Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist er-öffnet.Bevor wir mit der Befragung der Bundesregierungbeginnen, haben wir eine nachträgliche Überweisungvorzunehmen. Interfraktionell ist vereinbart worden, denGesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung desRennwett- und Lotteriegesetzes gemäß § 96 der Ge-schäftsordnung dem Haushaltsausschuss zu über-weisen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind Siedamit einverstanden und es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Themen der heutigenKabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zurvergleichenden Werbung und zur Änderung wettbe-werbsrechtlicher Vorschriften und die Erteilung eineseuropäischen Patents auf Manipulation menschlicherGene.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat die Bundesministerin der Justiz, Frau Professor Dr.Herta Däubler-Gmelin.Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In der Tat hat sich das Bundeskabinett heute Morgenauch mit den zwei Punkten, die Sie schon genannt ha-ben, befasst. Ich möchte Ihnen gerne den Gesetzentwurfvorstellen, den wir heute auf den Weg gebracht haben,nämlich den Gesetzentwurf zur vergleichenden Wer-bung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vor-schriften.Erstens. Mit diesem Gesetz soll die Richtlinie des Eu-ropäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom6. Oktober 1997 eins zu eins umgesetzt werden. So sol-len die Bestimmungen für die Werbung als zentralenPunkt im Alltag aller Verbraucher in der EuropäischenUnion harmonisiert werden.Zum Zweiten – das ist ein ergänzender Punkt zurUmsetzung der Richtlinie – schafft dieser Gesetzentwurfnicht nur Klarheit über die Auslegung wettbewerbs-rechtlicher Vorschriften, sondern verbessert auch – daswollten wir sehr gerne so haben – die Kontrolle durchdie Industrie- und Handelskammern bei Räumungsver-käufen, um dort Missstände effektiv zu bekämpfen undgleichzeitig den kleinen und mittelständischen Einzel-handel besser zu schützen. Die beiden Eckpunkte dieses Gesetzentwurfs sind imEinzelnen: Die vergleichende Werbung ist künftiggrundsätzlich zulässig. Aber der Vergleich muss sach-lich sein und darf den Verbraucher nicht irreführen. Esist zum Beispiel nicht gestattet, den Bewerber oder seinProdukt herabzusetzen oder zu verunglimpfen. Außer-dem dürfen nur die wesentlichen, typischen und nach-prüfbaren Eigenschaften von Waren oder Dienstleistun-gen und die Preise gegenübergestellt werden.Ich kann Ihnen schon heute an einem Beispiel zeigen,wie so etwas aussehen kann, weil die neuen Regeln imVorgriff auf die Umsetzung der Richtlinie seit Ende1998 durch den Bundesgerichtshof praktiziert werden.Im letzten September gab es zum Beispiel eine Anzei-genkampagne der zwei großen Wettbewerber AOL undT-Online. In der Anzeige von AOL sind mehr gute Sei-ten von AOL als von dem Mitbewerber zu erkennen. Ei-nige Tage später erschien in diesem edlen Wettstreit dieGegenanzeige von T-Online. Anhand dieser vorliegen-den Anzeige können Sie feststellen, dass nun anderePunkte angegeben werden: Bei T-Online ist alles da, beiAOL dagegen nichts. Dies kann so oder so ähnlich ge-macht werden. Sofern es den Verbraucher informiertund nicht irritiert, ist es gut. Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, be-trifft die Entscheidung des Europäischen Patentamts, derUniversität Edinburgh ein Patent zu erteilen, was seitMontag in der Öffentlichkeit – wie wir finden: zu Recht – große Aufmerksamkeit erregt hat. Ich habe heu-te Morgen dem Bundeskabinett darüber berichtet, waswir dagegen tun können und werden. Worum geht es? Das Europäische Patentamt hat be-reits am 8. Dezember 1999 der Universität Edinburghein Patent erteilt, das unter anderem ein Verfahren zurIsolierung, Anreicherung und selektiven Vermehrung
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8228 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
von so genannten tierischen Stammzellen zum Inhalthat. Stammzellen sind Zellen aus der Keimbahn oder ausdem Embryo, die noch vollständig formbar sind. Die Entscheidung über dieses Patent ist am Montag,dem 21. Februar, bekannt geworden. Ich habe schon er-wähnt, dass das zu Recht zu großer Aufmerksamkeit undzu erheblicher Irritation in der Öffentlichkeit geführt hat,weil – das muss man wissen – die Beschreibung der Er-findung in der Patentschrift sogar ausdrücklich klarstellt,dass auch menschliche Zellen unter „tierischen“ Stamm-zellen von dem Patentanspruch umfasst sind. Korrekt,ethisch verantwortbar und juristisch richtig wäre es ge-wesen, wenn die menschlichen Zellen ausdrücklich aus-genommen worden wären. Dies ist aber nicht passiert. Unter anderem deshalb ist die Entscheidung des Eu-ropäischen Patentamts rechtlich und ethisch falsch. Sieist rechtlich falsch, weil Art. 6 der Biotechnologie-Richtlinie, die seit dem 1. September 1999 auch alsGrundlage für die Arbeit des Europäischen Patentamtsin München gilt, ausdrücklich verbietet, dass Verfahrenzur Veränderung der genetischen Identität der Keimbah-nen des Menschen patentiert werden. Das gilt auch fürdie Verwendung von menschlichen Embryonen zukommerziellen und zu industriellen Zwecken.Als das Justizministerium am Montag davon erfahrenhat, war sogleich klar, dass diese Patenterteilung falschist. Wir haben deswegen sofort geprüft, was zur Verän-derung dieser nicht akzeptablen Patentierung führenkönnte. Wir verstehen und teilen die Aufregung der Öf-fentlichkeit. Deshalb haben wir bereits eine Einspruchs-schrift in Auftrag gegeben und werden innerhalb der zu-lässigen Frist von neun Monaten beim Europäischen Pa-tentamt in München einen Einspruch einlegen.Dieser Einspruch führt dazu, dass das EuropäischePatentamt innerhalb von einem halben bis einem Jahrdarüber entscheiden muss. Er bedeutet nicht, dass dieWirkung des Patents bis dahin nicht einträte. Er bedeutetaber, dass es bestritten ist. Deswegen werden wir dieKontakte auf europäischer Ebene dazu nutzen, mit unse-ren Kollegen in Großbritannien darüber zu sprechen,dass die Universität Edinburgh von diesem Patent kei-nen Gebrauch macht, solange dieser Einspruch läuft.Danke schön.
Frau Bundesminis-
terin, ich danke Ihnen für den Bericht.
Wir kommen zu den Fragen. Zunächst hat sich der
Kollege Hüppe gemeldet. Danach ist der Kollege
Lensing an der Reihe.
Frau Ministerin, Sie er-
klärten gerade, dass Sie erst gestern oder vorgestern
Kenntnis davon bekommen haben, dass ein solches Pa-
tent erteilt worden ist. Wie erklären Sie sich, dass es
trotz der qualifizierten Referate, die es in der Bundesre-
gierung gibt, letztendlich Greenpeace zu verdanken war,
dass überhaupt Öffentlichkeit zu diesem Thema herge-
stellt worden ist? Gibt es von Ihnen in diesem Zusam-
menhang Vorbereitungen, wie man sich in Zukunft über
solche Patente informiert, damit die Bundesregierung
rechtzeitig Einspruch erheben kann? Und was wäre
gewesen – ich stelle diese Frage aus juristischer Sicht –,
wenn die Einspruchsfrist nicht mehr gegolten hätte?
Frau Ministerin,
wollen Sie gleich antworten?
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Ja, gerne.
Herr Hüppe, könnten Sie den zweiten Teil der Frage
bitte wiederholen? Sehen Sie mir diesen Wunsch bitte
nach.
Was wäre gewesen,
wenn keine private Organisation dies bekannt gemacht
hätte und wenn die Einspruchsfrist beim EPA abgelau-
fen wäre?
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Sie haben völlig Recht: Das ist ein riesiges Pro-
blem, das uns natürlich auch sehr bewegt hat.
Wir sind nicht die Aufsichtsbehörde des Europäi-
schen Patentamts. Wir können auch seine nahezu hun-
derttausend Patente nicht im Einzelnen nachprüfen.
Heute tagt der Verwaltungsrat des Europäischen Patent-
amtes in Dublin. Das Bundesministerium der Justiz ist
dort durch einen hohen Beamten und Experten vertreten.
Dies haben wir zum Anlass genommen, um dort über
diese Frage zu reden und sicherzustellen, dass die In-
formation in Bezug auf solche Patente künftig besser er-
folgt.
Wie weit das trägt – lassen Sie uns in dieser Frage
bitte ganz offen miteinander umgehen –, kann ich Ihnen
deshalb noch nicht sagen, weil es sich nach Auskunft
des Sprechers des Europäischen Patentamts um einen
Fehler des zuständigen Patentprüfers gehandelt hat. Das
heißt, ich bin noch nicht einmal sicher, seit wann das
Europäische Patentamt eigentlich weiß, dass es sich hier
um ein Patent handelt, das unter ethischen und rechtli-
chen Gesichtspunkten nicht hätte zugelassen werden
dürfen. Ich werde dem aber nachgehen.
Sie, Herr Hüppe, haben nach den juristischen Mög-
lichkeiten nach Ablauf der Neunmonatsfrist für die Ein-
legung eines Einspruches gefragt. Dann besteht immer
noch die Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage. Ich sage
hier ganz deutlich: Falls derartige oder ähnliche Vor-
kommnisse nochmals auftreten, werden wir zu dem
Zeitpunkt, an dem eine entsprechende Information an
die Öffentlichkeit oder an uns dringt, die Möglichkeiten
einer Nichtigkeitsklage prüfen und, wenn es geht, auch
in Anspruch nehmen.
Eine Zusatzfrage? –
Bitte.
Auch von der KolleginFischer vom BMG wird ja gesagt, dass man diese Paten-Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8229
tierung insgesamt nicht für akzeptabel halte. Gleichzei-tig entnehme ich aber dem Internet eine Einladung zueinem Symposium zum Thema Embryonenschutz, wogerade dieser Bereich des Embryonenschutzgesetzes zurDisposition gestellt wird. Nach den Leitfragen, die imInternet veröffentlicht wurden, geht es in den Diskussio-nen zum Beispiel um die Gewinnung und Verwendungembryonaler Stammzellen. Wie erklären Sie sich, dass die Bundesregierung ei-nerseits sagt, solche Patentierungen seien nicht akzepta-bel, auf der anderen Seite aber der gesetzlicheEmbryonenschutz in diesem Bereich infrage gestelltwird? Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Herr Kollege Hüppe, man muss hier unterschei-den. Ich bin ganz sicher, dass die Bundesministerin Fischer Ihre Fragen zu der Tagung, die sie vorhat, gernebeantworten wird. Hier geht es aber um die Frage derPatentierbarkeit, also darum, wo die Grenze zwischendem, was patentiert werden kann und wovon Verwer-tungsmöglichkeiten, Arbeitsplätze und Forschungsinte-ressen Deutschlands betroffen sind, und dem, was wirauf keinen Fall wollen, liegt. Zum Letzteren gehört zumBeispiel die Patentierbarkeit von menschlichen Keimzel-len oder die Verwertungsmöglichkeit von menschlichenEmbryonen. Diese Grenzlinie muss beachtet werden;darum geht es. Es ist der feste Wille der Bundesregie-rung, das durchzusetzen. Zu dem Geschäftsbereich von Frau Fischer, zu demauch die Konferenz im Mai gehört, die ich im Einzelnennicht kenne, will ich mich hier nicht äußern. Ich möchte nochmals festhalten, dass die so genannteBiotechnologie-Richtlinie, also die Bio-Patent-Richt-linie, die wir jetzt gemeinsam umsetzen werden – dafürmüssen die Gesetzgebungsarbeiten in diesem Sommerlaufen –, diese Grenze zwar sehr klar zieht, in diesemFalle aber nicht eingehalten wurde. Wichtig ist, dafür zusorgen, dass diese Richtlinie als Rechtsgrundlage für dieArbeit des Europäischen Patentamtes eingehalten wird.
Es hatte sich zur
Beantwortung noch die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Frau Nickels gemeldet. Sind Sie einverstanden, Frau
Bundesministerin?
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Ja, natürlich.
C
Herr Kollege Hüppe, wir
sind ja schon länger über dieses dreitägige große Sym-
posium im Gespräch und darüber, dass im Bereich des
Fortpflanzungsmedizingesetzes Regelungsbedarf be-
steht.
Unser Haus und unsere Ministerin haben bisher we-
der Eckpunkte noch einen Gesetzentwurf erarbeitet,
sondern wir haben Leitfragen zusammengestellt, in de-
nen wir nicht unsere Meinung dargelegt, sondern das in
Fragen gekleidet haben, was im Augenblick in der Ge-
sellschaft und vor allen Dingen in der Wissenschaft dis-
kutiert wird. Das muss man natürlich machen. Weil das
so wichtig ist, haben wir für dieses Symposium drei Ta-
ge angesetzt und quer durch alle wissenschaftlichen Dis-
ziplinen die Fachwelt eingeladen, damit wir alles inten-
siv diskutieren können und damit dem Parlament, unse-
rem Haus und den in dieser Frage mitbetroffenen Häu-
sern die gesamte Bandbreite der wissenschaftlichen Dis-
kussion vor Augen geführt werden kann. Wir haben, wie
Sie wissen, auch Fachforen vorgesehen, die sich an den
Leitfragen orientieren, und wir haben Diskussionsrun-
den vorgesehen, bei denen die Selbsthilfe- und die Be-
hindertenverbände stark vertreten sind. Wir wollen, dass
hier offen diskutiert wird.
Das BMG ist in der Bewertung dieser Frage voll-
kommen einer Meinung mit dem BMJ und Frau
Ministerin Däubler-Gmelin. Wenn man Leitfragen er-
stellt, um dazu beizutragen, dass alles auf den Tisch des
Hauses kommt, dass diskutiert wird und Pro und Kontra
erörtert werden können, dann ist es noch lange nicht ge-
rechtfertigt, daraus abzuleiten oder zu mutmaßen, dass
Ministerin Fischer hier entgegen dem, was geltendes
Recht ist, handelt. Dazu stehen wir; zwischen den Häu-
sern besteht hierzu kein Millimeter Unterschied in der
Auffassung. Das will ich der Deutlichkeit halber noch
einmal sagen.
Nun gebe ich Herrn
Kollegen Lensing das Wort.
Frau Bundesministe-rin, wie beurteilen Sie die Aussage des vatikanischenBioethikexperten und Vizepräsidenten der PäpstlichenAkademie, Bischof Elio Sgreccia, der gesagt hat, dass essich in dieser Situation nicht um einen Zufall oder garum ein Versehen handele, sondern dass das Patentamt indieser strittigen Angelegenheit einen bewussten Tabu-bruch vollzogen habe? Ich frage deswegen danach, weilmir bekannt ist, dass bereits im Januar 1998 zu Unrechtein Patent auf Gene zur Stressanfälligkeit erteilt wurde,in das die Genmanipulation am Menschen mit einbezo-gen wurde, dass also der gegenwärtige Vorfall durchauskein Einzelfall ist.Ich möchte gleich noch eine zweite Frage stellen. DiePatenterteilung verstößt, soweit ich es sehe, eindeutiggegen die Bioethik-Konvention des Europarates. Wirddie Bundesregierung diesen Vorfall zum Anlass neh-men, in naher Zukunft geeignete Schritte zur Zeichnungder Konvention zu unternehmen?Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Herr Kollege Lensing, herzlichen Dank für dieseFragen. Auch ich gehöre, wie Sie wissen, zu den Be-wunderern des Bischofs. Ausschließen – lassen Sie michdamit anfangen – kann man freilich gar nichts. Umsomehr verstehe ich, dass man hier mit großer Sorge aufdiese Praxis blickt. Gerade deswegen haben wir die nö-tigen Schritte sehr schnell eingeleitet und werden daraufHubert Hüppe
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drängen, dass alles, was möglich ist, zur Verbesserungder Informationspolitik unternommen wird.Ich bin gern bereit, auch die Patenterteilung aus demJanuar 1998, von der Sie gesprochen haben, zu prüfen.Wir werden über diese Fragen ohnehin noch häufigerreden müssen, weil sich das Problem einfach stellt. Al-lerdings muss ich an dieser Stelle deutlich sagen, dassdas, was berichtet wurde, technisch plausibel zu seinscheint: Nicht nur im Englischen, sondern auch imDeutschen können sprachlich unter dem Begriff derSäugerzellen auch menschliche Zellen erfasst werden.Um völlig klarzustellen, dass die Bio-Patent-RichtlinieLetzteres rechtlich nicht zulässt, muss ein Ausschlie-ßungsvermerk gemacht werden. Es kann durchaus sein –deswegen kann ich es nicht ausschließen –, dass dies aufdas zutrifft, was der Bischof gesagt hat; wir werden esprüfen. Es ist nicht zulässig und es steht rechtlich mitden Grundlagen der Arbeit des Europäischen Patentam-tes nicht in Einklang, wobei ich darauf hinweise, dassdie Biotechnologie-Richtlinie erst seit dem 1. September1998 die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Europäi-schen Patentamtes ist. Es könnte also sein, dass vorherder Rechtszustand mangels Sensibilität noch ein andererwar. Dann werden wir auch darüber reden müssen.Hinsichtlich der Bioethik-Konvention des Europa-rates ist der Stand der gleiche; er ist Ihnen bekannt. DieBundesregierung wird einer Zeichnung nicht näher tre-ten, bevor nicht die Diskussion im Bundestag geführtwurde.
Herr Kollege
Seifert.
Frau Ministerin, ist die Bun-
desregierung nicht der Ansicht, dass es nicht angehen
kann, die Patentierung und gentechnische Veränderung
von menschlichen Keimbahnen zwar zu verbieten, aber
alles andere vorher zu erlauben? Das ist ungefähr ver-
gleichbar mit der Erlaubnis, Läufe, Schäfte, Zieleinrich-
tungen und Munition herzustellen, aber zu verbieten, ein
Gewehr zusammenzubauen.
Ist es nicht an der Zeit, dass unter ethischen und auch
unter rechtlichen Aspekten viel eher Einhalt geboten
werden muss, weil weltweit in vielen Hunderten von
Labors geforscht wird? Die Forschungsmethoden, die
auf Affen, Ratten und sonstige Tiere angewandt werden,
können – mit geringen Modifikationen – selbstverständ-
lich auch auf Menschen angewandt und demzufolge
missbräuchlich eingesetzt werden.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Kollege, wir müssen über die Biotechnolo-
gie und auch über die Bio-Patent-Richtlinie in diesem
Sommer dringend diskutieren. In diesem Zusammen-
hang muss auch über die Frage gesprochen werden, die
Sie gestellt haben: Was ist richtig und was ist falsch?
Die Biotechnologie-Richtlinie, die vom Juni 1998
stammt und die innerhalb von zwei Jahren umgesetzt
sein sollte, muss von uns dringend besprochen werden.
Zu dem konkreten Fall kann ich Ihnen sagen: Es han-
delt sich um eine Patenterteilung durch das Europäische
Patentamt in München. Es unterliegt nicht unserer
Dienstaufsicht oder unserer Rechtsaufsicht. Das sage
ich, damit über diesen Punkt kein Zweifel besteht.
Eine Zusatzfrage.
Frau Ministerin, ich fragte
ausdrücklich nicht nach der Rechtsaufsicht, sondern
nach der moralischen und ethischen Bewertung, die von
der Bundesregierung in diesem Fall vorgenommen wird.
Ist es nicht an der Zeit, ein bisschen mehr auf die Skep-
tiker zu hören – leider hat uns die Zeit in diesem Bereich
überrollt; es wurden ja mehrere Tabus gleichzeitig
gebrochen – und ein gesellschaftliches Klima herbeizu-
führen, in dem das Betreiben solcher Forschung, die die
angegebene Zielrichtung hat und die dann durch die Pa-
tenterteilung einen materiellen Ausdruck findet, geächtet
wird?
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Kollege, ich verstehe nicht nur Ihre Sorge,
sondern auch Ihren Wunsch sehr gut. Ich teile Ihre Auf-
fassung, dass auch die moralischen und die ethischen
Probleme sowie die Gefahren sehr breit diskutiert wer-
den müssen, auch in der Öffentlichkeit. Sie wissen, ich
beteilige mich seit vielen Jahren an dieser Diskussion.
Ich bin über jeden froh, der sich daran auf differenzierte
und informierte Weise beteiligt.
Herr Kollege
Heinrich.
Frau BundesministerinDäubler-Gmelin, seit dem Bekanntwerden ist fast einVierteljahr – von Dezember bis Februar – vergangen.Geben Sie mir erstens Recht, dass hier die Instrumenteder Sorgfalt und auch der Überprüfung auf europäischerEbene nicht funktionieren? Geben Sie mir zweitensRecht, dass Sie, obwohl Ihr Ministerium nicht die zu-ständige Aufsichtsbehörde ist, Ihre politische Verant-wortung nicht wahrgenommen haben, indem Sie die Pa-tenterteilung durch das Patentamt einfach nicht zurKenntnis genommen haben?
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Herr Kollege Heinrich, in diesem Fall kann ichIhnen diesen Gefallen nicht tun. Sie kennen, wie wir al-le, den Präsidenten des Europäischen Patentamtes, denfrüheren Staatssekretär Kober, sehr gut. Ich werde ihmdeshalb Ihre Überlegungen, dass er seiner Sorgfalts- undKontrollpflicht nicht genügt habe, in der gebotenen dip-lomatischen Ausdrucksweise, die Ihre Sprache etwasverfeinert, gerne mitteilen. Ich bin ganz sicher, dass er dies ganz besonders gernehören wird.Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8231
Eine weitere Zu-
satzfrage stellt der Kollege Hüppe.
Soeben hat Kollege
Lensing gefragt, ob es von der Bioethik-Konvention des
Europarates gedeckt würde, dass dieses Patent nicht zu-
gelassen wird. Gehe ich recht in der Annahme, dass es
sehr wohl zugelassen ist, weil Art. 13 – Eingriffe in das
menschliche Genom – besagt, dass Eingriffe nur dann
verboten sind, wenn sie zum Ziel haben, die Verände-
rung von Nachkommen herbeizuführen? Dieses Ziel hat
die Universität ausdrücklich ausgeschlossen. Bedeutet
dies, dass die Bioethik-Konvention so etwas zulassen
würde? In diesem Zusammenhang will ich auch fragen,
ob die Bundesregierung Veranlassung sieht, dies mögli-
cherweise mit einem Zusatzprotokoll zu ändern?
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Kollege Hüppe, lassen Sie uns das auch im
Zusammenhang mit der Diskussion über die Bioethik-
oder Biomedizin-Konvention, die ja ansteht, nochmals
in aller Ruhe prüfen, auch, ob es irgendwelche Schlupf-
löcher gibt, die aufgrund der von mir sehr klar darge-
stellten Grenze in unser beider Sinn nicht akzeptabel
sind. In Bezug auf dieses Patent des Europäischen Pa-
tentamtes will ich nochmals klarstellen, dass Rechts-
grundlage nicht die Bioethik-Konvention des Europa-
rates ist, sondern die Biotechnologie-Richtlinie der Eu-
ropäischen Union, die wir im Sommer dieses Jahres in
deutsches Recht umsetzen müssen.
Damit wir noch
zum Bereich des UWG kommen, stellt Herr Kollege
Lensing jetzt die letzte Zusatzfrage.
Ich möchte an einen
Teil der Aspekte anknüpfen, die der Kollege Heinrich
vorgetragen hat.
Wie wollen Sie, falls Sie das überhaupt wünschen,
dafür sorgen, dass das Europäische Parlament, das ja
seine Entscheidungen völlig unabhängig von der Euro-
päischen Kommission trifft, einer stärkeren öffentlichen,
gegebenenfalls auch rechtlichen Kontrolle unterstellt
wird?
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Kollege Lensing, ich darf rückfragen: Wer
soll einer Kontrolle unterstellt werden, das Europäische
Patentamt? Oder meinen Sie die ja auch von der frühe-
ren Bundesregierung mitbeschlossene Bio-Patent-
Richtlinie?
Ich meine das bezo-
gen auf den ersten Teil Ihrer Aussage und nicht im Hin-
blick auf das, was von der alten Bundesregierung mitbe-
schlossen worden ist.
Wenn ich das noch sagen darf, Herr Präsident: Wir
beklagen ja den Zustand, den wir jetzt haben. Also hilft
es uns nicht, dass wir jetzt jammern, sondern wir müssen
uns fragen, was wir eigentlich tun müssen und ob wir –
auch auf Seiten der Bundesregierung – im Sinne der Ini-
tiative verhindern können, dass sich solche Vorgänge
wiederholen. Deshalb frage ich ganz konkret: Beabsich-
tigen Sie in dieser Hinsicht aktiv zu werden?
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Kollege Lensing, das habe ich bereits ausge-
führt, ich tue es aber gerne noch einmal, weil ich dies in
der Tat für einen sehr wichtigen Punkt halte.
Ich habe darauf hingewiesen, dass die Bundesrepu-
blik Deutschland im Verwaltungsrat des Europäischen
Patentamtes vertreten ist. Dort wird dies ein ganz wich-
tiger Punkt sein.
Vielen Dank.
Nun hat der Kollege
Funke das Wort.
Frau Bundesministerin, ich
möchte auf das UWG eingehen. In § 6 d wollen Sie auch
Räumungsverkäufe von Filialbetrieben zulassen, und
zwar für den jeweiligen einzelnen Filialbetrieb. Glauben
Sie, dass Sie dadurch den Mittelstand und die kleineren
Betriebe besonders schützen? Das war ja die Zielrich-
tung dieser UWG-Novelle. So habe ich Sie wenigstens
verstanden.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Kollege Funke, wir sind der Meinung, dass
wir die kleinen und mittelständischen Unternehmen ge-
rade im Bereich des Einzelhandels durch das neue Ge-
setz in der Tat stärker schützen. Dies gilt allerdings nicht
für die Überlegung, die Sie gerade angestellt haben. Das
würde in der Tat keinen Schutz mit sich bringen. Des-
halb steht es auch nicht im Gesetz.
Mit anderen Worten: Das,
was in § 6 d des Referentenentwurfes enthalten ist, ist
heute im Kabinett nicht mit beschlossen worden?
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: So ist es, – schon einfach deswegen, damit wir
Ihnen immer wieder etwas Neues zum Lesen geben kön-
nen.
Vielen Dank. Dann freue ichmich.Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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8232 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
Wenn ich es richtig
sehe, liegen keine weiteren Fragewünsche zur Bericht-
erstattung aus dem Kabinett vor. Gibt es darüber hinaus
Fragen an die Bundesregierung? – Das ist nicht der Fall.
Dann beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
– Drucksachen 14/2730, 14/2754
Ich rufe zunächst die dringlichen Fragen auf. Diese
richten sich an den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssek-
retärin Gila Altmann zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Rolf
Kutzmutz auf:
Hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak-torsicherheit im Anschluss an Berichte über die Fälschung von Prüfberichten in der britischen Wiederaufarbeitungsanlage Sella-field bei der britischen Regierung, ähnlich wie sein irischer Kol-lege, protestiert und wird er weitere Atomtransporte von und nach Sellafield genehmigen?
Gi
Herr Kollege Kutzmutz, Sie fragen, ob sich der
Bundesminister zu weiteren Atomtransporten ähnlich
geäußert hat wie sein irischer Kollege.
Das Bundesumweltministerium hat zur Aufklärung
des Sachverhaltes Kontakt mit der britischen Aufsichts-
behörde aufgenommen. Die englische Aufsichtsbehörde
NII hat über die MOX-Brennelementefabrik in Sella-
field einen Untersuchungsbericht veröffentlicht. Nach
dem Bericht stellt sich der Sachverhalt über die Fäl-
schung von Brennstofftabletten in der so genannten
MOX-Demonstration-Facility in Sellafield wie folgt dar:
Jede Brennstofftablette wird vor der weiteren Verar-
beitung geprüft und geht dabei auch durch eine Laser-
messeinrichtung, die den Tablettendurchmesser an drei
Stellen misst. Tabletten, die die Spezifikation nicht ein-
halten, werden ausgesondert. An diese 100-prozentige
automatische Prüfung schließt sich eine visuelle Prüfung
der maßgerechten Tabletten an. Schließlich werden je-
weils fünf Prozent dieser Tabletten nochmals handver-
messen und die Durchmesser in eine computergestützte
Tabelle eingetragen.
Bei dieser letzten Prüfung wurde von den Arbeitern
nicht korrekt vorgegangen. Sie kopierten vorher gemes-
sene Werte für diese letzte Prüfung. Somit wurde diese
letzte Qualitätsstufe durchbrochen.
Das NII sieht die Ursache dieser Fälschung sowohl in
Fehlern beim Management als auch im Sicherheitsver-
ständnis der einzelnen Beschäftigten. NII hat insgesamt
15 Auflagen benannt, die vor einer Wiederaufnahme
der Produktion der Brennelemente zu erfüllen sind. Sie
reichen von einer Verbesserung von Messeinrichtungen
über eine weitere Automatisierung der Messtechnik und
personelle Konsequenzen hinsichtlich der Beschäftigten,
die diese Fälschung vorgenommen haben, bis zur Ver-
besserung der Fachkunde aller Beschäftigten und des
Managements.
Für Transporte abgebrannter Brennelemente zu aus-
ländischen Wiederaufarbeitungsanlagen liegen zurzeit
keine Genehmigungen vor. Über vorliegende Anträge
wurde noch nicht entschieden. Genehmigungsanträge
zur Einfuhr unbestrahlter Brennelemente aus Großbri-
tannien liegen nicht vor.
Das ist das Ergebnis der Gespräche mit den Briten.
Eine Zusatzfrage.
Frau Parlamentarische Staats-
sekretärin, ich habe die Frage, wie viele Transporte in
diesem Jahr nach den Verträgen, die wir haben, geplant
sind: Sind zwei, fünf oder sieben Transporte geplant?
Gi
Das kann ich Ihnen im Moment nicht sagen; das
muss ich nachreichen.
