Rede:
ID1409005000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 10
    1. DasWort: 1
    2. hat: 1
    3. jetzt: 1
    4. der: 1
    5. Kollege: 1
    6. Cem: 1
    7. Özdemir: 1
    8. vom: 1
    9. Bündnis90/Die: 1
    10. Grünen.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/90 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 90. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 I n h a l t : Eintritt der Abgeordneten Dr. Carola Reimann in den Deutschen Bundestag .......... 8279 A Erweiterung der Tagesordnung ....................... 8279 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 10 b, 15 und 22 a .......................................................... 8280 B Nachträgliche Ausschussüberweisungen ........ 8280 B Tagesordnungspunkt 3: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Sondergutachten des Rates von Sach- verständigen für Umweltfragen Umwelt und Gesundheit Risiken richtig einschätzen (Drucksache 14/2300) ............................... 8280 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Umwelt und Ge- sundheit (Drucksache 14/2767) ................ 8280 D Andrea Fischer, Bundesministerin BMG ........ 8281 A Vera Lengsfeld CDU/CSU ............................. 8282 D Helga Kühn-Mengel SPD ............................... 8285 B Ulrike Flach F.D.P. ......................................... 8287 B Dr. Ruth Fuchs PDS ........................................ 8289 B Jutta Müller (Völklingen) SPD ....................... 8290 A Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU ....................................................... 8291 C Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin BMU ..... 8294 C Eva Bulling-Schröter PDS .............................. 8295 C Michael Müller (Düsseldorf) SPD .................. 8296 C Kurt-Dieter Grill CDU/CSU ........................... 8299 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD .................. 8299 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU ....................................................... 8299 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8300 D Tagesordnungspunkt 4: Große Anfrage der Abgeordneten Her- mann Gröhe, Dr. Heiner Geißler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Verfolgung von Christen in aller Welt (Drucksachen 14/1279, 14/2431) ............... 8301 D Hermann Gröhe CDU/CSU ............................. 8301 D Karin Kortmann SPD ...................................... 8304 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P..... 8305 C Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 8307 C Hermann Gröhe CDU/CSU ............................. 8309 B Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 8309 D Carsten Hübner PDS ....................................... 8309 D Reinhold Hemker SPD .................................... 8311 B Carl-Dieter Spranger CDU/CSU ..................... 8313 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8314 B Dr. Heiner Geißler CDU/CSU ........................ 8316 B Joachim Tappe SPD ........................................ 8318 B Dr. Norbert Blüm CDU/CSU .......................... 8319 C II Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 Joachim Tappe SPD ........................................ 8319 D Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA ......... 8320 A Tagesordnungspunkt 21: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vor- schriften über die Tätigkeit der Steuerberater (Drucksache 14/2667) .......................... 8322 A b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 9. September 1998 zur Änderung des Europäischen Übereinkommens vom 5. Mai 1989 über das grenzüber- schreitende Fernsehen (Drucksache 14/2681) .......................... 8322 B c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von 1996 zur Änderung des Übereinkommens von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (Drucksache 14/2696) .......................... 8322 B d) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Proto- koll von 1996 zur Änderung des Übereinkommens von 1976 über die Beschränkung der Haftung für See- forderungen (Drucksache 14/2697) .. 8322 B e) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessord- nung (§ 418 Abs. 1 StPO) (Drucksa- che 14/2444) ....................................... 8322 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 21) a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Zi- vildienstvertrauensmann-Gesetzes (Erstes Zivildienstvertrauensmann- Änderungsgesetz) (Drucksache 14/2698) .......................... 8322 C b) Antrag der Abgeordneten Sabine Jün- ger, Rosel Neuhäuser, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Äch- tung der Gewalt in der Erziehung wirkungsvoll flankieren (Drucksache 14/2720) ............................................... 8322 C Tagesordnungspunkt 22: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Ver- waltungskostengesetzes (Drucksachen 14/639, 14/2704) ........... 8322 D c) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Mai 1998 über Partnerschaft und Zu- sammenarbeit zur Gründung einer Partnerschaft zwischen den Europä- ischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Turkmenistan andererseits (Drucksachen 14/1787 (neu), 14/2626) 8323 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion PDS: Keine Zu- rückweisung von Kosovo-Flücht- lingen an den Grenzen, die Erteilung von Visa für Familienangehörige, sowie unbürokratische Ausstellung von Reisedokumenten und Aufnah- me und Schutz von unbegleiteten Flüchtlings- und Waisenkindern (Drucksachen 14/1182, 14/2526) ......... 8323 B e) – j) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersichten 122, 123, 124, 125, 126, 127 zu Petitionen (Drucksachen 14/2710, 14/2711, 14/2712, 14/2713, 14/2714, 14/2715) 8323 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 22) a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes (Drucksachen 14/2271, 14/2762, 14/2798) ............................................... 8324 A b) – e) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 III Sammelübersichten 131, 132, 133, 134 zu Petitionen (Drucksache 14/2790, 14/2791, 14/2792, 14/2793) ................................ 8324 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Vereinbarte Debatte zur Drogenpolitik ... 8324 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD ................. 8325 A Hubert Hüppe CDU/CSU ............................... 8326 C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8328 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 8330 B Ulla Jelpke PDS .............................................. 8331 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betäu- bungsmittelgesetzes (Drittes BtMG- Änderungsgesetz) (Drucksachen 14/1515, 14/2345, 14/2665, 14/2796) .................................................... 8331 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zur Patentvergabe des Eu- ropäischen Patentamtes auf Genmani- pulation an menschlichem Erbgut ......... 8332 A Andrea Fischer, Bundesministerin BMG ........ 8332 A Hubert Hüppe CDU/CSU ............................... 8333 A Bernhard Brinkmann (Hildesheim) SPD ........ 8333 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. ................. 8334 C Dr. Ilja Seifert PDS ......................................... 8335 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8336 B Werner Lensing CDU/CSU ............................ 8336 D Wolf-Michael Catenhusen SPD ...................... 8338 A Peter Hintze CDU/CSU .................................. 8339 C Dr. Wolfgang Wodarg SPD ............................ 8340 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8341 D Norbert Geis CDU/CSU ................................. 8343 A Margot von Renesse SPD ............................... 8343 C Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8344 A Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ ........................................................... ...... 8345 A Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Be- schleunigung fälliger Zahlungen (Drucksache 14/1246) ...................... 8347 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Michael Luther, Norbert Geis, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Forderungen der Bauhandwerker (Bauvertragsge- setz) (Drucksachen 14/673, 14/2752) ....... 8347 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Türk, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Zahlungsverzug bekämpfen – Verfahren beschleuni- gen – Mittelstand stärken (Drucksachen 14/567, 14/2752) ........... 8347 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Zahlungsfor- derungen schneller durchsetzen – Zahlungsunmoral bekämpfen (Drucksachen 14/799, 14/2752) ........... 8347 C Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ ..... 8347 D Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU ....................................................... 8348 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 8350 C Jürgen Türk F.D.P. .......................................... 8351 D Rolf Kutzmutz PDS ......................................... 8353 B Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD .................. 8354 B Dr. Michael Luther CDU/CSU ........................ 8355 B Dirk Manzewski SPD ...................................... 8357 B Dr. Michael Luther CDU/CSU ........................ 8360 C Dirk Manzewski SPD ...................................... 8360 D Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Ulrich Hein- rich, Marita Sehn, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: Agro- diesel tanken – Gasölbetriebsbeihilfe abschaffen (Drucksache 14/2384) ....... 8361 D IV Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 b) Antrag der Fraktion CDU/CSU: Heizöl als Kraftstoff für die deutsche Land- und Forstwirtschaft (Drucksache 14/2690) .......................... 8361 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Matthias Weis- heit, Annette Faße, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeord- neten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wettbe- werbsposition für die deutsche Land- wirtschaft verbessern und nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume sichern (Drucksache 14/2766) ............................... 8361 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Kersten Nau- mann und der Fraktion PDS: Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM Gasölbeihilfe zurücknehmen (Drucksache 14/2795) ..... 8362 A Matthias Weisheit SPD ................................... 8362 A Albert Deß CDU/CSU .................................... 8363 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8365 A Ulrich Heinrich F.D.P. .................................... 8366 D Kersten Naumann PDS ................................... 8368 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD ............. 8368 D Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU .......... 8370 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD ............. 8370 C Peter Bleser CDU/CSU ................................... 8371 A Ulrich Heinrich F.D.P. ................................ 8372 B Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML ....... 8372 D Tagesordnungspunkt 7: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Artikel 16) (Drucksache 14/2668) .......................... 8374 C b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (IStGH-Statut- gesetz) (Drucksache 14/2682) ............. 8374 C Joseph Fischer, Bundesminister AA ............... 8374 D Norbert Röttgen CDU/CSU ............................ 8376 B Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ ................................................................. 8378 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P.................... 8380 C Dr. Evelyn Kenzler PDS ................................. 8382 A Alfred Hartenbach SPD ................................... 8383 A Ruprecht Polenz CDU/CSU ............................ 8383 D Margot von Renesse SPD ................................ 8385 B Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu dem Antrag der Abgeordneten Rai- ner Brüderle, Ernst Burgbacher, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Globalisierung als Chance: Der Weg nach vorne für Europa – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Soziale und demokratische Welt- wirtschaftsordnung statt neoliberale Globalisierung (Drucksachen 14/1132, 14/954, 14/2028) ............................................... 8386 B Gudrun Kopp F.D.P. ....................................... 8386 C Ursula Lötzer PDS .......................................... 8387 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 8387 D Erich G. Fritz CDU/CSU ................................ 8389 B Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 8391 B Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD ...................... 8392 C Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Claudia Nol- te, Manfred Grund, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion CDU/CSU: Einheitliches Versorgungsrecht für die Eisenbahner herstellen (Drucksache 14/2522) .......................... 8394 A b) Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Regelung von Ansprüchen und An- wartschaften aus den Systemen der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR (Drucksache 14/2729) .......... 8394 A Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 V Manfred Grund CDU/CSU ............................. 8394 B Erika Lotz SPD ............................................... 8396 A Manfred Grund CDU/CSU ............................. 8397 C Erika Lotz SPD ............................................... 8397 D Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P......................... 8398 A Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 8398 D Monika Balt PDS ............................................ 8399 B Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einbürgerungs- verfahren human gestalten - Ein- bürgerungshindernisse beseitigen (Drucksachen 14/1757, 14/2565) ......... 8399 D Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs ei- nes ... Gesetzes zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern (... Zuständigkeitslockerungsgesetz) (Drucksachen 14/640, 14/2797) ................ 8400 A Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Pass- und Perso- nalausweisrechts (Drucksache 14/2726) 8400 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Carsten Hübner, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba im Jahr 2000 (Drucksache 14/2263) ........ 8400 D Carsten Hübner PDS ....................................... 8401 A Adelheid Tröscher SPD .................................. 8402 A Erika Reinhardt CDU/CSU ............................. 8404 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD ................... 8406 C Erika Reinhardt CDU/CSU ............................. 8407 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8407 B Joachim Günther (Plauen) F.D.P ..................... 8408 B Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Mitgliederkreises von Bundesknappschaft und See- Krankenkasse (Drucksache 14/2764) ...... 8409 A Nächste Sitzung ............................................... 8409 C Berichtigungen ................................................ 8409 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 8410 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Michael Luther; Klaus Brähmig, Günter Nooke, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Georg Janovsky, Christa Reichard (Dresden), Hans- Dirk Bierling, Arnold Vaatz, Clemens Schwalbe, Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke), Ulrich Adam, Dr.-Ing. Paul Krüger, Susanne Jaffke (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Beschleunigung fälli- ger Zahlungen (Tagesordnungspunkt 5 a) ....... 8410 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einbürgerungsverfahren human gestalten – Einbürgerungshindernisse beseiti- gen (Tagesordnungspunkt 10 a) Lilo Friedrich (Mettmann) SPD ...................... 8411 A Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU ...................... 8411 D Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 8412 A Dr. Max Stadler F.D.P. ................................... 8412 D Ulla Jelpke PDS .............................................. 8413 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staats- sekretärin BMI ................................................ 8413 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Erleichte- rung der Verwaltungsreform in den Ländern (... Zuständigkeitslockerungsgesetz) (Tages- ordnungspunkt 11) Dr. Michael Bürsch SPD ................................. 8414 C Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ..... 8415 B Dr. Max Stadler F.D.P..................................... 8416 A Petra Pau PDS ................................................ 8416 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI ................................................................. 8416 D VI Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pass- und Personalausweisrechts (Tages- ordnungspunkt 12) Rüdiger Veit SPD ............................................ 8417 C Wolfgang Bosbach CDU/CSU ........................ 8418 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ... 8420 B Dr. Max Stadler F.D.P..................................... 8420 D Petra Pau PDS ................................................ 8421 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI .................................................................. 8421 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Mitgliederkreises von Bundesknappschaft und See-Krankenkasse (Zusatztagesordnungs- punkt 10) Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN ..................................... 8422 C Hans-Eberhard Urbaniak SPD ....................... 8423 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU ........................................................ 8423 D Dr. Dieter Thomae F.D.P................................. 8424 C Dr. Ruth Fuchs PDS ........................................ 8425 A Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8279 (B) (D) 90. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    __________ *) Anlage 6 Berichtigungen 88. Sitzung, Seite 8219 C; Absatz 3: Statt „Werner Wittlich (SPD)“ ist „Werner Wittlich (CDU/CSU)“ zu lesen. 89. Sitzung, Seite 8272 A, Liste der entschul- digten Abgeordneten: Der Name „Bierling, Hans-Dirk (CDU/CSU)“ ist zu streichen. Joachim Günther (Plauen) 8410 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Altmaier, Peter CDU/CSU 24.02.2000 Dr. Blank, Joseph-Theodor CDU/CSU 24.02.2000 Dr. Brecht, Eberhard SPD 24.02.2000 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 24.02.2000* Claus, Roland PDS 24.02.2000 Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.02.2000 Frick, Gisela F.D.P. 24.02.2000 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 24.02.2000 Fuchs (Köln), Anke SPD 24.02.2000 Gebhardt, Fred PDS 24.02.2000 Gehrcke, Wolfgang PDS 24.02.2000 Haschke (Großhenners- dorf ), Gottfried CDU/CSU 24.02.2000 Homburger, Birgit F.D.P. 24.02.2000 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 24.02.2000* Ibrügger, Lothar SPD 24.02.2000 Irmer, Ulrich F.D.P. 24.02.2000* Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 24.02.2000 Koppelin, Jürgen F.D.P. 24.02.2000 Lehder, Christine SPD 24.02.2000 Leidinger, Robert SPD 24.02.2000 Marquardt, Angela PDS 24.02.2000 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 24.02.2000 Moosbauer, Christoph SPD 24.02.2000 Müller (Berlin), Manfred PDS 24.02.2000 Neumann (Gotha), Gerhard SPD 24.02.2000* Ohl, Eckhard SPD 24.02.2000 Papenroth, Albrecht SPD 24.02.2000 Pflug, Johannes SPD 24.02.2000 Probst, Simone BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.02.2000 Rühe, Volker CDU/CSU 24.02.2000 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 24.02.2000 Schloten, Dieter SPD 24.02.2000* Schmidt (Aachen), Ulla SPD 24.02.2000 Schmitz (Baesweiler), Hans Peters CDU/CSU 24.02.2000 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 24.02.2000 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 24.02.2000 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 24.02.2000 Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.02.2000 Willner, Gert CDU/CSU 24.02.2000 __________ * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Klaus Brähmig, Günter Nooke, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Georg Jankovsky, Christa Reichard (Dresden), Hans-Dirk Bierling, Arnold Vaatz, Clemens Schwalbe, Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke), Ulrich Adam, Dr.-Ing. Paul Krüger, Susanne Jaffke (alle CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Be- schleunigung fälliger Zahlungen (Tagesordnungs- punkt 5a) Wir begrüßen, dass mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf ein erster Schritt zur Verbesserung der Situation des Bauhandwerks erfolgt. Wir haben jedoch die große Sorge, dass die in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen insgesamt nicht zu einer wesentlichen Be- schleunigung fälliger Zahlungen führen werden. Da der Gesetzentwurf die wirklichen Probleme des Bauhand- werks sinnvollen Lösungen nicht zuführt, werden wir dem Entwurf insgesamt nicht zustimmen können, son- dern uns enthalten. Den in Art. 1 Nrn. 1, 2 und 7 sowie Art. 2 Abs. 3 und 4 getroffenen Regelungen können wir zustimmen. Art. 1 Nr. 5 – § 641 Abs. 2 BGB –, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 können unsere Zustimmung nicht finden. Die in Art. 1 Nrn. 3, 4, in Art. 1 Nr. 5 – § 641 Abs. 3 –, Art. 1 Nr. 6 und Art. 2 Abs. 2 getroffenen Regelungen lehnen wir ab, da sie zur Lösung des Problems nicht beitragen. Die in Art. 1 Nr. 5 vorgenommene Streichung des im Entwurf vorgesehenen neuen § 641 Abs. 4 BGB ist für uns nicht hinnehmbar. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8411 (A) (B) (C) (D) Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, die im Gesetzgebungsverfahren angekündigten Arbeiten an ei- nem eigenständigen Bauvertrag, so wie es auch auf der Justizministerkonferenz am 10. November 1999 be- schlossen wurde, zügig fortzusetzen, um damit wenigs- tens in absehbarer Zeit zu Verbesserungen für die Not leidenden Handwerker zu kommen. Dazu sind 1. Arbeiten zur Schaffung eines gesonderten Bauver- tragsrechts unverzüglich aufzunehmen; 2. das „Gesetz über die Sicherung von Bauforderun- gen“ (GSB) zu modernisieren, welches die ord- nungsgemäße Verwendung der innerhalb eines Bauvorhabens fließenden Gelder durch das Bau- buch absichern will; 3. die Überlegungen zur Schaffung eines prozessualen Instruments (Voraburteil) fortzusetzen, das es dem Richter ermöglichen soll, Handwerkern vorab eines Teil der eingeklagten Forderung trotz vorgebrach- ter Mängelrügen zuzusprechen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einbürgerungsver- fahren human gestalten – Einbürgerungshin- dernisse beseitigen (Tagesordnungspunkt 10 a) Lilo Friedrich (Mettmann) (SPD): Seit acht Wochen ist das neue Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft. Mit die- ser Reform haben wir ein deutliches Zeichen gesetzt, dass Integration in Deutschland von einem modernen Verständnis geprägt ist und unsere Gesetzgebung dem Geist des zusammenwachsenden Europas entspricht. Zu den wichtigsten Neuregelungen des Staatsangehö- rigkeitsrechts gehört es, dass die Einbürgerungsfristen verkürzt wurden und dass für Härtefälle eine verbesserte Ausnahmeregelung bei der Hinnahme von Mehrstaat- lichkeit geschaffen wurde. Nach jeder Pflicht steht be- kanntlich die Kür auf dem Programm. Das heißt, dass Buchstaben und Geist des neuen Staatsangehörigkeits- rechts nun auch in den Verwaltungsvorschriften konse- quent umgesetzt werden sollen, und zwar mit dem Ziel, auch in der Praxis das Einbürgerungsverfahren human zu gestalten und Einbürgerungshindernisse zu beseiti- gen. Mit unserem Antrag bitten wir deshalb die Bundesre- gierung und die Bundesländer, im Zuge des Erlasses der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsange- hörigkeitsrecht den Schwierigkeiten ausländischer Mit- bürgerinnen und Mitbürger, insbesondere aus dem Iran und der Bundesrepublik Jugoslawien, im Entlassungs- verfahren gezielt Rechnung zu tragen. Um welche Schwierigkeiten es sich hierbei handelt, habe ich in der Plenarsitzung des Deutschen Bundesta- ges am 4. November 1999 ausführlich dargelegt. Lassen Sie mich die wichtigsten Punkte noch einmal rekapitu- lieren. Stichwort deutsch-iranisches Niederlassungsabkom- men: In der Vergangenheit wurde manche Einbürgerung von Iranern verzögert oder blockiert, weil die iranische Seite ihre Zustimmung zur Einbürgerung versagt bzw. Entlassungsanträge abschlägig beschieden oder nicht bearbeitet hat. Stichwort Jugoslawien: Bei jugoslawischen Einbürge- rungsbewerbern treten besondere Schwierigkeiten bei Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, das heißt Serbien und Montenegro, auf, weil die Entlas- sungsgebühren unzumutbar hoch sind. Für die deutschen Einbürgerungsbehörden ist es oft- mals besonders schwierig, angesichts der nicht immer nachzuvollziehenden Verwaltungspraxis einiger auslän- discher Staaten wie zum Beispiel Iran und der Bundes- republik Jugoslawien die Voraussetzungen für eine Ein- bürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit zu be- urteilen. Mit unserem Antrag wollen wir diesen Proble- men begegnen und die Intention der Reform des Staats- angehörigkeitsrechts auch in den Verwaltungsvorschrif- ten konsequent umsetzen. Auch nach dem alten Staatsbürgerschaftsrecht hat es Ausnahmetatbestände gegeben, bei denen Mehrstaatig- keit hingenommen wurde. Daher konnte ich Ihre Empö- rung in Hinblick auf den vorliegenden Antrag nicht nachvollziehen. Auch mit der Reform des Staatsangehö- rigkeitsrechts herrscht weiterhin der Grundsatz zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Wenn jedoch die Schwierigkeiten bestimmter ausländischer Mitbürger bei ihren Entlassungsbemühungen das im Einzelfall zumut- bare Maß überschreiten, soll dieser Grundsatz zurückge- stellt werden. Dies ist bereits geltendes Recht nach § 87 Ausländergesetz. Daher appelliere ich nicht nur an die Bundesregie- rung und die Bundesländer, sondern auch an alle Frakti- onen des Deutschen Bundestages, unserem Antrag zuzu- stimmen, damit die Integration unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger auch in praktischer Hin- sicht umgesetzt und erleichtert werden kann. Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Wir erleben hier wieder einmal ein typisches Beispiel, wie Parlamentsar- beit eigentlich nicht laufen sollte. Die Koalitionsfraktio- nen haben sich im Zweifel lange darüber gestritten, bis sie am 7. Oktober 1999 den hier in Rede stehenden An- trag im Parlament einbrachten. Es dauerte dann drei Monate, bis der Antrag im Innenausschuss behandelt wurde, und nun steht er heute – einen Monat später – im Plenum zur Debatte. Der Antrag ist darüber hinaus inhaltlich falsch und deplaciert; denn solche erwünschten länderspezifischen Regelungen gehören nicht in Verwaltungsvorschriften, sondern sollten durch Länderabsprachen aktuell geregelt werden. Die Probleme mit der Republik Jugoslawien scheitern doch daran, dass das dortige Regime für die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft 2700 DM pro Kopf verlangt und derzeit noch entsprechende Zahlung der ehemaligen jugoslawischen Staatsbürger vom EU- Embargo gehindert werden. 8412 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) Die Probleme mit dem Iran liegen in der Weitergel- tung des Niederlassungsabkommens von 1929, dessen Aufhebung von deutscher Seite längst beschlossen ist. Hier sollte man das Auswärtige Amt auffordern, auf die iranische Seite einzuwirken, möglichst bald ihrerseits zu ratifizieren. Wer wie Sie in einem solchen Antrag das Wörtchen „insbesondere“ verwendet, muss sich allerdings sagen lassen, dass es sich hier nicht um präzise, konkrete Schwierigkeiten, sondern um nebulöse Versuche geht, über die Verwaltungsvorschriften vielleicht doch noch den Weg zu einer generellen Hinnahme von Mehrstaat- lichkeit zu erreichen. Marieluise Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das neue Einbürgerungsrecht ist nun gerade acht Wochen alt. Erste stichprobenartige Erhebungen in den Einbürgerungsbehörden zeigen, dass das neue Recht gut angenommen wird. Der Trend ist deutlich: Die Zahl der Antragstellungen hat sich verdoppelt, an einigen Orten gar verdreifacht. Dennoch wird es immer wieder Problemfälle geben, bei denen sich die Einbürgerung schwierig gestaltet. Es handelt sich oft um Probleme, die mit der Situation in den Herkunftsländern zu tun haben, wo die Ausbürge- rung auf Schwierigkeiten stößt. Hier die Hindernisse zu beseitigen, die Verfahren zügig und human zu gestalten ist das Anliegen dieses Antrages. Dieses Anliegen teilen ja durchaus auch einige Kollegen aus der Union. Herr Kollege Bosbach kennt die oft schwierigen Fälle bei der Einbürgerung von Iranern ja aus eigener Anschauung und Praxis. Es ist daher begrüßenswert, dass im Entwurf der Verwaltungsvorschriften versucht wird, diesen Problem- fällen Rechnung zu tragen. Sie wissen um die oft jahre- langen ergebnislosen Ausbürgerungsbemühungen etwa iranischer Staatsbürger. Ich finde, mehr als die Antrag- stellung und eine Wartezeit von 2 Jahren kann ein Rechtsstaat nicht verlangen. Daher sehen die Verwal- tungsvorschriften vor, dass 2 Jahre nach Antragstellung Mehrstaatigkeit hingenommen wird, wenn mit einer Entscheidung nicht mehr zu rechnen ist. Also kein end- loses Bemühen mehr um die Ausbürgerung, kein Ren- nen von Pontius zu Pilatus. Auch die Senkung der Einbürgerungsfrist und die Ausweitung der Anspruchseinbürgerung führt etwa bei iranischen Antragstellern dazu, dass das Zustimmungs- erfordernis nach dem deutsch-iranischen Niederlas- sungsabkommen entfällt und damit die Einbürgerung dieser Staatsangehörigen erleichtert wird. Gleiches sieht die Verwaltungsvorschrift auch für die Ehegatten Deutscher vor, die einen Regelanspruch nach drei Jahren haben. Hier gelten die Hinnahmetatbestände des neuen § 87; damit soll auch die Zustimmungserfor- dernis entfallen. Doch diese Erleichterung wollen nun die B-Länder im Bundesratsverfahren wieder streichen, wie so viele andere Erleichterungen auch. Wir erleben derzeit im Bundesratsverfahren den deutlichen Versuch, die Einbürgerungsverfahren eben nicht human zu gestal- ten, eben nicht Hindernisse zu beseitigen, sondern eher neue Hürden zu schaffen. Weitere Beispiele aus über 100 Änderungsanträgen: Erstens. Zu den unzumutbaren Entlassungsbedingun- gen soll laut Entwurf der Verwaltungsvorschriften etwa zählen, wenn durch die Ausbürgerung Leib und Leben von Angehörigen gefährdet wird, zum Beispiel Bahai. Dieses wollen die unionsgeführten Länder, Bayern vor- an, wieder streichen. Zweitens. Die Ausbürgerung wird von der Ableistung des Wehrdienstes abhängig gemacht. Dies ist bei im In- land Aufgewachsenen, die die Sprache kaum verstehen und ihr Land nicht kennen, wohl kaum zumutbar. Doch das Ist will Bayern durch ein Kann ersetzen. Die Juristen hier im Haus wissen, was der Wandel von Ist zum Kann bedeutet. Wenn etwas nur unzumutbar sein kann und nicht ist, ist es dies auch nicht – zumindest in Bayern nicht. Diese Liste der bayrischen Restriktionen ließe sich beliebig fortsetzen. Nachdem die Union ein unliebsames Gesetz nicht verhindern konnte, will sie nun über die Verwaltungs- praxis der Länder die Hürden für die Einbürgerung hoch und höher hängen. Unter der Hand empfehlen Beamte der Einbürgerungsbehörden in Baden-Württemberg An- tragstellern schon, sie sollten es doch lieber in einem anderen Bundesland versuchen. Dass es dabei nicht um die Verhinderung des Doppelpasses, sondern um die Verhinderung von Einbürgerung geht, macht die Aus- einandersetzung um die Sprachkenntnisse deutlich. Die Verwaltungsvorschriften legen das Niveau fest: Der Bewerber soll sich im täglichen Leben sprachlich zurechtfinden und ein seinem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch führen können. Dazu gehört auch, einen alltäglichen Text lesen, verstehen und den wesentlichen Inhalt mündlich weitergeben zu können. Nicht mehr, nicht weniger. Hier will Bayern einen Sonderweg gehen: So soll der Bewerber dort einen mündlichen und schriftlichen Test absolvieren, der sich im Niveau für das Zertifikat Deutsch an Volkshochschulen orientiert. Dies geht weit über das gesetzliche Erfordernis hinaus. Sprachkenntnisse zu erwarten ist richtig, akademische Höhenflüge und grammatikalische Feinheiten zu verlan- gen dient nur dazu, die Hürden für die Einbürgerung so hoch zu hängen, dass niemand mehr dran kommt. Wer die Einbürgerung von der Beherrschung der neuen Rechtschreibung abhängig machen will, will Ein- bürgerung verhindern, nicht erleichtern. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die Aufforderung des Parlaments, die Bundesregierung und die Bundesländer zu bitten, das neue Staatsangehörigkeitsrecht großzügig anzuwenden, hatte und hat einen guten Grund. Denn Gesetze mit ihren abstrakt-generellen Formulierungen können oft die Vorstellung des Gesetzgebers, wie kon- krete Einzelfälle oder auch typische Fallgruppen gelöst Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8413 (A) (B) (C) (D) werden sollen, nur unzureichend zum Ausdruck bringen. Aus dieser Sorge heraus wurde der heute zur Abstim- mung stehende Antrag der Koalitionsfraktionen gebo- ren. Grundgedanke des reformierten Staatsangehörigkeits- rechts ist weiterhin die prinzipielle Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Ebenso wie im alten Recht soll es aber auch künftig Ausnahmen davon geben, wenn bei ei- ner Einbürgerung die Aufgabe der alten Staatsangehö- rigkeit unzumutbar wäre. Die praktischen Erfahrungen haben gezeigt, dass dies insbesondere für Einbürge- rungsbewerber aus dem Iran und der Bundesrepublik Jugoslawien zutrifft. Das neue Recht gibt den Verwaltungsbehörden in diesen Fällen die eindeutige Möglichkeit, großzügig zu verfahren. Es entspricht aber nicht der üblichen Geset- zestechnik, einzelne Länder im Gesetz zu benennen. Daher hat die Mehrheit, die das neue Staatsangehörig- keitsrecht im Bundestag getragen hat, sich in den Re- formberatungen darauf verständigt, diese Absicht des Gesetzgebers in einem eigenen Antrag zum Ausdruck zu bringen. Die F.D.P. unterstützt ausdrücklich diesen Antrag, wenn es auch etwas seltsam ist, die Bundesregierung zu etwas aufzufordern, worüber gerade am letzten Freitag schon abschließend verhandelt worden ist. Dass der heu- tige Beschluss dennoch notwendig ist, zeigt im Übrigen diese aktuelle Diskussion um die bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum neuen Staatsangehörig- keitsrecht. Wir haben erlebt, dass von einigen Ländern her die Intentionen der Reform konterkariert werden sollten. Die politische Auseinandersetzung, bei der man im Bundestag und im Bundesrat in der Minderheit geblieben ist, sollte auf dem Umweg über Verwaltungs- vorschriften fortgesetzt werden. Die Einigung auf Staatssekretärsebene in der letzten Woche tröstet über diese bedauerliche Feststellung nicht hinweg, denn dem Vernehmen nach wurden dabei Formelkompromisse be- schlossen, die – zum Beispiel bei der Sprachprüfung – den Ländern oft freie Hand lassen. Wenn auch die Verwaltungsvorschriften nicht Ge- genstand der heutigen Beschlussfassung sind, so mag der Antrag doch als allgemeiner Hinweis der Bundes- tagsmehrheit verstanden werden, im Staatsangehörig- keitsrecht alte ideologische Gräben zuzuschütten und zu einer modernen, einer weltoffenen Gesellschaft wie der- jenigen der Bundesrepublik Deutschland angemessenen Verwaltungspraxis zu kommen. Ulla Jelpke (PDS): Schon bei der ersten Beratung hatte ich gesagt, dass ich es merkwürdig finde, wenn SPD und Grüne einen Appell an ihre eigene Regierung verabschieden. Warum haben Sie das nicht dort geregelt, wo es hingehört, nämlich in Ihrem Gesetz? Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich fürchte – zumal nach dem Streit mit den Unionsländern um die Verwal- tungsvorschriften –, dass sich die angebliche Erleichte- rung von Einbürgerungen immer mehr als große Pleite herausstellt. Für Millionen Migranten und Migrantinnen, die auf eine leichtere Einbürgerung gehofft hatten, ist das eine bittere Enttäuschung. Die CDU hat in Hessen letztes Jahr einen ausländer- feindlichen Wahlkampf mit schmutzigem Geld geführt. SPD und Grüne sind danach in einem Ausmaß einge- knickt, dass am Ende nur noch ein Trauerspiel, ein „Re- förmchen“, herausgekommen ist. Nun drohen selbst die- se wenigen Verbesserungen in der Praxis der Länder ins Gegenteil umzukippen. Statt einer erleichterten Einbür- gerung sind Erschwerungen zu befürchten. Das sehen auch die Betroffenen so. Der Ansturm auf die Ämter nach In-Kraft-Treten des neuen Gesetzes ist schon aus- geblieben. Welche schlimmen Blüten die Ausländerfeindlichkeit von CDU und CSU treibt, können wir in den Ländern erleben. In Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und vermutlich Sachsen werden Bewerber um die Staatsbür- gerschaft nun einer schriftlichen Sprachprüfung unter- zogen. Wozu kaum eine Behörde in der Lage ist, näm- lich einen Brief zu verstehen und in einfachem Deutsch zu beantworten, soll Vorbedingung für alle Migranten und Migrantinnen werden. Warum führt Herr Beckstein nicht solche Sprachprüfungen für seine Beamten ein? Wer prüft die bayerischen und sächsischen Sprachprü- fer? Leider ist das Thema nicht zum Lachen. Es zeigt nur, wozu Ausländerfeinde in der Lage sind, wenn es darum geht, Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, das Staatsbürgerrecht zu verweigern. Ich bin gespannt, wie der Bundesrat am Ende mit den Verwaltungsvorschriften zum Staatsbürgerrecht umgeht. Es hat ja eine ganze Reihe von Änderungswünschen der Union gegeben. Ich nenne die Erschwerung der Einbür- gerung von Ehegatten, die Rücknahme der Erleichterun- gen bei der Einbürgerung von mit Deutschen verheirate- ten Iranern, die Ausweitung von Auskunftspflichten auch zulasten von Iranern und die Behinderung der Ein- bürgerung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion. Letzteres ist für mich ein schlimmes Kapitel von Anti- semitismus. Was aus diesen Absichten am Ende wird, werden wir erst nach der nächsten Bundesratsdebatte wirklich wissen. Vor diesem Hintergrund wird, so denke ich, auch der heutige Appell nicht viel helfen. Wir werden dem zu- stimmen, weil wir die Intention mittragen. Aber den Menschen, um die es geht, wird damit, so fürchte ich, nicht geholfen sein. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekre- tärin beim Bundesministe des Inneren: Wer sich aktiv mit der Migrationspolitik befasst, kennt die Situation zur Genüge: Fast in jeder öffentlichen Diskussion um ausländerrechtliche Fragen meldet sich irgendwann ein Iraner oder eine Iranerin aus dem Publikum und berich- tet vom Saalmikrofon aus – meist übrigens in sehr gu- tem Deutsch – von seinen oder ihren Schwierigkeiten beim Versuch, die deutsche Staatsangehörigkeit zu er- werben. Einzelfälle, die per Brief oder Petition an uns herangetragen werden, sind mittlerweile Legion. Die Bundesregierung hat deshalb volles Verständnis dafür, 8414 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) dass die Koalitionsfraktionen noch vor der Verabschie- dung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts darauf ge- drängt haben, besonders auf die Probleme der Menschen aus dem Iran und aus Jugoslawien zu achten. Es ist gut, dass ein so bedeutsames gesellschaftspoli- tisches Reformwerk zusätzlich Schubkraft bekommt. In- zwischen ist das Gesetz selber in Kraft, und die Bera- tung über die Verwaltungsvorschriften weit vorange- schritten. Aber der Antrag hat immer noch seine Aktua- lität, weil er den Ländern, die noch zu einer restriktiven Auslegung des Gesetzestextes neigen, die Probleme der Iraner und Jugoslawen verdeutlicht. Und wir wollen doch, dass die Reform ihr Ziel erreicht: nämlich die In- tegration zu fördern und Hürden beim Erwerb des deut- schen Passes wegzuräumen! Dennoch kann ich schon jetzt festhalten, was sich für Einbürgerungsbewerber aus dem Iran und aus Jugosla- wien durch das neue Gesetz und den von der Bundesre- gierung vorgelegten Entwurf für die Verwaltungsvor- schriften zum Besseren wendet. Dazu einige wichtige Punkte: Für die Iraner ist von besonderer Bedeutung, dass die Frist bis zum Einbürge- rungsanspruch fast halbiert worden ist. Denn so fallen sie nicht mehr unter die Bestimmungen des deutsch- iranischen Niederlassungsabkommens, das ihnen die Einbürgerung fast unmöglich macht, weil der Iran dazu seine Zustimmung geben müsste. Sie profitieren auch davon, dass Ausländer, die politisch verfolgt im Sinne des § 51, oder Flüchtlingen im Rahmen humanitärer Aufnahmequoten sind, sich nicht mehr um die Entlas- sung aus ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit be- mühen müssen. Gerade Iraner sind unter diesen beiden Gruppen zahlreich vertreten. Sie erhalten jetzt auch ei- nen Einbürgerungsanspruch, wenn ihnen andernfalls er- hebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art entstehen. Das trifft gerade auf Iraner häufig zu. Den jugoslawischen Einbürge- rungswilligen hilft die Regelung weiter, nach der Mehr- staatigkeit dann hingenommen werden kann, wenn die Gebühren für die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit unverhältnismäßig hoch sind. Genau das ist bei Jugos- lawen der Fall. – Sie sehen also, es hat sich allerlei zu- gunsten der Betroffenen getan. Lassen Sie mich die Gelegenheit noch nutzen und ei- nen Appell an all diejenigen richten, die insgesamt von dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht profitieren sollen. Machen Sie von den neuen Chancen Gebrauch! Das gilt nicht zuletzt auch für die Eltern der Kinder bis zu zehn Jahren, die den Einbürgerungsanspruch im laufenden Jahr, 2000, per Antrag anmelden können. Ein zweiter Appell geht an die Migrantenorganisationen, die sich immer noch über die Vorbedingungen für die Einbürge- rung beklagen, vor allem über das Bekenntnis zum Grundgesetz und die ausreichenden Sprachkenntnisse. Ich habe zwar Verständnis für die Sorgen, die sich vor allem ältere Migranten, und insbesondere Migrantinnen deshalb machen, und ich hoffe, dass die Ausländerbe- hörden den Handlungsspielraum des Gesetzes für diesen Personenkreis sensibel und großzügig nutzen. Aber Sprachkenntnisse sind nun einmal die Fahrkarte zu In- tegration, Chancengleichheit und voller gesellschaftli- cher Teilhabe. So und nicht anders sind die Kriterien des neuen Staatsangehörigkeitsrechts gemeint. Und die ers- ten Erfahrungen geben uns Recht. Die Zahl der Anträge auf Einbürgerung steigt. Die Bilanz von Mitte Februar war: In München und Bonn gibt es viermal so viele wie vorher, in Hamburg sind es 50 Prozent mehr, in Kiel so- gar 300 Prozent. Nicht überall ist der Run so stark, aber der Trend ist vor allem in den Großstädten eindeutig. Wir sind – allen Unkenrufen zum Trotz – ein tüchtiges Stück vorangekommen. Und das ist gut so. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern (... Zuständigkeitslockerungsge- setz) (Tagesordnungspunkt 11) Dr. Michael Bürsch (SPD): Seit rund 10 Jahren be- mühen sich die Bundesländer intensiv darum, ihre Ver- waltungen an Haupt und Gliedern zu reformieren. Der heute zu beschließende Gesetzentwurf mit dem etwas sperrigen Titel „Zuständigkeitslockerungsgesetz“ soll diese Reformbemühungen unterstützen. Als die Länder mit den Verwaltungsreformen began- nen, war die Begeisterung und das Engagement vieler- orts groß. Inzwischen ist die Aufbruchstimmung der ers- ten Jahre etwas verflogen – unter anderem deshalb, weil der Reformprozess mehr und mehr von der Haushaltsnot als von echten Modernierungskonzepten geprägt ist. Neuer Schwung tut Not für die Verwaltungsreformen! In diesem Zusammenhang wird von Länderseite eine interessante Entwicklung berichtet: Gerade in jenen Ländern, die grundlegende Strukturveränderungen in Angriff genommen haben und daran gehen, Verwal- tungsebenen zu reduzieren, ist eine Dynamisierung der Reformprozesse zu beobachten. Jüngstes Beispiel ist Rheinland-Pfalz, das trotz mancher Widerstände die Re- gierungspräsidenten, das heisst die mittlere Verwal- tungsebene, abgeschafft hat. Andere Länder wie Nord- rhein-Westfalen gehen ähnliche Wege. Es sind offenbar die mutigen Schritte und fundamentalen Strukturverän- derungen, die dem Reformprozess wieder neuen Elan bringen können. Jedes Bundesland muss für sich selbst den eigenen Weg der Modernisierung finden. Dies setzt aber voraus, dass der Bund den Ländern den dafür nötigen Gestal- tungsspielraum lässt. Wünschenswert wäre aus meiner Sicht, wenn der Bund zukünftig mehr politisch steuert und in der Umsetzung längere Leine lässt, statt zu viel selbst zu bestimmen. Die Länder brauchen Raum für mehr Eigeninitiative und mehr Eigenverantwortung. Hier setzt das Zuständigkeitslockerungsgesetz an. Es räumt den Ländern größere Spielräume für ihre Verwal- tungsreformen ein. Es ermöglicht ihnen insbesondere die Verlagerung von Aufgaben auf nachgeordnete Behörden und steht im Kontext der umfassenden Bemühungen im Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8415 (A) (B) (C) (D) Bund und in den Ländern, die Verwaltung zu vereinfa- chen und effizientere Strukturen zu schaffen. Viele Aufgaben, deren Bedeutung sich im Laufe der Zeit verändert hat, wie zum Beispiel die Kriegsopferver- sorgung und die Flurbereinigung, können heute prob- lemlos mit weniger Verwaltung als früher bewältigt werden. So kann Doppelarbeit vermieden und Verwal- tungsaufwand beim Vollzug von Bundesgesetzen ver- ringert werden. Zweifellos wird mit dem Zuständigkeitslockerungs- gesetz, etwa der Änderung der Rasenmäherlärm- Verordnung, des Milch- und Fettgesetzes und anderer Gesetze der deutsche Föderalismus nicht revolutioniert, aber: Auch mit Kleinvieh ist Fortschritt zu machen. Dass der Bund freiwillig Kompetenzen an die Länder abgibt, geschieht nicht alle Tage und ist schon deshalb ein wichtiges Signal für die reformbereiten Bundeslän- der. Entgegen den eher zentralistischen Tendenzen der 80er- und 90er-Jahre zeigt der Bund mit dem Zuständig- keitslockerungsgesetz seine Bereitschaft, den Födera- lismusgedanken ernst zu nehmen und den Ländern mehr Autonomie zuzugestehen. Das gute alte Prinzip der Sub- sidiarität kommt damit wieder zu Geltung. Über die allzu bürokratische Sprache des Zuständig- keitslockerungsgesetzes ließe sich manche kritische Anmerkung machen. Ich beschränke mich mit Rudolf von Ihering für künftige Reformgesetze auf den Appell: „Der Gesetzgeber soll denken wie ein Philosoph, aber reden wie ein Bauer“. Ein persönlicher Wunsch zum Schluss: Der öffentli- che Dienst auf allen staatlichen Ebenen steht und fällt mit der Qualität und Motivation seiner Mitarbeiter. Viel wichtiger als Reformen zur Organisation der Verwal- tung und zur Vereinfachung der Verwaltungsabläufe scheinen mir gerade in der Zeit knapper Kassen Refor- men, die den Beschäftigten direkt zugute kommen, zum Beispiel die Einführung moderner Personalführungsme- thoden wie Personalentwicklung, Beurteilungsrichtli- nien, Leistungsanreize, Arbeitzeitkonten etc. Hier bietet sich für die Länder wie für den Bund ein weites, sehr er- tragreiches Betätigungsfeld für Reformen. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): “Zu- ständigkeitslockerungsgesetz“ – dieses Wort klingt für Uneingeweihte ein bisschen nach Gymnastik und Kör- perertüchtigung. Ganz falsch ist dieser Eindruck nicht. Der heute zur Beschlussfassung vorliegende Gesetzent- wurf ist die Voraussetzung für eine ganze Reihe von Verwaltungsreformen in den Ländern. Reformen, die überflüssige Bürokratie abbauen und die Verwaltungen bürgerfreundlicher gestalten. Die Länder, die viele Auf- gaben vom Bund als Aufragsverwaltung ausführen, wol- len verständlicherweise nicht darauf festgelegt werden, alles immer nach einem vorgebenen Schema auszufüh- ren. Sie wollen die ihnen auferlegten Aufgaben, je nach Bedarf, den ihnen geeignet erscheinenden Ebenen zu- ordnen, auslagern und an freie Träger übertragen, um ih- ren Haushalt und ihre Bürokratie zu entlasten. Daneben macht es aus ihrer Sicht Sinn, bestimmte Aufgaben wie die Umsetzung der „Rasenmäherlärm-Verordnung“ gleich selbst in die Hand zu nehmen oder wiederum der- jenigen Ebene zu übertragen, die in ihren jeweiligen Ländern am besten dafür geeignet ist. Natürlich geht es dabei auch um Kosteneinsparungen. Dagegen ist absolut nichts einzuwenden, wenn es tatsächlich um Effizienz- steigerung und die Verlagerung von Kompetenzen auf untere Ebenen geht – zum Beispiel von der Kabinetts- auf die Ministerebene oder von der Landes- auf die Kommunalebene. Gerade weil der Katalog der mögli- chen Zuständigkeitslockerungen aber so umfangreich und heterogen ist, besteht die Gefahr, dass neben Sinn- vollem auch Maßnahmen durchgezogen werden, die ei- ne Qualitätsverschlechterung, eine Verringerung von notwendigen politischen Steuerungsmöglichkeiten oder Interessenkonflikte zwischen öffentlichem Auftrag und privatwirtschaftlichem Gewinnstreben nach sich ziehen. Massiv bestanden diese Probleme bei der Jugendhilfe, die auf nichtökonomische Qualitätsstandards besonders angewiesen ist. Deshalb wurde die hier geplante Ände- rung von § 85 SGB VIII, KJHG, nach ebenso effizien- tem wie begründetem Widerstand mit Unterstützung des Familienministeriums aus dem Katalog entfernt. Eine solche Öffnungsklausel für Verschlechterungen in der Jugendhilfe wird auch als seperarte Vorlage keine Un- terstützung durch uns erhalten. Dass die Länder dagegen die Zuständigkeitsebenen für einzelne Bereiche, wie die Ausführung des Bundeso- zialhilfegesetzes, selbst bestimmen dürfen, erscheint da- gegen sinnvoll. Schließlich ist der Verwaltungsaufbau in den Ländern sehr verschieden – man denke nur an den noch immer vierstufigen Aufbau der Landesverwaltung in Bayern. Für die Kommunen hat eine Zuständigkeits- lockerung zwei Seiten: Sie können, mit vereinten Kräf- ten, von den Ländern die Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben – etwa beim Kreislaufwirtschafts- und Ab- fallgesetz – erstreiten. Das ist auch im grünen Sinne, denn viele Aufgaben können lokal besser und bürger- und bürgerinnennäher erfüllt werden. Aber: Die Kom- munen könnten in der Folge auch zusätzliche Aufgaben von den Ländern aufgedrückt bekommen. Da heißt es dann wachsam bleiben, vor allem bei der Kostenerstat- tung und der Qualität der Leistungen. Meiner hier vorgetragenen, differenzierten Einschät- zung entsprechen auch die Änderungsanträge der Frak- tion von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Sie greifen die Bedenken der Bundesregierung gegenüber der Bun- desratsvorlage auf und schlagen konstruktive Änderun- gen vor. Insgesamt wollen wir die Zuständigkeitslockerungen so gestalten, dass keine einseitigen Belastungsverschie- bungen zulasten anderer staatlicher Ebenen entstehen. Wir wollen sicherstellen, dass keine Qualitätsver- schlechterungen eintreten oder die Qualitätssicherung unter den Tisch fällt. Und wir wollen verhindern, dass rechtssystematische Brüche oder Rechtsunsicherheiten eintreten. Dafür sind die Änderungen der Koalitionsfraktionen unerlässlich. Zeitgemäße Verwaltungsreformen sparen nicht nur Geld. Sie sorgen dafür, dass die öffentliche Verwaltung 8416 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) kundenorientierter wird und zugleich die Arbeitszufrie- denheit der Beschäftigten steigt. Viele dieser Reformen wurden über Jahre und Jahrzehnte verschleppt – zu Las- ten der Bürgerinnen und Bürger und zulasten des Anse- hens unseres Staates. Die Vorlage der Länder gibt nun, zusammen mit den notwendigen Ergänzungen der Koa- litionsfraktionen, den Startschuss für zahlreiche, bislang auf Eis gelegte Reformen. Sie haben daher unsere Zu- stimmung verdient. Dr. Max Stadler (F.D.P.): In der Ausbildung wird jungen Beamten – halb scherzhaft – beigebracht, die ers- te Frage, die sie bei der Bearbeitung eines Vorgangs stellen müssten, lautet: Wer ist zuständig? Mag diese Frage gelegentlich auch zur Strategie der Abwehr unan- genehmer Aufgaben gehören, so steckt doch hinter Zuständigkeits- und damit Kompetenzabgrenzungen in einem Rechtsstaat ein guter Sinn. Für den Zugang zu Gerichten gibt Art. 101 des Grundgesetzes den Bürge- rinnen und Bürgern sogar das wichtige Grundrecht auf den „gesetzlichen Richter“. Auch im Bereich der Exeku- tive haben Zuständigkeitsregelungen durchaus ihre Be- deutung. Die Effizienz der Verwaltung, Kostengesichts- punkte und Bürgernähe sind einige der hierfür maßgeb- lichen Kriterien. Ein Gesetzentwurf, der dem Grundprinzip der Subsi- diarität folgt und Zuständigkeiten, wo immer dies mög- lich und sinnvoll ist, von oben nach unten verlagert, fin- det daher prima vista die Sympathie der Liberalen. Dies entbindet uns freilich nicht der Pflicht zur Kritik im Detail. Ich will keinen Hehl daraus machen, dass der Gesetzentwurf des Bundesrates in der ursprünglichen Form nicht die Zustimmung der F.D.P.-Fraktion gefun- den hätte. Wir legen vor allem Wert darauf, dass in der Arbeitsgerichtsbarkeit weiterhin die bewährte anwaltli- che Vertretung der Prozessparteien in zweiter und dritter Instanz gewährleistet sein muss. In der gestrigen Sitzung des Innenausschusses ist die unseren Vorstellungen zu- widerlaufende Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes aus dem Gesetzentwurf ersatzlos gestrichen worden. Dies macht den Weg frei für die heutige Zustimmung der F.D.P.-Fraktion. Freilich ist für uns weiterhin frag- lich, ob es nicht besser wäre, Vereinsverbote prinzipiell obersten Landesbehörden vorzubehalten, da es sich doch um einen nicht unerheblichen Eingriff in ein Grundrecht handelt. Die – zugegeben – schon bestehende Möglich- keit in der Verwaltungsgerichtsordnung, die Entschei- dung über Widersprüche der Ausgangsbehörde zu über- lassen, hätte auch nicht unbedingt ausgedehnt werden müssen: Schließlich erscheint es uns ein wenig zu ängst- lich, dass von den Regierungsaktionen in den Aus- schussberatungen die ursprünglich vorgesehene Delega- tion auf „nach Landesrecht zuständige Stellen“ korri- giert worden ist. Nunmehr gilt die Zuständigkeitsverla- gerung nur noch für „nach Landesrecht zuständige Be- hörden“. Die Furcht vor Privatisierung hat hier den Koa- litionsfraktionen die Feder geführt. Schließlich muß erst die Praxis erweisen, ob entgegen der Auffassung der Bundesregierung die geplante Zu- ständigkeitskonzentration von Staatsanwaltschaften für die Strafvollstreckung und die Vollstreckung von Maß- regeln der Besserung und Sicherung sich in der Praxis bewähren wird. Da aber unsere Hauptkritikpunkte durch Korrekturen am ursprünglichen Entwurf in den Ausschussberatungen beseitigt worden sind, möchte die F.D.P.-Fraktion die- sem kleinen Schritt zur Flexibilisierung der Verwaltung keine Hindernisse in den Weg legen und stimmt daher trotz fortbestehender Einwände zu. Petra Pau (PDS): Ich bin ein Fan von Verwaltungs- reformen, allemal, wenn es um die Entwirrung von Kompetenz-Wirrwarr, um mehr Bürgernähe und Trans- parenz, um den Abbau von Doppelzuständigkeiten geht. Entscheidungskompetenzen gehören so nah wie möglich dorthin, wo sich die Entscheidungen letztlich auswirken. Das ist die grundsätzliche Auffassung der PDS. Genau diesem Anspruch widersprach der ursprüng- lich vom Bundesrat vorgelegte Gesetzentwurf. Mehr noch, es drohte die Privatisierung von Entscheidungen, und er enthielt die Gefahr, dass gesetzlich garantierte Leistungen für Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt werden können. Diese Mängel konnten in den Aus- schussberatungen zum größten Teil behoben werden. Gleichwohl gilt auch für den jetzt vorliegenden Text: Der Teufel steckt im Detail beziehungsweise er verbirgt sich unter den Verordnungen über Kleinfeuerungsanla- gen, über die Messung von Rasenmäherlärm oder unter dem Milch- und Fettgesetz. Es geht heute um einen Mix vielfältigster Regelungen, darunter auch um das Ver- einsgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung. Beide würden in der vorliegenden Fassung zu weniger Rechts- sicherheit führen. Da die vorliegenden Änderungen nur im Paket abge- stimmt werden, werden wir daher das Gesamtwerk ab- lehnen. Denn wir können nicht mehr Bürgernähe auf der einen mit mehr Rechtsunsicherheit auf der anderen Seite befürworten. Fritz-Rudolf Körper, Parl. Staatsekretär beim Bun- desminister des Inneren: Die Zustimmung zu einer Fülle von Vorschlägen der Länder durch die neue Bundesre- gierung verdeutlicht das Umdenken entsprechend dem Programm der Bundesregierung „Moderner Staat – Mo- derne Verwaltung“. Die Modernisierung von Staat und Verwaltung kann in einem föderalen Staat wie der Bun- desrepublik Deutschland nur dann nachhaltig gelingen, wenn auch die Beziehung der staatlichen Ebenen unter- einander – und hier vor allem das Verhältnis zwischen Bund und Ländern – in den Blick genommen wird. Die Länder brauchen für die Neugestaltung dieses Verhältnisses einen größeren Entscheidungsfreiraum für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben. Die Bundesre- gierung wird deshalb alles tun, um Barrieren abzubauen, die selbst verantwortliches Handeln der Länder– und auch der Kommunen – behindern. Eine ganz wesentli- che Voraussetzung hierfür ist der Abbau bundesrechtli- cher Vorgaben – wie dies jetzt durch das Zuständigkeits- lockerungsgesetz geschieht. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8417 (A) (B) (C) (D) Wenn den Ländern der Vollzug des Bundesrechts grundsätzlich als eigene Aufgabe übertragen wird, so sollte der Gestaltungsspielraum der Länder nicht durch strikte bundesrechtliche Vorgaben für die Durchführung des Bundesrechts mehr als notwendig eingeengt werden. So ist es in vielen Fällen möglich, auf die Festlegungen einer bestimmten Landesbehörde oder gar der obersten Landesbehörde durch den Bund zu verzichten und es den Ländern durch Öffnungsklauseln zu ermöglichen, die zuständigen Behörden selbst festzulegen. Die Modernisierung der Verwaltung ist ein langwie- riger Prozess, der ständig fortgesetzt werden muss. Die Summe vieler Einzelmaßnahmen führt zum Erfolg. Die Bundesregierung wird deshalb ihre Reformbemühungen fortsetzen. Derzeit prüft sie weitere 183 Vorschriften zur Lockerung der Zuständigkeit, die von den Ministerprä- sidenten der Länder vorgeschlagen wurden. Maßstab für die Lockerung ist die Überzeugung, dass die Länder grundsätzlich eigenverantwortlich entscheiden können, welche Zuständigkeit eine sachgerechte Verwaltungs- praxis am besten gewährleistet. Einige Beispiele: Bei Art. 13, dem Vereinsgesetz, wird den Ländern gestattet, dass Vereinsverbote auch von Behörden unterhalb der obersten Landesbehörde ausgesprochen werden können. Es ist auch gelungen, bei Art. 33, dem Gesetz über die Errichtung der Verwal- tungsbehörden der Kriegsopferversorgung, einen ver- nünftigen Kompromiss zu finden. Dem Vorschlag der Länder, das Gesetz vollständig aufzuheben, konnte nicht gefolgt werden; dies hätte bei den Kriegsopferverbänden die Besorgnis hervorgerufen, dass die Versorgungsver- waltung als fachlich kompetente Sozialverwaltung und damit die Betreuung der über 1 Million Kriegsopfer nicht mehr gewährleistet wäre. Um jedoch den Spiel- raum der Länder bei der Versorgungsverwaltung zu er- weitern, ist es vertretbar, auf die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes durch besondere Verwal- tungsbehörden zu verzichten. Die jetzt vorgesehene Neuregelung ist Voraussetzung dafür, dass das wichtige Reformvorhaben zur Moderni- sierung der Landesverwaltung in Nordrhein-Westfalen wie vorgesehen zum Abschluss gebracht werden kann. Der Verwaltungsaufwand der Länder beim Vollzug von Bundesgesetzen soll verringert werden. Hierzu ist der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern ein erster wichtiger Schritt. Die Bundesregierung stimmt ausdrücklich den Vor- schlägen in der Form des Änderungsantrags der Fraktio- nen der SPD und von Bündnis 90/DIE GRÜNEN zu. Gegenüber der Stellungnahme der Bundesregierung vom 23. März 1999 wird der Bund bei sechs weiteren Vor- schlägen den Vorschlägen des Bundesrates entsprechen. Bei Art. 26, der Binnenmarkt- und Tierseuchen- schutzverordnung, und bei Art. 27, dem Milch- und Fettgesetz, wird dem Vorschlag des Bundesrates nun- mehr vorbehaltlos zugestimmt. Bei Art. 12, dem Bundessozialhilfegesetz, erfolgt die Zustimmung mit der Maßgabe, dass die örtliche Zustän- digkeit für die Sozialhilfe von den Kreisen und kreis- freien Städten durch Landesrecht nur auf leistungsfähige Träger übertragen werden darf. Art. 20, Unterhaltsicherungsgesetz, wird ebenfalls zugestimmt mit der Maßgabe, dass die Landesregierun- gen künftig anstelle der obersten Landesbehörde eine nachgeordnete Landesbehörde bestimmen können, die das Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Ver- teidigung bei der Gewährung eines Härteausgleichs her- stellt. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pass- und Personalausweisrechts (Tagesordnungspunkt 12) Rüdiger Veit (SPD): Den heute in Rede stehenden Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Ände- rung des Pass- und Personalausweisrechts könnte man fast ohne Aussprache beschließen. Denn er enthält vor allem eine Reihe redaktioneller Veränderungen, die durch die deutsche Einheit bedingt sind, durch die Um- wandlung der Bundesdruckerei in eine GmbH, aber auch so banale Punkte wie die Abschaffung des Unterschieds zwischen roten und schwarzen Dienstpässen – was na- turgemäß nicht politisch gemeint ist – oder wie die Be- rücksichtigung der Nichtmaschinenlesbarkeit des Dok- tortitels als Namensbestandteil. In einem Punkt allerdings hat dieser Gesetzentwurf auch die Öffentlichkeit durch zahlreiche Pressebericht- erstattungen ab etwa Mitte Januar beschäftigt. Es geht im Kern darum, Zuwiderhandlungen gegen passbe- schränkende Maßnahmen – also Einschränkungen des Geltungsbereiches und der Gültigkeitsdauer eines Pas- ses – ebenso unter Strafe zu stellen wie es das geltende Recht auch schon für Strafbemessungen beim Verstoß gegen Passversagung kennt. Hintergrund ist das Sicher- heitskonzept „Euro 2000“ der Bundesregierung zur Ver- hinderung von Ausschreitungen bei der Fußballeuropa- meisterschaft 2000 in den Beneluxländern. Anders ge- sagt, geht es also um einen Beitrag der Bundesregierung zur Bekämpfung des Hooliganunwesens durch Deutsche im Ausland. Nachdem wir diesen Komplex in der gestrigen Sit- zung des Innenausschusses bereits andiskutiert haben, kann ich Ihnen kaum noch ein Geheimnis verraten, wenn ich sage, dass auch in der SPD-Fraktion und na- mentlich in der Arbeitsgruppe Inneres der effektive Nut- zen und die Wirksamkeit dieser Gesetzesänderung – ganz vorsichtig ausgedrückt – skeptisch beurteilt wird. Wenn wir uns aber ohne großes Aufheben – ganz in der Wortwahl der gestrigen Sitzung – darauf verständigen mögen, dass im Sinne eines Mosaiksteins auch die kleinste etwa noch bestehende gesetzgeberische Lücke geschlossen werden soll, dann sollten wir uns diesem Ansinnen der Innenministerkonferenz vom 18. und 19. November des letzten Jahres in Görlitz nicht verschlie- ßen. Eigentlich sollten die Länderinnenminister in ihrer 8418 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) größeren Sachnähe zu Polizeivollzugsmaßnahmen es ohnehin besser wissen als zum Beispiel wir. Und wer wollte sich zudem einem gesetzgeberischen Anliegen, für das der niederländische und der belgische Innenmi- nister den deutschen Innenminister schon ausdrücklich belobigt haben, verweigern? Aber jetzt wieder ganz im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir sind uns wahrscheinlich alle hier im Hause – und das nicht erst seit jenem schrecklichen Schicksal des französischen Polizeibeamten Nivell, von deutschen Hooligans anlässlich der Fußballweltmeister- schaft 1998 in Frankreich verursacht – darüber einig, dass es sich bei dem Hooliganunwesen um eine üble Fa- cette missverstandenen, womöglich vorgeschoben sport- lich-motivierten, gleichwohl falschen Nationalstolzes und damit auch um eine verabscheuungswürdige Form von Rechtsradikalismus handelt, der mit allen mit unse- rer Verfassung zu vereinbarenden und rechtsstaatlich vertretbaren Mitteln bekämpft werden muss. Betrüblicherweise sind es fast 3 000 Deutsche, die in die Kategorie C und damit als besonders gewaltbereite Hooligans eingestuft werden müssen. Deshalb: Wesent- lich wirksamer als diese Gesetzesinitiative sind mit Si- cherheit eine Reihe anderer Maßnahmen im Rahmen des Sicherheitskonzepts „Euro 2000“. Ich nenne hier bei- spielhaft: erstens anlassbezogene Grenzkontrollen nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen, zwei- tens die Unterstützung der niederländischen und belgi- schen Polizei durch deutsche Polizei, BKA-Beamte und einen vor Ort anwesenden Staatsanwalt, drittens eine verbesserte Risikoanalyse und schnellere Informationen durch die „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“ und viertens den Einsatz von BGS-Beamten, die zum Beispiel in den letzten Tagen für das Freundschaftsspiel in Amsterdam mit 1 350 Beamtinnen und Beamten über 4 000 Personenkontrollen durchgeführt haben. In der Begründung des Gesetzentwurfes an entspre- chender Stelle befinden sich folgende Sätze: „Die wei- tergehende Strafbewehrung trägt auch dazu bei, poten- zielle Gewalttäter davon abzuhalten, entgegen passbe- schränkenden Verfügungen auszureisen.