Protokoll:
14090

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 90

  • date_rangeDatum: 24. Februar 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:06 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/90 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 90. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 I n h a l t : Eintritt der Abgeordneten Dr. Carola Reimann in den Deutschen Bundestag .......... 8279 A Erweiterung der Tagesordnung ....................... 8279 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 10 b, 15 und 22 a .......................................................... 8280 B Nachträgliche Ausschussüberweisungen ........ 8280 B Tagesordnungspunkt 3: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Sondergutachten des Rates von Sach- verständigen für Umweltfragen Umwelt und Gesundheit Risiken richtig einschätzen (Drucksache 14/2300) ............................... 8280 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Umwelt und Ge- sundheit (Drucksache 14/2767) ................ 8280 D Andrea Fischer, Bundesministerin BMG ........ 8281 A Vera Lengsfeld CDU/CSU ............................. 8282 D Helga Kühn-Mengel SPD ............................... 8285 B Ulrike Flach F.D.P. ......................................... 8287 B Dr. Ruth Fuchs PDS ........................................ 8289 B Jutta Müller (Völklingen) SPD ....................... 8290 A Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU ....................................................... 8291 C Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin BMU ..... 8294 C Eva Bulling-Schröter PDS .............................. 8295 C Michael Müller (Düsseldorf) SPD .................. 8296 C Kurt-Dieter Grill CDU/CSU ........................... 8299 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD .................. 8299 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU ....................................................... 8299 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8300 D Tagesordnungspunkt 4: Große Anfrage der Abgeordneten Her- mann Gröhe, Dr. Heiner Geißler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Verfolgung von Christen in aller Welt (Drucksachen 14/1279, 14/2431) ............... 8301 D Hermann Gröhe CDU/CSU ............................. 8301 D Karin Kortmann SPD ...................................... 8304 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P..... 8305 C Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 8307 C Hermann Gröhe CDU/CSU ............................. 8309 B Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 8309 D Carsten Hübner PDS ....................................... 8309 D Reinhold Hemker SPD .................................... 8311 B Carl-Dieter Spranger CDU/CSU ..................... 8313 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8314 B Dr. Heiner Geißler CDU/CSU ........................ 8316 B Joachim Tappe SPD ........................................ 8318 B Dr. Norbert Blüm CDU/CSU .......................... 8319 C II Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 Joachim Tappe SPD ........................................ 8319 D Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA ......... 8320 A Tagesordnungspunkt 21: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vor- schriften über die Tätigkeit der Steuerberater (Drucksache 14/2667) .......................... 8322 A b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 9. September 1998 zur Änderung des Europäischen Übereinkommens vom 5. Mai 1989 über das grenzüber- schreitende Fernsehen (Drucksache 14/2681) .......................... 8322 B c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von 1996 zur Änderung des Übereinkommens von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (Drucksache 14/2696) .......................... 8322 B d) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Proto- koll von 1996 zur Änderung des Übereinkommens von 1976 über die Beschränkung der Haftung für See- forderungen (Drucksache 14/2697) .. 8322 B e) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessord- nung (§ 418 Abs. 1 StPO) (Drucksa- che 14/2444) ....................................... 8322 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 21) a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Zi- vildienstvertrauensmann-Gesetzes (Erstes Zivildienstvertrauensmann- Änderungsgesetz) (Drucksache 14/2698) .......................... 8322 C b) Antrag der Abgeordneten Sabine Jün- ger, Rosel Neuhäuser, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Äch- tung der Gewalt in der Erziehung wirkungsvoll flankieren (Drucksache 14/2720) ............................................... 8322 C Tagesordnungspunkt 22: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Ver- waltungskostengesetzes (Drucksachen 14/639, 14/2704) ........... 8322 D c) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Mai 1998 über Partnerschaft und Zu- sammenarbeit zur Gründung einer Partnerschaft zwischen den Europä- ischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Turkmenistan andererseits (Drucksachen 14/1787 (neu), 14/2626) 8323 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion PDS: Keine Zu- rückweisung von Kosovo-Flücht- lingen an den Grenzen, die Erteilung von Visa für Familienangehörige, sowie unbürokratische Ausstellung von Reisedokumenten und Aufnah- me und Schutz von unbegleiteten Flüchtlings- und Waisenkindern (Drucksachen 14/1182, 14/2526) ......... 8323 B e) – j) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersichten 122, 123, 124, 125, 126, 127 zu Petitionen (Drucksachen 14/2710, 14/2711, 14/2712, 14/2713, 14/2714, 14/2715) 8323 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 22) a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes (Drucksachen 14/2271, 14/2762, 14/2798) ............................................... 8324 A b) – e) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 III Sammelübersichten 131, 132, 133, 134 zu Petitionen (Drucksache 14/2790, 14/2791, 14/2792, 14/2793) ................................ 8324 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Vereinbarte Debatte zur Drogenpolitik ... 8324 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD ................. 8325 A Hubert Hüppe CDU/CSU ............................... 8326 C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8328 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 8330 B Ulla Jelpke PDS .............................................. 8331 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betäu- bungsmittelgesetzes (Drittes BtMG- Änderungsgesetz) (Drucksachen 14/1515, 14/2345, 14/2665, 14/2796) .................................................... 8331 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zur Patentvergabe des Eu- ropäischen Patentamtes auf Genmani- pulation an menschlichem Erbgut ......... 8332 A Andrea Fischer, Bundesministerin BMG ........ 8332 A Hubert Hüppe CDU/CSU ............................... 8333 A Bernhard Brinkmann (Hildesheim) SPD ........ 8333 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. ................. 8334 C Dr. Ilja Seifert PDS ......................................... 8335 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8336 B Werner Lensing CDU/CSU ............................ 8336 D Wolf-Michael Catenhusen SPD ...................... 8338 A Peter Hintze CDU/CSU .................................. 8339 C Dr. Wolfgang Wodarg SPD ............................ 8340 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8341 D Norbert Geis CDU/CSU ................................. 8343 A Margot von Renesse SPD ............................... 8343 C Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8344 A Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ ........................................................... ...... 8345 A Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Be- schleunigung fälliger Zahlungen (Drucksache 14/1246) ...................... 8347 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Michael Luther, Norbert Geis, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Forderungen der Bauhandwerker (Bauvertragsge- setz) (Drucksachen 14/673, 14/2752) ....... 8347 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Türk, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Zahlungsverzug bekämpfen – Verfahren beschleuni- gen – Mittelstand stärken (Drucksachen 14/567, 14/2752) ........... 8347 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Zahlungsfor- derungen schneller durchsetzen – Zahlungsunmoral bekämpfen (Drucksachen 14/799, 14/2752) ........... 8347 C Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ ..... 8347 D Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU ....................................................... 8348 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 8350 C Jürgen Türk F.D.P. .......................................... 8351 D Rolf Kutzmutz PDS ......................................... 8353 B Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD .................. 8354 B Dr. Michael Luther CDU/CSU ........................ 8355 B Dirk Manzewski SPD ...................................... 8357 B Dr. Michael Luther CDU/CSU ........................ 8360 C Dirk Manzewski SPD ...................................... 8360 D Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Ulrich Hein- rich, Marita Sehn, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: Agro- diesel tanken – Gasölbetriebsbeihilfe abschaffen (Drucksache 14/2384) ....... 8361 D IV Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 b) Antrag der Fraktion CDU/CSU: Heizöl als Kraftstoff für die deutsche Land- und Forstwirtschaft (Drucksache 14/2690) .......................... 8361 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Matthias Weis- heit, Annette Faße, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeord- neten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wettbe- werbsposition für die deutsche Land- wirtschaft verbessern und nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume sichern (Drucksache 14/2766) ............................... 8361 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Kersten Nau- mann und der Fraktion PDS: Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM Gasölbeihilfe zurücknehmen (Drucksache 14/2795) ..... 8362 A Matthias Weisheit SPD ................................... 8362 A Albert Deß CDU/CSU .................................... 8363 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8365 A Ulrich Heinrich F.D.P. .................................... 8366 D Kersten Naumann PDS ................................... 8368 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD ............. 8368 D Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU .......... 8370 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD ............. 8370 C Peter Bleser CDU/CSU ................................... 8371 A Ulrich Heinrich F.D.P. ................................ 8372 B Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML ....... 8372 D Tagesordnungspunkt 7: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Artikel 16) (Drucksache 14/2668) .......................... 8374 C b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (IStGH-Statut- gesetz) (Drucksache 14/2682) ............. 8374 C Joseph Fischer, Bundesminister AA ............... 8374 D Norbert Röttgen CDU/CSU ............................ 8376 B Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ ................................................................. 8378 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P.................... 8380 C Dr. Evelyn Kenzler PDS ................................. 8382 A Alfred Hartenbach SPD ................................... 8383 A Ruprecht Polenz CDU/CSU ............................ 8383 D Margot von Renesse SPD ................................ 8385 B Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu dem Antrag der Abgeordneten Rai- ner Brüderle, Ernst Burgbacher, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Globalisierung als Chance: Der Weg nach vorne für Europa – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Soziale und demokratische Welt- wirtschaftsordnung statt neoliberale Globalisierung (Drucksachen 14/1132, 14/954, 14/2028) ............................................... 8386 B Gudrun Kopp F.D.P. ....................................... 8386 C Ursula Lötzer PDS .......................................... 8387 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 8387 D Erich G. Fritz CDU/CSU ................................ 8389 B Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 8391 B Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD ...................... 8392 C Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Claudia Nol- te, Manfred Grund, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion CDU/CSU: Einheitliches Versorgungsrecht für die Eisenbahner herstellen (Drucksache 14/2522) .......................... 8394 A b) Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Regelung von Ansprüchen und An- wartschaften aus den Systemen der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR (Drucksache 14/2729) .......... 8394 A Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 V Manfred Grund CDU/CSU ............................. 8394 B Erika Lotz SPD ............................................... 8396 A Manfred Grund CDU/CSU ............................. 8397 C Erika Lotz SPD ............................................... 8397 D Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P......................... 8398 A Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 8398 D Monika Balt PDS ............................................ 8399 B Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einbürgerungs- verfahren human gestalten - Ein- bürgerungshindernisse beseitigen (Drucksachen 14/1757, 14/2565) ......... 8399 D Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs ei- nes ... Gesetzes zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern (... Zuständigkeitslockerungsgesetz) (Drucksachen 14/640, 14/2797) ................ 8400 A Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Pass- und Perso- nalausweisrechts (Drucksache 14/2726) 8400 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Carsten Hübner, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba im Jahr 2000 (Drucksache 14/2263) ........ 8400 D Carsten Hübner PDS ....................................... 8401 A Adelheid Tröscher SPD .................................. 8402 A Erika Reinhardt CDU/CSU ............................. 8404 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD ................... 8406 C Erika Reinhardt CDU/CSU ............................. 8407 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8407 B Joachim Günther (Plauen) F.D.P ..................... 8408 B Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Mitgliederkreises von Bundesknappschaft und See- Krankenkasse (Drucksache 14/2764) ...... 8409 A Nächste Sitzung ............................................... 8409 C Berichtigungen ................................................ 8409 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 8410 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Michael Luther; Klaus Brähmig, Günter Nooke, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Georg Janovsky, Christa Reichard (Dresden), Hans- Dirk Bierling, Arnold Vaatz, Clemens Schwalbe, Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke), Ulrich Adam, Dr.-Ing. Paul Krüger, Susanne Jaffke (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Beschleunigung fälli- ger Zahlungen (Tagesordnungspunkt 5 a) ....... 8410 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einbürgerungsverfahren human gestalten – Einbürgerungshindernisse beseiti- gen (Tagesordnungspunkt 10 a) Lilo Friedrich (Mettmann) SPD ...................... 8411 A Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU ...................... 8411 D Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 8412 A Dr. Max Stadler F.D.P. ................................... 8412 D Ulla Jelpke PDS .............................................. 8413 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staats- sekretärin BMI ................................................ 8413 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Erleichte- rung der Verwaltungsreform in den Ländern (... Zuständigkeitslockerungsgesetz) (Tages- ordnungspunkt 11) Dr. Michael Bürsch SPD ................................. 8414 C Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ..... 8415 B Dr. Max Stadler F.D.P..................................... 8416 A Petra Pau PDS ................................................ 8416 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI ................................................................. 8416 D VI Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pass- und Personalausweisrechts (Tages- ordnungspunkt 12) Rüdiger Veit SPD ............................................ 8417 C Wolfgang Bosbach CDU/CSU ........................ 8418 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ... 8420 B Dr. Max Stadler F.D.P..................................... 8420 D Petra Pau PDS ................................................ 8421 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI .................................................................. 8421 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Mitgliederkreises von Bundesknappschaft und See-Krankenkasse (Zusatztagesordnungs- punkt 10) Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN ..................................... 8422 C Hans-Eberhard Urbaniak SPD ....................... 8423 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU ........................................................ 8423 D Dr. Dieter Thomae F.D.P................................. 8424 C Dr. Ruth Fuchs PDS ........................................ 8425 A Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8279 (B) (D) 90. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 Beginn: 9.00 Uhr
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    __________ *) Anlage 6 Berichtigungen 88. Sitzung, Seite 8219 C; Absatz 3: Statt „Werner Wittlich (SPD)“ ist „Werner Wittlich (CDU/CSU)“ zu lesen. 89. Sitzung, Seite 8272 A, Liste der entschul- digten Abgeordneten: Der Name „Bierling, Hans-Dirk (CDU/CSU)“ ist zu streichen. Joachim Günther (Plauen) 8410 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Altmaier, Peter CDU/CSU 24.02.2000 Dr. Blank, Joseph-Theodor CDU/CSU 24.02.2000 Dr. Brecht, Eberhard SPD 24.02.2000 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 24.02.2000* Claus, Roland PDS 24.02.2000 Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.02.2000 Frick, Gisela F.D.P. 24.02.2000 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 24.02.2000 Fuchs (Köln), Anke SPD 24.02.2000 Gebhardt, Fred PDS 24.02.2000 Gehrcke, Wolfgang PDS 24.02.2000 Haschke (Großhenners- dorf ), Gottfried CDU/CSU 24.02.2000 Homburger, Birgit F.D.P. 24.02.2000 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 24.02.2000* Ibrügger, Lothar SPD 24.02.2000 Irmer, Ulrich F.D.P. 24.02.2000* Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 24.02.2000 Koppelin, Jürgen F.D.P. 24.02.2000 Lehder, Christine SPD 24.02.2000 Leidinger, Robert SPD 24.02.2000 Marquardt, Angela PDS 24.02.2000 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 24.02.2000 Moosbauer, Christoph SPD 24.02.2000 Müller (Berlin), Manfred PDS 24.02.2000 Neumann (Gotha), Gerhard SPD 24.02.2000* Ohl, Eckhard SPD 24.02.2000 Papenroth, Albrecht SPD 24.02.2000 Pflug, Johannes SPD 24.02.2000 Probst, Simone BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.02.2000 Rühe, Volker CDU/CSU 24.02.2000 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 24.02.2000 Schloten, Dieter SPD 24.02.2000* Schmidt (Aachen), Ulla SPD 24.02.2000 Schmitz (Baesweiler), Hans Peters CDU/CSU 24.02.2000 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 24.02.2000 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 24.02.2000 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 24.02.2000 Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.02.2000 Willner, Gert CDU/CSU 24.02.2000 __________ * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Klaus Brähmig, Günter Nooke, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Georg Jankovsky, Christa Reichard (Dresden), Hans-Dirk Bierling, Arnold Vaatz, Clemens Schwalbe, Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke), Ulrich Adam, Dr.-Ing. Paul Krüger, Susanne Jaffke (alle CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Be- schleunigung fälliger Zahlungen (Tagesordnungs- punkt 5a) Wir begrüßen, dass mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf ein erster Schritt zur Verbesserung der Situation des Bauhandwerks erfolgt. Wir haben jedoch die große Sorge, dass die in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen insgesamt nicht zu einer wesentlichen Be- schleunigung fälliger Zahlungen führen werden. Da der Gesetzentwurf die wirklichen Probleme des Bauhand- werks sinnvollen Lösungen nicht zuführt, werden wir dem Entwurf insgesamt nicht zustimmen können, son- dern uns enthalten. Den in Art. 1 Nrn. 1, 2 und 7 sowie Art. 2 Abs. 3 und 4 getroffenen Regelungen können wir zustimmen. Art. 1 Nr. 5 – § 641 Abs. 2 BGB –, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 können unsere Zustimmung nicht finden. Die in Art. 1 Nrn. 3, 4, in Art. 1 Nr. 5 – § 641 Abs. 3 –, Art. 1 Nr. 6 und Art. 2 Abs. 2 getroffenen Regelungen lehnen wir ab, da sie zur Lösung des Problems nicht beitragen. Die in Art. 1 Nr. 5 vorgenommene Streichung des im Entwurf vorgesehenen neuen § 641 Abs. 4 BGB ist für uns nicht hinnehmbar. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8411 (A) (B) (C) (D) Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, die im Gesetzgebungsverfahren angekündigten Arbeiten an ei- nem eigenständigen Bauvertrag, so wie es auch auf der Justizministerkonferenz am 10. November 1999 be- schlossen wurde, zügig fortzusetzen, um damit wenigs- tens in absehbarer Zeit zu Verbesserungen für die Not leidenden Handwerker zu kommen. Dazu sind 1. Arbeiten zur Schaffung eines gesonderten Bauver- tragsrechts unverzüglich aufzunehmen; 2. das „Gesetz über die Sicherung von Bauforderun- gen“ (GSB) zu modernisieren, welches die ord- nungsgemäße Verwendung der innerhalb eines Bauvorhabens fließenden Gelder durch das Bau- buch absichern will; 3. die Überlegungen zur Schaffung eines prozessualen Instruments (Voraburteil) fortzusetzen, das es dem Richter ermöglichen soll, Handwerkern vorab eines Teil der eingeklagten Forderung trotz vorgebrach- ter Mängelrügen zuzusprechen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einbürgerungsver- fahren human gestalten – Einbürgerungshin- dernisse beseitigen (Tagesordnungspunkt 10 a) Lilo Friedrich (Mettmann) (SPD): Seit acht Wochen ist das neue Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft. Mit die- ser Reform haben wir ein deutliches Zeichen gesetzt, dass Integration in Deutschland von einem modernen Verständnis geprägt ist und unsere Gesetzgebung dem Geist des zusammenwachsenden Europas entspricht. Zu den wichtigsten Neuregelungen des Staatsangehö- rigkeitsrechts gehört es, dass die Einbürgerungsfristen verkürzt wurden und dass für Härtefälle eine verbesserte Ausnahmeregelung bei der Hinnahme von Mehrstaat- lichkeit geschaffen wurde. Nach jeder Pflicht steht be- kanntlich die Kür auf dem Programm. Das heißt, dass Buchstaben und Geist des neuen Staatsangehörigkeits- rechts nun auch in den Verwaltungsvorschriften konse- quent umgesetzt werden sollen, und zwar mit dem Ziel, auch in der Praxis das Einbürgerungsverfahren human zu gestalten und Einbürgerungshindernisse zu beseiti- gen. Mit unserem Antrag bitten wir deshalb die Bundesre- gierung und die Bundesländer, im Zuge des Erlasses der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsange- hörigkeitsrecht den Schwierigkeiten ausländischer Mit- bürgerinnen und Mitbürger, insbesondere aus dem Iran und der Bundesrepublik Jugoslawien, im Entlassungs- verfahren gezielt Rechnung zu tragen. Um welche Schwierigkeiten es sich hierbei handelt, habe ich in der Plenarsitzung des Deutschen Bundesta- ges am 4. November 1999 ausführlich dargelegt. Lassen Sie mich die wichtigsten Punkte noch einmal rekapitu- lieren. Stichwort deutsch-iranisches Niederlassungsabkom- men: In der Vergangenheit wurde manche Einbürgerung von Iranern verzögert oder blockiert, weil die iranische Seite ihre Zustimmung zur Einbürgerung versagt bzw. Entlassungsanträge abschlägig beschieden oder nicht bearbeitet hat. Stichwort Jugoslawien: Bei jugoslawischen Einbürge- rungsbewerbern treten besondere Schwierigkeiten bei Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, das heißt Serbien und Montenegro, auf, weil die Entlas- sungsgebühren unzumutbar hoch sind. Für die deutschen Einbürgerungsbehörden ist es oft- mals besonders schwierig, angesichts der nicht immer nachzuvollziehenden Verwaltungspraxis einiger auslän- discher Staaten wie zum Beispiel Iran und der Bundes- republik Jugoslawien die Voraussetzungen für eine Ein- bürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit zu be- urteilen. Mit unserem Antrag wollen wir diesen Proble- men begegnen und die Intention der Reform des Staats- angehörigkeitsrechts auch in den Verwaltungsvorschrif- ten konsequent umsetzen. Auch nach dem alten Staatsbürgerschaftsrecht hat es Ausnahmetatbestände gegeben, bei denen Mehrstaatig- keit hingenommen wurde. Daher konnte ich Ihre Empö- rung in Hinblick auf den vorliegenden Antrag nicht nachvollziehen. Auch mit der Reform des Staatsangehö- rigkeitsrechts herrscht weiterhin der Grundsatz zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Wenn jedoch die Schwierigkeiten bestimmter ausländischer Mitbürger bei ihren Entlassungsbemühungen das im Einzelfall zumut- bare Maß überschreiten, soll dieser Grundsatz zurückge- stellt werden. Dies ist bereits geltendes Recht nach § 87 Ausländergesetz. Daher appelliere ich nicht nur an die Bundesregie- rung und die Bundesländer, sondern auch an alle Frakti- onen des Deutschen Bundestages, unserem Antrag zuzu- stimmen, damit die Integration unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger auch in praktischer Hin- sicht umgesetzt und erleichtert werden kann. Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Wir erleben hier wieder einmal ein typisches Beispiel, wie Parlamentsar- beit eigentlich nicht laufen sollte. Die Koalitionsfraktio- nen haben sich im Zweifel lange darüber gestritten, bis sie am 7. Oktober 1999 den hier in Rede stehenden An- trag im Parlament einbrachten. Es dauerte dann drei Monate, bis der Antrag im Innenausschuss behandelt wurde, und nun steht er heute – einen Monat später – im Plenum zur Debatte. Der Antrag ist darüber hinaus inhaltlich falsch und deplaciert; denn solche erwünschten länderspezifischen Regelungen gehören nicht in Verwaltungsvorschriften, sondern sollten durch Länderabsprachen aktuell geregelt werden. Die Probleme mit der Republik Jugoslawien scheitern doch daran, dass das dortige Regime für die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft 2700 DM pro Kopf verlangt und derzeit noch entsprechende Zahlung der ehemaligen jugoslawischen Staatsbürger vom EU- Embargo gehindert werden. 8412 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) Die Probleme mit dem Iran liegen in der Weitergel- tung des Niederlassungsabkommens von 1929, dessen Aufhebung von deutscher Seite längst beschlossen ist. Hier sollte man das Auswärtige Amt auffordern, auf die iranische Seite einzuwirken, möglichst bald ihrerseits zu ratifizieren. Wer wie Sie in einem solchen Antrag das Wörtchen „insbesondere“ verwendet, muss sich allerdings sagen lassen, dass es sich hier nicht um präzise, konkrete Schwierigkeiten, sondern um nebulöse Versuche geht, über die Verwaltungsvorschriften vielleicht doch noch den Weg zu einer generellen Hinnahme von Mehrstaat- lichkeit zu erreichen. Marieluise Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das neue Einbürgerungsrecht ist nun gerade acht Wochen alt. Erste stichprobenartige Erhebungen in den Einbürgerungsbehörden zeigen, dass das neue Recht gut angenommen wird. Der Trend ist deutlich: Die Zahl der Antragstellungen hat sich verdoppelt, an einigen Orten gar verdreifacht. Dennoch wird es immer wieder Problemfälle geben, bei denen sich die Einbürgerung schwierig gestaltet. Es handelt sich oft um Probleme, die mit der Situation in den Herkunftsländern zu tun haben, wo die Ausbürge- rung auf Schwierigkeiten stößt. Hier die Hindernisse zu beseitigen, die Verfahren zügig und human zu gestalten ist das Anliegen dieses Antrages. Dieses Anliegen teilen ja durchaus auch einige Kollegen aus der Union. Herr Kollege Bosbach kennt die oft schwierigen Fälle bei der Einbürgerung von Iranern ja aus eigener Anschauung und Praxis. Es ist daher begrüßenswert, dass im Entwurf der Verwaltungsvorschriften versucht wird, diesen Problem- fällen Rechnung zu tragen. Sie wissen um die oft jahre- langen ergebnislosen Ausbürgerungsbemühungen etwa iranischer Staatsbürger. Ich finde, mehr als die Antrag- stellung und eine Wartezeit von 2 Jahren kann ein Rechtsstaat nicht verlangen. Daher sehen die Verwal- tungsvorschriften vor, dass 2 Jahre nach Antragstellung Mehrstaatigkeit hingenommen wird, wenn mit einer Entscheidung nicht mehr zu rechnen ist. Also kein end- loses Bemühen mehr um die Ausbürgerung, kein Ren- nen von Pontius zu Pilatus. Auch die Senkung der Einbürgerungsfrist und die Ausweitung der Anspruchseinbürgerung führt etwa bei iranischen Antragstellern dazu, dass das Zustimmungs- erfordernis nach dem deutsch-iranischen Niederlas- sungsabkommen entfällt und damit die Einbürgerung dieser Staatsangehörigen erleichtert wird. Gleiches sieht die Verwaltungsvorschrift auch für die Ehegatten Deutscher vor, die einen Regelanspruch nach drei Jahren haben. Hier gelten die Hinnahmetatbestände des neuen § 87; damit soll auch die Zustimmungserfor- dernis entfallen. Doch diese Erleichterung wollen nun die B-Länder im Bundesratsverfahren wieder streichen, wie so viele andere Erleichterungen auch. Wir erleben derzeit im Bundesratsverfahren den deutlichen Versuch, die Einbürgerungsverfahren eben nicht human zu gestal- ten, eben nicht Hindernisse zu beseitigen, sondern eher neue Hürden zu schaffen. Weitere Beispiele aus über 100 Änderungsanträgen: Erstens. Zu den unzumutbaren Entlassungsbedingun- gen soll laut Entwurf der Verwaltungsvorschriften etwa zählen, wenn durch die Ausbürgerung Leib und Leben von Angehörigen gefährdet wird, zum Beispiel Bahai. Dieses wollen die unionsgeführten Länder, Bayern vor- an, wieder streichen. Zweitens. Die Ausbürgerung wird von der Ableistung des Wehrdienstes abhängig gemacht. Dies ist bei im In- land Aufgewachsenen, die die Sprache kaum verstehen und ihr Land nicht kennen, wohl kaum zumutbar. Doch das Ist will Bayern durch ein Kann ersetzen. Die Juristen hier im Haus wissen, was der Wandel von Ist zum Kann bedeutet. Wenn etwas nur unzumutbar sein kann und nicht ist, ist es dies auch nicht – zumindest in Bayern nicht. Diese Liste der bayrischen Restriktionen ließe sich beliebig fortsetzen. Nachdem die Union ein unliebsames Gesetz nicht verhindern konnte, will sie nun über die Verwaltungs- praxis der Länder die Hürden für die Einbürgerung hoch und höher hängen. Unter der Hand empfehlen Beamte der Einbürgerungsbehörden in Baden-Württemberg An- tragstellern schon, sie sollten es doch lieber in einem anderen Bundesland versuchen. Dass es dabei nicht um die Verhinderung des Doppelpasses, sondern um die Verhinderung von Einbürgerung geht, macht die Aus- einandersetzung um die Sprachkenntnisse deutlich. Die Verwaltungsvorschriften legen das Niveau fest: Der Bewerber soll sich im täglichen Leben sprachlich zurechtfinden und ein seinem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch führen können. Dazu gehört auch, einen alltäglichen Text lesen, verstehen und den wesentlichen Inhalt mündlich weitergeben zu können. Nicht mehr, nicht weniger. Hier will Bayern einen Sonderweg gehen: So soll der Bewerber dort einen mündlichen und schriftlichen Test absolvieren, der sich im Niveau für das Zertifikat Deutsch an Volkshochschulen orientiert. Dies geht weit über das gesetzliche Erfordernis hinaus. Sprachkenntnisse zu erwarten ist richtig, akademische Höhenflüge und grammatikalische Feinheiten zu verlan- gen dient nur dazu, die Hürden für die Einbürgerung so hoch zu hängen, dass niemand mehr dran kommt. Wer die Einbürgerung von der Beherrschung der neuen Rechtschreibung abhängig machen will, will Ein- bürgerung verhindern, nicht erleichtern. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die Aufforderung des Parlaments, die Bundesregierung und die Bundesländer zu bitten, das neue Staatsangehörigkeitsrecht großzügig anzuwenden, hatte und hat einen guten Grund. Denn Gesetze mit ihren abstrakt-generellen Formulierungen können oft die Vorstellung des Gesetzgebers, wie kon- krete Einzelfälle oder auch typische Fallgruppen gelöst Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8413 (A) (B) (C) (D) werden sollen, nur unzureichend zum Ausdruck bringen. Aus dieser Sorge heraus wurde der heute zur Abstim- mung stehende Antrag der Koalitionsfraktionen gebo- ren. Grundgedanke des reformierten Staatsangehörigkeits- rechts ist weiterhin die prinzipielle Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Ebenso wie im alten Recht soll es aber auch künftig Ausnahmen davon geben, wenn bei ei- ner Einbürgerung die Aufgabe der alten Staatsangehö- rigkeit unzumutbar wäre. Die praktischen Erfahrungen haben gezeigt, dass dies insbesondere für Einbürge- rungsbewerber aus dem Iran und der Bundesrepublik Jugoslawien zutrifft. Das neue Recht gibt den Verwaltungsbehörden in diesen Fällen die eindeutige Möglichkeit, großzügig zu verfahren. Es entspricht aber nicht der üblichen Geset- zestechnik, einzelne Länder im Gesetz zu benennen. Daher hat die Mehrheit, die das neue Staatsangehörig- keitsrecht im Bundestag getragen hat, sich in den Re- formberatungen darauf verständigt, diese Absicht des Gesetzgebers in einem eigenen Antrag zum Ausdruck zu bringen. Die F.D.P. unterstützt ausdrücklich diesen Antrag, wenn es auch etwas seltsam ist, die Bundesregierung zu etwas aufzufordern, worüber gerade am letzten Freitag schon abschließend verhandelt worden ist. Dass der heu- tige Beschluss dennoch notwendig ist, zeigt im Übrigen diese aktuelle Diskussion um die bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum neuen Staatsangehörig- keitsrecht. Wir haben erlebt, dass von einigen Ländern her die Intentionen der Reform konterkariert werden sollten. Die politische Auseinandersetzung, bei der man im Bundestag und im Bundesrat in der Minderheit geblieben ist, sollte auf dem Umweg über Verwaltungs- vorschriften fortgesetzt werden. Die Einigung auf Staatssekretärsebene in der letzten Woche tröstet über diese bedauerliche Feststellung nicht hinweg, denn dem Vernehmen nach wurden dabei Formelkompromisse be- schlossen, die – zum Beispiel bei der Sprachprüfung – den Ländern oft freie Hand lassen. Wenn auch die Verwaltungsvorschriften nicht Ge- genstand der heutigen Beschlussfassung sind, so mag der Antrag doch als allgemeiner Hinweis der Bundes- tagsmehrheit verstanden werden, im Staatsangehörig- keitsrecht alte ideologische Gräben zuzuschütten und zu einer modernen, einer weltoffenen Gesellschaft wie der- jenigen der Bundesrepublik Deutschland angemessenen Verwaltungspraxis zu kommen. Ulla Jelpke (PDS): Schon bei der ersten Beratung hatte ich gesagt, dass ich es merkwürdig finde, wenn SPD und Grüne einen Appell an ihre eigene Regierung verabschieden. Warum haben Sie das nicht dort geregelt, wo es hingehört, nämlich in Ihrem Gesetz? Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich fürchte – zumal nach dem Streit mit den Unionsländern um die Verwal- tungsvorschriften –, dass sich die angebliche Erleichte- rung von Einbürgerungen immer mehr als große Pleite herausstellt. Für Millionen Migranten und Migrantinnen, die auf eine leichtere Einbürgerung gehofft hatten, ist das eine bittere Enttäuschung. Die CDU hat in Hessen letztes Jahr einen ausländer- feindlichen Wahlkampf mit schmutzigem Geld geführt. SPD und Grüne sind danach in einem Ausmaß einge- knickt, dass am Ende nur noch ein Trauerspiel, ein „Re- förmchen“, herausgekommen ist. Nun drohen selbst die- se wenigen Verbesserungen in der Praxis der Länder ins Gegenteil umzukippen. Statt einer erleichterten Einbür- gerung sind Erschwerungen zu befürchten. Das sehen auch die Betroffenen so. Der Ansturm auf die Ämter nach In-Kraft-Treten des neuen Gesetzes ist schon aus- geblieben. Welche schlimmen Blüten die Ausländerfeindlichkeit von CDU und CSU treibt, können wir in den Ländern erleben. In Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und vermutlich Sachsen werden Bewerber um die Staatsbür- gerschaft nun einer schriftlichen Sprachprüfung unter- zogen. Wozu kaum eine Behörde in der Lage ist, näm- lich einen Brief zu verstehen und in einfachem Deutsch zu beantworten, soll Vorbedingung für alle Migranten und Migrantinnen werden. Warum führt Herr Beckstein nicht solche Sprachprüfungen für seine Beamten ein? Wer prüft die bayerischen und sächsischen Sprachprü- fer? Leider ist das Thema nicht zum Lachen. Es zeigt nur, wozu Ausländerfeinde in der Lage sind, wenn es darum geht, Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, das Staatsbürgerrecht zu verweigern. Ich bin gespannt, wie der Bundesrat am Ende mit den Verwaltungsvorschriften zum Staatsbürgerrecht umgeht. Es hat ja eine ganze Reihe von Änderungswünschen der Union gegeben. Ich nenne die Erschwerung der Einbür- gerung von Ehegatten, die Rücknahme der Erleichterun- gen bei der Einbürgerung von mit Deutschen verheirate- ten Iranern, die Ausweitung von Auskunftspflichten auch zulasten von Iranern und die Behinderung der Ein- bürgerung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion. Letzteres ist für mich ein schlimmes Kapitel von Anti- semitismus. Was aus diesen Absichten am Ende wird, werden wir erst nach der nächsten Bundesratsdebatte wirklich wissen. Vor diesem Hintergrund wird, so denke ich, auch der heutige Appell nicht viel helfen. Wir werden dem zu- stimmen, weil wir die Intention mittragen. Aber den Menschen, um die es geht, wird damit, so fürchte ich, nicht geholfen sein. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekre- tärin beim Bundesministe des Inneren: Wer sich aktiv mit der Migrationspolitik befasst, kennt die Situation zur Genüge: Fast in jeder öffentlichen Diskussion um ausländerrechtliche Fragen meldet sich irgendwann ein Iraner oder eine Iranerin aus dem Publikum und berich- tet vom Saalmikrofon aus – meist übrigens in sehr gu- tem Deutsch – von seinen oder ihren Schwierigkeiten beim Versuch, die deutsche Staatsangehörigkeit zu er- werben. Einzelfälle, die per Brief oder Petition an uns herangetragen werden, sind mittlerweile Legion. Die Bundesregierung hat deshalb volles Verständnis dafür, 8414 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) dass die Koalitionsfraktionen noch vor der Verabschie- dung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts darauf ge- drängt haben, besonders auf die Probleme der Menschen aus dem Iran und aus Jugoslawien zu achten. Es ist gut, dass ein so bedeutsames gesellschaftspoli- tisches Reformwerk zusätzlich Schubkraft bekommt. In- zwischen ist das Gesetz selber in Kraft, und die Bera- tung über die Verwaltungsvorschriften weit vorange- schritten. Aber der Antrag hat immer noch seine Aktua- lität, weil er den Ländern, die noch zu einer restriktiven Auslegung des Gesetzestextes neigen, die Probleme der Iraner und Jugoslawen verdeutlicht. Und wir wollen doch, dass die Reform ihr Ziel erreicht: nämlich die In- tegration zu fördern und Hürden beim Erwerb des deut- schen Passes wegzuräumen! Dennoch kann ich schon jetzt festhalten, was sich für Einbürgerungsbewerber aus dem Iran und aus Jugosla- wien durch das neue Gesetz und den von der Bundesre- gierung vorgelegten Entwurf für die Verwaltungsvor- schriften zum Besseren wendet. Dazu einige wichtige Punkte: Für die Iraner ist von besonderer Bedeutung, dass die Frist bis zum Einbürge- rungsanspruch fast halbiert worden ist. Denn so fallen sie nicht mehr unter die Bestimmungen des deutsch- iranischen Niederlassungsabkommens, das ihnen die Einbürgerung fast unmöglich macht, weil der Iran dazu seine Zustimmung geben müsste. Sie profitieren auch davon, dass Ausländer, die politisch verfolgt im Sinne des § 51, oder Flüchtlingen im Rahmen humanitärer Aufnahmequoten sind, sich nicht mehr um die Entlas- sung aus ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit be- mühen müssen. Gerade Iraner sind unter diesen beiden Gruppen zahlreich vertreten. Sie erhalten jetzt auch ei- nen Einbürgerungsanspruch, wenn ihnen andernfalls er- hebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art entstehen. Das trifft gerade auf Iraner häufig zu. Den jugoslawischen Einbürge- rungswilligen hilft die Regelung weiter, nach der Mehr- staatigkeit dann hingenommen werden kann, wenn die Gebühren für die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit unverhältnismäßig hoch sind. Genau das ist bei Jugos- lawen der Fall. – Sie sehen also, es hat sich allerlei zu- gunsten der Betroffenen getan. Lassen Sie mich die Gelegenheit noch nutzen und ei- nen Appell an all diejenigen richten, die insgesamt von dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht profitieren sollen. Machen Sie von den neuen Chancen Gebrauch! Das gilt nicht zuletzt auch für die Eltern der Kinder bis zu zehn Jahren, die den Einbürgerungsanspruch im laufenden Jahr, 2000, per Antrag anmelden können. Ein zweiter Appell geht an die Migrantenorganisationen, die sich immer noch über die Vorbedingungen für die Einbürge- rung beklagen, vor allem über das Bekenntnis zum Grundgesetz und die ausreichenden Sprachkenntnisse. Ich habe zwar Verständnis für die Sorgen, die sich vor allem ältere Migranten, und insbesondere Migrantinnen deshalb machen, und ich hoffe, dass die Ausländerbe- hörden den Handlungsspielraum des Gesetzes für diesen Personenkreis sensibel und großzügig nutzen. Aber Sprachkenntnisse sind nun einmal die Fahrkarte zu In- tegration, Chancengleichheit und voller gesellschaftli- cher Teilhabe. So und nicht anders sind die Kriterien des neuen Staatsangehörigkeitsrechts gemeint. Und die ers- ten Erfahrungen geben uns Recht. Die Zahl der Anträge auf Einbürgerung steigt. Die Bilanz von Mitte Februar war: In München und Bonn gibt es viermal so viele wie vorher, in Hamburg sind es 50 Prozent mehr, in Kiel so- gar 300 Prozent. Nicht überall ist der Run so stark, aber der Trend ist vor allem in den Großstädten eindeutig. Wir sind – allen Unkenrufen zum Trotz – ein tüchtiges Stück vorangekommen. Und das ist gut so. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern (... Zuständigkeitslockerungsge- setz) (Tagesordnungspunkt 11) Dr. Michael Bürsch (SPD): Seit rund 10 Jahren be- mühen sich die Bundesländer intensiv darum, ihre Ver- waltungen an Haupt und Gliedern zu reformieren. Der heute zu beschließende Gesetzentwurf mit dem etwas sperrigen Titel „Zuständigkeitslockerungsgesetz“ soll diese Reformbemühungen unterstützen. Als die Länder mit den Verwaltungsreformen began- nen, war die Begeisterung und das Engagement vieler- orts groß. Inzwischen ist die Aufbruchstimmung der ers- ten Jahre etwas verflogen – unter anderem deshalb, weil der Reformprozess mehr und mehr von der Haushaltsnot als von echten Modernierungskonzepten geprägt ist. Neuer Schwung tut Not für die Verwaltungsreformen! In diesem Zusammenhang wird von Länderseite eine interessante Entwicklung berichtet: Gerade in jenen Ländern, die grundlegende Strukturveränderungen in Angriff genommen haben und daran gehen, Verwal- tungsebenen zu reduzieren, ist eine Dynamisierung der Reformprozesse zu beobachten. Jüngstes Beispiel ist Rheinland-Pfalz, das trotz mancher Widerstände die Re- gierungspräsidenten, das heisst die mittlere Verwal- tungsebene, abgeschafft hat. Andere Länder wie Nord- rhein-Westfalen gehen ähnliche Wege. Es sind offenbar die mutigen Schritte und fundamentalen Strukturverän- derungen, die dem Reformprozess wieder neuen Elan bringen können. Jedes Bundesland muss für sich selbst den eigenen Weg der Modernisierung finden. Dies setzt aber voraus, dass der Bund den Ländern den dafür nötigen Gestal- tungsspielraum lässt. Wünschenswert wäre aus meiner Sicht, wenn der Bund zukünftig mehr politisch steuert und in der Umsetzung längere Leine lässt, statt zu viel selbst zu bestimmen. Die Länder brauchen Raum für mehr Eigeninitiative und mehr Eigenverantwortung. Hier setzt das Zuständigkeitslockerungsgesetz an. Es räumt den Ländern größere Spielräume für ihre Verwal- tungsreformen ein. Es ermöglicht ihnen insbesondere die Verlagerung von Aufgaben auf nachgeordnete Behörden und steht im Kontext der umfassenden Bemühungen im Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8415 (A) (B) (C) (D) Bund und in den Ländern, die Verwaltung zu vereinfa- chen und effizientere Strukturen zu schaffen. Viele Aufgaben, deren Bedeutung sich im Laufe der Zeit verändert hat, wie zum Beispiel die Kriegsopferver- sorgung und die Flurbereinigung, können heute prob- lemlos mit weniger Verwaltung als früher bewältigt werden. So kann Doppelarbeit vermieden und Verwal- tungsaufwand beim Vollzug von Bundesgesetzen ver- ringert werden. Zweifellos wird mit dem Zuständigkeitslockerungs- gesetz, etwa der Änderung der Rasenmäherlärm- Verordnung, des Milch- und Fettgesetzes und anderer Gesetze der deutsche Föderalismus nicht revolutioniert, aber: Auch mit Kleinvieh ist Fortschritt zu machen. Dass der Bund freiwillig Kompetenzen an die Länder abgibt, geschieht nicht alle Tage und ist schon deshalb ein wichtiges Signal für die reformbereiten Bundeslän- der. Entgegen den eher zentralistischen Tendenzen der 80er- und 90er-Jahre zeigt der Bund mit dem Zuständig- keitslockerungsgesetz seine Bereitschaft, den Födera- lismusgedanken ernst zu nehmen und den Ländern mehr Autonomie zuzugestehen. Das gute alte Prinzip der Sub- sidiarität kommt damit wieder zu Geltung. Über die allzu bürokratische Sprache des Zuständig- keitslockerungsgesetzes ließe sich manche kritische Anmerkung machen. Ich beschränke mich mit Rudolf von Ihering für künftige Reformgesetze auf den Appell: „Der Gesetzgeber soll denken wie ein Philosoph, aber reden wie ein Bauer“. Ein persönlicher Wunsch zum Schluss: Der öffentli- che Dienst auf allen staatlichen Ebenen steht und fällt mit der Qualität und Motivation seiner Mitarbeiter. Viel wichtiger als Reformen zur Organisation der Verwal- tung und zur Vereinfachung der Verwaltungsabläufe scheinen mir gerade in der Zeit knapper Kassen Refor- men, die den Beschäftigten direkt zugute kommen, zum Beispiel die Einführung moderner Personalführungsme- thoden wie Personalentwicklung, Beurteilungsrichtli- nien, Leistungsanreize, Arbeitzeitkonten etc. Hier bietet sich für die Länder wie für den Bund ein weites, sehr er- tragreiches Betätigungsfeld für Reformen. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): “Zu- ständigkeitslockerungsgesetz“ – dieses Wort klingt für Uneingeweihte ein bisschen nach Gymnastik und Kör- perertüchtigung. Ganz falsch ist dieser Eindruck nicht. Der heute zur Beschlussfassung vorliegende Gesetzent- wurf ist die Voraussetzung für eine ganze Reihe von Verwaltungsreformen in den Ländern. Reformen, die überflüssige Bürokratie abbauen und die Verwaltungen bürgerfreundlicher gestalten. Die Länder, die viele Auf- gaben vom Bund als Aufragsverwaltung ausführen, wol- len verständlicherweise nicht darauf festgelegt werden, alles immer nach einem vorgebenen Schema auszufüh- ren. Sie wollen die ihnen auferlegten Aufgaben, je nach Bedarf, den ihnen geeignet erscheinenden Ebenen zu- ordnen, auslagern und an freie Träger übertragen, um ih- ren Haushalt und ihre Bürokratie zu entlasten. Daneben macht es aus ihrer Sicht Sinn, bestimmte Aufgaben wie die Umsetzung der „Rasenmäherlärm-Verordnung“ gleich selbst in die Hand zu nehmen oder wiederum der- jenigen Ebene zu übertragen, die in ihren jeweiligen Ländern am besten dafür geeignet ist. Natürlich geht es dabei auch um Kosteneinsparungen. Dagegen ist absolut nichts einzuwenden, wenn es tatsächlich um Effizienz- steigerung und die Verlagerung von Kompetenzen auf untere Ebenen geht – zum Beispiel von der Kabinetts- auf die Ministerebene oder von der Landes- auf die Kommunalebene. Gerade weil der Katalog der mögli- chen Zuständigkeitslockerungen aber so umfangreich und heterogen ist, besteht die Gefahr, dass neben Sinn- vollem auch Maßnahmen durchgezogen werden, die ei- ne Qualitätsverschlechterung, eine Verringerung von notwendigen politischen Steuerungsmöglichkeiten oder Interessenkonflikte zwischen öffentlichem Auftrag und privatwirtschaftlichem Gewinnstreben nach sich ziehen. Massiv bestanden diese Probleme bei der Jugendhilfe, die auf nichtökonomische Qualitätsstandards besonders angewiesen ist. Deshalb wurde die hier geplante Ände- rung von § 85 SGB VIII, KJHG, nach ebenso effizien- tem wie begründetem Widerstand mit Unterstützung des Familienministeriums aus dem Katalog entfernt. Eine solche Öffnungsklausel für Verschlechterungen in der Jugendhilfe wird auch als seperarte Vorlage keine Un- terstützung durch uns erhalten. Dass die Länder dagegen die Zuständigkeitsebenen für einzelne Bereiche, wie die Ausführung des Bundeso- zialhilfegesetzes, selbst bestimmen dürfen, erscheint da- gegen sinnvoll. Schließlich ist der Verwaltungsaufbau in den Ländern sehr verschieden – man denke nur an den noch immer vierstufigen Aufbau der Landesverwaltung in Bayern. Für die Kommunen hat eine Zuständigkeits- lockerung zwei Seiten: Sie können, mit vereinten Kräf- ten, von den Ländern die Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben – etwa beim Kreislaufwirtschafts- und Ab- fallgesetz – erstreiten. Das ist auch im grünen Sinne, denn viele Aufgaben können lokal besser und bürger- und bürgerinnennäher erfüllt werden. Aber: Die Kom- munen könnten in der Folge auch zusätzliche Aufgaben von den Ländern aufgedrückt bekommen. Da heißt es dann wachsam bleiben, vor allem bei der Kostenerstat- tung und der Qualität der Leistungen. Meiner hier vorgetragenen, differenzierten Einschät- zung entsprechen auch die Änderungsanträge der Frak- tion von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Sie greifen die Bedenken der Bundesregierung gegenüber der Bun- desratsvorlage auf und schlagen konstruktive Änderun- gen vor. Insgesamt wollen wir die Zuständigkeitslockerungen so gestalten, dass keine einseitigen Belastungsverschie- bungen zulasten anderer staatlicher Ebenen entstehen. Wir wollen sicherstellen, dass keine Qualitätsver- schlechterungen eintreten oder die Qualitätssicherung unter den Tisch fällt. Und wir wollen verhindern, dass rechtssystematische Brüche oder Rechtsunsicherheiten eintreten. Dafür sind die Änderungen der Koalitionsfraktionen unerlässlich. Zeitgemäße Verwaltungsreformen sparen nicht nur Geld. Sie sorgen dafür, dass die öffentliche Verwaltung 8416 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) kundenorientierter wird und zugleich die Arbeitszufrie- denheit der Beschäftigten steigt. Viele dieser Reformen wurden über Jahre und Jahrzehnte verschleppt – zu Las- ten der Bürgerinnen und Bürger und zulasten des Anse- hens unseres Staates. Die Vorlage der Länder gibt nun, zusammen mit den notwendigen Ergänzungen der Koa- litionsfraktionen, den Startschuss für zahlreiche, bislang auf Eis gelegte Reformen. Sie haben daher unsere Zu- stimmung verdient. Dr. Max Stadler (F.D.P.): In der Ausbildung wird jungen Beamten – halb scherzhaft – beigebracht, die ers- te Frage, die sie bei der Bearbeitung eines Vorgangs stellen müssten, lautet: Wer ist zuständig? Mag diese Frage gelegentlich auch zur Strategie der Abwehr unan- genehmer Aufgaben gehören, so steckt doch hinter Zuständigkeits- und damit Kompetenzabgrenzungen in einem Rechtsstaat ein guter Sinn. Für den Zugang zu Gerichten gibt Art. 101 des Grundgesetzes den Bürge- rinnen und Bürgern sogar das wichtige Grundrecht auf den „gesetzlichen Richter“. Auch im Bereich der Exeku- tive haben Zuständigkeitsregelungen durchaus ihre Be- deutung. Die Effizienz der Verwaltung, Kostengesichts- punkte und Bürgernähe sind einige der hierfür maßgeb- lichen Kriterien. Ein Gesetzentwurf, der dem Grundprinzip der Subsi- diarität folgt und Zuständigkeiten, wo immer dies mög- lich und sinnvoll ist, von oben nach unten verlagert, fin- det daher prima vista die Sympathie der Liberalen. Dies entbindet uns freilich nicht der Pflicht zur Kritik im Detail. Ich will keinen Hehl daraus machen, dass der Gesetzentwurf des Bundesrates in der ursprünglichen Form nicht die Zustimmung der F.D.P.-Fraktion gefun- den hätte. Wir legen vor allem Wert darauf, dass in der Arbeitsgerichtsbarkeit weiterhin die bewährte anwaltli- che Vertretung der Prozessparteien in zweiter und dritter Instanz gewährleistet sein muss. In der gestrigen Sitzung des Innenausschusses ist die unseren Vorstellungen zu- widerlaufende Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes aus dem Gesetzentwurf ersatzlos gestrichen worden. Dies macht den Weg frei für die heutige Zustimmung der F.D.P.-Fraktion. Freilich ist für uns weiterhin frag- lich, ob es nicht besser wäre, Vereinsverbote prinzipiell obersten Landesbehörden vorzubehalten, da es sich doch um einen nicht unerheblichen Eingriff in ein Grundrecht handelt. Die – zugegeben – schon bestehende Möglich- keit in der Verwaltungsgerichtsordnung, die Entschei- dung über Widersprüche der Ausgangsbehörde zu über- lassen, hätte auch nicht unbedingt ausgedehnt werden müssen: Schließlich erscheint es uns ein wenig zu ängst- lich, dass von den Regierungsaktionen in den Aus- schussberatungen die ursprünglich vorgesehene Delega- tion auf „nach Landesrecht zuständige Stellen“ korri- giert worden ist. Nunmehr gilt die Zuständigkeitsverla- gerung nur noch für „nach Landesrecht zuständige Be- hörden“. Die Furcht vor Privatisierung hat hier den Koa- litionsfraktionen die Feder geführt. Schließlich muß erst die Praxis erweisen, ob entgegen der Auffassung der Bundesregierung die geplante Zu- ständigkeitskonzentration von Staatsanwaltschaften für die Strafvollstreckung und die Vollstreckung von Maß- regeln der Besserung und Sicherung sich in der Praxis bewähren wird. Da aber unsere Hauptkritikpunkte durch Korrekturen am ursprünglichen Entwurf in den Ausschussberatungen beseitigt worden sind, möchte die F.D.P.-Fraktion die- sem kleinen Schritt zur Flexibilisierung der Verwaltung keine Hindernisse in den Weg legen und stimmt daher trotz fortbestehender Einwände zu. Petra Pau (PDS): Ich bin ein Fan von Verwaltungs- reformen, allemal, wenn es um die Entwirrung von Kompetenz-Wirrwarr, um mehr Bürgernähe und Trans- parenz, um den Abbau von Doppelzuständigkeiten geht. Entscheidungskompetenzen gehören so nah wie möglich dorthin, wo sich die Entscheidungen letztlich auswirken. Das ist die grundsätzliche Auffassung der PDS. Genau diesem Anspruch widersprach der ursprüng- lich vom Bundesrat vorgelegte Gesetzentwurf. Mehr noch, es drohte die Privatisierung von Entscheidungen, und er enthielt die Gefahr, dass gesetzlich garantierte Leistungen für Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt werden können. Diese Mängel konnten in den Aus- schussberatungen zum größten Teil behoben werden. Gleichwohl gilt auch für den jetzt vorliegenden Text: Der Teufel steckt im Detail beziehungsweise er verbirgt sich unter den Verordnungen über Kleinfeuerungsanla- gen, über die Messung von Rasenmäherlärm oder unter dem Milch- und Fettgesetz. Es geht heute um einen Mix vielfältigster Regelungen, darunter auch um das Ver- einsgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung. Beide würden in der vorliegenden Fassung zu weniger Rechts- sicherheit führen. Da die vorliegenden Änderungen nur im Paket abge- stimmt werden, werden wir daher das Gesamtwerk ab- lehnen. Denn wir können nicht mehr Bürgernähe auf der einen mit mehr Rechtsunsicherheit auf der anderen Seite befürworten. Fritz-Rudolf Körper, Parl. Staatsekretär beim Bun- desminister des Inneren: Die Zustimmung zu einer Fülle von Vorschlägen der Länder durch die neue Bundesre- gierung verdeutlicht das Umdenken entsprechend dem Programm der Bundesregierung „Moderner Staat – Mo- derne Verwaltung“. Die Modernisierung von Staat und Verwaltung kann in einem föderalen Staat wie der Bun- desrepublik Deutschland nur dann nachhaltig gelingen, wenn auch die Beziehung der staatlichen Ebenen unter- einander – und hier vor allem das Verhältnis zwischen Bund und Ländern – in den Blick genommen wird. Die Länder brauchen für die Neugestaltung dieses Verhältnisses einen größeren Entscheidungsfreiraum für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben. Die Bundesre- gierung wird deshalb alles tun, um Barrieren abzubauen, die selbst verantwortliches Handeln der Länder– und auch der Kommunen – behindern. Eine ganz wesentli- che Voraussetzung hierfür ist der Abbau bundesrechtli- cher Vorgaben – wie dies jetzt durch das Zuständigkeits- lockerungsgesetz geschieht. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8417 (A) (B) (C) (D) Wenn den Ländern der Vollzug des Bundesrechts grundsätzlich als eigene Aufgabe übertragen wird, so sollte der Gestaltungsspielraum der Länder nicht durch strikte bundesrechtliche Vorgaben für die Durchführung des Bundesrechts mehr als notwendig eingeengt werden. So ist es in vielen Fällen möglich, auf die Festlegungen einer bestimmten Landesbehörde oder gar der obersten Landesbehörde durch den Bund zu verzichten und es den Ländern durch Öffnungsklauseln zu ermöglichen, die zuständigen Behörden selbst festzulegen. Die Modernisierung der Verwaltung ist ein langwie- riger Prozess, der ständig fortgesetzt werden muss. Die Summe vieler Einzelmaßnahmen führt zum Erfolg. Die Bundesregierung wird deshalb ihre Reformbemühungen fortsetzen. Derzeit prüft sie weitere 183 Vorschriften zur Lockerung der Zuständigkeit, die von den Ministerprä- sidenten der Länder vorgeschlagen wurden. Maßstab für die Lockerung ist die Überzeugung, dass die Länder grundsätzlich eigenverantwortlich entscheiden können, welche Zuständigkeit eine sachgerechte Verwaltungs- praxis am besten gewährleistet. Einige Beispiele: Bei Art. 13, dem Vereinsgesetz, wird den Ländern gestattet, dass Vereinsverbote auch von Behörden unterhalb der obersten Landesbehörde ausgesprochen werden können. Es ist auch gelungen, bei Art. 33, dem Gesetz über die Errichtung der Verwal- tungsbehörden der Kriegsopferversorgung, einen ver- nünftigen Kompromiss zu finden. Dem Vorschlag der Länder, das Gesetz vollständig aufzuheben, konnte nicht gefolgt werden; dies hätte bei den Kriegsopferverbänden die Besorgnis hervorgerufen, dass die Versorgungsver- waltung als fachlich kompetente Sozialverwaltung und damit die Betreuung der über 1 Million Kriegsopfer nicht mehr gewährleistet wäre. Um jedoch den Spiel- raum der Länder bei der Versorgungsverwaltung zu er- weitern, ist es vertretbar, auf die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes durch besondere Verwal- tungsbehörden zu verzichten. Die jetzt vorgesehene Neuregelung ist Voraussetzung dafür, dass das wichtige Reformvorhaben zur Moderni- sierung der Landesverwaltung in Nordrhein-Westfalen wie vorgesehen zum Abschluss gebracht werden kann. Der Verwaltungsaufwand der Länder beim Vollzug von Bundesgesetzen soll verringert werden. Hierzu ist der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern ein erster wichtiger Schritt. Die Bundesregierung stimmt ausdrücklich den Vor- schlägen in der Form des Änderungsantrags der Fraktio- nen der SPD und von Bündnis 90/DIE GRÜNEN zu. Gegenüber der Stellungnahme der Bundesregierung vom 23. März 1999 wird der Bund bei sechs weiteren Vor- schlägen den Vorschlägen des Bundesrates entsprechen. Bei Art. 26, der Binnenmarkt- und Tierseuchen- schutzverordnung, und bei Art. 27, dem Milch- und Fettgesetz, wird dem Vorschlag des Bundesrates nun- mehr vorbehaltlos zugestimmt. Bei Art. 12, dem Bundessozialhilfegesetz, erfolgt die Zustimmung mit der Maßgabe, dass die örtliche Zustän- digkeit für die Sozialhilfe von den Kreisen und kreis- freien Städten durch Landesrecht nur auf leistungsfähige Träger übertragen werden darf. Art. 20, Unterhaltsicherungsgesetz, wird ebenfalls zugestimmt mit der Maßgabe, dass die Landesregierun- gen künftig anstelle der obersten Landesbehörde eine nachgeordnete Landesbehörde bestimmen können, die das Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Ver- teidigung bei der Gewährung eines Härteausgleichs her- stellt. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pass- und Personalausweisrechts (Tagesordnungspunkt 12) Rüdiger Veit (SPD): Den heute in Rede stehenden Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Ände- rung des Pass- und Personalausweisrechts könnte man fast ohne Aussprache beschließen. Denn er enthält vor allem eine Reihe redaktioneller Veränderungen, die durch die deutsche Einheit bedingt sind, durch die Um- wandlung der Bundesdruckerei in eine GmbH, aber auch so banale Punkte wie die Abschaffung des Unterschieds zwischen roten und schwarzen Dienstpässen – was na- turgemäß nicht politisch gemeint ist – oder wie die Be- rücksichtigung der Nichtmaschinenlesbarkeit des Dok- tortitels als Namensbestandteil. In einem Punkt allerdings hat dieser Gesetzentwurf auch die Öffentlichkeit durch zahlreiche Pressebericht- erstattungen ab etwa Mitte Januar beschäftigt. Es geht im Kern darum, Zuwiderhandlungen gegen passbe- schränkende Maßnahmen – also Einschränkungen des Geltungsbereiches und der Gültigkeitsdauer eines Pas- ses – ebenso unter Strafe zu stellen wie es das geltende Recht auch schon für Strafbemessungen beim Verstoß gegen Passversagung kennt. Hintergrund ist das Sicher- heitskonzept „Euro 2000“ der Bundesregierung zur Ver- hinderung von Ausschreitungen bei der Fußballeuropa- meisterschaft 2000 in den Beneluxländern. Anders ge- sagt, geht es also um einen Beitrag der Bundesregierung zur Bekämpfung des Hooliganunwesens durch Deutsche im Ausland. Nachdem wir diesen Komplex in der gestrigen Sit- zung des Innenausschusses bereits andiskutiert haben, kann ich Ihnen kaum noch ein Geheimnis verraten, wenn ich sage, dass auch in der SPD-Fraktion und na- mentlich in der Arbeitsgruppe Inneres der effektive Nut- zen und die Wirksamkeit dieser Gesetzesänderung – ganz vorsichtig ausgedrückt – skeptisch beurteilt wird. Wenn wir uns aber ohne großes Aufheben – ganz in der Wortwahl der gestrigen Sitzung – darauf verständigen mögen, dass im Sinne eines Mosaiksteins auch die kleinste etwa noch bestehende gesetzgeberische Lücke geschlossen werden soll, dann sollten wir uns diesem Ansinnen der Innenministerkonferenz vom 18. und 19. November des letzten Jahres in Görlitz nicht verschlie- ßen. Eigentlich sollten die Länderinnenminister in ihrer 8418 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) größeren Sachnähe zu Polizeivollzugsmaßnahmen es ohnehin besser wissen als zum Beispiel wir. Und wer wollte sich zudem einem gesetzgeberischen Anliegen, für das der niederländische und der belgische Innenmi- nister den deutschen Innenminister schon ausdrücklich belobigt haben, verweigern? Aber jetzt wieder ganz im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir sind uns wahrscheinlich alle hier im Hause – und das nicht erst seit jenem schrecklichen Schicksal des französischen Polizeibeamten Nivell, von deutschen Hooligans anlässlich der Fußballweltmeister- schaft 1998 in Frankreich verursacht – darüber einig, dass es sich bei dem Hooliganunwesen um eine üble Fa- cette missverstandenen, womöglich vorgeschoben sport- lich-motivierten, gleichwohl falschen Nationalstolzes und damit auch um eine verabscheuungswürdige Form von Rechtsradikalismus handelt, der mit allen mit unse- rer Verfassung zu vereinbarenden und rechtsstaatlich vertretbaren Mitteln bekämpft werden muss. Betrüblicherweise sind es fast 3 000 Deutsche, die in die Kategorie C und damit als besonders gewaltbereite Hooligans eingestuft werden müssen. Deshalb: Wesent- lich wirksamer als diese Gesetzesinitiative sind mit Si- cherheit eine Reihe anderer Maßnahmen im Rahmen des Sicherheitskonzepts „Euro 2000“. Ich nenne hier bei- spielhaft: erstens anlassbezogene Grenzkontrollen nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen, zwei- tens die Unterstützung der niederländischen und belgi- schen Polizei durch deutsche Polizei, BKA-Beamte und einen vor Ort anwesenden Staatsanwalt, drittens eine verbesserte Risikoanalyse und schnellere Informationen durch die „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“ und viertens den Einsatz von BGS-Beamten, die zum Beispiel in den letzten Tagen für das Freundschaftsspiel in Amsterdam mit 1 350 Beamtinnen und Beamten über 4 000 Personenkontrollen durchgeführt haben. In der Begründung des Gesetzentwurfes an entspre- chender Stelle befinden sich folgende Sätze: „Die wei- tergehende Strafbewehrung trägt auch dazu bei, poten- zielle Gewalttäter davon abzuhalten, entgegen passbe- schränkenden Verfügungen auszureisen.“ Das glaube ich nun sicher nicht! Und weiter: „Außerdem eröffnet die Regelung Repressionsmöglichkeiten gegenüber dem oben genannten Personenkreis, dessen typische Aus- landstaten im Inland nicht ohne weiteres verfolgt werden können.“ Das mag zwar sein, allerdings steht der nach dem Passgesetz dann zur Verfügung stehende Strafrahmen bis zu einem Jahr Gefängnis wohl in keinem sinnvollen Verhältnis zu eben der Gefahr und eben den Straftaten, die bis hin zu schwersten Körperverletzungen gehen oder eine nur so zu bezeichnende Gemeingefährlichkeit darstellen. Richtig aber dürfte sein – auch wenn es in der Begründung des Gesetzes gerade nicht enthalten ist –, dass deutschen Grenz- und Strafverfolgungsbehörden durch die zu beschließende Strafbewehrung geringfügig bessere Möglichkeiten eröffnet werden, aus dem Aus- land zurück abgeschobene deutsche Hooligans vorläufig festzunehmen, erkennungsdienstlich zu behandeln, län- ger in Gewahrsam zu behalten und eventuell einem be- schleunigten Strafverfahren zuzuführen. Dies mag dann mittelbar auch zu einer erleichterten Identitätsfeststel- lung und Beweisführung im Ausland massivst straffällig gewordener Gewalttäter dienen. So verstanden wollen wir als SPD-Bundestags- fraktion – bei aller gebotenen Skepsis – diesen gesetz- geberischen Mosaikstein zur Bekämpfung des Hooliga- nunwesens also hinzutun. Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Zu einer Uhrzeit, bei der erfahrungsgemäß nur bienenfleißige und ganz besonders tapfere Kolleginnen und Kollegen noch im Plenum ausharren, debattieren wir heute – unter einer zugegebenermaßen spröden Überschrift – ein Thema, das von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist – nicht nur für Fußballfans, sondern auch für die Zukunft des Sports insgesamt und das Ansehen unseres Landes in der Welt. Wer die Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Än- derung des Pass- und Personalausweisrechts“ hört, könnte geneigt sein, fluchtartig den Saal zu verlassen und selbst hartnäckige Phoenix-Kunden könnten in Ver- suchung kommen, die Fernbedienung zu suchen. Die wäre jedoch voreilig, denn das zu behandelnde Problem ist von großem öffentlichen Interesse. Nicht erst seit den tragischen Ereignissen von Bradford und Brüssel im Mai 1985 oder seit dem Attentat auf den französischen Gen- darmen David Nivel am 21. Juni 1998 in Lens im Rah- men der letzten Fußball-WM. In diesem Gesetzentwurf wird auch – die deutsche Rechtswissenschaft wird sagen: Endlich! – die histori- sche Frage beantwortet, wie die Bundesrepublik Deutschland – nachdem die Bundesdruckerei in der Rechtsform GmbH geführt wird – Eigentum an den Passdokumenten erlangt, nämlich nicht mehr durch de- ren Produktion, sondern durch Gesetz. Da ich jedoch davon ausgehe, dass diese Nachricht die Bevölkerung nicht gerade elektrisiert, möchte ich mich gleich einem anderen, wirklich wichtigen Kapitel zuwenden. Im Kern geht es darum, dass der Gesetzentwurf mit- helfen soll – mehr kann er nicht leisten –, gewalttätige Auseinandersetzungen im Rahmen großer internationa- ler Sportveranstaltungen frühzeitig zu bekämpfen. Ins- besondere im Hinblick auf die EM, die vom 10. Juni bis 2. Juli in Belgien und in den Niederlanden stattfinden wird. Das Gesetz will nicht begeisterte Fußballfans oder gar die friedlichen Schlachtenbummler der Fußballnati- onalmannschaft kriminalisieren, zumal diese in letzter Zeit ohnehin viel mitmachen und sich durch eine große Leidensfähigkeit auszeichnen. Er will vielmehr einen Beitrag dazu leisten, dass Kriminellen, so genannten Hooligans, das Handwerk gelegt wird. Es kann sein, dass es Hooligans gibt, die von sich be- haupten, sie seien echte Fußballfans, oder dass sie sich als solche tarnen. Tatsächlich sind es jedoch gewöhnli- che Kriminelle, die leider insbesondere den Fußballsport dazu missbrauchen, ihr Unwesen zu treiben. Echte Fans, die diesen Sport lieben und ihrem Verein und der Natio- nalmannschaft helfen wollen, sollten sich, wo immer und wann immer möglich, in ihrem eigenen Interesse von diesen Hooligans distanzieren. Denen geht es näm- Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8419 (A) (B) (C) (D) lich nicht um den Sport, um einen fairen Wettkampf, nicht um den Fußball – die schönste Nebensache der Welt. Hooligans geht es um nackte Gewalt und „immer häufiger um extreme Grade von Brutalität und Grau- samkeit“, wie der DFB betroffen konstatieren musste. Dies kann der Staat nicht dulden, zumal Gewalt in all ih- ren Erscheinungsformen kein fußballspezifisches son- dern – leider – ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Wer das gewalttätige Treiben der Hooligans frühzei- tig unterbinden will, muss zunächst dafür sorgen, dass ihnen die Einreise nach Belgien und in die Niederlande verwehrt wird. Aus gegebenem Anlass soll zukünftig bekannten Gewalttätern – unter bestimmten Vorausset- zungen zur Gefahrenabwehr die Aus- bzw. Einreise un- tersagt werden können. Nach geltendem Recht sind jedoch Zuwiderhandlun- gen gegen Passversagungen, nicht aber gegen nur pass- beschränkende Maßnahmen mit Strafe bedroht. Diese Strafbarkeitslücke soll geschlossen werden. Wer gegen diese passbeschränkenden Maßnahmen verstößt, soll zukünftig schon alleine wegen dieses Deliktes bestraft werden können. Ob er daneben im Ausland irgendwel- che Straftaten begeht, ist in diesem Zusammenhang un- erheblich. Aber machen wir uns bitte nichts vor: Dieses Gesetz ist sicherlich gut gemeint, entscheidend ist jedoch nicht der nackte Gesetzestext, sondern der Gesetzesvollzug, die praktische Handhabung, also die Umsetzung in den kommenden Wochen und Monaten durch die zuständi- gen Behörden. Und da wird es eine Menge Arbeit geben. Dieses Gesetz macht nur dann Sinn, wenn die geplanten passbeschränkenden Maßnahmen in der Praxis auch tat- sächlich verhängt werden. Wir werden daher bei den an- stehenden Beratungen im Innenausschuss insbesondere prüfen müssen, ob der Gesetzeszweck mit diesen Maß- nahmen überhaupt erreicht werden kann. In der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, sind circa 8 000 gewaltgeneigte und gewaltbereite Row- dies registriert, zwischen 2 700 und 3 000 werden zum harten Kern gerechnet. Nach den bitteren Erfahrungen von Lens erscheint es dringen geboten, die Sicherheits- vorkehrungen nicht wie früher auf die jeweiligen Spiel- orte zu beschränken, gerade präventive Maßnahmen müssen früher ansetzen. Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzentwurf durchaus diskussionswürdig, jedenfalls ist undifferenzierte Pauschalkritik, wie sie von den Bündnisgrünen Appel und Özdemir öffentlich vorge- bracht wurde, zumindest in dieser Form, nicht nachvoll- ziehbar. Dies gilt auch für die etwas nebulösen Ausfüh- rungen des Kollegen Wiefelspütz, nach deren Lektüre ich ehrlich gesagt nicht wusste, ob er für oder gegen den Gesetzentwurf ist. Bessere Vorschläge sind jedenfalls herzlich will- kommen und allemal sinnvoller, als die grüne Schmäh- kritik, hier werde – so wörtlich – „in die Mottenkiste des Obrigkeitsstaates“ gegriffen. Wenn das der grüne Bei- trag zur Problembewältigung sein soll, dann könnten bald die ersten Dankschreiben der Hooligans bei Ihnen eintreffen. Natürlich ist die Kritik, dass die geplanten Maßnah- men der Schengen-Idee zuwiderliefen, nicht einfach von der Hand zu weisen und natürlich sind die – leider – notwendigen Grenzkontrollen mit einem erheblichen personellen Aufwand verbunden, der auch geleistet wer- den muss. Aber wir wollen doch auch, dass unser Euro- pa ein Raum der Freiheit und des Rechts ist. Dann muss man diesem Recht auch Geltung verschaffen und Rechtsbrechern mit den zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln das Handwerk legen. Die Eini- gung Europas wird man nicht dadurch erleichtern, dass man Kriminellen freie Fahrt gewährt – ganz im Gegen- teil. Die geplanten gesetzlichen Maßnahmen müssen als Teil eines umfassenden Sicherheitskonzeptes verstanden werden, das nur bei innernationaler aber auch internati- onaler Zusammenarbeit funktionieren kann. Und ich re- ge an, mit den betroffenen Nachbarländern – sofern noch nicht geschehen – auch darüber zu verhandeln, ob im Rahmen der notwendigen polizeilichen Kooperation nicht auch wechselseitig weitergehende Rechte, zum Beispiel bei Observierungen und Ermittlungen einge- räumt werden sollten. Wichtig ist aber auch, dass die Bundesregierung nicht den Eindruck erweckt, als sei alleine durch diese Geset- zesinitiative irgendein Problem gelöst oder gar schon das Ziel erreicht. Vielmehr brauchen wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen, beispielhaft nenne ich nur: ei- ne konsequente Ausschöpfung der landesrechtlichen Möglichkeiten, wie zum Beispiel die Überwachung von Meldeauflagen; eine enge internationale Zusammenar- beit im Vorfeld und vor Ort; rechtzeitige und schnelle – auch grenzüberschreitende – Amtshilfe; eine enge Ko- operation der Sicherheitsbehörden mit dem DFB, aber auch den Vereinen und ihren Fan-Beauftragten oder präventive Maßnahmen schon beim Verkauf von Ein- trittskarten. Gott sei Dank hat es im Zusammenhang mit dem Fußballspiel gestern Abend keine besonderen Vor- kommnisse gegeben. Allerdings muss der Vollständig- keit halber leider darauf hingewiesen werden, dass vor Ort insgesamt neun Randalierer aufgegriffen und zu- rückgeschickt werden konnten und dass zuvor circa 30 gewaltbereite Personen auf dem Weg bzw. an der Gren- ze zu den Niederlanden abgefangen und aufgehalten wurden. Daraus, dass glücklicherweise keine besonderen ge- walttätigen Auseinandersetzungen registriert werden mussten, dürfen wir jedoch nicht den Schluss ziehen, dass im Hinblick auf die Europameisterschaft nunmehr Entwarnung angesagt sei. Nach wie vor ist Wachsamkeit und eine frühzeitige angemessene Reaktion auf Provokationen und Rechtsverletzungen oberstes Gebot. Und die Gewaltbereiten müssen wissen, dass die Ordnungskräfte im Fall einer Auseinandersetzung auch nicht vor brutaler Gewalt zurückschrecken oder gar kapitulieren. Leider gibt es immer noch viel zu viele, die nur Gegengewalt ernst nehmen. Wer glaubt, der internationalen Hooligan-Szene mit in der Bundesrepublik leider auch bei gewalttätigen 8420 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) Demonstrationen gelegentlich so beliebten Deeskalati- onsstrategie begegnen zu können, läuft Gefahr, einen ge- fährlichen Fehler zu begehen. Gesprächstherapeuten werden bei Auseinandersetzungen mit gewaltbereiten Hooligans nicht helfen. Diese Debatte möchte ich gerne dazu nutzen, hier einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der DFB und mit ihm viele Mitgliedsvereine schon in der Ver- gangenheit viel geplant und getan haben, um den Fuß- ballrowdys das Handwerk zu legen. Ich nenne beispiel- haft die Herren Hennes und Sengle, die auf diesem Ge- biet besonders arbeiten, und danke all denen, die sich vor allem ehrenamtlich dafür engagieren, dass Gewalt verhindert und wenn möglich tabuisiert wird. Lens darf sich nicht wiederholen – nicht bei der EM 2000 und auch nicht bei anderen Ereignissen. Wir werden wohl nie sagen können, dass Legislative und Exekutive alles getan haben, um den friedlichen Aufbau derartiger Veranstaltungen garantieren zu kön- nen. Aber jeder, der hier Verantwortung trägt, muss das ihm Mögliche und Zumutbare unternehmen, um den drohenden Gefahren frühzeitig zu begegnen. Wir wollen in wenigen Monaten bei der Endrunde der Fußball-EM 2000 ein großes Fest feiern. Wir wollen gu- te, spannende Spiele sehen und es wäre schön, wenn un- sere Jungs ab und zu gewinnen würden. Mir persönlich würde es schon genügen, wenn sie in jedem Spiel nur ein einziges Tor mehr schießen würden als der Gegner. Und wir wollen nicht, dass Kriminelle und Chaoten die EM und andere sportliche Großveranstaltungen dazu missbrauchen, ihre perversen Triebe zulasten friedlicher Fans und anderer Bürger auszutoben. Jeder, der hier sinnvolle und praxistaugliche Vor- schläge machen möchte, wie das von uns allen ange- strebte Ziel erreicht werden kann, ist uns bei der anste- henden Beratung willkommen. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer das Passgesetz in seiner gültigen Fassung liest, findet noch die Berlin-Klausel und anderes mehr im Text. Es ist gut, dass wir die Textfassung mit der vorgelegten Textfassung aktualisieren. Im Mittelpunkt der Gesetzes- änderung steht selbstverständlich nicht die Streichung obsoleter Textstellen. Wir alle haben noch die Bilder des blutüberströmten französischen Polizeibeamten Nivel vor Augen, der am Rande der Fußballweltmeisterschaft von deutschen Hoo- ligans fast zu Tode geprügelt wurde. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen stehen in der Verantwortung, das ihnen Mögliche zu tun, um derartige Verbrechen so gut das eben geht zu unterbinden. Uns ist klar, dass der Schwerpunkt der Präventionsar- beit nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch Polizei, Grenzschutz und ganz besonders auch durch eine kluge Projektbetreuung dieser Gruppen erfolgen kann. Die vorgelegte Änderung des Passgesetzes – darüber sind wir uns einig – ist nur ein Mosaikstein. Fehlt er aber, ist das Fresko unvollständig. Es ist dann gerade diese Lü- cke, auf die sich die Blicke richten. Wir haben es uns mit der Zustimmung für die Straf- bewehrung der passbeschränkenden Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 des Passgesetzes nicht leicht gemacht. Wir haben sehr wohl immer die Gefahr vor Augen, dass Be- hörden auf einen bloßen Verdacht hin Menschen, die sie auf dem Kieker haben, die Urlaubsreise verbieten. Das Grundrecht auf Freizügigkeit hat auch nach der Elfes- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen ho- hen grundrechtlichen Stellenwert. Im Umgang mit ho- hen Verfassungsgütern verbietet sich jede Leichtfertig- keit. Es gab im Vorfeld dieses Gesetzentwurfs durchaus Vorstellungen, das Gesetz in eine von mir eben skizzier- te Richtung zu ändern. Das ist mit uns aber nicht zu ma- chen. Eine Sicherstellung des Passes aufgrund der blo- ßen Annahme, dass gegen den Inhaber passbeschrän- kenden Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 ergangen sind, geht uns zu weit. Im Kern kann man sich aber dem Ansinnen der Innenministerkonferenz nicht verschließen, einen Beitrag zu leisten, damit deutsche Fußballrowdys im Ausland weniger Schaden anrichten. Es ist richtig, auch unseren Nachbarn gegenüber, ein Zeichen der Entschlossenheit zu setzen. Deutsche Stiefel haben dort in der Vergangenheit genug Unheil angerich- tet. Die Menschen in diesen Ländern haben einen An- spruch darauf, dass wir unser Möglichstes tun, diese Leute unter Kontrolle zu halten. Vertretbar halten wir von daher die Erweiterung Strafbewehrung auf passbeschränkenden Maßnahmen. Es ist auch kaum verständlich, wenn Steuerschuldner und andere, die das Land aus gewiss nachvollziehbaren Gründen nicht verlassen dürfen, bestraft werden – Hoo- ligans aber nicht, wenn sie trotz Verbot in ein bestimm- tes Land reisen. Es würde im Übrigen auch keinen Sinn machen und wäre rechtswidrig, sie nun generell an der Ausreise hindern zu wollen. Sie aber bei Verstößen ge- gen die Auflage denen gleichzustellen, die nicht ausrei- sen dürfen, erscheint mir durchaus angebracht. Richtig ist, dass die nun strafbewehrte Ausreise trotz Verbots bereits als Ordnungswidrigkeit geahndet werden konnte. In der Praxis hat das wohl keine Rolle gespielt. Richtig ist es aber trotzdem, die deutschen Hooligans zu warnen: Sie müssen nunmehr damit rechnen, im Falle ihrer Abschiebung vor ein deutsches Gericht gestellt zu werden, wenn sie zuvor trotz Verbots ausgereist sind. Ich hoffe, das es bei den anstehenden sportlichen Großereignissen nicht zu den gleichen furchtbaren Vor- fällen kommt wie in Frankreich im Fall Nivel. Zuver- sichtlich stimmt mich die Generalprobe gestern beim Polizeieinsatz vor dem Freundschaftsspiel der Fußball- Nationalmannschaft gegen das Team der Niederlande. Dabei wurde 18 Rowdys die Ausreise verwehrt. Es blieb in Amsterdam friedlich. Ich kann nur hoffen, dass dies auch künftig so bleiben wird. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Das Hooligan-Unwesen ist auf das Schärfste zu verurteilen. Die friedlichen Be- sucher von Sportveranstaltungen müssen vor gewalttäti- gen so genannten Fans geschützt werden. Es gehört da- her zu den Aufgaben des Bundesinnenministers, ein Si- Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8421 (A) (B) (C) (D) cherheitskonzept für die bevorstehende Fußball-Europa- meisterschaft vorzulegen. Ausschreitungen wie bei der Weltmeisterschaft 1998, verursacht von deutschen Hoo- ligans, dürfen sich nicht wiederholen. Das Gesetz zur Änderung des Pass- und Personal- ausweisrechts soll ein Baustein dieses Sicherheitskon- zepts sein. Gut gemeint steht aber oft im Gegensatz zu gut ge- macht. Mein Fraktionskollege Klaus Kinkel hat nicht ohne Grund geurteilt: „Schilys Gesetz ist ein Schnell- schuss mit der Schrotflinte“. Die Bundesregierung wird in den Ausschussberatun- gen auf einige kritische Nachfragen der F.D.P.-Fraktion Antwort geben müssen. Davon, ob diese Antworten zu- friedenstellend ausfallen, wird unsere endgültige Hal- tung zu dem Gesetzentwurf abhängen. Denn in einem Rechtsstaat muss klar sein: Der Grundsatz „der Zweck heiligt die Mittel“ wird – viel- leicht zu Unrecht – den Jesuiten zugeschrieben. Im Grundgesetz sucht man auch nach diesem Satz freilich vergebens. Vielmehr ist bei jedem Eingriff in die staatsbürgerli- chen Rechte, wie bei dem von der Bundesregierung hier vorgeschlagenen Eingriff in die Reisefreiheit, die Frage zu stellen: Ist die Maßnahme überhaupt geeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen? Daran werden von Fachleuten Zweifel geäußert. Die Gewerkschaft der Polizei beispielsweise hält das Sicher- heitskonzept für die Fußball-Europameisterschaft für unzulänglich. Die Vorschläge der Polizeipraktiker fin- den sich jedenfalls in diesem Gesetzentwurf nicht wie- der. Der Gesetzentwurf sieht vor, den Geltungsbereich von Pässen und Personalausweisen so zu beschränken, dass für eine bestimmte Zeit keine Berechtigung zur Einreise in bestimmte Länder mehr besteht. Ein Verstoß hiergegen soll künftig strafbar sein. Dann stellt sich freilich die Frage, warum denn bei der Einführung des Passgesetzes nur die Ausreise bei entzogenem Pass strafbar gestellt worden ist, nicht je- doch die Ausreise bei Passbeschränkungen. Nächstes Problem: Holland und Belgien, die Veran- staltungsländer der Fußball-Europameisterschaft, sind Mitgliedsländer der Europäischen Union. Zu den Grund- freiheiten der EU gehört die Reisefreiheit. Ist denn nicht angesichts der fortgeschrittenen europäischen Integrati- on das Verbot einer Reise nach Holland oder Belgien gleich zu bewerten dem Verbot der Reise eines Fans von Hertha BSC Berlin zum Auswärtsspiel seiner Mann- schaft beim FC Bayern München? Niemand käme auf die Idee, dass die Reisefreiheit von einem deutschen Bundesland zum anderen Bundesland einschränkbar wä- re. Ist es wirklich problemlos, innerhalb des Europas des Schengener Übereinkommens und Amsterdamer Vertra- ges etwas anderes vorzusehen? Und schließlich das gewichtigste Problem: Wie stellt man fest, wer ein Hooligan ist? Muss dazu eine rechts- kräftige Verurteilung wegen Gewalttätigkeiten vorlie- gen? Oder reicht die Aufnahme in eine Verdachtskartei aus, wenn es um die Einschränkung eines Grundrechtes geht? Zwischenfazit: Die F.D.P. unterstützt die Bemühun- gen der Bundesregierung, Gewalttätigkeiten von Hooli- gans zu verhindern. Ob dieser Zweck die vorgeschlage- nen Mittel rechtfertigt, ist für uns noch offen. Petra Pau (PDS): Wer den Jahresbericht über Fuß- ball-Rowdytum in den Mitgliedstaaten der EU kennt, wer die erschreckenden Bilder von Lens in Erinnerung hat, der wird mir zustimmen: Es gibt allen Anlass zum Nachdenken und Handeln. Im erwähnten Bericht steht, dass gerade deutsche Hooligans besonderes „feindselig und gewaltbereit“ sind – nicht nur gegenüber Sachen, sondern auch gegen- über Menschen. Allerdings stellt sich die Frage, ob dem ausgerechnet über das Pass- und Personalausweisrecht zu begegnen ist? Das ist keine abschließende, sondern eine zu beantwortende Frage. Uns interessiert außerdem, wie und mit welchen Er- gebnissen die Bundesregierung mit den Empfehlungen des Rates der EU zur Zurückdrängung des Fußball- Rowdytums umgegangen ist. Wir wollen wissen, welche präventive Fan-Arbeit mit welchen Erfahrungen geleis- tet wurde. Um nicht missverstanden zu werden: Wir schätzen das Problem keinesfalls gering. Aber wir werden stutzig, wenn als Erstes und Einziges nach mehr law and order gerufen wird. Jedenfalls waren das die einzigen Bot- schaften, die das Innenministerium bislang zum Thema zu sagen hatte. Das betrifft Gefährdungsansprache, Mel- deauflagen, Ausreiseverbote, Grenzkontrollen und de- monstrative Begleitung. Fritz-Rudolf Körper, Parl. Staatssekrtär beim Bun- desminister des Inneren: Die Gesetzesvorlage geht auf eine Initiative der IMK zurück. Ziel ist es, das gesetzli- che Instrument zur Bekämpfung des Fußballrowdytums – Hooligan-Szene – zu verbessern. Im Einzelnen sieht der Entwurf vor: die Einführung unmissverständlicher, klarer Regelungen über das Ei- gentum der Bundesrepublik Deutschland am Pass und Personalausweis, die Aufhebung der gesetzlich festge- legten Gebührenobergrenzen für die Ausstellung von Grenzübertrittspapieren, die Strafbewehrung der passbe- schränkenden Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 PassG und die Aufhebung gegenstandslos gewordener Regelungen und redaktionelle Änderungen. Nach geltendem Recht können heute schon durch die Passbehörde passbeschränkende Maßnahmen anlassbe- zogen, also zeitlich und räumlich befristet, ausgespro- chen werden. Dies gilt auch für Maßnahmen im Zu- sammenhang mit Sportveranstaltungen. Grundvoraus- setzung ist, dass eine erhebliche Gefährdung von Belan- gen der Bundesrepublik Deutschland vorliegt. Dies kann beim Auftreten gewaltbereiter deutscher Hooligans im 8422 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) Ausland der Fall sein. Darüber hinaus müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer damit zu rechnen ist, dass der Betroffene bei dem bevorstehenden Anlass erneut ge- walttätig wird. Unter diesen Voraussetzungen kann der Pass be- schränkt werden. Die Passbeschränkung ist in den Pass einzutragen. Wird der Pass nicht vorgelegt, so ist die Anordnung der Beschränkung gleichwohl wirksam. Durch den Gesetzentwurf zur Änderung des Pass- und Personalausweisrechts soll die Strafbarkeit der Aus- reise trotz bestehender passbeschränkende Maßnahmen neu eingeführt werden, bisher wird ein solcher Verstoß lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet. Der praktische Nutzen dieser auch von der IMK ge- forderten Änderung besteht darin, dass bei gewalttätigen Ausschreitungen aufgegriffene und abgeschobene Hoo- ligans, gegen die eine passbeschränkende Maßnahme verhängt worden ist, schon allein wegen der illegalen Ausreise bestraft werden können. Es bedarf keines bei Straftaten im Ausland sehr schwer zu führenden Nach- weises einer anderen Straftat mehr. Damit die Änderung des Passgesetzes vor der Fuß- ball-Europameisterschaft in Kraft treten kann, ist der Gesetzentwurf eingebracht worden. Allerdings sollte deutlich gemacht werden, dass diese Regelungen nur ein Mosaikstein in einer Gesamtkonzeption sind. Die Ände- rung des Passgesetzes ist ein Baustein des umfassenden Sicherheitskonzepts für die Fußball-Europameister- schaft. Gemeinsame Sicherheitsmaßnahmen sind für die Fußball-Europameisterschaft unerlässlich, um Gewalt- ausschreitungen von Hooligans zu verhindern. Die In- nenminister von Deutschland, Belgien und den Nieder- landen haben deshalb am 16. Februar 2000 in Berlin ein gemeinsames Sicherheitskonzept für die Fußball- Europameisterschaft – EURO 2000 – verabschiedet. Damit soll vermieden werden, dass die EURO 2000 durch Gewalttäter gestört wird. Im Wesentlichen wurden in einer gemeinsamen Er- klärung folgende Sicherheitsmaßnahmen vereinbart: die Entsendung deutscher Polizeibeamter, die Beobachtung der Fans bis zu Grenze durch die deutsche Polizei, die Begleitung der Fans in den Zügen durch den Bundes- grenzschutz und die Abstimmung der Informations- und Meldewege, um einen gezielten und sicheren Informati- onsaustausch sicherzustellen. Weiterhin waren sich die Minister einig, dass jede Möglichkeit genutzt werden sollte, um gewaltbereite Hooligans bereits an der Ausreise zu hindern. Ein Ele- ment ist in diesem Zusammenhang die von uns einge- brachte Änderung des Passgesetzes. Ein Probelauf war das gestrige Spiel. Ich lege die Hoffnung auf eine friedliche WM. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Mitgliederkreises von Bun- desknappschaft und See-Krankenkasse (Zusatz- tagesordnungspunkt 10) Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Die Gesundheitsreform 2000 ist am 1. Januar in Kraft getreten. Wir können feststellen: Das Gesundheitswesen existiert immer noch und ist nicht, si- cher sehr zum Bedauern der Opposition, im Chaos un- tergegangen. Auch können wir feststellen, dass die Pro- teststürme des vergangenen Jahres einer breiten Zu- stimmung gewichen sind. Selbst das Wirtschaftsmagazin „Capital“ lobt die Gesundheitsreform und verweist auf die Vielzahl von Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten. Was der interessierte Beobachter ebenfalls feststellen kann, ist, dass hier und da einige Details nicht geregelt werden konnten. Hierzu gehören nicht nur die Organisa- tionsreform der Kassenärztlichen Vereinigungen, die Datentransparenz und der Datenschutz. Wer genau hin- sieht, kann leicht feststellen, dass Sie von der Oppositi- on durch Ihr Taktieren im Gesundheitsausschuss des Bundestages die Bundesknappschaft in existenzielle Schwierigkeiten gebracht haben. Die von uns im letzten Jahr vorgeschlagene Lösung bremsten Sie aus und hier verweise ich mit Nachdruck auf die F.D.P.. Von den zurzeit 1,4 Millionen Versicherten in der knappschaftlichen Krankenversicherung sind circa 900 000 Rentner und 310 000 Angehörige. Demgegen- über stehen nur 220 000 aktive Mitglieder. Binnen Jah- resfrist verliert die Bundesknappschaft circa 60 000 ihrer Versicherten, wovon – aufgrund der bisherigen gesetzli- chen Regelung – im Jahre 1998 allein 18 000 Aktive waren. Tendenz stark steigend. Bis zum In-Kraft-Treten des Ihnen heute vorliegenden Gesetzes wird die Knapp- schaft also circa 10 000 weitere aktive Mitglieder verlo- ren haben und wird sich die Situation weiter zuspitzen. Die bisherige Gesetzesregelung, und die haben wir von Ihnen geerbt, weist der Knappschaft und der See- krankenkasse ihre Mitglieder zwingend zu. Ein Aus- scheiden aus einem Beschäftigungsverhältnis dieser Wirtschaftszweige erzwingt auch ein Ausscheiden aus der entsprechenden Krankenversicherung. Die knapp- schaftliche Rentenversicherung bzw. die Seekasse blei- ben jedoch für die Leistungsgewährung der Rentenan- sprüche zuständig. Dies ist nicht nur für die Versicherten verwirrend, es gefährdet auch die entsprechenden Kran- kenversicherungsträger. Die Koalition sah im Rahmen der Gesundheitsreform eine Interimslösung bis zum In-Kraft-Treten einer Orga- nisationsreform der Krankenkassen für die Bundes- knappschaft und die Seekrankenkasse vor. Da sich die Situation dieser Kassen, bedingt durch den strukturellen Wandel unserer Industriegesellschaft und den damit verbundenen Abbau von Arbeitsplätzen, vor allem im Bergbau, weiter zuspitzt, sind wir als Gesetzgeber ge- Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8423 (A) (B) (C) (D) fordert, den rechtlichen Sonderstatus der Versicherten im Bergbau und der Seefahrt zu ändern. Das vorliegende Gesetz stellt keinen Vorgriff auf die anstehende Organisationsreform, sondern eine Über- gangsregelung dar. Um dies zu verdeutlichen, begrenzen wir die Gültigkeit der vorgesehenen Regelungen bis zum In-Kraft-Treten dieser. Zu einer Ausweitung des Versi- chertenkreises für die Bundesknappschaft wie auch zu einer Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Kran- kenkassen wird es nicht kommen. Vielmehr wollen wir den langjährig Versicherten die Möglichkeit bieten, bei einem Wechsel aus dem Bergbau in einen anderen Wirt- schaftszweig bei der bisherigen Krankenkasse versichert bleiben zu können. Dies hat nicht nur zur Folge, dass wir den Versicherten unnötige, gesetzlich erzwungene Belastungen bei der Suche nach einer neuen Kranken- kasse ersparen, sondern trägt auch zur Stabilisierung der knappschaftlichen Krankenkasse und der Seekranken- kasse bei. Ein Zusammenbruch der Bundesknappschaft liegt nicht im Interesse der gesetzlichen Krankenversicherung und der Politik. Wir als Gesetzgeber besitzen die Kom- petenz, für Abhilfe zu sorgen, und nehmen diese mit diesem Gesetz war. Auch die F.D.P. sollte sich dem nicht verschließen. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für dieses Gesetz. Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Die Bundes- knappschaft ist ein leistungsfähiges Dienstleistungsun- ternehmen, das ihren Versicherten umfassende soziale Sicherheit aus einer Hand bietet. Traditionell gewach- sen, hat die Bundesknappschaft ein weit umfangreiche- res Leistungsangebot als andere Sozialversicherungsträ- ger. Die Bundesknappschaft ist zugleich Renten-, Kran- ken- und Pflegeversicherung. Der Rückgang der Beschäftigten im Bergbau hat zwangsläufig eine Reduzierung der Versichertenzahlen der knappschaftlichen Krankenversicherung zur Folge, ohne dass es eine Chance für eine Kompensation gibt. Der Bundesknappschaft als Krankenversicherungsträger des Bergbaus werden nämlich die Versicherten grund- sätzlich kraft Gesetzes zugewiesen. Danach sind dieje- nigen aktiv Beschäftigten Pflichtmitglieder, die in einem bergbaulichen Betrieb arbeiten. Verlieren die Arbeit- nehmer ihren Arbeitsplatz im Bergbau, können sie im Regelfall nicht Mitglied der knappschaftlichen Kran- kenversicherung bleiben. Sie sind gezwungen, Mitglied einer Krankenkasse zu werden, bei der sie nie zuvor ver- sichert waren. Zuwahlrechte zur knappschaftlichen Krankenversicherung bestehen lediglich für freiwillig Versicherte und versicherungspflichtige Rentner. Diese gesetzlichen Regelungen, zuletzt festgeschrie- ben im Gesundheitsstrukturgesetz, sollten den Bestand der knappschaftlichen Krankenversicherung sicherstel- len. Diese ursprüngliche „Schutzfunktion“ der Kassen- zuständigkeit kraft Gesetzes und die hiermit verbunde- nen Wahlbeschränkungen haben sich jedoch – als Folge der Beschäftigtenentwicklung im Bergbau – zwischen- zeitlich ins Gegenteil verkehrt. Durch strukturelle An- passungsmaßnahmen im Bergbau ist die Zahl der in die- sem Bereich Beschäftigten bereits seit längerer Zeit rückläufig. Das hat zu erheblichen Mitgliederverlusten der Bundesknappschaft geführt. Durch den Rückgang des Bergbaus hat die Bundesknappschaft seit 1991/1992 mehr als 400 000 Versicherte verloren, davon knapp 240 000 Aktive, verliert die Bundesknappschaft aktuell circa 50 000 Versicherte pro Jahr mit anhaltender Ten- denz und es erhöht sich im Jahr 2000 der Verlust zusätz- lich durch den überplanmäßigen bzw. vorgezogenen Stellenabbau im Steinkohlebergbau. Die dringend erforderliche Stabilisierung der Mit- gliederbasis kann jedoch von der Bundesknappschaft nicht aus eigener Kraft erreicht werden. Hierfür ist eine Änderung der jetzigen Gesetzeslage durch den vorgeleg- ten Gesetzentwurf erforderlich. Mit dem jetzt vorgese- henen „Bleiberecht“ der Versicherungspflichtigen und Versicherungsberechtigten ist keine Ausweitung der Zu- ständigkeit der Bundesknappschaft kraft Gesetzes ver- bunden – damit wird auch das Wahlrecht zu Gunsten al- ler anderen Krankenkassen nicht beeinträchtigt –, wird lediglich den knappschaftlich Pflichtversicherten – und auch nur dann, wenn für sie die Bundesknappschaft für die spätere Rentenfeststellung zuständig ist – die Mög- lichkeit eröffnet, in der Zeitspanne zwischen dem Aus- scheiden aus der bergbaulichen Beschäftigung bis zum Rentenbeginn ihren Versicherungsschutz durchgängig bei einer Krankenkasse, der Bundesknappschaft, sicher- zustellen und wird zudem eine Gleichstellung mit den Beschäftigten erreicht, die nach dem Ausscheiden aus der knappschaftlichen Beschäftigung im Rahmen der freiwilligen Versicherung weiterhin Mitglied der knappschaftlichen Krankenversicherung bleiben können. In Anbetracht des Vorhabens einer umfassenden Or- ganisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung wird die angestrebte Neuregelung zeitlich begrenzt. Sie stellt weder einen Vorgriff auf eine umfassende Organi- sationsreform dar, noch wird sie deren Umsetzung in ir- gendeiner Weise beschränken. Da sich die See- Krankenkasse in einer vergleichbaren Situation wie die Bundesknappschaft befindet, ist für sie im vorliegenden Gesetzentwurf eine gleichgerichtete Neuregelung vorge- sehen. Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Bundesknappschaft und See-Krankenkasse spüren als Krankenversicherungsträger die Folgen des Struktur- wandels viel stärker als andere Kassenarten. Viele Be- schäftigte im Bergbau und auf hoher See verlieren ihren Arbeitsplatz. Da der Bundesknappschaft als Kranken- versicherungsträger des Bergbaus ebenso wie der See- Krankenkasse die Versicherten kraft Gesetzes zugewie- sen werden, können sie bei Verlust des Arbeitsplatzes bzw. Aufnahme einer anderen Beschäftigung nicht Mit- glied der knappschaftlichen Krankenversicherung bzw. der See-Krankenkasse bleiben. Sie sind praktisch ge- zwungen, Mitglied einer Krankenkasse zu werden, bei der sie nie zuvor versichert waren. Ein Wahlrecht zur knappschaftlichen Krankenversicherung und zur See- Krankenkasse besteht nur in begrenztem Umfang. Bedingt durch strukturelle Anpassungsmaßnahmen im Bergbau und in der Seeschifffahrt ist die Zahl der 8424 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) Beschäftigten in diesen Sektoren stark rückläufig mit der Konsequenz, dass Bundesknappschaft und See-Kran- kenkasse unter einem erheblichen Mitgliederverlust lei- den. Allein im Zeitraum von Dezember 1995 bis Mitte 1999 ist die Zahl der versicherungspflichtigen Mitglie- der der Bundesknappschaft um 27 Prozent zurückge- gangen. Die See-Krankenkasse hat im gleichen Zeitraum über 10 Prozent ihrer versicherungspflichtigen Mitglie- der verloren. Bei diesem Mitgliederschwund ist die Entwicklung in der Krankenversicherung der Rentner noch nicht berücksichtigt worden. Rund 80 Prozent der Versicherten der Bundesknapp- schaft sind Rentner. Lediglich 20 Prozent der Mitglieder gelten als „junger“ Arbeitnehmer. Das Durchschnittsal- ter in der Krankenversicherung der Rentner liegt bei über 73 Jahren. Die hiermit verbundene hohe Sterblich- keitsrate von jährlich circa 40 000 Mitgliedern be- schleunigt die Erosion der knappschaftlichen Kranken- versicherung. Auch in Zukunft lassen die Rahmenbedingungen kei- ne positive Änderung der Situation erkennen, sodass die Existenz der beiden Versicherungsträger massiv bedroht ist. Es liegt auf der Hand, dass damit auch bei den be- troffenen Versicherten erhebliche Rechtsunsicherheit herrscht. Die Union tritt im Interesse der Versicherten für die Anliegen von Bundesknappschaft und See-Kranken- kasse ein. Den Versicherungspflichtigen und den Versi- cherungsberechtigten, die in der Vergangenheit aus der Bundesknappschaft oder See-Krankenkasse ausgeschie- den sind bzw. bis zum In-Kraft-Treten eines umfassen- den Organisationsrechts der Krankenkassen noch aus- scheiden, soll die Möglichkeit eröffnet werden, bei ihrer bisherigen Krankenkasse zu bleiben bzw. zu ihrer frühe- ren Krankenkasse zurückzukehren. Voraussetzung ist, dass die Bundesknappschaft bzw. die See-Krankenkasse für die Leistungsgewährung zuständig ist. Diese Wahlmöglichkeit löst die Probleme dieser bei- den Kassenarten nicht vollständig, aber sie honoriert die Anstrengungen, die unternommen worden sind, um die- se beiden Kassenarten zu erhalten. So hat die Bundes- knappschaft im Jahre 1998 einen Anstieg der Leistungs- ausgaben verhindert, während die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt um 2 Prozent gestiegen sind. In einigen Bereichen konnte die knappschaftliche Krankenversicherung sogar die größten Einsparungen im gesamten System der gesetzli- chen Krankenversicherung erzielen, etwa bei den Hilfs- mitteln und der häuslichen Krankenpflege. Darauf auf- bauend hat sie den allgemeinen Beitragssatz in der Krankenversicherung zum 1. Januar 1999 von 14,5 auf 13,8 Prozent gesenkt. Zum 1. Januar 2000 erfolgte eine weitere Senkung des allgemeinen Beitragssatzes auf 13,5 Prozent. Auch mit Blick auf die landwirtschaftlichen Kran- kenkassen, die ebenfalls über einen gesetzlich zugewie- senen Mitgliederkreis verfügen, ist der vorliegende Ge- setzentwurf vertretbar. Im Unterschied zu den landwirt- schaftlichen Krankenkassen erhalten die See-Kranken- kasse und die Bundesknappschaft keinen Bundeszu- schuss zur gesetzlichen Krankenversicherung. Allerdings ist klar, dass die jetzt gefundene Regelung nur eine Übergangslösung darstellt. Der Mitgliederkreis von Bundesknappschaft und See-Krankenkasse soll nicht dauerhaft in dieser Art und Weise abgegrenzt blei- ben. Das besondere Wahlrecht gilt nur solange, bis eine umfassendere Reform des Organisationsrechts der Kran- kenkassen in Kraft tritt. Ziel dieser Reform muss es sein, vorhandene Fehlentwicklungen zu beseitigen und den Wettbewerb der Krankenkassen in ein ökonomisch sinn- volles Umfeld einzubetten. Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Der vorliegende Ge- setzentwurf der rotgrünen Koalition zur Stabilisierung des Mitgliedskreises von Bundesknappschaft und See- Krankenkasse ist ohne Zweifel zu früh eingebracht wor- den. Die Bundesregierung versucht in dieser Weise mit einzeln eingebrachten Gesetzentwürfen die Teilbereiche zu regeln, die in eine Gesamtkonzeption gehören. Zum Glück ist die rotgrüne Koalition mit dem Errich- tungs- und Öffnungsverbot der Betriebskrankenkassen wegen des erheblichen Widerstandes auch vonseiten der F.D.P. gescheitert. Nun versucht sie es mit einem ei- genen Gesetzentwurf für den Teilbereich der Bundes- knappschaft und der See-Krankenkasse und wird ver- mutlich wiederum feststellen müssen, dass Insellösun- gen in einem so sensiblen Bereich wie der Organisati- onsstruktur der Krankenkassen unter den Kassen Wider- stände hervorrufen wird. Ich teile die Auffassung, dass es nicht sinnvoll ist, isoliert für zwei Sondersysteme Ausnahmeregelungen zu treffen. Vielmehr sollten die bestehenden Probleme der Bundesknappschaft und der See-Krankenkasse zusammen in einer umfassenden Re- form des Organisationsrechts der Krankenkassen insge- samt gelöst werden. Bei Vorwegnahme einer solchen Regelung besteht die Gefahr, dass von dieser eine präju- dizierende Wirkung auf die später durchzuführende Or- ganisationsreform ausgeht und damit jetzt unter dem harmlosen Deckmantel einer Kleinstlösung unumstößli- che Fakten geschaffen werden. Im Gesundheitsaus- schuss muss nun genauestens geprüft werden, welche Konsequenzen diese neue Regelung im Einzelnen hat. Meine Damen und Herren, was mich an diesem Ge- setzentwurf weiter stört, ist die Tatsache, dass nun zum zweiten Mal versucht werden soll, diese in den Konse- quenzen noch gar nicht absehbaren Änderungen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durchzusetzen. Denn schon in der Gesundheitsreform 2000 sollten diese Änderungen – man höre und staune – ohne Anhörung der Betroffenen „mal so eben“ mit beschlossen werden. Wo ist denn hier das von Rotgrün in diesen Tagen so viel beschworene Demokratieverständnis? Oder hofft man, dass die ande- ren Kassenarten auf diese Art und Weise nicht so richtig mitbekommen, was hier läuft und gleichzeitig eine Klientel bedient werden kann, da im Bergbauland Nord- rhein-Westfalen und im Küstenland Schleswig-Holstein Landtagswahlen anstehen? Das würde die Eile ganz gut erklären. Man will dem Norden dieses Bonbon noch vor dem nächsten Wahlsonntag überreichen. Das aber ist eindeutig zu kurz gedacht. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8425 (A) (C) So, Frau Ministerin, kann man keine Politik betrei- ben. Aber damit befinden Sie sich mit dem Herrn Au- ßenminister ja in guter Gesellschaft, der zu dritten Mal einen Afrikabesuch abgesagt hat, um im schleswig- holsteinischen Wahlkampf joggen zu gehen. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Mit dem vorliegenden Ent- wurf eines Gesetzes zur Stabilisierung der Mitglied- schaft von Bundesknappschaft und See-Krankenkasse soll bis zum In-Kraft-Treten einer Organisationsreform der Gesetzlichen Krankenversicherung die Zahl der Mitglieder in diesen beiden Kassen möglichst erhalten werden. Bundesknappschaft und See-Krankenkasse sind be- kanntlich berufsständische Krankenversicherungsträger, denen die Mitglieder in der Regel aufgrund gesetzlicher Bestimmungen zugewiesen werden. Die Mitgliedschaft erlischt, wenn die Beschäftigten aus dem entsprechen- den Bereich ausscheiden. Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und des Beschäftigungsrückganges in diesen Branchen ist es in den letzten Jahren in beiden Kassenarten zu beträchtli- chen Mitgliederverlusten gekommen. Damit bewirkt die Mitgliederzuweisung, welche die Knappschaft und die See-Kasse gerade in ihrem Bestand erhalten sollte, in- zwischen das Gegenteil. Es ist zu befürchten, dass sich diese Tendenz fortsetzen wird. Jetzt sollen diejenigen Kassenmitglieder, die in den letzten Jahren in eine Beschäftigung außerhalb des Knappschaftsbereiches und außerhalb der Seeschifffahrt gewechselt sind oder in der kommenden Zeit noch wechseln werden, ein zeitlich befristetes Wahlrecht für die Rückkehr bzw. für den Verbleib in Bundesknapp- schaft und See-Kasse erhalten. Voraussetzung dafür soll sein, dass die knappschaftliche Rentenversicherung bzw. die See-Kasse für die Leistungsgewährung zuständig ist. Die Koalition erhofft sich von dieser Regelung, eine kurzzeitige Stabilisierung des Mitgliederbestandes von Bundesknappschaft und See-Krankenkasse. Letztlich ist die entstandene Situation die Folge eines Kassenwettbewerbes, bei dem es sich trotz Risikostruk- turausgleich für eine einzelne Kasse lohnt, Risikoselek- tion zu betreiben und eine möglichst „günstige“ Versi- chertenstruktur anzustreben. Unter solchen Bedingungen ist es natürlich kontraproduktiv, wenn für Kassen, die in Branchen mit rückläufiger Beschäftigung tätig sind, eine berufsständische Mitgliederzuordnung gilt. Insofern kann das Gesetz bestenfalls dazu beitragen, die ange- sprochenen Kassenarten kurzfristig vor dem Aus zu be- wahren. Eine Lösung der grundlegenden Probleme, die mit den gegenwärtigen Formen eines ökonomischen Wettbewerbs der Krankenkassen verbunden sind, wird auf solche Weise nicht erreicht. Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409000000
Die Sitzung ist er-
öffnet.

