
schen sind, wenn solche Gesetze erst einmal auf dem
Wege sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Überhaupt nicht geholfen wird der gewerblichen
Wirtschaft, obwohl die Erhöhung der Energiepreise ge-




Peter Rauen
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(C)



(D)



(A)



(B)


rade für viele kleine Unternehmen zu gravierenden Ein-
kommensverlusten führt. Für Spediteure, Landwirte, Gar-
tenbauer, Reiseveranstalter, Busunternehmer und viele
andere ist sie zu einer Existenzbedrohung geworden. Kol-
lege Klaus Lippold hat Beispiele errechnet, die auch in der
„Welt“ abgedruckt waren.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja dann, wenn sie dort abgedruckt waren!)


Ein LKWhat 30 000 DM Mehrkosten; 10 000 DM sind
nur durch die Ökosteuer bedingt. Ein Stahlbauunterneh-
men mit einem Fuhrpark von 12 Fahrzeugen und einer
Fahrleistung von jeweils 30 000 Kilometern hat Mehrko-
sten von 30 000 DM pro Jahr; 10 000 DM bedingt durch
die Ökosteuer. Höhere Heizöl und Stromkosten für Lager-
und Produktionshallen sowie das Bürogebäude bei dem
genannten Betrieb sind überhaupt noch nicht eingerech-
net.

Diese Mehrkosten lassen sich oft wegen des Kosten-
drucks auch nicht ohne weiteres abwälzen, sodass viele
Betriebe diese dramatische Erhöhung teilweise als einen
enteignungsgleichen Vorgang begreifen.

Der vorgesehene Heizkostenzuschuss von einmalig
5 DM pro Jahr und Quadratmeter Wohnfläche ist sozial
nicht ausgewogen. Anspruchsberechtigt sind nur die
Empfänger von Wohngeld, Erziehungsbeihilfe und Aus-
bildungsförderung sowie andere besonders einkommens-
schwache Personen. Ich will gar nicht leugnen, dass die
Wirkung des Energiepreisanstiegs für diesen Personen-
kreis besonders einschneidend ist. Aber nach den Aus-
führungen der Regierung werden 2 Millionen Haushalte
in Deutschland dadurch begünstigt; wir haben jedoch in
Deutschland 38 Millionen Haushalte, darunter sehr viele
mit kleinen oder mittleren Einkommen, die sich zwar
noch selbst helfen können, aber bei steigender Kostenbe-
lastung auch an ihre Grenzen kommen und dann vom
Staat Hilfe fordern.


(Joachim Poß [SPD]: Wir brauchen doch eine Abgrenzung!)


An diese wird bei dem heute eingebrachten Gesetzent-
wurf überhaupt nicht gedacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer in diesen Wochen seinen Heizöltank füllt, muss

für das Heizöl ungefähr doppelt soviel bezahlen wie im
letzten Jahr, das bedeutet für 3 000 Liter einen Mehrauf-
wand von 1 500 DM; dazu kommen 160 DM aus der
Stromsteuer. Herr Eichel, der verheiratete Arbeiter mit
5 500 DM Gehalt hat aus Ihrer Steuerentlastung im nächs-
ten Jahr gerade einmal 1 026 DM mehr in der Tasche,
während er in diesem Jahr bereits 1 700 DM mehr auf-
grund des Heizkosten- und Energiekostenanstiegs bezah-
len muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Was denken Sie, was los ist, wenn Millionen von Mie-
tern ihre Nebenkostenabrechnung bekommen und statt
Erstattungen erhebliche Nachzahlungen und Nebenkos-

tenerhöhungen ins Haus stehen? Ich kann Ihnen nur raten:
Überlegen Sie jetzt schon, wie Sie große Wohnungsbau-
gesellschaften dahin gehend beeinflussen können, diese
Abrechnungen nicht vor dem 25. März – Wahl in Baden-
Württemberg und Rheinland-Pfalz – zu verschicken. Wir
werden umgekehrt überlegen, wie dies geschehen kann.
Diese Nebenkostenabrechnungen werden wie eine Bom-
be einschlagen, wenn sie die Leute erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist es!)


Der Gesetzentwurf ist aber nicht nur auf der Empfän-
gerseite problematisch, sondern auch auf der Finanzie-
rungsseite. Sie haben ja erlebt, dass selbst die SPD-re-
gierten Länder – wir haben das im Bundesrat in der letzten
Woche zur Kenntnis genommen – bei diesem Unfug nicht
mitmachen werden.

Ich kann zum Schluss nur an die Bundesregierung ap-
pellieren, die sachlichen Einwendungen gegen den vor-
liegenden Gesetzentwurf nicht in den Wind zu schlagen.
Herr Bundeskanzler, stellen Sie die taktischen Spielchen
zurück und packen Sie das Übel an der Wurzel. Nehmen
Sie die Erhöhung der Energiepreise durch die Ökosteuer
zurück und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zur Sen-
kung der Mineralölsteuer und zur Abschaffung der Strom-
steuer zu.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412501700
Lieber Kollege
Rauen, Sie haben vorhin – wie soll ich mich ausdrücken –
einen unsagbaren menschlichen Körperteil in Verbform
gebracht. Das ist ein unparlamentarischer Ausdruck. Die
deutsche Sprache ist reich, es gibt viele andere Möglich-
keiten, seine Empörung auszudrücken.


(Horst Kubatschka [SPD]: Da spricht der Germanist! – Zuruf von der CDU/CSU: Das Volk redet so!)


Ich erteile dem Kollegen Albert Schmidt vom Bündnis
90/Die Grünen das Wort.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Die Einführung einer verkehrsmittelunabhän-
gigen Entfernungspauschale beendet die steuerliche Be-
nachteiligung all derer, die jeden Tag mit Bus, Bahn oder
Fahrrad von der Wohnung zur Arbeit pendeln. Das ist eine
gute Nachricht für alle Nutzerinnen und Nutzer der öf-
fentlichen Verkehrsmittel und des Umweltverbundes. Das
ist die Beendigung der steuerlichen Bevorzugung des Au-
tofahrens, das steht im Koalitionsvertrag, das werden wir
umsetzen, und das ist auch gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Herr Merz, Sie wissen natürlich auch selbst, dass die ver-
kehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale das rich-
tige Konzept ist, denn dieses Instrument ist Bestandteil




Peter Rauen

12003


(C)



(D)



(A)



(B)


Ihres eigenen Steuerkonzeptes seit den Petersberger Be-
schlüssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn es eine Regelung gegeben hat, die zum Schummeln
und zum Missbrauch geradezu eingeladen hat, dann war
es doch, Herr Kollege Rauen, die alte Regelung, nämlich
die Kilometerpauschale, die für die Autofahrer besonders
hoch und für andere besonders niedrig ausgefallen ist. Die
Entfernungspauschale, die wir einführen wollen und wer-
den, setzt in einer Zeit steigender Benzinpreise genau das
richtige Signal: Bus- und Bahnfahrer können mehr von
der Steuer absetzen, oder – noch kürzer gesagt – Umstei-
gen lohnt sich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das geht bei mit leider nicht!)


– Ich komme darauf zurück, Herr Kollege, keine Sorge.
Das weiß übrigens auch die Deutsche Bahn und das

wissen auch die kommunalen Verkehrsbetriebe. Deswe-
gen erwarten sie mehr Fahrgäste, mehr Kundschaft und
mehr Geschäft. Es ist folgerichtig und konsequent, dass
der Bahnchef in Aussicht gestellt hat, genau deshalb auf
die bereits angekündigte Fahrpreiserhöhung im Bahnver-
kehr zu verzichten. Er hat die kommunalen Verkehrsver-
bünde eingeladen, sich dieser Haltung anzuschließen. Ich
kann alle öffentlichen Verkehrsbetriebe nur bitten:
Schließen Sie sich an. Kommen Sie Ihren Fahrgästen mit
stabilen Fahrpreisen entgegen. Dann werden Sie mehr
Kundschaft und damit auch mehr Einnahmen bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Perpetuum mobile ist das!)


Der positive Trend im öffentlichen Verkehr hat übri-
gens bereits eingesetzt. Im ersten Halbjahr dieses Jahres
haben wir gegenüber dem Vorjahr beim Schienenperso-
nenverkehr einen Zuwachs von rund 5 Prozent und beim
Güterverkehr auf der Schiene von 11 Prozent zu ver-
zeichnen. Die Ökosteuer, die Sie von der Opposition am
liebsten abschaffen möchten, weil sie angeblich keinen
Lenkungseffekt hat, hat genau diesen erfreulichen Trend
mitverursacht,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wie viel Anteil ist das insgesamt? Illusionist!)


zumal die öffentlichen Verkehrsmittel – anders als Sie im-
mer darzustellen versuchen – zur Hälfte von der Öko-
steuer befreit sind. Das verschafft dem Umweltverbund
einen relativen Preisvorteil gegenüber dem Straßenver-
kehr und führt genau zu diesem Wachstum im öffentli-
chen Verkehr. Diesen Trend werden wir mit der Entfer-
nungspauschale verstärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Weiße Salbe!)


Ich kann also viele Menschen im Lande nur ermutigen:
Machen Sie, wo immer es geht, von der Möglichkeit des

Umsteigens auf Bus und Bahn Gebrauch. Sie entlasten da-
mit nicht nur die Umwelt, sondern auch Ihren Geldbeutel;
denn Sie sind vor dem Finanzamt nicht länger Pendler
zweiter Klasse.

Allerdings wissen wir sehr wohl, dass gerade im länd-
lichen Raum – ich komme selbst aus einer solchen Region
in Bayern – viele Menschen noch nicht ein dichtes und at-
traktives Bus- und Bahnangebot zur Verfügung haben,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ihr dünnt es doch aus, am Bodensee und anderswo!)


sie also bei dem täglichen Weg zur Arbeit bitter auf das
Auto angewiesen sind und nicht einfach sagen können:
Heute fahre ich einmal nicht mit dem Auto zur Arbeit, um
Benzinkosten zu sparen.

Da es Menschen gibt, die sich dieser Art der Zwangs-
mobilität nicht entziehen können, schlagen wir im Ge-
setzentwurf die Erhöhung dieser Pauschale um 10 Pfen-
nig vor, übrigens nicht als Ausgleich für die Ökosteuer,
die den gefahrenen Kilometer – je nach Fahrzeug – nur
um 1 bis 2 Pfennig verteuert, sondern wegen des insge-
samt ungleich höheren Preisanstiegs, der durch die Mine-
ralölproduzenten und die Ölkonzerne verursacht worden
ist und der für die Berufspendler zweifellos eine Belas-
tung darstellt.

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Überlegen Sie sich gut,
ob Sie Ihren Wahlkreisbürgerinnen und -bürgern diese
Entlastung vorenthalten wollen, indem Sie aus einer kin-
dischen Fundamentalopposition heraus immer prinzipiell
Nein sagen.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wir sagen: anders, aber nicht immer Nein!)


Ich verstehe, dass viele Bundesländer zunächst einmal
ordentlich über die Finanzierung dieser Erhöhung streiten
wollen; denn man will natürlich nicht so gern in die ei-
gene, sondern lieber in die Bundeskasse greifen. Da kennt
man erst einmal keine Verwandten. Aber ich sage all de-
nen, die wochenlang so mitfühlend nach der Erhöhung der
Pendlerpauschale gerufen haben: Wer sich jetzt nicht
selbst daran beteiligen will, der hätte damals besser ge-
schwiegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wohltaten nur aus der Kasse der anderen zu sponsern
ist keine Kunst und es ist auch nicht besonders glaubwür-
dig. Es ist gut, dass unsere Finanzverfassung insoweit
eine gemeinsame finanzielle Anstrengung von Bund und
Ländern verlangt. Der Bund ist bereit, seinen Anteil zu
leisten. Die Länder sollten es auch sein.

Dazu gehört auch der soziale Ausgleich für Menschen
an der untersten Einkommensgrenze, die in diesen Wo-
chen eine Heizölrechnung bekommen, die doppelt so
hoch ist wie im vergangenen Jahr.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch Ihre unsoziale Tat!)


Dafür die Ökosteuer verantwortlich zu machen ist beson-
ders dumm und ignorant. Die Ökosteuer beträgt je Liter




Albert Schmidt (Hitzhofen)

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(C)



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(B)


Heizöl lediglich 4 Pfennig. Der Heizölpreis aber liegt bei
1 Mark. Es ist also überhaupt nicht nötig, die Ökosteuer
zurückzunehmen, weil die Auswirkungen in diesem
Punkt so gut wie gar nicht da sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dass Sie hier vorschlagen, mit dem Instrument der
Ökosteuer zu operieren, zeigt nur, wie wenig Sachkennt-
nis Sie haben.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Einladung zur Erhöhung! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Michelbach, gehen Sie zu den LKW-Fahrern, da gehören Sie hin!)


Wir schlagen stattdessen eine Heizkostenzulage von
5 DM je Quadratmeter für die sozial Schwächsten vor.
Das ist schlicht und einfach ein Gebot sozialer Fairness,
dem sich auch die Länder nicht verweigern sollten.

Meine Damen und Herren von der Opposition, wie
töricht Ihr Antrag auf eine gänzliche Abschaffung der
Ökosteuer ist, zeigt die Benzinpreisentwicklung der
letzten Wochen. Als der Marktpreis vor zwei Wochen bei
über 2 Mark lag, hat sich der Kollege Klaus Lippold hier
aufgeblasen wie ein Ochsenfrosch und Arm in Arm mit
den so genannten Liberalen nach dem Staat geschrien:
Weg mit der Ökosteuer! 12 Pfennige müssen verschwin-
den, Steuerverzicht! – Mit anderen Worten: Planwirt-
schaft, steuerliche Subventionen.

Inzwischen haben die Preise nachgegeben. Sie können
an manchen Tankstellen in Berlin den Liter Diesel wieder
für 1,56 DM kaufen, obwohl wir an der Ökosteuer gar
nichts verändert haben.

Wie wollen Sie uns das jetzt erklären? Wollen Sie, dass
wir die sinkenden Benzinpreise wieder durch Steuererhö-
hungen anheben? Wie hoch soll eigentlich der Benzin-
preis sein, Herr Brüderle, den wir mithilfe von steuerli-
chem Dirigismus festschreiben sollen? Was machen Sie
von der CDU jetzt eigentlich mit Ihren Unterschriftslis-
ten?


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die verschimmeln!)


Die Benzinpreise sind ja schon um mehr als 12 Pfennig
gesunken, obwohl Sie mit Ihrer Aktion noch gar nicht fer-
tig sind. Ich finde, die Ölkonzerne hätten schon so lange
warten müssen, bis Sie Ihre Unterschriftslisten voll ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten des PDS)


Nein, hektischer Aktionismus ist keine Politik. Wir
bleiben bei einer klaren und berechenbaren Linie: das So-
zialabgabenniveau stabilisieren und senken sowie An-
reize zum Energiesparen durch eine entsprechende Be-
steuerung schaffen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und Steuern kassieren!)


Die eigentliche Botschaft der Energiepreisentwick-
lung – die haben Sie überhaupt nicht verstanden – ist

schlicht und einfach: Wir müssen weg vom Öl! Das macht
uns unabhängiger von Importen. Das hält das Geld im
Land. Das macht uns ökologisch und wirtschaftlich zu-
kunftsfähig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daher ist die Benzin- und Ölpreiskrise eine Chance.
Aber Sie definieren sie immer nur als Belastung. Deswe-
gen werden Sie niemals die richtigen Schlüsse daraus zie-
hen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Auf die Bäume, Genossen!)


Sie lamentieren doch nur und rufen nach staatlichen Sub-
ventionen.

Die richtige Antwort lautet: Energieeinsparung, effizi-
entere Technik und Umsteigen auf die erneuerbaren Ener-
gien.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben das alles auf den Weg gebracht: 100 000-Dä-
cher-Programm, Erneuerbare-Energien-Gesetz und So-
larthermie-Programm. So sieht unsere Antwort aus. Aber
Sie haben alles abgelehnt. Was ist denn der Kern dessen,
was gestern unter der Überschrift Zukunftsinvestitions-
programm von den Koalitionsfraktionen beschlossen
worden ist? Der Kern ist: zusätzliche Milliarden für eine
moderne, bürgernahe, attraktive Bahn; mehr als 1 Milli-
arde DM als Anreiz zu Sanierung und Wärmedämmung in
Hunderttausenden von Wohnungen; 300 Millionen DM
für die Erforschung von Antrieben, die auf der Basis
erneuerbarer Energien – Stichwort: Solarwasserstoff- und
Brennstoffzellentechnologie – arbeiten; zusätzliche Milli-
arden für Bildung und Forschung, damit auch die wis-
senschaftliche Entwicklung der Zukunftstechnologien
vorangebracht wird. So sieht unser Programm der öko-
logischen Modernisierung aus! Ein solches Programm
haben Sie in 16 Jahren noch nicht einmal annähernd zu-
stande gebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Hätten Sie damals auch nur einen kleinen Teil dessen
gemacht, was wir heute auf den Weg gebracht haben, dann
müssten wir über die Höhe der heutigen Energiepreise gar
nicht erschrecken; denn wir könnten mit zwei Dritteln des
heutigen Kraftstoffverbrauchs genauso weit fahren und
wir könnten es mit zwei Dritteln des heutigen Heizener-
gieverbrauchs genauso warm haben. Wir müssten dafür
noch nicht einmal mehr bezahlen, weil wir die steigenden
Kosten durch eine moderne Technologie ausgeglichen
hätten.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Vom Öl auf die Bäume, Genossen!)


Das, was Sie zu tun versäumt haben, werden wir nachho-
len. Ich bin ganz sicher, dass Sie auch dies wieder ableh-
nen werden und dass Sie in Ihren Schützengräben bleiben
werden.




Albert Schmidt (Hitzhofen)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich sage an die Adresse der wirklich Konservativen
– die gibt es; das weiß ich; Herr Repnik, ich spreche Sie
persönlich an – in Ihren Reihen. Ich bin mir nach vielen
Diskussionen, die ich geführt habe, ziemlich sicher: Die
Mehrzahl der Menschen wird unser Programm der ökolo-
gischen Modernisierung mittragen. Auch viele CDU-Mit-
glieder wenden sich angewidert von Ihrem plumpen
Antiökosteuerklamauk ab.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Da werden Sie sich wundern!)


Sie erwarten nämlich von der Opposition Alternativen,
Konzepte und Ernsthaftigkeit. Aber Sie legen nichts auf
den Tisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wo ist Ihr Ökosteuerkonzept, wenn Sie tatsächlich eine
„bessere“ Ökosteuer wollen? Wo ist Ihre Beschreibung
des Weges vom Ölzeitalter hin zum Solarzeitalter? Wo
sind Ihre ernsthaften Antworten?


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Die haben wir 1998 beschlossen!)


Solange Sie selbst nichts vorlegen, meine Damen und
Herren von der CDU, so lange werden Sie niemanden in
diesem Land nachhaltig überzeugen können. Uns werden
Sie so nicht aus der Ruhe bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412501800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1412501900
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich darf die Bundesregierung beglück-
wünschen, dass sie aus unserem Antrag „Ökosteuer
zurücknehmen“ teilweise gelernt hat;


(Zurufe von der SPD: Oh! – Hans Michelbach CDU/CSU)


denn die Einführung einer verkehrsmittelunabhängigen
Entfernungspauschale fordern wir nicht erst in unserem
heute zur Beratung anstehenden Antrag, sondern schon
seit Jahren. Aber für die Erkenntnis, dass eine Entfer-
nungspauschale sinnvoll ist, brauchen wir keine Öko-
steuer.


(Beifall bei der F.D.P. – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


So haben wir zum Beispiel in Rheinland-Pfalz im Koali-
tionsvertrag eine ökologisch sinnvolle Entfernungspau-
schale schon seit langem festgeschrieben. Dass Sie bes-
sere Ideen von uns übernehmen, ist in Ordnung. Aber
versuchen Sie bitte nicht, die widersinnige Ökosteuer
über die Runden zu retten! Das werden wir Ihnen nicht
durchgehen lassen. In diesem Punkt haben Sie sich unse-
ren Antrag leider nicht zu Herzen genommen. Wir schla-
gen die Entfernungspauschale nämlich als Alternative zur
ökologisch wirkungslosen Erhöhung der Steuern auf
Kraftstoffe und Heizöl vor. Wir wollen keine Entfer-

nungspauschale, die die offensichtliche Fehlentwicklung
durch die so genannte Ökosteuer kaschiert. Das ist ein
durchsichtiges Ablenkungsmanöver.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustim-
men. Unsere Forderung ist, das gescheiterte Ökosteuer-
projekt endlich abzuschaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Ökosteuer darf nicht bar jeder Vernunft auf Teufel

komm raus bis zum Ende der Legislaturperiode durchge-
schleppt werden. Die Menschen in Deutschland – Pend-
ler, Rentner, Taxifahrer, Trucker – verdienen Lösungen
für drängende Probleme. Heftpflasterstrategien bei be-
rechtigten Sorgen der Menschen sind nicht angemessen.
Wir brauchen das Ende einer verbohrten, ideologie-
verhangenen Steuererhöhungspolitik. Deshalb muss die
Ökosteuer weg.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Menschen wissen längst, was sie von dem Abkas-

siermodell Ökosteuer zu halten haben. Ich brauche all die
Fehllenkungen dieser staatlichen Zwangsbeglückungen
nicht zu wiederholen. Aber dass Grün-Rot wider besseres
Wissen, aus reinem Machterhaltungstrieb und Koalitions-
raison mit Rücksicht auf die Grünen, um ihre letzte Be-
gründung für die Dienstwagen aufrechtzuerhalten und auf
Gedeih und Verderb an dem Projekt Ökosteuer festhält, ist
ein starkes Stück.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Ist das billig!)


Der Bundeskanzler hat wörtlich gesagt:
Über Instrumente können wir reden, wenn es bessere
gibt.

Der Kanzler weiß, dass es bessere gibt.
Verkehrsminister Klimmt sagte wörtlich:
Die Steigerungen sind bis 2003 festgelegt und damit
ist Sense nach meiner Meinung.

In der SPD-Führung widerspricht ihm keiner. Selbst die
Grünen äußern derzeit reihenweise, das Konzept sei „ver-
besserungsfähig“.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das ist aber liebevoll!)


Man hat allmählich den Eindruck, dass uns die Bundesre-
gierung nur noch veralbert.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das weise ich zurück!)


Sie sagen beinahe täglich: Das Ökosteuerkonzept ist eine
schlechte Politik. Diese führen wir aber bis zum Ende der
Legislaturperiode fort. – Das ist eine Frechheit gegenüber
den Menschen im Lande und der Gipfel der Schizophre-
nie.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Albert Schmidt (Hitzhofen)

12006


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch eine andere Legendenbildung muss ein Ende ha-
ben. Der penetrante Verweis, dass andere an den gestie-
genen Benzinpreisen Schuld sind und nicht die Ökosteuer
und nicht die steuerliche Belastung, wird allmählich zur
Lachnummer. Frau Mertens, in den USA ist die Steuerbe-
lastung auf die Benzinpreise ungleich niedriger als in
Deutschland. Ich kenne kein Produkt, bei dem über 70 Pro-
zent Steuern abkassiert werden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: In Ihrer Regierungszeit war es ein Steueranteil von 80 Prozent!)


Es muss geradezu eine Einladung für alle Scheichs der
Welt sein, in den Vereinigten Staaten zuzulangen. Das ist
eine Milchmädchenrechnung. Dass Herr Schmidt so laut
schreit, beweist, dass er Unrecht hat. Getroffene Hunde
bellen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihnen waren und sind die sinkenden Energiepreise in
Deutschland aufgrund der Liberalisierung schon immer
ein Dorn im Auge. Der stellvertretende SPD-Fraktions-
vorsitzende Müller spricht wörtlich sogar von einem „un-
sinnigen Preiskampf auf dem europäischen Strommarkt“.
Sie gönnen den Verbrauchern, dem Mittelstand und den
großen Unternehmen keine günstigen Strompreise, damit
sie mehr Arbeitsplätze schaffen bzw. damit sie mit ihrem
Geld besser haushalten können. Deshalb dreht die Bun-
desregierung die Liberalisierung mit aller Kraft zurück. In
den kommenden zehn Jahren werden Sie mit der Subven-
tionierung alternativer Energien und der Förderung der
Kraft-Wärme-Kopplung 40 Prozent des Strommarktes
wieder aus dem Wettbewerb herausnehmen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412502000
Kollege Brüderle, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-
Schröter?


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1412502100
Ja, gerne. Ich habe sowieso
wenig Zeit.


(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1412502200
Kollege Brüderle, Sie
haben gerade über die Benzinpreise in den USA gespro-
chen. Was halten Sie davon, dass gerade die USA das
Land sind, das den höchsten CO2-Ausstoß pro Person inder ganzen Welt hat?


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit großem Abstand!)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1412502300
Wenn Sie bei dem Thema,
das wir diskutiert haben, die Behauptung aufstellen, Frau
Kollegin Mertens, dass niedrige Steuerbelastungen
zwangsläufig zu höheren Preisen führen – –


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freie Fahrt für freie Bürger! – Eva Bulling-Schröter [PDS]: Es geht um CO2!)


– Sie dürfen fragen, was Sie wollen. Ich antworte, was ich
will. Das ist im Parlament so.


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Ich bin zwar noch nicht fertig, Frau Kollegin Bulling-
Schröter, aber Sie können sich schon einmal setzen, wenn
es für Sie so zu hart ist.

Zur Frage der Kollegin Mertens: Dass die Steuerre-
duktion zwangsläufig zu höheren Benzinpreisen durch
eine Erhöhung der Konzerne führen würde, ist eine so
schlichte Milchmädchenökonomie, dass man sie so nicht
stehen lassen kann.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Sie nicht gefragt!)


Wer Beispiele aus Ländern wie den USA sieht, wird fest-
stellen, dass dort bei deutlich niedrigeren Steuerbelastun-
gen die Scheichs nicht zulangen. Das zeigt, dass die These
falsch ist. Er demaskiert eine Strategie,


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

die aufgrund der Politik der Grünen zulasten der kleinen
Leute und der Mittelstandsbetriebe in diesem Lande
Ideologien austobt. Das ist der Kernpunkt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie wollen in einem Restaurant ja auch nicht Kotelett ge-
liefert bekommen, wenn Sie Hering bestellen. Sie müssen
also schon beim Thema bleiben. Ich verstehe, dass es Ih-
nen unangenehm ist, wenn hier Wahrheiten ausgespro-
chen werden. Aber wir sind dafür da, dass hier Wahrhei-
ten ausgesprochen werden.


(Beifall bei der F.D.P. – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Horst Kubatschka [SPD]: Aber Sie kapieren nicht, wo es langgeht!)


Die Grünen schlagen als neues Instrument neuerdings
eine Abwrackprämie vor. Die einzige Prämie, die Sie kas-
sieren werden, wenn die nächste Stufe der Ökosteuer im
Jahre 2001 in Kraft tritt, wird auf den Stimmzetteln der
Wähler in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zum
Ausdruck kommen, die Ihrer dreisten Politik damit eine
Absage erteilen werden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie mal den Mund nicht so voll!)


Wir werden die Wahl zu einer Abstimmung über Ihre fehl-
geleitete Politik machen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412502400
Ich erteile der Kolle-
gin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1412502500
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie wissen, befürwortet
die PDS eine sozial gerechte und ökologisch wirksame




Rainer Brüderle

12007


(C)



(D)



(A)



(B)


Ökosteuer. Genau deshalb lehnen wir die rot-grüne
Ökosteuer ab, um die es heute ja geht.


(Beifall bei der PDS – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: PDS Seite an Seite mit Brüderle!)


Die Koalition hat mit ihrer Steuerkonstruktion die Idee
der Ökosteuer in Deutschland sowohl in sozialer als
auch in ökologischer Hinsicht diskreditiert. Ihre Beschäf-
tigungseffekte sind zu vernachlässigen. Deshalb können
wir sie in dieser Form auf keinen Fall unterstützen.

Damit wir nicht missverstanden werden: Wir lehnen
nicht das Ziel ab, den Umweltverbrauch teurer zu ma-
chen. Besser gesagt, wir sind dafür, die Subventionen für
Umweltverschmutzung, Ausplünderung der natürlichen
Ressourcen und die Zerstörung der Lebensbedingungen
künftiger Generationen abzuschaffen.


(Beifall bei der PDS)

Wer die Ökosteuer pauschal ablehnt, hat also die Nach-
haltigkeitsdiskussion verschlafen oder leidet – wie an-
scheinend Frau Merkel mit ihrer Stammtischkampagne –
an punktuellem Gedächtnisschwund. Sie, meine Herren
und Damen von der CSU, kann ich nur daran erinnern,
dass es in Ihren Reihen noch den Herrn Göppel gibt, den
umweltpolitischen Sprecher der CSU im Bayerischen
Landtag, der sich explizit für eine Ökosteuer ausspricht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der spricht sich ja jeden Tag für was anderes aus! – Gegenruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD]: Sie sprechen aber gut über Ihre Parteifreunde!)


– Sie diskreditieren Ihren eigenen Kollegen; das empfinde
ich nicht als fair.

Wir wollen eine intelligente Ökosteuer, die eine
Chance hat, zum zukunftsfähigen Umbau der Gesell-
schaft beizutragen, und einen grundlegenden Struktur-
wandel befördert. Dann muss sie auch nicht, was prak-
tisch ja gar nicht möglich ist, immer weiter nach oben
geschraubt werden, bis alle Umweltkosten internalisiert
sind. Wir wollen eine ökologische Steuerreform, die nicht
Menschen mit geringem Einkommen sozial ausgrenzt,
während Großunternehmen noch ein Schnäppchen ma-
chen.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS fordert deshalb eine neu gestaltete Ökosteuer
und nicht deren Abschaffung. Wir werden dazu einen An-
trag vorlegen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gut, sehr gut!)


Jürgen Trittin brüstet sich zur Verteidigung der Öko-
steuer damit, dass die Wirtschaft in dieser Stufe netto
– ich wiederhole: netto – um 2,2 Milliarden DM entlastet
wird. Davon spricht in diesem Haus nur die PDS. Dieses
Geschenk kommt daher, dass die großen Unternehmen
des produzierenden Gewerbes, insbesondere die Großun-
ternehmen, weitgehend von der Ökosteuer befreit werden,
während sie voll von der Senkung der Lohnnebenkosten
profitieren. Ich empfinde das, gelinde gesagt, als absurd.

Irgendwie verbinde ich mit der Ökosteuer keinen Sub-
ventionstatbestand für Konzerne und Banken.


(Beifall bei der PDS)

Am Ende bezahlen nur noch die Bürgerinnen und Bür-

ger sowie das Kleingewerbe und der Mittelstand die Ze-
che. Außerdem verteilt sich die Senkung des Arbeitneh-
meranteils an den Rentenbeiträgen ungleich, und zwar
ähnlich wie die Kilometer- oder Entfernungspauschale.
Auch wir haben in der letzten Legislaturperiode die ver-
kehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale gefor-
dert und unterstützen sie, geben aber zu bedenken, dass
die Konstruktion verändert werden sollte. Momentan be-
kommt derjenige mehr zurück, der mehr verdient; wer zu
arm ist, um Steuern zu zahlen, erhält gar keinen Aus-
gleich. Ihr Sozialpaket gleicht diese Probleme eben nicht
aus.

Ich möchte noch eine Bemerkung zur Heizkostenzu-
lagemachen, die wir sehr begrüßen. Fakt ist aber, dass da-
mit auf die Länder und auf die Kommunen jeweils zu-
sätzlich 1 Milliarde DM Kosten pro Jahr zukommen, die
der Bund nicht ausgleicht. Ich denke, so kann es nicht
sein.


(Beifall bei der PDS – Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Das ist ein Verschiebebahnhof! So ist es!)


Ihre Ökosteuer ist weder geeignet, es den Menschen ein-
facher zu machen, auf umweltfreundlichere Alternativen
umzusteigen, noch übt sie auf die Wirtschaft wirksamen
Druck aus, einen tatsächlichen Wandel in Technologie
und Produktion einzuleiten.

Wie wir heute zudem aus der Presse erfahren haben,
sollen die Unternehmen im Klimaschutz von umweltpo-
litischen Ambitionen unseres Hauses künftig verschont
bleiben. Von Selbstverpflichtung gegen Verzicht auf wei-
tere ordnungspolitische Regelungen seitens der Politik ist
im unterschriftsreifen Papier die Rede. Einen solchen
Freifahrschein, Herr Trittin, hat noch nicht einmal Frau
Merkel ausgestellt. Das „ND“ titelt: „Bundesregierung
befreit Wirtschaft vom Klimaschutz“. Ich denke, so kann
es natürlich auch nicht gehen.


(Beifall bei der PDS)

Wer von Ökosteuer spricht, der sollte von Ökologie

sprechen. Die Ökosteuer soll zum Verkehrsumbau und
zum Übergang von einer fossil-atomaren Energiewirt-
schaft zur Solarwirtschaft sowie zu einer umweltverträg-
lichen Mobilität beitragen. Ich könnte noch einiges andere
hinzufügen; aber meine Redezeit ist fast abgelaufen. Wir
könnten noch über den Nahverkehr, über die Bahn und die
Abschaffung der Interregios – der Kollege Schmidt hat
dazu leider nichts gesagt – reden. Wir müssen uns jetzt
entscheiden. Wir brauchen einen ökologischen und sozi-
alen Weg, um Akzeptanz bei der Bevölkerung wirklich
herzustellen.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412502600
Ich erteile dem Kolle-
gen Reinhard Schultz, SPD-Fraktion, das Wort.




Eva Bulling-Schröter
12008


(C)



(D)



(A)



(B)



Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1412502700
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An sich wäre es
doch intellektuell redlicher, Herr Brüderle und Herr
Rauen, dass Sie dann, wenn Sie wirklich helfen und mit-
hilfe von Steuerpolitik Energiepreise regulieren wollten,
hier den Antrag stellten, dass die Mineralölsteuerer-
höhung um 55 Pfennig, die während Ihrer Regierungszeit
zustande gekommen ist, sofort zurückgenommen wird,
statt Ihre Bemühungen auf die 6 Pfennig zu reduzieren,
die unter unserer Verantwortung hinzugekommen sind.


(Beifall bei der SPD – Peter Rauen [CDU/ CSU]: 6 Pfennig! Ich bitte Sie!)


Diese 6 Pfennig werden an die Arbeitnehmer und an die
Wirtschaft dadurch komplett zurückgegeben, dass wir die
Rentenversicherungsbeiträge gesenkt haben und auf nied-
rigem Niveau stabil halten können, womit wir auch das
Versorgungsniveau unserer Rentner auskömmlich halten
können.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Sie wissen doch, dass das nicht stimmt!)


Wenn Sie heute fordern, dass die Ökosteuer abge-
schafft wird, dann ist das nicht nur wie das Abgeben Ihrer
politischen Verantwortung an der Garderobe von Mine-
ralölkonzernen und Ölscheichs; vielmehr müssen Sie uns
dann auch erklären, ob Sie die Rentenversicherungs-
beiträge auf 25 Prozent anheben oder ob Sie meiner Oma
stattdessen lieber die Rente kürzen wollen;


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


denn anders als bei Ihren Erhöhungen der vergangenen
Jahre gibt es für die Einnahmen aus der Ökosteuer eine
klare Zweckbestimmung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist rechtlich gar nicht zulässig!)


– Natürlich ist das rechtlich zulässig. – Mit Ausnahme
derjenigen 2,5 Millionen DM, die wir für erneuerbare
Energien ausgeben, weil wir den Strom aus erneuerbaren
Energien besteuern müssen, geht dieses Geld komplett in
die Rentenkasse des Bundeshaushalts.

Um Sie zu beruhigen und den Spekulationen entge-
genzutreten – ich denke, auch unser verehrter Herr Bun-
desfinanzminister wird das gleich tun –: Das gilt natürlich
ebenfalls für die Zukunft. Nach unserem Ökosteuerkon-
zept wächst die Ökosteuer bis zum Jahr 2003 in fünf
Schritten von jeweils 6 Pfennig an. Dadurch entsteht ab
dem Jahr 2003 ein Einnahmevolumen, das auf die Dauer
dazu beitragen wird, mit den generationsbedingten Pro-
blemen der Rentenversicherung fertig zu werden, die
Beiträge stabil zu halten und das Versorgungsniveau der
Rentner über 2003 hinaus zu sichern.

Die Ökosteuer ist ein wichtiger Bestandteil des Ren-
tenreformkonzeptes. Sie dient entscheidend zur Stabili-
sierung des Generationenvertrages, also des Vertrauens
zwischen der jungen, aktiven Generation und der älteren
Generation, die im Ruhestand ist und sich darauf verlas-
sen muss, dass sie gute Renten bekommt.

Wenn Sie heute fordern, die Ökosteuer abzuschaffen,
dann stellen Sie den Generationenvertrag und seine Sta-
bilität infrage. Auch das müssen die Rentner und die jun-
gen Beitragszahler wissen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie die weitere Entwicklung von Umweltsteuern nach
2003 aussehen wird, wird sich dann entscheiden. Dabei
spielt natürlich die Energiepreiskulisse eine Rolle. Wenn
also die Preise selber möglicherweise die Funktion über-
nehmen, die die Ökosteuer bislang übernommen hat, wird
man das einkalkulieren müssen. Wir wollen ja niemanden
quälen,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das tun Sie aber!)


sondern wir wollen neben der Absicherung der Renten zu-
gleich erreichen, dass das Verhalten sich zum Energiespa-
ren hinneigt, Wettbewerbs- und Preisgleichheit für erneu-
erbare Energien entstehen und Strom, Wärme und andere
Energien möglichst effizient hergestellt und genutzt wer-
den. Dazu leisten wir, wie ich denke, auch durch die Öko-
steuer einen wertvollen Beitrag.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Gas geben für die Wende!)


Es ist überhaupt nicht zu bestreiten und keiner von uns
ist davon begeistert, dass die geplanten kleinen und kal-
kulierbaren Schritte einer Erhöhung der Ökosteuer durch
unkalkulierte Preisentwicklungen und -explosionen über-
lagert worden sind. Aber dafür hat doch nicht die Politik
gesorgt. Wir regieren weder in Kuwait, noch stellen wir
die Vorstandsvorsitzenden von Shell, BP oder Esso.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber die Einladung haben Sie gegeben!)


Das Ganze geschieht derzeit vielmehr auf dem von Ihnen,
Herr Brüderle, so geliebten Markt von Angebot und
Nachfrage. Derzeit wird hier die Angebotsmacht von der
Mineralölwirtschaft und den Erdöl produzierenden Län-
dern missbraucht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dem müssen wir natürlich auch im europäischen Konzert
der Industriestaaten etwas entgegenstellen, zum Beispiel
Nachfragemacht gezielter organisieren, um die Erdöl pro-
duzierenden Länder und die Mineralölkonzerne zu einer
Verstetigung ihrer Preispolitik zu zwingen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Eine Politik des Wachstums, damit der Euro wieder stärker wird, Herr Schultz!)


Diese muss kalkulierbar und vorhersehbar sein, wenn sich
die Wirtschaft und die Verbraucher darauf einstellen sol-
len. Dieses zeichnet unsere Ökosteuer aus, die Zeit dazu
lässt, dass die Industrie rechtzeitig sparsamere Aggregate
anbieten kann und sich der Verbraucher darauf einstellen
kann.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Öko-Sozialismus!)







(C)



(D)



(A)



(B)


– Das ist Marktwirtschaft pur. Das haben Sie in Ihrer Re-
gierungszeit nie zustande gebracht. Im Augenblick be-
mühen Sie sich seminaristisch darum, die Marktwirt-
schaft zu entdecken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Während der Zeit, als Sie Regierungsverantwortung tru-
gen, hat sie nicht stattgefunden.

Die Regierung macht ja nicht nur Ökosteuern,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie macht noch mehr Mist!)

sondern verstärkt mit dem Zukunftsinvestitionspro-
gramm, das die Koalitionsfraktionen gestern dankens-
werterweise verabschiedet haben, den Ansatz einer Poli-
tik, die weg von der Fixierung auf das Öl und hin zu
Energiesparen, zu erneuerbaren Energien und zum öffent-
lichen Personennahverkehr als Alternative zum individu-
ellen Autoverkehr führt. Es hat eine Größenordnung von
15 Milliarden DM über drei Jahre.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das haben Sie während Ihrer Amtszeit nie zustande ge-
bracht.


(Joachim Poß [SPD]: Nie! Nur Schulden gemacht!)


