Gesamtes Protokol
Guten
Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/2664 –
Wir beginnen die Fragestunde mit dem Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur
Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Brigitte Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting auf:
In welcher Form bestehen personelle und inhaltliche Über-schneidungen zwischen der am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik eingerichteten Kommission „Eu-ropäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ und der vom Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, berufenen Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bun-deswehr”?
Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
B
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Nolting,
auf Ihre Frage möchte ich in folgender Weise antworten:
Sie als Mitglied des Verteidigungsausschusses wissen
natürlich, dass Bundesminister Scharping die Kommis-
sion „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundes-
wehr“ unter Leitung des früheren Bundespräsidenten
Dr. Richard von Weizsäcker im Mai 1999 eingesetzt hat.
Grundlage für die Einsetzung dieser Kommission waren
die aktualisierte Risikoanalyse und die vom Führungs-
stab der Streitkräfte, aber auch von den zivilen Mitarbei-
tern erarbeitete Bestandsaufnahme der Bundeswehr, die
uns seit März 1999 vorliegen.
Ziel der Kommission, die der Bundesminister einge-
setzt hat, ist, uns, dem Parlament, der Bundesregierung
und dem Bundesminister, vor allen Dingen Optionen für
eine künftige Bundeswehrstruktur vorzulegen. Die Mit-
glieder der Kommission repräsentieren ein Spektrum po-
litischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Berei-
che. Die Kommission hat vor, im Mai 2000 Empfehlun-
gen vorzulegen. Sie arbeitet völlig unabhängig.
Die seit Dezember 1999 am Institut für Friedensfor-
schung und Sicherheitspolitik an der Universität Ham-
burg eingerichtete Kommission „Europäische Sicherheit
und Zukunft der Bundeswehr“ geht nach meiner Infor-
mation auf Initiative des Institutsleiters Professor Dr.
Lutz zurück. Nach meinem Wissen besteht keine perso-
nelle Überschneidung zwischen beiden Kommissionen.
Das Institut – es ist ja eine Landeseinrichtung – arbeitet
selbstständig und wird vom Bundesminister der Vertei-
digung auch finanziell nicht unterstützt. Inhaltliche
Überschneidungen sind natürlich aufgrund ähnlicher
Aufgabenstellungen nicht auszuschließen, aber von uns
in keiner Weise beabsichtigt.
Zusatz-
fragen, Herr Kollege Nolting?
Ja. – Frau
Staatssekretärin, welchen Sinn sehen Sie darin, dass es
jetzt mehrere Kommissionen gibt, die inhaltlich doch
ähnlich arbeiten, und beabsichtigt das Verteidigungsmi-
nisterium, die Ergebnisse des Instituts in irgendeiner
Form auch auszuwerten?
B
Kollege Nolting, wenn ichrichtig unterrichtet bin, ist nicht nur das wissenschaftli-che Institut daran beteiligt; vielmehr hat auch der Deut-sche Bundeswehr-Verband eine Kommission gebildet.Er hat Sie und andere als Sachverständige befragt. Ichhalte es angesichts der so wichtigen Frage, wie dieStruktur der Bundeswehr verändert werden soll, imPrinzip für sinnvoll, dass uns möglichst viel Sachver-stand zur Verfügung gestellt wird.Aber auch ich war ganz überrascht: Erst aufgrund Ih-rer Frage bin ich überhaupt in Kenntnis gesetzt worden.Ich wusste bis dahin gar nicht – deswegen herzlichenDank –, dass es eine solche Einrichtung gab und wer
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7914 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
sich an ihr beteiligt. Warum sollen wir nicht durch Leuteklüger werden, die uns ein intelligentes Papier vorlegen?
Eine
weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Nolting.
Aber, Frau
Staatssekretärin, sehen Sie nicht wie ich das Problem,
dass dieses Institut die Kommission – um das vorsichtig
zu formulieren – politisch sehr einseitig ausgerichtet be-
setzt hat?
B
Auch ich habe mir meine
Gedanken gemacht, als ich die Zusammensetzung der
Kommission zur Kenntnis genommen habe. Aber ich
muss an Sie appellieren: Wenn Vertreter der Bundes-
wehruniversität dabei sind, die nicht wir, sondern die
Vorgängerregierung berufen hat, wenn Fachleute dabei
sind, dann kann ich nicht von vornherein den Eindruck
haben, dass die Kommission einseitig besetzt worden ist.
Wir werden ja sehen, welche Ergebnisse sie vorlegt,
Herr Kollege Nolting.
Gibt es
weitere Fragen zu diesem Komplex? – Das ist nicht der
Fall. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Gesundheit. Die Fragen 2 und 3 werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Christine
Ostrowski auf:
Aus welchen Haushaltsmitteln wird die Bundesregierung die Umsetzung des Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes vom 22. Dezember 1999, namentlich des § 34, der die generelle Erstattung von 50 Prozent der Wohngeldkosten vom Bund an die Länder vorschreibt, realisieren, da diese Mittel im Haus-haltsgesetz 2000 ursprünglich weder vorgesehen noch einge-plant waren?
Herr Großmann, bitte.
A
Frau Kollegin Ostrowski, es ist beabsichtigt, den zusätz-
lichen Ausgabebedarf unter den Voraussetzungen des
Art. 112 GG überplanmäßig bereitzustellen. Dabei wer-
den alle Einspar- und Entlastungsmöglichkeiten im
Rahmen der Fortsetzung des Kurses der strikten Haus-
haltsdisziplin zur Deckung dieser zusätzlichen Ausgaben
eingesetzt.
Insgesamt können die Zusatzbelastungen nach derzei-
tiger Einschätzung im Rahmen der veranschlagten Net-
tokreditaufnahme aufgefangen werden. Dies wurde be-
reits in der letzten Sitzungswoche während der Sitzung
des Haushaltsausschusses ausführlich dargelegt.
Eine Zu-
satzfrage, Frau Kollegin Ostrowski, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ei-
gentlich habe ich zwei Zusatzfragen. Die erste Zusatz-
frage möchte ich stellen, weil mich etwas beunruhigt.
Vor der Entscheidung im Bundesrat war die Bundes-
regierung nicht bereit, die Kosten, die zulasten der
Kommunen und letzten Endes zulasten der Empfänger
von Pauschalwohngeld – also zulasten der Schwächsten
der Schwachen – gehen sollen, selbst zu übernehmen.
Sie wollte sie den Kommunen aufdrücken. Nun ist die
Sache durch die formalen gesetzlichen Regelungen an-
ders gekommen. Die Bundesregierung muss nun das
Geld bereitstellen, weil es nicht anders geht.
Mich interessiert, ob die Bundesregierung inhaltlich
noch den gleichen Standpunkt wie vor der Entscheidung
des Bundesrats einnimmt. Folgte sie nur den formalen
Zwängen oder betrachtet sie die ursprünglich beabsich-
tigte Verlagerung heute vielleicht aus einem anderen
Blickwinkel?
Herr
Staatssekretär, bitte schön.
A
Frau Kollegin Ostrowski, Sie wissen, dass wir ord-
nungspolitisch sehr viel Zustimmung zu diesem Plan
bekommen haben, weil es Sinn macht, die Zahlung des
bisherigen pauschalierten Wohngeldes, das es in dieser
Form jetzt nicht mehr gibt – es ist in das Tabellenwohn-
geld integriert worden –, an diejenigen Gebietskörper-
schaften, die für die Sozialhilfe zuständig sind, an-
zugliedern. Wir haben dafür viel Zustimmung bekom-
men. Das heißt, inhaltlich gibt es nichts zu revidieren.
Gleichzeitig müssen wir das umsetzen, was der Vermitt-
lungsausschuss und im Anschluss daran der Deutsche
Bundestag beschlossen haben. Das tun wir.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Meine zweite Zusatz-
frage: Stimmen Sie mir zu, dass Ihr Anteil am zukünfti-
gen Mietzuschuss für Sozialhilfeempfänger und Emp-
fänger von Kriegsopferfürsorge tendenziell sinken wird,
da die Sozialhilfeempfänger zukünftig rechtlich anders
eingeordnet sind und da ihr Mietzuschuss mittel- und
längerfristig nicht mehr so wie bisher mitwächst?
HerrStaatssekretär.Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7915
A
Dieser Interpretation kann ich nicht zustimmen. Über
das Tabellenwohngeld wird ein Teil der Sozialhilfe, der
Wohnkosten betrifft, geleistet; der andere Teil wird von
der Kommune übernommen. Das heißt, es werden alle
für einen Sozialhilfeempfängerhaushalt notwendigen
Mittel gewährt. Verschiebungen gibt es nur in der Frage,
wer was bezahlt. Aber beim Empfänger kommt es nicht
zu Verschlechterungen.
Es gibt
eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Seifert. Bitte
schön, Herr Seifert.
Herr Staatssekretär Groß-
mann, ich komme auf Ihre erste Antwort zurück. Sie ha-
ben gesagt, dass die Kostenübernahme im Rahmen der
vorgesehenen Nettokreditaufnahme möglich ist. Halten
Sie es nicht für ein bisschen unseriös, ein Gesetz zu ma-
chen und überhaupt keine Kosten einzuplanen, obwohl
man zumindest damit rechnen muss, dass die Kosten
möglicherweise auf einen selber zukommen? Kann man
vielleicht davon ausgehen, dass solche Pannen in Zu-
kunft nicht wieder passieren?
Herr
Staatssekretär.
A
Sie
wissen, dass wir es parallel mit zwei Diskussionen zu
tun hatten. Wir mussten einmal die Haushaltsberatungen
abschließen und dann das Haushaltsstrukturgesetz ver-
abschieden. Im Rahmen der Haushaltsberatungen hat
das Parlament – es ist zuständig für die Festsetzungen
von Ausgaben und Einnahmen – beschlossen, diese
Ausgabe nicht zu etatisieren, da sie eingespart werden
sollte. Von daher ist die Regierung nicht der richtige
Adressat für Ihre Frage.
Gibt es
weitere Fragen zu dem Komplex? – Das ist nicht der
Fall. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Ulrich
Heinrich auf:
Können die von der EU-Kommission für Deutschland be-reitgestellten 33 Milliarden Euro Strukturfördermittel im Rah-men der EU-Naturschutzrichtlinie gesperrt werden, nach-dem der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit, Jürgen Trittin, bei einer nicht fristgemäßen Meldung der Flächen vor einer Auszahlungssperre gewarnt hat und nun eine zweimonatige Frist zur Meldung der Flächen einräumt, ob-wohl die Bundesregierung eine generelle Verweigerung der Zah-lungen, auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der F.D.P. hin (Drucksache 14/2069), als rechtlich fragwürdig eingestuft hat (Antwort: Drucksache 14/2286)?
Frau Altmann, bitte schön.
Gi
Herr Kollege Heinrich, Ihre Frage nach den EU-
Mitteln beantworte ich wie folgt: Wie in der Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der F.D.P. vom
November 1999 dargestellt, wird eine verspätete Über-
sendung der Gebietsmeldungen nicht zum endgültigen
Verlust der EU-Strukturfördermittel führen. Dagegen ist
eine Verzögerung der Programmgenehmigung und da-
mit der Auszahlung dieser Mittel durch die EU nicht
auszuschließen.
Zusatz-
frage, Kollege Heinrich? – Bitte schön.
Wie kommt die Bundesre-
gierung – in diesem Fall Herr Minister Trittin – dazu,
zwei völlig unabhängig voneinander zu betrachtende
Sachverhalte in dieser Art und Weise zu vermischen?
Strukturfördermittel hängen ja bekanntlich mit der Aus-
weisung der FFH-Gebiete nicht in der Form zusammen,
wie sie hier zusammengemengt werden. Eine entspre-
chende Reaktion ist in dieser Form eigentlich überhaupt
nicht zulässig.
Gi
Herr Kollege, ich habe hier nur auf den Sachverhalt
einzugehen und ihn zu klären. Insofern kann ich Ihnen
über das, was ich Ihnen gerade geantwortet habe, und
über die ausführliche Darstellung in der Antwort auf die
Kleine Anfrage hinaus nur sagen, dass vonseiten des
Bundesministeriums größte Anstrengungen unternom-
men werden, damit die Länder ihrer Pflicht nachkom-
men und Gebietsmeldungen bzw. Vorklärungen vor-
nehmen. Nur das ist sachlich festzustellen. Alles Weitere
sind Interpretationen Ihrerseits.
Eine
weitere Zusatzfrage, Kollege Heinrich?
Ich nehme an, dass die
Fragestunde auch dazu da ist, um etwas tiefer in den
Sachverhalt einzusteigen, und nicht ausschließlich dazu
dient, dass die Bundesregierung Fragen mit Ja oder Nein
beantwortet.
Deshalb frage ich noch einmal: Wie kann man Sach-
verhalte, die nicht zusammengehören und erhebliche fi-
nanzielle Auswirkungen und Konsequenzen nach sich
ziehen, zusammenmischen, da dadurch die Länder ihre
Strukturmittel eventuell verzögert erhalten oder diese
ihnen gegebenenfalls sogar völlig gestrichen werden?