Das wäre freundlich. Danke.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Lippmann.
Frau Staatssekretärin, laut
Aussage der Preussen-Elektra vom 20. Februar dieses
Jahres sind ihr die Fälschungen bereits seit Herbst letz-
ten Jahres bekannt. Die Preussen-Elektra erklärte, dass
die Brennelemente mit Erlaubnis des niedersächsischen
Umweltministeriums dennoch weiter verwendet worden
sind. Meine Frage hierzu: Ist Ihnen dieser Sachverhalt
bekannt? Wenn ja: Hat der niedersächsische Umweltmi-
nister Wolfgang Jüttner mit Erteilung dieser Erlaubnis
seine Aufsichtspflicht verletzt?
Gi
Der Sachverhalt ist mir bekannt. Er gehört aber zur
zweiten Frage. Insofern würde ich das gerne im Zusam-
menhang mit der zweiten Frage beantworten.
Dann rufe ich die
dringliche Frage 2 auf:
Seit wann genau ist dem Bundsministerium für Umwelt, Na-turschutz und Reaktorsicherheit der Einsatz von Mischoxid-Brennstoffen mit möglicherweise gefälschten Papieren im Atomkraftwerk Unterweser bekannt und wird der Bundesminis-ter für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit beim nieder-sächsischen Umweltminister Wolfgang Jüttner zwecks unver-züglicher Entfernung des Brennstoffes interventieren?
Gi
Ende des Jahres 1999 wurde das BMU vom NII –
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8233
das ist das Nuclear Installations Inspectorate – telefo-nisch über Unregelmäßigkeiten bei der Qualitätssiche-rung von MOX-Brennelementen für Japan unterrichtet.Dabei wurde darauf hingewiesen, dass MOX-Brennelemente der Herstellerfirma British NuclearFuels, BNFL, nach Deutschland geliefert worden seien.Diese seien aber von den Unregelmäßigkeiten nicht be-troffen.Recherchen des BMU in Deutschland ergaben, dass1996 vier MOX-Brennelemente von BNFL an das Atomkraftwerk Unterweser geliefert worden waren.Weitere Lieferungen, auch an andere AKWs in Deutsch-land, sind nicht erfolgt.Das niedersächsische Umweltministerium – das istdie spezielle Antwort auf diesen Teil Ihrer Frage – alszuständige Aufsichtsbehörde wurde vom BMU am28. Januar 2000 um einen entsprechenden Bericht überdie für das Atomkraftwerk Unterweser bei der BNFLgefertigten Brennelemente gebeten. Nach Mitteilung desniedersächsischen Umweltministeriums vom 2. Februar2000 befinden sich derzeit vier Brennelemente vonBNFL im Reaktorkern. Das Umweltministerium siehtnach diesem Schreiben kein Verdachtsmoment für Unre-gelmäßigkeiten bei der Qualitätssicherung bezüglich dervier Brennelemente. Nach Mitteilung des niedersächsi-schen Umweltministeriums hat der Betreiber ein zuver-lässiges Betriebsverhalten der Brennelemente bestätigt.Der TÜV Nord erstellt derzeit im Auftrag der nieder-sächsischen Aufsichtsbehörde zu den Vorgängen einegutachterliche Stellungnahme, die noch nicht vorliegt.Der für das Atomkraftwerk zuständige niedersächsi-sche Umweltminister klärt in eigener Zuständigkeit, obdie vier MOX-Brennelemente aus Sellafield aus sicher-heitstechnischen Gründen nicht weiter eingesetzt werdenkönnen. Unabhängig davon führt die Bundesaufsicht,das heißt das BMU, eine eigene sicherheitstechnischeBewertung durch. Sollte diese Bewertung dazu führen,dass die vier MOX-Brennelemente aus sicherheitstech-nischen Gründen nicht im Reaktor verbleiben können,so werden erforderlichenfalls bundesaufsichtliche Maß-nahmen ergriffen.Zur Stunde findet in Hannover dazu ein bundesauf-sichtliches Gespräch zwischen Bundesumweltministeri-um und dem niedersächsischen Umweltministeriumstatt.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Bulling-Schröter.
Frau Staatssekretärin,
es gab einmal das Versprechen unseres Umweltministers
Trittin, die Transporte zu Wiederaufarbeitungsanlagen
zu stoppen und verbieten zu lassen. Sehen Sie nach den
neuerlichen Vorkommnissen und nach einigen Atom-
unfällen – wir können davon ausgehen, dass gerade die
Versorgungsunternehmen bzw. die Atomkonzerne hier,
wie in der Vergangenheit, wieder etwas verschwiegen
haben – nicht die Notwendigkeit, in diese Richtung tätig
zu werden und die Wiederaufbereitung zu verbieten?
Gi
Frau Kollegin, wir haben vor, die Wiederauf-
arbeitung zu beenden. Wir müssen natürlich diese kon-
krete Situation über die im Moment noch ausstehenden
gutachterlichen Bewertungen bzw. die Unterlagen, die
Transporte von Sellafield überhaupt erst möglich
machen würden, hinaus neu bewerten. Ich möchte da-
rauf hinweisen, dass es im Moment keine Genehmigung
gibt.
Was die Verträge angeht, ist es auch Sache der
Betreiber, zu hinterfragen, ob die Vertrauensbasis bzw.
die Vertragsgrundlage aufgrund dieser Vorkommnisse
überhaupt noch gegeben ist. Aber all das befindet sich
zurzeit noch in der Prüfung.
Frau Bulling-
Schröter, Sie können leider nur eine Zusatzfrage stellen.
– Eine Zusatzfrage von Frau Kollegin Lippmann.
Frau Staatssekretärin, Sie
haben meiner Frage quasi schon vorgegriffen. Wird das
Bundesumweltministerium den Betreibern aufgrund der
gefälschten Unterlagen und der entfallenen Vertrags-
grundlage empfehlen, die bestehenden Verträge infrage
zu stellen und aufzukündigen? Denn diese Möglichkeit
bestünde ja, wenn wichtige Bestandteile des Vertrages
nicht mehr eingehalten werden.
Gi
Frau Kollegin, ob eine Empfehlung notwendig sein
wird, wird sich noch zeigen. Wie ich den Verlautbarun-
gen von Preussen-Elektra entnehmen konnte, ist dieses
Unternehmen selber sehr verärgert. Ich gehe davon aus,
dass diese Verärgerung zu entsprechenden Kon-
sequenzen führen wird. Insofern müssen wir abwarten,
was die Untersuchungsergebnisse ergeben.
Ich danke Ihnen,
Frau Staatssekretärin, und rufe nunmehr den Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums für Bildung und For-
schung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentari-
sche Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen zur Ver-
fügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Eva Bulling-
Schröter auf:
In welcher Höhe werden im Haushaltsjahr 2000 für die For-schung an gentechnisch veränderten Organismen in der Pflan-zenproduktion Mittel eingesetzt und welcher Anteil davon be-trifft die rein anwendungsorientierte Forschung?
W
FrauKollegin Bulling-Schröter, auf Ihre Frage nach den Mit-teln, die in diesem Haushaltsjahr für die Forschung anParl. Staatssekretärin Gila Altmann
Metadaten/Kopzeile:
8234 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
gentechnisch veränderten Organismen in der Pflanzen-produktion eingesetzt werden, kann ich Ihnen mitteilen:Die Pflanzengenomforschung wird durch das BMBF imRahmen des Forschungsprogramms „Genomanalyse imbiologischen System Pflanze“, abgekürzt GABI, geför-dert, dessen Start im letzten Jahr, also 1999, erfolgte. In dem Programm GABI werden Forschungsprojektein zwei Forschungsfeldern gefördert. Im Forschungsfeldeins gelangen hauptsächlich grundlagenorientierte Pro-jekte zur Förderung, im Forschungsfeld zwei werdenanwendungsnahe Projekte gefördert. Insgesamt fließenin diesem Jahr in das Forschungsprojekt GABI circa19 Millionen DM an Fördermitteln. Davon sind 3 Milli-onen DM für anwendungsorientierte Projekte vorgese-hen. Ansonsten gibt es in diesem Bereich nur noch dieRisikoforschung und die Monitoringforschung. Das istein zweiter Bereich. Aus Aktualitätsgründen kann ich Ihnen mitteilen,dass das BMBF in diesem Jahr drei Forschungsprojektefinanziert, die den BT-Mais betreffen, über den wir inden letzten Jahren etwas intensiver gesprochen haben.
Eine Zusatzfrage,
Frau Bulling-Schröter.
Ist die Bundesregie-
rung bereit, ihre Entscheidung betreffend die Förderhö-
hen im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Freisetzung
von gentechnisch veränderten Mechanismen noch ein-
mal zu überdenken?
W
Die
Genomforschung, wie sie bei uns im Mittelpunkt steht,
hat zum Ziel, die genetische Struktur von Pflanzen auf-
zuklären. Das Wissen, das dabei herauskommt, kann für
sehr unterschiedliche Zwecke verwandt werden. Es kann
zum Beispiel darum gehen, bessere Kenntnisse über In-
haltsstoffe von Pflanzen zu gewinnen, die etwa für me-
dizinische oder andere Zwecke bzw. im Bereich der Na-
turstoffchemie verwendet werden können.
Das heißt, wir sehen keinen Anlass, den grundlagen-
orientierten Ansatz im Bereich der Pflanzengenomfor-
schung aufgrund der aktuellen Situation zu überdenken.
Hier geht es eher um die Frage, inwieweit die Strategie
des kommerziellen Anbaus von veränderten Nutzpflan-
zen zu bewerten ist. Das Genomprogramm greift weit
über diesen Anwendungsbereich hinaus.
Dann rufe ich die
Frage 2 der Kollegin Bulling-Schröter auf:
In welcher Höhe werden Forschungsmittel in Gemein-schaftsprojekten mit der Industrieforschung eingesetzt?
W
Klei-
ne und mittelständische Unternehmen aus dem Bereich
der Pflanzenzucht sind an elf Gemeinschaftsprojekten,
also an Verbundprojekten des Forschungsprogramms
GABI, beteiligt. Diese elf Verbundprojekte werden im
Jahre 2000 mit insgesamt 9 Millionen DM gefördert.
Dabei ist bemerkenswert, dass sich diese Unterneh-
men an diesen Verbundprojekten nicht nur im anwen-
dungsnahen Forschungsbereich, sondern auch in der
grundlagenorientierten Forschung mit eigenen Projekten
und Mitteln beteiligen.
Eine Zusatzfrage,
Frau Bulling-Schröter.
Könnten Sie vielleicht
noch einmal den prozentualen Anteil der Forschungs-
mittel, die an mittelständische Unternehmen bzw. an
große Industriebetriebe fließen, nennen?
W
Das
kann ich Ihnen gern schriftlich nachreichen. Diese Auf-
stellung liegt meinen Unterlagen nicht bei. Aber Sie
sollten vielleicht auch wissen, dass sich im Umfeld des
Programms GABI insgesamt 27 Unternehmen zu einem
Wirtschaftsverbund Pflanzengenomforschung zusam-
mengeschlossen haben.
Ich danke Ihnen,
Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzler-
amtes auf. Wir kommen zu Frage 3 des Kollegen Dr.
Norbert Lammert:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung sicherzustellen, dass bei den künftigen Beratungen im Kuratorium der Siftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 25. Juni 1999 umgesetzt wird, ei-nen „Ort der Information“ ergänzend zum Stelenfeld von Peter Eisenman zu realisieren und nicht eine eher museale Institution wie ein „Haus der Erinnerung“ oder dergleichen?
Zur Beantwortung der Frage 3 des Kollegen
Dr. Norbert Lammert steht der Staatsminister im
Kanzleramt, Dr. Michael Naumann, zur Verfügung.
Bitte sehr.
D
Herr Abgeordneter Lammert, der Bundestag
ist im Kuratorium des Mahnmals für die ermordeten Ju-
den Europas mit insgesamt zehn Stimmen vertreten. Der
Vorsitzende des Kuratoriums ist Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse, sodass davon auszugehen ist, dass
die Interpretation des Beschlusses des Bundestages zum
besagten Mahnmal korrekt und angemessen umgesetzt
werden wird.
Zu einer Zusatzfra-
ge der Kollege Lammert.
Herr Staatsmi-nister, halten Sie Befürchtungen für abwegig oder jeden-Parl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8235
falls für unbegründet, dass die Beauftragung von ausge-wiesenen Museumsexperten mit der weiteren Bearbei-tung dieses Themas, insbesondere mit der Ausgestaltungdes Ortes der Erinnerung, eine gewollte oder ungewolltePräjudizierung, jedenfalls eine Präjudizierung, zuguns-ten eines Museumsbaus darstellen könnte? D
Wenn diese Frage im Konditional gestellt
sein sollte, also bedeutet, dass jemand benannt werden
könnte, der auch Museumsexperte wäre, dann wäre Ihre
Frage mit „vielleicht“ zu beantworten.
Ich kann es aber auch anders ausdrücken, Herr
Lammert: Bisher ist noch niemand beauftragt worden.
Herr Kollege
Lammert, wären Sie denn bereit, eine Zusatzfrage zu
stellen?
Mit großem
Vergnügen, Herr Präsident. Ich möchte allerdings die
Gelegenheit nutzen, mich beim Staatsminister ausdrück-
lich für die Hilfestellung beim Verständnis seiner Aus-
kunft zu bedanken. Herr Staatsminister, können Sie mir
bestätigen, dass sowohl im Vorstand als auch im Kurato-
rium dieser Stiftung, deren Zusammensetzung mir
selbstverständlich bekannt ist, keine Meinungsverschie-
denheiten darüber bestehen, dass die Umsetzung des
Grundsatzbeschlusses des Deutschen Bundestages, mit
der die Stiftung beauftragt ist, weder in der Konzeption
noch im Finanzrahmen eine beliebige Interpretation die-
ses Beschlusses zulässt?
D
Es wird in diesem Kuratorium prinzipiell
nicht auf Grundlage von beliebigen Interpretationen,
sondern selbstverständlich auf Grundlage der Diskussion
des Bundestages selbst an dieses schwere Thema heran-
gegangen.
Aber bei der Gelegenheit erlaube ich mir, darauf hin-
zuweisen, dass ein Finanzrahmen in der Bundestagsdis-
kussion über den so genannten „Ort der Information“,
aber auch über das Stelenfeld selbst nicht zur Debatte
stand, weil eine abschließende Unterlage Bau, die auch
eine exakte Kostenkalkulation ermöglicht hätte, nicht
vorlag und im Übrigen auch noch nicht vorliegt.
Zu einer weiteren
Zusatzfrage die Kollegin Widmann-Mauz.
Herr
Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie
gerade dem Hohen Haus zur Kenntnis gegeben haben,
dass sich das Kuratorium auf Grundlage der Diskussion
im Deutschen Bundestag um den „Ort der Information“
bemüht? Hätte es nicht korrekterweise heißen müssen:
auf Grundlage des Beschlusses des Deutschen Bundes-
tages?
D
Selbstverständlich ist der Beschluss gewis-
sermaßen die Ausgangslage. Aber der Beschluss sieht
einen „Ort der Information“ vor. Was genau der Ort aus-
sagt oder bedeutet, lässt sich – das ist verständlich – nur
durch eine genaue Lektüre der Diskussion im Bundestag
und im Kulturausschuss näher eingrenzen. Die eigentli-
che Bestimmung, was dieser Ort wirklich enthalten soll,
muss in der Tat im Kuratorium – darum hat der Bundes-
tag das Gremium als Stiftung geschaffen – entschieden
werden. Das bedeutet, dass hier vom Bundestag – wenn
Sie so wollen: mit Absicht – ein Interpretationsraum ge-
schaffen worden ist. Dieser wird im Kuratorium mit Ih-
rer geschätzten Mithilfe gewiss sinnhaft genutzt werden.
Eine weitere Zu-
satzfrage des Kollegen Schemken.
Sie wollen doch nicht schon wieder einen Hammel-
sprung provozieren.
Herr Kollege Schemken, bitte sehr.
Herr Staatsminister,
haben Sie bei der Bewertung der Diskussionsbeiträge
eine besondere Präferenz?
D
Diese Diskussion ist insofern abgeschlossen,
als ein Beschluss des Bundestages vorliegt. Was ein
Mitglied dieses Kuratoriums, auch wenn es der Staats-
minister ist, persönlich denkt, spielt bei der Beschluss-
fassung der Gesamtheit nur insofern eine Rolle, als sie
in der Diskussion innerhalb der Stiftung manifest wird.
Diese wird dann öffentlich im Ergebnis bekannt. Ich
werde hier aber nicht eine Diskussion über meine Vor-
stellung bezüglich des „Ortes der Information“ entfa-
chen, von der ich genau weiß, dass diese alsbald wieder
fehlinterpretiert wird, und zwar in derselben Absicht wie
bisher. In einem Satz: Ich halte mich in dieser Hinsicht
zurück und warte darauf, dass das Gremium, das diese
Diskussion im Auftrag des Bundestages führen soll, die-
se führen wird. Dies wird, so glaube ich, am Freitag die-
ser Woche der Fall sein.
Sie haben leider nur
eine Zusatzfrage. Es liegen keine weiteren Wortmeldun-
gen vor. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zu Frage 4 des Abgeordneten Gerald
Mit welchem Recht bezeichnete sich Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Grundsteinlegung für das neue Opel-werk in Rüsselsheim als „Automann“, wenn in seiner Regie-rungsverantwortung zugleich über die Ökosteuer das Autofahren ständig weiter drastisch verteuert wird?Dr. Norbert Lammert
Metadaten/Kopzeile:
8236 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
Zur Beantwortung steht der Staatsminister im Kanz-leramt, Hans Martin Bury, zur Verfügung.H
Herr Kollege Weiß, Bundeskanzler Gerhard
Schröder hat sich bereits in seiner früheren Funktion als
niedersächsischer Ministerpräsident in vielfältiger Weise
für die Stärkung der deutschen Automobilindustrie ein-
gesetzt. Hierzu zählt auch der Bonner Autogipfel von
1993, an dem neben Gerhard Schröder auch der bayeri-
sche und der baden-württembergische Ministerpräsident
sowie die Vorstandsvorsitzenden von Daimler-Benz,
BMW, Volkswagen und Porsche teilnahmen. Nach dem
Bonner Autogipfel wurde Gerhard Schröder in Pressebe-
richten mit der Bezeichnung „Automann“ versehen.
Der Bundeskanzler greift diesen Titel bei passender Ge-
legenheit gerne auf, um die Bedeutung der Automobil-
industrie als eine der wichtigsten Branchen in Deutsch-
land zu unterstreichen. Sie wissen, dass Deutschlands
Automobilunternehmen international führend, ihre Pro-
dukte erfreulicherweise weltweit gefragt sind und dass
sie einen bedeutenden Beitrag für Beschäftigung und
Ausbildung in Deutschland leisten. Der in Ihrer Frage
konstruierte Widerspruch besteht also nicht.
Zu einer Zusatzfra-
ge der Kollege Weiß.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Herr
Staatsminister, dennoch will ich diesem existenten Wi-
derspruch ein wenig nachgehen. „Automann“ Schröder
hat laut „Bild“-Zeitung vom Sonntag, dem 4. Oktober
1998, verkündet: Bei sechs Pfennig mehr ist Ende der
Fahnenstange. – Jetzt stehen wir vor der Situation, dass
die Mineralölsteuer bis zum Jahre 2003 um 30 Pfennig,
und die Benzinpreise bei Einrechnung der Umsatzsteu-
erwirkung sogar um 35 Pfennig steigen werden. Meinen
Sie nicht, dass das Arbeitsplätze gefährden, den Absatz
der Automobilindustrie vermindern und insbesondere
sozial Schwächere, die auf das Auto angewiesen sind,
benachteiligen wird?
H
Herr Kollege Weiß, die Bundesregierung hat
die größte Steuerreform in der Geschichte der Bundes-
republik Deutschland mit einem Entlastungsvolumen
von 73 Milliarden DM für Bürger und Wirtschaft auf
den Weg gebracht. Im Rahmen der ökologischen Steuer-
reform kommt es – das ist richtig – im Bereich des Mi-
neralöls zu einer moderaten und schrittweisen Verteue-
rung des Energieverbrauchs in Höhe der von Ihnen zi-
tierten sechs Pfennige pro Jahr, aber im Gegenzug auch
zu einer dringend notwendigen Entlastung bei den
Lohnnebenkosten.
Wie Sie wissen, resultieren die Benzinpreiserhöhun-
gen der letzten Monate im Wesentlichen nicht auf steu-
erlichen Maßnahmen, sondern auf dem Anstieg der
Rohölpreise. Wir nehmen in Deutschland in der EU im-
mer noch – sowohl bei der Mineralölsteuer als auch bei
den Treibstoffpreisen – einen Mittelplatz ein.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Herr
Staatsminister, würden Sie einräumen, dass das, was Sie
eben gesagt haben, falsch ist, wenn ich Ihnen vorhalte,
dass wir in der Europäischen Union bereits heute die
vierthöchsten Mineralölsteuersätze haben und nach den
weiteren Stufen der Einführung der Ökosteuer ab 2003
die zweithöchsten haben werden? Wie Sie dazu kom-
men, einen Mittelplatz zu reklamieren, bleibt mir uner-
findlich.
H
Herr Kollege Weiß, ich räume Ihnen nicht ein,
dass die Aussage falsch war. Wir befinden uns im guten
europäischen Kontext. Durch die Maßnahmen im Zuge
der ökologischen Steuerreform setzen wir im Übrigen
wirksame Innovationsanreize und Anreize zu Verhal-
tensänderungen. So ist es beispielsweise gelungen, einen
großen Teil des Ziels der Reduzierung des Durch-
schnittsverbrauches von Kraftfahrzeugen zu erreichen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Dirk Niebel.
Herr Staatsminister, Sie haben
eben geantwortet, dass die Einnahmen aus der so ge-
nannten Ökosteuer zur Reduzierung der Rentenversiche-
rungsbeiträge genutzt werden sollen. Nun ist mir
gerüchteweise zu Ohren gekommen, dass die Grünen –
Ihr Koalitionspartner – das in der Zukunft nicht mehr so
restriktiv handhaben wollen. Können Sie bestätigen,
dass die Einnahmen auch in Zukunft voll in die
Rentenversicherung gehen? Befürchten Sie dann nicht
eine zum größten Teil steuerfinanzierte Rentenversiche-
rung?
H
Kollege Niebel, das Gesetz sieht ausdrücklich
die Verwendung zur Reduzierung der Lohnnebenkos-
ten – konkret: der Rentenversicherungsbeiträge – vor.
Keine weiteren Zu-satzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parla-mentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zurVerfügung.Es geht um die Frage 5 des Kollegen Dr. Hans-PeterUhl:Vizepräsident Rudolf Seiters
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8237
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass ange-sichts einer zunehmenden Gewaltbereitschaft im links- und rechtsextremen politischen Spektrum bei politischen Demonstra-tionen das Versammlungsrecht verbesserte Verbotsmöglichkei-ten vorsehen sollte?F
Herr Kollege Dr. Uhl, wenn ich
es mir einfach machen wollte, könnte ich Ihre Frage mit
Nein beantworten. Aber ich will dazu ein paar Ausfüh-
rungen machen.
Das Versammlungsrecht bietet unserer Meinung nach
auch gegenüber gewaltbereiten Veranstaltern und Teil-
nehmern von Versammlungen ein ausreichendes und
wirksames Instrumentarium der Gefahrenabwehr. Ge-
mäß § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz kann die zustän-
dige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbie-
ten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen,
wenn nach den zurzeit des Erlasses der Verfügung er-
kennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des
Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Nach § 15 Abs. 2
Versammlungsgesetz kann unter denselben Vorausset-
zungen eine Versammlung oder ein Aufzug aufgelöst
werden.
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes
den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesund-
heit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Ein-
zelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und
die Unversehrtheit der staatlichen Einrichtungen. So-
wohl unter dem Aspekt des Schutzes zentraler Rechtsgü-
ter wie auch der Bewahrung der Rechtsordnung, wozu
selbstverständlich auch die Strafvorschriften – wie zum
Beispiel Körperverletzung, Sachbeschädigung, Nö-
tigung, Landfriedensbruch – zählen, ist ein Vorgehen
gegen gewalttätige Versammlungen möglich.
Der Vollzug des Versammlungsgesetzes ist – auch
das ist wichtig festzuhalten – nach Art. 83 Grundgesetz
Sache der Länder. Ihnen obliegt es, je nach Gefahren-
prognose, über versammlungsbezogene Maßnahmen zu
entscheiden und diese gerichtsfest zu begründen.
Zusatzfrage, Herr
Kollege Uhl.
Herr Staatssekre-
tär, ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die
Hürde für die Verhängung eines Versammlungsverbotes
zu hoch angesetzt ist, da bei gewaltbereiten Demonst-
ranten ein Verbot nur dann ausgesprochen werden kann,
wenn die Polizei bei der anzustellenden Gefahrenprog-
nose vorab den polizeilichen Notstand erklärt hat und sie
diese für sie ehrenrührige Erklärung höchst ungern ab-
gibt?
F
Herr Kollege Uhl, ich habe mit
einer solchen Frage gerechnet. Ich glaube, Sie würden
einen Fehler machen, wenn Sie meinen, dies Problem
bestehe aufgrund unserer gesetzlichen Grundlagen. Ich
denke, das Gesetz, das wir für diesen Bereich haben, ist
ausreichend. Der Vollzug kann hier und da ein Problem
sein. Deswegen müssen wir uns den Fragen des Vollzu-
ges zuwenden.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Herr Staatssekre-
tär, ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die
Bevorzugung der Versammlungsfreiheit gegenüber den
mit ihr konkurrierenden Grundrechten dann unverhält-
nismäßig ist, wenn trotz eines massiven Polizeiaufgebots
gewaltbereite Demonstranten vorhersehbar Menschen
verletzen und Sachen beschädigen?
F
Herr Kollege Dr. Uhl, die Ver-
sammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, wie wir alle wis-
sen. Wir sind auch sehr stolz darauf, dass es sie gibt. Ich
denke, Ihre Frage ist nicht abstrakt zu beantworten, son-
dern es kommt beim Vollzug immer auf den einzelnen
Fall an. Das möchte ich Ihnen so als Antwort sagen.
Ich danke Ihnen,
Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Arbeit und Sozialordnung. Anwesend ist
der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres. Wir
kommen zur Frage 6 des Abgeordneten Dirk Niebel:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Mittel der Bundesanstalt für Arbeit von Arbeitsämtern im Rahmen der freien Förderung auch für erlebnispädagogische Maßnahmen im Ausland verwendet werden sollten?
G
Herr Niebel, mitEinführung der freien Förderung haben die Arbeitsämterseit Anfang 1998 die Möglichkeit, lokale Maßnahmenzur Integration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarktund zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit zu ent-wickeln. Im vergangenen Jahr haben die Arbeitsämterfür diese freie Förderung 1,093 Milliarden DM aufge-wandt.Ziel der freien Förderung ist es, die Kreativität unddas Fachwissen der Arbeitsämter zu nutzen und neue In-strumente mit besonders guten Eingliederungserfolgenzu entwickeln. Um die Kreativität der Arbeitsämternicht einzuengen, hat der Gesetzgeber bewusst daraufverzichtet, die Grenzen des § 10 SGB III exakt zu defi-nieren. Die freien Leistungen müssen jedoch den Zielenund Grundsätzen der gesetzlichen Leistungen entspre-chen und dürfen gesetzliche Leistungen nicht aufsto-cken.Nachdem nunmehr zwei Jahre lang Erfahrungen mitder freien Förderung gemacht wurden, hat das Bundes-arbeitsministerium die Bundesanstalt für Arbeit gebeten,einen umfassenden Bericht über die Förderaktivitäten zuVizepräsident Rudolf Seiters
Metadaten/Kopzeile:
8238 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
erstatten. Dadurch soll unter anderem eine Diskussionermöglicht werden, wie positive Beispiele der freienFörderung breiter aufgegriffen, aber auch arbeitsmarkt-politisch zweifelhafte Förderungen ausgeschlossen wer-den können.
Zusatzfrage, Herr
Kollege Niebel.
Herr Staatssekretär, ich stimme
Ihnen darin zu, dass die freie Förderung ein adäquates
Instrument zum Beschreiten neuer Wege aus der Ar-
beitslosigkeit ist. Deswegen haben wir dies auch einge-
führt. Würden Sie mir zustimmen, dass das von Ihnen
angesprochene Gebot der Verhältnismäßigkeit dann
nicht mehr gegeben ist, wenn zum Beispiel beim Ar-
beitsamt Villingen-Schwenningen im Rahmen des Pro-
gramms „Sobena“ – ich muss leider ablesen, was das
bedeutet; es ist die Abkürzung für: „Soziale Betreuung
und Erlebnispädagogik in Namibia als integratives Ele-
ment im Rahmen von Berufsfindung und Eingliederung
sozial benachteiligter junger Menschen in die Berufs-
und Arbeitswelt“ – aus Mitteln der Beitragszahler
200 000 DM zur Reintegration von zehn Jugendlichen
ausgegeben werden?
G
Das kann ich ge-
genwärtig nicht beurteilen. Ich kann auch nicht beurtei-
len, ob die Zahl, die Sie genannt haben, stimmt. Die
Bundesanstalt für Arbeit ist seitens des BMA gebeten
worden, die arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit kri-
tisch zu prüfen. Die Prüfung ist zum jetzigen Zeitpunkt
noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage,
bitte schön.
Da nach den mir vorliegenden
Presseberichten, die ich Ihnen gerne zur Verfügung stel-
le, auch das Landesarbeitsamt Baden-Württemberg in
diesen Fall involviert ist, möchte ich fragen: Können Sie
mir eine Beurteilung der Bundesregierung nach Vorlage
des Berichts der Bundesanstalt für Arbeit zusichern und
ausführen, ob der genannte Fall dem von Ihnen erwähn-
ten Anspruch genügt?
G
Erstens nehme ich
Ihre Presseberichte gern entgegen. Aber auch Sie wis-
sen, dass nicht alles, was in den Zeitungen steht, stim-
men muss.