Wenn Sie etwas privatisiert oder verkauft haben, dann ha-
ben Sie diese Einnahmen in Haushaltslöcher gesteckt. Wir
konsolidieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Mit den eingesparten Zinsen finanzieren wir Zukunft:
„Zukunftsfähigkeit für Deutschland durch Energie-
wende“ lautet die Überschrift unseres Zukunftsinvesti-
tionsprogramms. Das haben Sie nie gemacht; wir machen
es.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, das kann sich auch gut sehen lassen: auf der ei-
nen Seite ein vorsichtiger, planvoller Umgang mit Ener-
giepreisen, auf der anderen Seite eine eindringliche Ein-
ladung an die Industrie und die Verbraucher, mit
Primärenergie, insbesondere mit Öl, möglichst sparsam
umzugehen.

Sie glauben doch wohl selber nicht, dass es in den
nächsten Jahren oder Jahrzehnten wieder einen nennens-
werten Einbruch bei den Ölpreisen geben wird. Wir müs-
sen uns schon jetzt darauf einstellen, dass die Ölpreise auf
hohem Niveau bleiben und nur dann sozialverträglich und
wirtschaftlich abgefangen werden können, wenn ein ra-
tioneller Umgang mit diesem Öl organisiert wird. Das ma-
chen wir nun in einem Umfang, wie es in der Bundesre-
publik bislang noch nie der Fall gewesen war.


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Außer Abzocken machen Sie gar nichts!)


Wir denken aber nicht nur auf lange Sicht, wie wir mit
den Zukunftsproblemen fertig werden, sondern wir rea-
gieren auch flexibel auf die Marktverzerrungen, die die
Ölpreisexplosion gebracht hat. Deswegen ist es natürlich
notwendig, denjenigen, die zur Arbeit fahren müssen, zu
helfen, damit die Ölpreisexplosion sie nicht hindert, mo-
bil auf dem Weg zur Arbeit zu sein. Deswegen erhöhen
wir die Möglichkeiten der steuerlichen Berücksichtigung
von Fahrten zum Arbeitsplatz und wandeln die reine
Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige
Entfernungspauschale um. Gleichzeitig wollen wir da-
mit – das liegt voll auf unserer Linie – eine Einladung zum
Umstieg auf andere Verkehrsmittel oder wenigstens zur
Bildung von Fahrgemeinschaften aussprechen. Wer sich
vernünftig verhält, der soll auch einen wirtschaftlichen
Vorteil davon haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch Vorschläge, durch vernünftiges Verhalten Geld zu
sparen oder sogar Geld zu verdienen, gehören zum markt-
wirtschaftlichen Handeln. Anders geht es doch nicht.

Im Übrigen bin ich davon überzeugt, dass unsere Poli-
tik bei den Landtagswahlen in zwei Flächenländern ho-
noriert werden wird.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Sie werden sich noch wundern!)


Wir bleiben nicht stur bei einer Linie, sondern wir werden
weiterhin flexibel auf die Entwicklungen reagieren.

Das Gleiche gilt natürlich auch für die Mieter. Wir kön-
nen niemandem eine Winterhilfe angedeihen lassen, auch
Ihnen nicht, Herrn Rauen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Ich brauche keine!)

Aber denjenigen, die unter der Heizkostenrechnung
wirklich leiden, werden wir helfen. Dazu zählen Mieter
mit einem geringen Einkommen und Mieter, deren Miete
über die Sozialhilfe gezahlt wird, die einen Wohngeldan-
spruch haben oder die BAföG beziehen und nicht zu
Hause wohnen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die zocken Sie doch vorher ab!)


Diese Gruppe wäre in ihrer Existenz möglicherweise ge-
fährdet, wenn man die Energiekostenexplosion sozusagen
ungebremst auf sie abwälzen würde.

Hier zu helfen ist unsere politische Verantwortung. Un-
sere politische Verantwortung ist aber nicht, sämtliche
Preisschwankungen auf den Milch-, Kognak-, Auto- oder
Mineralölmärkten durch die Politik aufzufangen.


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir müssen vielmehr beobachten, wo Notlagen entste-
hen. Dort haben wir flexibel reagiert und werden es wei-
terhin tun.

Das Gleiche gilt für die Bauern. Wir haben frühzeitig
angekündigt – also bevor die Ölpreise explodiert sind –,




Reinhard Schultz (Everswinkel)

12010


(C)



(D)



(A)



(B)


dass wir die Mineralölsteuerbelastung der Landwirtschaft
durch die Einführung von Agrardiesel deckeln wollen.
Das war zwar nicht das, was sich die Bauern gewünscht
hatten. Aber sie haben letztendlich akzeptiert, dass auch
die Landwirtschaft einen Konsolidierungsbeitrag leisten
muss und dass es keine Gruppe in der Gesellschaft geben
kann, die sich diesen Konsolidierungszwängen völlig ent-
ziehen kann. Die Bauern waren mit dieser Maßnahme zu-
frieden.

Aber natürlich hat der neue Preisanstieg insbesondere
im Dieselbereich die Belastung erhöht; die Sorgen sind
ganz gewaltig. Falls die Entwicklung so weitergeht, müs-
sen wir uns natürlich Gedanken darüber machen, ob wir
nicht reagieren sollten. Ich glaube nicht, dass wir schon
Entwarnung geben können. Nach den fürchterlichen Er-
eignissen in Israel und im arabischen Raum können wir in
den nächsten Wochen nicht damit rechnen, dass es zu ei-
nem Einbruch bei den Energiepreisen kommt. Wir müs-
sen uns also Gedanken machen, wie wir mit dieser Situa-
tion umgehen sollen.

Ich freue mich darüber, dass der Bundesrat mit den
Stimmen vieler Länder beschlossen hat, dass wir hin-
sichtlich der Besteuerung der Agrarkraftstoffe innerhalb
der EU einen vernünftigen Rahmen festlegen müssen, so-
dass das heute stattfindende Steuerdumping in Reinkultur
nicht zu dauerhaften Wettbewerbsverzerrungen und damit
zu großen volkswirtschaftlichen Schäden führt. Wenn wir
das schaffen, dann haben wir damit auch den Landwirten
geholfen. Schaffen wir es aber nicht, werden wir mögli-
cherweise kurzfristig über weitere Schritte nachdenken
müssen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wieder eine Nachbesserung!)


Der Bundesrat hat die Bundesregierung in diesem Fall
schon dazu aufgefordert. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht
dazu aber kein Anlass.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das sehen die Landwirte aber anders!)


Das Gleiche gilt auch für andere Betroffene.
Wenn die F.D.P. in ihrem Antrag zum Beispiel fordert,

dass die Kraftfahrzeugsteuer ersatzlos abgeschafft und
mit der Mineralölsteuer verschmolzen werden soll, dann
kann ich Ihnen nur sagen: Viel Vergnügen! Das würde
nämlich bedeuten, dass wir auf die hohen Energiepreise
noch 30 Pfennig aufgrund der Erhöhung der Mineralöl-
steuer draufsatteln müssten. Das zu vertreten wird ein un-
geheures Vergnügen sein. Aber davon abgesehen: Man
kann aus rechtlichen Gründen nicht so vorgehen; denn das
europäische Recht legt fest, dass insbesondere für LKWs
eine gewisse Mindestbesteuerung eingehalten werden
muss.

Darüber hinaus fordert die EU ausdrücklich auch, un-
ter Umweltgesichtspunkten die Kraftfahrzeugsteuer zu
spreizen. Dieses europäische Programm wurde 1999, also
noch zu der Zeit des Verkehrsministers Müntefering, von
allen europäischen Regierungen verabredet. Wir können
also keine Ausnahme bilden. Auch ich kann mich nicht
hinstellen und sagen, für mich persönlich gelte die

Straßenverkehrsordnung nicht, wenn ich mit 100 Stun-
denkilometer im innerörtlichen Bereich erwischt werde.
Natürlich gilt sie, wie auch das europäische Recht für das
deutsche Parlament gilt. Man kann also sagen, dass Sie
Alternativen anbieten, die es überhaupt nicht gibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass wir erstens durch eine ökologisch
orientierte Steuerpolitik, – die man sicherlich weiter-
entwickeln kann, indem wir auch in anderen Steuerbe-
reichen ökologische Leitgesichtspunkte berücksichtigen
und für eine dauerhafte Ökologisierung des gesamten
Steuersystems sorgen –, zweitens durch ein Programm,
das konsensual darauf angelegt ist, dass Wirtschaft und
Verbraucher Energie sparen, ökonomisch mit Ressourcen
umgehen, und zwar in kürzester Zeit, und das – wenn wir
uns politisch dahinter stellen – dazu beitragen wird, dass
auch neue Technologien, wie zum Beispiel die Brenn-
stoffzelle, viel schneller eine massenhafte Wirkung errei-
chen, als die Industrie es selber geglaubt hat, und drittens
durch eine flexible, sozialpolitisch motivierte Abfederung
von Energiepreisschwankungen für schwache Gruppen in
der Bevölkerung eine Politik machen, die vertrauens-
würdig ist und das Attribut „zukunftsfähig für Deutsch-
land“ verdient.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412502800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Schindler, CDU/CSU-Fraktion.


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1412502900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, ich
muss natürlich gleich einiges klarstellen. Sie sprechen
von 6 Pfennig Ökosteuer. Aber in diesem Jahr haben wir
einschließlich der Mehrwertsteuer, die Herr Eichel ja gerne
mitnimmt, eine Belastung von insgesamt 14 Pfennig.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: So ist es! Der kann besser rechnen als der Kanzler!)


Zweitens bin ich überrascht über das Lob hinsichtlich
der vernünftigen Verwendung der Zinsen, die durch die
Einnahmen aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen einge-
spart werden. Ich kann mich noch an den Streit, auch in
diesem Parlament, bei der Postreform erinnern, bei der es
um die Privatisierung der Post ging. Der heutige Finanz-
minister – Herr Eichel, Sie sind heute Morgen dankens-
werterweise anwesend; ich vermisse Ihren Kollegen
Herrn Funke, der eigentlich auch anwesend sein müsste,
da es um den Agrardiesel geht –,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

damals noch Ministerpräsident, hat seinerzeit gegen die
Lizenzverkäufe gestimmt. Ich gönne uns allen diesen Er-
lös, aber Vater dieser Idee war die alte Koalition. Das
muss ich einmal trocken feststellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Reinhard Schultz (Everswinkel)


12011


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sprechen heute über die Ökosteuer und in diesem
Zusammenhang auch darüber, was man den Bauern damit
Gutes tut. Dass man die Ökosteuer, wie 1998/99 be-
schlossen – vorgegeben von Oskar Lafontaine, von Kanzler
Schröder gewollt; die Grünen waren hellauf begeistert –,


(Joachim Poß [SPD]: So stellt sich klein Fritzchen die Welt vor!)


nicht im europäischen Konsens, sondern, ideologisch ver-
rannt, nur in Deutschland eingeführt hat, ist die Ursache
allen Übels.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Man muss dies noch einmal deutlich sagen, weil unsere

Parteivorsitzende, Frau Merkel, in den letzten Tagen und
Wochen von Ihnen gerne auf die – im wahrsten Sinne des
Wortes – linke Tour genommen wurde. Wir waren immer
der Auffassung, dass die Ressourcen, die nur endlich
vorhanden sind, vernünftig verwendet werden müssen.
Aber wir können das in Deutschland nicht alleine
durchziehen und dadurch Wettbewerbsnachteile in Kauf
nehmen; denn die gesamte Wirtschaft leidet darunter. Was
nun beschlossen und umgesetzt worden ist, bedeutet
großen Ärger, vor allem auch bei den sozial ärmsten und
schwächsten Schichten der Bevölkerung. Das sind eigent-
lich die großen Verlierer bei der Ökosteuer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jetzt wird Flickschusterei betrieben, wie Peter Rauen

das zu Recht dargestellt hat. Warum haben Sie die Entfer-
nungspauschale und die Heizkostenbeihilfe nicht schon
vor zwei Jahren beschlossen? Wir haben doch in der Op-
position deutlich darauf hingewiesen, welche Auswirkun-
gen die Ökosteuer hat.


(Widerspruch bei der SPD)

Herr Kollege Schultz, zur Klarstellung: Es geht in der

Konzeption Ihrer Entwürfe und Beschlüsse – auf das Jahr
2003 gesehen – nicht um 6 oder 12 Pfennig Belastung,
sondern um 30 Pfennig plus Mehrwertsteuer, also um eine
Belastung von – das kann sich jeder ausrechnen – 35 Pfen-
nig durch die Ökosteuer. 20 bis 38 Milliarden DM der
Einnahmen daraus werden umverteilt, zum großen Teil
auch in die Rentenversicherung.

Der gute Ansatz, dass dadurch etwas für unsere Um-
welt getan wird, wird von dem Kollegen von den Grünen
als großer Erfolg verkauft. Aber nur 300 Millionen DM
von den 30 oder 20 Milliarden DM werden lenkungspoli-
tisch in der Umweltpolitik eingesetzt. Es ist ein Armuts-
zeugnis, wenn wir über die sinnvolle Verwendung von
Einnahmen aus der Ökosteuer sprechen und nur läppische
300 Millionen DM dabei herauskommen. Da sind Sie zu
kurz gesprungen, wenn es Ihnen um Umweltschutz geht.

Ich bedaure, dass Bundeskanzler Schröder heute nicht
da ist. Aber die Bauern haben ihn vor 14 Tagen auf einem
SPD-Parteitag besucht. Da gab es eine nette Auseinan-
dersetzung in folgender Form: Was wollt ihr Bauern denn
– das bekommt man ja draußen immer zu hören –, ihr
bekommt ja im Hinblick auf die Ökosteuer eine Entlas-
tung. Dies zu vermischen – Herr Eichel, Sie werden ja da-
rauf eingehen – ist eine Unverschämtheit hoch drei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich muss Folgendes in Erinnerung rufen: 1999 haben
die deutschen Bauern aufgrund von Beschlüssen der al-
ten Koalition – das war auch damals immer ein
Streitpunkt – als Ausgleich für den Dieselverbrauch auf
ihren Feldern 850 Millionen DM bekommen. Man wollte
damit die in Europa bestehenden Wettbewerbsungleich-
heiten einigermaßen ausgleichen. Damals gab es bei den
Franzosen bereits eine Besteuerung von 12 bzw. 13 Pfen-
nig pro Liter. Wir lagen bei 23 Pfennig.

Was hat Rot-Grün jetzt angestellt? Sie bieten uns, der
deutschen Landwirtschaft, gnädigerweise einen neuen
Steuersatz von 57 Pfennig an, verkünden dies als große
Wohltat und sagen: Damit seid ihr Bauern im Hinblick auf
die Ökosteuer entlastet.

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschafts-
forschung hat festgestellt: Netto entsteht durch die Öko-
steuer allein bei der deutschen Landwirtschaft eine
Belastung von 1,1 Milliarden DM. Wir können keine
Gegenfinanzierung vornehmen, weil für uns ein Aus-
gleich über die Lohnnebenkosten nicht möglich ist. Nun
kommt es zum Wegfall der bisherigen Gasölbeihilfe und
zur Ökosteuerbelastung. Das macht 1,9 Milliarden DM
aus, wobei ich um 100 Millionen DM im Einzelnen gar
nicht streite. Jetzt bekommen wir gnädigerweise 700 Mil-
lionen DM angeboten. Nach Adam Riese bleiben 1,2 Mil-
liarden DM auf der Strecke.

Dafür sollen wir in der deutschen Landwirtschaft noch
dankbar sein? Herr Kollege Schmidt, die Bauern können
damit doch nicht zufrieden sein! Warum waren wir bzw.
die Bauernführer denn so spontan,


(Joachim Poß [SPD]: Zum Beispiel so wie die SPD!)


aber dennoch gemäßigt bei unseren Demonstrationen?
– Weil wir eine Gesamtverantwortung haben.
Aber nun nüchtern zu den Zahlen: Innerhalb von zwei

Jahren, Herr Finanzminister Eichel, werden der deutschen
Landwirtschaft 1,2 Milliarden DM weggenommen. An-
dererseits ist festzustellen, dass wir nicht die Möglichkeit
der Sonderabschreibung bei beweglichen Wirtschafts-
gütern und der linearen Abschreibung von 4 Prozent auf
Gebäude eingeräumt bekommen haben, dass man im
Forstbereich gemäß § 34 b des Einkommensteuergesetzes
nicht zu ermäßigten Steuersätzen in Höhe von einem
Achtel bei Kalamitätsnutzungen zurückgekehrt ist, dass
die Umsatzsteuerpauschale nicht bei 10 Prozent geblie-
ben ist und dass im Falle von Umstrukturierungen oder
Veräußerungen keine Gleichstellung mit den Kapitalge-
sellschaften erfolgt ist. Die Strafe dafür wird in zwei oder
drei Jahren kommen, wenn die Bilanzen und die Steuer-
erklärungen bei den Steuerberatern auflaufen und Wahlen
anstehen. Dass wir mit den Kapitalgesellschaften nicht
gleichgestellt wurden, deren Verkäufe von Anteilen im
Rahmen von betrieblichen Umstrukturierungen steuerfrei
gestellt wurden – das ist ja bei den Einzelpersonen-
gesellschaften nicht möglich –, das ist schon ein starkes
Stück. Das hat nichts mit Steuergerechtigkeit zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch im Hinblick auf die Grundsteuer ist einiges zu er-

warten. Auf Bundesebene wird gesagt: Mit der Grund-




Norbert Schindler
12012


(C)



(D)



(A)



(B)


steuer haben wir nichts am Hut. Vielleicht will man hier
intern eine Änderung herbeiführen; das wissen wir als
Opposition nicht. Bei der Mitfinanzierung der Entfer-
nungspauschale müssen ja die Bundesländer gefragt wer-
den. Herr Waigel


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– ich bevorzuge natürlich die Verantwortung des Mannes
mit dem anderen Namen; das ist aber leider nicht mög-
lich –, also Herr Eichel, ist da vielleicht intern geplant,
den Ländern Speck im Hinblick auf eine Neubewertung
im Bereich des Grundsteuerrechtes anzubieten, damit die
Länder einen Ausgleich für ihre Finanzausfälle erhalten?

Wenn man heute im Zusammenhang mit der Ökosteuer
eine Bilanz zieht, dann ist festzustellen, dass Rot-Grün für
die deutsche Landwirtschaft im Hinblick auf den Umsatz
unterm Strich ein Minus, also Geldverluste von mehr als
5 Milliarden DM pro Jahr erwirtschaftet hat. Angesichts
dessen sollen wir für die Gewährung von 700 Millio-
nen DM Danke schön sagen? Das ist wirklich eine sehr
traurige Bilanz.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dass wir mit unserem Antrag, wenigstens die franzö-

sischen Verhältnisse hier in Deutschland einzuführen,
versuchen, die im Vergleich mit anderen europäischen
Ländern bestehenden Wettbewerbsnachteile der deut-
schen Landwirtschaft, die sich zwischen Mainz und
Straßburg allein im Energiebereich bei etwa 100 DM pro
Hektar bewegen, auszugleichen, das ist nicht nur legitim,
sondern wäre auch sehr gerecht. Herr Finanzminister, Sie
reden ja selbst gerne davon, dass wir in Europa eine
Steuerangleichung betreiben müssen. Das ist auch unser
Auftrag, wenn wir Europa wirklich wollen. Aber gerade
hier klafft im Steuerrecht eine eklatante Gerechtigkeits-
lücke.

Die letzten Beschlüsse seitens der französischen
Regierung in diesem Bereich kritisiere ich auch. Der Satz
für Agrardiesel ist in Frankreich – jetzt halten Sie sich
fest, liebe Kolleginnen und Kollegen – von umgerechnet
12 noch einmal auf 6 Pfennig herabgesetzt worden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und der Finanzminister hier erhöht!)


Sie wissen das, Herr Finanzminister. Insofern müssten wir
unseren Antrag eigentlich erweitern. Deswegen ist diese
Bundesregierung in der Verantwortung.

Nächstes Jahr sind in Rheinland-Pfalz – ich komme ja
wie Herr Brüderle von dort – Landtagswahlen.


(Joachim Poß [SPD]: Sprechen Sie jetzt als Bauernpräsident oder als Politiker, Herr Schindler?)


Auch ich hätte mir gewünscht, dass man überlegt, ob man
von den 5 Milliarden DM Zinsersparnis im Zusammen-
hang mit den UMTS-Erlösen nicht einen Teil für ein Son-
derprogramm der deutschen Weinwirtschaft einsetzt. Ich
habe mit Überraschung gelesen, dass der Bundeskanzler
gerne französischen Rotwein trinkt. Damit man sich die-
ser Sache intensiver annimmt, habe ich mir erlaubt, Herr

Finanzminister, Ihnen heute morgen einen Pfälzer Dorn-
felder mitzubringen; eine weitere habe ich für den Bun-
deskanzler dabei.


(Hans Eichel, Bundesminister: Der ist gut geworden, den kenne ich! – Weiterer Zuruf des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Die nächste Flasche bekommen Sie.

(Heiterkeit)


Sie bekommen grünen Veltliner.
Es wird Zeit, dass man in diesem Haus wieder den Stel-

lenwert der deutschen Weine zu schätzen weiß. Wir
müssen im deutschen Parlament auf deutsche Produkte
stolz sein können.

Jetzt bekommen Sie die Flasche.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412503000
Lieber Kollege
Schindler, wir beobachten Ihr Tun alle mit Neid.

Ich erteile das Wort der Kollegin Ulrike Höfken, Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412503100
Sehr
geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Wein habe ich leider nicht zu verteilen. Aber wenn
ich das nächste Mal welchen mitbringen sollte, wird es
von der Mosel sein. Es geht ja nicht, dass nur pfälzischer
Wein verteilt wird.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das haben wir schon gemacht!)


Zur Steuerpolitik empfehle ich dem Kollegen
Schindler die Lektüre des Deutschen Bauernverbandes, in
der dieser erklärt, dass die Steuerreformen der Bun-
desregierung sehr wohl eine Entlastung für die deutsche
Landwirtschaft bedeuten. Er kritisiert lediglich, dass es
ein wenig langsam gehe. Aber immerhin, es gibt Entlas-
tungen. Das war unter Ihrer Regierung nicht der Fall.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Kommen Sie zu den Schandtaten, die Sie begangen haben!)


Also bitte: Diese Entlastung ist besser als gar keine.
Nach der zu beschließenden Einführung eines neuen

Besteuerungssystems für den in der Land- und Forst-
wirtschaft genutzten Diesel ist die Landwirtschaft in der
Situation, dass sie in diesem Bereich keine weiteren
Steuererhöhungen befürchten muss. Mit dieser Konstante
tragen wir, so ist unsere Auffassung, der Situation Rech-
nung, dass auf der einen Seite die Landwirtschaft – wie
andere auch – ihren Anteil an den Kosten der Straßenbe-
nutzung zu leisten hat, auf der anderen Seite ein Schlep-
per aber nun einmal eine Arbeitsmaschine ist, dessen Be-
trieb mit einem ermäßigten Steuersatz belegt werden
sollte.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie haben die Steuern fast verdreifacht!)





Norbert Schindler

12013


(C)



(D)



(A)



(B)


Insofern denken wir, dass die Einführung des Agrardie-
sels – im Übrigen ein von den Bauern lange gewünschtes
System – sinnvoll war.

Unterhalten müssen wir uns – das ist richtig – über die
Art der Ausführung und die Höhe der Besteuerung. In
diesem Zusammenhang sage ich deutlich: Eine Einfär-
bung des Agrardiesels wäre richtig gewesen. Verhindert
hat das der Deutsche Bauernverband. Es wäre sinnvoll
gewesen, weil man dann eine Lösung hätte finden kön-
nen, die die Liquidität der Betriebe verbessert hätte. Man
hat aber auf dem alten Erstattungsverfahren bestanden.
Jetzt schickt der DBV die Bauern zur Demonstration, ob-
wohl er selbst die Einführung eines gefärbten Agrar-
diesels verhindert hat, mit der die Liquidität verbessert
worden wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das ist dummer Stuss!)


Hieran wird die Scheinheiligkeit deutlich.
Zweitens zur Höhe der Bezugspreise im Dieselbereich:

Aktuell sind 857 Millionen DM an Gasölbeihilfe aus-
gezahlt worden, 22 Millionen DM mehr als im Haushalts-
plan angesetzt. Im nächsten Jahr wird es sowohl die
Zahlung der Gasölbeihilfe wie auch die Einführung des
neuen Agrardiesels geben; faktisch in gleicher Höhe. Dass
die Auszahlungstermine auf Wunsch des Bauernverban-
des divergieren, ist etwas anderes. Aber es ist unseriös,
wenn man versucht, all die Gesamtzahlungen an die
Landwirtschaft nicht vernünftig in Rechnung zu stellen.

Der nächste Punkt betrifft die Höhe der Bezugspreise
EU-weit. Sicher haben wir damit Probleme – ich verstehe
auch die Aufgeregtheiten –, wenn Länder wie Frankreich,
Italien oder die Niederlande hier staatliche Subventionen
geben und die Mineralölsteuern senken. Aber man muss
dann, wenn man eine Gleichstellung möchte – darauf
weise ich auch nicht zum ersten Mal hin –, auch ernsthaft
die Art und Weise der Verteilungspolitik in den anderen
europäischen Ländern prüfen. In Italien ist zum Beispiel
nur ein bestimmter Teil der Betriebe bezugsberechtigt.
Dort ist die Beihilfe erst vor kurzer Zeit um 230 Millio-
nen DM gekürzt worden. Ist das die Gleichstellung, die
Sie von uns einfordern? Oder nehmen wir Frankreich:
Auch dort ist das Bezugssystem auf einen engeren Kreis
der Berechtigten begrenzt.

Wenn man bei uns den Verteilungsschlüssel ändern
würde, könnte man auch den wenigen, die dann noch
berechtigt wären, mehr geben. Aber diese Forderung hat
der Bauernverband nicht erhoben; und wir auch nicht.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das ist doch heute Morgen keine Märchenstunde!)


Dies finden wir auch nicht richtig. Daher wäre die Forde-
rung nach Gleichstellung in fast allen Punkten der Agrar-
politik auf europäischer Ebene auch ein Schnitt ins eigene
Fleisch.

Nun komme ich zum wichtigsten Punkt, der Wettbe-
werbssituation bei den nachwachsenden Rohstoffen.
Wir haben eine Steigerung des Anbaus dieser Konkurrenz-
produkte zum Erdöl von 50 Prozent erzielen können. Der
Einsatz von Pflanzenölen, von biogenen Treib- und

Schmierstoffen in Land- und Forstwirtschaft sowie im
Gartenbau ist sinnvoll. Dies ist ein umweltsensibler Be-
reich. Dieses Produkt ist wettbewerbsfähig.

Sie möchten den französischen Bezugspreis von
79 Pfennig erreichen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das haben doch nicht Sie eingeführt! Das haben wir eingeführt!)


Die Erzeugungskosten beim Pflanzenöl betragen heute
80 Pfennig pro Liter. Das bedeutet, dass hinsichtlich des
Pflanzenöles, das für die Landwirtschaft zur Verfügung
steht, auf jeden Fall die Wettbewerbsfähigkeit und Gleich-
stellung zu Frankreich besteht. Der Unterschied beträgt
allenfalls einen Pfennig. Insofern kann ich schlecht ver-
stehen, dass man eine Wettbewerbsverzerrung zuunguns-
ten des Produkts der eigenen Landwirtschaft herbeireden
will und sich darauf konzentriert. Hier, in den erneuerba-
ren Energien, liegt die Zukunft. Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von CDU/CSU und F.D.P., haben es ver-
säumt, hier die technische Innovation rechtzeitig voran-
zutreiben und die Nutzung so vorzubereiten, dass dieses
Produkt in der Landwirtschaft zu 100 Prozent eingesetzt
werden könnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die RME-Verwendung ist auch heute möglich. Statt
dies selbst für die Landwirtschaft zu nutzen, gehen Sie hin
und wollen dies den Taxifahrern oder den privaten Auto-
fahrern anbieten. Hier muss man umsteuern und die
Möglichkeiten, die sich für die Landwirtschaft ergeben,
nutzen und die Politik unterstützen, statt die Bauern davon
abzuhalten.

Weiter zur Wettbewerbsfähigkeit: Wir haben im Be-
reich der Strom- und Wärmeerzeugung – ich erinnere an
das Erneuerbare-Energien-Gesetz –, auch Produkte der
Landwirtschaft, und zwar mit einer um 60 Prozent
besseren Vergütung in Form von Strom und Wärme. Dies
ist also allein bei diesem Beispiel Biomasse eine ganz
enorme Steigerung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Markteinführungsprogramm – übrigens aus der

Ökosteuer finanziert – führt nicht nur zur Kostenentlas-
tung, sondern ermöglicht auch entsprechende Deckungs-
beiträge, die man mit anderen Produkten in der Land-
wirtschaft nur sehr schwer erzielen kann. Wir fördern
Energieeinsparungen, Motorenumstellungen, Biomasse-
Anlagen und auch Kooperationen von Betrieben, um hier-
von nicht etwa kleine Betriebe auszuschließen. Wir
möchten zusätzlich im Bereich der Altbausanierung durch
Neubauten Energieeinsparungen ermöglichen, so zum
Beispiel im Gartenbau durch Unterstützung des Aus-
wechselns der Gewächshäuser. Darüber wird im Zusam-
menhang mit der Altbausanierung und den Bemühungen
zur CO2-Einsparung diskutiert. Das wird auch umgesetzt.Zu den weiteren Möglichkeiten, die wir gerade im Garten-
bau sehen, wird gleich Herr Thalheim noch etwas sagen.

Als Letztes möchte ich auf die Erzeugerpreise, die
ständig unter die Erzeugungskosten fallen, zu sprechen
kommen. 60 Prozent des Einkommens der Landwirtschaft




Ulrike Höfken
12014


(C)



(D)



(A)



(B)


kommen von staatlicher Seite. Es ist nicht so, dass wir
dies gewollt haben, aber es ist so. Hier besteht übrigens
kein Bezug zum Ölpreis. Aber die Landwirtschaft unter-
nimmt kaum Anstrengungen, um aus dieser Kostenfalle
herauszukommen, und zwar angeblich deshalb, weil
keine Marktposition gegenüber dem Handel vorhanden
ist.

Da stellt sich doch tatsächlich auf einer Bauernde-
monstration in Bitburg der Vertreter einer Molkerei – der
Milchunion – hin und erklärt, dass man die Milchpreise
leider Gottes nicht erhöhen könne bzw. sie sogar senken
müsse, obwohl die Energiekosten gestiegen seien. Da-
raufhin klatschen die Bauern. Sie lassen sich von ihren
Verarbeitern erzählen, die Preise müssten gesenkt wer-
den. Dafür gibt es Beifall. Das muss man sich einmal
vorstellen!


(Zuruf von der CDU/CSU: Eine ganz normale betriebswirtschaftliche Angelegenheit!)


Ich würde den Rat geben, einen Betriebsrat von
Mercedes oder Nestlé an die Spitze des Bauernverbandes
zu setzen. Ich glaube, dann entstünde in einem globalen
Markt eine bessere Position im Bereich der Erzeuger-
preise. Dann könnten die Verteilungskosten etwas anders
geregelt werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Idee!)


Mein allerletzter Punkt betrifft den Wettbewerb in der
EU.Die alte Bundesregierung hat die Programme, die Sie
jetzt kritisieren – massive Subventionsprogramme der
Niederländer in Bezug auf den Gaspreis und die Land-
wirtschaft –, gebilligt und unterstützt. Das müssen die
Bauern jetzt ausbaden. Der Vorwurf, den Sie jetzt er-
heben, bezieht sich auf genau diese Wettbewerbsver-
zerrungen. Sie hätten – denn die Situation war voraus-
zusehen; Erdöl ist endlich und eine Preiserhöhung ist
immer vorhergesagt worden – eine solche Marktverzer-
rung nie dulden dürfen.

Ich kann dazu nur sagen: Wir werden versuchen, aus
dieser Falle herauszukommen, und auf einer Harmoni-
sierung bestehen. Ich denke, dazu besteht aufgrund der
Wettbewerbsverzerrungen guter Grund. Der Anlass, dass
hier europäische Politik negativ in die Diskussion gerät,
muss auch für die Kommission Grund genug sein, hier
verstärkt über eine Harmonisierung nachzudenken.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412503200
Ich erteile das Wort
der Kollegin Marita Sehn, F.D.P.-Fraktion.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1412503300
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Liebe Frau Höfken, ganz kurz zum
Wein:


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zum Weinen ist das!)


In der Tat ist es so, dass hier in Berlin vielleicht etwas zu
wenig Moselwein getrunken wird. Das habe ich zum An-
lass genommen, vor zwei Wochen ein paar Flaschen in ei-
nem Rucksack hierher zu tragen und zu versuchen, ihn auf
die Listen in den verschiedenen Restaurants zu bekom-
men. Vielleicht können wir ja gemeinsam eine Aktion
starten, um zu versuchen, den Moselwein hier in Berlin
etwas populärer zu machen.


(Zustimmung bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Die Ökosteuer ist ökologisch kontraproduktiv, ökono-
misch unsinnig und sozial ungerecht.


(Beifall bei der F.D.P.)

Diese grundsätzlichen Fehler der Ökosteuer treffen sozial
Schwache und all diejenigen Berufsgruppen sehr hart, die
in besonderer Weise auf Treibstoffe angewiesen sind. Zu
den existenziellen Bedrohungen der Bus-, Speditions-
und Taxibranche durch die Ökosteuer ist bereits alles
gesagt worden. Aber genauso hart werden die Land- und
Forstwirte sowie der Gartenbau – hier insbesondere die
Unterglasbetriebe – getroffen.

Die Agrardieselregelung ist – mit Verlaub gesagt –
eine Mogelpackung.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie bringt keine Entlastung, sondern eine Belastung in
Höhe von mehr als 200 Millionen DM. Damit ver-
schlechtert Rot-Grün nochmals die ohnehin schon beste-
henden Wettbewerbsnachteile für die heimischen Land-
wirte. Während die Franzosen ihren Steuersatz auf Diesel
weiter reduzieren,


(Zuruf von der CDU/CSU: In Frankreich sind ja auch die Sozialisten am Werke!)


erhöhen SPD und Grüne den Agrardieselsteuersatz von
21 auf 57 Pfennige. Das muss man sich einmal überlegen!
Lieber Herr Staatssekretär Thalheim, das ist das glatte Ge-
genteil von dem, was Minister Funke immer fordert. Er
fordert nämlich den Abbau von Wettbewerbsverzerrun-
gen in Europa.

Noch dramatischer ist der direkte Vergleich von
deutschen und niederländischen Unterglasbetrieben im
Gartenbau. Von Anfang des Jahres 1999 bis heute sind die
Kosten für die Beheizung von Gewächshäusern um über
200 Prozent gestiegen.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Böse Multis!)

Heute zahlen deutsche Gartenbaubetriebe im Vergleich zu
ihren niederländischen Konkurrenten für den Liter Heizöl
das Dreifache. Damit drohen unweigerlich Arbeitsplätze
und Marktanteile verloren zu gehen.

Heute vor einer Woche habe ich einen Familienbetrieb
in Ockenfels am Rhein besucht. Dort konnte ich hautnah
erfahren, welches Ausmaß die unterschiedlichen Wettbe-
werbsbedingungen angenommen haben und in welche
Existenznöte gerade Familienbetriebe dadurch geraten.
Allein in diesem Betrieb sind mehr als 15 Arbeitsplätze
akut bedroht.

Auch früher war die Situation für die deutschen
Gartenbaubetriebe nicht gerade einfach. Aber durch




Ulrike Höfken

12015


(C)



(D)



(A)



(B)


Motivation und Innovation konnten die Betriebe diese
Unterschiede auffangen. Allerdings gibt es für jede An-
passung Grenzen. Die zusätzliche Verteuerung der Ener-
giekosten ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen
bringt. Die Betriebe fühlen sich in dieser Situation von der
Bundesregierung nicht nur im Stich gelassen, sondern
regelrecht dem Untergang preisgegeben.

Die F.D.P. fordert deshalb in einem Antrag die Bun-
desregierung auf, kurzfristig im Haushalt 2001 durch An-
passungsbeihilfen in Höhe von 300 Millionen DM die
Existenz von über 5 000 gefährdeten Betrieben mit mehr
als 30 000 Arbeitsplätzen im Gartenbau zu sichern.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schließlich sind Taten statt Worte gefragt, damit auf eu-
ropäischer Ebene diese eklatanten Wettbewerbsverzer-
rungen im Energiebereich endlich behoben werden. Herr
Minister Funke oder Herr Thalheim, ich fordere Sie auf:
Handeln Sie!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1412503400
Ich erteile der Kolle-
gin Kersten Naumann, PDS-Fraktion, das Wort.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1412503500
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Meine Kollegin Eva Bulling-Schröter
hat zur Ökosteuer bereits Grundsätzliches gesagt. Ich
möchte mich deshalb auf drei Probleme konzentrieren,
die die Landwirtschaft betreffen.

Erstens. Die PDS-Fraktion ist grundsätzlich für ein
Agrardieselgesetz; zum einen, weil damit auch weiterhin
der Besonderheit Rechnung getragen wird, dass in der
Landwirtschaft der Diesel vor allem auf dem Feld und
nicht auf der Straße verbraucht wird, zum anderen, weil
mit der Erhöhung des Nettosteuersatzes die Hinwendung
zu alternativen, nicht fossilen Energieträgern ökonomisch
lohnender werden könnte.

Das funktioniert jedoch nur, wenn dafür auch die ma-
teriellen und technischen Bedingungen zügig geschaffen
werden. Das eigentliche Problem sehe ich aber darin, dass
die von der Bundesregierung konkret vorgelegte Lösung
sowohl wirtschaftlich wie sozial kaum vertretbar ist.


(Beifall bei der PDS)

Wieder trifft es die Bäuerinnen und Bauern. Ihre Steuer-
belastung ist im Verhältnis zu den Landwirten in anderen
EU-Ländern wesentlich größer. Wenn der Nettosteuer-
satz je Liter Diesel von 21 Pfennigen Anfang 1999 auf
57 Pfennige ab dem nächsten Jahr ansteigt, so ist das fast
eine Verdreifachung. Das einstimmige Votum der Agrar-
ministerkonferenz für 47 Pfennige ist daher das Mindeste,
was in diesem Gesetzentwurf Aufnahme finden sollte.


(Beifall bei der PDS)

Werte Kollegen von der CDU/CSU, anscheinend hat

sich der Bundesfachausschuss der CDU mit den Agrar-
ministern der von Ihnen regierten Länder nicht abge-
stimmt; denn auch sie haben der Forderung nach 47 Pfen-
nigen und nicht nach 12 Pfennigen zugestimmt.

Zweitens. Ich komme zum Antrag der PDS: „Betrieb-
liche Obergrenze von 3 000 DM Gasölbeihilfe zurück-
nehmen“. Er steht heute zur Abstimmung. In der ersten
Lesung am 24. Februar 2000 hielt es keiner der Redner
der anderen Fraktionen und auch nicht Minister Funke für
notwendig, darauf einzugehen. Die Landwirte in Ost-
deutschland haben das wieder einmal mit Enttäuschung
registriert.

Es ist mehr als eine politische Peinlichkeit, dass im
zehnten Jahr der deutschen Einheit vor allem ostdeutsche
Landwirtschaftsbetriebe bei der Gasölbeihilfe massiv be-
nachteiligt werden.


(Beifall bei der PDS)

Es handelt sich hier um einen an Schizophrenie grenzen-
den Akt politischer Unaufrichtigkeit. Die gleichen Leute,
die die 3 000-DM-Obergrenze geschaffen haben, verkau-
fen den mit dem Agrardieselgesetz verbundenen künf-
tigen Wegfall dieser offensichtlichen Diskriminierung als
Beleg einer auf Chancengleichheit ausgerichteten Agrar-
politik.

Worin besteht die Diskriminierung? Eine Agrar-
genossenschaft von 1 500 Hektar hat Einbußen von mehr
als 50 000 DM jährlich. Je größer der Betrieb, desto
größer die Einbußen. Doch benachteiligt werden auch
Wieder- und Neueinrichter. So bekommen die von
der Obergrenze betroffenen Haupterwerbsbetriebe auf
35 Prozent der Fläche keine Verbilligung.

Meine Damen und Herren von der Koalition, die Land-
wirte erwarten von Ihnen, dass Sie für das Jahr 2000
Chancengleichheit schaffen,


(Beifall bei der PDS)

zumal diese in den Vorjahren – zumindest auf diesem
Feld – gegeben war und ab dem Jahr 2001 auch wieder
gelten soll. Es ist dafür noch nicht zu spät, da die Gasöl-
beihilfe für das Jahr 2000 erst im Jahr 2001 zur Auszah-
lung kommt.