Gi
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass Sie
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7916 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
hier ein Problem anschneiden, das von Brüssel aufge-worfen wurde. Das heißt, es handelt sich um eine EU-Angelegenheit. Das Bundesumweltministerium küm-mert sich im Benehmen mit den Ländern intensivst dar-um, die befürchteten Folgen, nämlich das Zurückhaltenvon Strukturmitteln, zu verhindern, und hat deshalb seitMitte des Jahres 1999, unter anderem mit Schreibenvom 23. Juni von den zuständigen EU-Kommissaren, al-les unternommen, um die fehlenden Unterlagen undMeldungen aus den Ländern, zum Beispiel noch nichtausgefüllte Standardbögen, beizubringen. Ich denke, esist wichtig, dafür zu sorgen, dass die Länder demschnellstens nachkommen. Es besteht ja großer Nach-holbedarf für Deutschland, denn alle anderen Länderhaben ihre Gebiete für den Entwurf der Gemeinschafts-liste schon vorgelegt.
Eine
weitere Frage der Kollegin Ostrowski.
Frau Staatssekretärin,
auch ich kann bestätigen, dass es sich um eine EU-
Angelegenheit handelt. Im Übrigen war diese Tatsache
schon zu Zeiten der alten Bundesregierung bekannt.
Mich würde der Stand der Ausweisung der Natur-
schutzgebiete, bezogen auf die einzelnen Länder, inte-
ressieren. Können Sie den hier nennen?
Gi
Ja. Seit November 1999 hat es eine Verbesserung
der Datenlage gegeben. Die letzte Erhebung stammt
vom 9. Februar dieses Jahres. Danach sind uns 1 586
Gebiete – das entspricht 3,2 Prozent der Landesfläche –
gemeldet, von denen bereits 1 120 Gebiete an die EU
weitergemeldet sind.
Weitere
Fragen? – Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwor-
tung steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-
Michael Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 6 des Abgeordneten Joa-
chim Schmidt auf:
Kommen bei der Initiative „Innovative Impulse für die Regi-on“ insgesamt die üblichen Verwaltungs-vorschriften des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hinsichtlich der Vergabe der Fördermittel zur Anwen-dung und müssen die an den Projekten beteiligten Praxis-Kooperationspartner Anteile an die beteiligten Universitäten, die bereits mit 100 Prozent gefördert werden, abführen, obwohl sie ihren Eigenanteil gemäß Förderrichtlinie des BMBF in Höhe von 50 Prozent tragen?
W
Lie-
ber Kollege Schmidt, zu Ihrer Frage nach Verfahrens-
vorschriften für die Initiative Inno-Regio teile ich Ihnen
mit, dass für diese Initiative die üblichen Verfahrensvor-
schriften zur Projektförderung des BMBF gelten. Den
Zuwendungsbescheiden werden folgende Nebenbe-
stimmungen zugrunde gelegt: für Zuwendungen auf
Ausgabenbasis die Allgemeinen Nebenbestimmungen
für Zuwendungen zu Projektförderungen in Verbindung
mit den Besonderen Nebenbestimmungen des BMBF,
für Zuwendungen auf Kostenbasis die Nebenbestim-
mungen für Zuwendungen auf Kostenbasis des BMBF
an Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft für For-
schungs- und Entwicklungsvorhaben sowie gegebenen-
falls für Zuwendungen an Einrichtungen der Fraunhofer
Gesellschaft und die Helmholtz-Zentren jeweils spezifi-
sche Nebenbestimmungen.
Bei Projekten von Hochschulen als Verbundpartner
können bis zu 100 Prozent der zusätzlichen Ausgaben,
also über die Infrastruktur der Hochschulen hinausge-
henden Projektausgaben, gefördert werden. Die finan-
zielle Beteiligung eines Industriepartners ist möglich,
wird aber nicht verlangt.
Herr
Schmidt, eine Zusatzfrage?
Dr.-Ing. Joachim Schmidt (CDU/
CSU): Ja. – Herr Staatssekretär, die Partner im Inno-
Regio-Programm, insbesondere die industriellen Partner,
zeichnen sich durch eine große Eigenkapitalschwäche
aus. Ihnen allen wird es schwer fallen, die entsprechen-
den finanziellen Eigenanteile aufzubringen. Welche
Vorstellungen hat die Bundesregierung im Hinblick auf
Umfang und Art von Selbstbeteiligungen der entspre-
chenden Inno-Regio-Partner?
W
Sie
verstehen, dass ich zu diesem Zeitpunkt darüber keine
pauschalen Aussagen machen kann. Ich glaube, es ist
richtig, dass wir zunächst die eingehenden Projektanträ-
ge, die ab Juni in die Bewertung gehen, prüfen und uns
dann die konkrete Frage stellen, ob und in welcher Wei-
se wir von den allgemein gültigen Regeln abgehen kön-
nen, was die Förderung von Forschungsvorhaben im
Verbund von Industrie und öffentlichen Forschungsein-
richtungen angeht.
Ich kann hier keine Versprechungen machen, stimme
Ihnen aber grundsätzlich zu, dass bei der Ausschöpfung
der Innovationspotenziale durch diese Projekte darauf
geachtet werden muss, dass wir hier nicht Hürden auf-
bauen, die womöglich den entgegengesetzten Effekt ha-
ben könnten.
Eineweitere Zusatzfrage, Herr Schmidt? – Bitte schön.Dr.-Ing. Joachim Schmidt
: Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen,
Parl. Staatssekretärin Gila Altmann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7917
dass zumindest an die Einrichtung eines Inno-Regio-Fonds gedacht ist?W
Abs-
trakt kann ich bestätigen, dass darüber nachgedacht
wird, unabhängig davon, wer dann Träger eines solchen
Fonds sein könnte.
Wenn es
keine weiteren Zusatzfragen gibt, kommen wir zur Fra-
ge 7 des Kollegen Schmidt:
Welche Vorstellungen hat das BMBF für die Arbeit der Ko-ordinierungsbüros ab 1. Juli 2000 bis zum Beginn der Phase 3 , insbesondere wenn keine Projektförderung über andere Förderschienen möglich ist, und wie erfolgt dann die Vergütung des Projektmanagements für die gesamte Phase 3?
W
Auf
diese Frage kann ich Ihnen mitteilen, dass sich der För-
derzeitraum der Phase 2 von Inno-Regio, der Entwick-
lungsphase, bis zum 31. Oktober 2000, also über den
Zeitpunkt der Abgabe des Umsetzungskonzeptes der re-
gionalen Initiativen am 30. Juni 2000 hinaus, erstreckt.
Damit sind sowohl die Finanzierung von Ausgaben und
Kosten der Inno-Regio-Projekte in Vorbereitung der
Präsentations- und Prämierungsveranstaltung im Herbst
2000 als auch ein nahtloser Übergang in Phase 3, der
Umsetzungsphase, im Falle des endgültigen Erfolgs der
jeweiligen Initiative sichergestellt. Diese Förderung ist
bekanntermaßen auf maximal 300 000 DM begrenzt.
Sollten die Projekte einer Region sowie ihr regionales
Management von der Inno-Regio-Jury am Ende der Pha-
se 2 zur Förderung empfohlen werden, besteht dann die
Möglichkeit der zweijährigen Anschubfinanzierung ei-
ner entsprechenden Managementstruktur zu 100 Prozent
der zuwendungsfähigen Ausgaben, sofern es sich hierbei
nicht um ein Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft
handelt. Danach können hierfür im Rahmen einer An-
schlussförderung Zuwendungen mit einer Eigenbeteili-
gung oder einer zusätzlichen Bereitstellung von Leis-
tungen Dritter bewilligt werden.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Schmidt.
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
: Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig
verstanden, dass es zwischen Juli 2000 und Okto-
ber 2000 im Hinblick auf die Finanzierung der Koordi-
natoren und der jetzt eingerichteten Verwaltungsbüros
zu keinem Förderloch kommen wird?
W
Ja,
davon geht unser Konzept aus. Ich glaube, dass wir die-
sen Punkt hinsichtlich der Umsetzung garantieren kön-
nen.
Weitere
Zusatzfrage.
Dr.-Ing. Joachim Schmidt (CDU/
CSU): In der derzeit laufenden Phase 2 beschäftigen
sich die Inno-Regio-Teams unter anderem mit der Kon-
zipierung virtueller Unternehmen, aus denen in Phase 3
irgendwann einmal reale Unternehmen werden sollen.
Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dieser Art
von Unternehmen im Hinblick auf die Erreichung der
Phase 3 zu?
W
Sie
wissen, dass es bei der endgültigen Entscheidung der Ju-
ry eine Reihe von Gesichtspunkten geben wird. Ich wür-
de es an dieser Stelle nicht für klug halten, die Bedeu-
tung eines Faktors gegenüber anderen Faktoren in be-
sonderer Weise zu gewichten. Deshalb will ich mich
heute aus verständlichen Gründen damit begnügen, zu
sagen, dass dies ein wichtiger Baustein des Konzepts ist.
Konkreter möchte ich aber heute nicht werden.
Es gibt
keine weiteren Fragen zu diesem Komplex. Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanz-
leramtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Hans Martin Bury zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Jürgen
Koppelin auf:
Trifft es zu, dass ein jetziges Mitglied der Bundesregierung vor seinem Eintritt in die Bundesregierung stellvertretender Vor-sitzender im Aufsichtsrat der Thyssen AG war, und wenn ja, wer ist es?
Herr Bury, bitte.
H
Herr Kollege Koppelin, die Namen der jeweili-
gen Mitglieder des Aufsichtsrates können Sie aus den
veröffentlichten Geschäftsberichten ersehen. Daraus er-
gibt sich, dass der heutige Bundesminister für Arbeit
und Sozialordnung, Walter Riester, vor seinem Eintritt
in die Bundesregierung stellvertretender Vorsitzender im
Aufsichtsrat der Thyssen AG war.
Zusatz-
frage, Herr Koppelin.
Wenn ich diese Antwortrichtig werte und auch noch feststelle, dass der inzwi-schen zurückgetretene Finanzminister des Landes NRW,Herr Schleußer, ebenfalls Mitglied des Aufsichtsratesder Thyssen AG war, muss ich fragen: Kann man dieBehauptung weiter aufrechterhalten – durch Thyssen istja die Panzerlieferung an Saudi-Arabien erfolgt –, dassdie Sozialdemokraten von diesen Lieferungen an Saudi-Dr.-Ing. Joachim Schmidt
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7918 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Arabien nichts gewusst haben? Wenn ich – auch Siewissen das – die Schmiergeldzahlung von 240 Millio-nen DM zur Kenntnis nehme, dann muss ich weiterhinfragen, ob Sie ausschließen können, dass der damaligestellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende, also der jetzi-ge Bundesminister Riester, von dieser Schmiergeldzah-lung nichts gewusst hat.H
Herr Kollege Koppelin, ich habe keinen Anlass,
daran zu zweifeln, dass die Mitglieder des Aufsichtsra-
tes der Thyssen AG ihren gesetzmäßigen Pflichten
nachgekommen sind.
Weitere
Zusatzfrage, Herr Koppelin.
Herr Staatsminister, sind
Sie bereit – ich bitte Sie, bei Ihrem Kollegen Riester
nachzufragen –, mir schriftlich mitzuteilen, inwieweit er
von diesen Vorgängen gewusst hat?
H
Ihre Frage bezieht sich auf die Zeit, in der der
Kollege Riester eine andere Tätigkeit ausgeübt hat und
in der er nicht Mitglied der Bundesregierung war. Sie
können ihn selbstverständlich zu seiner früheren Tätig-
keit befragen. Ich sehe aber keinen Anlass, diese Frage
zum Gegenstand der Erörterungen innerhalb der Bun-
desregierung oder hier im Parlament zu machen.
Gibt es
weitere Fragen zu diesem Komplex? – Das ist nicht der
Fall. Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amtes.
Die Fragen 9 und 10 werden schriftlich beantwortet.
Ich höre, dass der Bundesaußenminister die folgen-
den Fragen persönlich beantworten will. – Herr Zöpel,
bitte schön.
D
Herr Bundesminister Fischer will die Öster-
reich betreffenden Fragen persönlich beantworten. Die
anderen drei in Rede stehenden Fragen könnte ich, wenn
Sie erlauben, beantworten.
Gut.
Dann rufe ich jetzt die Frage 11 des Abgeordneten
Günther Friedrich Nolting auf:
In welchem Umfang erhält das „Institut für Friedensfor-schung und Sicherheitspolitik“ der Universität Hamburg nach Kenntnis der Bundesregierung jährlich staatliche Mittel zugewiesen?*)
Herr Staatsminister Zöpel, bitte.
D
Herr Kollege Nolting, das Institut für Frie-
densforschung und Sicherheitspolitik an der Universität
Hamburg erhält keine institutionelle Förderung aus
Bundesmitteln. Es erhält Projektmittel aus Bundesmit-
teln, und zwar aus Mitteln des Auswärtigen Amtes im
Jahre 1999 200 000 DM und im Jahr 2000 400 000 DM.
Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung er-
hält das Institut 406 000 DM für sein Projekt „Frieden
durch Recht“ und vom Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit für Expertisen im Jahre
1999 36 000 DM und im Jahre 2000 voraussichtlich
20 000 DM.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Nolting.
Können Sie
für die Bundesregierung auch auf die Frage eingehen,
wie viel Gelder das Institut für die Kommission be-
kommt, die jetzt eingesetzt wurde und die sich mit der
Thematik der Zukunft der Bundeswehr beschäftigt?
D
Sie werden verzeihen, über die Zahlen hinaus,
die wir – auch durch Rücksprache mit den beteiligten
Ressorts – auf Grund Ihrer Frage aufbereitet haben, sind
mir momentan keine weiteren Zahlen bekannt. Diese zu
nennen ist ohne Vorbereitung auch sicherlich nicht mög-
lich.