Zweitens habe ich darauf hingewiesen, dass wir eine
Prüfung vornehmen. Wenn der Prüfbericht vorliegt,
werden wir Ihnen das Ergebnis selbstverständlich mittei-
len.
Ich danke Ihnen,
Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Walter Kolbow zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Ina Lenke auf:
In welchem Umfang erwartet die Bundesregierung die Gel-tendmachung von Entschädigungszahlungen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes , in dem ent-lassenen britischen Armeeangehörigen bestätigt wurde, dass die durchgeführte Befragung nach dem Bekenntnis ihrer homosexu-ellen Veranlagung gegen Art. 8 der Europäischen Konvention für Menschenrechte verstößt und somit eine grobe Verletzung der Privatsphäre war und ihnen daher wegen ihrer Entlassung aus der Armee aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Entschädi-gungsansprüche zustehen, vor dem Hintergrund, dass Bundes-wehr und Militärischer Abschirmdienst ebenfalls solche Befra-gungen durchführen und bei Bekanntwerden einer homosexuel-len Neigung dies entweder zum sofortigen Ende der Karriere des Soldaten oder zum systematischen Herausdrängen aus der Bun-deswehr führt?
W
Herr Präsident, wenn Sie er-
lauben, würde ich die beiden Fragen der Kollegin im
Zusammenhang beantworten wollen.
Dann rufe ich die
Frage 8 der Kollegin Ina Lenke ebenfalls auf:
Sind Informationen zutreffend, dass die Personalakten von homosexuellen Soldaten mit einer Kennzeichnung versehen werden, dem „Rosa Reiter“?
W
Die Bundesregierung erwar-
tet nicht, Entschädigungszahlungen leisten zu müssen.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Men-
schenrechte ist unseres Erachtens nicht auf die Bundes-
wehr übertragbar. Im Übrigen knüpft die Bundeswehr an
die homosexuelle Neigung eines Soldaten keine unmit-
telbaren Entlassungsfolgen.
Zu Frage 8 möchte ich anfügen, dass die Personalak-
ten homosexueller Soldaten in keiner Weise besonders
kenntlich gemacht werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben
gesagt, es gebe keine unmittelbare Folgen. Es gibt diese
unmittelbaren Folgen sehr wohl. Zum Beispiel darf ein
homosexueller Soldat kein Ausbilder sein. Stimmt das?
Ich würde weiter gerne wissen, ob dem Militärischen
Abschirmdienst von der Bundesregierung untersagt
worden ist, bei Recherchen die sexuelle Orientierung
von Soldaten einzubeziehen.
W
Die letzte Frage kann ichnicht bestätigen. Zur ersten Frage möchte ich sagen: Esgibt zurzeit einen Fall vor dem Bundesverfassungsge-richt, über den noch vor der parlamentarische Sommer-pause entschieden wird und der bestimmte Entwicklun-Parl. Staatssekretär Gerd Andres
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8239
gen in den Überlegungen unseres Hauses zur Folge ha-ben wird.
Eine Zusatzfrage,
bitte schön.
Herr Staatssekretär, vor dem
Verfassungsgericht – so haben Sie gerade gesagt – ist
ein Fall anhängig. Also müsste zumindest bei dem einen
Fall eine Information in der Personalakte stehen. Von
daher frage ich Sie, ob Hinweise über besondere sexuel-
le Orientierungen von Soldaten in die Personalakten
aufgenommen werden?
W
Nein, Frau Kollegin. Der ge-
nannte Fall ist ein Fall des Outens, wie man neudeutsch
sagt. Der Soldat bekennt sich zu seiner sexuellen Orien-
tierung und wird damit als Soldat zu einem bestimmten
Problem, was das Führen und Ausbilden angeht. Hier
befinden wir uns in enger Abstimmung mit dem militä-
rischen Führungsrat und der politischen Leitung, um ei-
ne angemessene Lösung zu finden.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie
mir Ihre Formulierung „bestimmtes Problem“ an einem
Beispiel darlegen? Welches bestimmte Problem sieht die
Bundesregierung in solchen Fällen?
W
Die Bundesregierung verlässt
sich in diesem Zusammenhang sehr auf den militäri-
schen Rat der Inspekteure der Teilstreitkräfte und der
Führer, die die Truppe letztlich militärisch zu leiten ha-
ben. Dabei werden wir darauf hingewiesen, dass Ausbil-
den und Führen durch homosexuelle Soldaten in der
Truppe ein Problem sein kann. Wir versuchen zurzeit –
auch innerhalb der Bundesregierung –, dies aufzuarbei-
ten und einer Lösung zuzuführen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, wenn ich
mich recht erinnere, war ein wesentliches Argument da-
für, dass Homosexuelle keine Führungsfunktionen in der
Bundeswehr übernehmen können, das der potenziell ent-
stehenden sexuellen Anziehungskraft zwischen Vorge-
setzten und Untergebenen. In Anbetracht des Urteils des
Europäischen Gerichtshofes zu Frauen in der Bun-
deswehr, wozu jetzt eine Anhörung stattfindet, frage ich:
Ist die Bundesregierung bereit, die Frage der sexuellen
Anziehungskraft zwischen Führern und Untergebenen
neu zu überdenken?
W
Die Bundesregierung ist im-
mer bereit, interessante Ausführungen und Erklärungen
zu überdenken.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Seifert.
Herr Staatssekretär, Sie haben
die Frage nach den besonderen Gefährdungen – oder
wie immer man das nennen will – nicht beantwortet. Sie
haben nur darauf verwiesen, dass Sie sich daran halten,
was die Führungskräfte Ihnen sagen. Wenn ich mich
recht entsinne, gibt es in der Geschichte der BRD bereits
einschlägige Beispiele, dass Generäle ziemliche Kar-
riereschwierigkeiten aufgrund eines solchen Verdachtes
bekamen.
Können Sie vielleicht doch ein kleines bisschen näher
ausführen, wie sich ein junger Mann verhalten soll, der
zur Bundeswehr muss und homosexuell orientiert ist?
Soll er gleich von vornherein sagen: „Ich melde mich
bei den Latrinenputzern“, oder soll er sagen: „Ich muss
jetzt hier meinen Dienst tun und möchte den versehen
wie alle anderen“?
W
Die sexuelle Orientierung ei-
nes Soldaten ist keine Benachteiligung von vornherein,
auch nicht im Dienst. Wir müssen aber beim Ausbilden
und beim Führen der Truppe darauf achten, dass daraus
keine Schwierigkeiten im militärischen Bereich entste-
hen.
Jeder, der eine sexuelle Orientierung, wie sie in der
Fragestunde jetzt angesprochen worden ist, hat, ist in der
Bundeswehr willkommen und hat letztlich auch keine
Nachteile zu erwarten.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Ostrowski.
Herr Staatssekretär, die
Frage von Frau Lenke ist ja immer noch offen. Was sind
denn nun die bestimmten Probleme, die Schwierigkeiten
bereiten, wenn homosexuell Orientierte in Führungspo-
sitionen sind? Bitte beantworten Sie diese Frage kon-
kret.
W
Ich habe wiederholt vomFühren und vom Ausbilden in militärischen Einheitengesprochen. Es ist leider – ich sage: leider – in unsererGesellschaft, möglicherweise auch in Teilen der Bun-Parl. Staatssekretär Walter Kolbow
Metadaten/Kopzeile:
8240 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
deswehr, noch so, dass eine homosexuelle Orientierungdiskreditiert ist. Dies wollen wir nicht, aber wir müssendies beim Führen und Ausbilden von jungen Männernim militärischen Betrieb unserer Streitkräfte auch wissenund umsetzen. Deswegen müssen wir sehr sorgfältigvorgehen, um Homosexuelle in den Streitkräften auchdann nicht diskreditieren zu lassen, wenn sie sich alssolche bekennen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Dr. Fink.
Zeichnet es nicht gerade
einen Ausbilder aus, wenn er ehrlich und offen zu seiner
sexuellen Neigung steht? Hat er nicht dadurch einen be-
stimmten Schutz? Wird ihm denn das nicht in irgendei-
ner Weise als ehrenwert angerechnet?
W
Herr Kollege, ich persönlich
teile die in Ihrer Fragestellung zum Ausdruck kommen-
de Bewertung. Ich weiß aber, dass sie nicht in allen Be-
reichen einer Männergesellschaft wie der Bundeswehr
geteilt wird. Damit müssen wir verantwortungsvoll um-
gehen, auch zum Schutze der Betroffenen.
Frau Kollegin
Lenke hat eine vierte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kennen Sie
den Brief aus dem Wangerland, den einige Soldaten ge-
schrieben haben, als ihr Ausbilder wegen homosexueller
Neigungen vom Dienst suspendiert worden ist? Sie
wollten unbedingt, dass dieser Ausbilder weiter bei ih-
nen tätig ist.
Von daher halte ich Ihre grundsätzliche oder sehr um-
fassende Aussage, dass homosexuelle Soldaten als Aus-
bilder nicht geeignet sind, für sehr fragwürdig. Ich finde
es schon sehr mutig, dass Sie namens der Bundesregie-
rung hier solche Aussagen machen.
W
Frau Kollegin, Sie unterstel-
len mir etwas, was ich nicht gesagt habe. Wir halten
auch Ausbilder mit einer solchen sexuellen Orientierung
für durchaus führungs- und verantwortungsfähig. Nur,
wir müssen sie als Führer und Ausbilder auch in den mi-
litärischen Betrieb sowie in die Ausbildung und Erzie-
hung einordnen. Nichts anderes habe ich zum Ausdruck
bringen wollen. Mir zu unterstellen, dass ich als Vertre-
ter der Bundesregierung homosexuelle Soldaten als
Vorgesetzte diskreditiere, ist nicht redlich.
Ich rufe die Frage 9
des Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl auf:
Welchen technischen, geländemäßigen und taktischen Be-schränkungen unterliegt der Einsatz eines Kettenkampfpanzers in einem gebirgigen Terrain wie Ostanatolien und welchen Kampfwert hätte dort ein 60 Tonnen schweres Kettenfahrzeug wie der Leopard 2 beim Einsatz gegen eine Guerilla?
W
Herr Kollege Dr. Uhl, Ihre
Frage beantworte ich wie folgt: Der Kampfpanzer Leo-
pard 2 ist im Rahmen des Gefechts der verbundenen
Waffen für den Kampf gegen Kampfpanzer auf große
Entfernungen, etwa 3 000 Meter, bestimmt. Seinen
höchsten Gefechtswert entwickelt dieser Kampfpanzer
in einem weitgehend offenen – wie wir sagen –, leicht
welligen Gelände mit Möglichkeiten zur Beobachtung
bis 5 000 Meter und tragfähigem, festem Untergrund,
auf dem er sein Höchstmaß an Beweglichkeit – auch ab-
seits von Straßen und Wegen – ausnutzen kann.
In einem gebirgigen, teilweise hochgebirgigen und
zerklüfteten Gelände, das – danach fragen Sie – Ostana-
tolien vergleichbar ist, sinkt der Gefechtswert des Leo-
pard 2, da er sein hohes Leistungsvermögen nicht oder
nur sehr eingeschränkt entfalten kann.
Hinsichtlich eines nach den Grundsätzen der
Guerillataktik kämpfenden Gegners ist der Gefechtswert
des Leopard 2, insbesondere im schwierigen und
unübersichtlichen Gelände, auch im Verbund mit
anderen mechanisierten Kräften grundsätzlich als
niedrig zu beurteilen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekre-
tär, wenn das zutreffend ist, was Sie ausgeführt haben,
dann frage ich: Liegen der Bundesregierung Erkenntnis-
se darüber vor, dass türkische Kettenkampfpanzer je-
mals in Kampfhandlungen gegen die kurdische Zivilbe-
völkerung eingesetzt wurden?
W
Unsere Recherchen im Zu-
sammenhang mit den aktuellen Debatten konnten das
Vorliegen solcher Erkenntnisse nicht bestätigen.
Die Frage 10 des
Kollegen Josef Hollerith und die Fragen 11 und 12 des
Kollegen Werner Lensing werden schriftlich beantwor-
tet.
Ich rufe nun die Frage 13 des Kollegen Werner Sie-
mann auf.
Wie hoch war der Anteil an Soldaten aus KRK-Einheiten im Verhältnis zu Soldaten aus HVK-Einheiten bei den beiden letz-ten Kontingenten und bei dem jetzigen SFOR- und KFOR-Kontingent und wie hoch wird dieser voraussichtlich bei den nächsten beiden Kontingenten sein?
W
Lieber Herr Kollege Sie-mann, meine Antwort zu Ihrer ersten Frage: Die Aus-Parl. Staatssekretär Walter Kolbow
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8241
planung und Aufstellung künftiger Kontingente derSFOR und der KFOR erfolgen im Wesentlichen unterRückgriff auf Leitverbände, die zu den Krisen-reaktionskräften bzw. zu den Krisenreaktionsverstär-kungskräften gehören. Diese Verbände werden bei Be-darf durch Einheiten, Teileinheiten und/oder im Rahmenvon Einzelpersonalabstellungen aus den Hauptverteidi-gungskräften verstärkt, wie Sie auch schon aus den Dis-kussionen im Verteidigungsausschuss wissen. Mit Ab-schluss der Umwidmung von Teilen der Hauptverteidi-gungskräfte zu Krisenreaktionsverstärkungskräften biscirca Mitte 2001 wird der Anteil der Verstärkungen ausden Hauptverteidigungskräften verringert werden kön-nen. Der jeweilige Anteil von Soldatinnen und Soldatenaus Einheiten der Krisenreaktionskräfte bzw. der Krisen-reaktionsverstärkungskräfte und der Hauptverteidi-gungskräfte wurde bisher nicht zentral erfasst. Eine Er-mittlung dieser Zahlen bedarf umfangreicher Untersu-chungen im nachgeordneten Bereich, da diese Daten nurdezentral verfügbar sind. Sie können mit vertretbaremAufwand nur für die zurzeit im Einsatz befindlichenKontingente der SFOR und der KFOR sowie für das inVorbereitung befindliche erste, geschlossen von einerLeitdivision zu stellende Einsatzkontingent der SFORund der KFOR ermittelt werden. Entsprechende Wei-sungen wurden erteilt; eine Aufstellung der Gesamtzah-len wird Ihnen, verehrter Herr Kollege, nach Abschlussder Datenerfassung schriftlich zugehen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
wie bewertet die Bundesregierung den Umstand der
Durchmischung von KRK-Einheiten und HVK-Einhei-
ten beim Auslandseinsatz, soweit es Ausbildung und
Leistungsfähigkeit der Soldaten betrifft?
W
Wir schicken keinen Solda-
ten – auch keinen aus den Hauptverteidigungskräften –
in einen Einsatz, der für seine Aufgabe nicht gut ausge-
bildet und daher gut vorbereitet ist.
Ich rufe die Fra-
ge 14 des Kollegen Werner Siemann auf:
Wie hoch wird in der Zukunft voraussichtlich der Anteil an Soldaten sein, bei denen – entgegen der ursprünglichen Ab- sicht – von einer grundsätzlichen Verweildauer von zwei Jahren zwischen den Einsätzen in Deutschland abgewichen werden wird?
W
Herr Kollege Siemann, der
Umfang der Krisenreaktionskräfte und die bislang nur
viermonatige Dauer des Einsatzes von Kontingenttrup-
pen hatten für viele Soldatinnen und Soldaten, besonders
der Logistik- und der Sanitätstruppen, aber auch für die-
jenigen, die in den Bereichen Führungsunterstützung,
Aufklärung und Pioniereinsatz tätig sind, circa 8 bis
16 Monate nach Abschluss des vorangegangenen Ein-
satzes einen erneuten Einsatz zur Folge. Davon waren
insbesondere die Zeit- und Berufssoldaten und deren
Familien betroffen, während freiwillig zusätzlichen
Wehrdienst Leistende regelmäßig nur einmal zum Ein-
satz kamen.
Die Erhöhung des Krisenreaktionsumfangs des Hee-
res um circa 13 000 Soldaten zulasten der Hauptvertei-
digungskräfte und die infolge der Stehzeitverlängerung
auf sechs Monate eintretende Verringerung des Perso-
nalaufwands – Einsatz von zwei statt drei Kontingenten
pro Jahreszeitraum – führt zur Verlängerung des Zeit-
raums zwischen zwei Einsätzen auf grundsätzlich zwei
Jahre.
Soweit die derzeitigen Rahmenbedingungen, also die
strukturelle und die stärkemäßige Zusammensetzung der
Einsatzkontingente, Bestand haben, ist von der ange-
strebten 24-monatigen Verweildauer der Soldaten in
Deutschland grundsätzlich auszugehen.
Herr Kollege, trotz aller Bemühungen um Einsatzge-
rechtigkeit und um Verteilung der Last auf eine
maximale Anzahl von Soldaten kann für den einzelnen
Soldaten leider keine Garantie für eine zweijährige Ver-
weildauer im Inland gegeben werden. Aus den Debatten
im Verteidigungsausschuss, die wir verantwortungsvoll
führen, wissen Sie, dass es da insbesondere um Spezia-
listen geht.
Sie können eine Zu-
satzfrage stellen.
Herr Staatssekretär,
welche Regelungen plant die Bundesregierung, um mög-
lichst allen Soldaten, also auch den Spezialisten, eine
Verweildauer von zwei Jahren zwischen den Einsätzen
in Deutschland zu ermöglichen?
W
Wir führen jetzt eine Be-
standsaufnahme über die beabsichtigten Entsendungen,
insbesondere der Spezialisten, durch. Wir werden auf-
grund einer solchen Bestandsaufnahme sehr sicher sagen
können, wer die zwei Jahre in Anspruch nehmen kann.
Wer sie nicht in Anspruch nehmen kann, für den werden
wir Ausgleichsmaßnahmen finden.
Damit sind wir amEnde dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, HerrStaatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht dieParlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels zurVerfügung.Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Annette Widmann-Mauz auf:Welche Überlegungen stellt die Bundesregierung an, um die Zulassung von Medikamenten für Kinder zu verbessern, ange-Parl. Staatssekretär Walter Kolbow
Metadaten/Kopzeile:
8242 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
sichts der Tatsache, dass in Deutschland bestimmte Tests an Kindern verboten sind, die als Vorstufen zu manchen klinischen Prüfungen und damit zur Zulassung von Medikamenten vorge-schrieben sind?C
Herr Präsident! Frau Kol-
legin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundes-
regierung ist bekannt, dass es für eine große Anzahl von
Arzneimitteln, die prinzipiell für eine Anwendung bei
Kindern geeignet sind, keine Angaben zur Dosierung
und keine geeigneten Zubereitungen gibt. Es trifft zu,
dass das Arzneimittelgesetz fremdnützige Forschung an
Kindern nicht generell erlaubt. So sind zum Beispiel kli-
nische Prüfungen der Phasen 1 und 2 – Prüfungen an ge-
sunden Kindern zur Ermittlung der Pharmakologie als
Vorstufen zur Prüfung an kranken Kindern – nicht mög-
lich.
Lediglich Arzneimittel, die der Erkennung oder Vor-
beugung von Krankheiten dienen, dürfen an gesunden
Kindern geprüft werden. Das darf auch nur geschehen,
wenn eine entsprechende Prüfung solcher Arzneimittel
an Erwachsenen keine auch für Kinder ausreichenden
Prüfergebnisse erwarten lässt.
Klinische Prüfungen am kranken Kind sind möglich,
wenn erwartet werden darf, dass das kranke Kind von
der Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels einen
Nutzen hat und dass die Anwendung des zu prüfenden
Arzneimittels angezeigt ist, „um das Leben des kranken
Kindes zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen
oder sein Leiden zu erleichtern“.
Arzneimittelforschung an Kindern ist also auch in
Deutschland in bestimmten Fällen möglich. Einschrän-
kungen im Hinblick auf den besonderen Schutz vor
fremdnütziger Forschung sieht das Arzneimittelgesetz
seit 1978 vor. Das entsprach bisher nicht allein der Hal-
tung des Deutschen Bundestages. Auch das Europäische
Parlament vertritt diese Auffassung.
Zusatzfrage.
Frau Staats-
sekretärin, laut Aussagen des Marburger Professors
Hannsjörg Seyberth sind mehr als 40 Prozent der in der
Kinderklinik der Marburger Universität verschriebenen
Mittel für Patienten unter 16 Jahren nicht zugelassen.
Auf Intensivstationen für Neugeborene sind sogar rund
90 Prozent der Arzneien für Neugeborene nicht erlaubt.
Die Ärzte müssen sie dennoch verschreiben, weil ent-
sprechende Alternativen, wie Sie ja auch ausgeführt ha-
ben, fehlen; das heißt, Arzneimittel müssen aus medizi-
nischen Gründen unabhängig von der streng gehandhab-
ten Erteilung der Genehmigung des Bundesinstituts für
Arzneimittel und Medizinprodukte – meist mit gutem
Erfolg – verschrieben werden. Als individueller Heilver-
such ist das nicht strafbar, eine Unterlassung aber unter
Umständen sehr wohl.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie gedenkt
die Bundesregierung diesen offensichtlichen Widersinn
bei der Zulassung vor allen Dingen im Hinblick darauf,
die Ärzte bei dieser schwierigen Frage nicht im Stich zu
lassen, zu beheben und dafür zu sorgen, dass Kindern
und Neugeborenen Medikamente, die gerade sie drin-
gend brauchen, zur Verfügung stehen?
C
Frau Kollegin, erst einmal
muss man darauf hinweisen, dass die Ursache für die
von Ihnen geschilderte Situation – fehlende Angaben zur
Dosierung von Arzneimitteln bei Kindern; das haben Sie
ja nun sehr nachdrücklich ausgeführt und das ist auch zu
beklagen – nicht allein in den Bestimmungen des Arz-
neimittelgesetzes liegt. Das wird in der Debatte sehr
häufig nicht berücksichtigt.
Die bestehenden Möglichkeiten der Prüfung von
Arzneimitteln an Kindern und der Entwicklung von für
diese geeigneten Zubereitungen werden oft auch auf-
grund unternehmerischer Entscheidungen nicht immer
im erforderlichen Umfang genutzt, weil es nicht aus-
drücklich vorgeschrieben ist, dass der Unternehmer bei
der Prüfung von Substanzen oder Medikamenten, die,
wie Sie beschrieben haben, für bestimmte Anwendungen
bei Kindern als geeignet erscheinen, immer auch in ge-
eigneter Weise Therapien an erkrankten Kindern – das
ist ja möglich, wenn eine Besserung als möglich er-
scheint – mitprüft. Hier könnte man das AMG nachbes-
sern und das generell vorschreiben. Diese Debatte muss
intensiv geführt werden, weil dabei die unternehmeri-
sche Freiheit und die angesprochenen Belange mitein-
ander in Konflikt geraten können.
Es gibt aber schon heute die Möglichkeit, das zu tun.
Sehr oft beklagen die Unternehmen die Situation sehr,
aber nutzen die Möglichkeiten, die aufgrund des AMG
bestehen, wegen unternehmerischer Entscheidungen
nicht immer in dem erforderlichen oder möglichen Ma-
ße. Dieser Punkt muss in die Debatte einfließen und den
Unternehmern muss man das auch entgegen halten.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Frau Staats-
sekretärin, nachdem Sie deutlich gemacht haben, dass
es, wenn ich es richtig verstanden habe, noch keine kon-
kreten Überlegungen des Ministeriums gibt, wie diesem
Dilemma abgeholfen werden kann, möchte ich Sie auf
eine Vorgehensweise in den USA hinweisen: Dort gibt
es einen verlängerten Patentschutz, wenn Arzneimittel
auch an Kindern klinisch getestet wurden.
Konkret frage ich: Was beabsichtigt die Bundesregie-
rung zu tun, damit auf dem deutschen Arzneimittelmarkt
tätige Pharmaunternehmen mehr Anreize bekommen,
um in die oftmals sehr teure und wenig lukrative Ent-
wicklung von kindgerechten Medikamenten zu investie-
ren?
C
Ich bedanke mich für dieFrage, Frau Kollegin. Genau diese Möglichkeit, die inVizepräsident Rudolf Seiters
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8243
den USA den Unternehmen eingeräumt wird, die anfal-lenden Kosten für die Entwicklung kindertauglicherArzneimittel durch verlängerten Patentschutz zu kom-pensieren, wird von unserem Haus geprüft. Wir arbeitenin diesem Bereich und prüfen mehrere Optionen. Es gibtaber auch noch andere Möglichkeiten. Sie wissen, dass es von unserem Haus auch Kontaktezur Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Ju-gendmedizin und zur pharmazeutischen Industrie gibt,wo auch das besprochen wird. Es steht immer noch dieErrichtung eines staatlichen Zentrums für Arzneimittel-forschung an Kindern zur Debatte; das würde den Vor-stellungen der DGKJ entsprechen. Wir sind in diesemPunkt aber der Auffassung, dass das weder wünschens-wert noch machbar ist. Es gibt aber auch noch zwei andere Möglichkeiten,die in diesem Zusammenhang zurzeit diskutiert werden. Auf europäischer Ebene ist gerade erst die Verord-nung über „orphan drugs“ beschlossen worden, in dervorgesehen ist, für bestimmte Fallgestaltungen Anreizezu schaffen. Im Zusammenhang mit dieser „orphandrugs“ - Verordnung könnte man auf europäischer Ebe-ne auch überlegen, ob es eine Ergänzung für Kinderarz-neimittel geben sollte. Das wird insofern interessant, als diese gerade erlassene Verordnung es für ausgewähl-te Bereiche den nationalen Regierungen überlässt, ob sie bestimmte Fördermittel oder auch bestimmte Steuer-erleichterungen zur Verfügung stellen. Dies alles ist sehraktuell und wird bei uns im Hause intensiv geprüft.
Wir kommen zur
Frage 16 des Kollegen Dr. Martin Mayer:
Welche Wirkungen hat das im Januar 2000 in Montreal ver-
in Deutschland?
C
Herr Kollege Mayer, die
Annahme des Biosafety-Protokolls durch die außeror-
dentliche Vertragsstaatenkonferenz zur Biodiversi-
tätskonvention ändert unmittelbar zunächst nichts. Erst
einmal muss das übliche Verfahren zur Beschlussfas-
sung über völkerrechtliche Regelungen durchlaufen wer-
den, was noch einige Zeit dauern wird. Der nächste
Schritt ist die Zeichnung des Protokolls. Erste Gelegen-
heit dazu wird die nächste, die fünfte ordentliche Ver-
tragsstaatenkonferenz sein, die im Mai in Nairobi statt-
finden wird. Für die Bürgerinnen und Bürger bei uns
wird sich erst dann etwas ändern, wenn die Regelungen
des Protokolls in europäisches und nationales Recht um-
gesetzt sein werden.
Zusatzfrage.
Wird es zu diesem Protokoll auch ein Ratifizierungsver-
fahren im Deutschen Bundestag geben?
C
Ich habe schon erläutert,
dass in Umsetzung des Protokolls noch etliche Verfah-
rensschritte durchlaufen werden müssen. Auch werden
Ausführungsbestimmungen geprüft und beschlossen
werden müssen. Welcher Art diese rechtlichen Regelun-
gen sein werden, kann man vorab noch nicht sagen. Ich
habe gerade schon auf die fünfte Vertragsstaatenkonfe-
renz in Nairobi hingewiesen. Ein weiterer Teil dieses
Verfahrens wird vom 5. Juni 2000 bis zum 4. Juni 2001
bei den UN in New York stattfinden; das ist Ihnen ja be-
kannt. Was danach auf nationaler Ebene zu beschließen
ist, wird entsprechend den Beteiligungsrechten des Par-
laments hier im Deutschen Bundestag umgesetzt wer-
den.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Frau
Staatssekretärin, teilen Sie meine Auffassung, dass es
unvorsichtig ist, ein Protokoll zu unterzeichnen, von
dem noch nicht im Einzelnen bekannt ist, wie dessen
rechtliche Auswirkungen sein werden und wie vor allem
der Deutsche Bundestag beteiligt wird?
C
Herr Kollege, ich teilediese Sorge nicht. Bekanntermaßen ist es seit vielen Jah-ren in harten und intensiven Verhandlungen das Ziel derinternationalen Staatengemeinschaft gewesen, weltweit– das ist gerade im Zeitalter der Globalisierung unge-heuer wichtig – bestimmte grundlegende Elemente undPrinzipien zu verankern. Sowohl die Öffentlichkeit alsauch die beteiligten Fachgremien waren sehr froh, dasswir jetzt zu dieser Regelung gekommen sind.Ich möchte die wesentlichen Punkte nennen, die eserlauben, dieses Protokoll als einen wirklichen Durch-bruch auch beim Verbraucherschutz anzusehen. Erstensdürfen gentechnisch veränderte Organismen grundsätz-lich nur dann von einem Land in ein anderes verbrachtwerden, wenn das Importland dazu auf der Grundlageumfassender Informationen über den Organismus seineZustimmung gegeben hat. Das war ein wichtiges Anlie-gen der internationalen Staatengemeinschaft. Zweitensist im Sinne des Verbraucherschutzes stets sehr befür-wortet worden, dass dies auch für landwirtschaftlicheMassengüter gelten soll, die nicht dazu bestimmt sind, indie Umwelt freigesetzt zu werden, sondern zum Beispielals Futtermittel verwendet oder weiterverarbeitet werdensollen. Ein dritter wichtiger Bestandteil ist, dass derVorsorgegrundsatz als Leitgedanke auch für die auf derGrundlage des Protokolls zu treffenden Einzelfallent-scheidungen fest verankert wird.Diese drei wichtigen Elemente sind sehr lange und in-tensiv beraten worden und sie stellen, wie ich glaube,einen Durchbruch dar. Gerade die Tatsache, dass dieUmsetzung auf nationaler Ebene noch intensive Arbeiterfordert, macht es möglich, Sorgen, die vielleicht nochbestehen, auch von unserer Seite auszuräumen.Parl. Staatssekretärin Christa Nickels
Metadaten/Kopzeile:
8244 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
Wir kommen zur
Frage 17 des Kollegen Mayer:
Welche Folgemaßnahmen plant die Bundesregierung zu die-sem Protokoll, und wie wird der Deutsche Bundestag an den entsprechenden Verfahren beteiligt?