Zum dritten Problem. Die Situation der Unterglasbe-
triebe im Zierpflanzen- und Gemüseanbau ist drama-
tisch. Die betroffenen Gärtner dürfen mit den Folgen der
Explosion der Heizölpreise als besonders stark Betroffene
nicht allein gelassen werden.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)

Über die verheerenden Folgen sind sich hoffentlich alle
hier im Haus klar, zumal eine Abwälzung der seit Anfang
1999 auf fast das Dreifache gestiegenen Heizölkosten auf
die Kunden ein aussichtsloses Unterfangen wäre. Unter
den Bedingungen des EU-Binnenmarktes mit leider noch
nicht harmonisierten Energiesteuern hätten hochsubven-
tionierte Konkurrenten ein leichtes Spiel, weitere Anteile
auf dem deutschen Markt zu erobern. Das wäre das wirt-
schaftliche Aus für viele Betriebe. Damit verbunden ver-
größerte sich das Heer der Arbeitslosen in den ländlichen
Regionen und unökologische Ferntransporte würden un-
sere Umwelt noch mehr belasten. Wollen Sie das, meine
Damen und Herren von der Koalition? Wenn nicht, muss
die Politik regulierend eingreifen.


(Beifall bei der PDS)





Marita Sehn
12016


(C)



(D)



(A)



(B)


Zierpflanzen und Gemüse sollten trotz Globalisierung
vor Ort produziert und regionale Wirtschaftskreisläufe er-
halten werden. Unser Antrag fordert deshalb einen Bund-
Länder-Nothilfefonds, um den akut existenzbedrohten
Unternehmen schnell zu helfen. Gleiches verfolgen die
Anträge der CDU/CSU und der F.D.P. Der Unterschied
zu unserem Antrag besteht allerdings darin, dass wir nicht
nur fordern, sondern vorschlagen, woher das Geld kom-
men soll, nämlich aus den nicht geplanten Steuermehr-
einnahmen. Wir haben das in der schriftlichen Antrags-
begründung am Beispiel der Umsatzsteuer deutlich
gemacht. Da hauptsächlich der Bund und die Länder vom
ruinösen Preisanstieg profitieren, ist es keine unlautere
Forderung, diese unerwarteten Mehreinnahmen von min-
destens 100 Millionen DM zur Unterstützung der ge-
nannten Betriebe einzusetzen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Rudolf Seiters)

Abschließend begrüße ich ausdrücklich die Ankündi-

gung des Bundesministers Funke, ein Energiesparpro-
gramm Unterglasgartenbau aufzulegen. Reserven liegen
auf der Hand, so zum Beispiel das große Energieeinspar-
potenzial, das gerade in Ostdeutschland bei der Moderni-
sierung oder beim Ersatz veralteter Gewächshäuser vor-
handen ist. Das ist ein Gebot der Vernunft und ein
wirklicher Beitrag zur Verhinderung der Klimakatastro-
phe.


(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Werte Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie den An-
trägen der PDS zu und lassen Sie den heutigen Tag,
Freitag, den 13., zum Glückstag der Bäuerinnen und Bau-
ern werden!


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412503600
Ich gebe nunmehr
dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412503700
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zunächst möchte ich mich bei Ihnen, Herr Kollege
Schindler – er ist im Moment leider nicht da; dann werde
ich es noch persönlich nachholen –, für den Dornfelder
herzlich bedanken.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der probiert seinen Rotwein!)


– Am frühen Vormittag Rotwein zu trinken, davor muss
ich warnen. – Das muss ich den pfälzischen Winzern las-
sen: Aus dem Dornfelder haben sie einen richtig guten
Wein gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Früher hat man den nur verwendet – 15 Prozent Verschnitt
durfte ja sein –, um den Spätburgunder dunkel zu machen;
heute kann man ihn als eigenständige Rebsorte trinken.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das ist ein toller Wein!)


Das ist wirklich gut gelungen. Eine herzliche Gratulation
dazu, was sie aus dem Dornfelder gemacht haben.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Von Wein verstehen Sie etwas!)


– Ja, ich komme aus Kassel und bin geborener Biertrin-
ker. Wenn man aber acht Jahre in Wiesbaden gelebt hat,
dann ist man gelernter Weintrinker. Wein zu trinken ist ein
Genuss und ich bin auch für deutschen Wein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der F.D.P.)


Das erste Thema heute ist die Ökosteuer. Sie von der
F.D.P. wollen sie weg haben. Wenn es Ihnen damit aber
wirklich Ernst gewesen wäre, hätten Sie den Antrag zum
Beispiel um den 1. Januar oder den 1. April vergangenen
Jahres gestellt.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Haben wir doch!)

– Vorsicht! Ich komme gleich auf Sie zu sprechen. – Aber
nein, Sie stellen den Antrag in dem Augenblick, in dem
die Heizöl-, Benzin- und Dieselpreise ordentlich steigen,
und wollen damit suggerieren, das habe etwas mit der
Ökosteuer zu tun.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das hat es doch auch!)


– Ehe Sie sich aufregen, will ich Ihnen eine Grafik zeigen,
in der ich alles habe einzeichnen lassen: Die unterste
Kurve, die am wenigsten steigt, stellt die Belastung durch
die Ökosteuer dar, die Kurve darüber, die vergleichsweise
immer noch wenig steigt, die Belastung durch den Euro.
Die Kurve darüber bezieht sich auf den Rohölpreis. Sehen
Sie das?


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie wirken wie ein Oberlehrer!)


An dieser Entwicklung sind übrigens weniger die OPEC-
Staaten als vielmehr die Mineralölkonzerne beteiligt, die
ihre Gewinne von einem Jahr auf das andere um 150 Pro-
zent gesteigert haben und die ihren Sitz in den Vereinig-
ten Staaten haben. Wenn Sie sich jetzt über die steigenden
Preise – das empört mich zum Teil auch – beschweren,
dann gehen Sie nicht die deutsche Bundesregierung an,
sondern endlich die Konzerne, anstatt für diese Propa-
ganda zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Von wem sind Sie eigentlich gewählt? Sie müssen sich
nur unsere Aufstellung anschauen; die sagt bereits alles.
Wir werden sie auch schön publizieren, damit jeder im
Lande sieht, wer hier die Preise hochtreibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Oberlehrer!)


Des Weiteren: Es ist, meine Damen und Herren von der
F.D.P. – bei der CDU ist es nicht anders –, offenbar ein
Riesenunterschied, ob man in der Opposition ist – wenn
auch nicht so lange – oder in der Regierung. An den




Kersten Naumann

12017


(C)



(D)



(A)



(B)


1,10DM Steuern, die wir in Form von Mineralölsteuer
auf Benzin erheben, – die Ökosteuer ist insofern damit
vergleichbar –, sind Sie durch Maßnahmen während Ihrer
Regierungszeit mit 95 Pfennig beteiligt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das werden wir natürlich auch in den Landtagswahl-
kämpfen deutlich machen: 95 Pfennig von 1,10 DM Mi-
neralölsteuer sind mit Ihrer Beteiligung von der damali-
gen Regierung beschlossen worden.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Federführend!)


Der Unterschied ist der: Sind Sie in der Regierung, er-
höhen Sie die Mineralölsteuer, sind Sie in der Opposition,
dann sind Sie dagegen. Da Sie fast die ganze Zeit in der
Regierung waren, haben Sie alle Erhöhungen mitge-
macht. Übrigens haben Sie, CDU und F.D.P., in Ihrer Re-
gierungszeit im Schnitt – das könnte ich Ihnen auch noch
vorrechnen – pro Jahr eine höhere Belastung durch die
Mineralölsteuer hingekriegt als wir mit der Ökosteuer.
Das wollen wir alles richtig festhalten.

Nur: Was machen wir mit der Ökosteuer? Damit kom-
men wir zu den entscheidenden Unterschieden. Die Frage
ist nicht, ob man das Mineralöl stark oder weniger stark
besteuert; das haben Sie stärker gemacht als wir.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ökologisch!)

Die entscheidende Frage ist, was wir damit machen, und
die Antwort darauf ist sehr einfach: Wir haben zum ersten
Mal damit begonnen, das Geld, das wir dadurch zusätz-
lich bekommen – die Ökosteuer hat uns bisher 17 Milli-
arden DM eingebracht – dafür zu verwenden, um die
Rentenversicherungsbeiträge zu senken. Der Renten-
versicherungsbeitrag ist bei uns nämlich in derselben Zeit
von 20,3 Prozent auf 19,3 Prozent gesunken und ein Bei-
tragspunkt bedeutet 16 Milliarden DM. Wir haben es also
wie geplant umgesetzt: Was wir mit der Erhöhung ein-
nehmen, setzen wir zur Senkung der Lohnnebenkosten
ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jetzt mache ich Ihnen Ihre Bilanz für die Regierungs-
zeit Kohl auf: Sie haben damals die Mineralölsteuer um
51 Pfennig erhöht, in der gleichen Zeit sind die Lohnne-
benkosten aber von 34,9 Prozent auf 42,3 Prozent gestie-
gen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wegen der Wiedervereinigung!)


Das heißt: Sie haben beides heraufgesetzt. Sie haben die
Mineralölsteuer stärker erhöht, als wir es tun, und gleich-
zeitig die Lohnnebenkosten dramatisch hochgetrieben
und damit zum Arbeitsplatzabbau beigetragen. Damit
sind Sie den kleinen und mittelständischen Betrieben
richtig an die Gurgel gegangen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Sie stehen heute noch nicht zur deutschen Einheit!)


Nicht ohne Grund war ja in Ihrer Regierungszeit die Zahl
der Insolvenzen sehr viel höher als bei uns.

Es ist übrigens sehr schön, heute das „Handelsblatt“
aufzuschlagen. Da steht: „Steuern und Abgaben steigen
rasant“. Die Überschrift ist allerdings ein bisschen falsch,
da in dem Artikel die Jahre 1993 und 1998 verglichen
werden; er nimmt also auf Ihre Regierungszeit Bezug. Die
Überschrift hätte also heißen müssen: „Steuern und Ab-
gaben stiegen rasant“. Die nächste Bilanz wird ganz an-
ders aussehen. Bei Ihnen stiegen in den fünf Jahren die
Einkommensteuerbelastung um 13 Prozent, die Lohnne-
benkostenbelastung, die Pflichtbeiträge zu den Sozialver-
sicherungen, um 28 Prozent und die Einkommen der Ar-
beitnehmer um ein Prozent.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hört, hört!)


Das ist die Bilanz Ihrer Regierung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Haben Sie schon einmal etwas von Wiedervereinigung gehört?)


– Sie können so viele Begründungen nachschieben, wie
Sie wollen.

Ich halte also fest: Der Unterschied in der Politik be-
steht nicht darin, ob man die Mineralölsteuer erhöht oder
nicht – Sie haben sie stärker erhöht als wir –, der Unter-
schied besteht darin, ob man gleichzeitig die Lohnneben-
kosten ordentlich senkt, die Arbeitnehmer entlastet,
Chancen für Arbeitsplätze schafft und kleine und mittlere
Betriebe, die arbeitsintensiv sind, entlastet oder nicht. Das
ist der erste bemerkenswerte Unterschied.

Der zweite bemerkenswerte Unterschied: Sie haben
die Diskussion nicht in der Zeit um den 1. Januar herum
gesucht, sondern Sie haben es jetzt getan. Sie werden das
immer dann zu wiederholen versuchen, wenn gerade die
Preise steigen.

Übrigens gab es heute Morgen einen besonders inte-
ressanten Fall: Auf den Weltrohölmärkten hat sich nichts
geändert, aber im Nahen Osten sind schlimme Dinge pas-
siert und fast über Nacht ist der Rohölpreis um 10 Dollar
je Barrel gestiegen. Das sollten Sie den Menschen einmal
erklären und Sie sollten nicht so tun, als seien die 6 Pfen-
nig Ökosteuer Ursache für den Preisanstieg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was eigentlich halten Sie von Demokratie? Was halten
Sie von mündigen Bürgern und was halten Sie von einer
ehrlichen Diskussion mit den Menschen?


(Joachim Poß [SPD]: Davon verstehen sie nichts! Das setzt ehrliche Menschen voraus!)


Eine ehrliche Diskussion mit den Menschen zu führen
heißt – das ist Unterschied Nummer drei –, den Menschen
zu sagen: Wir müssen lernen, mit weniger Energiever-
brauch auszukommen. – Erster Satz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)





Bundesminister Hans Eichel
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(D)



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(B)


Zweiter Satz: Wir müssen es lernen, mit anderen Energie-
trägern auszukommen. Die fossilen sind endlich und sie
zu verbrennen ist umweltgefährdend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Jetzt komme ich wieder zur F.D.P. Es hängt offenbar
doch am größeren Koalitionspartner, verehrte Kollegin-
nen und Kollegen von der F.D.P. Als wir in den 70er-Jah-
ren zusammen in der Regierung waren, haben wir die Mi-
neralölsteuer erhöht – nicht so stark, aber wir haben es
getan. Wir hatten zwei Ölpreiskrisen. Was haben wir ge-
macht? Wir haben eine konsequente Politik zur Energie-
einsparung und zur Energieeffizienz betrieben und zum
Beispiel das KWK-Ausbauprogramm – Zukunftsinvesti-
tionsprogramm hieß das damals – und das Fernwärme-
ausbauprogramm aufgelegt. Kaum waren Sie in den 80er-
Jahren mit der CDU/CSU in der Koalition, ist das alles
beendet worden. Hätten Sie doch wenigstens das, was Sie
damals mit uns gemeinsam zur Verbesserung der Ener-
gieeinsparung und der Energieeffizienz gemacht haben, in
die nächste Koalition hinübergerettet!

Sie hatten übrigens einmal Politiker, die einen hohen
ökologischen Anspruch hatten – sie waren auch wirklich
gut –: zum Beispiel Werner Maihofer und Gerhart Baum,
auch Peter Menke-Glückert, der mein Denken, was öko-
logische Fragen angeht, in den frühen 70er-Jahren nicht
unmaßgeblich beeinflusst hat. Das war alles vergessen,
als Sie die Koalition gewechselt haben.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Abgeschoben!)


Wenn wir diese Politik in den 80er- und 90er-Jahren, als
Sie zusammen mit der CDU/CSU in der Regierungsver-
antwortung waren, nur fortgesetzt hätten – ich will gar
nicht darüber reden, was gewesen wäre, wenn Sie das
konsequent weiterentwickelt hätten –, dann wären wir
heute weniger vom Öl abhängig und dann würden sich die
Preisschwankungen an den Rohölmärkten bei uns weni-
ger stark auswirken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen ist die Antwort drittens: Wir müssen eine
Politik machen, die zu mehr Energieeffizienz und dazu
führt, dass wir weg vom Öl kommen. Genau das tun wir
mit dem 100 000-Dächer-Programm, das zur Energieein-
sparung in Gebäuden führt


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich!)


– da wird man auch bei Unterglasbetrieben etwas ma-
chen können –, und vielen anderen Dingen.

Darüber hinaus führen wir – diese Debatte wird
schön – die verkehrsmittelunabhängige Entfernungs-
pauschale ein. Sie steht übrigens in allen Wahlprogram-
men: bei der CDU, bei der CSU, bei der F.D.P., bei der
SPD und auch bei der PDS.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, so ist das!)


Ich hoffe also, wir bekommen einen einstimmigen Be-
schluss zur Einführung der Entfernungspauschale zu-
stande.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Bundesrat auch!)


Jetzt müssen Sie allerdings aufpassen, meine Damen
und Herren. Der Witz an der Veranstaltung ist der: Sie
wollen nur 50 Pfennig; das stand in Ihrem Steuerkonzept.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Pfui!)


Wir wollen die ursprünglich vorgesehenen 70 Pfennig auf
80 Pfennig aufstocken, weil uns die Pendler ein bisschen
Leid tun. Auch das wird noch eine spannende Debatte.

Wenn übrigens der bayerische oder der baden-würt-
tembergische Ministerpräsident – ein besonderer Auto-
mann – Schwierigkeiten bei der Entlastung der Autofah-
rer haben sollte, so muss er nur die 2,5Milliarden DM, die
die Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer im nächsten Jahr
bringt, zurückgeben. Mehr muss er gar nicht tun. Das
wäre schon eine richtig schöne Leistung. Ich will das gar
nicht vertiefen, weil ich weiß, dass auch die sozialdemo-
kratisch geführten Länder damit Probleme haben. Aber
man sollte nicht immer nur Einsparvorschläge zulasten
anderer machen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie nehmen die Ökosteuer und die anderen sollen es bezahlen!)


Wenn also der bayerische oder der baden-württembergi-
sche Ministerpräsident meint, er müsse etwas für die Au-
tofahrer tun, dann hat er ein wunderbares Instrument: Er
muss nur auf die Mehreinnahmen aus der Kraftfahrzeug-
steuer verzichten – mehr muss er gar nicht tun – und wir
machen unsere eigenen Aufgaben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412503800
Herr Bundesfinanz-
minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Ilja Seifert?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412503900
Ich
glaube, ich habe keine Zeit mehr.

Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen. Wir
haben – das sage ich wieder an die Adresse der Vertreter
der F.D.P. – heute wie damals, nur in einer anderen Koa-
lition, die Probleme sozial abgefedert. Der Heizkosten-
zuschuss ist keine Erfindung dieser Bundesregierung.
Das haben wir in den 70er-Jahren schon einmal gemacht,
weil wir auch damals davon ausgegangen sind, dass es
Menschen gibt, die die gestiegenen Heizkosten finanziell
nicht verkraften können. Übrigens ist das der Bereich, in
dem die Ökosteuer überhaupt keine Rolle spielt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)





Bundesminister Hans Eichel

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(D)



(A)



(B)


Wenn Sie die Heizkosten in der Heizperiode 1999/2000
mit denen der Heizperiode 2000/2001 vergleichen, dann
werden Sie feststellen, dass die Steuern zuletzt am
1. April 1999, also vor Beginn der damaligen Heizpe-
riode, erhöht worden sind, und zwar um 4 Pfennig. Ob-
wohl die Ökosteuer überhaupt keine Auswirkung auf den
Preis des Heizöls hat, sind gerade beim Heizöl die höchs-
ten Preissteigerungsraten zu verzeichnen. Der Vergleich
der beiden Heizperioden belegt, dass der Heizölpreis von
40 bis 60 Pfennig pro Liter – je nachdem, wann man da-
mals Heizöl eingekauft hat – auf 1,10 DM pro Liter ge-
stiegen ist, obwohl die Steuern überhaupt nicht erhöht
wurden. So sieht die Situation aus!

Fazit: Was müssen wir tun? Erstens. Wir müssen eine
Politik machen, die konsequent zu mehr Energieein-
sparungen führt. Wir müssen weg von den fossilen Ener-
gieträgern, insbesondere vom Öl.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Wir müssen dafür sorgen, dass die Men-
schen, die durch die Energiepreissteigerungen besonders
betroffen sind – wir sind für diese nicht verantwortlich –,
mit besonderer sozialer Sensibilität behandelt werden.

Die Länderregierungen profitieren übrigens auch von
der momentanen Entwicklung. Die Länderhaushalte se-
hen besser aus als der Bundeshaushalt. Ich habe vor zwei
Tagen vorgetragen, dass der Gesamtstaat bereits 2004
kein Defizit mehr haben wird – der Bund wird noch ein
Defizit haben –, weil die Länder und Gemeinden nach ih-
rer eigenen Planung Überschüsse aufweisen werden.

Wenn wir sozial anständig sein wollen, müssen wir
auch alle unsere Verpflichtungen erfüllen. Nichts, was wir
in diesem Bereich vorschlagen, ist neu. An die Adresse
der Kollegen von der F.D.P. sage ich: Das haben wir
gemeinsam schon anlässlich der Erdölpreissteigerungen
in den 70er-Jahren gemacht. Wenn Sie sich daran erin-
nern, dann wird sich die Debatte, die Sie bisher geführt
haben, entspannen.

Dass wir mit unserer Politik auf dem richtigen Weg
sind


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und dass die Ökosteuer mitnichten die Leistungskraft der
Wirtschaft beeinträchtigt, sehen Sie schon an Folgendem:
Als wir die Regierungsverantwortung von Ihnen über-
nommen haben, hat Deutschland hinsichtlich des Wirt-
schaftswachstums den zweitletzten Platz in der Eurozone
belegt. In der heutigen Ausgabe des „Handelsblattes“ –
Eurostat hat seine neuesten Zahlen veröffentlicht – kön-
nen Sie nachlesen: Deutschland ist mit seinem Wirt-
schaftswachstum unter den großen Volkswirtschaften
Spitzenreiter in der Europäischen Union. Von wegen
zweitletzter Platz! Das ist das Ergebnis unserer Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412504000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ernst Hinsken für die CDU/CSU-Fraktion.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1412504100
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Eichel, Sie ha-
ben versucht, Verschiedenes schönzureden. Der Versuch,
so meine ich, ist total misslungen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Und wie! Gründlich misslungen!)


In Oberlehrermanier haben Sie hier gesagt, man müsse
den Menschen lehren, mit Energie sparsamer umzugehen.
Sie haben mit der Knüppel-aus-dem-Sack-Methode ge-
droht. Die Menschen sind nicht so dumm, wie Sie meinen;
denn sie wissen selbst, was gemacht werden muss. Sie
werden nicht von Ihnen lernen; vielmehr werden sie Ih-
nen bei den nächsten Wahlen etwas lehren. Das prophe-
zeie ich Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Minister Eichel, Sie haben scheinbar nicht mitbe-

kommen, warum die Mineralölsteuer während der Zeit
der alten Regierung erhöht worden ist. Ist die deutsche
Einheit eigentlich an Ihnen vorbeigegangen? Haben Sie
gemeint, das Geld regne wie Manna vom Himmel?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sind Sie bereit, endlich anzuerkennen, dass es dringend
erforderlich war, zusätzliche Mittel zu beschaffen, die
speziell den neuen Bundesländern zur Verfügung gestellt
werden mussten? Wir haben ein anderes Verhältnis zu den
neuen Bundesländern, als Sie auch heute wieder zum Aus-
druck gebracht haben. Sie haben Ihre Rede unter dem
Motto „Haltet den Dieb!“ gehalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Trittin – er ist momentan nicht da –, ich habe vor

drei Tagen eine schöne Karikatur in der „Landshuter Zei-
tung“/„Straubinger Tagblatt“ gesehen. Darin hat jemand
ein Schild in der Hand, auf dem steht: „Weg mit der Öko-
steuer.“ In einem Auto, das sich vor dieser Person befin-
det, sitzt Herr Trittin und schreit: „Wenn Du Dein Auto
schiebst, Michel, kostet der Sprit überhaupt nichts.“ So
einfach ist es. Das kann jemand sagen, der den Dienst-
wagen benutzt, der keinen Führerschein hat, deshalb
nicht Autofahren darf und überhaupt nicht weiß, was der
Sprit kostet und welche Belastung dies für den Bürger
darstellt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, nichts bewegt derzeit die

Menschen mehr als die hohen Mineralölpreise. An mei-
nen Unterschriftenständen stehen die Leute Schlange.
Man braucht niemanden anzusprechen. Jeder fragt, ob er
sich in die Liste eintragen darf. Es kann nicht verschwie-
gen werden, dass dieses Thema bei Meinungsumfragen
das Thema Nummer eins ist und damit sogar das Thema
der Sorge um den Arbeitsplatz verdrängt.

Jeder ist betroffen: der kleine Mann bis zum Selbst-
ständigen, der Student bis zum Rentner, der Sozialhilfe-
empfänger bis zum Beamten, der Bauer genauso wie der
Transportunternehmer, der Taxi- oder Omnibusunterneh-
mer. Von allen wird gefordert, dass die Ökosteuer – ich
meine, dass sie nicht Ökosteuer, sondern „Ökosozialis-




Bundesminister Hans Eichel
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(A)



(B)


tensteuer“ heißen sollte – möglichst schnell abgeschafft
wird, und dies zu Recht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Herr Hinsken, der kalte Krieg ist zu Ende! Die Kommunisten sind ausgestorben!)


Die Ökosteuer ist ökonomisch blanker Unsinn, ökolo-
gisch nutzlos, sozial zutiefst ungerecht und schafft zudem
Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas.

Schon der Begriff Ökosteuer ist irreführend. Bei dieser
Gelegenheit möchte ich darauf verweisen, dass sich die
Belastung für die Bundesbürger, die das bezahlen müssen,
bis zum Jahre 2003 auf insgesamt 127 Milliarden DM
beläuft. So viel wird ihnen aus der Tasche genommen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wie kommen Sie denn darauf? Sie können nicht mit Geld umgehen! Herr Hinsken, Sie müssen einmal einen Taschenrechner benutzen!)


– Erstens stimmt die Zahl und zweitens können wir rech-
nen. Ich bin gerne bereit, Ihnen meine Unterlagen zu ge-
ben. Dann können Sie dies nachrechnen.

Nach der zweiten Ökosteuerrunde beträgt der Steuer-
anteil 70 Prozent. Das – dies muss heute gesagt werden –
ist der dritthöchste Anteil in ganz Westeuropa bzw. der
Europäischen Union.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412504200
Herr Kollege
Hinsken, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1412504300
Selbstverständlich.

Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1412504400
Lieber Kollege

Hinsken, könnten Sie noch einmal erklären, warum sich
der umweltpolitische Sprecher der Landtagsfraktion der
CSU in Bayern nicht an der Aktion der CDU/CSU betei-
ligt hat und sogar explizit für eine Ökosteuer eintritt? Er
ist der Umweltexperte der CSU und – wie man in Bayern
sagen würde – nicht auf der „Brennsuppn daher-
gschwomma“. Auf Hochdeutsch heißt das: Er ist kein
Dummer. Er muss doch Gründe dafür haben.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1412504500
Kollege Göppel ist der
Vorsitzende des Arbeitskreises Umweltschutz in der CSU
und kann als Vorsitzender dieses Arbeitskreises seine
Meinung immer äußern. Ich lege aber ausdrücklich Wert
darauf, dass er in diesem Zusammenhang nicht für die ge-
samte CSU spricht. Hier haben andere das Sagen und
nicht Herr Göppel. Bitte setzen Sie sich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, das, was wir hier zu ver-

zeichnen haben, ist eine pure Mineralölsteuererhöhung.
Sie erhöht nicht nur die Preise für Benzin, Diesel und
Heizöl, sondern paradoxerweise auch für Busse, Bahnen
und die regenerativen Energien. Diese Steuer trifft die Be-
völkerung und die Wirtschaft mit voller Wucht und wirft
ihr Knüppel zwischen die Beine. Sie bremst den Auf-
schwung und gefährdet Arbeitsplätze. So weit aber haben
Sie wahrscheinlich nicht gedacht.

Herr Eichel, es muss doch auch Ihnen zu denken geben,
wenn die Inflationsrate innerhalb der Jahresfrist von
0,9 Prozent auf 1,7 Prozent angestiegen ist. Das ist fast
das Doppelte. Es ist Augenauswischerei, wenn die Herren
Schröder, Eichel und Trittin das, was dem Bürger über die
Steuerreform in die Tasche geschoben wird, wieder he-
rausziehen.


(Heinz Wiese [Ehingen] CDU/CSU: Taschendiebe!)


Meine Damen und Herren, gerade die Menschen im
ländlichen Raum sind hier besonders betroffen. Sie sind
auf das Auto angewiesen, sie können auf das Auto nicht
verzichten. Für sie ist es auch ein Stück Lebensqualität.
Aber Sie haben sich schon so weit von den Menschen ent-
fernt, dass Sie nicht mehr in der Lage sind, das zu erken-
nen.

Das Transportgewerbe ist ein Bestandteil unseres
Versorgungssystems und kann als Lebensnerv des länd-
lichen Raumes bezeichnet werden. Es wird von der Öko-
steuer ganz hart betroffen. Ich habe deshalb auch Ver-
ständnis dafür, wenn sich Fuhrunternehmer und LKW-
Fahrer auf die Straße begeben, demonstrieren und bei
Ihnen Vernunft einfordern. Sie wollen doch nichts ande-
res als solche Bedingungen, wie sie in Frankreich,
Italien, Belgien und den Niederlanden gegeben sind. Die
dortigen Regierungen haben für die Sorgen der Menschen
Verständnis. Das vermissen wir leider Gottes bei Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dann wird immer davon geredet, mehr Transporte auf

die Schiene zu verlagern. Ist Ihnen denn überhaupt be-
kannt, dass 80 Prozent aller Gütertransporte mit dem
LKW auf Strecken unter 100 Kilometern stattfinden? Da
rentiert es sich doch gar nicht, die Güter auf die Bahn zu
geben. Herr Schmidt von den Grünen, Sie stellen hier
ständig die Forderung auf, dass die Bahn mehr Menschen
befördern soll. Ich bin nicht im Aufsichtsrat der Deut-
schen BahnAG; da sitzen Sie. Sie waren früher immer ei-
ner derjenigen, die laut getönt haben, dass der Bahn nicht
mehr weiter Mittel entzogen werden dürften, weil die
Bahn ansonsten ihren Aufgaben nicht nachkommen
könne. Was macht die Bahn heute? Wie sollen in Zukunft
mehr Menschen befördert werden, wenn die Bahn eine
Ausdünnung ohnegleichen vornimmt? Sie wird dazu
führen, dass die Menschen überhaupt nicht mehr mit der
Bahn fahren können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.])


Viele Transportunternehmer stehen vor dem Ruin. Sie
werden seit 1998 mit sage und schreibe 14 200 DM höher
belastet. Auch viele Busunternehmer wissen nicht mehr,
wie sie über die Runden kommen sollen. Herr Eichel, ist
es Ihre vielgerühmte Politik für den Mittelstand, dass Sie
für diese mittelständischen Unternehmen überhaupt
nichts übrig haben?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch die Bauern werden durch die Entwicklung, die

wir zu verzeichnen haben, benachteiligt. Kollege
Schindler ist bereits darauf eingegangen; auch Kollege




Ernst Hinsken

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(D)



(A)



(B)


Deß mahnt immer wieder Verbesserungen für die Bauern
an. Auch hier müssen wir von einer verfehlten Politik der
Bundesregierung sprechen, die momentan in Amt und
Würden ist.

Meine Damen und Herren, wenn dann Herr Verkehrs-
minister Klimmt erklärt, er sei um eine europaweite Lö-
sung bemüht, dann kann ich dazu nur sagen, dass die Be-
troffenen davon nicht leben können. Sie werden praktisch
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet. So etwas be-
zeichnet man bei uns im Volksmund schlicht und einfach
als ein Begräbnis erster Klasse.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.])


Hier lassen Sie die Interessen unserer Mitbürger nicht so
einfließen, wie es sich gehörte, wenn man auf europä-
ischer Ebene erfolgreich sein will.

Ist es nicht paradox, meine Damen und Herren, wenn
beim Heizöl zunächst die Preisspirale in Gang gesetzt
wird, dann aber zur Kostensenkung wieder ein Zuschuss
aus Steuermitteln gegeben wird? Es ist doch geradezu wi-
dersinnig, Steuererhöhungen mit Steuermitteln auszuglei-
chen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie kennen wohl die Sätze nicht, Herr Kollege! 4 Pfennige!)


Lassen Sie mich zum Schluss noch auf eines verwei-
sen, meine Damen und Herren: Ich bin ja auch Touris-
muspolitiker. Jüngst hat die Bundesregierung das Jahr
2001 zum Jahr des Tourismus in Deutschland ausgerufen.
Besteht vielleicht der Beitrag der Bundesregierung darin,
dass das Urlaub-Machen in Deutschland teurer wird, dass
ein Durchschnittsbetrieb in der Gastronomie mit ungefähr
10 000 DM zusätzlich belastet wird und dass der Sprit-
preis in die Höhe schnellt, sodass die Fahrt zum Urlaubs-
ort auch noch teurer wird?
Das passt alles nicht zusammen. Deshalb meine ich, dass
Ihre Politik in diesem Fall vom Ansatz her falsch ist.

Sie sind – nicht nur von uns, sondern auch von vielen
Millionen Mitbürgern im Lande, die sich zu artikulieren
versuchen – aufgerufen, diese Ökosteuer möglichst
schnell in den Papierkorb wandern zu lassen. Die Öko-
steuer – die „Ökosozialistensteuer“, wie ich sie nenne – ist
nicht zeitgemäß und muss abgeschafft werden. Dafür
wollen wir eintreten und dafür werden wir kämpfen. Ich
prophezeie Ihnen: Sie werden noch mehr Widerstand als
bisher überwinden müssen, weil die Bürger nicht mehr
bereit sind, das hinzunehmen, was Sie ihnen aufoktroyie-
ren.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412504600
Das Wort hat nun-
mehr der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundes-
minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten,
Dr. Gerald Thalheim.

D
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1412504700


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Am Ende der Debatte werden wir über einige Anträge ab-
zustimmen haben, die zumindest hinsichtlich ihrer finan-
ziellen Auswirkungen bemerkenswert sind. Die von der
CDU/CSU und der F.D.P. geforderte Einführung von
Heizöl als Kraftstoff in der Land- und Forstwirtschaft
würde bezogen auf das Jahr 2000 eine Steuerminderein-
nahme von insgesamt 1,6 Milliarden DM bedeuten. Eine
Absenkung des Sondersteuersatzes um weitere 10 Pfen-
nig je Liter hätte eine zusätzliche Steuermindereinnahme
von 200 Millionen DM zur Folge.

Diesen Forderungen auf Steuerverzicht stehen umge-
kehrt erhebliche Forderungen in den aktuellen Haus-
haltsberatungen nach Mehrausgaben gegenüber. Die
CDU/CSU fordert, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ um
100 Millionen DM aufzustocken.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Sie vorher gestrichen haben!)


– Kollege Hornung, nicht gestrichen. Es handelt sich um
das gleiche Ausgabenvolumen wie 1998. Das war das
letzte Jahr, das Sie zu verantworten haben. Dass Sie vor-
her gestrichen haben, ist nicht unser Problem.


(Zuruf von der SPD: Das endgültig letzte Jahr!)


– Das endgültig letzte Jahr. Vielen Dank für den Hinweis.
Die CDU/CSU fordert, im Agrarhaushalt 2001 die Mit-

tel für die Alterssicherung der Landwirte um 450 Mil-
lionen DM zu erhöhen. Bei der Unfallversicherung for-
dert sie ein Mehr von 200 Millionen DM und eine
Vorruhestandsregelung soll im Umfang von 150 Milli-
onen DM neu aufgenommen werden. Die Antisubventi-
onspartei F.D.P. fordert Anpassungshilfen für den Unter-
glasgartenbau in Höhe von 300 Millionen DM.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das muss auch sein! Richtig!)


Die Union hat angekündigt, dass sie diesen Antrag unter-
stützen wird. Außerdem fordert die F.D.P. 150 Mil-
lionen DM mehr für die landwirtschaftliche Unfallversi-
cherung. Die Forderungen summieren sich auf fast
3 Milliarden DM.

Dem steht keine Mark für die Gegenfinanzierung ge-
genüber. Bliebe ich bei der Wortwahl der Vorredner von
der CDU/CSU oder von der F.D.P., müsste ich das
„dreist“ oder „unverschämt“ nennen. Ich nenne es: un-
seriös, heuchlerisch und gefährlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist unseriös, weil es die Fortsetzung der Politik des

Schuldenmachens in der Opposition bedeutet. Diese Poli-
tik hat schon bei der damaligen Regierung in die Kata-
strophe geführt. Kollege Hinsken, da hilft auch der Hin-
weis auf die deutsche Einheit nicht. Gerade Sie aus
Bayern sollten da sehr vorsichtig sein.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber unverschämt!)


Ich nenne als Stichwort das „Schloß-Karee“ in Chemnitz
und die Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft.




Ernst Hinsken
12022


(C)



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(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412504800
Herr Kollege
Thalheim, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

D
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1412504900

Wenn der Gedanke zu Ende geführt ist, sofort.

Beim „Schloß-Karree“ in Chemnitz hat eine bayeri-
sche Städtebaugesellschaft zugegebenermaßen erheb-
liche Millionen versenkt. Das Finanzproblem der deut-
schen Einheit ist die unseriöse Finanzierung. Über die
letzten zehn Jahre musste vieles korrigiert werden. Ge-
rade im landwirtschaftlichen Bereich werden wir das wei-
terhin tun müssen, Stichwort „LPG-Altschulden“.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das war Ihnen nie genug!)


Diese Abschreibungsruinen, Stichwort „Schloß-Karree“,
müssen von den Steuerzahlern am Ende mitfinanziert
werden. Diese schlimme Fehlleitung von Mitteln hat zu
diesen hohen Belastungen geführt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Also Sie beschweren sich über Investitionen in den neuen Bundesländern!)


Herr Präsident, jetzt bin ich für Zwischenfragen bereit.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412505000
Herr Kollege
Hollerith hat zunächst die Möglichkeit, eine Zwi-
schenfrage zu stellen. Wenn Sie gestatten, fragt danach
der Kollege Hinsken.

D
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1412505100

Sehr gerne.


Josef Hollerith (CSU):
Rede ID: ID1412505200
Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, zum Stichwort „Seriosität der Gegenfinan-
zierung“: Ist Ihnen bekannt, dass die höheren Energie-
preise zu Milliarden Mehreinnahmen bei der Mehrwert-
steuer führen, die eine seriöse Gegenfinanzierung
möglich machen?

D
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1412505300

Herr Kollege, angesichts eines Bundeshaushalts, in dem
die Zinsausgaben 82 Milliarden DM betragen, ist es unse-
riös, von einer Gegenfinanzierung über höhere Steuerein-
nahmen zu reden.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Selbst bei einem Bundeshaushalt, bei dem die Neuver-
schuldung immerhin noch 46 Milliarden DM beträgt, ist
es aus demselben Grunde unseriös, davon zu reden, dass
höhere Steuereinnahmen eine Gegenfinanzierung bedeu-
ten würden.


(Beifall bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Verrat am eigenen Volk!)


– Na, Siegfried!


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412505400
Herr Kollege
Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1412505500
Herr Staatssekretär
Thalheim, Sie haben hier die Bauruine in Chemnitz ange-
sprochen. Ich gebe zu, das ist ein Makel. Könnten Sie aber
in diesem Zusammenhang nicht doch anerkennen und so
wie wir froh und glücklich darüber sein, dass viele Wes-
sis bereit waren, dem Osten Aufbaubeihilfen zur Verfü-
gung zu stellen und dort Gelder zu investieren? Oder sind
Sie vielmehr der Meinung, das hätte es nicht gebraucht,
man hätte das auch aus eigener Kraft geschaffen?

Ein zweiter Aspekt: Man bräuchte den Bundesbürgern
ja nur zu raten, nicht nur in die neuen Bundesländer zu
fahren, sondern, wenn irgendwie möglich, auch noch
nach Tschechien. Das wäre Anschauungsunterricht. Man
könnte sehen, wie es früher, also vor zehn Jahren, war und
wie es sich in der Zwischenzeit entwickelt hat. Sind Sie
bereit, auch diese Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen
und mit mir in der Öffentlichkeit zu vertreten?

D
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1412505600

Herr Kollege Hinsken, ich kritisiere nicht die Unterstüt-
zung und das Engagement. Ich kritisiere vielmehr, dass
falsche Instrumente verwendet wurden, insbesondere die
Abschreibungsvergünstigungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Von wem?)


Mit diesen Abschreibungsvergünstigungen sind die fal-
schen Objekte gebaut worden. Das gilt nicht nur für das
„Schloß-Karree“. Jedes Mal, wenn ich vom Flugplatz
Leipzig nach Hause fahre, fahre ich an Glasgebäuden vor-
bei, an denen seit zehn Jahren groß zu lesen steht: „zu ver-
mieten“. Wenn man durch die neuen Länder fährt, findet
man so etwas häufig. Das heißt, die falschen Leute haben
das Geld für falsche Objekte bekommen. Zuschüsse an
die vor Ort Ansässigen wären ein richtiges Instrument ge-
wesen. Aber das wäre bei der Klientel, die Sie zu vertre-
ten haben, nicht angekommen. Das ist zu diesem Thema
zu sagen, Herr Kollege Hinsken.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ist der Mann wirklich Staatssekretär? Das ist ja nicht zu fassen!)


– Mit gutem Grund. Das werde ich Ihnen gleich beweisen.
Die Vorschläge, die ich als unseriös eingestuft habe,

sind auch heuchlerisch. Allein in der Zeit, in der ich dem
Hohen Hause angehöre, also seit 1990, ist die Mineralöl-
steuer – das ist heute mehrfach gebracht worden – auch
auf Diesel um 18 Pfennig angehoben worden. In dieser
Zeit ist die Gasölbeihilfe nicht gesenkt worden. Das heißt,
auch in der Zeit von 1990 bis 1998 mussten die Bauern die
volle Last dieser Erhöhung tragen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Und jetzt?)