Sie können sie
aber nachliefern?
D
Sehr gerne.
Danke schön.
Weitere
Zusatzfragen? – Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Frage 12 der Kollegin Ina Lenke:
Warum wurde nach Presseberichten ein Bittbrief der International Organization for Migration (IOM) seitens der Bundesregierung nicht einmal beantwortet, während die USA die Aufklärungskampagne der IOM in Bos-nien über Zwangsprostitution und die Rückführung von Zwangsprostituierten mit 280 000 Dollar unterstützen?
D
Herr Präsident! Frau Kollegin Lenke, die In-ternational Organization for Migration hat in einemSchreiben vom 15. Juni des vergangenen Jahres über ei-ne geplante Aufklärungskampagne zur Zwangsprostitu-tion in Bosnien und Herzegowina informiert und um fi-nanzielle Beiträge gebeten. Zu diesem Zeitpunkt lag je-Jürgen Koppelin
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7919
doch bereits eine Finanzierungszusage der USA für dasgesamte Projekt in Höhe der auch von Ihnen genannten280 000 Dollar vor, sodass eine weitere Unterstützungnicht erforderlich war.
Zusatz-
frage, Frau Kollegin Lenke.
Wie bewertet die Bundesregie-
rung die Arbeit der Internationalen Organization for
Migration?
D
Angesichts der Tatsache – was ich Ihnen auf
Ihre nächste Frage antworten werde –, dass alle Invol-
vierten an den damit verbundenen Problemen, die
Kriminalitätsprobleme sind, und damit auch an der Prä-
vention solcher Probleme interessiert sind, kann ich
schlussfolgern, dass die Bundesregierung eine derartige
Aufklärung für richtig und notwendig hält. Mir ist ohne
weitere Vorbereitung nicht bekannt, ob sich in der tägli-
chen Praxis dieser Organisation Dinge einstellen, die
nicht gut sind. Also kann ich an dieser Stelle nur sagen:
Von der uns bekannten Intention her beurteilen wir das
als positiv.
Eine
weitere Zusatzfrage, Frau Lenke.
Wenn Sie nun meine zweite
Frage beantworten, möchte ich meine Zusatzfrage später
stellen.
Sie ha-
ben zu jeder Frage zwei Zusatzfragen. – Dann kommen
wir jetzt zur Frage 13 der Frau Kollegin Lenke:
Was unternimmt die Bundesregierung, um deutsche Hilftstruppen über Zwangsprostitution in Bosnien aufzuklären?
Herr Staatssekretär.
D
Herr Präsident! Verehrte Frau Kollegin, die
Bundesregierung beteiligt sich, wie bekannt, in Bosnien-
Herzegowina an friedenserhaltenden Maßnahmen im
Rahmen von SFOR und der International Police Task
Force. Die Soldaten und Offiziere des deutschen SFOR-
Kontingents und die Polizeibeamten des entsprechenden
Kontingents der International Police Task Force werden
während ihrer Ausbildung sowie in speziellen Lehrgän-
gen auf den Einsatz vorbereitet. Bestandteil dieser Aus-
bildung für den Einsatz ist auch die Sensibilisierung für
die Risiken, die im Einsatzgebiet von organisierter Kri-
minalität generell und von Prostitution speziell ausge-
hen, sowie generell eine psychologische Vorbereitung
auf den Einsatz hinsichtlich der zu erwartenden Belas-
tungen.
Die in der genannten Polizeitruppe eingesetzten Be-
amten tragen in Erfüllung ihres Auftrages zudem in Fäl-
len organisierter Kriminalität, zu der auch Zwangsprosti-
tution gehört, zur Ermittlung bei und überwachen die
Ermittlungsarbeit der örtlichen Polizei. Sie verfügen da-
bei allerdings, wie Sie wissen, nicht über exekutive Be-
fugnisse.
Zusatz-
frage, Frau Kollegin Lenke.
Halten Sie diese Maßnahmen für
ausreichend oder für unzureichend, und was wollen Sie
noch zusätzlich machen? Nach meinen Informationen
hat sich an der Sachlage, die in der Zeitschrift „Die Zeit“
beschrieben wurde, bisher noch nichts zum Positiven hin
geändert.
D
Frau Kollegin, um nicht darum herumzureden:
Ihren Hinweis auf diesen Artikel und Ihre Bewertung
der Tatsachen werde ich zum Anlass nehmen, dass sich
das Auswärtige Amt noch einmal durch Rücksprache
mit unseren entsprechenden Vertretern im Lande im De-
tail darüber informiert. Dann werden wir unaufgefordert
darauf zurückkommen. Bei dieser Lage halte ich es nicht
für angemessen, jetzt formal mit Ja oder Nein zu
antworten. Ich glaube, das ist auch nicht Ihr Anliegen.
Vielen Dank.
VielenDank, Herr Staatsminister. Die Fragen, die die Republik Österreich betreffen,will der Außenminister Joseph Fischer selbst beantwor-ten. Er wird etwas später kommen. Deswegen werdenwir zum nächsten Geschäftsbereich übergehen. Ihr Ein-verständnis vorausgesetzt werden wir die Fragen aufru-fen, sobald der Außenminister eingetroffen ist. – Dannkönnen wir so verfahren.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Par-lamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zurVerfügung. Die Frage 20 wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zu den Fragen 21 und 22 des KollegenOtto. Ist er anwesend? – Er ist nicht anwesend. Es wirdverfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Wir kommen zur Frage 23 des Abgeordneten OlafScholz, SPD. Ist er anwesend? – Er ist nicht anwesend.Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorge-sehen. Bei Frage 24 ist es das Gleiche. Entschuldigen Sie, Herr Körper, die Kollegen warennicht anwesend.
Staatsminister Dr. Christoph Zöpel
Metadaten/Kopzeile:
7920 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Sie haben sich umsonst hierher bemüht. Vielen Dank. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht dieParlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendrickszur Verfügung. Wir kommen zur Frage 25 des Abgeordneten KlausHoletschek von der CDU/CSU-Fraktion: Teilt die Bundesregierung die von dem britischen Premier-minister Tony Blair vor dem Wirtschaftsforum in Davos am 28. Januar 2000 erhobene Forderung, der Lissaboner Gipfel müsse eine grundlegende Reform der europäischen Sozialpolitik im Hinblick auf den Erhalt der Werte des Europäischen Sozialmo-dells einerseits und eine radikale Anpassung ihrer Anwendung an die moderne Welt andererseits beschließen?Bitte schön, Frau Hendricks. D
Herr Kollege Holetschek,
das Europäische Sozialmodell ist Teil der Werteordnung
der Europäischen Gemeinschaft. Mit ihr haben wir über
Jahrzehnte einen hohen Wohlstand und einen sozi-
alen Frieden erreicht, der auch einen produktiven Faktor
für die europäische Wirtschaftskraft bildet. Gleichzeitig
aber müssen die Systeme der sozialen Sicherheit und
des sozialen Schutzes in Europa den veränderten Bedin-
gungen angepasst werden. Die portugiesische Präsident-
schaft hat bereits in ihrem Rahmendokument für die
Sondertagung eine Erneuerung des Europäischen Sozi-
almodells gefordert. Dabei handelt es sich um eine posi-
tive Strategie, die die Schaffung von Beschäftigungs-
möglichkeiten mit den Prinzipien Initiativgeist, Verant-
wortung, soziale Gerechtigkeit und Solidarität verbindet.
Dies unterstützt auch die Bundesregierung.
Zusatz-
frage. Bitte schön.
Frau Staatssekretä-
rin, sehen Sie das Subsidiaritätsprinzip auch in diesem
Bereich weiterhin gewahrt?
D
Ja, Herr Kollege.
Weitere
Zusatzfrage? – Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Frage 26 des Kollegen Holet-
schek:
Wenn ja, in welche Richtung gehen die Vorstellungen der Bundesregierung?
D
Die Bundesregierung un-
terstützt den Einsatz, die Systeme des sozialen Schutzes
durch Konsolidierung ihrer Grundlagen zu modernisie-
ren und beschäftigungsfreundlicher auszugestalten. Die
Bundesregierung ist der Auffassung, dass sich die Sys-
teme der sozialen Sicherung in Europa in Veränderun-
gen, insbesondere in der Lebenserwartung, der Famili-
enstruktur und der Rolle der Frauen anpassen müssen.
Mit der Einsetzung des Bündnisses für Arbeit, Ausbil-
dung und Wettbewerbsfähigkeit hat die Bundesregie-
rung erreicht, dass die notwendigen Reformen in einem
breiten gesellschaftlichen Dialog thematisiert und mit
einem hohen sozialen Konsens durchgeführt werden
können. In diesem Zusammenhang misst die Bundesre-
gierung dem Austausch bewährter Praktiken zwischen
den EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf die in nationa-
ler Autonomie zu gestaltende Modernisierung des Sozi-
alschutzes große Bedeutung zu.
Zusatz-
frage? – Das ist nicht der Fall.
Dann Herr Kollege Singhammer.
Frau Staats-
sekretärin, worin sehen Sie Elemente einer radikalen
Anpassung der Anwendung der Werte des Europäischen
Sozialmodells an die moderne Welt, wie es hier gefor-
dert wird?
D
Darf ich zunächst einmal
nachfragen, auf wen sich dieses Zitat bezieht?
Es bezieht
sich auf den britischen Premierminister Tony Blair.
D
Ich habe Ihnen ausge-
führt, dass die portugiesische Präsidentschaft ein ent-
sprechendes Leitpapier vorgelegt hat, welches auf einem
Sondergipfel im März in Lissabon beraten werden soll.
Die Bundesregierung hat gestern dem zuständigen Eu-
ropaausschuss eine Stellungnahme, die etwa zehn bis
zwölf Seiten umfasst, übersandt. Es wird dort Gegen-
stand der Beratungen sein.
Wenn der britische Premierminister von einer radika-
len Umwandlung spricht, so hat er dies sicherlich im
klassischen Sinne von „an die Wurzeln gehend“ ge-
meint. In der Tat müssen wir bei den verkrusteten Struk-
turen sehr tief greifen und an die Wurzeln gehen, wenn
wir unsere sozialstaatliches System bewahren wollen.
VielenDank. Die Fragen 27 und 28 werden schriftlich beant-wortet. Wir kommen zur Frage 29 des Kollegen Dirk Niebel: Um welche so genannten „geringeren“ Entlastungen im Be-reich der Arbeitsmarktaufwendungen, die durch den Nichtver-kauf der Eisenbahnerwohnungen entstanden sind – dies vor dem Hintergrund der Antworten des Parlamentarischen Staatssekre-tärs beim Bundesminister der Finanzen, Karl Diller, auf meine Frage 26 in der Fragestunde vom 26. Januar 2000, im Plenarpro-tokoll 14/83, S. 7706 D, bzw. auf meine schriftlichen Fragen 26 und 27 in Drucksache 14/2661 –, handelt es sich konkret und welche signifikanten Beispiele kann die Bundesregierung nen-nen?Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7921
D
Herr Kollege Niebel, zwi-
schen der nicht erfolgten Privatisierung der Eisenbahn-
wohnungsgesellschaften und der Höhe der Entlastungen
bei den Aufwendungen für den Arbeitsmarkt besteht
kein innerer Zusammenhang. Der Ausfall der Privatisie-
rungserlöse führte allerdings zu einem Defizit beim
Bundeseisenbahnvermögen, BEV, in Höhe von 4,4 Mil-
liarden DM, das die Bundesregierung im Haushaltsvoll-
zug 1999 ausgleichen konnte. Im selben Jahr hat der
Bund für den Arbeitsmarkt mit 41,5 Milliarden DM ins-
gesamt 1,8 Milliarden DM weniger ausgegeben, als ver-
anschlagt war.
Das resultierte aus der konjunkturbedingten Besse-
rung, die sich seit dem zweiten Halbjahr 1999 abge-
zeichnet hatte. So lag der Zuschuss des Bundes an die
Bundesanstalt für Arbeit, vor allem aufgrund von Min-
derausgaben beim Arbeitslosengeld, mit 7,3 Milliarden
DM um rund 3,7 Milliarden DM unter dem im Haushalt
veranschlagten, also geplanten Zuschuss. Die Aufwen-
dungen für Arbeitslosenhilfe überstiegen hingegen mit
30,5 Milliarden DM das veranschlagte Soll um rund
2,5 Milliarden DM. Die Ausgaben des Bundes und der
Bundesanstalt für aktive Arbeitsmarktpolitik, insbeson-
dere Qualifizierungs-, Arbeitsbeschaffungs- und Struk-
turanpassungsmaßnahmen, lagen mit insgesamt 44,5
Milliarden DM leicht unter dem vorgesehenen Ansatz
von 45,3 Milliarden DM.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Niebel?
Frau Staatssekretärin, wie er-
klärt sich die Bundesregierung den Widerspruch in den
Antworten des Staatssekretärs Diller, der noch im Januar
2000 bei der Frage nach der Kompensation für diese
4,4 Milliarden DM von geringeren Aufwendungen für
den Arbeitsmarkt gesprochen hat, während er im Febru-
ar 2000 von signifikanten Entlastungen, etwa im Bereich
der Arbeitsmarktaufwendungen, die allerdings nur bei-
spielhaft aufzuführen seien, spricht?