Zunächst teile ich mit, dass der Kollege Ernst
Schwanhold am 21. Februar auf seine Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag verzichtet hat. Seine Nachfolge-
rin, die Abgeordnete Dr. Carola Reimann, hat am
22. Februar die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag
erworben. Ich begrüße die neue Kollegin herzlich.


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ih-
nen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:

Energiekonsensgespräche und Energiedialog vor dem
Aus? (siehe 89. Sitzung)


2 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Umwelt und Gesundheit – Drucksache
14/2767 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-

schätzung
3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 21)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-

ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Zi-

(Erstes Zivildienstvertrauensmann-Änderungsgesetz – 1. ZDV/ÄndG –)

– Drucksache 14/2698 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Jünger,

Rosel Neuhäuser, Christina Schenk, Dr. Gregor Gysi und
der Fraktion der PDS: Ächtung der Gewalt in der
Erziehung wirkungsvoll flankieren – Drucksache
14/2720 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss
4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 22)


a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Rennwett- und Lotteriegesetzes – Drucksache
14/2271 – (Erste Beratung 79. Sitzung)


aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss) – Drucksache 14/2762 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer
Elke Wülfing
Heidemarie Ehlert
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)


gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache
14/2798 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409000100
Sammelübersicht 131 zu Peti-
tionen – Drucksache 14/2790 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409000200
Sammelübersicht 132 zu Peti-
tionen – Drucksache 14/2791 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409000300
Sammelübersicht 133 zu Peti-
tionen – Drucksache 14/2792 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409000400
Sammelübersicht 134 zu Peti-
tionen – Drucksache 14/2793 –

5 Vereinbarte Debatte zur Drogenpolitik
6 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Ar-

tikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Dritten Gesetz zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes

(Drittes BtMG-Änderungsgesetz – 3. BtMG-ÄndG)

Drucksachen 14/1515, 14/2345, 14/665, 14/2796 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Patent-
vergabe des Europäischen Patentamtes auf Genmanipula-
tion an menschlichem Erbgut

8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Weisheit,
Annette Faße, Iris Follak, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,






(A)



(B)



(C)



(D)


Steffi Lemke, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wettbewerbspositi-
on für die deutsche Landwirtschaft verbessern und nach-
haltige Entwicklung der Landwirtschaft und der ländli-
chen Räume sichern – Drucksache 14/2766 –

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kersten Naumann

und der Fraktion der PDS: Betriebliche Obergrenze von
3 000 DM Gasölbeihilfe zurücknehmen – Drucksache
14/2795 –

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
10 Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Stabilisierung des Mitgliederkreises von Bun-
desknappschaft und See-Krankenkasse – Drucksache
14/2764 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
11 Erste Beratung des von den Abgeordneten Eva Bulling-

Schröter, Rolf Kutzmutz, Ursula Lötzer, weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Sicherung und zum Ausbau der gekoppelten
Strom- und Wärmeerzeugung (KWK-Gesetz) – Drucksa-
che 14/2693 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
12 Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-
Kopplung (KWK-Vorschaltgesetz) – Drucksache 14/2765 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Zugleich sollen folgende Punkte von der Tagesord-
nung abgesetzt werden: 10 b – es handelt sich um die so
genannte Altfallregelung im Ausländerrecht –, 15 – Do-
ping im Spitzensport – und 22 a – zweite und dritte Be-
ratung des Flurbereinigungsgesetzes.

Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschuss-
überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste auf-
merksam:
Der in der 87. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung über die

Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für
Spätaussiedler – Drucksache 14/2675 –

überwiesen:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Der in der 87. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Innenausschuss zur Mitberatung überwiesen
werden.
Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Ulrike

Mehl, Anke Hartnagel, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-
ten Gila Altmann, Albert Schmidt (Hitzhofen),
Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Si-
cherung der deutschen Nord- und Ostseeküste
vor Schiffsunfällen – Drucksache 14/2684 –

überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Der in der 88. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Fraktion SPD und BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN zur Senkung der Steu-
ersätze und zur Reform der Unternehmensbe-
steuerung (Steuersenkungsgesetz – StSenkG)

– Drucksache 14/2683 –

überwiesen:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatzpunkt 2
auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-

gierung
Sondergutachten des Rates von Sachverstän-

digen für Umweltfragen
Umwelt und Gesundheit
Risiken richtig einschätzen
– Drucksache 14/2300 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-

schätzung
Ausschuss für Tourismus
Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umwelt und Gesundheit
– Drucksache 14/2767 –

Präsident Wolfgang Thierse






(A)



(B)



(C)



(D)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-

schätzung
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion

der CDU/CSU vor. Nach einer interfraktionellen Ver-
einbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden
vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.

Das Wort hat Frau Bundesministerin Andrea Fischer.


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409000500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh,
dass das Thema Umwelt und Gesundheit endlich mehr
Aufmerksamkeit als bislang erhält, und zwar auch im
parlamentarischen Rahmen. Da dies ein Querschnitts-
thema ist und mehrere Ressorts betrifft, besteht manch-
mal die Gefahr, dass es durch die Raster fällt und zu ei-
nem Stiefkind wird. Das war in der Vergangenheit man-
ches Mal der Fall, aber man kann schon sagen, dass wir
seit dem Regierungswechsel eine deutliche Kehrtwende
eingeleitet haben. Wir haben eine sehr enge Zusammen-
arbeit zwischen Umwelt- und Gesundheitsministerium
und auch mit anderen Ressorts wie dem Landwirt-
schafts- und dem Forschungsressort begonnen. Mit die-
sem systematischen Ansatz und dieser gezielten Zu-
sammenarbeit mit dem Ziel, dass wir in diesem Bereich
vorankommen, machen wir genau das, was hier am
wichtigsten und am notwendigsten ist.

Noch etwas haben wir deutlich verändert. Wir sagen:
Für uns spielt die Frage der Vorsorge eine ganz ent-
scheidende Rolle. Im Zweifelsfall entscheiden wir uns
immer für den vorsorgenden Gesundheits- und
Verbraucherschutz.

Wir führen seit Jahren darüber eine Diskussion, die
allerdings – Stichworte: systematisch, unsystematisch –
häufig anhand von Beispielen geführt wird und die
manchmal auch mit Aufregung versehen ist. Das veran-
lasst diejenigen, die das für übertrieben halten, zu der
zynischen Rede, hier werde jede Woche ein neuer
Schadstoff verhandelt. Wenn man aber hinter diese me-
diale Aufbereitung schaut, die in Konjunkturen und
Zyklen vor sich geht, dann stellt man fest, dass es ers-
tens falsch wäre, die Gefahren zu verharmlosen, nur
weil einem die Art, wie dies in den Medien behandelt
wird, nicht gefällt, und dass wir zweitens noch sehr viel
mehr darüber wissen müssen. Dies würde im Zweifels-
fall die Debatte versachlichen und die Aufklärung er-
leichtern, wenn es Besorgnisse gibt.

Es gibt einige grundsätzliche Zusammenhänge. Sie
sind bekannt und sie sind auch unstrittig, so zum Bei-
spiel die Tatsache, dass Schadstoffe in der Luft grund-
sätzlich die Entstehung von Allergien begünstigen kön-
nen und dass dieses Risiko für Kinder besonders hoch
ist.

Die Fragen, in welcher Konzentration diese Stoffe
wie wirken, wie die Ursache-Wirkungs-Beziehung ge-

nau aussieht und welche Rolle andere Faktoren dabei
spielen, sind im Zweifelsfall häufig strittig, auch in der
Bewertung unter den Fachleuten. Das hat in den vergan-
genen Jahren dazu geführt, dass in unterschiedlichen
Gremien das Risiko unterschiedlich bewertet wird. Dann
stehen die Verbraucher, im Zweifelsfall aber auch die
zuständigen Behörden, die Maßnahmen ergreifen sollen,
vor einer Vielzahl von unterschiedlichen Stellungnah-
men. Damit wird das Handeln nicht einfacher. Deswe-
gen ist es so wichtig, dass wir mit dem Sondergutachten
„Umwelt und Gesundheit“ und mit dem Bericht des
TAB-Projektes „Umwelt und Gesundheit“ aktuelle Do-
kumente erhalten haben, die sich mit einer Vielzahl von
Umweltrisikien beschäftigen. Wir haben dann in dem
Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“ kon-
krete Handlungsschritte vereinbart, die darüber hinaus
den ganzen Komplex betreffen.

Ich will noch einmal verdeutlichen, was in dem Akti-
onsprogramm steht, um weitere Klarheit über die Ursa-
che-Wirkungs-Zusammenhänge zu gewinnen. Wir ha-
ben nicht vor, Datenfriedhöfe anzulegen, mit denen
niemand etwas anfangen kann. Gerade weil die Ursache-
Wirkungs-Beziehung so umstritten ist, ist es wichtig,
dass wir darüber mehr erfahren, weil wir nur dann han-
deln können und nur dann auch angemessene Maßnah-
men ergriffen werden können. Wenn Sie sich mit denje-
nigen unterhalten, die an Krankheiten leiden, die durch
Umwelteinflüsse hervorgerufen worden sind, dann er-
fahren Sie, dass sie nicht nur wegen ihrer Krankheit ei-
nen langen Leidensweg hinter sich haben, sondern auch
deshalb, weil niemand herausfinden kann, was sie genau
haben und was die Ursachen sind. Sie erfahren dann,
dass man sie für aufgeregt hält und dass sie sich angeb-
lich etwas einbilden würden. Das ist häufig ein zusätzli-
ches Leiden. Aus Unkenntnis über diese Zusammenhän-
ge wird es den Menschen schwer gemacht, die richtige
Diagnose und die richtige Behandlung zu bekommen.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir in diesem Bereich
weiterkommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Rahmen des Aktionsprogramms haben wir eine
Neuordnung des Verfahrens zur Risikobewertung und
Setzung von Standards bei Umwelteinflüssen eingelei-
tet. Wir werden in Kürze eine Ad-hoc-Kommission aus
hochrangigen Experten einsetzen, die bestehende Ver-
fahren und Strukturen der Risikobewertung und
-einschätzung einer kritischen Analyse unterziehen. Da-
bei geht es – das habe ich gerade schon gesagt – insbe-
sondere um die Frage: Gelten Werte, die wir für uns Er-
wachsene gesetzt haben, auch für Kinder? Müssen die
Werte nicht extra untersucht werden? Der erwachsene
Mensch ist nicht immer die Norm.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen sehr viel mehr die Vernetzung der ver-
schiedenen Institutionen, die sich damit beschäftigen,
mit Diskussionsforen und dadurch voranbringen, dass
wir alle unterstützen, die in diesem Bereich forschen und
arbeiten. Wir haben eine Keimzelle für ein elektroni-

Präsident Wolfgang Thierse






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sches Netz mit der Dokumentations- und Informations-
stelle für Umweltfragen in Osnabrück. Wir haben aber
auch einen Bereich für Umweltmedizin am Robert-
Koch-Institut etabliert und wollen ihn weiter aufbauen.
Dort ist bereits eine zentrale Erfassungs- und Bewer-
tungsstelle für umweltmedizinische Methoden einge-
richtet worden. Wir haben zusätzlich eine Kommission
eingerichtet, die einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssi-
cherung in der Umweltmedizin leisten soll. Hier geht es
um unseren Beitrag dazu, der Verunsicherung von Ärz-
ten und Patienten entgegenzuwirken und Erkenntnisse,
die durch die Umweltmediziner gewonnen wurden, zu-
sammenzuführen und anderen zugänglich zu machen.

Wir werden über solche Querschnittsmaßnahmen
hinaus, die unseren Informationsstand verbessern sollen
und allen Seiten mehr Handlungsmöglichkeiten eröffnen
sollen, mit medien- und stoffbezogenen Qualitätszie-
len arbeiten, die wir im Interesse des gesundheitlichen
Verbraucherschutzes für besonders notwendig halten.
Ein Beispiel dafür ist, dass wir in Folge der Novellie-
rung der EU-Trinkwasserrichtlinie ein Programm zum
Austausch der Bleileitungen einleiten wollen, die es zur
Trinkwasserversorgung immer noch gibt. Wir wissen in-
zwischen – da besteht kein Zweifel mehr –, dass Blei
insbesondere für Kinder außerordentlich schädlich ist
und es deshalb weiterhin sehr wichtig ist, etwas zu un-
ternehmen.

Ein weiterer Punkt, bei dem wir meines Erachtens
noch wesentlich aktiver werden müssen, ist die Frage
der Ernährung. Auch hier müssen wir von einer Ver-
waltung von Schadensfällen durch Schadstoffe weg-
kommen. Wir dürfen uns nicht nur damit beschäftigen,
auf einen Schadensfall möglichst schnell zu reagieren
und einen Schadstoff gegebenenfalls aus dem Verkehr
zu ziehen, sondern müssen uns darüber hinaus wesent-
lich mehr der Frage stellen, wie es überhaupt dazu
kommt, dass solche Schadensfälle immer wieder auftre-
ten. Wir müssen uns damit auseinander setzen, dass wir
es zum Teil mit Kriminalität, zum Teil aber auch mit
Folgen von bestimmten Anbauweisen zu tun haben.

Wir sind der Auffassung, dass es dringend geboten
ist, die Lebensmittelqualität und -sicherheit zu verbes-
sern. Da gibt es von der Ebene der EU, wo das Thema
im Moment sehr weit oben auf der Agenda steht, über
die Ebene der Bundesregierung bis hin zur Ebene der
kommunalen Behörden noch einiges zu tun. Dabei wer-
den wir uns vor allen Dingen die Frage stellen müssen,
wie und zu welchen Bedingungen in unserem Land Le-
bensmittel produziert werden.

Das Thema Umwelt und Gesundheit berührt sehr vie-
le Menschen in ihrem Alltag. Ich habe es vorhin schon
einmal gesagt: Es berührt vor allen Dingen Menschen,
die sich in der Politik am wenigsten äußern können,
nämlich Kinder, die von den Schadstoffen in unserer
Umwelt besonders stark betroffen sind und besonders
darunter leiden. Aus diesem Grund werden wir in die-
sem Bereich einen Schwerpunkt bei der Umweltmedi-
zin für Kinder setzen. Ich habe vorhin das Beispiel Blei
genannt, aber wir werden dieses Thema auch im Zu-
sammenhang mit Abgasen und anderen Punkten zu dis-
kutieren haben, bei denen deutlich wird, dass Kinder be-

sonders stark unter der Lebensweise zu leiden haben, die
die Erwachsenen sich angewöhnt haben.

Wir befinden uns in einem Bereich, in dem wir nicht
nur über Daten reden dürfen und darüber, wie man diese
Daten verändert, sondern in dem wir auch darüber reden
müssen, wie wir leben und was wir mit unserer Lebens-
weise anrichten. Ich glaube, dass es im Interesse der
Kinder geboten ist, dass wir diesem Bereich mehr Auf-
merksamkeit schenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Ich nehme bei der Lektüre des Antrags der
CDU/CSU-Fraktion in diesem Zusammenhang erfreut
zur Kenntnis, dass das Problembewusstsein der Oppo-
sition in diesem Bereich offensichtlich erheblich ge-
schärft worden ist.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das war schon weit vor Ihnen der Fall!)


Vor diesem Hintergrund bin ich sehr zuversichtlich, dass
wir mit dem Parlament bei der Lösung der vielen Prob-
leme, die ich jetzt in der Kürze der Zeit nur anreißen
konnte, gut zusammenarbeiten können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409000600
Ich erteile das Wort
der Kollegin Vera Lengsfeld, CDU/CSU-Fraktion.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1409000700
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Medien konsumierende
Bürger von heute weiß, dass wir Deutschen ein gesund-
heitlich bedrohtes Volk sind, das überdies in einem öko-
logischen Notstandsgebiet lebt. Die Gefahr lauert über-
all, so schreiben Michael Miersch und Dirk Maxeiner: in
der Luft und in der Zahnfüllung, in der Sonne und im
Babybrei. Allergien und Krebs, Pseudokrupp und Asth-
ma: Die Deutschen werden immer kränker, Kinder unter
fünf Jahren dürfte es eigentlich gar nicht mehr geben.
Ob bei Sonnenbrand oder Leberzirrhose, die Diagnose
steht von vornherein fest: Die steigende Umweltver-
schmutzung ist schuld. Aber, so fragen die beiden Um-
weltjournalisten weiter, wie hat es inmitten der Umwelt-
und Gesundheitskatastrophen geschehen können, dass
sich unsere Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren
fast verdoppelt hat?

Wahr ist, dass die Menschen umso gesünder sind, je
wohlhabender das Land ist, in dem sie leben. Wenn es
den Anschein hat, es gäbe heute mehr Kranke als früher,
so liegt das an einem Paradox: Je ausgereifter die medi-
zinische Versorgung wird, desto mehr Behandlungsbe-
dürftige gibt es.

Miersch und Maxeiner, um ein letztes Mal aus dem
„Lexikon der Öko-Irrtümer“ zu zitieren, weisen auf
das Beispiel der Zuckerkranken hin. Heute leben in
Deutschland zehn Mal mehr Zuckerkranke als vor 100

Bundesministerin Andrea Fischer






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Jahren, aber nicht, weil die moderne Medizin versagt
hätte oder weil sich die Umwelt verschlechtert hätte,
sondern weil vor 70 Jahren das Insulin erfunden wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ohne Insulin würden die Betroffenen früh sterben und
es gäbe weniger Zuckerkranke.


(Zuruf von der SPD: Das ist eine Logik!)

Wer heute an Diabetes leidet, ist von Insulin abhängig,
führt ein fast normales Leben, bleibt aber Patient bis an
sein Lebensende.

Hoch entwickelte Industrieländer haben sehr viele be-
sonders lebensgefährliche Krankheiten beseitigt. Sie
produzieren aber zweifellos auch neue: Allergien,
Atemwegserkrankungen, psychosomatische Erkrankun-
gen, Hyperaktivität usw. Trotzdem bedeutet eine Schä-
digung der Umwelt nicht immer direkt oder indirekt ei-
ne Schädigung der menschlichen Gesundheit. Nicht
jede Umgestaltung der Umwelt ist eine Schädigung,
auch wenn uns das die Grünen immer gerne weismachen
wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Diese Grünen! Ihr Grünen seid das schuld!)


Auch ist nicht jede Belästigung des Menschen eine
Schädigung und nicht jede Schädigung ist belästigend.
Lärm führt zu Anspannung und Stress und vielleicht zu
Bluthochdruck, wirkt aber in einem Pariser Straßencafé
sehr anregend. Milben, Pollen und Katzenhaare sind
sehr natürlich und trotzdem können sie die Gesundheit
beeinträchtigen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Wahrheit hier heute!)


Die Zusammenhänge sind nicht eindimensional und
immer auch von unserer Empfänglichkeit und unseren
Gewohnheiten abhängig. Angesichts dessen, dass sich
die Grünen soeben so gefreut haben, gestatte ich mir
folgenden Hinweis – ich habe ja gerade über das Pro-
blem Lärm gesprochen –: Das Aus für den Transrapid
war auch für die Bemühungen um die Eindämmung des
modernen Lärmpegels ein Rückschlag.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn diese Technik hätte es gestattet, die Züge in die
Innenstädte zu führen, ohne zusätzliche teure umwelt-
und ressourcenfressende Lärmschutzmaßnahmen durch-
zuführen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist es!)


Weil wir gerade dabei sind: Das ist keineswegs die
einzige Entscheidung der rot-grünen Regierung, die
umwelt- und gesundheitspolitisch zweifelhaft ist. Erst
letzte Woche überraschte uns die Regierung mit einer

weiteren zukunftsbehindernden Entscheidung: Ab sofort
ist der Anbau von gentechnisch verändertem Mais der
Firma Novartin untersagt,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Novartis! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Novartis ist das! Nur so viel zu Ihrer gesundheitspolitischen Kompetenz!)


obwohl er nach wie vor in Lebensmitteln zugelassen ist,
und das, obwohl das dem Bundesgesundheitsministeri-
um unterstellte Robert-Koch-Institut vor drei Jahren im
Einklang mit EU-weiten Testverfahren eine Gefährdung
von Mensch, Tier und Umwelt beim Anbau von Bt-
Mais ausgeschlossen hat.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist es!)


Grundlage für die Anweisung der Bundesregierung
waren angebliche „neue Erkenntnisse“ in einer vor kur-
zem fertig gestellten Studie des Freiburger Öko-Insti-
tutes, die nach Aussagen von Mitarbeitern dieses Institu-
tes aber keine Ergebnisse neu durchgeführter wissen-
schaftlicher Experimente enthält, sondern eine – immer-
hin – mit Experteninterviews angereicherte Literaturstu-
die ist. So stehen wieder einmal die ideologischen grü-
nen Glaubenspostulate gegen die wissenschaftliche For-
schung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Fortschritte in der Gentechnik werden verteufelt und be-
hindert, weil sie im Gegensatz zum reinen Ökoleben
stehen sollen.

Daher wird die Verhinderung der Lösung von drin-
genden Problemen bei Umwelt und Gesundheit in Kauf
genommen. Gentechnisch verändertes Getreide wird
immer wieder in Gegensatz zum Ökolandbau gebracht.
Dabei könnte es gerade dem Ökolandbau helfen. Gen-
technisch verändertes Getreide führt zu einer drastischen
Reduzierung der Düngemittel- und Pestizideinsätze –
mit allen segensreichen Folgen für Umwelt und Ge-
sundheit.

Mit der Züchtung zum Beispiel mehrjährigen Reises,
die ja bereits gelungen ist und der bald die Züchtung
mehrjährigen Getreides folgen könnte, wäre das Pro-
blem der Bodenerosion praktisch gelöst, weil der Boden
nicht mehr jedes Jahr bearbeitet werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Afrika wartet auf die Züchtung salzresistenter Nah-
rungspflanzen, die seine Probleme lösen könnte.

Also gerade aus umwelt- und gesundheitspolitischer
Sicht ist der rot-grüne Bann über die Gentechnik antiso-
zial und antiökologisch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird deshalb in ihrer
Auseinandersetzung mit dem ökologischen Hinter-
wäldlertum der gegenwärtigen Regierung nicht nach-
lassen.

Vera Lengsfeld






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(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es wird Frau Ministerin Fischer nicht helfen, dass sie
in ihrem Ministerium die erwähnte Freiburger Studie vor
den Augen der kritischen Öffentlichkeit versteckt hält.
Frau Ministerin Fischer, ich fordere Sie auf, diese Frei-
burger Studie allen Interessierten zugänglich zu machen
und sich den daraus resultierenden kritischen Fragen der
Öffentlichkeit zu stellen. Das letzte Wort zum Anbau
von Bt-Mais ist noch nicht gesprochen.

Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden
Entschließungsantrag beweist die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion erneut, dass die ökologische Kompetenz
längst an sie übergegangen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Bravo! – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich rede hier nur von Fakten. Darüber können Sie sich
zwar freuen – da bin auch ich erfreut –, aber Sie sollten
sie zumindest zur Kenntnis nehmen.


(Zuruf von der SPD: Helau! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ja so was von lächerlich!)


In Deutschland ist in den vergangenen Jahren viel er-
reicht worden. Das ökologische Schutzniveau ist au-
ßerordentlich hoch. Massive Umweltbelastungen durch
Spitzenkonzentrationen von Schadstoffen oder extreme
Lärmpegel sind nahezu völlig beseitigt worden. Die Be-
lastung mit vielen Schadstoffen – ich nenne Kohlenmon-
oxid, Schwefeldioxid, Benzol, Schwermetalle oder auch
persistente organische Verbindungen – ist stark reduziert
worden.

Trotz des erreichten hohen Schutzniveaus in Deutsch-
land können Umweltfaktoren zur Entstehung oder Ver-
stärkung von Erkrankungen beitragen. Die CDU/CSU
will deshalb die Grundlagen für den Umgang mit Risi-
ken verbessern. Es geht uns um die Identifizierung und
Bekämpfung derjenigen Umwelteinflüsse, die zu ge-
sundheitlicher Beeinträchtigung führen oder führen kön-
nen. Wir wollen keinen Aktionismus, aber die Ursachen
müssen zielstrebig und wissenschaftlich erforscht, die
Faktoren müssen in ihren Wechselwirkungen klargestellt
werden.

Besonders am Herzen liegt uns der Schutz von älteren
Menschen und von Kindern. Kinder sind stärker gefähr-
det als Erwachsene. Ihr Immunsystem ist schwächer.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bun-
desregierung auf, folgende Maßnahmen umzusetzen:
Zuerst sollte ein Risikokatalog erarbeitet werden. Es
sollte dabei vor allem um die Überprüfung und Anpas-
sung von Grenzwerten, die Entwicklung einheitlicher
Bewertungslinien und die Erstellung eines Konzepts für
eine ganzheitliche Betrachtung aller umweltbedingten
Gesundheitsrisiken gehen.

Zu ergreifen sind zweitens konkrete Maßnahmen, so
zum Schutz vor Lärm. Wir denken unter anderem an

eine Absenkung von Geräuschgrenzwerten für Fahrzeu-
ge um drei bis fünf Dezibel, an die Fortführung der
Lärmsanierung an bestehenden Bundesfernstraßen, an
ein Lärmsanierungskonzept für vorhandene Schienen-
wege und dessen schrittweise Umsetzung, an die Fertig-
stellung der Fluglärmnovelle, an die Förderung techni-
scher Maßnahmen an Fahrzeugen und Verkehrswegen.

Drittens geht es um einen verbesserten Schutz vor Al-
lergien. Der individuelle Rechtsschutz von Allergikern
muss ausgebaut werden. Wir schlagen eine Erweiterung
der Produktkennzeichnung vor.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn eigentlich?)


– Das habe ich doch eben schon begründet! Sie haben
mir nicht zugehört, Frau Kollegin Höfken; es tut mir
Leid. Aber Sie können meinen Vortrag ja anschließend
noch einmal nachlesen, wenn Sie es möchten.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Memoiren lese ich!)


Die Grenzwertermittlung von Schadstoffen muss bei
Kindern angepasst werden. Kombinationswirkungen,
Wechselbeziehungen und Dauer der Schadstoffeinwir-
kung sollten bei den Messungen stärker berücksichtigt
werden. Die Allergieforschung mit dem Ziel, Risikozu-
sammenhänge offen zu legen, muss von der Bundesre-
gierung weiter unterstützt werden. Der Informationsar-
beit von Selbsthilfegruppen ist beizustehen.

Viertens schlagen wir Maßnahmen zur Bestimmung
und Risikoabschätzung bei chemischen Stoffen vor.
Wir fordern dabei vor allem ein nationales Forschungs-
programm zur Gewinnung von Erkenntnissen über die
Auswirkungen hormonartig wirkender Chemikalien auf
die menschliche Gesundheit und die Fortentwicklung
von Prüfmethoden zwecks Erfassung von schädigenden
Stoffen.

Fünftens schlagen wir Maßnahmen zum Schutz vor
bodennahem Ozon vor; das meint eine deutliche Min-
derung der VOC-Emissionen von verschiedenen Pro-
dukten.


(Christoph Matschie [SPD]: Merken Sie eigentlich, dass Sie sich in Ihrer Rede völlig widersprechen?)


– Nein, ich widerspreche mir überhaupt nicht, Herr Kol-
lege Matschie.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber wir können das gern noch einmal diskutieren,

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Oh ja!)

denn die Probleme ernst zu nehmen und sie zu instru-
mentalisieren ist ein Unterschied. Wir nehmen die Pro-
bleme ernst und wollen Maßnahmen ergreifen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie aber instrumentalisieren die Probleme für Ihre Ideo-
logie.

Vera Lengsfeld






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(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Vorsicht, jetzt kommen Sie gerade vom Papier ab!)


Meine Damen und Herren, es geht uns nicht um Alar-
mismus und Hysterie und es geht uns um alles andere
als um ein Zurück zur vermeintlich beschaulichen Natur.
Natur ist keineswegs immer eine freundliche Umwelt
und sie ist der Gesundheit des Menschen auch nicht im-
mer förderlich.


(Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Was?)


– Aber ja doch! –

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Die beißt!)

Wenn Sie Opfer eines Hurrikans werden und dabei um-
kommen, dann sind Sie durch die Natur umgekommen;
also war das Ihrer Gesundheit nicht sehr förderlich.
Muss ich Ihnen das jetzt wirklich erklären?


(Heiterkeit und Beifall bei CDU/CSU und F.D.P.)


Ich warne auch vor leicht gemachten kausalen Ablei-
tungen, vor einer ideologischen und oft verlogenen Ver-
teufelung des technischen Fortschritts. Dieser Fort-
schritt hat uns bei weitem mehr gebracht als gekostet.
Wir wollen die Dinge ganzheitlich sehen, das heißt, sie
komplex und ohne Vorurteile betrachten. Es geht uns
darum, negative Auswirkungen der gesellschaftlichen
Entwicklungen zu korrigieren. Es geht um Gebote und
Verbote, aber auch um das Aufklären und Abwägen von
Interessen. Wir wollen nichts verharmlosen, aber eben
auch keine unbegründeten Ängste schüren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409000800
Ich erteile das Wort
der Kollegin Helga Kühn-Mengel, SPD-Fraktion.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt geht es endlich fundiert und fachlich weiter!)



Helga Kühn-Mengel (SPD):
Rede ID: ID1409000900
Herr Präsident! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin
Lengsfeld, ich bin Rheinländerin


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Karneval!)


und bin mir daher nicht sicher, ob ich weite Teile Ihres
Vortrages ernsthaft kommentieren oder sie als stärken-
des Element für den noch etwas unterentwickelten
Karneval hier in Berlin betrachten soll.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es ist sicherlich falsch, Panik zu machen. Aber Risi-
ken herunterzuspielen, sie zu negieren,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Hat sie ja nicht getan! Sie müssen mal zuhören!)


dieses Aktionsprogramm als Hinterwäldlertum zu be-
zeichnen, das ist wirklich nicht angemessen. Die Bürge-
rinnen und Bürger haben ein Recht auf Schutz vor um-
weltbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen. Es ist
unsere Aufgabe, die Aufgabe der Politik, hier Ziele zu
entwickeln und vorsorgende Maßnahmen zu ergreifen,
die diesem Schutzbedürfnis Rechnung tragen.

Das Sondergutachten der Sachverständigen, aber
auch der aktuelle Bericht des Büros für Technikfolgen-
abschätzung sprechen eine klare Sprache und stellen ei-
nen Wirkungszusammenhang – der in vielerlei Hinsicht
als gesichert gelten darf – zwischen den von den Men-
schen selbst verursachten Umweltbelastungen und chro-
nischen Erkrankungen her. Die rot-grüne Koalition
macht deutlich, dass die Schnittstelle der Politikbereiche
Umwelt und Gesundheit gefordert ist, dass hier komple-
xe Fragen vorliegen, die eines ganzheitlichen und res-
sortübergreifenden Ansatzes bedürfen – im Übrigen ein
Thema, das die SPD in der Vergangenheit immer besetzt
und aufgegriffen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das heute zu diskutierende Sondergutachten des

Umweltrates ist dabei ein ganz wichtiger Stein in dem
großen Mosaik Umwelt und Gesundheit. Es liefert einen
entscheidenden Beitrag zur Abschätzung und Bewertung
umweltbedingter Gesundheitsrisiken. Unter den zahl-
reichen Ergebnissen des Sondergutachtens ist eines be-
sonders eindeutig: 16 Jahre Kohl-Regierung haben im
Bereich Umwelt und Gesundheit zu wirklich großen
Versäumnissen geführt.


(Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr!)

Die Gutachter sehen bei der Bewältigung umwelt-
bedingter Gesundheitsrisiken einen ganz erheblichen
Nachholbedarf. Nach ihrer Meinung wurde auch ver-
säumt, eine Kommunikationsstruktur zwischen den be-
teiligten Gruppen – Ärzten, Gutachtern, Politikerinnen
und Politikern, Betroffenen – aufzubauen. Versäumt
wurde auch, Gesundheitsrisiken auf breiter Front zu
veröffentlichen, diese Ergebnisse den Menschen im
wahrsten Sinne des Wortes nahe zu bringen.

Die Gutachter treten dafür ein – ich zitiere –,
sich aus pragmatischen Gründen notfalls mit einem
geringeren Maße an gesicherten wissenschaftlichen
Erkenntnissen zu begnügen,

das heißt auf gut Deutsch: endlich zu handeln. So viel
steht fest: Die Aufarbeitung umweltbedingter Risiken,
deren Abschätzung und Bewertung wurden bisher stark
vernachlässigt. Das soll sich ändern. Das Aktionspro-
gramm der beiden Ministerien hat eine eindeutige Ak-
zentuierung. Der umweltbezogene Gesundheitsschutz,
der Aspekt der Vorsorge als Gestaltungsprinzip rücken
endlich in den Mittelpunkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vera Lengsfeld






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(D)


Die Wählerinnen und Wähler haben sich mit ihrem
Regierungsauftrag an die rot-grüne Koalition eindeutig
für einen bedarfsgerechten und qualitativ überzeugenden
Gesundheitsschutz ausgesprochen. Wir nehmen diesen
Auftrag ernst. Erstmalig in der Geschichte der deutschen
Politik werden mit diesem Aktionsprogramm Hand-
lungsziele und Strategien für eine umfassende Auseinan-
dersetzung mit den gesundheitlichen Folgen von Um-
welteinwirkungen vorgelegt. Das Programm stellt eine
wichtige Orientierung dar, an der sich auch die Gesund-
heitspolitik auszurichten hat. Herausgestellt werden vor
allem nachhaltige Wirkungen politischer Maßnahmen.
Diese haben wir mit dem Gesetz zur Reform der gesetz-
lichen Krankenversicherung im Gesundheitswesen be-
reits verankert.

Ein Beispiel ist der von uns als wichtig bewertete
Präventionsbereich. Maßnahmen der Gesundheitsför-
derung verbessern den allgemeinen Gesundheitszustand
nachhaltig. Sie bewirken einen Beitrag zur Verminde-
rung sozial bedingter ungleicher Gesundheitschancen.
Dies ist ein Punkt, der uns besonders am Herzen lag.

Der alte § 20 – man kann es nicht oft genug sagen –
nahm bei der alten Bundesregierung nach einer nur sie-
ben Jahre dauernden Existenz im SGB V am 13. Sep-
tember 1996 ein trauriges Ende. Wir haben diesen Para-
graphen wieder belebt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nur die Missbrauchsbestandteile, nicht der Paragraph selbst.)


– Ich kenne diese Argumente, aber Sie wissen, dass un-
ser Ansatz richtig ist.

Unsere Gesundheitsreform ermöglicht, dass die
Krankenkassen ihren Versicherten wieder Angebote zur
Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung unter-
breiten dürfen und auch wieder Maßnahmen zur be-
trieblichen Gesundheitsförderung durchführen kön-
nen. In diesem Sinne schafft unsere Reform eine Ver-
bindung zwischen gesundheitspolitischer Diskussion
und Nachhaltigkeitsdebatte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderer nachhaltig wirkender Punkt: Auch der
Einzelne – das ist gerade in der Umweltdebatte wich-
tig – soll in seiner Verantwortung, in seiner Initiative
gestärkt und in der Mobilisierung seiner Ressourcen und
Selbstheilungskräfte unterstützt werden. Unser Gesetz
greift auch diesen Gedanken auf. Selbsthilfegruppen
tragen zu einem günstigeren Krankheitsverlauf und zu
einem bewussteren Umgang mit chronischen Krankhei-
ten bei und wirken auf diesem Wege langfristig stabili-
sierend. Selbsthilfe steht für Erfahrungsaustausch, ge-
genseitige Unterstützung und bedeutet eigenverantwort-
liches und gemeinschaftliches Handeln. Ich glaube, dass
wir hier einen ganz wichtigen Schwerpunkt gesetzt ha-
ben.

Wir haben auch das Ziel, die Patientenrechte und den
Patientenschutz zu stärken. Darum haben wir im Ge-

sundheitsreformgesetz auch vorgesehen, dass die Infor-
mationsmöglichkeiten für Patienten und Patientinnen
verbessert werden. Dazu werden unter anderem Einrich-
tungen zur Verbraucher- und Patientenberatung ge-
zielt gefördert. Die Krankenkassen erhalten die Mög-
lichkeit, Modellprojekte zur Beratung zu finanzieren.
Der gut informierte Patient, der Angebote im System
sinnvoller und selbstbewusster nutzt, wird auch mehr
Eigenverantwortung übernehmen.

Wir stärken die Rehabilitation. Im Sinne der Nach-
haltigkeit gilt der Grundsatz: Präventation vor Rehabili-
tation, Rehabilitation vor Rente und Pflege. Die Rehabi-
litation kann dazu beitragen, Selbstständigkeit und Le-
bensqualität möglichst lange zu erhalten. Wir haben die
Seehofer’schen Begrenzungen wieder aufgehoben. Wir
haben die Mutter-Kind-Kuren gestärkt. Auch dies sind
Maßnahmen, die unseren nachfolgenden Generationen
zugute kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben auch die Qualitätssicherung eingeführt.
Das ist ein ganz wichtiges Element in der stationären
und ambulanten Versorgung. Wir haben die Gesund-
heitsberichterstattung verbessert. Das sind alles Dinge,
die die Nachhaltigkeit sichern.

Der Antrag „Umwelt und Gesundheit“, der heute
vorgelegt und demnächst in den Ausschüssen beraten
wird, betont, dass wir eine ganz besondere Verantwor-
tung für die Gesundheit unserer Kinder haben. Das ist
schon mehrmals erwähnt worden und sehr wichtig. Wir
müssen mehr Verantwortung für die Schwächsten unse-
rer Gesellschaft übernehmen. Es ist zum Beispiel be-
kannt, dass sich Grenzwerte und Messmethoden in der
Regel am gesunden männlichen Durchschnittserwachse-
nen orientieren. Bekannt ist aber auch, dass Kinder
Umwelteinflüssen erheblich intensiver ausgesetzt sind.

Nach Angaben von Professor von Mühlendahl gibt es
eine Verschiebung weg von den klassischen Infektions-
krankheiten hin zu umweltbedingten Erkrankungen. Die
Auswertung einer bundesweit durchgeführten Untersu-
chung zeigte, dass bei einem Viertel aller Jugendlichen
asthmatische und allergische Erkrankungen vorlagen.
Deshalb ist es richtig, sich um diesen Bereich verstärkt
zu kümmern, hier zu forschen, die Daten besser auszu-
werten, die gesundheitsgefährdenden Belastungen deut-
lich zu machen und darüber aufzuklären. Das ist in der
Tat – ein oft benutzter Begriff, aber dennoch richtig –
eine Investition in die Zukunft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir unterstützen die im Aktionsprogramm vorgelegte
Forderung nach einer Verbesserung der Gesundheits-
beobachtung und -berichterstattung. Wir unterstützen
die Forderungen, eine Kommission einzurichten, die
Vorschläge zur Neuordnung und zur Risikobewertung
erarbeiten soll, und dass die Umweltmedizin durch Wei-
terbildung und Qualifizierung gestärkt werden soll. Ich
denke, auch das ist ein Weg, ihr zu einer besseren Ak-
zeptanz, Kompetenz und Anerkennung zu verhelfen.

Helga Kühn-Mengel






(A)



(B)



(C)



(D)


Die hier genannten Beispiele zeigen deutlich den
Willen der rot-grünen Koalition, sich im gesundheitspo-
litischen Bereich an einer langfristigen Entwicklung zu
orientieren. Das Gesetz zur Reform der gesetzlichen
Krankenversicherung stellt die Patientinnen und Patien-
ten wieder in den Mittelpunkt. Die Förderung der Ge-
sundheit und die Verhütung von Krankheiten erreichen
wieder einen höheren Stellenwert.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber strukturell habt ihr nichts gemacht, gar nichts!)


Das ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Stabilität
der Beitragssätze zu sehen, sondern auch ein wesentli-
cher Beitrag zum Bündnis für Arbeit sowie eine wichti-
ge soziale Säule.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der konkrete Forderungskatalog des Antrages „Um-
welt und Gesundheit“ verdeutlicht, dass die alte Stagna-
tion überwunden ist und ressortübergreifend gedacht
und aus der Verantwortung für unsere nachfolgenden
Generationen heraus entschlossen gehandelt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409001000
Ich erteile der Kolle-
gin Ulrike Flach von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1409001100
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das Sondergutachten des Rates von Sach-
verständigen für Umweltfragen liefert uns eine Fülle von
Detailinformationen zu den Wechselwirkungen von
Umweltschäden und gesundheitlichen Folgen. Ich
möchte mich an dieser Stelle bei den Gutachtern noch
einmal herzlich bedanken. Sie haben uns bereits im
Umweltausschuss ausreichend Rede und Antwort ge-
standen.

Das Gutachten hat erneut bewiesen, dass die Qualität
der Umwelt und die menschliche Gesundheit in einem
unmittelbaren Wirkungszusammenhang stehen. Waren
es in der Vergangenheit eher akute Erkrankungen infol-
ge der Umweltbelastungen – ich denke dabei besonders,
Herr Paziorek, an unsere Heimat, das Ruhrgebiet –, sind
es heute eher chronische Erkrankungen, die sich über ei-
nen längeren Zeitraum entwickeln. Das macht es schwe-
rer, kausale Zusammenhänge zu erkennen. Aber, Frau
Kühn-Mengel, der Rückgang akuter Erkrankungen darf
uns weiß Gott nicht blind gegenüber dem machen, was
in der Vergangenheit passiert ist. Wir dürfen nicht ver-
gessen, dass wir sehr bedeutende Erfolge gerade im Be-
reich von Umwelt und Gesundheit – das wird von den
Gutachtern bestätigt – unter der alten Regierung erzielt
haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Risikoabschätzungen müssen auf der Basis wissen-

schaftlicher Praxis erfolgen, wobei der Sachverständi-
genrat betont, dass es eine erhebliche Diskrepanz zwi-

schen der wissenschaftlichen Risikoabschätzung und der
subjektiven Wahrnehmung seitens der Betroffenen gibt.
Wir brauchen auch nicht weit zu gehen, um dafür Bele-
ge zu finden: In der letzten Sitzungswoche haben wir
über möglicherweise hormonell wirkende chemische
Stoffe gesprochen. Zu diesem Bereich kommen die
Sachverständigen zu einer interessanten Aussage:

Hinsichtlich der menschlichen Gesundheit ergeben
sich aufgrund der vorliegenden Datenlage keine
Verdachtsmomente von einer derartigen Plausibili-
tät, dass ein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht.

Die Belastung des Menschen durch Substanzen natürli-
chen Ursprungs sei ungleich höher als die durch synthe-
tisch hergestellte Stoffe. Zu den natürlich hergestellten
Stoffen gehören zum Beispiel die Inhaltsstoffe der nor-
malen, also nicht genveränderten Sojabohne, die auch
im Muttermilchersatz enthalten ist und eine erhebliche
Belastung für Kleinkinder darstellen kann.

Natürlich brauchen wir vor allem mehr Forschung im
sensiblen Bereich der hormonell wirkenden Stoffe. Aber
die Hysterie, die vor allem die Grünen hierbei an den
Tag legen, ist wissenschaftlich nicht gerechtfertigt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Minister Trittin hat ein Verbot von TBT angekündigt,
obwohl er genau weiß, dass sich die Textilhersteller in
Deutschland bereits vor drei Jahren verpflichtet haben,
TBT nicht in Textilien zu verwenden. Im Bereich der
Schiffsanstriche ist eine IMO-Regelung in der Pipeline,
das wissen wir alle. Ersatzstoffe stehen zur Verfügung.
Wenn also jetzt der große Aktionismus bei Herrn Trittin
ausbricht, wird den Bürgerinnen und Bürgern umweltpo-
litisches Handeln wieder einmal nur vorgespielt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie haben uns eine Anhörung zu TBT angekündigt,

die im März stattfinden wird. Ich frage mich allerdings,
wozu diese Anhörung dienen soll, da ein TBT-Verbot
bereits über die Presse angekündigt wurde. Bis heute
haben wir noch keine Liste der Sachverständigen, die
Sie dazu einladen wollen. Mir sieht diese Aktion sehr
stark nach einer reinen Alibiveranstaltung aus, mit der
Sie davon ablenken wollen, dass Sie in anderen Berei-
chen nichts getan haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen einige
Punkte nennen, die im Gutachten angesprochen werden
und von denen wir meinen, dass eine verantwortungs-
bewusste Umwelt- und Gesundheitspolitik sich dieser
Themen annehmen muss. Ich nenne das Beispiel UV-
Strahlung: Wir wissen, dass die Häufigkeit von Mela-
nomen in den letzten Jahren zugenommen hat, nämlich
um 6 bis 7 Prozent jährlich, und der Höhepunkt scheint
noch nicht erreicht zu sein. Hier brauchen wir dringend
eine Präventionsstrategie, um über die Gefährlichkeit
von Sonnenbänken aufzuklären. Sonnenbräune ist eben
nicht ein Ausdruck von Gesundheit, wie es immer wie-
der irrtümlich verbreitet wird.

Helga Kühn-Mengel






(A)



(B)



(C)



(D)


Wesentlich brisanter ist das gerade so aktuelle Thema
Lärmschutz. Die Belastung durch Lärm ist in Deutsch-
land trotz zahlreicher Baumaßnahmen in etwa gleich
geblieben. Circa 70 Prozent der Bevölkerung fühlen sich
durch Straßenverkehr belästigt. Beim Flugverkehr sind
es circa 50 Prozent. Dieser Wert ist in den letzten Jahren
sogar angestiegen. Eine Studie des UBA aus dem Jahre
1994 stellt fest, dass sich damals 46 Prozent der Men-
schen in den alten und 27 Prozent der Menschen in den
neuen Ländern durch Fluglärm gestört fühlten. Hier fin-
det offensichtlich eine Ost-West-Angleichung statt –
und das im negativen Sinne.

Diese Regierung hat eine Änderung des Fluglärmge-
setzes angekündigt. Staatssekretär Scheffler hatte hier
am 14. Oktober erklärt, die Novellierung befinde sich
bereits in der Ressortabstimmung. Seither sind nach
meiner Rechnung schon wieder vier Monate vergangen.

Je mehr der Lärm in Deutschland anstieg – 16 Pro-
zent der Deutschen sind tagsüber einem mittleren Lärm-
pegel von mehr als 65 Dezibel ausgesetzt –, umso leiser
und umso stiller wurde es bisher im BMU.

Jetzt hat der Minister – passend zur heutigen Debatte
und natürlich passend zur Wahl am Sonntag – ein Eck-
punktepapier zur Novellierung des Fluglärmgesetzes
vorgelegt. Meine Damen und Herren, abgesehen davon,
dass das Adjektiv „nachhaltig“ neuerdings inflationär
bei Ihnen vorkommt, stimmen wir natürlich mit dem
Ziel, die Geräuschbelastung dauerhaft zu senken, über-
ein.

65 Dezibel, das ist der Lärmpegel an einer stark be-
fahrenen innerstädtischen Hauptstraße. Ab diesem Wert
steigt das Risiko des Herzinfarktes. Die Sachverständi-
gen sagen uns, dass es einen Zusammenhang mit lärm-
bedingtem Bluthochdruck und Magnesiumunterversor-
gung gibt. Unser Ziel muss es also sein, die Lärmbelas-
tung unter diesem Pegel zu halten.

Wir begrüßen es, dass es jetzt zu einer Novellierung
des Fluglärmgesetzes kommen wird. Was uns aber dabei
stört, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist erneut die Art
und Weise, wie Minister Trittin das Thema angeht. Sie
sprechen davon, dass es ein unheimlich steiniger Weg
sei und dass viele Widerstände zu überwinden seien.
Dabei gehen Sie in bewährter Manier vor und bauen sich
die Widerstände selbst auf.

Auf meine Nachfrage bei der Arbeitsgemeinschaft
Deutscher Verkehrsflughäfen sowie bei den Flughäfen
München und Düsseldorf – nicht gerade unwichtige
Flughäfen – erhielt ich die Auskunft, es habe vor der
Vorstellung der Eckpunkte keinerlei Gespräche mit den
BMU gegeben.


(Zuruf von der F.D.P.: Toll!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe ja Ver-

ständnis dafür, dass man zügig vorgehen will. Aber dies
ist erneut der Versuch, mit dem Kopf durch die Wand zu
gehen und, statt einen Konsens mit den Betroffenen zu
finden, diese zunächst einmal gründlich zu verärgern.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Eine Absenkung der Werte für die Lärmschutzzonen
ist ein schwerer Eingriff. Das wissen wir alle. Insbeson-
dere kleinere Luftfahrtunternehmen werden Probleme
haben, kurzfristig umzusteigen, und es wird zu Aus-
weichbewegungen kommen. Die Arbeitsgemeinschaft
befürchtet ernsthafte Probleme in der Bewältigung des
Fracht- und Ausweichverkehrs, zum Beispiel nach Brüs-
sel, mit Weitertransport – man höre und staune – auf der
Straße.

Es kann ja wohl nicht das Ergebnis Ihrer Bemühun-
gen zur Lärmbegrenzung sein, dass in Zukunft mehr Gü-
ter auf der Straße transportiert werden. Das wäre die
ökologische Bankrotterklärung Ihrer Initiative.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Auch das Europaproblem ist erneut nicht geklärt

worden. Minister Trittin wagt wieder einmal den natio-
nalen Alleingang, wie schon bei der Ökosteuer und bei
der Kernkraft. Auf europäischer Ebene gibt es weder
einheitliche Messgrößen für Lärm noch uns bekannte
Initiativen für eine europäische Fluglärmrichtlinie. Wa-
rum reden Sie nicht mit den Betroffenen?


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Pure Selbstherrlichkeit!)


Warum versuchen Sie nicht, eine europäische Lösung zu
finden?

Meine Damen und Herren, in anderen lärmintensiven
Bereichen sind Initiativen des BMU wenig zu erken-
nen – im Bahnbereich nicht; im Straßenverkehrsbereich
haben Sie ebenfalls nur Ankündigungen produziert, es
sei denn, Sie sehen in der Erhöhung der Benzinpreise
einen Beitrag zur Senkung des Verkehrslärms, weil sich
weniger Menschen eine Autofahrt leisten können. Der
Straßenverkehrslärm wird von den Bürgern aber mit
Abstand als der störendste empfunden. Als Anlieger ei-
nes Plus-Marktes denke ich da nur an die Kühlwagen
mit den laufenden Motoren und Kühlanlagen. Das ist
schon etwas, was wir uns gemeinsam vornehmen müss-
ten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, es hat auch heute einen
wunderschönen Artikel in der „Berliner Zeitung“ gege-
ben, wie man mit wenig Geld – und wir alle wissen ja,
dass wir wenig Geld haben – der Deutschen Bahn et-
was auf die Sprünge helfen könnte, etwas leiser zu wer-
den. Man schlägt einfach vor, den Lärm dadurch um
3 Dezibel zu verringern, dass man regelmäßig die
Schienen schleift. Das wäre auch einmal ein Ansatz. Al-
lein der Austausch von Metallklötzen gegen Kunststoff-
klötze könnte eine Lärmverringerung um 10 Dezibel
bewirken – auch ein Ansatz. Das sind doch die Proble-
me, deren Lösung wir in Angriff nehmen müssen. Wir
sollten nicht die Leute verärgern, die wir eigentlich
brauchen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte mich in diesem Augenblick nicht zu
feindlich äußern. Lassen Sie mich auch eine freundliche

Ulrike Flach






(A)



(B)



(C)



(D)


Bemerkung zum Abschluss machen, und zwar zu Ihrer
Broschüre.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr angemessen!)


Wir Liberalen finden die Broschüre gut.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Auch farb lich!)

Damit finden wir endlich einmal konkrete Maßnahmen,
zum Beispiel zur Verbesserung des umwelt- und ge-
sundheitsbezogenen Informationsmanagements, zur Ri-
sikobewertung bei Gefahrstoffen, zur zentralen Erfas-
sungs- und Bewertungsstelle und zum Qualitätsmana-
gement. Das ist in Ordnung, damit können wir leben.
Vor allem werden in einzelnen Sektoren auch einmal
Qualitätsziele genannt, die erreicht werden sollen, ohne
dass der Weg dorthin zwingend vorgeschrieben wird.
Wir werden sehr sorgfältig darauf achten, ob diese An-
kündigungen auch umgesetzt werden.

Meine Damen und Herren, zusammen mit dem Sach-
verständigengutachten liefert diese Broschüre die Basis
für eine überlegte, auf rationalen Kriterien beruhende
Umweltpolitik. Halten Sie sich bitte daran! Es würde
manches erleichtern.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409001200
Ich erteile das Wort
der Kollegin Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1409001300
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich denke, Zusammenhänge zwischen
Umweltschädigungen, Umweltbelastungen und auch
schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit leugnet
hier in dem Raum niemand mehr. Trotzdem gehört es zu
den Schwächen des Gesundheitssystems, dass die sozi-
alökologische und gesellschaftliche Bedingtheit von Ge-
sundheit und Krankheit weitgehend ausgeblendet wird.
Damit verbindet sich eine Unterschätzung des vorbeu-
genden Gesundheitsschutzes. Im Ergebnis dessen wer-
den unter Prävention oft nur die medizinischen Vorsor-
gemaßnahmen der Früherkennung sowie eine Zurück-
drängung individuellen Fehlverhaltens verstanden.
Krankheiten sind aber vielfach Folge von Belastungen,
die aus Lebens-, Arbeits- und Umweltverhältnissen re-
sultieren. Der Einzelne kann sie nicht oder kaum beein-
flussen.

Ziel einer präventiven Gesundheitspolitik muss es
sein, bereits in den Entstehungsbereichen von Krankheit
vorbeugend einzugreifen. Schon die Steuerung der me-
dizinischen Versorgungsleistungen darf nicht primär
dem Markt überlassen werden. Dies gilt auch für den
Gesundheitsschutz. Dieser muss Aufgabe des Staates
sein. Er hat die Voraussetzungen und gesetzlichen Rah-
menbedingungen für eine gesundheitsfördernde Ge-
samtpolitik zu gestalten.


(Beifall bei der PDS)

Es geht darum, das gesellschaftliche und wirtschaftli-

che Handeln in allen relevanten Bereichen, in Arbeits-

welt und Konsum, in Energieerzeugung und Verkehr
ebenso wie in Ländern und Kommunen auch an den Kri-
terien der Gesunderhaltung und Gesundheitsförderung
auszurichten. Dabei muss es sowohl um sozial gerechte
Verhältnisse gehen als auch um ökologisch verantwort-
bare Beziehungen zwischen Mensch und Natur und die
Zurückdrängung umweltbedingter Gesundheitsrisiken.

Wir begrüßen, dass die beiden zuständigen Bundes-
ministerien ein gemeinsames Aktionsprogramm „Um-
welt und Gesundheit“ verabschiedet haben. Mit diesem
Aktionsprogramm verbindet sich die Hoffnung, dass die
Auseinandersetzung um einen wirksamen, umweltbezo-
genen Gesundheitsschutz auch bundesweit endlich einen
neuen Schub erhält.

Wir hoffen vor allem, dass die Bundesregierung Ge-
sundheits- und Umweltpolitik nunmehr als integrierte
Strategie betreibt, die Nachhaltigkeit ebenso wie die Ge-
sundheit der Bevölkerung im Blick hat; denn genau hier
sehen wir noch beträchtlichen Nachholbedarf. So ist die
Zusammenarbeit der im Schnittfeld von Gesundheit und
Umwelt tätigen Behörden und Fachorganisationen zu
verbessern. Die umweltbezogene Gesundheitsbericht-
erstattung ist zu erweitern. Die Bevölkerung, die sich in
Initiativen auf lokaler und kommunaler Ebene oder in
Nichtregierungsorganisationen für gesündere Lebens-
verhältnisse einsetzt, ist wesentlich ernster einzubezie-
hen. Besonders dringlich sind die Förderung einschlägi-
ger gesundheitswissenschaftlicher Forschungen sowie
der Ausbau der Grundlagendisziplinen wissenschaftlich
fundierter Prävention wie Umweltmedizin, Umwelthy-
giene oder Sozialepidemiologie.

Dies beachtend leistet das Sondergutachten des Ra-
tes von Sachverständigen für Umweltfragen einen
wichtigen Beitrag zur Bewertung umweltbedingter Ge-
sundheitsrisiken, einschließlich der dafür erforderlichen
wissenschaftlich-methodischen Grundlagen. Dabei sind
zwei Aussagen für das Herangehen an Gesundheitsrisi-
ken und ihre Bewältigung von besonderer Bedeutung:
Erstens halten wir die erneute Hervorhebung des Um-
weltrates für wichtig, dass für jede Risikobewertung ei-
ne umfassende wissenschaftliche Begründung unab-
dingbar bleibt.

Zweitens ist der Standpunkt besonders zu unterstrei-
chen, dass es im Zweifelsfall stets notwendig ist, auch
ein geringeres Maß an gesicherter Erkenntnis und eine
noch vorläufige Risikoabschätzung bereits zur Grundla-
ge aktiv eingreifender Vorsorgemaßnahmen zu machen.


(Beifall bei der PDS)

Folgende Aussage der Europäischen Charta „Umwelt

und Gesundheit“ aus dem Jahre 1989 – Frau Lengsfeld,
dieses Datum ist besonders für Sie interessant; denn Sie
hätten aktiv werden können –


(Jutta Müller [Völklingen] [SPD]: 1989 war sie noch anderer Meinung!)


hat unseres Erachtens nichts von ihrer Aktualität verlo-
ren.

Die Gesundheit des Einzelnen und die von Bevöl-
kerungsgruppen muss eindeutig Vorrang vor wirt-
schaftlichen Überlegungen haben.

Ulrike Flach






(A)



(B)



(C)



(D)


Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409001400
Ich erteile das Wort
der Kollegin Jutta Müller, SPD-Fraktion.


Jutta Müller (SPD):
Rede ID: ID1409001500
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über das
Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für
Umweltfragen. Frau Lengsfeld, bevor Sie hier so eine
Rede halten, hätten Sie wenigstens einmal in die Kurz-
fassung des Sondergutachtens hineinschauen können. So
dick ist die vorliegende Kurzfassung auch nicht, wie Sie
sehen.


(Beifall bei der SPD – Vera Lengsfeld [CDU/ CSU]: Woher wissen Sie, dass ich nicht hineingeguckt habe?)


– Dann haben Sie es nicht verstanden – wenn Sie hin-
eingeguckt haben.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Sie sollten sich einmal sachlich damit auseinander setzen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Arrogant!)


Der Sachverständigenrat hat sich übrigens schon
1987 und 1994 mit dem Thema befasst. Ich bin der neu-
en Bundesregierung außerordentlich dankbar, dass sie
im Gegensatz zur Regierung Kohl die Lösung des Pro-
blems nicht aussitzt, sondern dass sie in einem Aktions-
programm die Themen Umwelt und Gesundheit endlich
einmal zusammenfasst; denn das Problem in der Ver-
gangenheit war nicht, dass Sie gar nichts gemacht ha-
ben; vielmehr war das Problem, dass die beiden Berei-
che getrennt waren und dass Sie Datenfriedhöfe angelegt
haben – genau das wollten wir nicht –, und zwar ohne
die Daten zusammenzufassen und daraus dann Schlüsse
zu ziehen.

Den Vorschlägen der Gutachter folgend wird die
Bundesregierung verschiedene Bereiche zusammenfas-
sen, um eine Verbesserung der umweltbezogenen Ge-
sundheitsbeobachtung und des Informationsmana-
gements zu erreichen. Schließlich besitzen wir entspre-
chende Datenbestände und müssen sie, wie gesagt, nur
noch zusammenfassen. Es soll dauerhaft ein differen-
ziertes Beobachtungs- und Berichterstattersystem für
Umwelt und Gesundheit etabliert werden. Es muss da-
rauf hingewirkt werden, dass die wissenschaftlichen
Bundesoberbehörden bei den mit Umwelt und Gesund-
heit zusammenhängenden Fragen eng zusammenarbei-
ten und ein aktives Informationsmanagement ent-
wickeln.

Der Sachverständigenrat hat insbesondere bei den
Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgrund von UV-
Strahlen, Allergien und Lärm einen erheblichen Bera-
tungsbedarf festgestellt. Am Beispiel von Allergien
kann man deutlich erkennen, dass vor allem Umweltfak-
toren zu einer Besorgnis erregenden Verbreitung allergi-
scher Erkrankungen in der Bevölkerung geführt haben.
Wir stimmen deshalb den Sachverständigen zu, die eine
verstärkte Information, Beratung und insbesondere eine

Pflicht zur Kennzeichnung von allergieauslösenden
Stoffen fordern.

Es gibt im Übrigen auch den ganz interessanten prak-
tischen Vorschlag des Rates, dass man beispielsweise
überlegen sollte, neben einem Wärmeschutzpass für
Wohnungen auch einen Allergikerschutzpass vorzuse-
hen, der die Eignung von Wohn- und Arbeitsräumen für
Allergiker sicherstellt. Konsequentes Energiesparen und
hygienisch einwandfreie Innenraumluft müssen sich
nicht ausschließen.

Zum Thema Lärm empfehlen die Sachverständigen
ein ganzes Bündel von Lärmminderungsmaßnahmen.
Die Belastungen des Menschen durch Lärm, insbesonde-
re durch Flugzeuge, Schienenkraftfahrzeuge und Indus-
triegewerbe, aber auch durch die Freizeitgestaltung, sind
nicht zu unterschätzen. Dort ist eindeutig gesagt worden:
Eine hohe Dauerbelastung durch Lärm wirkt als ernst zu
nehmender Stressfaktor und erhöht das Risiko von Herz-
und Kreislauferkrankungen. Das sollte man mit Beispie-
len wie „Straßencafé in Paris“ nicht ins Lächerliche zie-
hen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Ziel ist zum einen die nachhaltige Minderung
des Lärms durch technisch, planerisch und rechtlich auf-
einander abgestimmte Maßnahmen. Zum anderen beab-
sichtigen wir Maßnahmen gegen gesundheitsschädlichen
Freizeitlärm. Wir brauchen auch auf diesem Gebiet eine
verstärkte Aufklärung, besonders bei Jugendlichen, die
in dieser Frage zu den gefährdeten Gruppen gehören.

Ähnliches gilt auch für die gesundheitlichen Risiken,
die durch die erhöhte UV-Strahlung beim Menschen
ausgelöst werden. Frau Flach, es ist natürlich klar, dass
wir noch mehr Aufklärungskampagnen durchführen
müssen, obwohl – das ist ein Phänomen – alle Dermato-
logen jedes Jahr vor dem Urlaub davor warnen, sich
stundenlang der prallen Sonne auszusetzen. Wenn man
an die Strände kommt, dann sieht man, dass diese War-
nung nicht unbedingt ernst genommen wird.

Wir als Gesetzgeber müssen darauf achten, dass sich
die Menschen ein bisschen vernünftiger benehmen. Das
kann nur über Information passieren. Wir sind verpflich-
tet, auch dafür zu sorgen, dass Vorläufersubstanzen, die
die Ozonschicht schädigen, also zu einer Vergrößerung
des Ozonlochs beitragen, vom Markt verschwinden. Da-
gegen müssen wir selber etwas tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich halte es für notwendig, dass das Aktionspro-
gramm auch dazu genutzt wird, eine breite öffentliche
Debatte mit der Bevölkerung zu führen. Ich persönlich
halte es für falsch, wenn eine Diskussion „Umwelt und
Gesundheit“ ausschließlich auf Chemikalien beschränkt
würde. Wir haben es sowohl mit natürlichen Faktoren
als auch mit persönlichem Verhalten zu tun.

Das Sachverständigengutachten beschäftigt sich sehr
ausführlich mit dem Thema Risikokommunikation. Ei-

Dr. Ruth Fuchs






(A)



(B)



(C)



(D)


ne ganze Reihe von umweltbedingten Erkrankungen
könnte durch eigenes Verhalten vermieden werden. Wir
müssen aber feststellen, dass man in dem einen Zusam-
menhang ein Risiko akzeptiert oder sogar bewusst her-
beiführt, während man in dem anderen Kontext ein
gleich großes oder sogar kleineres Risiko ablehnt.

Wir finden in dem Gutachten auch interessante Erhe-
bungen über die unterschiedliche Einschätzung von Ge-
fährdung infolge von Umweltbelastungen bei Bevölke-
rung und Wissenschaft bzw. Technikern. Ich will ein
kurzes Beispiel nennen: Man hat in der Bevölkerung ei-
ne statistische Erhebung durchgeführt und gefragt, was
man als gesundheitliche Bedrohung empfinde. 81 Pro-
zent der Bevölkerung haben Giftmüll als gesundheitli-
che Bedrohung bezeichnet. Experten und Wissenschaft-
ler schätzen Giftmüll nur zu 26 Prozent so ein. Fragt
man aber nach Spirituosen, dann kehrt sich das Verhält-
nis um: Während die Bevölkerung ihren Konsum nicht
ganz so schlimm findet, halten die Experten ihn für viel
schlimmer. Dass wir auf Verhaltensänderung hinwirken
müssen, ist klar. Das können wir nur tun, indem wir die-
ses Programm zu einer entsprechenden Diskussion nut-
zen.

In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit möchte ich
gerne noch ein paar Sätze zum Entschließungsantrag der
CDU/CSU sagen. Ich freue mich, dass wir in der Ein-
schätzung der Wichtigkeit des Themas derart eng bei-
einander liegen. Wenn man den Antrag liest, dann hat
man nicht das Gefühl, dass Sie 16 Jahre an der Regie-
rung waren.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist es!)


Sie fordern beispielsweise eine Lärmsanierung an
bestehenden Schienenwegen. Ich gehöre diesem Haus
jetzt seit 1990 an. Von 1990 bis 1998 hat meine Fraktion
jedes Jahr beantragt, entsprechende Mittel in den Haus-
halt einzustellen. Jedes Jahr haben Sie das abgelehnt.
Erst seit dem Regierungswechsel, seit Rot-Grün an der
Regierung ist, wurden 100 Millionen DM für die Lärm-
sanierung an Schienenwegen eingestellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist nicht sonderlich viel; auch ich hätte mir einen
höheren Betrag gewünscht. Aber Sie wissen, wie eng die
Finanzen sind. Dass dies so ist, haben nicht wir zu ver-
antworten, sondern Sie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Mit unserem Koalitionsantrag „Umwelt und Gesund-
heit“ wollen wir die Prävention in den Mittelpunkt stel-
len. Wir haben uns hier ein sehr anspruchsvolles Pro-
gramm gesetzt. Wir wollen natürlich auch – das ist hier
schon oft gesagt worden – stärker auf Schutzbedürfnisse
von Kindern eingehen. Wir dürfen aber nicht nur Kinder
im Auge haben, wenn wir Grenzwerte diskutieren, son-
dern müssen auch alte, kranke und vorbelastete Men-
schen im Auge haben.

Ich denke, wir haben sowohl mit dem Programm als
auch mit unserem Antrag ein anspruchsvolles Arbeits-
programm vorgelegt, das der Verbesserung des Umwelt-
und Gesundheitsschutzes dient und das wir im Interesse
der Menschen zügig umsetzen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409001600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1409001700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Wir haben ein Aktionsprogramm vorgelegt be-
kommen. Sie werden sich wundern, wenn ich dieses Ak-
tionsprogramm nicht in der Härte kritisiere, wie Sie es
sonst bei verschiedenen Vorträgen von mir gewohnt
sind. Ich will Ihnen auch den Grund dafür nennen: Die
Debattenredner, insbesondere aus der SPD, haben im-
mer wieder ausgeführt, die alte Regierung habe 16 Jahre
lang nichts gemacht bzw. sie habe das Problem ausge-
sessen.


(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Wenn man sich aber intensiv mit der Thematik befasst,
stellt man fest, dass die frühere Umweltministerin Dr.
Angela Merkel ein Schwerpunktprogramm erarbeitet
und vor zwei Jahren vorgelegt hat. Das haben Sie ent-
weder nicht gelesen oder mit Erfolg verdrängt.

Bei der Vorbereitung auf den heutigen Tag habe ich
eine Synopse erstellen lassen zu der Frage, was zu Um-
welt und Gesundheit in dem vom Ministerium vor zwei
Jahren erarbeiteten Schwerpunktprogramm und was in
dem steht, was Sie heute vorgelegt haben.


(Christoph Matschie [SPD]: Das war aber ein Geheimpapier damals!)


– Das war überhaupt nicht geheim, sondern ist auch Ih-
nen zugegangen. Sie hätten es nur lesen müssen. Das ist
der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt stelle ich fest, dass dieses vor zwei Jahren vom

Ministerium vorgestellte Programm nahezu identisch
mit dem Programm ist, das Sie jetzt vorstellen. Da gibt
es überhaupt nichts Neues. Ich will Ihnen einmal an ei-
nem Beispiel klarmachen, welche revolutionären Verän-
derungen sich in dem Programm finden, das Sie jetzt
vorgelegt haben. Im Trittin/Fischer-Papier steht: Sen-
kung der Immissionsgrenzwerte kanzerogener Stoffe der
TA Luft um 75 Prozent. Im Merkel-Papier steht: Sen-
kung der Grenzwerte von kanzerogenen Stoffen bei der
TA Luft auf ein Viertel. Ist das nicht ein gewaltiger Un-
terschied? Das ist geradezu revolutionär, was Sie hier
zustande gebracht haben!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dazu, um dieses umzuformulieren – das ist das Erstaun-
liche – , haben Sie zwei Jahre gebraucht.

Jutta Müller (Völklingen)







(A)



(B)



(C)



(D)



(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Verstehen Sie jetzt, warum Sie nicht weiterkommen?

Schon seit zwei Jahren liegen Aktionsbündel vor; schon
seit zwei Jahren liegen Schutzziel-Entwürfe vor. Was
machen Sie daraus? – Ein neues Programm, indem Sie
das alte umformulieren.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Was haben Sie denndaraus gemacht?)


Es heißt nicht mehr: „Absenkung auf ein Viertel“, son-
dern: „Absenkung um 75 Prozent“. Grandios, diese
Leistung!


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409001800
Kollege Lippold,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1409001900
Im
Moment nicht. – Es ist wirklich erstaunlich. Ich könnte
die Positionen jetzt Punkt für Punkt weiter durchgehen.
Wir stellen – um Ihnen das ganz deutlich zu sagen, was
wir bei Ihnen insbesondere im Umweltbereich immer
wieder erleben – fest: Außer Ökosteuer und Diskussio-
nen um den Ausstieg aus der Kernkraft leisten und tun
Sie nichts. Gelegentlich sprechen Sie davon, dass Sie ir-
gendwann etwas vorlegen werden. Dann schreiben Sie
bei uns etwas ab, damit Ihre Bilanz nicht ganz so mäßig
aussieht. Die Umsetzung konkreter Dinge fehlt. Seit Ih-
rem Regierungsantritt ist nichts Konkretes passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das ist der Schluss, den man aus den Fakten ziehen
muss. Das halte ich Ihnen mit der gebotenen Deutlich-
keit vor.

Damit Ihre Bemühungen nicht ganz so blass aus-
sehen – das hat die Kollegin Flach ja zu Recht ange-
sprochen – , wird rechtzeitig einen Tag vor der Debatte
im Deutschen Bundestag ein Eckpunktepapier vorge-
stellt, das das Umweltministerium auf Verlangen noch
nicht einmal herausgibt. Ich weiß nicht, warum. Viel-
leicht haben Sie Angst, dass man es kritisch überschaut.
Jedenfalls bekommt man es auf Nachfrage einfach nicht.
Für eine Pressekonferenz reicht es aber. Dabei wird
dann wieder der Anschein erweckt, als würde man sich
intensiv mit den Problemen auseinander setzen.

Im Herbst letzten Jahres hat meine Fraktion den An-
trag eingebracht, dass die Fluglärmnovelle jetzt endlich
von Ihnen auf den Weg gebracht wird. Es gab keine
konkrete Reaktion darauf; es wurde nicht gehandelt.
Jetzt legen Sie ein schwammiges Eckpunkteprogramm
vor. Bei Nachfragen von Journalisten nach Details stell-
te sich heraus, dass der Minister keine Antworten geben
kann, weil das alles noch nicht durchgeprüft sei. Was
soll das denn? Sie müssen in diesem Bereich handeln
und dürfen nicht immer nur neue Sprechblasen produ-
zieren. Aber es passiert nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [F.D.P.])


Ich komme zu einem weiteren Punkt, der auch mit
dem Thema Umwelt und Gesundheit zusammenhängt.
Als die Grünen in Hessen noch in der Regierung waren,
haben sie sicherheitserhöhende Maßnahmen im Kraft-
werk Biblis verhindert. Jetzt, da sie nach dem Wechsel
der Regierung für Biblis nicht mehr direkt das Sagen
haben und sicherheitserhöhende Maßnahmen von der
neuen Landesregierung durchgesetzt werden, blockt das
Bundesumweltministerium diese Maßnahmen ab. Läuft
das auch unter dem Aspekt Gesundheitsschutz? Wer
sich ernsthaft mit diesen Problemen auseinander setzt,
kann doch sicherheitserhöhende Maßnahmen nicht ver-
hindern wollen. Genau das aber tut diese Bundesregie-
rung. Auch das gehört in diesen Kontext und das muss
man Ihnen ganz einfach einmal sagen.


(Christoph Matschie [SPD]: Erläutern Sie diese Wahrheit!)


– Nein, das, was Sie hier machen, ist nicht gut. Sie reden
nur und handeln nicht.


(Christoph Matschie [SPD]: Sie reden auch nur, Herr Lippold!)


Das kann man Ihnen so nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Christoph Matschie [SPD]: Das ist doch nur heiße Luft!)


Ich möchte auch noch einmal daran erinnern, dass
Sie, Frau Fischer, mit der Gesundheitsreform und der
Diskussion darüber im letzten Jahr wirklich keinen Bei-
trag dazu geleistet haben, dass die Menschen in dieser
Republik sich von Ihnen angenommen gefühlt haben
konnten und mit ihren Problemen von Ihnen ernst ge-
nommen werden. Nein, die hektische Vorlage eines un-
zureichenden Papiers, das viel mehr Bürokratie, für die
Menschen aber viel weniger Leistung in diesem wichti-
gen Bereich versprach,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist es!)


war ein Trauerspiel. Sie kamen hier mit einer unvoll-
ständigen Vorlage an, haben dann behauptet, wir hätten
alles beschlossen, und mussten hinterher eingestehen,
dass 20 Seiten gefehlt haben. Die Menschen können sich
doch gar nicht ernst genommen fühlen, wenn eine so
schlamperte Arbeit geleistet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das gehört auch in diesen Zusammenhang, wenn man
über Umwelt und Gesundheit diskutiert, und das kann
ich Ihnen nicht ersparen.


(Christoph Matschie [SPD]: Bei uns haben nur 20 Seiten gefehlt, bei Ihnen ganze Akten!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir
das Thema Umwelt und Gesundheit erörtern, sollten wir
uns einen Moment Zeit dafür nehmen, es nicht nur für
unser Land, sondern auch global zu betrachten. Es ist
sehr verdienstvoll, dass sich die Agenda 21 intensiv mit
dieser Problematik auseinander setzt und deutlich macht,
dass menschliche Gesundheit von einer gesunden Um-

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)







(A)



(B)



(C)



(D)


welt, von sauberem Wasser und einer ausreichenden
Menge an gesunden Nahrungsmitteln abhängt. „Wir
müssen die menschliche Gesundheit“, so heißt es dort,
„und die Gesundheit der Umwelt gleichermaßen pfle-
gen.“

Wir haben damals diese Agenda mit getragen und mit
dafür gesorgt, dass sie weltweit publik und zum Gegen-
stand von Programmen und Aktivitäten wird. Wir setzen
uns heute dafür ein, dass dieser Zusammenhang auch in
der bundesdeutschen Politik beachtet wird. Das heißt,
wir müssen globales Denken in unser lokales und bun-
desrepublikanisches Handeln Eingang finden lassen,
wenn es um den Aspekt von Umwelt und Gesundheit
geht.

Dabei muss man sehen, dass die Probleme global viel
gravierender als bei uns sind. Anderswo sind Menschen
durch Umweltschäden in wesentlich existenziellerer
Form bedroht, als es bei uns der Fall ist. Sieht man die
Chrombelastung im Wasser, weil in Gerbereien das
Abwasser nicht gereinigt wird und der Einsatz von be-
stimmten Stoffen nicht vermieden wird, wie es bei uns
der Fall ist, sieht man, welche Krankheiten die Men-
schen davontragen, weil das Wasser verunreinigt wird
oder weil Schlämme auf die Felder aufgetragen werden,


(Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


dann wird die Verpflichtung deutlich, dass wir hier nicht
nur an uns denken dürfen, sondern dass wir auch in glo-
balem Zusammenhang Visionen entwickeln müssen, wie
mit diesen Problemen umzugehen ist.

Deshalb stehen wir auch zu unseren internationalen
Verpflichtungen; das sage ich hier ganz deutlich. Dabei
denken wir daran, dass wir nicht nur national, sondern
auch global Luftschadstoffe eliminieren müssen. Hoch-
sensible Gebiete in der Arktis, hochsensible Biotopsys-
teme im nördlichen Kanada werden heute durch Luft-
schadstoffe beeinträchtigt, die an völlig anderen Stellen
der Erde produziert und emittiert werden. Dies zeigt,
dass sich lokales Handeln allein zum Schutze der Um-
welt nicht auszahlt, sondern dass wir global denken
müssen. Wir müssen also andere Visionen haben und
dürfen uns nicht nur in eingeschränkter Weise mit unse-
ren eigenen Problemen beschäftigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir vom Bereich der ultravioletten Strahlen

sprechen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass
wir den Schutz der Ozonschicht in der Stratosphäre nach
wie vor ungeheuer ernst nehmen müssen. Der Rat von
Sachverständigen für Umweltfragen führt zutreffend
aus, dass dieses Problem zwar jetzt noch nicht unser
Kernproblem ist, dass aber schon die Länder der südli-
chen Hemisphäre davon viel stärker betroffen sind. Wir
wissen, dass diese – aufgrund des Ozonlochs – erhöhte
UV-B-Strahlung in einem verstärkten, um nicht zu sa-
gen: in einem dramatischen Umfang Krebs auslöst und
Augenkrankheiten hervorruft. Damit wir hier zu wirk-
samen Problemlösungen kommen, müssen wir dafür
sorgen, dass der Technologietransfer in die Länder der
Dritten Welt wesentlich schneller stattfindet, als das bis-
lang der Fall war.

Dass wir in der Bundesrepublik beispielhaft gehan-
delt haben, indem wir im Vergleich zur internationalen
Gemeinschaft blitzartig aus der FCKW-Produktion aus-
gestiegen sind, war ein notwendiger Beitrag. Aber wenn
die anderen Länder FCKW weiterproduzieren, weil wir
den Technologietransfer nicht vorantreiben, dann wer-
den wir das Problem nicht lösen. Ich appelliere deshalb
dafür, dass wir dieses Problem nach wie vor im Auge
behalten. Wir müssen weltweit darauf achten, dass be-
sonders vulnerable und anfällige Gruppen wie Säuglinge
und Kinder besser geschützt werden, als das derzeit der
Fall ist.

Wo stehen wir in der Bundesrepublik Deutschland?
Ich glaube, dass 16 Jahre Umweltschutzpolitik in erheb-
lichem Maße Früchte getragen haben. In den vergange-
nen Jahren ist die Belastung der Bevölkerung hinsicht-
lich der Schadstoffkonzentrationen erheblich verrin-
gert worden. Wir haben die Konzentrationen von Koh-
lenmonoxid, Schwefeldioxid und Benzol, die
Konzentrationen von Schwermetallen wie Blei sowie
von Giften wie Arsen und Quecksilber um über
70 Prozent deutlich gesenkt. Das ist angesichts dessen,
was wir heute unter dem Aspekt Umwelt und Gesund-
heit diskutieren, ein ganz wesentlicher Fortschritt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir haben zum Schutz der Bevölkerung auch im Be-
reich der ionisierenden und nicht ionisierenden Strah-
lung fortschrittliche Rechtsvorschriften geschaffen. Die
geltenden Grenzwerte sind ausreichend. Dass wir sie
noch verbessern können, darüber müssen wir miteinan-
der diskutieren.

Ich habe die umweltpolitischen Maßnahmen nur kurz
skizziert. Ich bin nicht ausführlich auf die Maßnahmen
zum Gewässerschutz, zum Grundwasserschutz und zum
Bodenschutz eingegangen, die ein ganz wesentlicher
Punkt in diesem Bereich sind. International sind wir die
Ersten, die ein Bodenschutzgesetz geschaffen haben und
die damit die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet
haben. Diese Maßnahmen haben zwar zu einem hohen
Schutzniveau für die menschliche Gesundheit geführt –
die Belastung für die Menschen konnte erheblich redu-
ziert werden – , aber trotz dieses erreichten hohen
Schutzniveaus können Umweltfaktoren für sich allein
oder in Kombination mit anderen Faktoren zur Entste-
hung oder Verstärkung von Erkrankungen beitragen.

Der Zusammenhang, um den es hier geht, ist wissen-
schaftlich vielfach noch nicht hinreichend erforscht.
Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen uns fragen, wie
wir Umwelteinflüsse identifizieren können, wie wir eine
Beziehung zwischen Umwelteinflüssen und gesundheit-
licher Beeinträchtigung herstellen können und wie wir
aus der Kenntnis von Kombinationswirkungen lernen
können. Wir haben in diesem Bereich nach wie vor ei-
nen ganz erheblichen Nachholbedarf, obgleich wir in
Deutschland auf diesem Gebiet wesentlich mehr geleis-
tet haben als die anderen europäischen Länder.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU])


Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)







(A)



(B)



(C)



(D)


Trotzdem stehe ich zu der Verpflichtung, dass wir hier
weiterarbeiten müssen, weil der Schutz der Bevölkerung
ein solches Vorgehen erfordert.

Wann sind Umwelteinflüsse ein Gesundheitsrisiko?
Ich glaube, gerade diese Frage umfasst eines der heikels-
ten Probleme der genannten Themenkreise. Hier beginnt
und endet manchmal jede Diskussion. Manche Sachver-
halte stellen subjektiv ein hohes Risiko dar, obwohl sie
naturwissenschaftlich gesehen ein eher niedriges Risiko
darstellen – und umgekehrt.

Laien und Experten schätzen Risiken unterschiedlich
ein; denn ihren Einschätzungen liegen unterschiedliche
Rationalitäten zugrunde. Laien haben ein intuitives Risi-
koverständnis. Deshalb müssen wir heute in Sachen Ri-
siko zu mehr Transparenz kommen. Wir müssen Krite-
rien entwickeln, wie wir die Sachverhalte rationaler be-
werten können und wie wir sie der Bevölkerung rationa-
ler vermitteln können. Wenn wir den Menschen ihre bei
ihnen unbegründet produzierten Ängste nehmen – diese
Ängste können entstehen, weil Risikofaktoren in ihrer
Wirkung verzerrt dargestellt werden – , dann tragen wir
damit dazu bei, die Menschen vor gesundheitlichen Ge-
fahren zu bewahren; denn auch Angst kann ein Faktor
sein, um Krankheiten oder psychische Beinträchtigunen
auszulösen. Diese Beeinflussung wollen wir vermeiden.
Wir wollen den Menschen die Ängste nehmen und sie
nicht zusätzlich schüren.

In der Vergangenheit haben Sie in dieser Frage mit
verschiedensten Stoffkampagnen genau zum Gegenteil
beigetragen. Sie haben Risiken unendlich hoch ge-
puscht – das Wort „Pseudokrupp“ ist heute Morgen
schon gefallen – , Ängste instrumentalisiert, um be-
stimmte Dinge zu verhindern. Solange Sie nicht gegen
Kernkraftwerke waren, haben Sie im Umfeld von Koh-
lekraftwerken die Pseudokrupp-Debatte geschürt, bei
Menschen Ängste geschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Als Sie auf die Kernkraftdiskussion umgestiegen sind,
habe ich keinen mehr aus Ihren Reihen erlebt, der auf
diese Gefahr hingewiesen hat. Instrumentalisiert haben
Sie die Ängste, und das ist falsch, weil Sie den Men-
schen damit noch mehr Angst gemacht haben und sie
damit stärkeren gesundheitlichen Risiken ausgesetzt ha-
ben, als in der Sache selbst gegeben waren.

Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das muss an-
ders werden. Ich meine, dass wir stärker zusammenar-
beiten müssen, um zu Regelungen zu kommen, mit de-
nen wir diese Problematik zukünftig gemeinsam besser
lösen. Auch darin liegt eine Chance für die Bevölke-
rung, eine Chance für die Menschen in der Bundesrepu-
blik Deutschland.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409002000
Nun erteile ich der
Parlamentarischen Staatssekretärin Gila Altmann das
Wort.

Gi
Gisela Altmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409002100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier ist
so viel von Ängsten die Rede. Ich muss sagen, ich habe
am meisten Angst vor dem Halbwissen der Opposition,
so wie es sich heute Morgen dargestellt hat.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das müssen ausgerechnet Sie sagen! Das ist unglaublich!)


Die Politik macht sich ja so gerne für die Jugend
stark. In allen Politikfeldern reden wir heute von der Ju-
gend: bei den Arbeitsplätzen, beim Thema Bildung, so-
gar bei der Rente. Aber was tun wir eigentlich dafür,
dass die Kinder und Jugendlichen gesund bleiben? Hier
setzt das Projekt „Umwelt und Gesundheit“ an.

Zur Zeitrechnung von Herrn Lippold muss ich sagen:
Wir haben das Aktionsprogramm „Umwelt und Ge-
sundheit“ letzten Sommer vorgestellt. Wenn Sie ein hal-
bes Jahr brauchen, um es zu lesen, dann wundert mich
gar nichts mehr.

Die zunehmende Umweltbelastung trifft vor allem
Kinder und ihre Gesundheit. Kinder sind die Leidtra-
genden unseres ungebremsten Fortschrittsglaubens. Sie
sind weltweit besonders betroffen bei Umweltkatastro-
phen wie Überschwemmungen, Dürren und Hurrikans,
Frau Lengsfeld, die in der Häufigkeit auch Folge von
Umweltzerstörung sind.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Es hat aber schon früher Hurrikans gegeben!)


Das heißt, indem wir unsere Umwelt schützen, schützen
wir auch die Gesundheit unserer Kinder.

Die zunehmende Globalisierung trägt dazu bei, dass
die weltweiten Umweltbelastungen zunehmen und damit
auch das Tempo, in dem sich Krankheiten ausbreiten.

Das Sondergutachten des Rates der Sachverständigen
für Umweltfragen fordert, dass wir uns mit den Risiken
von Umwelteinwirkungen, deren Erkennbarkeit und
Einschätzung sowie den Strategien zum Schutz wie auch
insbesondere mit der Vorsorge stärker als bisher be-
schäftigen. Dabei geht es auch immer wieder um die
Frage des gesellschaftlichen Kontextes, also um die Fra-
gen: Wie viel Risiko kann oder will sich diese Gesell-
schaft leisten? Wo stehen Umwelt und Gesundheit in
Konkurrenz zu Wirtschaftswachstum, Beschäftigung
und menschlicher Bequemlichkeit?

Bei drei Problemfeldern sieht das Sondergutachten
zurzeit Risiken, die in dieser Gesellschaft unterschätzt
werden. Das sind die Probleme des Zusammenhangs
von Allergien und Umwelteinflüssen, die Belastung
durch ultraviolette Strahlung und die Belastung durch
Lärm.

Der Lärm ist heute schon ein paar Mal angesprochen
worden. Auch ich möchte bei diesem Beispiel bleiben.
Lärm, der akustische Abfall, ist in seiner Wirkung lange
Zeit dramatisch unterschätzt worden. Und, Frau Lengs-
feld, er schädigt auch dann, wenn er positiv wahrge-
nommen wird.

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)







(A)



(B)



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(Lachen der Abg. Vera Lengsfeld [CDU/CSU])


Bei Letzterem, dem so genannten Freizeitlärm, zum Bei-
spiel durch Walkmen oder in Discos, tut Aufklärung
Not. Das haben Sie ja bewiesen.


(Zustimmung des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Noch ein Wort, Frau Lengsfeld, zum Transrapid, dem
„Leisetreter“. Bei 400 Stundenkilometer – so war es ja
geplant – ist der Zug 93 dB (A) laut. Zum Vergleich:
Ein Presslufthammer erzeugt 95 dB (A).


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN/ und bei der SPD – Vera Lengsfeld [CDU/ CSU]: Und wie ist es beim ICE?)


Lärm beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität,
sondern erhöht den Stress. Ab einem Lärmpegel von
65 Dezibel – das wurde schon gesagt – steigt das Risiko
von Herz- und Kreislauferkrankungen, von Schwerhö-
rigkeit einmal ganz abgesehen. Besonders sensibel sind
die Nachtzeiten und die Aufweckereignisse, das heißt
die Anzahl der Momente, in denen der Schlaf gestört
wird.

All dies sind Erkenntnisse, die sich erst im Laufe der
letzten 30 Jahre durchgesetzt haben. So alt ist nämlich
das Fluglärmgesetz.

Frau Flach, ich finde es schon prickelnd, wenn Sie
von Aktionismus sprechen. Sie haben doch die Hände
jahrelang in unverantwortlicher Weise in den Schoß ge-
legt, obwohl Sie etwas hätten tun können. Wenn Sie von
Beteiligung reden, so muss ich sagen, dass wir als Op-
position in der letzten Legislaturperiode Anhörungen zu
diesem Thema erzwungen haben. Das hätten Sie in den
Protokollen nachlesen können. Das Desinteresse der
damaligen Regierung war offensichtlich. Es ist auch
klar, warum: Es war die Angst vor der eigenen Courage.

Denn obwohl dringend geboten, ist es nicht so ein-
fach, gegen Fluglärm vorzugehen. Da gibt es ökonomi-
sche Interessen, zum Beispiel die der Betreiber der
Flughäfen und derjenigen, die dort ihre Arbeitsplätze
haben. Wir müssen aber auch sehen, dass diesen öko-
nomischen Interessen volkswirtschaftliche Kosten, und
zwar in Milliardenhöhe, entgegenstehen. Es wird Zeit,
dass wir solchen Interessen stärker als bisher das Ruhe-
bedürfnis der Bevölkerung entgegenstellen. Das gilt ins-
besondere für alte Menschen, für Kranke und besonders
für Kinder als die verletzlichsten Mitglieder unserer Ge-
sellschaft. Die Bundesregierung nimmt das Grundrecht
auf körperliche Unversehrtheit und seine Umsetzung
sehr ernst. Wir haben das in der Koalitionsvereinbarung
festgeschrieben. Zurzeit wird ein Gesamtkonzept zum
Schutz vor Verkehrslärm erarbeitet. Dieses Konzept soll
die Basis für eine verbesserte Rechtsgrundlage bilden.

Frau Flach, auch hier haben Sie sich als sehr schlecht
informiert gezeigt, wenn Sie fordern, dass wir Schienen
schleifen sollen. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass wir
dies bereits tun. 1999 und 2000 haben wir 100 Milli-
onen DM im Haushalt des BMV für diese Lärmschutz-
maßnahmen eingestellt. Es wird etwas getan.

Es ist gut, dass das Eckpunktepapier zum Fluglärm-
gesetz vorliegt, das übrigens in nächster Zeit mit allen
Beteiligten, Frau Flach, intensiv diskutiert wird. Ihre
Bedenkenträgerei ist wirklich allzu durchsichtig.


(Zurufe von der F.D.P.: Oh!)

Das Gesetz soll unter anderem erstmalig einen allge-

meinen Nachtschutz in der Umgebung von Flughäfen
einführen und es soll an den Erkenntnissen der Lärm-
wirkungsforschung orientierte neue Grenzwerte für den
Fluglärm vorschreiben. Insofern bilden die vier Baustei-
ne – das TAB-Projekt, das gemeinsame Aktionspro-
gramm, das Sondergutachten und der vorliegende An-
trag der Regierungsfraktionen – eine gute Grundlage für
die weitere Arbeit in diesem Bereich. Dazu gehört auch
die Grundeinstellung, dass es nicht um partielle, sondern
um gemeinsame Interessen geht.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409002200
Ich erteile der Kolle-
gin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409002300
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Umwelt und Ge-
sundheit bedarf einer ganzheitlichen Betrachtungsweise.
Denn ohne Zweifel sind viele Ursache-Wirkungs-
Beziehungen, beispielsweise bei der multiplen Chemika-
lien-Überempfindlichkeit, noch unklar. Es existieren ei-
nige, in sich schlüssige Theorien. Es stehen allerdings
gesicherte Beweisketten noch aus. Gleichwohl gibt es
augenscheinlich diese Krankheit mit ihren Müdigkeits-
und Depressionsbildern, mit Symptomen wie schweren
Kopfschmerzen, Übelkeit, Konzentrationsstörungen und
anderes mehr.

Die Betroffenen leiden oft unermesslich. Deshalb
spielt es nicht nur für die Erkrankten, sondern auch für
die Gesellschaft eine untergeordnete Rolle, ob sie auf-
grund tatsächlich bestehender oder vermeintlicher Risi-
ken oder auch nur aufgrund der als bedrohlich empfun-
denen Gesamtsituation erkranken. Ihnen muss geholfen
werden.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber für die Politik ist das wichtig!)


Doch was sind die Ursachen für das rapide Anwach-
sen von Überempfindlichkeiten und Allergien? Bereits
bei der letzten Debatte über endokrine Stoffe habe ich
darauf hingewiesen: Trotz vieler Erfolge bei der Ver-
minderung von Schadstoffemissionen fungiert unser
Körper als Sammelstelle für die Nebenprodukte der
Wohlstandsgesellschaft. Einige Hundert, meist langlebi-
ge Chemikalien parken wir in unseren Organismen. Die
Umwelt wird mit Hunderttausenden von menschlich ge-
schaffenen Chemikalien bombardiert. Stress, Lärm und
Strahlungen, summarische oder Kreuzreaktionen bzw.
katalytische Wirkungen können die Toxizität oder

Parl. Staatssekretärin Gila Altmann






(A)



(B)



(C)



(D)


Schädlichkeit verstärken, schwächen oder sogar um-
wandeln.
Kurz gesagt: Der Cocktail ist etwas unübersichtlich ge-
worden.

Deshalb möchte ich zwei Ansätze des Aktionspro-
gramms „Umwelt und Gesundheit“ positiv hervorheben:
erstens die Interdisziplinarität, zweitens den Vorsorge-
gedanken.

Die Diskussion um aus der Umwelt stammende Ge-
sundheitsrisiken erfordert eine fundierte Risikobetrach-
tung. Auch da stimmen wir der Regierung zu. Denn
schließlich müssen aus der Flut von tatsächlich begrün-
deten Meldungen über neue Schadstoffe und Risiken auf
der einen Seite und dem sicher ebenso großen Strom von
Halbwahrheiten, interessengeleiteten Abwiegelungen
der Industrie und schließlich auch aus Wissenslücken re-
sultierenden widersprüchlichen Warnungen auf der an-
deren Seite konkrete Schlussfolgerungen gezogen wer-
den, die dann in der Umsetzung Geld kosten.

Bei alldem sollte aber nicht aus den Augen verloren
werden: Die Analyse steht nicht am Anfang. Dass bei-
spielsweise der ständig wachsende Verkehr mit seinen
Emissionen von Gasen, Feinstäuben und Lärm, mit sei-
nem Stresspotenzial und seiner Naturraumzerstörung ei-
ner der wichtigsten Risikofaktoren der Industriegesell-
schaft ist, liegt auf der Hand. Es gibt auch experimentel-
le Hinweise auf die schädliche Wirkung von Feinstäu-
ben aus Dieselmotoren für die Lunge und das Herz-
Kreislauf-System. Doch während Frau Fischer und Herr
Trittin am Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“
basteln, schnitzt Herr Klimmt an weiteren sechsspurigen
Autobahnen, die zusätzlichen Verkehr erzeugen werden.
Ich meine, das ist ein Witz. Gleiches gilt für die Lärm-
schutzprogramme, deren Erstellung schon meist nicht
finanzierbar ist, geschweige denn ihre Realisierung.

Wollen wir mit der Vermeidung von Verkehr so lan-
ge warten wie bei der von FCKW? Das Gutachten des
Sachverständigenrates dokumentiert ständig steigende
Zahlen von Hautkrebserkrankungen durch die Zerstö-
rung der Ozonschicht. Das ist die Quittung für fehlende
Vorsorge und leichtfertigen Umgang mit umweltrele-
vanten Chemikalien.

Leider habe ich keine Zeit mehr, etwas zu den Be-
rufskrankheiten zu sagen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da bleibt uns ja wenigstens etwas erspart! – Ulrike Flach [F.D.P.]: Machen Sie das im Ausschuss, Frau Bulling-Schröter!)


Niemand hier im Raum hat darüber gesprochen. Auch
zu den Opfern der unsäglichen Holzschutzmittelaffäre
kann ich nichts mehr sagen. Es ist ein großer Skandal,
dass diese Opfer nicht entschädigt wurden. Auch dafür
könnte noch etwas getan werden.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409002400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Michael Müller, SPD-Fraktion.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1409002500
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir sehen in der Debatte
über Umwelt und Gesundheit einen wichtigen Beitrag
zur Modernisierung des Gesundheitswesens. Wir hal-
ten es für dringend notwendig, dass wir – so wichtig das
ist – nicht nur über Kosten und Organisationsstrukturen
sprechen, sondern auch über die Frage der Inhalte, wie
unser Gesundheitssystem zukunftsfähig und modern
gestaltet werden und wie es den Menschen besser helfen
kann. Deshalb geht es hier um einen Ansatz, der die In-
halte der Gesundheitspolitik überdenkt und weiterentwi-
ckelt. Das halten wir für richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Entscheidend hierfür sind vor allem zwei Faktoren.
Der erste Faktor- ist die Veränderung in den Krank-
heitsbildern. Wir erleben immer häufiger unspezifische
chronische Krankheiten, die dann oftmals Türöffner für
weiter gehende, schwere und auch sehr teuer zu behan-
delnde Krankheiten sind. Der zweite Faktor ist, dass wir
gerade im Medizinsektor eine der wichtigsten Innovati-
onsbranchen der Zukunft sehen. Wir glauben, dass in
der Bundesrepublik große Chancen, auf diesem Markt
bestehen, insbesondere im europäischen Raum an der
Spitze zu sein.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Können Sie das noch einmal wiederholen? Ich habe das nicht verstanden!)


Deshalb ist es sehr wichtig, die Modernisierung des Me-
dizinsektors in allen ihren Facetten, von der technologi-
schen Seite, der wissenschaftlichen Seite und dem Ver-
hältnis Patient-Arzt insgesamt her, zu beleuchten und
das System, wo immer Schwachstellen sind, zu verbes-
sern. Wir sehen die Gesundheitsreform als einen Ein-
stieg hierfür, auf dem wir aufbauen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es kommt nicht von ungefähr, dass sich auch die
Umweltpolitiker für dieses Ziel interessieren. Denn, im
Kern ist in der Gesundheitspolitik eine ähnliche Denk-
weise wie in der Umweltpolitik erforderlich. Umweltpo-
litik ist auf Dauer nur erfolgreich, wenn wir von der
Nachsorge zur Vorsorge kommen.


(Beifall bei der SPD)

Dasselbe gilt in der Gesundheitspolitik. Wir brauchen
einen vorsorgenden Gesundheitsschutz oder, um es an-
ders auszudrücken, wir müssen – so wichtig sie bleibt –
weg von der Krankheitspolitik und hin zur aktiven Ge-
sundheitsförderung kommen. Um diese Veränderung
geht es.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist auch das, was die Weltgesundheitsorganisa-
tion im Hinblick auf die Aufstellung der Pläne Umwelt
und Gesundheit definiert hat, indem sie sagte: „Gesund-
heit müssen wir als Zustand des Wohlbefindens und
nicht nur als Zustand des Freiseins von Krankheit defi-
nieren.“

Eva Bulling-Schröter






(A)



(B)



(C)



(D)



(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die WHO hat schon viel Blödsinn geschrieben!)


Dies ist übrigens auch die Ansicht von modernen, weiter
blickenden Medizinern. Wir sollten uns sehr viel mehr
an diesen orientieren als an verkrusteten Ständeinteres-
sen, die leider allzu häufig blockieren und verhindern.
Um es mit Dietrich Grönemeyer zu sagen: „weg von der
Krankheitspolitik hin zur modernen Gesundheitspolitik“.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Man kann es Ihnen nicht oft genug sagen.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Mach es doch!)

Dies ist auch deshalb wichtig, weil wir dann, wenn

wir keine Modernisierung des Gesundheitswesens errei-
chen, in die Gefahr geraten, dass aufgrund der knappen
Mittel Selektionsmechanismen entstehen. Wir möchten
nicht, dass es am Ende heißt: Nur wer Geld hat, lebt län-
ger, weil er sich eine umfangreichere gesundheitliche
Versorgung leisten kann. Das darf nicht sein. Auch des-
halb wollen wir eine Modernisierung des Gesundheits-
systems. Diese Neuorientierung ist für uns ein Kernbe-
reich einer modernen Gesundheitspolitik.


(Abg. Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herrn Grill antworte ich nicht. Bei jedem anderen
würde ich das tun, bei Ihnen aber derzeit nicht. Da ha-
ben wir leider zu viele unangenehme Erfahrungen ge-
macht.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Das Gesundheitswesen ist aus unserer Sicht noch viel

zu sehr auf das Kranksein ausgerichtet. Wir wollen es
sehr viel stärker sowohl auf die Verbesserung der Um-
welt, um die Gesundheit zu erhalten, als auch auf die
Stärkung des Einzelnen – er soll wissen, was er tun
muss, um seine Gesundheit zu sichern und zu erhalten –
ausrichten.

Mit dieser Grundfrage hat sich auch der Sachverstän-
digenrat für Umweltfragen beschäftigt. In seinem Son-
dergutachten heißt es sinngemäß: Alle Krankheiten ge-
hen letztlich auf genetische Faktoren oder auf Faktoren
aus der Umwelt zurück; in der Regel sind es beide. – Für
uns ist es erschreckend, dass wir in der Zwischenzeit
Studien vorliegen haben, die zu dem Ergebnis kommen,
dass in der Bundesrepublik bis zu 25 Millionen Men-
schen auch aufgrund von Umweltfaktoren erkrankt
sind. Dies betrifft insbesondere Allergien, Atemwegs-
erkrankungen und Immundefekte. Das sind Zahlengrö-
ßen, angesichts deren wir nicht sagen können: Die sind
uns egal. Im Gegenteil: Das Fazit von Dietrich Gröne-
meyer: „Die Menschen sind zwar nicht richtig krank,
aber sie sind auch nicht richtig gesund“ ist richtig. Man
kann das auch so bezeichnen: Es gibt mehr und mehr ei-
ne Art Krankheit vor der Krankheit.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was sind das für Begrifflichkeiten? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das kapiert die CDU leider nicht!)


– Es ist schon interessant, dass Sie über so etwas lä-
cheln. Viele Gesundheitsexpertern führen darüber eine
sehr wichtige Debatte. Es wird gesagt: Wir dürfen nicht
nur über den Ausbruch von Krankheiten nachdenken,
sondern müssen vor allem auch über die Faktoren spre-
chen, die Vorschädigungen hervorrufen. Das ist übri-
gens auch für die Modernisierung des Gesundheitswe-
sens eine ganz zentrale Frage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich muss Ihnen sagen: Ihre Reaktionen scheinen mir
in einem eklatanten Widerspruch zu den Aussagen Ihrer
Redner, dass sie dieses Thema wichtig nehmen, zu ste-
hen. Wenn sie dies täten, müssten sie auch zu dieser Er-
kenntnis kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen über die Krankheit vor der Krankheit, al-
so über die Vorschädigungen, sprechen und alles dafür
tun, den Umfang der Vorschädigungen zu reduzieren.
Ich weise darauf hin, dass in der sehr lesenswerten Stu-
die „Med. in Deutschland“ steht:

Der alltägliche Medizinbetrieb steht dieser Ent-
wicklung oftmals konzeptionslos gegenüber.
Die Folgen sind: Ausgrenzung von Patienten, un-
geeignete kostentreibende Behandlungsmethoden
oder Psychiatrisierung von Kranken.

Deshalb sprechen wir über Vorschädigungen, also über
die Verursachung von Krankheiten, und nicht nur über
die Krankheit selbst. Das ist der Paradigmenwechsel, der
endlich in den Vordergrund gebracht werden muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Von daher ergeben sich für uns fünf wichtige Zielset-
zungen.

Erstens. Wir wollen eine systematische und umfas-
sende Erweiterung in der Bewertung von Krankheits-
ursachen erreichen.