“ Das glaube ich nun sicher nicht! Und weiter: „Außerdem eröffnet die Regelung Repressionsmöglichkeiten gegenüber dem oben genannten Personenkreis, dessen typische Aus- landstaten im Inland nicht ohne weiteres verfolgt werden können.“ Das mag zwar sein, allerdings steht der nach dem Passgesetz dann zur Verfügung stehende Strafrahmen bis zu einem Jahr Gefängnis wohl in keinem sinnvollen Verhältnis zu eben der Gefahr und eben den Straftaten, die bis hin zu schwersten Körperverletzungen gehen oder eine nur so zu bezeichnende Gemeingefährlichkeit darstellen. Richtig aber dürfte sein – auch wenn es in der Begründung des Gesetzes gerade nicht enthalten ist –, dass deutschen Grenz- und Strafverfolgungsbehörden durch die zu beschließende Strafbewehrung geringfügig bessere Möglichkeiten eröffnet werden, aus dem Aus- land zurück abgeschobene deutsche Hooligans vorläufig festzunehmen, erkennungsdienstlich zu behandeln, län- ger in Gewahrsam zu behalten und eventuell einem be- schleunigten Strafverfahren zuzuführen. Dies mag dann mittelbar auch zu einer erleichterten Identitätsfeststel- lung und Beweisführung im Ausland massivst straffällig gewordener Gewalttäter dienen. So verstanden wollen wir als SPD-Bundestags- fraktion – bei aller gebotenen Skepsis – diesen gesetz- geberischen Mosaikstein zur Bekämpfung des Hooliga- nunwesens also hinzutun. Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Zu einer Uhrzeit, bei der erfahrungsgemäß nur bienenfleißige und ganz besonders tapfere Kolleginnen und Kollegen noch im Plenum ausharren, debattieren wir heute – unter einer zugegebenermaßen spröden Überschrift – ein Thema, das von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist – nicht nur für Fußballfans, sondern auch für die Zukunft des Sports insgesamt und das Ansehen unseres Landes in der Welt. Wer die Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Än- derung des Pass- und Personalausweisrechts“ hört, könnte geneigt sein, fluchtartig den Saal zu verlassen und selbst hartnäckige Phoenix-Kunden könnten in Ver- suchung kommen, die Fernbedienung zu suchen. Die wäre jedoch voreilig, denn das zu behandelnde Problem ist von großem öffentlichen Interesse. Nicht erst seit den tragischen Ereignissen von Bradford und Brüssel im Mai 1985 oder seit dem Attentat auf den französischen Gen- darmen David Nivel am 21. Juni 1998 in Lens im Rah- men der letzten Fußball-WM. In diesem Gesetzentwurf wird auch – die deutsche Rechtswissenschaft wird sagen: Endlich! – die histori- sche Frage beantwortet, wie die Bundesrepublik Deutschland – nachdem die Bundesdruckerei in der Rechtsform GmbH geführt wird – Eigentum an den Passdokumenten erlangt, nämlich nicht mehr durch de- ren Produktion, sondern durch Gesetz. Da ich jedoch davon ausgehe, dass diese Nachricht die Bevölkerung nicht gerade elektrisiert, möchte ich mich gleich einem anderen, wirklich wichtigen Kapitel zuwenden. Im Kern geht es darum, dass der Gesetzentwurf mit- helfen soll – mehr kann er nicht leisten –, gewalttätige Auseinandersetzungen im Rahmen großer internationa- ler Sportveranstaltungen frühzeitig zu bekämpfen. Ins- besondere im Hinblick auf die EM, die vom 10. Juni bis 2. Juli in Belgien und in den Niederlanden stattfinden wird. Das Gesetz will nicht begeisterte Fußballfans oder gar die friedlichen Schlachtenbummler der Fußballnati- onalmannschaft kriminalisieren, zumal diese in letzter Zeit ohnehin viel mitmachen und sich durch eine große Leidensfähigkeit auszeichnen. Er will vielmehr einen Beitrag dazu leisten, dass Kriminellen, so genannten Hooligans, das Handwerk gelegt wird. Es kann sein, dass es Hooligans gibt, die von sich be- haupten, sie seien echte Fußballfans, oder dass sie sich als solche tarnen. Tatsächlich sind es jedoch gewöhnli- che Kriminelle, die leider insbesondere den Fußballsport dazu missbrauchen, ihr Unwesen zu treiben. Echte Fans, die diesen Sport lieben und ihrem Verein und der Natio- nalmannschaft helfen wollen, sollten sich, wo immer und wann immer möglich, in ihrem eigenen Interesse von diesen Hooligans distanzieren. Denen geht es näm- Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8419 (A) (B) (C) (D) lich nicht um den Sport, um einen fairen Wettkampf, nicht um den Fußball – die schönste Nebensache der Welt. Hooligans geht es um nackte Gewalt und „immer häufiger um extreme Grade von Brutalität und Grau- samkeit“, wie der DFB betroffen konstatieren musste. Dies kann der Staat nicht dulden, zumal Gewalt in all ih- ren Erscheinungsformen kein fußballspezifisches son- dern – leider – ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Wer das gewalttätige Treiben der Hooligans frühzei- tig unterbinden will, muss zunächst dafür sorgen, dass ihnen die Einreise nach Belgien und in die Niederlande verwehrt wird. Aus gegebenem Anlass soll zukünftig bekannten Gewalttätern – unter bestimmten Vorausset- zungen zur Gefahrenabwehr die Aus- bzw. Einreise un- tersagt werden können. Nach geltendem Recht sind jedoch Zuwiderhandlun- gen gegen Passversagungen, nicht aber gegen nur pass- beschränkende Maßnahmen mit Strafe bedroht. Diese Strafbarkeitslücke soll geschlossen werden. Wer gegen diese passbeschränkenden Maßnahmen verstößt, soll zukünftig schon alleine wegen dieses Deliktes bestraft werden können. Ob er daneben im Ausland irgendwel- che Straftaten begeht, ist in diesem Zusammenhang un- erheblich. Aber machen wir uns bitte nichts vor: Dieses Gesetz ist sicherlich gut gemeint, entscheidend ist jedoch nicht der nackte Gesetzestext, sondern der Gesetzesvollzug, die praktische Handhabung, also die Umsetzung in den kommenden Wochen und Monaten durch die zuständi- gen Behörden. Und da wird es eine Menge Arbeit geben. Dieses Gesetz macht nur dann Sinn, wenn die geplanten passbeschränkenden Maßnahmen in der Praxis auch tat- sächlich verhängt werden. Wir werden daher bei den an- stehenden Beratungen im Innenausschuss insbesondere prüfen müssen, ob der Gesetzeszweck mit diesen Maß- nahmen überhaupt erreicht werden kann. In der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, sind circa 8 000 gewaltgeneigte und gewaltbereite Row- dies registriert, zwischen 2 700 und 3 000 werden zum harten Kern gerechnet. Nach den bitteren Erfahrungen von Lens erscheint es dringen geboten, die Sicherheits- vorkehrungen nicht wie früher auf die jeweiligen Spiel- orte zu beschränken, gerade präventive Maßnahmen müssen früher ansetzen. Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzentwurf durchaus diskussionswürdig, jedenfalls ist undifferenzierte Pauschalkritik, wie sie von den Bündnisgrünen Appel und Özdemir öffentlich vorge- bracht wurde, zumindest in dieser Form, nicht nachvoll- ziehbar. Dies gilt auch für die etwas nebulösen Ausfüh- rungen des Kollegen Wiefelspütz, nach deren Lektüre ich ehrlich gesagt nicht wusste, ob er für oder gegen den Gesetzentwurf ist. Bessere Vorschläge sind jedenfalls herzlich will- kommen und allemal sinnvoller, als die grüne Schmäh- kritik, hier werde – so wörtlich – „in die Mottenkiste des Obrigkeitsstaates“ gegriffen. Wenn das der grüne Bei- trag zur Problembewältigung sein soll, dann könnten bald die ersten Dankschreiben der Hooligans bei Ihnen eintreffen. Natürlich ist die Kritik, dass die geplanten Maßnah- men der Schengen-Idee zuwiderliefen, nicht einfach von der Hand zu weisen und natürlich sind die – leider – notwendigen Grenzkontrollen mit einem erheblichen personellen Aufwand verbunden, der auch geleistet wer- den muss. Aber wir wollen doch auch, dass unser Euro- pa ein Raum der Freiheit und des Rechts ist. Dann muss man diesem Recht auch Geltung verschaffen und Rechtsbrechern mit den zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln das Handwerk legen. Die Eini- gung Europas wird man nicht dadurch erleichtern, dass man Kriminellen freie Fahrt gewährt – ganz im Gegen- teil. Die geplanten gesetzlichen Maßnahmen müssen als Teil eines umfassenden Sicherheitskonzeptes verstanden werden, das nur bei innernationaler aber auch internati- onaler Zusammenarbeit funktionieren kann. Und ich re- ge an, mit den betroffenen Nachbarländern – sofern noch nicht geschehen – auch darüber zu verhandeln, ob im Rahmen der notwendigen polizeilichen Kooperation nicht auch wechselseitig weitergehende Rechte, zum Beispiel bei Observierungen und Ermittlungen einge- räumt werden sollten. Wichtig ist aber auch, dass die Bundesregierung nicht den Eindruck erweckt, als sei alleine durch diese Geset- zesinitiative irgendein Problem gelöst oder gar schon das Ziel erreicht. Vielmehr brauchen wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen, beispielhaft nenne ich nur: ei- ne konsequente Ausschöpfung der landesrechtlichen Möglichkeiten, wie zum Beispiel die Überwachung von Meldeauflagen; eine enge internationale Zusammenar- beit im Vorfeld und vor Ort; rechtzeitige und schnelle – auch grenzüberschreitende – Amtshilfe; eine enge Ko- operation der Sicherheitsbehörden mit dem DFB, aber auch den Vereinen und ihren Fan-Beauftragten oder präventive Maßnahmen schon beim Verkauf von Ein- trittskarten. Gott sei Dank hat es im Zusammenhang mit dem Fußballspiel gestern Abend keine besonderen Vor- kommnisse gegeben. Allerdings muss der Vollständig- keit halber leider darauf hingewiesen werden, dass vor Ort insgesamt neun Randalierer aufgegriffen und zu- rückgeschickt werden konnten und dass zuvor circa 30 gewaltbereite Personen auf dem Weg bzw. an der Gren- ze zu den Niederlanden abgefangen und aufgehalten wurden. Daraus, dass glücklicherweise keine besonderen ge- walttätigen Auseinandersetzungen registriert werden mussten, dürfen wir jedoch nicht den Schluss ziehen, dass im Hinblick auf die Europameisterschaft nunmehr Entwarnung angesagt sei. Nach wie vor ist Wachsamkeit und eine frühzeitige angemessene Reaktion auf Provokationen und Rechtsverletzungen oberstes Gebot. Und die Gewaltbereiten müssen wissen, dass die Ordnungskräfte im Fall einer Auseinandersetzung auch nicht vor brutaler Gewalt zurückschrecken oder gar kapitulieren. Leider gibt es immer noch viel zu viele, die nur Gegengewalt ernst nehmen. Wer glaubt, der internationalen Hooligan-Szene mit in der Bundesrepublik leider auch bei gewalttätigen 8420 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) Demonstrationen gelegentlich so beliebten Deeskalati- onsstrategie begegnen zu können, läuft Gefahr, einen ge- fährlichen Fehler zu begehen. Gesprächstherapeuten werden bei Auseinandersetzungen mit gewaltbereiten Hooligans nicht helfen. Diese Debatte möchte ich gerne dazu nutzen, hier einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der DFB und mit ihm viele Mitgliedsvereine schon in der Ver- gangenheit viel geplant und getan haben, um den Fuß- ballrowdys das Handwerk zu legen. Ich nenne beispiel- haft die Herren Hennes und Sengle, die auf diesem Ge- biet besonders arbeiten, und danke all denen, die sich vor allem ehrenamtlich dafür engagieren, dass Gewalt verhindert und wenn möglich tabuisiert wird. Lens darf sich nicht wiederholen – nicht bei der EM 2000 und auch nicht bei anderen Ereignissen. Wir werden wohl nie sagen können, dass Legislative und Exekutive alles getan haben, um den friedlichen Aufbau derartiger Veranstaltungen garantieren zu kön- nen. Aber jeder, der hier Verantwortung trägt, muss das ihm Mögliche und Zumutbare unternehmen, um den drohenden Gefahren frühzeitig zu begegnen. Wir wollen in wenigen Monaten bei der Endrunde der Fußball-EM 2000 ein großes Fest feiern. Wir wollen gu- te, spannende Spiele sehen und es wäre schön, wenn un- sere Jungs ab und zu gewinnen würden. Mir persönlich würde es schon genügen, wenn sie in jedem Spiel nur ein einziges Tor mehr schießen würden als der Gegner. Und wir wollen nicht, dass Kriminelle und Chaoten die EM und andere sportliche Großveranstaltungen dazu missbrauchen, ihre perversen Triebe zulasten friedlicher Fans und anderer Bürger auszutoben. Jeder, der hier sinnvolle und praxistaugliche Vor- schläge machen möchte, wie das von uns allen ange- strebte Ziel erreicht werden kann, ist uns bei der anste- henden Beratung willkommen. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer das Passgesetz in seiner gültigen Fassung liest, findet noch die Berlin-Klausel und anderes mehr im Text. Es ist gut, dass wir die Textfassung mit der vorgelegten Textfassung aktualisieren. Im Mittelpunkt der Gesetzes- änderung steht selbstverständlich nicht die Streichung obsoleter Textstellen. Wir alle haben noch die Bilder des blutüberströmten französischen Polizeibeamten Nivel vor Augen, der am Rande der Fußballweltmeisterschaft von deutschen Hoo- ligans fast zu Tode geprügelt wurde. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen stehen in der Verantwortung, das ihnen Mögliche zu tun, um derartige Verbrechen so gut das eben geht zu unterbinden. Uns ist klar, dass der Schwerpunkt der Präventionsar- beit nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch Polizei, Grenzschutz und ganz besonders auch durch eine kluge Projektbetreuung dieser Gruppen erfolgen kann. Die vorgelegte Änderung des Passgesetzes – darüber sind wir uns einig – ist nur ein Mosaikstein. Fehlt er aber, ist das Fresko unvollständig. Es ist dann gerade diese Lü- cke, auf die sich die Blicke richten. Wir haben es uns mit der Zustimmung für die Straf- bewehrung der passbeschränkenden Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 des Passgesetzes nicht leicht gemacht. Wir haben sehr wohl immer die Gefahr vor Augen, dass Be- hörden auf einen bloßen Verdacht hin Menschen, die sie auf dem Kieker haben, die Urlaubsreise verbieten. Das Grundrecht auf Freizügigkeit hat auch nach der Elfes- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen ho- hen grundrechtlichen Stellenwert. Im Umgang mit ho- hen Verfassungsgütern verbietet sich jede Leichtfertig- keit. Es gab im Vorfeld dieses Gesetzentwurfs durchaus Vorstellungen, das Gesetz in eine von mir eben skizzier- te Richtung zu ändern. Das ist mit uns aber nicht zu ma- chen. Eine Sicherstellung des Passes aufgrund der blo- ßen Annahme, dass gegen den Inhaber passbeschrän- kenden Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 ergangen sind, geht uns zu weit. Im Kern kann man sich aber dem Ansinnen der Innenministerkonferenz nicht verschließen, einen Beitrag zu leisten, damit deutsche Fußballrowdys im Ausland weniger Schaden anrichten. Es ist richtig, auch unseren Nachbarn gegenüber, ein Zeichen der Entschlossenheit zu setzen. Deutsche Stiefel haben dort in der Vergangenheit genug Unheil angerich- tet. Die Menschen in diesen Ländern haben einen An- spruch darauf, dass wir unser Möglichstes tun, diese Leute unter Kontrolle zu halten. Vertretbar halten wir von daher die Erweiterung Strafbewehrung auf passbeschränkenden Maßnahmen. Es ist auch kaum verständlich, wenn Steuerschuldner und andere, die das Land aus gewiss nachvollziehbaren Gründen nicht verlassen dürfen, bestraft werden – Hoo- ligans aber nicht, wenn sie trotz Verbot in ein bestimm- tes Land reisen. Es würde im Übrigen auch keinen Sinn machen und wäre rechtswidrig, sie nun generell an der Ausreise hindern zu wollen. Sie aber bei Verstößen ge- gen die Auflage denen gleichzustellen, die nicht ausrei- sen dürfen, erscheint mir durchaus angebracht. Richtig ist, dass die nun strafbewehrte Ausreise trotz Verbots bereits als Ordnungswidrigkeit geahndet werden konnte. In der Praxis hat das wohl keine Rolle gespielt. Richtig ist es aber trotzdem, die deutschen Hooligans zu warnen: Sie müssen nunmehr damit rechnen, im Falle ihrer Abschiebung vor ein deutsches Gericht gestellt zu werden, wenn sie zuvor trotz Verbots ausgereist sind. Ich hoffe, das es bei den anstehenden sportlichen Großereignissen nicht zu den gleichen furchtbaren Vor- fällen kommt wie in Frankreich im Fall Nivel. Zuver- sichtlich stimmt mich die Generalprobe gestern beim Polizeieinsatz vor dem Freundschaftsspiel der Fußball- Nationalmannschaft gegen das Team der Niederlande. Dabei wurde 18 Rowdys die Ausreise verwehrt. Es blieb in Amsterdam friedlich. Ich kann nur hoffen, dass dies auch künftig so bleiben wird. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Das Hooligan-Unwesen ist auf das Schärfste zu verurteilen. Die friedlichen Be- sucher von Sportveranstaltungen müssen vor gewalttäti- gen so genannten Fans geschützt werden. Es gehört da- her zu den Aufgaben des Bundesinnenministers, ein Si- Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8421 (A) (B) (C) (D) cherheitskonzept für die bevorstehende Fußball-Europa- meisterschaft vorzulegen. Ausschreitungen wie bei der Weltmeisterschaft 1998, verursacht von deutschen Hoo- ligans, dürfen sich nicht wiederholen. Das Gesetz zur Änderung des Pass- und Personal- ausweisrechts soll ein Baustein dieses Sicherheitskon- zepts sein. Gut gemeint steht aber oft im Gegensatz zu gut ge- macht. Mein Fraktionskollege Klaus Kinkel hat nicht ohne Grund geurteilt: „Schilys Gesetz ist ein Schnell- schuss mit der Schrotflinte“. Die Bundesregierung wird in den Ausschussberatun- gen auf einige kritische Nachfragen der F.D.P.-Fraktion Antwort geben müssen. Davon, ob diese Antworten zu- friedenstellend ausfallen, wird unsere endgültige Hal- tung zu dem Gesetzentwurf abhängen. Denn in einem Rechtsstaat muss klar sein: Der Grundsatz „der Zweck heiligt die Mittel“ wird – viel- leicht zu Unrecht – den Jesuiten zugeschrieben. Im Grundgesetz sucht man auch nach diesem Satz freilich vergebens. Vielmehr ist bei jedem Eingriff in die staatsbürgerli- chen Rechte, wie bei dem von der Bundesregierung hier vorgeschlagenen Eingriff in die Reisefreiheit, die Frage zu stellen: Ist die Maßnahme überhaupt geeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen? Daran werden von Fachleuten Zweifel geäußert. Die Gewerkschaft der Polizei beispielsweise hält das Sicher- heitskonzept für die Fußball-Europameisterschaft für unzulänglich. Die Vorschläge der Polizeipraktiker fin- den sich jedenfalls in diesem Gesetzentwurf nicht wie- der. Der Gesetzentwurf sieht vor, den Geltungsbereich von Pässen und Personalausweisen so zu beschränken, dass für eine bestimmte Zeit keine Berechtigung zur Einreise in bestimmte Länder mehr besteht. Ein Verstoß hiergegen soll künftig strafbar sein. Dann stellt sich freilich die Frage, warum denn bei der Einführung des Passgesetzes nur die Ausreise bei entzogenem Pass strafbar gestellt worden ist, nicht je- doch die Ausreise bei Passbeschränkungen. Nächstes Problem: Holland und Belgien, die Veran- staltungsländer der Fußball-Europameisterschaft, sind Mitgliedsländer der Europäischen Union. Zu den Grund- freiheiten der EU gehört die Reisefreiheit. Ist denn nicht angesichts der fortgeschrittenen europäischen Integrati- on das Verbot einer Reise nach Holland oder Belgien gleich zu bewerten dem Verbot der Reise eines Fans von Hertha BSC Berlin zum Auswärtsspiel seiner Mann- schaft beim FC Bayern München? Niemand käme auf die Idee, dass die Reisefreiheit von einem deutschen Bundesland zum anderen Bundesland einschränkbar wä- re. Ist es wirklich problemlos, innerhalb des Europas des Schengener Übereinkommens und Amsterdamer Vertra- ges etwas anderes vorzusehen? Und schließlich das gewichtigste Problem: Wie stellt man fest, wer ein Hooligan ist? Muss dazu eine rechts- kräftige Verurteilung wegen Gewalttätigkeiten vorlie- gen? Oder reicht die Aufnahme in eine Verdachtskartei aus, wenn es um die Einschränkung eines Grundrechtes geht? Zwischenfazit: Die F.D.P. unterstützt die Bemühun- gen der Bundesregierung, Gewalttätigkeiten von Hooli- gans zu verhindern. Ob dieser Zweck die vorgeschlage- nen Mittel rechtfertigt, ist für uns noch offen. Petra Pau (PDS): Wer den Jahresbericht über Fuß- ball-Rowdytum in den Mitgliedstaaten der EU kennt, wer die erschreckenden Bilder von Lens in Erinnerung hat, der wird mir zustimmen: Es gibt allen Anlass zum Nachdenken und Handeln. Im erwähnten Bericht steht, dass gerade deutsche Hooligans besonderes „feindselig und gewaltbereit“ sind – nicht nur gegenüber Sachen, sondern auch gegen- über Menschen. Allerdings stellt sich die Frage, ob dem ausgerechnet über das Pass- und Personalausweisrecht zu begegnen ist? Das ist keine abschließende, sondern eine zu beantwortende Frage. Uns interessiert außerdem, wie und mit welchen Er- gebnissen die Bundesregierung mit den Empfehlungen des Rates der EU zur Zurückdrängung des Fußball- Rowdytums umgegangen ist. Wir wollen wissen, welche präventive Fan-Arbeit mit welchen Erfahrungen geleis- tet wurde. Um nicht missverstanden zu werden: Wir schätzen das Problem keinesfalls gering. Aber wir werden stutzig, wenn als Erstes und Einziges nach mehr law and order gerufen wird. Jedenfalls waren das die einzigen Bot- schaften, die das Innenministerium bislang zum Thema zu sagen hatte. Das betrifft Gefährdungsansprache, Mel- deauflagen, Ausreiseverbote, Grenzkontrollen und de- monstrative Begleitung. Fritz-Rudolf Körper, Parl. Staatssekrtär beim Bun- desminister des Inneren: Die Gesetzesvorlage geht auf eine Initiative der IMK zurück. Ziel ist es, das gesetzli- che Instrument zur Bekämpfung des Fußballrowdytums – Hooligan-Szene – zu verbessern. Im Einzelnen sieht der Entwurf vor: die Einführung unmissverständlicher, klarer Regelungen über das Ei- gentum der Bundesrepublik Deutschland am Pass und Personalausweis, die Aufhebung der gesetzlich festge- legten Gebührenobergrenzen für die Ausstellung von Grenzübertrittspapieren, die Strafbewehrung der passbe- schränkenden Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 PassG und die Aufhebung gegenstandslos gewordener Regelungen und redaktionelle Änderungen. Nach geltendem Recht können heute schon durch die Passbehörde passbeschränkende Maßnahmen anlassbe- zogen, also zeitlich und räumlich befristet, ausgespro- chen werden. Dies gilt auch für Maßnahmen im Zu- sammenhang mit Sportveranstaltungen. Grundvoraus- setzung ist, dass eine erhebliche Gefährdung von Belan- gen der Bundesrepublik Deutschland vorliegt. Dies kann beim Auftreten gewaltbereiter deutscher Hooligans im 8422 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) Ausland der Fall sein. Darüber hinaus müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer damit zu rechnen ist, dass der Betroffene bei dem bevorstehenden Anlass erneut ge- walttätig wird. Unter diesen Voraussetzungen kann der Pass be- schränkt werden. Die Passbeschränkung ist in den Pass einzutragen. Wird der Pass nicht vorgelegt, so ist die Anordnung der Beschränkung gleichwohl wirksam. Durch den Gesetzentwurf zur Änderung des Pass- und Personalausweisrechts soll die Strafbarkeit der Aus- reise trotz bestehender passbeschränkende Maßnahmen neu eingeführt werden, bisher wird ein solcher Verstoß lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet. Der praktische Nutzen dieser auch von der IMK ge- forderten Änderung besteht darin, dass bei gewalttätigen Ausschreitungen aufgegriffene und abgeschobene Hoo- ligans, gegen die eine passbeschränkende Maßnahme verhängt worden ist, schon allein wegen der illegalen Ausreise bestraft werden können. Es bedarf keines bei Straftaten im Ausland sehr schwer zu führenden Nach- weises einer anderen Straftat mehr. Damit die Änderung des Passgesetzes vor der Fuß- ball-Europameisterschaft in Kraft treten kann, ist der Gesetzentwurf eingebracht worden. Allerdings sollte deutlich gemacht werden, dass diese Regelungen nur ein Mosaikstein in einer Gesamtkonzeption sind. Die Ände- rung des Passgesetzes ist ein Baustein des umfassenden Sicherheitskonzepts für die Fußball-Europameister- schaft. Gemeinsame Sicherheitsmaßnahmen sind für die Fußball-Europameisterschaft unerlässlich, um Gewalt- ausschreitungen von Hooligans zu verhindern. Die In- nenminister von Deutschland, Belgien und den Nieder- landen haben deshalb am 16. Februar 2000 in Berlin ein gemeinsames Sicherheitskonzept für die Fußball- Europameisterschaft – EURO 2000 – verabschiedet. Damit soll vermieden werden, dass die EURO 2000 durch Gewalttäter gestört wird. Im Wesentlichen wurden in einer gemeinsamen Er- klärung folgende Sicherheitsmaßnahmen vereinbart: die Entsendung deutscher Polizeibeamter, die Beobachtung der Fans bis zu Grenze durch die deutsche Polizei, die Begleitung der Fans in den Zügen durch den Bundes- grenzschutz und die Abstimmung der Informations- und Meldewege, um einen gezielten und sicheren Informati- onsaustausch sicherzustellen. Weiterhin waren sich die Minister einig, dass jede Möglichkeit genutzt werden sollte, um gewaltbereite Hooligans bereits an der Ausreise zu hindern. Ein Ele- ment ist in diesem Zusammenhang die von uns einge- brachte Änderung des Passgesetzes. Ein Probelauf war das gestrige Spiel. Ich lege die Hoffnung auf eine friedliche WM. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Mitgliederkreises von Bun- desknappschaft und See-Krankenkasse (Zusatz- tagesordnungspunkt 10) Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Die Gesundheitsreform 2000 ist am 1. Januar in Kraft getreten. Wir können feststellen: Das Gesundheitswesen existiert immer noch und ist nicht, si- cher sehr zum Bedauern der Opposition, im Chaos un- tergegangen. Auch können wir feststellen, dass die Pro- teststürme des vergangenen Jahres einer breiten Zu- stimmung gewichen sind. Selbst das Wirtschaftsmagazin „Capital“ lobt die Gesundheitsreform und verweist auf die Vielzahl von Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten. Was der interessierte Beobachter ebenfalls feststellen kann, ist, dass hier und da einige Details nicht geregelt werden konnten. Hierzu gehören nicht nur die Organisa- tionsreform der Kassenärztlichen Vereinigungen, die Datentransparenz und der Datenschutz. Wer genau hin- sieht, kann leicht feststellen, dass Sie von der Oppositi- on durch Ihr Taktieren im Gesundheitsausschuss des Bundestages die Bundesknappschaft in existenzielle Schwierigkeiten gebracht haben. Die von uns im letzten Jahr vorgeschlagene Lösung bremsten Sie aus und hier verweise ich mit Nachdruck auf die F.D.P.. Von den zurzeit 1,4 Millionen Versicherten in der knappschaftlichen Krankenversicherung sind circa 900 000 Rentner und 310 000 Angehörige. Demgegen- über stehen nur 220 000 aktive Mitglieder. Binnen Jah- resfrist verliert die Bundesknappschaft circa 60 000 ihrer Versicherten, wovon – aufgrund der bisherigen gesetzli- chen Regelung – im Jahre 1998 allein 18 000 Aktive waren. Tendenz stark steigend. Bis zum In-Kraft-Treten des Ihnen heute vorliegenden Gesetzes wird die Knapp- schaft also circa 10 000 weitere aktive Mitglieder verlo- ren haben und wird sich die Situation weiter zuspitzen. Die bisherige Gesetzesregelung, und die haben wir von Ihnen geerbt, weist der Knappschaft und der See- krankenkasse ihre Mitglieder zwingend zu. Ein Aus- scheiden aus einem Beschäftigungsverhältnis dieser Wirtschaftszweige erzwingt auch ein Ausscheiden aus der entsprechenden Krankenversicherung. Die knapp- schaftliche Rentenversicherung bzw. die Seekasse blei- ben jedoch für die Leistungsgewährung der Rentenan- sprüche zuständig. Dies ist nicht nur für die Versicherten verwirrend, es gefährdet auch die entsprechenden Kran- kenversicherungsträger. Die Koalition sah im Rahmen der Gesundheitsreform eine Interimslösung bis zum In-Kraft-Treten einer Orga- nisationsreform der Krankenkassen für die Bundes- knappschaft und die Seekrankenkasse vor. Da sich die Situation dieser Kassen, bedingt durch den strukturellen Wandel unserer Industriegesellschaft und den damit verbundenen Abbau von Arbeitsplätzen, vor allem im Bergbau, weiter zuspitzt, sind wir als Gesetzgeber ge- Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8423 (A) (B) (C) (D) fordert, den rechtlichen Sonderstatus der Versicherten im Bergbau und der Seefahrt zu ändern. Das vorliegende Gesetz stellt keinen Vorgriff auf die anstehende Organisationsreform, sondern eine Über- gangsregelung dar. Um dies zu verdeutlichen, begrenzen wir die Gültigkeit der vorgesehenen Regelungen bis zum In-Kraft-Treten dieser. Zu einer Ausweitung des Versi- chertenkreises für die Bundesknappschaft wie auch zu einer Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Kran- kenkassen wird es nicht kommen. Vielmehr wollen wir den langjährig Versicherten die Möglichkeit bieten, bei einem Wechsel aus dem Bergbau in einen anderen Wirt- schaftszweig bei der bisherigen Krankenkasse versichert bleiben zu können. Dies hat nicht nur zur Folge, dass wir den Versicherten unnötige, gesetzlich erzwungene Belastungen bei der Suche nach einer neuen Kranken- kasse ersparen, sondern trägt auch zur Stabilisierung der knappschaftlichen Krankenkasse und der Seekranken- kasse bei. Ein Zusammenbruch der Bundesknappschaft liegt nicht im Interesse der gesetzlichen Krankenversicherung und der Politik. Wir als Gesetzgeber besitzen die Kom- petenz, für Abhilfe zu sorgen, und nehmen diese mit diesem Gesetz war. Auch die F.D.P. sollte sich dem nicht verschließen. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für dieses Gesetz. Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Die Bundes- knappschaft ist ein leistungsfähiges Dienstleistungsun- ternehmen, das ihren Versicherten umfassende soziale Sicherheit aus einer Hand bietet. Traditionell gewach- sen, hat die Bundesknappschaft ein weit umfangreiche- res Leistungsangebot als andere Sozialversicherungsträ- ger. Die Bundesknappschaft ist zugleich Renten-, Kran- ken- und Pflegeversicherung. Der Rückgang der Beschäftigten im Bergbau hat zwangsläufig eine Reduzierung der Versichertenzahlen der knappschaftlichen Krankenversicherung zur Folge, ohne dass es eine Chance für eine Kompensation gibt. Der Bundesknappschaft als Krankenversicherungsträger des Bergbaus werden nämlich die Versicherten grund- sätzlich kraft Gesetzes zugewiesen. Danach sind dieje- nigen aktiv Beschäftigten Pflichtmitglieder, die in einem bergbaulichen Betrieb arbeiten. Verlieren die Arbeit- nehmer ihren Arbeitsplatz im Bergbau, können sie im Regelfall nicht Mitglied der knappschaftlichen Kran- kenversicherung bleiben. Sie sind gezwungen, Mitglied einer Krankenkasse zu werden, bei der sie nie zuvor ver- sichert waren. Zuwahlrechte zur knappschaftlichen Krankenversicherung bestehen lediglich für freiwillig Versicherte und versicherungspflichtige Rentner. Diese gesetzlichen Regelungen, zuletzt festgeschrie- ben im Gesundheitsstrukturgesetz, sollten den Bestand der knappschaftlichen Krankenversicherung sicherstel- len. Diese ursprüngliche „Schutzfunktion“ der Kassen- zuständigkeit kraft Gesetzes und die hiermit verbunde- nen Wahlbeschränkungen haben sich jedoch – als Folge der Beschäftigtenentwicklung im Bergbau – zwischen- zeitlich ins Gegenteil verkehrt. Durch strukturelle An- passungsmaßnahmen im Bergbau ist die Zahl der in die- sem Bereich Beschäftigten bereits seit längerer Zeit rückläufig. Das hat zu erheblichen Mitgliederverlusten der Bundesknappschaft geführt. Durch den Rückgang des Bergbaus hat die Bundesknappschaft seit 1991/1992 mehr als 400 000 Versicherte verloren, davon knapp 240 000 Aktive, verliert die Bundesknappschaft aktuell circa 50 000 Versicherte pro Jahr mit anhaltender Ten- denz und es erhöht sich im Jahr 2000 der Verlust zusätz- lich durch den überplanmäßigen bzw. vorgezogenen Stellenabbau im Steinkohlebergbau. Die dringend erforderliche Stabilisierung der Mit- gliederbasis kann jedoch von der Bundesknappschaft nicht aus eigener Kraft erreicht werden. Hierfür ist eine Änderung der jetzigen Gesetzeslage durch den vorgeleg- ten Gesetzentwurf erforderlich. Mit dem jetzt vorgese- henen „Bleiberecht“ der Versicherungspflichtigen und Versicherungsberechtigten ist keine Ausweitung der Zu- ständigkeit der Bundesknappschaft kraft Gesetzes ver- bunden – damit wird auch das Wahlrecht zu Gunsten al- ler anderen Krankenkassen nicht beeinträchtigt –, wird lediglich den knappschaftlich Pflichtversicherten – und auch nur dann, wenn für sie die Bundesknappschaft für die spätere Rentenfeststellung zuständig ist – die Mög- lichkeit eröffnet, in der Zeitspanne zwischen dem Aus- scheiden aus der bergbaulichen Beschäftigung bis zum Rentenbeginn ihren Versicherungsschutz durchgängig bei einer Krankenkasse, der Bundesknappschaft, sicher- zustellen und wird zudem eine Gleichstellung mit den Beschäftigten erreicht, die nach dem Ausscheiden aus der knappschaftlichen Beschäftigung im Rahmen der freiwilligen Versicherung weiterhin Mitglied der knappschaftlichen Krankenversicherung bleiben können. In Anbetracht des Vorhabens einer umfassenden Or- ganisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung wird die angestrebte Neuregelung zeitlich begrenzt. Sie stellt weder einen Vorgriff auf eine umfassende Organi- sationsreform dar, noch wird sie deren Umsetzung in ir- gendeiner Weise beschränken. Da sich die See- Krankenkasse in einer vergleichbaren Situation wie die Bundesknappschaft befindet, ist für sie im vorliegenden Gesetzentwurf eine gleichgerichtete Neuregelung vorge- sehen. Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Bundesknappschaft und See-Krankenkasse spüren als Krankenversicherungsträger die Folgen des Struktur- wandels viel stärker als andere Kassenarten. Viele Be- schäftigte im Bergbau und auf hoher See verlieren ihren Arbeitsplatz. Da der Bundesknappschaft als Kranken- versicherungsträger des Bergbaus ebenso wie der See- Krankenkasse die Versicherten kraft Gesetzes zugewie- sen werden, können sie bei Verlust des Arbeitsplatzes bzw. Aufnahme einer anderen Beschäftigung nicht Mit- glied der knappschaftlichen Krankenversicherung bzw. der See-Krankenkasse bleiben. Sie sind praktisch ge- zwungen, Mitglied einer Krankenkasse zu werden, bei der sie nie zuvor versichert waren. Ein Wahlrecht zur knappschaftlichen Krankenversicherung und zur See- Krankenkasse besteht nur in begrenztem Umfang. Bedingt durch strukturelle Anpassungsmaßnahmen im Bergbau und in der Seeschifffahrt ist die Zahl der 8424 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 (A) (B) (C) (D) Beschäftigten in diesen Sektoren stark rückläufig mit der Konsequenz, dass Bundesknappschaft und See-Kran- kenkasse unter einem erheblichen Mitgliederverlust lei- den. Allein im Zeitraum von Dezember 1995 bis Mitte 1999 ist die Zahl der versicherungspflichtigen Mitglie- der der Bundesknappschaft um 27 Prozent zurückge- gangen. Die See-Krankenkasse hat im gleichen Zeitraum über 10 Prozent ihrer versicherungspflichtigen Mitglie- der verloren. Bei diesem Mitgliederschwund ist die Entwicklung in der Krankenversicherung der Rentner noch nicht berücksichtigt worden. Rund 80 Prozent der Versicherten der Bundesknapp- schaft sind Rentner. Lediglich 20 Prozent der Mitglieder gelten als „junger“ Arbeitnehmer. Das Durchschnittsal- ter in der Krankenversicherung der Rentner liegt bei über 73 Jahren. Die hiermit verbundene hohe Sterblich- keitsrate von jährlich circa 40 000 Mitgliedern be- schleunigt die Erosion der knappschaftlichen Kranken- versicherung. Auch in Zukunft lassen die Rahmenbedingungen kei- ne positive Änderung der Situation erkennen, sodass die Existenz der beiden Versicherungsträger massiv bedroht ist. Es liegt auf der Hand, dass damit auch bei den be- troffenen Versicherten erhebliche Rechtsunsicherheit herrscht. Die Union tritt im Interesse der Versicherten für die Anliegen von Bundesknappschaft und See-Kranken- kasse ein. Den Versicherungspflichtigen und den Versi- cherungsberechtigten, die in der Vergangenheit aus der Bundesknappschaft oder See-Krankenkasse ausgeschie- den sind bzw. bis zum In-Kraft-Treten eines umfassen- den Organisationsrechts der Krankenkassen noch aus- scheiden, soll die Möglichkeit eröffnet werden, bei ihrer bisherigen Krankenkasse zu bleiben bzw. zu ihrer frühe- ren Krankenkasse zurückzukehren. Voraussetzung ist, dass die Bundesknappschaft bzw. die See-Krankenkasse für die Leistungsgewährung zuständig ist. Diese Wahlmöglichkeit löst die Probleme dieser bei- den Kassenarten nicht vollständig, aber sie honoriert die Anstrengungen, die unternommen worden sind, um die- se beiden Kassenarten zu erhalten. So hat die Bundes- knappschaft im Jahre 1998 einen Anstieg der Leistungs- ausgaben verhindert, während die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt um 2 Prozent gestiegen sind. In einigen Bereichen konnte die knappschaftliche Krankenversicherung sogar die größten Einsparungen im gesamten System der gesetzli- chen Krankenversicherung erzielen, etwa bei den Hilfs- mitteln und der häuslichen Krankenpflege. Darauf auf- bauend hat sie den allgemeinen Beitragssatz in der Krankenversicherung zum 1. Januar 1999 von 14,5 auf 13,8 Prozent gesenkt. Zum 1. Januar 2000 erfolgte eine weitere Senkung des allgemeinen Beitragssatzes auf 13,5 Prozent. Auch mit Blick auf die landwirtschaftlichen Kran- kenkassen, die ebenfalls über einen gesetzlich zugewie- senen Mitgliederkreis verfügen, ist der vorliegende Ge- setzentwurf vertretbar. Im Unterschied zu den landwirt- schaftlichen Krankenkassen erhalten die See-Kranken- kasse und die Bundesknappschaft keinen Bundeszu- schuss zur gesetzlichen Krankenversicherung. Allerdings ist klar, dass die jetzt gefundene Regelung nur eine Übergangslösung darstellt. Der Mitgliederkreis von Bundesknappschaft und See-Krankenkasse soll nicht dauerhaft in dieser Art und Weise abgegrenzt blei- ben. Das besondere Wahlrecht gilt nur solange, bis eine umfassendere Reform des Organisationsrechts der Kran- kenkassen in Kraft tritt. Ziel dieser Reform muss es sein, vorhandene Fehlentwicklungen zu beseitigen und den Wettbewerb der Krankenkassen in ein ökonomisch sinn- volles Umfeld einzubetten. Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Der vorliegende Ge- setzentwurf der rotgrünen Koalition zur Stabilisierung des Mitgliedskreises von Bundesknappschaft und See- Krankenkasse ist ohne Zweifel zu früh eingebracht wor- den. Die Bundesregierung versucht in dieser Weise mit einzeln eingebrachten Gesetzentwürfen die Teilbereiche zu regeln, die in eine Gesamtkonzeption gehören. Zum Glück ist die rotgrüne Koalition mit dem Errich- tungs- und Öffnungsverbot der Betriebskrankenkassen wegen des erheblichen Widerstandes auch vonseiten der F.D.P. gescheitert. Nun versucht sie es mit einem ei- genen Gesetzentwurf für den Teilbereich der Bundes- knappschaft und der See-Krankenkasse und wird ver- mutlich wiederum feststellen müssen, dass Insellösun- gen in einem so sensiblen Bereich wie der Organisati- onsstruktur der Krankenkassen unter den Kassen Wider- stände hervorrufen wird. Ich teile die Auffassung, dass es nicht sinnvoll ist, isoliert für zwei Sondersysteme Ausnahmeregelungen zu treffen. Vielmehr sollten die bestehenden Probleme der Bundesknappschaft und der See-Krankenkasse zusammen in einer umfassenden Re- form des Organisationsrechts der Krankenkassen insge- samt gelöst werden. Bei Vorwegnahme einer solchen Regelung besteht die Gefahr, dass von dieser eine präju- dizierende Wirkung auf die später durchzuführende Or- ganisationsreform ausgeht und damit jetzt unter dem harmlosen Deckmantel einer Kleinstlösung unumstößli- che Fakten geschaffen werden. Im Gesundheitsaus- schuss muss nun genauestens geprüft werden, welche Konsequenzen diese neue Regelung im Einzelnen hat. Meine Damen und Herren, was mich an diesem Ge- setzentwurf weiter stört, ist die Tatsache, dass nun zum zweiten Mal versucht werden soll, diese in den Konse- quenzen noch gar nicht absehbaren Änderungen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durchzusetzen. Denn schon in der Gesundheitsreform 2000 sollten diese Änderungen – man höre und staune – ohne Anhörung der Betroffenen „mal so eben“ mit beschlossen werden. Wo ist denn hier das von Rotgrün in diesen Tagen so viel beschworene Demokratieverständnis? Oder hofft man, dass die ande- ren Kassenarten auf diese Art und Weise nicht so richtig mitbekommen, was hier läuft und gleichzeitig eine Klientel bedient werden kann, da im Bergbauland Nord- rhein-Westfalen und im Küstenland Schleswig-Holstein Landtagswahlen anstehen? Das würde die Eile ganz gut erklären. Man will dem Norden dieses Bonbon noch vor dem nächsten Wahlsonntag überreichen. Das aber ist eindeutig zu kurz gedacht. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 90. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2000 8425 (A) (C) So, Frau Ministerin, kann man keine Politik betrei- ben. Aber damit befinden Sie sich mit dem Herrn Au- ßenminister ja in guter Gesellschaft, der zu dritten Mal einen Afrikabesuch abgesagt hat, um im schleswig- holsteinischen Wahlkampf joggen zu gehen. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Mit dem vorliegenden Ent- wurf eines Gesetzes zur Stabilisierung der Mitglied- schaft von Bundesknappschaft und See-Krankenkasse soll bis zum In-Kraft-Treten einer Organisationsreform der Gesetzlichen Krankenversicherung die Zahl der Mitglieder in diesen beiden Kassen möglichst erhalten werden. Bundesknappschaft und See-Krankenkasse sind be- kanntlich berufsständische Krankenversicherungsträger, denen die Mitglieder in der Regel aufgrund gesetzlicher Bestimmungen zugewiesen werden. Die Mitgliedschaft erlischt, wenn die Beschäftigten aus dem entsprechen- den Bereich ausscheiden. Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und des Beschäftigungsrückganges in diesen Branchen ist es in den letzten Jahren in beiden Kassenarten zu beträchtli- chen Mitgliederverlusten gekommen. Damit bewirkt die Mitgliederzuweisung, welche die Knappschaft und die See-Kasse gerade in ihrem Bestand erhalten sollte, in- zwischen das Gegenteil. Es ist zu befürchten, dass sich diese Tendenz fortsetzen wird. Jetzt sollen diejenigen Kassenmitglieder, die in den letzten Jahren in eine Beschäftigung außerhalb des Knappschaftsbereiches und außerhalb der Seeschifffahrt gewechselt sind oder in der kommenden Zeit noch wechseln werden, ein zeitlich befristetes Wahlrecht für die Rückkehr bzw. für den Verbleib in Bundesknapp- schaft und See-Kasse erhalten. Voraussetzung dafür soll sein, dass die knappschaftliche Rentenversicherung bzw. die See-Kasse für die Leistungsgewährung zuständig ist. Die Koalition erhofft sich von dieser Regelung, eine kurzzeitige Stabilisierung des Mitgliederbestandes von Bundesknappschaft und See-Krankenkasse. Letztlich ist die entstandene Situation die Folge eines Kassenwettbewerbes, bei dem es sich trotz Risikostruk- turausgleich für eine einzelne Kasse lohnt, Risikoselek- tion zu betreiben und eine möglichst „günstige“ Versi- chertenstruktur anzustreben. Unter solchen Bedingungen ist es natürlich kontraproduktiv, wenn für Kassen, die in Branchen mit rückläufiger Beschäftigung tätig sind, eine berufsständische Mitgliederzuordnung gilt. Insofern kann das Gesetz bestenfalls dazu beitragen, die ange- sprochenen Kassenarten kurzfristig vor dem Aus zu be- wahren. Eine Lösung der grundlegenden Probleme, die mit den gegenwärtigen Formen eines ökonomischen Wettbewerbs der Krankenkassen verbunden sind, wird auf solche Weise nicht erreicht. Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Carl-Dieter Spranger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident!
    Meine Damen und Herren! Ein Volk und ein Staat, wel-
    che die religiöse Toleranz und die Achtung der Men-
    schenrechte auf ihre Fahnen geschrieben haben, können
    mit der Frage der Verfolgung von Christen weltweit
    nicht zögerlich oder passiv umgehen.