D
Herr Kollege, ich vermag
darin keinen Widerspruch zu erkennen. Es sind geringe-
re Aufwendungen als geplant, ob man sie nun als gerin-
gere oder signifikant niedrigere Aufwendungen bezeich-
net.
Weitere
Zusatzfrage?
Gedenkt die Bundesregierung,
zur Einnahmeverbesserung weiterhin am Verkauf der
Eisenbahnerwohnungen festzuhalten?
D
Die Bundesregierung ge-
denkt, weiterhin am Verkauf der Eisenbahnerwohnun-
gen festzuhalten. Sie hat die zu erwartenden Einnahmen
allerdings nicht in den Haushalt für das Jahr 2000 einge-
stellt.
Die Fra-
gen 30 und 31 werden schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zur Frage 32 der Kollegin
Christine Ostrowski:
Trifft es zu, dass für Bundesbedienstete und Ruheständler die Mietpreise für bundeseigene Wohnungen im Vergleich zum all-gemeinen Mietpreisniveau zum Beispiel in Sylt in 10 Jahren um über 108 Prozent überproportional erhöht wurden, und wenn ja, wie ist dies mit der Wohnungsfürsorgepflicht von Bundesbehör-den zu vereinbaren?
Frau Staatssekretärin.
D
Bundeseigene Wohnun-
gen dürfen nach den haushaltsrechtlichen Vorschriften
des Bundes grundsätzlich nur zum vollen Wert vermietet
werden. Das ist die ortsübliche Vergleichsmiete. – Das
ist Ihnen natürlich bekannt, Frau Kollegin. – Die zurzeit
laufende Überprüfung des Mietenniveaus und sich da-
raus ergebende Anpassungen der Mieten der bundesei-
genen Mietwohnungen an die ortsübliche Vergleichs-
miete beziehen sich auf alle Bundesmietwohnungen. Be-
troffen sind daher nicht nur Bundesbedienstete und Ru-
heständler, sondern alle Mieter.
Der Gesichtspunkt der Wohnungsfürsorge steht der
Heranführung der Bundesmieten an die ortsübliche Ver-
gleichsmiete nicht entgegen. Hierzu hat das Bundesver-
fassungsgericht im Zusammenhang mit der Fehlbele-
gungsabgabe ausgeführt:
Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verpflichtet
nicht, dem begünstigten Bediensteten den ihm
zugeflossenen Mietvorteil zu belassen. Die Mög-
lichkeit der Bereitstellung eines angemessenen
Wohnraums am Dienstort mag im Einzelfall eine
Voraussetzung dafür sein, dass der Dienstherr seine
personalorganisatorische Entscheidung im dienstli-
chen Interesse treffen kann. ... Der Zweck der Woh-
nungsfürsorge, Verwaltungsangehörigen, die keine
Wohnung am Beschäftigungsort haben, zu einer
Wohnung zu verhelfen, dient so allein dem per-
sonalorganisatorischen Eigeninteresse des öffentli-
chen Dienstherrn.
Auf Sylt erhebt der Bund ab dem 1. März 2000, je
nach Ausstattungsmerkmalen und Lage, Mieten zwi-
schen 8 DM und 12,45 DM pro Quadratmeter monat-
lich. Auf Sylt werden die gesetzlich zulässigen Anpas-
sungsmöglichkeiten, also 30 Prozent innerhalb von drei
Jahren, ausgeschöpft. Ich kann nicht bestätigen, dass die
Miete für Bundesmietwohnungen auf der Insel Sylt in
den letzten zehn Jahren um den von Ihnen genannten
Prozentsatz angehoben wurden.
Zusatz-frage, Frau Kollegin Ostrowski?
Metadaten/Kopzeile:
7922 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Um eine Mietanpas-
sung an die ortsübliche Vergleichsmiete zu begründen,
gibt es laut Gesetz drei Möglichkeiten: Erstens können
Sie ein Gutachten beibringen, zweitens können Sie sich
auf den ortsüblichen Mietspiegel beziehen und drittens
können Sie drei Vergleichswohnungen heranziehen. Auf
welche Möglichkeit ist hier zurückgegriffen worden?
Ich frage das deshalb, weil mir bekannt ist, dass man
bei der Festlegung der Mietpreise der Sylter Wohnun-
gen, auf die meine Frage zielt, drei Vergleichswohnun-
gen herangezogen hat – das ist auch erklärlich – , die
aber von ihrer Ausstattung her völlig anders sind. Denn
die Sylter Wohnungen, um die es sich hier handelt, sind
in den 30er-Jahren gebaut und 1978 das letzte Mal in-
stand gesetzt worden. Sie haben einfachste Ausstattung.
Als Vergleichswohnungen sind drei Neubauwohnungen
mit modernster Ausstattung herangezogen worden, so-
dass die Sache rechtlich nicht in Ordnung ist.
D
Frau Kollegin Ostrowski,
das kann ich Ihnen so nicht bestätigen. Ich weiß nicht,
nach welcher von den drei Methoden, die Sie genannt
haben, die Bundesvermögensverwaltung vorgegangen
ist. Das kann ja zu dem Ergebnis führen kann, dass man
innerhalb von drei Jahren die Mietpreise um 30 Prozent
anheben kann, bis man die ortsübliche Miete erreicht
hat.
Die Antwort auf die Frage, auf welche Weise die
ortsübliche Miete ermittelt worden ist, muss ich schrift-
lich nachtragen. Die in Ihrer Frage enthaltene Behaup-
tung will ich – auch aus Nichtkenntnis – zunächst zu-
rückweisen.
Eine
weitere Zusatzfrage, Frau Ostrowski.
Ich habe Sie also rich-
tig verstanden: Sie sind bereit, diese Angelegenheit noch
einmal zu prüfen?
D
Selbstverständlich. Sie
haben ja die Frage gestellt, auf welche Weise die ortsüb-
liche Vergleichsmiete ermittelt worden ist. Da ich das
jetzt nicht beantworten kann, werde ich Ihnen dies
schriftlich mitteilen.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin.
Da wir wegen des Wartens auf den Bundesaußenmi-
nister die vorgesehene Reihenfolge der Geschäftsberei-
che umgestellt haben, sind zwei Kollegen, die Fragen
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des In-
neren gestellt haben, zu spät gekommen. Ich schlage
vor, dass die Fragen 21 und 22 des Kollegen Hans-
Joachim Otto und die Fragen 23 und 24 des Kollegen
Olaf Scholz schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Siegmar Mosdorf zur Verfügung.
Die Frage 33 der Kollegin Gudrun Kopp soll schrift-
lich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 34 der Kollegin Ulrike Flach:
Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der langfristigen Erfahrungen mit dem Stromeinspeisungsgesetz und unter Beachtung des energiepolitischen Zieles, Dauersubventio-nen zu vermeiden bzw. zurückzuführen, den Ausbau der regene-rativen Energien, insbesondere der Windenergie?
S
Frau Kol-
legin Flach, die Bundesregierung hat sich zum Ziel ge-
setzt, den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr
2010 zu verdoppeln. Das zentrale Instrument zum Aus-
bau der erneuerbaren Energien ist das Stromeinspei-
sungsgesetz, jenes Gesetz, auf das sich 1990 alle Frakti-
onen des Deutschen Bundestages verständigt haben.
Es hat sich als erfolgreich erwiesen und hat ganz we-
sentlich zum Ausbau der Windenergie in Deutschland
beigetragen. So ist die Gesamtleistung der Windkraftan-
lagen von rund 62 Megawatt in 1990 auf 4 450 Mega-
watt Ende 1999 gestiegen. Allein in 1999 betrug der Zu-
bau 1 500 Megawatt, bei einer mittleren Anlagengröße
von etwa 1 Megawatt.
Angesichts sinkender Strompreise gilt es, das Strom-
einspeisungsgesetz an die veränderten Rahmenbedin-
gungen des liberalisierten Strommarktes anzupassen.
Diejenigen, die Investitionen in erneuerbare Energien tä-
tigen, benötigen Planungssicherheit für einen angemes-
sen langen Zeitraum. Mit dem neuen Erneuerbare-
Energien-Gesetz, das derzeit im Bundestag beraten wird,
wird es gelingen, dass weit mehr als bisher Strom aus
regenerativen Quellen produziert wird. Dabei ist darauf
zu achten, dass die Neuregelung mit den Regeln der Eu-
ropäischen Union übereinstimmt und den Verbesserun-
gen der Anlagentechnik Rechnung trägt.
Bei der Windenergie ist erstmals eine Differenzierung
in der Vergütung vorgesehen. Sie berücksichtigt, dass
die Stromerträge vergleichbarer Anlagen und damit die
Wirtschaftlichkeit ihres Betriebs von der Windgünstig-
keit ihres Standortes abhängen. Die Bundesregierung
empfiehlt darüber hinaus, die Förderung der jeweils be-
günstigten Anlage über das Erneuerbare-Energien-
Gesetz auf 20 Jahre zu befristen. Weiterhin soll bei die-
sen Anlagen die Entwicklung der Kosten, die zur Erzeu-
gung von Strom notwendig sind, beobachtet werden. Ei-
ne regelmäßige Berichtspflicht ist vorgesehen.
Ihre Zu-
satzfrage, Frau Kollegin Flach.
Herr Staatssekretär, schon beidem Stromeinspeisungsgesetz hat es Schwierigkeitenmit der EU-Kommission gegeben. Wie beurteilen Sie im
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7923
Rahmen der jetzt von Ihnen vorgesehenen Planungen ei-ne mögliche Stellungnahme der EU? S
Frau Kol-
legin, ich möchte mich nicht in Spekulationen ergehen.
Aber wir hoffen sehr, dass unser Gesetzentwurf mit den
Vorstellungen der EU kompatibel ist.
Zweite
Zusatzfrage, Frau Kollegin Flach.
Gehe ich also richtig in der
Annahme, dass Sie im Augenblick nur das Prinzip Hoff-
nung haben und keine dezidierten Zahlen bzw. Stellung-
nahmen der EU-Kommission vorliegen haben?
S
Ich nehme
nicht an, dass die EU-Kommission Zahlen dazu vorle-
gen wird.
Im Übrigen freue ich mich, dass wir beide dem Prin-
zip Hoffnung folgen. Wir werden natürlich alles tun,
damit dies Realität wird.
Es gibt
eine weitere Frage, diesmal des Kollegen Hirche.
Herr Staatssekretär Mos-
dorf, am Montag dieser Woche haben sich bei der Anhö-
rung des Wirtschaftsausschusses handfeste verfassungs-
rechtliche Bedenken bezüglich des Textes des Gesetzes
über erneuerbare Energien ergeben. Ist damit zu rech-
nen, dass sich die Bundesregierung, sprich: die Verfas-
sungsressorts noch rechtzeitig zu den aufgeworfenen
Problemen äußern werden? Es handelt sich ja bisher nur
um einen Fraktionsantrag.
S
Die Bun-
desregierung ist sicher, dass verfassungsrechtliche Be-
denken ausgeräumt werden können. Sie befasst sich mit
dieser Frage sehr ernsthaft.
Eine
weitere Frage, des Kollegen Uli Heinrich.
Herr Staatssekretär, Sie
haben berichtet, dass der Anteil der Windenergie zuge-
nommen hat. Von welchen Veränderungen im Bereich
Biomasse- und Biogasanlagenbau aufgrund der Verbes-
serungen, die jetzt in Rede stehen, um mehr Investitio-
nen anzulocken, gehen Sie aus?
S
Herr Kol-
lege Heinrich, wir hoffen natürlich, dass sich auch hier
Zuwachsraten ergeben; denn wir wollen, dass sich der
Anteil der regenerativen Energien insgesamt erhöht. Ich
kann Ihnen aber nichts voraussagen. Ich möchte mich
auch nicht auf Spekulationen einlassen, was Prozent-
sätze angeht. Wir hoffen aber sehr, dass die gesetzten
Incentives die entsprechende Wirkung erzielen werden,
dass der Anteil zunehmen wird.
Gibt es keine Gutachten?
S
Nein.
Weitere
Zusatzfragen? – Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zu Frage 35 der Kollegin Ulrike
Flach:
Ab welcher Schwelle ist eine wirtschaftliche Situation – je-weils gegliedert nach Energieform und -träger - erreicht, die je-weiligen regenerativen Anlagen auch ohne Übernahme der Mehrkosten weiter zu betreiben, und in welchem Jahr wird die-ses voraussichtlich der Fall sein?
S
Frau Kol-
legin, derartig präzise Angaben kann heute niemand ma-
chen, der seriös sein will. Entscheidend ist, dass die
Maßnahmen, die wir zugunsten erneuerbarer Energien
treffen, darauf ausgerichtet sind, die Wettbe-
werbsfähigkeit dieser Technologien zu verbessern. Den
Anteil erneuerbarer Energien deutlich und nachhaltig
auszubauen wird nur dann gelingen, wenn sich hier ein
sich selbst tragender Markt entwickelt. Darauf zielen die
Maßnahmen der Bundesregierung und der Koalition zu-
gunsten erneuerbarer Energien ab.
Dazu gehört auch eine kontinuierliche Überprüfung
aller Maßnahmen. So werden zum Beispiel die Förder-
programme des Bundes zugunsten regenerativer Ener-
gien regelmäßig überprüft und gegebenenfalls an Ver-
änderungen im Markt, etwa bei einem Rückgang der
Anlagenpreise, angepasst.