C
Herr Kollege, ein wichti-
ger nächster Schritt ist die Prüfung – ich habe in meiner
Antwort auf Ihre Zusatzfrage schon zum Teil darauf Be-
zug genommen –, welche Änderungen des EU-Rechts,
insbesondere der Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG,
und des nationalen Rechts, insbesondere des Gentech-
nikgesetzes, zur Implementierung des Biosicherheits-
Protokolls nötig sind. Das kann zum Teil schon im
Rahmen des zurzeit laufenden Verfahrens zur Änderung
der Freisetzungsrichtlinie geschehen.
Die zuständigen Fachleute aus den Mitgliedstaaten wer-
den diese Frage Anfang März in Brüssel im Rahmen der
Arbeitsgruppe „Biologische Sicherheit“ diskutieren. Wie
ich eben bei der Beantwortung Ihrer Zusatzfrage schon
sagte, wird der Bundestag an den nötigen Rechtsände-
rungsverfahren auf EU-Ebene selbstverständlich nach
den insofern geltenden Vorschriften beteiligt.
Erste Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, können Sie die Befürchtungen zer-
streuen, dass durch das Biosafety-Protokoll die Erfor-
schung und Anwendung von Arzneimitteln behindert
wird?
C
Ihre Frage impliziert ja,
dass Sie Bedenken haben. Ich teile diese Bedenken
nicht. Ich bin vielmehr der Auffassung, dass gemäß dem
Vorsorgegrundsatz eine notwendige Regelung einge-
führt wird.
Dieses Protokoll soll ja dem Schutz von Mensch und
Umwelt im internationalen Handel mit gentechnisch
veränderten Organismen dienen. Dieser Schutz – das ist
ein ganz wichtiger Punkt – ist gegenüber dem auch zu
schützenden freien Handel und der Freiheit in Forschung
und Wissenschaft nicht nachrangig.
Zweite Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, teilen Sie meine Auffassung, dass der
ursprüngliche Gedanke dieses Protokolls und dieser
Konvention der Erhalt der Artenvielfalt auf der Welt
war und dass die Hereinnahme des Verbraucherschutzes
letztlich eine Überfrachtung ist? Für den Verbraucher-
schutz sind nämlich internationale Konventionen nicht
notwendig, weil sie auf europäischer Ebene hinreichend
geregelt werden können.
C
Herr Kollege, ich habe
schon im Rahmen der Beantwortung Ihrer ersten Frage
darauf hingewiesen, dass ich der festen Überzeugung
bin, dass in dem Zeitalter der Globalisierung, in dem
einzelne Entscheidungen globale Auswirkungen in den
Nationalstaaten haben, Probleme des Verbraucherschut-
zes gezwungenermaßen immer auch globale Dimensio-
nen haben, unabhängig davon, ob uns die Lösung dieser
Probleme leicht oder schwer fällt. Ich bin deswegen der
Meinung, dass es sich bei diesen Vorgehen nicht um ei-
ne Überfrachtung handelt, sondern dass ein sachlich
notwendiger Zusammenhang besteht.
Ich rufe die Frage
18 der Kollegin Kersten Naumann auf:
Ist die Bundesregierung bereit - ähnlich wie dies in anderen
europäischen Ländern bereits der Fall ist -, für den Bt-Mais ei-
nen Sonderweg des nationalen Verbots der Verwendung und des
Verkaufs von gentechnisch verändertem Pflanzengut zu gehen
und erwägt sie für den Fall, dass keine Ampicillin-Markergene
in neuen Maissorten verwendet werden, ihre Zulas-
sung für den kommerziellen Gebrauch zur Futtermittel- und Le-
bensmittelproduktion?
C
Ich beantworte die Frage
wie folgt: Die Bundesregierung hat am 16. Februar 2000
nach § 20 Abs. 2 Gentechnikgesetz in Verbindung mit
Art. 16 der Richtlinie 90/220/EWG für Deutschland das
Ruhen der Genehmigung zum Inverkehrbringen des von
Ihnen angesprochenen Bt-Mais angeordnet, soweit es
den Anbau betrifft. Grund hierfür war, dass nach aktuel-
lem wissenschaftlichem Kenntnisstand der begründete
Verdacht besteht, dass die Voraussetzungen für das In-
verkehrbringen zu Anbauzwecken nicht mehr vorliegen.
Zu den Gründen zählen in Laborversuchen festgestellte
schädliche Effekte auf Larven der Florfliege und des
Monarchfalters. Außerdem wurde im Laborversuch ge-
zeigt, dass das Bt-Toxin aus den Wurzeln der transgenen
Maispflanzen in den Boden gelangen und dort über län-
gere Zeit stabil und wirksam bleiben kann. Welche Kon-
sequenzen das hat – gerade bezogen auf die Bodenbak-
terien, die für die Bodenfruchtbarkeit ganz entscheidend
sind,– wissen wir heute noch nicht.
Diese Effekte werden auf das Bt-Toxin und nicht auf
das im Mais auch vorliegende Antibiotikaresistenzgen
zurückgeführt. Daher müssen die ökologischen Auswir-
kungen transgener Bt-Maispflanzen unabhängig davon,
ob sie ein Antibiotikaresistenzgen enthalten, vor dem
Hintergrund der genannten wissenschaftlichen Ergebnis-
se geprüft werden, bevor eine Genehmigung zu Anbau-
zwecken erteilt werden kann. Unabhängig davon hält die
Bundesregierung den Verzicht auf die Verwendung von
Antibiotikaresistenzgenen in GVO-Pflanzen aus Vor-
sorgegründen für unbedingt erforderlich.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor,welche Risiken von den neuen Markergenen ausgehen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8245
C
Ich habe einige schon ge-
nannt. Das betrifft einmal die Bodenfruchtbarkeit, über
die keine ausreichenden Erkenntnisse vorliegen. Sehr
breit und intensiv ist auch die Frage diskutiert worden,
inwieweit Antibiotika, die eben auch als Markergen ein-
gesetzt werden, Auswirkungen auf die Resistenzent-
wicklung haben. Es gibt begründete Befürchtungen, dass
solche Resistenzen dadurch begünstigt werden können.
Aber der andere von mir genannte Effekt, der von
dem Toxin ausgeht, ist auch sehr wichtig. Diesbezüglich
müssen weitere Prüfungen durchgeführt werden. Die
Florfliege ist ein Nützling, der Monarchfalter ist kein
Schädling. Diese Tierarten sind nicht das Ziel des To-
xins. Sie werden aber in Mitleidenschaft gezogen und
man kann auch nicht ausschließen, dass dies noch ande-
re Tiere betrifft.
Diese Punkte müssen mit berücksichtigt werden und
das war auch der Grund für die Vorgehensweise.
Ich rufe die Fra-
ge 19 der Kollegin Naumann auf:
Liegen der Bundesregierung Informationen bezüglich recht-licher Schritte der Herstellerfirma von Bt-176 gegen die Ent-scheidung des Bundesministers für Gesundheit vor, und wie wird sich die Bundesregierung verhalten?
C
Der Bundesregierung lie-
gen keine Informationen über rechtliche Schritte der
Herstellerfirma von Bt-176 gegen die Entscheidung des
Robert-Koch-Instituts vor. Im Streitfall wird das Robert-
Koch-Institut seine Entscheidung verteidigen.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
wie schätzt die Bundesregierung die wirtschaftlichen Ri-
siken für die Gesamtkette der Lebensmittelherstellung
bei einer breiten Anwendung gentechnisch veränderter
Pflanzensorten in Deutschland ein? Ich denke hier an die
Beispiele von Amerika, Brasilien und Argentinien.
C
Das kann ich Ihnen so
nicht beantworten. Ich möchte mich nicht dazu verstei-
gen, eine Schätzung aus dem Ärmel zu schütteln. Wenn
Sie mir hierzu konkretere Fragen übermitteln, bin ich
gerne bereit, sie Ihnen zu beantworten.
Frau Staatssekretä-
rin, wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereiches; ich dan-
ke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Siegfried Scheffler zur Verfügung.
Die Frage 20 des Kollegen Lammert soll schriftlich
beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Heinz Schemken
auf.
Welche Kriterien gelten für das Anti-Stau-Programm zur Be-
seitigung von Engpässen 2003 bis 2007 bei der Schließung von
Lücken im Autobahn- und Bundesstraßennetz?
S
Lieber Kollege Schemken, Sie fragen nach der Projekt-
auswahl für das Anti-Stau-Programm. Diese Projekt-
auswahl erfolgte nach klaren und einheitlichen Kriterien,
die für die Bundesfernstraßen wie folgt definiert wur-
den: überwiegend vierstreifige Autobahnen mit durch-
schnittlichen täglichen Verkehrsstärken von über 65 000
Fahrzeugen, Autobahnstrecken mit hohem LKW-Anteil,
fehlenden Standstreifen und großen Steigungen oder Ge-
fällen, Schließen einiger entscheidender Lücken im
Netz, die bislang regelmäßig zu Staus geführt haben.
Außerdem muss der Planungsstand mindestens dem
Vorentwurf entsprechen.
Bitte sehr, Frau
Kollegin Blank.
Herr Staatssekretär,
können Sie mir aufgrund der von Ihnen genannten Krite-
rien erklären, warum der Autobahnabschnitt A 3 zwi-
schen Nürnberg und Würzburg nicht im Anti-Stau-
Programm enthalten ist?
S
Sehr geehrte Frau Kollegin Blank, das Anti-Stau-
Programm hat natürlich ein begrenztes Volumen. Inso-
fern konnten nicht alle Engpässe in dieses Programm
einbezogen werden. Schon zu Ihrer Regierungszeit be-
trug der Bedarf das Fünffache des Projektvolumens. Na-
türlich wird über das Anti-Stau-Programm hinaus auch
die klassische Haushaltsfinanzierung herangezogen, mit
der ja quasi auch ein Engpassbeseitigungsprogramm
mitfinanziert werden kann.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Schmidt.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen,
dass die von Ihnen als Kriterium genannte Verkehrsbe-
lastungszahl von 65 000 oder mehr Fahrzeugen täglich
an den ausgewählten Abschnitten schon seit 1995 be-
steht, ohne dass damals zusätzliche Spuren dazugebaut
worden sind?
S
Ich
Metadaten/Kopzeile:
8246 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
könnte mit einem klaren Ja antworten. Ich habe in derAntwort auf die Frage der Kollegin Blank gesagt, dassschon zu Zeiten der alten Regierung, also unter Ver-kehrsminister Wissmann, ein fünffacher Bedarf zur Be-seitigung von Engpassstellen vorlag. Dieser fünffacheBedarf konnte auch von der alten Bundesregierung nichtabgebaut werden, weil das Investitionsvolumen begrenztwar.In diesem Zusammenhang darf ich noch einmal daranerinnern, dass Verkehrsminister Klimmt vor der Ver-kehrsministerkonferenz zugesagt hat, zusätzliche Mittelzu mobilisieren. Er hat das in diesem Jahr aufgegriffenund hat über 7 Milliarden DM zusätzliche Investitions-mittel mobilisiert.Wir sprechen heute, insbesondere in dieser Frage-stunde, beim Anti-Stau-Programm von einer Abarbei-tung von Autobahnabschnitten. Aber ein Anti-Stau-Programm ist für die Bundesregierung und für mich per-sönlich auch die Ertüchtigung von Langsamfahrstreckenund Knoten zum Beispiel bei den Schienenwegen undbei den Bundeswasserstraßen. Auch das ist anti Stau,weil damit der schwere LKW-Verkehr von der Straße,also von den hochbelasteten Autobahnen zum Beispielauf das Schienennetz und auf die Bundeswasserstraßenverlagert werden könnte.Insofern ist das ein erhebliches Volumen, mit dem erst-malig in dieser Bundesrepublik ein Minister reagiert hat.Deshalb ist der Verweis der Kollegin Blank fast ein Ei-gentor, weil das nämlich von der alten Bundesregierungnicht verwirklicht wurde.
Ein Zusatzfrage der
Kollegin Ostrowski.
Herr Staatssekretär, Sie
hatten die Kriterien genannt, nach denen Bundesauto-
bahnen in das Anti-Stau-Programm hineinkommen. Nun
treffen diese Kriterien – das nehme ich an – zum Bei-
spiel auf das Kreuz A 13 zu. Sie haben gesagt, dass es
nur ein begrenztes Investitionsvolumen gebe und dass
andere Straßen herausfallen müssten. Es muss demzu-
folge – das ist meine Frage – über die von Ihnen genann-
ten Kriterien hinaus weitere Kriterien für das Weglassen
geben, nach denen Sie entschieden haben, dass die
se oder jene Bundesautobahn oder Kreuzungsstelle oder
Schnittstelle aus dem Anti-Stau-Programm herausfällt.
Welche Kriterien für das Weglassen waren für Sie wich-
tig?
S
Nicht die Kriterien des Weglassens sind entscheidend,
sondern es sind die Kriterien der höchstbelasteten Auto-
bahnabschnitte bzw. der Langsamfahrstrecken. Bei der
Bundesautobahn sind das die 65 000 Kraftfahrzeuge pro
Tag, wo die Autobahn auf sechs Streifen erweitert wer-
den muss.
In dem Zusammenhang kann es bei dem Engpassbe-
seitigungsprogramm auch vorkommen, dass eine vier-
streifige Autobahn, die aufgrund der Verkehrsbelastung
durch die Erhöhung der Achslasten einer grundlegenden
Erneuerung bedarf, vorgezogen wird.
Insofern steht uns kein unendliches Finanzvolumen
zur Verfügung. Sie kennen auch die Kriterien zur Finan-
zierung dieses Engpassbeseitigungsprogramms, die der
Minister in Absprache mit dem Bundeskanzler und dem
Bundesfinanzminister vorgetragen hat, was parallel oder
neben der klassischen Haushaltsfinanzierung läuft. Si-
cher sind auch bei der Abarbeitung der Maßnahmen aus
dem Bedarfsplan Straße und damit aus dem Bundesver-
kehrswegeplan Engpassbeseitigungen nach der klassi-
schen Haushaltsfinanzierung möglich. Aufgrund der be-
grenzten und nicht unendlichen Mittel mussten aber ho-
he Hürden und damit strenge Kriterien aufgestellt wer-
den. Das sind die 65 000 Fahrzeuge pro Tag. Sie kennen
ja das Engpassbeseitigungsprogramm bzw. das Anti-
Stau-Programm zur Lösung dieses Problems der 65 000
Fahrzeuge pro Tag, die an vielen Stellen im Westen der
Bundesrepublik registriert werden können.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Faße.
Sehr geehrter Herr Staatssek-
retär, wie beurteilen Sie die Tatsache, dass das erste Mal
Wasserstraßen mit eingebunden worden sind, gerade im
Hinblick auf das Vorhaben 17 der Verkehrsprojekte
„Deutsche Einheit“ und die Maßnahmen in den neuen
Bundesländern?
S
Sehr geehrter Herr Kollege Hörster, Sie meinen, einebesonders witzige Bemerkung gemacht zu haben. Aberder Stau auf der Straße ist tatsächlich sehr groß. Für Sievon den Oppositionsparteien bedeutet das Anti-Stau-Programm – das zeigt auch die Reaktion aus Ihren Rei-hen – tatsächlich nur die Beseitigung von Engpässen aufden Bundesautobahnen. Für uns von den Regierungspar-teien bedeutet ein Anti-Stau-Programm gerade die Er-tüchtigung von Langsamfahrstrecken und Knoten beimSchienennetz und bei den Bundeswasserstraßen.Sie haben in den letzten Monaten und Wochen viel-leicht Berichte gehört, dass der Containerverkehr vonHamburg über Magdeburg nach Berlin zum Erliegengekommen ist, weil die notwendigen Wassertiefen in1999 nicht vorhanden waren. Insofern begrüßen nichtnur ich und die Bundesregierung, die ja die Kriterienvorgegeben hat, sondern begrüßt auch das Binnen-schifffahrtsgewerbe, dass 250 Millionen DM zusätzlichzum Beispiel für die Verkehrsprojekte „Deutsche Ein-heit“ bereitgestellt werden konnten. Die Reaktion daraufist allenthalben sehr positiv. Für uns ist das auch deshalbParl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8247
ein Anti-Stau-Programm, weil damit insbesondere derSchwerlastverkehr von den hoch belasteten Autobahnenin den neuen Bundesländern bzw. von Hamburg nachBerlin auf die Bundeswasserstraße gezogen werdenkann.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Schemken.
Herr Staatssekretär,
wie sehen Sie vor dem Hintergrund Ihrer wiederholt
gemachten Ausführungen, dass das Programm unter-
finanziert gewesen sei, die Antwort Ihres Ministeriums,
dass der ursprüngliche mittelfristige Finanzbedarf für
dieses Programm in den Jahren 1999 bis 2002 mit
18 Milliarden DM um 5 Milliarden DM unterschritten
wird? Halten Sie dies für eine richtige Reaktion auf die
Unterfinanzierung?
S
Lieber Herr Kollege Schemken, wir können natürlich
heute hier in eine Grundsatzdiskussion über die Summe
der Neuverschuldung eintreten, die die neue Bundesre-
gierung aufgrund der Erblast der alten Bundesregierung
unbedingt verhindern musste, weshalb auch das Ministe-
rium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen einen ent-
sprechenden Konsolidierungsbeitrag leisten musste.
Aber interessant ist doch, dass gerade unser Haus im in-
vestiven Bereich 1999 gegenüber 1998 auch im Be-
reich Verkehr das Bauvolumen vom zusätzlich
500 Millionen DM gesteigert hat.
Sie sprachen jetzt das Investitionsprogramm der Bun-
desregierung bis 2002 an. Durch dieses Programm be-
steht erstmals Rechtssicherheit und Planungssicherheit
für die Länder. Denn der Bundesverkehrswegeplan bzw.
der Bedarfsplan, den das Parlament als Gesetz verab-
schiedet hat und der bis zum 31. Dezember 1999 galt,
war mit circa 25 bis 30 Milliarden DM hoffnungslos un-
terfinanziert und deshalb musste die neue Bundesregie-
rung reagieren. Insofern war auch das Investitionspro-
gramm notwendig.
Die Wünsche der Länder waren zwar im Bundesver-
kehrswegeplan und im Bedarfsplan enthalten, aber ihre
Gegenfinanzierung war nicht gesichert. Deshalb konnte
auch das Investitionsprogramm nur einen begrenzten
Rahmen haben, der mit den Ländern abgestimmt worden
ist.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Rehbock-Zureich.
Herr Staatssekretär,
gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie als Bundesre-
gierung vor dem Hintergrund eines vollständig unterfi-
nanzierten Bundesverkehrswegeplanes mit einer Lauf-
zeit bis 2012 reagiert haben? Wie schätzen Sie dies ein?
Sind die von der Bundesregierung vorgesehenen
7,4 Milliarden DM Zusatzmittel im Rahmen des Haus-
haltes? Meines Wissens nach kommen diese Mittel zu
allen anderen Finanzplanungen hinzu.
S
Das kann ich bestätigen. Neben dem diesbezüglichen
Investitionsprogramm, das eine Laufzeit bis 2002 hat,
und neben der klassischen Haushaltsfinanzierung für
Projekte des Bedarfsplanes, in dem durchaus auch Pro-
jekte mit Engpässen enthalten sind, werden vonseiten
der Bundesregierung bzw. vonseiten des Ministers
Klimmt zusätzliche Mittel – das sagte ich bereits in der
Beantwortung der Frage des Kollegen Schemken – mo-
bilisiert, um im Anschluss an das Investitionsprogramm
mit einer Laufzeit von fünf Jahren noch einmal
7,4 Milliarden DM – ich denke, das ist keine Kleinig-
keit – bereitzustellen.
Ich rufe jetzt die
Frage 22 des Kollegen Heinz Schemken auf:
Gibt es eine abschließende Liste der beabsichtigten Projekte, und wenn ja, gehört zum Beispiel der Lückenschluss der A 44 im Regierungsbezirk Düsseldorf dazu?
S
Dieses Programm liegt Ihnen vor. Zur Beseitigung des
Engpasses Bochum ist im Anti-Stau-Programm ein Ab-
schnitt der Bundesautobahn A 44, und zwar der Ab-
schnitt von Bochum bis zum Autobahnkreuz Bo-
chum/Witten, also bis zur B 43, enthalten. Die in der
Frage angesprochenen Teilmaßnahmen im Hinblick auf
die A 44 sind nicht im Anti-Stau-Programm enthalten.
Eine Zusatzfrage,
Herr Schemken.
Herr Staatssekretär,
halten Sie es im Hinblick auf Ihre Feststellung, dass die-
ses Anti-Stau-Programm zur Entlastung von
überbelasteten Straßen, zugleich aber auch zu sinnvollen
Lückenschlüssen führen soll – in diesem Falle handelt es
sich um einen Lückenschluss im niederbergischen
Raum, im Regierungsbezirk Düsseldorf –, nicht für
dringend erforderlich, dieses Teilstück, das bereits im
vordringlichen Plan vorgesehen war, mit zu erfassen?
S
Wie ich Ihnen auf Ihre erste Frage schon ausführlich ge-antwortet habe, können entsprechend den hohen Hürden,entsprechend dem Kriterium von 65 000 Fahrzeugen proTag als Belastung, natürlich nicht alle Wünsche der ein-zelnen Länder erfüllt werden. Ich sprach davon, dassschon 1994 bis 1998, also unter der Verantwortung vonMinister Wissmann, ein fünffaches Finanzvolumen er-forderlich gewesen wäre, um diese Engpässe abzubauen.Wir haben gegenüber den Verkehrsministern der Länderparteiübergreifend das Versprechen gehalten – diesParl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
Metadaten/Kopzeile:
8248 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
wurde nicht durch die alte Bundesregierung veranlasst,sondern erst nach der Regierungsübernahme –, zusätzli-ches Kapital zu mobilisieren. Sie wissen, dass nochBundesminister Müntefering eine Arbeitsgruppe zur Fi-nanzierung von Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen einge-setzt hat, deren Aufgabe es ist, zusätzliches Geld zu mo-bilisieren.
Fest steht, dass die Finanzierung von geplanter, aberauch die Unterhaltung der vorhandenen Verkehrsinfra-struktur aus klassischen Haushaltsmitteln entsprechendunseren Wünschen nicht erfüllt werden kann. Ihnen istja auch bekannt, dass der geltende Bundesverkehrswe-geplan mit einer Laufzeit bis zum Jahre 2012 mit circa100 bis 120 Milliarden DM unterfinanziert ist.
Zusatzfrage? -
Bitte.
Herr Staatssekretär,
wie vereinbaren Sie Ihre Ausführungen, dass dies ein
mit den Ländern abgestimmtes Konzept ist, mit einem
Brief des zuständigen Ministers von Nordrhein-
Westfalen, von Minister Steinbrück, der im November
letzten Jahres die Entscheidung der Bundesregierung
hinsichtlich der Kürzung der Mittel nachhaltig kritisiert
und dargestellt hat, dass dies gravierende Folgen für die
Infrastruktur des Landes haben wird?
S
Meine Aussage bezog sich nicht darauf, dass dieses An-
ti-Stau-Programm mit den Ländern abgestimmt oder
vorbereitet wurde, sondern dass die Bundesregierung
aus dem seit Jahren angemeldeten Bedarf – ich nannte
als eine Zahl 1994 – der Straßenbauverwaltungen der
Länder, der dem Ministerium vorlag – das war also nicht
erst seit Regierungsübernahme so, sondern dieser Bedarf
lag vor –, aufgrund der entsprechenden Kriterien und
Parameter ausgewählt hat und das nicht noch einmal mit
den Ländern abgestimmt hat. Wenn ich mich insofern
missverständlich ausgedrückt haben sollte, möchte ich
ausdrücklich sagen, dass sich die Aussage darauf bezog,
dass aus diesem Bedarf, den die Straßenbauverwaltun-
gen seit Jahren zur Engpassbeseitigung angemeldet ha-
ben, ausgewählt wurde. Insofern kann man schon davon
reden, dass das Ganze nicht an den Ländern vorbei ge-
schehen ist.
Sie wollen ei-
ne Zusatzfrage zu dieser Frage stellen? – Ich muss mich
vergewissern. Wir waren bei der Frage 22. – Bitte.
Herr Staatssekretär, kön-
nen Sie bestätigen, dass es 1998 gerade der Wunsch der
damaligen Bundesregierung unter Verkehrsminister
Wissmann war, zu den genannten Strecken oder Lü-
ckenschlüssen, die der Kollege Schemken angesprochen
hat, mit der Landesregierung ein Konzept zu erstellen,
wie die Staus im Ruhrgebiet beseitigt werden, und dass
dies nun von der jetzigen Bundesregierung realisiert
wird?
S
Das kann ich bestätigen. Wir haben ja gerade hier in
Nordrhein-Westfalen – das nicht nur entsprechend der
Frage vom Kollegen Schemken – erhebliche Mittel be-
reitgestellt, um die schlimmsten Engpässe zu beseitigen,
und zwar – so sage ich einmal – in kürzester Zeit nach
der Regierungsübernahme und nicht erst im Rahmen ei-
ner 16-Jährigen Regierungszeit wie bei der alten Bun-
desregierung, wo in dieser Beziehung nichts geschehen
ist.
Zusatzfrage
der Kollegin Blank.
Herr Staatssekretär, sind
Sie vielleicht mit mir der Meinung, dass Ihre Antworten
auf die Fragen mehr rückwärts gewandt sind als in die
Zukunft gerichtet?
S
Ich
denke und bin mir gewiss, die Reaktionen der Verbände,
aber auch aus den Ländern zeigen eindeutig, dass hier
das, was vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen auf den Weg gebracht worden ist, rich-
tig ist, zum richtigen Zeitpunkt geschehen ist, während
die bisherige klassische Haushaltsfinanzierung durch die
alte Bundesregierung nicht zum Erfolg geführt hat.
Kollegin Blank, genau dieses Programm und auch das
Investitionsprogramm mit einer Laufzeit bis 2002 sind
nicht rückwärts, sondern in die Zukunft gerichtet.
Rückwärts gerichtet ist der alte Bundesverkehrswege-
plan und rückwärts gerichtet wäre es gewesen, wenn wir
frei nach Wunsch und Wolke versucht hätten, den Be-
darfsplan abzuarbeiten, für den die Mittel nicht zur Ver-
fügung stehen. Insofern ist gerade das Anti-Stau-
Programm – parallel zur klassischen Haushaltsfinanzie-
rung – zur Beseitigung von Engpässen ein Zukunftspro-
gramm zur Sicherung der Mobilität und damit auch zur
Sicherung des Wirtschaftsstandortes Bundesrepublik
Deutschland.
„Frei nachWunsch und Wolke“ werde ich mir merken.
Das ist ein schöner, bildhafter parlamentarischer Aus-druck. Jetzt hat die Kollegin Ostrowski eine Zusatzfrage. Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8249
Ich komme auf Ihre
vorige Aussage zurück, die Abstimmung mit den Län-
dern direkt sei nicht nötig, weil Projekte gewählt wur-
den, die bereits in der Bedarfsplanung angemeldet wor-
den waren, und dass zusätzlich dann noch die Kriterien
zutreffen mussten, die Sie vorhin aufgezählt haben.
Meine konkrete Frage lautet jetzt: Welches der von Ih-
nen genannten Kriterien trifft auf die A 13, insbesondere
was das Kreuz Schönefeld und das Dreieck Spreewald
anbelangt, nicht zu?
S
Werte Kollegin Ostrowski, weil wir ja beide das Kreuz
Schönefeld bzw. den südlichen Berliner Ring und den
Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Brandenburg und
Berlin im Zusammenhang mit den Verkehrsprojekten
„Deutsche Einheit“ kennen, sage ich: Wir haben dort ei-
nen sechsstreifigen Ausbau und die Verkehrsprojekte
„Deutsche Einheit“ sind eine politische Entscheidung
der damaligen Bundesregierung und parteiübergreifend
der Mehrheit des Deutschen Bundestages. Wir wissen
beide, dass diese Verkehrsbelastung in der Größenord-
nung von 65 000 Fahrzeugen pro Tag in den neuen
Bundesländern nicht besteht. Diese Entscheidung, die
damals von der alten Bundesregierung getroffen wurde –
da bin ich als Abgeordneter aus einem neuen Bundes-
land sehr zufrieden –, hat dazu geführt, dass sich auch in
den neuen Bundesländern nach der Fertigstellung der
Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ eine regionale
Wirtschaft erstmals ansiedeln konnte. Sie kennen ja die
Infrastruktur, die bis 1990 gerade bei den Bundesfern-
straßen oder damals bei den Landstraßen der alten DDR
vorhanden war. Insofern war das eine richtige Entschei-
dung. Der südliche Berliner Ring ist jetzt sechsstreifig
ausgebaut und auch das Schönefelder Kreuz wird ein
entsprechendes Verkehrsvolumen aufnehmen können.
Herr Kollege
Maaß, wollten Sie eine Zusatzfrage stellen? – Bitte.
Herr Staatssekretär,
können Sie bestätigen, dass die vormalige Bundesregie-
rung bei der weiteren verkehrspolitischen Entwicklung
des Ruhrgebiets den Bau der Dü–Bo–Do, der Autobahn
von Duisburg über Bochum nach Dortmund, zurückge-
stellt hat?
S
Das kann ich bestätigen. Auch Herr Kollege Dr.
Lammert, der heute nicht hier ist, weiß das. Er hat sich
damals als Staatssekretär für dieses Programm sehr ein-
gesetzt und daran mitgewirkt. Sie haben, Herr Kollege
Maaß, insofern Recht: Einzelmaßnahmen auf den von
Ihnen angesprochenen Autobahnstrecken sind nicht in
den vordringlichen, sondern in den weiteren Bedarf ein-
gestuft worden.