Zweitens. Wir wollen vor allem die Immunologie als
wesentliches Instrument für Diagnostik und Therapie
stärken. Wir haben in Deutschland mit Paul Ehrlich in
der Immunologie eine Tradition. Wir sollten an dieser
Tradition sehr viel stärker ansetzen. Hierin liegt als drit-
te Säule eines Gesundheitssystems ein wesentlicher Fak-
tor, um vorsorgend Krankheiten bekämpfen zu können.
Ich hoffe, dass wir einer Meinung sind, dass der Ausbau
der Immunologie sehr wichtig ist.

Drittens. Wir wollen durch die Gestaltung von Ar-
beits- und Lebensumwelt sehr viel stärker erreichen,
dass Krankheiten möglichst vermieden werden.

Michael Müller (Düsseldorf)







(A)



(B)



(C)



(D)


Viertens. Wir wollen alles tun – da begrüßen wir das
Programm der Bundesforschungsministerin –, um Inno-
vationen in diesem Bereich zu forcieren. Wir haben mit
Freude die Ankündigung vernommen, dass es einen
Schwerpunkt Gesundheitsforschung geben wird.

Fünftens. Wir wollen natürlich die Patienten, die Be-
troffenen selbst, zu sehr viel mehr motivieren, denn
Selbsthilfe und Selbstverantwortung sind ein wesentli-
cher Teil aktiver Umwelt- und Gesundheitspolitik.

Meine Damen und Herren, der Medizinsektor ist eine
der wichtigsten Wirtschaftsbranchen. Direkt und indi-
rekt sind ungefähr zwölf Prozent aller Beschäftigten in
diesem Bereich tätig oder von ihm abhängig. In diesem
Bereich können wesentliche Innovationen und eine er-
hebliche Leistungsfähigkeit der Wissenschaft erreicht
werden. Deshalb möchten wir, dass die Bundesrepublik
auf diesem Feld Spitze bleibt. Wir haben leider in den
letzten Jahren vernehmen müssen, dass wir ins Hinter-
treffen geraten und etwas zurückgefallen sind. Deshalb
begrüßen wir die Anstrengungen, diesen Sektor zu stär-
ken, und fordern alle Beteiligten – Wirtschaft, Wissen-
schaft, Medizinorganisation, Patienten, Ärzte – auf, ein
Netzwerk für eine moderne Medizinpolitik in Deutsch-
land zu bilden.

Deshalb wollen wir auch, dass sehr viel mehr Mo-
dellprojekte im Bereich Umwelt und Gesundheit umge-
setzt werden. Es geht nicht, dass nur gesagt wird – wie
wir es in den letzten Jahren oft gehört haben –: Da muss
weiter geforscht werden. Wir haben inzwischen so viele
konkrete Anhaltspunkte, dass daraus endlich modellhaf-
te Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Das gilt auch für
MCS und CFS.


(Beifall bei der SPD)

Wir wollen den Abbau von Hemmnissen gegen Er-

neuerungen. Damit meine ich jetzt weniger den staatli-
chen Sektor als vielmehr die Standes- und Selbstorgani-
sation. Von Region zu Region erlebt man eine völlig un-
terschiedliche Offenheit gegenüber neuen Erkennt-
nissen. Es darf nicht sein, dass es vom Zufall abhängt,
ob man bestimmte Hilfen bekommt, nur weil man ent-
weder in Süddeutschland oder in Norddeutschland, in
Ost oder West lebt.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Im Gegenteil, es muss Teil der Volksgesundheit sein,
moderne Erkenntnisse auch anzuwenden, und zwar un-
abhängig davon, wo man wohnt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir wollen, dass die Ignoranz gegenüber neuen Er-
kenntnissen, die zum Teil vorhanden ist, beendet wird.
Es kann schon sein, dass sich manche in ihren Vorher-
sagen auch mal irren. Wer täte das nicht? Aber noch
schlimmer ist es, wenn man neue Erkenntnisse völlig
ignoriert und sie nicht zumindest einmal ernsthaft prüft
und aufgreift. Das verlangen wir auch und gerade in der
Gesundheitspolitik.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer
Zeit einzigartiger medizintechnischer und medizinver-
sorglicher Möglichkeiten. Ich weise nur darauf hin, dass
beispielsweise in den USA durch das Internet die Bera-
tungsintensität zwischen Medizin und Patient stark zu-
genommen hat. Wir haben mit solchen technischen
Möglichkeiten auch ganz andere Voraussetzungen, den
Kontakt zwischen Medizinern und Patienten zu verbes-
sern. Wir sollten so etwas nutzen.

Es darf auch nicht sein, dass die Beratung, die
Betreuung und die Fürsorge für Patienten reduziert
werden, weil die Ärzte keine Zeit haben oder weil ihre
Beanspruchung dies einfach nicht mehr zulässt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das alles soll mit immer weniger Geld geschehen? Das ist doch geradezu absurd!)


– Ich habe Ihnen doch gesagt, es wäre gewissermaßen
eine Chance, dies über solche Patienteninformationssys-
teme auszuweiten. Warum soll man das nicht versu-
chen? In anderen Ländern wird es gemacht. Wir können
die Bundesregierung – ich weiß, dass sie solche Über-
legungen auch hat – nur unterstützen. Es ist ein sinnvol-
ler Ansatz.

Wir möchten den Bereich immunologischer und
umweltmedizinischer Diagnostik ausbauen. Ich habe
eben schon davon gesprochen, dass für uns insbesondere
die Immuntherapie ein ganz wichtiger Ansatz ist.

Wir sehen darüber hinaus in dem technischen Fort-
schritt – insbesondere in miniaturisierten Verfahren, ins-
besondere in schonenden Operationsweisen – eine gro-
ße Chance, aus der Verbindung von Vorsorge, mehr Be-
ratung, Hightechmedizin und schonenden Behand-
lungsmethoden neue Vorteile für die Menschen zu errei-
chen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wenn Sie jetzt noch sagen würden, dass das nicht mehr Geld kostet, sind wir uns ja einig!)


– Ich komme jetzt dazu. Natürlich ist es richtig, dass
einzelne neue Behandlungsweisen teurer sind. Aber
durch die Umstellung auf eine solche moderne Medizin
werden erhebliche Kostenersparnisse erreicht. Das
muss man in einem Zusammenhang sehen. Es ist richtig,
dass nicht generell alles billiger wird – wer behauptet
das? –, aber in bestimmten Bereichen werden schwere
Krankheiten dadurch, dass wir mehr Vorsorge betreiben,
verhindert, was dann natürlich zu Kostenersparnissen
führt, insbesondere bei den zeitaufwendigen und sehr
kostenintensiven Behandlungsverfahren. Diesen Zu-
sammenhang muss man sehen.

Auch die Zeit, die für die Erbringung medizinischer
Leistung nötig ist, kann durch moderne Verfahren deut-
lich verkürzt werden. Auch das ist ein Ansatz für Kos-
tenreduzierung. Eine rein quantitative Betrachtung wird
uns nicht helfen. Und vor allem: Eine moderne Gesund-
heitspolitik hat die Chance, die Menschen zufriedener zu
machen. Das ist ein hohes Ziel unserer Politik.

Michael Müller (Düsseldorf)







(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409002600
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort dem Kollegen Kurt-Dieter
Grill, CDU/CSU-Fraktion.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1409002700
Herr Präsident! Mei-
ne Damen und Herren! Ich habe bei der Rede des Herrn
Michael Müller in Anbetracht des Szenarios, das er ge-
zeichnet hat, eine Frage stellen wollen, nämlich: Wie
bringt er – und manch andere, die hier geredet haben –
die Gefahrenbeschreibung in Einklang mit der Tatsache,
dass in der Bundesrepublik Deutschland die mittlere
Lebenserwartung stetig steigt? Denn das bestätigt die
Prognosen, die hinsichtlich der Gefährdung abgegeben
werden, nicht.

In der Bundesrepublik Deutschland hatten wir 1990
eine Situation, die das dramatisch deutlich gemacht hat:
Die mittlere Lebenserwartung in der ehemaligen DDR
lag um fünf bis zehn Jahre niedriger als die in den west-
lichen Industrienationen. Deswegen ist die letzte Frakti-
on, die in diesem Hause behaupten kann, es werde im
Zusammenhang mit Gesundheit und Umwelt nichts ge-
tan und die Menschen seien gefährdet, die Fraktion der
PDS.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Beifall des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Ich musste mich damals in Niedersachsen damit be-
schäftigen, wie wir 20 000 atemwegerkrankten Kindern
allein aus der Region Halle einen vierwöchigen Nord-
seeaufenthalt gönnen konnten, damit sie wieder eine
Perspektive bekamen.

Eine andere Bemerkung: In den Jahren 1982 bis 1984
haben wir eine Diskussion über die vom Kraftwerk
Buschhaus ausgehende Gefährdung der Menschen,
insbesondere der Kinder, geführt. In dieser Republik hat
damals eine Diskussion über Pseudokrupp stattgefun-
den – Klaus Lippold hat darauf hingewiesen –, in der
zum Ausdruck kam, dass man in Braunschweig, Helm-
stedt und darüber hinaus sogar Tote zu befürchten habe.
Das Kraftwerk Buschhaus läuft und kein Mensch redet
mehr über diese Frage.

Deswegen rate ich uns, die Dinge ernst zu nehmen,
sich aber davor zu hüten, Schreckensszenarien in dem
Maße zu entwickeln, wie das Herr Müller getan hat.
Denn dies steht im krassen Widerspruch zu unserer Le-
benserwartung. Herr Müller, man kann das Thema wich-
tig nehmen; man muss aber nicht all das wichtig neh-
men, was Sie heute gesagt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409002800
Kollege Müller, wol-
len Sie antworten?


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1409002900
Ich habe den
Eindruck, Herr Grill war in einem anderen Raum. Denn
ich habe gar kein Szenario gezeichnet,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


sondern über die Anforderungen an eine moderne Ge-
sundheitspolitik geredet.

Auch für uns ist es im Übrigen sehr erfreulich, wenn
das durchschnittliche Lebensalter steigt. Wer sollte et-
was dagegen haben? Was sind das für Alternativen, die
hier aufgezeigt werden sollen? Wir danken dafür, dass
diese technische Entwicklung das möglich gemacht hat.
Aber umgekehrt sage ich: Gerade weil wir wollen, dass
die Menschen älter und zufriedener werden und ein er-
fülltes Leben haben, müssen wir alles tun, um ihre Ge-
sundheit zu sichern. Eben dies wollen wir. Insofern:
Man sollte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409003000
Nun erteile ich noch
einmal dem Kollegen Klaus Lippold von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat was vergessen!)



Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1409003100
Es
macht euch richtig Spaß, dass ihr mich zweimal ertragen
müsst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will nur
noch einmal darauf hinweisen, dass wir jetzt das, was in
der Zeit Töpfer/Merkel begonnen wurde, fortsetzen wol-
len. Wir gehen also bei allem, was wir erreicht haben,
davon aus, dass nach wie vor Positionen gegeben sind,
an denen wir mit Erfolg weiterarbeiten müssen.

Wir haben beim Lärmschutz – das wollte ich noch
einmal spezifisch aufgreifen – über das Bundes-
Immissionsschutzgesetz, die Regelungen zum Arbeits-
schutz und das Bauplanungsrecht gute und entscheiden-
de Fortschritte erzielt. Ich will auch hinzufügen, dass
wir hinsichtlich der Reduzierung des Verkehrslärms ei-
niges vorangebracht haben, aber schlussendlich sehen
müssen, dass dieser heute immer noch ein ganz ent-
scheidender Faktor ist.

Wir haben zum Beispiel erreicht, dass die Flugzeuge
der neuen Generation mit aktivem Lärmschutz wesent-
lich leiser als die alten Maschinen sind. Wir sind so
weit, dass auf einigen Flughäfen fast ausschließlich die-
se modernen Flugzeuge und keine Flugzeuge nach Kapi-
tel 3 mehr landen dürfen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer?)


Dies sind alles Ansatzpunkte, die nach wie vor wei-
terentwickelt werden müssen; deshalb unser Antrag,
deshalb der Vorschlag einer ganzen Reihe von Punkten,
so – ich kann es Ihnen nicht ersparen – die Fertigstel-
lung und die Umsetzung der Fluglärmnovelle. Wir wol-
len auch eine Absenkung der Geräuschwerte für Kraft-

Michael Müller (Düsseldorf)







(A)



(B)



(C)



(D)


fahrzeuge. Wir wollen Geräuschgrenzwerte für Reifen
nach dem Stand der Technik. Wir wollen die Fortfüh-
rung – ich unterstreiche das noch einmal – der Sanierung
der bestehenden Lärmschutzwälle an Bundesstraßen und
natürlich auch an Schienenwegen. Da ich im Ballungs-
raum Frankfurt lebe, weiß ich doch, wo diese Probleme
bestehen und wie groß sie sind. Hier stellt sich nicht nur
die Frage des Lärmschutzes. Zusätzlich sind die Men-
schen von Erschütterungen betroffen. Hier müssen wir
nach wie vor Verbesserungen erzielen.

Frau Altmann, wir können nicht alles auf einmal. Wir
haben in den vergangenen Jahren viel erreicht und dass
hier nach wie vor Handlungsnotwendigkeiten bestehen,
ist gar nicht zu bestreiten. Wir brauchen die Reduzie-
rung von Geräuschemissionen von Maschinen. Das sind
alles Vorhaben, die wir noch umsetzen wollen.

Ich finde es gut, dass der Sachverständigenrat, der
sagt, der Lärm sei ein zentraler Punkt – weshalb wir hier
insbesondere ansetzen –, gleichzeitig aber auch andere
Positionen deutlich gemacht hat, nämlich dass sich auf-
grund der vorliegenden Datenlage Verdachtsmomente
nicht in der Form ergeben, wie sie bislang diskutiert
worden sind. Ich spreche von den hormonartig wir-
kenden Stoffen. Eine abschließende Bewertung der
Hypothese von der Störung des Hormonsystems von
Mensch und Tier durch Stoffe mit hormonähnlicher
Wirkung bedarf erst weiterer Grundlagenforschung, ins-
besondere stehen Untersuchungen zur Kombinations-
wirkung und Untersuchungen bezüglich der Aufnahme
von Phytoöstrogenen durch Säuglinge und Kleinkinder
noch aus. Dies ist ein ganz zentraler Punkt. Deswegen
brauchen wir ein nationales Forschungsprogramm zur
Erkenntnisgewinnung über die Auswirkungen hormon-
artig wirkender Chemikalien auf die menschliche Ge-
sundheit und auf Ökosysteme, ein internationales For-
schungs- und Arbeitsprogramm zur Fortentwicklung von
Prüfmethoden und die Bewertung einzelner Stoffe im
Rahmen des EU-Altstoffprogramms.

Ich will noch einmal deutlich machen: Wir brauchen
in diesem Bereich eine nüchterne Betrachtung und keine
Panikmache. Die Fortführung notwendiger Arbeiten ist
angesagt. Deswegen brauchen wir uns in diesem Bereich
gar nicht so weit auseinander zu reden. Wenn wir uns
darauf verständigen, dass wir Panikmache unterlassen
und nüchtern daran arbeiten, kommen wir einen ganz
erheblichen Schritt weiter.

Im Bereich bodennahes Ozon haben wir in unserem
Antrag eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht.
Auch das sind Punkte, von denen ich meine, dass wir
darüber sprechen müssen. Hier wollen wir weitergehen.

Einen Punkt – damit will ich schließen – möchte ich
besonders herausstellen. Wir haben mit den Allergien
ein neues Problemfeld in einer Größenordnung, die es
früher nicht gab. Das ist kein einfaches Problemfeld. Ich
halte es für wichtig, dass wir Maßnahmen zur Produkt-
kennzeichnung ergreifen, dass wir die Förderung der Al-
lergieforschung mit dem Ziel fortführen, Risikozu-
sammenhänge offen zu legen, und auch – das haben wir
begonnen – die Informationsarbeit von Selbsthilfegrup-
pen mit dem Ziel fortsetzen, den Selbstschutz zu för-

dern. Die Aufklärung von Betroffenen durch Betroffene
muss dabei eine ganz eminente Rolle spielen.

Das heißt, in all diesen Punkten besteht noch erhebli-
cher Handlungsbedarf. Ich glaube, das ist auch für Sie
Anlass genug, unseren Antrag zu prüfen. Wir selbst
werden ihn noch einmal systematisch mit Sachverstän-
digen erörtern. Wir werden ihn noch einmal unter Hin-
zunahme von Experten prüfen, weil wir meinen, in die-
sem Punkt ist noch mehr Sachverstand gefragt, als bis-
lang eingebracht wurde. Wir werden hier sehr sorgfältig
vorgehen und weitere konkrete Schritte vorschlagen, wie
wir auf diesem für den Schutz der Bevölkerung ganz
maßgeblichen Weg, weitergehen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will aber deutlich machen, dass wir gerade jetzt

diesen Weg zuversichtlich gehen können. Es gibt, wie
Kurt-Dieter Grill eben betont hat, klassische Kennzei-
chen dafür, dass wir Erfolge hatten. Wenn wir den Men-
schen vermitteln, dass sie nicht mit Pessimismus, son-
dern mit Optimismus in die Zukunft blicken können, ist
das eine wesentliche Grundlage. Menschen, die lachen
können, werden wesentlich seltener krank.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409003200
Ich erteile der Kolle-
gin Ulrike Höfken vom Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409003300
Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her-
ren! Ich weiß nicht, ob ich bei dem Beitrag, den wir
vonseiten der CDU gehört haben, lachen oder weinen
soll.


(Ulrike Flach [F.D.P.]: Lachen!)

– Ich halte das Lachen für gesünder. Mich erstaunt, dass
ausgerechnet die Frau Kollegin Vera Lengsfeld uns und
der Bevölkerung Verfolgungswahn vorwirft.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Das habe ich gar nicht gesagt!)


Ich glaube, wir sollten einmal über umweltbedingte Er-
innerungslücken sprechen. Denn vor nicht allzu langer
Zeit war sie noch Vertreterin der ökologischen Kinder-
rechte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Ich meine, Herr Lippold hat uns dankenswerterweise
gesagt, was Sie alles vorhatten und nicht getan haben.

Ich finde, das Thema ist in vieler Hinsicht sehr ernst.
Manchmal drängt sich mir auch der Eindruck von Zy-
nismus bei dieser Debatte auf.

Vor 23 Jahren ist ein 12-jähriges Mädchen an den
Folgen einer Vergiftung durch das Holzschutzmittel ge-
storben, das ihre Eltern unwissenderweise in ihrem Haus

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)







(A)



(B)



(C)



(D)


verstrichen hatten. Nach diesem Vorfall im Jahr 1977
hat es bis 1989 gedauert, bis PCP als Holzschutzmittel
verboten wurde. Es hat eine Unmenge von Geschädigten
sowie einen wirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe
für Wirtschaft, Gesundheitswesen und die Volkswirt-
schaft insgesamt gegeben.

Noch zu Zeiten der alten Bundesregierung hat es im
BML ein Gutachten – es war kein bösartiges und hyste-
risches dieser neuen Regierung – über Kosten und Nut-
zen von Pestiziden gegeben. Dieses benennt beispiels-
weise – an die Seite der CDU gerichtet, die nach den
Kosten und Nutzen fragt – die Kosten des Schutzes vor
sowie der Beseitigung und Vermeidung von Pestiziden,
die diese Gesellschaft aufbringt, mit etwa 240 Mill-
ionen DM jährlich. Das Gutachten nennt aber auch ein
erhöhtes Krebsrisiko bei den Arbeitern sowie Nerven-
schädigungen bei den Anwendern. In den ländlichen
Haushalten sind Pestizidgehalte im Hausstaub zu finden,
von dem gerade die auf dem Boden herumkrabbelnden
Kinder betroffen sind. All diese Probleme wurden von
Ihnen, von der alten Bundesregierung, das heißt von
CDU/CSU und F.D.P., über Jahre verschleppt und igno-
riert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch im Fall der Pestizide haben wir eine Odyssee
für die Betroffenen sowie Kosten in Milliardenhöhe zu
verzeichnen. Diese Bundesregierung beginnt mit einem
Paradigmenwechsel. Sie beginnt mit einem neuen An-
satz von Gesundheits- und Umweltpolitik, in den die
Arbeitswelt mit einbezogen ist. Bei diesem Paradig-
menwechsel wird deutlich: Man hört auf mit der Einzel-
betrachtung, zum Beispiel der Betrachtung, wie der
Wirkstoff, das Pestizid auf die einzelne Erdbeere im
Hinblick auf die menschliche Gesundheit wirkt, und
fängt an, den Menschen bzw. das Kind an sich und seine
Umwelt zu betrachten. Im Nahrungsmittelsektor wird
beispielsweise nicht mehr das Einzelprodukt, sondern
der Warenkorb betrachtet. Der ganzheitliche Ansatz ist
eine völlig andere Vorgehensweise, die auch Sie, werte
Kollegen von der Opposition, in Ihrem Antrag aufge-
griffen haben. Wir werten dies als Unterstützung.

Das ist ein sehr anspruchsvolles Arbeitsprogramm,
wie meine Kollegen von der SPD es schon gesagt haben,
das Schritt für Schritt umgesetzt werden soll. Es bedeu-
tet erstens die systematische Erfassung umweltbedingter
gesundheitsschädigender Faktoren, die bislang nicht in
einer vernünftigen Form – es wurde von Datenfriedhö-
fen gesprochen – vorhanden war, zweitens die Bewer-
tung auf der Grundlage der neuen Erkenntnisse und drit-
tens die Ableitung entsprechender zielorientierter Maß-
nahmen für die Politik. Dies bedeutet, das Vorsorge-
prinzip wird zum Grundprinzip von Umwelt- und Ge-
sundheitspolitik wird. Es ist keinesfalls so, dass wir die
anderthalb Jahre der rot-grünen Regierung damit ver-
bracht hätten, die alten Unterlagen von Frau Merkel zu
lesen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Geschadet hätte es Ihnen nicht!)


Nein, es hat bereits entscheidende Schritte gegeben.
Mit der Gesundheitsreform ist das Vorsorgeprinzip wie-
der an seine bedeutende Stelle gerückt worden. Es hat
zum Beispiel beim TBT ein entsprechendes Verbot ge-
geben. Das war kein Aktionismus, sondern ein entspre-
chender Antrag wurde im Umweltausschuss schon vor
über einem halben Jahr formuliert. Darin wird die Bun-
desregierung aufgefordert, differenzierte Maßnahmen in
diesem Fall zu ergreifen. Das hat sie natürlich getan.
Auch die Zulassung von BT-Mais ist ein Schritt dieser
Bundesregierung. Der hat sehr wohl konkrete umweltpo-
litische und gesundheitliche Gründe. Das sind hand-
lungsbezogene und programmbezogene Reaktionen, die
einen vernünftigen Ansatz bieten, um Umwelt und Ge-
sundheit in diesem Land zusammenzubringen und Kon-
zepte für die Menschen umzusetzen damit, sie eben
nicht krank, sondern gesund alt werden können.

Vielen Dank

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409003400
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vor-
lage auf Drucksache 14/2300 an die auf der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der An-
trag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 14/2767
und der Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/2771 sollen an dieselben
Ausschüsse überwiesen werden, wobei der Antrag auf
Drucksache 14/2767 nicht an den Ausschuss für Tou-
rismus und der Entschließungsantrag auf Drucksache
14/2771 nicht an den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend überwiesen werden sollen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe damit Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

Hermann Gröhe, Dr. Heiner Geißler, Monika
Brudlewsky weiterer Abgeordneter und Fraktion
der CDU/CSU Verfolgung von Christen in al-
ler Welt.

– Drucksachen 14/1279, 14/2431 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für

die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion.


Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1409003500
Herr Präsident! Sehr
geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Die heutige Debatte über unsere Große Anfrage
und die Antwort der Bundesregierung bietet uns erst-
mals die Gelegenheit, im Bundestag über die Lage dis-
kriminierter und verfolgter Christen in aller Welt zu re-
den. Immer wieder haben wir – auch in den letzten Ta-
gen noch – erschütternde Nachrichten über zerstörte
Kirchen und misshandelte und ermordete Christen erhal-

Ulrike Höfken






(A)



(B)



(C)



(D)


ten. Erst vorgestern ging die erst jetzt bekannt geworde-
ne Hinrichtung von Missionaren im kommunistischen
Nordkorea im November des vergangenen Jahres durch
die Zeitungen.

Unsere Große Anfrage zielt auf eine systematische
und differenzierte Aufarbeitung dieses Themas insge-
samt ab. Ausgangspunkt unserer Arbeit – hier befinden
wir uns in völliger Übereinstimmung mit der Antwort
der Bundesregierung – ist unser Einsatz für die Religi-
onsfreiheit generell. Deshalb passt es durchaus in die
heutige Debatte, wenn wir im Vorfeld des Besuchs von
Bundesaußenminister Fischer im Iran gemeinsam deut-
lich machen, dass die jüngste Verkündung bzw. Bestäti-
gung von Todesurteilen gegenüber Bahi im Iran nicht
hingenommen werden kann. Der Reformkurs im Iran ist
nur glaubwürdig, wenn endlich mit der unerträglichen
Verfolgung der Bahi Schluss gemacht wird.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir treten für verfolgte Anhänger gleich welcher re-

ligiösen oder weltanschaulichen Überzeugung ein.
Zugleich sagen wir aber auch sehr deutlich: Angesichts
der christlichen Prägung unserer politischen Kultur füh-
len wir uns verfolgten Christen in besonderer Weise
verbunden und zur Solidarität verpflichtet. Ich stelle er-
freut fest, dass sich die Bundesregierung – wie es in ih-
rer Antwort heißt – durch „die zahlreichen und häufig
engen Kontakte der deutschen Zivilgesellschaft mit be-
drängten Christen in aller Welt ... in besonderer Weise
gefordert (sieht), sich weltweit gerade auch für verfolgte
Christen einzusetzen“.

Ich hebe diese Erwähnung des Engagements ver-
schiedener Gruppierungen aus dem kirchlichen
Raum und aus Menschenrechtsorganisationen auch
deshalb besonders hervor, weil ihrer tätigen Solidarität
unser aller Anerkennung gelten sollte. Es sollte diesen
Gruppen Mut machen zu hören, dass sie mit ihrem Ein-
satz zur Ausrichtung der Politik unseres Landes beitra-
gen können.

Ich nenne weitere wichtige Punkte der Übereinstim-
mung. Wir teilen die Auffassung, dass staatliches Vor-
gehen gegen die Religion im Namen einer Ideologie
insgesamt abgenommen hat.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Sie werden mir diese Bemerkung erlauben: Angesichts
der Tatsache, dass Antikommunismus noch vor gar nicht
langer Zeit bei vielen in Politik und auch in den Kirchen
nahezu als eine völlig abwegige Geisteshaltung galt,
verdient es eine Hervorhebung, dass die rot-grüne Bun-
desregierung ausdrücklich – ich zitiere – den „Zerfall
des kommunistischen Machtblocks in Osteuropa“ als
wesentliche Ursache für diesen Zugewinn an Freiheit
nennt.

Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass noch
immer in Ländern wie der Volksrepublik China, in
Nordkorea und in Vietnam eine Religionspolitik wirk-
sam ist, die von der kommunistischen Vorstellung von
Religion als „Opium für das Volk“ geprägt ist. Noch
immer werden in China romtreue Katholiken und An-

hänger protestantischer Hauskirchen vielfach gezwun-
gen, ihren Glauben weitgehend im Untergrund zu leben,
werden Prediger und Priester nicht registrierter Gemein-
den schikaniert und inhaftiert. Erst vor zwei Wochen
wurde ein über 80-jähriger Untergrundbischof erneut in-
haftiert, der bereits 30 Jahre in chinesischen Gefängnis-
sen verbracht hat. Dabei sind auch in dieser Menschen-
rechtsfrage in der Volksrepublik China erhebliche regi-
onale Unterschiede festzustellen. So herrscht in der ei-
nen Region nahezu vollständige Freiheit für die An-
hänger der verschiedensten Religionsgemeinschaften,
während in anderen Regionen Religionsgemeinschaften,
in Sonderheit die nichtregistrierten, Terror und Schika-
nen erleiden müssen.

Angesichts dieser Situation in China reicht es nicht
aus, wenn in der Antwort der Bundesregierung lediglich
festgestellt wird, dass seitens der Volksrepublik China
oder auch Vietnams wenig Bereitschaft bestünde, Fra-
gen der Religionsfreiheit ernsthaft zu erörtern, und dass
den Botschaften der Kontakt zu nicht registrierten Reli-
gionsgemeinschaften untersagt sei. Wir müssen nicht zu-
letzt im Vorfeld der Sitzung der UN-Menschen-
rechtskommission in Genf alles versuchen – wir werden
über dieses Thema noch anhand anderer Anträge zu dis-
kutieren haben – , um dem Thema Religionsfreiheit in
China zu größerem Gewicht zu verhelfen. Ich nenne ne-
ben den genannten christlichen Gruppen auch die Mus-
lime in Xinjiang, die Falun-Gong-Bewegung oder die
anhaltende Zerstörung der religiösen Kultur in Tibet.

Sicherlich stimmt es, – davon ist in der Antwort die
Rede, – dass der nichtstaatliche Druck auf Christen
ein wachsendes Problem ist. Auch 1999 – dies hat der
zuständige UN-Sonderberichterstatter festgestellt – ist
ein Anwachsen des religiösen Extremismus zu konsta-
tieren. Zu nennen ist hier etwa ein militanter Hindu-
Nationalismus, der seit der Regierungsübernahme der
Partei BJP zu einem dramatischen Anstieg der Aus-
schreitungen gegen christliche Kirchen in Indien geführt
hat. Dabei will ich die Bemühungen auch indischer Re-
gierungsstellen, dieser Gewalt entgegenzutreten, oder
insbesondere die erfreulich klaren kritischen Worte in
der indischen Presse im Hinblick auf diese Vorkomm-
nisse nicht unerwähnt lassen.

In der Antwort wird zu Recht festgestellt, dass religi-
öse Konflikte häufig mit ethnischen und sozialen Kon-
flikten verbunden sind. Sicherlich geht es im Sudan ganz
zentral um den Konflikt zwischen dem arabisch gepräg-
ten Norden und dem afrikanisch geprägten Süden, aber
es sind eben auch entscheidende Kräfte in diesem Land,
die nicht nur gegen die Christen im Süden, sondern etwa
auch gegen für abtrünnig erklärte Muslime in den Nuba-
Bergen einen „heiligen Krieg“ führen.

In der Antwort wird gesagt, dass die gewalttätigen
Auseinandersetzungen in Indonesien zwischen Christen
und Muslimen, wie wir sie vor allem auf den Molukken
erleben, das Resultat einer „gestörten Balance“ zwischen
diesen Bevölkerungsgruppen sind. Es muss aber auch
erwähnt werden, dass diese Balance durch Jahrzehnte
einer unverantwortlichen Transmigrationspolitik der in-
donesischen Machthaber zerstört wurde. Lauter werden-
de Hasstiraden der Führer einer islamistischen Minder-

Hermann Gröhe






(A)



(B)



(C)



(D)


heit müssen uns ebenso besorgt machen wie die vielfäl-
tigen Schikanen, denen christliche Gemeinden ausge-
setzt sind, wenn sie etwa versuchen, zerstörte Kirchen
wieder aufzubauen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Hoffnungen vieler Christen in Indonesien beruhen
nicht zuletzt auf dem muslimischen Staatspräsidenten
Wahid, der sich vielfach für ein gutes Miteinander der
unterschiedlichen Religionen eingesetzt hat.

Wenn wir mit großer Sorge ein Anwachsen der Dis-
kriminierung und die Verfolgung von Christen in einer
Reihe islamisch geprägter Länder betrachten, dann geht
es nicht um eine fragwürdige Verallgemeinerung.
Aber die Sorge um den Vorwurf, neue Feindbilder zu
schaffen, darf auch nicht dazu führen, dass zu Verfol-
gungstatbeständen in Afghanistan, in Saudi-Arabien
oder in Pakistan nicht deutlicher Klartext gesprochen
wird. Hier sehe ich weiteren Diskussionsbedarf. So
wirkt es aus meiner Sicht nahezu verharmlosend, wenn
die Bundesregierung in ihrer Antwort meint, die nach
traditioneller Auslegung der Scharia Muslimen, die
Christen werden, drohende Todesstrafe stelle eine „eher
hypothetische Gefahr“ dar, von Todesurteilen sei seit
vielen Jahren nichts bekannt.

Im Gegensatz dazu stellt der bereits erwähnte Son-
derberichterstatter der Menschenrechtskommission der
Vereinten Nationen, Amor, der in der Antwort verschie-
dentlich zitiert wird, fest, es komme

… in den muslimischen Ländern in der Praxis rela-
tiv häufig vor, dass Menschen hingerichtet werden,
weil sie vom islamischen Glauben abgefallen sind.

Bis heute sitzt der 30-jährige Ayub Masih in einem
pakistanischen Gefängnis, nachdem er im April 1998
wegen angeblicher Beleidigung des Propheten Moham-
med zum Tode verurteilt worden ist. Auch weitere To-
desurteile der letzten Jahre, die in Pakistan unter ande-
rem gegen ein 14-jähriges Kind wegen Blasphemie ver-
kündet wurden, verbreiten Schrecken und Entsetzen un-
ter der christlichen Minderheit in diesem Land, auch
wenn die Urteile später aufgehoben wurden.

1994 fand man einen protestantischen Pastor in einem
Vorort Teherans ermordet auf, nachdem sein Todesurteil
aufgrund internationalen Drucks zuvor aufgehoben und
er freigelassen worden war.

Auch der familiäre und soziale Druck ist häufig
lebensbedrohlich, ja tödlich. So wurde 1997 eine
22-jährige Pakistanerin von ihrem eigenen Bruder er-
mordet, weil sie sich für den christlichen Glauben inte-
ressierte.

Für problematisch halte ich es, wenn in der Antwort
der Bundesregierung zur Lage der Christen in den isla-
mischen Ländern erklärt wird, „lediglich missionarische
Aktivitäten“ würden „von den meisten islamischen Staa-
ten“ – wie es weiter heißt – „konsequent unterbunden“;
denn das Grundrecht auf Religionsfreiheit umfasst, wie
es in Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschen-
rechte ausdrücklich heißt,

… die Freiheit, seine Religion oder seine Weltan-
schauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine
Religion oder seine Weltanschauung allein oder in
Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat
durch Unterricht, Ausübung, Gottesdienst und Be-
achtung religiöser Bräuche zu bekunden.

Mir erscheint auch ein deutliches Wort zur schwieri-
gen Lage der Christen in der Türkei notwendig. Be-
reits seit 1923 können keine neuen Kirchengebäude in
der Türkei errichtet werden. Immer wieder wird kirchli-
ches Eigentum enteignet, insbesondere das der arme-
nisch-orthodoxen Kirche. 1998 war auch eine katholi-
sche Gemeinde am Bosporus von einer größeren Grund-
stücksenteignung betroffen. Die seit 1971 anhaltende
Schließung des griechisch-orthodoxen Theologischen
Seminars und das erst 1997 erlassene Verbot, die arme-
nische Sprache an die nachwachsende Generation wei-
terzugeben, bedrohen die Existenz christlicher Religi-
onsgemeinschaften in der Türkei.


(Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Für uns ist es selbstverständlich, dass wir uns zum
Recht der in Deutschland lebenden Muslime, auch der
Türken und der deutschen Staatsangehörigen türkischer
Abstammung auf Ausübung ihrer religiösen Bräuche be-
kennen. Eine andere Große Anfrage der Unionsfraktion
zielt hier auf weitere Verbesserungen in unserem Land.
Aber wir erwarten auch, dass der Weihnachtsbotschaft
von Staatspräsident Demirel im vergangenen Jahr end-
lich ein Ende der Diskriminierung von Christen in der
Türkei folgt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In der Antwort der Bundesregierung auf die letzte

Frage heißt es:
Es herrscht kein Mangel an Aufmerksamkeit für
das Thema der Religionsfreiheit.

Dem hat beispielsweise die Deutsche Evangelische Alli-
anz ausdrücklich widersprochen. Auch die Deutsche
Kommission Justitia et Pax hat festgestellt, dass sich im
Hinblick auf die Lage der verfolgten Christen der Ein-
druck verstärke, „dass sie in der internationalen Staaten-
gemeinschaft keine ausreichende Lobby haben“.

Wenn die Bundesregierung auf den vom US-
Außenministerium jährlich veröffentlichten Bericht zur
Religionsfreiheit hinweist, dann muss erwähnt werden,
dass dieser Bericht erstmals im September 1999 erschien
und das Resultat einer überparteilichen Initiative, des
„International Religious Freedom Act“, im amerikani-
schen Kongress war, die eine für unzureichend gehalte-
ne öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema zum
Anlass hatte.

Ich hoffe, dass die Konsequenzen, die wir aus den
gewonnenen Erkenntnissen ziehen und die wir diskutie-
ren müssen, dazu beitragen werden, höhere Aufmerk-
samkeit für dieses Thema zu erzielen, und dass sie dazu
beitragen, den Einsatz für Religionsfreiheit und nicht zu-
letzt für verfolgte Christinnen und Christen generell zu

Hermann Gröhe






(A)



(B)



(C)



(D)


einem Markenzeichen westlicher, vor allem deutscher
Menschenrechtspolitik zu machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409003600
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Karin Kortmann von
der SPD-Fraktion das Wort.


Karin Kortmann (SPD):
Rede ID: ID1409003700
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Wenn wir uns in dieser Debatte mit
der Verfolgung von Christen befassen, dann tun wir dies
in der tiefsten Überzeugung, dass wir auch 52 Jahre
nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte vom Dezember 1948 weiterhin
große Anstrengungen unternehmen müssen, um allen
Menschen gleiche und unveräußerliche Rechte zu garan-
tieren und um für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in
der Welt einzutreten.

Der Grundgedanke der Menschenrechtserklärung
setzt eine geschwisterliche Gleichheit voraus, die jegli-
che Unterscheidung, etwa nach Rasse, Farbe, Ge-
schlecht, Sprache, politischer oder sonstiger Überzeu-
gung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Ge-
burt oder sonstigem Status, generell verbietet; dazu ge-
hört eben auch das Verbot jeglicher Unterscheidung
nach der Religion. Das bedeutet, dass jede Religion das
Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
hat. Das gilt für Christen und für Yeziden ebenso wie für
Aleviten, Sikhs, die Zeugen Jehovas oder muslimische
Ahmadis.

Ich begrüße es ausdrücklich, dass sich die Bundesre-
gierung in gleicher Weise und mit gleicher Intensität für
die Glaubensfreiheit aller Religionen, aller religiösen
Gruppen und für die Opfer religiöser Verfolgung und
Diskriminierung unabhängig von ihrer religiösen Zuge-
hörigkeit einsetzt; denn nur das Eintreten für weltweite
Religionsfreiheit und für Menschen aller Religionen
verdient das Prädikat der Glaubwürdigkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Religionsfreiheit umfasst die Freiheit, seine Religion
oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die
Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung „al-
lein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder
privat durch Unterricht, Ausübung, Gottesdienst oder
Beachtung religiöser Bräuche zu bekunden“. Das wissen
wir.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben nach Angaben
der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte
Millionen von Menschen ihr Leben aus religiösen Grün-
den verloren und zahlreiche Menschen wurden aus reli-
giösen Gründen in Haft genommen, misshandelt, ver-
trieben und verfolgt. Kollege Gröhe hat dafür sehr an-
schauliche Beispiele benannt.

Zahlen von jährlich aus Religionsgründen verfolgten
oder ermordeten Christen sind jedoch schwer verifizier-
bar, wenn man sich nicht allein auf Schätzungen der
Deutschen Evangelischen Allianz verlassen will – sie
steht nicht jedem so nahe, wie Ihnen, Herr Gröhe –,
zumal es sich oftmals um ein Bündel von politischen,
ethnischen, sozialen und religiösen Gründen handelt,
warum diese Menschen Opfer von Gewalt wurden.

Christenverfolgung ist heute nämlich nicht mehr die
Konfrontation von Kirche mit einem heidnischen oder
atheistischen Staat, sondern vorwiegend Folge des En-
gagements von Christen, ihres Aufstehens gegen die
Verletzung von Menschenrechten. Christen treten für
Minderheiten ein, für Schwache und für Rechtlose, für
diejenigen, deren Menschenrechte verletzt werden. Sie
treten als Fürsprecher für Demokratie ein. Sie organisie-
ren sich in Friedenskomitees oder in kirchlichen Men-
schenrechtsprogrammen und setzen sich zusammen mit
anderen für Verständigung und Versöhnung ein.

Eines der vielen uns bekannten Beispiele für dieses
Engagement war das Wirken des brasilianischen Bi-
schofs Dom Helder Camara – er ist der Begründer der
„Theologie der Befreiung“ –, der die christliche „Option
für die Armen“ als Sinnbild einer sich dem Menschen
zuwendenden Kirche, eines Christentums, das sich be-
dingungslos an die Seite der arbeitenden Bevölkerung
stellte, verstand und die produktive Spannung zwischen
der Verkündigung des Evangeliums und der politischen
Verantwortung und der Lebenswirklichkeit von Christen
in Lateinamerika hervorrief.

Er sagte – ich zitiere wörtlich –:
Wenn ich den Armen zu essen gebe, nennen sie
mich einen Heiligen. Wenn ich frage, warum die
Armen nichts zu essen haben, dann schimpfen sie
mich einen Kommunisten.

(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: So ist es heute noch!)

Die Ursache für die Verfolgung von Menschen christli-
chen Glaubens liegt darin, dass sie sich nicht mit gege-
benen ungerechten Realitäten zufrieden geben, sondern
die System-, Zugangs- und Verteilungsfrage stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dennoch gibt es in Lateinamerika keine Verfolgung
von Christen, wie die Antwort der Bundesregierung
richtig wiedergibt und wie auch die evangelische Kir-
che, die katholische Kirche, Misereor, Brot für die Welt
und Justitia et Pax bestätigen. Auch in den mittel- und
osteuropäischen Staaten und in den GUS-Staaten wä-
re es nach Ansicht des katholischen Hilfswerks Renova-
bis übertrieben, von einer Verfolgung von Christen oder
von christlichen Kirchen zu sprechen. Sehr wohl benen-
nen sie Behinderungen bei der Ausstellung von Arbeits-
erlaubnissen für Priester in Belarus, benennen Schikanen
bei der Visa-Erteilung und bei der Genehmigung von
Aufenthaltserlaubnissen für ausländische Priester und
Ordensleute in Russland.

Hermann Gröhe






(A)



(B)



(C)



(D)


Anders verhält es sich dagegen beispielsweise in
Ägypten. Die dortige koptische Kirche weist immer
wieder auf ihre umfassende Diskriminierung hin. Von
der alarmierenden Menschenrechtssituation sind Chris-
ten ebenso betroffen wie fundamentalistische islamische
Gemeinschaften. Übergriffen auf koptische Christen
wird nicht nachgegangen. Darauf müssen wir achten,
das müssen wir anprangern. Wir müssen dafür sorgen,
dass Instrumentarien entwickelt werden, die weitere
Übergriffe zu verhindern suchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein ähnlich negatives Bild wird von der Situation der
Christen in Afghanistan, Bangladesh, China, Myanmar,
Pakistan oder Vietnam gezeichnet. Auch hier führen die
Menschenrechtsarbeit und die Demokratisierungsversu-
che von Christen zu ihrer Diskriminierung.

Der Kollege Hermann Gröhe ist insbesondere auf
China eingegangen. Ich teile seine Einschätzungen.
Wenn ich in einer Pressemitteilung vom 18. Februar le-
se, dass China

nach Angaben seiner Regierung bei der Verbesse-
rung der Menschenrechte keine westlichen Modelle
übernehmen

kann und
seinen Weg nur von den eigenen Gegebenheiten
aus suchen könne,

dann mag das zwar deren Haltung richtig wiedergeben,
aber die internationale Staatengemeinschaft kann das
nicht hinnehmen. Ein Punkt, den wir dabei kritisieren,
ist die Christenverfolgung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Antwort der Bundesregierung geht auf eine Viel-
zahl von Länderbeispielen ein, deren – das möchte ich
ausdrücklich betonen – ausgewogene und sachliche Be-
wertung sicherlich auch ein überzeugendes Beispiel für
ihr Engagement in der Unterstützung der Religions-
freiheit ist. Beide großen christlichen Kirchen in
Deutschland haben diese Antwort der Bundesregierung
ausdrücklich gewürdigt.

Aber – das sage ich zum Schluss auch – wir müssen
Acht geben, dass wir nicht jede Form der Behinderung,
der Diskriminierung und der unsachlichen Bewertung
bereits als Verfolgung titulieren, Herr Gröhe. Der Titel
Ihrer Großen Anfrage intendiert etwas anderes als das,
worauf auch Sie eben in Ihrem Beitrag eingegangen
sind. Deshalb sollten wir die einzelnen Schritte der Be-
hinderung, Diskriminierung und Verfolgung sehr genau
betrachten, aber auch den Mut haben, sie sauber zu un-
terscheiden, weil wir sonst nicht allen, die guten Willens
sind, gerecht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Da aber, wo Christen und Angehörige anderer Religi-
onsgemeinschaften, unter – sei es staatlicher, sei es nicht
staatlicher – Verfolgung leiden, müssen wir alle uns zur
Verfügung stehenden Instrumentarien einsetzen, um sie
zu schützen und den allgemeinen Menschenrechten zur
Wirkung zu verhelfen. Ich wünsche mir, dass die Bun-
desregierung zukünftig dafür sorgt, dass das Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in die
Lage versetzt wird, Zahlenmaterial zu veröffentlichen,
damit wir auch hier dem Gedanken der Christenverfol-
gung etwas differenzierter nachgehen können, zum Bei-
spiel der Frage, wo Christen ausschließlich aufgrund ih-
res Glaubens und nicht aufgrund ihrer menschenrechtli-
chen Aktivitäten verfolgt werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409003800
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1409003900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht
sicher, ob die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-
Fraktion, die die heute zu behandelnde Große Anfrage
an die Bundesregierung formulierten, vorausgesehen
haben, dass ihre Anfrage eine über das Thema „Verfol-
gung von Christen in aller Welt“ hinausführende parla-
mentarische Diskussion provozieren würde. Es ist näm-
lich ebenso richtig wie verständlich und war insofern
auch abzusehen, dass die Bundesregierung in ihrer Ant-
wort auf die Große Anfrage die in ihrer Macht stehenden
Maßnahmen zum Schutz verfolgter Christen in aller
Welt in den allgemeineren Zusammenhang ihrer Men-
schenrechtspolitik stellen würde. Auch die Tatsache,
dass unsere Gesellschaft eine christlich geprägte ist,
kann seitens der offiziellen Politik nur um den Preis ei-
nes krassen menschenrechtlichen Selbstwiderspruchs
dazu führen, die Verfolgung von Christen in aller Welt
an anderen, etwa höheren Maßstäben zu messen oder
nachdrücklicher zu bekämpfen als die ebenso schlimme
Verfolgung nicht christlicher Menschen.


(Beifall der Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Leitlinien der Menschenrechtspolitik sind die
Grundsätze der Universalität, Unteilbarkeit und Interde-
pendenz der Menschenrechte, wie sie auch von der
Zweiten Weltmenschenrechtskonferenz der Vereinten
Nationen in Wien 1993 formuliert und bekräftigt wur-
den.


(Beifall bei der F.D.P.)

Minderheitenschutz und Freiheit der Religionsausübung
sind zwei wesentliche Elemente der Menschenrechtspo-
litik, aber eben zwei Elemente. Dass der Maßstab dabei
der weltweite Schutz jeder Form der Religionsausübung
und jeder Form der Gewährung der Rechte von Minder-

Karin Kortmann






(A)



(B)



(C)



(D)


heiten sein muss, ist selbstverständlich und in den
Grundsätzen der Universalität und Unteilbarkeit veran-
kert. Deshalb spielen die Zahlen hinsichtlich der Verfol-
gung von Christen für unsere Menschenrechtsdebatte
auch nicht die entscheidende Rolle. Jegliche Form der
Verfolgung von Menschen wegen ihrer Religion muss
kritisiert werden; stets muss mit geeigneten Maßnahmen
dagegen vorgegangen werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns aber nicht vergessen, dass es bei der
Verfolgung von Religionsgemeinschaften oft um weit
mehr als um die Unterdrückung religiöser Überzeugun-
gen geht. Es handelt sich meist um eine komplexe Ver-
schränkung von politischen, wirtschaftlichen und so-
zialen Problemen. Wie richtigerweise in der Beantwor-
tung der Großen Anfrage herausgestellt wird, sind zum
Beispiel die Angriffe pro-indonesischer Milizen und des
indonesischen Militärs auf die überwiegend christliche
Bevölkerung Osttimors besonders im Jahr 1999 fast aus-
schließlich als Auswirkung eines Unabhängigkeitskon-
flikts und nicht eines in erster Linie religiösen Konflik-
tes zu werten. Aber ich hätte von der Bundesregierung
erhofft und erwartet, dass sie die Ergebnisse und Emp-
fehlungen der unabhängigen Untersuchungskommission
der Vereinten Nationen auch in ihre Politik und in ihr
Programm übernommen hätte.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade bei der Verfolgung von Christen in manchen
Teilen der Dritten Welt sind religiöse Motive oft nur der
Vorwand für tiefsitzende, historisch begründete Ressen-
timents gegen wirtschaftliche und soziale Privilegien
mancher christlicher Minderheiten. Dies gilt für die
Kopten in Ägypten ebenso wie für die Christen in Pakis-
tan, China und Indien, um nur einige besonders eklatan-
te Beispiele zu nennen. Traditionelle Animositäten und
soziale Spannungen sowie politische Akteure im Hinter-
grund können sich so – das ergibt sich aus der Antwort
der Bundesregierung – in vielen Ländern zu einer explo-
siven Mischung verbinden. Aber richtigerweise kann
man hier eben nicht darüber diskutieren, ob die Verfol-
gung von Christen zugenommen hat; denn jede Form
von Verfolgung ist zu verurteilen. Vielmehr muss in ei-
ner solchen Debatte die Gelegenheit genutzt werden, die
deutsche Menschenrechtspolitik insgesamt einer Wür-
digung und kritischen Bewertung zu unterziehen.

Menschenrechtspolitik ist notwendigerweise Politik
aus Überzeugung. Sie ist auf normierte und als allge-
meinverbindlich vereinbarte Wertüberzeugungen exis-
tenziell angewiesen, mit denen nur um den Preis ihrer
Vernichtung nach Opportunitätsgesichtspunkten und
Zweckmäßigkeitserwägungen verfahren werden kann.
Mit diesen der Menschenrechtspolitik zugrunde liegen-
den Normen kann nicht im Stile des heutzutage so oft
und viel gerühmten politischen Pragmatismus umgegan-
gen werden.


(Beifall bei der F.D.P.)


Wie kaum eine andere Politik ist deshalb die Qualität
der Menschenrechtspolitik, die sich im Wesentlichen
immer auf den Umgang von Mehrheiten mit Minderhei-
ten bezieht, von der Gradlinigkeit und Glaubwürdigkeit
abhängig, mit der sie gegenüber anderen Staaten ebenso
wie im staatlichen Innenverhältnis vertreten und vollzo-
gen wird.

Unter diesem für die Güte der Menschenrechtspolitik
entscheidenden Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit wei-
sen die bei uns implizit und explizit vertretenen Konzep-
te von Menschenrechts- oder Minderheitenpolitik mehr
offene Flanken und verwundbare Stellen auf, als uns al-
len lieb sein sollte. Das gilt zum einen für die minderhei-
tenpolitischen Ansätze, die zwar nicht von den nament-
lich genannten Verfassern der Großen Anfrage, aber
doch von einem nicht unmaßgeblichen Teil der durch
die CDU/CSU repräsentierten konservativen Politik in
Deutschland vertreten wird. Es kommt ja nicht von un-
gefähr, dass allein der Hinweis auf die Tatsache, dass
unsere Gesellschaft in ethnischer, kultureller und somit
auch weltanschaulicher Hinsicht eine plurale und offene
Gesellschaft ist und nach dem Wollen unseres Grundge-
setzes auch sein soll, in den Reihen der CDU, besonders
aber der CSU immer noch heftige Reaktionen hervor-
ruft.

So wie gerade die von der Union vertretene Politik
des law and order als ein Produkt der Scheinheiligkeit
entlarvt wurde, so wird auch die Glaubwürdigkeit der
von ihr vertretenen Minderheitenpolitik Schaden neh-
men, wenn eine Mehrheit daran festhält, dass die seit
vielen Jahren bei uns lebenden Menschen ausländischer
Herkunft nichts weiter als geduldete Gäste seien.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Glaubwürdige Menschenrechtspolitik verlangt Kon-
sistenz und Kohärenz; sie verlangt aktives Handeln, be-
sonders, wenn die selbst gesteckten Maßstäbe vollmun-
dig und anspruchsvoll sind.

Die Bundesregierung hat verbal die Menschenrechte
in den Mittelpunkt ihrer Politik zu Beginn dieser Legis-
laturperiode gestellt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und handelt danach! – Gegenruf des Abg. Walter Hirche [F.D.P.]: Eben nicht!)


Die Bilanz der bisherigen Taten sieht dagegen eher ma-
ger aus.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich will hier gar nicht betonen, wie die haushaltsrechtli-
chen Ansätze gerade für die Unterstützung der
Menschenrechtskommissarin hinter dem gestellten
Anspruch zurückbleiben. Es fällt auch gar nicht so sehr
ins Gewicht, dass der längst überfällige Bericht zur
Situation der Menschenrechte noch nicht vorliegt. Aber
wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die
Große Anfrage zu Recht darauf hinweist, dass sie den
Opfern religiöser Verfolgung Schutz gewährt, gleich
welcher religiösen Gemeinschaft sie angehören, dann

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger






(A)



(B)



(C)



(D)


muss sie sich auch fragen lassen, warum sie minderjähri-
gen, unbegleiteten Flüchtlingen aus anderen Ländern
nicht auch diesen selbstverständlichen Schutz gewährt.

Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, den
Vorbehalt zur Kinderkonvention aufzuheben, obwohl
ein einstimmiger Beschluss des Bundestages vom Sep-
tember 1999 sie ausdrücklich dazu auffordert.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abg. der CDU/CSU – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da haben Sie leider Recht!)


Auch das Versprechen in der Koalitionsvereinbarung,
in Deutschland ein Institut zum Schutz der Menschen-
rechte zu etablieren mit dem Ziel einer kritischen Be-
gleitung der Menschenrechtspolitik im In- und Ausland,
ist bisher nicht umgesetzt worden. Anscheinend wird
das Vorhaben, ein unabhängiges, regierungsfernes, vom
Parlament eingesetztes Institut einzurichten, von den
Kompetenzgelüsten verschiedener Ressorts demontiert.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sprachlos ist die Bundesregierung geworden, wenn es

um die unstreitigen Menschenrechtsverletzungen gerade
in Tschetschenien geht. Nicht einmal ein deutliches
Wort der Unterstützung für die von der russischen Re-
gierung schnöde abgewiesenen Hochkommissarin für
Menschenrechte war von der Regierung und von unse-
rem Außenminister zu vernehmen.


(Beifall bei der F.D.P. – Marita Sehn [F.D.P.]: Schlimm!)


Das friedliche Zusammenleben von Menschen unter-
schiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Glaubens
zu fördern muss – sie ist es ja auch – eine selbst gestellte
Aufgabe der Menschenrechtspolitik der Bundesregie-
rung im Innern und nach außen sein. Es wird jetzt ver-
sucht, den Scherbenhaufen im Kosovo im Sinne des avi-
sierten multiethnischen Zusammenlebens und des Zu-
sammenlebens von Menschen unterschiedlicher Her-
kunft notdürftig zu kitten. Aber wir warten noch bis heu-
te – dazu gab es schon eine Debatte – auf konkrete Taten
zur Umsetzung des dafür beschlossenen Stabilitätspaktes
für Südosteuropa.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das alles zeigt, dass Ankündigungen und Erstellen
von Situationsberichten das eine sind – die Zielrichtung
unterstützen wir in vielen Punkten –, dass aber der Voll-
zug anderthalb Jahre, nachdem die Bundesregierung die
Verantwortung übernommen hat, noch auf sich warten
lässt.

Lassen Sie mich zum Schluss noch die gestrige Ent-
scheidung zur Zulassung von muslimischem Religi-
onsunterricht in Berlin erwähnen. Dies ist eine am
Grundsatz der Glaubens- und Religionsfreiheit orientier-
te Entscheidung. Ich bedaure, dass der zuständige Sena-
tor von sich aus nicht in der Lage war, diese Entschei-
dung selbst zu treffen, und dass sie den Gerichten
überlassen wurde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Glaubwürdige Menschenrechtspolitik – ich glaube,
dieser Punkt ist deutlich geworden – darf nicht den all-
täglichen politischen Zwängen geopfert werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409004000
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Angelika Köster-
Loßack vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Ich finde es ausgesprochen wichtig, dass sich die
Union mit der Verfolgung und Unterdrückung von Men-
schen in vielen Ländern der Welt auseinandersetzt.
Denn: Wenn Menschenrechte verletzt werden, wenn
Menschen an ihrer freien Religionsausübung gehindert
werden, wenn sie verfolgt oder ermordet werden, dann
müssen wir alle gemeinsam dagegen angehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Ob es sich dabei um Christen im Sudan, um Muslime in
Nigeria oder um Asylbewerber unterschiedlichen Glau-
bens in der Bundesrepublik Deutschland handelt, ist
meiner Meinung nach wirklich unerheblich.

Damit komme ich zu meinem Hauptkritikpunkt an
der Anfrage der Union. Bei den geschilderten Fällen
geht es nicht um Christenverfolgungen im engeren Sin-
ne, sondern es geht um religiös verbrämte Menschen-
rechtsverletzungen. Es greift viel zu kurz, wenn man
die Menschenrechtsverletzungen an Christen in aller
Welt als Christenverfolgungen bezeichnet. Dahinter
steht in aller Regel eine Vielzahl von sozialen, wirt-
schaftlichen, politischen und kulturellen Ursachen, die
einen langen historischen Vorlauf haben.

Betrachten wir zwei konkrete Beispiele:
Wenn man sich die Situation in Indonesien verge-

genwärtigt, so gibt es beispielsweise auf den Molukken
schwere Menschenrechtsverletzungen an Christen. De-
ren Ursachen liegen allerdings nicht im christlichen
Glauben der Verfolgten, sondern in der Auseinanderset-
zung um Ressourcen. Muslime sind mindestens genauso
stark von Gewalt betroffen. Es wird hier die Religi-
onszugehörigkeit instrumentalisiert, um Chaos und Hass
zu säen.

Die christlichen Dayak in Ost-Kamilantan werden
auch nicht in erster Linie ihres Glaubens wegen ausge-
grenzt und diskriminiert. Sie gehören vielmehr zu den
indigenen Völkern Indonesiens, die seit Jahrhunderten
versuchen, ihr Überleben zu sichern.

Hinter diesen Auseinandersetzungen steht immer der
politische Wille, politische und wirtschaftliche Vorherr-
schaft zu sichern, die durch das vom Kollegen Gröhe
schon erwähnte Transmigrationsprogramm der Suharto-
Regierung etabliert wurde.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger






(A)



(B)



(C)



(D)


In einem anderen Erdteil, in Afrika, kommt es in
Ägypten zurzeit zu heftigen Gewaltausbrüchen zwi-
schen Muslimen und Christen. Bei gewaltsamen Ausei-
nandersetzungen wurden Mitte Februar in Koscheh
mehrere Dutzend Menschen getötet, in der Mehrzahl
Christen. Der dortige Jesuitenpfarrer, Christiaan van
Nispen, sagt allerdings eindeutig, dass als Ursache für
diese Auseinandersetzungen und für die Verfolgung der
Graben zwischen Armen und Reichen wesentlich wich-
tiger sei als der Graben zwischen Muslimen und Chris-
ten.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Und das wollen sie nicht wahrhaben!)


Diesen Zusammenhang betonen auch die Hilfswerke
der großen Kirchen in Deutschland sowie Menschen-
rechtsorganisationen wie Watch Indonesia. Dies ist in
vielen Gesprächen zum Ausdruck gebracht worden.

Ein Solidaritätsvorrang gegenüber Christinnen und
Christen, wie er in der Anfrage zum Ausdruck kommt,
widerspricht dem christlichen Glauben. Nach ihm sind
alle Menschen gleich. Diesem Ansatz der Gleichwertig-
keit folgen auch die christlichen Hilfswerke in ihrer
entwicklungspolitischen Arbeit. Für mich geht es des-
halb um die Solidarität mit den verfolgten und unter-
drückten Menschen, unabhängig von ihrer Religionszu-
gehörigkeit,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


aber nicht darum, wie die Union schreibt:
Angesichts der christlichen Prägung unserer politi-
schen Kultur fühlen wir uns aber verfolgten Chris-
ten in besonderer Weise verbunden und zur Solida-
rität verpflichtet.

Ich fühle mich allen Menschen in Not ohne Ansehen ih-
rer Religionszugehörigkeit verbunden und bin ihnen ge-
genüber in gleicher Weise zur Solidarität verpflichtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir müssen uns den komplexen Ursachen der Kon-
flikte zuwenden und versuchen, mit allen politischen
Möglichkeiten zur zivilen Konfliktprävention bzw. zur
Beilegung der Auseinandersetzungen beizutragen. Wenn
wir aber den Ausbruch latenter Konflikte verhindern
wollen, müssen wir nicht nur die Gesamtheit der Kon-
fliktursachen in den Blick nehmen, sondern auch han-
deln, bevor die Konflikte ausbrechen. Wir waren über
alle diese Konflikte seit Jahrzehnten ausreichend infor-
miert und haben immer zu spät gehandelt. Sollte ein
Konflikt gewaltsam werden, ist humanitäre Hilfe kurz-
fristig und rechtzeitig zu leisten, bevor Hunderttausende
vertrieben werden. Dies gilt für Menschen aller Glau-
bensrichtungen. Langfristig müssen wir durch außen-
und entwicklungspolitische Unterstützung an der Ursa-
chenbekämpfung und gegen Gewalt, Vertreibung und
Unterdrückung arbeiten. Hierbei haben wir im Aus-
tausch mit anderen Ländern auch eine wichtige Rolle für
unsere Stiftungen und die Bildungsinstitutionen einzu-
planen.

Deutlich wird die Eindimensionalität im Herangehen
der Union, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in vie-
len Ländern auch Muslime, Juden, Hindus, Buddhisten,
Anhänger kleinerer Religionsgemeinschaften und auch
Atheisten von Gewalt und von langfristiger Ausgren-
zung bedroht sind. Ist denn die Unterdrückung der Al-
baner im Kosovo oder der Kurden in der Türkei weniger
schlimm als die der Christen in Nigeria?

Man hätte natürlich auch fragen können, wie – bei-
spielsweise im Kosovo – die Verfolgung islamischer
Minderheiten durch orthodoxe Christen aussieht und
umgekehrt. Es macht keinen Sinn, Menschenrechtsver-
letzungen an Christen anzuprangern. Es muss die Ver-
folgung aller Menschen im Auge behalten und in einer
Menschenrechtspolitik ohne Ansehen des religiösen
Hintergrundes beachtet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


Dies hebt die meines Erachtens sehr sorgfältige und
differenzierte Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage deutlich hervor. Damit komme ich zu
meinem zweiten Kritikpunkt:

Die Anfrage der CDU/CSU erweckt den Eindruck,
dass die Verfolgung von Christen schlimmer ist als die
Verfolgung von Menschen anderer Religionen. Diese
Sichtweise führt zwangsläufig dazu, dass wir uns im
Westen über Christenverfolgungen empören, während
islamische Länder dem Westen die Diffamierung des Is-
lam vorwerfen. Beides sind nicht haltbare Pauschalie-
rungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Das Schlimmste, was wir tun können, wäre, im Sinne
von Huntington einen „clash of civilizations“, also einen
Kultur- oder Religionskampf, heraufzubeschwören, und
das nicht nur im globalen Maßstab, sondern auch in
Deutschland. In den Fragen 5 bis 9 der Unionsanfrage
wird die Situation von Christen in unterschiedlichen
Systemen abgefragt. Nirgendwo werden allerdings die
Menschenrechtssituation in christlich geprägten Gesell-
schaften, beispielweise in Nordirland, oder die Men-
schenrechtsverletzungen durch Christen an Menschen
anderen Glaubens thematisiert.

Es geht doch in erster Linie darum, ein Klima der To-
leranz zu schaffen und die Achtung der Menschenrechte
politisch und gesellschaftlich durchzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Dafür müssen wir uns international einsetzen. Die Bun-
desregierung hat in ihrer Antwort dafür viele Beispiele
genannt.

Das müssen wir aber auch im eigenen Land machen,
insbesondere gestützt durch Bildungs- und Ausbildungs-
curricula. Wir haben viel zu wenig neue Entwicklungen
in diesem Bereich. Genauso wie es international um die
Durchsetzung der Menschenrechte aller Menschen geht,

Dr. Angelika Köster-Loßack






(A)



(B)



(C)



(D)


gelten auch national die Menschenrechte für alle Men-
schen, ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder
ihres Glaubens. Die freie Religionsausübung steht hier
an vorderer Stelle. Es ist wichtig, dass wir in der Beant-
wortung der Großen Anfrage diesen Aspekt besonders
hervorgehoben sehen und uns nicht auf den eingeengten
Blickwinkel der Christenverfolgung beschränken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ein Klima des besseren Verstehens und der Toleranz
kann durch besseres Wissen übereinander und durch ei-
nen interreligiösen Dialog auf allen Ebenen hergestellt
werden. Diese gesellschaftliche Aufgabe, die eine der
wichtigsten Aufträge der Enquete-Kommission „So ge-
nannte Sekten und Psychogruppen“ war, müssen wir
gemeinsam angehen. Dafür ist der ganze Tenor der Uni-
onsanfrage aus meiner Sicht eher hinderlich.

Meine Fraktion wird jedenfalls die Bundesregierung
aktiv in ihrem Vorhaben unterstützen, den interreligiö-
sen Dialog in unserem Land auf allen Ebenen einzurich-
ten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409004100
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Hermann
Gröhe von der CDU/CSU das Wort.


Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1409004200
Ich möchte zu dem
angesprochenen Punkt des Solidaritätsvorrangs und zu
dem Vorwurf, die Anfrage sei eine einseitige Verengung
auf eine religiöse Minderheit, etwas sagen.

Im Text der Großen Anfrage selbst steht das Be-
kenntnis zur Religionsfreiheit generell oben an. Die ers-
te verfolgte Gruppe, die ich in meiner heutigen Rede ge-
nannt habe, waren die Bahai. Es ist geradezu abwegig,
bei der Zuwendung zu einem Problem zu unterstellen,
darin liege die Missachtung eines anderen Problems.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir im Ausschuss für Menschenrechte und

humanitäre Hilfe in Sonderheit die Lage der Roma etwa
im Balkan diskutieren, dann ist es doch abwegig zu un-
terstellen, wir missachteten die Not anderer Minderhei-
ten, weil wir einem Thema eine besondere Aufmerk-
samkeit geben. Wir sprechen in der Anfrage selbstver-
ständlich – ich habe es bei Indonesien in Bezug auf die
Gewalt von beiden Seiten hier auch getan – auch die
Menschenrechtsverletzungen in christlich geprägten
Kulturen an; Stichwort: privilegierte Rechtsposition or-
thodoxer Kirchen gegenüber anderen Religionsgemein-
schaften. Die Unterstellung, dies sei einseitig, weise ich
zurück.

Wenn es darum geht, auch in unserem Land vorbild-
lich zu sein, so verweise ich darauf, dass ich in meiner

Rede erwähnt habe, dass wir darüber weiter diskutieren
werden. Wenn eine Große Anfrage der Unionsfraktion
auf die Situation hinweist, was wir in Deutschland an
Rechtsordnung ändern müssen, um religiöse Bräuche,
zum Beispiel von Muslimen in unserem Land, zu
ermöglichen, so kann keine Rede davon sein, dass wir
einseitig sind und einen Solidaritätsvorrang einräumen.
Es ist für uns selbstverständlich, dass wir uns für alle
einsetzen. Ich sage aber genauso deutlich, dass wir die
Aussage der Bundesregierung begrüßen, dass das
zivilgesellschaftliche Engagement einen besonderen
Schwerpunkt auch der Menschenrechtsarbeit der
Regierung bei verfolgten Christen beinhaltet.

Wenn ich mir noch eine Bemerkung dazu erlauben
darf, warum wir sagen, dass es da vielleicht Nachholbe-
darf gibt: Schauen Sie sich den gerade vorgelegten Men-
schenrechtsbericht der Europäischen Union an, die dür-
ren Worte, die dort zum Thema Religionsfreiheit gefun-
den werden. Dort wird zu Recht Antisemitismus in der
ehemaligen Sowjetunion beklagt und dort wird, eben-
falls zu Recht, die Situation der Bahai im Iran angespro-
chen, aber zum Thema Christenverfolgung keine Silbe!
Natürlich kann man bei komplexen Konflikten nicht sa-
gen, dass die betroffenen Menschen allein Opfer von
Religionsverfolgung seien. Dies findet in den kurzen
Texten, die zu einer Großen Anfrage gehören, bei uns
ausdrücklich Erwähnung. Aber es kann keine Frage sein,
dass von den ungefähr 2 Milliarden Christen dieser Welt
mindestens 200 Millionen in Ländern leben, in denen es
erhebliche Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit für
alle – ich habe hier die Muslime in Xinjiang genauso
erwähnt wie andere Gruppen – gibt. Insofern weise ich
den Vorwurf der Einseitigkeit zurück. Ich hätte mir ge-
wünscht, wir könnten in dieser wie in anderen Men-
schenrechtsfragen zu einem größeren Maß an Sachlich-
keit zurückkehren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Dann müssen die Fragen anders gestellt werden!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409004300
Wollen
Sie erwidern, Frau Köster-Loßack? – Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Rückfrage zu Ihrer Äußerung: Warum haben Sie die
Fragestellung in der Großen Anfrage nicht auf religiöse
Verfolgung in aller Welt bezogen, sondern nur auf die
Christen?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409004400
Die Fra-
ge kann jetzt nicht beantwortet werden; das ist nach der
Geschäftsordnung nicht möglich. Vielleicht kann aber
der nächste Redner der CDU/CSU die Frage beantwor-
ten.

Als nächster Redner hat der Kollegen Carsten Hübner
von der PDS-Fraktion das Wort.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1409004500
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! So schwerwiegend in Teilen der

Dr. Angelika Köster-Loßack






(A)



(B)



(C)



(D)


Welt die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Chris-
tinnen und Christen in jedem Einzelfall auch sind, so
sehr begrüße ich von ganzem Herzen das Ergebnis der
Nachforschungen der Bundesregierung im Zusammen-
hang mit der Großen Anfrage, dass es keine verifizier-
baren Angaben über eine Zunahme der Verfolgung von
Christen gibt. Der gegenwärtige Zustand wird dadurch
keineswegs besser, aber es gibt eben keinen explizit
festzustellenden Negativtrend.

Ich möchte das deswegen hier hervorheben, weil auch
ich, ähnlich wie die Bundesregierung, die Quelle der in
der Anfrage angegebenen Zahl von 163 000 allein auf-
grund ihres Glaubens getöteten Christen für wenig seriös
halte. Ich will das kurz begründen.

Zunächst einmal gehört die Deutsche Evangelische
Allianz zum so genannten evangelikalen Spektrum der
evangelischen Kirche, einem Spektrum, das man getrost
auch als den rechten Flügel der evangelischen Kirche
bezeichnen kann und zu dessen Wortwahl und Denk-
strukturen so schöne Begrifflichkeiten wie „christliche
Märtyrer“ gehören. So hat etwa der Generalsekretär der
Kommission für Religionsfreiheit der Weltweiten Evan-
gelischen Allianz, also des Dachverbandes, der finnische
Pastor Johan Candelin – übrigens unlängst Gast der in-
ternationalen Konferenz „Verfolgte Christen heute“ der
Konrad-Adenauer-Stiftung –, am 14. November bei ei-
nem Gottesdienst im amerikanischen Minneapolis auf
den folgenden, überaus interessanten Ausspruch von
Kirchenvater Tertullian hingewiesen: „Das Blut der
Märtyrer ist der Samen der Kirche.“

Dieses Religions- und Kirchenverständnis ähnelt, wie
Sie zugeben müssen, durchaus dem extremistischer
Moslems oder Hindus. Dabei ist zumindest nicht explizit
ausgeschlossen, dass man Märtyrer, also für den Glau-
ben Gestorbene, als identitätsstiftend begreift – viel-
leicht ein Grund dafür, warum sich die Zahlenangaben
von dieser Seite nur schwer verifizieren lassen, selbst für
deren Urheber.

Hieß es bei der bereits erwähnten Konferenz der
Konrad-Adenauer-Stiftung am 28. Oktober letzten Jah-
res von diesem Johan Candelin noch, niemand wisse,
wie viele Christen ihren Glauben mit dem Leben bezahlt
hätten, befürchtete er bereits wenige Tage später, am
14. November, es könnten 1999 rund 164 000 und damit
seinen Angaben zufolge 3 000 mehr als im Vorjahr sein.
Seine Organisation und der Text der Großen Anfrage
sprachen für 1998 aber von 163 000 ermordeten Chris-
ten.

Die Bundesregierung nun eruiert als Quelle für diese
Zahl für das Gesamtjahr 1998 eine Veröffentlichung, die
bereits Anfang 1998, im Januar, erschienen ist. Sie wer-
den verstehen, dass mich das nachdenklich macht.

Bei diesem Zahlenvergleich geht es nicht um Zynis-
mus. Zynisch ist aus meiner Sicht vielmehr, wenn eine
zwielichtige Strömung innerhalb der evangelischen Kir-
che versucht, auf den Zahlen ermordeter Christen ihr
Süppchen zu kochen. Auf ein paar Tausend mehr oder
weniger kommt es dann nämlich nicht mehr an. Zynisch
ist auch, wenn man das Leiden dieser Menschen dazu
missbraucht, einen radikalen Missionseifer zu legitimie-

ren und eine Wagenburgmentalität zu befördern. Hier
halten schlicht die Falschen ihre Hand über die Opfer
extremistischer Religionsauslegung.

Ich verstehe beim besten Willen nicht, Herr Gröhe –
wir kennen uns ja von der Arbeit im Ausschuss –, wieso
Sie und Ihre Fraktion gerade auf derartige Gruppen bzw.
Informationsquellen zurückgreifen. Noch weniger ver-
stehe ich, wieso Sie in Ihrem Anfragetext ganz in der
Logik der Evangelikalen formulieren, die bedrängten
Christen fänden in der Staatengemeinschaft wegen ihrer
Glaubenspraxis nur selten Anwälte ihrer Interessen; als
sei der christlich geprägte Teil der Welt nicht derjenige,
der derzeit ganz wesentlich die gesamte Bandbreite glo-
baler Entwicklung zumindest maßgeblich mitbestimmt.

Meine Damen und Herren, jeder Mensch, ob Christ
oder Moslem, schwarz oder weiß, der aufgrund seiner
Religionszugehörigkeit oder Religionslosigkeit – auch
das gibt es, zum Beispiel in Indonesien – verfolgt wird,
ist ein Verfolgter zu viel. Jedes individuelle Leid ist
strikt zu verurteilen und öffentlich anzuprangern.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da Sie hier die Christen nun schon als eine Gruppe
hervorgehoben haben, sage ich es auch in dieser Rich-
tung ganz deutlich: Was in dieser Frage in den Staaten
des ehemaligen Ostblocks an Menschenrechtsverletzun-
gen passiert ist, ist nicht hinnehmbar und deutlich zu
verurteilen,


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


ebenso deutlich wie das, was derzeit in unseren engen
Partnerländern Indonesien, Pakistan, Saudi-Arabien oder
der Türkei mit Duldung oder sogar auf Veranlassung des
Staates geschieht. In Menschenrechtsfragen darf es nicht
zweierlei Maß geben – auch nicht bei China, so attraktiv
dessen Markt einigen unter uns auch erscheinen mag.
Die Religionsfreiheit ist ein Kernbestandteil der Men-
schenrechte. Das Gleiche gilt selbstverständlich für die
Bewertung nichtstaatlicher religiöser Extremisten zum
Beispiel in Ägypten oder Algerien, wo jede und jeder –
nicht zuletzt Christen, aber gerade auch Moslems, die
einer islamistischen Auslegung des Koran nicht folgen
wollen – aufgrund der dortigen Terroraktivitäten poten-
zieller Verfolgung ausgesetzt sind.

Dennoch warne ich davor, hinter Auseinandersetzun-
gen zwischen Religionsgruppen per se substanzielle re-
ligiöse Motive zu vermuten. Nicht selten ist die Religion
nämlich allein die Folie, auf die von interessierten Krei-
sen bewusst soziale, politische und gesellschaftliche
Konflikte projiziert werden, ähnlich wie das bei ver-
schiedenen Ethnien häufig der Fall ist.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Indonesien, also die Vorfälle um die Molukken und
die Auseinandersetzungen in Aceh und auf Ambon, ist

Carsten Hübner






(A)



(B)



(C)



(D)


dafür gegenwärtig ein wirklich schreckliches Beispiel;
darauf ist heute schon mehrfach hingewiesen worden.
Indonesien ist ein ganz konkretes Beispiel dafür, wie
tradierte oder längst überwunden geglaubte religiöse
Vorurteile und Feindschaften wieder mobilisiert werden,
um soziale Konflikte zu kaschieren und die Machtstel-
lung der Militärs zu zementieren. Wer hier an der Er-
scheinungsebene hängen bleibt, kann nur falsche
Schlüsse ziehen und falsch antworten.

Ich möchte mit Blick auf Lateinamerika kurz auf ei-
nen weiteren Punkt zu sprechen kommen, nämlich da-
rauf, dass es gerade dort in der Vergangenheit, aber lei-
der auch noch in der Gegenwart fast ausschließlich
Christen sind, die Christen aufgrund ihres Religionsver-
ständnisses verfolgen. Denken Sie etwa an El Salvador,
wo diejenigen Christen, die es stets mit der Macht hiel-
ten, diejenigen Christen verfolgen und ermorden ließen,
die sich eher den Zehn Geboten, der Bergpredigt oder
gar der Vertreibung der Wechsler und Händler aus dem
Tempel verpflichtet fühlten.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Selbst vor einem Bischof wurde da nicht Halt gemacht.
Auch das ist in einem gewissen Sinne als Verfolgung
von Christen aufgrund ihrer Glaubenspraxis zu bezeich-
nen.

Meine Damen und Herren, jede Verletzung der Men-
schenrechte – ob von Christen oder von Nichtchristen –
ist eine zu viel, muss sanktioniert und letztlich überwun-
den werden, selbstverständlich auch im Bereich der Re-
ligionszugehörigkeit und -ausübung. Dazu gibt es in die-
sem Hause sicher Einverständnis. Wovor ich aber war-
nen möchte, ist, eine Parzellierung der Diskussion über
dieses Problem zuzulassen, die es sicher ungewollt, aber
dennoch möglich machen würde, dass daraus wiederum
extremistische religiöse Kreise Profit schlagen. Wie zi-
tierte doch gleich Pfarrer Candelin: „Das Blut der Mär-
tyrer ist der Samen der Kirche.“ Na vielen Dank!


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409004600
Als
nächster Redner hat der Kollege Reinhold Hemker von
der SPD-Fraktion das Wort.


Dr. Reinhold Hemker (SPD):
Rede ID: ID1409004700
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich danke den Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion ganz aus-
drücklich für die Initiative, die Anlass für die heutige
Debatte ist. Zwar hätten auch nach meinem Verständnis
manche Fragestellungen etwas anders aussehen können,
aber in der Debatte hat sich bereits gezeigt, dass die dif-
ferenzierte Stellungnahme der Bundesregierung das An-
liegen der CDU/CSU-Fraktion sehr ernst genommen hat.
Die Beantwortung der Fragen geht über den von den
Fragestellern ursprünglich offenbar angedachten Rah-
men hinaus. Das hat die Debatte eindeutig gezeigt und
das ist auch gut so.

Nach meinem Verständnis wird eines deutlich: Hinter
religiösen Auseinandersetzungen liegen immer wieder

Konflikte, die etwas mit der sozialen, der wirtschaftli-
chen, der kulturellen und der politischen Situation im
jeweiligen Land bzw. in der jeweiligen Region zu tun
haben. Wer sich ein wenig in der Arbeit des Weltkir-
chenrates und seiner Mitgliedskirchen in den letzten Jah-
ren auskennt, weiß: Die Kirchen – unabhängig davon,
ob sie sich in einer Mehrheits- oder einer Minderheitssi-
tuation in der Gesellschaft befinden – haben sich in ihrer
Mehrheit immer um den weltlichen Teil ihrer religiö-
sen – in diesem Fall ihrer christlichen – Botschaft
gekümmert. Das galt auch – und gilt weitestgehend
immer noch – für die große katholische Kirche, worauf
die Kollegin Karin Kortmann in besonderer Art und
Weise hingewiesen hat.

Die Kirchen haben sich immer wieder eingemischt,
wenn es um die Verletzung elementarer Menschenrechte
ging und um die Unterdrückung und Ausbeutung der
verarmten Massen im jeweiligen Staat, insbesondere in
den Entwicklungsländern. Dafür haben wir von der poli-
tischen Seite aus ein herzliches Dankeschön zu sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies hat in der Vergangenheit immer wieder dazu ge-
führt, dass sich die jeweils Herrschenden gegen Reprä-
sentanten der christlichen Glaubensgemeinschaften ge-
wandt haben.

Ich erinnere aber auch daran, dass Verfolgung enga-
gierter Christen nicht nur von Andersgläubigen oder von
Kommunisten organisiert wurde und wird – wie es zum
Beispiel auch im Kontext der Großen Anfrage, bezogen
auf die Muslime, zum Ausdruck kommt –, sondern auch
von „christlich“ orientierten Kirchen, wie zum Beispiel
noch in der letzten Zeit im damals rassistischen Südafri-
ka. Dort wurde theologisch begründet, dass Schwarze –
im Übrigen in der Mehrheit christliche Glaubensbrüder
und -schwestern – Menschen zweiter Klasse seien. In
diesem Zusammenhang hat es dann eben Verfolgung,
Gewalt und Mord gegeben, christlich begründet und
staatlich abgesichert. Das ist das eigentlich Schlimme an
einer solchen Situation. Ich danke insbesondere auch der
Kollegin Angelika Köster-Loßack für die anderen Bei-
spiele, die sie in diesem Zusammenhang genannt hat.
Das ist wichtig, wenn wir in einer solchen Debatte als
Christen darüber reden.

Auch verweise ich darauf, dass unterschiedliche In-
terpretationen der christlichen Grundlagen – der bibli-
schen Grundlagen im Alten und Neuen Testament und
der christlichen Tradition in Lehrschriften, Dogmen und
Synodenbeschlüssen – zu Konfliktpotenzialen zwi-
schen christlichen Gruppen geführt haben und welt-
weit auch heute noch führen, auch in Europa.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Stellung der
verschiedenen christlichen Kirchen in Indonesien ge-
genüber dem Suharto-Regime war dafür in neuerer Zeit
wieder ein klassisches Beispiel. Die Kirchen gerieten
und geraten – nicht nur in Indonesien – vor allem da-
durch in Konflikte mit Angehörigen anderer Religions-
gemeinschaften und besonders den politisch Mächtigen,
dass sie die Option für die Armen ernst nehmen. Hat-
ten sie sich in den zurückliegenden Jahren darauf kon-

Carsten Hübner






(A)



(B)



(C)



(D)


zentriert – das gilt nicht nur für Indonesien, sondern
auch für viele andere Entwicklungsländer; ich betone
das noch einmal –, Krankenhäuser und Schulen zu bau-
en und zu erhalten, ist heute die gesellschaftspolitische
Dimension kirchlichen Handelns stärker im Blick. Im
Grunde geht es dabei immer wieder um das alte Staat-
Kirche-Verhältnis, wie wir es ja auch aus der Zeit der
NS-Diktatur kennen.

Dort, wo sich Christen an Reformbewegungen im
Bereich der Menschenrechte, des Schutzes von Minder-
heiten, der Demokratisierung, des Aufbaus von Sozial-
systemen, an Landreformen usw. beteiligen – immer
auch im Blick auf die christlichen Grundlagen –, geraten
sie in Widerspruch zu den jeweils Herrschenden. Sie
stören im wahrsten Sinne des Wortes die von den Herr-
schenden gewünschte Ruhe und Ordnung, insbesondere
dann, wenn die Herrschenden im Bereich ihrer Weltan-
schauung eine fundamentalistische Orientierung haben.

Es ist allerdings falsch, wenn bestimmte Kreise, die
selbst eine fundamentalistische Orientierung haben –
wie zum Beispiel diejenigen, die sich als Deutsche
Evangelische Allianz bezeichnen und über ihren Nach-
richtendienst IDEA auch entsprechende Nachrichten
fördern –, tendenziell die Meinung vertreten, dass die
Anhänger des Islam nun grundsätzlich intoleranter seien
und von daher Christen verfolgten.

Es gibt, insbesondere in Afrika, aber auch in asiati-
schen Ländern, viele Beispiele dafür, dass die Anhänger
verschiedener Weltregionen alle sehr tolerant miteinan-
der umgehen und friedlich in einem Staatssystem zu-
sammen leben. Wer zum Beispiel einmal auf Mauritius
war, wird begeistert sein von dem bunten kulturellen
Gemisch aller Menschen, die sich irgendwann auf die-
sem Inselparadies niedergelassen haben.

Ich verweise auch darauf, dass die kirchlichen Orga-
nisationen, die im Bereich der Entwicklungszusam-
menarbeit tätig sind, unabhängig davon, welche religiö-
se oder weltanschauliche Orientierung ihre Zielgruppen
haben, die in der Antwort der Bundesregierung genann-
ten Grundsätze bei ihrer Arbeit anwenden. Es wird bei
der Absprache über Projekte und Programme nicht da-
nach gefragt, welcher Glaubensgemeinschaft die Men-
schen angehören, die sich zum Beispiel in einzelnen un-
abhängigen Nichtregierungsorganisationen organisieren.
Sie handeln nach dem Grundsatz: Gott ist ein Gott für
alle – oder für keinen.

Die Zusammenarbeit der kirchlichen Organisation der
Entwicklungszusammenarbeit – das gilt übrigens nicht
nur für die deutschen – mit den nationalen Christenräten
in Asien, Afrika und Lateinamerika, wenn man so will,
den Koordinationsgremien der Kirchen in den jeweili-
gen Partnerländern, ist in der Regel vorbildlich. Es wer-
den zum Beispiel in den von der EKD als schwierig ein-
gestuften Ländern Indonesien, Indien und Pakistan stän-
dige Konsultationen durchgeführt, immer in enger Zu-
sammenarbeit und Absprache mit den deutschen Vertre-
tungen in den genannten Ländern. Auch dabei wird im-
mer wieder deutlich: Jede Form fundamentalistisch ori-
entierter und in manchen Bereichen sogar militanter

Missionsarbeit führt zwangsläufig zu Konflikten, die
dann immer wieder in Gewalt ausarten.

Noch ein Gedanke zum Schluss: Wir sollten als
Christen ganz vorsichtig sein, wenn wir uns kritisch ge-
genüber Verfolgungen äußern. Denn die Geschichte der
Kirchen und derjenigen, die sich in ihnen als Christen
bezeichnet haben, ist voll von Gewaltanwendung, Krieg,
Unterdrückung und Unterwerfung, ja Ausbeutung gan-
zer Völker. Angesagt ist nicht zuletzt auch eine kritische
Reflexion darüber, was in der Vergangenheit angerichtet
wurde und was heute noch Grundlage für viele Konflik-
te ist, wenn ich nur an die willkürlichen Grenzziehungen
der Berliner Beschlüsse aus dem Jahre 1884 denke.

Eine auch im neutestamentlichen Sinne verstandene
Politik der Versöhnung im nationalen wie im internati-
onalen Rahmen ist angesagt. Menschen wie Nelson
Mandela und vielleicht auch der jetzt gerade durch die
Wahlergebnisse auf seinem Reformweg, in seiner Arbeit
bestätigte iranische Staatspräsident Chatami – ich nenne
bewusst zwei Persönlichkeiten aus verschiedenen
religiös-kulturell geprägten Lagern – sind Vorbild für
eine gegen falschen Fundamentalismus im religiösen
und politischen Bereich gerichtete Reformpolitik. Ich
wünschte mir viele solche Vorbilder weltweit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Antwort der Bundesregierung zeigt auf, dass die-
se im Sinne konstruktiv-kritischer Dialoge in diesem Be-
reich tätig ist. Ich gehe davon aus, dass die Vertreter der
Bundesregierung, wenn sie bei bilateralen Verhandlun-
gen oder bei internationalen Konferenzen über „good
governance“ reden, alle heute hier debattierten Aspekte
berücksichtigen.

Im Übrigen – das sage ich auch als engagiertes Mit-
glied einer der großen Kirchen – heißt „Evangelium“,
das von allen Christen dieser Welt vertreten wird, gute,
frohe Botschaft. Vielleicht hilft ja auch die heutige De-
batte dabei, dies etwas mehr zu verdeutlichen, und si-
gnalisiert das gute Anliegen auch gegenüber den Vertre-
tern anderer Religionen und Weltanschauungen.

Vieles von dem, was als religiöse Gewalt erscheint,
ist ein Ausdruck von Entwurzelung in einer Gesell-
schaft, die aus den Fugen geraten zu sein scheint. Bei-
spiele dafür sind heute schon etliche genannt worden.
Der Weg aus der Gewalt zwischen Angehörigen ver-
schiedener Religionsgemeinschaften in Asien – und
nicht nur dort – ist ein Weg der Rückkehr zu den Wur-
zeln des eigenen Glaubens und der Suche danach, wie
Glaube dem eigenen Leben und dem Leben der Ge-
meinschaft Sinn und Orientierung geben kann. Die
Durchsetzung dieses Grundsatzes – damit schließe ich –
würde denjenigen, die Verfolgungen jeder Art noch für
ein Mittel der Politik halten, den Boden für ihre Schand-
taten entziehen. Wenn wir heute dazu einen kleinen Bei-
trag leisten, dann hat sich diese Debatte gelohnt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Reinhold Hemker






(A)



(B)



(C)



(D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409004800
Das
Wort hat jetzt der Kollege Carl-Dieter Spranger von der
CDU/CSU-Fraktion.


Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1409004900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ein Volk und ein Staat, wel-
che die religiöse Toleranz und die Achtung der Men-
schenrechte auf ihre Fahnen geschrieben haben, können
mit der Frage der Verfolgung von Christen weltweit
nicht zögerlich oder passiv umgehen.

Deutschland und die Deutschen – das vergessen wir
gelegentlich – sind über Jahrhunderte hinweg vom
Christentum geprägt worden. Die Menschenrechte, zu
denen sich unser Volk im Grundgesetz bekennt, sind im
Wesentlichen aus christlichem Gedankengut heraus ent-
standen. Die Erfahrungen aus zwei Diktaturen haben uns
den hohen Stellenwert dieser Rechte bewusst werden
lassen. Gerade deshalb muss es uns, die wir religiöse
Toleranz im Inneren beachten, ein besonderes Anliegen
sein, auf diese auch im Ausland zu drängen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch deswegen habe ich 1991 als Entwicklungsminister
die Achtung der Menschenrechte zu einem der fünf Kri-
terien gemacht, die seitdem Art und Umfang der
Entwicklungszusammenarbeit bestimmen. Über Richtig-
keit und Notwendigkeit der Verknüpfung deutscher Poli-
tik mit der Achtung der Menschenrechte,der Achtung
der Religionsfreiheit besteht heute große Übereinstim-
mung in allen Fraktionen des Deutschen Bundestages.

In ihrer Antwort auf die Anfrage der CDU/CSU-
Fraktion nennt die Bundesregierung zahlreiche Länder,
vor allem Entwicklungsländer, mit vielen unterschied-
lich schweren Verletzungen der Religionsfreiheit und
der Verfolgung von Christen. Das zeigt, wie notwendig
es war, durch eine solche Anfrage die Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit auf diese weltweite, vielerorts tabui-
sierte Lage der Christen zu lenken. Öffentliche Auf-
merksamkeit für dieses Thema zu wecken und Verlet-
zungen der Religionsfreiheit weltweit entgegenzuwir-
ken, das ist eine Aufgabe nicht nur der Politik, sondern
aller gesellschaftlichen Kräfte.

Dieser Aufgabe stellen sich seit vielen Jahren in
großartiger Weise unsere Kirchen, ihre Entwicklungs-
dienste ebenso wie die Stiftungen der Parteien, die der
Achtung der Menschenrechte in zahlreichen Projekten
ständig wachsende Bedeutung eingeräumt haben. Regie-
rung und Parlament sollten die zukünftige finanzielle
Ausstattung der Stiftungen auch an der Bedeutung dieser
Aufgabe messen.


(Beifall des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])


Ich möchte auch meinen großen Respekt und meine
Hochachtung vor vielen Repräsentanten der Kirchen im
Ausland zum Ausdruck bringen, die mit Mut und Stand-
festigkeit in ihren Ländern der Verletzung von Men-
schenrechten entgegentreten und für Religionsfreiheit
eintreten. Wir alle schulden ihnen tatkräftige Unterstüt-
zung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung scheint mir in ihrer Antwort die

Gefährdung der Glaubensfreiheit in islamischen Staaten
zu verharmlosen, wenn sie meint, dass von den meisten
islamischen Staaten lediglich missionarische Aktivitäten
konsequent unterbunden würden. Zum Wesen des christ-
lichen Glaubens gehört es nämlich, diesen auch in der
Öffentlichkeit bekennen zu dürfen und andere Menschen
zum Glauben an Jesus Christus einzuladen. Solange –
wo auch immer – dies nicht ohne Androhung von Sank-
tionen möglich ist, geht es nicht um eine hinnehmbare
Einschränkung der Glaubensfreiheit, sondern um eine
elementare Beschränkung der Glaubensfreiheit der
Christen. Nicht die Freiheit der Religionszugehörigkeit,
sondern die Freiheit der Religionsausübung, die ihren
Gipfel in der angstfreien Möglichkeit auch zum Religi-
onswechsel haben muss, ist entscheidend. In Gesell-
schaften und Staaten, in denen diese Freiheit nicht be-
steht, kann und darf nicht davon ausgegangen werden,
dass tatsächliche Religionsfreiheit gegeben wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die kritischen Darlegungen der Behandlung christli-

cher Minderheiten in der Türkei werfen nach der Debat-
te der letzten Wochen sowie nach den Beschlüssen der
EU in Helsinki die Frage auf, wie eigentlich unter die-
sem Aspekt die Anerkennung der Türkei als Beitritts-
kandidat zur EU zu rechtfertigen ist. Während man ge-
gen Österreich einen so genannten europäischen Werte-
katalog mobilisierte – den allerdings niemand kennt – ist
von Ähnlichem gegenüber der Türkei nicht die Rede.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das entbindet die Bundesregierung allerdings nicht von
der Pflicht, aus den von ihr selbst gescholtenen Miss-
ständen in der Türkei notwendige Konsequenzen zu zie-
hen. Die Türkei muss sich an diesen Fragen ganz beson-
ders messen lassen.

In diesem Zusammenhang darf noch einmal daran er-
innert werden, dass sich die Türkei für den Völkermord
an den Armeniern bis heute nicht entschuldigt hat und
diese auch heute noch benachteiligt.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich wünsche mir, dass der Deutsche Bundestag eines
Tages dem Beispiel der französischen National-
versammlung folgt und die Türkei zu einem solchen
Schritt auffordert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Türkei ist jetzt zwar Beitrittskandidat zur Europäi-
schen Union, doch ihre Innenpolitik ist der eines EU-
Beitrittskandidaten unwürdig.

Unbefriedigend ist die Antwort auf Frage 6, welche
die Verletzung von Religionsfreiheit in kommunisti-
schen und sozialistischen Staaten betrifft. Es werden
zwar China und Vietnam genannt – Herr Kollege Gröhe
hat dazu schon Stellung genommen –, doch Nordkorea
wird überhaupt nicht erwähnt, obwohl gerade in diesen
Tagen von massiver Christenverfolgung dort berichtet






(A)



(B)



(C)



(D)


wird, bei der das Regime mit drakonischen Strafen und
zum Teil öffentlichen Hinrichtungen gegen christliche
Missionare vorgeht, die von China aus in das abgeschot-
tete Land reisen.

Die Menschenrechtsverletzungen in Kuba werden
verharmlost, wohl auch, um die Entscheidung der zu-
ständigen Ministerin nicht zu diskreditieren, die offiziel-
le Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba in nächster
Zeit aufzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Entscheidung steht im Widerspruch zu den ele-
mentaren Grundsätzen deutscher Entwicklungspolitik.
Hier wird bewusst ein Gewaltregime gestärkt, von dem
sich zuletzt selbst eher kubafreundliche Staaten wie Me-
xiko oder Brasilien zu distanzieren begannen.


(Rudolf Bindig [SPD]: Einäugigkeit!)

Während die Finanz- und Personalausstattung des

BMZ immer weiter abnimmt und die Zahl der Partner-
länder des BMZ bis auf 50 heruntergefahren werden
soll, wird Kuba zulasten anderer Entwicklungsländer in
die Entwicklungszusammenarbeit aufgenommen. Dies
geht vor allem zulasten von Ländern, die sich um die
Reformierung ihrer internen Rahmenbedingungen be-
müht haben und sich, im Gegensatz zu Kuba, keine
Menschenrechtsverletzungen haben zuschulden kommen
lassen. Eine solche Politik ist ungerecht und falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In Deutschland hat man gelegentlich den Eindruck,

dass Toleranz gegenüber nicht christlichen Minderheiten
einen höheren moralischen Wert besitzt als Toleranz ge-
genüber Christen. Wer aber unterschiedliche moralische
Maßstäbe anlegt, der entlarvt sich selbst. Wer eine Dop-
pelmoral hat, hat keine Moral.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rudolf Bindig [SPD]: Sie haben doch eine Doppelmoral!)


Gerade wir, denen die Menschenrechte so am Herzen
liegen, müssen uns für Christen in aller Welt jetzt und in
Zukunft mit aller Entschiedenheit einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409005000
Das
Wort hat jetzt der Kollege Cem Özdemir vom Bündnis
90/Die Grünen.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409005100
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich das The-
ma der Großen Anfrage und der heutigen Debatte gele-
sen habe, habe ich mich spontan um einen Debattenbei-
trag bemüht. Es wird Sie vielleicht wundern, warum ge-
rade ich hier spreche. Ich bin nachweislich nicht getauft,
nicht konfirmiert und laut Geburtsurkunde Muslim.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann ja noch werden!)


– Danke, dass Sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben
haben. – Es war mir als Mensch muslimischer Herkunft,

der seinen Glauben wahrscheinlich so praktiziert wie –
unter wenigen Ausnahmen – die meisten Taufschein-
christen, ein besonders Anliegen, hier zu diesem Thema
zu reden.


(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

Wenn wir vom Thema Christenverfolgung sprechen,

reden wir über das Thema Fundamentalismus. Redet
man über das Thema Fundamentalismus, liegt das
Thema Islam sehr nahe. Wir setzen die beiden Begriffe
häufig gleich. Ich glaube, wir sollten uns dringend hü-
ten, eine Religion in irgendeiner Weise zu stigmatisieren
oder eine Religion bzw. deren Anhänger in Gänze für
einzelne schlimme, nicht zu rechtfertigende Taten ver-
antwortlich zu machen, die andere begangen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)


Man darf nicht die Angehörigen einer Religion dafür
ganzheitlich in Haftung nehmen. Ich habe oft den Ein-
druck, wenn ich Fernsehen schaue, manche Zeitungen
lese oder Beiträge und Reden zum Thema Islam und
Fundamentalismus höre, dass jeder, der bei uns zwei
oder drei Worte Arabisch kann, zum Islam-Experten
geworden ist, eine Sendung im Fernsehen erhält und
darin über „das Schwert des Islam“ und andere Dinge
schwadronieren darf. Ich glaube, dass uns bei diesem
Thema etwas mehr Sachlichkeit gut tun würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Da wir gerade beim Thema Fundamentalismus sind:
Mir fallen zum Fundamentalismus ganz unterschiedliche
Dinge ein. Mir fällt beispielsweise ein, dass in Amerika
in Kliniken, an denen Abtreibungen vorgenommen wer-
den, Polizeibeamte unter Einsatz ihres Lebens Ärzte und
Krankenschwestern vor Fanatikern schützen müssen, die
angeblich meinen – ich sage bewusst: angeblich –, im
Namen des Christentums einer höheren Sache nachzu-
gehen, indem sie Jagd auf Ärzte und Krankenschwestern
machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Mir fällt beispielsweise ein, wenn ich mir Südameri-
ka, Lateinamerika und das südliche Afrika anschaue,
dass dort evangelikale Christen mit ihrer Missionsarbeit
zum Teil Verheerendes mit ihrer Missionsarbeit anrich-
ten und damit übrigens auch das, was die katholische
Kirche aufbaut, die Vorbildliches leistet, kaputtmachen.
Sie richten zum Teil schreckliche Dinge an. Auch das
fällt mir zum Thema Fundamentalismus ein.

Mir fällt, wenn ich nach Israel schaue, auch die Er-
mordung des ehemaligen israelischen Ministerpräsiden-
ten Rabin ein. Mir fällt beispielsweise das Attentat in
der Moschee ein.

Mir fällt zum Thema Fundamentalismus die Zerstö-
rung der Moschee in Indien durch Hindu-Fanatiker ein.
Mir fallen natürlich auch die schrecklichen Bilder aus
Algerien und aus Afghanistan ein, die wir immer wieder

Carl-Dieter Spranger






(A)



(B)



(C)



(D)


sehen müssen. Dort begehen die Taliban barbarische
Menschenrechtsverletzungen an Frauen, aber auch an
anderen Menschen.

Mir fallen auch die Bilder ein, die wir bisher aus dem
Iran gekannt haben und die sich hoffentlich jetzt endlich
ändern – wobei ich nicht so optimistisch bin, dass ich
sage, dass sich dort schnell etwas ändern wird.

Meine Damen und Herren, wir sollten uns schon die
Mühe machen, genau hinzuschauen. Mit welchen Waf-
fen schießen denn die Taliban? – Manche haben es an-
scheinend vergessen, dass es auch lange Zeit unsere Po-
litik war, die Politik des Westens, die dazu geführt hat,
dass gesagt wurde: Der Feind meines Feindes ist mein
Freund. Und dabei ging es nicht um Menschenrechte,
dabei ging es nicht um den Schutz von Christen. Es ging
nicht um den Schutz von Minderheiten, sondern es ging
darum, dass der schnöde Mammon regiert hat, dass ei-
gene wirtschaftliche Interessen dominiert haben, und es
ging darum, dass außenpolitische Erwägungen wichtiger
waren als Menschenrechte. Diesen Vorwurf müssen sich
alle miteinander gefallen lassen. Es waren unsere ameri-
kanischen Freunde, die beispielsweise in Afghanistan
aus sehr durchsichtigen Interessen heraus die Taliban
mit gestützt haben und deshalb Mitverantwortung für die
Situation tragen, die wir dort haben.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Wie ist das heute mit dem Krieg in Tschetschenien?)


– Wir sind uns sicher darüber einig, dass in Tschetsche-
nien schreckliche Menschenrechtsverletzungen passie-
ren. Und ich würde mir wünschen, lieber Kollege, dass
wir mehr Einfluss auf die Situation in Tschetschenien
ausüben könnten, um das schreckliche Treiben zu been-
den.

Lassen Sie uns bei dem Thema der Debatte bleiben.
Wenn wir uns die Situation auf der arabischen Halbinsel
anschauen – sie ist einer der Herde der Menschenrechts-
verletzungen an Christen, auch an Atheisten und ande-
ren – , müssen wir fragen: Wie ist es denn dort? Ich
kann mich noch ganz gut an den Golfkrieg erinnern, in
dem die Menschenrechte ein wichtiges Argument waren.
Ich kann mich erinnern, dass wir der Frage der religiö-
sen Toleranz und der Menschenrechte, den Werten, die
wir hier doch gemeinsam vertreten, einen Bärendienst
erwiesen haben, indem wir der islamischen Welt gezeigt
haben, es geht nicht um Menschenrechte. Wir haben ei-
nen Diktator unterstützt, um einen anderen Diktator zu
stürzen – Menschenrechte standen dabei nicht auf der
Tagesordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Ich finde, es ist wichtig das zu erwähnen, wenn man
sich über das Thema Menschenrechte für Christen un-
terhält.

Ich möchte, – weil ich nicht so viel Zeit habe, – nur
noch auf einen Punkt eingehen, – er wurde heute schon
von mehreren Debattenrednern angesprochen –: Ich
glaube, wir tun den Menschen; die ihren Glauben prakti-
zieren Unrecht, wenn wir sie dafür in Verantwortung
nehmen, was häufig Menschen unseres Berufsstandes,

Politikerinnen und Politiker, machen, indem sie nämlich
die Religion für ihre Zwecke missbrauchen. Sie miss-
brauchen sie für den Machterhalt, um andere zu be-
kämpfen oder um Oppositionelle oder Andersdenkende
auszuschalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Häufig sind es leider Ideologen, die die Religion aus-
nutzen, um Massen zu mobilisieren. Dass es dabei viele
religiöse Funktionäre gibt, die sich gern missbrauchen
lassen, muss ich hier nicht gesondert erwähnen. Auch
das ist leider eine schreckliche Realität. Umso wichtiger
ist es, dass wir denen, die sich in allen Weltreligionen
für den Dialog einsetzen – wie beispielsweise Herr
Küng, der sich für den Weltethos einsetzt –, unsere Un-
terstützung anbieten. Es geht darum, dass alle Weltreli-
gionen das Gemeinsame entdecken, nämlich die Ach-
tung vor der Schöpfung und die Achtung vor der Unver-
letzlichkeit des menschlichen Lebens. All denen, die da-
für arbeiten, muss unsere Solidarität gelten. Dass es
Menschen, die sich für eine Reform im Islam einsetzen,
besonders schwer haben, das wissen wir alle miteinan-
der. Genau deshalb würde es uns gut zu Gesicht stehen,
dass wir ihnen unsere ungeteilte Solidarität zuteil wer-
den lassen. Denn wir brauchen sie, wir brauchen gerade
die moderaten Kräfte innerhalb des Islam,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

damit wir den Dialog der Religionen voranbringen kön-
nen.

Da wir über das Thema Fundamentalismus und reli-
giöse Toleranz reden, möchte ich noch auf einen ande-
ren Punkt eingehen. Ich glaube, das Schlüsselwort dieser
Debatte ist das Wort „Respekt“. Respekt ist es, was wir
brauchen, wenn wir uns als Angehörige unterschiedli-
cher Konfessionen und unterschiedlicher Religionen ge-
genseitig begegnen. Ich denke, dazu gehört auch eine
Betrachtung dessen, was in der Schule geleistet wird.
Ich erinnere mich an meine Schulzeit – ich bin immer in
Deutschland zur Schule gegangen – : Was habe ich denn
über die Kultur meiner Vorfahren gelernt?
Irgendwann einmal kam mein Geschichtslehrer herein,
holte tief Luft, schaute auf mich und sagte: Damals, die
Türken vor Wien, da haben wir Glück gehabt, dass die
Jungs von Cem eins auf den Deckel bekommen haben,
denn sonst wären die Jungen jetzt alle zwangsbeschnit-
ten und die Mädchen müssten Kopftücher tragen. – Alle
Blicke richteten sich auf mich. Ich ging nach Hause mit
dem Gefühl, aus einer schlimmen, schrecklichen Kultur
zu kommen.