Frau
Kollegin Flach.
Herr Staatssekretär, befürch-
ten Sie nicht eine ähnliche Entwicklung, wie wir sie da-
mals beim Kohlepfennig hatten? Sehen Sie nicht eine
Parallele?
S
Frau Kol-legin, das würde ich nicht vergleichen. Ich sehe aber dieChance, durch die vorgesehenen Incentives – darübergab es 1990 im Deutschen Bundestag Übereinstim-mung – die regenerativen Energien enorm zu verstetigenund ihren Anteil dieser erheblich auszubauen. Wir sindder Auffassung, dass dies der richtige Weg ist.Ulrike Flach
Metadaten/Kopzeile:
7924 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Zweite
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Sehen Sie auch keine Proble-
me bezüglich des Finanzausgleichs? Wir haben es
schließlich mit regional sehr unterschiedlichen Entwick-
lungen zu tun.
S
In dem
neuen Gesetzentwurf, Frau Kollegin, sind Spielregeln
enthalten, mit denen versucht wird, die alten Probleme –
darauf zielt Ihre Frage wahrscheinlich ab – zu lösen.
Eine
weitere Frage des Kollegen van Essen.
Herr Staatssekretär, wel-
che Zuwachsraten erwartet die Bundesregierung beim
Bau solcher Kraftwerke in Norddeutschland?
S
Welcher
Kraftwerke?
Der Kraftwerke, über die
wir gerade reden, der Windkraftanlagen.
S
Ich habe
gerade schon Ihrem Kollegen geantwortet, dass uns kei-
ne Zahlen oder Prognosen über die Anzahl und die wei-
tere Entwicklung der Anzahl der Windkraftanlagen vor-
liegen. Wir haben aber die feste Absicht, das Ziel zu
verfolgen, den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum
Jahr 2010 zu verdoppeln. Windenergie wird eine wichti-
ge Rolle dabei spielen. Sie wissen – ich habe eben die
Zahlen genannt –, dass dies jetzt schon ein wichtiger
Wachstumsmarkt ist und sich in diesem Bereich Erheb-
liches an Verbesserungen ergeben hat.
Eine
weitere Frage des Kollegen Wiese von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Staats-
sekretär, im Zusammenhang mit erneuerbaren und
alternativen Energien ist das 100 000-Dächer-Programm
der Bundesregierung immer wieder mit großem
Aufwand dargestellt worden. Wie beurteilen Sie die
Zukunft dieses Programms vor dem Hintergrund der
Meldung im „Focus“ von vorgestern, dieses 100 000-
Dächer-Programm sei ein grandioser Flop und es seien
nicht einmal halb so viele Anträge gestellt worden wie
angenommen?
S
Herr Kol-
lege, ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar, weil sie
mir die Gelegenheit gibt, noch einmal mit Nachdruck
auf dieses Programm hinzuweisen. Sie wissen, dass wir
das 100 000-Dächer-Programm auch aufgrund der Er-
fahrungen der Vergangenheit gestartet haben.
Ihr Kollege Riesenhuber hat einmal ein 1 000-Dä-
cher-Programm gestartet, das zu einer großen Verteilung
der Solaranlagen in Deutschland führte, sodass sozusa-
gen in jeder dritten Gemeinde eine solche Anlage stand.
Dadurch wurde natürlich nicht die Möglichkeit geschaf-
fen, einen entsprechenden After-Sale-Service zu organi-
sieren, das Handwerk zu motivieren und die Banken
einzuspannen. Im Rahmen des 100 000-Dächer-Pro-
gramms, das wir vor noch nicht einmal zwölf Monaten
gestartet haben, – es ist inzwischen bekannt – gibt es
ungefähr – ich habe die genauen Zahlen jetzt nicht vor-
liegen – 100 Millionen DM Zusagen.
Ich unterstelle bei Ihrer Frage einmal, dass Sie ein
engagierter Anhänger der Photovoltaik und des 100 000-
Dächer-Programms sind. Deshalb lautet meine Bitte,
dass Sie kräftig werben – auch bei den Journalisten des
„Focus“, die nicht genau darüber informiert sind, dass
das Programm schon wichtige Erfolge erzielt hat.
– Als Liberaler würde ich nie sagen, dass das immer
stimmt; ich würde aber immer kritisch fragen. Das ist
die Tradition der Aufklärung, Herr van Essen.
– Nein, das hat mit der jetzigen Aufklärung nichts zu
tun. Sie wissen, was ich meine.
Wir müssen alles tun, um noch mehr Aufmerksamkeit
auf dieses Programm zu lenken. Ein Punkt macht mir
übrigens ein bisschen Sorge: Einige Banken tragen die
Öffentlichkeitsarbeit für dieses wichtige Programm noch
nicht ausreichend mit. Es bedarf ja einer Hausbank, die
sich in diesen Prozess einschaltet. Deshalb appelliere ich
von dieser Stelle aus an alle Sparkassen, Banken, Volks-
und Raiffeisenbanken und an alle Partner der Kunden
vor Ort, sich am Marketing für dieses Programm zu
beteiligen. Ich glaube schon, dass das Programm ein
großer Erfolg werden wird. Wir müssen aber alle dazu
beitragen, dass es entsprechend positiv umgesetzt wird.
Eine
weitere Frage des Kollegen Hirche.
Herr Staatssekretär, HerrBundesminister Müller hat in einem Brief an den Kolle-gen Uldall festgestellt, dass das neue EEG erheblichebeihilferechtliche Probleme aufwerfe, und hat deswegenangeregt, das Gesetz unter Umständen nur unter Vorbe-halt der Genehmigung der EU zu verabschieden. Ist das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7925
nicht ein etwas ungewöhnlicher Weg, Rechtsbedenkender Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen?S
Herr Kol-
lege, es ist völlig klar, dass die Bundesregierung ent-
sprechend ihrer Verantwortung alles daransetzt, Ent-
scheidungen zu treffen, die mit dem EU-Recht-
kompatibel sind. In diesem Sinne verstehe ich den Brief
des Bundesministers an unseren Kollegen Uldall. Wir
wollen, dass das EEG erfolgreich umgesetzt wird. Wir
sind deshalb in Gesprächen mit der EU, um das Gesetz
kompatibel zu machen. Uns liegt daran, dass es erfolg-
reich wird.
Eine
weitere Frage der Kollegin Professor Ganseforth von der
SPD-Fraktion.
Herr Staatssekretär, ich
möchte zu den Krediten, die im 100 000-Dächer-Programm
vorgesehen sind, zum EEG bzw. – im Hinblick auf die
Vergangenheit – zu den Einspeisebedingungen etwas
fragen. Stimmt die Erfahrung, dass die wirksamste Me-
thode zur Einführung erneuerbarer Energien – egal, ob
Biomasse, Wind, Wasser oder Photovoltaik – ist, wenn
der gelieferte Strom anständig bezahlt und abgenommen
wird? Ist dies nicht, unter Umständen als Ergänzung zu
Krediten, ein Mittel, das die Effizienz der Anlagen stei-
gern kann, wirklich weiterhilft und nicht nur die Gefahr
von Mitnahmeeffekten in sich birgt?
S
Frau Kol-
legin Professor Ganseforth, ich denke, dass die Kombi-
nation beider Instrumente die Wirkung deutlich erhöhen
wird. Wenn Sie auf die Frage des Kollegen anspielen
und nachfragen, ob nicht das EEG in Kombination mit
den jetzt vorgesehenen Maßnahmen eine gute Flankie-
rung für das 100 000-Dächer-Programm ist, so kann ich
das nur ausdrücklich bestätigen. Es ist wahr: Wir haben
dieses 100 000-Dächer-Programm gestartet. Sie wissen,
dass es einem Vorlauf gab. Sie kennen die Anlauf-
schwierigkeiten der letzten Jahre, bei denen die Einfüh-
rung des Programms nicht möglich war. Wir haben es
nunmehr gestartet und sind auch in intensiven Gesprä-
chen mit den Banken und Partnerorganisationen. Aber
es ist klar: Der wirkliche Durchbruch kann vor allen
Dingen über das EEG erreicht werden, bei welchem die
Kunden sehen, dass der Nutzen direkt eintritt. Deshalb
glaube ich, dass beide Instrumente für den Erfolg dieses
Programms sehr hilfreich sein werden.
Wir
kommen zu einer weiteren Frage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, welche
Auswirkungen hat der Bau von Windkraftanlagen auf
die Stellung der norddeutschen Energieversor-
gungsunternehmen im europäischen und inländischen
Wettbewerb sowie auf das Landschaftsbild in Nord-
deutschland?
S
Lieber Herr
Kollege Niebel, ich tue mich – vor allen Dingen, wenn
ich das Heidelberger Landschaftsbild vor Augen habe –
sehr schwer, über das Landschaftsbild in Norddeutsch-
land zu sprechen. Das ist ein ganz schwieriger Ver-
gleich. Ich höre die fachkundigen Kolleginnen und
Kollegen sagen, es sehe ganz gut aus. Wir haben eben
auch von der Mietsituation auf Sylt gehört. Es ist immer
noch gut, dort oben zu leben.
Frau Simonis hat sicher dazu beigetragen, dass dies
ein gutes Land ist, in dem man gut leben kann. Dies gilt
auch für das Landschaftsbild.
Herr Kollege Niebel, um auf den Kern Ihrer Frage zu-
rückzukommen: Es gab schon das Problem, dass gerade
in Norddeutschland die Windenergie einen besonderen
Anteil an der Energieerzeugung hat. Dies war der
Grund, warum wir bei der Stromeinspeisung korrigieren
mussten. Wir mussten Schlussfolgerungen ziehen und
tun dies mit dem EEG. Wir bleiben aber dabei: Wir
räumen der Windenergie – auch im Gesamtkonzept der
regenerativen Energien – einen großen Stellenwert ein.
, Wir
kommen zu der Frage der Kollegin Ostrowski.
Herr Staatssekretär
Mosdorf, in meiner Frage geht es nicht um erneuerbare
Energien, aber es geht um Strom und auch um Subven-
tionen. Könnten Sie bitte kurz den Standpunkt der Bun-
desregierung zum Notplan der Veag und auch zu den
weiteren Hilfeforderungen darlegen? Über dieses Thema
wird heute groß in allen Zeitungen berichtet. Es würde
mich als ostdeutsche Bundestagsabgeordnete außeror-
dentlich interessieren.
S
Dies ist na-türlich etwas ungewöhnlich.
Ich bin jederzeit bereit, hier das vorzutragen, was in denZeitungen steht. Ich darf daran erinnern, dass es privateEnergieversorgungsunternehmen sind, die sich geeinigthaben. Es ist wichtig zu erkennen: Die Bundesregierungsitzt dort nicht im Aufsichtsrat und hat auch diese Ent-scheidung nicht herbeigeführt. Wir wissen jedoch vonder gestrigen Entscheidung, dass eine Zwischenlösungfür die Veag gefunden worden ist und dass sich die Un-ternehmen engagieren und damit sicherstellen, dass es indiesem Jahr keine Probleme geben wird.Walter Hirche
Metadaten/Kopzeile:
7926 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Diese
Frage gehörte eigentlich nicht zu dem angesprochenen
Themenkomplex. Deswegen bedanke ich mich bei Herrn
Staatssekretär Mosdorf, dass er trotzdem darauf einge-
gangen ist.
Wir kommen jetzt zu den Fragen 36 und 37 des Kol-
legen Schmidt-Jortzig.
In Anbetracht der Verschiebung der Reihenfolge der
Geschäftsbereiche bitte ich, auch diese schriftlich zu be-
antworten.
S
Herr Präsi-
dent, ich hatte in Bezug auf die Frage des Herrn Kolle-
gen Niebel diese Sachverhalte eben schon dargelegt. Ich
bin aber gern bereit, Herrn Niebel und Herrn Schmidt-
Jortzig die schriftliche Fassung zu überreichen
Wir
kommen jetzt zu der Frage 38 des Kollegen Rainer
Funke.
Ist eine grundsätzliche Beibehaltung des Stromeinspeisungs-gesetzes rechtlich möglich?
Gleichzeitig rufe ich Frage 39 des Kollegen Funke
auf:
Wenn ja, welche Novellierungen sind nach Ansicht der Bun-desregierung wünschenswert, insbesondere bezüglich der Min-destvergütungen, der Einführung fester Vergütungssätze, der Dif-ferenzierung nach Energieform und -art der Kosten des Netzan-schlusses und der Netzverstärkung?
S
Herr Präsi-
dent! Lieber Herr Kollege Funke, die Antwort auf Ihre
Frage lautet: Ja, die Bundesregierung ist unverändert der
Auffassung, dass das Stromeinspeisungsgesetz und die
mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz angestrebte wei-
terführende gesetzliche Regelung rechtlich möglich ist.
Sie sieht sich hierin durch die Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshof bestätigt, der das Stromeinspeisungsge-
setz als verfassungsgemäß beurteilt hat. Die Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage
steht – das brauche ich Ihnen nicht zu sagen; das wissen
auch Sie – noch aus.
Ich habe keine Zusatzfrage.
Keine
Zusatzfrage. – Ich rufe Frage 39 auf:
Wenn ja, welche Novellierungen sind nach Ansicht der Bun-desregierung wünschenswert, insbesondere bezüglich der Min-destvergütungen, der Einführung fester Vergütungssätze, der Differenzierung nach Energieform und -art sowie der Kosten des Netzanschlusses und der Netzverstärkung?