    Deutschland und die Deutschen – das vergessen wir
    gelegentlich – sind über Jahrhunderte hinweg vom
    Christentum geprägt worden. Die Menschenrechte, zu
    denen sich unser Volk im Grundgesetz bekennt, sind im
    Wesentlichen aus christlichem Gedankengut heraus ent-
    standen. Die Erfahrungen aus zwei Diktaturen haben uns
    den hohen Stellenwert dieser Rechte bewusst werden
    lassen. Gerade deshalb muss es uns, die wir religiöse
    Toleranz im Inneren beachten, ein besonderes Anliegen
    sein, auf diese auch im Ausland zu drängen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Auch deswegen habe ich 1991 als Entwicklungsminister
    die Achtung der Menschenrechte zu einem der fünf Kri-
    terien gemacht, die seitdem Art und Umfang der
    Entwicklungszusammenarbeit bestimmen. Über Richtig-
    keit und Notwendigkeit der Verknüpfung deutscher Poli-
    tik mit der Achtung der Menschenrechte,der Achtung
    der Religionsfreiheit besteht heute große Übereinstim-
    mung in allen Fraktionen des Deutschen Bundestages.

    In ihrer Antwort auf die Anfrage der CDU/CSU-
    Fraktion nennt die Bundesregierung zahlreiche Länder,
    vor allem Entwicklungsländer, mit vielen unterschied-
    lich schweren Verletzungen der Religionsfreiheit und
    der Verfolgung von Christen. Das zeigt, wie notwendig
    es war, durch eine solche Anfrage die Aufmerksamkeit
    der Öffentlichkeit auf diese weltweite, vielerorts tabui-
    sierte Lage der Christen zu lenken. Öffentliche Auf-
    merksamkeit für dieses Thema zu wecken und Verlet-
    zungen der Religionsfreiheit weltweit entgegenzuwir-
    ken, das ist eine Aufgabe nicht nur der Politik, sondern
    aller gesellschaftlichen Kräfte.