Herr Kollege
Schemken, mir wurde gesagt: Sie hatten zu diesem
Punkt bereits zwei Zusatzfragen. Sie dürfen nur zu die-
ser, aber nicht zu der vorherigen Frage zwei Zusatzfra-
gen stellen. Diese haben Sie gestellt. Wir verlassen da-
mit diesen Punkt.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Girisch auf:
Warum wurde die Fertigstellung eines oder aller Teilstücke der A 6 zwischen Amberg-Ost und Lohma von der Bundesregie-rung nicht in das Anti-Stau-Programm aufgenommen, obwohl der Schluss von Lücken eines der vorrangigen Ziele des Pro-gramms war und die europäische Magistrale Paris-Prag nur in der Oberpfalz auf einer Strecke von rund 50 Kilometern unter-brochen ist?
S
Herr Kollege Girisch, das Anti-Stau-Programm ist für
den Zeitraum von 2003 bis 2007 vorgesehen und um-
fasst ein zusätzlich verfügbares Volumen für die Bun-
desfernstraßen in Höhe von 3,7 Milliarden DM. Auf-
grund dieses begrenzten Finanzrahmens konnten bun-
desweit zusätzlich nur die nach objektiven Engpasskrite-
rien ausgewählten dringendsten Projekte berücksichtigt
werden. Die Bundesautobahn A 6 soll in den nächsten
Jahren zwischen Pfreimd und Waidhaus gleichwohl
kontinuierlich abschnittsweise fertig gestellt werden.
Danach ist der Bau des Lückenschlusses Amberg-Ost–
Pfreimd vorgesehen. Die Fernverkehre können bis zur
Fertigstellung des Abschnitts Amberg-Ost–Pfreimd die
Eckverbindung B 85/A 93 nutzen.
Herr Staatssekretär,
erstens: Ist es richtig, dass die A 6 die Kriterien des An-
ti-Stau-Programmes erfüllt? Halten Sie es für richtig,
dass gerade der Lückenschluss der A 6 die für das Pro-
gramm erforderlichen Kriterien erfüllt? Gerade die A 6
ist ein sehr wichtiger Bestandteil der E 50, die von Brest
über Paris und Prag nach Rumänien und damit von der
Atlantikküste bis fast an die rumänische Schwarzmeer-
küste führt.
Zweitens möchte ich fragen, warum Bayern nur vier
von 37 Projekten erhält, während für Nordrhein-
Westfalen 16 Projekte vorgesehen sind, obwohl von die-
sen 16 lediglich bei zweien die Planung abgeschlossen
ist und bei elf erst begonnen wird, während bei der A 6
die Planungen bis auf kleine Teilbereiche abgeschlossen
sind.
Mein dritter Punkt ist: Warum werden gerade beim
Anti-Stau-Programm die Auswirkungen der bevorste-
henden EU-Osterweiterung nicht mit in die Verkehrs-
prognosen eingerechnet? Beim Grenzübergang Waid-
haus – mein Wahlkreis – wird mit mehr als 7 Millionen
LKW pro Jahr gerechnet.
Herr Abgeord-neter, ich rechne Ihre drei Punkte als zwei Zusatzfragenan. Einverstanden? – Bitte.
Metadaten/Kopzeile:
8250 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
S
Frau Präsidentin, die letzte Frage des Kollegen Girisch
bezieht sich schon auf die Frage 24. Deswegen möchte
ich deren Beantwortung vorziehen. Denn die EU-
Osterweiterung kommt ja darin dezidiert vor.
Dann rufe ich
also auch die Frage 24 auf:
Wie lautet die Prognose der Bundesregierung für diese Regi-on unter dem Gesichtspunkt, dass sich für den Bereich der Oberpfalz eine weitere überdurchschnittliche Zunahme an Ver-kehr und insbesondere des Güterverkehrs, auch im Hinblick auf die bevorstehende EU-Osterweiterung, ergeben wird und hat sie dies bei ihrer Entscheidung, eine rasche Fertigstellung der A 6 nicht in das Anti-Stau-Programm aufzunehmen, berücksichtigt?
S
Ei-
ner der Gründe für die zurzeit laufende Überarbeitung
des Bundesverkehrswegeplans 1992 ist die mangelnde
Aktualität der zugrunde gelegten Prognosen im Güter-
und Personenverkehr. Die Arbeiten für neue Prognosen
sind im Gange. Erste Ergebnisse liegen frühestens im
Mai dieses Jahres vor. Für die Auswahl der Projekte des
Anti-Stau-Programms waren im Übrigen vorrangig be-
reits seit längerem bestehende Engpässe aufgrund hoher
Verkehrsstärken und nicht die prognostizierte Belastung
maßgebend. – Soweit zu Ihrer Frage 24.
Da Sie in Ihren Zusatzfragen schon konkret darauf
eingegangen sind, ist Ihnen sicher bekannt, dass das
Vorhaben A 6 im Bereich Amberg–Pfreimd–Waidhaus
bis zur Bundesgrenze bisher ein Kosten-Nutzen-
Verhältnis von 1,7 und eine Verkehrsbelastung von circa
20 800 bis 25 700 Fahrzeugen aufweist. Die hohe Hürde
des Bedarfes wie in anderen Ländern – Sie sprachen
Nordrhein-Westfalen an – wurde bei weitem nicht ge-
nommen. Dieses Anti-Stau-Programm setzt gerade bei
der Engpassbeseitigung an. Insofern bilden die vorhan-
denen Daten – und eben nicht Prognosen zukünftiger
Belastungen – die Grundlage, geht es also nicht um eine
mögliche höhere Verkehrsbelastung im Zuge der EU-
Osterweiterung, die ich hier überhaupt nicht infrage stel-
le.
Ich bitte, auch zur Kenntnis zu nehmen – als Abge-
ordneter dieses Wahlkreises werden Sie es im Zweifel
sogar besser wissen –, dass einige Teile keine Baureife
aufweisen. Im Abschnitt der Anschlussstelle Amberg-
Ost bis zum Autobahnkreuz Pfreimd zum Beispiel ist
erst die Planfeststellung eingeleitet. Die Strecke vom
Autobahnkreuz Pfreimd bis Woppenhof – wir hoffen,
dass sie bis 2004 fertig ist – ist ja im Investitionspro-
gramm der Bundesregierung enthalten. Gleiches gilt bei
der A 6 für die Abschnitte Woppenhof–Kaltenbaum und
die zweite Stufe des Ausbaus, den Abschnitt Lohma, wo
erst seit August 1999, also seit dem letzten Jahr, ein
Planfeststellungsbeschluss vorliegt. Bei Woppenhof–
Kaltenbaum ist die Planfeststellung zwar eingeleitet,
aber ein Planfeststellungsbeschluss liegt noch nicht vor.
Bei dem Schluss von Lücken bzw. beim Ausbau ist
neben dem Kriterium der Belastung von 65 000 Fahr-
zeugen ein weiteres Kriterium, dass baureife Unterlagen
vorliegen müssen. Die Bundesregierung hat natürlich
erkannt, dass angesichts der EU-Osterweiterung hier
Handlungsbedarf besteht. Schon bei der Beantwortung
der ersten Frage habe ich den Abgeordneten mitgeteilt,
dass Minister Klimmt im Zuge der Erarbeitung des
Engpassbeseitigungsprogramms die Länder aufgefordert
hat – die Länder haben ja auch teilweise reagiert –, für
den neuen Verkehrswegeplan und den neuen Bedarfs-
plan Zuarbeit zu leisten, damit hoch belastete Strecken
eventuell in das Normalprogramm aufgenommen und
damit zukünftig über die klassische Haushaltsfinanzie-
rung gesichert werden können.
Da das schon
eine Antwort auf die Frage 24 war, haben Sie noch zwei
Zusatzfragen. Alle anderen haben jeweils, wenn sie denn
wollen, zu den beiden gestellten Fragen zwei Zusatzfra-
gen.
Herr Staatssekretär, ist
die Bundesregierung im Rahmen der Osterweiterung be-
reit, insbesondere in diesem Bereich schneller als vorge-
sehen etwas zu tun, so wie dies vor wenigen Wochen der
Kommissar Verheugen in meinem Wahlkreis von der
Bundesregierung gefordert hat?
S
Wir haben alle gemeinsam, parteiübergreifend, das Ziel,
die Verkehrsinfrastruktur zu sichern und auszubauen, al-
lerdings vor dem Hintergrund, dass uns die Mittel nicht
unendlich zur Verfügung stehen. Darin sind wir uns ei-
nig. Natürlich haben auch Landräte, Oberbürgermeister,
Bürgermeister, Kommunalvertreter, Minister, insbeson-
dere Verkehrsminister, und auch Wahlkreisabgeordnete
des Europaparlaments – parteiübergreifend – ihre spe-
ziellen Wünsche, die sie der Bundesregierung vortragen.
Ich sagte bereits, dass Minister Klimmt die Länder dazu
aufgefordert hat.
Die Länder haben teilweise reagiert, indem von ihnen
Maßnahmen angemeldet wurden, die zukünftig dann,
wenn sie in den Bedarfsplan aufgenommen sind, im
Rahmen des in unserem Haushaltsplan zur Verfügung
stehenden Investitionsvolumens realisiert werden kön-
nen. Aber meinen Ausführungen, dass hier teilweise
nicht einmal ein Planfeststellungsbeschluss vorliegt,
können Sie entnehmen, dass diese Maßnahme unter der
alten Regierung nicht im vordringlichen Bedarf enthal-
ten war.
Zusatzfrage
des Kollegen Hofbauer.
Herr Staatssekretär,meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, der Bun-desregierung ein Lob für die Findung von neuen Begrif-fen auszusprechen. Hierbei ist die Bundesregierung sehrinnovativ. Zuerst gab es prioritäre und hoch prioritäre
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8251
Projekte, dann gab es ein Anti-Stau-Programm. Jetztsprechen Sie von einem Engpassbeseitigungsprogramm.Dürfte ich Sie bitten, vielleicht noch ein Verkehrszu-wachsprogramm aufzulegen, damit auch wir mit unserenProjekten zum Zuge kommen?Darf ich Sie, Herr Staatssekretär, daran erinnern, dasswir gerade auf der A 6 sowie auf weiteren Straßen durchdie Öffnung der Grenze Zuwächse von über2 000 Prozent haben? Diese Straßen sind einfach nichtmehr fähig, den Verkehr aufzunehmen. Er quält sichmanchmal noch durch Ortschaften. Deswegen meineganz konkrete Frage, Herr Staatssekretär: Im Januarletzten Jahres hat mir die Bundesregierung gesagt, dassdie A 6 innerhalb der nächsten zehn Jahre fertig ist.Können Sie diese Zusage aufrechterhalten?S
Ich
gehe bezüglich der Fertigstellung in den nächsten zehn
Jahren nicht auf alle Abschnitte der A 6 direkt ein. In Ih-
rem konkreten Fall geht es um Bayern. Ich darf nur da-
ran erinnern, dass die Medien und auch die Bundestags-
abgeordneten die Begriffe „Anti-Stau-Programm“ und
„Engpassbeseitigungsprogramm“ verschieden aufge-
nommen haben. Inoffiziell heißt es Engpassbeseiti-
gungsprogramm. Man sollte ruhig den Abgeordneten
oder der Bevölkerung aufs Maul schauen. Wenn Sie als
Abgeordnete von einem Anti-Stau-Programm spre-
chen – ich nehme diesen Begriff auf –, ändert das über-
haupt nichts.
Aber ich möchte Ihnen einmal verdeutlichen, dass
zum Beispiel Baden-Württemberg die A 6 von Viern-
heim bis Mannheim mit einem Volumen in Höhe von
96 Millionen DM, die A 6 vom Autobahnkreuz Walldorf
bis zum Anschluss Wiesloch/Rauenberg mit über
51 Millionen DM, die A 6 von der Anschlussstelle Sins-
heim bis Sinsheim/Steinsfurt mit 80,4 Millionen DM,
die A 6 von Sinsheim/Steinsfurt bis zur Anschlussstelle
Bad Rappenau mit 51 Millionen DM, die Anschlussstel-
le Heilbronn/Untereisesheim mit 67,6 Millionen DM
und die A 6 von der Anschlussstelle Heilbronn/
Untereisesheim bis zum Autobahnkreuz Weinsberg mit
144 Millionen DM ausbaut. Das sind alles Maßnahmen
in Baden-Württemberg. Das sage ich nur, weil Sie von
Nordrhein-Westfalen gesprochen haben.
Ich denke, dass die Prioritäten in den alten Bundes-
ländern von Nord nach Süd oder West recht gut verteilt
sind. Dies ist ein bisschen wie beim Investitionspro-
gramm 1993/1994 – um dies noch einmal zu verdeutli-
chen –, bei dem die für die neuen Bundesländer vorge-
sehenen Mittel in Milliardenhöhe aufgrund nicht vor-
handener Baureife der Unterlagen nach Baden-
Württemberg und Bayern umgelenkt wurden, weil dort
baureife Unterlagen sowie der Bedarf vorhanden waren.
Von diesem hohen Niveau spricht heute überhaupt kei-
ner mehr. Gerade die A 6, die Sie angesprochen haben,
findet im Anti-Stau-Programm oder Engpassbeseiti-
gungsprogramm seitens der Bundesregierung erhebliche
Berücksichtigung.
Frau Blank
möchte eine Zusatzfrage stellen, bitte.
Herr Staatssekretär, es
ist Ihnen doch bekannt, dass Bayern das Transitland
Nummer eins in Deutschland ist. Wie erklären Sie, dass
im Gegensatz zu einer Menge von Projekten in Nord-
rhein-Westfalen nur zwei bayerische Projekte im Anti-
Stau-Programm enthalten sind? Kann ich davon ausge-
hen, dass das eine Wahlkampfunterstützung für Nord-
rhein-Westfalen und eine eklatante Benachteiligung
Bayerns ist?
S
Ih-
re letzte Bemerkung, Kollegin Blank, disqualifiziert Sie.
Sie hätten fairerweise die Maßnahmen erwähnen müs-
sen, die seitens der Bundesregierung in Baden-
Württemberg vorgenommen werden.
Es ist nicht ganz korrekt, dass Sie nur zwei Maßnahmen
erwähnt haben. Sie sind Mitglied im Ausschuss für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen. Insofern wissen Sie,
dass für die A 8 Augsburg – West-Derrsching, die A 7
Nesselwang–Füssen und Ampfing– Ost-Erharting ein
Volumen von über 300 Millionen DM vorgesehen ist.
Wenn ich die Maßnahmen in Baden-Württemberg,
die einen Umfang von 755 Millionen DM haben, hinzu-
rechne, dann ist ein Investvolumen von über
1 Milliarde DM für Baden-Württemberg und Bayern
vorhanden. Daher ist der Vorwurf der Bevorzugung ei-
nes anderen Landes unberechtigt, und deshalb möchte
ich ihn klar zurückweisen.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Schmidt.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen,
dass zusätzlich zu den von Ihnen aufgezählten Projekten
für Baden-Württemberg und Bayern im Bereich der
Engpassbeseitigung bei der Schiene im Bahnabschnitt
Nürnberg–Forchheim weitere 400 Millionen DM im An-
ti-Stau-Programm zur Ertüchtigung dieser Bahnstrecke,
die insbesondere für den S-Bahn-Verkehr auf das baye-
rische Konto zu schreiben sind, vorgesehen sind?
S
Kollege Schmidt, das kann ich ausdrücklich bestätigen.Ich habe bei der Beantwortung anderer Fragen bereitsausgeführt – das wird insbesondere von den Abgeordne-ten der Oppositionsparteien offensichtlich nicht gewür-digt –, dass das Anti-Stau-Programm auch die Ertüchti-gung und die Beseitigung von Engpässen und Langsam-fahrstrecken bei der Schiene beinhaltet.Klaus Hofbauer
Metadaten/Kopzeile:
8252 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
Frau Kollegin Blank engagiert sich in der Parlamen-tariergruppe „Binnenschifffahrt“; deshalb hätte sie dieseDinge fairerweise vortragen können. Insofern hat sich Frau Blank durch ihre Frage auf meineAntwort, die ich bezüglich Baden-Württembergs unddes Volumens von über 1 Milliarde DM allein für dieBundesautobahnen gegeben habe, disqualifiziert.
Ich rufe die
Frage 25 des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf:
In welcher Weise und in welcher Höhe will die Bundesregie-rung bei der Erhebung der Straßenbenutzungsgebühr sicherstel-len, dass das von ihr angekündigte Anti-Stau-Programm ab dem 1. Januar 2003 verwirklicht werden kann, wenn eine im Rahmen dieses Programms elektronisch zu erhebende streckenbezogene Gebühr für schwere LKW ab 1. Januar 2003 nicht termingerecht elektronisch erhoben werden kann?
S
Herr Kollege Hofbauer, die Bundesregierung geht davon
aus, dass vor Ende des Jahres 2002 ein praxistaugliches
System zur Erhebung der streckenbezogenen Autobahn-
benutzungsgebühr für LKW betriebsbereit ist.
Herr Staatssekretär,
meine Damen und Herren, diese Aussage ist natürlich
sehr vage. Meine erste Frage: Kann man dem entneh-
men, dass Sie ankündigen bzw. versprechen, ein Anti-
Stau-Programm aufzulegen, ohne dass die Finanzierung
gesichert ist?
Meine zweite Frage: Wie weit sind die Vorbereitun-
gen, um die technischen Voraussetzungen zu schaffen,
damit dies wirklich im Jahr 2002 umgesetzt werden
kann?
S
Zu
dem, wovon Sie meinen, dass es vage sei, gibt es ganz
klare Verabredungen seitens des Ministers Klimmt mit
dem Bundeskanzler und mit dem Finanzminister. Das,
was der alten Regierung offensichtlich über 16 Jahre
nicht gelungen ist, nämlich zusätzliches Kapital zu mo-
bilisieren, wird der neuen Bundesregierung gelingen.
Zum Stand des Vorhabens wissen Sie, dass die Erhe-
bung der streckenbezogenen LkW-Gebühr durch einen
privaten Betreiber mithilfe eines Gebühren- und Kon-
trollsystems europaweit ausgeschrieben ist. Die Aus-
schreibung des Vorhabens wurde im Dezember vorigen
Jahres eingeleitet. In einer Bekanntmachung im Amts-
blatt der Europäischen Union und im Bundes-
ausschreibungsblatt wird die Industrie aufgefordert, in
einer entsprechenden Teilnahme am Wettbewerb ihr In-
teresse nicht nur an der Entwicklung, sondern auch an
der Errichtung und am späteren Betrieb des zukünftigen
Systems der Erhebung einer streckenbezogenen LKW-
Gebühr darzulegen.
Ich wiederhole es: Der Beginn der Erhebung der stre-
ckenbezogenen LKW-Gebühr ist Ende des Jahres 2002
bzw. mit Beginn des Engpassbeseitigungsprogramms
2003 vorgesehen.
Zusatzfrage
der Kollegin Blank.
Herr Staatssekretär,
nachdem Sie ausgeführt haben, dass die Finanzierung
dieses Anti-Stau-Programms sowohl mit dem Bundes-
kanzler als auch mit dem Finanzminister abgesprochen
ist, frage ich Sie: Handelt es sich dann um zusätzliche
Mittel oder handelt es sich um eine Zweckbindung die-
ser Mehreinnahmen aus der streckenbezogenen Maut?
S
Es
ist eine Einnahme aus der streckenbezogenen LKW-
Gebühr, die ja die EU-rechtliche Vignettenlösung ablöst.
Insofern ist das eine zusätzliche Maßnahme. Ich sagte
bereits in der Beantwortung vorhergehender Fragen,
dass hier neben der klassischen Haushaltsfinanzierung
zusätzliches Geld mobilisiert wird, wie es der Bundes-
minister für Verkehr der Verkehrsministerkonferenz im
vorigen Jahr versprochen hat.
Frau Präsidentin, ich glaube, mit der Beantwortung
der Zusatzfrage, die Herr Kollege Hofbauer zum Stand
des Systems gestellt hat, ist die Frage 25 – wenn Sie
gestatten, Herr Kollege Hofbauer – beantwortet.
Jetzt gibt es
noch eine Zusatzfrage der Kollegin Ostrowski zur Frage
25. Bitte.
Herr Staatssekretär, ich
bin natürlich begeistert, wenn eine Regierung zusätzli-
che Mittel organisiert. Ich wäre noch begeisterter, wenn
Sie das gleiche Engagement beispielsweise beim Rück-
bau von Wohnungen in Ostdeutschland zeigen würden.
Meine konkrete Frage geht dahin: Die LKW-Gebühr
wird ja nur einen Teil der benötigten 3,7 Milliarden DM
decken. Können Sie ungefähr die Anteile nennen?
S
Auch wenn vielleicht einige Dinge in den Medien oder
in den Zeitungen stehen, so ist ja zunächst einmal ledig-
lich ein Zwischenbericht der Expertengruppe unter Pro-
fessor Pällmann an die Bundesregierung ergangen, aber
über die Höhe hat die Bundesregierung dabei überhaupt
noch nicht entschieden.
Ich hoffe, wirkommen noch zur Beantwortung der Frage 26 des Ab-geordneten Hofbauer. Ich rufe die Frage 26 auf:Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8253
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, mit den entsprechenden Baumaßnahmen sofort und nicht erst im Jahr 2003 zu beginnen?
– Sie fühlen sich schon genügend informiert. S
Herr Kollege Hofbauer, ich möchte noch einmal auf Ihre
Frage 26 eingehen. Das Anti-Stau-Programm soll aus-
schließlich aus zusätzlichen Mitteln finanziert werden.
Darauf bezog sich insbesondere die Zusatzfrage der Kol-
legin Blank. Die erwarteten Einnahmen aus der stre-
ckenbezogenen Autobahnbenutzungsgebühr, die hierfür
zum Teil verwendet werden sollen, stehen ab dem Jahr
2003 zur Verfügung. Die Bundesregierung sieht auf-
grund der Festlegung in der mittelfristigen Finanzpla-
nung und dem darauf aufbauenden und von der Bundes-
regierung bestätigten Investitionsprogramm 1999 bis
2002 keine Möglichkeit, Maßnahmen des Anti-Stau-
Programms früher beginnen zu lassen.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Schmidt.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Staatssekretär, ich möchte an die Fra-
gen nach der Höhe der beabsichtigten Mautgebühr an-
schließen: Bin ich richtig informiert, dass in unseren
westeuropäischen Nachbarländern Frankreich, Spanien
und Portugal schon heute Gebühren in Höhe von 30, 35
und sogar 40 Pfennig pro Fahrzeugkilometer – das gilt
für die schweren 40-Tonner – durchaus üblich sind?
S
Kollege Schmidt, ich bestätige das erst einmal und füge
hinzu, dass die Expertengruppe eine Gebührenhöhe vor-
geschlagen hat, die natürlich EU-konform sein muss und
die sicherlich eine Obergrenze darstellt. In unseren
Nachbarländern – das ist von Ihnen richtig dargelegt
worden – wird diese Obergrenze erreicht. Aber ich sagte
ausdrücklich: Weder der Minister noch unser Haus ha-
ben bisher eine Unter- bzw. Obergrenze festgelegt. Dies
kann auch noch nicht sein, weil der erste Zwischenbe-
richt zunächst mit dem Auftraggeber abgestimmt wer-
den muss.
Die Expertengruppe ist zwar im vorigen Jahr von Mi-
nister Müntefering ins Leben gerufen bzw. von Minister
Klimmt persönlich dann auch berufen worden. Aber es
muss niemand denken, dass die Bundesregierung auf
diese Gruppe Druck ausüben kann. Sie hat völlig auto-
nom gearbeitet. Die Bundesregierung wird ihre Ent-
scheidung dann, wenn sie – im Gleichklang mit dem
EU-Recht – getroffen ist, rechtzeitig bekannt geben.
– Selbstverständlich auch im Gleichklang mit dem Koa-
litionspartner. Der Koalitionspartner weiß das genauso
schnell wie die Bundesregierung.
Ich danke Ihnen,
Herr Staatssekretär. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die noch offe-
nen Fragen 27 bis 50 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Energiekonsensgespräche und Energiedialog
vor dem Aus?
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Kollegin Dagmar Wöhrl für die Fraktion von CDU und
CSU.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Das Wort „Konsens“ war in der Öf-fentlichkeit bisher immer positiv besetzt. Die Menschenfinden es besser, wenn die Vertreter unterschiedlicherInteressen gemeinsam nach Lösungen suchen, als wennsie sich nur irgendwelche Schaukämpfe liefern. Das istja auch nachvollziehbar. Das weiß auch der Herr Bun-deskanzler bzw. seine Medienberater haben ihm das ge-sagt. Deshalb ist in seiner Politik immer so viel vonKonsens und Dialog die Rede. Aber die Regierung hates bis jetzt geschafft, das Wort „Konsens“ in Misskreditzu bringen. Ich denke nur an das Bündnis für Arbeit, indessen Rahmen ein Konsens über Strategien gegen dieArbeitslosigkeit gefunden werden sollte – ich betone:sollte. Kurz vor dem Scheitern steht jetzt auch der so ge-nannte Konsens über den Atomausstieg. Der Spagatzwischen der Beschlusslage der Grünen einerseits unddem Interesse der Energieversorger an der Nutzung ihrerAnlagen andererseits ist nicht zu schaffen bzw. wirdnicht zu schaffen sein. Wahrscheinlich hat die „Wirt-schaftswoche“ Recht, wenn sie schreibt, dass außerWirtschaftsminister Müller eigentlich niemand mehr fürden Atomausstiegskonsens kämpfe.So ist auch der jüngste Diskussionsbeitrag des Bun-deskanzlers nichts weiter als ein Ablenkungsmanöver.Erstens ist der Vorschlag, sich statt auf eine in Jahrenbemessene Laufzeit auf eine bestimmte Strommenge zueinigen, nicht neu. Zweitens wird das Angebot der Regierung für dieStromversorger nicht dadurch akzeptabler werden, dasssie jetzt 30 Kalenderjahre auf Strommengen umrechnet.Das bedeutet noch immer ein Abschalten der Reaktorenweit vor dem Ende ihrer technisch möglichen, betriebs-Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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8254 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
wirtschaftlich sinnvollen und sicherheitstechnisch ver-antwortbaren Nutzungsdauer. Nichts spricht dafür, dasssich die Energieversorger darauf einlassen werden. Lie-be Kollegen von der Regierung, es wird also dazu kom-men, dass Sie ganz alleine die Verantwortung für denAtomausstieg übernehmen müssen.Frau Hustedt, ich finde es rührend, wie Sie sich selbstMut zusprechen. Sie sagen, das geplante Atomaus-stiegsgesetz sei mit den Verfassungsrechtlern abgespro-chen. Wenn ich an Ihre Rechtsexperten denke, die Siezur Anhörung über das Gesetz über erneuerbare Ener-gien eingeladen haben, dann muss ich sagen: Es warennicht gerade diejenigen, die in der ersten Reihe der deut-schen Rechtswissenschaft stehen.
Sie müssen sich schon Gedanken machen; denn Siemüssen mit einer Klage der Energieversorgungsunter-nehmen in Karlsruhe rechnen.
Sie müssen auch damit rechnen, dass der Freistaat Bay-ern in Karlsruhe klagen wird. Aber wahrscheinlichkommt es gar nicht so weit, weil es schon vorher imBundesrat keine Zustimmung zu dem Gesetzentwurf ge-ben wird.Wir von der CSU werden alle politischen und rechtli-chen Möglichkeiten gegen das Abschalten deutscherKernkraftwerke ausschöpfen. Wir tun das – das könnenSie uns glauben – beileibe nicht den Kernkraftwerks-betreibern zuliebe. Die können sich selber wehren. Dasist nicht das Problem.Was die Pflege der Beziehungen zu Großkonzernenanbelangt:
In dieser Hinsicht können wir mit dem Herrn Bundes-kanzler sowieso nicht mithalten;
aber wir sind davon überzeugt und wir wissen, dass dasAbschalten unserer Kernkraftwerke ein ganz großerSchaden für unser Land sein wird: massive Energiever-teuerung, Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit unse-rer Unternehmen, Vernichtung von Arbeitsplätzen.
Ihre Politik katapultiert uns aus einer Hightechbrancheheraus. Sie führt zu vermehrten CO2-Emissionen und zur Verschärfung des Treibhauseffektes.
Sie glauben doch nicht ernstlich, dass Sie mit regene-rativen Energien die Kernenergie ersetzen können.
Um ein einziges Kernkraftwerk durch Sonnenenergie zuersetzen, brauchen Sie eine Solarzellenfläche, die dop-pelt so groß ist wie der Chiemsee. Auch das klappt nurdann, wenn immer die Sonne scheint. Versuchen Sieeinmal, dafür zu sorgen!
Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, derviel zu wenig diskutiert wird. Wir werden immer mehrvom Energieimport abhängig werden. Schon heute istdie in der EU verbrauchte Energie zu 50 Prozent impor-tiert. Dieser Anteil wird zukünftig dramatisch ansteigen.
Ich bin froh, dass die EU-Kommission das Thema derImportabhängigkeit in diesem Jahr aufgreifen wird.
Wollen Sie wirklich, dass wir zukünftig Außenpolitikunter energiepolitischen Vorgaben machen? Ich glaubenicht, dass das der richtige Weg sein wird. Sie treibenuns mit Ihrer Atomausstiegspolitik in eine Situation, inder wir unsere außenpolitischen Strategien von unserenzukünftigen Energieinteressen abhängig machen müs-sen. Wir sind entschlossen, das zu verhindern.Vielen Dank.
Für die SPD-
Fraktion spricht der Kollege Horst Kubatschka.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heu-te die Opposition dafür loben, dass sie eine AktuelleStunde zu diesem Thema beantragt hat. Damit ist esmöglich, den Standpunkt der SPD-Fraktion hier nocheinmal darzustellen.Die SPD-Fraktion will im Konsens aus der Kernener-gie aussteigen. Wir haben das hier wiederholt gesagt undwir wiederholen es erneut. Nach der Regierungsüber-nahme haben wir vereinbart, dass dieser Konsens in ei-nem Jahr ausgehandelt werden soll. Dafür stand das Jahr1999 zur Verfügung. Dies ist eigentlich genügend Zeit,wenn man den Konsens will. Nachdem die EVUs ihreInteressenlage verkannt haben, ist die Verhandlungszeitum zwei Monate verlängert worden. Jetzt ist es aber Zeitfür Ergebnisse. Die Laufzeit der Konsensverhandlungenist deutlich überschritten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sowohl die beidenKoalitionsfraktionen als auch die Regierung haben sicherheblich in Richtung auf einen Kompromiss bewegt.Dagmar Wöhrl
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8255
Als völlig unbeweglich haben sich aber die Vertreter derKonzerne gezeigt.