S
Herr Kol-
lege Funke, die Bundesregierung hält es für geboten, die
bisher an die Strompreise gebundenen Einspeisungsver-
gütungen auf feste Vergütungssätze umzustellen. Das
steht insofern im Zusammenhang mit der Frage eben.
Sie unterstützt deshalb das von den Koalitionsfraktionen
eingebrachte Erneuerbare-Energien-Gesetz, das das
Stromeinspeisungsgesetz ablösen soll. Infolge der Libe-
ralisierung des Strommarktes drohen die Strompreise
und damit die Einspeisungsvergütungen in einem Maße
zu fallen, das den weiteren Ausbau erneuerbarer Ener-
gien andernfalls nachhaltig gefährden könnte.
Feste Vergütungssätze bewirken Planungs- und In-
vestitionssicherheit und fördern so den weiteren Ausbau
der erneuerbaren Energien. Die festen Vergütungssätze
sollen im EEG – nach Energiearten und Größenklassen
der Stromerzeugungsanlagen – stärker als bisher diffe-
renziert werden. Bei der Windenergie ist zusätzlich
erstmals eine Differenzierung in der Vergütung vor-
gesehen, die berücksichtigt, dass die Stromerträge ver-
gleichbarer Anlagen und damit die Wirtschaftlichkeit ih-
res Betriebs von der Windgünstigkeit ihres Standortes
abhängt.
Fragen des Netzanschlusses und der Netzverstär-
kung – was auch in der Vergangenheit schon wichtige
Fragen waren – sollen ebenfalls neu geregelt werden.
Die Netzanschlusskosten soll wie bisher der Einspeiser
tragen. Kosten für nur infolge der Einspeisung erforder-
lich werdende Netzverstärkungen sollen hälftig zwi-
schen Einspeisern und Netzbetreibern geteilt werden.
Ein weiteres zentrales Element der Reform wird die
Abschaffung des so genannten Fünf-Prozent-Deckels
sein, der den Ausbau erneuerbarer Energien in den vom
Wind begünstigten norddeutschen Küstenregionen in
nächster Zeit bremsen könnte. Mit der Abschaffung des
zweiten Fünf-Prozent-Deckels soll gleichzeitig ein bun-
desweiter Belastungsausgleich eingeführt werden.
Zusatz-
frage, Kollege Funke? – Keine Zusatzfrage.
Herr Hirche.
Herr Staatssekretär Mos-
dorf, es ist unbestritten, dass die bisherige Koppelung
der Vergütung an den – sinkenden – Strompreis die
Entwicklung der Innovationen bei den Anlagen erheb-
lich begünstigt hat. Wie wollen Sie bei festen Sätzen für
die Zukunft eine solche Innovationsentwicklung auslö-
sen, die ja notwendig ist, um gute Voraussetzungen für
den Export zu schaffen?
S
Herr Kol-lege Hirche, diese wichtige Frage ist bei der Vorberei-tung unseres EEG sehr genau erörtert worden. Um dieEntwicklung der Innovationen immer wieder zu be-schleunigen, haben wir – Sie wissen das – degressiveSätze und darüber hinaus Endzeitpunkte vorgesehen.Damit soll dieser Innovationsprozess weiter vorange-trieben werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7927
Der
Bundesaußenminister ist mittlerweile eingetroffen. Er ist
mit dem einverstanden, was wir vereinbart hatten: dass
wir diesen Geschäftsbereich noch abschließen und an-
schließend zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Am-
tes zurückkommen.
Die Fragen 40 und 41 sollen schriftlich beantwortet
werden. Die Kollegin Birgit Homburger ist erkrankt.
Wir kommen zu den Fragen 42 und 43 des Kollegen
Hirche:
Wie hoch ist der Umsatz der deutschen Energieversorgungs-unternehmen im EU-weiten Markt bzw. ihr Umsatzanteil im Vergleich zu ihren europäischen Mitwettbewerbern zum jetzigen Zeitpunkt?
Wie hat sich die Umsatz- und Ertragssituation nach der Energierechtsreform und vor dem Hintergrund eines EU-weiten Strommarktes entwickelt?
S
Lieber Herr
Kollege Hirche, da der Herr Präsident schon beide Fra-
gen aufgerufen hat, kann ich sie auch zusammen beant-
worten.
Die Unternehmen der allgemeinen Stromversorgung
erzielten 1998 – das sind die letzten Zahlen, die uns vor-
liegen – einen Umsatz aus dem Stromabsatz an End-
verbraucher in Höhe von 80,4 Milliarden DM bzw. ei-
nen Umsatz aus dem gesamten Stromabsatz an End-
verbraucher in Höhe von 122 Milliarden DM. Aktuellere
Daten haben wir nicht vorliegen. Ich möchte aber hinzu-
fügen, dass aufgrund der Liberalisierung und der Preis-
senkungsstrategien – das ist völlig klar – natürlich zu
erwarten steht, dass die Zahlen im Jahr 1999 anders aus-
sehen werden.
Ich habe mir gerade die Relationen für 1997 – für
1998 liegen sie noch nicht vor – geben lassen. Einer Ih-
rer Punkte war die Relation von Europa zu Deutschland.
Die Zahlen sehen so aus: Europa hat 163 Milliarden Ecu
als Basiszahl und die deutschen Hersteller 43 Milliarden
Ecu. Sie können daran erkennen, dass das etwa ein Vier-
tel des Gesamtmarkts ausmacht.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Hirche? – Nein. Da es keine weite-
ren Zusatzfragen zu dieser Frage gibt, bitte ich darum,
die Fragen 44 und 45 des Kollegen Goldmann schriftlich
zu beantworten.
Wir kommen zu den Fragen 46 und 47 des Kollegen
Dr. Martin Mayer , CDU/CSU:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass die Deut-sche Telekom AG als Eigentümerin des Telefon-Ortsnetzes und des größten Teils des Fernsehkabel-Netzes ohne weitere regula-torische Eingriffe oder politischen Druck noch auf lange Zeit ein faktisches Monopol für Telefonverbindungen im Ortsbereich behalten wird?
Was tut die Bundesregierung, um den auch von der Mono-polkommission und der Regulierungsbehörde für Telekommuni-kation und Post gleichermaßen festgestellten mangelnden Wett-bewerb im Ortsbereich des Telefonfestnetzes endlich in Gang zu bringen und damit auch die Internetnutzung deutlich günstiger zu gestalten?
S
Herr Präsi-dent! Lieber Herr Kollege Mayer, ob die Deutsche Tele-kom noch auf längere Zeit ein faktisches Monopol fürTelefonverbindungen im Ortsnetzbereich haben wird –das unterstellt Ihre Frage –, lässt sich derzeit nicht ab-schließend abschätzen. Sie wissen so gut wie ich, dass eserhebliche Aktivitäten auf diesem Sektor, auch im Orts-netzbereich, gibt. Schon heute gibt es eine Vielzahl vonRegional- und City-Carriers, die versuchen, gerade imOrtsnetzbereich Angebote bereitzustellen. Auch Unternehmen, die sich bislang in erster Linieim Fernverkehr betätigt haben, weiten ihre Angebotspa-lette im Ortsnetzbereich deutlich aus. Diese Entwicklungerscheint sehr erfolgversprechend, zumal die gesetzli-chen und regulatorischen Voraussetzungen für das Ent-stehen funktionsfähiger Wettbewerbsstrukturen bereitsvorliegen. Wettbewerber der Deutschen Telekom AG haben An-spruch auf den entbündelten Netzzugang und können aufder Ortsebene als so genannter Wiederverkäufer, Resel-ler, auftreten. Sie können darüber hinaus auf der Basiszusätzlich vergebener Frequenzen drahtlose Zugängezum Endkunden schaffen. Viele sind übrigens dabei, insolche Projekte zu investieren.Weiter ist zu erwarten, dass Ortsgespräche zukünftigin zunehmendem Maße über die Mobilfunknetze abge-wickelt werden. Bereits heute nutzen circa 25 MillionenBundesbürger ein Handy, und der Markt wird weitersprunghaft wachsen. Das Breitbandkabelnetz ist alsonicht die einzige Alternative zum Telefonortsnetz derDeutschen Telekom AG. Hinsichtlich des Verkaufs des Kabelnetzes hat dieDeutsche Telekom AG gegenüber der Bundesregierungversichert, dass die ersten Regionalgesellschaften unterBeteiligung privater Investoren so schnell wie möglichgebildet werden. Die Regionalgesellschaften sollen volleunternehmerische Freiheit haben und können nach einerentsprechenden technischen Aufrüstung der Kabelnetzediese als alternative Ortsnetze betreiben. Sie wissen, dass die Deutsche Telekom mit Lead-investorgruppen in Verbindung und kurz vor Entschei-dungen steht. Diese Entscheidungen werden gründlichvorbereitet, damit in dieses Netz auch investiert werdenkann. Das wird für die weitere Verbreitung von Inter-netkapazitäten, die wir am Standort Deutschland brau-chen, sehr wichtig sein. Auch wenn heute noch teilweise ein faktisches Mo-nopol der Deutschen Telekom im Ortsnetzbereich be-steht, bilden die seitens der Bundesregierung bereits ge-troffenen Maßnahmen eine geeignete Basis für die In-tensivierung des Wettbewerbs in diesem Bereich. Weite-rer politischer Handlungsbedarf wird derzeit nicht gese-hen.Festzuhalten ist, dass sich Wettbewerb nicht politischverordnen lässt. Er muss wachsen, er muss entstehen,was in diesem Markt auch passiert. Es liegt nun in ersterLinie an den Markbeteiligten, mit kundenorientierten,innovativen Angeboten im Ortsnetzbereich zu bestehen.
Metadaten/Kopzeile:
7928 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Die Erfolge einiger City- und Regionalanbieter zeigen,dass dies durchaus möglich ist. Auch im Hinblick auf die Internetnutzung sind diejüngsten Entwicklungen – das beurteilen wir beidegleich, nehme ich an – ermutigend. Wie Sie wissen, ha-be ich mich seit vielen Jahren für eine vernünftige FlatRate ausgesprochen und eingesetzt. Ich habe mich sehrgefreut, dass Sie unsere Initiative aufgegriffen und un-terstützt haben, Herr Mayer. Ich habe mich noch mehrdarüber gefreut, dass es jetzt gelungen ist, zusammenmit dem Bundeskanzler ein wichtiges Signal zu setzen. Eine Reihe von Betreibern bietet bereits heute sehrgünstige Internetzugänge an. Das gilt zum Beispiel fürMannesmann Arcor und andere. In bestimmten Regio-nen kann man das Internet in der Nebenzeit bereits ab 60 Pfennig pro Stunde nutzen. Mittlerweile gibt es aucheinige Unternehmen, die echte Flat Rates anbieten.Von der Deutschen Telekom AG wurde darüber hi-naus – neben der Ankündigung, noch im ersten Halbjahr2000 eine Full Flat Rate von unter 100 DM einzufüh-ren – für Herbst 2000 ein günstiger Schülertarif ange-kündigt. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung istmit einer weiteren deutlichen Intensivierung der Inter-netnutzung in Deutschland zu rechnen. Die Bundesre-gierung will in einer Form von Innovationspartnerschaftalles tun, damit wir unser Land auf diesem Sektor voranbringen. Wir haben wichtige Meilensteine schonerreicht, wie Sie wissen. Wir freuen uns darüber – Siesicher auch –, weil wir in vielen Bereichen aufholenmüssen. Das, was jetzt angekündigt worden ist, ist einwichtiger Durchbruch.
Zusatz-
fragen, Herr Kollege Mayer?
Herr
Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass der
Zugang zum Internet in den nächsten zwei bis vier Jah-
ren entscheidend über das Festnetz, also über das Tele-
fonnetz und möglicherweise über das Kabel, gehen wird,
weil die übrigen technischen Entwicklungen zwar am
Horizont aufscheinen und auch in Modellversuchen gute
Ergebnisse gezeigt haben, aber in den nächsten zwei,
drei Jahren voraussichtlich noch nicht am Markt einge-
führt werden?
S
Herr Kol-
lege Mayer, wissen Sie, wir haben auf diesem Sektor ei-
ne solche Geschwindigkeit erlebt, dass ich mich auf
Prognosen nach dem Motto, die nächsten drei Jahre
werde der Zugang zum Internet über Ortsnetz und Kabel
so bleiben wie bisher, nicht versteifen würde.
Ich meine, es ist realistisch, davon auszugehen, dass
ein Kabelnetz, in das investiert worden ist und das sich
damit als Plattform besonders eignet, eine größere Rolle
spielen wird als in der Vergangenheit. Es ist auch davon
auszugehen, dass weiterhin das Telefonnetz eine wichti-
ge Rolle spielen wird, aber ich würde nicht ausschließen
wollen, dass es völlig neue Entwicklungen gibt. Denn es
gibt, wie Sie auch wissen, Technologiesprünge, die wir
gar nicht absehen können und die wir uns nur wünschen
können, wenn ich an Local Loop oder an Wireless-Put-
Möglichkeiten denke. Ich würde da nichts ausschließen.
Weitere
Zusatzfrage, Herr Kollege Mayer?