(C)



(D)



(A)



(B)


Mit dem gleichen Argument, Kollege Schindler, mit dem
Sie das damals begründet haben, nämlich dem Transfer in
die Sozialkassen, sind die Mineralölsteuererhöhungen zu
begründen, die seit 1998 vorgenommen wurden.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Mehrwertsteuererhöhung hat viel mehr gebracht!)


Diese Argumentation ist auch gefährlich, weil bei den Be-
troffenen der Eindruck entsteht, man könnte per Be-
schluss die höheren Kosten für Benzin und Diesel einfach
rückgängig machen. Das stimmt nicht. Die Ursache sind
die Preiserhöhungen. Deshalb ist es wichtig, dass sich die
Betroffenen, auch die Landwirtschaft, darauf einstellen.
Wir haben in diesem Bereich einiges getan und werden
Weiteres tun. Ich komme darauf zurück.

Weiterhin ist richtig – das ist auch deutlich gemacht
worden –, dass die Be- und Entlastungen aus der Öko-
steuer im landwirtschaftlichen Bereich weit auseinander
fallen und aus diesem Grunde die Agrarpolitiker der SPD,
unterstützt von einer breiten Mehrheit von Politikern aus
dem Bündnis 90/Die Grünen und auch aus unserer Partei,
gesagt haben, wir müssen hier zu einer Sonderregelung
kommen. Der Kollege Schultz hat sie begründet. Ich freue
mich, dass wir heute die erste Lesung des Agrardiesel-
gesetzes haben. Für die Zukunft legt es eindeutig einen
Steuersatz von 57 Pfennig je Liter fest. Damit wird die
Landwirtschaft von weiteren Steuererhöhungen ausge-
nommen. Das ist das, was finanzpolitisch zu verantwor-
ten ist.

Auf diese Weise können wir jedoch nicht die Wettbe-
werbsverzerrungen in den Griff bekommen, die es inner-
halb Europas gibt. Aber auch hier möchte ich dezent da-
rauf hinweisen, dass sie nicht in den letzten zwei Jahren
entstanden sind, sondern die Ursachen dafür weit zurück-
liegen. Gerade die Agrarpolitiker hier im Raum wissen,
wie schwer es ist, alte Gleise zu verlassen. Wir werden uns
um eine Lösung bemühen; denn es geht nicht an, dass wir
in einem gemeinsamen Binnenmarkt eine unterschiedli-
che Energiebesteuerung haben.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Aha!)

Die Restrukturierungsrichtlinie, die 1997 schon einmal
auf dem Tisch lag, muss wieder hervorgeholt werden.
Bundesminister Funke wird das Anliegen auf dem nächs-
ten Agrarrat am 18./19. Oktober vortragen.

Aber auch bei der Diskussion um die Wettbewerbs-
fähigkeit des Agrarstandorts Deutschland mahne ich et-
was zur Vorsicht. In der „Top Agrar“ von diesem Monat
ist zu lesen, wie katastrophal die Situation der Milchvieh-
halter in Großbritannien ist. Dort gibt es einen Ertrags-
einbruch von 40 Prozent. Die niederländischen Betriebs-
leiter beschweren sich über ein rigides Düngergesetz und
versuchen, in Deutschland Betriebe zu kaufen oder zu
pachten. Diese Unternehmen kommen doch nicht nach
Deutschland, um Verluste zu machen. Sie wollen Geld
verdienen, eingedenk der Agrarpolitik, die diese Bundes-
regierung macht. Wir tun vieles; Frau Kollegin Höfken
hat schon darauf hingewiesen.

Wir haben eine ähnliche Situation wie 1973. Die Um-
orientierung auf Energieeinsparung ist wichtig. Ferner ist

es wichtig, dass biogene Energieträger wettbewerbsfähig
werden, wie Sie dies immer gefordert haben, und dass es
bei der Zusage für die Biodieselregelung bleibt. Wir for-
dern, dass die Einnahmen aufgrund der höheren Preise an
die Landwirtschaft weitergegeben werden. Wir fordern
die Bauern auf, die Möglichkeiten des Stromeinspei-
sungsgesetzes und des Programms „Bioenergie“ zu nut-
zen. Ich denke, das sind die Maßnahmen, die in die Zu-
kunft weisen. Dazu gehören aber nicht Forderungen, die
schon aus Finanzierungsgründen nicht zu erfüllen sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412505700
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht der Kollege Carl-Ludwig Thiele.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1412505800
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei der
Einführung der Ökosteuer war abzusehen, dass wir uns
mit der Ökosteuer im Bundestag erneut beschäftigen müs-
sen. Die F.D.P. hat seinerzeit die Ökosteuer abgelehnt;
denn Ihr Konzept der Ökosteuer weist mehrere gravie-
rende Mängel auf.

Erstens: der nationale Alleingang. Es ist naiv zu glau-
ben, Umweltschutz höre an der Grenze auf.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt ist es aber gut!)


Umweltschutz muss vielmehr grenzüberschreitend betrie-
ben werden. Genau das haben Sie nicht gemacht und ge-
nau das holt Sie an dieser Stelle ein.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir waren die Nachhut Europas!)


Die Folgen für die Arbeitsplätze und die Verbraucher in
Deutschland sind verheerend. Lastwagenfahrer verlieren
ihre Arbeit, weil die Leistungen der Spediteure im steuer-
lichen Wettbewerb mit anderen Ländern nicht mehr kon-
kurrenzfähig sind.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ein weiteres Beispiel ist der Gartenbaubereich. Die

Unterglasbetriebe – auch für diese gibt es Kostensteige-
rungen, die schon dargestellt wurden – stehen im Wettbe-
werb mit Konkurrenten aus der EU


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch schon vor zwei Jahren!)


und können diese Kosten nicht auf die Preise abwälzen.
Das würde nämlich zu Problemen führen.

Die Mietnebenkosten explodieren. Die Auswirkungen
werden aber erst später spürbar sein, weil die Abrechnun-
gen noch erstellt werden. Die Gaspreise werden im Ver-
gleich zu den Ölpreisen später erhöht werden. Aber spä-
testens zu Beginn des nächsten Jahres werden die Bürger
die Auswirkungen spüren.




Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
12024


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens. Ein zentraler Vorwurf ist, dass mit der Öko-
steuer der Reformbedarf in der Rentenversicherung so-
zusagen überdeckt wurde; er wurde von Ihnen geleugnet.
Den Reformbedarf der Alterssicherung kann man nicht
kaschieren, indem man die Steuer auf Umwelt erhöht und
die Arbeit billiger macht, aber gleichzeitig die demogra-
phische Komponente herausnimmt. Das kann nicht funk-
tionieren. Sie haben der Öffentlichkeit Sand in die Augen
gestreut. Diese Probleme werden Sie wieder einholen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Drittens. Wo bleibt bei der Ökosteuer eigentlich der

Umweltschutz? Gas wird besteuert, aber Kohle wird
nicht besteuert, obwohl das Verbrennen von Kohle für
Heizzwecke und zur Stromerzeugung mindestens doppelt
so viel zur Umweltbelastung beiträgt wie das Verbrennen
von Gas. Ist das „öko“ oder ist das „logisch“?


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist Murks!)

Das Ganze ist eine einzige Mogelpackung. Diese willkür-
liche Ungleichbehandlung widerspricht dem Umwelt-
schutzgedanken.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das habe ich noch nie gehört! – Michael Müller [Düsseldorf])

det der denn?)

Die Diskussion um Energie und Umweltschutz erin-
nert mich an die Demonstration der Bergleute in Bonn in
der letzten Legislaturperiode, die mehr Subventionen für
die Kohle forderten. Wer war natürlich wieder als Erster
auf den Barrikaden für die Subventionen für die Kohle? –
Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Joschka Fischer.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das habe ich mir gedacht, dass Sie das jetzt sagen!)


Er sah eine Barrikade – schwupp, war er drauf, Umwelt-
schutz hin oder her, immer auf der Höhe des Zeitgeistes.
Aber so kann Umweltschutz nicht wirklich betrieben wer-
den.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Jetzt komme ich zum vierten Punkt; das ist ein zentra-

ler Punkt des Vorwurfes. Die Behauptung, dass die Ein-
nahmen aus der Ökosteuer nur zur Senkung der gesetzli-
chen Lohnnebenkosten verwandt werden, ist falsch.
Hier führen Sie die Öffentlichkeit bewusst hinter die
Fichte.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen wollen Sie die
Bürger unseres Landes glauben machen, dass jede Mark
aus der Ökosteuer zur Senkung der Rentenversiche-
rungsbeiträge genutzt wird.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Volksverdummung nennt man so was!)


Dies ist falsch. Das belege ich im Detail.
Allein aufgrund des Haushaltssanierungsgesetzes vom

Herbst 1999 werden aus dem Etat Riester fast 6 Milliar-

den DM zweckgebunden nicht mehr der Rentenversiche-
rung zugeführt, Sie zahlen 4 Milliarden DM weniger für
die Arbeitslosenhilfebezieher an Beiträgen in die Renten-
versicherung, Sie zahlen 500 Millionen DM weniger für
Wehrpflichtige und Zivildienstleistende in die Rentenver-
sicherung und Sie kürzen den gezielten Zuschuss um
mehr als 1 Milliarde DM pro Jahr und geben das alles als
Sparmaßnahme aus. Aber jeder Rentner hat weiterhin sei-
nen ungeschmälerten Anspruch gegenüber der Renten-
kasse. Wenn diese Ansprüche jedoch mit den 6 Milliar-
den DM nicht erfüllt werden können, weil Herr Eichel
damit seinen Haushalt sanieren will, dann können Sie das
Aufkommen aus der Ökosteuer nur nutzen, um die
Haushaltslöcher zu schließen. Darüber kann man ja dis-
kutieren. Aber wenn Sie das wollen, dann sagen Sie das
doch bitte und verkaufen Sie die Leute nicht für dumm,
indem Sie sagen: Wir erhöhen die Ökosteuer und senken
die Rentenversicherungsbeiträge.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich zeige Ihnen hier auf einer Grafik einmal, wie das

läuft: Die Ökosteuer steigt von 17,4 Milliarden DM im
Jahr 2000 auf 33,5MilliardenDM im Jahr 2003. Wenn Sie
jede Mark verwenden würden, um die Rentenversiche-
rungsbeiträge zu senken, dann müssten diese von 19,3 auf
18,2 Prozent sinken. Das findet nicht statt. Sie bleiben
kontinuierlich über 19 Prozent. Diesen Vorwurf müssen
Sie sich gefallen lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie sagen, Sie erhöhen die Umweltkosten, um die
Rentenversicherungsbeiträge zu senken, senken Sie diese
doch entsprechend! Kommen Sie jetzt nicht mit einer
neuen Sprachregelung: Es kommt doch alles in die Ren-
tenkasse; wir stabilisieren jetzt die Rentenversicherungs-
beiträge.


(Frank Hempel [SPD]: Genau das!)

– Nein! Sie sind mit dem Versprechen angetreten, jede
Mark zur Senkung der Lohnnebenkosten zu nutzen. Das
tun Sie nicht.

Diesen Punkt werden wir weiterhin kritisieren; denn
das ist eine bewusste doppelte Täuschung und Irreführung
der Öffentlichkeit: Sie erhöhen die Steuern, senken aber
die Rentenversicherungsbeiträge nicht. Das ist unglaub-
würdige Politik. Deshalb werden wir das weiterhin kriti-
sieren und das werden Sie sich auch gefallen lassen müs-
sen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412505900
Wir haben in dieser
Debatte noch zwei Redner, dann kommen wir zu den
Abstimmungen. Zunächst spricht der Kollege Horst
Kubatschka für die SPD-Fraktion.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1412506000
Sehr geehrte Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Umwelt-
schützer will ich nicht hinter die Fichte, sondern höch-
stens in den Laubwald, weil der stabiler ist als der
Fichtenwald.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])





Carl-Ludwig Thiele

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(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Thiele, was Sie gesagt haben, stimmt nicht, auch
wenn Sie es noch so oft wiederholen; es entspricht nicht
den Tatsachen.


(Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD])


Sie sagen ganz locker: Wir streichen die Ökosteuer.
Aber es geht im Jahr 2001 um 20 Milliarden DM und Sie
haben hier nie eine Antwort darauf gegeben, woher das
Geld kommen soll. Sie würden wahrscheinlich – das war
Ihre Politik – Schuldenpolitik machen. Aber wir führen
diese Schuldenpolitik aus Ihrer Regierungszeit nicht wei-
ter. Wir machen solide Finanzpolitik.


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben jetzt aufgrund unserer Politik wieder 100 Milliarden DM geschenkt bekommen!)


Herr Kollege Schindler, weil Sie vorhin Schwierigkei-
ten mit Waigel und unserem Finanzminister Eichel hatten:
Da gibt es einen ganz einfachen Unterschied. Herr Waigel
hat die Bundesrepublik, unseren Staat, finanziell in den
Dreck gefahren


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Deutsche Einheit! Das muss man immer wieder sagen! Haben Sie damit nichts zu tun?)


und Herr Eichel zieht den Karren wieder aus dem Dreck.

(Beifall bei der SPD)


Die von der Opposition vorgebrachten Argumente – ich
habe mir eine Menge aufgeschrieben – halte ich nicht nur
für nicht sehr erwähnenswert, sondern auch für falsch.

Ich möchte diese Debatte jetzt einmal unter dem Ge-
sichtspunkt der Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftssys-
tems führen und den Aspekt der Ökologie, der mir oft viel
zu kurz kommt und der für mich entscheidend ist, in die
Diskussion einführen.

Seit Beginn der Industrialisierung leben wir auf Kos-
ten der Zukunft. Die Industrialisierung war nur möglich,
weil wir nicht erneuerbare Energien eingesetzt haben.
Je weiter die Industrialisierung fortschritt, umso höher
wurde der Ressourcenverbrauch und umso weniger wur-
de die Entwicklung zukunftsfähig.

Wir sind weiterhin auf Crashkurs. Es wird Zeit, dass
wir eine Wende herbeiführen. Wir müssen unsere Volks-
wirtschaft ökologisch modernisieren. Für den Energie-
sektor bedeutet das: Wir müssen von den nicht erneuer-
baren Energien wegkommen und auf erneuerbare Ener-
gien umstellen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Herr Kubatschka, das hat man Ihnen alles falsch aufgeschrieben!)


– Herr Kollege, mir braucht man nichts aufzuschreiben.
Denn ich kann das selber formulieren; ich stecke in der
Materie. Sie dürfen nicht von sich auf andere schließen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, am ehesten absehbar
ist, dass das Erdölzeitalter zu Ende geht. Es ist an der
Zeit, dass wir das wahrnehmen. Eine Vogel-Strauß-Poli-
tik hilft uns nicht weiter. Die Konzernherren oder Herr
Hinsken beruhigen in diesem Zusammenhang zwar im-
mer wieder, indem sie sagen: So schlimm wird es schon
nicht werden; so schnell wird dies nicht erfolgen. Wir
werden dafür sicher technische Lösungen finden; denn
bisher haben wir immer Lösungen gefunden.

Ich muss aber sagen: Das ist das Prinzip Hoffnung. Ich
verlasse mich lieber auf die Aussagen der Geologen und
der Lagerstättenfachleute, auf die Aussagen derjenigen
also, die vor Ort arbeiten und ihre Prognosen nicht am
grünen Schreibtisch erstellen. Ich weise darauf hin, dass
ich über das konventionelle Erdöl spreche – davon lebt
unsere Wirtschaft –, das 40 Prozent des Weltenergiebe-
darfes abdeckt.

Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Zahlen
sprechen lassen: Die jährliche Erdölfördermenge beträgt
zurzeit weltweit 3,5MilliardenTonnen. Dieses Erdöl wird
aus 920 000 Bohrlöchern gewonnen. Dabei muss der Hin-
weis erfolgen, dass die Qualität der Erdölförderanlagen
ganz verschieden ist. Durch die Billigpreispolitik der
OPEC-Länder wurden Investitionen an den Bohrlöchern
versäumt. Manche Anlagen sind veraltet und sehr störan-
fällig. Bei vielen Anlagen ist kein Wert mehr auf den La-
gerstättendruck gelegt worden. In manchen Bereichen
lässt sich zurzeit die Förderung nicht erhöhen.

Es wird sicher den Einwand geben, dass wir laufend
neue Erdölreserven entdeckt haben. Das stimmt. Nur, die
Wahrheit lautet: Die jährlich neu entdeckte Erdölreserve
entspricht nur 25 Prozent der jährlichen Fördermenge.
Die Reserven werden also Jahr für Jahr weniger; sie neh-
men ab. Wir in Deutschland sind vom Erdöl nach wie vor
abhängig.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Daher schafft ihr die Kernkraft ab!)


Nach den USA, Japan und China sind wir der viertgrößte
Verbraucher. Wir haben im Jahre 1999 etwa 123 Milli-
onen Tonnen verbraucht. Davon sind etwa 50 Prozent im
Straßen- und Luftverkehr verbraucht worden. Circa
24 Prozent haben wir im wahrsten Sinne des Wortes ver-
heizt. Als Rohstoff in der Petrochemie benötigen wir noch
20 Prozent. Eigentlich ist das Erdöl für unsere Zukunft
viel zu wertvoll, als dass wir es so verbrauchen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, so ist es!)


Die konventionellen Erdölreserven, die gesichert in der
Erdkruste lagern, belaufen sich noch auf 150 Milliar-
den Tonnen. Bei einem jährlichen Verbrauch von 3,5 Mil-
liarden Tonnen – vorausgesetzt, der Verbrauch steigt
nicht – können wir davon ausgehen, dass die konventio-
nellen Erdölvorräte in 40 Jahren verbraucht sind.

Manche werden jetzt einwenden: Wir haben ja noch
40 Jahre Zeit. Aber 40 Jahre sind schnell vergangen. Die
Rechnung werden unsere Kinder und vor allem unsere
Enkel zahlen. Ich halte das für ein sehr ernstes Argument.




Horst Kubatschka
12026


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass
es nach wie vor Reserven in Ölsanden, Teersanden und
bei Schwerstölen gibt. Diese Ölreserven erfordern aber
eine andere Technologie und werden zu enormen Um-
weltbelastungen führen. Auch die Kosten werden gewal-
tig ansteigen. Deshalb können wir mittelfristig davon aus-
gehen, dass die Erdölpreise auf hohem Niveau bleiben
und weiter steigen werden.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Darauf schlagen Sie noch Steuer auf!)


– An Ihrem Einwand sieht man, Herr Kollege, dass Sie
überhaupt nicht kapieren, worum es geht. Es geht in un-
serem Konzept darum, Ressourcen zu verteuern und Ar-
beit zu verbilligen. Nur so können wir die Zukunft ge-
winnen.


(Beifall bei der SPD)

Es wird Zeit, dass wir eine Energiewende einleiten,

und zwar über die marktwirtschaftliche Lösung. Deswe-
gen werden wir an der Ökosteuer festhalten. Denn wir
müssen handeln. Wir haben die Ökosteuer nicht aus Jux
und Tollerei eingeführt, sondern um die Zukunftsfähigkeit
unseres Wirtschaftssystems zu erhalten. Sie von der Op-
position dagegen betreiben eine populistische Politik, die
nicht der Zukunft verpflichtet ist.

Zurzeit sind wir alle erbost über die Politik der Kon-
zerne. Sie nutzen die Gunst der Stunde und versuchen,
das Maximale herauszuholen, was der Markt hergibt. Im
Schatten der CDU/CSU-Ökosteuer-Kampagne können
sie leicht Kasse machen; denn man lenkt von den wahren
Argumenten ab. Das Handeln der Konzerne hat auch
nichts mit den Realitäten am Markt zu tun. Ich möchte
dies mit einem Beispiel aus Berlin belegen: Hier sind die
Preise an den Tankstellen in den letzten Tagen, quasi über
Nacht, um bis zu 15 Pfennig pro Liter angestiegen, ob-
wohl es gar keine Ökosteuererhöhung gab.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Treibstoffpreise
sind ein Ärgernis, auch für mich. Aber ein noch viel
größeres Ärgernis ist die Entwicklung bei den Heizöl-
preisen. Die Ökosteuer in Höhe von 4 Pfennig wurde am
1. April 1999 eingeführt. Damals lag der Preis für einen
Liter Heizöl bei 49,5 Pfennig. Bis zum Juni 1999 sank die-
ser Preis noch einmal auf 47,8 Pfennig. Das nennen Sie
also „Preistreiberei“, Herr Hinsken. Und dann begann der
rasante Anstieg. Im August dieses Jahres betrug der Heiz-
ölpreis – bei einer Abnahme von 3 000 Litern – 78,1 Pfen-
nig. Die Preise sind also um 30,3 Pfennig angestiegen,
ohne dass ein Pfennig Ökosteuer verlangt wurde. Jetzt lie-
gen die Preise bekanntlich noch höher. Damit ist bewie-
sen, dass die Konzerne nur testen, wie weit sie gehen kön-
nen, was sie dem Verbraucher zumuten können. Und die
CDU/CSU leistet Schützenhilfe bei dieser Preistreiberei.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Peter Rauen [CDU/CSU]: Was ist das für ein Unfug?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten die
Chance dieser Preisexplosion nutzen, um die richtigen
Antworten zu finden. Die Chancen der ersten und zweiten

Ölkrise der 70er-Jahre wurden unter der Regierung
Helmut Schmidt voll genutzt. Wir erreichten seitdem ein
Einsparpotenzial von circa 40 Prozent. Leider wurde
diese entschlossene Politik durch die Regierung Kohl
nicht fortgesetzt.

Die Aufgabe der Zukunft heißt: Energiewende. Was
wir nicht an Öl verbrauchen, müssen wir auch nicht be-
zahlen. Die rot-grüne Koalition hat bereits die richtigen
Schritte eingeleitet: Wir haben das Erneuerbare-Energien-
Gesetz beschlossen, gegen die Stimmen von CDU/CSU.
Wir haben das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz verab-
schiedet, gegen die CDU/CSU. Wir haben ein 100 000-
Dächer-Programm für Photovoltaik auf den Weg ge-
bracht. Vom Ausmaß des Erfolges dieses Programms sind
wir selbst überrascht worden. Die Bürger haben die Chan-
cen genutzt. Es kommt also darauf an, die richtigen Ant-
worten auf die Ölkrise zu finden, um unser Wirtschafts-
system zukunftsfähig zu machen. Dazu müssen wir die
Innovationen vorantreiben. Wir sind auf dem richtigen
Weg.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412506100
Nun spricht der Kol-
lege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr für die CDU/CSU.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1412506200
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will
zu Beginn auf das eingehen, was Herr Thalheim hier aus-
geführt hat. Die Bundesregierung und die sie tragenden
Fraktionen tun in der Öffentlichkeit immer so, als verbil-
lige die jetzt vorgelegte Agrardiesellösung den Spritein-
satz in der Landwirtschaft. Das Gegenteil ist der Fall. Bis-
her betrug die steuerliche Belastung für den in der
Landwirtschaft eingesetzten Diesel 21 Pfennig pro Liter.
Jetzt sollen 57 Pfennig pro Liter durchgesetzt werden. Das
ist eine Erhöhung um 36 Pfennig. Diese Erhöhung ist
übrigens doppelt so hoch wie die durch die Ökosteuer ab
dem 1. Januar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Unerhört!)


Das heißt, hier wird die Landwirtschaft schon wieder ein-
seitig belastet,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)

schon wieder einseitig benachteiligt. Das kritisieren wir.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Thalheim – auch wenn Sie nicht darauf eingehen

sollten –, wenn man es schon ablehnt, Diesel für die deut-
sche Landwirtschaft wie Heizöl zu besteuern, dann wäre
es doch zumindest richtig und wichtig, in dieser Situation,
in der die Preise auf den Energiemärkten ständig steigen,
die steuerliche Belastung bei Diesel nicht auch noch um
36 Pfennig pro Liter zu erhöhen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Horst Kubatschka

12027


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Funke hat sich im Ausschuss zu Recht darüber be-
klagt, dass die Franzosen bei Diesel, den sie in der Land-
wirtschaft einsetzen, einen Preisvorteil von 46 Pfennig
hätten. Aber 36 dieser 46 Pfennig ergeben sich aufgrund
des Agrardieselgesetzes, das Sie beschließen wollen.
Wenn wir schon auf diese Wettbewerbsverzerrung gegen-
über Frankreich thematisieren, dann sehen Sie doch von
dieser Erhöhung ab, die auch noch doppelt so hoch aus-
fällt wie die durch die Ökosteuer.

Die Landwirtschaft wird auch noch anderweitig belas-
tet, so zum Beispiel durch höhere Düngemittelpreise. Sie
muss ständig zu höheren Preisen einkaufen. Schon zu Be-
ginn der Legislaturperiode wurden bei der Vorsteuerpau-
schale diese höheren Preise nicht berücksichtigt und man
hat die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft auch
noch um 1 Prozent gesenkt, somit also das Umsatzvolu-
men in der Landwirtschaft um 1 Prozent gekürzt,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


obwohl man vor der Bundestagswahl mit uns gemeinsam
eine politische Lösung angestrebt hatte. Dies ist ein Pro-
blem. Hier bleibt die Bundesregierung hinter dem zurück,
was sie selber angekündigt hat. Sie redet ständig davon,
dass sich die deutsche Landwirtschaft gefälligst im Wett-
bewerb zu bewähren hat. Sie schafft aber nicht die Vo-
raussetzungen für diesen Wettbewerb, sondern sie konter-
kariert ihn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich habe eben den Bundeslandwirtschaftsminister er-
wähnt. Ich finde es schon eigenartig: Jetzt führen wir hier
eine ganz wichtige Debatte über Argardiesel, auf die wir
alle schon sehr lange warten, und der Bundeslandwirt-
schaftsminister ist nicht einmal da.


(Peter Dreßen [SPD]: Er ist gut vertreten! – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Er ist steuerbefreit in den USA!)


Ich finde schon, dass in einen solchen Debatte auch der
Bundeslandwirtschaftsminister reden sollte. Ich habe oh-
nehin den Eindruck: Wenn es um Agrarpolitik geht, ist
Herr Funke überall, ist er U-Boot, er ist nur nicht auf
dem Lande, um mit Vertretern der deutschen Landwirt-
schaft und des ländlichen Raumes ihre Probleme zu dis-
kutieren.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Leider wahr!)

Das wäre aber seine eigentliche Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese Debatte war schon länger angekündigt, sodass es ei-
gentlich hätte möglich sein müssen, dass nicht nur der
Staatssekretär, sondern auch der Landwirtschaftsminister
anwesend ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zu dem anderen Thema, das hier auch bereits ange-

sprochen wurde, haben wir von der CDU/CSU- Bundes-
tagsfraktion noch einmal einen Antrag eingereicht. Der
Staatssekretär ist zwar auf diesen Antrag eingegangen, im

Grunde hat er das Finanzvolumen kritisiert, sich aber an-
sonsten zu dem Antrag praktisch nicht geäußert.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Es geht um die Unterglasgartenbaubetriebe. Diese Be-
triebe sind im Wettbewerb in eine verheerende Position
geraten,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)

weil die Preise für die Energie, die man im Gartenbau ein-
setzt, in Holland nicht steigen, sich aber in Deutschland
die Energiekosten für den Unterglasgartenanbau explosi-
onsartig erhöht haben.

Wir stehen vor dem Winter. Im Winter muss bei den
Unterglasgartenbaubetrieben eine erhebliche Menge
Energie eingesetzt werden. Wenn wir jetzt nicht helfen,
dann kommen die Gartenbaubetriebe, die schon immer
– das will ich offen ansprechen – eine Energiepreisdiffe-
renz zwischen Deutschland und Holland hinnehmen
mussten, angesichts der jetzigen Energiepreisdifferenz
einfach nicht zurecht. Deshalb sollte die Bundesregierung
die Anträge aufgreifen, die von verschiedenen Fraktionen
gestellt worden sind, um den Gartenbaubetrieben über
den Winter zu helfen.

Wenn man Holzmann helfen kann,

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


was ich gar nicht kritisieren will, dann kann man doch
auch den Gartenbaubetrieben helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Holzmann ist nicht durch die Fehler der Arbeitnehmer,
sondern durch Managementfehler in eine Krise geraten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber für die Kleinen haben sie nichts übrig!)


Aber die Gartenbaubetriebe sind nicht durch Manage-
mentfehler in eine Krise geraten.


(Zuruf von der SPD: Was kann denn die Regierung dafür?)


Sie geraten durch Veränderungen der Wettbewerbsbe-
dingungen in eine Krise.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Deshalb ist doch hier viel eher Hilfe angesagt als viel-
leicht bei anderen Branchen.

Ich halte es für ungemein wichtig, dass wir hier zu ei-
ner Lösung kommen. Ich hoffe, dass sich die Koalitions-
fraktionen in dieser Frage noch bewegen. Auch sollten sie
sich hinsichtlich der Agrardiesellösung bewegen. Herr
Schultz, Sie haben dazu eine Ankündigung gemacht.
Dann realisieren wir es bitte auch! Wir sollten zu einer
Agrardiesellösung kommen, die die deutschen Landwirte
im Wettbewerb den anderen Europäern gleichstellt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Greifen Sie unseren Antrag auf! Wenn Sie ihm zustim-

men,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)





Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
12028


(C)



(D)



(A)



(B)


dann signalisieren Sie den deutschen Landwirten, dass Sie
sie im Wettbewerb gleichstellen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das werden wir immer wieder anstreben, weil wir an der
Seite des Gartenbaus und der deutschen Landwirtschaft
stehen.

Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412506300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 14 a: Interfraktionell wird vorge-

schlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/4242 zu
überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an
den Finanzausschuss, zur Mitberatung an den Ausschuss
für Arbeit- und Sozialordnung sowie an den Ausschuss für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und gemäß § 96 der
Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuss. Gibt es an-
derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 14 b: Die Vorlagen auf Druck-
sachen 14/4218 und 14/4294 sollen an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. –
Das Haus ist damit einverstanden. Auch diese Überwei-
sung ist so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 14 c: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu
dem Protokoll zur Änderung des Übereinkommens über
die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimm-
ter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen, Drucksachen
14/3651 und 14/4052. Der Ausschuss für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/4273,
den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.
angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Mehrheit wie bei der zweiten Bera-
tung angenommen.

Tagesordnungspunkt 14 d: Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P.
„Ökosteuer zurücknehmen“ auf Drucksache 14/4276.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/3519 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von

CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 14 e: Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses auf Drucksache 14/3724. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/2766 mit
dem Titel „Wettbewerbsposition für die deutsche Land-
wirtschaft verbessern und nachhaltige Entwicklung der
Landwirtschaft und der ländlichen Räume sichern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der CDU/CSU auf Drucksache 14/2690 mit dem
Titel „Heizöl als Kraftstoff für die deutsche Land- und
Forstwirtschaft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU,
F.D.P. und PDS angenommen.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der F.D.P. auf Drucksache 14/2384 mit dem Titel
„Agrodiesel tanken – Gasölbetriebsbeihilfe abschaffen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Hat sich die CDU/CSU der Stimme enthalten?


(Zurufe von der CDU/CSU: Ja! – Horst Kubatschka [SPD]: Das ist erstaunlich! Keine Fundamentalopposition!)


– Ich war jetzt etwas überrascht.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann sage ich noch einmal: Diese Beschlussempfeh-

lung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS bei
Stimmenthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/2795 mit dem
Titel „Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM Gasölbei-
hilfe zurücknehmen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS mit
den Stimmen der anderen Fraktionen bei zwei Enthaltun-
gen aus der Fraktion der CDU/CSU angenommen.

Tagesordnungspunkt 14 f und Zusatzpunkte 11 bis 13
und 15: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla-
gen auf den Drucksachen 14/3105, 14/4243, 14/4257,
14/4254 und 14/4291 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit




Heinrich-Wilhelm Ronsöhr

12029


(C)



(D)



(A)



(B)


einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen. – Ich danke Ihnen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit
ist bislang Stückwerk und muss konsequent
vorangetrieben werden
– Drucksache 14/3771 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Das
Haus ist einverstanden.

Ich eröffne die Aussprache. Ich gebe für die
CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Dr. Ralf Brauksiepe
das Wort.


Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1412506400
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die europäische Ent-
wicklungszusammenarbeit und ihr Reformbedarf sind ein
Dauerthema, mit dem wir Entwicklungspolitiker uns in
diesem Parlament schon des Öfteren beschäftigt haben.

Der Anlass für die heutige Debatte ist ein Antrag der
CDU/CSU-Fraktion zu diesem Thema. Was diese Debatte
von ihren Vorgängern schon vom äußeren Rahmen her un-
terscheidet, ist, dass sie ausnahmsweise einmal nicht zu
nachtschlafender Zeit, sondern noch bei Tageslicht statt-
findet.


(Beifall der Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU] und Carsten Hübner [PDS])


Wenn die Entwicklungspolitik auf diese Weise einmal
wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerät,
ist allein das schon ein Erfolg unseres Antrages, selbst
wenn er – überraschenderweise – am Ende der Beratun-
gen doch nicht die Mehrheit dieses Hauses finden sollte.
„Überraschenderweise“ sage ich deswegen, weil wir uns
früher hier im Hause, auch schon in früheren Legislatur-
perioden, über die europäische Entwicklungszusammen-
arbeit im Grundsatz einig gewesen sind und auch im Vor-
feld des neuen Lomé-Abkommens, das in diesem Jahr
unterzeichnet worden ist, gemeinsame Positionen und
Ansprüche an dieses Abkommen formuliert haben.

Unser heutiger Antrag steht ganz in der Tradition die-
ser gemeinsamen Beschlüsse. Ich denke, dass es von da-
her nur konsequent ist, das neue Lomé-Abkommen und
die heutige EU-Entwicklungszusammenarbeit an die-
sen gemeinsam formulierten Zielen zu messen und auch
an den Ankündigungen, die die rot-grüne Bundesregie-
rung in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit ge-
macht hat.

Wir sagen nicht: Zu unserer Regierungszeit war alles
gut und jetzt, wo wir in der Opposition sind, macht die
neue Regierung nur Schlechtes.


(Zuruf von der SPD: Das können Sie auch gar nicht sagen!)


Wir begrüßen ausdrücklich die Teilerfolge, die mit dem
neuen Lomé-Abkommen auch in unserem Sinne erzielt
worden sind. Es war in der Vergangenheit ein gemeinsa-
mes Anliegen, zu einer Effizienzverbesserung der euro-
päischen EZ zu kommen – unter anderem durch eine
Neuordnung von Zuständigkeiten in Brüssel, weg von ei-
ner Vielzahl zuständiger Kommissare und Generaldirek-
tionen. Das ist zumindest vordergründig jetzt ein Stück
weit erreicht. Wir wissen noch nicht, wie das Ganze am
Ende ausgehen wird. Uns ist jedenfalls wichtig, dass der
Posten des für die Entwicklungshilfe zuständigen Kom-
missars am Ende nicht abgeschafft wird. Es ist unsere Er-
wartung, dass die Bundesregierung darauf ein Auge hat.

Wir begrüßen auch, dass sich die künftige Strategie der
EU-Kommission prioritär auf Armutsbekämpfung und
die schrittweise harmonische Integration der Entwick-
lungsländer in die Weltwirtschaft richten soll. Gleichzei-
tig sollen Anreize für eine verstärkte regionale Integration
der Entwicklungsländer untereinander geboten werden.

Das alles sind Reformschritte, die im Grundsatz rich-
tig sind und die wir begrüßen. Sie bleiben aber noch hin-
ter dem zurück, was wir im Deutschen Bundestag in der
Vergangenheit gemeinsam beschlossen haben. Ich bin
ganz sicher, dass die Bundesregierung zu Recht für sich in
Anspruch nimmt, zu den Teilerfolgen einen wesentlichen
Beitrag geleistet zu haben. Das tut sie schon deshalb zu
Recht, weil die Bundesrepublik natürlich ein großes Ge-
wicht in der Europäischen Union hat. Daraus folgt dann
aber, dass sich die Bundesregierung die weiterhin beste-
henden Defizite in der europäischen Entwicklungszusam-
menarbeit ein Stück weit anrechnen lassen muss.

Es ist unser Wunsch – den wir mit diesem Antrag zum
Ausdruck bringen –, auf die Bundesregierung dahin ge-
hend Druck zu machen, ihr Gewicht im Sinne einer wei-
ter verbesserten europäischen Entwicklungszusammenar-
beit auf europäischer Ebene einzubringen.

Ich will ein paar Punkte ansprechen, die uns in dem Zu-
sammenhang wichtig sind. Schon seit langem wird viel
über die verbesserte Koordinierung der Entwicklungs-
zusammenarbeit gesprochen. Leider sieht die entwick-
lungspolitische Praxis heute immer noch anders aus. Da-
von mussten wir uns, Frau Ministerin, in diesen Tagen bei
einer Reise nach Vietnam und Kambodscha wieder ein-
mal persönlich überzeugen lassen. Wenn man vor Ort mit
Vertretern der EU und den Botschaftern der Mitgliedstaa-
ten über Entwicklungspolitik spricht und sie fragt: „Gibt
es eigentlich ein gemeinsames entwicklungspolitisches
Profil der EU und ihrer Mitgliedstaaten? Wird die EU,
werden ihre Mitgliedstaaten entwicklungspolitisch als
eine Einheit wahrgenommen, die mit einer Stimme spre-
chen?“ dann ernten wir schon für solche Fragen oft nur ein
mildes Lächeln. Tatsache ist, dass es eine solche gemein-
same, für unsere Partnerländer erkennbare entwicklungs-
politische Strategie der EU nicht gibt. Es sollte unsere ge-




Vizepräsident Rudolf Seiters
12030


(C)



(D)



(A)



(B)


meinsame Aufgabe bleiben, dahin gehend Druck zu ma-
chen, dass es eine solche gemeinsame Strategie gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein weiteres Thema, das uns wichtig ist, ist die

Kohärenz der EU-Entwicklungspolitik mit anderen Poli-
tikressorts. Das ist immer ein beliebtes Thema für An-
hörungen: Kohärenz zwischen Entwicklungspolitik und
Agrarpolitik und vieles andere. Es gibt Resolutionen des
Europäischen Parlaments und andere Beschlüsse, aber im
Ergebnis sind wir noch nicht viel weitergekommen.

Ich will ein weiteres Feld ansprechen, auf dem die Re-
form der EU-Entwicklungszusammenarbeit bisher leider
Stückwerk geblieben ist. Es ist die Zusammenführung der
verschiedenen Abkommen der europäischen Entwick-
lungszusammenarbeit, das heißt der Abkommen mit den
AKP-Staaten, mit den Entwicklungsländern in Asien und
Lateinamerika sowie mit den Mittelmeeranrainerstaaten.
Das bleibt für uns weiterhin ein wichtiges Anliegen; denn
die koloniale Vergangenheit eines Entwicklungslandes
darf doch heute kein Kriterium mehr dafür sein, in wel-
chem Ausmaß und mit welchen Instrumenten wir einem
Land Hilfe gewähren. Die Möglichkeit, von europäischer
Entwicklungszusammenarbeit zu profitieren, sollte jedem
Land – unter Berücksichtigung seiner eigenen Anstren-
gungen – in gleichem Maße gegeben werden. Das ist je-
denfalls unser Anspruch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dabei bedeutet Entwicklungszusammenarbeit für un-

sere Fraktion und sicherlich auch für andere in diesem
Hause mehr als nur wirtschaftliche Effizienz. Es geht
auch um politische Kriterien und deshalb komme ich auf
das Stichwort Teilerfolge zurück. Daher begrüßen wir es
im Grundsatz, dass das Prinzip des „good governance“
im neuen Vertragstext von Lomé fixiert worden ist. Wir
müssen aber gleichzeitig kritisieren, dass nur für den Son-
derfall extremer Korruption Möglichkeiten der Sankti-
onsverhängung vorgesehen sind. Nach unserer Überzeu-
gung müssen aber auch andere Verstöße gegen das Prinzip
des „good governance“ mit Sanktionen belegt werden
können. In diesem Zusammenhang ist uns wichtig, Sank-
tionsmöglichkeiten auch dann konsequent zu nutzen,
wenn wesentliche Bestandteile des Abkommens wie die
Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit
verletzt sind.