Jetzt will ich gar nicht sagen, dass dies nicht Teil der
Geschichte ist. Zur Geschichte gehört auch, dass man
die schönen und die weniger schönen Dinge lernt. Daher
meine ich zur Allgemeinbildung gehört auch, dass wir
unseren Kindern beibringen, was vor 500 Jahren in Spa-
nien los war, als die Reconquista kam,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


als dort das – sicherlich mit Abstrichen – tolerante Re-
gime, in dem Christen, Juden und Muslime in relativer

Cem Özdemir






(A)



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Blüte gelebt haben, beendet wurde. Auch das gehört
zum Thema, genauso, wie es dazugehört, dass wir uns in
diesem Jahrhundert anschauen, was in Bosnien passiert
ist. Wie lange haben wir gebraucht, bis wir den Völker-
mord dort – das richte ich an alle, Adressen, auch an
meine Adresse und an die Adresse meiner Partei –, bis
wir diesen Spuk beenden konnten?

Der Präsident signalisiert, dass ich zum Ende kom-
men soll. Ich will auch mit einem Zitat schließen, west-
östlich, wie es dieser Debatte vielleicht gut zu Gesicht
steht:

Wenn der Mensch das Bedürfnis hat zu loben, dann
für die Vernunft, für das Wissen, für ein freundli-
ches Wesen, für ein gutes Herz. Dummheit: Der
Dumme zeigt sich darin, dass er mit seiner Ab-
stammung prahlt.

Dieses Zitat stammt von Hazreti Ali, einem engen Weg-
gefährten des Propheten Mohammed. Viele kennen ihn
als den Begründer des Alevetismus.
Das zweite Zitat ist ein westliches:

Die Demokratie aufhalten wollen hieße gegen Gott
selber kämpfen.

Es stammt von Alexis de Tocqueville.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409005200
Als
nächster Redner hat Kollege Dr. Heiner Geißler von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1409005300
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann fast
allem zustimmen, was über die allgemeine Situation der
Menschenrechte auf der Welt gesagt worden ist. Ich
kann aber nicht ganz verstehen, dass der Sinn der Gro-
ßen Anfrage der CDU ins Zwielicht gezogen wird, und
zwar offenbar mit der Unterstellung, die Verfolgung von
Christen sei meiner Fraktion ein wichtigeres Thema als
die Verfolgung anderer Minderheiten auf dieser Welt.
Ein solch absurdes Argument sollte hier nicht vorgetra-
gen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir haben hier im Parlament schon viele allgemeine
Menschenrechtsdebatten gehabt, und man kann anhand
der Christenverfolgung, die eben nicht bestritten werden
kann – auch nicht die spezifische Christenverfolgung,
Frau Köster-Loßack, – sehr wohl darlegen, welche
Denkstrukturen und Kausalitäten ganz allgemein Men-
schenrechtsverletzungen zugrunde liegen. Ich will ver-
suchen, dies darzulegen. Ich finde, darüber sollten wir
einmal einen Meinungsaustausch führen.

Wenn hier der Eindruck erweckt werden sollte, als
gebe es spezifische Christenverfolgung nicht, dann trete
ich dem entgegen. Ein solcher Eindruck, dass also Men-
schen auf dieser Welt nicht allein oder hauptsächlich

deshalb verfolgt würden, weil sie Christen sind, ist
falsch und widerspricht den Realitäten. Ich hoffe, dass
dies auch niemand so darlegen wollte. Wenn wir, soweit
wir einer christlichen Religion angehören, über dieses
Thema reden, dann muss am Anfang ein Schuldbe-
kenntnis stehen; denn im Namen des Christentums sind
in den vergangenen Jahrhunderten schwere Menschen-
rechtsverletzungen begangen worden.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Die Kreuzritter haben in Jerusalem ein Blutbad ange-
richtet. Wie Zeitzeugen beschrieben haben, seien die
Leute im Blut der ermordeten Menschen gewatet. Im
Vorfeld dieser Kreuzzüge haben Leute wie Petrus von
Amiens, Walter Sans-Avoir und Emicho von Leiningen
den Pöbel gegen die einheimischen Nichtchristen, zum
Beispiel gegen die Juden, aufgehetzt.

Dies sind nur einige wenige Beispiele dafür, wie im
Namen Gottes und auch im Namen des Christentums
schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen wor-
den sind.

Cem Özdemir hat auf die Situation in Spanien hinge-
wiesen, wo wir wirklich ein friedliches multikulturelles
Zusammenleben zwischen Christen, Juden und Arabern
hatten, das durch El Cid, die Gegenbewegung im 11.
Jahrhundert, durch die christlichen Spanier völlig verän-
dert worden ist. Große Teile der jüdischen und mauri-
schen Bevölkerung haben damals das Land verlassen.

Das Schicksal der europäischen Juden ist ein be-
sonders trauriges Beispiel für eine Politik im Namen ei-
ner falsch verstandenen religiösen Dominierung. Ihre
Lage war gekennzeichnet von Abgrenzung und Selbst-
behauptung, zwischen Resignation und Flucht sowie von
Duldung und Schutz durch Kaiser, König oder Landes-
herr, verbunden mit Gettobildung, Sondersteuern und
blutigen Pogromen. Am Ende stand der Völkermord
durch die Nationalsozialisten.

Es ist völlig klar, dass wir dann, wenn wir über dieses
Thema reden, zunächst ein Schuldbekenntnis ablegen
müssen. Aber das darf uns heute nicht daran hindern,
über die Situation von Millionen Menschen zu reden, die
wegen ihres Glaubens und insbesondere auch wegen ih-
rer Zugehörigkeit zur christlichen Religion verfolgt
werden. Darüber müssen wir gar nicht lange debattieren.
Dafür sind genügend Beispiele aufgeführt worden. Re-
den Sie einmal mit der Basler Mission und den Angehö-
rigen der presbyterianischen Kirche im Sudan, die ich
neulich besucht habe.

Ich verwahre mich gegen alle Verharmlosungen, die
hier angeführt worden sind. Natürlich gibt es immer eine
Verzahnung von Argumenten, das ist klar. Johan Cande-
lin, den Sie erwähnt haben, hat einmal gefragt: Woran
kann man feststellen, ab wann Christen verfolgt werden.
Antwort: Christen sind dann verfolgt, wenn sie ihren
Glauben ablegen, die Religion der Mehrheit annehmen
und sich ihre Lage dadurch verbessert. Wenn man dies
als Maßstab für die Lage der Christen heranzieht, dann
stellt man fest, dass es Christen in vielen Regionen die-
ser Erde besser gehen würde, wenn sie ihren Glauben
ablegten und eine andere Religion annehmen würden.

Cem Özdemir






(A)



(B)



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(D)


Es handelt sich nicht immer um blutige Verfolgung
und militärische Unterdrückung, sondern oft um eine
subkutane, heimliche und schikanöse Verfolgung: Es
gibt berufliche und bildungspolitische Nachteile. So
wird zum Beispiel der Besuch einer Elementarschule
von dem vorherigen Besuch eines Kindergartens abhän-
gig gemacht. Unter dieser Voraussetzung akzeptiert man
gerne Elementarschulen in christlicher Trägerschaft,
weil man gleichzeitig festgelegt hat, dass Christen keine
eigenen Kindergärten haben können. Damit haben sie
auch keinen Zugang zu einer Elementarschule. Der Erz-
bischof von Khartum hat mir das erklärt: Christliche
Kirchen dürfen keine Grundstücke besitzen. Folglich
habe ich das Grundstück selber gekauft. Aber dann ist
mir gesagt worden, auf einem Privatgrundstück dürfen
keine öffentlichen Institutionen errichtet werden. – So
läuft dies ab. Christen werden allein wegen ihres Glau-
bens massiv behindert.

Ich sage in diesem Zusammenhang auch: Wir dürfen
uns nicht beschweren, dass die Katholiken im sudanesi-
schen El-Obeid, wo es einen Bischofssitz gibt, ihr eige-
nes Wort während des Gottesdienstes nicht mehr verste-
hen können, weil die Lautsprecher der Moscheen auf die
Kirche gerichtet sind, wenn wir gleichzeitig in Deutsch-
land Theater machen, weil die zweitgrößte Religion in
Deutschland, der Islam, ihre eigenen Gotteshäuser haben
möchte, und wir uns bedroht fühlen, wenn man nicht nur
die Glocken der Kirchen hört, sondern auch das Gebet,
das ein Muezzin von einem Minarett herab spricht. Man
muss hier schon konsequent bleiben


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


und die Toleranz aufbringen, die notwendig ist, um ein
solches Thema glaubwürdig zu behandeln.

Warum gibt es Christenverfolgung? Das ist nach
meiner Auffassung eine wichtige Frage. Die christliche
Religion, insbesondere die katholische, aber auch die
evangelische, gerät naturgemäß wegen ihres universel-
len Charakters in Konflikt mit allen nationalstaatlichen,
homogenen Philosophien. Genau das erleben wir im
Moment. Wenn man fragt, warum Christen verfolgt
werden, dann bekommt man als Hauptargument zur
Antwort, die wachsende Zahl der Christen bedrohe die
nationale Identität, auch die Mehrheitsreligion. Das ist
der Hauptgrund für die Auseinandersetzungen in einer
ganzen Reihe von Staaten dieser Erde. Christen treten
heute als Fürsprecher für Menschenrechte auf. Sie gera-
ten zum Beispiel dann in Gegensatz zum Staat, Cem
Özdemir, wenn eine Religion wie der Islam seine
Rechtsordnung mittels der Scharia zur Staatsordnung
macht. Das ist nicht allein das Ziel von Nichtregierungs-
organisationen; vielmehr gibt es Staaten, in denen das so
ist, zum Beispiel im Sudan oder in anderen Staaten des
Islams. Damit muss man sich auseinander setzen. Aus
der Praktizierung der Scharia folgt unmittelbar eine Ver-
folgung der Menschen ohne islamischen Glauben.

Am meisten hat mich das gewundert, was Sie zu La-
teinamerika gesagt haben. Überlegen Sie einmal: Die
katholische Kirche tritt massiv für die Rechte der Chia-
pas ein. Wenn die katholische Kirche oder die evangeli-

sche Kirche, die Rechte der unterdrückten, der armen
Bevölkerung, die Rechte der aufgrund ihres Verständ-
nisses von christlicher Nächstenliebe ausgebeuteten
Menschen artikuliert und sich aufgrund ihrer Glaubens-
überzeugung gegen die Großgrundbesitzer – mögen sie
sich selber als Christen bezeichnen – auf die Seite der
Unterdrückten stellt und in einer üblen Weise auch von
der mexikanischen Regierung verfolgt wird, dann nenne
ich das ganz selbstverständlich Christenverfolgung. Da-
gegen müssen wir uns natürlich wehren. In Lateinameri-
ka haben sich viele in der katholischen und in der evan-
gelischen Kirche – ich erinnere an Helder Camara und
viele andere – auf die Seite der Unterdrückten gestellt.
Diejenigen, die von den Generälen und den Diktatoren
bekämpft worden sind, sind insoweit selbstverständlich
Opfer einer Christenverfolgung gewesen.

Ich will einmal die Denkstrukturen aufzeigen, die ei-
ner solchen Verfolgung zugrunde liegen. In China ist
die Identifizierung des Staates mit der Aufgabe, die
Mentalität der Menschen im Lande unter eine geistige
Kontrolle – dem Verständnis der Mächtigen entspre-
chend – zu bringen, ganz klar. Es kann keine zwei Son-
nen am chinesischen Himmel geben – das ist die Auffas-
sung der chinesischen Kommunisten. Infolgedessen
können staatlich nicht erlaubte Religionen keine Chance
haben.

Aus all dem habe ich für mich selber ein Fazit gezo-
gen – ich glaube, dass man es nachvollziehen kann – :
Religiöser Fundamentalismus allein reicht als Begrün-
dung für die Christenverfolgung oft nicht aus. Aber Na-
tionalismus und religiöser Fundamentalismus haben
sich in vielen Gegenden der Welt zu einer unheiligen
Allianz mit dem Ziel verschworen, Menschen nur des-
wegen zu verfolgen, zu diskriminieren und zu töten,
weil sie oft beides waren: Angehörige einer ethnischen
Minderheit und auch einer anderen Religion.

Sehr oft waren diese Menschen aber nur Angehörige
einer Religion, die den Machtanspruch der Machthaber
durch den Universalitätsanspruch gefährdet hat. Die ser-
bischen Kriegsverbrechen dieses und des letzten Jahr-
hunderts sind nicht ohne die Identifikation der Serben
als Nation mit dem orthodoxen Christentum zu verste-
hen. Das ist die andere Seite der Medaille.

Es wird immer wieder behauptet, diese Konflikte sei-
en unausweichlich; ich erinnere an das Buch von Hun-
tington „Clash of Civilization“. Dies ist absolut falsch;
vielmehr ist das Gegenteil richtig.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Es gibt auf der Erde genügend Beispiele dafür, dass die
Angehörigen unterschiedlicher Religionen und unter-
schiedlicher Ethnien friedlich zusammenleben. Wir
brauchen als Konzeption, um diese Situation zu verän-
dern – sie hat sich bereits verbessert: Die Anzahl der
Demokratien ist größer geworden, es gibt heute mehr
freie Menschen auf der Erde als noch vor 100 Jahren – ,
eine Weltfriedensordnung, in der die Menschen unab-
hängig davon, ob sie katholisch, hinduistisch, evange-
lisch oder muslimisch sind, friedlich zusammenleben
können.

Dr. Heiner Geißler






(A)



(B)



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(D)


Das zum Beispiel von Hans Küng formulierte Welt-
ethos, in dem sich die verschiedenen Religionen finden
können – Sie, Cem Özdemir, haben es angesprochen –,
ist als geistig-moralische Grundlage wirklich eine Hilfe.
Die Beseitigung der Diskriminierung und die Durchset-
zung der Menschenrechte unabhängig davon, welchem
Volk, welcher Nation, welcher Rasse die Menschen an-
gehören – sind die Grundstruktur einer neuen Weltfrie-
densordnung, die wir anstreben müssen.

Niemand sage mir, das sei eine Utopie, die niemals
erreicht werden könne. Wenn wir vor zwölf Jahren in
Ostberlin, zum Beispiel in Berlin-Mitte oder in Prenz-
lauer Berg, miteinander diskutiert hätten und jemand ge-
sagt hätte, in elf Jahren werden die Tschechoslowakei
und Polen Mitglied der NATO sein, dann wären wir in
Ostberlin sofort verhaftet und in Westberlin in die Psy-
chiatrie gebracht worden. Innerhalb von zehn Jahren ist
es Realität geworden, obwohl diese Länder damals noch
Mitglieder des Warschauer Paktes waren.

Die Zukunft rückt näher. Die Zeit läuft so schnell ab,
dass wir es uns gar nicht leisten können, noch lange dar-
auf zu warten. An diesem Konzept einer Weltfriedens-
ordnung muss auch eine deutsche Bundesregierung ar-
beiten. Man darf vor allen Dingen ebenso wenig wie die
Verfolgung von Christen die Verletzung von Menschen-
rechten akzeptieren. Man muss vielmehr, wenn zum
Beispiel Geschäftsbeziehungen mit diesen Staaten ange-
bahnt werden oder Minister dort auftauchen, die Frage
der Menschenrechte, bevor das Wort D-Mark in den
Mund genommen wird, auf den Tisch des Hauses legen.
So kommen wir in dieser Frage weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Rudolf Bindig [SPD]: So wie Herr Kohl das leider nie gemacht hat!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409005400
Herr
Kollege Geißler!


Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1409005500
Das gilt für die alte
Regierung,


(Rudolf Bindig [SPD]: Herr Kohl hat das nie gemacht!)


aber genauso auch für die neue Regierung, die in dem
Punkt um kein Haar besser ist als die frühere.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Manfred Grund [CDU/CSU]: Eigentlich hätten wir nach dem letzten Satz nicht klatschen dürfen, aber so ist der Heiner!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409005600
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Joachim Tap-
pe von der SPD-Fraktion.


Joachim Tappe (SPD):
Rede ID: ID1409005700
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir haben in dieser De-

batte das generelle Problem sehr umfassend gewürdigt.
Deshalb möchte ich lediglich einen kleinen Ausschnitt
beleuchten und einen regionalen Akzent setzen. Dieses
möchte ich zum Anlass nehmen, die Fragesteller um ei-
ne noch differenziertere Betrachtung dieses sicherlich
nicht kleinzuredenden Problems der weltweiten Chris-
tenverfolgung zu bitten. Zugleich möchte ich die we-
sentliche Quelle, die der Großen Anfrage zugrunde liegt,
mit diesem Beispiel ein wenig kritisch hinterfragen.

Ich kenne mich in Afrika ein bisschen aus und, weil
in der Anfrage der Sudan – Kollege Geißler hat ja eben
mehrfach auf dieses Land hingewiesen – als ein afrika-
nisches Beispiel für angebliche Christenverfolgung aus-
drücklich genannt worden ist, will ich dieses Beispiel
Sudan auch verwenden, um eine von den Medien stän-
dig verbreitete Legende ein wenig zu relativieren. In-
wieweit solche Relativierungen auch für andere Regio-
nen, bezogen auf das Problem, notwendig sind, vermag
ich nicht zu beurteilen.

Seit Jahren wird der Bürgerkrieg im Sudan in der Be-
richterstattung als ein Kampf des Halbmonds gegen das
Kreuz dargestellt: der muslimisch dominierte Norden
im missionarischen Krieg gegen den christlich-
afrikanisch geprägten Süden. In diesem Zusammen-
hang fällt oft auch der Begriff der Zwangsislamisierung.
Diese Sichtweise ist nach meinen Erfahrungen – diese
Einschränkung will ich gerne machen – falsch und ver-
stellt deswegen auch den Blick auf eine baldige und, wie
ich finde, auch mögliche Lösung dieses blutigen Kon-
flikts, der seit 40 Jahren dieses Land nicht zur Ruhe
kommen lässt und allein seit 1983 mehr als 1 Millionen
Menschenleben gefordert hat.

Ich war im letzten Jahr zweimal im Sudan, nicht nur
in Khartoum, sondern auch im so genannten christlichen
Süden. Auch das ist, nebenbei gesagt, eine Legende.
Ernst zu nehmende Schätzungen gehen davon aus, dass
auch im Südsudan nur etwa 20 Prozent der Menschen
sich zum christlichen Glauben bekennen. Ich war in
Wau, in Lunyaker und in Juba. Ich habe dort unter ande-
rem Kirchen und Schulen besucht, mit politisch Verant-
wortlichen, mit Geistlichen und Lehrern gesprochen,
ebenso mit traditionellen Chiefs aus der Region und im-
mer wieder übereinstimmend bestätigt bekommen, dass
sie trotz der durch die Kriegssituation beklagenswerten
Umstände doch relativ ungehindert arbeiten können.

Wenn dennoch in der westlichen Berichterstattung
dieser schreckliche und, wie ich finde, völlig überflüssi-
ge Bürgerkrieg fast ausschließlich als religiös motivier-
ter Konflikt dargestellt wird – an dieser Legende strickt
auch so mancher hochrangige sudanesische Kirchen-
mann nicht uneigennützig; häufig wird das mit Bildern
von gewaltsamen Abrissen illegal errichteter Behelfskir-
chen in den Flüchtlingslagern am Rande Khartoums be-
legt, – dann scheint mir diese Art der Berichterstattung
einseitig interessengeleitet und nicht zuletzt von der
SPLM, einer wichtigen Konfliktpartei, unterstützungs-
heischend in diesem machtpolitischen Pokerspiel in-
strumentalisiert. Aus meiner Sicht ist der Sudankonflikt
ein für Afrika leider typischer ethnischer Konflikt, in
den auch starke soziale und ökonomische Komponenten
hineinspielen, die eine Folge der vorhandenen Unter-

Dr. Heiner Geißler






(A)



(B)



(C)



(D)


entwicklung der afrikanischen Bevölkerungsgruppen
gegenüber den arabisierten muslimischen Nordsudanern
sind.

Meine Gespräche mit sudanesischen Vertretern aus
den Nuba-Bergen haben noch einen anderen Aspekt die-
ses Konfliktes deutlich gemacht, nämlich das tief sitzen-
de Misstrauen, gewachsen aus der über Jahrhunderte ge-
nährten Erfahrung von und Angst vor Versklavung. Die-
se Angst wird leider durch aktuelle Vorkommnisse ver-
stärkt, weil immer wieder Massenentführungen und in
besonders schändlicher Weise Entführungen von Kin-
dern vorkommen. Doch auch hier gilt es festzuhalten:
Diese schlimmen Menschenrechtsverletzungen haben
keine originär religiöse Dimension. Ich möchte in die-
sem Zusammenhang daran erinnern, dass die sich als
christlich verstehende Lord’s Resistance Army, eine
ugandische Rebellenorganisation unter Führung von
Joseph Kony, die von der muslimischen Regierung in
Khartoum unterstützt wird, aus dem Südsudan heraus in
Norduganda agiert, dort oft die Entführung ganzer
Schulklassen als besonders abscheuliches Mittel der
Kriegführung anwendet und dabei nicht unterscheidet,
ob es sich um christliche oder muslimische Kinder han-
delt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Hinweis auf die LRA soll nicht dazu dienen,
die Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen in die-
ser geschundenen Region gegenseitig aufzurechnen und
damit zu relativieren. Minderheiten haben es überall
schwer, auch in unserem Land. In muslimisch geprägten
Ländern, vor allem, wenn sie fundamentalistische Züge
aufweisen, trifft das besonders in Bezug auf christliche
Gruppen zu. Aber im Sudan – das kann ich aus meinen
vielfältigen Erfahrungen im Wesentlichen auch für den
gesamten schwarzafrikanischen Bereich sagen – gibt es
keine organisierte oder geduldete Christenverfolgung
in der Weise, dass Menschen nur deshalb umgebracht
werden, weil sie sich zum Christentum bekennen. Dass
es im Sudan auch Übergriffe fanatischer Gruppen und
Einzelpersonen gibt, will ich dabei nicht in Abrede stel-
len.

Gestatten Sie mir zum Schluss, dass ich noch eine
These zur aktuellen Situation im Sudan äußere, weil dies
ein Beitrag zur Lösung bestimmter Probleme in diesem
Umfeld sein könnte. Wenn die Amerikaner den Geistli-
chen John Garang, den im sicheren Exil in Nairobi le-
benden Chef der so genannten sudanesischen Volksbe-
freiungsbewegung, der als Einziger der ehemals sechs
südsudanesischen Warlords noch aktiv ist, nicht massiv
mit Geld und Waffen unterstützten, dann wäre der von
allen Konfliktparteien im Sudan sehnlichst erwünschte
Frieden längst Realität.
Wir müssten dann zumindest für diesen Teil der Welt
nicht über das Problem der Christenverfolgung diskutie-
ren, sondern darüber, wie wir Europäer und wir Deut-
sche unseren Beitrag zum Frieden und zur Entwicklung
des Sudan leisten können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409005800
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Norbert Blüm
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1409005900
Lieber Kollege
Tappe, auch ich war im Sudan. Am 7. Februar sind über
den Nuba-Bergen Bomben abgeworfen worden; 14 Kin-
der wurden getötet. Man kann sagen, dass die Flieger
unregelmäßig fliegen, aber die Menschen regelmäßig
Angst haben. Da hilft kein diplomatisches Gerede: Das
ist ein Skandal. Der Deutsche Bundestag muss sich ge-
gen diese menschenverachtenden Methoden der Regie-
rung in Khartoum ohne Abstriche wenden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Einverstanden, Herr Blüm! Aber das ist nicht allein das Problem!)


Ich will außerdem noch sagen, dass für mich Men-
schenrechte immer konkret sind. Man sollte sie nicht in
abstrakte Kategorien zwängen. Ich muss ganz konkret
sagen, dass es unter den Verfolgten Christen gibt, mit
denen ich mich solidarisiere.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Aber nicht nur mit denen!)


– Lassen Sie mich doch wenigstens ausreden! – Das
heißt nicht, dass ich andere im Stich lasse. Aber ich fin-
de den Grundsatz „Wenn ich nicht allen helfen kann,
dann helfe ich niemandem“ nicht richtig. Das Christen-
tum ist der Idee der Menschenrechte verpflichtet. Es ist
daher ein Gebot, sich für Bedrängte, auch für bedrängte
Christen, einzusetzen.

Man kann die Situation in wirtschaftlicher und ideo-
logischer Hinsicht kunstvoll analysieren. Ich stelle aber
fest: Im Moment gibt es einen menschenverachtenden
Fundamentalismus – den ich nicht mit dem Islam identi-
fiziere –, der auf dem Boden des Islam zum heiligen
Krieg auch im Sudan aufruft. Dieser Fundamentalismus
– noch einmal gesagt: ich identifiziere ihn nicht mit dem
Islam – hat der Welt nur mehr Fanatismus und mehr
Menschenverachtung gebracht.

Ich finde, wir sollten nicht so kunstvoll debattieren
und analysieren, wer alles was gemacht hat. 14 Kinder
sind tot; es wird im Sudan weiter gebombt. Meine Ant-
wort darauf ist: Keine Regierung, die das zulässt, kann
unsere Unterstützung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409006000
Zur Er-
widerung, Herr Kollege Tappe, bitte schön.


Joachim Tappe (SPD):
Rede ID: ID1409006100
Herr Kollege Blüm, ich
stimme dem vollkommen zu, was Sie über die Vor-
kommnisse im Sudan gesagt haben. Man muss aber so
ehrlich sein und sagen, dass dies auf beiden Seiten pas-
siert. Auch John Garang und seine Helfershelfer bomben
im Sudan. Dem müssen wir in dem Sinne, wie Sie es ge-
sagt haben, mit aller Entschiedenheit begegnen.

Joachim Tappe






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich möchte meine Erwiderung zum Anlass nehmen,
eine Bitte an Sie und auch an den Kollegen Geißler zu
äußern – Sie waren ja kürzlich im Sudan; Kollege
Schuster und ich waren voriges Jahr dort –: Wäre es
nicht sinnvoll, unsere Erfahrungen und Sichtweisen, die
sicherlich unterschiedlich sein mögen, einmal miteinan-
der abzustimmen und dies zum Anlass zu nehmen, dass
sich der Deutsche Bundestag mit einem entsprechenden
Antrag profiliert, in dem die Bundesregierung aufgefor-
dert wird, im Sudan helfend tätig zu werden? Dies wäre
in unser aller Sinne.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409006200
Das
Wort hat jetzt der Staatsminister Christoph Zöpel.

D
Dr. Christoph Zöpel (SPD):
Rede ID: ID1409006300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolle-
ginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat die Gro-
ße Anfrage zur Verfolgung von Christen gern beantwor-
tet. Es war gut, dass sie gestellt wurde. Der Beantwor-
tung gingen die entsprechenden Recherchen in unseren
Botschaften in den angesprochenen Ländern voraus.
Diese sind insbesondere von den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern im Auswärtigen Amt sorgfältig ausgewertet
worden. Sie und nicht der Bundesminister oder ich tun
ja diese praktische Arbeit.

Wenn es Kritik gab, so war sie in manchen Punkten
berechtigt, weil der Text auch nicht zu lang werden
durfte. Ein Hinweis zu Nordkorea: Die zitierten Vor-
kommnisse sind nach Redaktionsschluss eingetreten und
konnten schon deshalb nicht berücksichtigt werden. Das
hat nichts damit zu tun, dass die Bundesregierung Nord-
korea nicht für das zurzeit vielleicht problematischste
Überbleibsel des Kommunismus hält.

Ich möchte Ihnen eine Zusage geben: Wir werden alle
Reden sorgfältig lesen und Anmerkungen und Kritik-
punkte dieser Art in ein Schreiben an den Bundestag
aufnehmen, um hier zusätzliche Aufklärung zu leisten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Bundesregierung hat auch ihre Grundposition zur
Christenverfolgung, zur Religionsfreiheit von Christen
dargelegt. Diese Grundposition ist die Neutralität
gegenüber allen Weltanschauungen und Religionen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Diese Neutralität ist nicht wertfrei. Ihr Wertbezug ist die
Aufklärung. Das wurde am anspruchsvollsten formuliert
von Immanuel Kant, dem bedeutendsten Preußen, für
diese Debatte am geeignetsten formuliert von Gotthold
Ephraim Lessing in „Nathan der Weise“ und im

20. Jahrhundert für mich am eindrucksvollsten for-
muliert von einer polnischen Jüdin, die daraufhin von
missgeleiteten Preußen einige Meter von hier entfernt in
den Landwehrkanal geworfen wurde: Freiheit ist immer
die Freiheit des Andersdenkenden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Dieser weltanschaulich neutrale Staat hat gegenüber
der Religionsfreiheit zwei Verpflichtungen. Die erste
bildet die Grundlage: Er selber darf niemanden um sei-
ner Religion willen verfolgen. Das ist eine Selbstver-
ständlichkeit. Es ist gut festzustellen, dass nach dem
Niedergang des Kommunismus – in Europa auf jeden
Fall, in anderen Teilen der Welt auch – Christenverfol-
gungen in den entsprechenden Ländern nicht mehr statt-
finden. Wir sollten nicht darüber diskutieren, dass diese
Bundesregierung das für richtig hält.

Weshalb Nordkorea in der Antwort nicht angespro-
chen worden ist, habe ich bereits gesagt; China und
Vietnam haben wir in der Antwort erwähnt.

Dass im Übergang vom Kommunismus zur Demokra-
tie vor allem in Russland auch mit der Religionsfreiheit
und den Menschenrechten noch nicht so umgegangen
wird, wie wir es uns wünschen, wissen wir. Ich verurtei-
le an dieser Stelle namens der Bundesregierung aus-
drücklich Menschenrechtsverletzungen in Tschetsche-
nien. Das hat die Bundesregierung aber auch vorher
schon ausreichend getan.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Herr Kollege Spranger, lassen Sie mich eine Bemer-
kung zu Kuba machen. Gerade in dieser Debatte Kuba
zu diskutieren, ohne auch über Befreiungstheologie,
über die Ermordung von Allende und über Pinochet zu
sprechen, ist einseitig.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: So einfach machen Sie sich das! Kuba ist unbequem! Darüber werden wir auch noch diskutieren! – Zuruf von der F.D.P.: Das kann doch keine Entschuldigung für Kuba sein!)


– Dass ich Einseitigkeit konstatiere, veranlasst Sie zu
engagierten Bemerkungen, ohne dass Sie abwarten, was
ich noch sage: Das politische Modell Kubas ist nicht das
Vorbild der Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der F.D.P.)

– In dieser Region ist es nicht das Vorbild. Damit Ihr
Lachen wieder aufhört: Es wäre eher Costa Rica.


(Zuruf der Abg. Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU])


– Frau Kollegin, es ist sehr traurig, wenn man in einer
Debatte über Toleranz nicht einmal so lange mit unan-
gemessenen Zwischenrufen warten kann, bis das Ar-
gument zu Ende geführt worden ist.

Joachim Tappe






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich füge an dieser Stelle hinzu: Die Bundesregierung
wünscht es sich, dass auch die Regierung Castro den
Mut aufbrächte, den die Sandinisten in Nicaragua auf-
gebracht haben, und demokratisch wählen ließe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hoffe, jetzt klatschen auch Sie. – Ich bin zufällig
gleich nach der Debatte mit dem kubanischen Botschaf-
ter verabredet. Ich werde ihm dasselbe sagen.

Ich hatte das Selbstverständnis des weltanschaulich
neutralen Staates erwähnt, Religionen nicht zu verfol-
gen. Dies reicht aber nicht aus.

Der weltanschaulich neutrale Staat muss auch dafür
sorgen, dass alle Religionen ihr Recht bekommen. Das
ist die zweite größere Herausforderung. Hier liegt eines
der Probleme der Staaten des westlichen und des sich
erweiternden Europas mit den islamischen Staaten.

Die im Hinblick auf die Religionsfreiheit zu führen-
de Auseinandersetzung mit den meisten muslimischen
Staaten muss zum Ziel haben, dass das Staatsverständnis
in diesem Teil der Welt sich dahin entwickelt, dass alle
Religionen geschützt werden. Es ist schon ein Problem,
wenn sich islamische Staaten unter dieser von der Reli-
gion bestimmten Bezeichnung zusammenschließen. Dies
ist auch – die kritischen Bemerkungen nehme ich sehr
bewusst auf – eines der Probleme, die sich bei der Frage
der Mitgliedschaft der Türkei in der Europäische Union
stellen. Der derzeitige Schutz anderer Religionen in der
Türkei ist nicht gewährleistet.


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Bereits bevor ich dieses Amt antrat, habe ich mich bei

Italienbesuchen im Vatikan darüber informieren lassen,
wie sich in islamischen Staaten christliche Religionen
betätigen können. Das, was ich über die Türkei gehört
habe, hat mich schon immer erschreckt. Die Türkei sel-
ber will aber, dass wir ihre gesellschaftlichen Verhält-
nisse anhand der Anforderungen prüfen, die mit dem
Kandidatenstatus verbunden sind. Das haben wir aufge-
nommen. Die Prüfung auch des Verhaltens der türki-
schen Regierung hinsichtlich der Betätigungsmöglich-
keiten der christlichen Religionen gehört zu den unab-
dingbaren Kriterien, die in den Fortschrittsberichten der
Europäischen Union enthalten sein werden.


(Beifall bei der SPD, sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das ist einer der Gründe, weshalb wir den Kandidaten-
status wollten. Ich verspreche: So wie sich bisher das
Verhältnis der Türkei zu Griechenland gebessert hat, so
wird auch die Prüfung durch die Europäische Union zu
einer Verbesserung in dieser Hinsicht führen. Wenn dies
nicht der Fall sein wird, brauchen wir über die Vollmit-
gliedschaft nicht zu sprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bleibe bei den Ideen der Aufklärung als den
Leitgedanken der Politik der Bundesregierung und gehe
auf Ihre Frage ein, ob es nicht einen Grund gibt, dass
sich die deutsche Politik besonders um die Christen in
aller Welt kümmert. Dies ist eine berechtigte Frage. Ich
möchte sie so beantworten: Sosehr es notwendig ist,
dass der Staat Deutschland die von mir geschilderte
weltanschauliche Neutralität beibehält, so berechtigt ist
es, dass sich im politischen System der Bundesrepublik
Deutschland unter Pluralitätsgesichtspunkten die Reprä-
sentanten dieses Systems auch für die Menschenrechte
der Christen oder – Herr Kollege Özdemir – der Musli-
me einsetzen. Wir sollten diese Pluralität als Teil unse-
res Systems verstehen. Die oben erwähnteTrennung soll-
ten wir vornehmen. Das ist die Antwort auf ihre Frage.

Ich mache dazu aber noch eine Bemerkung. Je mehr
sich die christlichen Religionen seit dem Humanismus
mit der Aufklärung verbunden haben, umso weniger ag-
gressiv sind sie, umso toleranter sind sie. Leider ist es
eine Tragik dieser Welt, dass hohe Toleranz auch dazu
führen kann, dass man sich nicht mehr,wenn notwendig,
verteidigt. Aus diesem Gedanken, dass christliche Reli-
gionen mit der Aufklärung am stärksten verbunden sind,
vermag ich ein besonderes Eintreten für die Christen in
aller Welt auch seitens der Bundesregierung abzuleiten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Religionen aber gehören in die Zivilgesellschaft. Die
Zivilgesellschaft muss vom Staat in der Weise einen
Rechtsrahmen bekommen, dass es auch innerhalb der
Zivilgesellschaft keine Übergriffe einer Religion gegen
die andere oder einer Religion gegen Nichtgläubige gibt.
Das ist ein weiteres Erfordernis staatlicher Politik in Be-
zug auf die Religionsfreiheit. Hier ist auch ein entschie-
dener Appell an die Religionen zu richten. Herr Kollege
Geißler, Sie haben hinsichtlich der christlichen Religio-
nen alles dazu gesagt. Ich könnte es annäherungsweise
nicht so gut formulieren und übernehme diese Ausfüh-
rungen zur Notwendigkeit der eigenen Toleranz christli-
cher Religionen in den Zivilgesellschaften dieser Welt.

Lassen Sie mich schließen und auf die kritischen Be-
merkungen eingehen, dass die Politik der jeweiligen
Bundesregierung nicht immer dem entspricht, was in
Menschenrechtsdebatten formuliert wird. Für mich gibt
es seit langem eine klare Erkenntnis. Internationale Poli-
tik hat drei Ziele: die Sicherheit vor militärischen An-
griffen auf dieser Welt herzustellen, wirtschaftliche Be-
ziehungen mit dem Ziel der Reichtumsvermehrung in al-
ler Welt zu ermöglichen und die Menschenrechte zu si-
chern. Dazwischen gibt es Zielkonflikte.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Immer!)


– Immer, das hat jede Regierung erfahren. – In unserer
Antwort ist ein sehr praktischer Zielkonflikt aufgezeigt:
Mit der indischen Regierung konnte im Rahmen des
Entwicklungsdialogs nicht mehr über Religionsfreiheit
diskutiert werden, denn der Entwicklungsdialog wurde
nicht mehr durchgeführt, weil die Inder Atomwaffen er-
probt haben. Wenn Sie ein Ziel verabsolutieren, können

Staatsminister Dr. Christoph Zöpel






(A)



(B)



(C)



(D)


Sie immer Kritik üben. Verabsolutieren wir das Sicher-
heitsziel, dann werden wir den Entwicklungsdialog ein-
stellen, usw.

Ich bitte alle, in Menschenrechtsfragen im Geiste der
Aufklärung so engagiert zu sein, wie die Regierung und
auch ich persönlich es befürworten, dabei aber nicht zu
vergessen, dass praktische internationale Politik sich in
dem genannten Zieldreieck bewegt. Keine Regierung
wird eines der drei Ziele verabsolutieren wollen. Ich se-
he auch niemanden in diesem Hause, der das wollte. An
der Stelle bitte ich um etwas Toleranz gegenüber der
Regierung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409006400
Ich
schließe die Aussprache.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 e sowie
Zusatzpunkt 3 auf:
21. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung von Vorschriften über die Tä-
tigkeit der Steuerberater (7. StBÄndG)

– Drucksache 14/2667 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll vom 9. September 1998
zur Änderung des Europäischen Über-
einkommens vom 5. Mai 1989 über das
grenzüberschreitende Fernsehen

– Drucksache 14/2681 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll von 1996 zur Änderung
des Übereinkommens von 1976 über die
Beschränkung der Haftung für Seeforde-
rungen
– Drucksache 14/2696 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

d) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ausfüh-
rungsgesetzes zu dem Protokoll von 1996

zur Änderung des Übereinkommens von
1976 über die Beschränkung der Haftung
für Seeforderungen
– Drucksache 14/2697 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

e) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-

(§ 418 Abs. 1 StPO)

– Drucksache 14/2444 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten
Verfahren

a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Zivildienstver-

(Erstes Zivildienstvertrauensmann-Änderungsgesetz 1. ZDV/ÄndG-)

– Drucksache 14/2698 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sa-
bine Jünger, Rosel Neuhäuser, Christina
Schenk, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion
der PDS

Ächtung der Gewalt in der Erziehung
wirkungsvoll flankieren
– Drucksache 14/2720 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (f)

Rechtsausschuss

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen.

Tagesordnungspunkt 22 a ist abgesetzt.
Damit kommen wir zu den Tagesordnungspunkten

22 b bis 22 j sowie zu den Zusatzpunkten 4 a bis 4 e. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 22 b:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Verwaltungskostengesetzes

– Drucksache 14/639 –

(Erste Beratung 66. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-

schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/2704 –

Staatsminister Dr. Christoph Zöpel






(A)



(B)



(C)



(D)


Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Dr. Joseph Theodor Blank
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/2704, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse nun
über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache
14/639 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei
Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt.

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 22 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des

von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
25. Mai 1998 über Partnerschaft und Zusam-
menarbeit zur Gründung einer Partnerschaft
zwischen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der
Republik Turkmenistan andererseits

– Drucksache 14/1787 (neu)

(Erste Beratung 66. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-

gen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 14/2626 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen
Dr. Erika Schuchardt
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Dr. Dietmar Bartsch

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/2626, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig
angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 22 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra
Pau und der Fraktion der PDS

Keine Zurückweisung von Kosovo-Flücht-
lingen an den Grenzen, die Erteilung von Visa
für Familienangehörige sowie unbürokrati-
sche Ausstellung von Reisedokumenten und
Aufnahme und Schutz von unbegleiteten
Flüchtlinges- und Waisenkindern

– Drucksachen 14/1182, 14/2526 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Veit
Dietmar Schlee
Marieluise Beck (Bremen)

Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/1182 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU
und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenom-
men.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 22 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 122 zu Petitionen
– Drucksache 14/2710 –
Beschlussfassung

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht bei Ent-
haltung der PDS und Zustimmung aller anderen Fraktio-
nen angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 123 zu Petitionen
– Drucksache 14/2711 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Sammelübersicht 123 ist bei glei-
chem Stimmenverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 124 zu Petitionen
– Drucksache 14/2712 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Diese Sammelübersicht ist einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 125 zu Petitionen
– Drucksache 14/2713 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Diese Sammelübersicht ist mit den

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A)



(B)



(C)



(D)


Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 126 zu Petitionen
– Drucksache 14/2714 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Sammelübersicht 126 ist bei Zu-
stimmung aller Fraktionen mit Ausnahme der F.D.P.-
Fraktion, die dagegen gestimmt hat, angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 127 zu Petitionen
– Drucksache 14/2715 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Diese Sammelübersicht ist mit Zustim-
mung aller Fraktionen mit Ausnahme der PDS, die da-
gegen gestimmt hat, angenommen.

Zusatzpunkt 4:
Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-

sprache

(Punkt 4 a:)

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Rennwett- und Lotteriegesetzes

– Drucksache 14/2271 –

(Erste Beratung 79. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-

nanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/2762 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer
Elke Wülfing
Heidemarie Ehlert

(8. Aus schuss)

– Drucksache 14/2798 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
aller Fraktionen mit Ausnahme der F.D.P.-Fraktion, die
abgelehnt hat, angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit mit Zustim-
mung der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-Fraktion
und der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen der F.D.P.-
Fraktion angenommen.

Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses.

Zusatzpunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 131 zu Petitionen
– Drucksache 14/2790 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Diese Sammelübersicht ist bei Zustim-
mung aller Fraktionen bis auf die PDS–Fraktion, die
sich der Stimme enthalten hat, angenommen.

Zusatzpunkt 4 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 132 zu Petitionen
– Drucksache 14/2791 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Diese Sammelübersicht ist einstimmig ange-
nommen.

Zusatzpunkt 4 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 133 zu Petitionen
– Drucksache 14/2792 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Diese Sammelübersicht ist bei Zustim-
mung der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion
gegen die Stimmen von CDU/CSU-Fraktion und F.D.P.-
Fraktion angenommen.

Zusatzpunkt 4 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 134 zu Petitionen
– Drucksache 14/2793 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Sammelübersicht 134 ist bei Zu-
stimmung der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-
Fraktion und der F.D.P.-Fraktion und gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf:
Vereinbarte Debatte zur Drogenpolitik

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A)



(B)



(C)



(D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner gebe
ich das Wort dem Kollegen Wilhelm Schmidt für die
SPD-Fraktion.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1409006500
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin sehr froh darüber, dem Hause mittei-
len zu können, dass wir gestern zu dem hier zur Debatte
stehenden Thema nach einem erfolgreichen Vermitt-
lungsverfahren ein echtes Vermittlungsergebnis zu-
stande gebracht haben.

Dabei war besonders bemerkenswert, dass sich nach
intensiven Kontakten auf allen Ebenen auf der Seite ei-
niger CDU-geführter Bundesländer Bewegung gegen-
über dem Zustand ergeben hat, den wir noch vor einigen
Tagen und Wochen zu registrieren hatten.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Störrisch, starrköpfig und in ihrem ideologischen Käfig
fest verharrend zeigt sich leider nur die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das können wir nicht hinnehmen.

(Jörg Tauss [SPD]: Ja, in keinem Fall!)


Ich sage das deswegen, weil dies offensichtlich der neue
Stil der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu sein und auch
zu werden scheint.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein, aber Prinzipien muss man haben!)


Das kann man möglicherweise auch daran erkennen,
dass sich Herr Merz, der designierte neue Vorsitzende,
eilfertig gleich als Erstes zu einem ersten Gespräch nach
Bayern begeben hat. Hier tönen uns auch in dieser De-
batte zu diesem Thema manche bayerischen Klänge ent-
gegen. Offensichtlich wird die CDU/CSU mehr, als wir
es bisher vermutet haben, aus Bayern ferngelenkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Davon könnte auch die Pressemitteilung des Kollegen

Hüppe vom 22. Februar, also von vorgestern, ein gewis-
ses Zeugnis ablegen, denn der Kollege Hüppe hatte noch
vor wenigen Tagen darauf hingewiesen, dass die rot-
grüne Bundesregierung den Versuch unternimmt – ich
zitiere –, „im Vermittlungsausschuss einen nicht zu-
stimmungspflichtigen Gesetzentwurf zu Fixerstuben
einzubringen, der jegliche Beteiligung der Bundesländer
ausschließt“. Er sagt weiter, dass damit zukünftig „jede
beliebige Drogenberatungsstelle einen Raum eröffnen
kann, in dem jegliche Drogen geschnieft, gespritzt oder
geraucht werden können“, und dass hinsichtlich der me-
dizinischen Betreuung künftig auf der Seite der rot-
grünen Bundesregierung keine Notwendigkeit mehr ge-
sehen wird, eine besondere Genehmigung oder Prüfung

vorzunehmen. „Keine Behörde wird mehr darauf Ein-
fluss nehmen können, ob beispielsweise Minderjährige,
Schwangere oder Methadon-Substituierte dort Drogen
konsumieren.“

Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Hüppe – Sie sind ja
hier im Saal –: Sie haben nichts gelernt. Sie wollten in
dem Verfahren nicht zu einer erfolgreichen Vermittlung
beitragen und deswegen haben Sie sich auch sehr strikt
von einem solchen Vermittlungsverfahren ausgeschlos-
sen. Das ist zu rügen und nicht hinzunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass Sie sich mit der starren Art und Wei-
se, wie Sie mit diesem Thema umgehen, selber entlar-
ven. Sie wollen nicht den Menschen helfen, Sie wollen
nicht dafür sorgen, dass die Drogenpolitik in diesem
Lande besonnen auf einen neuen Weg geführt wird. Sie
wollen nicht dazu beitragen, dass die Länder und Kom-
munen selbstständig Entscheidungen treffen können,
wie sie in Frankfurt, in Saarbrücken und an anderer Stel-
le offensichtlich so positiv verlaufen sind. Deswegen
wollen wir dies hier auch deutlich machen und entlar-
ven, dass dies Ihre Position ist, von der wir hoffen, dass
Sie sie wenigstens später irgendwann einmal verlassen
können. Im Vermittlungsverfahren hat die CDU/CSU-
Fraktion dies leider nicht geschafft.

Ich will aus meiner Sicht noch einmal darauf hinwei-
sen, dass wir uns ganz bewusst in dem hier in Rede ste-
henden Dritten Gesetz zur Änderung des Betäubungs-
mittelgesetzes auf die Einrichtung solcher Drogenkon-
sumräume – nun mag man sich über den Begriff strei-
ten, aber er ist nun einmal gewählt worden – ganz spe-
ziell auch deswegen verständigt haben, weil wir für die
Einrichtung solcher Drogenkonsumräume Mindeststan-
dards gesetzt haben. Dabei geht es eben genau darum,
das zu verhindern, was Sie uns fälschlicherweise – und,
wie ich finde, vorsätzlich fahrlässig – unterstellen.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Er hat keine Ahnung!)


Wir machen ganz bewusst mit zehn Mindeststandards
in diesem Gesetzentwurf darauf aufmerksam, dass wir
sowohl die Notfallversorgung als auch die medizinische
Betreuung, dass wir sehr wohl auch die Frage der Kri-
minalisierung des Umfelds im Auge haben, und wir ge-
währleisten auch durch direkte Kontakte mit der Polizei
und anderen, dass alles dies, was Sie da in die Welt ge-
setzt haben, nicht entstehen kann.

Von daher ist dies ein sehr besonnenes Verfahren.
Wir wollen damit auch sicherstellen, dass die Länder
nicht gezwungen werden, in dieser Weise vorzugehen,
obwohl manche statistischen Ermittlungen und Erfah-
rungen in der letzten Zeit sehr dafür sprechen. Wir ge-
ben ihnen nur die Chance, wir eröffnen einen Rahmen
und in diesem Rahmen können sich alle entsprechend
betätigen. Das haben einige Länder inzwischen auch
verstanden, denn nicht ohne diesen Hintergrund und oh-
ne diesen Erfahrungswert haben sich doch wohl Hessen
und das Saarland – CDU-regierte Länder – auf diesen
Weg begeben und das Vorhaben unterstützt. Wir danken
diesen Ländern ausdrücklich dafür.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD un dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich wollen wir damit nicht den Eindruck ver-
mitteln, als ob das der Königsweg sei. Das ist überhaupt
nicht unser Ziel. Aber es ist ein ganz wichtiger Schritt
auf dem Wege, neue Möglichkeiten einzuführen, die
auch genutzt werden können.

In diesem Zusammenhang will ich noch einmal auf
die Statistik, die sich ja mittlerweile herumgesprochen
hat, verweisen: Gerade die Länder, in denen schon sol-
che Einrichtungen bestehen, sind jene, in denen die we-
nigsten zusätzlichen Drogentoten zu beklagen sind. Das
muss doch auch Ihnen, Herr Hüppe, zu denken geben.
Ich weiß nicht, warum Sie immer noch an Ihrer alten,
ideologischen Kiste festhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns deswegen als Vermittlungsergebnis
festhalten, dass wir uns alle sehr bemüht haben, auf die-
sem Wege zueinander zu finden. Wir haben deswegen
im Vermittlungsverfahren gestern noch zwei Änderun-
gen vorgenommen und in den Gesetzentwurf eingebaut.
Die erste Änderung ist – sie ist vom Lande Hessen ein-
gebracht worden; auch wir finden das sehr sinnvoll –,
noch einmal deutlich zu betonen, dass die Arbeit dieser
Drogenkonsumräume ausstiegsorientiert gestaltet wer-
den soll. Diese Betonung ist durchaus in unserem Sinne;
wir haben sie deswegen aufgenommen – übrigens ein-
stimmig. Insofern ist es ein bisschen widersinnig, dass
die Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gestern
im Vermittlungsausschuss dagegen gestimmt haben.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Zur zweiten Änderung: Rheinland-Pfalz hat den Vor-

schlag eingebracht, ein zentrales Register einzurichten,
in dem diejenigen erfasst werden, denen Substitutions-
mittel verschrieben werden. Auch dies hat unsere Zu-
stimmung gefunden.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass beide Ände-
rungen auch den Interessen der Länder entgegenkom-
men. Das hat mit zur Entspannung der Situation beige-
tragen. Deswegen werden wir morgen im Bundesrat of-
fensichtlich eine Mehrheit dafür bekommen, den Ge-
setzentwurf in dieser geänderten Fassung durchzusetzen.

Ich sage noch einmal Dank all denjenigen, die sich –
sowohl im Vermittlungsverfahren als auch im Vor-
wege – daran beteiligt haben, dass dieses Gesetz zustan-
de gekommen ist. Das sage ich insbesondere in Richtung
des Gesundheitsministeriums und der Drogenbeauftrag-
ten, Frau Nickels, sowie meiner Fraktion, deren Beauf-
tragte – die Arbeitsgruppe – sich in dieser Frage sehr en-
gagiert habt, sodass dieses Ergebnis zustande gekommen
ist. Herzlichen Dank!

Ich hoffe auf Ihre Zustimmung zum vorgelegten An-
trag.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409006600
Das Wort für die
Fraktion der CDU/CSU hat der Kollege Hubert Hüppe.


Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1409006700
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! In der Tat hat gestern der Ver-
mittlungsausschuss mit Mehrheit der Änderung des Be-
täubungsmittelgesetzes zugestimmt. Sie wissen: Es gab
zwei Teile: zum einen die Regelungen, die der Bundes-
regierung neue Möglichkeiten im Bereich der Substitu-
tion, insbesondere der methadongestützten Behandlung,
einräumen; zum anderen die Regelungen zur Legalisie-
rung von Fixerräumen.

Ich habe schon in den vergangenen Debatten darauf
hingewiesen, dass wir von der Union eine bessere Rege-
lung der Methadonsubstitution ausdrücklich befürwor-
ten, nicht zuletzt deswegen, weil die dramatische Zu-
nahme der Zahl der Drogentoten im Zusammenhang mit
Methadon in den letzten zwei Jahren ein entschiedenes
Handeln erfordert.

Es muss dringend mit der zum Teil unverantwortli-
chen Vergabepraxis Schluss gemacht werden. Deswegen
begrüße ich – wie der Kollege Schmidt –, dass man sich
bei der Meldepflicht für Methadonpatienten auf eine
zentrale Stelle geeinigt hat, eben um Doppelverschrei-
bungen zu verhindern und um den Schwarzmarkt im Zu-
sammenhang mit Methadon, dessen Umfang in den letz-
ten Jahren unzweifelhaft zugenommen hat, einzudäm-
men. Natürlich treten auch wir dafür ein – da besteht
auch kein Dissens –, die Qualifikation von Ärzten, die in
der Substitution tätig sind, zu verbessern.

Und – das ist der wahrscheinlich wichtigste Punkt in
diesem Bereich –: Wir müssen wieder dazu kommen,
dass Methadonpatienten psychosozial begleitet werden.
Ich darf daran erinnern, dass früher immer nur von „me-
thadongestützter Behandlung“ die Rede war. Das
heißt, die eigentliche Behandlung bestand nicht allein in
der Abgabe des Methadon, sondern war weitaus mehr.
Heute ersetzt Methadon häufig nicht zuletzt aufgrund
fehlender finanzieller Ressourcen die Behandlung. Wir
aber sagen: Die Abgabe von Methadon kann ein Weg
sein, um die Situation von Drogenabhängigen zu verbes-
sern, es darf aber nicht so sein, dass Patienten lediglich
ruhig gestellt oder abgefüttert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung kann nun beweisen – wenn der
Gesetzentwurf angenommen wird, haben Sie dazu die
Möglichkeit –, wie ernst sie die Probleme in diesem Be-
reich nimmt.

Meine Damen und Herren, der umstrittenere Teil des
vorliegenden Gesetzentwurfes ist und bleibt der Bereich
der so genannten Drogenkonsumräume. Ich betone,
dass dieser Teil des Gesetzentwurfes auch nach den po-
sitiven Änderungen, die das Land Hessen im Vermitt-
lungsverfahren durchgesetzt hat, für die Unionsfraktion
im Bundestag weiterhin unakzeptabel bleibt. Die Haupt-
kritikpunkte bleiben bestehen.

Die Abhängigen werden nicht durch Fixerstuben –
wie immer behauptet – für therapeutische Maßnahmen

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)







(A)



(B)



(C)



(D)


gewonnen werden können, abgesehen davon, dass die
meisten der Besucher der bestehenden Fixerstuben so-
wieso schon mit der Drogenhilfe in Kontakt stehen. Es
gibt eine Untersuchung, in der gesagt wird, dass über ein
Drittel der Besucher einer Fixerstube in Hannover Me-
thadonpatienten waren. Diese sind weder vor noch nach
der Einnahme des Rauschgiftes ansprechbar. Es ist auch
ganz natürlich, dass jemand, der auf seinen Schuss war-
tet, nicht für Gespräche offen ist. Nach dem Schuss ist
er – ganz klar – unter dem Einfluss der Droge nicht an-
sprechbar.

Meine Damen und Herren, die Befürworter – Herr
Schmidt hat dies heute auch wieder getan – führen im-
mer wieder Todesstatistiken an, mit denen bewiesen
werden soll, dass Fixerräume Leben retten. Es ist schon
seltsam, wenn Frau Nickels in „Erläuterungen zur
Sucht- und Drogenpolitik“ – das ist der Titel ihrer Ver-
öffentlichung – als Drogenbeauftragte der Bundesregie-
rung erklärt, dass

die Anzahl der so genannten „Drogentoten“ als
Maßstab für den Erfolg oder Misserfolg einer be-
stimmten Drogenpolitik oder bestimmter drogenpo-
litischer Maßnahmen nicht herangezogen werden
kann,

aber kurz darauf erklärt, dass natürlich gerade in den
Städten ein Rückgang der Anzahl der Drogentoten zu
verzeichnen sei, in denen es Fixerräume gebe. Das hat
sie noch Anfang des Jahres getan, hat aber verschwie-
gen, dass die Anzahl der Drogentoten in denselben Städ-
ten im Jahr vorher erheblich angestiegen war.

Ich will damit nicht sagen, dass wir Recht haben. Ich
halte es aber für falsch, Drogentote zu instrumentalisie-
ren.


(Zuruf von der SPD: Das machen doch Sie!)

– Nein, nicht ich, sondern Ihr Kollege Schmidt hat die-
ses Thema zuerst aufgegriffen.

Letztlich bleiben ordnungspolitische Argumente
zugunsten der Drogenkonsumräume. Ich will diese auch
gar nicht abtun. Sie wissen, dass auch in unserer Frakti-
on, in unserer Partei darüber diskutiert wird, wie man
neue Wege gehen kann. Sicher ist es besser, wenn Sprit-
zen nicht auf Spielplätzen herumliegen, sondern ver-
nünftig entsorgt werden. Wenn das aber der eigentliche
Grund ist – er wurde auch von den Befürwortern des
Entwurfs im Bundesrat immer wieder in den Vorder-
grund gestellt –, dann sollte man auch sagen, dass Ord-
nungspolitik der Gesundheitspolitik vorgezogen wird.
Die Realität der existierenden Räume beweist dies auch.
Inzwischen werden – wie zum Beispiel in Frankfurt –
sogar private Wachdienste eingestellt, um die Situation
überhaupt noch im Griff zu haben.

Alles in allem bleiben also kaum Argumente dafür,
allerdings gibt es eine Menge dagegen. Dies betont auch
die Stellungnahme der UN-Drogenbehörde. Der UN-
Suchtstoffkontrollrat hat noch gestern, kurz vor der
Entscheidung des Vermittlungsausschusses, erneut Fi-
xerstuben als einen Schritt auf dem Weg zur Drogenle-
galisierung kritisiert.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Waren die einmal vor Ort? Waren die einmal hier?)


Er hat sogar gesagt, dass die Duldung von Fixerräumen
gegen internationale Übereinkommen verstoße.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völliger Quatsch!)


– Doch. Das haben Sie auch zur Kenntnis bekommen.
Ich weiß nämlich, dass Frau Nickels darauf bereits rea-
giert hat. Sie müssen zugeben, dass auch dort Fachleute
sitzen und Sie die Wahrheit nicht allein gepachtet haben.

Obwohl der Bundesregierung diese Stellungnahme
bekannt war, wurde sie einfach ignoriert.
Argumente spielen kaum noch eine Rolle. Wichtig
scheint es in der mageren Bilanz rot-grüner Drogenpoli-
tik nur noch zu sein, irgendein Ergebnis, ob gut oder
schlecht, vorweisen zu können.


(Zuruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD])


– Herr Schmidt, Sie müssen doch zugeben, dass Sie die
Mittel für die Präventionsmaßnahmen gesenkt haben.
Ich kann mich daran erinnern, dass wir immer kritisiert
wurden, als wir darüber sprachen, ob man daran sparen
müsste.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Unsinn!)


Sie müssen sich an Ihren Worten messen lassen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind ja informationsresistent!)

Ein weiterer Beweis dafür, dass es Ihnen nur um ir-

gendein Ergebnis geht, ist, dass Sie die Kritikpunkte der
Fachleute überhaupt nicht aufgenommen haben. Selbst
diejenigen, die grundsätzlich für Fixerräume waren, ha-
ben Kritik geäußert. Sie haben aber an Ihrem Antrag so
gut wie nichts geändert. Ausnahmen sind die Punkte, die
die unionsregierten Länder und Rheinland-Pfalz einge-
bracht haben.


(Zuruf von der SPD: Mehr wollten sie ja nicht geändert haben!)


Meine Damen und Herren, ein weiterer Beweis ist –
darauf bezog sich meine Pressemitteilung; Herr
Schmidt, Sie können ruhig zuhören, ich habe das
schließlich bei Ihnen auch getan –, dass Sie Ihre Politik
auf Biegen oder Brechen, ob sinnvoll oder nicht, durch-
setzen wollen. Meine Pressemitteilung bezog sich da-
rauf, dass Sie einen Alternativentwurf vorgelegt haben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Hüppe, das glauben Sie doch selber nicht mehr!)


Es ging darum, dass Sie die Mitbestimmung der Län-
der aushebeln wollten.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch überhaupt nicht wahr!)


– So war es. Sie haben eine Alternative vorgelegt, um
den Entwurf der Zustimmungsbedürftigkeit der Länder

Hubert Hüppe






(A)



(B)



(C)



(D)


zu entziehen. Danach hätte in der Tat kein Bundesland –
übrigens auch keine Gemeinde, keine Kommune – Ein-
fluss darauf gehabt, welchen Standard diese Räume ha-
ben werden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Natürlich, indem sie sie einrichten!)


Sie hätten nicht einmal einer Genehmigung bedurft. Das
ist aus meiner Sicht keine verantwortungsvolle Drogen-
politik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie bauen doch wieder einen Popanz auf!)


– Ich habe den Popanz nicht aufgebaut.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Der steht doch gar nicht zur Abstimmung!)


– Es ist ein Glück, dass er nicht zur Abstimmung steht.
Aber es kommt doch auch darauf an, wie man in einem
solchen Verfahren miteinander umgeht. Es hieß: Friss
oder stirb, wenn du nicht zustimmst, wird es noch viel
schlimmer.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Das ist nichts Neues im Vermittlungsausschuss! Das ist doch immer so!)


– Ja, so war es im Vermittlungsausschuss. Ich hätte nicht
geglaubt, dass Sie bei einem so ernsten Thema so weit
gehen würden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist unglaublich!)


Es bleibt das ernüchternde Fazit: Wir werden den
Entwurf in der Tat nicht mehr verhindern können, zu-
mindest nicht hier im Bundestag. Es bleibt die ernüch-
ternde Bilanz, dass noch mehr Mittel für drogenakzep-
tierende Maßnahmen ausgegeben werden. Immerhin
kostet jede Einrichtung zwischen 600 000 und
800 000 DM pro Jahr. Das sind Mittel, die wir dringend
in den Bereichen der Prävention, der Therapie oder, wie
am Anfang erwähnt, in der qualifizierten Methadonbe-
handlung nötig hätten.

Es wird zu einem drogenpolitischen Flickenteppich in
Deutschland kommen, weil die im Gesetz vorgeschrie-
benen Mindeststandards so schwammig und niedrig
angesetzt sind, dass fast alles möglich wird. Sie begeben
sich auf einen gefährlichen Weg und wir werden Ihnen
dabei nicht stillschweigend zusehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409006800
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Christa
Nickels das Wort.


Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409006900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Hüppe, ich freue mich, dass Sie unser Substitutionsre-
gister loben. Das hätte die alte Regierung schon lange

machen können, weil es dazu einen einstimmigen Bun-
desratsbeschluss aus dem Jahr 1997 gab. Das Substituti-
onsregister war bei uns von Anfang an im Gesetz vorge-
sehen. Es hat sich lediglich die Ansiedlung der zentralen
Stelle geändert. Dabei sind wir den Ländern gern entge-
gengekommen. Das Substitutionsregister und die zentra-
le Stelle waren vorgeschrieben.

Ich weise mit Nachdruck Ihren Einwurf zurück, wir
hätten an den Ländern vorbei agiert. Wir haben in einer
ausgesprochen intensiven Debatte – sie dauerte mehr als
ein halbes Jahr an – mit allen Verbänden, Trägern und
selbstverständlich allen Bundesländern erörtert, wie die
Länderinteressen berücksichtigt werden könnten. Des-
halb ist unter anderem die Regelung zustande gekom-
men, dass die Bundesländer selber entscheiden müssen,
ob sie es ihren Städten über eine Verordnungsermächti-
gung ermöglichen, Drogenkonsumräume unter den ge-
nannten qualitätsorientierten Mindeststandards einzu-
richten.

Sie haben sich an einigen Mindeststandards hochge-
zogen und gesagt, man hätte noch dies und das und jenes
machen können. Dazu möchte ich Ihnen zur Kenntnis
geben, dass hierbei ausdrücklich die Wünsche der ver-
schiedenen Länder eingeflossen sind, die einen gewissen
Gestaltungsspielraum wollten. Es waren ausdrücklich
CDU-geführte Bundesländer, die das eingefordert ha-
ben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig!)


Ich glaube, Sie werden kaum ein Gesetz finden – das
hier ist ja eine vergleichsweise kleine Regelung –, zu
dem so intensiv, auch unter Einbeziehung der Leitung
unseres Hauses, die Länder gehört würden und deren
Anregungen mit eingeflossen sind. Ich bin mit Fleiß ge-
prügelt worden, weil es deswegen ja auch Schwierigkei-
ten gibt. Bayern hat ja schon angekündigt, dass es diese
Möglichkeit nicht eröffnen wird. Wir haben aber gesagt,
das geht nicht über die Köpfe der Länder hinweg, das
muss in einem breiten Konsens derjenigen, die in der
Politik auf dem Stand von heute sind, geschehen. Herr
Hüppe, es tut mir leid, Sie sind noch ein junger Kollege,
aber ich habe sehr viele Ältere gehört, die bei der Dro-
gen- und Suchtpolitik mehr auf dem Stand der Zeit sind
als Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben hier im Bundestag im Dezember deshalb
mit großer Mehrheit dem Gesetz zugestimmt. In der
Bundesratssitzung am 4. Februar haben dann zwei
Stimmen gefehlt, obwohl wir von vornherein davon
ausgehen konnten, dass wir die Zustimmung erhalten.
Ich will aber nicht nachkarten.

Ich bin außerordentlich froh und dankbar – das möch-
te ich hier betonen –, dass zusätzlich zum Saarland, das
allein CDU-regiert ist – ich kann nicht genug die enga-
giert sachkundige und realitätsbezogene Rede der saar-
ländischen Gesundheitsministerin im Bundesrat loben –,
auch Hessen über die Hürde gesprungen ist. Die zwei
Wünsche aus Hessen haben wir gern aufgenommen.

Hubert Hüppe






(A)



(B)



(C)



(D)


Denn es handelt sich unseres Erachtens um eine Klar-
stellung der Zielsetzung, die die einbringenden Fraktio-
nen und selbstverständlich auch die Bundesregierung
haben.

Wenn wir Hilfe wollen, auch Überlebenshilfe, dann
ist klar, dass letztlich der Wunsch dahinter steht, dass
abhängig gewordene Menschen irgendwann einmal voll-
ständig von der Sucht frei werden. Deshalb haben wir
gern diese beiden Worte „und ausstiegsorientiert“ mit
aufgenommen. Es ist eine Klarstellung in unserem Sin-
ne.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte ganz kurz ein paar Punkte aufzählen, die
wichtig sind und unsere Zielsetzung wiedergeben: Es
handelt sich um die rechtliche Klarstellung der Drogen-
konsumräume, um die Einführung des Substitutionsre-
gisters – das, wie schon gesagt, 1997 zu Recht von allen
Bundesländern eingefordert wurde – und die besondere
Qualifikation für substituierende Ärzte.

Die Mindeststandards für Drogenkonsumräume
werden im Gesetz festgelegt, weil wir eben keine
„shooting galleries“ wollen – gekachelt, gefliest, die
Leute geben sich ihren Schuss, gehen raus und finden
überhaupt keine Hilfsangebote vor. Das wollen wir aus-
drücklich nicht und das wollen auch die Länder, die das
unterstützen, nicht. Darum haben wir die zehn Mindest-
standards festgelegt, die gewährleisten, dass Drogenkon-
sumräume Beratung und Hilfe sowie weiterführende
Angebote für die Betroffenen anbieten.

Außerdem wird dadurch gewährleistet, dass Drogen-
konsumräume weder der Begehung von Straftaten noch
dem Drogenmissbrauch von Menschen Vorschub leis-
ten, die eben nicht wegen ihrer schon bestehenden Dro-
genabhängigkeit ohnehin täglich Opiate konsumieren.
Erstkonsumenten und Gelegenheitskonsumenten haben
keinerlei Zutritt zu diesen Räumen. Hier sollte man bitte
keinerlei Legendenbildung betreiben und Eltern verunsi-
chern und verängstigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.])


Schon abhängigen Personen sollen in den Drogen-
konsumräumen gesundheitliche Hilfe, Überlebensschutz
und weiterführende Angebote im gesamten Netz der
Drogenhilfe angeboten und gewährt werden. Wenn man
sich einmal darauf einlässt und mit offenen Augen sol-
che Einrichtungen anschaut, sieht man, dass das begrü-
ßenswerte alltägliche Praxis ist und dass man damit
wirklich imstande ist, diesen Menschen zu helfen.

Ich möchte jetzt noch auf einige Punkte eingehen, die
von den Gegnern einer solchen Reform vorgetragen
wurden, unter anderem wieder von Herrn Hüppe heute.
Es wird behauptet, der Drogenhandel werde im Umfeld
der Einrichtungen zunehmen. Das trifft aber nach allen
bisherigen langjährigen Erfahrungen mit diesen Einrich-
tungen – etwa in Hamburg oder in Frankfurt – eben
nicht zu. Das wurde sogar ausdrücklich vom Bundes-

kriminalamt schon 1998 – und zwar noch vor der Bun-
destagswahl – bestätigt.

Es wird behauptet, Präventionsbemühungen und Hil-
fen zum Ausstieg würden unterlaufen. Auch das stimmt
nicht, Herr Hüppe, im Gegenteil: Hier werden langjährig
verelendete Drogenabhängige erreicht, die andere An-
gebote der Hilfe bisher nicht angenommen haben. In al-
len bestehenden Drogenkonsumräumen werden Betrof-
fene in Entgiftung, in Methadonbehandlung und sogar in
Abstinenztherapien vermittelt, auch wenn das ein müh-
samer und langwieriger Prozess ist. Die Alternative ist
zu sagen: „Denen muss es noch viel dreckiger gehen“,
sie einfach allein zu lassen und ihnen keine Hilfestellun-
gen anzubieten. Das hat dann die Konsequenz, dass vie-
le dieser Menschen hinterher tatsächlich in der Drogen-
totenstatistik auftauchen und zu beklagen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Menschenverachtend, was die CDU/CSU macht!)


Es wird behauptet, es sei doch paradox, dass geduldet
werde, dass unter staatlicher Aufsicht gefixt wird. Herr
Hüppe, Suchtarbeit muss sich ständig mit paradoxen Si-
tuationen befassen. Die Flucht in eine scheinbare Ein-
deutigkeit ist tatsächlich die Flucht aus der Realität.
Denn damit wird verkannt, dass Abhängige, die von
existierenden Hilfsangeboten eben nicht erreicht wer-
den, unter katastrophalen hygienischen Bedingungen in
der Verelendungsspirale noch weiter absteigen.
Es wird weiterhin behauptet, es werde nur für eine klei-
ne Gruppe von Süchtigen etwas angeboten und damit
werde anderen Bereichen Geld entzogen, aber man müs-
se die Abhängigen insgesamt im Auge behalten. Aber
genau das tun wir von den Koalitionsfraktionen und der
Bundesregierung.

Herr Kollege Schmidt hat schon klargestellt: Wir be-
haupten doch hier überhaupt nicht, dass das der Kö-
nigsweg ist. Es ist ein kleiner Baustein, ein kleiner, aber
wesentlicher Mosaikstein, der jetzt mit der rechtlichen
Klarstellung hinsichtlich der Drogenkonsumräume eine
Lücke in unserem insgesamt sehr ausdifferenzierten Hil-
fesystem im Bereich der Überlebenshilfe schließt. Der
Stein muss an diese Stelle, gerade wenn man diejenigen,
die am meisten Unterstützung und Hilfe brauchen, nicht
allein lassen will.

Ich verstehe Sie nicht. Wir tragen nicht das „hohe C“
im Parteinamen. Es ist doch auch ein Gebot der christli-
chen Barmherzigkeit, dass man so etwas tut. Ich verste-
he Sie da überhaupt nicht mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir dürfen nicht zynisch diejenigen, die am meisten
verelendet sind, ihrem Schicksal preisgeben.

Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen, dass
diese Maßnahmen nicht den Vorschriften der internatio-
nalen Suchtstoffübereinkommen zuwiderlaufen, denn
die Bundesregierung nimmt die bekannten allgemeinen
Bedenken der zuständigen Behörden der Vereinten Na-

Christa Nickels






(A)



(B)



(C)



(D)


tionen gegen Drogenkonsumräume sehr ernst. Sie hat sie
sorgfältig geprüft und ihnen in dem vorliegenden Gesetz
Rechnung getragen. Danach sind Straftaten, besonders
der Drogenhandel, sowie jede Art der Beihilfe auch und
gerade in Drogenkonsumräumen nach den allgemeinen
Strafvorschriften zu verfolgen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409007000
Frau Kollegin, Sie
müssten bitte zum Schluss kommen.


Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409007100
Ich
bin jetzt direkt fertig. – Außerdem müssen die Träger
der Einrichtungen in Abstimmung mit den Behörden –
ich zitiere – zusätzliche „Maßnahmen zur Verhinderung
von Straftaten in Drogenkonsumräumen“ sowie „im
unmittelbaren Umfeld der Drogenkonsumräume“ ge-
währleisten. Wir werden hier im Gespräch auch mit dem
INCB und den internationalen Suchtstoffkontrollbehör-
den bleiben und diesen Standpunkt auch weiter vertreten
und dafür werben.

Ich bin sehr froh, dass die Bundesländer und teilweise
auch die dort führenden CDU-Politiker gestern wirklich
mitgeholfen haben, dieses Gesetz auf den Weg zu brin-
gen. Ich muss sagen, ich werde mich erst richtig darüber
freuen, wenn wir morgen die Mehrheit für dieses Gesetz
im Bundesrat erzielen. Ich glaube, damit haben wir dann
wirklich ein kleines, gutes Element, das für eine sehr be-
troffene Gruppe, für die Angehörigen und auch diejeni-
gen, die in diesen Bereichen arbeiten, sehr wichtig ist,
geschaffen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409007200
Es spricht jetzt
Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die
F.D.P.- Fraktion.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1409007300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
F.D.P.-Fraktion begrüßt, dass es im Vermittlungs-
ausschuss zu diesem Ergebnis gekommen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben schon lange diese Richtung verfolgt und sie –
das war ja heute hier im Plenum erlebbar – bis 1998
nicht durchsetzen können. Deshalb sind wir froh, dass es
gerade auch mit Beteiligung der F.D.P. in den Ländern
zu einem sehr guten Kompromiss gekommen ist.

Ich glaube, alles das, was die Vorredner positiv dazu
gesagt haben, muss ich hier nicht wiederholen. Dazu ge-
hört, dass Vorgaben dafür gemacht werden, wie diese
Drogenkonsumräume betrieben werden sollen. Denn ge-
rade uns ging es nie darum, nur einfach Räume zuzulas-
sen, ohne dann einheitliche Vorgaben zu haben, was in
diesen Räumen passiert, nämlich dass dort konsumiert
wird, dass da aber auch Angebote gemacht werden, dass

die psycho-soziale Betreuung eine entscheidende Rolle
spielt, dass es die Möglichkeit der medizinischen Bera-
tung und der Information über Therapie gibt. Von daher
haben wir überhaupt kein Problem mit der im Vermitt-
lungsausschuss jetzt hinzugefügten Ergänzung, dass in
diesen Räumen auch versucht wird, in Kontakt mit den
Schwerstabhängigen zu kommen, so dass sie letztend-
lich frei von Sucht leben können. Aber man muss auch
all die Schritte gehen, die nicht sofort und nicht unmit-
telbar zum Ausstieg führen, die aber dieses Ziel letzt-
endlich ganz deutlich anstreben.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es gut, dass es
trotz immer noch sehr grundlegender Widerstände, wie
sie von Herrn Hüppe formuliert worden sind, hier im
Bundestag und – da bin ich sehr zuversichtlich, eigent-
lich sicher – auch morgen im Bundesrat eine Mehrheit
für den Gesetzentwurf gibt. Es hat sich in den Beratun-
gen im Vermittlungsausschuss gezeigt: Die praktische
Erfahrung in Hessen hat dazu geführt, dass ein Land mit
einer CDU/F.D.P.-Regierung zum entscheidenden
Durchbruch beigetragen hat.


(Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Christa Nickels Aber diese praktischen Erfahrungen dort fußen leider immer noch auf einer ungesicherten Rechtsgrundlage. Alle die, die sagen, Suchtabhängigkeit ist Krankheit, hat die Gefahr umgetrieben, dass diejenigen, die helfen wollen, sich immer noch mit einem Bein in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren befinden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gerade sie müssen sicher sein, sich nicht strafbar zu ma-
chen. Das wird mit diesem Gesetzentwurf erreicht.
Ich möchte nicht mehr auf die Änderungsvorschläge
eingehen, die die F.D.P.-Fraktion im Bundestag einge-
bracht hatte und die eine andere Ausgestaltung des Ge-
setzentwurfes zum Inhalt hatten, nämlich dass wir an die
Einrichtung solcher Räume und die Erteilung der Er-
laubnis, solche Räume einzurichten, Anforderungen ge-
stellt haben, aber dass wir dies nicht zwingend an eine
Rechtsverordnung koppeln wollten. Denn wir alle wis-
sen und können es an den Redebeiträgen im Bundestag
wie dem des Kollegen Hüppe nachvollziehen, dass das
jetzt sehr unterschiedlich in den Ländern gehandhabt
werden wird.

Ich hoffe und wünsche, dass die Landesregierungen
alle Kommunen, die wirklich Probleme mit Suchtab-
hängigen, Schwerstabhängigen und mit der damit ein-
hergehenden Kriminalisierung haben, in die Lage ver-
setzen, entsprechende Räume einzurichten. Wir haben
nie das Ziel verfolgt, Deutschland flächendeckend mit
Drogenkonsumräumen zu überziehen; vielmehr wollten
wir rechtliche Sicherheit, Entscheidungs- und Hand-
lungsfreiheit für die Kommunen erreichen, in denen sol-
che Räume aufgrund der örtlichen Konstellationen ge-
braucht werden. Das wird durch den jetzigen Gesetz-
entwurf sichergestellt. Deshalb stimmen wir im Bundes-
tag dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu. Auch
die hessische F.D.P. wird dafür sorgen, dass diesem Ge-

Christa Nickels






(A)



(B)



(C)



(D)


setzentwurf ebenfalls im Bundesrat zugestimmt werden
wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409007400
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Ulla Jelpke für die PDS-
Fraktion.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409007500
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Auch die PDS wird dem Ergebnis des Ver-
mittlungsausschusses zustimmen. Uns geht der Gesetz-
entwurf – das haben wir in den vorherigen Debatten
deutlich gemacht – zwar nicht weit genug, aber im
Rahmen der Beratungen unseres eigenen Antrags in den
nächsten Wochen werden wir mit Sicherheit unsere wei-
tergehenden Vorstellungen darlegen können.

Nach meiner Meinung ist es schlimm genug, dass wir
heute überhaupt über diesen Vermittlungsvorschlag dis-
kutieren müssen. Das zeigt eigentlich nur, wie heuchle-
risch die CDU/CSU Drogenpolitik, Drogensucht und
Drogenkriminalität diskutiert und sie auch in der Ver-
gangenheit diskutiert hat. Man muss sich nur die Zahl
der Drogentoten, die schon erwähnt worden ist, an-
schauen: Es gab im letzten Jahr 1 812 Tote. Das ist ein
Anstieg um 20 Prozent in zwei Jahren.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Vor allem Methadontote!)


Diese Zahl sollte uns alarmieren, endlich mehr zu tun.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es selbst in

einer Stadt wie Berlin, die von CDU und SPD gemein-
sam regiert wird, noch immer nicht möglich ist, Fixer-
stuben einzurichten und betroffenen Menschen die Mög-
lichkeit zu geben, sich unter einigermaßen gesundheits-
gemäßen Umständen ihre Spritze zu setzen. Auch in
Berlin ist die Zahl der Drogentoten von 160 auf 205 im
letzten Jahr gestiegen.

Zu Ihrer Erinnerung, Herr Hüppe: Unter den Flächen-
ländern liegt das CSU-regierte Bayern an der Spitze hin-
sichtlich der Zahl der Drogentoten. Ich verstehe über-
haupt nicht, wie Sie behaupten können, dass die Ein-
richtung von Fixerstuben nichts gebracht habe, obwohl
die Zahl der Drogentoten dort, wo solche Räume einge-
richtet worden sind, heruntergegangen ist.

Ich meine, die Drogensucht ist nicht mit Mitteln der
Strafverfolgung zu bekämpfen; vielmehr müssen wir –
das haben wir hier schon sehr oft diskutiert – wirklich
humane Einrichtungen schaffen und ganz konkrete Hil-
fen zum Beispiel durch eine umfassende Legalisierung
leisten. Wir müssen mehr Therapiemöglichkeiten schaf-
fen, wie es schon eben von der Drogenbeauftragten dar-
gelegt worden ist.

Die Aufklärung über jede Art von Drogen muss aus-
gebaut werden. Vor allen Dingen muss auch jede Art der
Werbung für Drogen verboten werden, auch für Tabak

und Alkohol. Ich verweise auf eine Kleine Anfrage
meiner Fraktion, in der sehr deutlich geworden ist, dass
es auch hier ein riesengroßes Problem gibt: Durch den
Konsum von Tabak und Alkohol sterben im Jahr 42 000
Menschen. Ich kann leider aus Zeitgründen nicht näher
auf die Folgen dieser Drogen für die Gesundheit der
Menschen und auf das eingehen, was hier ebenfalls ge-
tan werden müsste.
Grotesk und meilenweit von jeder Realität entfernt
ist nach meiner Meinung auch das Urteil der
17. Großen Strafkammer vom 26. März letzten Jahres.
Danach ist Samenhändler Jochen Forer zu einem Jahr
und vier Monaten ohne Bewährung verurteilt worden,
weil er in seinem Keller trotz des seit 1. Februar 1998
geltenden so genannten Hanfsamenverbots – CDU/CSU
und F.D.P. haben dies durchgesetzt – noch Hanfsamen
für die Lebensmittelherstellung lagerte. Jede höhere In-
stanz hat Rechtsmittel abgelehnt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409007600
Frau Kollegin, auch
Sie müssen auf Ihre Redezeit achten.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409007700
Ich komme gleich zum Schluss.
Ich möchte nur noch einen Gedanken äußern.

Ich meine, dass solche Urteile ebenfalls verhindert
werden müssen, indem wir neue Gesetze schaffen. Wir
brauchen Reformen und vor allen Dingen eine liberali-
sierte Drogenpolitik. Nur das und nicht die Repression
wird den Drogenabhängigen wirklich helfen.

Danke.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409007800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-


(Vermittlungsausschuss)

Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (Drittes
BtMG-Änderungsgesetz – 3. BtMG-ÄndG)

– Drucksachen 14/1515, 14/2345, 14/2665,
14/2796 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Das ist nicht der Fall. Wird das Wort für eine weitere
Erklärung gewünscht? – Das ist ebenso nicht der Fall.

Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Der
Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1
seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deut-
schen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzu-
stimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung
des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/2796?
– Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger






(A)



(B)



(C)



(D)


lung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion an-
genommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zur Patentver-

gabe des Europäischen Patentamtes auf Gen-
manipulation an menschlichem Erbgut

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes-
regierung hat die Bundesministerin Andrea Fischer.


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409007900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben
es mit einem Vorgang zu tun, der in den vergangenen
Tagen, wie ich finde, zu Recht nicht nur sehr viel Auf-
merksamkeit, sondern auch sehr heftige Reaktionen her-
vorgerufen hat. Das Europäische Patentamt hat bestätigt,
dass es auf eine Klonierungstechnik zur Herstellung von
embryonalen Stammzellen ein Patent erteilt hat. Es hat
sich selber dazu bekannt, dass diese Erteilung ein Ver-
sehen gewesen sei. Wir haben es einerseits mit einem
rechtlich, aber natürlich auch mit einem ethisch-
moralisch und damit politisch zu bewertenden Vorgang
zu tun.

Was die rechtliche Seite angeht, möchte ich vor allen
Dingen darauf hinweisen, dass das Europäische Patent-
amt bei der Vergabe von Patenten sozusagen die kom-
merzielle Verwertung von Forschungsergebnissen und
in diesem Fall von embryonalen Stammzellen regelt. Es
lässt sich viel Kritisches darüber sagen, ob wir über-
haupt wollen, dass menschliche embryonale Stammzel-
len zum Gegenstand von kommerziellem Handeln wer-
den. Dies wird durch die Bioethik-Richtlinie der
Europäischen Union gar nicht zugelassen.

Vor allen Dingen ist unabhängig von der Frage, ob
jemand ein kommerzielles Recht dazu hat, noch zu klä-
ren, ob die nationalen Gesetze diese Forschung über-
haupt zulassen. Ich erkläre hier ganz eindeutig: Nach
dem Embryonenschutzgesetz, das wir seit zehn Jahren
haben, ist die Manipulation an embryonalen Stammzel-
len im Stadium der Totipotenz untersagt. Dieses Gesetz
gilt unabhängig davon, welche Patente dort erteilt wer-
den. Dies muss aus gegebenem Anlass festgehalten wer-
den.

Ich habe eben gesagt, dass dieser Vorgang beim Eu-
ropäischen Patentamt zu Recht heftige Reaktionen her-
vorgerufen hat. Man kann sich darüber mit gutem Grund
sehr ärgern. Die Frage, wer dieses Patentamt eigentlich
überwacht, wird sicherlich aufgeworfen. Aber ich finde,
dieser Vorgang hat auch sein Gutes: Die Reaktionen der
letzten Tage haben doch gezeigt, dass es bei allem, was
sich in der Forschung geändert hat, offensichtlich einen
sehr breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, was die
Grenzen, die wir in diesem Bereich setzen wollen, an-
geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der F.D.P.)


Ich muss ehrlich sagen: Ich bin über den Umstand froh
und ich bin erleichtert, dass die Bestimmung, wonach
wir keine Forschung und keine Manipulation an embry-
onalen Stammzellen vornehmen dürfen, fortbesteht.

Wir haben in der Tat enge Grenzen gesetzt, die auch
immer wieder in die Kritik geraten. Ich will zum einen
gegen das Argument, man mache damit eine Forschung
unmöglich, die helfe, menschliches Leiden zu verhin-
dern, festhalten, dass man nicht auf embryonale Stamm-
zellen zurückgreifen muss, um diese Forschung durch-
zuführen. Deswegen ist dies meines Erachtens kein
stichhaltiges Argument, um die bestehenden Grenzen
aufzuweichen. Ich glaube aber, dass wir auch wegen der
unabsehbaren Folgen, die nicht nur diese Forschung,
sondern die auch die damit möglich werdenden Eingriffe
in die menschliche Keimbahn, die nach deutschem
Recht ebenfalls untersagt sind, mit sich bringen, recht
daran tun, an dieser Grenze festzuhalten. Auch die an-
sonsten sehr umstrittene Bioethik-Konvention des Euro-
parates ist an diesem Punkt eindeutig, Wir sollten die
Grenzen nicht aufweichen, weil wir nicht um die Folgen
wissen, die da auf uns zukommen.

Ich bin durchaus erleichtert, dass offenbar in unserer
Gesellschaft ein Konsens darüber möglich ist, weil wir,
um einen altmodischen Begriff zu gebrauchen, Ehrfurcht
vor dem menschlichen Leben haben. Dementsprechend
diskutieren wir auch besonders sensibel über die Gren-
zen. Diese Grenzen werden uns in den nächsten Mona-
ten und Jahren immer wieder beschäftigen. Wir werden
immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob das jetzige
Embryonenschutzgesetz noch der neueren Forschungs-
entwicklung standhält.

Wir wurden von der Gesundheitsministerkonferenz
aufgefordert, darüber zu diskutieren, ob wir ein Fort-
pflanzungsmedizingesetz brauchen. Wir tun das im Mai
auf einem Symposium, das sehr breit angelegt ist. Dabei
legen wir großen Wert darauf, dort alle Positionen reprä-
sentiert zu haben. Ich glaube, dass dieses Haus gut bera-
ten ist, sich über ein Verfahren zu verständigen, am bes-
ten jenseits der Fraktionsgrenzen, und darüber zu reden,
ob wir in der Fortpflanzungsmedizin neue, an-
gemessenere Regelungen brauchen.

Ich mache mir darüber keine Illusionen: Diese Debat-
te berührt sehr stark moralisch-ethische Fragen. Das sind
einerseits immer sehr wertvolle Debatten, andererseits
oft auch sehr schwierige Debatten. Ich selber habe eine
sehr eindeutige Haltung zu einigen Punkten, die auch
stark von Moralkategorien geprägt ist. Ich will mir aber
meinerseits alle Mühe geben, die Diskussion so zu orga-
nisieren, dass jede Position, die vertreten wird, den ihr
zukommenden Respekt erfährt und wir hinterher zu ei-
nem von einer breiten Mehrheit getragenen Ergebnis
kommen. Ich glaube, dass dies das einzig Angemessene
für eine so schwierige Frage ist, bei der unterschiedliche
Rechtsgüter gegeneinander aufgewogen werden, aber
eben auch unsere höchstpersönliche Sicht auf das
menschliche Leben mit hineinkommt.

Ich selber vertrete eine eher konservative Haltung
und sage: Wir müssen bei dem, was wir medizinisch
machen, Grenzen setzen. Ich sage dies aber, wie gesagt,

Vizepräsidentin Petra Bläss






(A)



(B)



(C)



(D)


mit Respekt vor all denjenigen, die eine andere Position
mit guten Argumenten vertreten. Ich nehme an, dass ei-
nige dieser Argumente auch heute schon in der Aktuel-
len Stunde hier benannt werden und wir andere in der
weiteren Debatte, von der ich hoffe, dass wir sie mit der
gebotenen Ernsthaftigkeit hier in diesem Hause führen,
bekommen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409008000
Das Wort für die
Fraktion der CDU/CSU hat jetzt der Kollege Hubert
Hüppe.


Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1409008100
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Wir wollen und brauchen den
wissenschaftlichen Fortschritt gerade im Bereich der
Medizin. Forschungserfolge und ihre wirtschaftliche
Nutzung sichern Gesundheit, hohe Lebenserwartung und
materiellen Wohlstand. Wir brauchen und wollen den
Fortschritt der Bio- und Gentechnologie. Doch gerade
derjenige, der Akzeptanz für diese Bereiche schaffen
will, muss verbindlich sagen, wo die Grenzen liegen.

Die wesentliche Grenzlinie – ich hoffe, da sind wir
uns einig – verläuft dort, wo auf die genetische Identität
des Menschen zugegriffen wird, wo der Mensch zum
Objekt oder gar zum Produkt gentechnischer Manipula-
tionen wird. Das Europäische Patentamt hat diese abso-
lute Grenze verletzt. Von daher begrüße ich ausdrück-
lich für die Union die Entscheidung der Bundesregie-
rung, Einspruch einzulegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Allerdings, auch das muss man sagen, ist es schon
bedenklich, dass wir erst – das gilt nicht nur für die Re-
gierung, sondern auch für uns – durch Medien auf die-
sen Sachverhalt hingewiesen worden sind. Wir müssen
wissen, dass Patente in diesem Grenzgebiet eine fatale
Wirkung entfalten können.

Wir müssen dafür sorgen, dass wir Beobachtungsme-
chanismen aufbauen können, die solche wirtschaftlichen
Anwendungen im Bereich des menschlichen Lebens
verfolgen. Diesmal haben wir noch einmal Glück ge-
habt, da die Einspruchsfrist erst im August abläuft. Aber
wir müssen die Warnung verstehen. Es muss uns besorgt
machen, was wir auf dem Gebiet der genetischen Dia-
gnostik und der sich abzeichnenden Verfügbarmachung
des Menschen beobachten können. Wir haben heute An-
lass genug, zu erkennen, dass wir das, was wir dort beo-
bachten können, auch tatsächlich aufmerksam beobach-
ten müssen.

Mit Recht sind wir auf den hohen Standard für den
Schutz des Menschen im Bereich Forschung und Tech-
nik in Deutschland stolz, der die Anwendung des oben
genannten Patentes verbieten würde. Darin stimmen wir
mit Ihnen, Frau Ministerin, überein. Das geltende deut-

sche Embryonenschutzgesetz bedroht jede Verwendung
menschlicher Embryonen, die nicht deren Erhaltung
oder der Herbeiführung einer Schwangerschaft dient –
insbesondere das Klonen und Keimbahneingriffe –, mit
Freiheitsstrafe.

Das Embryonenschutzgesetz hat – vor nun fast
zehn Jahren – weit vorausblickend Grenzlinien auch in
solchen Bereichen gezogen, die sich damals wissen-
schaftlich-technisch erst am Horizont abgezeichnet ha-
ben. Damals waren Klonen, genetische Selektion
menschlicher Embryonen im Reagenzglas und Eingriffe
in die menschliche Keimbahn noch weit entfernt von je-
der kommerziellen Anwendung. Damals war es auch ei-
ne leichte Übung, entschiedenen Widerstand gegen sol-
che Praktiken öffentlich zu bekennen.

Das ist heute anders. Die Techniken stehen vor der
Tür. Sie sind eine Anfrage an unser gemeinsames Men-
schenbild. Wir haben den ethischen Ernstfall. Hier sehe
ich Anlass zu Besorgnis: Im Internet lädt Ihr Ministeri-
um, Frau Fischer, für Mai zu einem Symposium über
Fortpflanzungsmedizin ein und veröffentlicht zugleich
„Leitfragen“, die zentrale Punkte des Embryonenschutz-
gesetzes zur Diskussion stellen. Darunter fallen die um-
strittene Präimplantationsdiagnostik, die heute in gewis-
sen Fällen auch von der Ärztekammer befürwortet wird,
sowie die Gewinnung und Verwendung embryonaler
Stammzellen. Wer solche Fragen stellt, Frau Ministerin,
stellt natürlich auch ein Gesetz infrage. Das muss man in
diesem Zusammenhang betonen.

Das Symposium und die Leitfragen stellen den be-
währten und von einem breiten gesellschaftlichen Kon-
sens getragenen Embryonenschutz infrage. Ich teile,
Frau Ministerin, im Übrigen nicht die Auffassung, dass
die Bioethik-Konvention ein solches Patent verbieten
würde, weil in der Tat die Keimbahntherapie durch
Art. 13 der Bioethik-Konvention nur dann verboten
wird, wenn das Ziel in der Veränderung von Nachkom-
men liegt. Dies wäre bei Stammzellen nicht der Fall, da
man dort Menschen nur als Ersatzteillager produzieren
will, die hinterher selbst keine Nachkommen haben
werden. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass das eine
offene Flanke ist. Es wäre besser, wenn die entspre-
chenden Vertreter diese Frage klären würden. Ansonsten
ergäbe sich, auch im Zusammenhang mit dem europäi-
schen Recht, eine gefährliche Lücke.

Ich glaube, dass die Zeit gekommen ist, gemeinsam
den Lebensschutz in diesen Bereichen nach vorne zu
bringen und gemeinsam – weg von aller Ideologie – zu
handeln. Wir sollten uns auf das verständigen, was der
Nobelpreisträger Albert Schweitzer als Appell an uns al-
le gerichtet hat, nämlich „Ehrfurcht vor dem Leben“.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409008200
Es spricht jetzt der
Kollege Bernhard Brinkmann, SPD-Fraktion.


Bernhard Brinkmann (SPD):
Rede ID: ID1409008300
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Bundesministerin Andrea Fischer






(A)



(B)



(C)



(D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung des
Europäischen Patentamts, der Universität Edinburgh ein
Patent zu erteilen, das unter anderem ein Verfahren zur
Isolierung, Anreicherung und selektiven Vermehrung
von so genannten tierischen Stammzellen zum Inhalt hat
und somit auch Stammzellen aus der Keimbahn oder aus
dem Embryo umfasst, hat berechtigterweise in der Öf-
fentlichkeit große Aufmerksamkeit und Irritationen aus-
gelöst. Daher bin ich der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen sehr dankbar, dass sich über die gestrige Befragung
der Bundesregierung hinaus heute der Deutsche Bundes-
tag anlässlich einer Aktuellen Stunde mit dieser sehr
sensiblen Thematik befasst.

Inzwischen steht fest, dass dieses Genpatent irrtüm-
lich erteilt wurde und darüber hinaus gegen deutsche
Gesetze sowie die eigenen EU-Patentrichtlinien ver-
stößt. Ich danke daher der Justizministerin sehr aus-
drücklich dafür, dass sie bereits gestern anlässlich der
Befragung der Bundesregierung sehr deutlich zu diesem
Thema Stellung bezogen hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hier wurde sehr schnell reagiert; denn eines steht ein-
deutig fest: Menschliche Gene sind nicht patentierbar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aus einem Statement von Professor Dr. Hoppe von

der Bundesärztekammer darf ich mit Genehmigung der
Frau Präsidentin zitieren.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie können ohne weiteres zitieren!)


– Vielen Dank für den Hinweis, Herr Geis. Wenn ich
erst einmal so lange dabei bin wie Sie, dann weiß ich
darüber Bescheid. – Ich zitiere:

Es muss Klarheit darüber bestehen, dass menschli-
che Gene oder Gensequenzen nicht patentierbar
sind, sondern lediglich Herstellungsverfahren und
Verfahrensschritte für gentechnische Medikamente
patentfähig sein können.
Das genetische Erbe der Menschheit ist Allgemein-
gut und keine Handelsware. Deshalb hat die deut-
sche Ärzteschaft immer wieder mit Nachdruck da-
rauf bestanden, dass der Mensch oder Teile des
Menschen nicht patentierbar sind. Neue Erkennt-
nisse über natürliche Gegebenheiten sind Entde-
ckungen, niemals aber Erfindungen. Patente kön-
nen nur auf Erfindungen erteilt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des
Europäischen Patentamtes, gentechnisch veränderte
menschliche Zellen patentrechtlich zu schützen, ei-
ne außerordentlich Besorgnis erregende Entwick-
lung. Die Entscheidung darf keinen Bestand haben
und muss sofort korrigiert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Bundesärztekammer, Deutsche Ärztetage, der
Ständige Ausschuss der Europäischen Ärzte wie
auch der Weltärztebund haben immer wieder be-
tont, dass das Genom des Menschen zum gemein-
samen Erbe aller Menschen gehört und nicht kom-
merzialisiert werden darf.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine weitere Be-
wertung aus wirtschaftspolitischer Sicht: Nicht jede Ge-
nehmigung von Genpatenten stärkt den Wirtschafts-
standort Deutschland und nicht jede Ablehnung
schwächt den Wirtschaftsstandort Deutschland. Daher
müssen wir bei diesem sensiblen Thema alles unterneh-
men, damit diese falsche Patenterteilung verhindert
wird. Ich bin dem Kollegen Hüppe sehr dankbar, dass er
zum Ausdruck gebracht hat, dass zu diesem Thema in
diesem Hause bestimmt Einigkeit bestehen wird.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409008400
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Edzard Schmidt-
Jortzig.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1409008500
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Für die
F.D.P. – das sage ich ausdrücklich – ist der Sachverhalt,
um welchen sich die Aktuelle Stunde dreht, ebenso ein-
deutig inakzeptabel wie, so glaube ich, für alle Fraktio-
nen in diesem Hause. Wir verlangen deshalb von der
Bundesregierung, mögliche Schritte zur Beseitigung der
vorgekommenen gravierenden Fehlleistung im Europäi-
schen Patentamt und zur künftigen Vermeidung erneu-
ter, ähnlicher Vorgänge zu ergreifen.

Da ist zum einen das erteilte Patent selber. Dass ein
Verfahren – Herr Kollege Brinkmann, Sie haben diesen
Punkt eben schon angeführt – zur „Isolierung, Selektion
und Verschmelzung von transgenischen Stammzellen“
Patentierung erhielt, welches nicht ausdrücklich auf
nicht menschliche Lebewesen begrenzt wurde, ist ein
massiver Verstoß gegen geltendes Recht. Da hilft auch
das Abstraktionsprinzip beim Patentverfahren nicht.

Schon nach der Verfassung der allermeisten Mit-
gliedstaaten des Europäischen Patentübereinkommens,
aber auch nach deren linearem Recht dürfte eine Erstre-
ckung der angegebenen Manipulationen auf menschliche
Stammzellen – also ein Eingriff in die menschliche
Keimbahn – schlichtweg verboten sein. In Deutschland
ist dies bekanntlich nach Art. 1 Abs. 1 des Grundgeset-
zes und ebenso nach dem Embryonenschutzgesetz der
Fall.

Der Verstoß gegen die EU-„Richtlinie über den recht-
lichen Schutz biotechnologischer Erfindungen“ ist eben-
so offenkundig. Würde die Biomedizin-Konvention des
Europarates schon in Kraft sein, würde das Europäische
Patentamt auch gegen dessen Art. 13 verstoßen haben.

Die Bundesregierung wird deshalb unbedingt Ein-
spruch gegen das Patent erheben müssen, was sie dan-

Bernhard Brinkmann (Hildesheim)







(A)



(B)



(C)



(D)


kenswerterweise schon angekündigt hat. Sie sollte sich
darum bemühen, dass die Patentnehmer, also die Uni-
versität Edinburgh und Professor Austin Smith, aber
auch deren Forschungspartner, die australische Firma
„Stem Cell Sciences“, von dem möglichen humangene-
tischen Teil des Patents bis zur Rechtsmittelentschei-
dung des Europäischen Patentamtes keinen Gebrauch
machen. Sie scheinen das ja auch versprechen zu wol-
len, aber sicher ist es nicht.

Zum anderen ist es – in meinen Augen jedenfalls –
ein Skandal, dass das Europäische Patentamt in einem
derart sensiblen Bereich die Patentausweitung, die uns
auf den Plan ruft, wie es selber bekennt, aus Versehen
erteilt hat. Da scheinen also erhebliche Missstände zu
herrschen. Entweder ist hier tatsächlich „nur“ ge-
schlampt worden. Dann müsste man schleunigst eine
Qualitäts- und Qualifikationskontrolle durchführen.
Oder die Unachtsamkeit ist nur vorgetäuscht. Ich weiß
es nicht. Dann müsste die gesamte Legitimation der Be-
hörde auf den Prüfstand gestellt werden. Greenpeace hat
jedenfalls nachhaltige Vorwürfe dahin gehend erhoben,
dass das Amt schon seit über zwei Jahren fragwürdige
humangenetische Verfahren patentiere. Dem muss drin-
gend nachgegangen werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Dritten schließlich belegen der Vorgang, aber
auch die erschreckten Reaktionen in der Öffentlichkeit,
dass bezüglich der Möglichkeiten der Biotechnologie of-
fenbar nur ein höchst begrenztes allgemeines Problem-
bewusstsein herrscht. Soll weiterhin gar nicht oder nur
emotional reagiert werden, sind nicht nur verhängnisvol-
le Fehlentscheidungen nicht mehr zu verhindern, son-
dern geraten die großen therapeutischen und Erkenntnis-
chancen dieses Forschungsfeldes insgesamt in Misskre-
dit.

Deshalb ist es beispielsweise dringend notwendig,
dass die Bundesregierung ein so wichtiges Projekt wie
die Biomedizin-Konvention des Europarates – wie im-
mer man zu ihr stehen mag – aus Sorge vor den Emotio-
nen nicht mehr weiter vor sich her schiebt, sondern sich
ernsthaft und in der Sache damit befasst, mit welchem
Ergebnis auch immer.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Jawohl, das ist dringend geboten!)


Ebenso deutlich dürfte geworden sein, dass die nun
offenbar konsentierte Einsetzung einer Enquete-Kom-
mission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ über-
fällig ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es geht bei diesem Themenkomplex schließlich um
Grundlagen des Menschseins, also um Existenzfragen
der Menschheit. Da darf sich ein Parlament nicht um ei-
ne Durchdringung – auch wenn sie schwierig ist – und
gegebenenfalls um klare Normierungen drücken.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD, der CDU/ CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409008600
Für die PDS-
Fraktion hat der Kollege Dr. Ilja Seifert das Wort.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409008700
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen
und Zuschauer dort oben! Ewige Jugend – ein Traum.
Ewige Schönheit – ein Traum. Ewige Gesundheit – zau-
berhaft. Ewiges Leben – ein Albtraum, vermute ich. All
das aber verspricht uns die Biotechnologie, die Gen-
technologie, die dahinter stehende Bioethik.

Wir reden heute über ein Patent, das eigentlich nicht
hätte angenommen werden dürfen. Ich finde, es hätte
niemals beantragt werden dürfen, es hätte nicht so weit
kommen dürfen, dass es überhaupt beantragt werden
konnte.


(Beifall bei der PDS)

Selbstverständlich hat die PDS bereits Einspruch ein-

gelegt. Ich freue mich, dass die Regierung dies auch tun
wird. Aber, meine Damen und Herren, es handelt sich
hierbei nicht in erster Linie um ein juristisches Problem.
Hier geht es um die Frage: Welches Menschenbild ha-
ben wir? Es geht um die Frage: Wie gehen wir mit uns,
der Welt, der Natur und all dem um?

Derjenige, der entdeckt hat, was man mit den Zell-
kernen machen kann, Erwin Chargaff – inzwischen
95 Jahre alt – , hat sich von seiner Entdeckung mit Ent-
setzen abgewandt. Er warnt seit über 40 Jahren vehe-
ment davor, irreversible Veränderungen in der Natur
vorzunehmen, weil sie unanständig sind. Man kann ein
Lebewesen, das gentechnisch verändert ist, nicht „zu-
rückrufen“. Es führt dann ein Eigenleben und ist recht-
lich nicht unter Eigentumsschutz zu stellen, weder von
einer Universität, noch von einem Wissenschaftler, noch
von einer Firma , oder weiß der Teufel von wem. In die-
sem Hause konnten wir uns bisher obwohl es jetzt an-
ders aussieht – nicht einmal auf die Einrichtung einer
Enquete-Kommission zu dieser Thematik einigen. Jetzt
wird sind alle aufgeschreckt, jetzt sind wir alle entsetzt.

Meine Damen und Herren, es gibt viele, die seit Jah-
ren vor dieser Entwicklung warnen. Es gibt aber leider
auch viele, die immer nur die Chancen und Verheißun-
gen sehen und – für sie das Schlimmste – den „Wirt-
schaftsstandort“ gefährdet wähnen, wenn wir das nicht
fördern würden. Fortschrittsfanatismus hilft niemandem
weiter: uns nicht und der Menschheit als solcher auch
nicht. Ich kann vor dem Machbarkeitswahn einiger Wis-
senschaftler, einiger Techniker und auch einiger Politke-
rinnen und Politiker nur warnen.