Herr
Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass die
Deutsche Telekom AG als faktischer Monopolist im
Festnetz im Ortsbereich der Telekommunikation von
sich aus relativ wenig Interesse hat, Wettbewerber zuzu-
lassen, und es deshalb dringenden politischen Drucks
und der Unterstützung der Regulierungsbehörde bedarf,
dass eben in das Festnetz schneller mehr Wettbewerb
hineinkommt?
S
Herr Kol-
lege Mayer, erstens haben wir den Liberalisie-
rungsprozess eingeleitet. Als überzeugter Marktwirt-
schaftler tue ich mich mit dem Begriff des massiven
Drucks oder wie Sie es eben bezeichnet haben etwas
schwer. Ich glaube, dass der Wettbewerb sehr aktiv vo-
rankommen wird. Mit dem, was wir an Regulierungsre-
gime und Ordnungsrahmen haben, werden wir die Mög-
lichkeiten schaffen, damit es eine noch weitere Intensi-
vierung des Wettbewerbs gibt.
Ich will das jetzt nicht vertiefen, aber Sie können sich
auch einmal anschauen, wie sich in der kurzen Zeit in
Deutschland die Wettbewerbssituation entwickelt hat,
und dies mit anderen Ländern vergleichen, die – was ich
auch bei uns richtig gefunden hätte – schon viel früher
mit der Liberalisierung angefangen haben, aber im Ver-
hältnis zu unserem Wettbewerb noch nicht so weit sind.
Es gibt Nachbarländer, in denen man sich solche Bei-
spiele anschauen kann.
Sie ha-
ben noch zwei Zusatzfragen.
Herr
Staatssekretär, darf ich noch einmal nachfragen? Teilen
Sie meine Auffassung, dass wir zwar im Fernverkehr der
Telekommunikation und im Auslandsverkehr teilweise
vollkommenen Wettbewerb haben, während wir im
Ortsnetzverkehr, im Festnetz, immer noch ein Quasi-
monopol in der Größenordnung von 98 oder 99 Prozent
der Deutschen Telekom AG haben und deshalb der Re-
gulierer mit Unterstützung der Bundesregierung aufge-
fordert ist, schnellstmöglich für Wettbewerb zu sorgen?
S
Darübergibt es – erstens – klare gesetzliche Grundlagen. Zwei-tens gibt es einen präzisen Ordnungsrahmen. Drittensgibt es ein Regulierungsregime. Es bedarf nicht der Auf-Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7929
forderung durch die Bundesregierung über den Deut-schen Bundestag an den Regulierer, jetzt für weiterenWettbewerb zu sorgen. Der Prozess ist voll im Gang.Wir werden diesen Weg weitergehen.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Mayer.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass die
Angebote von T-online, die Sie angeführt haben und die
ich begrüße, nämlich eine Full Flat-Rate für alle und ein
Sonderangebot für die Schüler, das Monopol verfestigen
werden und dass sie nur dann zu mehr Wettbewerb füh-
ren, wenn die Deutsche Telekom AG bereit ist, gleich-
zeitig allen anderen Anbietern von Internetzugängen,
den Internetakzessprovidern, einen Telefontarif zu offe-
rieren, der es diesen auch erlaubt, ähnliche Tarife anzu-
bieten?
S
Diese Auf-
fassung teile ich. Ich bin trotzdem – darauf haben Sie
auch hingewiesen – der Meinung, dass das vorliegende
Angebot ein wichtiger Durchbruch im Rahmen der jet-
zigen Entwicklung ist, weil ich ganz sicher bin, dass
auch die anderen Betreiber – wir stehen auch in Kontakt
mit anderen Betreibern – ähnliche Angebote machen
werden.
Ich kann Ihnen, Herr Mayer, nicht ersparen, ein paar
Jahre zurückzuschauen, als wir beide im Regulierungs-
beirat saßen.
– Richtig, Sie nicht, aber ich war Mitglied dieses Rates.
Wir Sozialdemokraten hatten damals beantragt, dass
man mit der Vergabe von Lizenzen an Unternehmen die
Auflage verbinden sollte, dass die Lizenznehmer dann,
wenn sie die Lizenz erhalten, den Schulen einen kosten-
losen Internetzugang bereitstellen sollen. Dies ist damals
im Regulierungsbeirat von Ihrer Fraktion abgelehnt
worden. Ich habe das sehr bedauert, weil uns dies fünf
Jahre gekostet hat und es uns in der Entwicklung zu-
rückgeworfen hat. Man kann schon im Rahmen der Ver-
gabe von Lizenzen solche Regelungen treffen. Das ma-
chen übrigens, Herr Hirche, auch ausgesprochen liberale
Länder, weil sie wollen, dass die Schulen entsprechende
Möglichkeiten haben. Ich freue mich sehr darüber, dass
Herr Mayer so massiv auf eine Regulierung der Preise in
der Marktwirtschaft drängt.
– Das ist wahr; das wollen wir nicht vergessen.
– Herr Mayer, hören Sie mir eine Sekunde zu. Es
stimmt: Der Wettbewerb muss kommen. Sie haben, seit-
dem Sie in der Opposition sind, immer einen Nulltarif
für Schulen und eine Full Flat-Rate gefordert. Sie wollen
ja keine Flat-Rate, die über 100 DM liegt. Sie wollen ei-
ne vernünftige Flat-Rate.
– Ich erkläre es dem Bundesaußenminister: Die „Full
Flat-Rate“ ist ein nicht getakteter Tarif, ein Pauschalbe-
trag. Sie ist sozusagen eine feste Gebühr. Das ist das
Steckenpferd von Herrn Mayer.
Herr Kollege Mayer, ich komme auf Ihre Frage zu-
rück: Wir alle haben ein Interesse daran, dass insbeson-
dere unsere Schulen, Universitäten und Bibliotheken ei-
nen möglichst guten und auch einen kostenmäßig erträg-
lichen Zugang zum Internet haben. Ich glaube, dass des-
halb der Vorstoß der Deutschen Telekom einen wichti-
gen Akzent setzt. Ich habe dargelegt, wie ich das Ver-
hältnis zu den Wettbewerbern der Telekom beurteile.
Ich hoffe sehr, dass noch im Laufe dieses Jahres alle
Schulen in Deutschland die Möglichkeit haben, zu er-
träglichen Kosten einen Internetzugang zu erhalten. Sie
wissen, die Bundesregierung hat sich verpflichtet, zu-
sammen mit den Ländern und mit den Unternehmen al-
les dafür zu tun, dass bis Ende nächsten Jahres alle
Schulen am Netz sind.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär. Vielen Dank, Herr Mayer, Ihr
Kontingent an Zusatzfragen ist erschöpft.
Wir kommen jetzt, wie vereinbart, zum Geschäftsbe-
reich des Auswärtigen Amtes zurück. Zur Beantwortung
der verbliebenen Fragen steht der Bundesminister
Joseph Fischer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Jörg van
Essen auf:
Unter welchen Voraussetzungen ist die Europäische Union nach Auffassung der Bundesregierung berechtigt, gemäß Art. 7 des Vertrages über die Europäische Union „bestimmte Rechte“ gegenüber einem Mitgliedstaat auszusetzen, und auf welcher eu-roparechtlichen Grundlage beruht nach Auffassung der Bundes-regierung die Entscheidung des Europäischen Rates, die bilate-ralen Kontakte mit der Republik Österreich auszusetzen?
Herr Abgeordneter van Essen, die Voraussetzung für ei-ne Suspendierung von Rechten aus dem EU-Vertragergeben sich aus dem von Ihnen genannten Art. 7. Aberim gegenwärtigen Fall liegt nicht, wie Sie irrigerweiseannehmen, eine Entscheidung des Europäischen Ratesvor; vielmehr haben die Regierungen von 14 EU-Mitgliedstaaten in abgestimmter Weise bilateral auf dieRegierungsbildung unter Beteiligung der FPÖ reagiert.Sie haben dabei von ihrer Möglichkeit Gebrauch ge-macht, ihre bilateralen Beziehungen zur österreichischenRegierung so zu gestalten, wie es im Interesse der ge-Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
Metadaten/Kopzeile:
7930 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
meinsamen Werte der Freiheit, der Demokratie, derMenschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit geboten ist.
Zusatz-
frage, Herr Kollege van Essen.
Herr Außenminister, wie
beabsichtigt die Bundesregierung der Sorge vieler
Kommentatoren zu begegnen, dass insbesondere das un-
sensible Vorgehen der Bundesregierung dazu beiträgt,
dass die FPÖ zu weiteren Wahlerfolgen kommt?
Die Bundesregierung weist zurück, dass sie unsensibel
vorgehe. Die Bundesregierung ist sensibel, vor allen
Dingen im Umgang mit ihren Partnern. Genauso wie wir
mit den Kommentatoren umgehen - durch geduldiges
Bemühen und Aufklären –, so werden wir es auch hier
mit der Opposition versuchen.
Eine
weitere Zusatzfrage des Kollegen van Essen.
Herr Bundesaußenminis-
ter, welche konkreten Koalitionsvereinbarungen der
neuen österreichischen Bundesregierung verstoßen ge-
gen welche konkreten Bestimmungen des EU-Ver-
trages?
Diese Frage wollte ich später in Beantwortung einer an-
deren Frage beantworten. Ich kann nur noch einmal be-
tonen – wir werden das vermutlich in einer Aktuellen
Stunde vertiefen –: Aus unserer Sicht ist die Frage ver-
tragsrelevanter Ereignisse nicht gegeben. Wenn das der
Fall wäre, dann müssten selbstverständlich die Kommis-
sion – als Hüterin –, aber auch der Rat agieren. Das ist
aber nicht der Punkt; deswegen hat sich die Bundes-
regierung immer dagegen ausgesprochen, dass die Euro-
päische Union im formellen Sinne reagiert.
Dennoch sehen wir – übrigens gemeinsam mit dem
österreichischen Bundespräsidenten und auch der EVP,
der Europäischen Volkspartei – diesen Vorgang als, um
es ganz diplomatisch zu formulieren, so ungewöhnlich
und als für die europäische Zukunft ein solches Maß an
Sorge erweckend an, dass wir es für notwendig erachtet
haben, in Abstimmung mit unseren Partnern entspre-
chend vorzugehen. Wir tragen dies inhaltlich mit und
halten es von der formellen Seite her für angemessen.
Wir
kommen zu Frage 15 des Kollegen Jörg van Essen:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang aus der im Programm der österreichischen Re-gierungskoalition vorgesehenen Ausarbeitung einer Grund-rechtscharta, der Unterstützung der EU-Osterweiterung und der Förderung der EU-Beobachtungsstelle für Rassismus und Frem-denfeindlichkeit in Wien?
Kollege van Essen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt.
– Was bei Ihnen jetzt wehtut, weiß ich nicht. Das kann
ich nicht beantworten.
– Nein, ich kämpfe mit einer heraufziehenden Erkältung
und ich bitte um Verständnis, dass ich einmal durch-
schnaufen musste.
– Das würde auch Ihnen, Herr Koppelin, nicht schaden,
so wie Sie mich anschauen.
Diese Zielvorstellungen der neuen österreichischen
Regierung sind ein Schritt in die richtige Richtung. Die
Bundesregierung wird zusammen mit ihren Partnern
sorgfältig beobachten, wie die österreichische Regierung
dies in die Praxis umsetzt.
Zusatz-
fragen liegen nicht vor.
Wir kommen zu Frage 16 des Kollegen Haussmann:
Befindet sich das von der österreichischen Regierungskoali-tion vorgelegte Regierungsprogramm nach Auffassung der Bun-desregierung in Übereinstimmung mit den in Art. 6 des Unions-vertrages festgelegten gemeinsamen Grundsätzen über Demo-kratie, Menschenrechte, Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit und ist nach Auffassung der Bundesregierung durch die Regie-rungsbildung durch FPÖ und ÖVP in Österreich eine „schwer-wiegende und anhaltende Verletzung“ der in Art. 6 genannten Grundsätze durch einen Mitgliedstaat gegeben?
Ich beantworte die Frage des Kollegen Haussmann wie
folgt: Da eine Entscheidung des Rates nach dem
EU-Vertrag nicht getroffen wurde, war eine Stellung-
nahme der österreichischen Regierung nicht erforder-
lich.
len zu einem EU-Seminar gehen! Da lernen
sie die Grundlagen!)
Zusatz-
frage, Herr Kollege Haussmann?
Herr Außenmi-nister, ist Ihnen bekannt, dass der jetzige BundeskanzlerHerr Schüssel sowohl in seiner Eigenschaft als Wirt-schaftsminister und als auch als Außenminister in einemBundesminister Joseph Fischer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7931
sehr hohen Maße dazu beigetragen hat, dass die österrei-chische Bevölkerung in einer Volksabstimmung mit über zwei Dritteln dem EU-Beitritt zugestimmt hat?
Verdient diese Haltung nicht einen gewissen Vorschussan Vertrauen für den Bundeskanzler?
Ich kenne Wolfgang Schüssel in seiner Eigenschaft als
Außenminister sehr gut. Ich habe mit ihm sehr gut
zusammengearbeitet, auch auf der persönlichen Ebene.
Das habe ich überhaupt nicht zurückzunehmen. Ich habe
in jedem Interview geäußert, dass ich von seiner europa-
politischen Orientierung zutiefst überzeugt bin. Dies
wiederhole ich auch hier.