    Dieser Aufgabe stellen sich seit vielen Jahren in
    großartiger Weise unsere Kirchen, ihre Entwicklungs-
    dienste ebenso wie die Stiftungen der Parteien, die der
    Achtung der Menschenrechte in zahlreichen Projekten
    ständig wachsende Bedeutung eingeräumt haben. Regie-
    rung und Parlament sollten die zukünftige finanzielle
    Ausstattung der Stiftungen auch an der Bedeutung dieser
    Aufgabe messen.


    (Beifall des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])


    Ich möchte auch meinen großen Respekt und meine
    Hochachtung vor vielen Repräsentanten der Kirchen im
    Ausland zum Ausdruck bringen, die mit Mut und Stand-
    festigkeit in ihren Ländern der Verletzung von Men-
    schenrechten entgegentreten und für Religionsfreiheit
    eintreten. Wir alle schulden ihnen tatkräftige Unterstüt-
    zung.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Bundesregierung scheint mir in ihrer Antwort die

    Gefährdung der Glaubensfreiheit in islamischen Staaten
    zu verharmlosen, wenn sie meint, dass von den meisten
    islamischen Staaten lediglich missionarische Aktivitäten
    konsequent unterbunden würden. Zum Wesen des christ-
    lichen Glaubens gehört es nämlich, diesen auch in der
    Öffentlichkeit bekennen zu dürfen und andere Menschen
    zum Glauben an Jesus Christus einzuladen. Solange –
    wo auch immer – dies nicht ohne Androhung von Sank-
    tionen möglich ist, geht es nicht um eine hinnehmbare
    Einschränkung der Glaubensfreiheit, sondern um eine
    elementare Beschränkung der Glaubensfreiheit der
    Christen. Nicht die Freiheit der Religionszugehörigkeit,
    sondern die Freiheit der Religionsausübung, die ihren
    Gipfel in der angstfreien Möglichkeit auch zum Religi-
    onswechsel haben muss, ist entscheidend. In Gesell-
    schaften und Staaten, in denen diese Freiheit nicht be-
    steht, kann und darf nicht davon ausgegangen werden,
    dass tatsächliche Religionsfreiheit gegeben wäre.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die kritischen Darlegungen der Behandlung christli-

    cher Minderheiten in der Türkei werfen nach der Debat-
    te der letzten Wochen sowie nach den Beschlüssen der
    EU in Helsinki die Frage auf, wie eigentlich unter die-
    sem Aspekt die Anerkennung der Türkei als Beitritts-
    kandidat zur EU zu rechtfertigen ist. Während man ge-
    gen Österreich einen so genannten europäischen Werte-
    katalog mobilisierte – den allerdings niemand kennt – ist
    von Ähnlichem gegenüber der Türkei nicht die Rede.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das entbindet die Bundesregierung allerdings nicht von
    der Pflicht, aus den von ihr selbst gescholtenen Miss-
    ständen in der Türkei notwendige Konsequenzen zu zie-
    hen. Die Türkei muss sich an diesen Fragen ganz beson-
    ders messen lassen.