Die Bundesministerin hat sich zu Beginn ihrer Amts-
zeit mit ihrer britischen Kollegin und ihrem französischen
Kollegen genau in dieser Richtung geäußert. Ich darf aus
einem Artikel aus der „FAZ“ vom 1. März des letzten Jah-
res zitieren:

Die globalen Probleme können nur dann gelöst wer-
den, wenn bei unseren Partnern die Menschenrechte
geachtet werden, die Beteiligung der Bevölkerung an
politischen Prozessen sichergestellt ist und Rechts-
staat sowie verantwortungsvolle Staatsführung einen
geeigneten Entwicklungsrahmen bieten.

Soweit die Worte der Ministerin.
Angesichts dieser Worte nehmen Sie die staatliche Ent-

wicklungszusammenarbeit mit Kuba auf und werten die-

ses kommunistische Unterdrückungssystem politisch auf.
Das passt eben nicht zusammen und Sie wissen selbst ge-
nau, dass das nicht zusammengeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Fragen Sie mal Herrn Henkel! – Carsten Hübner [PDS]: Mottenkiste!)


Es geht uns dabei auch gar nicht darum, die Schlachten
der Vergangenheit noch einmal zu schlagen, denn diese
haben wir schon gewonnen. Ob Sie sich da zu den Siegern
zählen können, müssen Sie selbst entscheiden. Es geht
uns vielmehr darum, dass in Kuba auch heute noch täglich
Menschenrechte mit Füßen getreten werden und deshalb
erwarten wir von der Bundesregierung eine andere Ant-
wort als die, ein solches Regime noch politisch aufzuwer-
ten. Der Kern der Auseinandersetzung ist: Sie werden
Ihren eigenen Ansprüchen – Beachtung der Menschen-
rechte als wesentliches Kriterium der Entwicklungszu-
sammenarbeit – nicht gerecht.

Aber auch ein anderes Zitat aus dem genannten Artikel,
Frau Ministerin, kann uns mit einem Abstand von andert-
halb Jahren nur in Erstaunen versetzen. Sie schrieben
seinerzeit:

Es liegt somit im Interesse aller, systematisch nach
Mitteln und Wegen zu suchen, die Effizienz der Zu-
sammenarbeit zu steigern. Dies ist auch die Voraus-
setzung dafür, dass der Anteil der öffentlichen Ent-
wicklungsmittel der EU wieder steigt.

Also, Steigerung der öffentlichen Entwicklungsmittel
ist das formulierte Ziel. Politisch tun Sie aber im eigenen
Land genau das Gegenteil.

Wir als CDU und CSU bekennen uns durchaus – da-
rüber war hier nie Streit – zur supranationalen und mul-
tilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Das ist ein
wichtiges Element – aber eben nur ein wichtiges Ele-
ment – unserer Entwicklungspolitik immer gewesen.
Aber das Lob für die multilaterale Entwicklungszusam-
menarbeit darf eben nicht als Vorwand für Kürzungen bei
der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit dienen.
Beides ist wichtig und wir dürfen uns nicht hinter noch so
richtigen Argumenten für die multilaterale Entwick-
lungszusammenarbeit verstecken. Ich denke dabei an un-
sere Beiträge an den Europäischen Entwicklungsfonds,
der sicherlich auch hinsichtlich seiner Transparenz und
Kontrollmöglichkeiten reformbedürftig ist. Wir müssen
auch bei der bilateralen Zusammenarbeit unserer Verant-
wortung gerecht werden. Das tun Sie von der Bundesre-
gierung und den sie tragenden Fraktionen nicht dadurch,
dass Sie seit Ihrem Regierungsantritt den Entwicklungs-
hilfeetat um fast 1 Milliarde DM gekürzt haben. Damit
werden Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Sie tragen
die Verantwortung auch als Regierung eines wichtigen
Landes in der Europäischen Union. Deswegen, Frau Mi-
nisterin und Ihre Fraktionen: Erledigen Sie auch auf die-
sem Gebiet Ihre Hausaufgaben, dann sind Sie ein gutes
Vorbild für die weitere Reform der europäischen Ent-
wicklungszusammenarbeit, die unser Anliegen ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Dr. Ralf Brauksiepe

12031


(C)



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(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1412506500
Für die SPD-Frak-
tion spricht nun der Kollege Dr. Werner Schuster.


Dr. R. Werner Schuster (SPD):
Rede ID: ID1412506600
Herr Präsident, von
dieser Stelle nochmals herzlichen Glückwunsch zu Ihrem
Geburtstag.


(Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe be-

mitleidenswerte Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU-Fraktion, lieber Herr Hedrich!


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wieso, wir freuen uns doch über den Geburtstag!)


Welchen internen Zustand müsst ihr haben, wenn ihr
ausgerechnet einen Antrag zur europäischen Entwick-
lungspolitik wahlkampfmäßig formuliert? Als ich Ihr Pa-
pier gelesen habe – nur das ist öffentlich zugänglich –,
hatte ich das Gefühl: Mich tritt ein Pferd.

Ich bin seit zehn Jahren Mitglied in dem Ausschuss.
Acht Jahre lang hat sich in Brüssel ganz wenig bewegt.
LoméV stand vor dem Scheitern. Nun haben wir seit zwei
Jahren eine persönlich engagierte Ministerin, einen roten
Wirbelwind. Sie schließt sich mit drei anderen Ministe-
rinnen zu dieser berühmten „gang of four“ zusammen,
nutzt das Glück, dass wir die Ratspräsidentschaft in-
nehatten, und schon ist die Kuh vom Eis. Hätten Sie 1998
gedacht, dass wir Lomé V und Cotonou in der Form er-
reichen, wie es jetzt geschehen ist? Sicherlich nicht.


(Beifall bei der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Mit vielen Abstrichen!)


Auch die EU-Kommission hat auf unseren Druck hin
im April 2000 ein Konzept vorgelegt, das nicht einmal Sie
ernsthaft kritisieren. Aber dann muss ich in Ihrem Antrag
lesen:

Die Bundesregierung hat es durch eine zu nachgie-
bige Verhandlungsführung während der Verhandlun-
gen zum Lomé-Nachfolgeabkommen und durch eine
unzureichende Mitarbeit an der Ausarbeitung der
neuen entwicklungspolitischen Konzeption der EU
versäumt, eine Fixierung der für eine durchgreifende
Verbesserung der EU-Entwicklungszusammenarbeit
notwendigen Akzente durchzusetzen.

Es tut mir Leid, meine Damen und Herren, feststellen zu
müssen: Hier haben Sie die Wahrheit auf den Kopf ge-
stellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie bestimmen die Spielregeln. Den meisten Ihrer For-
derungen werden wir – wie Sie wissen – zustimmen. Sie
könnten glatt aus unserem Antrag vom März 1999 abge-
schrieben sein. Ich empfehle Ihnen, den Antrag noch ein-
mal nachzulesen, damit Sie merken, an welchen Punkten
wir übereinstimmen. Ich denke, das würde die Beratun-
gen im Ausschuss erleichtern, um zu einem – der Sache
wegen – gemeinsamen Beschluss zu kommen.

Noch ein Hinweis, Herr Brauksiepe: Wir machen un-
sere Hausaufgaben. Der Haushalt, den Sie uns permanent

um die Ohren schlagen, befindet sich in einem noch nicht
abgeschlossenen Prozess.

Jetzt komme ich zum Inhalt. Wir haben nach meinem
Verständnis auf europäischer Ebene keine Defizite in der
Strategie, sondern wir haben Umsetzungsdefizite.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Allerdings, und zwar ganz dicke!)


Das ist der zentrale Punkt. Die Forderungen der Bundes-
tagsfraktionen, reduziert auf den Kern, sind, rational be-
trachtet, weitgehend identisch. Das Kommissionspapier
vom April 2000 enthält richtige Vorschläge und richtige
Ziele. Nur das Wie bleibt zu vage. Deswegen werden
Fortschritte auf EU-Ebene nur im Schneckentempo er-
reicht. Ich möchte die Defizite anhand von einigen Punk-
ten exemplarisch deutlich machen.

Wir alle wollten eine Reform innerhalb der EU statt der
vier Kommissare und der drei Generaldirektionen jeweils
nur einen bzw. eine. Heute haben wir einen Kommissar,
Herrn Nielson – leider ist die Stelle des Generaldirektors
immer noch nicht besetzt –, aber die Konkurrenz zwi-
schen Herrn Nielson und Herrn Patten ist vorprogram-
miert


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Die Konkurrenz findet täglich statt!)


– ich darf Sie an unseren Besuch in Brüssel erinnern –,
was ganz sicher nicht die Motivation der oft gescholtenen
Mitarbeiter in Brüssel erhöht. Ich denke, hier müssen der
Rat und auch der Ministerrat ihre Hausaufgaben als
Quasi-Legislative stärker in Angriff nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Es darf aber nicht passieren, dass europäische Ent-
wicklungszusammenarbeit zu einem Anhängsel europä-
ischer Außenpolitik degeneriert.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Auf dem Weg sind wir doch!)


Genauso wenig darf es passieren, dass europäische
Entwicklungszusammenarbeit mit liberalisierter Außen-
handelspolitik gleichgesetzt wird. Damit werden wir den
Anforderungen an einen Nord-Süd-Ausgleich nicht ge-
recht.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich finde es übrigens positiv, dass die EU auch ECHO
mit integriert hat. Man hat jetzt im Sudan die Aktion „Hu-
manitarian Plus“ eingeführt. Ich habe nicht verstanden,
warum man das Modell nicht auf andere Länder überträgt,
um so die Nothilfe zu einer Entwicklungszusammenarbeit
zu erweitern.

Zweitens. Wir erwarten zwar zu Recht mehr Effizienz
von Brüssel. Aber jeder von uns Insidern weiß, dass Brüs-
sel chronisch unterbesetzt ist. Die personelle Konsequenz
ist: Jeder versucht sich abzusichern. Wer kennt das nicht
aus der Praxis? Da müssten wir etwas tun. Wir müssten






(C)



(D)



(A)



(B)


genauso etwas tun, um mehr deutsche Beamte für einen
Job in Brüssel zu interessieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es stimmt mich nachdenklich, dass wir Politiker im
Rahmen der Diskussion über das Ehrenamt zwar sagen:
„Wer ehrenamtlich tätig ist, soll in Zukunft von der
Wirtschaft bevorzugt eingestellt werden“, dass wir aber
den Beamten, die nach Brüssel oder zur UNO gehen,
keine entsprechenden Vorteile gewähren, obwohl dies in
unsere Zuständigkeit fällt. Auch hier ist die eigene Nase
gefragt.

Der dritte Punkt betrifft die Zusammenarbeit mit den
Nichtregierungsorganisationen. Auf dem Papier klingt
das wunderbar: Stärkung der Partnerschaft. Aber wenn
ich mir das zu Gemüte führe, was im September auf dem
Kongress von VENRO formuliert worden ist, dann muss
ich feststellen, dass das Ganze zu einem Lotteriespiel zu
degenerieren droht. Kommt das Geld rechtzeitig oder
nicht oder verzichte ich lieber, weil mir das Risiko zu groß
ist? Auf diesem Kongress war die Rede von Abbruch statt
Aufbruch und von kafkaesken Verhältnissen. Der admi-
nistrative Schwanz wackelt mit dem politischen Hund,
hieß es. Wer wirklich ernsthaft die Beteiligung der Zivil-
gesellschaft im Norden wie im Süden durchsetzen
möchte, der muss sie ernsthaft fördern und darf sie nicht
behindern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Wer aber, Herr Hedrich, ist der politische Hund? Nach
meinem Verständnis sind das die EU-Kommission und
der Europäische Rat,


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

solange das Europäische Parlament nicht die Funktionen
hat, die nach unserem Verständnis einem Parlament zu-
stehen sollten. Also auch hier sind wir wieder gefordert.

Der vierte Punkt betrifft die kohärente Entwick-
lungspolitik. 55 Prozent der Mittel für die weltweit
geleistete Entwicklungszusammenarbeit stammen aus
Europa. 10 Prozent kommen direkt von der EU und
45 Prozent aus unseren bilateralen Töpfen. Das wäre – um
mit den Worten der Neuen Ökonomie zu reden – Markt-
macht, wenn wir sie nutzen würden. Was tun wir aber
de facto? Nach wie vor gibt es eine Geberkonkurrenz zwi-
schen den europäischen Ländern. Die nationalen Parla-
mente müssen diese Konkurrenz beenden. Ich denke, sie
sollten sich verstärkt der Aufgabe der Kontrolle zuwen-
den.

Aber dafür sind drei Voraussetzungen notwendig: Ers-
tens. Wir müssen, Frau Ministerin, rechtzeitig vor strate-
gischen Entscheidungen in Brüssel informiert werden.
Dabei sind wir ein bisschen auf die Kooperation mit
Ihrem Haus angewiesen.

Zweitens. Wenn wir eine Zweiwegekommunikation
haben wollen – ich kann momentan Herrn Kraus, unseren
Ausschussvorsitzenden, nicht sehen –, sollten wir endlich

Beschlüsse des Bundestages, die einschlägig sind, ins
Englische übersetzen lassen und die Parlamentarier in den
anderen nationalen Parlamenten über diese Beschlüsse in-
formieren, damit sie wissen, was wir denken.

Drittens. Wir müssen uns ernsthaft fragen, welche
Möglichkeiten es gibt, die Abstimmung zwischen den na-
tionalen Parlamenten und den Entwicklungspolitikern zu
verbessern. Auch hier wären wir gefordert.

Der vierte Punkt betrifft, wie gesagt, die kohärente EU-
Politik. Jeder von Ihnen weiß, dass Handel besser ist als
Hilfe, wenn wir den Entwicklungsländern faire Handels-
chancen einräumen. Ich begrüße in diesem Zusammen-
hang den Beschluss der EU-Kommission, die europä-
ischen Märkte für die ärmsten Länder zu öffnen. Nur, von
einem Beschluss bis hin zu Taten ist es leider ein langer
Weg.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Eine wissenschaftliche Studie, die Herr Spranger dan-

kenswerterweise in Auftrag gegeben hat, besagt: 1 DM,
die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ausge-
geben wird, hat einen volkswirtschaftlichen Nutzen von
2,80 DM. Ich denke, das ist auch auf die Industrieländer
übertragbar. Das Ergebnis ist zwar eine schöne Legitima-
tion für uns Entwicklungspolitiker. Aber eigentlich ist es
auch ein Indiz für eine verkehrte Welt, nämlich für die ein-
seitige Ausbeutung des Südens durch den Norden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Solange das so ist, wird der Graben zwischen Nord und
Süd größer oder – anders formuliert – der moderne Limes
höher. Das darf nicht sein. Wenn wir das nicht ändern, be-
schränken wir unsere Verantwortung für die Welt auf
Sonntagsreden.

Letzter Satz, Herr Präsident. Weil Europa weltweit eine
solch dominante Rolle spielt, sollten wir als Entwick-
lungspolitiker gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir
die Umsetzungsdefizite beheben können. Wenn die heu-
tige Debatte dazu führt, dann hat sie sich gelohnt.

Recht schönen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412506700
Herr Kollege, ich
möchte nur sagen, dass Herr Seiters heute Geburtstag hat.
Deshalb haben wir den Präsidentenwechsel zu einer unty-
pischen Zeit vorgenommen.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Jedenfalls haben Sie Verständnis dafür, dass ich als Arzt nicht für die Geschlechtsumwandlung zuständig war!)


Jetzt hat der Kollege Joachim Günther von der F.D.P.-
Fraktion das Wort.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1412506800
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach jahrelan-
ger Kritik an der konzeptionslosen und schwerfälligen




Dr. R. Werner Schuster

12033


(C)



(D)



(A)



(B)


Entwicklungszusammenarbeit der EU, die aus vielen Be-
reichen gekommen ist, hat die Kommission nunmehr ihre
Vorschläge für eine umfassende Neuordnung der europä-
ischen Entwicklungspolitik vorgelegt.

Bedauerlicherweise, Herr Kollege Schuster – hier bin
ich anderer Meinung als Sie –, sind die entscheidenden
Impulse hierfür nicht von der Bundesregierung ausge-
gangen. Diese hätten im vergangenen Jahr während der
deutschen zum Teil Präsidentschaft in einem viel größe-
ren Umfang durchgesetzt werden können.

Als entscheidender Nachteil war bislang empfunden
worden, dass die Ziele der EU-Entwicklungspolitik zu
zahlreich, zu vage und zu beliebig waren. Es fehlte eine
übergeordnete Strategie und es mangelte zugleich an der
notwendigen Kohärenz in den verschiedenen Politikbe-
reichen der EU.

Das nunmehr vorliegende Grundsatzpapier, das im
November als Gesamtstrategie vom Entwicklungsminis-
terrat offiziell verabschiedet werden soll, enthält durchaus
vernünftige Ansätze, die mit langjährigen Forderungen
der F.D.P.-Bundestagsfraktion übereinstimmen.

Unter Aufgabe des Gießkannenprinzips wird eine Kon-
zentration auf Bereiche vorgeschlagen, in denen die euro-
päische Zusammenarbeit deutliche Vorteile aufweist. Die
sechs Schwerpunkte Handel, regionale Integration,
agrarökonomische Beratung, Verkehr, ländliche Entwick-
lung und „good governance“ decken sich im Prinzip mit
unseren Vorstellungen. Auch die geforderte bessere Ar-
beitsteilung und Abstimmung zwischen der Union und
den Mitgliedstaaten zwecks Nutzung von Synergiepoten-
zialen entspricht einer alten F.D.P.-Forderung.

Besonders lobenswert erscheint mir in diesem Zusam-
menhang die just vor wenigen Tagen, am 9. Oktober, ver-
öffentlichte Ankündigung von Handelskommissar Lamy,
dass die Kommission den 48 ärmsten Entwicklungslän-
dern für alle Waren, mit Ausnahme von Waffen, den freien
Zugang zu den europäischen Märkten einräumen will.
Dies soll sogar für solch sensible Dinge wie Bananen vor-
gesehen sein. Hier gibt es allerdings eine Übergangsfrist.

Das sind hervorragende Nachrichten für die ärmsten
unter den Entwicklungsländern. Deren Entwicklung ist
weit mehr vom Abbau der Schranken für ihre Produkte
abhängig als von entwicklungspolitischen Transferleis-
tungen im Allgemeinen.

Die von der Kommission zur Verbesserung der Effizi-
enz vorgeschlagene Einrichtung einer weiteren europä-
ischen Durchführungsbehörde mit dem schillernden
Namen „Europe Aid“ sehen wir allerdings kritisch. Eine
bessere Effizienz der Arbeit sollte durch Straffung der
Strukturen und nicht durch eine weitere kräftige Auf-
stockung des eigenen Personals erreicht werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der Fairness halber muss man hinzufügen, dass die

Kommission für die Verteilung von 8,6 Milliarden Dollar
2 500 Mitarbeiter beschäftigt, wohingegen in Deutsch-
land für die Verwaltung von nur etwa der Hälfte dieses
Betrages fast doppelt so viele Mitarbeiter benötigt wer-
den.

Trotz aller berechtigter Kritik ist die EU-Entwick-
lungszusammenarbeit insgesamt eine Erfolgsstory und
gilt in vielen Regionen der Welt als vorbildliche Form der
multilateralen Zusammenarbeit.

Lobenswert an dem neuen Konzept ist aus unserer
Sicht, dass die konkreten Projekte zukünftig nicht im
Wesentlichen von der Brüsseler Zentrale, sondern von
den EU-Delegationen vor Ort selbst verwaltet und be-
treut werden können. Aus unserer Sicht, Herr Kollege
Dr. Schuster, ist es ebenso begrüßenswert, dass man ver-
sucht, eine Außen- und Entwicklungspolitik aus einem
Guss zu machen, indem man die Verantwortung auf den
Kommissar Chris Patten gelegt hat. Eine Zusammenle-
gung und Konzentration auf diesem Gebiet entspricht
auch unseren Forderungen in der Bundesrepublik
Deutschland.

Wir fordern deshalb nach wie vor die Bundesregierung
auf, endlich die Zusammenlegung von BMZ und AA,
wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, in Angriff zu neh-
men.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der heute vorliegende Antrag der Unionsfraktion deckt

sich weitgehend mit den in unserem Antrag „Eigenver-
antwortlichkeit der AKP-Staaten fördern“ aufgestellten
Forderungen. Unterstreichen möchte ich insbesondere die
Aufforderung, die im Lomé-Nachfolgeabkommen vorge-
sehenen Konsultations- und Sanktionsmöglichkeiten kon-
sequent zu nutzen. Bedauerlicherweise ist dies bislang
weder im Falle von Simbabwe noch in denen von Äthio-
pien oder Eritrea im erforderlichen Umfange geschehen.
Wenn der Begriff „partnerschaftliche Zusammenarbeit“
nicht nur ein Schlagwort sein soll, dann kann diese Part-
nerschaft nur so lange aufrechterhalten bleiben, wie sich
beide Seiten an diese Regeln halten.

Deshalb möchte ich alle, die in diesem Bereich tätig
sind, noch einmal auffordern, Folgendes zu beherzigen:
Wer Völkerrecht und Menschenrechte massiv verletzt,
darf in Zukunft nicht mehr mit unserer Unterstützung
rechnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412506900
Jetzt hat die Kollegin
Dr.Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Ich könnte dem Antrag der CDU/CSU sofort
zustimmen


(Beifall des Abg. Peter Weiß [CDU/CSU])


– „ich könnte“, habe ich gesagt –, wenn er lauten würde:
Die Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit ist ein
gutes Stück vorangekommen und muss weiterhin konse-
quent vorangetrieben werden.




Joachim Günther
12034


(C)



(D)



(A)



(B)


Besonders die rot-grüne Bundesregierung hat sich er-
folgreich dafür stark gemacht, dass dieser Prozess voran-
schreitet. Unter deutscher Präsidentschaft wurde eine
Mitteilung zur gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik
erarbeitet und dem Rat zur weiteren Befassung vorgelegt.
Zentraler Inhalt des Kommissionsvorschlags ist die Aus-
richtung der gemeinschaftlichen EZ auf das Oberziel Ar-
mutsbekämpfung.

Die Bemühungen der Europäischen Kommission, erst-
mals eine Gesamtstrategie zur Entwicklungspolitik aus-
zuarbeiten, sind ausdrücklich zu begrüßen. Die Schwer-
punktsetzungen unter dem Titel „VorrangigeAktionsfelder
für die Entwicklungshilfe der Gemeinschaft“ sind sinn-
voll und geben jetzt endlich einen Rahmen vor, der kon-
struktiv ausgefüllt werden kann.

Ich möchte hier besonders den Punkt Aufbau institu-
tioneller Kapazitäten, „good governance“, also verant-
wortungsvolle Regierungsführung, und Rechtsstaatlich-
keit hervorheben. Ich halte diesen Punkt gerade hinsicht-
lich des spezifischen entwicklungspolitischen Profils für
ganz zentral. Im Vergleich etwa mit der Außenwirt-
schaftspolitik und der Außenpolitik der EU kommt an die-
ser Stelle die besondere Qualität von Entwicklungspolitik
zum Ausdruck.

Mit der Aufnahme dieses Punktes in das Lomé-Nach-
folgeabkommen, das im Juni 2000 in Cotonou in Benin
unterzeichnet wurde, konnte trotz enormer Vorbehalte der
AKP-Staaten ein wichtiges Ziel der Bundesregierung ver-
ankert werden. Gravierende Fälle wie Korruption können
bei Verletzung sanktioniert werden.

Für andere Bestandteile des Abkommens wie die Be-
achtung der Menschenrechte, die Einhaltung demokrati-
scher Grundsätze und Rechtsstaatlichkeit gilt es, die strik-
te Einhaltung zu überwachen und die vorgesehenen
Konsultations- und Sanktionsmöglichkeiten konsequent
zu nutzen. So wurden zum Beispiel Ende Juli 2000 Kon-
sultationsverfahren im Rahmen der Nichterfüllungs-
klausel mit den Fidschi-Inseln, wo im Mai ein Militär-
putsch stattgefunden hatte, und mit Haiti, wo es
Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen gegeben hatte, ein-
geleitet.

Die Formulierung solcher Konditionalitäten ist emi-
nent wichtig, wenn die EU weniger Projekt- und mehr
Programmhilfe oder gar direkte Budgethilfen leisten will.
Das ist nämlich nur sinnvoll, wenn das Empfängerland si-
cherstellen kann, dass die Mittel vorrangig zur Armuts-
bekämpfung genutzt werden.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Gleichzeitig darf Konditionalität aber auch nicht über-
strapaziert werden, um alle Probleme einseitig auf die
Empfänger zu verlagern. Zur Armutsbekämpfung sollte
es konkrete gegenseitige Selbstverpflichtungen von EU
und Empfängerländern geben. Im Cotonou-Abkommen
ist das ja schon angelegt.

Wesentlich für jede Zusammenarbeit – auch dies ist im
Abkommen enthalten – ist die Partizipationskompo-
nente. Es sollen unter Beteiligung der Zivilgesellschaft in
Zukunft Länderstrategiepapiere von den Regierungen der

Empfängerländer analog zur gemeinsamen Strategie zur
Armutsbekämpfung von Weltbank und IWF, also den so
genannten Poverty Reduction Strategy Papers, erarbeitet
werden. Von zentraler Bedeutung ist dann aber die reale
Beteiligung der Bevölkerung; denn ohne eine qualifi-
zierte Beteiligung der Bevölkerung gibt es keine Identifi-
kation und ohne Identifikation ist das Scheitern selbst der
besten Hilfsprojekte vorprogrammiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich auf einen zweiten zentralen Punkt ein-
gehen: Handel und Entwicklung. Hierbei steht die Her-
stellung von Kohärenz im Mittelpunkt. Wir haben die Be-
deutung dieses Themas schon immer hervorgehoben. Von
Handel und Entwicklung reden zwar viele; aber nicht we-
nige denken dabei an einen Automatismus, der – jeden-
falls bisher – nie empirisch nachgewiesen werden konnte,
vor allem nicht für die ärmsten Entwicklungsländer.


(Beifall des Abg. Carsten Hübner [PDS])

Die Armutsreduzierung wird sich nämlich nicht, auch
nicht langfristig, als Nebeneffekt einer weiteren Liberali-
sierung des Handels im Wege eines Trickle-down-Ef-
fekts von selber einstellen.

Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass die EU-Handels-
politik nicht den Zielen ihrer Entwicklungspolitik wider-
spricht. Nicht die außen- und handelspolitischen Interes-
sen der EU dürfen die Maßstäbe für Kohärenz setzen; die
Ziele der Entwicklungspolitik, insbesondere die Armuts-
bekämpfung, sollen vor allem für die ärmsten AKP-Län-
der den Maßstab liefern.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wenn sich die EU auf den Schwerpunktbereich Handel
und Entwicklung konzentrieren will, dann muss dies auch
auf eine Veränderung der bestehenden WTO-Regeln ab-
zielen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS – Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Richtig!)


Dies schließt sowohl die Zielsetzungen der nachhaltigen
Entwicklung ein als auch eine stärkere Beteiligung der
Entwicklungsländer am WTO-Aushandlungsprozess. Wir
haben das in unserem Antrag zur Kohärenz von
EU-Agrarpolitik und EU-Entwicklungspolitik im Rah-
men der WTO besonders hervorgehoben.

Die EU-Kommission hat – das haben schon andere
Kollegen angesprochen –, was die Öffnung der EU-Märkte
angeht, vor einigen Wochen einen Aufsehen erregenden
Vorschlag unterbreitet: Die Einfuhrzölle für Produkte aus
den am wenigsten entwickelten Ländern sollen vollstän-
dig abgeschafft werden. Von den Zoll- und Quotenbe-
freiungen sollen die 48 ärmsten Staaten der Erde profi-
tieren, für die die EU bereits heute Ziel von mehr als
55 Prozent ihres Gesamtexports ist. In der vorgeschla-
genen EU-Richtlinie sind auch so sensible Produkte wie
Zucker, Reis und Bananen enthalten. Die Bundesregie-
rung muss sich dafür einsetzen, dass dieser Vorschlag um-
gesetzt wird.




Dr. Angelika Köster-Loßack

12035


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Punkt her-
vorheben, bei dem ebenfalls wichtige Ansätze schon vor-
handen sind, bei dem aber noch mehr geleistet werden
muss: bei der Koordinierung und der Komplementarität.
Es gibt eine eigene Mitteilung der Kommission zur Ko-
ordinierung. Aber eine wirkliche Gesamtstrategie der
EU-Entwicklungspolitik muss die bessere Arbeitsteilung
noch viel stärker ins Blickfeld nehmen und hierzu weg-
weisende, umsetzbare Vorschläge machen.

Der deutsche Ratsvorsitz hat immerhin erreicht, dass
in einer Entschließung der Entwicklungsminister und
-ministerinnen im Mai 1999 eine Vielzahl praktischer
Möglichkeiten von Abstimmungsprozessen aufgezeigt
wurde. Durch die verstärkte Kooperation bei der Erstel-
lung von Länderstrategiepapieren sollte eine wichtige
Voraussetzung für eine bessere Koordination geschaffen
werden.

Die Schwerpunktsetzung der Europäischen Kommis-
sion ist vor allem dann sinnvoll, wenn auch die Mit-
gliedsregierungen eigene Schwerpunkte setzen und so
sicherstellen, dass keine Region, kein Land und kein Sek-
tor bei der künftigen europäischen Entwicklungszusam-
menarbeit ganz unter den Tisch fallen wird. Ich möchte
noch einmal betonen: Wir sind mit der EU-Entwicklungs-
politik, was die Kohärenz angeht, auf einem guten Weg,
der jetzt konsequent verfolgt werden muss, nicht nur auf
der europäischen Ebene, sondern auch bei uns in der Bun-
desrepublik Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412507000
Für die PDS-Fraktion
erteile ich dem Kollegen Carsten Hübner das Wort.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1412507100
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Frau Ministerin, gestatten Sie mir
zwei Vorbemerkungen, die mit dem Antrag zwar nicht
direkt zu tun haben, die mir aber wichtig sind.

Zum einen bin ich von den Entwicklungen, die wir der-
zeit in Israel bzw. in Palästina zu verzeichnen haben,
schwer betroffen. Der Friedensprozess, der von vielen
erhofft wurde und der längst notwendig ist, ist nicht nur
ins Stocken geraten, sondern arg zurückgeworfen worden.
Es ist überhaupt nicht klar, worauf die Entwicklung hi-
nauslaufen wird. Eines ist jedenfalls sicher: Auch daraus
sollten wir Konsequenzen ziehen. Wir sollten überlegen,
in welcher Form wir sowohl für den jetzt stattfindenden
als auch für den danach erforderlichen Prozess Verant-
wortung übernehmen können. Entwicklungspolitiker ste-
hen immer vor der Aufgabe, Konflikte nicht nur rechtzei-
tig zu begreifen, sondern auch schon dann, wenn sie noch
toben, darüber nachzudenken, was man tun kann


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

und welche Konsequenzen man ziehen muss, damit so et-
was, was sich im Moment dort abzeichnet, nicht noch
einmal passieren kann.

Das zweite Beispiel ist ein sehr positives Beispiel:
Wir haben vor kurzem über Kolumbien und den „Plan

Colombia“ gesprochen. Ich habe jetzt aus den Medien er-
fahren, dass sich die Europäische Union dagegen ausge-
sprochen hat, sich im Rahmen des „Plans Colombia“ mit
erheblichen Millionenbeträgen in Kolumbien zu engagie-
ren. Ich halte das für eine sehr gute Entscheidung. Der
„Plan Colombia“ ist fast vom ganzen Haus als ein Plan zur
Militarisierung der Auseinandersetzung in Kolumbien
charakterisiert worden. Wir sollten jetzt aber die Konse-
quenzen ziehen und nicht nur kein Geld für den Plan
geben, sondern auch überlegen, wie Europa und die Bun-
desrepublik dort eine eigenständige entwicklungspolitische
Konzeption vertreten können, gerade mit Blick auf alter-
native Ökonomie und Konfliktbewältigung.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Zum Antrag selber will ich sagen, dass vieles von dem,

was im CDU-Antrag aufgeführt wird, Probleme sind, die
seit langer Zeit diskutiert werden, aber nicht in der erfor-
derlichen Art und Weise angepackt worden sind. Die EU
agiert weiterhin sehr schwerfällig. Oft weiß eine Hand
nicht, was die andere tut. In Bezug auf die Koordinati-
onswege ist doch erhebliche Kritik berechtigt. Auch bei
der Verteilung der vom Europäischen Entwicklungsfond
bereitgestellten Mittel stellt die Struktur der Bürokratie
ein ganz erhebliches Hindernis dar.

Neben diesen strukturellen Problemen, mit denen die
europäische Entwicklungspolitik zu kämpfen hat, gibt es
natürlich auch Strategieprobleme, die hier, wie ich denke,
ebenfalls benannt werden sollten. Ganz wichtig ist dabei
– das ist vorhin kurz angesprochen worden –, dass die
Entwicklungspolitik als eigenständiger Faktor und als
Querschnittsaufgabe in der gemeinsamen europäischen
Außenpolitik vorkommen muss und nicht, wie es vorhin
angesprochen worden ist, als Anhängsel einer Außen-,
Handels- oder gar Militärpolitik. Wenn man sich die
Papiere anschaut, die seit Amsterdam entstanden sind,
muss man den Eindruck bekommen, dass in diese Rich-
tung gedacht wird. Das muss man hier auch sagen und das
müssen wir als Entwicklungspolitiker rechtzeitig kriti-
sieren und versuchen, es in eine andere Richtung zu len-
ken.

Es wurde die Kohärenz angesprochen: Immer dann,
wenn es um Geld, zum Beispiel um die Interessen der
Agrarwirtschaft oder um Außenhandelsinteressen, geht,
wird seit Jahren Kohärenz eingefordert. Mit der Kohärenz
ist aber immer an dem Punkt Schluss für die Entwick-
lungspolitiker, wo sich die entsprechenden Interessen an-
derer Politikfelder artikulieren. Auch das muss man so
konstatieren.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich will nur noch ein paar Bemerkungen zu dem AKP-

Kooperationsabkommen machen, weil meine Zeit ab-
läuft: Eine grundsätzliche Strukturreform von Lomé ist
mit dem Vertrag von Cotonou natürlich ausgeblieben.
Auch das müssen wir konstatieren. Die Reform, wie sie
von den Entwicklungsländern, von den NGOs und den
Kirchen eingefordert worden ist, ist nicht umgesetzt wor-
den, sondern im Grunde genommen haben wir an vielen
Punkten einen völlig offenen Bereich, der erst in den
nächsten Jahren gefüllt wird, als Vertragswerk konzipiert.
Ich hege keine allzu großen Hoffnungen, dass dieser Be-




Dr. Angelika Köster-Loßack
12036


(C)



(D)



(A)



(B)


reich in einem für uns alle befriedigenden Sinne gefüllt
wird.

Nur noch zwei Sätze hierzu, weil mir das sehr wichtig
ist: Ganz deutliche Zielgröße der EU-Entwicklungspoli-
tik muss in den nächsten Jahren der Geist von Lomé blei-
ben. Er darf nicht zurück in die Flasche gedrängt werden,
sondern es muss in diesem Geiste weitergemacht und mit
der Liberalisierungsdoktrin Schluss gemacht werden, die
besagt, dass dann, wenn der Handel erst einmal völlig frei
ist und eine Entgrenzung der Märkte entstanden ist, dies
eine Verringerung der Armut mit sich bringen wird. Ich
habe hier eine Auswertung aus der „Frankfurter Rund-
schau“. Dort stehen auf einer Seite zwei Aussagen, die für
uns ganz wichtig ist: „Hilfswerke rügen Regierung wegen
der Kürzungen im Entwicklungshilfe-Etat“. Dieser ist,
wie ich denke, eine ganz entscheidende Größenordnung.
Die zweite Aussage lautet: „Globalisierung bringt den
ärmsten Ländern nichts“. Wenn man dieses mit den bis-
herigen Kernelementen des Lomé-Vertrages kombiniert,
sollten damit doch genügend Hinweise gegeben worden
sein, die uns aufzeigen, in welche Richtung sich die EU-
Entwicklungspolitik in den nächsten Jahren entwickeln
sollte.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412507200
Es ist doch erstaun-
lich, wie lang zwei Sätze sein können.

Nun hat das Wort Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1412507300
Frau Präsi-
dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Vertrete-
rinnen und Vertreter der Regierungskoalition tragen in
dieser Debatte in etwa vor, in der EU-Entwicklungs-
zusammenarbeit sei doch alles auf einem guten Weg,


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Dann haben Sie nicht zugehört!)


alles werde gut, die Dokumente und Beschlüsse stimm-
ten, eigentlich sei der Antrag der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion völlig unnötig.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Wo waren Sie denn eben? Das ist ja ungeheuerlich!)


– Lieber Herr Schuster, das war Ihr Obersatz. Ich komme
auf die Details, die Sie angesprochen haben, noch zu spre-
chen.

Wenn es so wäre, dass in der Europäischen Union im
Prinzip alles auf einem guten Weg ist, dann wäre der An-
trag unnötig. Der Punkt ist aber: Die Sonntagsreden, die
Überschriften und die Dokumente stimmen, aber die Rea-
lität in Bezug auf die Umsetzung stimmt nicht mit dem
überein, was groß angekündigt wird. Das ist die Ursache
für die großen Probleme.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will einige Punkte ansprechen.
Erstens. Die Änderungen innerhalb der EU-Kommis-

sion und die derzeit geplanten Veränderungen in den Zu-

ständigkeiten, vor allem aber die Gründung des neuen Su-
peramtes „Europe Aid“ mit über 1 200 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern, führten tendenziell nicht zu einer Stär-
kung der Entwicklungszusammenarbeit, sondern zu einer
Schwächung. Während in Deutschland Herr Außenamts-
staatssekretär Pleuger auf Botschafterkonferenzen da-
rüber spekulieren darf, ob es nicht sinnvoll wäre, das
Entwicklungshilfeministerium in das Auswärtige Amt
einzugliedern, wird in Europa genau diese Politik bereits
praktiziert. Die Entwicklungszusammenarbeit droht ge-
genüber dem Alleinvertretungsanspruch des Kommissars
für Außenbeziehungen unterzugehen.


(Beifall des Abg. Carsten Hübner [PDS])

Damit ist das Ende einer eigenständigen Entwicklungszu-
sammenarbeit der Europäischen Union bereits vorge-
zeichnet. Diejenigen, die sich zu Recht für eine Reform
der EU-Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt hatten,
haben sich fürwahr etwas anderes vorgestellt.

Zweitens. Ich zitiere:
Die Auslandshilfeprogramme der Europäischen
Union sind bekannt für ihre schleppende und unfle-
xible Durchführung, für schlechte Qualität und über-
mäßig zentral gesteuerte und starre Verfahren.

Dieser Satz steht in einem Dokument der EU-Kommis-
sion. Es ist gut, dass es diese Selbsterkenntnis gibt.

Nachdem die Kommission dies festgestellt hatte, war
die Hoffnung groß, dass die Reform der EU-Entwick-
lungspolitik zu einem verbesserten Verfahren bei der Ge-
nehmigung von Anträgen führen würde. Aber genau das
Gegenteil ist der Fall: Von mehr als 900 Projektanträgen
deutscher Nichtregierungsorganisationen auf Kofinanzie-
rung durch die Europäische Union sind jetzt, im Oktober
2000, nur ein paar wenige tatsächlich bewilligt. Die meis-
ten Nichtregierungsorganisationen warten bis zum heuti-
gen Tag auf Geld aus Brüssel.

Als Quintessenz aus einer kürzlich in Bonn durchge-
führten Tagung, die der Kollege Schuster schon erwähnt
hat, kommt der Bonner „General-Anzeiger“ zu dem
Schluss: „Das Verhältnis zwischen den Nichtregierungs-
organisationen und der Kommission ist auf einem Tief-
punkt.“ Brot für die Welt, ein großes kirchliches Hilfs-
werk, stellt fest: „Aufwand und Ertrag stehen in keinem
vernünftigen Verhältnis mehr.“ Man überlegt sich dort, ob
man bei der EU überhaupt noch einen Antrag stellen soll.
Ich finde, das ist ein Skandal.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Drittens. Zu den Fortschritten auf dem Papier – auch

das ist schon erwähnt worden – gehört zweifelsohne das
neue Abkommen zwischen der Europäischen Union und
den AKP-Staaten. Dieses beinhaltet vor allem, dass der
Beteiligung der Zivilgesellschaft endlich ein gebühren-
der Rang eingeräumt wird. Aber auch hinsichtlich der Er-
füllung dieser Zusage warten wir auf konkrete Schritte.