Jetzt haben sie nicht mehr viel Zeit, die Chance einesKonsenses zu nutzen. Eine Fehlkalkulation ist es anzu-nehmen, die beiden Fraktionen würden sich bei derLaufzeit nicht einigen. 30 Kalenderjahre sind das Äu-ßerste, bildlich gesprochen: Das Ende der Fahnenstangeist erreicht. Ich persönlich hätte eigentlich kürzere Lauf-zeiten erwartet; eine Laufzeit deutlich unter 30 Jahrenwäre notwendig gewesen.
Trotzdem wird dieser Kompromiss von uns mitgetragen. Völlig unbeweglich waren hingegen die Vertreter derKonzerne. Seit über einem Jahr verlangen sie 35 Voll-lastjahre für den Betrieb ihrer Kernkraftwerke.
35 Volllastjahre bedeuten aber eine Laufzeit von über50 Kalenderjahren. Die Konzerne wollen nicht nur dieRevisionszeiten angerechnet haben. In der Öffentlichkeitgeht man von 20 Prozent Revisionszeiten aus. Das ergä-be eine Laufzeit von 42 Kalenderjahren. Aber auch diese42 Kalenderjahre reichen den EVUs nicht. Diese 42 Jah-re sollen zu 100 Prozent Volllast hochgerechnet werden,sodass es noch einmal zu einem erheblichen Aufschlagkommt. Und schon ergibt sich eine Laufzeit von über50 Jahren. Zu so alten Autos würde man Oldtimer sagen.Auch die CDU/CSU als Interessenvertreterin derKonzerne spricht von einer Laufzeit zwischen 50 und60 Jahren. Manche Vorstellungen der Opposition sindabenteuerlich. Das Atomforum spricht ebenfalls von60 Kalenderjahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte das so ge-nannte Strommengenmodell, das Bundeskanzler Ger-hard Schröder vorgeschlagen hat, für ein weiteres Kom-promissangebot. Dies würde für die Konzerne eine ge-wisse Beweglichkeit bedeuten, um ältere Anlagen vomNetz zu nehmen. Die Strommenge muss sich aber aufdie in der Vergangenheit tatsächlich produzierte Mengebeziehen und darf sich natürlich nicht auf 100 ProzentVolllast beziehen. Die Frage der Laufzeit ist für mich keine ideologi-sche; es ist für mich eine Frage der Sicherheit. Wir ken-nen nicht das technische Ende von Kernkraftwerken.
Je länger aber die Laufzeit ist, umso näher kommt mandem technischen Ende der Kernkraftwerke; und damitsteigt auch das Risiko.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an der Zeit,dass sich die EVUs bewegen. Sie haben sich bisher alsnicht konsensfähig erwiesen. Die Verhandlungen wur-den lange genug geführt. Die Betreiber erkennen an-scheinend nicht den Ernst der Lage. Wir werden, wennes notwendig ist, in wenigen Monaten ein Ausstiegsge-setz vorlegen.
– Nein, nicht gnadenlos, sondern im Rahmen des gesetz-lich Möglichen. Daran werden Sie uns nicht hindern.Genau so wird uns der Bundesrat nicht daran hindern,dieses Gesetz zu beschließen. Wir werden es so ausge-stalten, dass wir die Zustimmung des Bundesrates nichtbrauchen.
Wir werden auch eine Klage Bayerns nicht fürchten,denn wir werden das Gesetz so gestalten, dass der HerrStoiber genauso eine Bauchlandung erlebt wie damals,als er vollmundig erklärt hat – er ist immer sehr voll-mundig –, das sei ein Problem der EU, sie werde danicht mitmachen und es sei nicht in Übereinstimmungmit den Euratom-Verträgen. Es wurde bestätigt, dass esmit diesen übereinstimmt. Vor Ihren Ankündigungenund vor allem vor denen des Herrn Stoiber haben wirwahrlich keine Angst.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die F.D.P.
spricht der Kollege Jürgen Möllemann.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rot-grüne Bundes-regierung steht unter Strom – unter Atomstrom nämlich.
Der Parteitag der Grünen rückt immer näher, die grüneBasis brodelt. Sie ist es leid, dass ihre Minister bei je-dem Elchtest, wie zum Beispiel Garzweiler, umfallen,dass jede Kröte, wie zum Beispiel die Testpanzerliefe-rung an die Türkei, vom Dienstwagen-Freak Joschka„Leo“ Fischer geschluckt wird.
Ihre Angst ist, dass gilt: Erst die Elche, dann die Krötenund dann gehen die Grünen flöten.
Horst Kubatschka
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8256 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
Herr Trittin will irgendwie irgendwelche Ergebnisse undverweist auf die Koalitionsvereinbarungen. Dort ist der„unumkehrbare Ausstieg aus der Kernenergie“ festge-schrieben, und zwar binnen Jahresfrist, im Einverneh-men mit den Unternehmen und entschädigungsfrei. Ge-lingt dies nicht, wird der Ausstieg per Gesetz erklärt.Wird am Ende der Atomenergiekonsensgespräche al-so der Dissens stehen? Das ist sehr wahrscheinlich; denneines ist klar: Rot-Grün hat sich mit einer dogmatischen,von rot-grüner Ausstiegsideologie geprägten Koalitions-vereinbarung selbst ins Aus geschossen. Sie haben sichzu Beginn Ihrer Regierungszeit als atomare Hardlinerfeiern lassen. Jetzt aber bezeichnet der WackelpuddingTrittin 30- bis 42-jährige Laufzeiten als Ausstieg. Lach-haft!
Andererseits ist das kein Wunder, denn der Wirt-schaftsminister Müller hat zu lange zu gut mit der Kern-kraft gelebt, als dass er und sein gleich denkender Kanz-ler sich jetzt quasi als Gesinnungsruine von ihr verab-schieden könnten.Also stümpert Rot-Grün weiter. Sie haben die Reali-tät aber nur zum Teil zur Kenntnis genommen.
Sie haben verfassungsrechtliche Fragen außer Acht ge-lassen und den Rechtsstaat aus den Augen verloren. Siehaben die Entschädigungsfragen unterschätzt. Last, butnot least sind Sie nicht bereit, offener Gesprächspartnerin einer rational geführten Debatte zu sein und sichernsthaft mit Fragen der friedlichen Nutzung der Kern-energie, auch und insbesondere den Klimaschutzaspek-ten, auseinander zu setzen.Sind insbesondere die Grünen, gefangen in ihrer ei-genen Dogmatik, noch ein ernsthafter Gesprächspartner?
Sind Sie ein verlässlicher Partner, wenn in den kom-menden Wochen und Monaten die Atommülltransportedurch Deutschland fahren, oder beugen Sie sich IhrerBasis und heizen die Atmosphäre in Gorleben und Ahaus auf, um dann darüber zu lamentieren, dass die In-nenminister rot-grüner Landesregierungen Polizei undGrenzschutz einsetzen müssen?Wir, die Freien Demokraten, stellen dem Eierkursvon Rot-Grün klare Antworten gegenüber:Erstens. Wir stehen zur weiteren friedlichen Nutzungder Kernenergie.Zweitens. Ihre weitere Nutzung ist auch unternehme-rische Entscheidung der Energiewirtschaft.Drittens. Wir schreiben keine Energietechnologie vor.Die Nutzung der Kernenergie stößt zwar auf Akzeptanz-probleme in Teilen der Bevölkerung,
sie ist jedoch von hohem ökonomischen und ökologi-schen Nutzen für unsere Volkswirtschaft.Viertens. Sie verbessert unsere Position im internati-onalen Markt und ist wesentliche Grundlage für wettbe-werbsfähige Energiepreise am Standort Deutschland.Ein Scheitern der Konsensgespräche unter den heuti-gen Vorgaben der Bundesregierung macht für michdurchaus Sinn. Die Zukunft des Standortes Deutschlandhängt ganz wesentlich von rationalen und nachhaltigenenergiepolitischen Rahmenbedingungen ab. Die derWirtschaft zu geben ist Rot-Grün aber nicht bereit undaufgrund des inneren Dissenses, der ebenfalls nicht zuverkleistern ist, auch nicht in der Lage.
Darum wäre die Wirtschaft gut beraten, wenn sie dasKatz-und-Maus-Spiel beendete, das die Bundesregie-rung mit ihr spielt, und den Ausstieg aus den Ausstiegs-gesprächen schnellstmöglich fände.Sehr geehrter Herr Kollege Kubatschka, ich habe mirmit großem Interesse die Ausführungen sozialdemokra-tisch denkender Betriebsräte aus all den Unternehmenangehört, über die Sie hier in einer Weise herziehen, dieich als unangemessen empfinde.
– Sie können doch nicht sagen, dass es nicht zu kritisie-ren wäre, wenn ein Betriebsrat, der der SPD angehört,das Gleiche sagt, was der Freidemokrat Jürgen Möllemann sagt. Sie kritisieren unsere Argumente unddamit kritisieren Sie die Argumente Ihrer Kolleginnenund Kollegen in den betroffenen Unternehmen. Bei ih-nen kriegen Sie kein Bein mehr auf die Erde.
Zum guten Schluss sage ich an die Adresse der Ener-gieunternehmen: Warten Sie gelassen den kommendenSonntag in Schleswig-Holstein und den 14. Mai inNordrhein-Westfalen ab. Dann werden die Dinge soverändert sein, dass Sie sich mit diesem Eierkurs ohne-hin nicht mehr beschäftigen müssen.Vielen Dank.
Ich gebe das Wortdem Bundesminister Jürgen Trittin.Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Werter Kollege Möllemann, fastwäre ich versucht, Ihren Ball, eine ernsthafte Debatteeinzufordern, aufzunehmen. Aber ganz im Ernst: Siesind Westfale; Sie sollten sich nicht als rheinischer Büt-Jürgen W. Möllemann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8257
tenredner versuchen, sonst könnte man Sie als Fall-schirmspringer mit Geier Sturzflug verwechseln.
Ganz ernsthaft sage ich: Die Industrie wird Ihren vonjeglicher Sachkunde ungetrübten Ratschlägen nicht fol-gen, sondern sie ist im Gespräch mit uns. Das ist gut so.Werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,der Titel Ihrer Aktuellen Stunde „Energiekonsensge-spräche und Energiedialog vor dem Aus?“ deutet zwarauf den unbändigen Wunsch hin – in diesem Punkt ste-hen Sie mit manchen aus der AntiatomkraftbewegungSeit an Seit –, diese Gespräche mögen doch auf jedenFall scheitern, er hätte aber richtigerweise lauten müs-sen: „Energiekonsensgespräche vor dem Ausstieg“. Wirstreben nämlich an, den Ausstieg über diese Gesprächezu erreichen.
In der zentralen Frage der Laufzeiten verhandeln wirauf einer Basis, die von einer Obergrenze von 30 Jahrenausgeht. Wir haben in diesem Zusammenhang den Un-ternehmen angeboten, zu flexiblen Lösungen zu kom-men, die ihnen erlauben, entsprechend flexibel ihre An-lagen stillzulegen.Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass dreiBedingungen erfüllt sein müssen: Erstens. Der Zeit-punkt, ab dem eine Anlage nicht mehr betrieben werdendarf, muss sich aus dem Gesetz ergeben – entweder aus-drücklich oder in einfachster Weise zu berechnen. Zwei-tens. Die Summe der Restlaufzeiten darf sich durch dieFlexibilisierung nicht erhöhen. Drittens. Das Gesetzmuss – das sage ich mit besonderer Freude Ihnen, liebeFrau Wöhrl – zustimmungsfrei sein.Wissen Sie, warum das leider so sein muss? Wir ha-ben nämlich die Ankündigung – nicht von einem be-rühmten Verfassungsrechtler; das ist er nun wahrlichnicht – vom Ministerpräsidenten des Freistaates Bayernerhalten, der gesagt hat: Wir Bayern sind zwar Miteigen-tümer von 60 Prozent der Kraftwerkskapazität – dafürwollen wir auch mit der Entsorgung des Mülls nichts zuschaffen haben –, aber wir würden selbst für den Fall,dass die Energieunternehmen mit der Bundesregierungzu einem Konsens kommen, versuchen, diesen Konsensin der Gesellschaft zwischen Unternehmen und Bundes-regierung im Bundesrat zu blockieren. Wir würdenselbst gegen eine Konsenslösung klagen.
Mit anderen Worten: Als Anteilseigner sagen Sie Ja,aber anschließend erklären Sie, dass Sie gegen Ihre ei-gene Entscheidung angehen wollen.
Was das mit der Fähigkeit, einen gesellschaftlichenKonsens zu erreichen, zu tun haben soll, müssen Sie mireinmal erklären. In meinen Augen ist das reine Funda-mentalopposition.
– Ja, das Wort Fundamentalismus. Dieses Wort fehltemir eben. Manchmal verschlägt es einem angesichts sologischer Gedankengänge die Sprache. Da wird auf dereinen Seite hier gesagt, die Wettbewerbsfähigkeit desStandortes Deutschland hinge von der Zukunftstechno-logie Kernenergie ab, auf der anderen Seite aber willBayern – ich habe Ihnen diesen Punkt schon genannt –sämtliche Standorte für diese Zukunftstechnologie kur-zerhand einkassieren.Anders als Sie wissen die Energieversorgungsunter-nehmen, dass wir auf einer sehr abgesicherten verfas-sungsrechtlichen Grundlage verhandeln.
Die Bundesregierung hat sehr gründlich die entspre-chenden Fragen geprüft. Dies gilt insbesondere, lieberHerr Grill, für die nachträgliche Befristung der Be-triebsgenehmigungen der Atomkraftwerke auf eineLaufzeit von 30 Jahren.
In diesem Zeitraum haben sich alle Atomkraftwerkeamortisiert. Es konnte in Zeiten ihrer Monopolstellungzusätzlich ein jährlicher Gewinn als Verzinsung des be-triebsnotwendigen Eigenkapitals in Höhe der Umlauf-rendite öffentlicher Anleihen erwartet werden.Nach den uns vorliegenden Gutachten ist klar, dassim Mittel nach 23 Jahren, bei einzelnen Kraftwerken, al-so den Ausreißern, spätestens nach 27 Jahren, genaudiese Amortisation zuzüglich eines angemessenen Ge-winns erreicht worden ist. Vor dem Hintergrund dieserSach- und Rechtslage besteht meines Erachtens bei denEnergieversorgungsunternehmen das große Interesse,die Chance für eine Konsenslösung zu nutzen.Eine flexible Lösung bietet auch für die Unternehmengrößere Vorteile als eine im Dissens durchgesetzte ge-setzliche Regelung des Ausstiegs. Dass ein Konsensauch in anderen Fragen, insbesondere im Hinblick aufdie ungelöste Entsorgung der Atomkraftwerke, vorteil-haft für die Unternehmen wäre, zeigen doch die aktuel-len Vorgänge um die Schludereien und Schlampereienin der von Ihnen ja noch vor einem halben Jahr so hochgelobten britischen Nuklearfabrik in Sellafield.Wir haben allerdings den Eindruck, dass die Vertreterund Vertreterinnen der Energieversorgungsunternehmensehr wohl erkennen, dass es ein gemeinsames Interesseder Bevölkerung, der Bundesregierung und von ihnenist, auf unnötige Transporte zu verzichten, und dass esein gemeinsames Interesse ist, nicht länger von der ge-Bundesminister Jürgen Trittin
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fährlichen, Plutonium vermehrenden und für die Ener-gieversorgungsunternehmen sehr viel teureren Wieder-aufarbeitung abhängig zu sein.
Deswegen glaube ich: Wir haben tatsächlich eine rea-listische Chance auf einen Konsens. Das ist auch fürmanche von unseren Leuten kein einfacher Prozess.Denn jeder Kompromiss besteht aus Geben und Neh-men. Die Bundesregierung ist den Unternehmen einStück entgegengekommen. Es ist an der Zeit, auf deranderen Seite von unrealistischen Vorstellungen, wasdie Laufzeit angeht, Abschied zu nehmen. Ich glaube,wir haben in diesen Wochen die Chance, zu einer Eini-gung, zu einem Konsens zu kommen. Im Anschluss da-ran sollten wir gerade in diesem Hause nicht mehr überden Ausstieg aus der Atomenergie streiten. Wir solltenvielmehr streiten über die besten und wirkungsvollstenInstrumente zur Förderung von erneuerbaren Energien,zum Ausbau von Kraft-Wärme-Koppelung, zur Aus-schöpfung der großen Energieeffizienzpotenziale. Mitanderen Worten, meine Damen und Herren: Der Streitum den Ausstieg lohnt nicht mehr. Der Ausstieg wirdkommen.
Sehr viel lohnender und – wenn ich einmal ein Buch Ih-res Noch-Fraktionsvorsitzenden zitieren darf –
der Zukunft zugewandt wäre es, für moderne, dezentra-le, hocheffiziente erneuerbare Energieerzeugung undEnergienutzung für dieses Land zu streiten. Aber da istbei Ihnen bekanntermaßen Land unter; ich muss erleben,dass Ihr Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein, HerrRühe, ausgerechnet eines der erfolgreichsten Arbeits-platz- und Energieprogramme dieses Landes, nämlichdie Förderung der Windenergie, zurückschrauben will.
Damit beweisen Sie Ihre energiepolitische Inkompetenzund übrigens auch Ihre Verachtung der Möglichkeit,neue Arbeitsplätze in diesem Land zu schaffen. Daswird Ihnen am nächsten Sonntag nicht gut bekommen.
Für die PDS spricht
die Kollegin Eva Bulling-Schröter.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Anti-AKW-Bewegunghat den Slogan begründet: Konsens ist Nonsens. Wennich mir einige Reden anhöre, dann könnte ich es umdre-hen und sagen: Nonsens ist Konsens. Ich frage michnämlich: Warum wird diese Debatte heute geführt? Istes der Wahlkampf in Schleswig-Holstein oder hat derLöwe in Bayern gebrüllt und die CSU hat reagiert? Von Bayern wird ja demnächst das Bundesverfas-sungsgericht bemüht werden. Ich wundere mich eigent-lich darüber, da es eigentlich in der Tradition Bayernssteht, Bundesverfassungsgerichtsurteile zu ignorierenbzw. sie in bestimmten Fragen nicht zu akzeptieren. Siemüssen sich entscheiden: Bundesverfassungsgericht – jaoder nein.Hinsichtlich des Erfolgs der Energiekonsensgesprä-che bin ich eigentlich ganz anderer Meinung als Sie,meine Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU. Dennich meine, es ist ein großer Erfolg errungen worden. Fürwen? Für die Energie- und Atomkonzerne. Ich möchteauch darlegen, warum. Kein Stopp der Wiederaufbereitungsanlage, verspro-chen zum 1. Januar 2000. Herr Trittin, nichts ist passiert.Wir haben heute Vormittag im Umweltausschuss überSellafield gesprochen. Die Probleme stehen. Es wirdkeinen Stopp der Wiederaufbereitungsanlagen geben.Ausstiegszeiten wurden diskutiert: 20 Jahre, 28,5 Jahre,30 Jahre Gesamtlaufzeit, Mengenmodell, 35 Volllast-jahre. Dabei befinden wir uns jetzt.
– Nein, das ist nicht Ihr Modell. Das ist richtig. Aber dieUnternehmen fordern es. – Das sind dann 42 Kalender-jahre. Dezentrale Zwischenlager werden inzwischen einge-richtet. Es gibt die Planung in Ohu. Die Genehmigungender Castor-Transporte werden mit Sicherheit wieder ein-setzen, spätestens nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Wir wissen nicht, ob es schon eine Entsorgungsgaran-tie in Bezug auf die Pilotkonditionierungsanlage in Gor-leben oder das Endlager Schacht Konrad gibt. Das wis-sen wir nicht, denn wir waren nicht dabei. Also dies istein Erfolg der Energiekonzerne. Ich verstehe nicht, wie-so Sie Angst haben. Wenn das so weiter geht, dann sindwir bei einem Atomausstieg in 50 Jahren. Damit könn-ten Sie doch eigentlich zufrieden sein.Wenn man sich ansieht, was mit den Konsensgesprä-chen passiert ist, so erkennt man: Es begann sehr erfolg-versprechend mit dieser Bundesregierung. Minister Trit-tin hat ein Atomgesetz eingebracht, wir haben uns ge-freut. An einem Mittwoch erfuhren wir, dass wir amFreitag eher nach Haus fahren könnten, weil die Bera-tung des Atomgesetzes von der Tagesordnung abgesetztwurde. Als Abgeordnete freut man sich ja, wenn manmal einen Tag frei hat. Aber es kam dann einfach nichtsmehr. Es ging dann mit den Castor-Transporten, diewieder genehmigt wurden, weiter. Ich meine, es wird soweitergehen. Das finde ich sehr schade. Hier wurdenChancen vertan.Bundesminister Jürgen Trittin
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8259
Ich würde mir von der Bundesregierung wünschen,dass sie in den Konsensgesprächen einige Dinge klärt,zum Beispiel die Besteuerung der Rückstellungen. Diesliegt immer noch an. Hier muss etwas getan werden.Zur Frage der Haftpflichtversicherung: Mir liegt einBericht des Bundesumweltministeriums vor, in demsteht:Der Bundesrechnungshof hatte in seinen Bemer-kungen 1998 beanstandet, dass entgegen § 13Abs. 3 Satz 2 des Atomgesetzes bisher eine Anpas-sung der Höchstgrenze der Deckungsvorsorge inHöhe von 500 Millionen DM, die ein Betreiber vonAtomkraftwerken zu treffen hat, mit dem Ziel derErhaltung des realen Wertes ... nicht durchgeführtworden sei.Hier muss dringend etwas getan werden.Weiter steht in dem Bericht des Umweltministeriums,dass die Bundesregierung Anfang des Jahres 2000 einenReferentenentwurf vorlegen wird. Er liegt bisher nichtvor. Hier ist grober Handlungsbedarf gegeben. Viel-leicht können Sie nachher dazu noch etwas sagen.Eine weitere Frage ist: Warum muss der Atomaus-stieg entschädigungsfrei stattfinden? Wieso kann nichtentschädigt werden? Es gab einmal vonseiten der Grü-nen Konzepte für eine Entschädigung, um bestimmteProzesse zu umgehen. Wir haben 19 AKWs. Davon sindneun über 18 Jahre abgeschrieben. Wenn zwei Drittelder AKWs durch GuD-Kraftwerke ersetzt würden, dannwürde das 11,2 Milliarden DM kosten. Wir sollten auchüber solche Lösungen nachdenken. Klar ist: Der Aus-stieg muss vollzogen werden, und zwar nicht in 20, 30oder 50 Jahren, sondern schneller. Deshalb wurden Sievon der Bevölkerung gewählt.
Das Wort hat derBundesminister für Wirtschaft und Technologie, WernerMüller.Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Die Unionsfraktionen haben eine AktuelleStunde mit einem Doppelthema beantragt: Energiedialogvor dem Aus und Energiekonsens vor dem Aus?Ich will zunächst sagen: Der Energiedialog ist eineZusammenkunft von 40 Persönlichkeiten des öffentli-chen Lebens: von Vertretern der wichtigen Umwelt-schutzverbände, der Gewerkschaften, der Geräte herstel-lenden Industrie, der Energie verbrauchenden Industrieund aller im Bundestag vertretenen Parteien. Die Lei-tung dieses Dialoges liegt bei Herrn Breuer als dem Prä-sidenten des Forums für Zukunftsenergie und beimBundeswirtschaftsminister. Ich habe mich vorsichtshal-ber bei Herrn Breuer telefonisch erkundigt. Er war überdie Frage, die Sie in den Raum gestellt haben, völligüberrascht.
Ich darf Ihnen sagen: Der Energiedialog steht nicht vordem Aus, sondern er wird zu einem Ergebnis führen,unabhängig davon, ob Sie – was ich sehr bedauern wür-de – Ihre bisherige Teilnahme aufkündigen oder nicht.Ich sage noch einmal: Ich würde es bedauern. Wir wer-den auf der Basis dessen, was zwischen allen gesell-schaftlichen Gruppen vereinbart wurde, energiepoliti-sche Leitlinien im Frühsommer veröffentlichen.Das andere Thema ist das Gespräch mit den Betrei-bern von Kernkraftwerken. Auch da muss ich sagen:Was soll die Frage, ob irgendetwas vor dem Aus ist?Wir sind mitten in einem Gesprächsprozess. Das erin-nert mich daran, wie wenn Sie in irgendeinem Prozessfragen: Ist dies das Ende? Man könnte auch fragen:Steht eine Partei vor dem Aus? Was wollen Sie dazu imMoment sagen?
Sie können nur das sagen, was ich Ihnen jetzt sage: Manweiß es noch nicht so genau.Zum Thema Kernenergiegespräche will ich Ihnen mitaller Klarheit sagen: Alle Seiten, die da verhandeln,streben ausdrücklich eine Verständigung an. Das würdefast genügen um Ihre Frage in dieser Aktuellen Stundezu beantworten.Jetzt habe ich aber noch Redezeit. Deswegen will ichIhnen deutlich sagen, worum es im Kern geht. Ich glau-be, wir sind in einem Punkte einig: Ohne eine jederzeiti-ge kurzfristige Entsorgung ist ein Kernkraftwerksbetriebnicht zu machen. Das ginge faktisch nicht, denn dieKernkraftwerke würden verstopfen. Ohne eine langfris-tige Entsorgungskonzeption ist ein Kernkraftwerksbe-trieb moralisch nicht zu verantworten, denn das wärewie ein Flugzeug ohne Landebahn.Ich will – nicht als Vorwurf, sondern nur als Feststel-lung – daran erinnern, wie die Lage zur Zeit des Regie-rungswechsels war: Eine aktuell notwendige Entsorgungkonnte nicht stattfinden, weil Sie im Moment des Regie-rungswechsels den Transportstopp, den Sie verhängthatten, noch nicht aufgehoben hatten. Deswegen hattendie Betreiber das Problem, dass sie jederzeit vor einemAus des laufenden Kernkraftwerksbetriebes stehenkonnten.
Das Zweite war: Auch eine langfristige Entsorgungs-konzeption, die gerichtlich hätte Bestand haben können,haben Sie nicht hinterlassen.Infolgedessen in aller Klarheit: Der einfachste Weg,Kernkraftwerke stillzulegen, ist, an der kurz- und lang-fristigen Entsorgungssituation überhaupt nichts zu än-dern.
Das ist der Zustand, den wir übernommen haben. Ichgebe Ihnen das einfach einmal zu bedenken, damit SieEva Bulling-Schröter
Metadaten/Kopzeile:
8260 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000
sehen, welche ernsten Themen mit den Betreibern derKernkraftwerke zu besprechen sind. Die Betreiber derKernkraftwerke wissen sehr genau, dass sie jederzeit einjuristisches Damoklesschwert über dem Haupte haben,weil beispielsweise die Voraussetzung, dass der laufen-de Kernkraftwerksbetrieb an eine langfristige Entsor-gungsvorsorge geknüpft wird, sprich: an eine Endlager-bereitstellung, zu einem Phantom geworden ist.
Infolgedessen sprechen wir darüber, welche sinnvollenMöglichkeiten der Entsorgung kurz-, mittel- und lang-fristig notwendig sind. Es gibt in Ihren Energieprogrammen der 80er- und90er-Jahre einen konstanten Passus, der besagt, dassman dringend alternative Endlagerstandorte in alternati-ven Formationen untersuchen müsse, weil man nichtwisse, was sein werde, wenn Gorleben als Endlagernicht geeignet sei. Sie haben diesen Programmsatz 15Jahre lang vor sich hergetragen, ohne irgendetwas dafürzu tun. Auch dies ist ein Element, das den laufendenKernkraftwerksbetrieb verunsichert.Deswegen ist ein breiter Teil dessen, was wir mit die-ser Branche bereden, die Suche nach einer gemeinsamenVereinbarung über ein neues, sachliches Entsorgungs-konzept und den dafür notwendigen Rechtsrahmen.Jetzt kann man sich natürlich fragen – die Fragenkommen ja gelegentlich auf –, warum gerade die, die derKernenergie nicht so freundlich gegenüberstehen, mitden Inhabern der Betriebsgenehmigungen darüber spre-chen, wie man die Entsorgung so verrechtlicht und ver-sachlicht, dass sie wieder möglich wird, damit der Kern-kraftwerksbetrieb überhaupt die nächsten zehn oder 15Jahre erreicht. Allein daran können Sie schon erkennen,dass ein Eigeninteresse derer, die Kernkraftwerkebetreiben, an diesen Gesprächen wirklich vorhanden ist.Dann gibt es noch ein zweites Thema: Richtig ist,dass diese Koalition den Betrieb der Kernkraftwerke inabsehbarer Zeit beenden will. Deswegen müssen wir über das Thema der Umwandlung einer unbefristetenBetriebsgenehmigung in eine befristete Betriebsgeneh-migung sprechen. Auch das ist nicht so abenteuerlich,wie Sie es sich vorstellen; denn es gibt Länder, in denendie Betriebsgenehmigungen von vornherein befristetsind. Bei uns waren sie von vornherein unbefristet. DieUmwandlung einer unbefristeten in eine befristete Be-triebsgenehmigung ist möglich, sofern das nicht ein ent-eignungsgleicher Akt ist.