Wie leichtfertig reden wir häufig von „menschlichem
Leiden“, das es zu beseitigen, abzuschaffen gelte. Sagen
Sie doch bitte einmal, meine Damen und Herren: Wo-
rüber sollen sich denn unsere Enkelinnen und Enkel oder
die dann im Labor konstruierten Nachkommen noch
freuen, wenn sie gar nicht wissen, was Leid ist, wenn die
gar keinen Schmerz mehr kennen? Ich stelle mir eine

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig






(A)



(B)



(C)



(D)


solche Zukunft grauenhaft vor. Deshalb: Es geht hier
nicht darum, dass nur verboten werden soll, in das
menschliche Genom einzugreifen. Ich finde, das ist viel
zu kurz gegriffen. Denn es nützt nichts, wenn ich erlau-
be, Ratten, Affen, Fische oder auch nur Bakterien gene-
tisch zu verändern, und so tue, als ob ich es irgendwie
verhindern könnte, dass es nicht doch jemanden gibt, der
dieselben Technologien, dieselben Techniken, dasselbe
Wissen und dieselben Instrumente auf Menschen an-
wendet. Wenn wir wirklich wollen, dass die Einzigartig-
keit jedes Lebewesens so bleibt, wie sie ist – dafür brau-
che ich kein religiöser Mensch zu sein –, dann können
wir nicht wollen, dass alles erlaubt ist, außer der Eingriff
in das menschliche Genom.

Das Parlament ist ein politischer Ort. Wir müssen
hier politisch entscheiden. Wir brauchen dazu auch Mut.
Wenn wir nicht dazu kommen, dass gesellschaftlich ge-
ächtet wird, was hier geschieht, kommen wir nicht wei-
ter. Die Natur ist keine „Fehlkonstruktion“. Sie bedarf
keiner irreversiblen Korrektur. Lasst Sie uns erhalten,
wie sie ist, und verschandelt sie nicht durch angebliche
„Verbesserungen“, die nur von uns wegführen können:
von den Menschen und von der Natur an sich.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409008800
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409008900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Her-
ren und Damen! Gestatten Sie, dass ich hier sage: Ich
bin wirklich beeindruckt davon, wie die Diskussion von
allen Fraktionen heute hier geführt wird, wie sie eröffnet
worden ist und wie intensiv gerade im letzten Beitrag
und auch von Ihnen, Herr Dr. Schmidt-Jortzig, das
Thema behandelt worden ist: Was geschieht, wenn der
Mensch über Instrumente verfügt, die die Fragen, was
der Mensch als Mensch ist und was der Mensch als Sub-
jekt des Menschenrechts ist, so tief berühren, dass wir
erkennen müssen, dass mit der Anwendung dieser Tech-
nologien unser gesamtes kulturelles Selbstverständnis,
das, was wir als sozial, als gerecht, als gleich empfinden
und was Moral und Ethik ausmacht, ganz tief getroffen
ist?

Wir haben diese Debatte heute als Aktuelle Stunde
beantragt, weil wir das Gefühl hatten, dass die Nach-
richt – die auch uns sehr überrascht hat – , dass eine sol-
che Patentierung genehmigt worden ist, die Menschen
zutiefst erschreckt hat. Ich denke, wir müssen deutlich
machen, dass wir als Parlament uns als eine Einrichtung
betrachten, die solche tief gehenden Fragen nicht nur ak-
tuell behandelt, sondern auch darüber hinausgehende
Antworten zu geben bereit ist und sich dieser Aufgabe
stellt.

Es wurde in den vorangegangenen Beiträgen vielfach
gefragt: Wer kontrolliert eigentlich das Europäische Pa-

tentamt? Es gibt eine Diskussion um die Inhalte der
Bioethikkonvention, bei der auch ich der Meinung bin,
dass die Grenze nicht eindeutig gezogen ist und dass
embryonale Föten Fremdinteressen unterworfen, benutzt
und verwertet werden können.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Ein Skandal!)

Insofern können wir uns nicht positiv darauf bezie-

hen. Auch aus diesem Grund – das hat die Qualität der
Debatten und der Anträge in der letzten Legislaturperio-
de in diesem Hause ausgemacht – haben wir gesagt: Die
Bundesregierung soll nicht dieser Konvention beitreten.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS] Wir haben schon damals gesagt, dass ein Nein zu die ser Bioethikkonvention und die Diskussion um die mögliche Überführung der europäischen Patentierungsrichtlinien in ein parlamentarisches Geschehen von Gesetzgebung usw. nicht ausreicht, um in die Tiefe zu dringen, die notwendig ist. Es ist ein gesellschaftlicher Konsens und wir tun gut daran, neben der Frage, was Moral und Ethik ist, auch festzustellen, dass die Menschenwürde und das Menschenbild in unserer Verfassung, im Grundgesetz, ihren unantastbaren Niederschlag gefunden haben und dass wir diese Diskussion auch als verfassungsrechtliche, grundrechtliche Diskussion führen müssen und führen können. Wir tun gut daran, wenn wir das, was in unserer Verfassung an Menschenwürde, an Unantastbarkeit festgeschrieben ist, den zivilisatorischen Konsens, den wir jenseits aller religiösen und weltanschaulichen Überzeugung haben, bestätigen und zugleich der Wissenschaft, die hier vordrängt und den Menschen in seiner Einzigartigkeit einer postmodernen Beliebigkeit anheim stellen will, deutlich machen, dass sich alles, was im Dienste der Menschheit geforscht und entwickelt wird, auf diesen Konsens beziehen muss und dass die Anwendungsorientiertheit, das Kommerzialisierungsinteresse unsere ethischen Grundwerte nicht auflösen darf. Die Industrie, die Forschung ist nicht ein separater Teil, sondern Teil unserer Kultur. Von daher ist der Entschluss, den wir jetzt endlich gefasst haben, nämlich alsbald eine Enquete-Kommission zu den Fragen Mensch, Recht, Ethik und moderne Medizin einzurichten, sehr richtig. Das steht nicht im Gegensatz zu den Positionen, die ich sehr begrüße und die seitens der beiden Ministerinnen zu diesem Problembereich geäußert worden sind. Es zeigt, dass wir das, was wir der Gesellschaft schuldig sind, positiv umsetzen und dass sich alle Fraktionen des gesamten Hauses in einem Diskurs mit der Öffentlichkeit und der Fachwelt diesen Zukunftsfragen stellen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409009000
Das Wort hat der
Kollege Werner Lensing, CDU/CSU-Fraktion.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1409009100
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen! Meine Kollegen!

Dr. Ilja Seifert






(A)



(B)



(C)



(D)


Nun wissen wir es mit beängstigender Eindrücklichkeit:
Die Entnahme von Zellen aus menschlichen Embryonen,
die gentechnische Manipulation dieser Zellen und die
Züchtung gentechnisch manipulierter Menschen just aus
diesen Zellen sind die Visionen der Genkonzerne.
Meine Damen und Herren, das sind keine zukunftszu-
gewandten Visionen. Das ist ein Schreckensszenario.

Dies alles wird nun überaus deutlich offenbart durch
das Patent, das am 8. Dezember 1999 vom Europäischen
Patentamt in München erteilt wurde. Wir wollen uns
nichts vormachen: Dieses Patent ist nur die Spitze des
Eisberges. Das Tabu ist bedauerlicherweise schon längst
gebrochen. Weltweit werden in Ländern, in denen das
strenge deutsche Embryonenschutzgesetz nicht gilt und
in denen nicht die gleichen ethischen Maßstäbe wie in
Deutschland angelegt werden, menschliche Embryonen
zu Forschungsobjekten. Damit ist der Ausverkauf
menschlicher Identität und Individualität vorprogram-
miert.

Vor diesem Hintergrund verstehe ich nicht, dass
sechs Jahre lang niemandem im Europäischen Patentamt
aufgefallen ist, dass der diesbezügliche Patentantrag „al-
le Teile von Tieren, insbesondere von Säugern – ein-
schließlich des Menschen“ – umfasst. Durch die im Pa-
tent formulierten Ansprüche wird der gentechnisch ver-
änderte Mensch eindeutig selbst zum patentierten Pro-
dukt.

Wir wissen es: Gentechniker träumen davon, mit die-
ser Methode nicht nur den Körper, sondern auch den
Geist bestimmen zu können. In dieser Situation ist der
Fehler des Europäischen Patentamtes zugleich ein Indi-
kator für eine gefährliche Entwicklung, die uns im
wahrsten Sinne des Wortes in Teufels Küche führt.
Längst ist das Unternehmen Schöpfung globalisiert, und
zwar nicht nur im Verbund von Edinburgh und Austra-
lien. Die ethische Rechtfertigung erlangen die Bio- und
die Gentechnik nach dem Verständnis meiner Fraktion
durch den biblischen Schöpfungsauftrag, durch den der
Mensch ermächtigt wird, gestaltend in die Natur ein-
zugreifen. Aber wir brauchen in diesem Falle Rechtssi-
cherheit. Ohne entsprechende Rahmengesetzgebung gibt
es keine Rechtsgarantie für den ethisch begründeten
Schutz des menschlichen Körpers.

Ich möchte hier nicht nur politische, juristische und
medizinische Argumente anführen. Vielmehr möchte ich
eine Bemerkung zu der Tatsache machen dürfen, dass
für mich diese Entscheidung auch Ausdruck eines ver-
hängnisvollen Zeitgeistes ist. Der Münchener Soziologe
Kurt Weis stellt einige die Ängste der Menschen gerade
in dieser Zeit repräsentierende Bilder eindrucksvoll vor.

Ich frage mit ihm: Was macht den Menschen zum
Menschen? Ist der Mensch heute angesichts der Genfor-
schung Mittelpunkt der Schöpfung oder nur Randfigur
im Universum? Ist er Krone der Schöpfung oder nur ein
besonders erfolgreiches Säugetier? Ist der Mensch Herr
der Schöpfung oder nicht einmal Herr im eigenen Hau-
se? Ist er moralisch ausgezeichnet oder nur durch egois-
tische Gene manipuliert? Ist er Be-Herrscher der Welt
oder technisches Anhängsel als Be-Diener seiner Tech-
nik? Ist er einmalig und besitzt er individuelle Identität

oder ist er bald durch Klonen zu vervielfältigen? Ist er
einmalig aufgrund seines intelligenten Gehirns oder
computerähnlich und damit bald übertreffbar? Ist er, te-
letechnisch gesehen, jederzeit erreichbar und ein Virtuo-
se in interaktiven Medien oder nur ein Beziehungs- und
Kommunikationskrüppel sowie ein Informationsidiot?

Vor all diesen bedrängenden Fragen möchte ich Fol-
gendes deutlich benennen:

Erstens. Der Mensch ist keine Erfindung. Er kann da-
her auch nicht patentiert werden.

Zweitens. Das genetische Erbe der Menschheit ist
keine Handelsware.

Drittens. Die EU hat die Pflicht, sich nicht nur um
den Kommerz, sondern nicht zuletzt auch um die ethi-
sche Zukunft Europas zu kümmern.


(Beifall im ganzen Hause)

Viertens. Die europäische Politik darf es sich nicht

länger gefallen lassen, dass eine Behörde mit ihrer eige-
nen Gerichtsbarkeit über so wichtige ethische Zukunfts-
fragen entscheidet, geht es doch hier nicht nur um das
Versagen von Prüfern. Dieser Fall ist vielmehr verhäng-
nisvoller Ausdruck eines Systems, das auf die Industrie
fixiert ist und nicht mehr auf dieEthik.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ich fordere daher: Patente auf Gene müssen wieder

von der Bildfläche verschwinden.

(Beifall des Abg. Bernhard Brinkmann [Hil desheim] [SPD])

Schließlich gilt es zu verhindern, dass das Klonen

von Menschen durch die Hintertür legalisiert wird.
Ich fordere: Die deutsche und die europäische Patent-

gesetzgebung müssen dringend verbessert und die Pa-
tentämter einer stärkeren öffentlichen Kontrolle unter-
stellt werden. Wir sollten nach meiner Meinung auch
überlegen, ob es nicht sinnvoll sein könnte, eine zweite
Kontrollinstanz für gentechnische Verfahren einzurich-
ten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409009200
Kollege Lensing, Sie
müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1409009300
Ich verstehe das gut;
ich habe auch nur noch zwei sinnvolle Gedanken – nach
meinem eigenen Verständnis – vorzubringen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])


Eine solche Behörde sollte unabhängig vom Europäi-
schen Parlament arbeiten.

Ich unterstütze in der Tat gemeinsam mit meiner
Fraktion die Bemühungen, die die Bundesregierung
jetzt – wie ich hoffe – offensiv angehen wird, um einen
Einspruch geltend machen zu können.


(Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin: Das ist schon geschehen!)


Werner Lensing






(A)



(B)



(C)



(D)


Durch den Tabubruch des Patentamtes ist der im Labor
produzierte und patentierte Mensch nun deutlich näher
gerückt – für mich eine Horrorvision, die es mit allen
Mitteln zu verhindern gilt.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409009400
Das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär beider Bundesministerin
für Bildung und Forschung, Wolf-Michael Catenhusen.

W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1409009500
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist
ganz wichtig, dass in der Diskussion deutlich wird, die
Vorfälle im Europäischen Patentamt können keine Frak-
tion, keine Gruppe und – wie ich denke – auch nicht die
Bundesregierung dazu bewegen, diese Vorfälle zum An-
lass für eine Deregulierungsdebatte zu nehmen. Ganz im
Gegenteil; es ist wichtig, dass der Konsens in diesem
Parlament sehr breit ist, dass die Entscheidung vom En-
de der 80er-Jahre – klare ethische Grenzziehung im
Umgang mit der modernen Biomedizin – richtig ist und
sich für Deutschland auch bewährt hat. Es geht also
nicht nur um das Versagen des Europäischen Patentam-
tes, sondern es geht um eine Entwicklung in der biome-
dizinischen Forschung, bei der das, was traditionell Me-
dikament war, verschwimmt und bei der auch die Gren-
zen für die Patenterteilung offenkundig ins Rutschen
kommen, vor allem dort, wo es um die Anwendung am
Menschen geht.

Es gibt und gab immer gute Gründe, Gene und vor al-
lem ihre Genprodukte im Kontext der Entwicklung neu-
er Medikamente patentieren zu lassen, um wichtige In-
novationen und auch Investitionen in der modernen
Pharmaforschung zu ermöglichen. Das ist bei der Ent-
wicklung von Insulin und Interferon wie auch anderer
Wirkstoffe wirklich kein streitiges Thema. Wir stehen
jetzt aber vor einer Entwicklung, in der sich das, was wir
klassisch unter einem Medikament, einem Wirkstoff
verstanden haben, dramatisch wandelt. Ein erster Schritt
ist die somatische Gentherapie, gegen die aus meiner
Sicht keine ethischen Bedenken bestehen. Aber hier
werden - das muss deutlich hervorgehoben werden -
Techniken zur Veränderung des genetischen Programms
menschlicher Körperzellen entwickelt; hier wird die
gentechnisch manipulierte Körperzelle selbst zum Me-
dikament, um Krankheiten wirksam bekämpfen zu kön-
nen.

Gerade in den letzten Monaten ist deutlich zu beo-
bachten gewesen, dass der massive Einstieg kommer-
zieller Interessen in das erhoffte Gentherapiegeschäft in
Amerika dazu geführt hat, dass Risiken verharmlost
oder verdunkelt wurden und Todesfälle bei der klini-
schen Erprobung möglicherweise zur Sicherung des
Börsenwertes von Firmen verheimlicht wurden, eine in
jeder Hinsicht inakzeptable Entwicklung.

Der Aufschwung der Stammzellforschung, insbeson-
dere die Arbeiten an der Strategie des so genannten the-

rapeutischen Klonens verschärfen diese Entwicklung
und werfen neue dramatische Fragen auf. Stammzellfor-
schung bearbeitet durchaus interessante medizinische
Fragestellungen, vor allem dann, wenn es um diejenigen
Zellen geht, die jeder von uns in seiner Leber, in seinem
Hirn hat – nämlich Stammzellen, die nicht voll ausdiffe-
renziert sind, die also in ihrer Entwicklung beeinflussbar
sind und die sich vermehren können.

Forschungsarbeiten an solchen Stammzellen sind
ethisch vertretbar; sie haben durchaus auch ein beachtli-
ches therapeutisches Potenzial. Aber die Strategie, nach
der entkernte menschliche Eizellen das genetische Pro-
gramm eines Menschen aufnehmen sollen, vielleicht
auch einmal differenzierte Zellen in totipotente Zellen
zurückverwandelt werden sollen – das ist eine dieser Vi-
sionen oder Utopien der Grundlagenforscher –, könnte
dazu führen, den Prozess der Menschwerdung asexuell
starten zu lassen. Hier ergibt sich das Problem, dass die
Technik für die Gewinnung embryonaler Stammzellen
und auch ihrer gentechnischen Manipulation plötzlich
für patentierbar erklärt wird.

Es gibt ein Patent in Großbritannien, das im Januar
erteilt worden ist und das noch viel dramatischer ist als
das, worüber wir heute reden; denn dort hat die kalifor-
nische Firma Geron zwei Patente erhalten - so berichtet
„Science“ in seiner Ausgabe vom 28. Januar 2000, – die
dieser Firma kommerzielle Rechte an durch Klonen ge-
wonnenen Embryonen sichert.
Diese Rechte erstrecken sich nach Aussage von David
Earp, Vizepräsident von Geron, auch auf menschliche
Embryonen. Offenkundig hat das britische Patentgericht
aus dem englischen Rechtszustand, dass Embryonenfor-
schung in den ersten 14 Tagen erlaubt ist – mit allen
Konsequenzen: verbrauchende Embryonenforschung, al-
les, was möglich ist –, eine Legitimation für eine Pa-
tenterteilung in dem Bereich abgeleitet, mit der Begrün-
dung, dieses Patent decke ja nur die Forschung an
menschlichen Embryonen in den ersten frühen Entwick-
lungsstadien ab. Dies geht nach dem Motto: Wo
verbrauchende Embryonenforschung erlaubt ist, kann
sich auch das Patentrecht uneingeschränkt auf teilungs-
fähige menschliche Eizellen erstrecken.

Dann, schreibt „Science“ – das ist natürlich eine hüb-
sche Wissenschaftssprache –, würden diese Stammzel-
len „geerntet“ und zur Behandlung des Patienten ver-
wandt werden: befruchtete menschliche Eizellen in den
ersten Stadien der Zellteilung sozusagen als Saatstätte
für Stammzellen. Das ist schon eine zynische Sprache.
Ich denke, dass uns mit großer Sorge erfüllen muss, mit
welcher Zielstrebigkeit hier von interessierten Firmen
die Patentierung von geklonten, manipulierten, totipo-
tenten menschlichen Zellen vorangetrieben wird.

Die europäische Patentrichtlinie sieht – das muss
deutlich hervorgehoben werden – Gott sei Dank, anders
als das amerikanische Patentrecht, durchaus die Patent-
versagung aus ethischen Gründen vor.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ja!)

Dass dies im europäischen Patentrecht verankert worden
ist, liegt maßgeblich an dem Drängen der deutschen Sei-

Werner Lensing






(A)



(B)



(C)



(D)


te. Denn es gibt in anderen europäischen Ländern auch
Patentrechte, die die Möglichkeit der Patentversagung
aus ethischen Gründen nicht vorsehen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Richtig!)

Deshalb muss unsere massive Kritik an dem Europäi-
schen Patentamt darauf zielen, dass von einer aktiven
Wahrnehmung dieser neuen Aufgabe nicht die Rede sein
kann. Das Patentamt hat bis heute nicht begriffen, dass
diese neue europäische Patentrichtlinie auch die Einhal-
tung ethisch gebotener Grenzen – gerade was den Ein-
griff in die menschlichen Erbanlagen angeht – durch das
Patentamt einfordert. Ich denke, wir sind uns einig, dass
sich das Patentamt dieser Aufgabe bisher nicht gestellt
hat und an dieser Stelle versagt hat.

Ich möchte aber noch zwei Dinge positiv würdigen.
Sie wissen, dass das Projekt zur Entschlüsselung der
menschlichen Erbanlagen eine Vielzahl von Informatio-
nen über menschliche Gene bringt und sich daher die
Frage nach Patentierung in besonderer Dringlichkeit
stellt. Es ist wichtig, an dieser Stelle positiv zu betonen:
Nur durch die Tatsache, dass das Projekt der Entschlüs-
selung menschlicher Erbanlagen aus öffentlichen Mit-
teln finanziert worden ist, besteht heute überhaupt noch
die Möglichkeit, dass das menschliche Genom mit sei-
nen Informationen tatsächlich Gemeingut wird, öffent-
lich zugänglich bleibt. Denn private Firmen vor allem in
den USA versuchen massiv, eine private Aneignung die-
ses Wissens zu erkämpfen. Es ist wichtig, dass die Ge-
nomforscher weltweit bereit sind, gegen diese Strategie
der Unternehmen – auch in Prozessen – anzugehen. Ich
glaube, wir sollten die deutschen Wissenschaftler in der
Ablehnung der privaten Aneignung dieser Informationen
stützen.

Lassen Sie mich mit einer Bemerkung zum Thema
Internationalisierung schließen. Wir sind konfrontiert
mit der Anmeldung eines Patentes, das nicht in Deutsch-
land entstanden ist. Wenn solche Patente auf europäi-
scher Ebene nicht zugelassen werden, kann es sein –
diese Entwicklung werden wir in Europa bekommen –,
dass sie in Großbritannien oder Italien zugelassen wer-
den. Wir müssen uns der Frage, wie wir internationale
Regeln und Standards auf diesem Gebiet zumindest in
Europa durchsetzen, mit einer anderen Dramatik wid-
men.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])


Ich stimme Herrn Hüppe zu: Das Menschenrechts-
übereinkommen zur Biomedizin regelt diese Frage nicht
abschließend. Zu diesem Zeitpunkt, 1996, ließ sich die
Frage des therapeutischen Klonens noch gar nicht ab-
schließend regeln, weil die Entwicklung embryonaler
Stammzellen damals nicht die Dynamik wie heute hatte.
Aber wir sind dringend darauf angewiesen, in dieser
Frage eine europäische Lösung zu finden. Deshalb las-
sen Sie uns in den Prozess stärker einsteigen: auf der ei-
nen Seite unsere gemeinsamen deutschen Positionen in-
ternational offensiv zu vertreten, auf der anderen Seite
aber nicht die schwierige Frage wegzudrücken, was uns
internationaler Konsens wert ist, auch dann, wenn die
Regelungen nicht voll dem deutschen Schutzniveau ent-

sprechen. Diese Frage wird sich in den nächsten Mona-
ten noch mit viel größerer Dramatik stellen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409009600
Es spricht jetzt der
Kollege Peter Hintze für die CDU/CSU-Fraktion.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1409009700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es tut dem Deutschen Bun-
destag gut, dass er dieses Thema zum Anlass nimmt,
sich hier im Parlament einmal mit ethischen Grundfra-
gen im Zusammenhang mit unserer Normbildung zu be-
schäftigen. Darüber besteht auch eine große Überein-
stimmung.

Der schwerwiegende Fehler einer Behörde hat ein
Thema von höchster ethischer Relevanz in die öffentli-
che Diskussion gebracht. Wir haben das aufgegriffen
und das ist gut so. Darf der Mensch alles, was er kann?
Viele Redner haben dazu gesprochen und die Frage
nicht nur mit einem klaren Nein, sondern auch mit ei-
nem klaren Bekenntnis zur Unverletzbarkeit der Würde
des Menschen beantwortet.

Nun möchte ich einen Zwischenruf von einem Mit-
glied dieses Hohen Hauses aufgreifen, der gemacht
wurde, als ich zum Rednerpult ging. Er war der Mei-
nung, zu dem Thema sei bereits alles gesagt. Ich versu-
che, diese Befürchtung zu widerlegen.

Hier war sehr viel von Wachsamkeit die Rede. Der
Parlamentarische Staatssekretär Catenhusen hat davon
gesprochen, dass wir eine europäische Regelung brau-
chen. Ich sage nur summarisch: Wir brauchen eine
weltweit greifende Regelung. Das ist klar und das hat er
auch gemeint. Hier besteht kein Widerspruch zwischen
unseren Ansichten. Ich finde es aber wichtig, dass unse-
re Aufforderung zur Wachsamkeit nicht in einer läh-
menden Betroffenheit stecken bleibt. Diese Gefahr sehe
ich bei unserer Debatte. Ich möchte dies ganz kurz er-
läutern:

Erster Punkt. Die Patenterteilung war ein schwerer
Fehler. Sie ändert die Rechtslage in Deutschland unserer
Auffassung nach jedoch nicht. Ein Patent gibt nieman-
dem das Recht, etwas zu tun, es verbietet nur einem
Dritten, etwas wirtschaftlich zu verwerten, worauf der
Patentinhaber ein Patent hat. Das ist für die Juristen un-
ter uns eine Selbstverständlichkeit, aber für die Öf-
fentlichkeit wichtig zu sagen, weil dem Patentamt unter-
stellt wird, es habe jetzt quasi die Tür zum Hades geöff-
net. Ein von mir sehr geschätzter Vorredner hat vorhin
ein ähnliches Bild gebraucht. Wir müssen der Öffent-
lichkeit sagen, dass dieses Patent die Rechtslage in
Deutschland und Europa erfreulicherweise nicht zum
Schlechteren verändert.

Zweiter Punkt. Die Gentechnik wird das
21. Jahrhundert ähnlich nachhaltig bestimmen wie die
Computertechnik die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Parl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen






(A)



(B)



(C)



(D)


Ich meine, wir dürfen das Thema nicht nur unter dem
Aspekt der drohenden Gefahren und Probleme diskutie-
ren. Ich möchte einmal alle Vorredner ansprechen, die
von der ethischen Urteilsbildung gesprochen haben. Zur
ethischen Urteilsbildung gehört natürlich auch, dass wir
Menschen uns fragen müssen, was wir mit unseren geis-
tigen und körperlichen Gaben mit Blick auf die Über-
windung von Hunger, Krankheiten oder Seuchen tun
können. Bei einigen der ganz großen Menschheitsgei-
ßeln, beim Krebs, bei Aids, bei vielen anderen zerstö-
renden Krankheiten, liegt in der Gentechnologie ohne
Frage auch das Potenzial für viele ethisch sehr positiv zu
bewertende Ergebnisse.


(René Röspel [SPD]: Beispiele!)

– Es ist nach einem Beispiel gefragt worden. Ein solches
möchte ich gerne nennen: Die Firma Bayer beispiels-
weise produziert in den Vereinigten Staaten von Ameri-
ka – weil Nordrhein-Westfalen damals als Standort poli-
tisch unsicher schien – auf gentechnische Weise den
Blutgerinnungsfaktor VIII, den Bluter brauchen, damit
sie nicht bei einer kleinen Verletzung ausbluten und
sterben. Dies ist ein Beispiel. Auch insulinabhängige
Menschen profitieren heute davon, dass Insulinprodukte
auf gentechnischem Wege hergestellt werden, die im
Gegensatz zu aus tierischen Produkten gewonnenen
Stoffen für den menschlichen Körper besser verträglich
sind. Es gibt eine ganze Reihe von weiteren positiven
Beispielen.

Ich möchte hier denen ausdrücklich widersprechen,
die sagen: Das ist schlimm, dahinter steckt eine wirt-
schaftliche Wirkung. Meine Damen und Herren, wir wä-
ren fahrlässig, wenn wir die positiven wirtschaftlichen
Wirkungen, die in einer guten und positiven Biotechno-
logie stecken, nicht erkennen und für uns nutzen, son-
dern sie wieder den Vereinigten Staaten von Amerika
überlassen würden, wie uns das bei der Computertech-
nik passiert ist.

Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, dass es
ein Problem für Deutschland und Europa sei, dass viele
kluge Köpfe im Bereich der Informatik aus Deutschland
nach Amerika gehen, weil sie sich hier nicht verstanden
fühlen und keine Wirkungsmöglichkeiten haben. Ich
möchte nicht, dass das Gleiche auf dem Gebiet der Bio-
technologie passiert.

Wir können übrigens all unsere ethischen Grundsätze
nur dann durchsetzen, wenn wir dafür weltweit ein Be-
wusstsein schaffen. Ich möchte einmal sagen: Was deut-
sche Universitäten, was die Deutsche Forschungsge-
meinschaft, was deutsche Unternehmen in diesem Be-
reich machen, entspricht nach meiner Kenntnis und Ein-
sicht voll unseren ethischen Grundsätzen und bedarf der
Unterstützung. Ich fände es sehr bedauerlich, wenn diese
wichtige, grundsätzliche Debatte erneut zu einem großen
Fragezeichen an der Gentechnologie oder an der Bio-
technologie gegen unsere Forscher, gegen unsere wis-
senschaftlichen Institutionen führen würde.
Im Gegenteil: Ich möchte unsere Forscher ermuntern, im
Rahmen der ethischen Grundsätze, die wir mit ihnen zu-
sammen entwickelt haben, dieses wichtige Zukunftsfeld
der Menschheit aufzugreifen.

Ich komme zum Schluss. Der Kollege Schmidt-
Jortzig hat gesagt, es gehe um eine Existenzfrage der
Menschen. Er hat Recht, es geht um eine Existenzfrage
der Menschen. Sie ist aber nicht mit einem einfachen
Nein oder einem nicht hinterfragten Ja zu beantworten,
wir müssen sie durch einen verantwortlichen Umgang
beantworten. Dann kann die Gentechnologie auch der
Schlüssel sein, um Hunger und Krankheiten in der Welt
zu überwinden und um wirtschaftliche und humane
Fortschritte miteinander zu verbinden. Wenn wir sie in
diesem Sinne begleiten, werden wir unserem parlamen-
tarischen Auftrag als Normgeber gerecht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409009800
Nächster Redner ist
der Kollege Wolfgang Wodarg für die SPD-Fraktion.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1409009900
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich möchte uns einfach fra-
gen: Weshalb ist das passiert, was steckt dahinter? Wel-
che Interessen steckten dahinter? Weshalb wollen For-
scher und die sie finanzierende Wirtschaft solche For-
schungen durchführen? Weshalb soll das geschehen? Ich
möchte das nicht einfach ableiten, sondern aus einem
Bericht der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der
kürzlich zu diesem Thema erschienen ist, zitieren.

Vielleicht ist es ganz gut, den Gegenstand des Patents
noch einmal kurz zu definieren. Was sind Stammzellen?
In den Gesprächen unter den Abgeordneten wurde deut-
lich, dass viele überhaupt nicht wissen, was damit ge-
meint ist. Ich zitiere:

Mit dem Begriff der Stammzelle wird jede noch
nicht ausdifferenzierte Zelle eines Embryos, Fetus
oder geborenen Menschen bezeichnet, die Tei-
lungs- und Entwicklungsfähigkeit besitzt.

Diese nimmt im Laufe des Wachstums ab.
Ich stelle jetzt die Frage: Was kann man damit ma-

chen? Auch diese Frage wird gleich im Vorwort beant-
wortet:

Die Möglichkeit, pluripotente menschliche Stamm-
zellen in Kultur zu halten,

– das heißt, im Reagenzglas weiter zu pflegen und am
Leben zu erhalten –

eröffnet eine völlig neue Dimension medizinischer
Forschung.

Aus diesen Möglichkeiten leitet sie ihre Forschungs-
ziele ab. Auch davon möchte ich zwei zitieren. Sie sagt:

Langfristig zielt diese Forschung darauf, die Arbeit
mit embryonalen Stammzellen zu ersetzen und plu-
ripotente Stammzellen aus spezialisierten Zellen

– ich sage: Körperzellen –
zu gewinnen.

Peter Hintze






(A)



(B)



(C)



(D)


Das heißt: Man will und muss dann nicht mehr den
Umweg über embryonale Zellen gehen, sondern es wird
angestrebt, aus Körperzellen Zellen zu entwickeln, die
das können, was bisher nur embryonale Zellen können.
Dann braucht nicht mehr beachtet zu werden, was das
Embryonenschutzgesetz schützen möchte, sondern man
umgeht die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes.

Auf die Frage: Wozu das alles? heißt es weiter:
Ein langfristiges Ziel besteht in der Generierung
komplexer Gewebeverbände oder ganzer Organe,
die die derzeitigen Engpässe und immunologisch
bedingten Probleme sowie die Risiken einer
Krankheitsübertragung bei der Organtransplantati-
on umgehen könnten.

Das heißt, die Forschung möchte hier, unter Umge-
hung der vom Gesetzgeber vorgesehenen ethischen
Schranken, einen Weg finden, der trotzdem medizini-
schen Fortschritt möglich macht. Das ist lobenswert. Sie
möchte erreichen, dass es Menschenteile, Organhaufen
und Gewebe von Menschen geben wird, die nutzbar sind
und eingepflanzt werden können, und dabei möglichst
keine ethischen Grenzen überschreiten.

Dass das ein Eiertanz ist, merken wir, so glaube ich,
ganz deutlich. Dass sich dieser Eiertanz auch in gesetzli-
chen Regelungen widerspiegelt, können wir sehen, wenn
wir uns die Europäische Patentrichtlinie ansehen, die
seit einigen Jahren bekannt ist und die wir in diesem
Jahr in nationales Recht umsetzen müssen.

Wir werden die Interpretationsmöglichkeit, die diese
Richtlinie gibt, noch einmal näher in Augenschein neh-
men. Das Europäische Patentamt hat sich zwar hier nicht
ganz an diese Richtlinie gehalten, aber es wurde bereits
vieles, von dem wir noch gar nicht gesprochen haben,
weil es noch nicht zur Tagesordnung durchgedrungen
ist, vom Europäischen Patentamt verwirklicht.

Was ist zum Beispiel mit dem Patent – das BgVV,
unsere eigene Behörde, beklagt es –, das eine bekannte
Kosmetikfirma innehat? Es handelt sich um ein Patent,
auch vom Europäischen Patentamt erteilt, nach dem man
mit Hilfe embryonaler Stammzellen Kosmetika testen
kann. Wir haben ja beschlossen, dass Kosmetika nicht
mehr in Tierversuchen getestet werden dürfen. Hier hat
das Patentamt reagiert und gesagt: Embryonale Stamm-
zellen werden patentiert, eine Kosmetikfirma erhält das
Patent. Unsere eigene Behörde, das BgVV, welches die
Tests zum Schutz der Menschen vor schädlichen Che-
mikalien machen möchte – wir haben heute Morgen
schon darüber gesprochen – muss 1 Million Dollar Pa-
tentgebühren zahlen und im Jahr 100 000 Dollar Patent-
gebühren an diese Kosmetikfirma zahlen, damit sie kei-
ne Tierversuche durchführen muss. Das ist die Realität.
Und das ist nicht das erste dieser Patente.

Ich möchte zu dieser Entscheidung des Europäischen
Patentamtes noch etwas hinzufügen. Ich sage es in aller
Deutlichkeit: Ich halte es nicht für ein Versehen, son-
dern für ein Verdienst von Greenpeace – insbesondere
von Herrn Then, dem ich auf diesem Wege ganz beson-
ders für seine Hartnäckigkeit danken möchte, dieses
Thema an die Öffentlichkeit zur bringen –, dass heraus-

gekommen ist, dass das Europäische Patentamt zweimal
absichtlich bei ein und derselben Patenterteilung darauf
hingewirkt hat, dass menschliches Gewebe, menschliche
Stammzellen, patentiert werden können. Es ist nicht so,
dass es in der Beschreibung des Patentgegenstandes ver-
gessen wurde, den Menschen auszunehmen. Vielmehr
ist in der Begründung – sie ist allerdings in Englisch
formuliert – ausdrücklich erwähnt, dass das Patent auch
auf humane Zellen Anwendung finden soll. Also: Bei
der Beschreibung des Gegenstandes ist die Beschrän-
kung herausgelassen worden, aber später wird es aus-
drücklich erwähnt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409010000
Kollege Wodarg, Sie
müssen leider zum Schluss kommen.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1409010100
Ich komme zum
Schluss. Wir müssen vieles tun: Wir müssen das
Europäische Patentamt und seine Grundlagen gründlich
durchleuchten, wir müssen dort eine bessere Kontrolle
einrichten. Wir müssen diese schwammigen Richtlinien
der Europäischen Union daraufhin durchleuchten, wo
sich Lücken befinden, die einen solchen Fall ermöglicht
haben. Ich weise darauf hin, dass der Europarat – 41 eu-
ropäische Staaten – beschlossen hat, dass solche Patente
nicht mit den Menschenrechten vereinbar sind. Ich bin
ganz zuversichtlich, dass das, was der Kollege Catenhu-
sen gesagt hat, in eine handfeste Rechtsprechung umge-
setzt werden kann.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409010200
Kollege Wodarg, ich
muss Sie daran erinnern, dass es sich hier um eine Aktu-
elle Stunde handelt.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1409010300
Ich hoffe, dass wir
den Beschluss des Europarats in der weiteren Diskussion
nutzen können.
Danke schön.


(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409010400
Nächste Rednerin für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die Kollegin
Ulrike Höfken.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409010500
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der aktuelle
Skandal um die Patenterteilung des Europäischen Pa-
tentamtes – ich nenne das sehr wohl einen Skandal und
glaube nicht an die Zufälligkeit – rückt das Thema der
Patentierung von Lebewesen aus den Dunkelkammern
der nicht öffentlichen Entscheidungen einer nicht kon-
trollierbaren Behörde dahin, wo es hingehört, in die öf-
fentliche Debatte um die gesellschaftliche Nutzung von
Entdeckungen, von therapeutischen Verfahren im Rah-
men der Bio- und Gentechnologien.

Dr. Wolfgang Wodarg






(A)



(B)



(C)



(D)


Bei der Patentierung von Lebewesen treffen zwei
sehr ambivalente Instrumente aufeinander: Zum einen
die Patentierung selbst, die einen sehr großen Nutzen be-
inhaltet, – auf dieser Grundlage können Investitionen
getätigt und wirtschaftliche Entwicklungen ermöglicht
werden –, zum anderen dienen Patente der Eroberung
und Festigung von Märkten; sie können zur Monopoli-
sierung genutzt werden. Alle Firmen, die Global Player
werden wollen, gründen ihre Geschäftsstrategien auf
weitreichende internationale Patente. Genauso ist es mit
der Gentechnik: Auf der einen Seite beinhaltet sie Chan-
cen zur Rettung von Leben, zur Forschung und zur Er-
reichung von positiven Dingen, die uns bisher nicht ge-
lungen sind. Auf der anderen Seite hat sie ganz klar auch
das Potenzial, große ökologische, gesundheitliche und
soziale Risiken heraufzubeschwören und große ethische
Probleme zu verursachen.

Wenn Patentrecht und Gentechnik aufeinander tref-
fen, zeigt sich die ganze explosive Brisanz des Kon-
struktes „Patentierung auf Leben“. Denn dieser Fall –
das ist vorhin schon erwähnt worden – ist durchaus nicht
der einzige, in dem sich das Europäische Patentamt ei-
genmächtig über Rechtsnormen hinweggesetzt hat. Of-
fensichtlich ist die ganze Konstruktion marode. Das, was
Sie, Herr Lensing, als Zeitgeist bezeichnet haben, zeigt
sich immer häufiger: Die bisher meiner Ansicht nach
etwas naive Haltung in Richtung einer Technikgläubig-
keit auch gerade in Bezug auf die Gentechnik animiert
diese Forscher doch ganz offensichtlich dazu, sich in
gewisser Weise zu verselbstständigen und diese Normen
zu verletzen.

Es gibt einen Grundkonsens darüber – das ist auch
gesetzlich geregelt –, dass eine Patentierung menschli-
cher Gene oder gar Embryonen in Deutschland nicht in
Frage kommt, aber ich möchte die Aufmerksamkeit
einmal stärker auf die Patentierung von Tieren und von
Pflanzen lenken.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sehr richtig!)

Auch die Patentierung von Tieren wirft schwerwie-

gende ethische Fragen auf, was gerade die Anmeldung
dieses Patentes zum Ausdruck bringt. Schweine oder Fi-
sche mit menschlichen Wachstumsgenen kommen auf
die Teller. Es stellt sich die Frage, ob Menschen oder
Tiere als Ersatzteillager gehalten oder gezüchtet werden
dürfen. Das ist ein großes ethisches Problem und abge-
sehen davon im Übrigen auch ein gesundheitliches Pro-
blem, das Einfallstor für die Übertragung von Krankhei-
ten, die wir bisher noch gar nicht kennen oder die auf
diese Art und Weise eben noch nicht zustande gekom-
men sind.


(Beifall der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


All dies gilt es zu bedenken.
Das Gleiche gilt für die Patentierung von Pflanzen.

Herr Hintze hat vom Hunger in der Welt gesprochen. Ja,
natürlich, aber Sie wissen doch: Gerade die Entwick-
lungsländer haben große Sorgen vor der Biopiraterie,
davor, dass die dortige Artenvielfalt an Heil- und Kul-
turpflanzen mit ihren Wirkstoffen patentiert wird, wäh-

rend am Ende die dort lebenden Menschen, weil sie
nicht die nötigen finanziellen Mittel haben, leer ausge-
hen, – abgesehen davon, dass die Verhinderung von
Hunger durch Gentechnik recht unmöglich ist.

Wichtig ist Folgendes: Die Politik wird sich daran
messen lassen müssen, welche Konsequenzen sie aus
dieser Situation zieht.

Erstens ist es wichtig, dass die Entscheidungen des
Europäischen Patentamtes für die Öffentlichkeit transpa-
rent werden. Es kann nicht von der Findigkeit einiger
Greenpeace-Aktivisten, denen tatsächlich Dank gebührt,
abhängen, dass derartige Fehlentscheidungen an die Öf-
fentlichkeit kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens muss das Europäische Patentamt kontrol-

lierbar werden. Damit ist nicht allein der Gerichtsweg
gemeint. Die Bundesregierung sollte sich aber dafür ein-
setzen, Klagerechte für Einwender beim Europäischen
Gerichtshof zu schaffen, und eine unabhängige Ein-
spruchsinstanz einbeziehen.

Drittens müssen die Entscheidungen des Europäi-
schen Patentamtes rückholbar sein; auch darauf ist in
den Reden schon eingegangen worden. Gerade im Um-
gang mit einer neuen Technologie, in der täglich ganz
neue Erkenntnisse gewonnen werden können, kann es
nicht sein, dass Entscheidungen auf der Grundlage des
Wissensstandes von vorgestern oder selbst krasse Fehl-
entscheidungen nicht korrigierbar sind.

Die offene Flanke, die hier – ich glaube, vom Kolle-
gen Brinkmann – genannt worden ist, ist im konkreten
Fall, dass die Embryonennutzung nur zur Erzeugung
von Nachkommen verboten ist und nicht als „Ersatzteil-
lager“ für Organe. Hier liegt das Problem, dass in dieser
Art und Weise der eigentliche gesetzgeberische Willen
umgangen werden soll.

Durch den aktuellen Fall ist auch die Haftungsfrage
neu aufgeworfen worden. Es kann nicht sein, dass für
gravierende Fehler keiner haftet und keiner zur Verant-
wortung gezogen werden kann.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409010600
Frau Kollegin, auch
Sie müssen bitte auf die Redezeit achten.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409010700
Ja. –
Ein letzter Satz: Solange diese gravierenden Verfah-
rensmängel – es ist schon der Begriff Missstände gefal-
len – nicht behoben sind, sollte die EU-Patentrichtlinie
auch nicht in nationales Recht umgesetzt werden.

Zuallerletzt: Ich meine, wie auch Kollege Brinkmann
gesagt hat, dass Patente auf Erfindungen und nicht auf
Leben erteilt werden sollten, nicht auf menschliche Ge-
ne, nicht auf tierische und nicht auf pflanzliche.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ulrike Höfken






(A)



(B)



(C)



(D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409010800
Es spricht jetzt der
Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1409010900
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Empörung über
die Erteilung des Patentes zur gentechnischen Manipula-
tion an menschlichen Embryozellen ist einhellig. Sie
geht über alle Parteien dieses Parlamentes hinweg und
ist auch in der Öffentlichkeit spürbar. Sie entspringt
wohl der Sorge der Menschen, in einer Weise durch
Technik fremdbestimmt zu werden, die die Person in ih-
rem Kern trifft. Deswegen ist diese Sorge auch so groß.
Ich meine, dass wir in der Debatte auf diese Sorge der
Menschen sehr gut eingegangen sind und dass wir in ei-
ner wirklich fruchtbaren Weise miteinander diskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind uns auch darüber einig, dass die Manipulati-

on an menschlichen Embryonalzellen nicht möglich sein
darf, weil sie der Würde des Menschen widerspricht, de-
ren Unverletzlichkeit in Art. 1 des Grundgesetzes festge-
legt ist und die der Mensch von Anfang an besitzt – sie
wird ihm nicht vom Staat verliehen –, und zwar genau
ab dem Zeitpunkt, ab dem die Individualität des Men-
schen vorhanden ist, nämlich ab der Verschmelzung von
Ei- und Samenzelle. Unser Embryonenschutzgesetz
schützt diesen Vorgang in besonderer Weise, weil er
auch in vitro geschehen kann. Darauf hinzuweisen
scheint mir bei einer solchen Gelegenheit ebenfalls
wichtig. In Deutschland ist schon vor zehn Jahren eine
Regelung geschaffen worden, die den Sorgen der Men-
schen, glaube ich, gerecht wird. Natürlich sind Verbes-
serungen ohne weiteres denkbar.

Wir stimmen auch darin überein, dass die hier disku-
tierte Patentierung gegen nationales und internationales
Recht verstößt. Das festzustellen ist auch wichtig. Es
war im Grunde ein rechtswidriger Akt. Insofern stim-
men wir alle überein und unterstützen die Bundesregie-
rung darin, dagegen Einspruch einzulegen. Aber es ist
wohl auch richtig, darüber nachzudenken, ob nicht eine
Instanz in irgendeiner Form geschaffen werden muss,
die zumindest kontrolliert, ob das Europäische Patent-
amt Rechtsfehler begangen hat. Ihr Vorschlag, Herr
Lensing, dass in der Kontrollinstanz die ganze Technik
noch einmal überprüft werden soll, mag diskussions-
würdig sein. Aber mir scheint die Forderung wichtig zu
sein, zumindest die Rechtmäßigkeit der Erteilung eines
Patentes noch einmal durch eine Kontrollinstanz über-
prüfen zu lassen.

Zu beachten ist auch, dass der Antrag auf Patentie-
rung aus Großbritannien kam, einem Land, in dem die
Gesetzgebung – das darf ich mit einem gewissen Stolz
sagen – nicht so gut ist wie die in Deutschland. Das be-
deutet, Herr Catenhusen, dass wir entsprechende inter-
nationale Regelungen brauchen. Wenn solche Regelungen
nicht möglich sind, dann muss die Regierung darauf
hinwirken, dass zumindest durch entsprechende nationale
Regelungen im EU-Raum dafür Sorge getragen wird,
solche Ausbrecher in Zukunft unmöglich zu machen.
Zum letzten Punkt. Wir müssen uns auch Gedanken
darüber machen, wie wir Forschung in diesem Bereich

dennoch ermöglichen können. Wir brauchen natürlich
eine Forschung für präventive Medizin, für eine bessere
Diagnostik und für eine bessere Therapie. Eine solche
Forschung darf durch unsere Sorge um den Eingriff in
die Gene des Menschen nicht verhindert werden. Mir
scheint es wichtig zu sein, eine genaue Abgrenzung zwi-
schen Manipulation und Forschung zu finden. Darüber
nachzudenken ist auch Aufgabe unseres Parlamentes.

Ich möchte abschließend das feststellen, was ich
schon eingangs erwähnt habe: Diese Debatte hat gezeigt,
dass es hier eine große Übereinstimmung in diesem
Parlament gibt. Das auszusprechen ist richtig, weil dies
nicht allzu oft der Fall ist.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409011000
Es spricht jetzt die
Kollegin Margot von Renesse, SPD-Fraktion.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1409011100
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es gibt eine große Überein-
stimmung und ein allgemeines Erschrecken über das,
was sich im Europäischen Patentamt zugetragen hat und
was dort entschieden worden ist. Alle sind sich darüber
einig, dass diese Entscheidung gegen Recht verstößt.

Trotzdem lassen sich nach meinem Eindruck die Re-
den, die ich hier gehört habe, in zwei Gruppen einteilen,
auch wenn Nuancen durchaus unterschiedlich stark aus-
geprägt sind: Einige beklagen, dass in diesem Fall das
Gesetz, das Recht, die allgemeine Moral und die Vor-
stellung von Ordre public nicht ausgereicht haben, um
eine rechtswidrige Entscheidung – darüber besteht Kon-
sens – zu verhindern. Die anderen beklagen – wie ge-
sagt, der Unterschied liegt in Nuancen – das Vorhanden-
sein der Genforschung und der Biotechnologie selbst als
Problem.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)

– Ich höre „richtig“. Genau dasselbe habe auch ich aus
dem, was Sie gesagt haben, herausgehört. Wir werden
uns entscheiden müssen, auf welcher Seite wir stehen.

Das Schreckliche ist in meinen Augen, dass das Eu-
ropäische Patentamt jedenfalls dieser zweiten Seite ein
Argument geliefert hat: die anscheinend vorhandene
Unwirksamkeit von Recht angesichts von Interessen.
Danach sieht es ja aus, vor allem, wenn man nicht nur –
zumindest grobe – Fahrlässigkeit, sondern auch, wie es
einige tun, Absicht vermutet. Es ist schon schlimm ge-
nug, dass nicht mindestens einem Menschen, der im Eu-
ropäischen Patentamt arbeitet, die Gänsehaut angesichts
dessen, was er las, gekommen ist.

Dies alles führt dazu, dass man sich fragen muss:
Was dient denn angesichts so großer Interessen, die im
Spiel sind, eigentlich dem Recht? Aber wenn man dieser
Frage nachgeht, dann führt das dazu, dass man absolut
resignieren muss. Eines wissen wir in Europa seit der






(A)



(B)



(C)



(D)


Fruchtlosigkeit des Anatomieverbots: Forschung im
Sinne von Fragen, Wissen-Wollen und Können-Wollen
ist ein Teil der menschlichen Natur.

Ebenso gehört es zur Wahrheit der menschlichen Na-
tur, dass sie – da sie „Natur“ ist – in der Petri-Schale und
unter dem Mikroskop beobachtbar und erforschbar ist.
Wir sind sowohl Beobachter als auch Gegenstand der
Beobachtung. Wer glaubt, dass Recht dort nicht zu wir-
ken hat und nichts auszurichten vermag, der hat ver-
spielt. Zu denen will ich nicht gehören.

Das heißt, das Einzige, worauf ich setzen kann und
will, ist Recht. Wohl wissend, dass Recht 100 000fach
immer wieder gebrochen wird,


(Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

ist es doch die einzige Sicherheit, Herr Seifert, die ich
zum Beispiel meinem behinderten Enkelkind hinterlas-
se, wenn eines Tages seine Eltern und ich nicht mehr da
sind.

Danke schön.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409011200
Nächster Redner ist
der Kollege Hans-Josef Fell für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409011300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Die Freiheit der Forschung ist ein hohes und schüt-
zenswertes Gut. Freiheit der Forschung bedeutet aber
nicht Schrankenlosigkeit. Sie findet ihre Grenzen bei
Tatbeständen zum Schutz der Wahrung der Menschen-
würde, des Lebens und der körperlichen Integrität. Diese
Grenze hat das Europäische Patentamt in München ein-
deutig überschritten.

Was ist passiert? Das Europäische Parlament erteilte
im Dezember für die australische Firma Stem Cell
Sciences, lizenziert von der Universität Edinburgh, ein
Patent auf ein Verfahren für die Isolierung und die gene-
tische Manipulation von embryonalen Stammzellen. Aus
diesen embryonalen Zellen möchten Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler Organe zum Zweck der Trans-
plantation – Haut, Herz, Nervensystem – züchten.

Anstoß an dieser Entscheidung erregte vor allem der
Einschluss auch menschlicher Zellen in den Schutz des
Patents. Ein möglicher Eingriff in die menschliche
Keimbahn, der bei Weiterentwicklung der Technik prin-
zipiell auch zu patentgeschützten Menschenzüchtungen
genutzt werden könnte, steht sowohl im Widerspruch
zum deutschen Embryonenschutzgesetz als auch zur eu-
ropäischen Biopatentrichtlinie. Die Anwendung dieser
Technologie bei menschlichen Zellen wäre also schlicht
illegal und das Europäische Patentamt hat inzwischen
diesen Fehler – schlichtweg eine grobe Schlamperei –
eingeräumt.

Niemand will das Ziel der modernen Biotechnologie
infrage stellen, dass mit der medizinischen Forschung

eine Therapie durch verbesserte Medikamente, zum Bei-
spiel Insulin für Zuckerkranke, angestrebt wird. Ich er-
innere auch daran, dass verbesserte Medikamente für
Aids-Infizierte anders gar nicht möglich gewesen wären.

Bekannt ist das berechtigte Interesse der Industrie am
Schutz ihrer in aufwendigen klinischen Studien geteste-
ten Erfindungen durch Patente. Ethische Fragen müssen
bei der Erteilung solcher Patente natürlich Beachtung
finden. Aber getrieben durch Interessen der Industrie
wurden auch und gerade im Europäischen Patentamt in
den letzten Jahren Patente auf Gene, Tiere und Pflanzen
vergeben. Im Fall der so genannten Krebsmaus im Jahre
1992 geschah dies sogar gegen den Willen des Europäi-
schen Parlaments.

Beruhte die Erteilung des umstrittenen Patents also
wirklich auf einem Fehler? Oder ist dies nicht Teil einer
Strategie zur Umgehung der Rechtsprechung und zur
Aufweichung ethischer Standards? Hier läuft aus meiner
Sicht in jedem Fall etwas grundfalsch. Auch in Kreisen
der Wissenschaft herrscht Klage über die „Würgepaten-
te“ der Industrie, die auch nicht kommerzielle For-
schung lizenzpflichtig und manchmal faktisch unmög-
lich machen. Die Menschen erwarten, dass die Politik
hier die Rahmenbedingungen zurechtrückt.

Mit der Entscheidung des Europäischen Patentamtes
sind einige Fragen der Gentechnik wieder in den Mittel-
punkt gerückt. Warum werden Patente auf Gene erteilt,
wenn deren Bedeutung für den Organismus noch gar
nicht bekannt ist? Dadurch wird zum einen die medizi-
nische Forschung selbst behindert; zum anderen werden
ethische Grundsätze nicht beachtet, da eine ab-
schließende Bewertung noch gar nicht stattgefunden hat.
Warum darf das Europäische Patentamt administrativ,
unabhängig vom Regierungs- und Volkswillen – die
heutige Debatte hat gezeigt, dass der Volkswillen hier
eindeutig ist – und im Gegensatz zur Rechtspraxis Ent-
scheidungen fällen?

Wir fordern genauso wie Europaparlamentarier die
Einrichtung einer unabhängigen Ethik-Kommission auf
europäischer Ebene zur Kontrolle eigenmächtiger Ent-
scheidungen des Europäischen Patentamtes.


(V o r s i t z: Vizepräsident Rudolf Seiters)

Wie können die beim Europäischen Patentamt entschei-
denden Instanzen neutrale Gutachten gewährleisten,
wenn sie sich über die Gebühren genehmigter Patente
finanzieren? Wir fordern eine unabhängige Finanzierung
der Entscheidungsgremien. Die Enquete-Kommission
des Bundestages zur Bioethik muss sich dieser Fragen
dringend annehmen.

Daneben hat die Enquete-Kommission auch weitere
Forschungsfragen in diesem Zusammenhang zu klären.
Ein Beispiel will ich noch erwähnen: die fremdnützige
Forschung an Menschen mit geistiger Behinderung. Erst
jüngst wurde der Verdacht auf unerlaubte humangeneti-
sche Untersuchungen an Menschen mit geistiger Behin-
derung im St.-Josefs-Stift in Eisingen bei Würzburg von
der Staatsanwaltschaft verfolgt. Allerdings wurde vom
vertretenden Rechtsanwalt umfangreiche Beschwerde
gegen die Art der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen

Margot von Renesse






(A)



(B)



(C)



(D)


eingelegt, da sie nicht intensiv und genau durchgeführt
wurden.

Die Vorgänge im Europäischen Patentamt oder die
mögliche Missachtung der Menschenwürde von Behin-
derten bei fremdnütziger Forschung offenbaren die
Notwendigkeit eindeutiger Regelungen zum verbesser-
ten Schutz der Menschenwürde, des Lebens und der
körperlichen Integrität bei allen Fragen der Fortpflan-
zungsmedizin. Fortschritte der Medizin sollen schließ-
lich dem Menschen helfen und ihn nicht versklaven.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409011400
Ich gebe das Wort
der Bundesministerin der Justiz, Frau Dr. Herta Däubler-
Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, es ist selten vorgekommen, dass das Wort Kon-
sens so häufig in einer Debatte im Bundestag aufge-
taucht ist wie heute. Ich finde das gut und freue
mich darüber, auch wenn ich glaube, dass Margot von
Renesse durchaus Recht mit ihrer Beobachtung hat, dass
in einigen Bereichen der Bogen der Meinungen und Ein-
stellungen auch hier ausgesprochen breit gezogen ist und
es darauf ankommen wird, im Detail diesen Konsens
auch wirklich herzustellen, der im Augenblick durch die
Empörung über diesen in der Tat unerhörten Vorgang
getragen wird.

Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, ich freue
mich über den Konsens. Das tue ich deshalb, weil ich
glaube, dass er ganz schön weit trägt; und das ist gut.
Zum ersten ist er bei der Bewertung der rechtlich und
ethisch falschen Patenterteilung durch das Europäische
Patentamt in München vorhanden. Lassen Sie mich hier
übrigens noch kurz anmerken, dass auch die Daten
wichtig sind: Dieses Patent wurde bereits im Jahre 1994
beantragt, im Januar vorigen Jahres erteilt und im De-
zember 1999 veröffentlicht. Ich freue mich darüber, dass
uns alle übereinstimmend die Einschätzung verbindet,
die Patenterteilung müsse widerrufen beziehungsweise
auf den rechtlich und ethisch einwandfreien Rahmen be-
schränkt werden. Ich freue mich auch über die Unter-
stützung und den Zuspruch für die Einleitung des Ein-
spruchsverfahrens.

Ich gehe davon aus – ich darf das deutlich sagen –,
dass der Widerruf beziehungsweise die Beschränkung
bald erfolgen wird und dass außerdem die Universität
Edinburgh als Patentinhaber die rechtlichen und ethi-
schen Beschränkungen trotz der falschen Patenterteilung
schon jetzt akzeptiert. Es gibt Äußerungen, dass sie sich
so verhalten wird. Aber wir werden darauf achten und es
kontrollieren.

Ich glaube, dass der Konsens noch einen Schritt wei-
ter reicht. Es ist richtig, dass diese Patenterteilung recht-
lich und ethisch gesehen ein gravierender Fehler war.

Aber wir müssen auch die Folgen im Auge haben. Wir
sind auch darin einer Meinung, dass es nicht nur darum
gehen kann, Fehlentwicklungen zu rügen und rückgän-
gig zu machen, sondern es muss auch darum gehen, in
der Zukunft alles dafür zu tun, dass sich derartige Vor-
gänge nicht wiederholen.

Deshalb – lassen Sie mich das ausdrücklich sagen –
stimme ich allen zu, die hier gefordert haben, es müsse
erst einmal geklärt werden, worin denn eigentlich der
Fehler gelegen habe und auf welche Weise er zustande
gekommen sei. Wir müssen zunächst klären, ob es sich
nur um ein zufälliges Missverständnis, gewissermaßen
um einen Irrtum in der Anwendung der rechtlichen Re-
gelungen handelt oder ob hier, wie manche befürchten,
die Spitze eines Eisbergs von Problemen zu erkennen
ist, die auf unklare rechtliche Regelungen zurückzufüh-
ren sind. Dies festzustellen ist zunächst Aufgabe des Eu-
ropäischen Patentamtes als der zuständigen Behörde.
Unsere Aufgabe – übrigens sowohl die der Bundesregie-
rung als auch die des Deutschen Bundestages, aber auch
die des Europäischen Parlaments –ist es, uns darum zu
kümmern, dass die Dinge geklärt und hinterher abge-
stellt werden.

Ich will Ihnen deshalb berichten, was ich über die
Einleitung dieses Einspruchsverfahrens hinaus in den
letzten Tagen unternommen habe. Ich habe die deutsche
Delegation im Verwaltungsrat des Europäischen Patent-
amts, der in diesen Tagen in Dublin zusammengetreten
ist, angewiesen, diesen Vorgang dort zur Sprache zu
bringen, eine klare Erklärung des Präsidenten zu fordern
und Regelungen zu initiieren, die für die Zukunft erheb-
lich mehr Sicherheit und Kontrolle ermöglichen.

Dies ist gelungen. Es hat gestern eine dreistündige
Diskussion gegeben, in der festgestellt und betont wur-
de, dass mit der Erteilung eines fälschlichen Patentes
nicht automatisch die Berechtigung zur Nutzung des ge-
schützten Gegenstandes einhergeht. Der Präsident des
EPA hat eingeräumt, dass die Erteilung in rechtlicher
und ethischer Hinsicht ein Fehler gewesen sei, und an-
gekündigt, Vorkehrungen zu treffen, damit sich derarti-
ge Fehler nicht wiederholen. Weiter hat er festgestellt,
dass trotz der fehlenden Einschränkung „non human“ –
wir haben heute darüber geredet – der Schutzbereich
auch dieses konkreten Patentes aufgrund der Art. 69 und
84 des Europäischen Patentübereinkommens nicht das
Klonen von Menschen umfasst. Der Verwaltungsrat hat
diese Erklärung zur Kenntnis genommen und seine Be-
sorgnis darüber deutlich gemacht, dass der eingeräumte
Fehler überhaupt hat passieren können. Er hat den Präsi-
denten aufgefordert, sicherzustellen, dass künftig wirk-
same Vorkehrungen gegen Fehler getroffen werden.

Das ist das eine. Ich bin aber zudem der Meinung,
dass diejenigen aus dem Hause und vor allen Dingen in
der Öffentlichkeit Recht haben, die sagen, das alles rei-
che nicht; wir müssten vielmehr auch die Instrumente
der Kontrolle verstärken. Deshalb will ich darauf auf-
merksam machen, dass Kontrollmöglichkeiten nicht
nur – Frau Kollegin Höfken – auf gerichtlichem Wege,
sondern auch durch die Öffentlichkeit schon heute beste-
hen, dass diese aber auch genutzt werden müssen.

Hans-Josef Fell






(A)



(B)



(C)



(D)


Ich habe darauf hingewiesen, dass das fälschlich erteilte
Patent bereits 1994 beantragt wurde. Nach 18 Monaten
wird jede Patentanmeldung automatisch veröffentlicht.
Auch dieses Patent wurde nach 18 Monaten –also 1995
– veröffentlicht. Wird ein Patent erteilt, wird es noch-
mals veröffentlicht. Das war 1999 der Fall. Wir müssen
gerade in diesem Bereich sehr deutlich darauf hinwei-
sen, dass man heute bereits Kontrollmöglichkeiten
wahrnehmen kann, die jetzt gefordert worden sind, und
zwar „online“. Sie können und sie müssen wahrgenom-
men werden. Auch wir selbst müssen uns mehr darum
kümmern.

Ich glaube, dass darüber hinaus noch eine Reihe von
Punkten mit dem Präsidenten des Europäischen Patent-
amtes zu besprechen sind. Dazu gehört die Frage des
Umgangs mit der Öffentlichkeit.

Ich habe aufmerksam zugehört, als der Kollege
Wodarg gerade auf folgenden Punkt hingewiesen hat:
Wer die Patentschrift sorgfältig liest, dem fällt auf, dass
es zwei Fehler gegeben hat. Der erste Fehler ist die Aus-
lassung der Ausschließung menschlicher transgener
Stammzellen in der Patentschrift. Der zweite Fehler ist
die ausdrückliche Einbeziehung des menschlichen Be-
reiches an einer anderen Stelle der Patentschrift. Das
darf nicht sein. Auch dabei handelt es sich um einen
rechtlich und ethisch unakzeptablen Fehler.

Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, dass
auch der zweite Fehler in der Öffentlichkeit deutlich
gemacht wird. Es darf nicht der Eindruck entstehen,
Fehler würden nur scheibchenweise zugegeben. Wenn
dieser Eindruck angesichts der schwierigen Materie er-
weckt würde, dann wäre das Vertrauen perdu. Ich glau-
be, dass wir dieses Vertrauen dringend brauchen wer-
den.

Lassen Sie mich einen letzen Punkt anführen. Wir
werden bei der Diskussion der Biomedizin-Konvention,
aber auch bei der Umsetzung der Bio-Patent-Richtlinie,
die noch in diesem Sommer ansteht, und bei der Rege-
lung weiterer schwieriger Einzelfälle um den Konsens,
den wir heute allgemein beschworen haben und im Gro-
ben hoffentlich existiert, im Detail weiterringen müssen.
Wie schwierig dies sein wird, haben uns der Beitrag des
Staatssekretärs Catenhusen und andere Beiträge gezeigt.
Ich hoffe, dass dieses Haus zu einem Konsens in der La-
ge sein wird. Ich lade herzlich dazu ein.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409011500
Nun gebe ich das
Wort dem Kollegen Alfred Hartenbach für die SPD-
Fraktion.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1409011600
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Erteilung des Patentes
mit der schlichten Bezeichnung EP 0695 351 hat, nach-
dem sie bekannt geworden ist, für Aufregung, ja für
Empörung gesorgt, für Aufregung deshalb, weil hier of-

fensichtlich der Versuch unternommen wird, ein Verfah-
ren zur Isolierung, Selektion und Vermehrung von tieri-
schen transgenen Stammzellen als Patent einzuführen,
und weil dabei die menschlichen Stammzellen mit inbe-
griffen sind.

Es gibt aber auch Empörung darüber – das hat die
Frau Justizministerin eben deutlich gemacht –, dass hier
ganz offensichtlich eine Veröffentlichung mit den Ein-
zelheiten – es geht ja nicht nur um die Nummer des Pa-
tentes – nicht erfolgt ist und dass dadurch die Öffent-
lichkeit lange Zeit im Unklaren darüber gelassen worden
ist, was hier geschieht. Ich denke, wir können denen
danken, die diesen Sachverhalt öffentlich gemacht haben
und die uns dadurch den Anlass zu dieser heutigen Dis-
kussion gegeben haben.

Empörung ist aber auch deswegen angesagt, weil
hier, so wie es lapidar behauptet worden ist, ein Patent
versehentlich erteilt worden ist. Ich hoffe für die Werte
und für die Achtung der Würde des Menschen in diesem
Land, dass es wirklich nur ein Versehen war. Wir wissen
alle, dass gerade in der Biotechnik der Druck auf die Öf-
fentlichkeit und auf den Gesetzgeber, Gesetze großzügig
zu fassen, immer mehr zunimmt.

Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb gestern, sollten
die Gesetze aufgrund des größer werdenden Drucks der
Biotech-Unternehmen aufweichen, bekämen Patente wie
das soeben bewilligte für die Firmen einen unschätzba-
ren Wert. Ich hoffe, dass der Präsident des Europäischen
Patentamtes, den wir alle aus seiner früheren politischen
Tätigkeit sehr gut kennen, die Größe und das Durchset-
zungsvermögen hat, sehr klar und für die Öffentlichkeit
nachvollziehbar aufzuklären, was wirklich gewesen ist.
Natürlich sind auch wir gefragt, unseren Beitrag dazu zu
leisten und auch die Justiz ist aufgefordert.

Nun haben wir natürlich die eine oder andere Mög-
lichkeit. Frau Justizministerin, ich bin dankbar, dass die
heutige Aktuelle Stunde gezeigt hat, dass die
Bundesregierung auf zwei Ebenen tätig geworden ist,
nämlich einmal Einspruch dagegen einzulegen und zum
anderen auf der Versammlung des Verwaltungsrates der
europäischen Patentorganisation eine Klarstellung
herbeizuführen. Dies hilft uns weiter. Aber wir müssen
mehr tun. Alleine die Tatsache, dass man auf dem
nationalen Rechtsweg klagen kann – wir in Deutschland
zum Beispiel unter Anwendung unseres
Embryonenschutzgesetzes –, reicht nicht aus. Das Patent
kann für viele europäische Länder erteilt werden.
Angesichts der Globalisierung ist die Vermarktung und
Verwertung dieses Patentes dann sehr leicht möglich.
Wir müssen also auch sehen, dass wir auf europäischer
Ebene einen wirksamen Rechtsschutz bekommen, der
vor allen Dingen demokratisch legitimiert ist.

Ich weiß nicht, ob es ausreicht, dass man Einspruch
einlegen kann, so wie dies die Richtlinien jetzt vorsehen,
sodass eine Patentabteilung erneut entscheidet, und dass
gegen diese Entscheidung der Patentabteilung eine Be-
schwerde möglich ist und die Beschwerdekammer ent-
scheidet. Ich denke schon, dass letztlich ein unabhängi-
ges Gericht die Entscheidung treffen muss, und ich
glaube, darin sind wir uns alle einig.

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin






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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Frau
Justizministerin, die heutige Debatte, die mit großer
Sorgfalt und, wie ich glaube, auch in gegenseitiger Ach-
tung geführt worden ist, in der deutlich wurde, dass die-
ser Bundestag die Achtung der Würde des Menschen
über alles stellt, zeigt der Öffentlichkeit, dass wir dieses
Thema ernst nehmen, und sollte uns allen auch den Mut
geben, dass wir bei den anstehenden Beratungen zur
Umsetzung der europäischen Richtlinie in nationales
Recht mit großer Sorgfalt, mit großer Gewissenhaftig-
keit und in großer Einmütigkeit vorgehen. Ich denke,
wir sind auf einem guten Weg dazu, und bedanke mich
sehr herzlich bei Ihnen für die heutige Debatte.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409011700
Damit ist die Aktu-
elle Stunde beendet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den

Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Beschleunigung fälliger
Zahlungen

– Drucksache 14/1246 –

(Erste Beratung 36. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des von den

Abgeordneten Dr. Michael Luther,
Norbert Geis, Ronald Pofalla, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung der Durchset-
zung von Forderungen der Bauhandwer-
ker (Bauvertragsgesetz – BauVertrG)

– Drucksache 14/673 –

(Erste Beratung 49. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/2752 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Andrea Astrid Voßhoff
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Rechtsausschusses

(6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-

ordneten Jürgen Türk, Cornelia Pieper,
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Zahlungsverzug bekämpfen – Verfah-
ren beschleunigen – Mittelstand stärken
– Drucksachen 14/567, 14/2752 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Andrea Astrid Voßhoff

Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

c) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Rechtsausschusses

(6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-

ordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft,
Dr. Evelyn Kenzler, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der PDS
Zahlungsforderungen schneller durch-
setzen – Zahlungsunmoral bekämpfen
– Drucksachen 14/799, 14/2752 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Andrea Astrid Voßhoff
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem
Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium
der Justiz, Herrn Professor Dr. Eckhart Pick, das Wort.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1409011800
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Der Bundestag will heute das Ge-
setz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen beschließen.
Schon in der letzten Legislaturperiode haben alle Frakti-
onen des Deutschen Bundestages beklagt, dass die Zah-
lungsmoral in Deutschland schlechter geworden sei.
Dabei handelt es sich aber nicht nur um ein deutsches,
sondern ebenso um ein europäisches Problem. Dies zeigt
auch der Vorschlag der EU-Kommission, die dies offen-
bar erkannt hat und eine Richtlinie zur Bekämpfung des
Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr vorgelegt hat.

Während die EU-Kommission immerhin einen Vor-
schlag gemacht hat, müssen wir für die vergangene Le-
gislaturperiode aufseiten der Bundesregierung Fehlan-
zeige vermelden. Das muss sich jetzt ändern. Wir müs-
sen erreichen, dass fällige Forderungen tatsächlich sofort
beglichen werden. Das fordert das BGB übrigens schon
seit 100 Jahren. In der Praxis wird es allerdings nicht er-
reicht. Gerade für kleine und mittelständische Unter-
nehmen ist dieser Zustand untragbar. Sie sind nicht in
der Lage, beliebig lange Außenstände, insbesondere sol-
che von Bedeutung, zu überbrücken. Sie sind existen-
ziell darauf angewiesen, dass die begründeten Forderun-
gen auch tatsächlich erfüllt werden. Das ist sicher in ers-
ter Linie ein ökonomisches Problem.

Aber auch der Gesetzgeber kann hierzu seinen Bei-
trag leisten. Ich füge hinzu, dass unser Recht in vielen
Punkten wesentlich besser als sein Ruf ist. Wir haben in
einer Handwerkerfibel des Bundesministeriums der Jus-
tiz deutlich gemacht, dass es erfolgreiche Instrumente

Alfred Hartenbach






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gibt. Es gibt aber die eine oder andere Hürde, an der
rechtlich unerfahrene Handwerker und kleinere Unter-
nehmen scheitern können. Hier setzt der Gesetzentwurf
zur Beschleunigung fälliger Zahlungen an. Der
Rechtsausschuss hat in seiner Beschlussempfehlung ein
ganzes Paket von effektiven Sofortmaßnahmen vorge-
legt, um die Fallstricke für kleine und mittlere Unter-
nehmen zu beseitigen. Er konnte sich dabei auf Vorar-
beiten stützen, die in einer Arbeitsgruppe des Bundes
und der Länder zur Verbesserung der Zahlungsmoral
diskutiert und vorgelegt worden sind.

Zentral wichtig ist in diesem Gesetzentwurf – da be-
steht parteiübergreifender Konsens – die Anhebung des
Verzugszinses auf fünf Prozentpunkte über dem Basis-
zinssatz. Auch die Verbesserung der Bauhandwerkersi-
cherungsbürgschaft wird von allen Fraktionen akzep-
tiert. Schließlich ist es ganz wichtig, dass künftig die
Abnahme wegen wesentlicher Mängel verweigert wer-
den darf, und zwar nur wegen wesentlicher Mängel.

In der jetzt vorgeschlagenen Fassung des Koalitions-
entwurfes sind aber auch eine Reihe von Maßnahmen
enthalten, die in den Vorschlägen der anderen Fraktio-
nen bislang keine Beachtung gefunden haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

So soll zum Beispiel der Verzug bei Geldforderungen
künftig 30 Tage nach Erhalt der Rechnung eintreten. Es
handelt sich dabei um eine erhebliche Verbesserung ge-
rade für die kleinen und mittleren Unternehmen, da die
zusätzliche Mahnung des Vertragspartners entbehrlich
wird.

Der Entwurf sieht auch vor, dass Abschlagszahlungen
zum gesetzlichen Leitbild des Werkvertragsrechts gehö-
ren und nicht nur dem Verhandlungsgeschick der Partei-
en unterliegen.

In diesem Zusammenhang wollen wir auch eine Lü-
cke in der Makler- und Bauträgerverordnung schließen.
Das dort geregelte – und zwar bewährte – Abschlags-
zahlungsschema beim privaten Hausbau soll auch für
den Fall vorgeschlagen werden, dass nur das Haus, nicht
jedoch das Eigentum am Grundstück an den Verbrau-
cher geliefert wird, also auch für den normalen Häusle-
bauer, um es einmal so auszudrücken. Ferner soll bei
vorhandenen Mängeln der Besteller seine Vergütungs-
zahlung künftig mindestens in Höhe des Dreifachen der
für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten
verweigern können. Das ist heute bereits in der Recht-
sprechung anerkannt, meine Damen und Herren, und
nicht eine Erfindung. Deswegen kann man auch die Ver-
treter der Handwerkerschaft, die hier insbesondere Pro-
bleme haben, beruhigen und sagen, hier ist der Gesetzge-
ber lediglich der Rechtsprechung gefolgt, die ein ausge-
wogenes Verhältnis sucht.
Wir wollen mit diesen Bestimmungen gleichzeitig auch
dem Verbraucherschutz in einem hohen Maße Rech-
nung tragen. Schließlich bezweckt die Regelung zur
Durchgriffsfälligkeit, dass der Hauptunternehmer die
vom Erwerber erhaltenen Raten auch tatsächlich an die
Handwerker weiterreichen muss, die die Gewerke aus-
geführt haben.

Meine Damen und Herren, ich will noch einen Hin-
weis geben. Ich denke, dass mit diesem Gesetzentwurf
zur Beschleunigung fälliger Zahlungen auch etwas ande-
res erreicht wird, nämlich ein weiteres Teilergebnis in
unserer Justizreform. Das Ziel der Entlastung der Ge-
richte ist ein tragender Gesichtspunkt für den Vorschlag,
mit Hilfe einer Fertigstellungsbescheinigung im Ur-
kundsverfahren die Streitklärung zu vereinfachen und
das Verfahren zu beschleunigen.

Die Durchsetzung der meisten Vergütungsforderun-
gen aus Bauwerkverträgen wird durch den Streit um
Mängel behindert. Diesem Streit kann man nur entge-
genwirken, indem zumindest eine grobe Klärung der
Mängelfrage erfolgt. Dazu schlägt der Gesetzentwurf
vor, dass das Werk als Ersatz für die Abnahme vor ei-
nem Prozess durch einen unabhängigen Sachverständi-
gen besichtigt und begutachtet werden kann, der dann
eventuelle Mängel feststellt.

Die Fertigstellungsbescheinigung eröffnet dem Un-
ternehmer den Weg in den schnellen Urkundsprozess.
Davon haben sowohl der Unternehmer als auch der Be-
steller, der Kunde, Vorteile. Der Unternehmer weiß,
dass er seinen Titel schnell bekommt, wenn er die vom
Sachverständigen eventuell festgestellten Mängel besei-
tigt, und auch für den Besteller wirkt es sich positiv aus,
dass der Unternehmer einen Anreiz hat, festgestellte
Mängel tatsächlich zu beseitigen.

Wir wollen in diesem Zusammenhang aber auch die
Beteiligten, nämlich Handwerkskammern und Banken,
dazu aufrufen, die Durchführung dieses neuen Verfah-
rens zu unterstützen. Es muss flankiert werden. Der
Entwurf schafft zwar die Voraussetzungen dafür, dass
das Verfahren zügig erledigt werden kann, aber darüber
hinaus ist es wichtig, dass der Zeitraum bis zur Er-
füllung der Werkforderung durch entsprechende Kredite
überbrückt werden kann. Ich denke, dass die Risiken für
die Kreditgeber kalkulierbar sind. Es ist nun auch Sache
der Finanzwirtschaft, durch die Veränderung ihres Ver-
haltens gegenüber ihren Kunden einen Beitrag zur Ver-
besserung der Situation von Handwerkern zu leisten.

Ich darf abschließend feststellen, dass der Entwurf
zur Beschleunigung fälliger Zahlungen, wie er nun
durch den Rechtsausschuss beschlossen worden ist – ich
erkenne an, dass sich alle Fraktionen um ein Ergebnis
bemüht haben und dass insofern auch ein Wettstreit der
Ideen festzustellen ist –, die Situation der kleinen und
mittelständischen Unternehmen verbessern wird. Auf
der anderen Seite behält er ausgewogen ebenso die Inte-
ressen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Auge.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409011900
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht Professor Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten.


Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1409012000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick






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ren! Die Frage der pünktlichen Zahlung ist so alt wie der
Zahlungsverkehr selber und die Zahlungsmoral ist ei-
gentlich eine Frage der Redlichkeit gegenüber dem Ge-
schäftspartner. In der Regel funktioniert dies auch ohne
Beanstandung. In den Fällen, in denen besondere Risi-
ken vorhanden sind, haben sich Vorauskasse, Nachnah-
me und Abbuchung eingespielt. Im Geschäftsverkehr
sollte man auch heute noch den alten germanischen
Rechtssatz gelten lassen: Trau, schau, wem. Das heißt,
schau dir den Partner an, mit dem du Geschäfte machst;
notfalls musst du es sein lassen.

Das ist in einer Zeit des Wettbewerbs und des Zwan-
ges, den eigenen Betrieb auszulasten, natürlich leichter
gesagt als getan, sodass immer wieder Risikogeschäfte
eingegangen werden. Das ist vor allem dann bedrü-
ckend, wenn der Abnehmer eine besonders starke wirt-
schaftliche Stellung hat, die er nicht nur bei der Forde-
rung nach Preiszugeständnissen gnadenlos ausnutzt,
sondern auch indem er die vereinbarten Zahlungsziele
willkürlich überschreitet. Besonders stark ist diese mo-
nopolartige Stellung auf dem Bausektor, wo der Hand-
werker oft mit einem Bauträger oder staatlichen Behör-
den als Auftraggeber zu tun hat. Gerade die Letzteren,
die staatlichen Auftraggeber, die eigentlich Vorbild sein
sollten, auch in der Einhaltung von Zahlungszielen und
vereinbarten Regelungen, haben zum Teil mit unerträg-
licher Verzögerungstaktik mittlere und kleine Betriebe
mit Zahlungen hingehalten, sodass diese oft an den Rand
der Existenzfähigkeit gerieten.

Hinzu kam, dass in den 90er-Jahren in den neuen
Ländern ein Bauboom ungekannten Ausmaßes aufkam,
der eine Vielzahl von Hasardeuren anzog, die kleinere
und mittlere Firmen, welche auch im Umgang mit
Baurecht nicht so erfahren waren, in nicht hinnehmbarer
Weise um ihren gerechten Lohn zu prellen versuchten,
indem sie nicht oder zu spät zahlten oder mit unberech-
tigten Mängelrügen überhöhte Preisnachlässe mit sofor-
tiger Zahlung „belohnten“.

Die rechtlichen Instrumente des BGB – darauf hat
Staatssekretär Pick bereits hingewiesen – und des HGB,
die es eigentlich gab, wurden zur stumpfen Waffe in ei-
nem erst im Aufbau befindlichen Gerichtssystem der
neuen Länder mit zum Teil überforderten Rechtsanwäl-
ten, Richtern, Rechtspflegern und Gerichtsvollziehern.
Der Ruf nach verbesserten Instrumenten wurde daher
insbesondere dort laut. Aber auch Klein- und Mittelbe-
triebe in den alten Ländern litten zunehmend unter dem
Druck von Großbestellern.

Der durch das Bauhandwerkersicherungsgesetz ein-
gefügte § 648 a BGB erwies sich leider auch nicht als
gute Waffe, weil die nach diesen Vorschriften vorhan-
dene Berechtigung von Handwerkern, eine Sicherungs-
hypothek zu fordern, in der Regel dazu führte, dass der
Besteller spätestens beim nächsten Mal diesen Unter-
nehmer nicht mehr berücksichtigte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Mahnung, die in Verzug setzte und berechtigte, hö-
here Zinsen als die gesetzlichen zu verlangen, wurde
von den Bestellern entweder ignoriert, oder aber der be-
troffene Handwerker wurde bei der nächsten Vergabe

„negativ“ beschieden. Der Schadensersatz bei der Auf-
tragseinbuße bei Nichtstellung der Sicherheit des Bestel-
lers war schwierig zu ermitteln. Prozesse zogen sich hin,
sodass dieses Instrument Bauhandwerker letztlich nicht
wirksam schützte.

Aus diesem Grunde hat die Fraktion der CDU/CSU
noch während der vorigen Legislaturperiode den „Ent-
wurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung
von Forderungen der Bauhandwerker“ ausgearbeitet und
vor einem Jahr vorgelegt, dem neben den Gesetzentwür-
fen der F.D.P. und der PDS dann auch der „Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen“
der Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die
Grünen folgte. Die Verabschiedung dieses Gesetzes ver-
zögerte sich dadurch, dass Sie, meine Damen und Her-
ren von der Koalition, sich nicht einigen konnten.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wir wollten euch Gelegenheit geben, vernünftig mitzureden!)


– Nein. Sie konnten sich nicht einigen, lieber Herr Kol-
lege.


(Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Klatscht ihr jetzt, weil er „lieber Herr Kollege“ gesagt hat?)


In einigen Punkten können wir Ihrem Entwurf, Herr
Hartenbach, zwar zustimmen. In anderen Punkten kön-
nen wir Ihnen jedoch nicht folgen und hätten lieber un-
sere Vorschläge durchgesetzt.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist nun einmal so im Leben!)


Wir sind der Meinung, dass das Volumen der Bau-
handwerksleistungen, das viele hundert Milliarden DM
umfasst, in der Bundesrepublik Deutschland so groß ist,
dass mit einem eigenen, in sich geschlossenen Bauver-
tragsgesetz klarere Entscheidungen getroffen werden
könnten als durch die allgemeine Einarbeitung von Neu-
regelungen in die Verzugsregeln des BGB und in die all-
gemeinen Regeln des Werkvertrages.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ob dabei die Wiederentdeckung des Gesetzes über die
Sicherung von Bauforderungen vom 1. Juni 1909, also
eines Gesetzes aus dem Kaiserreich, und dessen Einar-
beitung in den Entwurf der CDU/CSU der Weisheit letz-
ter Schluss war, mag dahingestellt bleiben. Aber ein ei-
genes Bauvertragsgesetz hätte für die Bauhandwerker,
aber auch für die Besteller mehr Klarheit und Sicherheit
gebracht.


(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Jawohl!)

Um aber die berechtigten Forderungen der Bau-

handwerker zumindest teilweise zu erfüllen, haben wir
im Ausschuss die jetzt vorgesehenen Verbesserungen
zum Teil unterstützt. Wir werden die Verabschiedung
dieses Gesetzes nicht verzögern, weil für die Betroffe-
nen der magere „SPD-Spatz“ in der Hand immer noch
besser ist als die fette Taube eines eigenen Bauvertrags-
gesetzes auf dem Dach, das mit dem derzeit – leider –
vorhandenen Mehrheiten im Parlament nicht durchge-
setzt werden kann.

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten






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(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen und Zurufe von der SPD)


– Das magere „SPD-Spätzchen“ ist ja dann noch übrig.
So ist die Einfügung des § 284 Abs. 3 BGB, der den

Schuldner nach Ablauf von 30 Tagen nach Zugang einer
Rechnung in Verzug setzt und die generellen Verzugs-
zinsen nach § 288 Abs. 1 BGB auf 5 Prozentpunkte über
dem Basiszinssatz festsetzt – sie liegen in Zukunft mit-
hin zwischen 7 und 10 Prozent –, nicht nur für die Bau-
handwerker, sondern auch für alle anderen Gewerbetrei-
benden ein Fortschritt. Insoweit stimme ich dem zu,
Herr Staatssekretär Pick.


(Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])

Ei
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409012100
Manche Juraprofessoren müs-
sen sich jetzt neue Klausurthemen für den Verzug aus-
denken, weil sie nun keine Studenten mehr mit den Un-
terschieden in den Bestimmungen des § 284 Abs. 1 und
Abs. 2 aufs Glatteis führen können.

Die in der Regel in Verträgen festgesetzten Teilzah-
lungen werden durch den neuen § 632 a BGB, insbeson-
dere auch hinsichtlich der Sicherheiten, präzisiert.

Dem beliebten Spiel, Zahlungen durch Mängeleinre-
de zu verzögern, wird – zumindest teilweise – durch die
Veränderungen des § 640 BGB Einhalt geboten, nach
dem wegen unwesentlicher Mängel die Abnahme nicht
verweigert werden kann. Dabei halten wir, weil in der
Praxis sehr schwer durchführbar, die Regeln für die Be-
scheinigung eines Gutachters für missglückt. Hier wer-
den wir sehen, dass das Gesetz nach einer gewissen Er-
fahrungszeit vereinfacht und verbessert werden muss.
Die Einfügung, dass der Besteller, der die Beseitigung
eines Mangels verlangen kann, die Zahlung eines ange-
messenen Teils der Vergütung, mindestens in Höhe des
Dreifachen der erforderlichen Kosten, verweigern kann,
ist, wie bereits der Herr Staatssekretär gesagt hat, quasi
die Übernahme der gängigen Rechtsprechungspraxis
und daher sinnvoll. Im Zweifelsfalle ist dieser erhöhbar.

Eine Vereinfachung und letztlich auch eine gerechte
Lösung, die auch vielfacher Gerichtspraxis entspricht,
enthält der Zusatzabsatz 5 des § 648 a BGB, der dem
Unternehmer ohne Nachweis einen Pauschalschaden
von 5 Prozent der Auftragssumme zugesteht, wenn der
Besteller die erforderliche Sicherheit nicht leistet und
der Auftrag damit entfällt.

Zusammenfassend ist zu sagen: Wir hätten gern mehr
gehabt, und zwar durch ein eigenes Bauvertragsgesetz,
das insbesondere mehr Sicherheit für die Bauhandwer-
ker gebracht hätte. Wir übersehen aber nicht die Verbes-
serungen durch diese Bestimmungen und wollen sie
deswegen weder verzögern noch verhindern. Wir wer-
den uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Schade!)

Wenn sich die von uns befürchteten Unzulänglichkeiten
und Mängel zuungunsten der Handwerker bewahrheiten,
werden wir erneut und mit Nachdruck einen Bauver-

tragsgesetzentwurf entsprechend unserem Entschlie-
ßungsantrag einbringen, dem zuzustimmen ich Sie bitte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Alfred Hartenbach [SPD]: Sie könnten doch zustimmen, Herr von Stetten! Das war jetzt doch so viel Lob für uns!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409012200
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Helmut
Wilhelm.

Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Weil von einem meiner Vorredner, Herrn Staats-
sekretär Professor Pick, ausführlich auf die Inhalte des
neuen Gesetzes eingegangen wurde, sei es mir erlaubt,
mich etwas kürzer zu fassen.

Ich freue mich sehr, dass das Thema bisher doch rela-
tiv einmütig debattiert wurde, soweit das parlamentari-
sche Oppositionsverständnis dies eben zugelassen hat,
denn wir sind uns einig, dass die bei großen Teilen der
Bevölkerung leider vorherrschende Einstellung – „Ich
zahle erst nach Mahnung!“ – der Korrektur bedurfte.

Auch die Tatsache, dass die Zeiträume, innerhalb de-
ren fällige Geldforderungen durch die Schuldner begli-
chen werden, allgemein immer länger wurden und dass
das vermehrte Zurückbehalten von teilweise erheblichen
Forderungen kleinere und mittlere Betriebe – vor allem
im Handwerk und in der Bauwirtschaft – immer öfter in
finanzielle Bedrängnisse brachte, war einfach nicht mehr
länger hinnehmbar. Darin besteht ebenfalls Konsens.

Vor diesem Hintergrund haben wir von mehreren
zielführenden Vorschlägen und Möglichkeiten denjeni-
gen Weg gewählt – übrigens auch aufgrund von Anre-
gungen aus der Opposition –, der nach unserer Auffas-
sung zunächst der geradlinigste und vor allem auch der
interessengerechteste Weg ist, um den negativen Um-
ständen schnell und unverzüglich entgegenwirken zu
können.

Ich habe an dieser Stelle ganz bewusst das Wörtchen
„zunächst“ gebraucht, denn über den vorliegenden Ge-
setzentwurf hinaus sind bei den Koalitionsfraktionen
durchaus auch Überlegungen vorhanden, ein übergrei-
fendes, zusammenführendes Bauvertragsrecht zu erar-
beiten. Da ein Vorhaben „Bauvertragsgesetz“, das allen
denkbaren Anforderungen eines umfassenden und kom-
plexen Bauvertrags gerecht wird, aber in Anbetracht des
erforderlichen raschen Regelungsbedürfnisses nicht ge-
leistet werden konnte, mussten die von uns als wichtig
erachteten vielfältigen neuen Instrumentarien zunächst
in den Allgemeinen Teil und in den Werkvertragsteil des
BGB eingegliedert werden.

Dabei wurde von meiner Fraktion auch sehr auf Aus-
gewogenheit der Regelungen hinsichtlich des Verbrau-
cherschutzes geachtet, denn bei aller Regelungsbedürf-
tigkeit durfte eines auf keinen Fall vergessen werden:
Wer gesetzliche Vorschriften auf diesem Gebiet erlässt,

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten






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darf nicht einäugig nur auf die Not leidende Bauwirt-
schaft blicken. Auch das ohnehin schon große finanziel-
le Risiko der privaten Häuslebauer durfte nicht ins Un-
überschaubare getrieben werden. Bei den Verbrauchern
durfte keinesfalls eine bestimmte Schwelle überschritten
werden, damit sie nicht von einem einmal gefassten
Bauentschluss Abstand nehmen. Dies nämlich kann
auch nicht im Sinn der Bauwirtschaft sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für diese Überzeugung, für einen effektiven

Verbraucherschutz haben wir uns vom Bündnis 90/Die
Grünen stark eingesetzt. Wir befanden uns auf einer
Gratwanderung, die nicht zu einer schädlichen Übersi-
cherung der Bauindustrie führen durfte.
Die notwendigen Schritte, die in Angriff genommen
wurden, mussten also folgenden Kriterien genügen: Sie
mussten ein ausgewogenes Verhältnis von Gläubiger-
und Schuldnerschutz gewähren. Sie mussten rechtsstaat-
lich unbedenklich sein. – So halte ich den Vorschlag der
Union für eine richterliche Vorabverfügung nach wie
vor nicht für vertretbar und für eines sorgfältigen und
unparteilich handelnden Richters nicht würdig – Sie
mussten transparent und verständlich sein und ohne gro-
ßen bürokratischen Aufwand vollzogen werden können.
Die Forderung nach Anderkonten etwa entspricht letzte-
rem Erfordernis nicht.

Mit dem Unionsentwurf wird vorgeschlagen, das Ge-
setz über die Sicherung von Bauforderungen in das
BGB zu integrieren. Das konnte meines Erachtens zu
nichts führen und wurde folglich von uns auch nicht be-
rücksichtigt. Das Gesetz über die Sicherung von Bau-
forderungen findet ohnedies auch bisher schon weitge-
hend keine Beachtung und führt außerdem nicht zu einer
beschleunigten Zahlung, da es lediglich dazu verpflich-
tet, eingehende Baugelder und ihre Verwendung in Bau-
büchern festzuhalten. Es besagt aber nichts darüber, ob
und aus welchen Gründen Baugelder zurückbehalten
werden können. Das aber ist das eigentliche Problem.

Den oben geschilderten Anforderungen kann auch der
Antrag der PDS nicht gerecht werden. Ja, die PDS kon-
terkariert sogar ihren eigenen Antrag. So fordert sie
zwar rechtsstaatlich unbedenkliche Schritte, verlangt
aber andererseits bei Mahnverfahren, die ins streitige
Verfahren übergeleitet worden sind, ein Urteil innerhalb
von 120 Tagen ab Rechtshängigkeit. Wie dies bei Bau-
prozessen, die die Einschaltung von Sachverständigen
erfordern, möglich sein soll, bleibt das Geheimnis der
PDS. Ohnedies scheint der Antrag der PDS von einem
grenzenlosen Misstrauen in die Justiz beseelt zu sein.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Na, na!)

Denn in ihm ist pausenlos von Schadensersatzansprü-
chen gegenüber der Justizkasse die Rede und weniger
von solchen der Bauvertragspartner.

Das von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorge-
schlagene Instrumentarium orientiert sich an dem Be-
richt der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der
Zahlungsmoral“ und den Ergebnissen der Sachverstän-
digenanhörung des Rechtsausschusses. Es ist geeignet,

den ungerechtfertigten Verschleppungen von Zahlungen
wirksam entgegenzutreten und zugleich den Verbrau-
cherschutz zu verbessern.

Der bei fälligen Geldschulden automatisch eintreten-
de Verzug nach 30 Tagen, gerechnet ab Rechnungsle-
gung, schafft erstens Rechtsklarheit auch für den juristi-
schen Laien – mein Vorredner, Herr von Stetten, hat
schon gesagt, dass sich die Problematik von Examens-
klausuren in Zukunft dramatisch verringern wird – und
führt zweitens dazu, dass die Zahlungsfrist „europäi-
siert“ wird. Die Anhebung des Verzugszinses von bis-
her 4 Prozent auf zukünftig 5 Prozent über dem Basis-
zinssatz nach § 1 des Diskont-Überleitungs-Gesetzes –
das entspricht etwa einer Anhebung auf zurzeit
7 Prozent – bedeutet das Aus für die Inanspruchnahme
billiger „Justizkredite“.

Durch den gesetzlichen Anspruch auf Abschlags-
zahlungen wird der Unternehmer in die Lage versetzt,
Vor- und Teilleistungen zu erbringen, ohne aufwendige
Vorfinanzierungen tätigen zu müssen, wenn er dem
Verbraucher Eigentum oder Sicherheit an den Sachen
verschafft – übrigens wieder ein Verbraucherschutzas-
pekt. Die Abnahmefiktion und Abnahmepflicht bei un-
wesentlichen Mängeln garantiert dem Unternehmer eine
schnelle Vergütung seiner Leistung. Gleichzeitig erhält
der Besteller die gesetzliche Möglichkeit, einen „Druck-
zuschlag“ einzubehalten, wenn der Unternehmer vor-
handene Mängel nicht beseitigt.

Die Fertigstellungsbescheinigung erspart beiden
Parteien eventuell ein gerichtliches Gutachten – zumin-
dest beschleunigt sie ein solches –, weil sie frühzeitig
Klarheit über bestehende oder nicht bestehende Mängel
bringt, und animiert den Werkunternehmer, Mängel ge-
gebenenfalls schnell zu beseitigen. Damit kann auch in
diesem Instrument eine Verbraucher schützende Wir-
kung gesehen werden.

Ich bin der Ansicht, dass uns insgesamt ein zielfüh-
render und ausgewogener Gesetzentwurf und damit ein
guter Wurf gelungen ist, der die Zustimmung des ganzen
Hauses verdienen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409012300
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht nun der Kollege Jürgen Türk.


Jürgen Türk (FDP):
Rede ID: ID1409012400
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns
zum wiederholten Male mit der Beschleunigung fälliger
Zahlungen in der Absicht, heute endlich dieses leidige
Problem vom Tisch zu bekommen und natürlich auch
eine Lösung zu finden.

Nicht nur Rechnungen sind fällig. Es ist auch lange
überfällig, hier wieder Ordnung zu schaffen. Die Politik
muss künftig schneller handeln, denn nur schnelle Hilfe
ist wirkliche Hilfe. Trotzdem gibt es quer durch alle Par-
teien Fundamentalisten – so sage ich das mal – die jetzt
fragen, warum man zur Wiederherstellung der Zah-

Helmut Wilhelm (Amberg)







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lungsmoral ein Gesetz benötige. Dies sei nur eine Sache
der Liquidität und der Leistungsfähigkeit der Gerichte
sowie der Unternehmen.

Diesen Schlaubergern sage ich: Das stimmt fast alles,
aber können wir auf die Liquidität der kleinen und mitt-
leren Unternehmen bauen, wenn die Eigenkapitaldecke
durch nicht bezahlte Rechnungen immer dünner wird?
Oder wollen wir auf eine längst überfällige Justiz-
reform – damit meine ich nicht die geplante – warten?
Hoffen und Harren macht manchen zum Narren – und
natürlich viele Handwerker zu Pleitiers.

Hier besteht schon lange Handlungsbedarf; das rich-
tet sich an alle, die hier sitzen. Der Staat sollte jedoch
nicht zum Überregulierer, aber auch nicht zum Nacht-
wächter werden. Die Erhaltung des Leistungsprinzips
und der Rechtsstaatlichkeit ist wohl eindeutig eine hoheit-
liche Aufgabe des Staates. Ich hoffe, dass wir uns we-
nigstens darüber einig sind.

Akuter Handlungsbedarf besteht, weil es in Deutsch-
land modern geworden ist, seine Rechnungen viel zu
spät oder gar nicht zu begleichen. Dies hat nichts mehr
mit Leistungsprinzip oder Rechtsstaatlichkeit zu tun.
1999 haben 29 Prozent der Schuldner, also fast ein Drit-
tel, ihre Rechnungen nicht vereinbarungsgemäß bezahlt
und die Tendenz ist steigend. Selbst wenn dies ein euro-
päisches Problem ist, darf es nicht sein, dass wir dieses
Problem nicht angehen.

Kaum zu glauben, aber wahr: Laut Statistik des Be-
triebswirtschaftlichen Instituts der Bauindustrie brau-
chen Bund und Länder – das muss man hier auch einmal
sagen – am längsten zur Bezahlung ihrer Rechnungen.
Der jetzige Stand ist: Der Bund benötigt 95 Tage, die
Länder liegen bei 90 Tagen und die Kommunen brau-
chen 73 Tage. Das kann mit Sicherheit nicht so bleiben.

Private Investoren sind schneller – aber was heißt
schon „schneller“? – , sie begleichen ihre Schulden be-
reits nach 55 Tagen. Trotzdem stellen private Investoren
das höhere Risiko dar, weil sie öfter vorsätzlich gar
nicht oder erst nach einem langjährigen Gerichtsprozess
zahlen. Dieser endet häufig mit einem Vergleich und
dem Ergebnis, dass die Auftraggeber nur 50 Prozent ih-
rer Schulden abgelten müssen. Damit kann man sicher-
lich nicht leben.

Die schlechte Zahlungsmoral ist kein Kavaliersdelikt,
als welches sie lange Zeit angesehen wurde, sondern ei-
ne im Sinne des Wortes mörderische Praxis: Sie trieb
1999 rund 3 100 Handwerksbetriebe in den Ruin. Allein
dadurch sind 30 000 bis 40 000 Arbeitsplätze verloren
gegangen. Deshalb haben wir noch in der alten Koali-
tion – das muss auch einmal gesagt werden – einige
Maßnahmen auf den Weg gebracht, zum Beispiel
die Zwangsvollstreckungsnovelle


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das haben wir hauptsächlich gemacht!)


– bitte schön – und die Neuregelung des Schiedsver-
fahrensrechts. Aber das Schiedsverfahrensrecht muss
natürlich auch angewendet werden. Ich erneuere hier
meinen Vorschlag an die Kammern und Verbände, end-
lich einmal gemeinsam regionale Schiedsgerichte als Pi-

lotprojekte einzurichten, um die außergerichtliche Streit-
schlichtung auszuprobieren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir von diesen Dingen sprechen, muss ich
auch an das am 1. Januar 1999 in Kraft getretene Insol-
venzgesetz erinnern. Hinsichtlich seiner Umsetzung hat
sich jedoch noch nichts getan. Es gibt viele unverschul-
det in Zahlungsschwierigkeiten Geratene, denen mit die-
sem Insolvenzgesetz geholfen werden soll. Dies muss
endlich in Gang gesetzt werden, damit den unver-
schuldet in Zahlungsschwierigkeiten Geratenen und den
Gläubigern geholfen werden kann.

Da diese Maßnahmen noch nicht die erforderliche
Wirkung zeigten – das muss man realistischerweise sa-
gen – , brachten die damaligen Regierungsparteien, also
wir, einen entsprechenden Antrag ein, der aufgrund des
Regierungswechsels natürlich nicht mehr umgesetzt
werden konnte.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das war wie immer zu spät!)


Deshalb wurde die F.D.P.-Fraktion im März 1999 mit
dem Antrag „Zahlungsverzug bekämpfen – Verfahren
beschleunigen – Mittelstand stärken“ wieder initiativ.
Das Ergebnis ist der jetzt, wenn auch wieder mit Ver-
spätung, vorgelegte Gesetzentwurf. Immerhin war unser
Antrag eine positive Provokation.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ihr hattet zehn Jahre Zeit! Wir haben es in einem Jahr geschafft!)


Natürlich - jetzt komme ich zur Zustimmung - sind
wir mit dem automatischen Verzugseintritt nach 30 Ta-
gen einverstanden. Den Mindestverzugszins anzuheben
und so die Hemmschwelle zu erhöhen, ist ebenfalls rich-
tig, weil dies den Anreiz für einen Justizkredit ein Stück
weit zurücknimmt.n Ich frage mich allerdings, warum
man nur 5 Prozent auf den Basiszinssatz der Europäi-
schen Zentralbank aufschlägt; denn das Ergebnis ist:
Wir erhöhen von 4 Prozent auf 7,68 Prozent, also auf
knapp 8 Prozent, und der Überziehungskredit der Bank
kostet immer noch über 10 Prozent. Diese Lücke haben
wir immer noch nicht ganz geschlossen. Ich hätte es lie-
ber gesehen, wenn wir uns der europäischen Norm an-
gepasst hätten; denn sie liegt meines Erachtens auch
über 5 Prozent.


(Beifall bei der F.D.P.)

Dass man künftig wegen unwesentlicher Mängel die

Bezahlung nicht mehr verweigern kann, ist ebenfalls gut
und richtig; ebenso, dass der Auftraggeber einen ange-
messenen Teil der Vergütung einbehalten kann, um auf
die Beseitigung von Mängeln hinwirken zu können. Das
muss natürlich gesichert sein. Man kann sich darüber
streiten, ob das Dreifache das richtige Maß ist. Es muss
aber eine Möglichkeit geben, dass Mängel beseitigt
werden.

Für sinnvoll halte ich ferner, dass in Zukunft für
Hauptunternehmer die Verpflichtung besteht, nach er-
folgter Zahlung auch die Rechnungen der Nachunter-
nehmer, also die der kleinen Unternehmer zu beglei-
chen.

Jürgen Türk






(A)



(B)



(C)



(D)


Bei der Fertigstellungsbescheinigung, die der Ab-
nahme gleichgesetzt werden soll, ist meines Erachtens
zu beachten, dass die Gutachtersuche und die Gutacht-
nenerstellung nicht wieder unzumutbare Verzögerungen
hervorrufen. Ich denke, hier kann man die ohnehin
durchzuführenden Bauabnahmen einbeziehen.

Hinsichtlich des § 648a BGB, der so genannten
Handwerkersicherung, könnte ich mir schon vorstel-
len, dass aus der jetzigen Kann- eine Mussbestimmung,
für die ich immer gekämpft habe, gemacht wird.


(Beifall bei der F.D.P.)

Eines ist natürlich klar: Die Kannbestimmung wird nicht
wirksam. Das ist in der Praxis nun einmal so. Wir haben
in der interfraktionellen Arbeitsgruppe zusammengeses-
sen, und wenn wir ein wenig intensiver beraten hätten,
hätten wir auch eine praktikable Lösung finden können.
Wir wollen aber noch nachbessern; vielleicht können
wir das dann auf diesem Weg erreichen.

Über den Gesetzentwurf hinaus bleibt es notwendig,
dass in einem zweiten Schritt die Voraussetzungen dafür
geschaffen werden, dass Schuldner eine Zwangsvoll-
streckung durch Vermögensverschiebung nicht mehr
vorsätzlich verhindern können. Das ist ein schwieriges
Problem, aber ich glaube, wir müssen es trotzdem ange-
hen, damit nicht kriminell gehandelt und Vermögen ver-
schoben wird.

Alles in allem aber, Herr Hartenbach, ist das Gesetz
ein Fortschritt. Deshalb wird die F.D.P. dem Gesetz
auch zustimmen.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Alfred Hartenbach [SPD]: Das finden wir ganz toll!)


Allerdings sollte es laufend auf seine Wirksamkeit hin
überprüft werden. Es nützt nichts, ein Gesetz nur um
seiner selbst willen zu machen. Nach In-kraft-treten soll-
ten nach angemessenen Fristen Prüfberichte vorgelegt
werden. Wir sollten das also in der Praxis begleiten.
Stellt sich heraus, dass sich die Zahlungsmoral nicht we-
sentlich verbessert hat, sind in Abstimmung mit Unter-
nehmen und Verbänden – darauf lege ich Wert – sofort
Nachbesserungen im Gesetz vorzunehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD Alfred Hartenbach [SPD]: Wir bedanken uns herzlich! Vielen Dank!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409012500
Das Wort für die
Fraktion der PDS hat nun der Kollege Rolf Kutzmutz.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1409012600
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Über die Notwendigkeit, das
Problem mangelnder Zahlungsmoral anzugehen, gab
und gibt es kaum unterschiedliche Auffassungen. – Herr
von Stetten, wenn es nur am Schauen und Trauen liegt,
dann muss ich sagen: Offensichtlich trügt der Schein
allzu oft. Das wäre aber noch das kleinere Problem. Das
größere ist, dass sich die Zechprellerei regelrecht zum

Volkssport entwickelt hat und viele kleine Betriebe
darunter leiden. –


(Beifall bei der PDS)

Das Problem „Zahlungsverzug und Zahlungsmoral“, für
das heute eine gesetzgeberische Lösung gefunden wer-
den soll, ist weder neu, noch ist seine Brisanz von unse-
rer Fraktion bisher gering geschätzt worden. Vor fast ei-
nem Jahr, im April 1999, befasste sich dieses Haus
erstmals in dieser Wahlperiode mit drei Initiativen zu
diesem Thema. Diese drei sollen heute nun für erledigt
erklärt werden, um einem Koalitionsentwurf Gesetzes-
kraft zu verleihen.