Ich befürchte – auch dieser Punkt ist schon angespro-
chen worden –, dass die Zivilgesellschaft und die Nicht-
regierungsorganisationen erst recht unter die Räder kom-
men, wenn die verstärkten Budgethilfen der Europäischen
Union für die AKP-Staaten Platz greifen. Budgethilfen




Carsten Hübner

12037


(C)



(D)



(A)



(B)


darf und kann es meines Erachtens nur geben, wenn
gleichzeitig eine starke Kontrolle und Mitwirkung der
Zivilgesellschaft in den jeweiligen Ländern gewährleistet
ist, wenn die Bevölkerung den Regierenden wirklich auf
die Finger schauen kann und wenn bei der Durchführung
von Projekten der Armutsbekämpfung auch die zivil-
gesellschaftlichen Organisationen an den staatlichen Mit-
teln und Instrumenten partizipieren können.

Kooperation mit der Zivilgesellschaft darf aber nicht
dazu führen, dass die Europäische Union, wie sie es lei-
der bis zum heutigen Tag tut, einzelne Nichtregierungs-
organisationen, die ihren Interessen nützen, wie Rosinen
aus dem Kuchen pickt und andere benachteiligt. Deshalb
brauchen wir entsprechende Programme zur Unterstüt-
zung der Nichtregierungsorganisationen in ihrer Zusam-
menarbeit mit der EU.

Der Antrag, den wir als CDU/CSU-Fraktion heute stel-
len, soll die Bundesregierung zum Handeln auffordern
und wachrütteln, damit die Weichenstellungen in Brüssel
korrigiert werden, die derzeit falsch vorgenommen wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Verehrte Frau Bundesministerin Wieczorek-Zeul, Sie

werden anschließend sprechen. Wir erwarten von Ihnen
konkrete Aussagen zu folgenden Fragen: Erstens. Was
werden Sie in der nächsten Sitzung des EU-Entwick-
lungsrates am 10. November dieses Jahres unternehmen,
damit die EU-Entwicklungszusammenarbeit eine selbst-
ständige Aufgabe mit einem eigenen Kommissar bleibt
und nicht zu einer nachgeordneten Angelegenheit des
Kommissars für Außenbeziehungen wird?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens. Was werden Sie im EU-Ministerrat konkret

unternehmen, damit die administrativen Mängel beseitigt
und die Gelder für das Jahr 2000 sofort ausbezahlt wer-
den?

Es ist schon erwähnt worden, dass bei der Tagung der
Nichtregierungsorganisationen der Satz fiel: „In der
Kommission wackelt der administrative Schwanz mit
dem politischen Hund.“ Frau Ministerin, sorgen Sie dafür,
dass in Brüssel endlich die Politik der Administration
sagt, wo es langzugehen hat, und nicht umgekehrt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Darauf haben wir 16 Jahre gewartet!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412507400
Jetzt erteile ich das
Wort der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung, Frau Heidemarie
Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
die Diskussion sehr genau verfolgt. Wenn man einmal
einen Teil der verbalen Zuspitzungen beiseite lässt, wird

ersichtlich, dass es in der Frage der weiteren notwendigen
Reform der Europäischen Union in diesem Hause eine
breite gemeinsame Überzeugung gibt. Diese sollte nicht
durch allzu viele verbale Überspitzungen verdeckt wer-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wird auch deutlich, dass, seitdem die Bundesregierung
die europäische Politik mit beeinflussen und gestalten
kann, wichtige Schritte gegangen worden sind.

Der Grund, warum ich in dieser Frage zur Gemein-
samkeit aufrufe, ist folgender: 55 Prozent der gesamten
Entwicklungszusammenarbeit – Werner Schuster hat es
vorhin erwähnt – werden von der EU-Kommission und
ihren Mitgliedstaaten finanziert. Wenn wir unser Gewicht
bei der weiteren Reform und dem Festhalten an dem, was
erreicht worden ist, gemeinsam in die Waagschale werfen,
dann erreichen wir auch mehr, und zwar im Interesse der
Entwicklungsländer. Es geht ja nicht darum, dass wir un-
tereinander irgendwelche Schlachten schlagen, sondern
wir müssen alles dafür tun, dass die EU-Entwicklungs-
politik effektiver wird, damit die Menschen in den Part-
nerländern davon einen Vorteil haben. Das ist doch das
Ziel der ganzen Angelegenheit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine zweite Gemeinsamkeit konstatiere ich. Es gibt
eine breite Unterstützung – das begrüße ich ausdrück-
lich – hinsichtlich der Vorschläge der EU-Kommission,
die der französische Kommissar Lamy eingebracht hat,
dass zukünftig den ärmsten Entwicklungsländern der
freie Zugang zu den Märkten der europäischen Mit-
gliedstaaten eröffnet werden soll. Das ist ein ganz wich-
tiger Schritt der Hilfe für diese Länder, damit sie ihre
eigene Wirtschaft entwickeln können. Deshalb sollten wir
uns gemeinsam dafür engagieren, dass durch die Zustim-
mung der anderen EU-Mitgliedstaaten aus diesen Vor-
schlägen Wirklichkeit wird. Ich sage jedenfalls für die
Bundesregierung, dass wir dieses Vorhaben unterstützen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben – das ist die Wahrheit und das war auch gut
so – in der EU-Ratspräsidentschaft sofort die wichtigsten
Weichenstellungen vornehmen können, sowohl in Bezug
auf die bessere Abstimmung zwischen Kommission und
Mitgliedstaaten als auch in Bezug auf das Abkommen
von Cotonou. Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen:
Das ist ein Beispiel einer umfassenden Partnerschaft zwi-
schen Industrie- und Entwicklungsländern und es ist das
Maximum dessen, was unter entwicklungspolitischen
Gesichtspunkten hat erreicht werden können. Ich bin stolz
darauf, dass wir das erreicht haben. Wir sollten das ge-
meinsam würdigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will darauf hinweisen, an welchen Punkten es gute
Fortschritte im Interesse dieser Länder gegeben hat:




PeterWeiß (Emmendingen)

12038


(C)



(D)



(A)



(B)


Erster Punkt. Es können zukünftig in den politischen
Dialog alle Fragen eingebracht werden – bis hin zur Frage
der Reduzierung und Verhinderung des Transfers von
Kleinwaffen; das ist ein ganz wichtiger Punkt, der darin
enthalten ist.

Zweiter Punkt. Entwicklung und Handel sind sinnvoll
miteinander verzahnt worden. Was ich erreicht habe – wir,
die Bundesregierung bzw. mein Ministerium, waren in
diesem Bereich die Verhandlungsführer –, ist, dass nicht
nur bis zum Jahre 2008 Freihandelsabkommen ge-
schlossen werden – die entsprechenden Beschlüsse dazu
sind gefasst worden –, sondern dass die Entwicklungslän-
der auch Zeit haben – notfalls zehn oder zwölf Jahre, also
bis zum Jahre 2020 –, ihre eigenen Märkte zu schützen
und sich auf diesen Freihandel vorzubereiten. Das halte
ich für einen ganz großen Fortschritt, der in dieser Situa-
tion von vielen nicht erwartet worden ist. Wir haben das
verankern können.

Der dritte Punkt, der meiner Meinung nach außeror-
dentlich positiv ist, ist, dass das Abkommen von Cotonou
effektiver als all seine Vorgängerabkommen sein wird.
Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Herr Hedrich heute
so still ist. All das, was Sie in Ihrem Antrag verlangen, hät-
ten Sie doch in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit tun
können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe in dem halben Jahr der deutschen Ratspräsident-
schaft mehr Reformen in der EU-Entwicklungspolitik in
Gang gebracht als Sie während der vielen Jahre Ihrer Re-
gierungszeit. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns das einfach einmal anschauen: Das

Abkommen von Cotonou wird also effektiver als all seine
Vorgängerabkommen. Es führt zu einer Entbürokratisie-
rung und zu Erleichterungen. Stabex und Sysmin, die sich
in den entsprechenden Ländern strukturkonservierend
ausgewirkt haben, sind beseitigt worden. Im Falle kurz-
fristiger Schwankungen bei Ausfuhrerlösen kann auch
zukünftig Unterstützung gewährt werden. Das ist ein ent-
wicklungspolitisch sinnvoller Ansatz und ein gutes Er-
gebnis.

Vierter Punkt. Wir haben das Prinzip „Good Gover-
nance“ verankert. Zukünftig wird es möglich sein – das
haben Sie von der Opposition zu Ihrer Regierungszeit nie
geschafft –, in Fällen schwerer Korruption die Zusam-
menarbeit mit dem betroffenen Staat auszusetzen. Das ist
wichtig. Denn Korruption bedeutet, das Geld der Armen
zu stehlen. Deshalb müssen wir im Rahmen unserer Ent-
wicklungszusammenarbeit alles dafür tun, dass Korrup-
tion in den Partnerländern unterbleibt. Das ist unsere Auf-
gabe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zukünftig kann in solchen Fällen die finanzielle Unter-
stützung ausgesetzt werden.

Ich möchte aber auch nicht verhehlen – das richte ich
jetzt an die Adresse all derjenigen, die immer Good Go-

vernance für andere anmahnen –, welche sarkastischen
Kommentare ich im Zuge der Diskussion mit den Part-
nerländern über diese Frage gehört habe. Sie haben ge-
sagt: Kehrt doch erst einmal vor der eigenen Tür, vor ei-
ner ganz besonders. Auch darauf will ich an dieser Stelle
einmal hinweisen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer also mit dem Finger auf andere zeigt, muss wissen:
Die Regeln des AKP-Abkommens mit der EU binden
nicht nur die eine Seite, sondern alle Seiten. Auch das ist
ein wichtiges Kriterium.

Ich möchte dann darauf hinweisen, dass wir – das wird
uns auf dem nächsten Ministerrat beschäftigen; danach
wurde ja gefragt – in einer gemeinsamen Erklärung von
Rat und Kommission eine übergreifende Konzeption für
die gemeinschaftliche Entwicklungspolitik verabschie-
den werden. Ich denke, dass das Europäische Parlament
daran entsprechend beteiligt sein muss. Wir begrüßen die
Konzeption, die die EU-Kommission zu den neuen Ziel-
setzungen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit
vorgelegt hat; ich brauche die einzelnen Details hier nicht
anzusprechen.

Aber ich will für die Bundesregierung feststellen: Wir
möchten, dass die Erklärung zur gemeinschaftlichen Ent-
wicklungspolitik der EU für alle Entwicklungsländer gel-
ten soll, dass damit also ein Stück Kohärenz gegenüber
anderen erreicht wird. Umwelt- und Ressourcenschutz,
die Frage der Gleichstellung von Frauen, die Einhaltung
der Menschenrechte, die Demokratieförderung und die
Krisenprävention müssen Querschnittsthemen sein, wenn
diese Neupositionierung der Europäischen Union erfolgt.

Das Hauptziel muss doch sein, dass die Europäische
Union ihre Rolle, die sie selbst im Sinne regionaler Zu-
sammenarbeit spielt, so einbringt, dass auch andere re-
gionale Strukturen auf der Welt unterstützt werden. Das,
was die EU ausmacht, nämlich Frieden durch Zusam-
menarbeit zu sichern, Frieden durch wirtschaftliche Ver-
flechtungen zu sichern, muss sie auch in anderen Regio-
nen der Welt voranbringen. Dieser Punkt ist uns bei der
gemeinsamen Erklärung wichtig.


(Beifall der Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte zum Schluss noch ein paar praktische
Punkte ansprechen. Wir begrüßen es, dass die EU-Kom-
mission zukünftig ihre Verfahren vereinfachen will, dass
sie die Umsetzung ab der Programmierungsphase in einer
Hand zusammenfassen will. Aber ich sage ausdrücklich
dazu: Ich halte wenig davon, dass die EU-Kommission
jetzt versucht, sich eigene Durchführungsorganisationen
zuzulegen.


(Beifall im ganzen Hause)

Es gibt bereits entsprechende nationale Durchführungs-
organisationen, die jederzeit dafür in Anspruch genom-
men werden können. Wir kommen unter Effizienz-
gesichtspunkten ein gutes Stück voran, wenn sich die
Kommission auf ihre Kernaufgaben wie Politikformulie-
rung, Programmierung und Bewertung konzentriert und




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

12039


(C)



(D)



(A)



(B)


die Durchführung weitgehend den nationalen Organisa-
tionen überlässt.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Diese Position vertrete ich auch. Ich weise aber darauf
hin, dass es Mitgliedstaaten gibt – das wissen Sie –, die
diese nationalen Durchführungsorganisationen nicht ha-
ben. Deren Unterstützung in dieser Frage ist vielleicht
nicht ganz so stark, wie das zum Beispiel bei Großbritan-
nien der Fall ist.

Zum Schluss zu den Nichtregierungsorganisationen.
Ich finde es wirklich schwer erträglich, was die EU-Kom-
mission in diesem Bereich praktiziert.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Allerdings!)


Wir waren übrigens die Ersten – ich bitte, das anzuerken-
nen –, die in Europa Regierungen und Nichtregierungs-
organisationen an einen Tisch gebracht haben: Die Bun-
desregierung hat während ihrer Ratspräsidentschaft hier
in Berlin zu einem gemeinsamen Seminar geladen. Die
EU-Kommission hat damals zugesichert, das werde
zukünftig alles einfacher. Das ist nicht eingetreten. Ich
werde nächste Woche auf einer Reise, bei der ich auch in
Brüssel sein werde, ein Gespräch mit dem EU-Kommis-
sar Poul Nielson führen und dabei eindrücklich darauf
hinweisen, dass sowohl der Zugang von Nichtregierungs-
organisationen als auch deren Antragsrechte schnell ver-
bessert werden müssen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Der ist ja nicht mehr zuständig für die Auszahlung!)


– Ja, das wollte ich gerade sagen: In der Zwischenzeit be-
raten wir als Bundesregierung die Nichtregierungsorgani-
sationen – was in unserem Bereich eigentlich gar nicht
notwendig wäre –, damit sie es im Umgang mit der Kom-
mission in Brüssel einfacher haben.

Fazit: Lassen Sie uns die Kräfte bündeln, damit die
EU-Politik in der Entwicklungszusammenarbeit gestärkt
wird. An die Adresse all derjenigen, die Sorge haben, der
Außenpolitik könnte auf EU-Ebene künftig mehr Ge-
wicht zukommen als der Entwicklungszusammenarbeit,
sage ich: Je entschlossener wir in diesen Fragen auf die
Partnerländer einwirken, die in diesem Bereich keine ei-
genen Strukturen haben und infolgedessen unseres nach-
drücklichen Engagements bedürfen – dies ist vielleicht
ein dezenter Hinweis an Herrn Günther –, umso eher wer-
den wir es schaffen, das Gewicht der Entwicklungszu-
sammenarbeit auf europäischer Ebene zu erhöhen.

Ich bedanke mich sehr herzlich für die Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412507500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3771 an die in der Tagesordnung aufge-

führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes
zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
– Drucksache 14/3764 –

(Erste Beratung 114. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/4265 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Harald Friese
Erwin Marschewski (Recklinghausen)

Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Harald Friese, SPD-Fraktion.


Harald Friese (SPD):
Rede ID: ID1412507600
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten und be-
schließen heute abschließend das Fünfzehnte Gesetz zur
Änderung des Bundeswahlgesetzes und wissen, dass da-
mit keine grundsätzliche Revision des Bundeswahlgeset-
zes verbunden ist. Dafür gibt es auch keine Notwendig-
keit, denn das Bundeswahlgesetz hat sich bewährt. Aber
es gibt natürlich immer wieder neue Erkenntnisse der
Rechtsprechung, veränderte Bedürfnisse der kommuna-
len Praxis und natürlich auch Wünsche zur Vereinfachung
des Wahlrechts. Deshalb halten wir eine Novellierung für
notwendig.

Wir wissen zum Beispiel, dass die Städte und Gemein-
den immer größere Schwierigkeiten haben, Wahlhelfe-
rinnen und Wahlhelfer zu finden. Auch die Parteien ma-
chen immer weniger Vorschläge für Wahlhelfer, die an
einem Sonntag zur Verfügung stehen. Dies wundert uns,
weil die Parteien eigentlich ein ureigenes Interesse daran
haben, mit einem Mitglied in den Wahlvorständen vertre-
ten zu sein, um so den Wahlvorgang und die Stimmaus-
zählung mit kontrollieren zu können.

Auf den ersten Blick erscheint unser Novellierungs-
vorschlag kontraproduktiv, denn wir wollen die Zahl der
Mitglieder der Wahlvorstände auf sieben erhöhen. Wir
versprechen uns davon, dass die Tätigkeit als Wahlhelfer
dadurch attraktiver wird, denn so ermöglichen wir
Schichtarbeit, um es einmal so auszudrücken. Wenn der
Wahlhelfer weiß, dass er nicht mehr den ganzen Sonntag
im Wahllokal sein muss, wird er vielleicht eher zur Mit-
arbeit bereit sein. Wir hoffen also, dadurch zusätzliche
Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu gewinnen. Wir über-
lassen es aber den Gemeinden, ob sie von dieser Mög-




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
12040


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(A)



(B)


lichkeit, die Wahlvorstände zu erweitern, Gebrauch ma-
chen. Sie ist fakultativ.

Die Änderung des § 9 Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes
entspricht einer seit langem erhobenen Forderung der
Städte und Gemeinden. Gerade weil es immer schwieri-
ger wird, Wahlhelfer zu gewinnen, müssen die Gemein-
den verstärkt auf kommunale Bedienstete zurückgreifen,
um die Wahlvorstände überhaupt noch ausreichend beset-
zen zu können. Die Sicherstellung der Durchführung ei-
ner Wahl kann aber nicht auf dem Rücken der kommuna-
len Bediensteten ausgetragen werden. Deshalb wollen wir
alle öffentlich-rechtlichen Institutionen verpflichten, auf
Ersuchen der Gemeinden Wahlhelfer zur Verfügung zu
stellen.

Uns erstaunt, dass diese Novellierung öffentlich kriti-
siert worden ist. So hat die stellvertretende Vorsitzende
der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaft-
lichen Engagements“, unsere Kollegin Marie-Luise Dött
von der CDU/CSU-Fraktion, dies heftig kritisiert. Sie
hat festgestellt, der Wahlzettel sei kein Antrag, den man
einem Behördenvertreter zur Abwicklung übergebe.
Zwangsverpflichtung von Beamten sei der falsche Weg,
beseelt von dem Irrglauben, der Staat könne von oben das
Miteinander der Bürgerinnen und Bürger regeln und re-
gulieren.

Dass man durch eine solche Regelung schon fast die
Demokratie in Gefahr sieht, wundert mich. Ich muss hier
wirklich die Frage stellen, ob unsere Kollegin Dött über-
haupt weiß, wovon sie redet.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Man weiß nie, was ihr macht!)


Sie macht etwas sehr geschickt: Sie mobilisiert alle Vor-
behalte gegen Beamte und Behördenvertreter.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Man kann nicht vorsichtig genug sein, Herr Kollege!)


Dazu sage ich: Das machen wir nicht mit, denn wir sind
nicht bereit, zu akzeptieren, dass Beamte und Angehörige
des öffentlichen Dienstes, die teilweise seit Jahrzehnten
Wahlhelfer sind, in der Öffentlichkeit so diskreditiert wer-
den. Im Gegenteil, wir sagen ihnen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Erhöht lieber das Gehalt im Jahre 2000 und zieht ihnen nichts ab, das wäre denen lieber!)


Ich wiederhole: Dieser Gesetzentwurf trägt dazu bei,
die Gewinnung von Wahlhelfern zu erleichtern. Alle Bür-
ger sind aufgerufen, sich als Wahlhelfer zur Verfügung zu
stellen. Auch die Parteien sind aufgefordert, Vorschläge
zu machen. Wenn es aber zu wenig Wahlhelfer gibt und
deshalb die Wahldurchführung unmöglich wird, muss es
die Ultima Ratio sein, Menschen zu verpflichten. Die
Durchführung einer Bundestagswahl hat Vorrang vor der
Freiwilligkeit bei der Verpflichtung eines Wahlhelfers.

Wir entsprechen mit dem Gesetzentwurf einem weite-
ren Wunsch der Gemeinden, nämlich dem Wunsch nach
der Errichtung einer Wahlhelferdatei. Hierzu gibt es

keine datenschutzrechtlichen Bedenken, weil jemand, der
Wahlhelfer ist und in die Datei aufgenommen wird, über
sein Widerspruchsrecht informiert wird. Für den Deut-
schen Städtetag sage ich ausdrücklich: Die Verwendung
des Plurals bei „Telefonnummern“ bedeutet, dass auch die
Telefonnummer des Arbeitgebers oder Dienstherrn ge-
speichert werden kann.

Weiterhin nehmen wir eine Anpassung des Wahl-
rechts an das Melderecht vor. Im Melderecht werden an
eine erweiterte Melderegisterauskunft relativ hohe Anfor-
derungen gestellt. Das Wählerverzeichnis enthält ebenso
sensible Daten wie das Melderegister. Es liegt öffentlich
aus und jedermann kann Einsicht nehmen. Das ist mit
dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Bür-
gers nicht vereinbar.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Das heißt, in Zukunft werden wir eine Einsicht in das
Wählerverzeichnis nur zulassen, wenn konkrete Anhalts-
punkte für eine Unrichtigkeit des Wählerverzeichnisses
genannt werden können.

Ich möchte noch zwei Punkte erwähnen, die das Ver-
fahren der Kandidatenaufstellung betreffen. Bisher
konnten Delegierte von einer Delegiertenversammlung
23 Monate nach der Bundestagswahl gewählt werden. Die
Kandidatenaufstellung konnte erst 32 Monate danach er-
folgen. Daraus ergab sich ein Abstand von neun Monaten.
Die Delegierten konnten zwei Jahre vor der nächsten
Wahl gewählt werden. Hier sehen wir die Gefahr, dass
Delegierte gewählt werden, die zum Zeitpunkt der Auf-
stellung der Kandidaten nicht mehr die politische Mei-
nung der Parteibasis bzw. der Mitglieder widerspiegeln.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Deshalb verlängern wir diese Frist – vom Wahltermin aus
gerechnet verkürzen wir sie – auf 29 Monate, sodass De-
legiertenwahl und Kandidatennominierung nur noch drei
Monate auseinanderliegen und insgesamt nur noch ein-
einhalb Jahre vor der nächsten Wahl stattfinden.

Zu dem Bereich der innerparteilichen Demokratie
– das, was ich gerade genannt habe, gehört auch zu dem
Komplex der innerparteilichen Demokratie –, der sich als
Verfassungsauftrag unmittelbar aus Art. 21 des Grundge-
setzes ableiten lässt, gehört auch die neue Vorschrift des
§ 21 Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes. Danach hat jeder
Teilnehmer an einer Nominierungskonferenz das Recht,
einen Kandidaten bzw. eine Kandidatin vorzuschlagen.
Der Kandidat – das bekommt er gesetzlich garantiert – hat
das Recht, sich in angemessener Zeit persönlich vorstel-
len und sein Programm darlegen zu können.

Meine Damen und Herren, es wäre reizvoll, der Frage
nachzugehen, ob man dies im Parteiengesetz als Frage der
inneren Ordnung der Parteien oder im Wahlrecht als Aus-
fluss des Wahlrechtes regeln müsste. Aber das Bundes-
verfassungsgericht hat es in einer unnachahmlichen For-
mulierung in seiner Entscheidung vom 20. Oktober 1993
wie folgt entschieden:




Harald Friese

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(D)



(A)



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Die Aufstellung der Wahlkandidaten bildet die Naht-
stelle zwischen den von den Parteien autonom zu ge-
staltenden Angelegenheiten ihrer inneren Ordnung
und dem auf die Wahlbürger bezogenen Wahlrecht.

Das Bundesverfassungsgericht stellt weiter fest, dass
die Wahl eines Kandidaten

die Einhaltung eines Kernbestandes an Verfahrens-
grundsätzen verlangt, ohne den ein Kandidatenvor-
schlag schlechterdings nicht Grundlage eines demo-
kratischen Wahlvorganges sein kann. Halten also die
Parteien diese elementaren Regeln nicht ein, so be-
gründet dies die Gefahr der Verfälschung des demo-
kratischen Charakters der Wahl bereits in ihren
Grundlagen.

Meine Damen und Herren, es ist kein Ruhmesblatt für
die Parteien, dass wir gesetzlich regeln müssen, dass De-
legierte oder Mitglieder einer Partei einen Kandidaten
vorschlagen können und dass dem Kandidaten das Recht
gegeben wird, sich und sein Programm in einer ausrei-
chenden und angemessenen Zeit vorstellen zu können.
Aber Sie kennen ja die Vorfälle aus den Jahren 1990 und
1991 in Hamburg. Ich glaube, es ist notwendig und rich-
tig, dass wir manchmal auch solche Selbstverständlich-
keiten regeln.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Neuregelung der Wahlkostenerstattung blieb
bis zum Schluss kontrovers. In unserem Gesetzentwurf
sind die Abschaffung der Gemeindegrößenklassen, die
Spitzabrechnung von Kosten, die man exakt erfassen
kann, und eine pauschalierte Zuweisung an die Länder zur
Weitergabe an die Gemeinden vorgesehen.

Die CDU-Fraktion wollte eine generelle Spitzabrech-
nung. Herr Marschewski, wir stimmen dem nicht zu, weil
dies einen riesigen Verwaltungsaufwand bedeuten würde.
Außerdem sind die entsprechenden Kosten nicht bis auf
den letzten Pfennig spitz abzurechnen. Der Deutsche
Städtetag tritt für eine Beibehaltung der Gemeinde-
größenklassen ein. Darüber hätte man zwar sprechen kön-
nen, aber wir wissen, dass der Bundesrat einer solchen
Regelung nicht zugestimmt hätte. Daran wollten wir diese
Novellierung nicht scheitern lassen. Das heißt, das jetzige
Kombinationsmodell entspricht den Bedürfnissen der
kommunalen Praxis.

Wir wissen auch, dass die Wahlkosten in Großstädten
höher sind als in kleinen Gemeinden. Die Länder haben
aber die Möglichkeit, im Rahmen der Verteilung der ih-
nen pauschal für die Gemeinden zugewiesenen Gelder ei-
nen Schlüssel aufzustellen, der diejenigen Städte und Ge-
meinden, die höhere Wahlkosten aufweisen, entsprechend
berücksichtigt. Damit ist auch das Petitum des Deutschen
Städtetages erfüllt.

Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustim-
men.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412507700
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Erwin Marschewski.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1412507800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Es ist eigentlich guter Brauch in diesem Hause, Fra-
gen des Wahlrechts gemeinsam zu regeln. Deswegen bin
ich, meine Kolleginnen und Kollegen aus der Regie-
rungskoalition, ein wenig darüber enttäuscht, dass Sie von
dieser eigentlich selbstverständlichen und guten Tradition
abgewichen sind.

Was hat Sie gehindert, in eine ergebnisoffene Beratung
mit uns einzutreten? Dabei haben Sie schon selbst fast den
Überblick über Ihren eigenen Gesetzentwurf verloren. Sie
mussten ihn mit einem eigenen Antrag ein wenig nach-
bessern. Daher wiederum die herzliche Bitte an Sie: Keh-
ren Sie bei den wichtigen Fragen des Wahlrechts zum
Konsens zurück. Sie haben die Chance, dies bei der Neu-
ordnung der Wahlkreise zu tun. Ich hoffe, dass wir im
Sinne aller Kolleginnen und Kollegen gemeinsam zu ei-
ner vernünftigen Gesamtlösung kommen werden.

Doch nun, Herr Kollege, komme ich zu den einzelnen
Punkten. Der Wahlzettel ist für uns kein Antrag, den
man einem Behördenvertreter zur Abwicklung übergibt.
Meine Kollegin Marie-Luise Dött hat völlig Recht, wenn
sie dies so formuliert. Man übergibt das nicht einfach dem
Staat.

Richtig ist, dass wir immer mehr Schwierigkeiten ha-
ben, Wahlhelfer zu gewinnen. Für eine Bundestags-
wahl – auch das sollte man einmal hier erwähnen –
braucht man sage und schreibe rund 600 000 Wahlhelfer.
Ich nehme gern die Gelegenheit wahr, den Damen und
Herren, die die langen Stunden in den Wahllokalen ver-
bringen, hierfür ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es wäre natürlich sinnvoll, dieses Wahlhilfeengage-
ment durch Förderung des Ehrenamtes zu unterstützen.
Sie tun dies aber bedauerlicherweise nicht. Statt Bürger zu
motivieren, Herr Friese, wollen Sie Beamte rekrutieren.
Ein Kollege hat vorhin zu mir gesagt: Warum nehmen wir
dann nicht gleich die Bundeswehr? Nein, das wollen wir
nicht. Wahlen sind Angelegenheiten des gesamten Volkes.
Die Wahlhelfertätigkeit gehört nicht nur in den Bereich
des öffentlichen Dienstes.

Ein Weiteres: Auch bei der Regelung der Kostener-
stattung meine ich, dass Sie nicht ganz konsequent sind.
Ich begrüße es, dass Sie auf der einen Seite eine spitze Ab-
rechnung durchführen. Das ist richtig. Auf der anderen
Seite pauschalieren Sie jedoch wieder und machen zwi-
schen den großen und den kleinen Gemeinden keinen Un-
terschied, obwohl das Bundesverfassungsgericht gerade
dies ausdrücklich gefordert hat.

Wenn Sie sagen, die Länder haben jetzt die Möglich-
keit, den Kommunen Erstattungsgelder zu gewähren,
dann antworte ich Ihnen darauf: Ich kenne mein Land
Nordrhein-Westfalen. Ich warte darauf, dass der Minis-




Harald Friese
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(C)



(D)



(A)



(B)


terpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr
Clement, meiner Gemeinde, der Stadt Recklinghausen,
entsprechende Auslagen ersetzen wird. Ich glaube nicht,
dass dies geschehen wird. Das bedeutet doch wiederum:
Bundespolitik geht letzten Endes – auch Sie wissen das –
zulasten der Gemeinden.

Ansonsten regelt Ihr Gesetzentwurf Selbstverständ-
lichkeiten. Ich teile voll und ganz Ihre Auffassung, dass
die Vertreterversammlungen näher an die Bundestags-
wahl heranrücken sollten. Wir brauchen selbstverständ-
lich aktuelle Kandidaten. Wir brauchen eine aktuelle Dis-
kussion des Programms. Es ist gut, dass dies so geregelt
wird, wie wir es durch einen Gesetzentwurf schon vor vier
Jahren geregelt haben.

Auch die Erhöhung der Zahl der Beisitzer auf sieben ist
eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie die Idee, dadurch
den Schichtbetrieb zu ermöglichen. Auch der Vorschlag
– das steht ebenfalls im Gesetz –, die Wahlumschläge bei
der Urnenwahl abzuschaffen, ist grandios. Sie sehen, das
ist wirklich ein weltbewegender Vorschlag dieser Regie-
rungskoalition. Aber auch das muss geregelt werden. Das
ist wahr.

Ich stimme Ihnen bei dem Vorschlag zu, das Recht,
dass Mitglieder in der Vertreterversammlung Wahlvor-
schläge machen können, ausdrücklich aufzunehmen. Das
stand bisher nicht im Gesetz. Es sollte ebenfalls klar sein,
dass sie sich und ihr Programm vorstellen können.

Ich habe bereits zu Beginn und auch im Innenaus-
schuss das Verfahren ein wenig kritisiert. Wir haben – das
haben Sie erwähnt, Herr Friese – durch zwei Anträge ver-
sucht, diese, so meinen wir, Fehler Ihres Entwurfs zu
korrigieren. Noch lieber hätten wir über diese Dinge
vorab im Konsens diskutiert. Wir hätten dann zum Bei-
spiel vorgeschlagen, die Wahlteilnahme von über 500 000
im Ausland lebenden Deutschen zu erleichtern. Es gehen
sehr wenig Deutsche, die im Ausland wohnen, zur Wahl.


(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Auch Ausländer, die in Deutschland leben!)


Das liegt zum einen daran, dass Botschaften nicht immer
hilfreich sind. Wir wissen dies durch Auslandsbesuche.
Das ist so. Zum anderen ist auch das Verfahren außerge-
wöhnlich kompliziert. Ich glaube, darüber sollten wir uns
einmal unter fachkundigen Kollegen unterhalten.

Auch einen zweiten Punkt hätten wir gerne vorge-
schlagen. Ich meine, dass es nun endlich Zeit ist, die Bun-
destagswahlperiode auf fünf Jahre zu verlängern.
Es ist doch die Praxis: Kaum sind wir gewählt, bereiten
wir uns schon wieder auf den nächsten Bundestagswahl-
kampf vor. Wir haben zu wenig Zeit – aufgrund von
Wahlkreisänderungen und was weiß ich nicht alles –, uns
auf effektive und sachorientierte Arbeit zu stürzen; dafür
bleibt zu wenig Zeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie gesagt: Das alles macht nur Sinn, wenn wir es

nicht im Alleingang, sondern im Gespräch behandeln.
Hierzu bieten wir selbstverständlich unsere Mitarbeit an.
Meine Damen und Herren der SPD, wir kritisieren zwar

die Form und müssen auch zwei Ihrer Vorschläge ableh-
nen, aber wir machen ein Angebot zur Zusammenarbeit:
Wir stimmen diesem Gesetzentwurf insgesamt zu.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412507900
Für das Bündnis 90/Die
Grünen erteile ich dem Kollegen Cem Özdemir das Wort.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412508000
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema eig-
net sich wahrlich nicht zum Streit der Parteien und der
Fraktionen. Ich begrüße es, dass die Union dem Entwurf
der Bundesregierung zustimmen möchte. Ich will die An-
regung, die Kollege Marschewski auch im Innenaus-
schuss gegeben hat, über dieses Thema künftig gemein-
sam mit den Fraktionen zu sprechen, gerne aufgreifen und
Ihnen zusagen, dass wir das machen. Das sollte man wirk-
lich tun.

Ich will aber eines noch einmal sagen – Herr
Marschewski, Sie haben die Wahlkreisneueinteilungen
angesprochen –: Ich erinnere mich noch sehr präzise da-
ran, dass die Wahlkreisneueinteilungen mit Mehrheit von
der alten Koalition gegen die Opposition verabschiedet
wurden. Es gibt einige Willkürentscheidungen – Sie wis-
sen das –, mit denen wir uns demnächst beschäftigen wer-
den. Sie sollten also den Anspruch, den Sie an uns ge-
richtet haben, auch selber erfüllen, damit Sie glaubwürdig
sind.

Was die Frage der Verlängerung der Legislaturperi-
ode angeht: – Auch darüber kann man sicherlich reden.
Ich weiß, dass es dazu in Ihrer Fraktion unterschiedliche
Positionen gibt. Ich finde den Vorschlag dann erwägens-
wert, wenn man ihn mit der Stärkung von Elementen der
direkten Demokratie verbindet. Denn wir dürfen auf der
einen Seite den Abstand zu den Wahlen nicht noch mehr
vergrößern und geben den Bürgerinnen und Bürgern auf
der anderen Seite nicht die Möglichkeit, auch zwischen
den Wahlen mitzuentscheiden. Deshalb sagen wir Ja zu
fünf Jahren Legislaturperiode, wenn wir auf der anderen
Seite in unsere Gesellschaft Elemente der direkten De-
mokratie einführen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann müssen Sie mehr Kampagnen machen!)


Ich möchte zum Gesetz kommen. Das Gesetz – das hat
Kollege Friese beschrieben – regelt die Harmonisierung
des Wahlrechts mit dem Melderecht und andere wich-
tige praktische Probleme bei der Durchführung von Bun-
destags- und Europawahlen. Bedeutsam ist – darauf
wurde bereits hingewiesen – die Abschaffung der öffent-
lichen Auslegung von Wählerverzeichnissen, § 17 des
Bundeswahlgesetzes. Das ist auch für alle Datenschützer
in unserem Land ein wichtiger Fortschritt.

Die Einsicht in die Akten soll künftig nur noch unter
bestimmten Voraussetzungen erfolgen. Ich finde das not-
wendig, weil bisher sogar das Geburtsdatum von jedem
Mann und jeder Frau einsehbar war; es war praktisch
gleichbedeutend mit einem Auszug aus dem Melderegis-
ter.




Erwin Marschewski (Recklinghausen)


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(D)



(A)



(B)


Die bisherige Rechtslage hat dazu geführt, dass die Da-
ten gefährdeter Personen offen lagen. Die bisher beste-
hende Regelung, im Melderecht für gefährdete Personen
einen Sperrvermerk vorzusehen, lief bisher ins Leere. Die
notwendige Schutzwirkung wurde durch die offen geleg-
ten Wählerverzeichnisse unterlaufen.

Einen weiteren wichtigen Punkt regelt der neue § 21
Bundeswahlgesetz. Jeder stimmberechtigte Teilnehmer
einer Parteivertreterversammlung kann bei der Kandida-
tenaufstellung Wahlvorschläge unterbreiten. Das gab es
bisher nicht; Sie haben alle darauf hingewiesen. Für uns
demokratische Parteien ist das eine Selbstverständlich-
keit, aber leider, wie wir auch erfahren haben, nicht für
alle Parteien.

Genauso neu ist der Anspruch jedes Kandidaten, sich
und sein Programm der Versammlung vorzustellen. Als
ich das im Gesetzentwurf gelesen habe, musste ich erst
einmal schmunzeln, um mir erklären zu lassen, dass auch
dieses – eigentlich eine verfassungsmäßig selbstverständ-
liche Angelegenheit – nicht für alle selbstverständlich
war. Bei Bündnis 90/ Die Grünen, in meiner Partei, und
sicherlich auch in den anderen Parteien ist dieses selbst-
verständlich. Es ist gut, dass es jetzt vorgeschrieben wird.

Die Gemeindebehörden sind künftig berechtigt, perso-
nenbezogene Daten zum Zwecke der Gewinnung von
Wahlvorständen zu erheben. Als eine Partei, die sich
dem Datenschutz verpflichtet weiß, haben wir auch die-
ses mit den Datenschützern sorgfältig geprüft. Wir sind zu
dem Ergebnis gekommen, dass man mit dieser Regelung
nicht nur gut leben kann, sondern dass sie auch sinnvoll
ist. Es hat keinen Zweck, Gesetze zu machen, die vor Ort
schlicht nicht praktikabel sind. Die Speicherung von An-
schriften und Telefonnummern der Wahlvorstände ent-
spricht einer dringenden Bitte des Deutschen Städtetages.
Dieser Bitte sind wir selbstverständlich nachgekommen;
denn die Kommunen haben Schwierigkeiten, die Wahl-
vorstände kurzfristig aufzutreiben.

Ich möchte zum Schluss den Appell, den Kollege
Marschewski und auch Kollege Friese bereits gemacht
haben, auch noch einmal von meiner Fraktion aus wie-
derholen: Wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern, die in
die Wahlvorstände gehen, herzlich dafür danken, dass sie
dieses machen. Sie machen das ohne viel Aufhebens seit
Jahr und Tag. Wir kennen alle die vertrauten Gesichter,
wenn wir in die Wahllokale gehen; meistens sehen wir
dort dieselben Menschen wieder, die mit einem freundli-
chen Lächeln ihrer demokratischen Pflicht nachgehen. All
diesen Bürgerinnen und Bürgern gebührt unser herzlicher
Dank. Im möchte bei dieser Gelegenheit aber auch an an-
dere appellieren, sich zu dieser Aufgabe bereit zu erklä-
ren. – Das macht es auch für die Kommunen einfacher,
Wahlen zu organisieren.

Ich empfehle daher namens meiner Fraktion die An-
nahme dieses Gesetzentwurfes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412508100
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht der Kollege Dr. Max Stadler.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1412508200
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Schock, den
der CDU-Spendenskandal ausgelöst hat, hat im Frühjahr
dieses Jahres eine Diskussion über die Krise des Par-
teienstaates eingesetzt, und nahezu alle Parteien haben
versucht, neue Antworten auf die Frage, wie denn die
Mitbestimmungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten
derBürgerinnen und Bürger in unserer Demokratie ent-
scheidend verbessert werden können, zu formulieren.

Wenn man vor dem Hintergrund dieser öffentlichen
Debatte heute jemanden, der politisch interessiert ist, aber
den Inhalt dieses Gesetzentwurfs nicht zur Kenntnis ge-
nommen hat, fragen würde, worüber denn der Deutsche
Bundestag vermutlich diskutieren würde, wenn eine Än-
derung des Wahlrechts anstünde, käme wohl niemand auf
die Idee zu antworten, es gehe um die Abschaffung des
Umschlags für den Wahlschein, Auslegungsfristen, das
Recht eines Kandidaten, sich mit seinem Programm sei-
nen Parteifreunden vorstellen zu können, und Ähnliches.