Unter diesem Aspekt muss man etliche juristische Gut-achten wälzen. Das haben wir getan. Wir sind übrigens –das merkt man an den Fragen, die Sie stellen – bei die-sen Themen sehr tief eingestiegen. Ich erinnere nur andie Überlegung, ob das Euratom-verträglich ist, usw.Das ist alles abgearbeitet, mit dem Ergebnis, dass dieseUmwandlung möglich ist. Der autonome Gesetzgeberkann das so vorsehen.Ich will Ihnen in aller Klarheit sagen: Wir werdenüber diese Frage wahrscheinlich noch eine Zeit lang et-was streitig reden. Denn die Grünen sagen: 30 Jahre Ge-samtlaufzeit für ein Kernkraftwerk ist die Obergrenze –wenn überhaupt –, die wir vor unseren Anhängern ver-treten können. Eine Laufzeit von 30 Jahren ist die Un-tergrenze, angesichts deren wir auf der Basis entspre-chender Gutachten sagen können: Ab da haben wir keinnennenswertes Prozessrisiko zu befürchten, falls jemandauf Schadenersatz klagt. Die Strombranche sagt: 30 Jah-re sind uns im Moment ein bisschen zu wenig. Wir werden das weiter bereden. Ich sage Ihnen: Diediesbezüglichen Gespräche verlaufen insgesamt gut. Dasgrößte Problem bei all dem ist die Frage – das ist vielwichtiger als der Punkt, ob die Gesamtlaufzeit ein Jahrmehr oder weniger beträgt –: Können wir der Strom-branche, wenn sie erklärt, gegen eine solche gesetzlicheBefristung ihrer Betriebsgenehmigung nicht klagen zuwollen, die Gewissheit geben, dass hernach nicht dasstattfindet, was sie unter dem Stichwort „Nadelstichpoli-tik“ befürchtet?
– Ich habe gesagt: Das sind die Befürchtungen derStromwirtschaft. Sie müssen mit der Stromwirtschaftdarüber sprechen. Sie fragt uns das. Wir werden ihr die-se Zusicherung geben. Ich will Ihnen in aller Klarheit sagen: Ihre Versuche,die Konsensfindung dadurch zu stören, dass Sie den Be-teiligten schon jetzt erklären, sie sollten nicht mehr mit-machen, sind nicht überaus erfolgreich. Wenn wir einenKonsens wollen, dann müssen die Länder als Aktionäreder Kernkraftwerke, nämlich Baden-Württemberg undBayern, zustimmen; sonst gibt es keinen Konsens. Danngilt das, was Herr Trittin sagt: Ich möchte einmal erle-ben, dass die Länder als Aktionäre zustimmen und dannals politische Instanz gegen das klagen, was sie, wirt-schaftlich gesehen, für gut befunden haben. Danke.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Kurt-Dieter Grill.
Herr Präsident! Mei-ne sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Mül-ler, ich glaube, dass Ihre letzten Ausführungen zweiDinge deutlich gemacht haben, nämlich dass Sie sich dieVerfassung und die Gesetzeslage schönreden und sie alsDrohinstrument gegenüber der Wirtschaft einsetzen, diegenau das, was Sie am Schluss festgestellt haben, nichttun wird. Denn wenn das so wäre, wie Sie das soebenbeschrieben haben, dann hätte Ihre Staatssekretärsrundelängst einen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt. JederBundesminister Dr. Werner Müller
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in diesem Lande weiß, dass Sie dies verfassungs-konform nicht zustande bekommen.
Ein anderer Punkt ist die Arroganz von Herrn Ku-batschka, der sich hier hinstellt und sagt: Wir lassen unsnicht behindern. Sie werden noch lernen müssen, dass esdie Verfassung und das Mitspracherecht der Länder Ih-nen gebieten, in Ihrer Politik etwas bescheidener zu seinund nicht so zu tun, als hätten Sie die Weisheit mit Löf-feln gefressen.
Herr Minister Müller, noch eine Bemerkung zumDialog: Es geht nicht um die Frage, ob die Gesprächevor dem Aus stehen. Es gibt eine ganze Reihe von Per-sonen – lassen Sie uns das ruhig öffentlich austragen –,die sagen: Wir gehen zu den Gesprächen, weil wir ja mitHerrn Müller sprechen müssen. Aber die Tatsache, dassdie SPD-Bundestagsfraktion bis heute bei diesen Ge-sprächen fehlt – nicht wir, sondern Sie haben bisher ge-fehlt –, wirft eine Reihe von Fragen auf, zum Beispieldie, was der Energiedialog wert ist, wenn die Bundesre-gierung uns zwar permanent sagt: „Wir wollen einenKonsens“, es aber nirgendwo, formal gesehen, eine Vor-stellung dazu gibt, wie ein Konsens erreicht werden soll.Auch das, was Sie hinsichtlich der Entsorgung gesagthaben, stimmt vorne und hinten nicht. Der Trans-portstopp von Frau Merkel hätte bereits mitten im Bun-destagswahlkampf aufgehoben werden können. Daswissen alle Fachleute.
Aber aus politischen Gründen – das muss man offeneingestehen – wäre dies eine Woche vor der Bundes-tagswahl vollkommen falsch gewesen.
Dass wir 15 Monate lang eine Verstopfungstheorie und-praxis seitens Herrn Trittin erlebt haben, um vorzufüh-ren, dass Entsorgung zur Not auch abgestellt werdenkann, ist Ihre Politik und nicht unsere Politik gewesen.
Herr Trittin, Sie haben immer behauptet – wir wartenauf den entsprechenden Beleg –, dass die Kernenergieunsicher sei, es gebe ein neues Risiko, eine neue Bewer-tung; alles sei ganz schlimm, ganz fürchterlich. Das istIhre Argumentation. In der Antwort der Bundesregie-rung auf unsere diesbezügliche Große Anfrage stehenunter anderem die folgenden drei Antworten auf unsereFragen: Erstens. Deutsche Kernkraftwerke sind sicher.Zweitens. Deutsche Kernkraftwerke haben hervorragen-des Personal. Drittens. Deutsche Kernkraftwerke bzw.deutsche Kernenergie bedarf keiner neuen Risikobewer-tung; es gibt keine neue Erkenntnis hinsichtlich des Ri-sikos der Kernenergie. Dies ist das, was Sie antworten müssen, weil Sie of-fensichtlich die Belege für Ihre Theorie der Gefährlich-keit nicht beibringen können. Deswegen sind Sie in derKlemme zwischen 35 Jahren – ich sage einmal Kalen-derjahren oder Volllastjahren – und der Verfassung, den30 Jahren.
– Herr Kubatschka, wer wie Sie über die Risiken derKernenergie redet, der muss der deutschen Bevölkerungeinmal erklären, warum 30 Jahre verantwortbar sind,warum 35 Jahre verantwortbar sind. Da werden Sienämlich landen.
Ein weiterer Beleg für Ihre Arroganz – den Zahn ha-ben wir Ihnen ja offensichtlich mittlerweile gezogen; ichwill nur daran erinnern –: Als Sie angefangen haben,haben Sie von der Unumkehrbarkeit des Ausstiegs ge-sprochen. Das ist vom Tisch. 30 Jahre reichen für einenRegierungswechsel allemal. Das ist doch klar.
Darüber, was Herr Trittin am Anfang gesagt hat –Ausstiegsgesetz – in 100 Tagen, redet doch gar keinMensch mehr. Ihre Gesetzentwürfe sind doch alle vomJustizministerium, vom Innenministerium, also von denVerfassungsministerien, kassiert worden. Sie sind dochauf dem Weg – heidewitzka, immer durch, Augen zu,nicht links, nicht rechts schauen – gescheitert, Herr Trit-tin! Sie müssen doch der Basis in Lüchow-Dannenbergerklären, warum Sie das Versprechen nicht einhaltenkönnen, dass alles, was in Gorleben steht, wegkommt.Sie, Herr Trittin sagen, die Entsorgung sei geschei-tert. Ihre Parlamentarische Staatssekretärin hat am1. Dezember im Umweltausschuss gesagt, es gebe keinefachlichen Gründe gegen die Genehmigung des Schach-tes Konrad als Endlager.
Sie aber stellen sich hier wieder hin und sagen: Die Ent-sorgung ist gescheitert. Sie verdummen das Volk drau-ßen, wenn Sie davon sprechen, dass sei alles gescheitert,und die Genehmigung deshalb in Wahrheit nicht ertei-len, weil Sie sich mit Herrn Jüttner nicht verständigenkönnen, wer die 1,5 Milliarden DM Schadensersatz zah-len muss. Das ist die Realität. Ich kann Sie nur auffordern, ein bisschen vorsichtigermit Ihrer Argumentation bezüglich der Verfassung undder Länder zu sein: Wenn Sie wirklich einen alternati-ven Standort zu Gorleben suchen – darüber können wiruns verständigen; es sind ja schon einmal 220 Standortein den 60er-Jahren untersucht worden –, dann könnenwir uns gern darüber unterhalten. Nur, Sie brauchen dieLänder, die Landräte, die Gemeinderäte. Ich gehe davonaus, dass Sie auch mit denen Konsens haben wollen.Glauben Sie ernsthaft, dass Sie bei Ihrer Politik, beiKurt-Dieter Grill
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dem, was Sie bisher mit Ihren Freunden an den Standor-ten gemacht haben, dass Sie einen Bürgermeister, einenLandrat, einen Ministerpräsidenten finden, der Ihnen ei-nen alternativen Standort auf dem Silbertablett anbie-tet – bei der Politik, die Sie machen? Glauben Sie ernst-haft, Sie können die Länder gewinnen, wenn Sie beimAusstieg sagen, wir brauchen die Länder nicht, und an-schließend nach Bayern gehen und sagen, liefert uns maleinen Granitstandort? Glauben Sie ernsthaft, dass daseine seriöse Politik ist?
Herr Kollege Grill,
Sie müssen jetzt zum Schluss kommen. Sie haben Ihre
Redezeit weit überschritten.
Ja, Herr Präsident –
Ich will am Schluss nur noch ein Argument aufgreifen,
sozusagen das Argument der Arbeitsplätze.
Ich fand interessant, was das Bundespresseamt gemacht
hat. Es hat zur Großen Anfrage erklärt: Durch den Aus-
stieg aus der Kernenergie sind 190 000 Arbeitsplätze ge-
fährdet. Auf diese Frage haben Sie auch mit Ihrer Ener-
giepolitik bis heute keine Antwort gegeben.
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Michaele
Hustedt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Grill, esist schon interessant, wie sehr Sie sich den Kopf vonJürgen Trittin zerbrechen und wie Sie sich händeringenddarum sorgen, ob Jürgen Trittin das Atomausstiegsge-setz auf den Weg bringt. Ich versichere Ihnen, es wirdein Atomausstiegsgesetz kommen.
Wir haben am Anfang gedacht, wir machen es paral-lel zu den Konsensgesprächen, haben uns dann gemein-sam als rot-grüne Regierung umentschieden und gesagt:Wir machen zuerst den Versuch, einen Kompromiss zufinden, und am Ende dieses Versuches, wird – so oderso, im Konsens oder im Dissens – ein Atomausstiegsge-setz kommen. Und so wird es auch kommen, ob Sie sichSorgen machen oder nicht.
Ich sage Ihnen zu dieser ganzen, zum x-ten Mal geführ-ten Debatte mit der Überschrift „Energiekonsens vordem Ende“: Frau Wöhrl, Herr Grill, dass Sie sich wün-schen, dass die Konsensgespräche scheitern, ist ver-ständlich. Die Gesellschaft würde sich sozusagen eini-gen, die tiefen Gräben,
die diese Gesellschaft seit 20, 30 Jahren durchziehenund sie spalten, würden endlich einmal überwundenwerden und man könnte den Blick nach vorn richten.Nur, Sie ständen dann gewissermaßen als die letztenMohikaner zur Atomkraft da, die darüber jammern, dasses nicht mehr weitergeht. Nach Abschaltung des letztenAKWs wird der Abgeordnete Grill daneben stehen undKrokodilstränen weinen,
während die Gesellschaft bereits über ganz andere Fra-gen diskutiert: Wie schaffen wir es, eine dem Klima-schutzgedanken entsprechende nachhaltige, umweltver-trägliche Energieversorgung sicherzustellen, den Anteilder erneuerbaren Energien und den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung zu verdoppeln, im Wettbewerb mög-lichst viel Energie im eigenen Land zu erzeugen undFrankreich zur Marktöffnung und zur Aufgabe seinerBlockadehaltung zu bewegen?Sie diskutieren in diesem Hause mit unzähligen Ak-tuellen Stunden nur über die Atompolitik. Ich glaube,Sie sind da völlig auf dem Holzweg. Während Sie denAtomstrom als Zukunftstechnologie noch hochjubeln,verkauft Siemens für ein Butterbrot und ein Ei die Atomabteilung an Framatome. Warum? – Die Börsen-werte sind danach explodiert. Die Börse hat SiemensRecht gegeben, weil die Atomabteilung nicht gerade einKassenschlager war. Seit Jahren hatten die keine Auf-träge mehr erhalten und es waren auch keine mehr zuerwarten. Sie dagegen behaupten weiterhin, es handelesich um eine Zukunftstechnologie, mit welcher Arbeits-plätze geschaffen werden können.Die Zukunftstechnologien im Energiebereich liegenaber ganz woanders. Es sind dies solche Energietechni-ken, bei denen fossile Energieträger effizient eingesetztwerden, sowie Techniken im Bereich der erneuerbarenEnergien. Um diese Bereiche kümmern Sie sich über-haupt nicht, da sich Ihr gesamtes Denken um das Atom-thema dreht. Ich glaube, wir wären gut beraten, dieProbleme atomarer Energieerzeugung im Konsens zu lö-sen, weil wir dann diese Themen tatsächlich gemeinsamangehen könnten. Doch Ihre Haltung in dieser Frage istgesellschaftsschädlich.
Da die Stromkonzerne – das sage ich hier ganz ehr-lich – bisher nicht sehr kompromissbereit waren, weißich nicht, ob uns ein solcher Konsens gelingen wird. DieBundesregierung, insbesondere die Grünen, oder auchdie Atomkraftgegner in der SPD haben sich ein Stückweit bewegt, weil sie den Kompromiss wollen. DieStromkonzerne dagegen haben immer nur Maximalfor-derungen gestellt und auf Zeit gespielt. Sie sind – so wiedas hier auch gesagt wurde – nach dem Motto vorge-gangen: Nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen ist allesvorbei. – Nun hat sich die Situation aber sehr stark ge-ändert. Nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen wird überhaupt nichts vorbei sein. Während Sie sozusagenimmer tiefer in die Krise hineinrutschen, regiert dieseBundesregierung das Land ruhig und solide und wirdKurt-Dieter Grill
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dies auch nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen und –wahrscheinlich – auch in der nächsten Legislaturperiodetun. Von daher wäre es gut, wenn Sie mit Ihrer Haltungzum Konsens beitragen würden, um auf diese Weise ei-nen Kompromiss zu finden.Das Problem der Stromkonzerne ist, dass sie imWettbewerb stehen, sich über Fusionen Gedanken ma-chen – der Fall Mannesmann hat wohl auch die Energie-konzerne erschreckt – und vermutlich vor diesem Hin-tergrund nicht sehr kompromissfähig sind. Einen Ener-giekonsens kann es aber nur geben, wenn beide Seitenkompromissfähig sind. Ist dies nicht der Fall, muss dieBundesregierung ihre Pläne im Dissens durchzusetzenversuchen. Hierzu muss ich feststellen, dass wir – im Gegensatzzu Ihnen – in das Problem, ob ein eventuelles Atomaus-stiegsgesetz verfassungswidrig wäre, ein bisschen tiefereingedrungen sind.
Wir haben unzählige Tagungen zu diesem Themadurchgeführt und mit vielen Verfassungsrechtlern überdiese Frage gesprochen.
– Gestern Abend? –
Sie wissen genau, dass Juristen in diesem Lande niemalsalle einer Meinung sind. Das gab es noch nie und daswird es nie geben. Es gibt zwar in dieser Frage die eineoder andere abweichende Meinung, aber die großeMehrheit der Verfassungsrechtler ist der Meinung, dassdas, was wir auf den Weg bringen, verfassungskonformist. Bayern hat bereits angekündigt, dagegen zu klagen.Sie werden sehr bald sehen, dass es möglich ist, diesenAusstieg – im Konsens oder im Dissens –entschädigungsfrei durchzusetzen.
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Ulrich Klinkert, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Herr BundesministerMüller, Sie können es drehen und wenden, wie Sie wol-len: Die Gespräche zum Atomausstiegsdiktat, die dieBundesregierung „Konsensgespräche“ nennt, sind in derSackgasse. Sie mussten in eine Sackgasse kommen.Denn es ist völlig irreal zu glauben, dass die Ener-gieversorger freiwillig einer drastischen Laufzeitbe-schränkung ihrer Kernkraftwerke zustimmen werden.Sie durften es im Übrigen auch nicht. Denn das Ak-tienrecht verbietet es den Vorständen, ihren Unterneh-men bewusst Schäden in Milliardenhöhe zuzufügen.Die Bundesregierung hat weder Argumente noch Mit-tel, ein vorzeitiges Abschalten durchzusetzen – außerder von Ihr angedrohten gesetzlichen Stilllegung. Dieaber wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungs-widrig und mit Sicherheit entschädigungspflichtig undwürde auf jeden Fall mit einem jahrelangen Rechtsstreiteinhergehen. Das Einzige, was Sie in anderthalb Jahrenrot-grüner Energiepolitik erreicht haben, ist: eine nie dagewesene Verunsicherung des deutschen Energiemark-tes, eine Blockade von Investitionen, abgezockteVerbraucher und ein hoher Schaden für den Wirtschafts-standort Deutschland insgesamt.
Die Leidtragenden dieser rot-grünen Energieverunsi-cherung sind unter anderem auch die neuen Bundeslän-der, obwohl es dort keine Kernkraftwerke gibt. Warum?– Die Gesellschafter der Veag, die gleichzeitig Eigen-tümer der Kernkraftwerke sind, müssen nebenbefürchteten Verlusten in Milliardenhöhe im Bereich derKernkraftwerke auch noch ein Defizit von 5 bis 10Milliarden DM decken. Sie sind im Moment weniggeneigt, für dieses Defizit einzutreten. Dies wiederumgefährdet Tausende Arbeitsplätze in der ostdeutschenBraunkohleförderung und -verstromung.Wie ist die Situation? – Als infolge des Stromvertra-ges und der Privatisierung der ostdeutschen Braunkohle15 Milliarden DM in die Energiewirtschaft der neuenBundesländer gesteckt wurden – übrigens so viel Geld,wie in keinen anderen privatwirtschaftlichen Bereich ge-steckt wurde –, ging man von geschlossenen Versor-gungsgebieten und von festen Preisen aus. Diese Bedin-gungen haben sich, wie wir wissen, in einem dramati-schen Tempo verändert. Die Energiepreise fallen sodrastisch, dass das Braunkohleschutzgebiet nicht mehraufrechtzuerhalten ist, das heißt, dass sich die Unter-nehmen der Braunkohleverstromung mit ihren Investiti-onen von 15 Milliarden DM sofort und ohne Schutz-klausel dem freien Wettbewerb stellen
und gegen Konkurrenten behaupten müssen, die abge-schriebene Kraftwerke betreiben oder Strom – auch A-tomstrom – importieren.Die Veag hat den Preis für Energie auf 6 Pfennig re-duzieren müssen – wissend, dass das nicht kostende-ckend ist –, um nicht noch mehr Kunden zu verlieren.Um der Veag und damit Tausenden von Arbeitsplätzenin den neuen Bundesländern dennoch eine Zukunft zugeben, wurde das Stabilisierungsmodell entwickelt. Die-ses Stabilisierungsmodell muss aber von der Bundesre-gierung und von den Gesellschaftern erst noch umge-setzt werden. Deshalb fordern wir die Bundesregierungauf, endlich die Rahmenbedingungen für die Umsetzungdieses Stabilisierungsmodells zu schaffen. Die Bundes-Michaele Hustedt
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regierung muss zum Beispiel eine belastbare Zusage ge-ben, dass auf Privatisierungszahlungen an die Bundes-kasse aufgrund der geänderten Rahmenbedingungenverzichtet wird. Ich glaube, dies ist auch gerechtfertigt;denn mit der Ökosteuer
ziehen Sie dem Stromverbraucher, der sowieso alles be-zahlt, schon genug Geld aus der Tasche. Der Strom-verbraucher in den neuen Bundesländern würde zweimalabgezockt werden: erstens bei der Ökosteuer und zwei-tens bei den Privatisierungszahlungen an den Bundes-haushalt.Wir fordern: Beenden Sie die permanenten Angriffeauf die Braunkohle, mit denen Sie die Braunkohleunter-nehmen bestrafen und deren Konkurrenten fördern! Fürviele Energiearten finden Sie Ausnahmen und schaffenFördertatbestände: Sie fördern steuerlich zum Beispielein Gaskraftwerk in Lubmin. Sie subventionieren dieWindenergie in einer inzwischen unvernünftigen Weise.Sie fördern die KWK. Nur bei der Braunkohle soll diereine Marktwirtschaft greifen. Aber wenn das schon soist, dann beharren Sie doch wenigstens nicht weiter aufdem Kernenergieausstiegsdiktat, denn damit schaden Siegleichzeitig dem Energiestandort West wie Energie-standort Ost.Vielen Dank.
Für die SPD-
Fraktion spricht der Kollege Dr. Axel Berg.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Wenn wir in einem Konflikt loderndeFlammen sehen, sollten wir nicht danach fragen, werden Brand gelegt hat, sondern sollten uns überlegen, wiewir diesen Brand am schnellsten und am besten löschenkönnen. Die Löschmittel, die uns zur Verfügung stehen,sind der Dialog, der Konsens und das Gespräch. Dassind die Instrumente der Politik, wie wir sie verstehen.Das bezeichnet man auch mit dem Modewort Mediation. Wissen Sie, warum wir so etwas machen? Das ma-chen wir, weil wir ein Zeit und Kosten sparendes, aufFreiwilligkeit beruhendes Konfliktlösungsverfahren alsgroße Alternative zum Rechtsstreit anstreben, weil wirdie Kreativität der Beteiligten freisetzen wollen, weilwir die Kooperation fördern und auch den gegenseitigenRespekt fördern wollen, der hier nicht immer zu sehenist. Wir wollen in solchen Gesprächen eine allseitigeAkzeptanz herbeiführen. Wir wollen auch eine zukünfti-ge gute Zusammenarbeit. Das ist das Ziel. Das wollenwir nicht aus irgendeiner Gaudi heraus, sondern daswollen wir, weil es schneller, wirtschaftlicher und zu-kunftsorientierter als ein Gerichtsverfahren ist, das mög-licherweise über mehrere Instanzen ausgetragen wird.Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit sind also die ent-scheidenden Pfeiler für Mediation. Die Energiepolitik der neuen Bundesregierung istdiese Mediation; genau die wird angewandt. Es soll zwi-schen den Interessen der Wirtschaft und denen der Um-welt sowie zwischen den verschiedenen Beteiligten aufdem Energiemarkt vermittelt werden. Dies kann natür-lich nur funktionieren, wenn beide Seiten mitmachen.Wir dürfen weder unsere Zeit noch das Geld der Steuer-zahler in langen Rechtsstreiten binden. Wir versuchen,die Brücke zwischen Ökonomie und Ökologie zu schla-gen.Weder ein Dialog noch ein Konsens – wie auch im-mer es von Ihnen in Ihrer Aktuellen Stunde gemeintwar, ob Sie den Energiedialog oder allgemein den statt-findenden Dialog meinen – stehen vor dem Aus. Daskann ich nicht erkennen. Vielleicht wollen Sie von derUnion das Aus. Das kann durchaus sein. Dafür sprichtdas, was Herr Grill vorhin sagte, nämlich dass die SPD-Fraktion überhaupt nicht an Dialoggesprächen teilge-nommen hätte. Er blieb uns aber die Antwort auf dieFrage schuldig, welche Dialoggespräche er genau meint.Stoiber ist mit seiner Aussage erwähnt worden, dass derAtomausstieg nicht EU-konform sei. Es gibt aber auchandere Dinge, so die Absage des für übermorgen vorge-sehenen vierten Rentenkonsensgesprächs. Dies riechtein bisschen nach Totalopposition. Es riecht ein biss-chen nach Fundamentalopposition. Ein Scheitern derKonsensgespräche generell kann ich bisher nicht fest-stellen. Außerdem wird die Bevölkerung das Thema weiterdiskutieren. Sie wird auch über kurz oder lang einenKonsens finden. Ob dies mit oder ohne Union geschieht,werden Sie entscheiden. Wir werden den Dialog weitersuchen. Wir werden den Konsens auch und vor allemmit der Bevölkerung suchen.Meine Damen und Herren, Dialog- und Konsenssu-che sind die moderne Form einer Streitkultur. Lassen Sieuns aus dieser kalten Konfrontation, aus der reinenMachtpolitik – wer die Macht hat, zieht sein Ding durch,egal, was die anderen davon halten – herauskommen.Nein, das ist nicht die Zukunft. Den Durchbruch werdenwir nur erreichen, wenn wir einen gemeinsamen Willenformulieren können, wie die Energiepolitik der Zukunftaussehen soll. Abgesehen von der Energiekiste lassen Sie mich kurzbemerken: Das ist eine demokratische Frage. Vorhinwurde – ich glaube, von Frau Hustedt – gesagt, dass dieseine gesellschaftliche Frage sei. Das sehe ich genauso.Demokraten müssen diskutieren, solange nicht alles ver-loren ist. Das ist unsere verdammte Pflicht. Wir müssendiskutieren. Deswegen, meine lieben Kolleginnen undKollegen von der Opposition, möchte ich Sie bitten:Machen Sie mit! Wir brauchen jeden Feuerwehrmann!Wir brauchen auch Sie! Lassen Sie uns eine gemeinsa-me Politik entwickeln, denn wenn uns das nicht gelingt,hat sich die Politik in unserem nuklearen Treibhaus so-wieso bald von allein erledigt. Danke schön.Ulrich Klinkert
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8265
Für die FraktionBündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Albert Schmidt.Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Bei Herrn Möllemann, der jetzt nicht mehr anwe-send sein kann, aber auch bei einigen anderen Rednernwar zu spüren, dass man sich Gedanken über die bro-delnde Basis der Grünen und Sorgen darüber macht, obder Parteitag im März wirklich zu dem ausgehandeltenKompromiss stehen wird.
Hinter dieser Sorge verbirgt sich natürlich auch der rich-tige Gedanke, dass selbstverständlich sehr viele bei unsin die Ökologiebewegung und auch in unsere Partei ge-kommen sind, weil sie durch den begründeten Wider-stand gegen diese Art der Energieerzeugung ein Stückpolitische Identität gewonnen haben. Das ist gut undrichtig so.Ich rate Ihnen aber eines: Spekulieren Sie nicht aufden Parteitag der Grünen in Ihrem Sinne. Glauben Sienicht, dass dort ein Konsens verhindert werden könnte.
Ich will Ihnen auch sagen, warum. Nach 25 Jahren poli-tischer Aktivität, gerade auch in der AKW-Bewegung,sind wir nicht nur im Parlament, sondern auch in einerneuen Rolle als Regierung angekommen. Dabei reicht esnicht mehr – das haben sehr viele Grüne zunehmend ge-nau reflektiert –, die reine Gesinnung zu 100 Prozent zuhaben; stattdessen müssen wir uns täglich die Frage stel-len lassen und beantworten: Wie viel von eurer wunder-baren Gesinnung habt ihr umgesetzt? Deshalb werden wir, und zwar gemeinsam – ich pro-phezeie Ihnen, das wird mit sehr großer Mehrheit ge-schehen –, dafür plädieren, dass jetzt die entscheidendenWeichen in die richtige Richtung gestellt werden unddie Chance zum Konsens, die zum Greifen nahe ist –von einem Aus kann überhaupt nicht die Rede sein –,ergriffen wird. Wir haben keine Lust, weitere 30 Jahrevom Sofortausstieg zu reden und zu fantasieren. Wirwollen, dass der Einstieg in den Ausstieg jetzt und heutefest verabredet wird, und das wird auch die Botschaftdes Parteitages sein. Das sage ich Ihnen voraus.
Ich sage das nicht nur aufgrund meiner persönlichenEinschätzung; denn entgegen den Berichten aus Nieder-sachsen möchte ich Ihnen sagen: Am vergangenenSamstag war Minister Jürgen Trittin bei dem Kreis-vorständetreffen in Bayern, bei dem 200 Vertreterinnenund Vertreter aus allen Kreisverbänden anwesend wa-ren. Er hat über drei Stunden hinweg Rede und Antwortgestanden. Es war eine lebhafte und interessante Diskus-sion, in der auch sehr viele kritische Fragen und Mei-nungen aufkamen.Am Schluss gab es eine Probeabstimmung. Es wurdeein Meinungsbild erstellt. Ich will Ihnen sagen, dass vonden etwa 200 anwesenden Grünen nur sieben gegen denKurs der Koalition gestimmt haben. Freuen Sie sich alsonicht zu früh! Spekulieren Sie nicht auf die falschenScharfmacher, von welcher Seite auch immer. RechnenSie lieber mit der politischen Weisheit dieser Koalitions-fraktion und der Partei.Damit komme ich zu dem Stichwort Transporte. Eswurde die Frage aufgeworfen, inwieweit wir in derTransportfrage nachher auch verlässlich sein werden.Herr Grill hat das angesprochen. Sie müssen dabei schondie Frage beantworten: Warum wurden in der Vergan-genheit Transporte überhaupt skandalisiert? Sie wurdenes, weil es keine klare Perspektive, kein Ausstiegsszena-rio und kein definiertes Ende der Atomenergiepolitikgab. Stattdessen wurde nicht nur der Anschein erweckt,sondern es war die Perspektive, dass es ad infinitum soweitergehen und diese Technologie, für die bis heutekein sicheres Endlagerkonzept vorliegt, immer weiterbetrieben würde. Das war doch der Grund, der die Leutewirklich auf die Straße getrieben hat.
Wenn ein definiertes Ausstiegsszenario zwischen al-len Beteiligten klar verabredet ist, werden auch wir unsunserer Verantwortung stellen und sagen: Das, was – aufDeutsch gesagt – an Dreck irgendwo in La Hague oderSellafield lagert, werden und müssen wir zurücknehmen.Dafür werden wir uns auch einsetzen. Wenn Sie unsereVerlässlichkeit in Frage stellen, spekulieren Sie auf einfalsches Bild, das Sie von uns zu haben scheinen.