Herr Kollege Wilhelm, Sie haben vorhin ausführlich
die Redebausteine vom April 1999 verwandt, als Sie das
eingeschätzt haben, was die PDS geleistet hat. Sie soll-
ten zumindest eingestehen, dass sie eine der drei Frakti-
onen war, die etwas eingebracht haben. Sie sollten auch
eingestehen, dass eine Vielzahl von Vorschlägen durch-
aus sinnvoll ist. Auch wenn Sie mit einigen Vorschlägen
nicht einverstanden sind, haben die restlichen dazu ge-
dient, dass die Koalition überhaupt einen ordentlichen
Vorschlag vorlegen konnte. Das sollte man in aller Fair-
ness zugestehen.


(Beifall bei der PDS)

Ich habe diesen Ablauf noch einmal beschrieben, weil

ich meine: Für einige vernünftige – und hoffentlich auch
effektive – Dinge wurde viel zu viel Zeit vertan. Über
die heute zu beschließende Anhebung und Flexibilisie-
rung des gesetzlichen Verzugszinses herrschte schon vor
einem Jahr Einigkeit. Die automatische 30-Tage-Frist
des In-Verzug-Geratens, sofern nicht ausdrücklich etwas
anderes vereinbart wurde, ist ebenfalls ein begrüßens-
werter Fortschritt zugunsten der Gläubiger. Sie entbüro-
kratisiert und verbilligt darüber hinaus etwas die Titulie-
rung von Forderungen. Deshalb werden wir uns als
PDS-Fraktion dem Gesetz nicht verweigern.

Darüber hinaus, so fürchte ich – ich rechne gleich mit
Ihren vehementen Protesten – , werden die neuen
Regelungen aber weitgehend folgenlos bleiben. Schon in
der Anhörung Ende September deutete sich an: Das nun
einzuführende Bescheinigungsverfahren bei Streit um
Mängel oder Fertigstellung eines Werkes wird besten-
falls ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Gutachter,
aber kein wirksames Instrument zur Beschleunigung fäl-
liger Zahlungen.

Dieses Grundproblem, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der Koalition, konnte auch in der Ausschussar-
beit nicht beseitigt werden. Dort kamen darüber hinaus
sogar Veränderungen zustande, die dem selbst gesetzten
Ziel, Verbesserung der Zahlungsmoral, aus meiner Sicht
widersprechen. Nur beispielhaft nenne ich den ersatzlo-
sen Wegfall der für § 641 BGB ursprünglich vorge-
schlagenen Regelung, wonach bei Mängeln dennoch die
Vergütung fällig wird, wenn der Unternehmer für das
Dreifache der bescheinigten Mängelbeseitigungskosten
Sicherheit leistet.

Dadurch wird der allseits kritisierten, regelrecht gras-
sierenden Methode der Zahlungsverweigerung durch

Jürgen Türk






(A)



(B)



(C)



(D)


Mängelrüge nicht nur nicht entgegengewirkt, sondern
sogar noch Vorschub geleistet; denn jetzt heißt es, dass
der Besteller bei Mängeln die Vergütung mindestens in
Höhe des Dreifachen der für die Beseitigung des Man-
gels erforderlichen Kosten verweigern kann. Was aber,
wenn vielleicht demnächst Gerichte die Zurückhaltung
der gesamten Vergütung für angemessen halten, nur
weil der Gesetzgeber das bisher Übliche nun als Min-
destwert definiert?

Das neue Gesetz droht also in vielen Teilen folgenlos
zu bleiben oder die Lage gar zu verschlimmbessern. In
dem Fall sage ich ausdrücklich das, was auch Herr Türk
gesagt hat: Es muss betrachtet werden, wie das Gesetz
wirkt. Wir sollten Vereine, Verbände und Betroffene
immer wieder mit einbeziehen, um zu prüfen, wie es in
der Praxis ankommt.

Dieses „Verschlimmbessern“ gilt allerdings auch für
den CDU/CSU-Entwurf. Ich meine seinen Schwerpunkt
„richterliche Vorabverfügung für Teilbeträge“. Das
umgesetzt würde nichts gewonnen, weil jeder Richter
entweder auf Gutachten warten muss oder sich einer
Lawine von Befangenheitsanträgen der verklagten Be-
steller aussetzen müsste. Deshalb müssen wir auch Ihren
Entschließungsantrag ablehnen.

Ihre Forderung nach Modernisierung des Gesetzes
über Sicherung von Bauforderungen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen der CDU/CSU, ist bekanntlich auch
die unsrige. Vor allem stimmen wir ausdrücklich Ihrer
Feststellung zu, dass die heute zu beschließenden Maß-
nahmen nicht ausreichen, mangelnder Zahlungsmoral
wirksam und auf Dauer beizukommen.

Wir hoffen, dass viele Anregungen unseres, aber auch
des F.D.P.-Antrages nach der heute zu erklärenden Erle-
digung nicht zu den Akten gelegt und verstauben wer-
den, sondern immer wieder zurate gezogen werden,
wenn es entsprechende Anlässe gibt. So sollte die Zen-
tralisierung der Mahngerichte oder die Beschleuni-
gung von Mahnverfahren durch Wegfall des gesonder-
ten Antrages auf Erlass eines Vollstreckungsbescheides
bei der anstehenden Justizrefom noch einmal bedacht
werden.

Im heute abzuschließenden Gesetzgebungsverfahren
war der Blick allzu sehr auf Gerichtsprozesse fixiert. Es
muss aber vielmehr um Maßnahmen gehen, damit sol-
che Prozesse wesentlich seltener werden, um Maßnah-
men, durch die von vornherein deutlich öfter als bisher
eine Leistung bezahlt wird. Nur das ist letztlich die Lö-
sung des gesellschaftlichen Problems.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS Alfred Hartenbach [SPD]: Eine sehr pessimistische Rede, Herr Kollege!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409012700
Ich gebe der Kolle-
gin Jelena Hoffmann für die SPD-Fraktion das Wort.


Jelena Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1409012800
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob der Begriff

Zahlungsmoral aus Ostdeutschland kommt, weiß ich
nicht. Aber ich weiß, was viele ostdeutsche Unterneh-
mer mit diesem Wort verbinden. Sie denken dabei an die
Liquiditätsschwierigkeiten, an die Eigenkapitaldecke,
die bei uns immer noch sehr dünn ist, und an die Insol-
venz, die unerwartet und sehr oft unverschuldet vor der
Tür steht.

Ich will nicht sagen, dass die mangelnde Zahlungs-
moral nur ein ostdeutsches Problem ist, aber in Ost-
deutschland ist sie ein Problem. Deshalb müssen wir se-
hen, dass wir mit diesem Gesetz fällige Zahlungen be-
schleunigen.

Wir müssen darauf achten, dass wir das Problem
nicht nur für eine Branche lösen, zum Beispiel für die
Baubranche, sondern für alle Bereiche. Wir sollten dabei
auch nicht vergessen, dass ein Handwerker ein Gläubi-
ger, aber auch ein Schuldner sein kann. Das heißt, dass
das Gesetz ausgewogen sein muss, wobei das Hauptziel
bleibt, dass die berechtigten Forderungen schneller be-
glichen werden müssen.

Dafür sieht das Gesetz unter anderem vor, dass 30
Tage, nachdem die Rechnung eingegangen ist, der Ver-
zug einsetzt. Der lange Weg mit der ersten, zweiten,
dritten Mahnung wird jedem Fliesenleger in der Zukunft
erspart. Damit wird das gerichtliche Mahnverfahren
auch beschleunigt.

Schneller geht es auch mit der Fertigstellungsbe-
scheinigung. So wird dem Hickhack mit den angebli-
chen Mängeln am Werk ein Riegel vorgeschoben. Vom
Unternehmer kann ein Gutachter bestellt werden, der
feststellen muss, ob das Werk nun Mängel aufweist oder
nicht. Wenn nicht, dann kann eine Fertigstellungsbe-
scheinigung ausgestellt werden, damit der Urkundenpro-
zess stattfinden kann.

Wichtig ist, dass wir unterscheiden müssen, warum
ein Werk, zum Beispiel ein Gebäude, nicht abgenom-
men und bezahlt wird. Geschieht das, weil ein kleiner
Kratzer in der Ecke entdeckt wurde oder weil die ganze
Heizung nicht funktioniert? Man muss schon unter-
scheiden, ob die Mängel wesentlich oder unwesentlich
sind. Wenn ein Handwerker wirklich gepfuscht hat, was
natürlich auch vorkommen kann, dann kann das Dreifa-
che der Beseitigungskosten von der Auftragssumme ab-
gezogen werden. Der Rest muss aber bezahlt werden.

Einen Durchbruch haben wir auch in der Frage der
Bezahlung von Subunternehmen erreicht. Das ist ge-
rade für kleine und kleinste ostdeutsche Unternehmen
wichtig.

Wenn der Hauptauftragnehmer sein Geld bekommen
hat, darf er das Geld nicht zurückhalten, sondern muss er
es – so sieht es das Gesetz vor – an die Subunternehmer
weitergeben. Damit erreichen wir, dass Elektriker,
Klempner und Heizungsmonteure das Geld für ihre
Leistungen bekommen, sobald der Hauptauftragnehmer
das Geld erhalten hat. Der so genannte Justizkredit wird
in diesem Fall nicht mehr möglich sein. Er wird übri-
gens auch nicht mehr interessant sein, weil wir den Ver-
zugszins deutlich erhöhen.

Rolf Kutzmutz






(A)



(B)



(C)



(D)


Ein großes Problem, das die Handwerker uns immer
wieder vorgetragen haben, waren die unbezahlten Vor-
leistungen. Ich kann mich noch erinnern, wie mir säch-
sische Dachdecker ganz aufgeregt erzählt haben, dass
sie in der Zukunft die Dachziegel vom Dach herunterho-
len werden, weil sie die Dachziegel bezahlt und einge-
baut haben, aber das Geld dafür nicht bekommen.

Liebe Handwerker und besonders natürlich liebe
sächsische Dachdecker, in der Zukunft wird das nicht
nötig sein. Wir führen nämlich einen gesetzlichen
Anspruch auf Abschlagszahlungen für Teilleistungen
und auch Material ein.

Ich muss schon sagen, dass die Handwerker viele
Forderungen an uns gestellt haben.


(Jürgen Türk [F.D.P.]: Auch unsere Dachdecker!)


Mit unserem Gesetz haben wir für die meisten Antwor-
ten gefunden.

Wir wollen übrigens, dass das Gesetz erst am 1. Mai
in Kraft tritt. Wir geben damit allen die Gelegenheit,
sich mit den neuen Regelungen des Gesetzes vertraut zu
machen.

Ich bin mir absolut sicher, dass die Handwerkskam-
mern, aber auch die IHKs die positiven Auswirkungen
unseres Gesetzes erkennen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden den Unternehmen das neue Gesetz ge-

meinsam erklären und wir werden die Unternehmen un-
terstützen, damit sie den Kampf gegen die schlechte
Zahlungsmoral gewinnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409012900
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht Kollege Dr. Michael Luther.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Luther, bitte keine Schärfe reinbringen!)



Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1409013000
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Was lange währt,
wird gut – das hätte ich heute an dieser Stelle gern ge-
sagt.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sie haben es doch gesagt!)


Es ist leider nicht der Fall. Ich kenne das Gesetz und ich
weiß, wie es wirken wird.

Das Bauhandwerk braucht dringend Hilfe. Jeden
Tag gehen Bauunternehmer wegen uneinbringbarer For-
derungen und wegen gewollter Zahlungsverzögerungen
in Konkurs. Wir wissen das seit langem. Helfen wir
wirklich?

Dem Bundestag lagen jetzt zwei Gesetzentwürfe zur
Beratung vor. Es ist also nicht so, dass wir uns nicht mit
dem Problem befasst haben. Wir kennen alles ganz ge-

nau und wissen um die Ursachen. Was ist getan worden?
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bereits vor einem
Jahr einen gut vorbereiteten Gesetzentwurf eingebracht,


(Alfred Hartenbach [SPD]: Glaube ich nicht!)

der dem Bauhandwerk wirklich helfen würde. Die Bera-
tungen über diesen Gesetzentwurf wurden von Ihnen
lange Zeit verschleppt.


(Jelena Hoffmann [Chemnitz] [SPD]: Das stimmt doch nicht! Das wissen Sie ganz genau!)


Wir hätten schon im Frühjahr des letzten Jahres eine
Anhörung durchführen und uns mit Sachverständigen
über das Gesetz auseinander setzen können. Aber erst
nach der sächsischen Landtagswahl, am 29. September,
durfte es eine Anhörung zu diesem Gesetz geben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jelena Hoffmann [Chemnitz] [SPD]: Damit hast du überhaupt nichts zu tun? – Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist unterste Schublade, Herr Luther!)


– Nein, das ist die Wahrheit. – Aber es ging noch weiter.

(Jelena Hoffmann [Chemnitz] [SPD]: Sie vergessen, dass Sachsen-Anhalt sehr viel für das Gesetz getan hat!)


Ich möchte den Beratungsverlauf kurz beschreiben: Be-
richterstattergespräche wurden angesetzt, die dann
mehrfach verschoben wurden. Warum? Ich kann es Ih-
nen sagen: Sie wurden verschoben, weil Ihre Justizmi-
nisterin, Frau Herta Däubler-Gmelin – ich schätze sie
ansonsten sehr – , in der Öffentlichkeit mehrfach ange-
kündigt hatte, was sie alles machen wolle. Nur, ein Ge-
setzentwurf lag nicht vor. Das heißt, eigene Vorstellun-
gen von Ihnen gab es lange Zeit nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jelena Hoffmann [Chemnitz] [SPD]: Aber die Anhörung musste doch abgewartet werden!)


Im Beratungsverfahren habe ich auch erfahren, dass
Sie nicht bereit waren, die von uns dargebotene Hand
anzunehmen und angesichts des schwierigen rechtlichen
Felds einen gemeinsamen Entwurf auf den Tisch zu le-
gen. Sie haben uns lediglich vor vollendete Tatsachen
gestellt. Wir konnten nur noch Ja oder Nein sagen. Wir
sind der Meinung: Viele Fragen bleiben offen. Aus die-
sem Grunde können wir dem Gesetzentwurf leider nicht
zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte den Inhalt des Gesetzes wie folgt be-

schreiben – Herr Kollege Wolfgang Freiherr von Stetten
hat es schon getan – Das Gesetz enthält eine Reihe von
sinnvollen Regelungen, die wir unterstützen. Das Gesetz
enthält nach meiner Ansicht auch eine Reihe von nutzlo-
sen Regelungen, die unschädlich sind und deswegen
auch nicht hätten aufgenommen werden müssen. Aber
das Gesetz enthält auch eine Reihe von schädlichen Re-
gelungen. Das ist das Problem.

Lassen Sie mich ein paar Punkte ansprechen, von de-
nen ich meine, dass sie dringend verbessert oder verän-

Jelena Hoffmann (Chemnitz)







(A)



(B)



(C)



(D)


dert werden müssten. Sie geben den Bauhandwerkern
Steine statt Brot. Weil Sie aus rein ideologischen Grün-
den nicht den Wortlaut unseres Gesetzentwurfes über-
nehmen wollten, nämlich dass eine Abnahme nur bei
wesentlichen Mängeln verweigert werden kann, erfinden
Sie erst den Begriff der Geringfügigkeit und später den
der Unwesentlichkeit, wohl wissend, dass beide völlig
neue Rechtsbegriffe sind und dass erst die Rechtspre-
chung klären muss, was diese Begriffe eigentlich bedeu-
ten. Die Handwerker brauchen jetzt Hilfe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Jelena Hoffmann [Chemnitz] [SPD]: Das haben wir doch geregelt!)


Anstatt auf die Regelung der VOB zurückzugreifen, die
den durch die Praxis der Rechtsprechung geklärten Be-
griff der wesentlichen Mängel enthält, erfinden Sie
neue Rechtsbegriffe. Sie geben den Bauhandwerkern
Steine statt Brot.

Ich hätte mir an dieser Stelle die Einsetzung einer
Kommission zur Gesetzesfolgenabschätzung gewünscht;
denn die Frage, was mit dem Gesetz eigentlich bewirkt
werden soll – darüber haben wir gesprochen –, konnten
weder Sie noch die Vertreter der Regierung und auch
nicht die Sachverständigen beantworten.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie selber können es auch nicht beantworten! – Zuruf von der SPD: Können Sie es beantworten?)


– Nein, auch ich kann es nicht beantworten, aber ich hät-
te diese Regelung auch nicht so beschlossen.

Die Errichtung eines Bauwerks, die Renovierung ei-
nes Hauses, die Leistungen eines Friseurs und die Her-
stellung eines Werbespots unterliegen genau demselben
Recht, nämlich dem Werkvertragsrecht. Das ist nicht
mehr zeitgemäß. Die moderne Bauwirtschaft weist heute
so viele Besonderheiten und Spezifika auf, die sich nur
noch schwer unter einem allgemeinen Werkver-
tragsrecht subsummieren lassen. Diese Erkenntnis hatten
wir bereits vor einigen Jahren beim Reisevertragsrecht.
Deswegen ist im BGB hierfür ein eigenständiger Rege-
lungsteil eingeführt worden. Bislang weigern Sie sich,
so etwas auch für den technisch viel komplizierteren
Baubereich einzuführen. Deshalb bleiben auch die neuen
Regelungen zum Teil unverständlich und lassen Spiel-
raum für Interpretationen mit meiner Meinung nach teil-
weise nicht vorhersehbaren Folgen für die Bauwirt-
schaft.

Um Zahlungsflüsse kontrollieren und um sicherstel-
len zu können, dass Baugeld für eine Bauleistung tat-
sächlich zur Bezahlung des Bauhandwerkers genutzt
wird, der die Bauleistung erbracht hat, ist die Moderni-
sierung des Gesetzes über die Sicherung der Baufor-
derungen vom 1. Juni 1909 notwendig.
Ich meine, dann könnte man böswilligem oder betrüge-
rischem Handeln begegnen, weil man nämlich im von
uns vorgeschlagenen Baubuch nachlesen könnte, was
mit dem Baugeld passiert. Sie haben zwar zugesagt, dass
auf diesem Gebiet etwas getan werden soll. Ich vermute

aber, dass das Ihre Strategie ist, um dieses Thema auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wir heißen doch nicht CDU/CSU)


Sagen Sie nicht, dass es in diesem Fall keine brauch-
bare Lösung gab. Ich verweise an dieser Stelle noch
einmal ausdrücklich auf unseren Gesetzentwurf.


(Susanne Kastner [SPD]: Nein, die CDU hat keine brauchbare Lösung!)


Wir haben einen Versuch unternommen, eine brauchba-
re Formulierung vorzulegen. Sie haben noch nicht ein-
mal ansatzweise versucht, sich mit diesem Gedanken zu
beschäftigen, ihn möglicherweise zu ergänzen und zu
verbessern; vielmehr haben Sie unseren Lösungsansatz
von vornherein ad acta gelegt. Ich denke, das Baubuch
wäre wirklich ein Beitrag gewesen, um Schwarzarbeit
ernsthaft zu bekämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Sie sind stolz auf Ihre Fertigstellungsbescheinigung.
Das klingt gut, weil es die Abnahme eines Bauwerkes
erleichtern und damit mutwilliger Abnahmeverweige-
rung entgegenwirken soll. Allerdings wird die Fertigstel-
lungsbescheinigung nur erteilt – das muss ich sagen –,
wenn es überhaupt keinen Mangel gibt. Damit wird es
auch eine Fertigstellungsbescheinigung nicht geben;
denn einen mangelfreien Bau – das zeigt uns die Pra-
xis – gibt es leider nicht.

Die Experten haben Sie bereits in der Anhörung im
September auf die Probleme der Fertigstellungsbeschei-
nigung hingewiesen. Sie haben das zwar überarbeitet;
aber Sie waren nicht bereit, im Rahmen des Berichter-
stattergesprächs die Sachverständigen einzuladen, um
sich hinsichtlich der neuen Formulierungen noch einmal
beraten zu lassen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Weil ihr verzögern wolltet!)


Wir haben das dann ohne Sie durchgeführt. Wir wollten
keine neue Anhörung. Es wäre nicht fair gewesen, sich
mit diesem Thema in dieser Form zu befassen.

Ein Problem bleibt – das haben uns die Sachverstän-
digen bestätigt, mit denen wir gesprochen haben –: Sie
schaffen ein Instrument, das die Abnahme nicht erleich-
tert; vielmehr fügen Sie eine Instanz ein, die für den
Bauhandwerker zusätzliche Kosten verursacht.

Ein zentrales Problem der Handwerker ist jedoch,
dass bei einem totalen Forderungsausfall, also zum
Beispiel beim Konkurs eines Generalübernehmers, der
Handwerker alles verliert. Er sieht seine eingebauten
Materialien, den Heizungsofen und das gedeckte Dach.
Allein durch den Einbau ins Gebäude verliert er seinen
Anspruch auf Eigentum und kann es deshalb nicht wie-
der wegnehmen. Ihre Regelungen zu § 648 a BGB – ich
zitiere aus einem Brief der Landesinnung des sächsi-
schen Dachdeckerhandwerks – bringen „eine wesentli-
che Verschlechterung“ der bisherigen Situation.

Dr. Michael Luther






(A)



(B)



(C)



(D)


Das zentrale Anliegen der Bauhandwerker, einen ad-
äquaten Ersatz für einen Eigentumsvorbehalt zu schaf-
fen, bleibt ungelöst. Die Handwerker berührt diese Frage
bis ins Mark. Über 180 Handwerker haben sich im Sep-
tember nach Berlin aufgemacht, um in der Anhörung
durch ihre Anwesenheit deutlich zu machen, dass die
Angelegenheit sie wirklich zutiefst berührt. Sie haben
uns gebeten, ihnen in diesem Punkt zu helfen. Ich kann
Ihnen sagen: Wir helfen den Handwerkern in ihrem An-
liegen, das sie vorgetragen haben, nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Ich weiß ja nicht, was Sie für Briefe kriegen, Herr Luther! Ich habe in meinem Büro schon die fünfte Wand voll mit Dankesschreiben!)


Die Union erwartet, dass Sie die angekündigten Ar-
beiten zum eigenständigen Bauvertrag, so wie es auf der
Justizministerkonferenz am 10. Novem-ber 1999 be-
schlossen wurde, zügig in Angriff nehmen, damit we-
nigstens in absehbarer Zeit eine Verbesserung für die
Not leidenden Handwerker zustande kommt. Die Bun-
desregierung stützt das Bauhandwerk weder durch das
Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen noch
durch andere Maßnahmen, die sie zu verantworten hat.
Durch Rücknahme von öffentlichen Investitionen gerade
in den neuen Bundesländern gehen weitere Aufträge
verloren.

Eines ist klar: Zur Beschleunigung fälliger Zahlungen
wird dieses Gesetz nicht wesentlich beitragen. Von den
vollmundigen Ankündigungen der Regierungsfraktionen
aus dem letzten Jahr ist nicht viel geblieben. Die Vor-
schläge zeigen, dass die Probleme des Handwerks von
der SPD nicht verstanden worden sind.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Selber nichts zustande bringen in 16 Jahren und jetzt mosern!)


Mit diesem Gesetz wird Tausenden von Handwerksbe-
trieben, die auf die Unterstützung des Gesetzgebers bei
ihren Problemen gehofft haben, nicht geholfen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Ihre Rede sei „Ja, ja“ oder „Nein, nein“! Das ist das Beste! – Ludwig Stiegler [SPD]: Diese Non-Valurs von der CDU!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409013100
Als letzter Redner
in dieser Debatte spricht nun für die SPD-Fraktion der
Kollege Dirk Manzewski.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1409013200
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen
Tag sprechen wir im Deutschen Bundestag abschließend
über das Thema Zahlungsmoral. Meine beiden Vorred-
ner, vor allen Dingen der liebe Kollege Herr Dr. Luther,
hat nun den Gesetzentwurf der Regierungskoalition kri-
tisiert, aber – das ist bezeichnend – zum eigenen Gesetz-
entwurf inhaltlich überhaupt nichts gesagt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Weil das bekannt ist!)


Das hat natürlich seinen guten Grund.
Ebenso wurden einige wesentliche Aspekte etwas

vernachlässigt, die von entscheidender Bedeutung sind.
So zum Beispiel, dass auf Initiative der Justizministerin-
nen und Justizminister des Bundes und der Länder eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zah-
lungsmoral“ gebildet worden ist, die nach mehreren Sit-
zungen, einer Verbandsanhörung und einer Sachver-
ständigenanhörung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass
der Entwurf der Regierungskoalition bei weitem der
durchdachtere und effektivere ist. Herr Luther, das hät-
ten Sie heute hier einmal sagen sollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr.Ing. Paul Krüger [CDU/CSU]: Das ist nicht die Wahrheit!)


Die Idee eines reinen Bauvertragsgesetzes, wie es
die Union vorschlägt, ist zwar nicht grundsätzlich abge-
lehnt worden, die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist aber
zu der vorsichtig formulierten Auffassung gelangt – ich
zitiere –, dass es insoweit noch „einer näheren Untersu-
chung“, „einer näheren Prüfung“ und „einer vertiefende-
ren Erörterung“ bedarf. Das meine auch ich, Herr Lu-
ther.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man nun auch noch berücksichtigt, dass Vertreter
der Union in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe die Mehr-
heit gestellt haben, dann weiß man auch ganz genau, wie
man diese doch rücksichtsvollen Formulierungen richtig
zu interpretieren hat. Weniger diplomatisch hätte man
den Entwurf der Union auch als ganz großen juristischen
Mumpitz bezeichnen können.


(Beifall bei der SPD)

Anschauen, Kollege Luther, darf man sich Ihren Ge-

setzentwurf nämlich nicht genauer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie, wo Ihr Mumpitz hilft!)

– Hören Sie doch einmal zu. Wenn Sie ein bisschen Ah-
nung von der Materie haben, können Sie mich ja wider-
legen.

Den Handwerkern geht es grundsätzlich und vorran-
gig darum, ihre berechtigten Forderungen schneller be-
glichen zu bekommen. Nur hierdurch geraten sie nicht in
Liquiditätsengpässe und damit nicht in die Gefahr einer
Insolvenz. Der Entwurf der CDU/CSU hilft ihnen inso-
weit jedoch überhaupt nicht weiter. Kollege Luther, es
reicht nicht aus, wenn man, indem man einige
Vorschriften aus der VOB, einige Vorschriften aus dem
GSB und einige Vorschriften aus dem BGB nimmt,
meint, ein eigenständiges Bauvertragsrecht und damit
eine Hilfe für das Handwerk geschaffen zu haben. Das
einzige, was Sie geschaffen haben, ist ein Berg sinnloser
Vorschriften, mehr nicht.

Dr. Michael Luther






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Schlimmste daran ist aber, meine Damen und
Herren, dass dieser so geschaffene Vorschriftenberg
überhaupt nur bei einer ganz geringen Vertragskonstel-
lation gelten würde. Man muss sich ohnehin schon fra-
gen, wieso nur Bauhandwerker von so einem Gesetz
profitieren sollen. Das Problem der Zahlungsmoral be-
trifft mittlerweile viele Verträge. Was die Redner der
Union jedoch wohlweislich verschwiegen haben, ist,
dass sich ihr Gesetzesentwurf noch nicht einmal auf alle
Bauverträge, bzw. auf das, was man damit bezeichnet,
bezieht. So ist zum Beispiel der gesamte typische Ein-
familienhausbau hiervon nahezu ausgeschlossen. Wie
wichtig jedoch gerade dieser Bereich für das Handwerk
ist, zeigt die momentane Krise in der Bauwirtschaft.

Das ist aber noch nicht alles. Selbst bei den übrigen
Bauverträgen kommt der Gesetzentwurf der Union
kaum zur Anwendung. Nach dem Gesetzeswortlauf der
Union sollen nur Verträge für Werke an einem Bau ge-
schützt sein. Der Wortlaut ist eindeutig. Errichtet je-
mand zum Beispiel für eine Firma ein Gebäude, so wür-
de er sich sicherlich auf die von der Union angedachten
Vorschriften berufen können. Was ist jedoch mit all den
Verträgen, die er sodann selbst zur Realisierung seines
Bauvertrages abschließt? Was ist zum Beispiel mit den
Verträgen über Türen, Fenster, Fensterbänke usw. usw.,
die er in der Regel nicht selbst herstellt, sondern anferti-
gen lässt? Allenfalls, wenn diese von den herstellenden
Firmen auch selbst eingebaut werden, was meistens
nicht der Fall ist, würden hier die Regelungen des Ge-
setzentwurfes der CDU/CSU nach dessen Wortlaut
„Werk an einem Bau“ zur Anwendung kommen. An-
sonsten nicht.

Nun mag man mir erklären, warum für den einen
Fensterbauer das Bauvertragsgesetz gelten soll, für den
anderen aber nicht. Beide haben ein Fenster gebaut, es
liegen jeweils Werkverträge vor; der Unterschied be-
steht lediglich im Einbau. Das verstehe, wer will, Herr
Dr. Luther. Der Entwurf der Union hätte sogar die Kon-
sequenz, dass derjenige, der ein Fenster baut, aber nicht
selbst einbaut, leer ausgeht, während demjenigen, der
das Fenster nur einbaut, das Bauvertragsrecht der Union
zugute kommen würde. Das, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, kann doch nun wahrlich nicht sein.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist schwer verständlich!)


Was ist weiter mit den Verträgen zur Einrichtung der
Baustelle wie denen zur Bereitstellung des Baustroms?
Was ist mit den Verträgen zur Begleitung des Bauvor-
habens wie denen zur Errichtung eines Gerüstes?

Die Union hat den Handwerkern – insbesondere in
Sachsen und Sachsen-Anhalt – zumindest suggeriert,
dass sie alle von ihrem Gesetzentwurf profitieren wer-
den. Die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen,
sieht, wie dargelegt, leider ganz anders aus. Es existiert
im Gesetzentwurf der Union auch keine einzige sinnvol-
le Vorschrift, mit der Handwerker ihre Ansprüche
schneller gerichtlich geltend machen könnten. Finden

lässt sich hierin lediglich eine so genannte Vorabverfü-
gung, das heißt, der Richter soll im Laufe eines Verfah-
rens nach billigem Ermessen über Teile des Anspruchs
entscheiden können.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sind Sie bei der Anhörung gewesen?)


– Zu dieser Anhörung komme ich gleich.
Ich habe die letzten Monate genutzt, um über das

heute hier zu behandelnde Thema in meiner Heimat mit
Unternehmern und Juristen ausgiebig zu diskutieren.
Außerhalb des Bundestages haben sich von circa
40 Juristen lediglich zwei dafür ausgesprochen. Der eine
war der ehemalige Innenminister meines Bundeslandes
von der CDU, der andere der Sachverständige Dr. Raum
aus der schon angesprochenen Anhörung.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr gute Leute!)


Wie sich in der Anhörung herausstellte, Herr von
Stetten, ist dieser jedoch nicht unmaßgeblich an der Idee
der so genannten Vorabverfügung beteiligt gewesen.
Wobei es im Übrigen schon bezeichnend ist, Herr
Dr. Luther, wenn man denjenigen, auf dessen Gedanken
der eigene Gesetzentwurf offenbar zumindest mit be-
ruht, als unabhängigen Sachverständigen benennt, ohne
diesen Umstand darzulegen. Aber das spricht für Sie.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das war ein „Bimbes-Verständiger“!)


Wie soll ein Richter auch eine Entscheidung treffen,
wenn die Entscheidungsreife fehlt? Ohne Sachverstän-
dige ist ein Richter kaum in der Lage, Baumängel feh-
lerfrei einzuschätzen. So können unscheinbare Feuch-
tigkeitsschäden im Obergeschoss eines Hauses die ers-
ten Anzeichen für schwere Mängel des Daches sein, mit
der Folge, dass dieses gegebenenfalls völlig erneuert
werden muss. Kürzlich habe ich mir ein Einfamilienhaus
angesehen, in dem das Fußbodenparkett an mehreren
Stellen Wellen aufwies. Ansonsten war es optisch ein
tolles Haus. Der Mangel war Gegenstand eines Ge-
richtsverfahrens. Das Gericht hatte einen Sachverständi-
gen bestellt, der zu dem Ergebnis gekommen war, dass
das Fundament des Hauses nicht winterfest und das
Aufbrechen des Parketts ein erstes Anzeichen für das
Brechen des gesamten Fundamentes gewesen ist. Ergeb-
nis: Es lag eine Bauruine vor!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die sich in der Ma-
terie auskennen: Welcher Richter wird sich der Gefahr
einer solchen Fehlentscheidung aussetzen? Was sich die
Union hier ausgedacht hat, hat nichts mit Ermessen zu
tun, sondern geht eindeutig in Richtung Willkür.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, bei vernünftiger und fachli-
cher Betrachtung kann man deshalb nur zu dem Schluss
kommen: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Uni-
on, lieber Dr. Luther, § 651 m bis x, das ist nix!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Dirk Manzewski Luther [CDU/CSU]: Sie können das BGB neu nummerieren!)





(A)


(B)


(C)


(D)


Wenn wir tatsächlich etwas für die Betroffenen errei-
chen wollen, müssen wir an den richtigen Stellen anset-
zen – und das sind vor allem die der Fälligkeit und des
Verzugs. Genau dies tut der Gesetzentwurf der Regie-
rungskoalition. Da wir bereits inhaltlich ausführlich
hierüber diskutiert haben, will ich mich – nicht zuletzt in
Anbetracht der geringen Zeit, die mir noch zur Verfü-
gung steht – ich nur noch auf die wesentlichen Punkte
beschränken.

Die Verzögerung der Begleichung berechtigter For-
derungen muss wirtschaftlich unattraktiv gemacht wer-
den. Dem kommt unser Gesetzentwurf durch eine deut-
liche Anhebung des Verzugszinssatzes nach. Niemand
soll mehr statt des teuren Bankkredites lieber den billi-
geren Gläubigerkredit in Anspruch nehmen können. Der
gewählte Zinssatz von 5 Prozent über dem Basiszinssatz
ist dabei nicht, wie der von der Union vorgeschlagene,
aus der Luft gegriffen, sondern bereits durch das
Verbraucherkreditgesetz in der Praxis erprobt. Der ange-
strebte Zinssatz lässt daher erwarten, dass er sich dauer-
haft mit dem tatsächlich entstandenen Verzugsschaden
deckt.

Indem wir dem Handwerker grundsätzlich die Mög-
lichkeit eröffnen, bei vertragsgemäßer Leistung für in
sich abgeschlossene Teile eines Werks Abschlagszah-
lungen zu verlangen, geben wir ihm die Möglichkeit,
größere Liquiditätsengpässe zu vermeiden und auf diese
Weise keine großen Forderungsausfälle entstehen zu
lassen.

Die Rechtsstellung des Unternehmers werden wir
dadurch verbessern, dass wir im Gesetz deutlich ma-
chen, dass eine Abnahme nur bei wesentlichen Mängeln
verweigert werden darf. Der Auftraggeber soll also nicht
mehr bei jedem noch so unbedeutenden Mangel gleich
den gesamten Werklohn zurückbehalten können. Dies
entspricht im Wesentlichen bereits der heutigen Recht-
sprechung. Der Schutz des Auftraggebers bleibt dabei
gewahrt, da er die für die Beseitigung des unwesentli-
chen Mangels erforderlichen Kosten nebst einem
Druckzuschlag zurückbehalten kann.

Zudem wollen wir durch unser Gesetz klarstellen,
dass die unberechtigte Verweigerung der Abnahme einer
Abnahme gleichsteht. Dem kleinen Handwerker werden
wir gegenüber dem Bauträger bzw. Generalunternehmer
dadurch helfen, dass wir seine Forderung bereits dann
fällig werden lassen, wenn letzterer aufgrund der Her-
stellung des Werks hierfür das Entgelt oder Teile davon
kassiert hat. Der Bauträger bzw. Generalunternehmer
soll also nicht mehr, wie bisher in der Praxis häufig beo-
bachtet, vom Hauptauftraggeber den Werklohn kassie-
ren und die Zahlung gegenüber demjenigen, der das
Werk eigentlich hergestellt hat, mit dem Hinweis auf
vermeintliche Mängel verweigern dürfen.

Mit der so genannten Fertigstellungsbescheinigung
werden wir den Handwerkern bei verweigerter Abnah-
me wegen vermeintlicher Mängel die Möglichkeit einer
vorläufigen Titulierung ihres Vergütungsanspruchs
schaffen. Hierdurch wird der Anreiz, einen Bauprozess

durch mutwillige Mängeleinreden in die Länge zu zie-
hen, verloren gehen. Da die Parteien bereits vor einem
teuren Gerichtsverfahren das Prozessrisiko einschätzen
können, gehen wir zudem davon aus, dass wir dadurch
viele Prozesse vermeiden können.

Ein nicht zu unterschätzender Vorteil für das Hand-
werk wird zudem die Stärkung der Bauhandwerkersi-
cherheit bringen. Dieses Schwert des Unternehmers zur
Absicherung gegen den Konkurs des Auftraggebers war
bisher stumpf. Zwar durfte der Unternehmer den Vertrag
kündigen und Schadenersatz verlangen, wenn der Auf-
traggeber hierzu nicht bereit war. Die Darlegung des
Schadens war aber in der Praxis häufig schwierig.

Die pauschalierte Festsetzung einer Schadensvermu-
tung wird dem Handwerker dies abnehmen und den
Auftraggeber eher dazu animieren, dem Unternehmer
die ihm gesetzlich zustehende Sicherheit zu verschaffen.
In gleicher Weise wird im Übrigen der Handwerker ge-
schützt, dem der Auftraggeber im unmittelbaren Zu-
sammenhang mit einer Sicherheitsforderung zuvor-
kommen will, und den Vertrag selbst kündigt.

Meine Damen und Herren, wenn wir von Zahlungs-
moral reden, dann reden wir insbesondere darüber, dass
Rechnungen grundsätzlich immer später beglichen wer-
den. Das geht mittlerweile so weit, dass in der Bevölke-
rung vielfach der Eindruck entstanden ist, man müsse
erst nach einer zweiten Mahnung zahlen. Dieser Ein-
druck ist jedoch ebenso falsch wie fatal. Fällige Forde-
rungen sind grundsätzlich sofort zu begleichen. Die
Mahnung dient lediglich dazu, den Verzug herbeizu-
führen, um einen weiter gehenden Schaden geltend zu
machen. Dies wollen wir verdeutlichen, indem wir die
Mahnung bei Geldforderungen entbehrlich machen und
den Verzug automatisch 30 Tage nach Fälligkeit und
Zugang einer Rechnung eintreten lassen.

Dies entspricht im Wesentlichen im Übrigen dem
Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richt-
linie zur Bekämpfung des Zahlungsverzuges im Han-
delsverkehr und der Rechtslage der meisten europäi-
schen Staaten, die eine Mahnung – wie bei uns – über-
haupt nicht kennen.

Meine Damen und Herren, ich bin der festen Über-
zeugung, dass das Maßnahmebündel im Gesetzentwurf
der Regierungskoalition zu einer beschleunigten Zah-
lung fälliger Forderungen und damit zu einer erhebli-
chen Verbesserung der Situation unserer Unternehmer
führen wird. Gleichzeitig soll hiermit das letzte Wort
nicht gesprochen worden sein. Wir sehen durchaus die
besonderen Probleme in der Bauwirtschaft. Ob wir zu-
künftig zu einem reinen Bauvertragsrecht kommen, be-
darf jedoch einer intensiveren und viel eingehenderen
Untersuchung als bisher. Dies haben wir zugesagt; wir
werden uns darum kümmern.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Immerhin schon ein Fortschritt!)


Erlauben Sie mir abschließend noch einige kurze
Anmerkungen. Ich möchte der Justizministerin für die
hervorragende Mitarbeit und den Einsatz ihres Hauses
danken.

Dirk Manzewski






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum ersten Mal seit langem wird wieder aus dem Be-
reich der Justiz nicht nur von Mittelstandsförderung ge-
redet, sondern es wird dafür etwas getan.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
hatten dazu jahrelang Zeit; Sie haben aber nichts be-
wegt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Die haben gepennt! 16 Jahre lang! Schnarcher!)


Aber seit wir an der Regierung sind, kommen Ihnen nur
so die Gedanken – immerhin ein Vorteil.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Was in der Opposition für Kräfte erwachsen!)


Kollege Luther, wenn Sie hier der Regierungskoaliti-
on Verzögerungstaktik vorwerfen, dann muss ich unser
erstes Berichterstattergespräch im Dezember erwähnen.
Seinerzeit bin ich davon ausgegangen, dass der Bericht
der Bund-Länder-Arbeitskommission die Grundlage un-
seres Gespräches sein kann. Ich erinnere mich noch gut
daran, wie Sie damals unvorbereitet aufgetaucht sind
und so getan haben, als wüssten Sie von nichts. Wir wa-
ren im Übrigen dazu bereit, eine Woche später das
nächste Berichterstattergespräch zu führen. Zu diesem
Zeitpunkt hatten Sie aber keine Zeit, weil die Weih-
nachtsferien kurz bevorstanden.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Unfair!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409013300
Herr Kollege Man-
zewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Luther?


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1409013400
Nein, nicht von Herrn Lu-
ther. Ich will zum Schluss meiner Rede kommen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409013500
Herr Kollege Man-
zewski, dann muss ich Sie darauf aufmerksam machen,
dass Sie Ihre Redezeit schon längst überschritten haben.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Noch ein paar Sätze und dann müssen Sie zum Schluss
kommen.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1409013600
Das ist in Ordnung. Ich be-
ende meine Rede mit einer letzen Bemerkung.

Herr Kollege Luther, selbstverständlich werden wir
darauf achten – das sichere ich Ihnen zu –, inwieweit
unser Gesetz tatsächlich den von uns erhofften und mei-
ner Auffassung nach eintretenden Erfolg bringen wird.
Sollte er wider Erwarten, so wie Sie es suggerieren,
nicht eintreten, werden wir unser ohnehin schon gutes
Gesetz sicherlich weiter verbessern.

Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409013700
Zu einer Kurz-
intervention gebe ich das Wort dem Kollegen Dr.
Michael Luther.


(Zuruf von der SPD: Das nutzt auch nichts! – Susanne Kastner [SPD]: Das ist ja schrecklich! Was das wieder verzögert!)



Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1409013800
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kollegen! Ich will mich nicht zu dem
äußern, was Herr Manzewski gesagt hat.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das müssen Sie aber!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409013900
Herr Kollege
Luther, die Kurzintervention ist dazu gedacht, dass man
konkret auf den Vorredner eingehen kann.


Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1409014000
Ich will konkret
auf eine Bemerkung von ihm eingehen. Er hat wiederum
die Mär erzählt, wir hätten 16 Jahre nichts getan. Ich
will ihn fragen, ob er mir Recht gibt, dass das Problem
aufgrund der Konjunktur am Bau insbesondere in den
neuen Bundesländern erst nach 1996 aufgetreten ist.


(Zuruf von der SPD: Schon viel eher!)

Ich meine, deswegen konnte man vorher gar nichts tun.
Wir haben dieses Problem in den Jahren 1996/97 er-
kannt und es seinerzeit bereits im Deutschen Bundestag
behandelt. Es gab einen Antrag im Deutschen Bundes-
tag, der im Jahre 1998 von der damaligen Regierungs-
koalition verabschiedet worden ist. Wir haben unsere ei-
genen Vorgaben ernst genommen, haben uns mit dem
Problem beschäftigt, über die Wahlpause einen Gesetz-
entwurf erarbeitet – dies geschah gemeinsam mit dem
Freistaat Sachsen; das ist richtig – und diesen dann vor-
gelegt.

Sie können uns also nicht vorwerfen, dass wir nichts
gemacht haben. Wir haben uns dieses Problems beizei-
ten angenommen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Wo ist der Text im Gesetzblatt?)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409014100
Zur Erwiderung er-
hält der Kollege Manzewski das Wort.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1409014200
Herr Kollege Luther, das
Problem der Zahlungsmoral ist alt. Es ist nicht erst 1996
aufgetaucht, sondern existiert schon ungefähr seit 20
Jahren. Aber selbst wenn wir vom Jahr 1996 reden, wäre
ja Zeit genug gewesen, einen konkreten Gesetzentwurf
vorzulegen.


(Beifall bei der SPD)


Dirk Manzewski






(A)



(B)



(C)



(D)


Wenn Sie sagen, Sie hätten die ganze Sache ange-
schoben: Heute ist die Justizministerin von Sachsen-
Anhalt zugegen. Sie könnte Ihnen einiges dazu sagen,
wer die Sache angeschoben hat. Sie waren es nicht, Herr
Luther.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben noch in Kiel geangelt, da haben wir schon daran gearbeitet!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409014300
Ich schließe die
Aussprache.

Wir kommen zunächst zu den Abstimmungen zu Ta-
gesordnungspunkt 5 a.

Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Beschleunigung fälliger Zahlungen auf den
Drucksachen 14/1246 und 14/2752, Buchstabe a.

Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31
der Geschäftsordnung des Bundestages vor, unterzeich-
net vom Kollegen Dr. Michael Luther und zwölf weite-
ren Kollegen*). Die Erklärung wird zu Protokoll ge-
nommen.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen?


(Susanne Kastner [SPD]: Jetzt enthalten die sich auch noch, wo doch Herr Luther so dagegen war!)


Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P.
bei Enthaltungen der CDU/CSU-Fraktion und der PDS
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt bleiben sie auch noch sitzen! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Du bist in der Schule sitzen geblieben!)


Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu dem soeben
angenommenen Gesetzentwurf auf Drucksache 14/2772.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der CDU/CSU abgelehnt.

Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem
Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Verbes-
__________
*) Anlage 2

serung der Durchsetzung von Forderungen der Bau-
handwerker auf Drucksache 14/2752, Buchstabe b. Der
Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksa-
che 14/673 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Ent-
haltung der Fraktion der PDS mit den Stimmen des Hau-
ses im Übrigen angenommen.

Tagesordnungspunkt 5b: Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der
F.D.P. mit dem Titel „Zahlungsverzug bekämpfen –
Verfahren beschleunigen – Mittelstand stärken“, Druck-
sache 14/2752, Buchstabe c.

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/567 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 5c: Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS
mit dem Titel „Zahlungsforderungen schneller durchset-
zen – Zahlungsunmoral bekämpfen“ Drucksache
14/2752, Buchstabe d.

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/799 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der Fraktion der PDS mit den Stimmen des Hauses im
Übrigen angenommen.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 6 a und
6 b sowie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
6. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten

Ulrich Heinrich, Marita Sehn, Michael Gold-
mann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.
Agrodiesel tanken – Gasölbetriebsbeihilfe
abschaffen

– Drucksache 14/2384 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forstn

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit

b) Beratung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU

Heizöl als Kraftstoff für die deutsche
Land- und Forstwirtschaft

– Drucksache 14/2690 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias Weisheit, Annette Faße, Iris Follak,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,

Dirk Manzewski






(A)



(B)



(C)



(D)


Steffi Lemke, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Wettbewerbsposition für die deutsche
Landwirtschaft verbessern und nachhalti-
ge Entwicklung der Landwirtschaft und
der ländlichen Räume sichern

– Drucksache 14/2766 –
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten

Kersten Naumann und der Fraktion der PDS
Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM

Gasölbeihilfe zurücknehmen
– Drucksache 14/2795 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö-
re keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Matthias Weisheit für die Fraktion der SPD das Wort


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1409014400
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute
über mehrere Anträge, die eines gemeinsam haben: Die
Steuerbelastung für den Treibstoff landwirtschaftlicher
Maschinen, die in den EU-Mitgliedstaaten sehr unter-
schiedlich gehandhabt wird und zu starken Wettbe-
werbsverzerrungen führt, soll harmonisiert werden.
Ausdrücklich genannt wird dieses Ziel allerdings nur im
Antrag der Koalition. Die Opposition setzt den Weg
fort, den sie in 16 Jahren Regierungsverantwortung ge-
gangen ist, nämlich mit nationalen Steuermitteln das
auszugleichen, was man auf europäischer Ebene zu re-
geln versäumt hat.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Für die Bauern ein guter Weg!)


Den Kommissionsentwurf für eine europäische
Harmonisierung gibt es länger als die rot-grüne Regie-
rung. Er war aber nie ein Schwerpunkt europäischer
Bemühungen der alten Regierung.

Annähernde Wettbewerbsgleichheit ist aber nur auf
europäischer Ebene zu erreichen. Das gilt nicht nur für
die Treibstoffbesteuerung, sondern auch für die Mehr-
wertsteuersätze oder die von uns Agrarpolitiker in den
letzten Monaten immer wieder beschäftigenden Proble-
me im Pflanzenschutz. Auch hier haben wir von der al-
ten Regierung ein Erbe übernommen, das in der Frage
der fairen Wettbewerbschancen im Bereich der land-
wirtschaftlichen Sonderkulturen möglicherweise noch
gravierendere Probleme aufwirft als die Treibstoff-
besteuerung.


(Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Keine Zwischenfrage. Nein.
Wie gesagt, die CDU/CSU macht es sich sehr ein-

fach. Sie fordert „Heizöl in den Tank der Traktoren“ und

kann sich sicher sein, auf Bauernversammlungen mit
dieser Forderung viel Beifall einzuheimsen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist ja geradezu lächerlich!)


Es fragt sich, warum Sie diese anscheinend so einfache
Lösung nicht schon vor drei, vier oder fünf Jahren in
Antragsform gegossen und umgesetzt haben.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das können wir gleich beantworten!)


Denn schon damals gab es ordentliche Steuerunterschie-
de innerhalb der EU. Ich gehe sicher nicht fehl in der
Annahme, dass Ihre Umweltpolitiker – aus gutem Grund
übrigens – und Ihr Finanzminister Derartiges verhindert
haben.

Es macht auch überhaupt keinen Sinn, mineralischen
Treibstoff in der Landwirtschaft so billig zu machen,
dass Treibstoff aus nachwachsenden Rohstoffen, die die
Landwirtschaft produziert und die angesichts der Über-
schüsse und des dadurch bedingten Preisverfalls im Be-
reich der Nahrungsmittelproduktion zu einem immer
wichtigeren Standbein der Landwirtschaft werden, aus
betriebswirtschaftlichen Gründen keinerlei Chance hat,
auch in der Landwirtschaft eingesetzt zu werden. Unser
Ziel muss es sein, Treibstoff, den die Landwirte herstel-
len, in erster Linie in der Landwirtschaft zu verwenden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Da gilt es noch technische Probleme zu lösen – dafür
haben wir im Haushalt Geld eingesetzt –, aber auch
Denkbarrieren einzureißen.

Meine Damen und Herren, der F.D.P.-Antrag, der
auch zur Diskussion steht, fordert zwar ebenfalls Heizöl
statt Diesel, was wir aber aus den genannten Gründen,
aber auch aus finanziellen Gründen nicht verantworten
könnten. Die Einsparaktionen der Koalitionsregierung
waren doch umungänglich, weil uns die alte Regierung
einen Schuldenberg hinterlassen hat, bei dem jede vierte
Steuermark zur Zinsleistung benötigt wurde. Aus dieser
Verantwortung können Sie sich nicht stehlen, auch wenn
Sie dies gern tun würden.


(Beifall bei der SPD – Karsten Schönfeld [SPD]: Die haben nur sich selbst saniert!)


Auch hier gilt, was ich anfangs gesagt habe: Sie kön-
nen nicht in Europa Kriterien für den Euro beschließen,
die zu absoluter Haushaltsdisziplin zwingen, und im
Nachhinein so tun, als wären Sie bei der ganzen Veran-
staltung nicht dabei gewesen und könnten die unge-
hemmte Ausgabenpolitik so weitertreiben wie bisher.

Die F.D.P.-Forderung nach Heizöl statt Diesel ist wie
die der Union ordentlicher Wahlkampf, aber völlig unse-
riös. Mit dem Hinweis – leider nur in der Begründung –,
die aufgrund der Abschaffung der Gasölbetriebsbeihil-
fe frei werdenden Mittel im Agrarhaushalt für die Ge-
meinschaftsaufgabe einzusetzen, gibt es durchaus eine
Gemeinsamkeit.

Mit unserem Antrag, der die Einführung eines festen
Steuersatzes für Argradiesel beinhaltet, schaffen wir die

Vizepräsident Rudolf Seiters






(A)



(B)



(C)



(D)


Voraussetzung, die Gemeinschaftsaufgabe in dieser Le-
gislaturperiode so zu bedienen, dass die Länder, die ko-
finanzieren müssen, keinerlei Grund zur Klage haben
werden.


(Beifall bei der SPD)

Vielmehr werden einige Länder Probleme haben, ihre
Möglichkeiten voll auszuschöpfen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Welche Länder werden denn Schwierigkeiten habe?)


Wir werden– wegen der Notwendigkeit, im Jahre 2001
die Gasölverbilligung für das laufende Jahr bezahlen zu
müssen, erst im Jahr 2002 in der Agrarsozialpolitik
neue Akzente setzen können. Voraussetzung hierfür ist
aber, dass bei der überfälligen Reform bei den Trägern
des agrarsozialen Sicherungssystems Nägel mit Köpfen
gemacht werden.

Zuschüsse aus Mitteln der Steuerzahler sind in einer
Branche, die seit Jahrzehnten einem immensen Struk-
turwandel unterworfen ist, gerechtfertigt und notwendig.
Aber Solidarität innerhalb des Berufsstandes und eine
optimale Verwaltungsstruktur sind Voraussetzung für
diese staatlichen Leistungen.

Wir haben die Bäuerinnen und Bauern mit den Geset-
zen zur Einkommensteuerreform, zur Ökosteuer und zur
Haushaltskonsolidierung belastet.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Gewaltig!)

– Ich wiederhole: Wir haben sie belastet. – Deshalb ist
unser Ansatz richtig, bis zur Harmonisierung der
Treibstoffbesteuerung in Europa, die die Regierung
vorantreiben wird, die Wettbewerbsfähigkeit auch durch
einen stabilen Steuersatz für Agrardiesel zu sichern,
gleichzeitig aber den von den Landwirten produzierten
Biodiesel betriebswirtschaftlich nicht ins Abseits zu
stellen.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle noch ein Wort des
Dankes. – Leider muss ich zum Schluss kommen; die
Zeit rennt. – Ich möchte mich bei allen aus meiner Frak-
tion und der Fraktion der Grünen bedanken, die daran
mitgewirkt haben, dass wir zu der Entlastung um
700 Millionen DM gekommen sind.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: „Entlastung“ nennt er das!)


– Ja, natürlich! 700 Millionen DM mehr Geld als bisher
bedeuten eine Entlastung, darüber braucht man gar nicht
zu diskutieren!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Lächerlich! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Klaut den Leuten das Geld und spricht von „Entlastung“!)


Ich bedanke mich bei meinen Kollegen, die das mit-
getragen haben, insbesondere bei Landwirtschaftsminis-
ter Karl-Heinz Funke und bei Hans Eichel, der die Min-
dereinnahmen letztlich verkraften muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Verkauft die Bauern nur nicht für dumm!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409014500
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Albert Deß.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1409014600
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über die
Energiekostensituation in der Landwirtschaft ist deshalb
notwendig, weil die Landwirtschaft durch die von Rot-
Grün getragene Bundesregierung laufend mit neuen Be-
lastungen konfrontiert wird. Man kann, Herr Minister,
die rot-grüne Agrarpolitik auch als „Nullachtfünfzehn-
Politik“ bezeichnen: null Entlastung für unsere Bauern,
dann werden unseren Bauern acht Belastungen von 15
angekündigten zugemutet und der Minister lässt sich
feiern, dass das Ganze nicht gar so schlimm gekommen
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Das könnte fast CDUPraxis sein!)


Unter dem Strich bedeutet dies aber, dass unsere
Bauern im Wettbewerb schwere Nachteile gegenüber ih-
ren europäischen Kollegen hinnehmen müssen.


(Matthias Weisheit [SPD]: Immer!)

Ich bin auch der Meinung, dass diese rot-grüne Agrar-
politik die Existenz vieler bäuerlicher Betriebe in unse-
rem Land gefährden wird. Besonders ärgert mich, dass
im Sozialbereich so unsozial gehandelt wird.

Minister Funke fordert in Presseerklärungen, dass un-
sere Landwirtschaft wettbewerbsfähiger werden müsse.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Sehr richtig!)

Das ist in Anbetracht der Politik, die Sie, Herr Minister,
zu verantworten haben, ein reines Ablenkungsmanöver.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Nein!)

Wie soll denn die deutsche Landwirtschaft wettbewerbs-
fähiger werden, wenn diese Bundesregierung ihr laufend
neue nationale Belastungen aufbürdet?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer pausenlos von der Wettbewerbsstärkung der

deutschen Landwirtschaft spricht, muss auch danach
handeln.


(Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Richtig!)

Die von der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P. ge-

forderte Möglichkeit, Heizöl als Kraftstoff für die deut-
sche Landwirtschaft zuzulassen, ist ein entscheidender
Schritt zur Stärkung der deutschen Landwirte im Wett-
bewerb. Eine solche Regelung hat auch den Vorteil, dass
keine eigene Vertriebslogistik notwendig ist. Bei der
jetzt vorgesehenen Regelung mit Agrardiesel wird mir
berichtet, dass nach Auffassung des Mineralölhandels
zusätzliche Kosten entstehen werden. Bei Heizöl als
Kraftstoff in der Landwirtschaft ist auch die Kontrolle

Matthias Weisheit






(A)



(B)



(C)



(D)


denkbar einfach. Es ist kein bürokratischer Aufwand
notwendig. Mit dieser Maßnahme würde die Wettbe-
werbsfähigkeit unserer Landwirte innerhalb der Europä-
ischen Union, auch im Hinblick auf die nächste WTO-
Runde, entscheidend gestärkt.

Es ist doch in diesem Hause weitgehend unbestritten,
dass unsere Landwirtschaft wichtige Funktionen für un-
ser Land erfüllt und Grundlage für Millionen von Ar-
beitsplätzen ist. Deshalb sollten wir hier einen breiten
Konsens für eine Entscheidung zugunsten der deutschen
Landwirte finden. An den finanziellen Zwängen darf
dies nicht scheitern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn wir wollen, dass unsere Landwirtschaft weiter

ihre vielfältigen Aufgaben erfüllt und dadurch Arbeits-
plätze gesichert werden, müssen wir gemeinsam dafür
sorgen, dass sie auf der Kostenseite entlastet wird. Eine
solche Entscheidung ist auch ein positives Signal für un-
sere jungen Landwirte und ein Zeichen, mit dem wir ih-
nen wieder Mut für die Zukunft machen können. Dies ist
ein Mosaikstein, dem jedoch viele andere hinzugefügt
werden müssen.

Während die deutsche Landwirtschaft seit der rot-
grünen Regierungsübernahme einseitig national belastet
wird, erhöhen andere Länder ihre Agrarförderungen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In Milliardenhöhe!)


Der australische Landwirtschaftsminister hat kürzlich
ein Hilfspaket für die australischen Milchfarmer in Höhe
von 2,18 Milliarden DM beschlossen. Es ist interessant,
wie dieses in Australien finanziert wird – ich habe es
bereits gestern den Kollegen dargestellt –: In Australien
wird auf den Verbraucherpreis für Milch eine Abgabe
von 14 Pfennig pro Liter erhoben, damit dieses Paket fi-
nanziert werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Warum diskutieren wir nicht gemeinsam über ähnliche
Wege, damit unsere Landwirtschaft auch in Zukunft ihre
Aufgaben erfüllen kann? Wir von der Opposition sind
bereit, mit der Regierung darüber zu diskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

An diesem australischen Vorgehen ist interessant,

dass die Farmer anscheinend auch in dem Land, in dem
eine Liberalisierung am heftigsten gefordert wird, nicht
in der Lage sind, zu Weltmarktagrarpreisen Milch zu
produzieren. Sonst wäre dieses Hilfspaket in Höhe von
2,18 Milliarden DM nicht notwendig. Bezogen auf die
Förderung pro Farmer übersteigt das bei weitem das,
was in Europa für die Milchbauern ausgegeben wird.

Eine in die Zukunft gerichtete nationale Agrarpolitik,
die unseren Bauern Chancen für die Zukunft gibt, muss
die deutsche Landwirtschaft auf der Kostenseite entlas-
ten und nicht belasten, wie dies durch die Bundesregie-
rung laufend erfolgt. Die einseitige Ökosteuerbelas-
tung der Landwirtschaft ist eine Ungerechtigkeit, die so
nicht hingenommen werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung
auf, ihren Reden Taten folgen zu lassen und die deut-
schen Bauern spürbar zu entlasten.

Die von Rot-Grün angekündigte Entlastung ist nur
der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Die
Einführung des Agrardiesels mit einem festen Steuer-
satz von 57 Pfennig pro Liter ab 2001 und die Verwen-
dung der im Rahmen der Gasölrückerstattung frei wer-
denden Mittel für die Agrarsozialpolitik bzw. für die in
diesem Zusammenhang bestehende Gemeinschaftsauf-
gabe und im Rahmen der Förderung nachwachsender
Rohstoffe bewirken eine Entlastung, die sich im Ver-
gleich zur gigantischen Belastung der deutschen Land-
wirtschaft sehr bescheiden ausnimmt. Die Wettbewerbs-
verzerrungen durch die unterschiedlichen Dieselsteuer-
sätze innerhalb der Europäischen Union werden nicht
beseitigt. Ein Liter deutscher „Agrardiesel“ wird immer
noch rund doppelt so viel kosten wie zum Beispiel für
die französischen und dänischen Bauern ein Liter Treib-
stoff.

Deshalb fordert die CDU/CSU-Fraktion, unseren
Bauern den Einsatz von Heizöl als Kraftstoff zu gestat-
ten. Dann wird der Liter Treibstoff nur mit einer Steuer
in Höhe von 12 Pfennig belastet. Man könnte dann zu-
mindest bei den Kraftstoffkosten von fairen Wettbe-
werbsbedingungen in Europa sprechen. Wie ich erfahren
habe, werden die Österreicher einen ähnlichen Weg be-
schreiten. Sie werden den Dieseltreibstoff mit einer
Steuer in Höhe von 13 Pfennig pro Liter belasten. Wa-
rum gehen wir in Deutschland nicht einen ähnlichen
Weg?

Ich glaube, gerade im Energiebereich ist es wichtig,
dass die Produktionskosten niedriger werden, weil nur
dann die Produktion in unserem Lande bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Minister, ich hatte vor kurzem eine Diskussion

mit einem Kollegen der Grünen in Bayern. Er hat sich
darüber aufgeregt, dass bei uns die Verbraucher Blumen
kaufen, die aus Kolumbien bzw. aus Südafrika eingeflo-
gen werden. Wenn jetzt in Deutschland die Landwirte
und die Gärtner im Energiebereich mehr belastet wer-
den, dann werden in Zukunft noch mehr Flugzeuge
Blumen aus dem Ausland nach Deutschland bringen und
die Produktion wird sich von Deutschland weg verla-
gern. Das Ganze wäre dann auch ein ökologischer Un-
sinn.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb müssen wir gemeinsam darum ringen, einen

Weg zu finden, der deutschen Landwirtschaft Rahmen-
bedingungen zu geben, sodass sie wieder Mut für die
Zukunft schöpfen kann und sich unsere jungen Bauern
wieder trauen, den Beruf des Bauern langfristig auszu-
üben, und sie auch in Zukunft die Chance haben, Bauern
bleiben zu können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Albert Deß






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Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409014700
Ich gebe das Wort
der Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409014800
Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her-
ren! Fangen wir an beim Thema Wettbewerb! Ich denke,
nicht nur hier setzen wir uns ständig darüber auseinan-
der; erinnern wir uns an die Diskussion gestern mit den
Amerikanern. Sie sagen immer, die Wettbewerbsfähig-
keit der deutschen Landwirtschaft werde geschmälert
durch die viel bessere Situation in anderen europäischen
Ländern.

Ich will nur einmal daran erinnern – und dies nicht
zum ersten Mal –, dass es auch in sechs anderen europä-
ischen Ländern Ökosteuern gibt. Es gibt Steuern auf
Pestizide; es gibt Steuern auf Stickstoff. Von argrarsozi-
aler Sicherung haben viele europäische Mitgliedsländer
überhaupt noch nie etwas gehört.

Wenn Sie vergleichen, dann vergleichen Sie aber
richtig, und zwar mit allen Elementen, die es gibt. Da
sieht Deutschland überhaupt nicht so schlecht aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: Die können nur Äpfel mit Birnen vergleichen!)


Frankreich nimmt die Modulation wahr, Großbritannien
tut das und ist in der Diskussion. Wenn wir einen euro-
päischen Vergleich anstellen wollen, sollten wir uns
einmal in einer richtig ernsten Diskussionsrunde anse-
hen, wo denn die Wettbewerbsvor- und -nachteile
Deutschlands liegen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ist denn die Diskussion heute nicht ernst? Wir nehmen das ernst!)


Nächster Punkt: politische Rahmenbedingungen, die
auch den Wettbewerb bestimmen. Da zeichnet sich doch
seit vielen Jahren mehr und mehr ab, dass es gerade im
Rahmen der WTO-Verhandlungen die Greenbox ist, die
in Zukunft Fördergrundsätze für Naturschutz, für Um-
weltschutz, für Arbeitsplätze, für gesellschaftliche Leis-
tungen


(Zurufe von der CDU/CSU: Tierschutz!)

– für den Tierschutz, genau! – bestimmen wird. Dafür
werden Förderungsleistungen gezahlt. Und was hat die
alte Bundesregierung gemacht? Sie hat die Möglichkei-
ten, in diesen Wettbewerb einzusteigen, regelrecht ver-
hindert und nichts davon eröffnet.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ist die Mineralölsteuer auch greenboxfähig?)


Das ist ein entscheidender Fehler. Wenn man von Wett-
bewerb redet, dann muss man diese Belange doch wahr-
haftig mit einbeziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ihr habt die Greenbox leer gemacht!)


Zum Bereich Garantie. Es gibt zurzeit in Europa eine
Diskussion, der auch ich nicht gerade mit Begeisterung
gegenüberstehe – Minister Funke ja auch nicht –, um die
Agenda 2000 und deren Bestand bis zum Jahre 2006.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das habt ihr doch gebilligt!)


– Wir haben das gebilligt, aber wir haben nicht gebilligt,
dass es jetzt schon wieder erodiert.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Euer Berliner Beschluss kommt gewaltig ins Wackeln!)


– Das hat gar nichts damit zu tun; das hat mit einer eu-
ropapolitischen Entwicklung zu tun, die andere Dinge
notwendig macht und der man sich ebenfalls stellen
muss. Das hat mit den Erdbeben in der Türkei zu tun,
die wir nicht bestellt haben – die Türken ganz offen-
sichtlich auch nicht –;


(Lachen bei CDU/CSU und F.D.P.)

das hat mit den Aufbaunotwendigkeiten im Kosovo zu
tun, die ich auch nicht sehr komisch finde.

Ich denke, alle diese Anforderungen an die europäi-
schen Haushalte führen dazu, dass im Bereich „Garan-
tie“ eine Entwicklung stattfinden wird, die eine – ich
drücke es einmal so aus – „produktbezogene Förderung“
immer unsicherer macht. Das heißt, es muss auch hier –
das haben Sie genauso wie wir immer betont – eine zu-
nehmende Unabhängigkeit der Landwirtschaft vom
Staat geben und man muss diese Möglichkeit wahrneh-
men, muss sie initiieren und muss die Zeichen der Zeit
sehen wollen. Das tun Sie gerade nicht, indem Sie letzt-
lich nichts anderes tun, als immer wieder die staatlichen
Maßnahmen einzuklagen, die genau diese Situation, die
man seit vielen Jahren voraussehen kann, letztendlich
doch nicht bewältigen helfen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Man kann doch nicht einen Berufszweig so belasten!)


Der dritte Punkt: Was hat denn die alte Bundesregie-
rung getan,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Nichts, nichts!)

wenn sich die Bauern doch so „wohl fühlen“ konnten –
was man an den durchaus nicht gerade optimalen
Einkommenserlösen ablesen konnte? Sinkende Be-
triebszahlen, sinkende Einkommen waren doch das Er-
gebnis. Eine unglaubliche gesellschaftliche Isolation, die
es gerade schwer macht, jetzt Einkommen am Markt zu
erlösen, ist das Ergebnis.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und da setzen Sie noch einen drauf!)


Oder nehmen wir einmal die Milchquoten! Die alte
Bundesregierung hat nichts dazu getan, diese enorme
Kostenbelastung im Milchsektor wirklich anzugehen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Aber die sind gut in Propaganda! Da sind sie Spitze!)


Jetzt gibt es endlich eine Reform. Jetzt gibt es einen
Kompromiss – gut, den hätte man sich anders denken
können. Jammern Sie jetzt nicht über die Mehrwertsteu-






(A)



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(D)


ern, die daraus entstehen können. Sie waren es, die für
eine Börse waren. Sie müssen sich jetzt etwas anderes
überlegen.

Zur Sozialversicherung. Sie beklagen sich über die
hohen Kosten der Sozialversicherung. Stimmt, ja, die
sehen wir auch. Aber wer hat denn diese überfällige Re-
form letztlich versäumt


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und wer hat es denn versäumt, eine Zukunftsfähigkeit
dieser Systeme herzustellen und damit auch eine Entlas-
tung der Betriebe zu erreichen? Wir sind es, die diese
Aufgaben jetzt angehen. Wir alle sagen ja nicht, dass das
leichte Aufgaben sind.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das müssen ja dann reiche Bauern sein, wenn die so entlastet werden!)


Agrodiesel. Auch dieser Bereich ist nicht angegan-
gen worden.
Sie sagen jetzt, das sei nicht notwendig gewesen, weil
die Beihilfen niemals in der Diskussion gewesen seien.
Stimmt nicht! Wir wissen sehr genau, dass wir in jedem
Haushalt darum gerungen haben. Letztendlich ist das ein
guter Weg.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ausgerechnet die Grünen! Da habt ihr so gerungen wie um die Vorsteuerpauschale!)


– Das darf ich nicht so laut sagen.

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Da muss sie selber lachen!)

Außerdem ist der Agrarhaushalt in Ihrer Regierungszeit
um 17 Prozent gekürzt worden.

Auf jeden Fall haben wir letztendlich eine Lösung er-
reicht, nämlich ein Kombinationsmodell: Wir haben
neue Wege gesucht, um eine Entlastung herbeizuführen
und um die Ziele der Unternehmensteuerreform auch in
der Landwirtschaft umzusetzen. Wir hoffen, dass Sie
uns dabei unterstützen.

Erstens: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Si-
cherung der Arbeitsplätze. Natürlich wollten wir etwas
im Bereich der Belastungen auf dem Treibstoffsektor
tun – und haben es auch geschafft. Die jetzt gefundene
Regelung trägt zur Stabilisierung und zur Entbürokrati-
sierung bei. Der Steuersatz von 57 Pfennig ist ein Mit-
telsatz; er liegt zwischen den Steuersätzen für Treibstoff
für Industriemaschinen und für die Maschinen, die für
den Transport gedacht sind. Heizöl einzubeziehen ist ei-
ne absurde Forderung. Zum einen ist es umweltrechtlich
gar nicht möglich, zum anderen werden Sie ja der
Landwirtschaft wohl einen gewissen Anteil an der Stra-
ßenbenutzung nicht absprechen wollen.

Zweitens. Mit dem Kombinationsmodell sind auch
deutliche ökologische Signale verbunden, nämlich eine
Unterstützung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe
für umwelt- und besonders für naturschutzpolitische
Ziele.

Drittens: eine soziale Komponente. Wir haben die
Möglichkeit, im Bereich der Zukunftssicherung der So-
zialversicherung über Beitragsentlastungen im Rahmen
einer effizienten Reform der Sozialversicherungsträger
unterstützend zu helfen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: 2002!)

Ich denke, wir werden da auf den richtigen Weg kom-
men. So kurzfristig, wie wir das gerne möchten, geht das
leider nicht. Auf jeden Fall wollen wir in absehbarer
Zeit zu einer Lösung kommen, die gerade die kleinen
und mittleren Betriebe im süddeutschen Raum entlastet.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das sind doch Wolkenkuckucksheime, von denen Sie da erzählen!)


Mit der Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes,
mit dem Programm zur Markteinführung der erneuerba-
ren Energien, mit der Förderung der biogenen Treibstof-
fe machen wir die Betriebe zukunftsfähig. Diese Maß-
nahmen haben ein Volumen von über 100 Millionen DM;
hinzu kommen übrigens noch Einsparungen durch
die Verbilligung des Stromes in Höhe von etwa
300 Millionen DM.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Gegen euren Widerstand! Liberalisierung des Strommarktes von SPD und Grünen! Das ist eine Lachnummer!)


Dadurch eröffnen wir die Möglichkeit, sich von Kosten
zu entlasten und Einkommen zu erzielen.

Ich denke, insgesamt ist das ein Weg, der dem Ziel,
die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft zu sichern,
wahrscheinlich sehr viel näher kommt als all das, was
Sie gemacht haben.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1409014900
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht nun der Kollege Ulrich Heinrich.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1409015000
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon beachtlich,
was man heute zu hören bekommt.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Ja, das stimmt!)

Nach langem, zähem Ringen hat sich die F.D.P. letzt-
endlich durchgesetzt: Unnötige Bürokratie, die im Jahr
etwa 100 Millionen DM kostet, wird abgebaut.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Gasölbetriebsbeihilfe soll nach Aussage des Herrn
Ministers abgeschafft; stattdessen soll ein dritter Mine-
ralölsteuersatz eingeführt werden. So weit, so gut –
nach meiner Meinung sogar sehr gut. Das war ein aus-
gezeichneter und richtiger Schritt. Wir waren die Ersten,
die diesen Vorschlag im Ausschuss eingebracht haben.
Damals hat noch der gesamte Ausschuss müde gelächelt
und gesagt: Das kriegt ihr nie fertig. – Minister Funke

Ulrike Höfken






(A)



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hat das aufgegriffen und durchgesetzt. Ich bin ihm – ich
sage das so deutlich – dankbar dafür.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Bleser [CDU/CSU]: Aber danach ist Schluss!)


Was aber dann die Regierung in Aussicht gestellt hat
und was Herr Weisheit und Frau Höfken als Erfolg ver-
kaufen wollen, bedeutet genau das Gegenteil dessen,
was in Wirklichkeit getan wird. Herr Minister Funke,
die Belastungen für unsere Bauern nehmen auch im
Kraftstoffbereich zu und nicht ab. Ihre Stellung im
Wettbewerb wird nicht verbessert, sondern verschlech-
tert. Mit dem durchgängigen Steuersatz von 57 Pfennig
Mineralölsteuer pro Liter Diesel bedeutet dies, dass
noch nicht einmal die zusätzliche Belastung in Höhe von
900 Millionen DM, die in Form der Ökosteuer einge-
führt worden ist, kompensiert wird.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)

Die zusätzlichen Belastungen werden nicht kompensiert.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die mittlerweile von Ihnen, Herr Funke, eingestandene
überproportionale und ungerechte Belastung des
Agrarsektors durch die Ökosteuer muss deshalb
vollständig ausgeglichen werden. Man darf die
Mehrbelastung in Höhe von 200 Millionen DM nicht
einfach so stehen lassen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Gegenüber 1999 haben Sie, Herr Minister, die Gasöl-
beihilfe halbiert. Dann steigt der Beihilfesatz, hervorge-
rufen durch die Belastung aus der Ökosteuer, erst zum
Jahre 2003 schrittweise auf 700 Millionen DM. Aus-
gangsbasis 1999 waren 835 Millionen DM. Die Zahlen
belegen, dass durch Regierungshandeln die Wettbe-
werbsfähigkeit der deutschen Bauern nicht besser, son-
dern schlechter geworden ist. Das ist eindeutig und kann
niemand widerlegen.

Ich zitiere aus Ihrer Pressekonferenz zum Agrarbe-
richt:

Mir ist seit langem ein Dorn im Auge, dass die
Preise für Energie, und hier speziell für Dieselkraft-
stoff, immer weiter in Europa auseinander klaffen.

Im Ernährungsausschuss haben Sie für die deutsche
Land- und Forstwirtschaft im EU-Vergleich gravierende
Wettbewerbsnachteile aufgrund von Höchstpreisen bei
Kraftstoff eingeräumt. Sie haben es mit Ihrer Aussage
im Ernährungsausschuss auf den Punkt gebracht: Sie
sagten, im Jahre 2003 würden die Landwirte in Belgien
nur ein Viertel, in Großbritannien nur ein Drittel, in den
Niederlanden, in Dänemark und in Frankreich nur rund
die Hälfte des deutschen Dieselölpreises zahlen. Mit an-
deren Worten: Deutsche Landwirte zahlen gegenüber
belgischen Landwirten viermal so viel, gegenüber briti-
schen dreimal so viel, gegenüber französischen, nieder-
ländischen und dänischen Landwirten das Doppelte. So
sieht es in Wahrheit aus.

Um den Wettbewerb zu stärken und die Benachteili-
gung der deutschen Landwirtschaft abzubauen, dürften
nach meinem Dafürhalten allenfalls 8 bis 10 Pfennig pro
Liter als Mineralölsteuer erhoben werden. Ich rechne
Ihnen das auch vor. Damit gäbe es gegenüber den euro-
päischen Nachbarländern immer noch eine zusätzliche
Belastung von etwa 50 Pfennig pro Liter. Von dieser
Basis aus wären dann auch Bemühungen um eine euro-
päische Harmonisierung realistisch. Ihr Vorhaben,
Herr Minister Funke, die Kraftstoffpreise zuerst zu er-
höhen und dann nach Harmonisierung zu rufen, ist ein
allzu durchsichtiges Spiel.


(Beifall bei der F.D.P. – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aus roten Zahlen werden nie schwarze!)


Sie glauben doch nicht im Ernst, dass unsere Nachbar-
staaten ihre Preise für Kraftstoffe verdoppeln, um den
Deutschen auf ihrem Sonderweg zu folgen und diesen
zu bestätigen. Das kann doch wohl nicht wahr sein.

Die Belastungen für die Landwirtschaft beliefen sich
1999 ganz konkret auf 26,5 Pfennig pro Liter Diesel. Sie
wollen sich jetzt dafür feiern lassen, dass Sie die Belas-
tung für die Landwirtschaft auf 57 Pfennig pro Liter an-
heben. Gleichzeitig reden Sie aber von einer Orientie-
rung in Richtung einer Harmonisierung nach unten.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Mehr als 100 Prozent!)


Sie haben die Mineralölsteuer von 26,5 auf
57 Pfennig pro Liter erhöht. Das wird für die deutsche
Landwirtschaft immer schwerer verkraftbar. Zu diesen
Belastungen – hier hauen Sie noch eines drauf – kom-
men für die Landwirtschaft noch Belastungen durch das
Steuerentlastungsgesetz in Höhe von rund 1 Milliarde
DM und durch das Haushaltssanierungsgesetz in Höhe
von 519 Millionen DM. Die zusätzlichen Belastungen
durch die geplante Unternehmensteuerreform werden
mit etwa 300 Millionen DM beziffert. Rechnen Sie das
einmal zusammen. Wo stehen denn da Ihre Aussagen
und die Realität in Übereinstimmung? Es gibt eine er-
hebliche zusätzliche Belastung für die deutsche Land-
wirtschaft durch die Kraftstoffpreise.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In der Summe 5 Milliarden DM!)


Wenn Sie, Herr Minister, Ihren Ansprüchen tatsächlich
gerecht werden wollten, hätten Sie die Mineralölsteuer
nicht auf 57 Pfennig erhöhen, sondern auf 10 Pfennig
pro Liter senken müssen. Dann hätten Sie hier zu Recht
Beifall bekommen und man hätte gesagt, dies sei in
Ordnung. So gehen Sie genau in die falsche Richtung.


(Beifall bei der F.D.P.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wunde-

re mich schon, wie man hier von einer Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft
sprechen kann. Genau das Gegenteil wird erreicht.

Danke schön.

Ulrich Heinrich






(A)



(B)



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(D)



(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Da kann man nicht klatschen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409015100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409015200
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Bundesregierung hat nach zä-
hem Ringen aller Beteiligten den berechtigten Forde-
rungen der Bauern nachgegeben und sich zur Einfüh-
rung des Agrardiesels bekannt. Die Anträge von
CDU/CSU und F.D.P. haben sich nach meinem Ver-
ständnis damit erledigt.

Die von der Bundesregierung beabsichtigte Regelung
ist aus finanzieller Sicht ein ausgleichender Ersatz für
die bisherige Gasölbeihilfe.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie können wohl auch nicht rechnen!)


Die CDU/CSU und die F.D.P. verstehen sich aber als
Klientelparteien und wollen über eine noch günstigere
Agrardieselregelung Punkte bei den Familienunterneh-
men in Westdeutschland sammeln. Oder wie soll ich die
heutige Debatte über den Agrardiesel sonst auffassen?

Meine Damen und Herren, worin besteht das eigentli-
che Problem? Die Gasölbeihilfe wurde eingeführt, weil
die Bauern Diesel bei der Feldarbeit verbrauchen und
deshalb von einer Steuer befreit werden, die der Ver-
kehrspolitik dient. Es kommt ja auch niemand auf die
Idee, das Heizöl mit der Mineralölsteuer für Fahrzeug-
diesel zu belasten.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409015300
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hein-
rich?


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409015400
Nein, keine Zwischen-
fragen.

Die Einführung des Agrardiesels ist die sachlich be-
gründete Lösung, die der Regelung beim Heizöl ent-
spricht. Sie hat nichts mit den Belastungen der Land-
wirtschaft durch die Ökosteuer zu tun. Die PDS hat die
Agrardiesellösung schon in der Vergangenheit gefordert
und unterstützt dieses Vorhaben deshalb nachdrücklich.

In der bisherigen Diskussion wurde jedoch ein Pro
blem völlig ausgespart: Die Agrardiesellösung soll erst
ab 2001 eingeführt werden. Bis dahin gilt jedoch eine
modifizierte Gasölbeihilferegelung. Allen Betrieben
wird die Beihilfe nämlich nur bis zu einer Obergrenze
von 3 000 DM gewährt. Praktisch bedeutet das, dass die
Betriebe für ihre Betriebsfläche von über 100 Hektar
keine Beihilfe erhalten. Davon sind natürlich auch Ver-
edelungsbetriebe betroffen. Die Gasölbeihilfe für die
Agrarbetriebe verringert sich dadurch allein in Sachsen
um 33 Millionen DM. Diese Einschnitte sind für viele
Agrarbetriebe existenzgefährdend. Die PDS fordert des-
halb mit ihrem Entschließungsantrag nachdrücklich die

vollständige Beseitigung der 3 000-DM-Obergrenze
auch für das Verbrauchsjahr 2000.


(Beifall bei der PDS)

CDU/CSU und F.D.P. sind nun allerdings eifrig da-

bei, das Problem des Agrardiesels mit der Ökosteuer zu
vermischen. Tatsache ist, dass die Landwirtschaft mit
etwa 900 Millionen DM durch die Ökosteuer belastet
wird und kaum Vorteile von der Senkung der Lohnne-
benkosten hat. Der Versuch, diese Belastungen mindes-
tens teilweise über die Agrardieselregelung abzufangen,
führt steuersystematisch zu einem Chaos, besonders
dann, wenn man die geplanten weiteren Schritte bei der
Ökosteuer berücksichtigt.

Die PDS plädiert deshalb dafür, zum eigentlichen
Ziel der Ökosteuer zurückzukehren und die
900 Millionen DM für den ökologischen Umbau der
Agrarproduktion zu verwenden. So könnten die Mittel
zum Beispiel für die Förderung des ökologischen Land-
baus und einer standortgerechten Produktion sowie die
Förderung nachwachsender Rohstoffe und Energieträger
eingesetzt werden.

Auch die Einführung umweltgerechter Technologien
und Organisationsformen, zum Beispiel durch den Auf-
bau von agrochemischen Zentren oder Biogasanlagen,
sowie die Erweiterung der Umweltprogramme und nicht
zuletzt der Vertragsschutz und andere Naturschutzvor-
haben könnten mit diesen Mitteln zielgerichtet gefördert
werden.

Wir sind überzeugt, dass die Bauern viele gute Ideen
einbringen würden, wenn der ökologische Umbau der
Agrarproduktion finanziell kräftig gefördert würde. Wir
fordern deshalb, die aus der Landwirtschaft der Öko-
steuer zufließenden finanziellen Mittel in die Gemein-
schaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ einzustellen und zielgerichtet für den
ökologischen Umbau einzusetzen.

Die PDS erwartet, dass Minister Funke dieses Thema,
wie versprochen, mit großem Nachdruck weiter verfol-
gen wird. Herr Minister Funke, halten Sie sich einfach
an Herbert Wehner, der einmal sagte: „Politik ist die
Kunst, das Notwendige möglich zu machen.“ Beweisen
Sie also, dass Sie neben Landwirt und Politiker auch
Künstler sind. Ich denke, der Beifall wäre Ihnen sicher.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Er ist sogar ein Gesamtkunstwerk!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409015500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Reinhard Schultz.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1409015600
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wahr-
scheinlich der einzige Nichtlandwirtschaftspolitiker, der
heute etwas zu diesem Thema sagt, aber angesichts der
Größenordnung von 700 Millionen DM ist es sinnvoll,
dass sich auch die Finanzpolitik darüber Gedanken
macht, welchen Beitrag sie leisten kann, um den Bauern
zu helfen.

Ulrich Heinrich






(A)



(B)



(C)



(D)


Aus unserer Sicht ist es überhaupt nicht zu bezwei-
feln, dass die Landwirtschaft in den letzten Jahren
erheblich unter Druck geraten ist und dass der Druck
möglicherweise noch zunehmen wird. Wenn man sich
den Landwirtschaftsbericht, und die Debatte darüber zu-
rück ins Gedächtnis holt, sieht man, dass sich die
Einkommenssituation 1999 um 7,3 Prozent erheblich
verschlechtert hat, dass der Durchschnittsertrag eines
Betriebes nur noch 53 000 DM betrug und dass nur noch
die Hälfte aller Höfe, nämlich 190 000, überhaupt als
Haupterwerbsquelle geführt werden können.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie verschlimmern das noch!)


Das erkennen wir an. Das sage ich ausdrücklich.
Wenn man sich die Situation im Bereich Schweine-

mast ansieht – das ist etwas, was bei mir in der Heimat
in Warendorf als dem schweinereichsten Kreis, eine
große Rolle spielt – , dann ist festzustellen, dass dort die
Einkommen dermaßen zusammengebrochen sind, dass
man sehr ernsthaft darüber nachdenken muss, ob man
nicht die eine oder andere zusätzliche Unterstützung
wirken lassen kann.

Vor diesem Hintergrund sind natürlich politisch initi-
ierte und für sich im Einzelfall jeweils notwendige
Maßnahmen als Belastung besonders schwerwiegend.
Das gilt für die Agenda 2000, deren Auswirkung gerade
unter der deutschen Präsidentschaft gegenüber ursprüng-
lichen Befürchtungen deutlich gedämpft worden ist, für
die Ökosteuerreform mit ihren 900 Millionen DM an
Belastung im Jahr 2003 und für Veränderungen im Be-
reich der Einkommensteuer.

Es ist unbestritten, dass die Landwirte im Jahr 2003
alles zusammen genommen etwa 2,3 Milliarden DM zu-
sätzlich an Belastung hinnehmen müssen. Deswegen
gewinnen die Sorgen der Landwirtschaft eine politische
Dimension, an der eine zur Konsolidierung bereite Bun-
desregierung und auch die Finanzpolitik nicht vorbeige-
hen können. Deswegen soll eine wesentliche Entlastung
durch die Einführung des niedrigen Sondersteuersatzes
auf Diesel beschlossen werden, der für landwirtschaftli-
che Nutzfahrzeugen eingesetzt wird.

Wenn man sich die Landschaft in der Europäischen
Union anschaut, dann stellt man fest, dass diese leider
sehr große Gestaltungsmöglichkeiten zulässt, was die
Besteuerung von Kraftstoffen in der Landwirtschaft an-
geht. Die meisten Länder nutzen diese Möglichkeiten.
Lediglich Griechenland, bislang auch Österreich und
Schweden, haben für die Landwirtschaft keine Sonder-
regelung. Deutschland hat bislang die Mineralölsteuer
teilweise in Dänemark ganz zurückerstattet. Sechs Län-
der erlauben den Einsatz von Heizöl als Kraftstoff. Die
übrigen vier Länder haben einen Sondersteuersatz auf
Diesel, den Agrodiesel. Sowohl das als Kraftstoff zuge-
lassene Heizöl als auch der Agrodiesel sind in diesen
zehn Ländern eingefärbt und damit an besonderen Zapf-
säulen verfügbar. Sie werden nicht über das Rückerstat-
tungsverfahren zurückgezahlt.

Wenn man sich die Unterschiede ansieht, wird er-
sichtlich, dass die Kosten innerhalb der EU zwischen

1,20 DM und 20 Pfennig liegen, die der Landwirt zu
zahlen hat. Dazwischen liegt wirklich eine Welt. Bei
diesen Kostenstrukturen, muss man, denke ich, auch an-
gesichts der Entwicklung durch die ökologische Steuer-
reform gegensteuern. Das wollen wir.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der einheitliche Steuersatz von 57 Pfennig wird dazu
beitragen, dass die Belastung im Jahr 2003 deutlich ab-
gefangen wird und dass der einzelne Landwirt auf dem
Höhepunkt der Entwicklung der ökologischen Steuerre-
form mit 35 Pfennig besser dasteht als in den Jahren vor
der Reduzierung der Gasölbeihilfe. Insofern ist das eine
bei der voraussehbaren Entwicklung der Dieselkosten
adäquate Lösung, die wir hier gefunden haben, zumal
die 3 000-Liter-Obergrenze bei dem neuen Modell weg-
fallen soll, was für größere Betriebe, für Maschinenringe
und für landwirtschaftliche Lohnunternehmen besonders
wichtig ist.

Die Alternative, Heizöl als Kraftstoff einzusetzen,
halten wir für ökologisch unverantwortbar. Heizöl unter-
liegt nicht den strengen Normen wie Kraftstoffe, was
den Schadstoffinhalt angeht. Es wäre unverantwortlich,
Diesel sowohl auf den Äckern als auch auf den Straßen
im ländlichen Raum einzusetzen. Also müssen wir jen-
seits der Finanzierungsfrage eine Lösung finden, die den
ökologischen Fortschritt im Bereich der Zusammenset-
zung von Kraftstoffen auch in der Landwirtschaft wei-
terhin aufrechterhält.

Wir sind froh darüber, dass es gelungen ist, die
375 Millionen DM, die dann für die Gasölbeihilfe nicht
mehr erforderlich sind, der Landwirtschaft insgesamt für
Sozialpolitik und zur Verbesserung der Eigenmittelaus-
stattung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu erhalten. Ich
denke, dadurch wird auch deutlich, dass dies den Land-
wirten insgesamt eine echte Nettoentlastung in Höhe
von 700 Millionen DM bringt, die – so denke ich – von
ihnen auch anerkannt wird.

Wenn der Bauernverband 900 Millionen DM fordert,
so habe ich dafür Verständnis. Das ist bei solchen Ver-
handlungen so.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das sind keine Verhandlungen!)


Wenn man sich aber einer Forderung zwischen null und
900 Millionen DM politisch im Rahmen eines Konsoli-
dierungsprogramms bis auf 700 Millionen DM annähert,
dann ist das eine stolze Tat, die dem Finanzminister und
den Finanzpolitikern große Schwierigkeiten bereitet hat,
die nichtsdestotrotz notwendig ist und die man nicht
kleinreden sollte, weil man Verbandsfunktionären nach
dem Maul redet.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409015700
Herr Kollege!

Reinhard Schultz (Everswinkel)







(A)



(B)



(C)



(D)



Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1409015800
Wir haben
die Landwirtschaft nicht im Regen stehen lassen. Ich
denke, die Lösung wird akzeptiert werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Karsten Schönfeld [SPD]: Das haben wir schon etwas anders erlebt!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409015900
Zu einer Kurz-
intervention erteile ich Kollegen Ronsöhr das Wort.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1409016000
Die Bau-
ern regen sich auf, nicht ich. – Ich habe auf einen Zuruf
von Herrn Schönfeld reagiert.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Schultz hat eben davon gesprochen, dass
es durch die hausgemachten Beschlüsse eine Gesamtbe-
lastung von 2,3 Milliarden DM für die Bauern gibt. Nun
habe ich hier ein Papier der SPD-Fraktion vom 6. Januar
2000. Darin wird von einer ganz anderen Belastung aus-
gegangen. Ich finde, Sie sollten dann schon bei Ihren ei-
genen Papieren bleiben, obwohl ich auch dabei Schwie-
rigkeiten habe, das nachzuvollziehen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die haben damals gelogen; die lügen heute auch wieder! – Gegenruf der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer lügt hier?)


In diesem Papier steht, die ökologische Steuerreform,
also die Ökosteuer, bringt in der ersten und zweiten Stu-
fe für die Landwirtschaft eine Belastung von 950 Milli-
onen DM. Es wird ja immer wieder etwas anderes ge-
sagt; hierin stehen 950 Millionen DM. Ulrike Höfken
hat davon gesprochen, dass die zukünftige Unterneh-
mensteuerreform für die Landwirtschaft eine Entlastung
bringt. Hier ist eine Belastung von 165 Millionen DM
im Jahre 2003 aufgezeigt. Insgesamt kommen Sie auf
eine Belastung von 2,968 Milliarden DM. Das sind etwa
700 Millionen DM mehr als das, was Sie angesprochen
haben. Darin ist noch nicht die Kürzung der Vorsteuer-
pauschale enthalten, die nach eigenen Berechnungen der
Bundesregierung für die Landwirtschaft auch noch ein-
mal 400 Millionen DM ausmacht. Und nun sprechen Sie
von einer Entlastung round about – ich lege es einmal
ganz großzügig aus – von 1,1 Milliarden DM, und dann
sagen Sie: Netto kommt eine Entlastung heraus.

Ich würde doch darum bitten, dass Sie das kleine
Einmaleins irgendwie nachvollziehen. Glauben Sie doch
nicht, dass Sie den Landwirten draußen ein X für ein U
vormachen können. Das wird Ihnen nicht gelingen.
Vielmehr bleibt eine erhebliche Belastung.

Ich kann Ihnen Ihr eigenes Papier ja gern zuschicken,
damit Sie Ihre eigenen Zahlen nachvollziehen können.
Das sind nicht meine Zahlen. Aber bitte: Tun Sie doch
nicht in der Öffentlichkeit so, als wenn es keine Belas-
tung wäre, während Sie intern nach diesem Papier selbst

von einer Belastung von über 3 Milliarden DM ausge-
gangen sind!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409016100
Bitte schön,
zur Antwort hat Herr Kollege Schultz das Wort.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1409016200
Lieber Herr
Kollege! Ich habe eben, was ich nicht hätte tun müssen,
aufgeblättert, welche Belastungen insgesamt auf die
Landwirtschaft zukommen und dass deswegen der poli-
tische Druck groß ist, zur Entlastung beizutragen. So
weit, dass die Politik sämtliche Entlastungen neutralisie-
ren kann


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Belastungen!)


und der Gesamthaushalt oder die Einkommen aller übri-
gen Menschen in Deutschland sozusagen als Deckungs-
reserve für Probleme der Landwirtschaft herhalten kön-
nen, werden selbst Sie nicht gehen. Man muss zwischen
dem Interesse an einer Haushaltskonsolidierung und den
gesamten Interessen der Verbraucher und Steuerzahler
sowie besonderen Notlagen in der Landwirtschaft abwä-
gen und dann einen Kompromiss finden, der noch trag-
fähig ist und von den Betroffenen angenommen wird.

Die Äußerungen des Bauernverbandes über die von
uns heute vorgestellte Lösung sind außerordentlich posi-
tiv. Nach dem RWI-Gutachten liegen die sektoralen
Auswirkungen der Ökosteuer bei 900 Millionen DM.
Das ist eindeutig und unbestritten. Die negativen Aus-
wirkungen der Unternehmensteuerreform entstehen vor
allen Dingen durch den vorgesehenen Wegfall der An-
sparabschreibung und vergleichbarer Tatbestände.
Darüber wird sicherlich zu reden sein. Aber das Gesetz-
gebungsverfahren läuft noch. Sie können also nicht das
einbeziehen, was politisch noch in der Pipeline ist. Wir
werden uns genau ansehen, wie sich Belastungen und
Entlastungen auf die Steuerbürger auswirken. Wir haben
versprochen, einen sehr offenen Dialog über die Unter-
nehmensteuerreform mit allen Betroffenen zu führen.
Diesen sollten wir hier nicht abbrechen.

Ich fände es gut – das verstehe ich unter Oppo-
sition – , wenn Sie jenseits des populistischen Hinterher-
rennens zur Kenntnis nähmen, dass selbst der Präsident
und der Generalsekretär des Bauernverbandes das, was
wir gemacht haben, für eine große Tat halten, die sie
dieser Koalition angesichts ihrer selbst gesetzten Konso-
lidierungsziele so nicht zugetraut hätten. Mehr kann man
in einer solch schwierigen Lage wohl kaum erwarten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wie ihr die Leute belügt, das ist allerhand! – Karsten Schönfeld [SPD]: Wer gelogen hat, das haben wir gesehen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409016300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Bleser.








(A)



(B)



(C)



(D)



Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1409016400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren!


(Unruhe bei der SPD)

– Vielleicht kann man auf der SPD-Seite den Mund hal-
ten, damit ich meine Ausführungen vortragen kann.


(Ilse Janz [SPD]: Jawohl, Herr Oberlehrer!)

Ich habe nämlich für meine Rede genügend Stoff ge-
sammelt, um alle Argumente, die hier gebracht worden
sind, auch belegen zu können, insbesondere diejenigen
über die Belastungen.

Wir, die CDU/CSU, bringen heute wie die F.D.P. ei-
nen Antrag ein, der vorsieht, dass der deutschen Forst-
und Landwirtschaft die Verwendung von Heizöl erlaubt
wird. Damit sind wir einer langjährigen Forderung des
Berufsstandes gefolgt. Wir wollen die deutschen Land-
wirte ihren europäischen Nachbarn gleichstellen und –
das ist das Wichtige – wollen die Landwirte von der
Ökosteuer wirklich entlasten. Diesen Antrag – das sage
ich hier ganz offen, Herr Kollege Weisheit – werde ich
in meinem Büro an einem sicheren, aber leicht auffind-
baren Ort aufbewahren, damit ich ihn dann, wenn wir
2002 wieder die Bundesregierung stellen, auch schnell
finden werde.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Keine andere Bundesregierung hat die deutschen
Landwirte so belastet wie diese rot-grüne Koalition. Oh-
ne eine spürbare Entlastung wird es in der deutschen
Landwirtschaft einen Strukturbruch geben, mit der Fol-
ge, dass Tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen.
Das sage ich hier mit allem Ernst. Die Liste Ihrer
Schandtaten, Herr Minister Funke, und Ihrer Regierung
ist so lang, dass meine Redezeit nicht ausreicht, um sie
vollständig hier vorzutragen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


Ich liste nur einige Beispiele auf: die Rückführung der
Mehrwertsteuerpauschale um 1 Prozent, obwohl die
Zahlen eine Erhöhung zuließen; die Agendabeschlüsse;


(Reinhard Schultz waren gut!)


die Ökosteuer; die Rückführung der Gasölverbilligung;
das Steuerbelastungsgesetz – so heißt es ja richtig – , das
ein Volumen von 1,1 Milliarden DM hat, und die Rück-
führung der Zuschüsse in die Sozialversicherung. Die
Auswirkungen der angekündigten Unternehmensteuerre-
form kommen noch hinzu. Der Bauernverband sagt, es
sei eine Belastung in Höhe von 350 bis 500 Milli-
onen DM zu erwarten, weil die Abschreibungsmodalitä-
ten vorübergehend verschlechtert würden. Wenn man
das alles addiert – ich kann das belegen – , dann kommt
man auf fast 5 Milliarden DM. Damit nehmen Sie den
deutschen Bauern ein Viertel ihres Einkommens. Das ist
die Wahrheit. Trotzdem verweisen Sie immer auf die –
verglichen mit den Belastungen – lächerlichen Entlas-
tungen.

Das grausame Spiel geht noch weiter. Mir sind In-
formationen zugegangen, nach denen im Bundesfinanz-
ministerium die Neufestsetzung von Einheitswerten be-
rechnet wird. Ich habe gehört, dass eine Erhöhung um
den Faktor 10 bis 15 zu erwarten sei. Was damit letztlich
auf die bäuerlichen Familien zukommt, wage ich zurzeit
noch nicht einmal zu beschreiben.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Enteignung!)


Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ha-
ben die deutschen Landwirte wie keine andere Bevölke-
rungsgruppe einseitig mit Sonderlasten belegt. Am un-
gerechtesten ist dabei die Ökosteuer, weil eine Entlas-
tung durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträ-
ge wie in der übrigen Wirtschaft, wie Sie wissen, nicht
möglich war. Es gibt nun einmal wenig abhängig
Beschäftigte in den landwirtschaftlichen Betrieben.

Erst nach längerem Gewürge haben Sie der Landwirt-
schaft die Zurechnung zum produzierenden Gewerbe
gestattet, was ab dem Sockelbetrag von 1 000 DM die
Abzugsfähigkeit der Ökosteuer ermöglichte. Aber auch
diese Maßnahme hat nur 5 Prozent, im Wesentlichen
Gartenbaubetriebe, erreicht. Der Rest, also das Gros der
Betriebe, ist leer ausgegangen. Sie hatten also keine Ent-
lastung durch die Ökosteuer.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Den Unterglasbetrieben hat man einmal eine völlige Steuerbefreiung versprochen und nichts ist gehalten worden!)


– So war ‘s.
Nur der massive Druck der Bauern hier am Branden-

burger Tor hat Sie letztlich dazu veranlasst, über
Agrodiesel nachzudenken und eine Steuerbelastung auf
dann 57 Pfennig ab dem Jahr 2001 zu fixieren. Damit
bleiben Sie 23 Pfennig unter der im Jahr 1999 von uns
installierten Gasölrückverbilligung. Es ist also eine Ver-
schlechterung von immerhin noch 400 Millionen DM
oder 18 Pfennig gegenüber der Altregelung, die bis Ende
letzten Jahres galt.

Selbst wenn im Jahre 2003 die letzte Stufe der Öko-
steuer auf grausame 35 Pfennig inklusive Mehrwertsteu-
er angewachsen ist, wird die Entlastung durch Ihr Mo-
dell noch immer geringer als unser altes Modell ausfal-
len, das bis Ende letzten Jahres galt. Das Ganze ist also
schlicht und einfach eine Mogelpackung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ihr habt die Mineralölsteuer um 50 Pfennig erhöht!)


Die jetzt geplante Einführung eines womöglich grü-
nen Agrodiesels bedingt – neben der für Heizöl und Die-
sel – eine dritte Logistikschiene. Beim Mineralölhandel
und bei den Bauern löst diese Vorstellung nur noch
Kopfschütteln aus. Das Ganze ist für mich ein weiteres
Beispiel für die Weltfremdheit dieser Bundesregierung.

Stellen Sie sich einen Landwirt vor, der wegen Um-
weltauflagen seine Hoftankstelle aufgegeben hat. Woher








(A)



(B)



(C)



(D)


soll er in Zukunft seinen grünen Agrodiesel bekom-
men? Von einer Tankstelle, die extra Gerätschaften an-
schafft? Glauben Sie es nicht. Oder stellen Sie sich ei-
nen Betrieb vor, der auch noch gewerbliche Tätigkeiten
verrichtet. Wollen Sie dem entsprechenden Landwirt
empfehlen, wann er welchen Diesel im Tank seiner Ma-
schinen haben soll? Es wird also so sein, dass durch die
zusätzliche Logistik weitere Kosten auf die Bauern zu-
kommen. Verehrte Kollegen der Regierungskoalition,
ich sage Ihnen das jetzt, damit Sie nachher nicht sagen
können, das habe man Ihnen vorher nicht mitgeteilt.

Wir wollen jetzt einen ganzen Schritt gehen. Wir
wollen das rot gefärbte Heizöl auch für landwirtschaftli-
che Fahrzeuge zulassen. Ich sage ganz offen: Ich sehe
auch hierbei Probleme in der Praxis. Deshalb empfehle
ich, die Einfärbung des Agrodiesels in Zukunft – zumin-
dest auf dem Papier – als Option aufrechtzuerhalten.

Ich fasse zusammen:
Erstens. Die rot-grüne Bundesregierung belastet die

Landwirtschaft mit rund 5 Milliarden DM.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jährlich!)


Allein durch die Ökosteuer wird sie mit 900 Milli-
onen DM belastet. Erst nach massivem Druck haben Sie
zuletzt versucht, die Landwirte teilweise zu entlasten.
Der Landwirtschaft wird dabei noch nicht einmal das
zugestanden, was ihr zugestanden werden müsste, wenn
die Gleichbehandlung mit der übrigen Wirtschaft er-
reicht würde. In Wirklichkeit bleibt Ihr Agrodieselmo-
dell selbst im Jahre 2003 um 160 Millionen DM hinter
der Altregelung zurück, die bis Ende letzten Jahres galt.

Zweitens. Ich fordere Sie deshalb auf, die erst für das
laufende Jahr eingestellte Regelung auszusetzen und die
alte fortbestehen zu lassen, bis Ihre Regelung im nächs-
ten Jahr greift.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409016500
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hein-
rich?


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1409016600
Bitte schön, Herr
Heinrich.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1409016700
Herr Kollege Bleser, Sie
haben uns gerade vorgerechnet, dass die Entlastung
durch den festen Steuersatz bei der Mineralölsteuer noch
nicht die Entlastung der vorausgegangenen Jahre von
835 Millionen DM erreicht. Wo soll denn die Entlastung
für die Ökosteuer herkommen, wenn noch nicht einmal
die Entlastung für die bisher gewährte Rückvergütung
von Steuern auf Dieselöl stattgefunden hat.


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1409016800
Genau das ist der Punkt,
Herr Kollege Heinrich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Zunächst einmal wurde die Belastung dramatisch erhöht.
Dann wurde durch die Gewährung eines kleinen Bon-

bons das Gefühl vermittelt, dass bei der Regierung in
der Tat der Wille vorhanden ist, den Bauern entgegen-
zukommen. Ich habe das als Mogelpackung bezeichnet,
bei dieser Bezeichnung bleibe ich, Herr Kollege.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Diese Packung hat nicht den grünen Punkt!)


Ich komme zum dritten Punkt: Befreien Sie die
Landwirtschaft wie das übrige produzierende Gewerbe
von der Ökosteuer und bieten Sie ihr die gleichen Kon-
ditionen an, wie sie der Industrie bei der Erzeugung von
Prozessenergie bereits heute gewährt werden.

Viertens. Verschonen Sie uns von einer weiteren
Versorgungsschiene mit grünem Agrodiesel.

Eine letzte Bitte noch am Schluss: Nehmen Sie auch
die Erwerbsimker dieses Mal mit ins Boot.