Ich muss schon sagen: Das, was Sie hier vorlegen, ist
reine Technik. Dagegen ist ja nichts zu sagen, die meisten
Vorschläge sind durchaus sinnvoll, lohnen aber keine
nähere Auseinandersetzung hier im Plenum. Trotz all der
Mühe und Akribie, die die verehrten Vorredner aufge-
wandt haben, gelingt es einfach nicht, diesem Gesetz ir-
gendeine Bedeutungsschwere zu verleihen.

Die eigentlichen Probleme des Wahlrechts gehen Sie
nämlich nicht an. Als ein solches sehe ich zum Beispiel
die Frage, wie wir auf die Erkenntnisse der jüngsten
Shell-Studie, die einen drastischen Rückgang des Interes-
ses junger Menschen an der Politik dokumentiert, wie wir
auf die Erkenntnisse einer Emnid-Umfrage, wonach nur
noch 30 Prozent der Bevölkerung großes Vertrauen in die
Demokratie haben, und wie wir auf den Umstand antwor-
ten sollten, dass das, was an Vertrauensverlust besteht,
eben nicht nur in einem Untersuchungsausschuss über
Parteispenden aufgearbeitet werden kann, sondern auch
Antworten erfordert, die mehr Mitbestimmungsmöglich-
keiten für die Bürgerinnen und Bürger vorsehen.

Das beginnt mit halboffenen Listen, bei denen – ähn-
lich demWahlrecht für manche Landtage – es möglich ist,
nicht nur eine Partei, sondern auch eine Person direkt zu
wählen und somit mehr Einfluss auf die personelle Be-
setzung zum Beispiel des Bundestages zu nehmen. Eine
solche Regelung gibt es im Bundeswahlrecht nicht. Das
bedeutet, dass man über die Einführung von Elementen
direkter Demokratie, über dieAusdehnung von Bürgerbe-
fragungen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheidungen,
nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bundesebene
nicht nur diskutieren dürfte, sondern auch Entscheidun-
gen fällen müsste, so wie das die F.D.P. auf ihrem Nürn-
berger Parteitag im Mai beschlossen hat.


(Beifall bei der F.D.P.)

Zu all dem hören wir von der Koalition nichts und das

ist auch verständlich. Sie legen uns ein Bürokratengesetz
zur Abstimmung vor, da Sie sich in der Koalition leider
wieder einmal nicht einig sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Leider wahr!)





Cem Özdemir
12044


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Grünen haben sich als Ankündigungsspezialisten er-
wiesen, die es immerhin geschafft haben, in die Koaliti-
onsvereinbarung folgenden Satz hineinzubringen:

Wir wollen die demokratischen Beteiligungsrechte
der Bürgerinnen und Bürger stärken. Dazu wollen
wir auch auf Bundesebene Volksinitiative, Volksbe-
gehren und Volksentscheid durch Änderung des
Grundgesetzes einführen.

Das Ergebnis ist gleich null.
Lieber Kollege Özdemir, nur meine ablaufende Rede-

zeit hindert mich daran, aus meinem Archiv vorzulesen,
was von Ihnen zu diesem Thema noch alles gefordert wor-
den ist, aber nicht verwirklicht wird.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Wir hätten es gerne gehört!)


Stattdessen muss ich die letzten Sekunden meiner Rede
auf die Union verwenden, denn auch dort stellen wir Un-
einigkeit fest. Während neuerdings Erwin Huber, Staats-
minister in München und Leiter der Staatskanzlei, sehr
wohl für den Volksentscheid auf Bundesebene eintritt, ist
die CDU noch lange nicht so weit, obwohl doch gerade
die CDU durch ihr Verhalten dazu beigetragen hat, dass
diese Diskussion ausgelöst worden ist und diese Antwor-
ten bezüglich mehr Bürgerbeteiligung jetzt gegeben wer-
den müssten. Daher wäre es wünschenswert, wenn in der
CDU ein Umdenken stattfände. Wir brauchen für eine
Verfassungsänderung nämlich eine Zweidrittelmehrheit.

Dem, was Sie heute vorgelegt haben, stimmen wir zu.
Es nützt zwar nicht viel. Es verdirbt aber auch nichts. Al-
lerdings bleiben Sie die Antwort auf die wirklichen Fra-
gen noch schuldig.


(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412508300
Jetzt spricht die Kol-
legin Petra Pau für die PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1412508400
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Es ist eine wahrhaft historische
Stunde: Wir schaffen den Wahlumschlag ab. Das ist ein
ökologisches Reformprojekt, aber auch ein gesundheits-
politisches. Denken wir nur an die arbeitsschutzrelevan-
ten Aspekte sowohl für Wählerinnen und Wähler als auch
für diejenigen, die diese Umschläge öffnen und die Wahl-
zettel unversehrt herausholen müssen.


(Beifall bei der PDS)

Dann ist da auch noch die demokratische Selbstver-

ständlichkeit – die Kollegen haben schon darauf hinge-
wiesen –, dass Kandidatinnen und Kandidaten, bevor sie
es denn werden, möglichst noch sagen, wer sie sind und
wie sie ihr Mandat nutzen wollen.

Aber im Ernst. Ich hatte, nachdem sich die Koalition
für dieses Gesetz so viel Zeit genommen hat, wirklich ge-
hofft, dass sie ihre Ankündigung vom 9. September 1999,
als sie über die Vorschläge der PDS zum Wahlgesetz mit
uns debattiert und abgestimmt hat, wahr macht und sich

nochmals mit der Herabsetzung des Wahlalters beschäf-
tigt, dass wir in diesem Zusammenhang vielleicht auch
über die längst fällige Reform des Wahlrechts für Auslän-
der und Ausländerinnen reden, dass wir Elemente der
Volksgesetzgebung ernsthaft debattieren und in das Ge-
setz aufnehmen oder aber die Beispiele, die der Kollege
Stadler eben genannt hat, mit den halboffenen Listen, also
die Möglichkeit, zu panaschieren und zu kumulieren,
ernsthaft prüfen und in das Wahlgesetz aufnehmen.

Nichts von alledem ist passiert. Sie haben versucht, den
Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Nun kann man
sich – wie die Kollegen vor mir schon betonten – all die-
sen Dingen nicht verschließen. Ich möchte dem Staats-
sekretär mitteilen, dass ich, seinem Hinweis aus der Aus-
schusssitzung folgend, noch einmal die Fristen zur Ein-
berufung der Versammlung der Vertreter und Vertreterin-
nen und zur Bestimmung der Delegierten geprüft habe. Es
ist richtig; Sie haben dieses geheilt. Ich werde meiner
Fraktion deshalb empfehlen, diesen Gesetzentwurf nicht
abzulehnen, sondern sich der Stimme zu enthalten


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade! – Zuruf des Abg. Erwin Marschewski eine neue Variante, Herr Kollege Marschewski –; denn das Problem ist zwar in diesem Gesetz geheilt. Aber ich sage voraus: Spätestens dann, wenn wir uns mit dem Wahlkreisgesetz beschäftigen, werden wir wieder vor dieser Frage stehen. Mir ist noch unklar, wie dieses Problem für die Wahl des 15. Deutschen Bundestages gelöst werden soll, ohne in die Rechte von Mitgliedern der Parteien, aber auch in die Rechte von Kandidatinnen und Kandidaten einzugreifen. Da Sie das nicht aufklären konnten, machen wir auf diese Art und Weise darauf aufmerksam, dass hier noch ein Widerspruch besteht. Danke schön. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, Drucksachen 14/3764 und 14/4265. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der PDS und Zustimmung der übrigen Fraktionen des Deutschen Bundestages ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der PDS und Zustimmung der übrigen Fraktionen ist der Gesetzentwurf angenommen. Dr. Max Stadler 12045 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Gesetzliche Mitspracherechte bei Unternehmensübernahmen – Drucksache 14/3394 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat die Kollegin Ulla Lötzer, PDS-Fraktion, das Wort. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur sieben Monate nach der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone haben sich die schlimmsten Befürchtungen, die IG Metall, Beschäftigte und auch wir damals geäußert haben, bewahrheitet. In Rekordzeit wird der Konzern mit 131 000 Beschäftigten zerschlagen. Alles wird verkauft. Schließlich muss das Geld für die Übernahme – das war eine Riesensumme – irgendwie zusammengebracht werden. Keines der Versprechen, die Chris Gent damals gegenüber den Beschäftigten und der Gewerkschaft gemacht hatte, ist bisher eingehalten worden. Diese Erfahrungen machen deutlich, was es wert ist, wenn das Recht von Beschäftigten in solchen Prozessen darauf beschränkt ist, Versprechen zu glauben. In verschiedenen Debatten wurde uns vorgeworfen, Ängste vor Fusionen zu schüren. Erfahrungen wie diese im Zusammenhang mit Mannesmann/Vodafone schüren Ängste. Die Ängste der Menschen sind real, weil viele ihre Zukunftsperspektive verlieren. Wir gehen mit unserem Antrag gegen diese Ängste an. Um zukünftig keine Ängste mehr haben zu müssen, brauchen Beschäftigte Rechte, die ihnen helfen, solche Prozesse zu gestalten und ihre Zukunftsperspektiven aktiv zu sichern, und die dazu beitragen, dass sie – das vertritt auch die Bundesregierung ständig – in solchen Prozessen nicht untergehen. Das steht im Mittelpunkt unseres Antrags, nicht etwa das Schlagen von alten Schlachten oder Strukturkonservatismus. Im Gegenteil: In unserem Antrag entwickeln wir eine Vorwärtsstrategie, mit der sich die soziale Demokratie, die sich im Strukturwandel befindet, erneuern lässt. Wenn Sie das als Schlagen von alten Schlachten verstehen, dann erklären Sie die Auseinandersetzung um die Erneuerung der sozialen Demokratie zu einer alten Schlacht und damit auch soziale Demokratie selbst zu einem Auslaufmodell. Der Meinung sind wir allerdings nicht. Auch die Bundesregierung hat sich mehrfach in Reden und mit der Bildung einer Kommission, die ein Übernahmegesetz erarbeiten soll, zur Verbesserung der Mitbestimmung von Beschäftigten bekannt. Im Entwurf des Finanzministeriums ist davon leider nicht viel übrig geblieben. Mehr als eine Pflicht zur Unterrichtung über die Folgen einer Übernahme und ihre Auswirkungen ist nicht vorgesehen. Ich frage Sie daher: Welche Rechte haben die Beschäftigten denn, wenn sie unterrichtet sind? Chris Gent hat die Beschäftigten unterrichtet, zum Beispiel darüber, dass Atec an die Börse geht. Keine drei Monate später waren die Atec-Maschinenbauund Atec-Autozuliefertöchter verkauft. Mitbestimmung bedeutet Mitentscheidung. Sie kann nicht bei Unterrichtung stehen bleiben, wie Sie das in Ihrem Entwurf tun. Deshalb fordern wir Sie auf, Ihren Entwurf eines Übernahmegesetzes um die Verpflichtung zu einem Fusionstarifvertrag und ein Vetorecht von Beschäftigten, Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten zu ergänzen. Im neuesten Weltinvestitionsbericht stellt die UNCTAD fest: Die Erfahrungen, die bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone gemacht worden sind, sind kein Einzelfall. Fusionen und Übernahmen sind in der Regel mit Beschäftigungsverlusten verbunden. Sie machen inzwischen 83 Prozent der Direktinvestitionen aus. Die UNCTAD setzt sich im Gegensatz zur Bundesregierung sehr kritisch mit diesem Strukturwandel auseinander, und zwar kritisch in Bezug auf die zunehmende Konzentration und Macht der Global Player, kritisch auch deshalb, weil die Entwicklungsländer dadurch noch stärker zurückfallen. Ihr Anteil an den Direktinvestitionen ist von 38 Prozent auf 24 Prozent gesunken. Selbst in den Entwicklungsländern überwiegt inzwischen die Anzahl der Übernahmen, durch die keine neuen Fertigungskapazitäten und Arbeitsplätze entstehen. Der Generalsekretär der UNCTAD fordert internationale Regeln. Wir können uns dem nur nachdrücklich anschließen. Wir fordern Sie deshalb in unserem Antrag – das ist ein erster Schritt – auch auf, Vorschläge für eine internationale Fusionskontrolle vorzulegen. Vielen Dank. Nun hat das Wort die Kollegin Nina Hauer für die SPD-Fraktion. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich das Verdienst Ihres Antrages, dass er zwei Anliegen anspricht, die die Öffentlichkeit bewegen, wenn es um die Diskussion der Regelung für Übernahmen und Fusionen in Deutschland geht. Das Erste sind die Interessen der Beschäftigten, und das Zweite ist die Idee, Übernahmen und Fusionen gesetzlich zu regeln. Ich finde, dass ihr Antrag zu sehr auf der Ebene der Vorurteile agiert und widersprüchlich verfasst ist. Mein Eindruck ist, dass Sie den Leuten ideologisch motiviert eher Angst machen wollen, als dass Sie einen konstruktiven Beitrag zur derzeitigen Debatte über die Regelung der Übernahmerichtlinie in Deutschland leisten. (Beifall bei der SPD – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Die Leute haben ihre Arbeitsplätze verloren!)


(Beifall bei der PDS)

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412508500




(C)


(D)


(A)


(B)

Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1412508600

(Beifall bei der PDS)

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412508700
Nina Hauer (SPD):
Rede ID: ID1412508800




Vizepräsidentin Anke Fuchs
12046


(C)



(D)



(A)



(B)


Die SPD-Fraktion unterstützt den von der Bundesre-
gierung eingeschlagenen Weg, um mit der europäischen
Richtlinie eine Gesetzgebung auf den Weg zu bringen, die
verbindlich regelt, was bei Übernahmen zu geschehen
hat.

Dass es unumgänglich ist, dass Unternehmen mitei-
nander fusionieren und dass börsennotierte Unternehmen
übernommen werden, können Sie nicht mehr in Abrede
stellen. Für ein tragfähiges Gesetz brauchen wir allerdings
eine breitere Debatte. Wir lehnen Ihren Antrag heute ab,
weil wir glauben, dass wir in Deutschland Zeit für diese
Debatte benötigen. Wir müssen diese Diskussion nicht
nur auf politischer Ebene im Bundestag führen, wir müs-
sen diese Diskussion mit Experten führen und wir müssen
die Diskussion mit denjenigen führen, die Erfahrungen im
Bereich der Übernahme haben.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Die Erfahrungen haben wir doch schon! Das ist eine absurde Argumentation!)


Uns liegt besonders daran, dass bei der neuen Richtli-
nie vor allem die Interessen der Beschäftigten berück-
sichtigt werden. Deshalb begrüßen wir, dass dieser Ansatz
im Entwurf vorliegt. Hier ist vorgesehen, dass es eine In-
formationspflicht gegenüber den Arbeitnehmern gibt und
dass es eine Pflicht zur Veröffentlichung der Angebotsun-
terlage gibt, die nicht nur allgemein verständlich, sondern
in deutscher Sprache den Arbeitnehmern, aber auch den
Anlegern zugänglich sein soll. Das Zielunternehmen
muss in seiner eigenen Stellungnahme auch den Stand-
punkt der Arbeitnehmervertretung darlegen. Im Übernah-
merat, der für die Übernahmerichtlinie zuständig sein
wird, sollen auch die Arbeitnehmer und die Kleinanleger
vertreten sein.


(Beifall bei der SPD)

Wir denken, dass das nicht das Einzige ist, was die Be-

schäftigteninteressen sichert. Mich ärgert es, dass Sie so
tun, als ob Übernahmen immer zwangsläufig zum Nach-
teil für die Beschäftigten sind. Sie vergessen, dass es Un-
ternehmen gibt, die von Übernahmen betroffen sind, weil
sie hinter ihren Möglichkeiten wirtschaften. Sie arbeiten
zum Nachteil ihrer Arbeitnehmer, aber auch zum Nachteil
der Beschäftigungsentwicklung in diesen Unternehmen
und der gesamten Branche insgesamt. Übernahmen enden
nicht damit, dass Unternehmen, die übernommen werden,
also die ehemaligen Konkurrenten, zerschlagen werden.
Übernahmen verhindern oft das Sterben eines Konkur-
renten oder verhindern, dass der Konkurrent auch aus an-
deren Gründen am Wettbewerb nicht mehr teilnehmen
kann. All das kostet Arbeitsplätze.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Deshalb wollen wir die Mitbestimmung!)


In den USA gab es in den 80er-Jahren eine Welle der
Umstrukturierung. Diese Welle ist langsam abgeebbt.
Jetzt gibt es wesentlich weniger Übernahmen innerhalb
der Vereinigten Staaten. In Europa hat diese Welle Anfang
der 90er-Jahre begonnen. Mit Mannesmann/Vodafone
gab es Ende der 90er-Jahre den spektakulärsten Fall und
den ersten Fall, der in der Öffentlichkeit breit diskutiert
wurde.

In Ihrem Antrag nennen Sie bestimmte Branchen, die
für Unternehmensübernahmen besonders anfällig sind.
Bei der Aufzählung dieser Branchen gebe ich Ihnen völ-
lig Recht. Ich will Ihnen an zwei Beispielen demonstrie-
ren, dass es sich bei Übernahmen oft um Umstrukturie-
rungsprozesse handelt, die für Unternehmen dringend
notwendig sind, um konkurrenzfähig zu bleiben und um
entstehende Märkte auszuschöpfen.

Das erste Beispiel stammt aus der Luft- und Raum-
fahrttechnik. Dies ist ein Bereich, in dem die Entwick-
lungszeiten besonders lang und die Entwicklungskosten
besonders hoch sind. Hier ist es sinnvoll, dass National-
staaten die Entwicklung nicht mit einem kleinen Budget
bestreiten. Es ist sinnvoll, international zu kooperieren.
Das ist für den Transfer des technischen Know-how un-
umgänglich. Die internationale Kooperation steigert auch
die Zahl der Übernahmen in dieser Branche.

Das zweite Beispiel stammt aus dem Bereich Tele-
kommunikation und Energie. Wir diskutieren hier – in
der Vergangenheit ist schon vieles entschieden worden –
die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes und
des Energiemarktes. Die Verbraucher finden die sinken-
den Preise positiv. Es hat viele neue Arbeitsplätze in die-
sem Bereich gegeben, weil sich große Monopolmarktbe-
herrscher mit vielen Konkurrenten auseinander setzen
müssen.

Fusionen sind eine Reaktion auf diese Marktliberali-
sierung und auf wachsenden Konkurrenzdruck. Wir müs-
sen dafür sorgen, dass diese Fusionen stattfinden können
und auch nach bestimmten Regeln stattfinden. Wir dürfen
sie nicht verhindern, denn dann würden wir positive Ent-
wicklungen im liberalisierten Markt behindern und damit
letztendlich auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze ge-
fährden.

Natürlich sind Übernahmen auch darauf gerichtet, eine
Marktdominanz zu erreichen und den Markt zu beherr-
schen. Das steht außer Frage. Die Europäische Union
führt eine strenge Kartellkontrolle durch, die viele Über-
nahmekandidaten, übrigens auch die Mannesmann AG,
dazu zwingt, sich nach einer Fusion von bestimmten Be-
reichen zu trennen, und zwar nicht nur deswegen, weil sie
ökonomisch nicht mehr zum Kerngeschäft gehören, son-
dern auch deshalb, weil es kartellrechtlich nicht zu ver-
antworten wäre, wenn sie in der Hand eines einzigen Un-
ternehmens verblieben. Auch das führt dazu, dass sich
neue Bereiche entwickeln und dass Arbeitsplätze ge-
schaffen werden. Es führt übrigens auch dazu, dass der
Markt nicht einseitig dominiert werden kann. Ich gebe Ih-
nen völlig Recht, dass es da Probleme gibt. Das ist ja auch
der Grund, warum die nationalen Kartellbehörden und die
Kartellaufsicht der Europäischen Union immens wichtig
sind.

Dass es für Unternehmen nötig und wichtig ist, sich
von Bereichen zu trennen, hat natürlich auch steuerliche
Gründe. Das von uns im Rahmen der Steuerreform einge-
führte, von Ihnen aber angegriffene Halbeinkünftever-
fahren verfolgt auch den Zweck, es den Unternehmen zu
ermöglichen, sich von Beteiligungen zu trennen und
Rückstellungen aufzudecken, sodass diese kleinen Unter-
nehmungen, um die es sich ja in der Regel handelt, nicht




Nina Hauer

12047


(C)



(D)



(A)



(B)


sterben müssen. Dies ist gerade für die Beschäftigten
wichtig. Wenn es sich für ein Unternehmen nicht mehr
lohnt, einen kleinen Unternehmensteil zu behalten, kann
es ihn wegdrücken. Die Beschäftigten aber verlieren ihre
Arbeitsplätze. Wenn Konzerne sich leichter von kleinen
Beteiligungen trennen können, dann besteht auch die
Möglichkeit, dass diese Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Nicht nur in meinem Wahlkreis gibt es dafür eine Reihe
ganz beeindruckender Beispiele.

Sie beklagen diese mögliche Marktbeherrschung, ver-
weigern sich allerdings jedem Ausweg. Mich erstaunt ehr-
lich gesagt schon ein bisschen, dass ausgerechnet die PDS
hier antritt, um die Eigentumsstruktur der alten „Deutsch-
land AG“ aufrechtzuerhalten. Eine Untersuchung besagt,
dass von den 20 größten börsennotierten Unternehmen
der USA 3,2 Prozent Querverflechtungen und Querbesitz
haben, während es in Deutschland 20 Prozent sind. Um
genau diesem Tatbestand entgegenzutreten, brauchen wir
nicht nur eine geregelte Aufsicht über Übernahmen, son-
dern auch die Ergebnisse, die die Steuerreform in diesem
Bereich zeitigen wird.

Sie wollen – das ist auch Teil Ihres Antrags – das Bar-
angebotmit aller Gewalt in die Übernahmerichtlinie hin-
einbringen. Wenn für jede Übernahme automatisch ein
Barangebot gemacht werden muss, dann wird die Old
Economy, die alten großen Industrien, an den Übernah-
men beteiligt sein; die New Economy, die kleinen, wen-
digen Unternehmen, die neu amMarkt antreten, wird hin-
gegen keine Chance haben. Diese Unternehmen werden
nicht nur das Vermögen nicht aufbringen können, um ein
Barangebot zu leisten, sie werden realistischerweise
dafür auch kaum bei irgendeiner Bank einen Kredit be-
kommen.

Übrigens sind auch die Beschäftigten immer häufiger
Aktionäre, und zwar nicht nur als Fondssparer, wie es bei
vielen Familien in Deutschland mittlerweile der Fall ist,
sondern auch als private Kleinanleger oder sogar als Ak-
tionäre des Unternehmens, in dem sie arbeiten. Amerika-
nische Pensionsfonds haben Klaus Esser bei der Diskus-
sion um Vodafone und Mannesmann Tipps gegeben. Sie
kontrollieren Fondsvermögen, in denen sie für ihre Ge-
werkschaftsmitglieder Altersvorsorgemittel angelegt ha-
ben, und sitzen heute schon mit mehreren Prozent Betei-
ligung bei den Unternehmensübernahmen am Tisch.

Wir müssen in Deutschland die Voraussetzungen für
eine Aktienkultur schaffen, die auch den Gewerkschaf-
ten an die Hand gegeben werden kann – vielfach müssen
sie sich diese nur nehmen –, und zwar in der Weise, dass
die Mitbestimmung auch in diesem Bereich deutlich aus-
gebaut wird. Das hat für Übernahmekandidaten, aber
auch für Übernahmen, die dann zu regeln sind, eine große
Bedeutung.

Wenn ich über die Gewerkschaften und ihre Möglich-
keiten des Aktienbesitzes rede, dann denke ich natürlich
immer auch an kleinere Anleger. An die ist im Diskus-
sionsentwurf der Bundesregierung für die Übernahme-
richtlinie ebenfalls gedacht worden. Anleger benötigen
nicht nur Information und Transparenz, sondern auch das
Recht, die Kursentwicklungen zunächst zu beobachten.
Innerhalb einer bestimmten Frist müssen auch sie wider-

rufen bzw. korrigieren dürfen. Spätestens seit der Über-
nahme von Mannesmann durch Vodafone wissen wir,
dass kurzfristiges Handeln gewährleistet sein muss, weil
sich in kurzer Zeit eine Menge ändern kann.

Wir befinden uns in Deutschland am Beginn einer
neuen Aktienkultur, aber auch am Beginn eines Umstruk-
turierungsprozesses in unserer Wirtschaft. Wir wollen
diese Strukturveränderungen aktiv begleiten und gestal-
ten, weil wir es für eine Aufgabe der Politik halten, unse-
rer Wirtschaft dabei zur Seite zu stehen, weil es für uns
Sozialdemokraten aber auch eine wichtige Aufgabe ist,
den Beschäftigten in diesem Prozess beizustehen.

Unser Richtlinienentwurf enthält daher folgende
Punkte, auf die es uns besonders ankommt: Eine Über-
nahmerichtlinie muss gesetzlich verankert werden. Ein
freiwilliger Kodex mag für viele eine psychologische
Wirkung haben. Eine gesetzliche Regelung ist dadurch
nicht zu ersetzen. Wir wollen, dass bei 30 Prozent Inbe-
sitznahme ein Pflichtangebot ausgelöst wird; 50 Prozent
wäre zu viel. Auf Hauptversammlungen anwesende Ak-
tionäre, die 30 Prozent der Aktien halten, haben dort in der
Regel die Stimmenmehrheit.

Wir wollen Informationspflicht und Transparenz für
Beschäftigte und Aktionäre. Wir wollen ein klares, geord-
netes und gesetzlich festgeschriebenes Verfahren, an dem
sich alle Beteiligten orientieren können. Wir wollen eine
wirksame Aufsicht im Übernahmerat durch Experten aus
der Wirtschaft und der Politik, aber natürlich auch durch
Vertreter der Arbeitnehmer und der Anleger. Außerdem
wollen wir für dieses Gesetz Sanktionsmöglichkeiten;
sonst macht eine gesetzliche Regelung keinen Sinn.

Wir sind optimistisch, dass wir eine gute Regelung fin-
den werden. Wir sind auf diesen Prozess gespannt, der mit
dem Diskussionsentwurf der Bundesregierung jetzt los-
getreten wird. Die SPD-Fraktion begleitet und gestaltet
diesen Prozess aktiv. Wir fordern alle anderen Parteien
auf, daran konstruktiv teilzunehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412508900
Der Kollege Dr. Kolb
gibt seine Rede zu Protokoll. Dasselbe gilt für die Kolle-
gin Margareta Wolf.1) Deswegen hat als Letzter in dieser
Debatte der Kollege Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Frak-
tion, das Wort.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1412509000
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Technik und Po-
litik verändern die Welt. Die Märkte wachsen zusammen
und die Unternehmen müssen darauf reagieren. Sie tun es
zum Teil durch eigenes Wachstum und durch Investitio-
nen in neue Märkte, zum Teil durch Übernahmen und Fu-
sionen. In einer sich so grundsätzlich verändernden Welt
finden diese Übernahmen und Fusionen immer häufiger
statt. Das alles ist ganz normal.




Nina Hauer
12048


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

Es ist auch nichts Besonderes, dass sich die Politik in
dieser Situation Gedanken darüber macht, wie sie den
Prozess von Fusionen und Übernahmen vernünftig be-
gleiten kann und wie sie für diesen Prozess ein Regelwerk
schaffen kann, das Überbürokratisierung vermeidet, aber
gleichzeitig zielsicher ist und die Vorgänge planbar, nach-
vollziehbar und transparent macht. Deswegen begrüßen
wir ein Übernahmegesetz ausdrücklich. Das, was von den
Experten im Kanzleramt bisher erarbeitet worden ist, ent-
hält eine Menge akzeptabler Punkte. Ich glaube, dass die
Debatte über dieses Gesetz ziemlich ideologiefrei ablau-
fen kann – bis auf den Antrag, den wir gerade beraten. Auf
ihn will ich aber gar nicht so intensiv eingehen.

Unsere Auffassungen liegen in dieser Angelegenheit
sehr nahe beieinander. Man könnte einmal einen Wettbe-
werb über die Frage veranstalten, wie wir zielgenauer das
erreichen, was wir gemeinsam wollen. Frau Kollegin, ich
habe in Ihrer Rede eigentlich keine grundsätzlichen Un-
terschiede erkennen können. Es gibt Nuancen, über die
man noch einmal sprechen kann. Man muss über die Fris-
ten nachdenken.

Für uns ist zum Beispiel die Frage, ob sich das Unter-
nehmen noch wehren können soll, die so genannte Neu-
tralitätspflicht, sehr wichtig. Ich weiß, dass Vertreter
einer strengen Ordnungspolitik sagen, man dürfe ohne
Hauptversammlung überhaupt nichts tun. Ich halte das
nicht für sehr intelligent. Ich bin der Meinung, wir müss-
ten den Unternehmen die Möglichkeit einräumen, dass
ihre Eigentümer durch Verankerung in der Satzung oder
in Form von Grundsatzbeschlüssen festlegen können: „Im
Falle einer feindlichen Übernahme sollen Vorstand und
Aufsichtsrat Folgendes tun dürfen: …“ Das wäre viel-
leicht praktikabler, als jedes Mal eine Hauptversammlung
abhalten zu müssen, die dann in kürzester Zeit mit viel
Theater, mit Möglichkeiten zur Manipulation und allem
Drum und Dran zusammengerufen werden muss. Viel-
leicht wäre das ein praktischerer Weg. Ich fände es gut,
wenn wir über solche Fragen miteinander reden würden,
eher im Stile eines Sachverständigengesprächs als eines
politischen Streitgesprächs.

Unseren Antrag zur heutigen Debatte haben wir des-
wegen zurückgezogen, weil der Termin, wie ich meine,
im Moment noch nicht günstig ist und es deshalb nicht
nötig ist, darüber zu diskutieren. In diesem Zusammen-
hang ist nämlich die Frage ganz wichtig, was Europa
macht. Wir haben klare Hinweise, dass die Europäer nun
endlich eine Übernahmerichtlinie veröffentlichen wol-
len. Deswegen ist es klug – Minister Eichel ist ja mitt-
lerweile auch darauf eingegangen –, die Beratung des
Gesetzes in der Hoffnung zurückzustellen, dass der euro-
päische Entwurf nun schnell kommt. Ich gehe einmal da-
von aus, dass er spätestens im ersten Quartal des neuen
Jahres vorliegt.

Wir sind klug beraten, unser Übernahmerecht in größt-
möglicher Übereinstimmung mit dem europäischen
Übernahmerecht zu gestalten. Dieses Thema eignet sich
nur sehr begrenzt für nationale Alleingänge. Der PDS-An-
trag verfolgt auf seiner ganzen Linie eigentlich nichts an-
deres als einen nationalen Alleingang. Schon deswegen ist
er untauglich. Übernahmen laufen wie kaum eine andere
wirtschaftliche Entwicklung auf internationaler Ebene ab,

in den wenigsten Fällen auf nationaler. Wir würden des-
wegen, wenn wir diesen Ansatz weiterverfolgen und per-
manent nationale Besonderheiten einbringen, einen fata-
len Effekt hervorrufen: Damit würden wir erreichen, dass
Unternehmen, die so etwas vorhaben, Deutschland mei-
den und, wenn sie in Deutschland sind, Deutschland ver-
lassen würden. Auf diese Weise würde eine Konzern-
vertreibungsstrategie verfolgt. Unternehmen, die wir in
Deutschland gerne als Kapitalinvestoren sähen, würden
unter diesen Bedingungen deutsche Unternehmen nicht
übernehmen, sondern auf anderen Wegen versuchen, den
deutschen Markt aufzurollen. Sie müssen nicht unbedingt
deutsche Unternehmen übernehmen, wenn sie den deut-
schen Markt aufrollen wollen.

Das wäre also eine insgesamt schädliche Entwicklung.
Ich kann der PDS nur dringend raten, solche Regeln,
wenn sie wirklich Arbeitsplätze schützen will, nicht zu
fordern. Ich glaube, mit einer solchen Politik würde man
in Deutschland Arbeitsplätze gefährden, zerstören oder
die Unternehmen zur Abwanderung bewegen. Davon un-
terscheidet sich das vernünftige Regelwerk, an dem wir
im Moment gemeinsam arbeiten.

Ich möchte noch ein paar Forderungen der CDU/CSU
nennen, mit denen wir ein vernünftiges Abwehrpotenzial
des Zielunternehmens sicherstellen wollen. Wir wollen
die Pflicht zu Bargeboten deutlich reduzieren. Vielleicht
müssen wir gerade über das Thema Bargebote, Frau Kol-
legin, noch einmal nachdenken. Ich habe den Sinn, der
darin liegen soll, eine frühe Schwelle für Barpflichtgebote
einzubauen, noch nicht erkannt. Es gibt nur einen wirklich
guten Grund, das zu tun, nämlich dann, wenn die Aktien
eines Unternehmens illiquide sind, weil es praktisch kaum
welche gibt. Hier ist die Gefahr der Manipulation des Ak-
tienkurses und damit des Übernahmepreises riesengroß.
Wenn man sich darauf verständigen könnte, nur an dieser
Stelle Bargebote zur Pflicht zu machen und diese dann
über den Durchschnittspreis der letzten Zeit vernünftig zu
ermitteln – auch darüber kann man sich mit Sachverstand
unterhalten –, sind wir einverstanden. Andere Argumente
haben mich bisher nicht überzeugt.

Wir wollen auch – das ist ein Thema, über das wir mit
Ihnen im Steuerbereich noch einmal reden müssen –, dass
bei Übernahmen Privatanleger und Belegschaftsak-
tionäre gleich behandelt werden. Den Belegschaftsak-
tionären wird eine Übernahme nicht als ein Verkauf ange-
rechnet, für den sie Steuern zahlen müssten, den
Aktionären aber wird sie angerechnet. In dem einen Fall
gibt es eine einjährige Spekulationsfrist, im anderen Fall
ist es eine achtjährige Spekulationsfrist. Ich möchte, dass
Aktionäre gleich behandelt werden, auch in dem von Ih-
nen vorgetragenen Sinn. Aktionäre sind ja nicht nur reiche
Leute, sondern auch Mitarbeiter und Arbeitnehmer. Mitt-
lerweile gibt es 15 Millionen Aktionäre in Deutschland.
Da kann man nicht mehr von kleinen Eliten sprechen.

Wir müssen eine Überregulierung vermeiden, wir müs-
sen die Frage der Aufsichtsbehörde eindeutig regeln. Für
mich ist ganz wichtig, dass bei Rechtsstreitigkeiten der
Sitz der Zielgesellschaft ausschlaggebend sein müsste.
Wenn man schon in Form einer feindlichen Übernahme
angegriffen wird, dann sollte man sich wenigstens in
einem Rechtsumfeld wehren können, in dem man sich




Hartmut Schauerte

12049


(C)



(D)



(A)



(B)


auskennt. Der Angreifer kann sich ja vorbereiten, der An-
gegriffene nicht. Deshalb ist es unter Fairnessgesichts-
punkten richtig, dass der Sitz des Zielunternehmens die
Rechtslage bestimmt. Damit steigen ganz eindeutig die
Chancen, sich gegen unfreundliche oder feindliche Über-
nahmen intelligent zu wehren.

Wir brauchen praktikable und klar definierte Arbeit-
nehmerunterrichtungspflichten, aber keine Vetomöglich-
keiten, die im PDS-Antrag überall durchschimmern. Die-
ser Ansatz ist eindeutig verfassungswidrig. Es handelt
sich nämlich um einen Eingriff in das Eigentum, der durch
nichts zu rechtfertigen wäre. Wir sind gut beraten, wenn
wir die europäische Richtlinie abwarten und unsere Ge-
setze ganz schnell – bis auf kleine Facetten – dement-
sprechend anpassen.

Ich will eine weitere Bemerkung machen. Die Gefahr
bei einer Überregulierung in diesem Komplex, wie sie im
Antrag der PDS durchschimmert, besteht darin, dass sich
die Unternehmen nicht rechtzeitig auf neue Strukturen
einstellen können. Wenn wir der Meinung sind, dass an-
gesichts der Größe der Unternehmen Kartell- und Wett-
bewerbsfragen im Mittelpunkt stehen, dann müssen wir
die Probleme mithilfe des Kartellrechts und nicht mithilfe
des Übernahmerechts lösen.

Eine abschließende Bemerkung zum Kartellrecht. Ich
bin der festen Überzeugung, dass wir eine intensivere Be-
obachtung unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten brau-
chen, als wir sie in der Vergangenheit für notwendig ge-
halten haben, und dass wir die kartellrechtlichen
Instrumente – national, europäisch und möglicherweise
darüber hinaus – verbessern und verschärfen müssen. Wir
diskutieren ja auch in der Enquete-Kommission „Globali-
sierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Ant-
worten“ über diese Fragen sehr intensiv. Das Kartellrecht
wird eine große Renaissance haben, weil es in einer glo-
balisierten Welt wichtiger wird als in den kleinen, über-
schaubaren Märkten, an die wir uns gewöhnt haben.

Ich habe zwei Minuten meiner Redezeit nicht ausge-
nutzt, die Sie jetzt mehr für diesen Freitagnachmittag zur
Verfügung haben.

Alles Gute!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412509100
Wir danken Ihnen,
Herr Kollege.

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 14/3394 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der
§§ 1360, 1360 a BGB

– Drucksache 14/1518 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Ich eröffne die Aussprache. Die Reden der Kollegen
Anni Brandt-Elsweier, Margot von Renesse, Ronald
Pofalla, Irmingard Schewe-Gerigk, Rainer Funke und
Christina Schenk sind zu Protokoll gegeben worden.1) Ich
schließe die Aussprache.


(Margot von Renesse [SPD]: Das ist der Sache angemessen!)


– Frau Renesse, ich hätte Sie gerne zu diesem spannenden
Thema gehört.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/1518 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink und der Fraktion der
PDS
Personalstruktur- und Dienstrechtsreform an
Hochschulen und Forschungseinrichtungen
– Drucksache 14/3900 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. Sind Sie damit einverstanden?
– Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Maritta Böttcher, PDS-Fraktion, das Wort.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1412509200
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich hätte Ih-
nen mehr Zeit am Freitagnachmittag gegönnt. Aber kann
es etwas Schöneres am Freitagnachmittag geben als eine
Diskussion über dieses zukunftsträchtige Thema?

Die gute Nachricht zuerst. Erstens. Ich begrüße es, dass
Frau Ministerin Bulmahn endlich ein Konzept zur Reform
des Hochschuldienstrechts vorgelegt hat,


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wo ist sie denn?)


obwohl damit nicht alle Blütenträume aus der Koalitions-
vereinbarung erfüllt werden. Daher bin ich auch stolz
darauf, dass die PDS zur immer wieder aufgeschobenen
Reform des Hochschuldienstrechts als erste und lange vor
der Koalition einen Antrag vorgelegt hat, der die jahre-
lange Debatte um die Defizite der Personalstruktur der




Hartmut Schauerte
12050


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4

Hochschulen endlich zum Gegenstand einer Bundestags-
debatte macht.

Zweitens. Ich erkenne die positiven Ansätze im Kon-
zept an, das sich in mancher Hinsicht wohltuend von den
Empfehlungen der Expertenkommission abhebt und sich
dem konsequenteren Reformvorschlag der PDS annähert.
Ich möchte dies am Beispiel der Habilitation deutlich ma-
chen.

Die Habilitation ist ein anachronistischer Befähi-
gungsnachweis für die Ausübung des Professorenberufs.
Sie ist einseitig auf eine isolierte Forschungsleistung be-
zogen und wird den modernen Anforderungen an den
Hochschullehrerberuf nicht gerecht. Seit langem wird die
Habilitation als patriarchales Ritual kritisiert, das insbe-
sondere Wissenschaftlerinnen den Zugang zu Leitungs-
funktionen an Hochschulen erschwert. Anders als die Ex-
pertenkommission wirft das Ministerium zu Recht über
den Wegfall der Habilitation als Berufsvoraussetzung hi-
naus die Frage nach der Abschaffung des Habilitations-
rechts auf. Nur eine Abschaffung der Habilitation als In-
stitution kann gewährleisten, dass die Neuordnung der
Hochschullehrerlaufbahn durch Schaffung von Junior-
professuren das alte System der Abhängigkeiten und
Hierarchien wirklich verdrängt. Deshalb begrüße ich die
klare Aussage des Ministeriums zur Abschaffung der Ha-
bilitation.