Damit komme ich zum Schluss zu der einfachen Fra-ge – es scheint nötig zu sein, sie noch einmal anzuspre-chen –: Was ist das Wesen eines Konsenses? Warum re-den wir überhaupt von Konsens? Das ist ganz einfach,aber es muss offenbar noch einmal gesagt werden. Kon-sens bedeutet, dass sich alle beteiligten Seiten bewegen.Wir haben uns – das ist schon gesagt worden – in derTat bewegt.Das Zweite, was für diesen Konsens wesentlich ist,ist übrigens die Frage der Unumkehrbarkeit. In einerDemokratie ist eine nur gesetzliche Regelung selbstver-ständlich immer rückholbar. Das ist auch gut so in einerDemokratie. Aber wenn zusätzlich zu einem Gesetz ineinem Konsens zwischen den Beteiligten gemeinsam,vertraglich, mit Unterschrift ein bestimmtes Vorgehen,ein bestimmtes Ausstiegsszenario verabredet ist, dann istdies sozusagen die Garantie dafür, dass dieser Konsensauch längerfristig hält und eben nachher nicht der Belie-bigkeit oder der Zufälligkeit von anderen Mehrheitsent-scheidungen allein unterworfen sein wird. Deshalb istDr. Axel Berg
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auch hier der Konsens notwendig und wird von uns aus-drücklich angestrebt. Zum Konsens gehört allerdings auch, dass er natür-lich nicht einseitig erzwingbar ist. Deswegen muss ebennotfalls auch durch eine ausschließlich gesetzlicheRegelung im Dissens gehandelt werden. Dies ist gesagtworden. Ich sage Ihnen, warum dieser Konsens nach meinerAnsicht sogar sehr wahrscheinlich ist: Die Stimmung hatsich gedreht. Die Wirtschaft weiß das. Die Hoffnung aufeine vorübergehende Erscheinung Rot-Grün ist ge-schwunden. Man weiß inzwischen: Mit dieser Koalitionmuss man für längere Zeit rechnen. Sie macht eine soli-de, eine auf lange Frist angelegte Politik, nicht nur in derHaushalts- und Finanzpolitik, sondern eben auch in derEnergiepolitik. Man kann nicht länger darauf spekulie-ren, dass diese Regierung mit unterschiedlichen Stim-men spricht. Sie spricht mit einer Stimme. Deswegensage ich Ihnen: Der Letzte, der vielleicht als atomarerFundamentalist übrig bleiben wird, Edmund Stoiber,kann ja dann als Einziger gegen den Konsens klagen.
Er wird sich dabei nur lächerlich machen.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Dr. Jürgen Gehb.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Herr Schmidt, Ihre eben vor-getragene Definition ist nicht die eines Konsenses, son-dern die eines Kompromisses. Nur der, der die Begriff-lichkeit richtig beherrscht, kann auch eine Debatte be-herrschen.
Meine Damen und Herren, das letzte sinnvolle legis-latorische Unterfangen in diesem Hause auf dem Gebietder Energiepolitik war die Verabschiedung des Ener-giewirtschaftsgesetzes im Jahr 1998 unter der CDU/CSU-Regierung. Damit wurde nämlich die Stromrichtli-nie der Europäischen Kommission umgesetzt. Damitsind Verbraucher endlich in den Genuss von niedrigerenStrompreisen gekommen und damit hat man die Wett-bewerbsfähigkeit der Unternehmen erhöht.
Das zweitbeste Gesetz ist das Stromeinspeisungsge-setz gewesen, das sogar – das war schon wieder etwasverdächtig – von Frau Hustedt gelobt worden ist, denndas ist der Einstieg in die erneuerbaren Energien. Damitwerden wir unserer Selbstverpflichtung aus dem Bur-den-Sharing gerecht, nämlich die CO2-emissionsarmen Energien in den Vordergrund zu rücken. Darüber wirdübermorgen ja diskutiert werden.
Die Weltmeisterschaft bei der Windkraft, die Sie alleangesprochen haben, kommt aus Gesetzesvorhaben, dieunter der Regentschaft von CDU/CSU und nicht etwavon Rot-Grün gekommen sind.
Was haben Sie dagegen zu bieten? – Sie haben einÖkosteuergesetz verabschiedet, durch das Teile derStrompreissenkung wieder kompensiert werden.
Ansonsten haben Sie in einem Koalitionsvertrag einenentschädigungsfreien Ausstieg aus der Kernkraft verein-bart, meine Damen und Herren, als wenn man einen ent-schädigungsfreien Ausstieg zu Lasten Dritter zwischenzwei Koalitionspartnern vereinbaren könnte. Was ist daseigentlich für ein Rechtsempfinden? Da kann ich Sie nur fragen: Haben Sie eigentlicheinmal bedacht, was bei einem nationalen Ausstieg ausder Kernenergie passiert? Wollen Sie sich eigentlich da-von abhängig machen, Kernkraft aus Kernkraftwerkenzu beziehen, die auf der untersten Stufe des Sicherheits-niveaus stehen? Warum schalten wir eigentlich inDeutschland die sichersten Kernkraftwerke ab und über-legen gleichzeitig, ob wir in der Ukraine K 2 und R 4subventionieren?
Das muss man einmal fragen. Welche Überlegung steckt eigentlich hinter dem Aus-stieg? Ich höre davon, aber ich kenne keine tatsächlichenwissenschaftlichen, technischen oder rechtlichen Er-kenntnisse, die ein Abweichen von der bisherigen Risi-kobewertung, so wie sie das Bundesverfassungsgerichtin seiner Kalkar-Entscheidung vom 8. August 1979 im49. Band auf Seite 89 ff. – Herr Trittin, Sie wissen ja,ich habe Ihnen schon einmal den Unterschied zwischeneinem Paragraphenschlüssel und einem Notenschlüsselerklärt – vorgenommen hat, begründen. Da steht, dassdie Kernenergie und das ihr innewohnende Risiko einsozial adäquat hinnehmbares Restrisiko ist. Was sich verändert hat, sind nicht Tatsachen, sindnicht rechtliche Bewertungen, sind nicht technischeVoraussetzungen, sondern Sie, Herr Trittin, haben dieReaktor-Sicherheitskommission und die Strahlenschutz-kommission personell verändert, damit Sie jetzt Leutehaben, die Ihnen das Risiko anders bewerten, als es die-jenigen bewertet haben, die in aller Welt anerkannteFachleute waren.
Eine solche Vorgehensweise kenne ich auch aus derBundeswehrzeit: Wenn jemand im Wettkampf um dieSchützenschnur immer daneben geschossen hat, dannhat man ihm einen Erfolg verschafft, indem man dieScheibe nach dem Schuss gehängt hat. Genau das habenSie gemacht, Albert Schmidt
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indem Sie nicht die Tatsachen verändert haben, sondernangesichts eines gleich bleibenden Tatbestands einfachdie Bewerter ausgetauscht haben. Ich weiß nicht, wieSie mit einer solchen Vorgehensweise in der Bevölke-rung Konsens herstellen wollen. Wo besteht sonst Konsens? Er besteht nicht zwischenRot und Grün. Er besteht nicht einmal innerhalb des Ka-binetts.
Er besteht auch nicht im Dialog mit Wirtschaft, Verbän-den und EVU. Übrigens, Herr Müller, wenn mehr als einFünftel der Energieversorgungsunternehmen gar nichtan dem Energiedialog beteiligt wird, dann möchte ichwissen, auf welche Legitimationsbasis Sie einen Kon-sens stellen wollen.Ein Letztes zur verfassungsrechtlichen Prüfung.Wenn sich alles auf verfassungsrechtlich sicherem Bo-den bewegt, dann frage ich: Warum eiern Sie jetzt soherum, gefährden den Erfolg Ihres eigenen Parteitagsund können hinterher noch nicht einmal eine Trophäevorzeigen? Frau Hustedt, Sie haben am 16. Dezember 1999 an-lässlich einer Energiedebatte, nämlich der ersten Lesungdes Gesetzes zu erneuerbaren Energien, gesagt, dass imJahre 2018 das letzte Kernkraftwerk vom Netz geht.
Wie verhält es sich nun mit den im Gespräch befindli-chen 30 Jahren und dem Jahr 2018? Sie machen es so,wie Sie es gerade wollen.
Dasselbe gilt, wenn Sie die Restlaufzeiten in Mengen-modelle umrechnen.
Ich möchte Ihnen nur eines sagen: Eine nachträglicheBefristung unbefristeter Genehmigungen – unabhängigdavon, ob man 30, 35 oder 40 Jahre vereinbart – ist im-mer ein enteignungsgleicher Eingriff –
– ich will das ewig laufen lassen, so ist das – es sei denn,dass technische Bedingungen ein Abschalten von Kern-kraftwerken rechtfertigen. Nur, dazu benötigt man keinGesetz. Das kann man administrativ nach den Regeln,die schon im jetzigen Atomgesetz verankert sind, durchWiderruf, Rücknahme und Schließung erreichen. Dafürbenötigt man kein gesondertes Ausstiegsgesetz, dessenVerfassungswidrigkeit so signifikant ist, dass es selbstder Hausmeister des Bundesverfassungsgerichts aufhe-ben würde.
Ich gebe das Wort
der Kollegin Professor Monika Ganseforth für die SPD-
Fraktion.
Herr Vorsitzender! Lie-be Kollegen und Kolleginnen! Herr Gehb, ich muss einpaar Punkte Ihrer Rede aufgreifen.
Erstens. Sie verkennen, dass wir Parlamentarier sindund dass es so etwas wie den Primat der Politik gibt, densogar die Kernenergiebefürworter und die Kernenergie-wirtschaft akzeptiert haben. Gerichte sind dazu da, zuprüfen, ob alles in Ordnung ist. Aber etwas dürfen wirauch noch selber entscheiden.
Zweitens. Dass die Atomenergie eine unsichere undnicht zu verantwortende Technik ist, hängt nicht nur mitder Einschätzung der Strahlenschutzkommission zu-sammen; vielmehr ist sie eine gefährliche Energieform.Das Problem der Proliferation ist nicht gelöst. Es gibtkein brauchbares Endlager. Es gibt – sie sind oft wie-derholt worden – viele Gründe für einen möglichstschnellen Ausstieg aus der Atomenergie, und den wer-den wir umsetzen.
Ich möchte noch einen dritten Punkt Ihrer Rede, HerrGehb, ansprechen – Sie können es nicht wissen, weil Siedamals nicht dabei waren; Sie sind neu im Bundestag –:Das Stromeinspeisungsgesetz, dessen Fortsetzung undAnpassung an die neuen Gegebenheiten wir morgenverabschieden werden, ist 1990 nicht von der Regierungauf den Weg gebracht worden; vielmehr ist es eines derinteressantesten Gesetze, die aus dem gesamten Parla-ment kamen. An seiner Ausarbeitung waren alle Frakti-onen beteiligt; Herr Engelsberger von der CSU, HerrDaniels von den Grünen und ich von der SPD waren da-bei. Am wenigsten hat sich die F.D.P. daran beteiligt.Damit es also nicht in Vergessenheit gerät: Dieses Ge-setz kam aus dem Parlament. Nach meiner Meinungsollte es so etwas häufiger geben. Wir sollten häufigersolche Erfolgsstorys auf den Weg bringen.
Ich möchte auch das ansprechen, was Herr Grill hiergesagt hat. Er hat gesagt – ich weiß nicht, ob ich michverhört habe –, dass die Genehmigung der Transporteschon im Jahr 1998 hätte erteilt werden müssen, dass diedamalige Regierung das aber aus sachfremden Erwä-gungen heraus nicht getan hat, weil sie sich nämlich mit-ten im Wahlkampf befand. Dr. Jürgen Gehb
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Wenn ich es so richtig verstanden habe – ich kann esmir gar nicht vorstellen –, dann wollten Sie der Bevölke-rung etwas vormachen. Entspricht es Ihrer Vorstellungdavon, wie man mit den Menschen umgehen soll, wennSie sagen: So etwas machen wir dann lieber erst nachdem Wahlkampf, auch wenn es sachlich gerechtfertigtwäre, die Transporte zu genehmigen; das verschiebenwir und machen es dann, wenn wir die Wahl gewonnenhaben? – Das ist ein Umgang mit den Ängsten der Men-schen, der nicht zu akzeptieren ist. Gott sei Dank habenIhnen die Wähler und Wählerinnen die Quittung dafürgegeben.
Ich möchte jetzt etwas zum Thema dieser AktuellenStunde sagen. Sie behaupten, der Energiedialog stehevor dem Aus. Hierbei geht es nicht nur um die Atom-energie. Das Dilemma ist, dass die wirklichen energie-politischen Probleme vor der Diskussion über diese Fra-ge in den Hintergrund treten. Vielleicht haben Sie esnoch nicht gemerkt: Wir sind gerade dabei, eine neueEnergiepolitik zu machen. Wir sind auf einem gutenWeg.Es gibt ein Problem: Wir müssen unter einem gewis-sen Zeitdruck handeln, der aus Ihrer Politik resultiertund den wir von Ihnen aufgrund der Randbedingungengeerbt haben. Die Verunsicherung, von der Herr Klinkert gesprochen hat, geht auf Ihre Politik zurück. Esist so, dass unter Ihrer Verantwortung über Jahre hinwegdie Strukturen der Energiewirtschaft aufgebaut wurden.Geschützte Märkte und geschlossene Versorgungsgebie-te wurden gebildet, und sehr viele Subventionen wurdenin diese Energiewirtschaft hineingepumpt, womit mansehr viel Geld verdient hat.Dann haben Sie ohne jede Übergangsregelung dieEnergiemärkte liberalisiert und für den Markt geöffnet.So erfreulich das Senken der Energiepreise ist – auchwir begrüßen das – : Es handelt sich um einen Verdrän-gungswettbewerb mit einem freien Fall der Preise. Dashaben auch die Vertreter des VIK gestern gesagt. DiePreise fallen ins Bodenlose, und zwar unter die Geste-hungskosten, weil der Preiskampf benutzt wird, um dieMärkte zu bereinigen. Wir haben gewaltige Überkapazi-täten. Das weiß eigentlich jeder, der damit zu tun hat.Herr Grill hat das gestern auf dem parlamentarischenAbend auch bestätigt.Bei diesem Preiskampf werden Energieformen aufder Strecke bleiben, die umwelt- und klimafreundlichsind – übrigens auch die Braunkohle, von der Herr Klinkert gesprochen hat –, wenn dieser Preiskampf nichtdurch Politik flankiert wird. Wir sind schon dabei, fürdiese Flankierung zu sorgen. Viel Zeit haben wir dazunicht.Der Preiskampf und dieses Überangebot könnten sehrschnell bereinigt werden, wenn die Atomenergie vomMarkt genommen würde. Wenn das geschehen würde,hätten wir ein sehr viel ruhigeres Fahrwasser, und eswürde nach ökologischen und ökonomischen Gesichts-punkten gehen.
Übrigens haben die Vertreter des VIK gestern auchgesagt, sie gingen davon aus, dass dieser Verdrän-gungswettbewerb in drei, vier oder fünf Jahren beendetsein wird. Dann würden die Preise wieder anziehen. Siehaben uns ausführlich geschildert, dass dann sehr vielKraft-Wärme-Kopplung in der Industrie den Bach hi-nuntergegangen sein wird. Wir wissen das von denkommunalen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Wir wis-sen, dass es seit langem einen Stau bei den erneuerbarenEnergien gibt: Nichts wird mehr investiert, es werdenkeine Kredite mehr gegeben und der Markt ist platt.Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir schnell handeln.Wir machen Energiepolitik. Es ist überhaupt keine Frage: Wir wollen im Dialoghandeln. Wir haben lange genug über das Gesetz überdie Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien indas öffentliche Netz geredet. Wir hätten es gerne mit Ih-nen zusammen verabschiedet. Sie haben jetzt noch dieChance, morgen dem Gesetz zu den erneuerbaren Ener-gien zuzustimmen. Wir wollten es nicht nach dem Mottobehandeln: Friss, Vogel, oder stirb! Wir wollten es mitIhnen zusammen verabschieden und hätten Ihre Anre-gungen auch aufgegriffen. Aber von Ihnen, von dieserSeite, kam nichts zu diesem Problem.
Frau Kollegin
Ganseforth, Sie haben Ihre Redezeit noch stärker als der
Kollege Grill überschritten. Ich bitte Sie, zum Schluss
zu kommen.
Ich werde zum Schluss
kommen.
Wir werden ein Gesetz zur Überbrückung der Kraft-
Wärme-Kopplung auf den Weg bringen. Auch dabei
können Sie mitmachen. Wir haben das 100 000-Dächer-
Programm in die Tat umgesetzt. Wir haben Anreizmittel
für erneuerbare Energien geschaffen. Es gibt also eine
breite Palette. Es wäre schön, wenn wir gemeinsam vor-
gehen würden. Wir sind dazu bereit; aber Ihr Kampf-
thema ist nur Atomenergie. Bei Ihnen ist alles andere
von der Tagesordnung verschwunden.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Dr. Peter Paziorek.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Die rot-grüne Bundesregie-rung will den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung derKernenergie. Heute wird aber wieder deutlich: Sie weißüberhaupt nicht, wie sie es machen soll, wie sie diesenAusstieg gestalten soll. Je länger die Ausstiegsdiskussi-on bei Ihnen dauert, umso verkrampfter wird die Dis-kussion. Das haben wir auch heute wieder bei der Ein-lassung des Bundeswirtschaftsministers Müller in Formeiniger rechtlich doch sicherlich zweifelhafter und be-Monika Ganseforth
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denklicher Ausführungen zu Möglichkeiten einer Nadel-stichpolitik erlebt.
Da hätte ich mir ein ganz anderes Wort des Bundeswirt-schaftsministers gewünscht, nämlich eine klare Abgren-zung von einer Nadelstichpolitik, die sicherlich von rot-grünen Landesregierungen immer wieder betriebenwird. Danach äußerte Bundesumweltminister Trittin: Ge-hen Sie davon aus, die Konsensgespräche stehen vor ei-nem guten Ende und vor dem Abschluss; damit stehenwir auch kurz vor dem Ausstieg. – Das kann ja nurwohlwollend als das Rufen eines kleinen Jungen imUmwelt- und Wirtschaftswald verstanden werden. Siewissen ganz genau, dass sich die Situation anders verhältund der Gesprächsstand gar nicht so ist, wie Sie es dar-gestellt haben. Dennoch tun Sie so, als ob wir ein Stück-chen weiter wären. Die Antwort darauf, warum Sie dastun, ist doch ganz eindeutig: Ihnen steht ein wichtigerParteitag bevor. Würden Sie hier erklären, wie die Situa-tion wirklich aussieht, dann hätten Sie auf Ihrem Partei-tag gewaltige Diskussionen.
Weil Sie das nicht wollen, es vielmehr sogar fürchtenmüssen, gehen Sie hin und reden den jetzigen Stand derEnergiegespräche schön. Das halte ich nicht für richtig.Es ist heute sicherlich deutlich geworden, dass Sie damitauf dem falschen Weg sind.
Dass Sie, Herr Berg, dann hier, um über die Zeit zukommen, mit schönen Worten über die Frage der so ge-nannten Streitkultur reden, das kann ich ja akzeptieren.Nur muss jeder wissen, dass ein Streit nur dann gerecht-fertigt ist, wenn er von der Verfassung als der Grundlageeiner solchen Diskussion ausgeht. Es wird dabei deut-lich, dass Sie kein Konzept haben, um einen Ausstieg inDeutschland tatsächlich verfassungsrechtlich sauber zugestalten. Darüber gibt es politischen Dissens und mankann ja wohl sagen, dass Minister Müller und MinisterTrittin nicht wissen, wie man es tun soll. Sie, Frau Hustedt – Sie haben ja gerade die ganzeZeit dazwischen gerufen –, werden, nachdem der Miss-stand von Nichtabstimmung in der Regierung so deut-lich wurde, vorgeschickt, um in irgendwelchen Zei-tungsinterviews wieder einmal für die Verunsicherungder eigenen Basis zu sorgen und davon abzulenken, dasses in der rot-grünen Bundesregierung keinen Konsens indieser Frage gibt. Das tut mir einfach Leid.
Sie sagen in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage derOpposition auf Seite 4, Herr Minister – ich zitiere Sienur –: Sollte eine Vereinbarung nicht gelingen, so wirdder Ausstieg aus der Kernenergienutzung gesetzlichso geregelt werden, dass keine Entschädigungsan-sprüche entstehen. Ich fordere Sie auf, es doch endlich so zu machen. Wa-rum haben Sie heute nicht einen verfassungsrechtlichsauberen Weg aufgezeigt, wie das geschehen kann? Wa-rum tun Sie es denn heute nicht, wo Sie doch durch Par-teitagsbeschlüsse auf diesen Weg verpflichtet sind? Ichglaube, Sie haben kein Konzept. Deshalb haben Sie esheute hier auch nicht vorgetragen. Denken Sie bei all Ihren Ausführungen bis zu IhremParteitag daran: Auch die Betreiber von kerntechnischenAnlagen sind Träger von Grundrechten. Wenn Sie einegesetzliche Auslaufsfrist bei Genehmigungstatbeständenkonstruieren wollen, für die bisher eine unbefristete Ge-nehmigung erteilt worden ist, dann greifen Sie zum Bei-spiel in die Berufsfreiheit und in Eigentumspositionenein. Sie müssen dabei klar und deutlich sagen, wo derUnterschied zu einem enteignungsgleichen Eingriff istund wie es sich mit der Sozialpflichtigkeit des Eigen-tums verhält. Das ist eine spannende Frage in der Dis-kussion. Sie alle vom Regierungslager haben heute diesespannende Frage nicht beantwortet. Sie, liebe Frau Kollegin Hustedt, rekurrierten heuteauf einen Verfassungsrechtler, auf den Herrn ProfessorDenninger, der trotz heftiger Kritik seiner Kollegen ge-sagt hat, man könne die Laufzeit von Kraftwerken ver-kürzen, wenn es um das Gemeinwohl geht. Ich bin derAnsicht, dass er sich damit gewaltig weit vorgewagt hat.Es ist doch spannend zu hören, wo die Grenze zwischenGemeinwohl und verfassungsrechtlichem Schutz vonEigentum und Berufsfreiheit liegt. Dazu haben Sie hierheute nichts gesagt.
Ich weiß ganz genau, dass Sie dazu nichts sagen können,weil nämlich die Verfassung es höchstwahrscheinlichnicht zulässt, einen Weg zu beschreiten, wie Sie ihnvorhaben. Ihr Schweigen im Walde war heute ein Knei-fen.
Sie wissen genau, wo die Kritikpunkte liegen. Sie ha-ben versucht herumzureden. Das ist der Vorteil dieserAktuellen Stunde, dass deutlich geworden ist, wo dieSchwachstellen bei Ihrer Ausstiegsdiskussion tatsächlichliegen.
Ganz zum Schluss: Sie sind nicht nur in verfassungs-rechtlichen Fragen konzeptionslos. Auf unsere Frage inder Großen Anfrage hinsichtlich eines Risikovergleichszwischen den verschiedenen Energieträgern haben Sieeinfach nur lapidar mit zwei Sätzen geantwortet und ge-sagt: Es könne bei der Frage der Energiegewinnungdurchaus auf die verschiedenen wissenschaftlichen Risi-kovergleiche zurückgegriffen werden, aber diese seiennur begrenzt miteinander vergleichbar, und deshalb seiDr. Peter Paziorek
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das nur ein Gesichtspunkt unter mehreren. Sie wolltenalso bei dieser Großen Anfrage nicht darauf antworten,welche unterschiedlichen Risiken vorliegen; wahr-scheinlich haben Sie die ganze Diskussion beim Club ofRome überhaupt nicht mitbekommen. Was passiert dennbei der CO2-Diskussion? Da gibt es doch schon Ver-gleichsmaßstäbe. In Ihrer Antwort auf die Große Anfra-ge erklären Sie jedoch, Sie wollten dazu nichts sagen.Sie tauchen weg, weil Sie nicht wollen, dass über diesePunkte rational diskutiert wird: weder beim Klimaschutznoch bei der verfassungsrechtlichen Diskussion. Des-halb sage ich: Diese Aktuelle Stunde war sinnvoll, denndie Schwächen Ihrer Ausstiegspolitik sind deutlich ge-worden.
Die Aktuelle Stunde
ist allerdings noch nicht zu Ende. Deswegen gebe ich
jetzt der Kollegin Dr. Margrit Wetzel für die SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Es ist richtig schön, dass ich nochGelegenheit habe, ein bisschen nachzufragen, auchwenn es keine Antworten mehr geben mag. Frau Wöhrl,Sie haben gesagt, ein Konsens sei überhaupt nicht zu se-hen. Ich habe bei Ihren Ausführungen wirklich gut zu-gehört; aber ich kann beim besten Willen nicht erken-nen, wovon sie geleitet waren, weil Sie uns keinen ein-zigen Grund für Ihre Behauptungen genannt haben. Ichmuss also annehmen, dass es sich bei Ihnen um selektiveWahrnehmung und reines Wunschdenken handelte, wel-che überhaupt zu dieser Aktuellen Stunde geführt haben.Herr Gehb, mein Vorredner hat eben leider schon inBezug auf andere Redner ein paarmal den Wald bemüht.Ihr Beitrag ist mir wirklich wie das Brüllen im Waldvorgekommen, das die bösen Geister verscheuchen soll.
Ich kann Ihren Beitrag nur so interpretieren, dass SieAngst davor haben, dass der Konsens näher rückt. Dasses angesichts der unterschiedlichen Positionen, die eshier einander anzugleichen und zu einem Konsens zuführen gilt, ein sehr schwieriger Weg ist, ist doch völligklar. Dass dieser schwierige Weg Zeit braucht, ist auchklar. Nur sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass unserepolitischen Ziele von Anfang an bis heute unverrückbarwaren: Wir wollen einen Umbau der Energieversorgung,wir wollen eine Neuordnung der Entsorgung und wirwollen die Chancen neuer Energietechnologien nutzen.Das alles wollen wir zusammen mit den Energieversor-gungsunternehmen, den Kraftwerksbetreibern erreichen.Es handelt sich doch auch für die Kraftwerksbetreiberlängst nicht mehr um eine energiepolitische Frage, son-dern es geht eindeutig nur noch um die Regelung be-triebswirtschaftlicher Fragen. Es geht um die Restnut-zung des investierten Kapitals und den Aktionären gehtes um eine anständige Gewinnmarge. Uns ist also völligklar, dass wir es im Moment mit einem Pokerspiel zutun haben.Für die Restnutzung des investierten Kapitals wird esnatürlich einen Vertrauensschutz geben. Das ist verfas-sungsrechtlich geboten. Gleichwohl dürfen Sie nicht da-von ablenken, dass gerade das neue Angebot des Bun-deskanzlers an die Energieversorger, die 30 Jahre Rest-laufzeit, über die es bei uns einen Konsens gibt, inStrommengen umzurechnen, den Energieversorgern jeneFlexibilität bietet, die sie benötigen, um sich aktiv in denGestaltungsprozess einbringen können, bei dem es da-rum gehen wird, wie die Energietechnologie später ver-nünftig genutzt werden soll. Diese Möglichkeit habensie: Sie können ökonomische Fragen einbringen, siekönnen mit uns gemeinsam Standortkonzepte entwi-ckeln, sie können langfristig auch etwas für die Arbeits-plätze tun. Dann geht es nicht mehr nur um die techni-sche Lebensdauer einzelner Kraftwerke. An den Stand-orten der Kraftwerke, die kurz vor dem technischen En-de sind, wird das bereits sehr wohl diskutiert. Dort wer-den auch den Energieversorgern Fragen gestellt, die sienicht mehr beantworten. Deshalb ist es wichtig, sich inden Konsensgesprächen darauf zu besinnen, dass esauch um die Akzeptanz bei der Bevölkerung geht, dieübrigens unsere politischen Ziele mit einer großenMehrheit teilt. Wir befinden uns nämlich im Konsensmit der Bevölkerung. Das ist auch für die Kraftwerks-betreiber wichtig.Solange es Arbeitsgruppen zwischen Regierung undStromwirtschaft gibt, in denen zum Beispiel überlegtwird, wie man Strommengen festlegen und auf dieKernkraftwerke verteilen kann, sind beide Seiten kon-sensfähig. Ich weiß überhaupt nicht, was Sie daran in-frage stellen wollen.Ein letztes Wort noch zu den Instrumenten, weil Siemehrfach gefragt haben, warum wir kein Ausstiegsge-setz vorlegen. Angesichts der grundsätzlichen Umorien-tierung in der Energiepolitik ist es doch wichtig, sich umeinen Konsens mit den Energieversorgungsunternehmenzu bemühen, solange er mit den gesellschaftspolitischenErfordernissen irgendwie verträglich ist.
Es ist ganz wichtig –das ist einfach so –, dass die Regie-rung und die Koalitionsfraktionen diesen Konsens errei-chen. Wir werden an dieser Stelle nicht nachlassen, unsdarum zu bemühen. Sie können noch so viel predigen,dass der Konsens vor dem Aus stehe: Er ist es nicht.Es ist überhaupt keine Frage, dass der Ausstiegkommen wird. Die Kraftwerksbetreiber sind herzlich zuden Gesprächen eingeladen. Sie sollten die Chance nut-zen, an einem neuen, zukunftsfähigen Energiekonzeptmitzuarbeiten. Es geht darum, die Produktion von Ener-gie, auch die von Prozessenergie, in Deutschland auchzukünftig zu sichern. Dies muss im Konsens zwischenRegierung und Arbeitnehmern wie auch Arbeitgebern,also den Betreibern, erreicht werden.Dr. Peter Paziorek
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Februar 2000 8271
(C) Am Schluss dieser Aktuellen Stunde – jetzt ist sie
tatsächlich zu Ende – kann ich der Regierung nur vielErfolg auf dem Weg zum Konsens wünschen. Ich hoffe,dass er in möglichst naher Zukunft erreicht wird.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind
damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages ein auf morgen, Donnerstag, den 24. Februar
2000, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.