Ich stelle abschließend fest: Diese erneute Nachbesse-
rung zeigt, dass diese Bundesregierung auch in der Ag-
rarpolitik weder eine Vision, noch konkrete Ziele, noch
ein schlüssiges Konzept für eine gute Zukunft der
Landwirtschaft hat. Meine Damen und Herren der Koali-
tion, stimmen Sie unserem Antrag zu und Sie haben den
ersten Schritt zu einer guten Agrarpolitik gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Dazu hättet ihr 16 Jahre Zeit gehabt!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409016900
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Funke.

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich möchte hier einige Korrekturen
anbringen. Dazu greife ich einige Stichworte auf. Es ist
ja nicht das erste Mal, dass hier selbst ernannte
Lichtgestalten Dinge vortragen, die der Realität
überhaupt nicht entsprechen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Dunkelmänner! Schwarze Brüder! – Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Angesichts der Tatsache, dass Sie hier fordern,

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Lauter gewählte Abgeordnete! – Zurufe von der CDU/CSU)


jegliche Belastung müsse durch eine entsprechende Ent-
lastung ausgeglichen und möglichst noch überkompen-
siert werden, möchte ich Sie nur einmal an Ihre Regie-
rungszeit erinnern und Sie fragen, wie sich das mit der
Kompensation entsprechender Belastungen verhielt, als
Sie ständig die Mineralölsteuer erhöhten, ohne für eine
Rückerstattung zu sorgen. War das keine Wettbewerbs-
verzerrung oder -verschiebung? Darüber wird nicht ge-
redet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.] – Zurufe von der CDU/ CSU)


Peter Bleser






(A)



(B)



(C)



(D)


– Das mögen Sie nicht hören, das verstehe ich auch,
aber wir müssen es schon erwähnen.

Von 1989 bis 1994 haben Sie die Mineralölsteuer um
50 Pfennig erhöht. Da haben Sie noch nicht von Wett-
bewerbsverzerrung und Wettbewerbsnachteilen geredet.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wenn Sie das wieder einführen würden, wären wir schon zufrieden!)


Sie haben hier alles zusammengezählt, was es
tatsächlich oder vermeintlich an Belastungen aus der
Steuerreform gibt. Ich darf Sie an Ihre Petersberger Be-
schlüsse erinnern und einmal nachrechnen, welche Be-
lastungen darin für die Landwirtschaft durch die Ab-
schaffung von Sondertatbeständen vorgesehen waren.
Darüber reden Sie überhaupt nicht. Auch daran muss
man Sie erinnern, wenn Sie hier diskutieren.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt sind sie ganz staad!)


Ich habe mir auch genau angeguckt, was Ihr Steuerre-
formkonzept aussagt und bedeutet. Ich habe den Ent-
wurf der CSU noch in Erinnerung. Der Eingangssteuer-
satz sollte auf 19 Prozent abgesenkt werden. Sie wissen
ganz genau – deswegen ist das schon ein entscheidender
Punkt – , dass es über Steuersenkungen nur dann zu ei-
ner Entlastung kommen kann – insbesondere im Bereich
der Landwirtschaft mit einem Grenzsteuersatz von
20 Prozent –, wenn der Eingangssteuersatz möglichst
niedrig ist.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wir hatten von vornherein 17 Prozent!)


In unserem Entwurf beträgt er 15 und nicht 19 Prozent.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt haben Sie nachgebessert – ich weiß das – weil die
Durchschnittsbelastung in Sachen Steuern keine Aussa-
ge darüber zulässt, welche Betriebe belastet und welche
entlastet werden.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: 2005!)

Man muss hier über den Grenzsteuersatz diskutieren.
Nun sind auch Sie bei 15 Prozent, das ist zu begrüßen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Da waren wir vor euch! Ihr habt mit 22 Prozent begonnen!)


Aber gucken Sie sich einmal an, welche landwirt-
schaftlichen Betriebe keine Entlastung, sondern eine Be-
lastung erfahren hätten.


(Zuruf des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])

– Herr Heinrich, ich spreche jetzt ja gar nicht Sie an,
sondern in diesem Falle die Kollegen der CDU/CSU.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ich weiß aber, welche Vorschläge Ihre Fraktion gemacht hat!)


Sehr wichtig ist für einen Sektor der Volkswirtschaft,
der mit einem Grenzsteuersatz von 20 Prozent belastet
wird, die Höhe des Steuerfreibetrages.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Der Bauernverband sieht das ganz anders! – Dr. Barbara Höll [PDS]: 17 000 DM!)


Daran haben Sie überhaupt nicht gedacht. Da wird
nachgebessert werden. Ich bin sogar überzeugt, es ist
eher ein Versehen. Das führt aber auch zu einer Belas-
tung derer in der Landwirtschaft, die Sie unserer Güte
hier förmlich anempfehlen. Sie müssen auch an die
Steuerfreibeträge denken.

Es ist sehr unglaubwürdig, was Sie hier vortragen,
wenn Sie uns unterstellen, wir seien ausschließlich für
die Belastung, Sie aber für die Entlastung verantwort-
lich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind alle sehr gern bereit, mit Ihnen über Wett-
bewerbsverzerrung zu reden, dann aber so, wie die Kol-
legin Höfken und der Kollege Schultz es hier vorgetra-
gen haben: über die gesamte Palette. Es wäre schön ge-
wesen, wenn Sie in 16 Jahren schon entsprechende Vor-
arbeit geleistet hätten. Dies betrifft nicht nur die Verein-
heitlichung der Steuergesetzgebung auf europäischer
Ebene, sondern auch die Wettbewerbsverzerrung im Be-
reich der Pflanzenschutzmittel. Wo sind Sie denn auf
diesen Gebieten auf europäischer Ebene tätig gewesen?
Überhaupt nicht.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Gepennt haben sie! Schnarcher sind das!)


Wir könnten jetzt bei dem Themenkomplex der Bio-
masse zur Schaffung zusätzlicher Standbeine für die
Landwirtschaft darüber reden, warum Sie nicht dafür
gesorgt haben, dass diese Anwendung im Baugesetz-
buch privilegiert wird, um zusätzliche Chancen auch im
Einkommen zu schaffen. Aber davon ist nichts zu fin-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun klage ich niemanden an, sondern beklage ledig-
lich, dass Sie sich hier hinstellen und einseitig vortragen,
um die eigenen Fehlleistungen vergessen zu machen. Ich
halte das für nicht in Ordnung. Natürlich sagen Sie, Herr
Heinrich, der Mineralölsteuersatz dürfe nur zehn Pfen-
nig betragen; hätten wir zehn Pfennig gewählt, hätten
Sie sicherlich begeistert zugestimmt.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das können wir zur Harmonisierung tun!)


Hätten wir zehn Pfennig gewählt, hätten Sie – davon bin
ich überzeugt – gesagt, es hätten nur fünf Pfennig sein
dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen hätten Sie uns auch dann kritisiert.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Nein!)

Ich verstehe doch die Haltung der Opposition in diesem
Punkt.

Bundesminister Karl-Heinz Funke






(A)



(B)



(C)



(D)


Man kann – das ist unstrittig – darüber reden, welche
Belastungen und Entlastungen es durch die Unterneh-
mensteuerreform geben wird bzw.geben kann. Ich sage
ausdrücklich: geben kann. Das kann man gegenwärtig,
wenn man seriös rechnet, überhaupt noch nicht sagen:
ich meine jetzt ausschließlich den Sektor Landwirt-
schaft. Denn dass es in der Zeitschiene zu einer entspre-
chenden Entlastung kommt, ist mittlerweile bei allen,
die zunächst Horrorgemälde gezeichnet haben, unum-
stritten.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Aber erst nach acht Jahren!)


Auch das gehört zur Wahrheit und muss hinzugefügt
werden. Die Zahlen, die ursprünglich spontan genannt
worden sind, sind mittlerweile widerrufen oder zumin-
dest korrigiert worden.

Wir sind also sehr gern bereit, über Wettbewerbsver-
zerrungen und die Verbesserung der Wettbewerbsfähig-
keit zu reden. Das gilt im Übrigen auch in strukturpoliti-
schen Fragen und nicht nur in den Punkten, die Sie hier
angesprochen haben. Summa-summarum: Angesichts
der obwaltenden Umstände auch angesichts der Markie-
rungen in der finanzpolitischen Situation, innerhalb de-
ren wir uns zu bewegen hatten, bin ich dankbar, dass wir
diese Lösung erreicht haben.


(Beifall bei der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: Ein Saustall, den die hinterlassen haben!)


Ich bedanke mich ausdrücklich bei all denen, die da-
zu beigetragen haben und die geholfen haben, dieses
möglich zu machen. Spricht man mit denen, für die die
Arbeit letztlich geleistet worden ist, erntet man sehr viel
Verständnis, soweit man sachlich vorträgt und nicht ver-
sucht, Dinge parteipolitisch zu instrumentalisieren. Das
sage ich auch hinsichtlich ganz bestimmter Vertreter von
Verbänden.


(Beifall bei der SPD)

Mit diesem Dankeschön an alle, die dazu beigetragen
haben, verbinde ich die Überzeugung, dass wir auch hin-
sichtlich des Abbaus von Bürokratie, soweit wir dies
so umsetzen können, ein gutes Stück vorangekommen
sind. Wenn gesagt wird, andere hätten zuerst den Ge-
danken gehabt und wir hätten ihn übernommen: Was
Urheberrechte anbelangt, Herr Heinrich, sind wir sehr
großzügig.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig!)

Uns kommt es auf die Effekte und die Wirksamkeit an.
Die ist allemal gewährleistet.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Ihr wart immer gedankenvoll, aber tatenarm!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409017000
Ich schließe
damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Über-
weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/2384 und

14/2690 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Die Vorlagen auf den Drucksa-
chen 14/2766 und 14/2795 sollen an dieselben Aus-
schüsse überwiesen werden. Sind Sie einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7a und 7b auf.
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes (Artikel 16)


– Drucksache 14/2668 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Römischen Statut des Internationalen
Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998

(IStGH-Statutgesetz)


– Drucksache 14/2682 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Auswärtiger Ausschuss Federführung strittig)

Ausschuss. für. Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordung

Innenausschuss
Ausschuss. für. Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Kein Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Herr Bundesaußenminister Joschka Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409017100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unter dem
Eindruck der Grausamkeiten des preußisch-franzö-
sischen Krieges 1870/71 machte der Schweizer
Gustave Moynier 1872 den ersten förmlichen Vorschlag
für einen internationalen Strafgerichtshof. Wie oft haben
wir uns seitdem angesichts millionenfachen Leids ge-
wünscht – und auch gefordert –, dass die Verantwortli-
chen für Krieg, Vertreibung und Völkermord für ihre
Verbrechen vor einem unabhängigen internationalen Ge-
richt zur Rechenschaft gezogen werden.

Nach den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen,
nach den internationalen Jugoslawien- und Ruanda-
Tribunalen stehen wir mit dem im Juli 1998 in Rom ver-
abschiedeten Statut eines Internationalen Strafgerichts-
hofs an der Schwelle zu einem von politischer Opportu-
nität unabhängigen Weltrechtsprinzip bei der Verfol-
gung schwerster Verbrechen. Das Statut ist ein Meilen-
stein in der Entwicklung des Völkerrechts und legt das
Fundament für eine Institution, die die Herrschaft des

Bundesminister Karl-Heinz Funke






(A)



(B)



(C)



(D)


Rechts in den internationalen Beziehungen künftig deut-
lich stärken wird.

Die überragende Mehrheit der Staaten – 120 insge-
samt – hat sich in Rom für die Schaffung eines Interna-
tionalen Strafgerichtshofes ausgesprochen. 94 Regierun-
gen haben das Statut bis heute unterzeichnet, darunter
alle 15 EU-Mitgliedstaaten. Deutschland war vor und
während der Konferenz einer der entschiedensten Be-
fürworter und hat sich mit großem Nachdruck für einen
unabhängigen, effektiven und damit glaubwürdigen In-
ternationalen Strafgerichtshof eingesetzt – gemeinsam
mit vielen unserer europäischen Partner, gemeinsam mit
Kanada, Australien, Südafrika, Argentinien und vielen
anderen.

Das Ergebnis ist ein Kompromiss; aber es ist ein gu-
ter Kompromiss. Es ist gelungen, das Völkerrecht trotz
unterschiedlicher Rechtssysteme und Rechtstraditionen
der Mitglieder der Vereinten Nationen in einem völker-
rechtlichen Vertrag zusammenzufassen und zugleich
deutlich weiterzuentwickeln.

Ob es um die Verbrechen der Roten Khmer in Kam-
bodscha, die Gräuel in Osttimor oder um den Fall
Pinochet geht: Klare und glaubwürdige strafrechtliche
Konsequenzen sind seit langem überfällig. Sie sind
auch – das sollte nicht unterschätzt werden – ein wirk-
sames Element umfassender Konfliktprävention; denn
die Wirkung eines effektiven Internationalen Straf-
gerichtshofes ist eine dreifache:

Erstens können die Verantwortlichen für Krieg, Ver-
treibung und Völkermord nicht länger damit rechnen,
unter dem Schutzschirm nationaler Souveränität straflos
auszugehen. Mein französischer Kollege Hubert Védrine
hat das Statut zu Recht einen „Sieg über die Straflosig-
keit“ genannt.

Zweitens wird von der Arbeit des Gerichtshofes eine
Abschreckungs- und Präventionswirkung ausgehen, die
das Kalkül potenzieller Täter mitbestimmen wird. Sie
werden sich künftig nirgends mehr sicher fühlen kön-
nen. Das ist einer der ganz wichtigen präventiven Ge-
sichtspunkte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [F.D.P.])


Drittens wird der Strafgerichtshof auf die nationalen
Strafrechtssysteme und die dortigen Rechtsüberzeugun-
gen positiv ausstrahlen. Dies ist gerade im Zeitalter der
Globalisierung und der Entwicklung sehr vieler nationa-
ler Rechtssysteme ebenfalls ein wichtiger Gesichts-
punkt.

Amnesty International hat das Ergebnis von Rom
deshalb als „Revolution der rechtlichen und moralischen
Haltung der Staatengemeinschaft“ gegenüber der Ver-
folgung und Ahndung von Schwerstverbrechen bezeich-
net.

Sieben Staaten haben das Statut bis heute ratifiziert,
zuletzt Norwegen vor genau einer Woche. Es wird in
Kraft treten, wenn 60 Staaten ratifiziert haben, voraus-
sichtlich in knapp zwei Jahren. Angesichts der Bedeu-

tung, die die Bundesregierung dem Gerichtshof und der
mit ihm verbundenen Verrechtlichung der internatio-
nalen Beziehungen beimisst, ist es ein gutes Signal,
wenn Deutschland auch bei der Ratifikation zur ersten
Gruppe gehören wird.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das Ratifikationsgesetz ist deshalb zusammen mit der
erforderlichen Anpassung von Art. 16 des Grundgeset-
zes den Gesetzgebungsorganen mit der Bitte um rasche
Verabschiedung zugeleitet worden. Ich würde mich
freuen, Frau Präsidentin, wenn es angesichts der breiten
Unterstützung im Bundestag für die Ziele des Strafge-
richtshofes – die Vorgängerregierung hat sich ja um die
Verhandlungen in Rom verdient gemacht – zu einer Ra-
tifizierung noch vor der Sommerpause kommen könnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Evelyn Kenzler [PDS])


Das französische Parlament hat das Statut vor zwei Ta-
gen mit großer Mehrheit angenommen. Die EU-Staaten
haben sich als gemeinsames Ziel gesetzt, den Ratifizie-
rungsprozess bis zum Ende dieses Jahres abzuschließen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Sta-
tut des Internationalen Strafgerichtshofes sieht die inter-
nationale Verfolgung von vier Kernverbrechen vor. Es
sind dies Völkermord, Verbrechen gegen die Mensch-
lichkeit, Kriegsverbrechen sowie – nach Einigung über
eine angemessene Definition – das Verbrechen der Ag-
gression. Der künftig in Den Haag ansässige Gerichtshof
kann aufgrund einer Staatenbeschwerde, einer Initiative
des UN-Sicherheitsrates oder des Anklägers tätig wer-
den. Aber er wird nach dem Prinzip der Komplemen-
tarität nur dann tätig, wenn Staaten nicht willens oder
nicht in der Lage sind, eine bestimmte schwere Straftat
ernsthaft selbst zu verfolgen. Er wird die nationale Ge-
richtsbarkeit also nicht ersetzen, sondern ergänzen.

Deutschland hat maßgeblich zu entscheidenden Arti-
keln für eine erfolgreiche Arbeit des Gerichtshofes bei-
getragen, etwa zur starken Stellung des Anklägers, der
auf eigene Initiative hin und unabhängig tätig werden
kann. Von großer Bedeutung ist auch die insgesamt weit
gefasste und strikte Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem
Gerichtshof. Zugleich wurde bei den Verhandlungen
über das komplexe, in 13 Kapitel und 128 Artikel ge-
gliederte Vertragswerk besonderer Wert auf die Beach-
tung rechtsstaatlicher Grundsätze gelegt: auf das Rück-
wirkungsverbot, auf die Rechte des Beschuldigten und
auf das Verbot der Doppelbestrafung. Die Verhängung
der Todesstrafe durch den Gerichtshof ist
selbstverständlich ausgeschlossen.

Zahlreiche Fragen, die für die spätere Arbeit und den
Erfolg des Strafgerichtshofes von großer Bedeutung
sind, müssen noch geklärt werden. In New York tagt im
März erneut die Vorbereitungskommission bei den Ver-
einten Nationen, in der bis zum In-Kraft-Treten des Sta-
tuts wichtige Instrumente wie die Verfahrens- und Be-
weisordnung und die Finanzierungsregelungen erarbeitet

Bundesminister Joseph Fischer






(A)



(B)



(C)



(D)


werden. Hier gilt es aber auch zu verhindern, dass dem
Strafgerichtshof skeptisch gegenüberstehende Staaten
den in Rom erreichten Kompromiss nachträglich ver-
wässern.

Deutschland hätte sich schon in Rom eine robustere
Zuständigkeitsregelung des Strafgerichtshofes ge-
wünscht. Sie darf nicht noch weiter geschwächt werden,
meine Damen und Herren. Die Integrität des Römischen
Statuts muss auch bei den jetzt anstehenden Verhand-
lungen gewahrt bleiben, damit die Gerichtsbarkeit des
Strafgerichtshofes nicht ins Leere läuft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [F.D.P.])


Deutschland wird weltweit dafür werben, dass weite-
re Unterzeichnungen und Ratifikationen des Römischen
Statuts möglichst bald erfolgen, und wird andere Staaten
bei ihren Ratifikationsbemühungen unterstützen. Wir
werden uns auch bemühen, Staaten, die dem Staatsge-
richtshof skeptisch gegenüberstehen, darunter leider
auch die USA, weiterhin zu einer konstruktiven Mitar-
beit zu bewegen.

„Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit ge-
kommen ist“ – das war das Motto der Gerichtshofbe-
fürworter während der Verhandlungen. Die weltpoliti-
schen Ereignisse seit dem Abschluss des Statuts in Rom
1998 haben gezeigt, wie dringlich wir eine Institution
wie den Internationalen Strafgerichtshof brauchen – lei-
der, füge ich hinzu. Er wird kein Wundermittel gegen
Krieg, Gewalt und Verbrechen sein; aber er gibt der
Staatengemeinschaft ein Instrument an die Hand, das in
entscheidenden Fällen verhindern kann, dass der Ver-
weis auf die nationale Souveränität als Deckmantel für
schwere und schwerste Verbrechen und anschließende
Straffreiheit missbraucht wird.

Das in der Präambel des Römischen Statuts formu-
lierte Ziel, dass „um der heutigen und künftigen Genera-
tionen willen ein mit dem System der Vereinten Natio-
nen in Beziehung stehender unabhängiger ständiger In-
ternationaler Strafgerichtshof errichtet wird, der Ge-
richtsbarkeit über die schwersten Verbrechen hat, wel-
che die internationale Gemeinschaft als Ganzes berüh-
ren“, verdient deshalb unsere uneingeschränkte
Unterstützung.

Ich bitte Sie um die Zustimmung des Bundestages zu
den vorgelegten Gesetzentwürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [F.D.P.] und der Abg. Dr. Evelyn Kenzler [PDS])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409017200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Röttgen.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1409017300
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Errich-
tung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes
ist in der Tat ein großes Ziel erreicht worden, ein Ziel,

das von den Vereinten Nationen und all den Staaten, die
an einer friedlichen Weltordnung interessiert sind, seit
mehr als einem halben Jahrhundert verfolgt worden ist.
Darum ist es nicht zu hoch gegriffen, zu sagen, dass dies
ein historischer Erfolg ist, dass es nun eine solche inter-
nationale Gerichtsbarkeit gibt, eine Gerichtsbarkeit, die
die kardinale und stets beklagte Schwäche des Völker-
rechts überwindet, die in mangelnder Durchsetzungs-
kraft bestanden hat. Das ist die Veränderung, die statt-
findet.

Es gibt neben dem materiellen Völkerrecht nun eine
Institution, die in der Lage ist, dies durchzusetzen. Das
ist eine prinzipielle Veränderung, die vielfache Wirkun-
gen hat. Der Bundesaußenminister hat drei Wirkungen
genannt. Eine wichtige Wirkung ist ganz sicher die Ab-
schreckung der Diktatoren, der Kriegsverbrecher. Ich
will zu den drei Wirkungen, die Sie genannt haben, eine
vierte hinzufügen.

Dadurch, dass es gelungen ist, ein unabhängiges Ge-
richt – nicht konzipiert als Organ des Sicherheitsrates,
das durch Veto von seiner Tätigkeit hätte ausgeschaltet
werden können – einzurichten, ist jedenfalls in einem
gewissen Umfang die Verfolgung schwerster Verbre-
chen gegen die Menschlichkeit auch der Opportunität
der internationalen Interessenpolitik entzogen. Das ist
natürlich ein Grund, warum die USA in diesem Prozess
skeptisch waren. Es obliegt jetzt nicht mehr dem Vorbe-
halt der Opportunität der eigenen nationalen Interessen –
auch als Weltmacht –, ob ein Kriegsverbrecher verfolgt
wird, sondern der Gerichtshof entscheidet. Er hat, wie
Sie zu Recht ausgeführt haben, die Mittel dazu, die An-
klage durchzusetzen, und ist nicht vom Goodwill mäch-
tiger Staaten abhängig. Auch das ist ein enormer Fort-
schritt: dass es einen unabhängigen und damit einen
starken Gerichtshof gegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir, die CDU/CSU-Fraktion, begrüßen diesen Fort-
schritt nachdrücklich. Es ist auch so, dass er in der Kon-
tinuität der Außen- und Justizpolitik liegt. Die Vorgän-
gerregierung hat an diesem Erfolg wesentlich mitgear-
beitet. Es war auch immer ein Konsens in diesem Hau-
se – das ist etwas sehr Positives –, dass wir dies gemein-
sam erreicht und unterstützt haben.

Dennoch müssen wir uns bewusst machen – bei aller
Freude –, dass ein Prozess erst begonnen und nicht sein
Ende gefunden hat. Sie haben zu Recht darauf hingewie-
sen, dass die Zahl der für das In-Kraft-Treten des Statu-
tes notwendigen Ratifikationen, nämlich 60, noch lange
nicht erreicht ist und dass es. sicher noch lange dauern
wird, bis diese hohe Zahl erreicht sein wird.

Ich will auf eine zweite inhaltliche Schwäche einge-
hen, weil wir jetzt anfangen, das Völkerrecht ernst zu
nehmen. Es gehört auch dazu, dass wir nicht vor lauter
Freude die Schwächen verkennen. Das ist die Frage der
Zuständigkeit des Gerichtshofes. Die Judikatur er-
streckt sich nur auf Mitgliedsstaaten, auf deren Territo-
rium die Verbrechen begangen worden sind, oder auf
solche, denen der Beschuldigte als Staatsangehöriger
angehört. Das ist eine erhebliche Einschränkung der Ju-

Bundesminister Joseph Fischer






(A)



(B)



(C)



(D)


dikatur. Das bedeutet negativ gesprochen, dass der Dik-
tator, der seine eigenen Bürger in einem Land massa-
kriert, das nicht Mitgliedstaat des Statutes ist, dieser Judi-
katur nicht unterliegt. Es ist eine schmerzhafte Schwä-
che dieses Statutes, dass es gerade die diktatorischen
Staaten vor die Wahl stellt, ob sie sich selbst der Judika-
tur unterwerfen wollen. Das müssen wir sehen. Wir
müssen diese Schwäche, die in diesem Statut beinhaltet
ist, erkennen und daran arbeiten, dass sie überwunden
wird.

Ich will das nicht schlechtreden, aber ich will deutlich
machen, dass dies ein beginnender Prozess der Insti-
tutionalisierung einer internationalen Gerichtsbarkeit ist,
der Kompromisse beinhaltet und darum auch verbesse-
rungsbedürftig ist.

Die Bundesrepublik Deutschland möchte, getragen
von allen Fraktionen, von allen Parteien, diesem Statut
beitreten, und zwar in vollem Umfang. Dazu gehört,
dass wir unsere Verfassung ändern müssen, womit wir
uns schwer getan haben. Wir haben es auch im Zusam-
menhang mit dem Gesetz zum Jugoslawien-
Strafgerichtshof und zum Ruanda-Strafgerichtshof erör-
tert.

Wir müssen Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes, das
unbedingte Auslieferungsverbot, das deutsche Staats-
angehörige schützt, ändern, wenn wir die Wirksamkeit
auch für Deutsche und für Deutschland in vollem Um-
fang herstellen wollen. Wir tun dies nicht leichtfertig,
denn die Bundesrepublik Deutschland hat die Schutz-
verpflichtung, ihre Staatsangehörigen, ihre Bürger nicht
an Staaten und Gerichte auszuliefern, die die notwendi-
gen rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Garan-
tien nicht geben.

In dem Fall des Statutes sind diese Garantien erfüllt.
Der vorgesehene Entwurf der Verfassungsänderung
sieht auch die Auslieferung an Staaten vor. Es muss in
jedem Einzelfall per Gesetz geregelt werden, ob der
Staat, den wir als Adressaten der Auslieferung in Be-
tracht ziehen, diese rechtsstaatlichen, menschenrechtli-
chen Garantien erfüllt. Das ist kein Freibrief, sondern
hier hat die Bundesrepublik Deutschland eine Schutz-
funktion gegenüber ihren Bürgern zu erfüllen.

Die Verfassungsänderung durch ein Gesetz zum Rö-
mischen Statut zu vollziehen fällt uns auch wegen des
bereits angesprochenen Prinzips der Komplementarität
leicht. Dieses Prinzip führt dazu, dass die Anklage vor
dem Internationalen Strafgerichtshof nur zulässig ist,
wenn die Staaten, deren nationale Gerichtsbarkeit zu-
ständig ist, entweder unfähig oder unwillig zur Strafver-
folgung sind. Auch wenn sich das Völkerrecht, die Tat-
bestände der Kriegsverbrechen und der Verletzung des
humanitären Völkerrechts, in seinem materiellen Gehalt
nicht eins zu eins im deutschen Strafgesetzbuch wieder-
findet, erfüllen wir die Voraussetzung, dass die interna-
tionale Strafgerichtsbarkeit im Verhältnis zur Strafge-
richtsbarkeit in Deutschland subsidiär ist, weil wir die
Tatbestände der Sache nach und dem Gewicht nach auch
in Deutschland haben. Das heißt, es wird in diesem Fall
keine praktische Anwendung der Auslieferung zu erwar-
ten sein.

Aber das ist nicht der entscheidende Grund. Ich weise
nur darauf hin, dass die praktischen Auswirkungen, was
den Internationalen Strafgerichtshof anbelangt, wegen
dieses Grundsatzes der so genannten Komplementarität
gering sein werden und dass darüber hinaus die rechts-
staatlichen Garantien erfüllt sind.

Allerdings müssen wir, Frau Bundesjustizministerin,
in dem Gesetz schon zitieren, dass es sich hierbei nach
dem Zitiergebot des Art. 19 um eine Einschränkung auf
gesetzlicher Grundlage des Grundrechts aus Art. 16
Abs. 2 handelt. Da besteht noch ein Nachbesserungsbe-
darf hinsichtlich des einfachen Gesetzes. Ich glaube, das
Zitiergebot verlangt von uns, dass wir die Einschrän-
kung von Art. 16 Abs. 2 explizit aufnehmen.

Ein zweiter Gesichtspunkt, den ich hier ansprechen
möchte und den wir sicherlich im Rechtsausschuss bei
den Facherörterungen noch aufgreifen können: Ich bin
der Überzeugung, dass wir, wenn wir die Auslieferung
im Hinblick auf den Ruanda- und den Jugoslawien-
Strafgerichtshof ebenfalls ermöglichen wollen, auch
diese Gesetze ändern müssen. Denn diese Gesetze sind
auf der alten verfassungsrechtlichen Grundlage erfolgt,
das heißt keine Auslieferung von Deutschen an diese
Strafgerichtshöfe. Wenn wir ermöglichen wollen – das
ist der politische Konsens –, dass nun auch wegen
Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda
ausgeliefert werden können soll, dann müssen diese Ge-
setze wegen des Zitiergebotes ebenfalls ergänzt werden.
Die Begründung der Verfassungsänderung sagt, dies sei
nicht nötig, es könne ohne Änderung der Gesetze zu den
Strafgerichtshöfen, die ich angesprochen habe, ausgelie-
fert werden. Das scheint mir wegen Art. 19 Abs. 1 nicht
möglich zu sein. Darum sollten wir uns sehr rasch dar-
über verständigen, dass diese beiden Gesetze aufgrund
des Zitiergebotes noch geändert werden und die Ein-
schränkung von Art. 16 Abs. 2 aufgeführt wird.

Im rechtspolitischen Teil dieser Frage möchte ich den
Kollegen der anderen Fraktionen und der Bundesregie-
rung eine Anregung unserer Fraktion übermitteln. Wir
nähern uns der Hälfte der Legislaturperiode und stellen
fest, dass wir an der einen oder anderen Stelle verfas-
sungsrechtlichen Diskussionsbedarf haben. Gestern
war die Debatte über die Änderung des Art. 12 a des
Grundgesetzes, Stichwort: Frauen in der Bundeswehr,
aus Anlass der Entscheidung des Europäischen Ge-
richtshofes in der Sache Kreil. Außerdem haben wir die
Diskussion über Art. 87 a, Begrenzung des Einsatzes der
Streitkräfte, und möglicherweise noch andere verfas-
sungsrechtliche Fragen. Wir regen an und schlagen vor,
einmal im Zusammenhang über die anstehenden verfas-
sungsrechtlichen Fragen zu diskutieren, weil wir es für
richtig halten, eine fachliche Diskussion zu führen, die
auf Konsens angelegt ist. Wir suchen immer gern den
Streit, aber wir sind auch dafür, dass es gerade in Ver-
fassungsfragen bei einem breiten Konsens bleibt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Aber keine Koppelungsgeschäfte!)


– So ist es.
Darum ist unsere in dieser Debatte ausdrücklich vor-

getragene Bitte, im Bereich der Rechtspolitik in dieser

Norbert Röttgen






(A)



(B)



(C)



(D)


Legislaturperiode fraktionsübergreifend über den verfas-
sungsrechtlichen Änderungsbedarf, den wir sehen, ein
Gespräch zu führen. Herr Kollege Stiegler und Herr
Kollege Hartenbach, wir wollen nicht über den vorlie-
genden Gesetzentwurf verhandeln. Die CDU/CSU-
Fraktion stimmt diesem Gesetzentwurf zu. Wir wollen
mit dieser Bitte vielmehr eine vernünftige verfassungs-
rechtliche Diskussion initiieren. Ich glaube, dem steht
nichts im Wege. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt aus-
drücklich den enormen Fortschritt, der erreicht worden
ist. Ich habe ihn als historisch bezeichnet.

In einer Zeit, in der die Welt zusammenwächst und
damit die Konflikte, die es auf dieser Welt gibt, näher
bei uns sind, ist die Errichtung eines Internationalen
Strafgerichtshofes ein Beitrag zur friedlichen Ordnung
dieser Welt. Daher ist das Ergebnis, über das wir heute
diskutieren, ein sehr schönes. Wir unterstützen es nach-
drücklich.

Danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409017400
Das Wort hat
jetzt die Frau Bundesministerin der Justiz, Herta
Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich freue mich sehr, dass wir heute mit der Umset-
zung des Statuts über den Internationalen Strafgerichts-
hof beginnen können. In der Tat – wir haben es vorhin
gehört –, der Weg von der Geburt der Idee zu einem sol-
chen Strafgerichtshof im Jahre 1872 bis zu jenem histo-
rischen 17. Juli 1998 war sehr lang, viel zu lang. Dass
die Verabschiedung des Statuts am 17. Juli 1998 nach
langen Mühen und vielen gescheiterten Versuchen mög-
lich wurde, auch das ist – ich unterstreiche das, was bis-
her gesagt wurde – ein historischer Schritt.

Nun wissen wir alle, dass wir mit dem Prädikat „his-
torisch“ zurückhaltend umgehen sollten. Aber ich teile
Ihre Auffassung: In dem vorliegenden Falle ist diese
Bezeichnung gerechtfertigt. Denn politisch dokumentiert
dieser Vertrag die Bereitschaft der internationalen Ge-
meinschaft, zum Jahrhundert- bzw. Jahrtausendwechsel
ein neues und vor allem ein neuartiges internationales
Gericht zu gründen.

Mit dem Internationalen Strafgerichtshof wird der
bislang leider vorherrschenden Straflosigkeit schwerster
Massenverbrechen der Kampf angesagt. Die kraftvoll
von Rom ausgehende Botschaft soll lauten: Die Stärke
des Rechts soll an die Stelle des Rechts des Stärkeren
treten. Und: Die Schreibtischtäter und Folterknechte die-
ser Welt – wo immer sie sich aufhalten – dürfen sich
nirgendwo und zu keiner Zeit mehr sicher fühlen. Sie
können nicht mehr darauf vertrauen, dass ihre Taten auf
Dauer ungesühnt bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dieses Signal ist angesichts der Massenverbrechen,
der Völkermordtaten, die wir immer wieder zur Kennt-
nis nehmen müssen, außerordentlich wichtig. Gerechtig-
keit möge werden, damit die Welt nicht zugrunde geht,
so soll das Motto in Abwandlung des gerade Juristen
sehr bekannten Wortes heißen, „Fiat iustitia ne pereat
mundus“ – Gerechtigkeit möge werden, damit die Welt
nicht zugrunde geht.

Wie wirksam diese Botschaft sein kann, ja wie wirk-
sam sie sein wird, das zeigt schon heute die Arbeit des
Ruanda- und vor allen Dingen die des Den Haager Ju-
goslawien-Gerichtshofs. Beider Arbeit, so mühsam sie
im Einzelnen ist – ich meine auch den Jugoslawien-
Gerichtshof –, hat einen ganz entscheidenden Anteil
daran, dass es gelingen kann, die allgemeine Atmosphä-
re der Rechtlosigkeit, des Hasses und der Teilung in die-
sen Regionen, speziell auch im ehemaligen Jugoslawien,
langsam, aber sicher abzubauen.

Wir alle wissen – das hat die Kompromisse, von de-
nen bereits gesprochen wurde, und die gescheiterten
Versuche hervorgerufen –, dass das Vorhaben eines In-
ternationalen Strafgerichtshofes auch Ängste provoziert
hat, und zwar vor allem bei Staaten, die ganz peinlich
auf die Wahrung ihrer Souveränität bedacht sind. Diese
Ängste haben verhindert – ich teile diese Trauer, auch
wenn ich realistisch bin –, dass man schon jetzt so weit
gehen konnte, wie wir das eigentlich gewollt hätten.
Nur, Kompromisse waren – das war uns allen klar – un-
ausweichlich.

Ich halte es für sehr beeindruckend, in welchem Ma-
ße die Staaten am Ende doch bereit waren, die über-
kommenen Souveränitätsbedenken zurückzustellen.
So konnte beispielsweise erreicht werden, dass der An-
kläger die internationale Strafverfolgung bei Vorliegen
eines Anfangsverdachts einleiten kann, ohne dass zuvor
ein Staat sein Plazet geben musste. Welch ein Fort-
schritt! Das war noch vor wenigen Jahren undenkbar
und dieser Fortschritt konnte auch nur erreicht werden,
weil es neben den engagierten Regierungen und Staaten
wie der Bundesrepublik Deutschland – ich sage an die-
ser Stelle ausdrücklich Dank auch an die frühere Bun-
desregierung – eine Menge an Nichtregierungsorganisa-
tionen gegeben hat, die sich zusammengeschlossen ha-
ben und die die Idee eines Internationalen Strafgerichts-
hofs ungemein konsequent und auch mit großem in-
ternationalen Nachdruck deutlich unterstützt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ohne sie wäre das nicht gegangen. Deshalb sei ihnen an
dieser Stelle Dank gesagt, stellvertretend für alle dem
Gründer dieser Koalition, William Pace.

Meine Damen und Herren, der Internationale Strafge-
richtshof kann – dies ist ebenfalls besonders wichtig –
gerade auch staatliche Repräsentanten zur Rechenschaft
ziehen, wenn sie die Staatsgewalt zu einem Terrorin-
strument gegen ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger
pervertieren. Auch dies ist ein Bruch mit einer alten
Tradition, der zeigt, dass die Weltgemeinschaft zu Be-
ginn des dritten Jahrtausends nicht mehr gewillt ist,

Norbert Röttgen






(A)



(B)



(C)



(D)


massenweise begangene Verbrechen wie Mord, Folter
und Vertreibung unter Hinweis auf die bestehende staat-
liche Souveränität achselzuckend hinzunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieser Schritt ist ein fundamentaler Schritt hin zu mehr
Individualschutz in der Völkerrechtsordnung, und den
wollen wir wieder verstärken.

Hinzu kommt noch etwas anderes. Der neue Strafge-
richtshof wird eine ständige Einrichtung sein. Auch
das ist wichtig, denn damit wird die internationale Reak-
tionsbereitschaft bereits vor der Tat gesichert. Damit
wird deutlich gemacht, dass die internationale Strafge-
richtsbarkeit ein zentraler, ein präventiver Teil der Welt-
friedensordnung sein soll. Dieses Element wollen wir
weiter unterstützen und ausbauen.

Rechtlich gesehen ist der Fortschritt mit dem Interna-
tionalen Strafgerichtshof – also: mit dem Römischen
Statut – vor allem in folgenden Punkten gewaltig: Zum
Ersten werden die völkerrechtlichen Verbrechen des
Völkermords, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit
sowie die Kriegsverbrechen in einem einheitlichen Do-
kument zusammengestellt. Damit wird zum Zweiten
anerkannt, dass das Völkerstrafrecht eben nicht nur im
Krieg, sondern in weitem Umfang auch im Bürgerkrieg
begangene Abscheulichkeiten umfasst, und zum Dritten
werden – weil damit nicht genug – die Verbrechen ge-
gen die Menschlichkeit durch das Statut als Straftatbe-
stände zur Ahndung schwerster Menschenrechtsverlet-
zungen sogar in Friedenszeiten fest etabliert.

Außerdem enthält das Römische Statut erstmals einen
Allgemeinen Teil des materiellen Völkerstrafrechts.
Auch das ist angesichts der unterschiedlichen nationalen
Lösungen ein ganz erheblicher Fortschritt. Im Strafpro-
zessrecht sind ebenfalls neue Wege eingeschlagen wor-
den. Dank der großen, aber auch effizienten Kompro-
missbereitschaft auf allen Seiten ist es gelungen, eine
Art „kleine Völkerstrafprozessordnung“ zu erarbeiten,
die – man höre und staune! – in etwa gleichgewichtigem
Umfang Elemente des angloamerikanischen und des
kontinentalen Rechtsdenkens enthält.
Noch etwas kommt hinzu: Ganz zentral und ganz be-
sonders bedeutsam ist der hohe rechtsstaatliche Stan-
dard dieses Statuts. Lassen Sie uns das deutlich ausdrü-
cken: So wichtig die effiziente und effektive Verfolgung
völkerrechtlicher Verbrechen ist, so wichtig ist auch die
Legitimität dieses Vorgehens; dies erfordert die unein-
geschränkte Wahrung der Rechte der beschuldigten Per-
sonen und daneben auch der Zeuginnen und Zeugen so-
wie vor allem der Opfer. Alle diese Anforderungen er-
füllt das Statut. Es beachtet – auch das ist wichtig –
die international anerkannten Menschenrechtsstandards
peinlich genau.

Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Wichtig ist
auch das Feld der staatlichen Zusammenarbeit mit
diesem Gerichtshof. Wir wissen, dass dieser Gerichtshof
nicht über eine eigene Polizei verfügen kann. Deshalb
wird er auf die Unterstützung der Vertragsstaaten in
Form der Überstellung verdächtiger Personen und der

Übersendung von Beweismaterial angewiesen sein. Oh-
ne diese Unterstützung wäre das ganze Projekt zum
Scheitern verurteilt. Deshalb enthält das Statut ein Re-
gime der Zusammenarbeit mit deutlich schärferen
Pflichten für die Vertragsstaaten als die, die wir heute
im zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehr kennen. Wir
wollen das und wir werden diese Pflichten im Ausfüh-
rungsgesetz zum Statut punktgenau erfüllen.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, komme ich
zu der Arbeit, die jetzt vor uns liegt. Denn in der Tat ist
das Unternehmen Internationaler Strafgerichtshof mit
der Annahme des Römischen Statuts nicht beendet. Wir
haben schon gehört, dass der Internationale Strafge-
richtshof die Arbeit erst aufnehmen kann, wenn
60 Ratifikationen vorliegen; sieben gibt es bis heute.
Wir wollen, dass die Arbeitsaufnahme sehr bald erfol-
gen kann. Deshalb haben wir uns das ehrgeizige Ziel ge-
setzt – zusammen mit den Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union –, unsere innerstaatlichen Zustimmungs-
verfahren zum Statut bis zum Ende des Jahres 2000 ab-
geschlossen zu haben. Das ist ein ehrgeiziges Un-
terfangen. Ich freue mich – lassen Sie mich das aus-
drücklich sagen –, dass wir die Unterstützung aller Frak-
tionen dieses Hauses dabei haben.

Weil dieser Zeitplan so ehrgeizig ist, haben wir Ihnen
im Gesetzgebungsverfahren jetzt zwar den Entwurf des
Vertragsgesetzes und den Entwurf des Gesetzes zur Er-
gänzung des Grundgesetzes vorgelegt, bevor der Ent-
wurf eines Ausführungsgesetzes ganz fertig ist. Bei der
Erarbeitung dieses Ausführungsgesetzes werden wir ei-
ne ganze Menge von Überlegungen zu berücksichtigen
haben. Ich kann Ihnen schon heute ankündigen, dass wir
diese Arbeit in Kooperation mit Ihnen auf möglichst ef-
fiziente Weise vorantreiben wollen. Uns ist das Ausfüh-
rungsgesetz deswegen wichtig, weil wir sicherstellen
wollen, dass es in Kraft getreten ist, bevor der Internati-
onale Strafgerichtshof seine Arbeit aufnehmen kann.

Jetzt zu dem Ihnen ebenfalls zugeleiteten Gesetzent-
wurf zur Ergänzung des Grundgesetzes. Diese Ergän-
zung ist notwendig. Würden wir als Vertragsstaat des In-
ternationalen Strafgerichtshofs unsere eigenen Staatsan-
gehörigen von der Überstellung an diesen Gerichtshof
prinzipiell ausnehmen, würde das die Grundidee des
Vorhabens ad absurdum führen. Das wollen wir nicht.

Deswegen soll durch Änderung – eigentlich ist es ei-
ne Ergänzung – des Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes
die Auslieferung und die Überstellung deutscher Staats-
angehöriger an diesen Gerichtshof ermöglicht werden.
Aber in der Tat gehen mit dieser Ergänzung – darauf ist
schon hingewiesen worden – zwei zusätzliche Erweite-
rungen einher: Die eine erlaubt zum Ersten die Ausliefe-
rung Deutscher auch an andere internationale Gerichts-
höfe. Das zielt in der Tat auf den so genannten Jugosla-
wien- und Ruanda-Strafgerichtshof. Wir holen damit
nach, wozu die Bundesrepublik Deutschland völker-
rechtlich längst verpflichtet ist, aber noch nicht die ent-
sprechenden nationalen Gesetze geschaffen hat.

Zum Zweiten ermächtigt die Verfassungsänderung
den Gesetzgeber auch dazu, die Auslieferung deutscher
Staatsangehöriger an Mitgliedstaaten der Europäischen

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin






(A)



(B)



(C)



(D)


Union vorzusehen. Das ist auch eine vernünftige Erwei-
terung. Das EU-Auslieferungsübereinkommen von 1996
begreift ja die Auslieferung eigener Staatsangehöriger
innerhalb von EU-Mitgliedstaaten längst als Regelfall.
Deutschland musste bislang immer eine Ausnahme für
sich in Anspruch nehmen. Das soll sich ändern. Künftig
kann es dem innerhalb Europas gesetzten Maßstab ent-
sprechen und insofern gleichziehen mit unseren Partnern
in der Europäischen Union. Wir kommen damit dem
kürzlich auf dem Europäischen Rat in Tampere bekräf-
tigten Ziel der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechtes in der Europäischen Union
einen wesentlichen Schritt näher.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch einen ganz anderen, aber auch zentralen
Punkt bezüglich des Internationalen Strafgerichtshofs
ansprechen. Wir alle wissen, dass dieses Gericht – so
wichtig seine Errichtung auch ist – die strafrechtliche
Verfolgung der völkerrechtlichen Massenverbrechen
nicht allein garantieren kann. Die verstärkte Bereitschaft
der Vertragsstaaten zur Strafverfolgung auf der nationa-
len Ebene muss hinzukommen. In der deutschen Justiz
ist das bereits als Aufgabe begriffen worden. Auch dafür
sei herzlich Dank gesagt.

Dieser Gedanke hat eine Auswirkung für den Interna-
tionalen Strafgerichtshof, weil das Statut bekanntlich
den Gedanken der Komplementarität festschreibt. Das
heißt: Ein Verfahren vor dem Internationalen Strafge-
richtshof ist nur dann zulässig, wenn es auf der nationa-
len Ebene am Willen oder an der Fähigkeit zur Strafver-
folgung fehlt. Dieser Komplementaritätsgrundsatz
bringt zum Ausdruck, dass die nationalen Strafverfol-
gungsinstanzen auch nach Gründung des Internationalen
Strafgerichtshofs gefordert bleiben, und zwar primär.
Ich möchte unterstreichen, dass wir diese Botschaft sehr
ernst nehmen und deshalb Verdächtige auch und insbe-
sondere dann, wenn es sich um Deutsche handelt, selbst
verfolgen wollen, statt sie dem Internationalen Strafge-
richtshof zu überstellen. Wir tun das natürlich auch des-
halb, weil wir wissen: Wir können das, wir wollen das
und wir brauchen diesen Internationalen Strafgerichtshof
nicht unnötig zu belasten.

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung be-
schlossen, eine neue und bessere Rechtsgrundlage für
die Ahndung von Völkerstraftaten in Deutschland zu
schaffen. Eine Arbeitsgruppe, der auch Wissenschaftler
angehören, arbeitet derzeit daran. Ziel ist, mit diesem
Völkerstrafgesetzbuch den spezifischen Unrechtsgehalt
der Völkerstraftaten im deutschen Recht angemessen zu
erfassen, die Rechtsanwendung erheblich zu vereinfa-
chen und überdies ein Mehr an Rechtsklarheit und -be-
stimmtheit zu erreichen. Dies soll – meine Damen und
Herren, lassen Sie mich das sagen – vor allem auch un-
seren Soldatinnen und Soldaten zugute kommen und ih-
nen mehr Sicherheit geben. Gleichzeitig aber ist das
Völkerstrafgesetzbuch auch wegen seiner internationa-
len Symbolkraft ein wertvoller Beitrag zur weiteren
Konsolidierung des Völkerstrafrechts.

In der Tat liegt eine Menge Arbeit vor uns. Ich be-
danke mich ausdrücklich für die Arbeit der früheren
Bundesregierung. Ich bedanke mich dafür, dass Sie die
Unterstützung der jetzigen Bundesregierung zugesagt
haben. Ich danke Ihnen auch für Ihre Anregungen und
darf sagen: Unser Zeitplan ist sehr ehrgeizig. Es wäre
aber gut, wenn wir ihn einhalten könnten. Dann nämlich
würde am Ende dieses Prozesses, wenn der Internationa-
le Strafgerichtshof seine Arbeit wirklich aufgenommen
haben wird, gesagt werden können, dass Deutschland
seiner gewachsenen internationalen Verantwortung und
seiner schon immer in Anspruch genommenen rechts-
staatlichen Verantwortung, also seiner Verantwortung
für den Rechtsstaat, gerecht geworden ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409017500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1409017600
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
Die F.D.P. begrüßt nachdrücklich – das wird Sie nicht
überraschen –, dass die Bundesregierung nun mit der
Ratifizierung des Römischen Statuts des ständigen In-
ternationalen Strafgerichtshofs beginnt.

Deutschland hat bei der Einführung einer internatio-
nalen Strafgerichtsbarkeit für die völkerrechtlichen
Kernverbrechen aus guten Gründen immer eine Vorrei-
terrolle gespielt und deshalb nicht nur bei der entschei-
denden Staatenkonferenz im Sommer 1998, sondern
namentlich in dem langen Arbeitsprozess zuvor sowie in
den Detaillierungsverhandlungen seither zu den enga-
giertesten Förderern der Entwicklung gehört. Ich erinne-
re daran, dass – jedenfalls habe ich dies Pressemitteilun-
gen entnommen – zuletzt ein Vorschlag gerade auch der
Deutschen zusammen mit Kanada das sehr schwierige
Geschäft der Definition des Aggressionstatbestandes vo-
rangebracht hat.

Die Bildung eines ständigen Internationalen Strafge-
richtshofs ist im humanitären Völkerrecht in der Tat ein
Fortschritt par excellence. Es kommt damit – das ist
schon verschiedentlich betont worden, ich glaube aber,
dass es richtig ist, das noch einmal zu betonen – eine
Entwicklung ans Ziel, die, jedenfalls konkret, vor mehr
als einem halben Jahrhundert, mit den Kriegsverbre-
cherprozessen in Nürnberg 1945 bis 1949 begann und
nun die Ächtung, die Verfolgung und die Ahndung von
Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und Angriffskrieg zur erklärten Sache
der gesamten Welt macht.

Jetzt wird also ein Teil der Bemühungen um Frieden
und Menschenrechte zur normalen Pflicht des prakti-
schen Normvollzugs. Eine Aufgabe zwischenstaatlicher
Bemühungen wird zum Gegenstand der Weltinnenpo-
litik. Das ist nachhaltig zu begrüßen. Ich scheue mich

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin






(A)



(B)



(C)



(D)


ein wenig vor dem Prädikat „historisch“, aber eigentlich
wäre es hier angebracht.

Zudem wird die Dominanz militärischer Aspekte bei
der Lösung internationaler Konflikte ganz eindeutig zu-
rückgedrängt, weshalb in manchen Staaten die Militärs
heftig dagegen opponiert haben und wohl auch noch op-
ponieren.

Schließlich bekommen die Menschenrechte nachhal-
tige Verstärkung, weil ein Verstoß, wenigstens gegen ih-
re elementarsten Formen, nun nicht nur politische Reak-
tionen hervorruft, sondern direkte strafrechtliche Folgen
hat. Die Herrschaft des Rechts allgemein wird also aus-
gebaut und damit rückt die Vision einer Weltfriedens-
ordnung durch Recht ein deutliches Stück näher.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich will es bei dieser Skizze der Folgen des Schrittes

von Rom belassen; es ist schon von anderen darauf hin-
gewiesen worden. Über den Inhalt des Gerichtshofssta-
tutes im Einzelnen werden wir noch in den Ausschüssen
beraten. Aber eine kleine weiterreichende, nämlich eu-
ropäische Perspektive will ich noch hervorheben.

Seit In Kraft Treten des Amsterdamer Vertrags vor
bald einem Jahr ist der Aufbau eines gemeinsamen
Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aus-
drückliches Ziel der Europäischen Union. Es sollen
schrittweise – ich zitiere –

Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschrif-
ten über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Hand-
lungen und die Strafen

in bestimmten Bereichen organisierter Kriminalität er-
griffen werden. Das ist der Einstieg in ein europäisches
Strafgesetzbuch.

Niemand sollte sich skeptisch zurücklehnen, weil so
etwas realiter doch nicht zu erreichen sei; man wisse ja,
dass die Europäer, wenn es um ihre Rechtsordnung geht,
bockbeinig und herzlich zerstritten seien. Rom hat uns
hier eines Besseren belehrt. Was dort 150 Staaten der
ganzen Welt zustande gebracht haben, werden erst recht
die 15 in Europa schaffen können. Wir sollten also auch
den europäischen Drive des Römischen Statuts, der hier
hineingekommen ist, deutlich sehen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, mit dem Ratifikationsge-
setz verbindet die Bundesregierung den Entwurf einer
Änderung des Grundgesetzes. Auch diesen Schritt be-
grüßen wir, selbst wenn es im Einzelnen noch Klärungs-
bedarf gibt und – ich werde das gleich noch vortragen –
Präzisierungen erwünscht sind.

Die Auflösung der strikten Abschottung der eigenen
Staatsbürger gegenüber nicht heimatstaatlichen Justiz-
zugriffen ist an der Zeit; denn der Maßstab eines allein
auf sich bezogenen Nationalstaats hat seine Berechti-
gung verloren, jedenfalls für einen Staat wie Deutsch-
land im Zentrum Europas. Deutschland engagiert sich
nicht nur nachdrücklich, wie seine Verfassung besagt,
bei der Verwirklichung eines vereinten Europas, wel-
ches namentlich den gemeinsamen Rechtsraum anstrebt.

Deutschland integriert sich vielmehr auch in den Orga-
nisationen der Völkergemeinschaft und ist dazu bereit,
Hoheitsrechte zu übertragen.

Damit sind aber auch Jurisdiktionsverschiebungen
möglich, soweit gleiche rechtsstaatliche Standards der
Rechts- und Prozessordnung garantiert werden können.
Diese Garantenpflicht gegenüber den eigenen Staatsan-
gehörigen verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland,
diese Bedingungen genau einzuhalten. Deshalb muss die
Öffnung des Auslieferungsschutzes für internationale
Gerichtshöfe wohl doch noch hinterfragt werden. Soll
sie für alle Felder gelten oder nicht doch nur für Strafge-
richtshöfe? Und vor allem: Soll sie für jede zwischen-
staatliche Justizeinrichtung, jeden zwischenstaatlichen
Gerichtshof gelten, nicht nur für solche, die ausdrücklich
unter der Verantwortung der Vereinigten Nationen ste-
hen, also möglicherweise auch dort, wo wir nicht die
Garantie dafür geben können, dass die drohenden Stra-
fen, das angewendete Prozessrecht und gegebenenfalls
auch die Vollzugsordnung den Maßstäben unseres
Rechtsstaates genügen? Das eben wird dem deutschen
Staatsangehörigen von seinem Schutzverband, das heißt:
dem Staat garantiert. Und das war und ist auch die Ratio
des bestehenden Auslieferungsverfahrens.

In der Sache sind wir uns wahrscheinlich völlig einig,
dass ein einzelnes Auslieferungsgesetz in der Tat nur
zustande kommen kann, wenn der Staat, an den ausge-
liefert werden soll, das internationale Gericht, an das
ausgeliefert werden soll, die gleichen rechtsstaatlichen
Standards bewahren und gewähren, wie wir sie in
Deutschland kennen. Für eine Durchbrechung der gel-
tenden Regelungen muss dieser Maßstab ausdrücklich in
die Verfassung aufgenommen werden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409017700
Herr Kollege,
denken Sie bitte an die Zeit.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1409017800
Ja, ich denke
daran, zumal das Lämpchen hier wunderschön leuchtet.


(Heiterkeit)

„Präsident“ steht darauf, nicht „Präsidentin“; das muss
geändert werden.


(Heiterkeit – Beifall der Abg. Gudrun Kopp)

Ich bin bei meinem vorletzten Satz. Die Öffnung der

überkommenen Sperre zugunsten der Mitgliedstaaten
der EU bzw. ihrer Gerichte befürworten wir ausdrück-
lich, weil in dem europäischen gemeinsamen Raum des
Rechts diese Gewähr übernommen und erreicht werden
kann. Lassen Sie uns also in den Ausschusssitzungen auf
diesen Punkt noch einmal genauer schauen!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409017900
Jetzt erhält
Frau Kollegin Kenzler das Wort.

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig






(A)



(B)



(C)



(D)



Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1409018000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Zustandekommen des
Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs mehr als
ein halbes Jahrhundert nach den Nürnberger und Tokio-
ter Tribunalen ist zweifellos ein bedeutsames Ereignis
im internationalen Leben. Mit dem Statut wird der
rechtliche Rahmen dafür geschaffen, dass sich
Einzelpersonen, auch wenn sie hohe Ämter ausüben
oder ausgeübt haben, vor einem internationalen Gericht
wegen schwerster internationaler Verbrechen verant-
worten müssen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt
werden können.

Das Statut bestimmt die Tatbestandsmerkmale der
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegs-
verbrechen hinreichend eindeutig und übernimmt den
Tatbestand des Völkermordes aus der entsprechenden
Konvention von 1947. Es sieht eine Gerichts- und Ver-
fahrensordnung vor, die rechtsstaatlichen Erfordernissen
entspricht und einen fairen Prozess garantiert. Zum Teil
sind die Verfahrensvorschriften sogar so penibel und de-
tailliert, dass Behinderungen für ein zügiges Verfahren
zu befürchten sind.

Das Statut enthält jedoch auch wesentliche Mängel.
Wir wissen, dass es einen nach langen Verhandlungen
erreichten Kompromiss darstellt, der beinahe am Wi-
derstand der USA und anderer Staaten gescheitert wäre.
Wir wissen auch, dass der Bundestag auf den Inhalt des
Statuts keinen Einfluss mehr hat. Er kann nur Ja oder
Nein zum Ratifikationsgesetz sagen. Nach Lage der
Dinge muss man Ja sagen. Aber man muss sich der
Mängel bewusst sein, damit nicht euphorische Erwar-
tungen entstehen, die dieser Gerichtshof nicht erfüllen
kann und wird. Dazu einige Anmerkungen:

Erstens. Die USA, China, Indien und einige weitere
Staaten haben in Rom trotz aller Zugeständnisse gegen
das Statut gestimmt. Sie werden dem Statut in absehba-
rer Zeit auch sicher nicht beitreten. Andere Staaten wer-
den sich erwartungsgemäß mit der Ratifikation Zeit las-
sen. Nach Art. 124 kann ein Staat erklären, dass er sie-
ben Jahre lang, nachdem das Statut für ihn in Kraft ge-
treten ist, die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs für
Kriegsverbrechen nicht anerkennt. Verfahren können
nur in den Fällen durchgeführt werden, wo entweder der
Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Täter besitzt, oder
der Staat, in dessen Hoheitsgebiet sich das Verbrechen
ereignet hat, Partner des Statuts ist. Nach Art. 17 gilt der
Grundsatz der Komplementarität; das heißt: Der Ge-
richtshof kommt nur zum Zuge, wenn ein vorrangig zu-
ständiger Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist,
die Strafverfolgung durchzuführen.
Wann das der Fall ist, wird in einem komplizierten Ver-
fahren entschieden.

Die Überstellung mutmaßlicher Täter an den Ge-
richtshof ist mit vielen Hürden versehen. Der Gerichts-
hof wird in erster Linie auf Initiative eines Ver-
tragsstaates oder des Sicherheitsrates tätig. Dem Anklä-
ger ist es zwar erlaubt, aus eigener Initiative Ermittlun-
gen einzuleiten. Diese Eigeninitiative wird ihm aber
durch prozedurale Vorschriften schwer gemacht.

Das alles behindert von vornherein die Wirksamkeit
des Gerichts ganz erheblich. Es wurden genügend Hin-
dernisse in das Statut eingebaut, die es den Staaten er-
möglichen, ihre eigenen Bürger der Gerichtsbarkeit des
Strafgerichtshofs zu entziehen.

Zweitens. Der Gerichtshof hängt zwar nicht, wie ur-
sprünglich beabsichtigt, am Gängelband des Sicherheits-
rates – das ist zu begrüßen –, aber immerhin wird dem
Sicherheitsrat nach Art. 16 das Recht eingeräumt,
durch ein nach Kapitel VII der UN-Charta beschlossenes
entsprechendes Ersuchen für einen Zeitraum von 12
Monaten die Einleitung oder die Fortführung eines Er-
mittlungs- oder Strafverfahrens zu verhindern und durch
neuerliches Ersuchen diesen Zeitraum zu verlängern.

Das ist eine erstaunliche Beschneidung der Souverä-
nität des Gerichtshofs durch die Ständigen Mitglieder
des Sicherheitsrates. Die USA und andere ständige Mit-
glieder, die womöglich gar nicht dem Statut angehören,
bestimmen über die zeitweilige Aussetzung der Ge-
richtsbarkeit im Einzelfall.

Drittens. Scharfe Kritik verdient die Tatsache, dass
die Anwendung von Atom- und anderen Massenver-
nichtungswaffen nicht in die Tatbestandsmerkmale der
Kriegsverbrechen aufgenommen wurde. Der Einsatz
dieser mörderischen Waffen soll also in diesem Rahmen
straffrei bleiben, obwohl ein völkerrechtliches Verbot
ihrer Anwendung besteht.


(Beifall bei der PDS)

Das Verbrechen der Aggression ist zwar in Art. 5

aufgenommen; bestraft werden kann es aber vorerst
nicht. Es muss erst von den Partnern des Statuts eine Be-
stimmung angenommen werden, die dieses Verbrechen
definiert und Bedingungen für die Ausübung der
Gerichtsbarkeit im Hinblick auf dieses Verbrechen
festlegt. Dabei existiert bereits eine von der
Generalversammlung 1974 einstimmig angenommene
Definition der Aggression. Offensichtlich soll in diesem
Punkt der Gerichtshof in die Abhängigkeit von Ent-
scheidungen des Sicherheitsrates, praktisch der
Ständigen Mitglieder, gebracht werden.

Die vorgeschlagene Änderung des Art. 16 des
Grundgesetzes scheint mir eine rechtlich gebotene Kon-
sequenz aus der Verbindlichkeit des Statuts für Deutsch-
land zu sein. Wenn man die Gerichtsbarkeit des Interna-
tionalen Gerichtshofs akzeptiert, muss man natürlich
auch akzeptieren, dass Deutsche ausgeliefert werden
können.

Das Statut soll erst am ersten Tag des Monats in Kraft
treten, der auf den 60. Tag nach der 60. Hinterlegung der
entsprechenden Urkunde beim Generalsekretär der Ver-
einten Nationen folgt. Hoffentlich liegt dieser Tag nicht
mehr in allzu weiter Ferne.


(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409018100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hartenbach.






(A)



(B)



(C)



(D)



Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1409018200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir beginnen heute mit dem
Verfahren zur Ratifizierung des Gesetzes zum Römi-
schen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Er-
forderlich dazu ist auch, dass wir Art. 16 des Grundge-
setzes so weit ändern, dass in bestimmten Fällen auch
Deutsche an diesen Internationalen Strafgerichtshof und
an andere internationale Gerichtshöfe ausgeliefert wer-
den können, wenn gegen sie wegen schwerer Verbre-
chen ermittelt wird. Bei diesen schweren Verbrechen
handelt es sich um Verbrechen des Völkermords, gegen
die Menschlichkeit, um Kriegsverbrechen und – wie be-
reits gesagt – um Verbrechen der Aggression.

Eine Auslieferung erfolgt nur, wenn die Verfahren
national, also hier bei uns in Deutschland, nicht durch-
geführt werden können, etwa weil sie verjährt sind. Dies
wird in aller Regel nicht der Fall sein.

Andererseits muss man wissen, dass es selbstver-
ständlich sein muss, dass unser Land – auch und beson-
ders eingedenk unserer eigenen Geschichte – diejenigen,
die dieser schwersten Verbrechen gegen die Mensch-
lichkeit beschuldigt werden, entweder selbst verfolgt
oder, wenn eine Verfolgung nicht möglich ist, eben an
einen internationalen Strafgerichtshof ausliefert, damit
verfolgt werden kann.

Wir sind froh, dass die Bundesrepublik Deutschland
diesen Vertrag über den Internationalen Strafgerichtshof
wiederum als eines der ersten Länder ratifizieren will.
Bereits bei der Unterzeichnung des Römischen Statuts
hatte die Bundesrepublik eine Vorreiterrolle, hat gleich-
sam als Motor fungiert. Für diese positive Gestaltung
möchte ich heute den damaligen Ministern, unter ande-
rem Ihnen, Herr Schmidt-Jortzig, herzlich danken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Wir brauchen in dieser Welt dringend einen Interna-
tionalen Strafgerichtshof. Er ist notwendig und erforder-
lich, damit künftig kein Diktator in dieser Welt mehr si-
cher sein kann, dass seine Verbrechen ungesühnt blei-
ben. Ich habe mich zusammen mit Frau von Renesse vor
nicht allzu langer Zeit in Ruanda über den dortigen Ge-
nozid informiert. Wir haben uns in Tansania sehr ein-
gehend mit der Arbeit des dortigen Strafgerichtshofes
befasst. Dabei ist deutlich geworden, wie wichtig es ist,
dass entsprechende Verbrechen von einem internationa-
len Gericht geahndet werden, das alle Möglichkeiten der
Ermittlungen hat. Wer wie wir erlebt hat, dass dieser
Gerichtshof mit großer Akribie und Sorgfalt vorgeht, der
weiß, dass dies auch künftig bei allen Verfahren wegen
Verbrechen wie Völkermord und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, die leider noch immer geschehen und
geschehen werden, möglich sein muss.

Wir begrüßen es, dass in dem Vertrag alle rechts-
staatlichen Grundsätze, wie wir sie aus unserem Straf-
verfahrensrecht kennen, berücksichtigt werden. Dies ga-
rantiert auf jeden Fall, dass Verfahren – so haben wir es
auch in Afrika erlebt – nach rechtsstaatlich einwandfrei-
en Regeln durchgeführt werden. Aber das bedeutet auch,
dass Urteile solcher Gerichtshöfe ein hohes Maß an Wir-

kung in der Welt erzielen werden. Wir versprechen uns
davon, nein, wir wissen, dass der Internationale Strafge-
richtshof schon allein durch seine Existenz und die Er-
fahrungen mit den beiden anderen Strafgerichtshöfen
präventiv wirken wird, also der Verhinderung von
Verbrechen dienen wird.

Wir müssen das Grundgesetz ändern und das vorlie-
gende Gesetz ratifizieren. Unser demokratisch legiti-
mierter Rechtsstaat hat ein hohes Maß an Verantwor-
tung, dass Verbrechen des Völkermords, Verbrechen
gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in der
Welt künftig nicht mehr geschehen. Aber wir tragen
auch Verantwortung dafür, dass die Arbeit eines Straf-
gerichtshofs effektiv gestaltet wird. Das heißt, wir müs-
sen auch dafür sorgen, dass sich die Verbrecher nicht ir-
gendwo verstecken können, sondern dass sie ermittelt,
ausgemacht und ausgeliefert werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin sehr dankbar, dass wir heute – das ist fest-
stellbar – ein hohes Maß an Übereinstimmung finden.
Ich freue mich auf die künftigen Beratungen, die wir si-
cherlich ebenfalls in einem hohen Maß an Übereinstim-
mung durchführen werden. Wir stellen uns gemeinsam
der Verantwortung und werden gemeinsam etwas für die
Geschundenen dieser Welt tun können.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409018300
Jetzt hat der
Kollege Ruprecht Polenz das Wort.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1409018400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Alle Vorrednerinnen und
Vorredner haben die Einrichtung des Internationalen
Strafgerichtshofs begrüßt. Sie haben dabei das besonde-
re Engagement der Bundesrepublik Deutschland hervor-
gehoben. Wir erinnern uns daran, dass dieses Vorhaben
auch immer von allen Fraktionen und allen Parteien hier
im Haus unterstützt worden ist. Ich kann mich deshalb
den Ausführungen nur anschließen, ebenso wie dem
Dank an die frühere Bundesregierung und an die NGOs,
insbesondere Amnesty International, Human Rights
Watch, die Vereinigung europäischer Jura-Studenten,
das Lawyers‘ Committee for Human Rights und natür-
lich die internationale NGO-Coalition for an Internatio-
nal Criminal Court. Alle haben die Einrichtung eines In-
ternationalen Strafgerichtshofs zu ihrer Sache gemacht.

Ich habe zur Vorbereitung auf die heutige Debatte die
Schilderung der abschließenden Verhandlungen in Rom
nachgelesen, die der Völkerrechtsreferent im Auswärti-
gen Amt, Peter Kaul, zu Papier gebracht hat. Es ist für
die Bewertung des Erreichten wichtig, sich vor Augen
zu führen, dass es vor den entscheidenden Verhandlun-
gen in Rom 1 400 Dissenspunkte und fast 200 ver-
schiedene Optionen zu verschiedenen Stellen des Status
gab. Man muss sich also diese Meinungsverschiedenhei-
ten vergegenwärtigen, wenn man den erreichten Kom-
promiss richtig bewerten will.






(A)



(B)



(C)



(D)


Es ist ja richtig: Auf der einen Seite gibt es Staaten –
das gilt bis heute fort, und wir werden es auch in den
Folgeverhandlungen noch spüren –, die um ihre Souve-
ränität besorgt sind. Sie wollen einen eher schwachen,
mehr symbolischen Strafgerichtshof, dessen Tätigwer-
den möglichst von Einzelfallermächtigungen des Si-
cherheitsrats abhängig gemacht werden soll. Ihnen ist es
wichtig – dies ist etwa in den USA artikuliert worden –,
dass Angehörige des eigenen Staates möglichst nicht vor
diesen Gerichtshof gezerrt werden können. Dabei wird
das Ziel einer möglichst universellen Akzeptanz dieses
Strafgerichtshofs eher vorgeschoben, um das Vorhaben
selbst zu verwässern. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite stehen die gerichtshoffreundli-
chen, so genannten gleich gesinnten Staaten, darunter
die Bundesrepublik Deutschland. Wir wollen einen
möglichst effektiven, funktionsfähigen, unabhängigen
und damit glaubwürdigen Internationalen Strafgerichts-
hof. Er soll möglichst klare und obligatorische Zustän-
digkeitsregeln haben und soll seine Strafgerichtsbarkeit
immer dann ausüben können, wenn der nationale Straf-
richter seinen Aufgaben nicht oder nur ungenügend
nachgekommen ist oder diese nicht wahrnehmen konnte.

Vor diesem Hintergrund also müssen wir das Statut
bewerten. Der Außenminister hat das Abstimmungser-
gebnis in Erinnerung gerufen: 120 haben mit Ja ge-
stimmt. Es gab 7 Gegenstimmen: China, Irak, Israel,
Jemen, Katar, Libyen und die USA – also eine etwas
bunte Reihe. Es gab 21 Stimmenthaltungen, darunter In-
dien und Pakistan.

Vieles ist zur Wirksamkeit des Statuts gesagt worden;
aber man muss sich schon vergegenwärtigen, dass in den
28 Staaten, die nicht zugestimmt haben, die Hälfte der
Weltbevölkerung lebt. Also so ganz schnell wird es
überall für die Diktatoren möglicherweise noch nicht
Ernst.

Trotzdem schließe ich mich den hier vorgenommenen
Bewertungen an, weil im Ergebnis ein Statut erreicht
werden konnte, das für die Errichtung eines ausreichend
starken und unabhängigen Gerichts eine tragfähige
Grundlage bildet. Bis heute haben 94 Staaten dieses Sta-
tut unterzeichnet und sieben haben es bereits ratifiziert.
Es wird noch etwa zwei Jahre dauern, bis das Statut in
Kraft treten kann. Deshalb ist es gut, dass die Bundesre-
gierung heute das Ratifizierungsverfahren einleitet.
Frau Ministerin, wir sollten das Ziel vor der Sommer-
pause erreichen. Wenn das geschieht, wären wir bei den
Ersten, die das Ratifizierungsverfahren abgeschlossen
haben.

Dies dürfte übrigens auch für Österreich gelten. Ich
habe mich einmal erkundigt: Die neue Regierung in Ös-
terreich wird Mitte April den entsprechenden Gesetz-
entwurf ins Parlament einbringen. Nach Auskunft der
österreichischen Botschaft würde sich die jetzige Regie-
rung und vor allem die neue Außenministerin für die Ra-
tifizierung besonders engagieren. Herr Minister, es ist
vielleicht eine Chance, das bei nächster Gelegenheit
auch einmal zu registrieren und anzuerkennen.

Ich möchte noch etwas zur Haltung der USA sagen,
weil die bisherige Einlassung der Vereinigten Staaten

von Amerika außerordentlich problematisch ist. Die
Bundesregierung sollte alles tun, um die Haltung der
USA zu beeinflussen, damit auch die Vereinigten Staa-
ten dem Abkommen schlussendlich beitreten. Auch wir
als Abgeordnete haben eine Chance, dabei mitzuhelfen.

Das darf allerdings nicht um den Preis einer weiteren
Verwässerung geschehen. Die Hauptbedenken der USA
lassen sich etwa so zusammenfassen: Ein Ankläger
könnte aus politischen Gründen amerikanische Soldaten
vor dieses internationale Gericht zerren. Man will ame-
rikanische Soldaten in offizieller Mission schützen. –
Das sind die Kernbedenken.

Aber davor schützt schon der Grundsatz der Kom-
plementarität des Internationalen Strafgerichtshofs.
Sobald die USA selbst ein Strafverfahren betreiben, hat
dies Vorrang. Gemäß Art. 18 des Statuts können die
USA mit dem Hinweis auf eigene Ermittlungen errei-
chen, dass der Ankläger seine Ermittlungen um sechs
Monate zurückstellt. Wenn der Ankläger zu dem Ergeb-
nis käme, diese Ermittlungen seien nicht ernsthaft, dann
kann er dies nicht selbst feststellen und seine Ermittlun-
gen einfach wieder aufnehmen; vielmehr obliegt diese
Feststellung der Ermittlungskammer des Gerichtshofs.
Gegen deren Entscheidung kann der betroffene Staat
wiederum Berufung einlegen. Erst wenn die Berufungs-
kammer dies zurückweist, könnte der Ankläger seine
Ermittlungen fortführen.

Diese Regelungen, meine sehr geehrten Damen und
Herren, bringen den Vorrang nationaler Strafverfol-
gung nun wirklich ausreichend zum Tragen. Man geht
hier eigentlich schon ein Stück zu weit. Wenn man sich
vor Augen führt, dass der Internationale Strafgerichtshof
einen großen Fortschritt in Bezug auf den Schutz der
elementaren Menschenrechte bringt, dann haben wir
allen Anlass, den Vereinigten Staaten von Amerika vor
Augen zu halten, dass ihre ablehnende Haltung – wenn
sie denn dabei bleiben sollten – auch einen Bruch mit
der eigenen völkerrechtsprägenden Tradition der USA
bedeuten würde, die ja wesentliche Impulse für das Ent-
stehen des Völkerbundes und der Vereinten Nationen
selbst gegeben haben. Damit einher ginge auch ein er-
heblicher Glaubwürdigkeitsverlust für die Menschen-
rechtspolitik der USA. Es ist ja schwer miteinander ver-
einbar, dass das State Department über alle Staaten die-
ser Welt jedes Jahr Menschenrechtsberichte erstellt, sich
die USA aber gleichzeitig weigern, sich dem Internatio-
nalen Strafgerichtshof zu unterstellen, der, wie es in der
Präambel des Statuts heißt,

die schwersten Verbrechen, welche die internatio-
nale Staatengemeinschaft als Ganzes berühren,
nicht unbestraft

lassen will und der dazu beitragen soll,
der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen und
so zur Verhütung solcher Verbrechen beizutragen.

Wir sollten hier gemeinsam jede Chance nutzen, die
Haltung der Vereinigten Staaten im Sinne einer Zu-
stimmung zu dem Statut zu beeinflussen.

Nun gibt es noch einen weiteren Punkt, der etwas
Wasser in den Wein der Hoffnung fließen lässt: Damit

Ruprecht Polenz






(A)



(B)



(C)



(D)


Verbrecher sehr schnell einem Verfahren vor dem Inter-
nationalen Strafgerichtshof zugeführt und gegebenen-
falls verurteilt werden können, ist – das ist schon gesagt
worden – der Gerichtshof auf die Zusammenarbeit mit
den Staaten angewiesen. Er selbst hat dazu nämlich kei-
ne eigenen Möglichkeiten. Rechtlich zu dieser Zusam-
menarbeit sind aber nur die Vertragsstaaten verpflichtet.
Auch deshalb kommt es auf eine möglichst breite Basis
bei der Ratifizierung an. Wenn der oder die Angeklagte
dem Gericht nicht überstellt wird, dann kann überhaupt
nicht verhandelt werden. Wir haben diese Erfahrung ja
mit den zur Fahndung ausgeschriebenen Karadzic und
Mladic gemacht. Wir wollen einmal sehen, ob sie noch
dem eigentlich für im ehemaligen Jugoslawien begange-
ne Verbrechen vorgesehenen Gerichtshof überstellt wer-
den.

Ich möchte aber schon darauf hinweisen, Herr Minis-
ter – über den Punkt werden wir auch in einem anderen
Kontext noch sprechen müssen –, dass das Defizit an
internationalen Polizeikräften immer mehr zu einem
Problem wird, das wir nicht nur jetzt in Bosnien und im
Kosovo feststellen, sondern das sich zunehmend auch
zeigen wird, wenn der Internationale Strafgerichtshof
seine Arbeit aufnimmt. Hier müssen wir in Deutsch-
land – wir engagieren uns im Kosovo und in Bosnien in
vorderer Linie mit unseren Polizeikräften, aber sicher-
lich immer noch nicht ausreichend – auch darüber nach-
denken, ob nicht die Schnittstellen zwischen Militär und
Polizei ein Stück weit neu definiert werden müssen.
Diese Debatte brauchen wir heute nicht zu führen, aber
sie wird auf uns zukommen.


(Bundesminister Joseph Fischer: Aber nicht im Inneren!)


– Nicht im Inneren, aber die Schnittstellen im Äußeren
stehen zur Debatte, zum Beispiel die Frage, ob die Bun-
deswehr, Herr Minister, dafür zuständig war bzw. wäre,
Kriegsverbrecher sozusagen im polizeilichen Sinne zu
verfolgen und sicherzustellen. Diese Debatte haben wir
ja geführt. Es zeigte sich, dass es diese Schnittstellen
gab.

Unsere Fraktion wird dem Statut zustimmen. Es wird
mit breiter Mehrheit in diesem Hause – ich denke, ein-
stimmig – ratifiziert werden. Das ist auch gut so.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409018500
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Margot von Renesse.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1409018600
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Es hat uns schon
gut getan, dass uns, als wir, der Kollege Hartenbach, die
Kollegin Lilo Friedrich und ich, in Ruanda waren, bei
dem Internationalen Gerichtshof in Arusha, der sich mit
dem Völkermord in Ruanda beschäftigt, immer wieder
gesagt wurde, als wie gut man die Rolle Deutschlands

bei den Verhandlungen zu den Römischen Verträgen er-
lebt hat und wie sehr sie noch in Erinnerung ist.

Das hat uns umso mehr gut getan, als bei der Lektüre
des ersten Urteils jeder Deutschen und jedem Deutschen
die zweite Rolle förmlich entgegensprang, die wir bei
der Entwicklung des internationalen Strafrechts gespielt
haben, zumal wenn dieses sehr stark durch Common
Law, also durch das starke Gewicht der Proceedings ge-
prägt ist; denn wesentliche Proceedings stammen aus
Nürnberg. Dass in einem Urteil, das in Arusha in Tansa-
nia, im schwärzesten Afrika, gefällt wurde, immer wie-
der deutlich zu sehen ist, dass Nürnberg, der Eichmann-
Prozess und der Barbie-Prozess die Entwicklung des in-
ternationalen Strafrechts geprägt haben, war auch ein
Erlebnis. Beides sollte man im Auge behalten, wenn
man die Verantwortung Deutschlands für diesen großen
Schritt, den wir gehen, bedenkt und wenn man mit Stolz,
aber eben auch mit dem Gefühl für die eigene Geschich-
te an dieses Thema herangeht.

Die alte Bundesregierung hat es gut gemacht, und die
neue muss es gut machen und sich auch darin bewähren,
wie es weitergeht. Dazu äußere ich eine erste Bitte: Es
hat mir nicht gut getan, dass wir im juristischen Staff in
Arusha nicht vertreten waren. Die juristische Pipeline
zwischen Deutschland und dem auch von unserer Ver-
gangenheit geprägten Strafrecht wäre für die Entwick-
lung einer internationalen Law-Family wichtig, weil wir
nun einmal leidvolle Erfahrungen gesammelt haben. In
Arusha ist auch deutlich vermerkt worden, dass dieses
Engagement bisher nicht in dem Umfang vorhanden
war, wie es hätte sein können und vielleicht hätte sein
sollen.

Meine zweite Bitte: Die Frau Justizministerin hat
schon angedeutet, dass das Engagement für den Interna-
tionalen Gerichtshof mit dem, was wir jetzt gesetzlich
beschließen, noch nicht abgeschlossen ist. Vielmehr
müssen wir auch die Zusammenarbeit mit Gerichtshö-
fen, die es schon gibt, und dem Ständigen Gerichtshof,
den es hoffentlich bald geben wird, tatsächlich beför-
dern. Dazu gehört – auch das ist eine Erfahrung aus
Arusha – die Unterstützung der Zeugenschutzprogram-
me, insbesondere, Kollegin Lilo Friedrich, in Bezug auf
Zeuginnen, die, wenn es um Menschenrechtsverletzun-
gen geht, ihre Existenz und mitunter ihr Leben aufs
Spiel setzen, wenn sie wahrheitsgemäß aussagen. Dazu
gehört – das sage ich an die Adresse der jetzigen Oppo-
sition –, dass man als Unterstützerstaat in Einzelfällen
auch bereit sein muss, die Existenz von Zeuginnen und
Zeugen durch Aufnahme im eigenen Land mit veränder-
ter Identität zu garantieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichtshö-
fen bedeutet mehr als nur ein Lippenbekenntnis. Wir
wissen das und ich weiß, dass gerade auch bei der Bun-
desregierung diese Erkenntnis vorhanden und dieses
Thema gut aufgehoben ist. Wir tun einen Schritt zum
Frieden. Gerade weil wir in Arusha und in Ruanda wa-
ren, haben wir gesehen, wie aus den nicht aufgearbeite-
ten, traumatisierenden Erlebnissen der Vergangenheit

Ruprecht Polenz






(A)



(B)



(C)



(D)


neuer Hass und neue Rachebedürfnisse entstehen. Die
internationale Zivilgesellschaft braucht nicht nur die
Bedrohung der Machthaber, sondern auch das Gefühl
der Gerechtigkeit für die Opfer.

Merkwürdigerweise hat der Internationale Gerichts-
hof Auswirkungen auf die ruandische Strafjustiz. Die
Zurückdrängung der Todesstrafe ist ein Ergebnis der
Wirkung von Arusha: In Ruanda wird die Todesstrafe
nicht mehr vollzogen und in dem neuen Gerichtsverfah-
ren demnächst wohl auch dann, wenn es um Völkermord
geht, abgeschafft. Das ist ein großer Erfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich möchte das Wort, das die Justizministerin auf
schönem Latein an den Anfang gestellt hat, „Fiat iustitia
ne pereat mundus“, durch ein noch viel älteres Wort er-
gänzen: „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk, Verbrechen ist
der Menschheit Verderben.“


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409018700
Ich schließe
damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überwei-
sung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/2668
und 14/2682 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf auf
Drucksache 14/2668 soll zusätzlich an den Auswärtigen
Ausschuss überwiesen werden. Gibt es anderweitige
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.

Globalisierung als Chance: Der Weg nach
vorne für Europa

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Rolf Kutzmutz, Dr. Uwe-Jens Rössel, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS

Soziale und demokratische Weltwirt-
schaftsordnung statt neoliberale Globali-
sierung

– Drucksachen 14/1132, 14/954, 14/2028 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hartmut Schauerte

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort geht zuerst an
die beiden antragstellenden Fraktionen, zunächst an die
Abgeordnete Gudrun Kopp, F.D.P.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1409018800
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Herren und Damen! In einer halben Stunde kann
man so ein Thema, welches das weite Gebiet der Globa-
lisierung umfasst, natürlich nicht abhandeln. Deshalb
möchte ich ganz kurz auf einen liberalen Zukunftsent-
wurf für unsere Gesellschaft im europäischen wie auch
im globalen Gefüge eingehen.

Das Besondere an diesem Antragstext ist, dass
dieser – bis auf minimale Änderungen – aus der Feder
von Bundeskanzler Schröder und von dem britischen
Premier Blair stammt. Große Elemente dieses Textes
können wir, die Liberalen, voll und ganz unterstützen;
denn sie entsprechen unserem Parteiprogramm aus dem
Jahre 1997. Sie finden darin Forderungen nach Über-
nahme von Eigenverantwortung des Einzelnen, dem nö-
tigen Umbau der Sozialsysteme, spürbaren Steuerentlas-
tungen gerade für den Mittelstand, notwendiger Entbü-
rokratisierung und Flexibilisierung am Arbeitsmarkt.
Kurzum: Mit diesen Forderungen soll Deutschland fit
gemacht werden für den globalen Wettbewerb.

Im Kanzler-Credo heißt es wörtlich: „Soziale Gerech-
tigkeit lässt sich nicht an der Höhe der öffentlichen Aus-
gaben messen.“ Es heißt weiter: Ohne ideologische
Vorbedingungen wolle er – der Bundeskanzler – nach
praktischen Lösungen für Probleme suchen, mit neuen
Konzepten für veränderte Realitäten.

Diese Auffassung ist zu begrüßen. Unsere Unterstüt-
zung hierfür ist aber absolut nicht als programmatische
Annäherung an die SPD zu verstehen. Denn Vorsicht:
Bei uns zählen allein die Taten. Nur diese sprechen für
Glaubwürdigkeit der Politik gegenüber den Bürgern.


(Zuruf von der SPD: Gucken Sie einmal nach Wiesbaden!)


Ich komme damit gleich zu einem wichtigen Thema
in Deutschland, zu dem Ladenschluss. Hilmar Kopper
hat uns kürzlich wissen lassen, dass man sich beispiels-
weise in den USA über unseren Streit hinsichtlich der
Ladenschlusszeiten köstlich amüsiert. Hierzu heißt es
sowohl in dem Schröder/Blair-Papier als auch in unse-
rem Antrag:

Dienstleistungen kann man nicht auf Lager halten:
Der Kunde nutzt sie, wie und wann er sie braucht –
zu unterschiedlichen Tageszeiten ... Wir brauchen
nicht weniger, sondern mehr Flexibilität.

– Absolut richtig!

(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: So ist es!)


Ich hoffe, dass es für unseren Gesetzentwurf zur Ab-
schaffung des Ladenschlusses an Werktagen auch eine
entsprechende Mehrheit geben wird.


(Beifall bei der F.D.P. – Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Wir denken nicht daran! Unerhört!)


Doch Bundeskanzler Schröder und auch Wirtschaftsmi-
nister Müller sehen hier leider keinen Handlungsbedarf.
Das ist sehr bedauerlich.


(Zustimmung bei der F.D.P.)


Margot von Renesse






(A)



(B)



(C)



(D)


Oder blicken wir auf den wichtigen E-Commerce,
den Internet-Handel, dessen Nutzerkreis von heute circa
11 Millionen Personen nach europäischen Schätzungen
bis zum Jahre 2001 auf sage und schreibe 39 Millionen
Nutzer sprunghaft steigen wird. Dazu hat mir Herr
Staatssekretär Mosdorf schriftlich erklärt, dass diese At-
traktivität des Internet-Handels in erster Linie an der
Tatsache liegt, dass es im Internet keinerlei Öffnungsbe-
grenzungen gibt. Wenn wir fit für die Zukunft und für
die Globalisierung sein wollen, dann müssen wir noch
einiges nachholen, damit wir auch den traditionellen
Handel in die Lage versetzen, sich in diesem Bereich ei-
nen Marktanteil zu sichern.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Das Problem lösen Sie mit dem Ladenschluss, was? Nicht zu glauben!)


Oder blicken wir auf die Rentendiskussion. Im Pa-
pier heißt es dazu: „Die sozialen Sicherungssysteme
müssen sich den Veränderungen in der Lebenserwar-
tung, der Familienstruktur anpassen.“ Dazu kann ich nur
sagen: sehr richtig. Dann wird es Zeit – das sage ich be-
sonders zur SPD-Fraktion –, sich nicht länger gegen die
Einführung des demographischen Faktors zu sperren.

Besonders bedeutungsvoll ist es, wenn es heißt – ich
zitiere –, der Staat solle schädliches Marktversagen
nicht korrigieren. Das ist richtig. Nur, ich habe noch die
wirklich sehr medienwirksame Holzmann-Rettung in Er-
innerung und verweise in diesem Zusammenhang auch
gleich auf den Antrag der F.D.P.-Fraktion, auf bestehen-
de Tarifverträge mit Öffnungsklauseln zu reagieren, da-
mit auf betrieblicher Ebene zwischen Unternehmern und
Arbeitnehmern Vereinbarungen getroffen werden kön-
nen, die dem jeweiligen Zustand des Unternehmens tat-
sächlich entsprechen.

Ich stelle fest: Wir sind noch ein ganzes Stück vom
Fitmachen unseres Landes für die Globalisierung ent-
fernt. Ich freue mich ganz besonders auf die Arbeit in
der Enquete-Kommission „Globalisierung“, in der wir
sicherlich einzelne Punkte sehr genau herausarbeiten
werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409018900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ursula Lötzer.


Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409019000
Frau Präsidentin! Kolleginnen
und Kollegen! Die Globalisierung schreitet tatsächlich
mit Riesenschritten voran. Die politische Gestaltung, die
wir im Gegensatz zu Ihnen eher wollen, hinkt hinterher,
und unserer Meinung nach hinkt die Regierung mit.

Mit unserem Antrag wollen wir der Diskussion um
die politische Gestaltung Beine machen. Allen, die nur
die Fortschritte der Globalisierung und des Fitmachens
im Wettbewerb feiern, möchte ich mit dem Schlussdo-
kument der UNCTAD-Konferenz der letzten Woche sa-
gen: Die Einkommensunterschiede bleiben groß, die

Anzahl der armen Menschen ist gewachsen, Ungleichge-
wichte in der internationalen Ökonomie haben zuge-
nommen, die Instabilität der internationalen Finanz-
architektur bleibt ein ernstes Problem.

Viele Redner forderten in Bangkok den Abbau von
Handelsbeschränkungen zumindest für die 48 ärmsten
Länder. Das Ergebnis war eher eine Beerdigung erster
Klasse. Vorschläge zur Lösung des Konflikts um soziale
Mindeststandards durch einen Mindestlohn für arme
Familien, wenn sich diese dazu verpflichten, ihre Kinder
in die Schule zu schicken, und im Gegenzug ein weitge-
hender Verzicht auf die Rückzahlung von Schulden
durch die Entwicklungsländer erklärt wird, sind ins Lee-
re gelaufen. In Bangkok mahnte der malaysische Pre-
mierminister die Neuordnung der internationalen Fi-
nanzarchitektur an und stellte fest: Solange es sie nicht
gibt, müssen wir damit rechnen, dass das Wirt-
schaftssystem weltweit instabil bleibt.

Peter Nunnenkamp vom Institut für Weltwirtschaft in
Kiel kommentiert: Die Reform kommt nicht voran. Die
Positionen der G 20 sind unvereinbar, die internationa-
len Banken verlegen sich auf Blockade. – Eine Antwort
darauf geben Sie im Jahreswirtschaftsbericht nicht.

Circa ein Fünftel des Weltsozialproduktes wird von
den multinationalen Konzernen produziert, erklären
Sie, Kollege Mosdorf, in Ihrer Presseerklärung zur
UNCTAD-Konferenz. Wir haben in unserem Antrag
Maßnahmen dagegen vorgeschlagen. Doch während die
französische Regierung mit einem Maßnahmenkatalog
Front gegen Firmenübernahmen macht, bringen Sie das
Fusionskarussell mit der Steuerreform weiter in
Schwung. Dass Sie jetzt ein Expertengremium dafür ein-
richten, ist ein längst überfälliger, aber zumindest ein
erster Schritt.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Ein NGO-Vertreter resümierte die Ergebnisse in

Bangkok so:
Sie haben die Armut wie einen Fußball behandelt:
sich gegenseitig die Pässe zugespielt, aber nie auch
nur versucht, ein Tor zu schießen.

In der Diskussion hier sind noch nicht einmal die Pässe
angekommen, die wir mit unserem Antrag zu schlagen
versucht haben. Ich denke, die gesellschaftliche Ausein-
andersetzung, zum Beispiel die Kampagne zur Regulie-
rung der Finanzmärkte, die gerade europaweit begonnen
hat, gewerkschaftliche Auseinandersetzungen und
NGOs werden dazu beitragen, Sie eines Besseren zu be-
lehren.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409019100
Das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1409019200


Gudrun Kopp






(A)



(B)



(C)



(D)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist eine sehr bizarre Debatte, die wir heute führen. Von
der PDS wird uns vorgehalten, wir würden uns zu sehr
auf die Marktwirtschaft konzentrieren. Die F.D.P. zitiert
aus einem Dokument des Bundeskanzlers und des briti-
schen Premierministers. Wir befinden uns in der Neuen
Mitte und fühlen uns auf beiden Seiten sehr wohl.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind sehr sicher, dass dies der richtige Kurs ist.
Lassen Sie mich zur PDS sagen: Ich komme gerade

von der UNCTAD-Konferenz aus Bangkok zurück.
Wenn auf dieser Konferenz eines klar geworden ist,
dann das, dass die Schwellenländer und die Entwick-
lungsländer festgestellt haben, dass Direktinvestitionen
heute eine viel größere Bedeutung haben als öffentliche
Entwicklungshilfe, die auch weiterhin gesehen wird.
Das ist die Kernthese: Länder, deren Märkte über eine
längere Zeit relativ weit geöffnet sind, haben doppelt so
hohe Wachstumsraten, haben doppelt so positive Ent-
wicklungschancen wie abgeschottete, protektionistische
Märkte. Deshalb unterscheiden wir uns von Ihrem Poli-
tikkonzept, das noch aus der alten Zeit stammt und
nichts mit den modernen Anforderungen zu tun hat.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur F.D.P.
kommen. Frau Kopp, ich habe Ihre Ausführungen mit
großem Vergnügen verfolgt. Ich sehe auch mit großem
Interesse, dass Graf Lambsdorff der F.D.P. empfiehlt,
auf die SPD zuzugehen,


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Die sind ganz erschrocken!)


und klarmacht, dass die SPD im Bund eine vernünftige
Politik betreibt. Er hat im Bund eine Koalition der
F.D.P. mit der SPD vorgeschlagen. Möllemann hat vor-
geschlagen, man solle endlich die Brandmauern zwi-
schen F.D.P. und SPD einreißen.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Globalisierung ist das Thema!)


Das sind interessante, neue Töne. Dass Sie nun auch
noch ein ganzes Dokument abschreiben, hätte nicht sein
müssen. Aber Sie haben es getan und damit gleichzeitig
gesagt, dass wir im Grunde auf einem richtigen Kurs
sind.

Meine Damen und Herren, ich habe mir einmal die
Mühe gemacht, Ihren Antrag genau anzuschauen. Mir ist
aufgefallen, dass Sie einige wenige Sätze aus dem Do-
kument weggelassen haben.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Richtig!)

Einer dieser Sätze ist für uns Sozialdemokraten ein ganz
kardinaler Satz. Es heißt nämlich in dem Dokument, das
Gerhard Schröder und Tony Blair unterschrieben haben:
Wir unterstützen eine Marktwirtschaft, nicht aber eine
Marktgesellschaft.
Den Satz haben Sie weggelassen. Daran ist der Unter-
schied zu erkennen. Wir sind der Auffassung, dass
Marktwirtschaft Sinn macht und das Marktwirtschaft

der beste Regelungsmechanismus ist. Wir sind aber da-
gegen, dass man den Markt auf gesellschaftliche Ver-
hältnisse überträgt. Wir sind gegen eine Marktgesell-
schaft, genauso wie wir gegen eine Machtgesellschaft
sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir fällt auch auf, dass Sie den Bezug zum Bündnis
für Arbeit weggelassen haben.


(Zuruf von der F.D.P.)

– Nein, das ist schon ein wichtiger Punkt. Sie müssen
einmal etwas zuhören und versuchen, das zu verarbeiten.

Mir ist aufgefallen, dass Sie den ganzen Bereich, der
in Holland, in Dänemark und auch bei den Briten eine
große Rolle gespielt hat, das, was wir im Bündnis für
Arbeit organisieren, einen Dialog zwischen gesell-
schaftlichen Gruppen, weggelassen haben. Nun werfe
ich Ihnen nicht vor, dass Sie den ganzen Steuerentlas-
tungsteil weggelassen haben, der in dem Papier steht.
Denn das Papier, das Sie vorgelegt haben, stammt vom
11. Juni. Zu diesem Zeitpunkt war unser Steuerkonzept
noch nicht auf dem Markt. Aber Sie müssen doch
zugeben, Frau Kopp, dass wir eine Steuerkonzeption
vorgelegt haben, die – das sehen wir anders als die
PDS – uns weiterhilft und die Dynamik und Wachstum
in unseren Markt bringt.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Aber nicht für den Mittelstand!)


Das können Sie deshalb in Ihrem Dokument durchaus
weglassen, weil wir das schon selber machen.

Es gibt einen weiteren Punkt, den Sie weggelassen
haben: die ökologische Steuerreform. Da haben wir
gesagt, dass wir die Kosten der Arbeit senken wollen,
die sehr hoch sind. In Ihrer Regierungszeit sind die
Lohnnebenkosten exorbitant gestiegen, sie sind eine
enorme Belastung geworden. Wir haben uns dazu
durchgerungen, diesen – nicht bequemen – Weg der
Ökosteuer zu gehen und haben gesagt: Lasst uns versu-
chen, alles zu tun, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu
verbessern und gleichzeitig zwei Effekte zu erzielen,
nämlich den Faktor Arbeit zu entlasten und gleichzeitig
Incentives zu geben, damit der Energieeinsatz in Zu-
kunft effizient erfolgt.
Es gibt noch eine andere Sache, Frau Kopp, die auch für
die F.D.P. interessant ist. Sie haben nämlich in Ihr Pa-
pier, dessen Inhalt Sie aus dem Schröder-Blair-Papier
sozusagen abgeschrieben und das Sie als Antrag in den
Deutschen Bundestag eingebracht haben, den Satz über-
nommen:

Ein aktiver Staat in einer neu verstandenen Rolle
hat einen zentralen Beitrag zur wirtschaftlichen
Entwicklung zu leisten.

Das ist ein ganz wichtiger Satz. Mir war bekannt, dass
Ihre bisherige Linie war: Wirtschaft findet in der Wirt-
schaft statt. Der Staat kam da nicht vor. Wir haben die
Vorstellung von einem aktiven Staat, der allerdings
nicht so sein darf, wie wir ihn übernommen haben, näm-

Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf






(A)



(B)



(C)



(D)


lich mit 49 Prozent Staatsquote. Diese Staatsquote wol-
len wir zurückführen. Wir wollen aber nicht zurück zum
Nachtwächterstaat. Wir wollen einen leistungsfähigen,
modernen Staat. Dass Sie diesen Kernsatz in Ihrem An-
trag haben, lässt mich hoffen, dass wir, was die Rolle
des Staates angeht, in vernünftiger Weise zu einer inte-
ressanten Diskussion kommen.

Darüber hinaus haben Sie in Ihren Antrag einen Satz
aufgenommen, den Gerhard Schröder und Tony Blair
ausdrücklich gewollt haben:

Armut, insbesondere unter Familien und Kindern,
bleibt ein zentrales Problem. Wir brauchen gezielte
Maßnahmen für die, die am meisten von Marginali-
sierung und sozialer Ausgrenzung bedroht sind.

Das ist ein wichtiger Satz, der sich auf den Zustand un-
seres Landes bezieht. Dafür waren Sie 16 Jahre verant-
wortlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir machen jetzt die Kindergeldreform und wir entlas-
ten die Familien. Ich finde es gut, dass Sie diesen Satz
aufnehmen, denn das ist ein programmatischer Fort-
schritt gegenüber der Regierungszeit der F.D.P., den wir
vermerken sollten.

Außerdem übernehmen Sie aus dem Dokument von
Gerhard Schröder und Tony Blair den Satz:

Wir sollten sicherstellen, dass die Ausbildung eine
wesentliche Rolle in unseren aktiven Arbeitsmarkt-
politiken für Arbeitslose und die von Arbeitslosig-
keit betroffenen Haushalte spielt.

Auch das ist ein wichtiger Satz. Aber wenn ich mir Ihre
Kommentierung unseres JUMP-Programms ansehe,
wenn ich mir ansehe, wie Sie heruntermachen, was wir
für junge Leute tun, gerade für diejenigen, die arbeitslos
sind und keinen Ausbildungsplatz finden, stelle ich fest,
dass es eine Differenz zwischen dem Antrag, den Sie
uns hier vorlegen, und Ihrer praktischen Politik gibt. Das
darf man nicht durchgehen lassen.


(Beifall bei der SPD)

Es soll ja so sein, dass es uns allen ein bisschen Spaß

macht, solche Dinge zu diskutieren. Mein Vorschlag an
die F.D.P. wäre: Nehmen Sie das komplette Dokument
von Gerhard Schröder und Tony Blair und verabschie-
den Sie es auf Ihrem F.D.P.-Bundesparteitag. Erst dann
sind Sie glaubwürdig.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Offenes Werben um die F.D.P.!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409019300
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Erich Fritz.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1409019400
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Kollege Mosdorf, ich finde es
schön, dass jetzt, da der Lenz naht, die Werbegespräche

anfangen und dass Sie die Signale aus der F.D.P. auf-
fangen. Auch die grünen Kollegen werden schon ganz
unruhig. Sie trauen sich gar nicht mehr in diese Debatte.


(Lachen und Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie Herr Kollege Mosdorf, haben gerade in Anleh-
nung an den Antrag der F.D.P. gesagt, Sie wollten die
Staatsquote deutlich senken. Mir fällt auf, dass Sie die-
ses Ziel verfolgen, indem Sie die Staatsquote erst einmal
von 48 auf 50 Prozent steigern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir hatten nämlich 1998 eine Staatsquote von
48 Prozent, während wir jetzt bei 50 Prozent liegen. Wir
haben sie trotz der hohen Lasten der deutschen Einheit
von 51 auf 48 Prozent reduziert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist es! Jawohl!)


Ich hätte es begrüßt, wenn wir über das Thema Glo-
balisierung in einem anderen Zusammenhang etwas
ernsthafter hätten diskutieren können als auf der Grund-
lage dieser beiden Anträge. Auch wir hatten einen An-
trag. Wir haben die Diskussion im Plenum mit unserem
Antrag damals erst vor der Ministerkonferenz der WTO
in Seattle erreicht. Dann hat es eine Diskussion im Aus-
schuss darüber gegeben und damit war der Diskussions-
bedarf für meine Begriffe eigentlich erschöpft.


(Beifall der Abg. Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD])


Ich finde es nicht in Ordnung, dass man hier eine so
seltsame Debattenkultur pflegt, die niemandem etwas
bringt.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Da hat der Kollege Fritz Recht!)


Eigentlich hätten wir mit dem vorhergehenden Ta-
gesordnungspunkt einen Ansatzpunkt für einen zweiten
Aspekt gehabt, nämlich wie man so etwas wie eine
Weltinnenpolitik gestalten kann. Bei diesem Tagesord-
nungspunkt ist über den Internationalen Strafgerichtshof
diskutiert worden. Er ist ein wesentliches Element einer
solchen weltweiten politischen Gestaltung.

Wir müssen im Zusammenhang mit der Globalisie-
rung eine ähnliche Diskussion führen. Da haben wir ei-
ne seltsame Ausgangslage: Die PDS bekämpft den Neo-
liberalismus, und zwar ungefähr so wie früher die DDR
den imperialistischen Monopolkapitalismus, nämlich
ohne jede selbstkritische Anwandlung.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Dann haben Sie entweder das Erste oder das Zweite nicht verstanden!)


Das Feindbild ist klar. Es steht fest und wird bekämpft.
In der Gegenwart sind Sie noch nicht richtig angekom-
men.

Die SPD – einige wenige Ausnahmen gibt es; das
will ich zugestehen – verschweigt die Vorteile, die in
der Globalisierung stecken, drückt sich nach wie vor da-

Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf






(A)



(B)



(C)



(D)


vor, aus ihrem traditionellen wirtschaftlichen Denken
herauszukommen, und diskutiert zum überwiegenden
Teil aus der Sicht der Nachteile und der Gefährdungen,
die es ohne Zweifel auch gibt. Aber Zukunft gewinnt
man eben nicht durch Reparaturgeschäfte und die Dis-
kussion darüber, sondern durch Gestaltungskraft und
den Mut, Freiheit und Eigenverantwortung Raum zu ge-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die F.D.P. spricht über die Vorteile der Globalisie-

rung und kümmert sich nach meiner Auffassung viel zu
wenig um die neu entstehenden Ungleichheiten und die
Geschwindigkeit dieses Prozesses, die natürlich zu mas-
siven Verwerfungen führen kann, die man auch im Blick
haben muss, wenn man sich um das Ganze kümmern
will.

Wir denken, dass wir mit unserer Aufmerksamkeit
beide Seiten gleichwertig bedienen. Wenn wir genau
hinschauen, dann erleben wir eine Beschleunigung des
Globalisierungsprozesses, die politisch gewollt begon-
nen hat und nach der Auflösung der Blöcke sinnvoll ist,
die aber durch sich selbst steuernde Faktoren angetrie-
ben wird.

Gesunkene Transportkosten beschleunigen die Ar-
beitsteilung. Schnelle, uneingeschränkte Kommunikati-
onsverbindungen im Zusammenhang mit verändertem
Anlageverhalten von Sparern bzw. Kapitalanlegern er-
möglichen effektivsten Kapitaleinsatz und führen –
Rückschläge sind natürlich nie ausgeschlossen – zu ei-
nem beschleunigten weltweiten Wachstum. Die wissen-
schaftliche Forschung bringt heute in kürzester Zeit eine
Fülle neuer Ergebnisse und verbreitert die wirtschaftli-
chen Betätigungs- und Handlungsbereiche mit einer Ge-
schwindigkeit, wie sie vorher nicht vorstellbar war.

Aber sie erhöht auch die Geschwindigkeit der Not-
wendigkeit des Strukturwandels in den entwickelten
Volkswirtschaften. Sie stellt uns vor Anpas-
sungsleistungen und -notwendigkeiten und verlangt von
uns, dass wir uns auf unbequeme Veränderungen
einstellen, vor denen man sich gerne drückt, vor allen
Dingen dann, wenn man einen solchen populistischen
Wahlkampf gemacht hat wie zu Lafontaines Zeiten.
Man muss den Menschen schon erklären, dass aus den
Vorteilen, aus den Wohlstandsgewinnen und aus den
entstehenden Freiheitsräumen auch Nachteile, Schwie-
rigkeiten und erhöhte Anforderungen erwachsen im Hin-
blick auf höhere Qualifikation, größere Flexibilität und
all das, was damit zusammenhängt.