    In diesem Zusammenhang darf noch einmal daran er-
    innert werden, dass sich die Türkei für den Völkermord
    an den Armeniern bis heute nicht entschuldigt hat und
    diese auch heute noch benachteiligt.


    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Ich wünsche mir, dass der Deutsche Bundestag eines
    Tages dem Beispiel der französischen National-
    versammlung folgt und die Türkei zu einem solchen
    Schritt auffordert.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Die Türkei ist jetzt zwar Beitrittskandidat zur Europäi-
    schen Union, doch ihre Innenpolitik ist der eines EU-
    Beitrittskandidaten unwürdig.

    Unbefriedigend ist die Antwort auf Frage 6, welche
    die Verletzung von Religionsfreiheit in kommunisti-
    schen und sozialistischen Staaten betrifft. Es werden
    zwar China und Vietnam genannt – Herr Kollege Gröhe
    hat dazu schon Stellung genommen –, doch Nordkorea
    wird überhaupt nicht erwähnt, obwohl gerade in diesen
    Tagen von massiver Christenverfolgung dort berichtet






    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    wird, bei der das Regime mit drakonischen Strafen und
    zum Teil öffentlichen Hinrichtungen gegen christliche
    Missionare vorgeht, die von China aus in das abgeschot-
    tete Land reisen.

    Die Menschenrechtsverletzungen in Kuba werden
    verharmlost, wohl auch, um die Entscheidung der zu-
    ständigen Ministerin nicht zu diskreditieren, die offiziel-
    le Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba in nächster
    Zeit aufzunehmen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Entscheidung steht im Widerspruch zu den ele-
    mentaren Grundsätzen deutscher Entwicklungspolitik.
    Hier wird bewusst ein Gewaltregime gestärkt, von dem
    sich zuletzt selbst eher kubafreundliche Staaten wie Me-
    xiko oder Brasilien zu distanzieren begannen.


    (Rudolf Bindig [SPD]: Einäugigkeit!)

    Während die Finanz- und Personalausstattung des

    BMZ immer weiter abnimmt und die Zahl der Partner-
    länder des BMZ bis auf 50 heruntergefahren werden
    soll, wird Kuba zulasten anderer Entwicklungsländer in
    die Entwicklungszusammenarbeit aufgenommen. Dies
    geht vor allem zulasten von Ländern, die sich um die
    Reformierung ihrer internen Rahmenbedingungen be-
    müht haben und sich, im Gegensatz zu Kuba, keine
    Menschenrechtsverletzungen haben zuschulden kommen
    lassen. Eine solche Politik ist ungerecht und falsch.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In Deutschland hat man gelegentlich den Eindruck,

    dass Toleranz gegenüber nicht christlichen Minderheiten
    einen höheren moralischen Wert besitzt als Toleranz ge-
    genüber Christen. Wer aber unterschiedliche moralische
    Maßstäbe anlegt, der entlarvt sich selbst. Wer eine Dop-
    pelmoral hat, hat keine Moral.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Rudolf Bindig [SPD]: Sie haben doch eine Doppelmoral!)


    Gerade wir, denen die Menschenrechte so am Herzen
    liegen, müssen uns für Christen in aller Welt jetzt und in
    Zukunft mit aller Entschiedenheit einsetzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])




Rede von Dr. Hermann Otto Solms
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das
Wort hat jetzt der Kollege Cem Özdemir vom Bündnis
90/Die Grünen.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Cem Özdemir


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr
    Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich das The-
    ma der Großen Anfrage und der heutigen Debatte gele-
    sen habe, habe ich mich spontan um einen Debattenbei-
    trag bemüht. Es wird Sie vielleicht wundern, warum ge-
    rade ich hier spreche. Ich bin nachweislich nicht getauft,
    nicht konfirmiert und laut Geburtsurkunde Muslim.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Das kann ja noch werden!)


    – Danke, dass Sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben
    haben. – Es war mir als Mensch muslimischer Herkunft,

    der seinen Glauben wahrscheinlich so praktiziert wie –
    unter wenigen Ausnahmen – die meisten Taufschein-
    christen, ein besonders Anliegen, hier zu diesem Thema
    zu reden.


    (Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

    Wenn wir vom Thema Christenverfolgung sprechen,

    reden wir über das Thema Fundamentalismus. Redet
    man über das Thema Fundamentalismus, liegt das
    Thema Islam sehr nahe. Wir setzen die beiden Begriffe
    häufig gleich. Ich glaube, wir sollten uns dringend hü-
    ten, eine Religion in irgendeiner Weise zu stigmatisieren
    oder eine Religion bzw. deren Anhänger in Gänze für
    einzelne schlimme, nicht zu rechtfertigende Taten ver-
    antwortlich zu machen, die andere begangen haben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)


    Man darf nicht die Angehörigen einer Religion dafür
    ganzheitlich in Haftung nehmen. Ich habe oft den Ein-
    druck, wenn ich Fernsehen schaue, manche Zeitungen
    lese oder Beiträge und Reden zum Thema Islam und
    Fundamentalismus höre, dass jeder, der bei uns zwei
    oder drei Worte Arabisch kann, zum Islam-Experten
    geworden ist, eine Sendung im Fernsehen erhält und
    darin über „das Schwert des Islam“ und andere Dinge
    schwadronieren darf. Ich glaube, dass uns bei diesem
    Thema etwas mehr Sachlichkeit gut tun würde.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Da wir gerade beim Thema Fundamentalismus sind:
    Mir fallen zum Fundamentalismus ganz unterschiedliche
    Dinge ein. Mir fällt beispielsweise ein, dass in Amerika
    in Kliniken, an denen Abtreibungen vorgenommen wer-
    den, Polizeibeamte unter Einsatz ihres Lebens Ärzte und
    Krankenschwestern vor Fanatikern schützen müssen, die
    angeblich meinen – ich sage bewusst: angeblich –, im
    Namen des Christentums einer höheren Sache nachzu-
    gehen, indem sie Jagd auf Ärzte und Krankenschwestern
    machen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Mir fällt beispielsweise ein, wenn ich mir Südameri-
    ka, Lateinamerika und das südliche Afrika anschaue,
    dass dort evangelikale Christen mit ihrer Missionsarbeit
    zum Teil Verheerendes mit ihrer Missionsarbeit anrich-
    ten und damit übrigens auch das, was die katholische
    Kirche aufbaut, die Vorbildliches leistet, kaputtmachen.
    Sie richten zum Teil schreckliche Dinge an. Auch das
    fällt mir zum Thema Fundamentalismus ein.

    Mir fällt, wenn ich nach Israel schaue, auch die Er-
    mordung des ehemaligen israelischen Ministerpräsiden-
    ten Rabin ein. Mir fällt beispielsweise das Attentat in
    der Moschee ein.

    Mir fällt zum Thema Fundamentalismus die Zerstö-
    rung der Moschee in Indien durch Hindu-Fanatiker ein.
    Mir fallen natürlich auch die schrecklichen Bilder aus
    Algerien und aus Afghanistan ein, die wir immer wieder

    Carl-Dieter Spranger






    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    sehen müssen. Dort begehen die Taliban barbarische
    Menschenrechtsverletzungen an Frauen, aber auch an
    anderen Menschen.

    Mir fallen auch die Bilder ein, die wir bisher aus dem
    Iran gekannt haben und die sich hoffentlich jetzt endlich
    ändern – wobei ich nicht so optimistisch bin, dass ich
    sage, dass sich dort schnell etwas ändern wird.

    Meine Damen und Herren, wir sollten uns schon die
    Mühe machen, genau hinzuschauen. Mit welchen Waf-
    fen schießen denn die Taliban? – Manche haben es an-
    scheinend vergessen, dass es auch lange Zeit unsere Po-
    litik war, die Politik des Westens, die dazu geführt hat,
    dass gesagt wurde: Der Feind meines Feindes ist mein
    Freund. Und dabei ging es nicht um Menschenrechte,
    dabei ging es nicht um den Schutz von Christen. Es ging
    nicht um den Schutz von Minderheiten, sondern es ging
    darum, dass der schnöde Mammon regiert hat, dass ei-
    gene wirtschaftliche Interessen dominiert haben, und es
    ging darum, dass außenpolitische Erwägungen wichtiger
    waren als Menschenrechte. Diesen Vorwurf müssen sich
    alle miteinander gefallen lassen. Es waren unsere ameri-
    kanischen Freunde, die beispielsweise in Afghanistan
    aus sehr durchsichtigen Interessen heraus die Taliban
    mit gestützt haben und deshalb Mitverantwortung für die
    Situation tragen, die wir dort haben.


    (Walter Hirche [F.D.P.]: Wie ist das heute mit dem Krieg in Tschetschenien?)


    – Wir sind uns sicher darüber einig, dass in Tschetsche-
    nien schreckliche Menschenrechtsverletzungen passie-
    ren. Und ich würde mir wünschen, lieber Kollege, dass
    wir mehr Einfluss auf die Situation in Tschetschenien
    ausüben könnten, um das schreckliche Treiben zu been-
    den.

    Lassen Sie uns bei dem Thema der Debatte bleiben.
    Wenn wir uns die Situation auf der arabischen Halbinsel
    anschauen – sie ist einer der Herde der Menschenrechts-
    verletzungen an Christen, auch an Atheisten und ande-
    ren – , müssen wir fragen: Wie ist es denn dort? Ich
    kann mich noch ganz gut an den Golfkrieg erinnern, in
    dem die Menschenrechte ein wichtiges Argument waren.
    Ich kann mich erinnern, dass wir der Frage der religiö-
    sen Toleranz und der Menschenrechte, den Werten, die
    wir hier doch gemeinsam vertreten, einen Bärendienst
    erwiesen haben, indem wir der islamischen Welt gezeigt
    haben, es geht nicht um Menschenrechte. Wir haben ei-
    nen Diktator unterstützt, um einen anderen Diktator zu
    stürzen – Menschenrechte standen dabei nicht auf der
    Tagesordnung.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


    Ich finde, es ist wichtig das zu erwähnen, wenn man
    sich über das Thema Menschenrechte für Christen un-
    terhält.

    Ich möchte, – weil ich nicht so viel Zeit habe, – nur
    noch auf einen Punkt eingehen, – er wurde heute schon
    von mehreren Debattenrednern angesprochen –: Ich
    glaube, wir tun den Menschen; die ihren Glauben prakti-
    zieren Unrecht, wenn wir sie dafür in Verantwortung
    nehmen, was häufig Menschen unseres Berufsstandes,

    Politikerinnen und Politiker, machen, indem sie nämlich
    die Religion für ihre Zwecke missbrauchen. Sie miss-
    brauchen sie für den Machterhalt, um andere zu be-
    kämpfen oder um Oppositionelle oder Andersdenkende
    auszuschalten.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


    Häufig sind es leider Ideologen, die die Religion aus-
    nutzen, um Massen zu mobilisieren. Dass es dabei viele
    religiöse Funktionäre gibt, die sich gern missbrauchen
    lassen, muss ich hier nicht gesondert erwähnen. Auch
    das ist leider eine schreckliche Realität. Umso wichtiger
    ist es, dass wir denen, die sich in allen Weltreligionen
    für den Dialog einsetzen – wie beispielsweise Herr
    Küng, der sich für den Weltethos einsetzt –, unsere Un-
    terstützung anbieten. Es geht darum, dass alle Weltreli-
    gionen das Gemeinsame entdecken, nämlich die Ach-
    tung vor der Schöpfung und die Achtung vor der Unver-
    letzlichkeit des menschlichen Lebens. All denen, die da-
    für arbeiten, muss unsere Solidarität gelten. Dass es
    Menschen, die sich für eine Reform im Islam einsetzen,
    besonders schwer haben, das wissen wir alle miteinan-
    der. Genau deshalb würde es uns gut zu Gesicht stehen,
    dass wir ihnen unsere ungeteilte Solidarität zuteil wer-
    den lassen. Denn wir brauchen sie, wir brauchen gerade
    die moderaten Kräfte innerhalb des Islam,


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    damit wir den Dialog der Religionen voranbringen kön-
    nen.

    Da wir über das Thema Fundamentalismus und reli-
    giöse Toleranz reden, möchte ich noch auf einen ande-
    ren Punkt eingehen. Ich glaube, das Schlüsselwort dieser
    Debatte ist das Wort „Respekt“. Respekt ist es, was wir
    brauchen, wenn wir uns als Angehörige unterschiedli-
    cher Konfessionen und unterschiedlicher Religionen ge-
    genseitig begegnen. Ich denke, dazu gehört auch eine
    Betrachtung dessen, was in der Schule geleistet wird.
    Ich erinnere mich an meine Schulzeit – ich bin immer in
    Deutschland zur Schule gegangen – : Was habe ich denn
    über die Kultur meiner Vorfahren gelernt?
    Irgendwann einmal kam mein Geschichtslehrer herein,
    holte tief Luft, schaute auf mich und sagte: Damals, die
    Türken vor Wien, da haben wir Glück gehabt, dass die
    Jungs von Cem eins auf den Deckel bekommen haben,
    denn sonst wären die Jungen jetzt alle zwangsbeschnit-
    ten und die Mädchen müssten Kopftücher tragen. – Alle
    Blicke richteten sich auf mich. Ich ging nach Hause mit
    dem Gefühl, aus einer schlimmen, schrecklichen Kultur
    zu kommen.

    Jetzt will ich gar nicht sagen, dass dies nicht Teil der
    Geschichte ist. Zur Geschichte gehört auch, dass man
    die schönen und die weniger schönen Dinge lernt. Daher
    meine ich zur Allgemeinbildung gehört auch, dass wir
    unseren Kindern beibringen, was vor 500 Jahren in Spa-
    nien los war, als die Reconquista kam,


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    als dort das – sicherlich mit Abstrichen – tolerante Re-
    gime, in dem Christen, Juden und Muslime in relativer

    Cem Özdemir






    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Blüte gelebt haben, beendet wurde. Auch das gehört
    zum Thema, genauso, wie es dazugehört, dass wir uns in
    diesem Jahrhundert anschauen, was in Bosnien passiert
    ist. Wie lange haben wir gebraucht, bis wir den Völker-
    mord dort – das richte ich an alle, Adressen, auch an
    meine Adresse und an die Adresse meiner Partei –, bis
    wir diesen Spuk beenden konnten?

    Der Präsident signalisiert, dass ich zum Ende kom-
    men soll. Ich will auch mit einem Zitat schließen, west-
    östlich, wie es dieser Debatte vielleicht gut zu Gesicht
    steht:

    Wenn der Mensch das Bedürfnis hat zu loben, dann
    für die Vernunft, für das Wissen, für ein freundli-
    ches Wesen, für ein gutes Herz. Dummheit: Der
    Dumme zeigt sich darin, dass er mit seiner Ab-
    stammung prahlt.

    Dieses Zitat stammt von Hazreti Ali, einem engen Weg-
    gefährten des Propheten Mohammed. Viele kennen ihn
    als den Begründer des Alevetismus.
    Das zweite Zitat ist ein westliches:

    Die Demokratie aufhalten wollen hieße gegen Gott
    selber kämpfen.

    Es stammt von Alexis de Tocqueville.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)