In vielen Punkten ist das Konzept des Ministeriums
unzureichend und bleibt weit hinter dem konsequenteren
Reformvorschlag der PDS zurück. Nach der PDS bekennt
sich zwar nun auch die Ministerin zur von Gewerkschaf-
ten und Hochschullehrerbund geforderten einheitlichen
Vergütung für Universitäts- und Fachhochschulpro-
fessorinnen und -professoren. Gleichwohl hält sie an
der Unterscheidung zweier Professorenämter, W 2 und
W 3, mit unterschiedlichen Grundvergütungen fest. Die
Fachhochschulen haben also allen Grund zu der Befürch-
tung, dass sie am Ende wieder den Kürzeren ziehen wer-
den.

Eine wirklich leistungsgerechte Vergütung ist nach
meiner Überzeugung aber nur bei einer einheitlichen
Grundvergütung für alle Professorinnen und Professoren
möglich.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Notwendige Gehaltsdifferenzierungen dürfen sich allein
aus individuellen Leistungen und Belastungen ergeben.

Frau Bulmahns Konzept bleibt vor allem Stückwerk,
weil es den Beamtenstatus für Hochschullehrerinnen
und Hochschullehrer im Ergebnis unangetastet lässt. Ge-
rade in dieser Frage aber ist der Bundesgesetzgeber ge-
fordert. Die PDS wird weiter auf ihre Forderung nach
einem Auslaufen des Beamtenstatus und einer tarif-
vertraglichen Regelung der Arbeits- und Beschäftigungs-
bedingungen des gesamten Personals der Hochschulen
und Forschungseinrichtungen pochen. Das Mindeste, was
von der Bundesregierung zu erwarten gewesen wäre, ist
eine Aufhebung oder wenigstens Lockerung des Hoch-
schulfristvertragsgesetzes von 1985, das noch immer die
grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie substanziell
beschränkt.

Es ist doch geradezu absurd: In allen Branchen ist es
selbstverständlich, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften
gemeinsam die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
vereinbaren. Und ausgerechnet an den Hochschulen und
Forschungseinrichtungen soll weiterhin der Staat einsei-
tig die Bedingungen oktroyieren? Die logische Konse-
quenz aus Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautono-
mie wäre doch, dass der Staat auch in der Personalpolitik
mit dem einseitigen Regulieren und Diktieren aufhört und
Prinzipien wie kollektiver Vereinbarung und Selbststeue-
rung Geltung verschafft.

Lassen Sie mich noch auf einen weißen Fleck im Kon-
zept aufmerksam machen. Es ist geradezu beschämend,
dass Frau Bulmahn so gut wie nichts zum ungelösten Pro-
blem der Gleichstellung von Frauen und Männern zu
sagen hat. Noch immer liegt der Frauenanteil bei Profes-
suren unter 10 Prozent. Wenn die Juniorprofessur zur Öff-
nung von Führungspositionen für Frauen an den Hoch-
schulen beitragen soll, müssen wir zwingend auf rigide
Altersgrenzen verzichten, die Frauen und Männer, die
einen Teil ihres Lebens der Kindererziehung widmen,
systematisch vom Hochschullehrerberuf ausschließen.
Die Hälfte aller Juniorprofessuren muss mit Frauen be-
setzt werden, damit die Erneuerung der Hochschulperso-
nalstruktur nicht auf eine Erneuerung männlicher Domi-
nanz in der Alma Mater hinausläuft.

Die Reform der Personalstruktur und des Dienstrechts
an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist mehr
als überfällig. Lassen Sie uns also keine Zeit verlieren und
dringend an der Lösung dieser Probleme, die ich genannt
habe, arbeiten, um sie gewissermaßen im Vorwärtsschrei-
ten gemeinsam zu lösen.


(Beifall bei der PDS)


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412509300
Das Wort hat der Kol-

lege Peter Eckardt, SPD-Fraktion.

Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1412509400
Frau Präsidentin! Meine

sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, es ist
ein bisschen kühn, zu behaupten, dass sich die Bundesre-
gierung und Edelgard Bulmahn den Vorschlägen der PDS
angenähert hätten. Aber ich denke, Sie überlegen sich das
noch einmal.

Hochschulpolitik ist – ich weiß, dass Gäste aus Helm-
stedt hier sind – früher ganz anders gemacht worden: Na-
poleon ist durchs Land gezogen und hat 1806 die Hoch-
schule dichtgemacht. Sie leiden noch heute darunter, dass
es so etwas nicht mehr gibt.

Aber im Ernst: Die sozialdemokratische Bundestags-
fraktion kann sich dem Anliegen des PDS-Antrages natür-
lich nicht anschließen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Warum „natürlich“?)

Dieses Votum wird Sie, hoffe ich, nicht überraschen.
Richtig ist, dass sich die deutschen Hochschulen moder-
nisieren müssen, dass sie sich den durch Innovation und
Leistungsfähigkeit wandelnden gesellschaftlichen und
technologischen Prozessen anpassen müssen. Das ist un-
strittig. Aber allein für diesen politischen Hinweis wäre
der Antrag der PDS nicht notwendig gewesen.




Maritta Böttcher

12051


(C)



(D)



(A)



(B)


Unstrittig ist allerdings auch, dass der Modernisie-
rungsprozess der deutschen Hochschulen noch längst
nicht die Dynamik entwickelt hat, die notwendig wäre,
um allen Anforderungen, die die Gesellschaft des
21. Jahrhunderts stellt, gerecht zu werden. Eine grund-
sätzliche Hochschulreform ist deshalb seit vielen Jahren
von der politischen Ebene und auch von den Hochschulen
selbst verschleppt worden; das muss man bekennen. Ich
habe bisher nur wenige überzeugende Vorschläge von den
Hochschulen selbst zur eigenen Reform gehört. HRK-
Präsident Klaus Landfried muss man sicher zustimmen,
wenn er sagt, es dauere noch länger als bei Politikern, bis
in den Köpfen der Professoren Reformideen reifen wür-
den.

Die Geschichte der deutschen Universitäten und Fach-
hochschulen zeigt aber auch, dass die deutschen Hoch-
schulen immer dann – wenn auch mit Zeitverzögerung –
reformiert haben, wenn es gesellschaftlich notwendig war
und der Druck von außen wuchs. Meist sind die Anstöße
für diese Reform von der gesellschaftlichen Realität und
oft auch von studentischen Protesten ausgelöst worden.
Reformuniversitäten haben sich aber auch dann neu ge-
gründet, wenn der politische Druck in Bezug auf Wissen-
schaftsfreiheit und Liberalität zu groß wurde.

Die hochschulpolitischen Initiativen der Bundesregie-
rung schaffen für die weitere Entwicklung der deutschen
Universitäten und Fachhochschulen gute Grundlagen.
Wenn nun Bildungspolitikerinnen und Bildungspoliti-
ker – wie in diesem Antrag – glauben, durch ein umfas-
sendes Regelwerk in die Hochschulen hineinregieren zu
können, so kann ich davor nur warnen. Nicht nur die Wis-
senschaftsfreiheit unserer Verfassung spräche gegen um-
fassende staatliche Eingriffe, auch Effizienz und Leis-
tungsfähigkeit der Hochschulen wären dann gefährdet.
Eine umfassende Regelungsdichte, enge Finanzkorsetts,
undemokratische Strukturen und mittelalterliche Hierar-
chien behindern natürlich die internationale Mobilität so-
wie eine engere Kooperation mit dem Wirtschafts- und
Beschäftigungssystem.


(Maritta Böttcher [PDS]: Genau!)

Eine Internationalisierung unserer Hochschulen und der
Studienangebote wäre notwendig. Natürlich müsste mehr
getan werden, als nur das eigene Gewissen zu beruhigen.

Auch die Länder würden auf ihre garantierten Rechte
im Hochschulbereich pochen, wenn der Bund zu intensiv
und ohne Legitimation ein einheitliches bundesgesteuer-
tes Hochschulsystem einrichten würde. Die Pluralität
deutscher Hochschulen in den einzelnen Ländern und die
Anerkennung einheitlicher Standards, wie zum Beispiel
Gebührenfreiheit, ausreichende BAföG-Regelungen und
überwiegend staatliche Hochschulen, sollten weiterhin
unsere Wissenschaftslandschaft prägen. Diese Struktur
hat sich bewährt und sollte nicht aufgegeben werden. Die
Regelung der Zeiten der Anwesenheit von Hochschul-
lehrern an ihrem Arbeitsplatz, die Ausstattung von Büros
und Labors, die Anerkennung ausländischer Diplome und
Studienanteile sowie die institutionelle Stärkung der
Frauenbeauftragten – dies alles ist in der Tat ein Pro-
blem – sollten den Ländern überlassen bleiben und nicht
durch Bundesregierung und Bundestag, wie im Antrag der
PDS gefordert, einheitlich normiert werden.

Fast nicht zu vermeiden war ja, dass sich die PDS in
ihrem Antrag natürlich auch mit den Hochschulen und
Forschungseinrichtungen in den neuen Ländern be-
schäftigt. Ich widerspreche ausdrücklich der in diesem
Antrag aufgestellten Behauptung, den DDR-Hochschulen
sei trotz einer Hochschulkrise in Westdeutschland im
Jahre 1990 das bundesdeutsche Hochschulsystem überge-
stülpt worden


(Zurufe von der PDS: Natürlich!)

– ich habe es erwartet –, ohne dass die Erfahrungen und
Leistungen des DDR-Hochschulsystems jemals ausge-
wertet worden seien. Dies war objektiv und historisch
nachweisbar so nicht der Fall.


(Lachen des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Der Wissenschaftsrat hat jede Hochschule und jede

Forschungseinrichtung der DDR in umfangreichen Stu-
dien evaluiert und Vorschläge zum Erhalt und auch zur
Umstrukturierung gemacht. Es kann nicht im Ernst be-
hauptet werden, dass das Hochschul- und außeruniver-
sitäre Wissenschaftssystem der DDR bis 1990 ein Modell
für irgendetwas gewesen ist, was in die Zukunft weist
oder als insgesamt erhaltenswert angesehen werden
könnte.


(Maritta Böttcher [PDS]: Das steht auch nicht im Antrag!)


Die Leistungsfähigkeit der Kolleginnen und Kollegen in
diesen Instituten vor und nach der Wende wird natürlich
nicht bezweifelt.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Warum sind lauter Westprofessoren da?)


– Weil es bestimmte Bereiche gab, die zu erhalten sicher
nicht legitim gewesen wäre, zum Beispiel die Hochschule
in Potsdam-Hoheneiche, die Clara-Zetkin-Hochschule,
die der Volkspolizei, des Innenministeriums und der
Grenztruppen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Und die HumboldtUniversität?)


Westprofessoren sind in die Bereiche hineinkommen, in
denen es Defizite gegeben hat.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Schauen Sie doch einmal bei den Theologen hinein!)


– Dass die DDR nicht genügend Theologen gehabt hat,
wollen Sie doch nicht ernsthaft bestreiten. Das wissen Sie
doch auch.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Das Ende einiger formaler Strukturen des Hochschul-
und Wissenschaftssystems der ehemaligen DDR hat ge-
holfen, das wissenschaftliche Ansehen einiger Standorte
der neuen Länder wieder zu verfestigen. Ich habe gelesen,
dass die Universität Leipzig – was mich sehr freut – im
Jahre 2000 gerade durch diese Umstrukturierung den
Andrang westdeutscher Studierender fast nicht mehr be-
wältigen kann. Das hat sicher auch Qualitätsgründe, die
sich seit 1990 ergeben haben.

Ich denke, dass die Evaluierung der ostdeutschen
Hochschulen nötig und auch fair war. Es ist allerdings




Dr. Peter Eckardt
12052


(C)



(D)



(A)



(B)


auch richtig, dass sich die Regierungen einiger Länder
nicht an die Empfehlungen des Wissenschaftsrates gehal-
ten, sondern Einrichtungen erhalten oder zusätzliche ge-
schaffen haben, obwohl der Wissenschaftsrat es anders
empfohlen hatte.

Es ist nicht notwendig, die Bundesregierung daran zu
erinnern, durch Anhebung des Anteils der Forschungs-
förderung des Bundes für die neuen Ländern endlich
gleichgewichtige Verhältnisse zu schaffen. Mit Recht
wird in der Wissenschafts- und Forschungsförderung der
neuen Länder ein wissenschaftspolitischer Schwerpunkt
der Bundesregierung gesehen. Arbeitsmarkt- und Regio-
nalpolitik sind aber nicht primär Aufgabe der Forschungs-
förderung, wie in dem Antrag intendiert wird. Hier müs-
sen allein – ob Nord oder Süd, ob Ost oder West –
Leistung und Qualität zählen, unabhängig vom Standort
der Forschungseinrichtung.

Der Antrag der PDS wirft aber auch einige Fragen von
Interesse auf, auf die schon in den Eckpunkten eines
Reformgesetzes zum Hochschuldienstrecht der Bundes-
regierung Antwort gegeben wurde. Ich verstehe, dass Sie
im Sommer 2000 die Gelegenheit nutzen wollten, sofort
nach Vorlage des Berichts der Expertenkommission Ihre
hochschulpolitischen Vorstellungen an die Öffentlichkeit
zu bringen. Aber die Unterstellung, die Expertenkommis-
sion sei einseitig zusammengesetzt gewesen und habe das
gewünschte Ergebnis gebracht, unterschätzt die Denk-
und Diskussionsfähigkeit der Mitglieder dieses unabhän-
gigen Gremiums. Wie Sie an den Eckpunkten der Dienst-
rechtsreform der Bundesregierung sehen, sind die Vor-
schläge auch nicht ungeprüft übernommen worden.


(Maritta Böttcher [PDS]: Das habe ich auch nicht gesagt!)


Wir sind uns der Bedeutung der Fachhochschulen für
unsere Gesellschaft seit 30 Jahren wohl bewusst und sind
uns auch bewusst, welche Bedeutung gleiche Gehalts-
höhen für das Ansehen und die Chance, qualifiziertes Per-
sonal einzuwerben, für die Fachhochschulen haben. Ich
denke, da gibt es unter uns keinen Streit.

Die Befristung von Arbeitsverhältnissen an Hoch-
schulen wird flexibel gestaltet werden müssen. Allerdings
ist auf sie im Wissenschaftsbetrieb nicht zu verzichten
– wie Sie es wollen –, um Kooperationen und einen Per-
sonalwechsel zwischen Hochschulen und Wirtschaft nicht
zu gefährden.

Der Vorwurf, die Expertenkommission habe nur über
Teilaspekte einer Hochschulreform diskutiert, ist deshalb
nicht richtig, weil genau dies ihre Aufgabe war. Der Ge-
setzentwurf der Bundesregierung wird ein erster Schritt
zu einer umfassenden Hochschulreform sein. Er wird die
wichtigsten Teilbereiche – Dienstrecht, Besoldung, Qua-
lifizierungswege, Leistungsmotivation und Frauenförde-
rung – umfassen.

Einige Punkte des Antrages möchte ich zum Schluss
zurückweisen.

Es ist nicht sinnvoll, an Fachhochschulen Juniorpro-
fessuren einzurichten, wie Sie meinen. Es muss bei dem
bisherigen Weg der Qualifikation über berufliche Tätig-
keiten in Betrieben bleiben.

Es ist auch nicht sinnvoll, an Fachhochschulen Dokto-
randenstellen zu schaffen. Es muss dabei bleiben, über
eine selbstständige Forschungstätigkeit an einer Univer-
sität in Kooperation mit einer Fachhochschule promovie-
ren zu können, wie es bisher schon möglich ist.

Nicht der Antrag der PDS, die den Expertenbericht als
Steinbruch ihrer Argumente benutzt und dabei natürlich
auch Selbstverständliches und Richtiges wiederholt, son-
dern der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Hoch-
schuldienstrecht, der bald diesem Hohen Hause vorgelegt
wird


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

– jetzt werden wir wohl diskutieren, was „bald“ heißt –,
wird die Diskussionsgrundlage sein.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1412509500
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion.


Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1412509600
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Als Erstes möchte ich gern
meinem Vorredner, dem Kollegen Eckardt, zu seinem
heutigen 60. Geburtstag gratulieren. Herzlichen Glück-
wunsch!


(Beifall)

Die christlich-liberale Bundesregierung hat in der ver-

gangenen Legislaturperiode das neue Hochschulrahmen-
gesetz auf den Weg und damit mehr Leistungsorientie-
rung und Wettbewerb an die Hochschulen gebracht. Die
staatlichen Mittel sollen auf die Hochschulen, aber auch
innerhalb der Hochschulen nach Leistungskriterien ver-
teilt werden.

Von Anfang an war vorgesehen, dass auch für Profes-
soren zusätzliche Leistungsanreize geschaffen werden,
die sich auf die Besoldung auswirken. Dies wollen wir
jetzt bei der Dienstrechtsreform umsetzen. Wir müssen
dies auch tun, denn durch den nun stattfindenden Genera-
tionswechsel an den Hochschulen besteht eine große
Chance für die anstehenden Veränderungen.

Heute haben nur die C4-Professoren die Möglichkeit,
ihr Gehalt durch Zulagen anlässlich von Berufungen zu
erhöhen. Das reicht nicht aus. Alle Professoren an Uni-
versitäten und Fachhochschulen sollen spüren, dass Leis-
tungen in Forschung und Lehre wahrgenommen und auch
finanziell honoriert werden. Deshalb wollen wir als Uni-
onsfraktion mit der Reform eine stärker leistungsorien-
tierte Besoldung durchsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In Zukunft soll sich das Gehalt der Hochschullehrer nicht
mehr allein durch das Älterwerden, sondern durch ihren
persönlichen Einsatz erhöhen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der F.D.P. – Ulrike Flach [F.D.P.]: Sehr lobenswert!)





Dr. Peter Eckardt

12053


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir wollen das durch den Wegfall der Dienstaltersstufen
eingesparte Geld für die neu zu schaffenden Zulagen nut-
zen. In drei Fällen sollen Zulagen gewährt werden: im
Falle einer Berufung, als Funktionszulage, wenn ein Pro-
fessor nichthauptamtliche Funktionen in der Hochschul-
verwaltung oder die Leitung eines Sonderforschungsbe-
reichs wahrnimmt, und als Leistungszulage, also als
Zulage für die persönlichen Leistungen in Forschung und
Lehre. Ich kann mir auch vorstellen, dass derjenige eine
Leistungszulage erhält, der bereit ist, ein höheres Lehr-
deputat zu übernehmen; denn es muss uns darum gehen,
die Lehrtätigkeit an unseren Hochschulen zu stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Fachhochschulen haben in der Vergangenheit

eine sehr gute Arbeit geleistet. Wir wollen ihre Kapazitä-
ten ausbauen. Wir wollen mehr hoch qualifizierte Prakti-
ker für das Professorenamt gewinnen. Dafür müssen wir
das Besoldungsniveau anheben. Deshalb sollte die bishe-
rige C2-Besoldung für Fachhochschulprofessoren entfal-
len und durch eine an Fachhochschulen und Universitäten
einheitliche C3-Besoldung ersetzt werden.

An den Universitäten und gleichgestellten Hochschu-
len wiederum sollte zusätzlich ein höherwertiges Profes-
sorenamt, das C4-Amt, beibehalten werden, denn die Pro-
fessoren an den Unis haben zusätzliche Aufgaben zu
erfüllen. Ich nenne hier nur die Ausbildung des wissen-
schaftlichen Nachwuchses – Stichwort Promotionen –
und die Grundlagenforschung. Ein gestuftes Besoldungs-
system innerhalb der Universitäten ist auch sinnvoll, um
der unterschiedlichen Bedeutung von Lehrstühlen und In-
stituten, aber auch der besonderen Verantwortung von
Klinikleitern Rechnung tragen zu können.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Nicht zustimmen können wir allerdings den von Bil-
dungsministerin Bulmahn vorgeschlagenen Besoldungs-
stufen W 2 mit einem Grundbetrag in Höhe von nur
7 000 DM und W 3 mit einem Grundbetrag in Höhe von
8 500 DM. Diese Mindestbeträge sind für Professoren
definitiv zu niedrig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie entsprechen dem Gehalt eines Oberregierungsrates
bzw. Regierungsdirektors und schrecken den qualifizier-
ten Nachwuchs, den wir für eine Hochschullaufbahn ge-
winnen wollen, ab. Wir können es uns nicht länger leisten,
dass die besten Köpfe ins Ausland abwandern, weil sie
dort bessere Bedingungen vorfinden. Dies müssen wir än-
dern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – René Röspel [SPD]: Deswegen ist das in den letzten 16 Jahren auch kräftig geändert worden!)


Wir werden deshalb die von Frau Bulmahn vorge-
schlagenen Grundgehälter ablehnen. Die Höhe dieser
Mindestbesoldung entspricht nicht der in Art. 33 Abs. 5
Grundgesetz garantierten amtsangemessenen Besoldung;
die Grundgehälter müssen erhöht werden. Die Vorschläge
von Bildungsministerin Bulmahn laufen für einen bedeu-

tenden Teil der Professoren in Deutschland auf eine Ge-
haltskürzung hinaus. Das lehnen wir ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich sage auch ganz offen: Eine solche Reform darf

nicht kostenneutral sein.

(Beifall bei der F.D.P.)


Wir müssen uns endlich dazu bekennen, dass wir in
Deutschland Eliten brauchen. Und Eliten an den Hoch-
schulen sind nicht zum Nulltarif zu bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Schauen wir uns die Realität an: Ein Informatikstudent

bekommt schon heute von der Wirtschaft ein höheres Ge-
halt angeboten, als er als Professor an einer Hochschule
überhaupt bekommen könnte. Dies zeigt, dass es nicht
ausreicht – wie dies Bildungsministerin Bulmahn sagt –,
wenn in Einzelfällen die Überschreitung der bisherigen
Obergrenze für eine individuelle Besoldung von Profes-
soren zugelassen werden soll. Die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion spricht sich dafür aus, dass künftig alle Ober-
grenzen entfallen, um eine individuelle Besoldung von
Professoren zu ermöglichen. Nur so können wir sowohl
im Wettbewerb um die besten Köpfe mit der Wirtschaft
als auch im Wettbewerb mit den Universitäten und den
Forschungseinrichtungen im Ausland bestehen. Denn wir
brauchen für die Studierenden, die wir hier ausbilden wol-
len, die besten Professoren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses

an den Hochschulen bis hin zum Professor dauert leider
zu lange. Dies ist ein ernst zu nehmendes Problem. Habi-
litierte sind in Deutschland oft über 40 Jahre alt. Wer nicht
direkt nach seiner Habilitation eine Berufung als Hoch-
schullehrer bekommt, gerät in eine Art Altersfalle. Eine
berufliche Neuorientierung zu Beginn des fünften Le-
bensjahrzehnts ist dann nur noch mit Schwierigkeiten
möglich.

Ein weiteres Alarmzeichen ist, dass in bestimmten
Fachbereichen zwei Drittel der deutschen Postdoktoran-
den nach einem Auslandsaufenthalt nicht nach Deutsch-
land zurückkommen. Das Ziel muss deshalb sein, dass die
Erstberufung auf eine Professorenstelle mit Mitte 30 der
Normalfall wird. Daher halten wir die von Ihnen vorge-
schlagene Juniorprofessur für sinnvoll. Es muss möglich
sein, selbstständig zu forschen und zu lehren sowie über
eine drittmittelfähige Grundausstattung zu verfügen. Es
ist allerdings ein Fehler, wenn Rot-Grün die Habilitation
nun generell abschaffen will.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich stimme Ihnen insoweit zu, dass der Nachweis einer

zusätzlichen wissenschaftlichen Leistung in Form der Ha-
bilitation in manchen Fächern, zum Beispiel in den Inge-
nieurwissenschaften, heute de facto keine Rolle mehr
spielt.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Hier bietet die so genannte Juniorprofessur den richtigen
Qualifikationsweg. In anderen Fächern allerdings kann




Thomas Rachel
12054


(C)



(D)



(A)



(B)


man seine wissenschaftliche Kompetenz nur mit der Ha-
bilitation beweisen. Der Philosoph zum Beispiel muss
eine Habilitationsschrift einreichen. Bei Ingenieuren und
Naturwissenschaftlern geht dies auch anders. Anstatt nun
mit dem Vorschlaghammer die bewährte Habilitation
vollständig kaputtzuschlagen, sollte man den unterschied-
lichen Fächerkulturen in Deutschland Rechnung tragen.
Neben der Juniorprofessur sollte es deshalb auch weiter-
hin die Habilitation geben.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusam-
menfassen: Die Leistungsorientierung darf vor der Be-
soldung der Professoren nicht Halt machen. Deshalb
unterstützen wir, die Unionsfraktion, eine stärker leis-
tungsorientierte Besoldung der Professoren mit Zulagen
für ihre persönliche Leistung im Bereich Forschung und
Lehre. Wir sind allerdings eindeutig dagegen, dass der
Staat bei der anstehenden Dienstrechtsreform auf dem
Rücken der Professoren spart. Deshalb lehnen wir die von
der rot-grünen Regierung vorgesehenen niedrigeren
Grundgehälter für Professoren ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch mal, wie Sie das finanzieren wollen!)


Wir begrüßen die Einführung der Juniorprofessur, weil
sie sich gerade für die Ingenieur- und Naturwissenschaf-
ten als geeigneter und schneller Qualifizierungsweg er-
weisen wird. Aber die ideologisch motivierte Abschaf-
fung der Habilitation lehnen wir ab. Denn die Habilitation
hat gerade im Bereich der Geisteswissenschaften erheb-
lich zum Qualitätsniveau der deutschen Hochschulen bei-
getragen.

Es ist kein Wunder, dass sowohl aus den Reihen der
Hochschulrektorenkonferenz als auch von Professoren
deutliche Kritik an dem rot-grünen Konzept geübt wird.
SPD und Grüne wollen wieder einmal Veränderungen
über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchsetzen. Die-
sen Stil der Politik lehnen wir ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist schade, dass Rot-Grün auf diese Weise ein ge-

meinsames Vorgehen mit der Professorenschaft gefähr-
det. Denn Sie versuchen leider nicht, die Betroffenen für
die vernünftigen Veränderungen zu gewinnen. Die Union
wird sich dafür einsetzen, dass eine Reform mit den Pro-
fessorinnen und Professoren und nicht gegen sie durchge-
führt wird.


(Zuruf von der SPD: Warum haben Sie das nicht schon 16 Jahre lang gemacht?)


Das ist unser Verständnis von einer Reformpolitik, die
langfristig tragfähig ist.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1412509700
Als
nächster Redner hat der Kollege Matthias Berninger vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1412509800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es herrscht
ziemlich viel Einigkeit darüber, dass wir den Generatio-
nenwechsel an den Hochschulen für eine tief greifende
Reform des Dienstrechts und der Personalstruktur an den
Hochschulen nutzen sollten. In den nächsten acht Jahren
wird die Hälfte aller Professoren in Deutschland in den
Ruhestand gehen. Das bietet uns die einmalige Chance,
hier tief greifende Änderungen vorzunehmen.

Um gleich mit einem Vorurteil aufzuräumen: Es geht
hier überhaupt nicht darum, irgendeinem Professor oder
irgendeiner Professorin etwas durch die Dienstrechtsre-
form wegzunehmen. Selbst wenn wir das wollten, könn-
ten wir das gar nicht, weil es sich eben um durch das
Beamtenrecht abgesicherte Besitzstände handelt, die nie-
mand antasten darf. Wenn so viele Professorinnen, aber
vor allem auch so viele Professoren wie jetzt in den Ru-
hestand gehen, ist die Chance für eine wirklich tief grei-
fende Reform groß, weil die Besitzstände nicht mehr ein
so großes Reformhindernis darstellen, wie sie es sonst
nach dem aktuellen Beamtenrecht sind.

Infolgedessen hat die Bundesregierung gesagt: Wir
wollen eine Dienstrechtsreform auf den Weg bringen. Ein
kleiner Rückblick: Der ehemalige Bildungs- und For-
schungsminister, Herr Rüttgers, hatte eine solche Reform
ebenfalls auf seiner Agenda. Auch er wollte eine solche
Reform durchführen. Die F.D.P. hat ihn damals zwar nach
Kräften unterstützt, aber das Ergebnis war Zero. Er hat es
nämlich nicht geschafft, weil er sich gegen das Innen-
ministerium nicht durchsetzen konnte und weil die ver-
krusteten Strukturen des Beamtenrechts heiliger und
wichtiger zu sein schienen als die Chance, eine Reform
des Dienstrechts durchzuführen. Auch das muss einmal
gesagt werden, wenn man hier die Vorschläge der Bil-
dungsministerin bewertet.

Ich halte es deshalb für einen großen Erfolg, dass die
Expertenkommission nicht das gemacht hat, was Exper-
tenkommissionen manchmal machen, nämlich sehr viel
Papier zu produzieren, mit dem man dann sehr wenig
anfangen kann. Vielmehr hat sie sehr praktische Vor-
schläge gemacht. Ich glaube, dass diese Vorschläge, die
die Bildungsministerin aufgegriffen hat, in die richtige
Richtung weisen.

Hierüber gehen die Meinungen auch nicht allzu sehr
auseinander. Die Grundwerte – das haben wir in der letz-
ten Legislaturperiode diskutiert –, die die Expertenkom-
mission vorgelegt hat, und das, was die Ministerin jetzt
vorgelegt hat, entsprechen genau dem, was die Oppositi-
onsfraktionen in den vergangenen vier Jahren gefordert
haben, was sie aber nicht durchsetzen konnten.

Ich komme nun auf die Details zu sprechen. Im Detail
steckt bekanntermaßen – in der Regel – immer der Teufel.
Wie wird der Übergang von promovierten Wissenschaft-
lern in den Professorenberuf organisiert? Ich habe mich
sehr darüber gefreut, Kollege Rachel, dass auch die CDU-
Fraktion den Weg der Juniorprofessur für vernünftig
hält, nämlich jungen Leute die Chance zu geben, eigen-
ständig zu forschen, und ihnen dies als Qualifikation an-
erkennen zu lassen, anstatt sie bergeweise Papier produ-
zieren zu lassen. Darüber sind wir uns völlig einig.




Thomas Rachel

12055


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber bei der Habilitation geht es nicht um eine ideo-
logische Auseinandersetzung, sondern um etwas anderes.
Es geht darum, ob es uns gelingt, eine ausreichende Zahl
von Stellen für Juniorprofessuren zu schaffen. Es ist doch
völlig klar, dass diejenigen, die heute an den Unis Profes-
soren sind und über eine Habilitation ihre Qualifikation
erreicht haben, diese für den besseren Weg halten. Das ist
menschlich verständlich. Wir geben dem wissenschaftli-
chen Nachwuchs keine Chance, wenn wir so tun, als stün-
den die Juniorprofessur und die Habilitation auf einer
Stufe. Wenn dies das Ergebnis der Reform wäre, dann
würden wir in fünf oder sechs Jahren feststellen, dass wir
zwar viel über die Juniorprofessur geredet hätten, aber
dass die meisten Professoren weiterhin über die Habilita-
tion in ihr Amt gekommen sein werden.

Ich sage bewusst: Professoren; denn ohne eine tief
greifende Reform wird der Anteil der Professorinnen sehr
gering bleiben. Deutschland hat im Vergleich zu allen an-
deren Ländern viel zu wenig Professorinnen. Die Mehr-
heit aller Studienanfänger sind Frauen. Frauen machen im
Schnitt das bessere Abitur. Doch je weiter es auf der wis-
senschaftlichen Qualifikationsleiter hochgeht, desto ge-
ringer ist der Anteil der Frauen. Das liegt nicht an den
Frauen, sondern am System. Auch deshalb ist die Dienst-
rechtsreform wichtig. Die alten Herren gehen in Rente,
aber sie werden nicht nur durch junge Herren ersetzt – für
mich ist dies das wichtigste Ziel dieser Reform.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Abg. Maritta Böttcher [PDS])


Deshalb wird man über die Habilitation am Ende sagen
müssen, Herr Kollege Rachel, dass es sie in Ausnahme-
fällen, in bestimmten begründeten Fällen, noch geben
wird. Aber sie steht mit der Juniorprofessur nicht auf ei-
ner Stufe. Ich glaube, dass dies eine gute Grundlage für ei-
nen Kompromiss mit den Ländern sein könnte.

Es geht dann um den berühmt-berüchtigten Punkt, dass
diese Dienstrechtsreform insgesamt kostenneutral ge-
staltet werden soll. Ich denke, diese Diskussion wird man
in ein paar Jahren so nicht mehr führen, weil die Länder
wie die Bundesregierung erkennen werden, dass in Bil-
dung und Wissenschaft investiert werden muss, auch
wenn sonst überall gespart werden muss. Der Generatio-
nenwechsel wird zu einem Wettbewerb um junge, leis-
tungsfähige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
führen. Ich hoffe auch, dass man einen ausländischen Pro-
fessor dazu bewegen kann, an einer deutschen Universität
zu lehren. Dabei hilft die Dienstrechtsreform, weil mit ihr
für eine international kompatible Personalstruktur gesorgt
und mit ihr der deutsche Sonderweg beendet wird. Man
wird sehen, ob sich das kostenneutral gestalten lässt oder
ob es mehr Geld kosten wird.

Wichtig ist mir aber, dass die Ministerin durchgesetzt
hat, dass dort, wo Professoren besser bezahlt werden müs-
sen, der Deckel, den es bisher gab, aufgeschraubt wird. In
Abstimmung mit den Länderministern, so der Vorschlag
der Koalition, sollen Hochschulen ihre Professoren, wenn
es der Wettbewerb notwendig macht, besser bezahlen
können. Das halte ich für sehr vernünftig.

Ein letzter Punkt. Es ist völlig falsch, immer nur von
den angeblich so niedrigen Grundgehältern zu reden. Ich

freue mich, dass diese Grundgehälter nicht mehr nach
Hochschulformen differenziert werden, sondern für alle
Hochschulformen in gleicher Weise gültig sind. Darüber
freue ich mich zumindest bei der Stufe B 2. Dass es bei
den Unis noch eine höhere Stufe gibt, versteht sich von
selbst und das kritisiert auch niemand.

Aber, nur diese 7 000 DM bzw. 8 500 DM ins Feld zu
führen, ist natürlich eine Milchmädchenrechnung. Die
Leistungskomponente wird hinzukommen, sodass Pro-
fessoren, die etwas leisten, in Zukunft auch mehr verdie-
nen. Diese Reform funktioniert nur, wenn die Grund-
gehälter niedrig sind und die Mittel, die wir für Leis-
tungszulagen zur Verfügung haben, entsprechend hoch.
Vor diesem Hintergrund sollten Sie nicht kleinkariert die
niedrigen Grundgehälter kritisieren, sondern mit uns
dafür kämpfen, dass genug Geld übrig bleibt, die Profes-
soren nach Leistung vernünftig zu bezahlen.

Ich glaube, dass die Reform auf einem guten Weg ist,
und freue mich, dass im gesamten Parlament die Grund-
richtung und die Grundwerte der Reform akzeptiert wer-
den.

Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1412509900
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Flach von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1412510000
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Bevor ich den etwas schwierigen Versuch
mache, in dreieinhalb Minuten eine ganze Reform zu
erklären, möchte ich auch namens der F.D.P. und als
Vorsitzende im Namen des ganzen Ausschusses Herrn
Dr. Eckardt ganz herzlich gratulieren. Ich hoffe, Sie haben
weiter viel Spaß mit uns allen.


(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Eckardt [SPD]: Danke schön!)


Wir sind hier eine verhältnismäßig billige Runde; wir tref-
fen uns gleich noch.

Der Antrag der PDS enthält einen wichtigen Satz:
1989/1990 wäre eine Chance gewesen, eine Reform der
Personalstruktur und der Personalverfassung an Hoch-
schulen in Ost- und Westdeutschland umzusetzen. Ich
gebe ganz offen zu: Diese Chance wurde vertan, Frau
Böttcher. In den nächsten Monaten wird sich entscheiden,
ob wir zehn Jahre später wieder die Chance vertun, unser
anachronistisches Dienstrecht an die Notwendigkeiten ei-
nes internationalen Bildungswettbewerbes anzupassen.

Der PDS-Antrag romantisiert das alte DDR-Hoch-
schulsystem und kombiniert damit einige bedenkenswerte
Gedanken. Für mehr Leistungsorientierung und Wettbe-
werb ist Ihr Antrag nach unserer Ansicht jedoch kaum ge-
eignet.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Matthias Berninger
12056


(C)



(D)



(A)



(B)


Ähnliches gilt übrigens für die uns bisher bekannten
Vorschläge von Frau Ministerin Bulmahn. Eine Dienst-
rechtsreform macht man nicht alle Tage, Herr
Catenhusen; sie greift in die Lebensplanung von Hoch-
schullehrern und Studierenden ein. Wenn man das Thema
jetzt endlich angeht, muss eine Reform wirklich zu mehr
Effizienz, Leistungsorientierung und Wettbewerb führen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Entstaatlichung, Deregulierung, Autonomie und Um-
wandlung der Hochschulen in Stiftungen des öffentlichen
Rechts – das ist Reform, meine Damen und Herren. Ich
empfehle Ihnen, Frau Bulmahn auszurichten, sich viel-
leicht einmal mit Herrn Oppermann auszutauschen; so
weit sind die Wege innerhalb Hannovers ja nicht.


(Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie!)


Wir Liberalen wollen ein Hochschulrecht mit folgen-
den Kernpunkten: völlige Personal-, Tarif- und Organi-
sationshoheit für die Hochschulen. Nicht der Staat soll
entscheiden, welche Studiengänge die Hochschulen an-
bieten, wen sie beschäftigen und was sie zahlen, sondern
die Universitäten und Fachhochschulen selbst.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wenn wir Spitzenforschung und Profilbildung in Kom-

petenzzentren wollen, dann müssen wir Spitzenwissen-
schaftlern auch international wettbewerbsfähige Gehälter
zahlen; ich glaube, da sind wir uns alle einig.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Gehälter müssen sich an der Leistung orientieren.
Um Leistung zu messen, brauchen wir regelmäßig in- und
externe Bewertungen; Evaluierung durch Studierende
kann dabei nur ein Kriterium unter vielen sein.

Eine umfassende Deregulierung und Umstrukturie-
rung kann nicht kostenneutral sein. Daran können wir
nicht vorbeireden, Herr Berninger. Wir wollen weg von
der kameralistisch engen Kostenneutralität, die wegen der
damit verbundenen Bemessungsgrundlage für die Hoch-
schullehrer auch eine klare Benachteiligung der Fach-
hochschullehrer darstellt. Hochschullehrer an Fachhoch-
schulen und Universitäten sind nicht gleich, aber
gleichwertig – da haben Sie den Deckel nicht geöffnet,
wie Sie eben dargestellt haben –; sie müssen auch bei der
Besoldung gleichgestellt werden.

Die noch existierenden Unterschiede zwischen Hoch-
schullehrerbesoldung in Ost und in West müssen aufge-
hoben werden. Die neuen Länder brauchen auch für die
nächsten fünf bis sieben Jahre eine Anschubfinanzierung.

Um den Länderhaushalten Spielräume für die Umsetzung
der Reform zu geben, muss der Bund in diesem Zeitraum
seinen Anteil am Hochschulbau erhöhen. Das wollen wir
im Etat wiederfinden.

Die F.D.P. hält die von der Expertenkommission vor-
geschlagenen Juniorprofessuren für eine sinnvolle Er-
gänzung. Eine generelle Abschaffung der Habilitation,
wie sie auch die PDS fordert, lehnen wir ab.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Vor allem in den Geisteswissenschaften sind auch in Zu-
kunft differenzierte Wege zum Professorenberuf notwen-
dig.

Lassen Sie mich, Frau Böttcher, zum Schluss eine Über-
einstimmung mit dem PDS-Antrag hervorheben: Wir
wollen das Beamtentum an den Universitäten auslaufen
lassen. Das gilt sowohl für Professoren als auch für alle
anderen Mitarbeitergruppen. Die gegenwärtig an den
Hochschulen tätigen Beamten sollen eine Wahlmöglich-
keit zwischen heutigem Beamten- und zukünftigem An-
gestelltenstatus erhalten.

So weit in der Kürze der Zeit die Eckpunkte dieser Re-
form. Wir werden einen eigenen Antrag mit dem schönen
Titel „Radikale Dienstrechtsreform“ vorlegen. Ich freue
mich auf die Diskussion und wünsche Ihnen noch ein
schönes Wochenende.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1412510100
Ich schließe die
Aussprache.

Bevor wir auseinander gehen, möchte auch ich von
diesem Platz aus in unser aller Namen Herrn Eckardt zu
seinem 60. Geburtstag gratulieren. Wir wünschen Ihnen
auch für die nächsten Jahre viel Erfolg und Wohlergehen.


(Beifall – Dr. Peter Eckardt [SPD]: Ich bedanke mich, Herr Präsident!)


Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3900 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 25. Oktober 2000, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.