Das, was ich gerade beschrieben habe, führt zu stei-
gender Produktivität und höherer Effizienz. Das ist sehr
gut für diese Welt und davon profitieren übrigens nicht
nur die großen Industrieländer.

Der Kapitalexport bringt Vorteile für Anleger in den
reichen Ländern, aber auch für die Arbeitskräfte in den
Aufholländern, wie ich es einmal nennen möchte. Der
Handel, der das Ganze durch die entstehende Arbeitstei-
lung noch einmal beschleunigt, ist sowohl für uns als
auch für die arbeitende Bevölkerung in den sich entwi-
ckelnden Ländern von Vorteil. Allerdings stellt er bei

uns weniger Qualifizierte vor große Probleme. Deshalb
ist die Entwicklung der Wissensgesellschaft, die Ent-
wicklung zu höherer Qualifikation das eine, die sozial-
politische Aufgabe aber, wie man mit denjenigen um-
geht, die in diesem Zusammenhang nicht mehr mit-
kommen, das andere.

Angesichts dieser Beschleunigungsprozesse in den
letzten Jahren wird immer deutlicher, dass sich die An-
forderungen an politisches Handeln und Regieren
verändern. Sie verändern sich schneller, als mancher das
wahrhaben will. Die Denkgewohnheiten müssen verän-
dert werden. Sowohl die Finanzkrise in Asien als auch
das Zurückfallen der afrikanischen Länder zeigt, dass
„good governance“ unerlässlich ist, wenn man diese
Prozesse gestalten will und wenn man an den positiven
Effekten, die daraus zu erzielen sind, beteiligt sein will.
Dazu gehört aber auch, dass man protektionistische Me-
thoden außen vor lässt und nicht der Gefahr erliegt, sich
dieser wieder zu bedienen. Das wiederum verlangt, dass
man den Menschen deutlich sagt, was auch in unserem
Land im Hinblick auf die Steuerpolitik, die Politik der
sozialen Systeme, auf Flexibilisierung und Deregulie-
rung verändert werden muss.

Das Zweite: Eine entgrenzte Wirtschaft kann nicht
mit nationalstaatlich begrenzter Politik gestaltet werden.
Wir alle wissen, dass es kompliziert ist, multilaterale
Rahmenbedingungen herzustellen; das geht allemal
langsamer als das, was sich durch wirtschaftliche Tätig-
keit vollzieht. Multilaterale Rahmenbedingungen im Ar-
beits- und Umweltbereich, Mindeststandards, Regelun-
gen im Kapitalverkehr, für Investitionen und die Wett-
bewerbsordnung müssen entstehen; ihr Fehlen verstärkt
nämlich genau das Gefühl, man sei diesem Prozess
hoffnungslos ausgeliefert. Dieses Gefühl gibt es aber
nicht nur in benachteiligten Entwicklungsländern, das
gibt es auch bei uns.

Deshalb denke ich, das Parlament hat allen Anlass,
diesen Zusammenhängen noch mehr und intensiver zu
begegnen, als wir es bisher getan haben.

In Seattle, bei der WTO-Ministerkonferenz ist wohl
ziemlich deutlich geworden, dass es – einmal unabhän-
gig von dem tatsächlichen Ablauf, der sehr stark durch
die Taktik der US-Position bestimmt war – die Chance
gibt, zu vernünftigen Regelungen zu kommen, dass es
die Chance gibt, dass sich die Entwicklungsländer als
einheitliche Gruppe – oder vielleicht auch als zwei
Gruppen – formieren und die Furcht etwa vor der Rege-
lung und der Einführung von Mindeststandards in dem
Maße verlieren werden, in dem klar ist, dass es sich
nicht um protektionistische Maßnahmen der Industrie-
länder handelt, sondern dass es darum geht, ihren eige-
nen Fortschritt zu befördern und sich selbst die Mög-
lichkeit zu geben, Humankapital zu bilden, das dann in
Zukunft Wertschöpfung auf einer höheren Ebene erbrin-
gen kann.

Ich bin der Ansicht, dass die geschilderten Verhand-
lungen auch eine andere Art des Regierungshandelns
verlangen. Der Unterausschuss „Globalisierung“ wird
sich voraussichtlich demnächst in dieser Richtung be-
merkbar machen. Ich denke, dass unsere Art der Res-

Erich G. Fritz






(A)



(B)



(C)



(D)


sortpolitik überhaupt nicht mehr in diese Zeit passt und
dass sich da etwas verändern muss.

Ich finde auch, dass viele Recht haben, die sagen,
dass es einen Weg geben muss, diese multilateralen,
fundamentale Richtungsentscheidungen treffenden Ver-
einbarungen stärker demokratisch und damit parlamen-
tarisch zu begleiten. Ich habe deshalb diese Initiative in
Seattle unterstützt – wie alle Kollegen, die dabei wa-
ren – und bin gespannt, ob es gelingt, innerhalb der
WTO eine solche parlamentarische Begleitung zu or-
ganisieren, weil sie zusammen mit einer völlig neuen
Betrachtung dessen, was heute über das Internet an in-
ternationaler Öffentlichkeit von NGOs entsteht, einen
wesentlichen Bestandteil einer zukünftigen Legitimation
dieser Politik möglich macht. Das wird in den Augen
der Menschen, die das von fern staunend betrachten und
vielleicht manchen komplexen Zusammenhang nicht
verstehen, eine entscheidende Frage sein, dass wir hier
nämlich Entscheidungen treffen, die wahrscheinlich auf
Generationen hin das Leben der einzelnen Menschen in
allen Ländern dieser Welt verändern.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409019500
Herr Kollege Fritz,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1409019600
Ja, sofort. – Deswegen
denke ich, dass wir gut daran tun, diesen Pfad zu verfol-
gen.

Ein Satz noch, Frau Präsidentin, wenn ich darf: Nach
allen wissenschaftlichen Erkenntnissen über Innovati-
onszyklen und langfristige Wellen der Wirt-
schaftsentwicklung stehen wir im Augenblick an einer
Stelle, an der wir damit rechnen können, diesen Prozess
in einer Zeit positiver wirtschaftlicher Rahmendaten zu
gestalten. Diese Zeit muss man nutzen, denn anschlie-
ßend wird es nicht mehr möglich sein. In Zeiten, in de-
nen etwa große Wirtschaftsmächte wie die USA in kon-
junkturelle Schwierigkeiten kommen, werden die pro-
tektionistischen Geister schneller wieder da sein, als wir
es uns vorstellen können; dann ist die Chance vorbei.
Deshalb haben wir allen Grund, denke ich, auch hier
gemeinsame Positionen zu finden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409019700
Die Länge dieses
Satzes war ja fast rekordverdächtig.


(Heiterkeit)

Ich erteile jetzt der Kollegin Margareta Wolf für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Herr Fritz, ich teile fast alles, was Sie
hier vorgetragen haben; was ich nicht teile, ist aus-
schließlich die Bemerkung, dass wir schon ganz unruhig
würden, weil sich die F.D.P. im Bewerbungsverfahren
befinde. Da werden wir mitnichten unruhig, Herr Kolle-

ge Fritz; im gesamten Europa redet man über „Wettbe-
werb der Ideen“, „Wettbewerb der Kreativität“. Wenn
ich mich bewerbe, indem ich – und das auch nur rudi-
mentär – ein Papier von Schröder/Blair abschreibe, ist
das nach meinem Empfinden nicht unbedingt Ausweis
von Kreativität. Das heißt, die F.D.P. hinkt der Entwick-
lung wie immer hinterher.

Frau Kopp, wenn Sie das Papier um die beiden we-
sentlichen Punkte Ladenschluss und E-Commerce er-
gänzen und glauben, damit werde man die Herausforde-
rungen der Globalisierung meistern,


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Das habe ich nicht gesagt!)


ist das für mich zumindest kein sehr weit führender Bei-
trag. Und lassen Sie mich auch noch diese Bemerkung
machen: Ich möchte nicht in einer Partei sein, deren
Mitglied Kubicki im Wahlkampf mit Herrn Rühe an der
Kieler Förde spazieren geht, während nach Frau Wagner
nun auch Herr Möllemann seinen Parteivorsitzenden de-
savouiert und gleichzeitig die Strategie der F.D.P. in
Schleswig-Holstein aushebelt.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Da muss man in den eigenen Spiegel schauen! – Gudrun Kopp [F.D.P.]: Kümmern Sie sich mal um die Grünen!)


Ich weiß nicht, wer sich eine solche Art von Politik bei
einem Koalitionspartner wünscht.

Ich teile ausdrücklich die Einschätzung von Herrn
Fritz, was die Ergebnisse von Seattle angeht: Es gibt so
etwas wie die Angst vor der Globalisierung. Ich glaube,
das sollten wir in der Tat ernst nehmen. Es ist wenig
hilfreich - auch das haben Sie dargestellt –, in den klas-
sischen Schwarz-Weiß-Schemen zu denken. Globalisie-
rung ist weder nur Unheil noch nur Leitstern. Wir tun
sehr gut daran, nach den Erfahrungen mit Seattle ver-
mehrt über die Vorbereitung der nächsten WTO-Runde
zu reden, vermehrt über Instrumente zu reden, mit denen
diese Prozesse transparenter gestaltet werden können,
und vermehrt die öffentliche Debatte mit den so genann-
ten Nichtregierungsorganisationen zu führen, innerhalb
und außerhalb dieses Hauses.

Herr Kollege Mosdorf, Sie haben darauf hingewiesen,
dass in dem Antrag, den die F.D.P. hier vorgelegt hat,
ein ganz entscheidender Satz fehlt, nämlich dass Tony
Blair und Gerhard Schröder für soziale Marktwirt-
schaft und nicht für die Marktgesellschaft sind. Herr
Mosdorf, mich hat es eigentlich nicht gewundert, dass
der Satz fehlt. Ich habe gestern extra noch einmal in Ih-
rem Grundsatzprogramm nachgelesen, Frau Kopp. Dort
reden Sie nicht mehr von „sozialer Marktwirtschaft“,
sondern ausschließlich von „Gefälligkeitsdemokratie“,


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Nein!)

was, wie ich finde, die „Marktgesellschaft“ noch toppt.
Insofern hat es mich nicht tatsächlich überrascht, dass
dieser Satz fehlt.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Ein falsches Zitat!)

– Frau Kollegin Kopp, es geht dort um die Gefällig-
keitsdemokratie.

Erich G. Fritz






(A)



(B)



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(D)



(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Nein, die wollen wir nicht!)


– Dann führen Sie einmal eine interne Debatte. Ich kann
mich noch genau daran erinnern, wie Herr Westerwelle
dies hier im Grundsatz dargelegt hat. Aber das wechselt
bei Ihnen ja wöchentlich. „Gefälligkeitsdemokratie“
steht bei Ihnen drin, auch wenn Sie sagen, dass Sie das
nicht wollen. Ich wäre ja zufrieden, wenn wir uns wieder
auf die soziale Marktwirtschaft zurückbesinnen würden.

Ich glaube, dass es auf dem Weg zu einer neuen Poli-
tik jenseits von rechts und links innerhalb von Europa
schon jetzt ein Ergebnis gibt: Die großen politischen
Lager, auf der einen Seite die Staatsinterventionisten
und auf der anderen Seite die Marktideologen, haben
beide verloren. Wir haben uns über den Beitrag von
Tony Blair und Gerhard Schröder gefreut. Wir sehen in
ihm einen Debattenbeitrag innerhalb Europas zur Ver-
ständigung über strategisch-programmatische Akti-
onen in der Wirtschaftspolitik, in der Sozialpolitik, aber
auch in der Finanzpolitik. Denn wir glauben, es geht
heute nicht mehr darum, sich wechselseitig Vorwürfe zu
machen oder sich irgendwelchen ökonomischen Schulen
zuzuordnen.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Eben! Danach richten Sie sich einmal!)


Vielmehr geht es darum, einen Wettbewerb um die
besten Instrumente in Europa zu beginnen.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Richtig!)

Ich bin sehr froh, dass Giddens die Debatte in Europa
maßgeblich vorantreibt, dass sich Herr D'Alema mit
Herrn Clinton zusammensetzen kann, dass man anders
miteinander redet und zum Beispiel über das Wort „So-
zialismus“ auch einmal lächeln kann.

Man wird in der Bundesrepublik dem Problem hoher
Arbeitslosigkeit und der Aufgabe, den Sozialstaat wirk-
lich fit zu machen für den Strukturwandel, nur gerecht
werden, wenn man über die nationalen Grenzen hinaus
Politik betreibt. Man wird Wirtschaftspolitik durch le-
benslanges Lernen ergänzen müssen. Dann werden wir
die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind,
bewältigen können.

Abschließend noch diese Bemerkung – auch das wur-
de von den Vorrednern schon gesagt –: Ich glaube nicht,
dass man dem Thema Globalisierung mit einer Debatte
vor dem Hintergrund dieser beiden Anträge und mit
Fünf- bis Siebenminutenbeiträgen gerecht wird. Damit
ignorieren wir die Debatten, die nach Seattle – auf den
Straßen und hier im Hause – stattgefunden haben. Wir
sollten diese Kritik ernst nehmen und mit unseren Ge-
schäftsführern in dieser Richtung diskutieren.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Das finde ich auch!)

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409019800
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Sigrid Skarpelis-
Sperk für die SPD-Fraktion.


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1409019900
Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich kann der letzten Bemerkung der
Kollegin Wolf nur zustimmen: Eine halbe Stunde für ein
solches Thema ist zu wenig. Aber eines muss ich auch
sagen: Mit zwei schon angejahrten Anträgen aus dem
vergangenen Jahr


(Dr. Bernd Protzner [CDU/CSU]: So schnell ändert sich die Meinung von Herrn Schröder!)


und dem verfrühten Karnevalsscherz der F.D.P. wird
leider eine Chance vertan, ernsthaft über eines der zent-
ralen Probleme der Globalisierung und der Weiterent-
wicklung des Welthandels sowie über die Lehren und
Schlussfolgerungen zu sprechen, die wir aus dem Schei-
tern der WTO-Konferenz in Seattle vom Dezember 1999
ziehen sollten.


(Zuruf des Abg. Dr. Bernd Protzner [CDU/CSU])


– Herr Kollege Protzner, nehmen Sie zur Kenntnis, dass
die Kollegen der CDU, die in Seattle waren, sich durch-
aus der überparteilich bestehenden Meinung anschlossen
und Ihr Dazwischenreden einigermaßen sinnlos ist. Wir
sollten uns hier konsequent über die Probleme unterhal-
ten und nicht einfach dazwischenblöken, wenn Sie mir
die Bemerkung gestatten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Bernd Protzner [CDU/CSU]: Warum distanzieren Sie sich so deutlich von Ihrem Bundeskanzler?)


Denn – täuschen wir uns nicht – was in Seattle auf
den Straßen sichtbar wurde, war nicht der Protest einer
kleinen gewalttätigen Minderheit, – wie US-Präsident
Clinton es zu Recht betonte –, sondern eine breite Koali-
tion aus dem Herzblut der beiden großen Volksparteien
der USA. Gewerkschaften demonstrierten friedlich und
einträchtig mit Umweltorganisationen, der Verbrau-
cherbewegung, der Bürgerrechtsbewegung, den Verbän-
den bäuerlicher Familienbetriebe, den kleinen Fischerei-
betrieben und vielen Intellektuellen.

Sie alle einte – wir haben das in Seattle erlebt – ge-
genüber der Welthandelsorganisation als einer der we-
sentlichen Akteure der Globalisierung ein zunehmendes
Gefühl der politischen Ohnmacht, des wirtschaftlichen
Ausgeliefertseins und der sozialen Unsicherheit. Die
Menschen hatten – im politischen Spektrum von ganz
rechts über die breite Mitte bis ganz links – die Befürch-
tung, dass eine weitgehend anonyme Handelsbürokratie
im Verein mit Big Business über ihre Arbeit, ihr Ein-
kommen, ihre Lebensqualität und über die Zukunft ihrer
Kinder verfügt und diese sich zunehmend der demokra-
tischen Kontrolle der Nationen entzögen.

Ein Kritikpunkt hat in Seattle Gegner wie Befürwor-
ter einer weiteren Liberalisierung des Welthandels ge-
eint, nämlich die mangelnde Transparenz der Welthan-
delsorganisation, was Inhalte, Abläufe und Entschei-
dungsverfahren angeht, und – von allen unbestritten –
die fehlende, demokratische Kontrolle der Organisation
selbst.

Margareta Wolf (Frankfurt)







(A)



(B)



(C)



(D)


Der Kollege Fritz hat zu Recht angesprochen, dass
es – angeführt von US-Senator Bill Roth – eine breite
Unterstützung der in Seattle anwesenden Parlamentarier
dafür gegeben hat, vorzuschlagen, der WTO in Genf ei-
ne parlamentarische Begleitung und Kontrolle mit-
zugeben. Ich meine, der Deutsche Bundestag und seine
Fraktionen sollten sich dieser Forderung anschließen
und sie aktiv unterstützen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Welthandelsorganisation braucht neben einer
demokratischen Legitimation unbezweifelbar eine Re-
form an Haupt und Gliedern. Es war schlicht skandalös,
wie die kleinen Länder, vor allem die ärmsten Entwick-
lungsländer, auf der Konferenz behandelt wurden. Ihr
öffentlicher Protest war berechtigt.
Wenn wir so mit den kleinen Nationen umgehen, dürfen
wir uns nicht wundern, wenn sie auf der Konferenz sa-
gen: Nicht mehr so mit uns, sonst habt ihr uns gegen
euch. Das kann man nur unterstützen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Transparenz, Teilhabe aller Mitglieder und Demokra-
tisierung sind also unabweisbar, wenn wir weiterkom-
men wollen, reichen aber nicht aus. Auch die Ziele und
Inhalte müssen sich ändern. Die Europäische Union hat-
te mit ihrem Vorschlag eines umfassenden Mandats
und der „neuen Themen“ – mit breiter Unterstützung
der Bundesregierung und des deutschen Parlaments; wir
hatten im Deutschen Bundestag im Oktober vergange-
nen Jahres darüber diskutiert, unter den Themen waren
die Einbeziehung von Arbeits- und Sozialstandards –
erste Schritte in Richtung einer gerechteren, sozial- und
umweltverträglichen Welthandelsordnung vorgeschla-
gen, die auch einen weltweiten Wettbewerb und dessen
Regulierung einbezieht.

Die Verwirklichung einer solchen neuen Ordnung
wäre ein anspruchsvolles und kühnes Vorhaben für eine
immer enger zusammenwachsende Welt, in der Wirt-
schafts- und Währungskrisen schnell von einer Weltre-
gion in die andere umspringen und globale Konsequen-
zen von ungebremstem Ressourcenverbrauch und zu-
nehmender Umweltverschmutzung unübersehbar und
immer weniger zu verantworten sind.

Deswegen ist es notwendig, dass wir uns nicht nur in
der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirt-
schaft - Herausforderungen und Antworten“, sondern
auch in unseren aktuellen Diskussionen über die Fort-
führung der WTO-Verhandlungen nicht allein über mehr
Demokratie und eine bessere Organisation, sondern e-
benso über die Grundpfeiler einer solchen Weltwirt-
schaftsordnung unterhalten. Dazu gehören ohne Zweifel
die Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung und
der schrittweisen Umsetzung verbindlicher und sank-
tionierbarer Umweltabkommen, die Stärkung eines
möglichst schwankungsfreien qualitativen Wirtschafts-
wachstums und eine Vermeidung großer Währungskri-
sen durch die Reduzierung von Wechselkursschwan-
kungen durch eine verstärkte Regulierung der Weltfi-

nanzmärkte und natürlich effektive Wettbewerbskontrol-
len weltweiter wirtschaftlicher Macht. Das ist besonders
für uns Sozialdemokraten sehr wichtig. Sehr wichtig ist
weiterhin die verbindliche Verankerung humanitärer,
sozialer, gesundheitlicher und kultureller Rechte in allen
Teilbereichen einer solchen Weltwirtschaftsordnung
sowie die Verpflichtung aller internationaler Institutio-
nen auf ihre Durchsetzung.

Wenn wir nicht wollen, dass die Menschen gegen
diese neuen Ordnungen angehen und das Tempo, das
Sie, Herr Fritz, zu Recht beschworen haben, beklagen
und bemängeln, dass es ihnen zu schnell gehe, dass sie
sich aufgefressen fühlten und dass sie Ängste hätten,
müssen wir mit den Menschen reden und sie überzeu-
gen, dass wir nicht an einem neuen Turmbau
zu Babel oder gar an der Etablierung eines arbeit- und
umweltfressenden Molochs arbeiten, sondern an einer
Weltverfassung einer globalen Wirtschaft, die den In-
teressen der Völker der Welt und der Zukunft unserer
Kinder wirklich dient.

Das bedeutet, Frau Kollegin Kopp, dass es nicht
reicht, nur allgemeine Sätze aufzuschreiben. Es reicht
auch nicht, wenn wir sagen, dass der Welthandel und die
globale Weltordnung uns allen helfen würden.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das sind harte Worte an Ihren Kanzler!)


Wir dürfen die Bedingungen, unter denen sich eine sozi-
al- und umweltverträgliche neue Weltwirtschaftsord-
nung wirklich zugunsten der gesamten Menschheit posi-
tiv auf die Interessen der Völker auswirkt und der Zu-
kunft unserer Kinderdient, nicht nur beschreiben, son-
dern wir müssen darüber mit den Menschen diskutieren.
Wir müssen diese Bedingungen Schritt für Schritt auf
jedem Feld und in jeder internationalen Organisation
wirklich umsetzen. Denn sonst werden uns die Men-
schen entweder für Propagandaredner oder für
Windbeutel halten, die nicht darauf hinarbeiten, dass die
Politik das tut, was sie tun soll, nämlich Leben, Arbeit
und Wirtschaft gestalten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409020000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion der F.D.P. zur Globalisierung auf der
Drucksache 14/2028, Buchstabe a. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1132 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion an-
genommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion der PDS zur Weltwirtschaftsordnung auf
der Drucksache 14/2028, Buchstabe b. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/954 abzuleh-

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk






(A)



(B)



(C)



(D)


nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf.
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Clau-

dia Nolte, Manfred Grund, Dr. Michael Lu
ther, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU

Einheitliches Versorgungsrecht für die
Eisenbahner herstellen
– Drucksache 14/2522 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Heidi Knake-Werner, Monika Balt
Heidemarie Lüth, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der PDS

Regelung von Ansprüchen und Anwart-
schaften aus den Systemen der Altersver-
sorgung der deutschen Reichsbahn und der
Deutschen Post der DDR

– Drucksache 14/2729 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Frakti-
on der CDU/CSU hat der Kollege Manfred Grund.


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1409020100
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Versor-
gungsrecht der ehemaligen Reichsbahner der DDR
steht keineswegs ein neues Thema auf der Tagesordnung
dieses Hauses. Wir haben uns in der Vergangenheit wie-
derholt damit beschäftigt, zuletzt im April 1998, als die
PDS den Antrag gestellt hatte, ein zeitlich befristetes
Versorgungssystem sui generis einzuführen. Dieser Vor-
schlag ist damals von allen anderen in diesem Haus ver-
tretenen Fraktionen einstimmig abgelehnt worden. Ge-
meinsam waren wir uns aber darin einig, dieses Thema
in der kommenden, das heißt in der jetzigen, Wahlperio-
de noch einmal aufgreifen zu wollen. Diese damals ge-
zeigte Einmütigkeit sollte die Basis für das gemeinsame
Bemühen um eine sachgerechte Lösung im Interesse der
betroffenen Menschen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Von daher geht auch jeder Vorwurf fehl, wir als
CDU/CSU würden jetzt in der Opposition etwas einfor-
dern, was wir in Zeiten der Regierungstätigkeit noch ab-
gelehnt hätten. Richtig ist, dass das zuständige Bundes-
ministerium für Arbeit und Sozialordnung bislang stets
eine den spezifischen Besonderheiten der Eisenbahner-

versorgung der DDR Rechnung tragende Regelung als
mit dem Prinzip der Beitragsbezogenheit der gesetzli-
chen Rentenversicherung nicht vereinbar abgelehnt hat.
Aber erstens haben sich nachweislich alle Kolleginnen
und Kollegen – auch die von der jetzigen Regierungsko-
altion – , die sich früher mit diesem Thema näher be-
schäftigt haben, mit diesem Ergebnis schon damals nicht
abgefunden. Das gilt für mich persönlich ebenso wie für
die damaligen Koalitionskollegen von der F.D.P.

Zweitens ist jetzt ein umgekehrtes Szenario zu be-
fürchten. Nach allem, was in den vergangenen Monaten
an Aussagen zu dieser Thematik von der Parlamentari-
schen Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium,
Frau Kollegin Mascher, zu vernehmen war, hat sich die
Haltung des Ministeriums in dieser Frage nicht geändert,
obwohl es – das ist neu – inzwischen eine Reihe von
einschlägigen Urteilen des Bundessozialgerichts gibt, in
denen eindeutig nachgewiesen wird, dass die bislang
praktizierte Rentenberechnung für die Reichsbahner
eindeutig falsch ist. Man darf deshalb gespannt sein, wie
sich hierzu die SPD einlassen wird, hatte sie sich doch
als Opposition einst selbst für eine dem Anliegen der Ei-
senbahner gerecht werdende Lösung stark gemacht.

Die Tatsache, dass wir es hier mit einer noch offenen
Frage im weiten Feld der Rentenüberleitung zu tun ha-
ben, darf indessen nicht den Blick dafür verstellen, wel-
che gewaltigen und großartigen Anstrengungen die da-
malige, von der CDU/CSU geführte Bundesregierung
unternommen hat, die Rentenansprüche und Rentenan-
wartschaften aus der Sozialpflichtversicherung der ehe-
maligen DDR in die gesetzliche Rentenversicherung der
Bundesrepublik zu überführen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Trotz mancher Probleme und vieler anfänglicher Un-

gereimtheiten gehört die Schaffung eines einheitlichen
Rentenrechts im wiedervereinigten Deutschland zu den
herausragenden Leistungen im deutsch-deutschen Eini-
gungsprozess.

In kaum einem anderen Bereich hat die Rechtsanglei-
chung zwischen Ost und West mehr Vertrauen in den
bundesdeutschen Rechtsstaat und seine sozialen Siche-
rungssysteme geschaffen wie im Rentenrecht. Millionen
von Rentnern in den neuen Bundesländern erhielten
erstmals eine Rente, die in etwa ihrer Lebensarbeitsleis-
tung entsprach. Sie wurden so aus einer sozialen Rand-
lage befreit, in der sie sich vorher über Jahrzehnte quasi
als Almosenempfänger von Politbüro-Gnaden befanden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mir ein be-

sonderes Anliegen, wenige Monate vor dem zehnten
Jahrestag der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion
noch einmal daran zu erinnern. Worum geht es bei der
zugegeben nicht ganz einfachen Materie? Es geht um
die Anerkennung der historisch gewachsenen Ansprüche
und Anwartschaften der Beschäftigten der Deutschen
Reichsbahn auf Altersversorgung, vergleichbar der be-
trieblichen Altersversorgung bei der früheren Deutschen
Bundesbahn. Die Besonderheit der Altersversorgung der
Deutschen Reichsbahn lag darin begründet, dass es sich

Vizepräsidentin Petra Bläss






(A)



(B)



(C)



(D)


um eine Gesamtversorgung, bestehend aus einem Anteil
der Sozialpflichtversicherung und einem aus dem
Dienstverhältnis resultierenden Versorgungsanteil, han-
delte. Die Reichsbahner hatten ab 1956 Anspruch auf
eine erhöhte Sozialpflichtversicherungsrente. Die daraus
zu erzielende höchste Versorgungsleistung – in
Abhängigkeit der Anzahl absolvierter Dienstjahre – lag
mit 800 Mark um bis zum 1,8fachen höher als die
allgemeine Sozialpflichtversicherung mit ihrer Bemes-
sungsgrenze von 600 Mark. An dieser gesetzlich garan-
tierten höheren Rentenversorgung änderte sich auch
nichts mit der Einführung der freiwilligen Zusatzrenten-
versicherung FZR, im Jahre 1971. Änderungen ergaben
sich erst mit der Eisenbahnerverordnung von 1974, mit
der die Bewertungskriterien für die Versorgungsleistun-
gen modifiziert wurden. An die Stelle der nach Dienst-
jahren bemessenen Prozentsätze des anrechnungsfähigen
Tariflohnes trat die Einführung eines jährlichen Steige-
rungssatzes von 1,5 Prozent.

Für die Rentenberechnung ist aus heutiger Sicht ent-
scheidend, dass die bis dahin erworbene Altersversor-
gung der Beschäftigten im Zuge von Günstigkeits-
berechnungen letztendlich mit oder ohne Beitritt zur
FZR erhalten blieb. Für die Eisenbahner war es deshalb
weder rechtlich geboten noch faktisch notwendig, ihre
Anwartschaften auf eine erhöhte Sozialversicherungs-
rente durch Beitritt zur freiwilligen Zusatzrentenversi-
cherung und Zahlung von eigenständigen entsprechen-
den Beiträgen aufrechtzuerhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Bundessozialgericht hat in seinen bereits er-

wähnten Entscheidungen angesichts dieser Gegebenhei-
ten der Eisenbahnerversorgung auf der Grundlage gel-
tenden Rechts auf eine Höherbewertung der Altersver-
sorgung erkannt. Die bisherige Begrenzung des für die
Rentenberechnung zu berücksichtigenden Arbeitsver-
dienstes auf 600 Mark ist danach aufzugeben. Vielmehr
ist nach § 256 a SGB VI der reale Monatslohn zugrunde
zu legen. Vergleichbares gilt übrigens für die Beschäf-
tigten bei der Deutschen Post.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Auch das ist richtig!)


Meine Damen und Herren, die Rentenversicherungs-
träger sehen diese Entscheidungen des Bundessozialge-
richtes über die entschiedenen Einzelfälle hinaus nicht
als bindend an. Weiterhin stellen sie sich auf den Stand-
punkt, Entgelte oberhalb von 600 Mark nur zu berück-
sichtigen, insoweit auch Beiträge zur FZR abgeführt
worden sind. Es bedarf nicht viel Vorstellungskraft, um
nachzuvollziehen, was dies für das Rechtsvertrauen von
Tausenden von Reichsbahnern bedeuten muss.


(Zuruf von der PDS: Das haben wir erlebt!)

Wir sind der Meinung, dass die Haltung der Renten-

versicherungsträger korrigiert werden muss und die Be-
rechnung der Altersrenten für alle Reichsbahner nach
Maßgabe des Urteils erfolgen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dabei sehen wir auch durchaus die sich daraus ergeben-
den schwierigen finanziellen Probleme für die gesetzli-
che Rentenversicherung. Nach Schätzung der BfA wä-
ren bei Bahn und Post ungefähr 130 000 Personen von
einer solchen Regelung betroffen. Die zusätzlichen Be-
lastungen würden sich auf ungefähr 130 Millionen DM
jährlich belaufen.

Diese finanzielle Belastung allein kann nach meinem
Rechtsverständnis jedoch keine Rechtfertigung dafür
sein, dass berechtigte, durch das zuständige oberste Bun-
desgericht bestätigte Ansprüche auf Dauer negiert
werden. Wenn die Rentenversicherungsträger nicht zu
einer dem Bundessozialgericht folgenden Haltung zu
bewegen sind, ist die Bundesregierung gefordert, den
Reichsbahnern durch eine gesetzliche Klarstellung in
§ 256 a SGB VI zu ihren berechtigten Rentenansprüchen
zu verhelfen.

Besonders schwer wiegt aus Sicht der Reichsbahner,
dass bislang keine Überführung der Altersversorgung
der Deutschen Reichsbahn in bundesdeutsches Recht
stattgefunden hat. Dabei ist der Erwerb von Ansprüchen
und Anwartschaften aus der betrieblichen Altersversor-
gung der Deutschen Reichsbahn überhaupt nicht um-
stritten. Dies wird auch von der Bundesregierung in der
Antwort auf unsere Kleine Anfrage auf Drucksache
14/1426 so gesehen. Jedoch seien – so die Bundesregie-
rung in ihrer Antwort – die Ansprüche aus der be-
trieblichen Altersversorgung 1974 in die Sozialversiche-
rung überführt worden und von daher nicht mit der Zu-
satzversorgung für Beschäftigte der Deutschen Bundes-
bahn vergleichbar.

Ich denke, dass die von der Eisenbahnergewerkschaft
vorgelegten Dokumente und Unterlagen genügend An-
halt dafür bieten, diese Sichtweise noch einmal einer kri-
tischen Überprüfung zu unterziehen.

Wie gesagt war die Altersversorgung der Reichsbahn
seit 1956 als eine durch Umlageverfahren finanzierte
Gesamtversorgung ausgestaltet, bestehend aus einem
Anteil der allgemeinen Sozialpflichtversicherung und
einem diesen ergänzenden Versorgungsanteil. Dement-
sprechend wurden bei der Rentenberechnung durch das
Ministerium für Verkehrswesen beide Teile getrennt be-
rechnet und auch getrennt ausgewiesen. Den Sozial-
pflichtanteil erhielt die Reichsbahn von der Sozialversi-
cherung erstattet. Die Aufwendungen für den Versor-
gungsanteil wurden als Beitragsleistung der Arbeitneh-
mer in Form von einbehaltenem Lohn vom Arbeitgeber
Deutsche Reichsbahn getragen.

Bei dieser gesonderten Ausweisung der Anteile blieb
es auch ab 1974 mit der neuen Eisenbahnerverordnung.
Die Finanzierung erfolgte von da ab in voller Höhe aus
dem Staatshaushalt, wurde aber, was den Versorgungs-
anteil anbelangt, durch die sich aus der Kostensenkung
bei der Deutschen Reichsbahn resultierenden erhöhten
Gewinnabführungen an den Staatshaushalt abgesichert.

Im Zuge der Zusammenführung der Deutschen Bun-
desbahn und der Deutschen Reichsbahn zur Deutschen
Bahn AG ist im Eisenbahnneuordnungsgesetz der Fort-
bestand der Zusatzversorgung für die Beschäftigten
der Deutschen Bundesbahn gesichert worden. Für die

Manfred Grund






(A)



(B)



(C)



(D)


Reichsbahner unterblieb eine entsprechende Regelung,
trotz vieler struktureller Parallelen zu der Versorgung
der ehemaligen Bundesbahner. Wir sind der Auffassung,
dass dieser Sachverhalt in seiner Eigenheit im Interesse
der Betroffenen noch einmal ruhig und sachlich im Aus-
schuss und hier im Parlament aufgearbeitet werden soll-
te.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es macht wenig Sinn, dass alle Parteien in Gesprä-

chen mit den Eisenbahnern ihr Verständnis für deren Si-
tuation signalisieren, dass sich aber in der Substanz rela-
tiv wenig bewegt. Wir sollten deshalb gemeinsam die
Kraft für eine befriedende und befriedigende Lösung
finden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409020200
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Erika Lotz.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1409020300
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Wir reden heute über den Antrag
der Fraktion der CDU/CSU zur Schaffung eines ein-
heitlichen Versorgungsrechts für die Eisenbahner.
Nun muss ich sagen, dass schon allein der Titel irrefüh-
rend ist. Speziell zielt der Antrag auf die Verbesserung
der Alterssicherung ehemaliger Beschäftigter der Deut-
schen Reichsbahn und der Deutschen Post ab.

Sie von der CDU/CSU-Opposition fordern zum ei-
nen, dass bei der Berechnung der Renten dieser Perso-
nen Arbeitsverdienste auch oberhalb von 600 DM ange-
rechnet werden sollen, ungeachtet dessen, ob Beiträge
zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung gezahlt wur-
den. Zum anderen kritisieren Sie – Herr Grund hat es
auch schon vorgetragen – , dass historisch gewachsene
und rechtmäßig erworbene Ansprüche und Anwartschaf-
ten aus der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn
bislang nicht in bundesdeutsches Recht überführt wor-
den seien.

Bevor ich mich nun in der Sache äußere, möchte ich
mein großes Erstaunen über diesen CDU/CSU-Antrag
zum Ausdruck bringen, auch wenn Ihnen das vielleicht
nicht gefällt. Das Renten-Überleitungsgesetz ist die
rechtliche Grundlage für ein einheitliches Rentenrecht in
ganz Deutschland. Dieses Renten-Überleitungsgesetz ist
am 20. Juni 1991 vom Deutschen Bundestag be-
schlossen worden. Sie erinnern sich doch hoffentlich
noch, dass sich die Regierungskoalition seinerzeit aus
CDU/CSU und F.D.P. zusammensetzte. Regiert hat die-
se Koalition bis Herbst 1998, als der Wähler sie auf die
Oppositionsbänke schickte.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Bis Sie versprochen haben, alles besser zu machen!)


Sie hatten also in all diesen Jahren durchaus mehrfach
die Möglichkeit, das Anliegen, das Sie in Ihrem jetzigen
Antrag vom 18. Januar 2000 vortragen, rechtlich zu re-
geln. Oder welchen Zeitraum verstehen Sie unter „histo-
risch“?

Lassen Sie mich auch darauf hinweisen, dass sowohl
in der 12. als auch in der 13. Legislaturperiode die
rentenrechtliche Situation der ehemaligen Beschäftigten
der Deutschen Reichsbahn von verschiedener Seite
problematisiert worden ist. Wir von der SPD-Fraktion
hatten uns zuletzt 1996 im Bundestag dafür eingesetzt,
den in den Beschäftigungszeiten, die im Zeitraum von
März 1971 bis Dezember 1973 bei der Deutschen
Reichsbahn oder bei der Deutschen Post angefallen sind
tatsächlich erzielten Arbeitsverdienst bei der Rentenbe-
rechnung – unabhängig von der Zahlung von Beiträgen
zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung – zu berück-
sichtigen. Obwohl die entsprechenden Forderungen von
den Betroffenen nicht nur an uns, sondern auch an die
damalige Regierungskoalition herangetragen worden
sind, also an den der heutigen Antragsteller, haben Sie
sich in Ihrer Regierungszeit nicht dafür ausgesprochen.
Es hat keine Mehrheiten für die Verbesserung der
rentenrechtlichen Situation der entsprechenden Personen-
gruppe gegeben, obwohl es sich nur um ein kleines
Problem gehandelt hat. Damals haben Sie den Antrag
einfach abgeschmettert und heute wollen Sie sozusagen
die Rächer der Enterbten spielen. Ich denke, das werden
Ihnen die Leute so nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der SPD)


Inzwischen hat das Bundessozialgericht – auch Herr
Grund hat darauf hingewiesen – sechs Revisionen aus
dem Bereich der Rentenversicherung der Angestellten
einschließlich des Rechts der Rentenüberleitung und des
Rechts der Überführung von Anwartschaften aus Zu-
satz- und Sonderversorgungssystemen der ehemaligen
DDR entschieden. Im Kern ging es in diesem Verfahren
darum, in welcher Höhe die in der ehemaligen DDR vor
dem 1. Juli 1990 aus entgeltlicher Beschäftigung erziel-
ten Arbeitsverdienste von Beschäftigten der Deutschen
Reichsbahn oder der Deutschen Post bei der Ermittlung
der persönlichen Entgeltpunkte für eine Rente nach
dem Sozialgesetzbuch VI rechtserheblich sein können.

Umstritten war vor allem die Frage, ob Arbeitsver-
dienste, soweit sie über 600 Mark monatlich betragen
haben, auch dann als in der Pflichtversicherung versi-
chertes Arbeitsentgelt zugrunde zu legen sind, wenn die
Beschäftigten von der Möglichkeit der Beitragszahlung
zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung keinen
Gebrauch gemacht haben.

Die Rentenversicherungsträger haben die Rechtspra-
xis, Entgelte oberhalb von 600 DM für ehemalige Bahn-
und Postangehörige nur dann zu berücksichtigen, wenn
Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung ge-
zahlt worden sind. Die Urteile des Bundessozialgerichts
laufen darauf hinaus, die Kläger ebenfalls so zu stellen,
auch wenn sie keine Beiträge zur Freiwilligen Zusatz-
rentenversicherung gezahlt haben.

Wenn Sie nun, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, sich Ihre frühere Beurteilung des Sach-
verhaltes in Erinnerung rufen, dann müssen Sie sicher-
lich feststellen, dass die Urteile nicht der Zielsetzung des
Gesetzgebers beim Rentenüberleitungsgesetz entspre-
chen; denn für die Ermittlung der persönlichen Entgelt-
punkte aus Arbeitsverdiensten im Beitrittsgebiet sollten

Manfred Grund






(A)



(B)



(C)



(D)


ausschließlich die tatsächlich erzielten Arbeitsverdienste
und Einkünfte maßgebend sein, für die im Rahmen der
bestehenden Beitragsbemessungsgrenzen Beiträge zur
Sozialversicherung, einschließlich der freiwilligen Zu-
satzrentenversicherung, gezahlt worden sind.

Die Rentenversicherungsträger sehen nun die zu die-
sem Sachverhalt getroffenen Entscheidungen des Bun-
dessozialgerichts nicht als ständige Rechtsprechung an
und haben deshalb nur die Einzelurteile umgesetzt. Klar
ist jedoch allen Beteiligten, dass die durch die Recht-
sprechung entstandene Situation auf Dauer nicht als
tragfähige Lösung angesehen werden kann.

Wir werden deshalb so schnell wie möglich Regelun-
gen schaffen, die den Willen des Gesetzgebers in Bezug
auf die Urteile des Bundessozialgerichtes vom
10. November 1998 rechtlich klarstellen. Herr Grund,
die von der SPD in der Vergangenheit dazu vertretene
Position wird dabei nicht unberücksichtigt bleiben.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Jetzt wird es spannend!)


Bereits jetzt kann ich jedoch sagen, dass es für die
Schaffung eines neuen Versorgungsrechts ein Aufgrei-
fen der 1956 in der ehemaligen DDR eingeführten be-
trieblichen Altersversorgung keine gesetzliche Handha-
be gibt; denn beide Versorgungssysteme sind bereits
1974 in die Sozialversicherung der ehemaligen DDR
überführt worden.
Die Geltungsdauer der damaligen Vertrauensschutzbe-
stimmungen ist durch den Einigungsvertrag auf den
31. Dezember 1991 begrenzt worden. Einen darüber hi-
nausgehenden Vertrauensschutz für Versicherte regelt
das Renten-Überleitungsgesetz.

Nun stellen Sie in Ihrem Antrag fest, dass der Eini-
gungsvertrag eine erneute Überführung der Ansprüche
und Anwartschaften in die gesetzliche Rentenver-
sicherung oder in das Tarifrecht des öffentlichen
Dienstes erfordert. Dazu möchte ich feststellen, dass
dies einfach nicht zutreffend ist. Wenn Sie sich einmal
ältere Drucksachen aus Ihrer Regierungszeit zu Gemüte
führen, in denen beispielsweise Fragen von Abgeordne-
ten der jetzigen Regierungskoalition beantwortet wur-
den, dann werden Sie feststellen, dass der damalige Par-
lamentarische Staatssekretär Kraus dieses am 23.
September 1997 in einer Antwort auf eine Frage auch so
dargestellt hat. Vielleicht sehen Sie sich das noch einmal
an. Mich wundert nämlich schon, dass Sie hier jetzt ganz
andere Positionen vertreten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir erscheint es vor
diesem Hintergrund sinnvoll, die inhaltliche Diskussion
über Ihren Antrag im Rahmen des bevorstehenden Ge-
setzgebungsverfahrens wieder aufzugreifen. Ich hatte ja
gesagt: Eine Klärung ist notwendig, die Bundesregie-
rung arbeitet daran. Wir werden in den Ausschussbera-
tungen und hier im Parlament die Argumente noch aus-
tauschen. Meine Bitte wäre, nicht ganz nach dem Prin-
zip zu verfahren: Was gebe ich auf das, was ich gestern
gesagt habe? Vielmehr sollten Sie sich auch das noch
einmal genau anschauen, was Sie damals vertreten ha-
ben.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409020400
Frau Kollegin Lotz,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grund?


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1409020500
Nein, ich möchte sie jetzt nicht
mehr zulassen. Ich denke, andere Kolleginnen und Kol-
legen möchten auch noch reden. Wir können die Debatte
dann ja im Ausschuss fortführen und uns dort austau-
schen.

Ich danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409020600
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Manfred
Grund.


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1409020700
Frau Kollegin, was in
der Vergangenheit sowohl von Ihrer als auch von unse-
rer Seite gesagt wurde, kann sich durchaus sehen lassen.
Ich habe mir schon die Mühe gemacht, einmal in den
Unterlagen der letzten Jahre nachzuschauen, was sowohl
von unserer Seite als auch von Ihrer Seite zu diesem
Thema kam. Ich habe damals noch im Bundestag in
Bonn dazu gesagt, dass bei der Überführung der Alters-
versorgung der Reichsbahner eine Regelungslücke ent-
standen ist, die geschlossen werden sollte.


(Kurt Bodewig [SPD]: Hätten Sie doch machen können!)


Ich habe auch davon gesprochen, dass aufgeschoben
nicht gleich aufgehoben ist und wir in der jetzigen
Wahlperiode das Thema auf die Agenda setzen wollten.

Damals hat von Ihrer Seite die Kollegin Rennebach
gesprochen und gesagt – das kann sich durchaus sehen
lassen, wenn Sie bei der Abfolge bleiben würden –:

Die SPD vertritt die berechtigten Anliegen der Be-
schäftigten der Reichsbahn und Post. In unserem
Gesetzentwurf vom Mai 1995 zur Novellierung der
Rentenüberleitung haben wir rentenrechtliche Be-
rücksichtigung des vollen Arbeitsentgelts im Zeit-
raum vom 1. März 1971 bis 30. Juni 1990 verlangt,
weil Reichsbahner und Postbeschäftigte – mit we-
nigen Ausnahmen – angesichts der zugesagten Ver-
sorgungsansprüche keine Beiträge zur FZR gezahlt
haben.

Wenn man die Reden in diesem Kontext sieht, muss
man sagen: Die Regierung hat gewechselt, die Stich-
wortgeber sind die gleichen geblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409020800
Frau Kollegin Lotz,
zur Erwiderung, bitte.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1409020900
Herr Grund, ich will es einfach
wiederholen: Sie hatten seit 1991 – ich sage an der Stel-
le nicht: seit 16 Jahren – und vor allen Dingen, nachdem

Erika Lotz






(A)



(B)



(C)



(D)


die Betroffenen die Anliegen vorgetragen hatten, Gele-
genheit, dies zu tun. Das haben Sie nicht gemacht. Ich
hatte vorhin ja auch gesagt, dass unser Anliegen, also
das, was die SPD-Fraktion in der Vergangenheit vertre-
ten hat, auch Berücksichtigung finden wird. Ich weiß gar
nicht, warum Sie diese Kurzintervention hier jetzt noch
gemacht haben.


(Kurt Bodewig [SPD]: Diese Kurzintervention war völlig überflüssig! Völlig!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409021000
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Irmgard Schwaetzer für die
F.D.P.-Fraktion.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1409021100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser kurze Wort-
wechsel hat schon deutlich gemacht, wie schwierig es
ist, die in der DDR entstandenen Rentenanwartschaften
nach den Prinzipien des alten, gewachsenen westdeut-
schen Rentenrechtes zu übertragen. Wir haben uns in all
den Jahren sehr schwer damit getan. Mit dem heute zu
debattierenden Problem haben sich in der vergangenen
Legislaturperiode alle Fraktionen beschäftigt. Ich er-
wähne hier besonders die Kollegin Dr. Gisela Babel,
aber auch die Kollegin Pieper und den Kollegen Lühr,
die immer wieder versucht haben, diese Frage, die nach
unserer Auffassung unbefriedigend geregelt war, einer
Lösung zuzuführen.

In einem Punkt möchte ich Sie, liebe Frau Lotz, noch
ergänzen. Natürlich kann man sich immer darauf zu-
rückziehen, dass man das seit 1991 hätte anders regeln
können. Aber jetzt gibt es einen Anlass, nämlich das Ur-
teil des Bundessozialgerichtes vom November 1998.
Das war nach dem Regierungswechsel.


(Kurt Bodewig [SPD]: Sie haben uns nur solche Urteile hinterlassen! Das ist nicht das einzige Urteil!)


Insofern ist es durchaus folgerichtig, dass das Thema
jetzt wieder hier auf den Tisch kommt. Sie haben gesagt,
die Regierung denke nach. Das ist immer gut. Aber wir
möchten schon sehr schnell wissen, wo dieses Nachden-
ken enden wird.

Die F.D.P. wird sich auf der Grundlage dieses Urteils
dem berechtigten Anliegen der Eisenbahner nicht ver-
schließen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Auch die Bundesregierung hat im Übrigen schon im
letzten Jahr auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU zu-
treffend darauf hingewiesen, dass mit dem Urteil des
Bundessozialgerichts – sie hat es nicht auf die Einzelfäl-
le beschränkt und sich damit erkennbar nicht der Inter-
pretation der Rentenversicherungsträger angeschlossen,
dass das Urteil nur auf die vor dem Bundessozialgericht
verhandelten Fälle anzuwenden sei – offensichtlich auch
Einkommen über 600 Mark rentenrechtlich zu werten
seien, selbst wenn keine Beiträge zur freiwilligen Zu-
satzrentenversicherung gezahlt worden sind.

Insofern wünsche ich mir, Frau Mascher, dass Sie
heute die Zusage geben, dass die Bundesregierung an
der in ihrer Antwort im Juli des letzten Jahres gegebenen
Haltung festhält. Natürlich muss dann geklärt werden,
wie diese Zeiten finanziert werden. Dabei sollte sie al-
lerdings berücksichtigen, dass, auch wenn hier kein Ge-
nerationenvertrag vorliegt, eine Finanzierung gefunden
werden kann, wie es zu anderen Zeiten bei in die Ren-
tenversicherung übernommenen Lasten auch schon ge-
macht worden ist.

Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass
sich die F.D.P. in der vergangenen Legislaturperiode
schon hätte vorstellen können, dass es andere Lösungen
für diese Frage gibt.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Aber nur vorstellen!)


Wir haben immer wieder angeregt, dass dieses Anliegen
der Eisenbahner in den Tarifverträgen Berücksichti-
gung findet oder dass Ansprüche gegenüber dem Bun-
deseisenbahnvermögen geltend gemacht werden können.
Beides wäre eine tragfähige Lösung gewesen. Allerdings
haben sich die Gewerkschaften um dieses berechtigte
Anliegen der Eisenbahner nicht gekümmert. Insofern ist
jetzt der Gesetzgeber am Zuge.

Wir werden den Antrag der CDU/CSU unterstützen.
Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409021200
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Helmut
Wilhelm.

Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Anträge von CDU/CSU und PDS sind auf
die Umsetzung der Rechtsprechung des Bundessozialge-
richts vom 10. November 1998 zur rentenrechtlichen
Bewertung von Beschäftigungszeiten bei der Deutschen
Reichsbahn und darüber hinaus auch der Deutschen Post
in der ehemaligen DDR gerichtet. Gefordert wird aus
Gründen der Gleichbehandlung mit ehemaligen Bundes-
bahn- und Bundespostmitarbeitern und zur Überführung
der Ansprüche aus Zusatz- und Sonderversorgungssys-
temen die Überleitung der Altersvorsorge dieses Perso-
nenkreises in bundesdeutsches Recht.

Das Bundessozialgericht hat am 10. November 1998
entschieden, in welcher Höhe die in der DDR erzielten
Arbeitsverdienste bei der Berechnung einer Rente nach
dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches rechtserheb-
lich sein können. Diese Frage war im Übrigen auch Ge-
genstand einer Petition, über die der Petitionsausschuss
des Bundestages im September 1999 zu entscheiden hat-
te. Hierbei wurde einstimmig beschlossen, die Petition
dem Bundesarbeitsminister als Material zu überweisen,
weil der Ausschuss hier Regelungsbedarf gesehen hat.
Das Bundesarbeitsministerium wird eine Gesetzesinitia-
tive zur gesetzlichen Klarstellung der sich aus den Urtei-

Erika Lotz






(A)



(B)



(C)



(D)


len des Bundessozialgerichts ergebenden Fragen initiie-
ren.

Die Einbeziehung von Ansprüchen ehemaliger
Reichsbahnmitarbeiter in die Zusatzversorgung der
Deutschen Bundesbahn bzw. der Deutschen Bahn AG
ist dabei allerdings nicht möglich, weil diese nach dem
Eisenbahnneuordnungsgesetz – das ebenso wie das
Renten-Überleitungsgesetz unter der CDU/CSU-Ägide
zustande gekommen ist – nur auf die Arbeitnehmer An-
wendung finden kann, die vor Gründung der DB AG
dort versichert waren.

Auch im Einigungsvertrag gibt es für diese Forde-
rung keine Grundlage. Das Bundesverfassungsgericht
hat im Übrigen nicht etwa entschieden, dass im Bei-
trittsgebiet erworbene Ansprüche aus Zusatz- oder Son-
derversorgungen der Eigentumsgarantie des Art. 14
Grundgesetz unterliegen, sondern es hat klargestellt,
dass Art. 14 erst mit dem Beitritt der DDR nach Maßga-
be des Einigungsvertrages zum Tragen kommt.

Die Bundesregierung wird also eine Gesetzesinitiati-
ve zur Klarstellung des Rahmens der Entscheidung des
Bundessozialgerichtes ergreifen. Dies wird sie auch für
die Beschäftigten der Deutschen Post entsprechend tun.
Die Forderung zwei im CDU/CSU-Antrag kommt aber
hierbei nicht in Betracht; denn diese käme der Neuschaf-
fung einer zusätzlichen Sicherung für ehemalige Be-
schäftigte von Reichsbahn und Deutscher Post gleich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409021300
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Monika Balt für die PDS-
Fraktion.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1409021400
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die Ausgangssituation für
unseren Antrag war, dass die Beschäftigten der Deut-
schen Reichsbahn und der Deutschen Post in der DDR
historisch gewachsene Ansprüche auf eine Altersversor-
gung erworben haben. Im Prozess der deutschen Einheit
wurden aber keinerlei Regelungen zur Weitergewährung
der erworbenen Ansprüche und Anwartschaften getrof-
fen. Das muss ja wohl die damalige Bundesregierung
veranlasst haben.


(Beifall bei der PDS)

Wohl aber wurde das Vermögen der Deutschen Reichs-
bahn, aus dem die Beiträge rechtmäßig gezahlt wurden,
in das Bundesvermögen überführt. Ein Schelm, der Bö-
ses dabei denkt.

Nun haben ehemalige Beschäftigte von Reichsbahn
und Post zum einen eine Lücke in der rentenrechtlichen
Anerkennung ihrer Einkünfte nach dem SGB VI. Zum
anderen berücksichtigt das bundesdeutsche Rentenrecht
nicht ihre Versorgungsansprüche. Trotz der Entschei-
dung des Bundessozialgerichtes – im Urteil wird die
Fehlerhaftigkeit der bis dahin praktizierten Rentenbe-
rechnung eindeutig nachgewiesen – handeln die Renten-
versicherungsträger nicht danach. Die Rechtsprechung

durch das Bundessozialgericht sei noch nicht gefestigt.
Außerdem argumentierten sie mit einer fehlenden
Erstattungsregelung durch den Bund.

Das Bundessozialgericht entschied auch für die Be-
schäftigen, die am 1. Januar 1974 nicht der freiwilligen
Zusatzrentenversicherung beitraten, dass deren Ein-
kommen über 600 Mark bei der Rentenberechnung zu
berücksichtigen seien. Mit dem Urteil sollte die Un-
gleichbehandlung in der Alterssicherung gegenüber den
Kolleginnen und Kollegen der bundesdeutschen Bahn
und Post beseitigt werden. Die Altersversorgungsan-
sprüche der Bundesbahner wurden ja schon beispielhaft
gesichert; eine befriedigende und gerechte Regelung für
die Reichsbahner steht aber immer noch aus.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb fordert die PDS-Fraktion die Bundesregie-

rung auf, bis spätestens 30. September 2000 eine rechtli-
che Regelung vorzulegen, welche die rentenrechtlichen
Ansprüche der Reichsbahner und Postler in vollem Um-
fange berücksichtigt. Darüber hinaus müssen Versor-
gungsregelungen geschaffen werden, die die Ansprüche
und Anwartschaften aus den Versorgungsordnungen der
Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post entspre-
chend anerkennen. Eine Anspruchsberechtigung soll
rückwirkend ab 1. Juli 1990 für alle hiervon Betroffenen
gelten.


(Beifall bei der PDS)

Die Finanzierung kann durch den Bund erfolgen, da

die Sondervermögen der Deutschen Reichsbahn und der
Deutschen Post nach der Einheit zu Bundesvermögen
wurden. Außerdem ist das Bundeseisenbahnvermögen
für die finanzielle Sicherung einzusetzen. Bei Bahn und
Post darf es im gleichen Betrieb keine Ungleichbehand-
lung in der Altersversorgung geben. Deshalb muss das
Gleichbehandlungsprinzip für Ost und West endlich
Realität werden.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409021500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/2522 und 14/2729 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 a auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN

Einbürgerungsverfahren human gestalten –
Einbürgerungshindernisse beseitigen

– Drucksachen 14/1757, 14/2565 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lilo Friedrich (Mettmann)


Helmut Wilhelm (Amberg)







(A)



(B)



(C)



(D)


Meinrad Belle
Marieluise Beck (Bremen)

Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kol-
leginnen und Kollegen Lilo Friedrich, Wolfgang Zeitl-
mann, Marieluise Beck, Max Stadler, Ulla Jelpke und
die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Cornelie
Sonntag-Wolgast haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.*) Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen
Widerspruch.

Wir kommen deshalb gleich zur Beschlussempfeh-
lung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktio-
nen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Gestal-
tung des Einbürgerungsverfahrens auf Drucksache
14/2565. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/1757 anzunehmen. Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat

eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur
Erleichterung der Verwaltungsreform in den
Ländern (... Zuständigkeitslockerungsgesetz)


– Drucksache 14/640 –

(Erste Beratung 45. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-

schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/2797 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch
Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kol-
leginnen und Kollegen Michael Bürsch, Hans-Otto
Wilhelm.**) Ekin Deligöz, Max Stadler, Petra Pau und
der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.***)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Ge-

setzentwurf des Bundesrates zur Erleichterung der Ver-
waltungsreform in den Ländern in der Aus-
schussfassung. Dies betrifft die Drucksachen 14/640 und
14/2797. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen
__________
*) Anlage 3 **) Der Redebeitrag lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor ***) Anlage 4

von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
14/2801 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig ange-
nommen.

Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung mit der soeben beschlossenen Änderung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Interfraktionell ist vereinbart, trotz der in der zweiten
Beratung angenommenen Änderungen unmittelbar in die
dritte Beratung einzutreten. Sind Sie damit einverstan-
den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies mit
der erforderlichen Mehrheit beschlossen.

Wir kommen damit zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
bei Enthaltung der Fraktion der CDU/CSU angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Pass- und Personalausweisrechts

– Drucksache 14/2726 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für

die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kol-
leginnen und Kollegen Rüdiger Veit, Wolfgang Bos-
bach, Cem Özdemir, Max Stadler, Petra Pau sowie der
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper ha-
ben auch hierzu ihre Reden zu Protokoll gegeben.*)

Deshalb kann ich an dieser Stelle bekannt geben, dass
interfraktionell die Überweisung des Gesetzentwurfs auf
Drucksache 14/2726 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen wird. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten

Hübner, Dr. Barbara Höll, Heidi Lippmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS

Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit
mit Kuba im Jahr 2000

– Drucksache 14/2263 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-

lung (f)

Auswärtiger Ausschuss
__________
*) Anlage 5

Vizepräsidentin Petra Bläss






(A)



(B)



(C)



(D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
PDS ein Redezeit von fünf Minuten erhalten soll. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Carsten Hübner für die PDS-Fraktion.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1409021600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich war deswegen dagegen,
die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll
zu geben, weil die Ministerin Kuba im Mai einen ersten
Besuch abstatten will. Dies wird der erste Besuch eines
deutschen Ministers auf Kuba seit der Revolution sein.
Ich war auch deshalb dagegen, weil es sich dabei wohl
weniger um einen Anstands- als um einen Arbeitsbesuch
handeln wird. Warum sollte das Parlament vor diesem
Hintergrund darauf verzichten, der Ministerin eine erste
Positionsbestimmung mit auf den Weg zu geben bzw.
hier ihre Meinung und ihre Pläne abzufragen – und sei
es anhand unseres Antrages?

Ich persönlich bin daran interessiert, weil die Ministe-
rin seit Ihrem Amtsantritt in dieser Frage in der Öffent-
lichkeit eine konsequente Haltung eingenommen hat und
sich zudem andeutet, dass die Koalitionsfraktionen in
dieser Frage ebenfalls eine parlamentarische Initiative
anstreben werden.

Doch nun zum Antrag selbst: Ich erwarte nicht, dass
gerade aufseiten der CDU/CSU ein großer Jubel bezüg-
lich Inhalt und Charakter unseres Antrages ausbrechen
wird. Ich erwarte jedoch, dass hier nicht mit gespaltener
Zunge geredet wird, dass nicht mit zweierlei Maß ge-
messen wird.


(Beifall bei der PDS)

Es ist richtig und auch von uns nicht zu bestreiten,

dass die Menschenrechtslage auf Kuba in vielen Berei-
chen problematisch ist. Es gibt politische Gefangene, ei-
ne restriktive Justiz inklusive der Todesstrafe, Ein-
schränkungen der Meinungsfreiheit und anderer demo-
kratischer Rechte. Dies zu sagen und anzumahnen, mei-
ne Damen und Herren, ist auch für uns eine Selbstver-
ständlichkeit.


(Beifall bei der PDS)

Aber es muss ebenso eine Selbstverständlichkeit sein,

dies nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit zu tun
und auch nach diesem Gebot zu reagieren und gegebe-
nenfalls zu sanktionieren. Da befindet sich die Bundes-
republik im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der-
zeit noch in einer erheblichen Schieflage, die allein ideo-
logisch motiviert ist.

Anders ist es nicht zu erklären, dass es seit langer
Zeit bundesdeutsche Entwicklungszusammenarbeit und
enge politische Beziehungen mit Staaten wie Nigeria,
Indonesien, Kolumbien usw. gibt. Selbst mit dem Südaf-
rika der Apartheid waren enge ökonomische Beziehun-
gen die Praxis, während Kuba bis heute bewusst abge-
koppelt bleibt, obwohl die dortige Menschenrechtslage
bei aller Kritik ungleich besser ist als etwa in den ange-

sprochenen Ländern. Dieser Widerspruch muss endlich
überwunden werden.


(Beifall bei der PDS)

Zweitens. Die Verwirklichung von sozialen und wirt-

schaftlichen Menschenrechten ist auf Kuba trotz des in-
zwischen international geächteten Wirtschaftsembargos
der USA und erheblicher ökonomischer Einbrüche nach
dem Ende des RGW weitaus fortgeschrittener als in den
umliegenden Ländern der Region. Ich nenne hier nur das
Schul- und Universitätssystem oder das Gesundheitswe-
sen. Das gilt es anzuerkennen und gleichzeitig dafür zu
sorgen, dass mit entwicklungspolitischen Maßnahmen
eine Erosion dieser Errungenschaften und der weitere
Verfall der Infrastruktur aufgehalten und ins Gegenteil
verkehrt wird.

In diesem Prozess die Rolle der Zivilgesellschaft, der
Kirchen und weiterer gesellschaftlicher Akteure zu stär-
ken ist eine Kernforderung unseres Antrags.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kuba ist ein ganz
besonderer Fall. Es kann aus vielerlei Gründen ein über-
aus interessantes entwicklungspolitisches Modell sein.
Ich will hier nur einige Aspekte nennen.

Erstens. Die Befürworter dieses Projektes reichen von
Olaf Henkel über die Bundesregierung bis hin zu Kir-
chenvertretern. Andere westliche und lateinamerkani-
sche Länder sind trotz des Drucks der USA bereits aktiv.
Es gibt also gesellschaftsübergreifend und international
eine ganze Reihe von Partnern.

Zweitens. Das, was in vielen Entwicklungsländern
erst mühevoll entstehen muss – ich nannte als Beispiel
das flächendeckende Gesundheits- und Bildungswe-
sen –, ist in seiner Struktur bereits etabliert und muss
deshalb lediglich reformiert und gefördert werden.

Drittens. Kuba ist bereits jetzt trotz aller Probleme
bereit, anderen Ländern Hilfe zu leisten. Ich nenne nur
den Schuldenerlass gegenüber Nicaragua nach der
Mitch-Katastrophe, immerhin 50 Millionen US-Dollar,
die Ausbildung von Ärzten und Technikern aus Ent-
wicklungsländern oder den Einsatz kubanischer Ärzte in
vielen armen Ländern der Region und auch in Afrika.


(Beifall bei der PDS)

Viertens. Die Menschenrechtslage ist ein strukturelles

Problem. Reformen sind unabdingbar. Dennoch haben
wir es nicht mit einem verselbstständigten Militär- oder
Polizeiapparat mit den entsprechenden Konsequenzen zu
tun. Das gilt es bei Reformvorhaben hervorzuheben. Das
macht Hoffnung auf einen Erfolg partnerschaftlichen
Dialogs und Engagements.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie
schlicht darum bitten, unseren Antrag sachlich zu disku-
tieren, mehr nicht. Damit wäre in diesem Land und für
die Menschen auf Kuba schon viel gewonnen.

Danke.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Vizepräsidentin Petra Bläss






(A)



(B)



(C)



(D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409021700
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Adelheid Tröscher.


Adelheid Tröscher (SPD):
Rede ID: ID1409021800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben Glück, dass so
viele Reden zu Protokoll gegeben worden sind, sodass
wir die Zeit nun wunderbar für die Debatte nutzen kön-
nen.

Bereits im letzten Jahrtausend hat die Ministerin die
Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba verkündet,
nämlich am 17. Dezember, wenn ich mich recht erinne-
re. Das heißt, wir gehen schon einer neuen Zeit entge-
gen, aber jetzt muss noch Butter bei die Fische kommen.

Kuba, ein Land mit 11 Millionen Einwohnern, lebt
zunehmend vom Tourismus sowie vom Zuckerrohr-,
Tabak- und Kaffeeanbau. Nach dem Zusammenbruch
der kommunistischen Diktaturen in Zentral- und Osteu-
ropa und dem weitgehenden Entzug der Unterstützung
durch die betreffenden Länder sieht sich Kuba nach wie
vor großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen
ausgesetzt.

In Kuba gibt es keine parlamentarische, pluralistische
Demokratie. Vielmehr herrscht ein die politischen
Grund- und Freiheitsrechte verletzendes System mit ei-
nem die Bevölkerung überziehenden Überwachungs-
netz. Die Planwirtschaft führt auch in diesem Land zu
Ineffizienz und Mangel, zur Verschwendung von Ar-
beitskraft, Material und Rohstoffen sowie zu weitgehen-
der Lähmung von Eigeninitiative und Kreativität.

Auf der anderen Seite hat Kuba eine Reihe von ent-
wicklungspolitischen Erfolgen aufzuweisen: Die Kin-
dersterblichkeit ist niedriger, als sogar in manchen In-
dustrieländern, alle Kinder und Jugendlichen haben kos-
tenlosen Zugang zu Bildung und Ausbildung, die Le-
benserwartung ist mit 76 Jahren etwa so hoch wie in der
Bundesrepublik Deutschland, sie liegt ein bisschen da-
runter. Das, was in der Entwicklungszusammenarbeit als
zentral angesehen wird, nämlich die Befriedigung der
Grundbedürfnisse, war in Kuba weitgehend gelungen,
ist jedoch jetzt, nach dem Zusammenbruch der osteuro-
päischen Diktaturen, aber auch durch das 1962 verhäng-
te US-Embargo, aufgrund ausbleibender Hilfen in vielen
Bereichen infrage gestellt.

Richtig ist auch, dass sich Castro gegen Veränderun-
gen wehrt, wie sie etwa in Zentral- und Osteuropa statt-
gefunden haben und noch immer stattfinden. Aber ohne
politische und wirtschaftliche Reformen und eine sie
von außen unterstützende Politik wird es keine durch-
greifende, auf Dauer tragfähige Verbesserung der Le-
benssituation der kubanischen Bevölkerung geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Nachhaltige Entwicklung braucht diese unterstützen-
de Politik von außen. Deswegen begrüßt es die SPD-
Bundestagsfraktion ausdrücklich, dass die Bundesre-
gierung, insbesondere die Leitung des BMZ, beschlos-

sen hat, erstmals die offizielle EZ mit Kuba aufzuneh-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin, Sie bekommen in dieser Frage unsere
volle Unterstützung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Im „Spiegel“ vom 7. Februar dieses Jahres habe ich
unter der Überschrift „Heide bei Fidel“ zur Aufnahme
der Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba gelesen:

Der entwicklungspolitische Sprecher der
CDU/CSU-Fraktion im Bundestag

– ich sehe ihn leider nicht –
Klaus-Jürgen Hedrich geißelt das Vorhaben als
„bewusste Stärkung eines Gewaltregimes“. Die
„Hofierung eines Diktators mit Millionen deutscher
Entwicklungsgelder“ stehe in eklatantem Wider-
spruch zur Menschenrechtspolitik der Bundesregie-
rung.

Kollege Hedrich – ich kann ihn jetzt leider nicht an-
sprechen –, das ist schade. Es geht nicht um die Hofie-
rung eines Diktators, sondern schlicht darum, durch die
Entwicklungszusammenarbeit zum demokratischen
Wandel auf Kuba beizutragen, indem auch oppositio-
nelle Gruppen auf Kuba unterstützt werden.
Denn es waren doch gerade die oppositionellen Grup-
pen, die uns im Vorfeld der Entscheidung bestätigt ha-
ben, dass auch sie sich von der Aufnahme der bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit längerfristig positive ge-
sellschaftliche und politische Impulse erhoffen. Dies
nehmen wir ernst und dies setzen wir um.

Ein weiterer Aspekt zur vorgetragenen Kritik: Unter
der alten Bundesregierung gehörte die Volksrepublik
China mit zu den größten Empfängern deutscher Ent-
wicklungshilfe. Man kann ja wohl kaum sagen, dass
China ein Musterland der Demokratie sei, wo Partizipa-
tion und Menschenrechte groß geschrieben werden. Ich
denke, das hier postulierte Beispiel ist ein eklatantes
Beispiel für Doppelmoral.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Kollege Spranger sprach heute Morgen davon, dass
Menschenrechtsverletzungen in Kuba verharmlost wer-
den, um die Entscheidung der zuständigen Ministerin
nicht zu diskreditieren. Ich denke, er hat nicht verstan-
den, was es bedeutet, ein Land zu unterstützen, das auf
einem sehr holprigen Wege zur Demokratie ist, und was
Entwicklungszusammenarbeit in diesem Zusammenhang
leisten kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Er hat heute Morgen auch noch andere Dinge über Kuba
gesagt, die ich besser nicht wiederhole. Denn dies wären






(A)



(B)



(C)



(D)


wieder Beispiele für Doppelmoral und die wollen wir ja
hier nicht noch zahlreicher werden lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Viele Länder – Frankreich, Spanien, Italien oder auch
Kanada – haben längst mit der Entwicklungszusammen-
arbeit mit Kuba begonnen. Wir sind da etwas spät dran,
aber nicht zu spät. Die Vorgängerregierung hat eben
nicht auf praktischen Realismus gesetzt, wie er bereits
bei anderen Regierungen, Wirtschaftsverbänden, Nicht-
regierungsorganisationen und Stiftungen anzutreffen ist.
Gleichwohl stelle ich fest: Wir können nicht davon aus-
gehen, dass sich die Situation in Kuba kurzfristig ver-
bessert. Aber über welches andere Entwicklungsland
können wir das schon sagen? Es wäre sicherlich auch
eine Illusion, wenn wir auf Kuba mit den nun avisierten
Mitteln weit reichende Bewegungen auslösen könnten.

Dennoch sage ich: Eine weitere Blockade von Kuba
wäre verkehrt. Die Politik des Embargo und der Isolie-
rung, ausgehend besonders von den USA, hat keine
Veränderungen bewirken können. Sie trägt vielmehr zur
inneren Verhärtung bei. Der politische Dialog und die
Aufnahme von entwicklungspolitischen Beziehungen zu
Kuba sind daher der einzig richtige Weg, um mittel- und
langfristig Fortschritte zu erreichen. Nur durch einen ak-
tiven Beitrag von unserer Seite können wir zu einem
friedlichen Wandel auf Kuba beitragen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Überdies stand in Art. 29 des Einigungsvertrages,
dass die gesamtdeutsche Regierung verpflichtet ist, die
gewachsenen außenwirtschaftlichen Strukturen der Be-
ziehungen der alten DDR unter Berücksichtigung der In-
teressen aller Beteiligten und unter Beachtung markt-
wirtschaftlicher Grundsätze sowie der Zuständigkeiten
der Europäischen Gemeinschaften fortzuentwickeln und
auszubauen. Die Regierung Kohl hat sich daran nicht
gehalten.
Auch deshalb sollte die Bundesregierung mit zu jenen
Staaten gehören, die einen positiven Wandel in Kuba
unterstützen. Sie ist meines Erachtens dazu verpflichtet.

Schon in früheren Legislaturperioden sind Delegatio-
nen des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit in Kuba gewesen. Ziel der Reise, so heißt es in
einem Reisebericht, war es nicht, dort Entwicklungspro-
jekte zu besuchen, sondern Möglichkeiten der Aufnah-
me der Entwicklungszusammenarbeit im Hinblick auf
die Kriterien der Bundesregierung und im Hinblick auf
die diesbezüglichen Beschlüsse des Deutschen Bundes-
tages zu prüfen. Eine Veränderung der Situation durch
eine wirtschaftliche Öffnung – auch durch Ent-
wicklungshilfe aus Deutschland – ist als wahrscheinlich
anzusehen. Das wurde schon 1986 geschrieben. Wir sind
jetzt dabei, dies zu realisieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schade, dass
sich die damalige Leitung des Hauses diese Position
nicht zu Eigen gemacht hat. Wir könnten heute zum
Beispiel in der Förderung der Zivilgesellschaft weiter
sein, als wir es sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies betrifft einen weiteren Punkt, die konkrete Pro-
jektarbeit. Die Bundesregierung startet ihre Zusammen-
arbeit mit Kuba mit einem Umweltschutzprojekt. Da-
mit steht die Bundesregierung nicht nur im Einklang mit
dem Bundestagsbeschluss von 1993, in dem die Umwelt
als eines von möglichen Zusammenarbeitsfeldern mit
Kuba ausdrücklich erwähnt worden ist. Sie bewegt sich
mit ihrer Neuausrichtung auch auf einer Linie mit dem
gemeinsamen europäischen Standpunkt von 1996, der
im November 1999 bestätigt und bekräftigt wurde.

Wie sehr sich die Rahmenbedingungen sowohl poli-
tisch als auch wirtschaftlich geändert haben, zeigt auch
der Besuch einer Delegation des BDI und des Ibero-
Amerika-Vereins in Kuba im letzten Jahr. Die Delegati-
on wurde im Übrigen von Olaf Henkel angeführt – wir
haben das schon gehört –, wobei ich davon ausgehe,
dass sich das ganze Haus sicher ist, dass der BDI-
Präsident nicht zur Hofierung eines Diktators nach Kuba
reiste. Henkel hat nur weniger Berührungsängste als die
CDU. – Vielleicht raucht er auch gern Havannas; das
müssen wir ihn einmal fragen.


(Heiterkeit bei der SPD)

In der Pressemitteilung des BDI vom 7. Mai des letz-

ten Jahres heißt es, dass der kubanische Markt ein inte-
ressanter Zukunftsmarkt sei, den wir uns sichern soll-
ten. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen
Blocks – so heißt es weiter – habe Kuba 85 Prozent sei-
nes Handels mit den sozialistischen Ländern verloren.
Jetzt geht der Handel in umgekehrter Richtung. „Heute
ist die Europäische Union Kubas wichtigster Wirt-
schaftspartner.“

Und weiter heißt es:
Die Bedingungen für ein deutsches Engagement
sind auch deswegen gut, weil rund 30 000 Kubaner
in der ehemaligen DDR gearbeitet oder studiert ha-
ben und Deutsch sprechen.

Dieses Pfund sollten wir nutzen.
Vor dem Hintergrund der Globalisierung, liebe Kol-

leginnen und Kollegen, sollte nicht nur die deutsche
Wirtschaft auf Kuba aktiv werden; gerade die Politik,
insbesondere die Entwicklungszusammenarbeit, sollte
diesen Prozess ebenfalls positiv begleiten.

Im Januar war ich zusammen mit dem Kollegen
Kraus und dem Kollegen Günther in Kuba. Wir haben
dabei in verschiedenen Gesprächen mit offiziellen Ge-
sprächspartnern auf bekannte kritische Positionen zu
Aspekten der kubanischen Politik hingewiesen und dazu
Stellung genommen, was politische Rechte und Bürger-
rechte angeht. Wir waren uns auch einig in der Ableh-
nung jeglicher Isolations- und Konfrontationspolitik –
wir alle drei –, wie ja gerade auch die vorgesehene Auf-
nahme amtlicher Entwicklungszusammenarbeit zeigt.
Wir haben zugleich darauf hingewiesen, dass auch Kuba
gefordert ist, für den gewünschten Aufbau insbesondere
der Wirtschaftsbeziehungen die erforderlichen Rahmen-
bedingungen zu schaffen.

Adelheid Tröscher






(A)



(B)



(C)



(D)


Einig war sich die Delegation aber vor allem in einem
Punkt: Auch bei fortbestehenden Differenzen mit Kuba
– etwa im Bereich der politischen Bürgerrechte – gibt es
eine große Bereitschaft zur Intensivierung der Zu-
sammenarbeit. Die jetzige neue Situation ermöglicht es
der Politik auch, die schon jetzt auf Kuba arbeitenden
Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen verstärkt
zu unterstützen. Ich nenne hier die Friedrich-Ebert-
Stiftung und die Hanns-Seidel-Stiftung oder die Deut-
sche Welthungerhilfe, den DAAD und die Humboldt-
Stiftung. Wir als Entwicklungspolitiker haben allen
Grund, stolz auf die Stiftungen und auf die NGOs zu
sein, die dort ihre Arbeit tun und im Vorfeld der Ent-
scheidung der Ministerin schon sehr, sehr gute Arbeit
geleistet haben, auf der sie aufbauen kann.

Auch in unserem Gespräch mit Kardinal Ortega
kam deutlich zum Ausdruck, dass er sich eine
fortgesetzte Zusammenarbeit des Auslandes mit Kuba
wünsche, denn diese trage zu Veränderungen zunächst
im wirtschaftlichen Bereich bei, die auf längere Sicht
auch politische Veränderungen mit sich brächten.

Auch das Gespräch mit Vertretern nicht zugelassener
Parteien sowie mit Menschenrechtsorganisationen zeigte
Übereinstimmung darin, dass die Gesprächsteilnehmer
eine fortgesetzte und intensivere Zusammenarbeit des
Auslands mit Kuba wünschen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer dies alles be-
denkt und die Realitäten richtig einschätzt, der kann nur
zu dem Urteil gelangen, dass die Aufnahme der entwick-
lungspolitischen Zusammenarbeit mit Kuba der richtige
und zukunftsweisende Weg ist. Die jetzige Entscheidung
der Bundesregierung, den Start der Beziehungen mit ei-
nem bilateralen entwicklungspolitischen Umwelt-
schutzprojekt zu beginnen, ist von GTZ und DED sorg-
fältig vorbereitet worden. Mit der Entwicklungsmaß-
nahme unterstützt die Bundesrepublik Deutschland den
kubanischen Aktionsplan gegen Wüstenausbreitung und
Dürre. Es sind dies konkrete Pilotmaßnahmen gegen
Versalzung, gegen Bodenerosion und zum Schutz der
Ufer des größten kubanischen Flusses, des Rio Cauto.
Beteiligt werden an dem Projekt auch kubanische Nicht-
regierungsorganisationen und nicht organisierte Bauern.
Dies ist eine von uns allen gewollte Stärkung der Zi-
vilgesellschaft.

Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, möch-
te ich nochmals auf den Disput eingehen, – –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409021900
Frau Kollegin, das
müssten Sie ganz, ganz kurz machen, denn Ihre Redezeit
ist schon vorbei.


Adelheid Tröscher (SPD):
Rede ID: ID1409022000
Ja, das mache ich jetzt
ganz kurz. Ich bin gleich fertig. Ach so, da ist schon ein
Minuszeichen vor der Zeit! Das habe ich nicht gesehen.


(Heiterkeit)

Ich bin gleich fertig.
Der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Ka-

tholischen Deutschen Bischofskonferenz, der von uns al-

len geschätzte Limburger Bischof Franz Kamphaus, der
sehr viel für die Entwicklungszusammenarbeit getan hat,
hat in einer Stellungnahme eindeutig Position zugunsten
eines Besuchs bezogen. Laut Bischof Kamphaus steht
Kuba seit Jahren im Blick kirchlichen Interesses. Es sei
daher ausdrücklich zu begrüßen, wenn nun das staatliche
Interesse an dem Land wachse. Ich kann dazu nur sagen:
Der Bischof ist ein kluger, aufgeschlossener Mann, und
wo er Recht hat, hat er Recht.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409022100
Nur noch einmal zur
Erläuterung an alle: Bei der Redezeit ist alles nach der
Null minus.

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt die Kol-
legin Erika Reinhardt.


Erika Reinhardt (CDU):
Rede ID: ID1409022200
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entwicklungspolitik
ist ja nicht nur ein Instrumentarium zur direkten Behe-
bung von Not und Elend; vielmehr ist Entwicklungspoli-
tik auch ein politisches Instrument mit dem Ziel Hilfe
zur Selbsthilfe. Sicherlich ist Kuba, die größte Insel der
Großen Antillen, eine sehr wichtige Region und hat si-
cherlich auch Bedeutung; das ist gar keine Frage. Ich
war selber in Kuba und habe erlebt, was sich dort entwi-
ckelt hat und was nicht. Es war natürlich auch in der
Vergangenheit richtig, Gespräche zu führen, Kuba zu
besuchen und den Versuch zu unternehmen, zu einer
Zusammenarbeit zu kommen. In erster Linie muss es
aber unser Ziel sein, die Nichtregierungsorganisationen
zu unterstützen.

Der Deutsche Bundestag, also dieses Parlament, hat
am 14. Januar 1993 einen Beschluss gefasst, der immer
noch seine Gültigkeit hat. Da heißt es: Die Zusammen-
arbeit mit Kuba ist so zu gestalten, dass sie nicht als Un-
terstützung der dortigen Diktatur verstanden werden
kann. – Der vorliegende Antrag der PDS missachtet die-
sen Beschluss und hat nur ein Ziel: nämlich eine Dikta-
tur zu unterstützen. Denn die PDS will nicht Hilfe für
die Kubaner, sondern Solidarität mit einem der letzten
kommunistischen Dinosaurier dieser Erde.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der PDS)


Die PDS fordert die Aufnahme offizieller – ich betone
immer wieder: offizieller – Entwicklungszusammenar-
beit mit Kuba. Damit man auch gleich weiß, was zu tun
ist, schlägt die PDS natürlich Projekte in Sektoren wie
Infrastruktur, Umwelt, Energie, Gesundheitsvorsorge,
Agrarproduktion und Bildung vor, also ein Rundumpa-
ket, mit dem man den Staat von außen wieder aufbauen
möchte.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Das sind doch wichtige Bereiche!)


Begründet wird das Ganze mit der Versorgungskrise in
Kuba, die durch das US-Wirtschafts- und Handelsem-
bargo ausgelöst worden ist.

Adelheid Tröscher






(A)



(B)



(C)



(D)



(Gerhard Jüttemann [PDS]: Wie wahr!)

Nur damit das klar ist: Ich halte Embargos grund-

sätzlich nicht für Erfolg versprechend, weil solche Maß-
nahmen es dem Diktator – oder dem Staatsmann – im
Grunde genommen ermöglichen, die Verantwortung, die
eigentlich er hat, ins Ausland zu schieben, anderen zu-
zuschieben und zu sagen: Ich bin ja eigentlich nicht
schuld; nur die sind schuld, weil sie mich boykottieren.
– Ich halte nichts von Embargos, weil sie wenig verän-
dern.

Sie von der PDS verschweigen, dass die Krise in Ku-
ba in erster Linie durch interne Faktoren verursacht
wurde: durch eine kurz vor dem Staatsbankrott stehende
Planwirtschaft – machen wir uns da nichts vor –, ein to-
talitäres Einparteiensystem, Menschenrechtsverletzun-
gen und durch Unterdrückung der individuellen Bürger-
rechte und Grundfreiheiten.


(Zuruf der Abg. Adelheid Tröscher [SPD])

– Das ist schon ein Unterschied, liebe Kollegin Tröscher
– wir sind nicht auf einem Auge blind – China hat zu-
mindest freie Wahlen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? China hat freie Wahlen?)


Kuba ist jedenfalls die letzte klassische Diktatur.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Verstehen Sie mich bitte richtig: Eine offizielle bila-
terale Entwicklungszusammenarbeit kann es nicht ge-
ben, solange sich die Rolle des Staates nicht verändert
und solange nicht einmal ein kleiner Schritt auf dem
Weg zur Demokratisierung zugelassen wird.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Selbst der Papst sieht das anders!)


Was wir wollen, ist die Unterstützung auf nicht-
staatlicher Ebene, bei den Kirchen, Stiftungen – das ist
schon angesprochen worden – und sonstigen Nichtre-
gierungsorganisationen. Das ist Hilfe. Dort wird gute
Arbeit geleistet und den Kubanern im Grunde genom-
men geholfen. Seit Jahrzehnten machen dies die Stiftun-
gen, die Kirchen und die Zivilgesellschaft dort.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Papst hat den Castro umarmt!)


Die relative Unabhängigkeit dieser Entwicklungshilfe
von diplomatischen und administrativen Zwängen staat-
licher Regierungspolitik bietet die Chance zu direkter
Hilfe, auch ohne das System politisch aufzuwerten. Sie
helfen eher, den Umbruch des totalitären Einparteiensys-
tems in Richtung eines demokratischen Mehrparteien-
systems zu beschleunigen, indem die Menschenrechte
und die Beteiligung der Bevölkerung am politischen
Meinungsprozess ausreichend Beachtung finden. Des-
wegen ist diese Art der Hilfe die bessere.

Es war Minister Spranger, der in Kuba in den letzten
Jahren auf nichtstaatlicher Ebene sinnvolle Kooperati-
onsansätze wie Beratungsprojekte der politischen Stif-
tungen, der Kirchen und der Nichtregierungsorganisati-

onen initiiert hat. Die rot-grüne Regierung hat aber ge-
nau in diesem Bereich der Entwicklungshilfe den Nicht-
regierungsorganisationen, Kirchen und Stiftungen die
Mittel im Haushalt massiv gekürzt und die Zahl der
Partnerländer soll wesentlich reduziert werden.

Sozusagen im Gegenzug kündigt nun die Ministerin
Wieczorek-Zeul die Aufnahme der offiziellen bilatera-
len Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba an: Also
auf der einen Seite steht wieder ein Land mehr, aber auf
der anderen Seite werden Mittel abgebaut. Als erste
Maßnahme schlägt die Ministerin ein Projekt zur Wüs-
tenbekämpfung in Höhe von 11 Millionen DM vor. Ich
dachte zuerst, das wäre ein Karnevalsscherz. Aber nein,
die Ministerin meint es ernst.

In der Entwicklungspolitik gibt es klare Vorgaben,
um mit Empfängerländern eine offizielle Entwicklungs-
zusammenarbeit aufzunehmen. Der vom ehemaligen
Minister Spranger entwickelte Kriterienkatalog für
die Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit ist
auch von Ihnen, Frau Ministerin Wieczorek-Zeul,
akzeptiert worden. In Kuba, einem der letzten kommu-
nistischen Zwangsregime dieser Erde, ist keines der
fünf Kriterien erfüllt. Ich erläutere Ihnen diese Kriterien
sehr gern noch einmal; denn es scheint, dass einige
Entwicklungspolitiker in den Reihen von PDS, SPD und
auch der Bündnisgrünen diese vergessen haben.

(Rolf Kutzmutz [PDS]: Die haben wir schon gehört!)

In Kuba wird die Bevölkerung nicht an der politi-

schen Willensbildung beteiligt. Es existieren weder
Rechtsstaatlichkeit noch Rechtssicherheit.


(Widerspruch bei der PDS)

– Das ist so. Die Wirtschaftsordnung orientiert sich nicht
am Markt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nur zum Teil!)


Das Handeln Fidel Castros ist nicht entwicklungsorien-
tiert. Kuba unterhält nach wie vor eine der größten Ar-
meen Lateinamerikas. Bei solchen Dingen sind Sie sonst
immer sehr skeptisch, aber hier scheint das keine Rolle
zu spielen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht bei roten Armeen!)


Und schließlich: Die Menschenrechte werden von Fidel
Castro mit Füßen getreten.

Die nun von Ministerin Wieczorek-Zeul angekündig-
te Aufnahme der offiziellen bilateralen Entwicklungszu-
sammenarbeit mit Kuba steht daher in eklatantem Wi-
derspruch zu den elementarsten Grundsätzen deutscher
Entwicklungszusammenarbeit und manövriert Deutsch-
land in ein entwicklungspolitisches Glaubwürdigkeitsdi-
lemma.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das, was die rot-grüne Regierung hier beabsichtigt, ist
ein verhängnisvoller Einschnitt in der deutschen Ent-
wicklungspolitik, ich würde sogar sagen: in der deut-
schen Außenpolitik.

Erika Reinhardt






(A)



(B)



(C)



(D)


Nebenbei bemerkt: Sie müssen sich schon die Frage
gefallen lassen, warum Sie Österreich zukünftig in den
bilateralen Beziehungen wie ein halbautoritäres Ent-
wicklungsland behandeln wollen,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


während der Diktator Castro von Ihnen auf dem diplo-
matischen Parkett hofiert wird.

Aber zurück zu Kuba: Es ist nicht so, als habe sich
außer Ihnen bislang noch niemand mit der Frage offi-
zieller entwicklungspolitischer Beziehungen zu Kuba
auseinander gesetzt. Im Gegenteil! Aber die vergange-
nen Versuche, mit dem Regime in Kuba ins Gespräch zu
kommen, sind alle gescheitert, weil die kubanische
Staatsführung strikt am Ziel der zentralen Lenkung von
Staat, Wirtschaft und Gesellschaft festhält, weil Kuba
am Einparteiensystem festhält, weil Kuba die Meinungs-
und Pressefreiheit nicht zulässt. Das war genau das Bild,
das wir auch 1996 von Kuba hatten.

Ich sage noch einmal: Wir sind zur Zusammenarbeit
bereit. Ich halte es für sinnvoll, dass man mehr im Be-
reich der Nichtregierungsorganisationen macht. Da müs-
sen Sie Geld zur Verfügung stellen, aber nicht auf staat-
licher Ebene.


(Beifall bei der CDU/CSU)

„Die Rolle des Staates bleibt eben unangefochten, das

sozialistische System soll beibehalten werden“, so
sprach Fidel Castro noch vor wenigen Wochen.

Das Ziel einer verantwortungsvollen Entwicklung-
spolitik ist: Demokratisierung, Marktöffnung, Beach-
tung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung
an politischen Entscheidungen, Rechtsstaatlichkeit und
Rechtssicherheit. Die PDS würde mit ihrem Antrag ge-
nau das Gegenteil dessen bewirken.


(Carsten Hübner [PDS]: Da steht doch alles drin! – Sie müssen das mal lesen!)


– Ich habe ihn ganz genau gelesen. Mir ist kein Satz
entgangen. – Mit der offiziellen Aufnahme der Entwick-
lungszusammenarbeit mit Kuba kommt es zur Aufwer-
tung einer der letzten Diktaturen dieser Erde und zur
Verlängerung der Unterdrückung und der Not des kuba-
nischen Volkes.


(Beifall des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])


Ich betone nochmals: Zusammenarbeit ja, aber keine
staatliche, sondern eine auf der Ebene der Stiftungen,
Kirchen und Nichtregierungsorganisationen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die CDU/CSU-Fraktion wird nicht nur den Antrag

der PDS ablehnen, sondern auch weiterhin wachsam
bleiben,


(Rolf Kutzmutz [PDS]: So? Das kenne ich!)

wenn Alt-68er die deutsche Entwicklungspolitik zu ei-
nem Instrument der internationalen Solidarität mit
kommunistischen Diktaturen degradieren wollen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409022300
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt der Kollegin Heidemarie
Wieczorek-Zeul das Wort.


Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1409022400
Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Heute ist nicht die Zeit – ich sage
an die Adresse der CDU: auch nicht der Anlass –, in ei-
ner Regierungserklärung zu der Frage der Entwick-
lungsarbeit mit Kuba zu sprechen. Das werden wir in ei-
ner eigenen entwicklungspolitischen Debatte tun und
dann unsere Position im Detail darstellen. Ich wollte nur
an die Adresse der Kollegin gerichtet, die vor mir ge-
sprochen hat, etwas zitieren und damit meine Position
zum Ausdruck bringen – ich hoffe, Sie stimmen dieser
Position auch zu –:

Die Frage ist doch, auf welche Weise wir die Men-
schenrechte am wirksamsten fördern können. Und
deshalb muss die Antwort die Gegebenheiten in
den Partnerländern berücksichtigen. Die Maßstäbe,
die wir dabei anwenden, sind weltweit die gleichen.
Wenn ... abzusehen ist, dass sich die Lage der Men-
schenrechte alleine durch Druck von außen kaum
verbessern lässt, ist es sinnvoller, mit gemeinschaft-
lich vereinbarten Programmen Reformen von innen
zu unterstützen.

Ich teile diese Position. Wir wollen mit Programmen
von innen Reformen bewegen. Bezogen auf China ist
das die Position, die der damalige Minister Spranger in
einem Papier zur Frage der Entwicklungszusammenar-
beit im Zusammenhang mit den Menschenrechten bezo-
gen hat.


(Lachen bei der PDS)

Da muss ich ehrlich sagen: In solchen Fragen verbitte
ich mir wirklich eindrücklich diese Art von Doppelzün-
gigkeit und Heuchelei, die da an den Tag gelegt wird.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU)


In Bezug auf China hat die frühere Regierung im Be-
reich der Entwicklungszusammenarbeit in manchen Jah-
ren Mittel in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt.
Jetzt geht es bei Kuba zunächst einmal um
3 Millionen DM. Ich fordere Sie auf, nicht nur in Bezug
auf das jetzt diskutierte Thema, sondern auch in Bezug
auf andere Fragen – vielleicht erinnern Sie sich ein
Stück an Ihre Geschichte – solche Unterstellungen, die
den Positionen widersprechen, die Sie selbst zur Frage
der Menschenrechte eingenommen haben, zu unterlas-
sen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409022500
Zur Erwiderung er-
teile ich das Wort der Frau Kollegin Reinhardt, bitte.

Erika Reinhardt






(A)



(B)



(C)



(D)



Erika Reinhardt (CDU):
Rede ID: ID1409022600
Frau Ministerin, Sie
haben natürlich korrekt zitiert. Nur sollten Sie berück-
sichtigen, dass sich „von innen“ – was wir immer gesagt
haben – auf Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und
Stiftungen bezieht. Mit dem, was Sie jetzt vorhaben, be-
schreiten Sie einen ganz anderen Weg. Auch den Ver-
gleich mit China halte ich für falsch, denn in China –
dort gefällt uns vieles nicht und ich würde mir wün-
schen, dass manches schneller geht – waren zumindest
klare Anzeichen einer schrittweisen Demokratisierung
vorhanden.


(Lachen bei der PDS)

– Das mag Ihnen gefallen oder nicht, aber es ist so. Je-
denfalls hat man freie Wahlen zugelassen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hat man freie Wahlen?)


In Kuba sind selbst die Nichtregierungsorganisationen
an den Staat gebunden. Und das ist der Unterschied.
Deshalb glaube ich, dass unser Weg, nämlich Nichtre-
gierungsorganisationen, Kirchen und Stiftungen zu un-
terstützen, der richtige ist. Im Staat Kuba selbst muss
sich aber auch etwas bewegen, damit man erkennt, dass
überhaupt ein Wille da ist, den Weg der Demokratisie-
rung zu gehen, nämlich die Zivilgesellschaft an dem
Prozess zu beteiligen. Das ist bisher nicht der Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409022700
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Hans-Christian Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Ich hatte eigentlich von der Kollegin
Reinhardt erwartet, dass sie mir erläutert – das haben Sie
mir über die Bänke hinweg versprochen –, wieso man
durch eine technische Zusammenarbeit in einem sinn-
vollen Projekt ein Regime hofiert und auf dem diploma-
tischen Parkett gesellschaftsfähig macht, wieso es aber
etwas anderes ist, wenn man als Oberhaupt der katholi-
schen Kirche nach Kuba fährt, Fidel Castro umarmt und
küsst. Was der Unterschied zwischen diesen beiden
Verhaltensweisen ist, das wollten Sie mir eigentlich er-
klären. Ich glaube, selbst Sie hätten von diesem Podium
aus den Papst nicht kritisiert, oder?


(Lachen bei CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren schon einmal besser, wesentlich besser!)


Ich möchte nicht über Kuba reden, ohne die Vergan-
genheit Kubas und auch meine Vergangenheit, die mit
Kuba zu tun hat, zu erläutern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die kennen wir schon!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409022800
Herr Kollege
Ströbele, bevor Sie das tun, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Abgeordneten Weiß?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



(Zurufe von der CDU/CSU: Ah, ah!)

Ich gehöre zu denen, die überhaupt keinen Hehl dar-

aus machen und auch gar nicht verbergen wollen, dass
sie einmal große Hoffnungen in Fidel Castro und die
kubanische Revolution gesetzt haben. Ich gehöre zu de-
nen, die auch in Berlin mit dem Slogan auf der Straße
waren: Kuba si, Yankee no! Damit wollten wir eine
freie, unabhängige und unbeeinflusste Entwicklung in
Kuba. Und wir wollten den Krieg der USA gegen Kuba
brandmarken – Schweinebucht und Ähnliches.

Heute stelle ich aber fest – und das fehlt mir ein biss-
chen in dem Antrag und bei der Argumentation der
PDS –, dass man der Wahrheit und der Realität im heuti-
gen Kuba ins Auge schauen muss. Denn leider ist Fidel
Castro bei allen Verdiensten, die er sicherlich in der
Dritten Welt erworben hat, heute ein autoritärer Dikta-
tor, der es zulässt, dass in seinem Land Menschenrechte
verletzt werden, und der demokratische Entwick
lungen – jedenfalls die Entwicklung eines Mehrparteien-
systems – nicht zulässt und der – da haben Sie sicher
Recht – keine Rechtssicherheit gewährt.

Aber unsere Hoffnungen haben sich damals auf Kuba
gerichtet, weil es das einzige Land Lateinamerikas war,
in dem es tatsächlich gelungen ist, das Analphabetentum
nachhaltig zu bekämpfen; in dem es tatsächlich gelun-
gen ist, für die gesamte Bevölkerung eine Gesundheits-
versorgung zu garantieren, wie es in keinem der anderen
Länder Lateinamerikas der Fall war; in dem es möglich
war; – und ich habe mir das selber angeschaut –, jedem
Kleinkind in einem karibischen, also tropischen Land
einen halben Liter Milch pro Tag zu geben. Das konnte
man sehen; das war von der DDR dort eingeführt wor-
den. Und in dem Land ist es heute noch so, dass keine
Menschen an Hunger sterben, anders als in vielen ande-
ren Ländern Lateinamerikas. Das muss man zunächst
einmal zur Kenntnis nehmen.


(Beifall des Abg. Gerhard Jüttemann [PDS])

Und wenn man das weiß und wenn man die verhäng-

nisvolle und negative Entwicklung in Kuba beobachtet,
muss man natürlich die Frage stellen: Woher kommt
das? Hat das Embargo, hat die US-Politik, hat die Politik
Europas, die zu einer Isolierung Kubas beigetragen ha-
ben, vielleicht auch etwas damit zu tun, dass eine solche
abgeschottete Entwicklung in diesem Land möglich ge-
wesen ist, sodass es unabhängig und unbeeindruckt vom
Niedergang der realsozialistischen Staaten nach wie vor
und in dieser Weise existiert?

Um damit Schluss zu machen, sollte man die Isolati-
on durchbrechen. Damit befinden wir uns nicht nur auf
der Seite des Papstes und der kirchlichen Organisatio-
nen, die uns das empfehlen – diese sind für mich nicht
immer Vorbild –, sondern wir befinden uns damit auch
auf der Seite der Europäischen Union, die meiner An-
sicht nach zu Recht gefordert hat, dass man eine techni-
sche Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisatio-
nen in Kuba organisiert, dass man dort fördert, dass
NGOs überhaupt entstehen können, weil dies im her-






(A)



(B)



(C)



(D)


kömmlichen Sinne dort gar nicht möglich ist. Sie for-
dert, dass man so etwas fördert, dass man diese Projekte
finanziell unterstützt und Ansätzen dazu Hoffnung
macht.

Vielleicht gelingt es durch eine solche Politik, die den
Realitäten ins Auge schaut und die natürlich auch die
dortigen Fehlentwicklungen benennt, Einfluss in Kuba
zu gewinnen – für eine andere, eine friedliche Entwick-
lung zu einem anderen Kuba, zu einer anderen Gesell-
schaftsordnung, ohne dass dann das passiert, was viele
befürchten, ohne dass die Contras aus den USA, aus
Florida herüberkommen und all das dort wieder instal-
lieren, wogegen die kubanische Revolution einmal ange-
treten ist und damals zu Recht angetreten war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das wollen wir mit unseren Partnern in der EU er-
reichen. Wir sagen natürlich auch den offiziellen Vertre-
tern Kubas und Fidel Castro: Wir erwarten von ihnen,
dass sie zu demokratischen Verhältnissen finden und
dass sie die Menschenrechte achten. Das wird Begleit-
musik zu dieser technischen Zusammenarbeit mit Kuba
sein. Jeder weitere Schritt, auch zu offiziellen Beziehun-
gen, die ich grundsätzlich für die Zukunft bejahe, muss
davon abhängig sein, dass Fortschritte in diesen Berei-
chen gemacht werden.

Wenn wir das überall immer anmelden, dann kann
die Durchbrechung der Isolation zu einer besseren
Gesellschaftsordnung in Kuba führen, die all das, was
wir sonst in Lateinamerika in Diktaturen beobachten,
feststellen und kritisieren müssen, in Zukunft vermeidet
und in der das Horrorbild der Contras von Florida auf
keinen Fall Wirklichkeit wird, nämlich die Wiederer-
richtung einer Diktatur in Kuba, wie sie vorher unter Ba-
tista bestand.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409022900
Herr Kollege
Ströbele, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

was das BMZ angedacht hat, richtig: dass wir die tech-
nische Zusammenarbeit aufnehmen und damit mit unse-
ren EU-Partnern einen wichtigen Schritt nach vorne ma-
chen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409023000
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Joachim Günther für die
F.D.P.-Fraktion.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1409023100
Frau Präsiden-
tin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte
sagen, wir können es kurz machen: Im Prinzip hat sich
der PDS-Antrag überholt. Die Entwicklungszusammen-
arbeit mit Kuba wird trotz aller Bedenken, die wir auf

Menschenrechtsebene haben, weitergeführt und zum
Teil ausgeweitet.

Aus Sicht meiner Partei geht es vor allem darum,
Entwicklungshilfe auf solchen Gebieten zu leisten, auf
denen sie unmittelbar der Bevölkerung zugute kommt.
Ich denke da an Landwirtschaft, an Ernährung. Auf
diesen Sektoren hat zum Beispiel die Deutsche Welt-
hungerhilfe in Kuba bereits einiges vollbracht.

Es geht darum, dass wir auf Gebieten etwas voran-
bringen, bei denen es um unwiederbringbare Verluste
bei Natur und Umwelt geht. Hierfür ist der Humboldt-
Nationalpark ein sehr positives Beispiel. Es geht weiter
um die Gefahr der Wüstenbildung in Ostkuba. Ich kann
es mir ersparen, das weiter auszuführen, denn das hat
Kollegin Tröscher bereits ausführlich – in der Minuszeit,
wie gesagt wurde – hier dargelegt.

Aus Sicht der F.D.P.-Bundestagsfraktion bildet der so
genannte gemeinsame Standpunkt der Europäischen
Union vom 2. Dezember 1996 die Grundlage der Gestal-
tung der Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba.
Die EU verfolgt damit das Ziel, durch einen intensiven
politischen Dialog den Prozess des Übergangs zu einer
pluralistischen Demokratie, zur Achtung der Menschen-
rechte und zu den Grundfreiheiten sowie eine nachhalti-
ge Erholung und Verbesserung des Lebensstandards der
kubanischen Bevölkerung zu ermöglichen.

Zu diesem Dialog zählen wir auch die Entwicklungs-
hilfe, die wir ungeachtet von Meinungsverschiedenhei-
ten bei den Menschenrechten, bei der Situation der poli-
tischen Gefangenen – auch das haben wir in Kuba ge-
hört – und bei den rechtsstaatlichen Rahmenbedingun-
gen fortsetzen wollen. Dies entspricht auch dem deut-
schen Interesse an der Verbesserung der Lage in Kuba
sowie auch der Pflege von Beziehungen, die es zum ei-
nen früher zwischen der DDR und Kuba gegeben hat, ist
aber zum anderen auch gegenüber den vielen Deutsch
sprechenden Kubanern gerechtfertigt, die ebenfalls ein
Interesse an einer intensiven Zusammenarbeit pflegen.

Die Kubapolitik der USA, die von einflussreichen
Exilkubanern vorrangig mitgestaltet wird, ist wegen ih-
rer Auswirkungen auf die kubanische Bevölkerung aus
unserer Sicht kontraproduktiv. Sie fördert nicht den
Übergang zu einer demokratischen Gesellschaft und erst
recht nicht den Übergang zu einer liberalen Wirtschafts-
ordnung.


(Beifall bei der F.D.P. und der PDS sowie des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Diese Auffassung haben schon die frühere Bundesregie-
rung und die Europäische Union den amerikanischen
Partnern wiederholt mitgeteilt. Sie gilt, soweit ich das
erkennen kann, auch für die neue Bundesregierung.

Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Ku-
ba – das haben Sie richtig dargelegt – fand bisher unter-
halb der staatlichen Ebene statt. Die Bundesregierung
hebt die Entwicklungshilfe auf die staatliche Ebene. Das
entspricht auch unseren Vorstellungen. Deshalb ist aus
der jetzigen Sicht der Antrag der PDS eigentlich über-
flüssig.

Hans-Christian Ströbele






(A)



(B)



(C)



(D)


Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409023200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/2263 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des
Mitgliederkreises von Bundesknappschaft und
See-Krankenkasse

– Drucksache 14/2764 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für

die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die

Kolleginnen und Kollegen Hans-Eberhard Urbaniak,
Wolfgang Lohmann, Katrin Dagmar Göring-Eckardt,
Dr. Dieter Thomae sowie Dr. Ruth Fuchs haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben.*) – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2764 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Gesundheit und zur Mitberatung an
den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung zu über-
weisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit be-
reits am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 25. Februar, 9 Uhr,
ein. Ich wünsche Ihnen allen einen geruhsamen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.