Umso mehr finde ich es sehr bedenklich, dass er die-
sen Schritt getan hat. Wir haben hier nicht über eine
Entscheidung des österreichischen Souveräns/der öster-
reichischen Souveränin zu reden, sondern über eine Ent-
scheidung der ÖVP-Führung. Ohne dass sich die EU
auch nur im Entferntesten geäußert hat, ist Herr Haider
jetzt in einer Situation, in der er faktisch stärker als die
ÖVP ist.
Meine Hauptsorge - das habe ich heute auch im Aus-
schuss gesagt - ist, wer wen integriert und was wir tun
werden, wenn das, was Wolfgang Schüssel zu tun vor-
gibt, nicht gelingt und Haider immer stärker wird. Die
gegenwärtigen Umfragen zeigen nicht, dass dies der Fall
ist. Die ÖVP ist allerdings dramatisch eingebrochen; sie
liegt bei 19 Prozent und die FPÖ bei 27 Prozent. Der
behauptete Zuwachs - der „Boost“ - durch die europäi-
sche Reaktion ist nicht festzustellen.
Aber meine große Sorge ist, was tatsächlich ge-
schieht, wenn sich die FPÖ-Frage nicht nur als Integra-
tionsproblem darstellt, sondern das Gegenteil eintritt.
Dann werden wir ein wesentlich ernsthafteres Problem
in Europa zu gewärtigen haben.
Zweite
Zusatzfrage, Kollege Dr. Haussmann.
Gibt es, Herr Au-
ßenminister, unter dem Dach der Europäischen Union
Erfahrungen, dass bei Regierungsbeteiligungen linkspo-
pulistischer Parteien, zum Beispiel in Frankreich, ein In-
tegrationsprozess stattfindet? Warum misst die Bundes-
regierung diese beiden Extrembeteiligungen, Linkspopu-
lismus in Frankreich und Rechtspopulismus in Öster-
reich, nach so unterschiedlichen Maßstäben?
Wenn eine erklärt antieuropäische und ausländerfeindli-
che Partei – egal von welcher Seite her – in eine Regie-
rung eintritt, gibt das Anlass zur Sorge. Falls eine solche
Partei dann sogar der stärkere Faktor ist, gibt das noch
mehr Anlass zur Sorge. Wenn dieses in einem Land wie
Österreich mit einer ganz spezifischen Geschichte ge-
schieht – in der Bundesrepublik Deutschland würden wir
in einem solchen Falle noch eine ganz andere öffentliche
Reaktion zu gewärtigen haben –, wird dies von den Part-
nern mit sehr viel Sorge und auch mit einem mit den
Händen zu greifenden Misstrauen beantwortet aufgrund
der gemeinsamen Geschichte und engen Verbindung mit
Deutschland sowie aufgrund der Geschichte unseres
Kontinents in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Ich bin der Meinung, dass das große Problem, vor
dem wir stehen – das werden wir nachher zu debattieren
haben; dabei werde ich meine Position ausführen –, da-
rin besteht, dass wir es bei Herrn Haider und seiner Par-
tei oder Bewegung nicht mit einem Minoritätspartner zu
tun haben. Das wäre dann eine Frage der politischen
Auseinandersetzung, dazu hätte ich – nicht als Außen-
minister – im Rahmen der üblichen politischen Ausein-
andersetzung eine Meinung. Hier haben wir es aller-
dings mit der Entscheidung der ÖVP aus einer Situation
der Schwäche ihrerseits zu tun, einem stärkeren Partner
den Steigbügel zu halten. Das wird leider nicht die Kon-
sequenzen haben, wie sie Wolfgang Schüssel intendier-
te.
Eine
weitere Frage des Kollegen Koppelin.
Herr Außenminister,
einmal ganz praktisch gefragt: Wenn die österreichische
Regierung den Wunsch äußerte, mit einigen Kabinetts-
mitgliedern nach Deutschland zu kommen, um mit der
Bundesregierung zu sprechen, wären Sie dann bereit, an
solchen Gesprächen teilzunehmen, oder sind Sie nicht
dabei?
Die Bundesregierung hat ihre Position gefunden. Selbst-verständlich halten wir nichts von Österreich-Bashingoder ähnlichem mehr. Ich sage noch einmal: Wir sindgemeinsam mit den anderen Staats- und Regierungs-chefs – vorneweg die Konservativen – von tiefer Sorgeüber diesen Vorgang erfüllt, der alles andere als ge-wöhnlich ist und über den man auch nicht zur Tagesord-nung übergehen kann. Wenn aber solche Wünsche ge-äußert werden, müssen sie im konkreten Zusammenhangbewertet werden. Wir spekulieren hier, Herr KollegeKoppelin, nicht über das, was wir morgen oder über-morgen tun. In dieser schnelllebigen Zeit ist es schwie-rig, herauszufinden, was morgen oder übermorgen nochFakt ist, wie wir gegenwärtig erleben.
– Vielleicht sind Sie nicht mehr im Amt, vielleicht binich nicht mehr im Amt, vielleicht sind andere nicht mehrim Amt. Wer weiß es denn?
Dr. Helmut Haussmann
Metadaten/Kopzeile:
7932 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Unser Schicksal liegt in der Hand der Wählerinnen undWähler. Über so manche Aussage zu spekulieren verbie-tet sich doch im Lichte der konkreten Realität. Sie woll-ten ein praktisches Beispiel haben. Wenn sich diese Fra-ge stellt, wird sie beantwortet.
Eine
weitere Frage des Kollegen Hirche.
Herr Außenminister, wie
wollen Sie eigentlich dem Eindruck entgegentreten, der
in der Schweiz und in beitrittswilligen europäischen
Ländern entstanden ist, dass sich die EU in die innersten
Angelegenheiten insbesondere kleinerer Mitgliedstaaten,
auch potenzieller Mitgliedstaaten, einmischt? Auf diese
Weise nimmt sie sie gegen Europa und nicht für Europa
ein.
Herr Kollege Hirche, wir sind mit dem Amsterdamer
Vertrag im Innenverhältnis der Europäischen Union –
ich betone das ausdrücklich – einen wesentlichen Schritt
weitergekommen, auch dank der Integrationsleistungen
der Vorgängerregierung. An diesem Punkt kann ich nur
sagen, dass wir uns im Innenverhältnis in einer Zwi-
schenphase befinden. Auf der einen Seite haben wir
noch nicht den vollen Integrationsprozess vollzogen, es
gibt ja auch noch keine europäische Verfasstheit. Auf
der anderen Seite spüren wir aber in allen europäischen
Fragen gegenwärtig schon – dabei sind wir durch Ams-
terdam einen wichtigen Schritt vorangekommen –, dass
wir am Beginn einer Verfassungsdiskussion stehen.
Auch die gegenwärtige Diskussion wird – egal, wo wir
in ihr stehen – meines Erachtens diesen Prozess be-
schleunigen und zu einer Verpflichtung auf gemeinsame
Grundwerte im Innenverhältnis führen.
Die Schweiz gehört nicht zur Europäischen Union.
Europakritischen Positionen aus der Schweiz würde ich
mit derselben Ruhe entgegentreten, wie ich es in den
Jahren davor auch immer getan habe, als es andere Ar-
gumente gab.
Was die Beitrittsstaaten angeht, ist mein Eindruck
eher der, dass dort die proeuropäische Seite durchaus
sehr viel Verständnis dafür hat, dass es sich um den Bei-
tritt zu einer Wertegemeinschaft handelt,
dass es also nicht um den Beitritt zu einem Wirtschafts-
klub geht. Ich sage das hier ganz bewusst und gehe auch
davon aus, dass dies für alle gilt: Bei der EU handelt es
sich um eine Wertegemeinschaft, die im Rahmen der po-
litischen Integration zur Vollendung geführt wird.
Nun zur Frage der großen und kleinen Staaten: Zwar
halte ich diese Debatte aus Gründen der Kontroverse
zwischen Opposition und Regierung für nachvollzieh-
bar. Aber ich bitte Sie, einmal seriös darüber nachzu-
denken,
was passieren würde, wenn sich ein solcher Fall – dieser
Fall stellt sich nicht – in der Bundesrepublik Deutsch-
land stellte. Wir hätten dann, um es einmal ganz milde
zu formulieren, eine ernste Krise des europäischen Eini-
gungsprozesses.
Wenn sich in Frankreich Vergleichbares ereignete und
in der dortigen Regierung ähnliche Kräfteverhältnisse
herrschten, dann wären die Reaktionen und vor allen
Dingen die Auswirkungen auf den Zusammenhalt Euro-
pas um ein Vielfaches größer, als es jetzt im Zusam-
menhang mit Österreich der Fall ist.
Eine
weitere Frage des Kollegen Schockenhoff von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Au-
ßenminister, wie beurteilt die Bundesregierung die Be-
teiligung der SPÖ an einer von Jörg Haider geführten
Regierung in Kärnten, und wie wurde die SPÖ-
Ministerin, die das Bundesland Kärnten im Ausschuss
der Regionen vertritt, in der Vergangenheit behandelt?
Ich kann nur hinzufügen, dass unsere Haltung uneinge-
schränkt gilt. Wir halten eine Regierungsbeteiligung der
FPÖ vor allen Dingen unter den gegenwärtigen Bedin-
gungen auf der nationalen Ebene – egal, mit welcher an-
deren demokratischen Partei – für einen Anlass, der uns
mit Sorge erfüllt. Das gilt für den konkreten Fall, den
wir gerade diskutieren; das gälte aber auch für andere
mögliche Fälle.
Eine
weitere Frage des Kollegen Irmer.
Herr Minister, wenn Sie im-mer wieder zu Recht betonen, dass es sich bei denStrafmaßnahmen gegen Österreich nicht um eine Ent-scheidung des Europäischen Rates gehandelt hat, dannfrage ich Sie gleichwohl, wie in der Öffentlichkeit denndieser Eindruck entstehen konnte.
Kann es vielleicht daran liegen, dass es bei einem einerTagung des Europäischen Rates vergleichbaren Anlassund in gleicher Zusammensetzung beschlossen wurde?Wie stehen Sie des Weiteren dazu, dass sich in diesemZusammenhang die Kommission durch den PräsidentenProdi und auch durch den sozialdemokratischen Kom-Bundesminister Joseph Fischer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7933
missar Verheugen außerordentlich kritisch zu diesen Be-schlüssen geäußert hat, die nach außen hin allgemein alsBeschlüsse des Europäischen Rates interpretiert wordensind?
Herr Kollege Irmer, zunächst einmal handelt es sich hier
nicht um Strafmaßnahmen. Es handelt sich hier auch
nicht um – –
– Aber ich bitte Sie, es geht nicht um Strafmaßnahmen.
Wir werden das nachher zu diskutieren haben. Es geht
nicht um Strafmaßnahmen, sondern darum, dass wir mit
tiefer Sorge erfüllt und in der Tat der Meinung sind, dass
man nicht einfach zu business as usual übergehen und so
tun kann, als wäre nichts gewesen.
Auf der anderen Seite war die Haltung der Bundesre-
gierung in der Kommission immer eindeutig: Solange
nicht Vertragsrelevantes gegeben ist, wird und kann
nicht auf der Grundlage der Europäischen Verträge rea-
giert werden. Die Kommission als Hüterin der Europäi-
schen Verträge hat dies noch einmal klargemacht. Sie
hat auch mit allem Nachdruck klargemacht, dass sie die
Vorgänge sehr sorgfältig beobachten wird.
Ich bitte Sie, sich daran zu erinnern, dass der österrei-
chische Bundespräsident noch kurz vor der Angelobung
der neuen Regierung zwei der Ministerkandidaten we-
gen nicht hinnehmbarer rassistischer Äußerungen von
der Liste gestrichen hat. Ferner diskutiert die EVP ernst-
haft eine Suspendierung der ÖVP. Wollen Sie uns ange-
sichts dessen wirklich empfehlen, wir sollten hier zur
Tagesordnung übergehen? Das würde nichts anderes als
die Isolierung der Bundesrepublik Deutschland bedeu-
ten, meine Damen und Herren.
Ich kann Ihnen an diesem Punkt nur versichern, dass
ich die Äußerungen von Prodi und Verheugen – ich habe
mit beiden geredet – mitnichten so bewerte, wie Sie das
gerade getan haben.
Eine
weitere Frage des Kollegen Dr. Müller von der
CDU/CSU-Fraktion.
Im Anschluss an die
Frage von Herrn Irmer möchte ich fragen: Wie bewerten
Sie die getroffenen Beschlüsse angesichts der Tatsache,
dass die Maßnahmen gegen Österreich vor Kenntnis des
Regierungsprogramms und der Regierungsmannschaft –
also eine im Vorhinein ausgesprochene Sanktion – be-
kannt gegeben wurden? Auf welcher Rechtsgrundlage
ist der Europäische Rat tätig geworden?
Im Gegensatz zu Ihnen bin ich kein Jurist.
– Ich bitte um Entschuldigung. Ich gehe grundsätzlich
davon aus, dass ich es mit Juristen zu tun habe.
In 9 von 10 Fällen liegt man richtig. In Ihrem Fall muss
ich mich entschuldigen; es war keine böse Absicht.
Von Nichtjurist zu Nichtjurist: Der Europäische Rat
ist nicht tätig geworden. Vielmehr haben sich die 14
Staats- und Regierungschefs, koordiniert von Portugal,
entsprechend abgesprochen und auf Grundlage dieser
Absprache eine gemeinsame Position gefunden. Das eu-
ropäische Vertragswerk und der Europäische Rat sind
davon nicht betroffen.
Eine
weitere Frage des Kollegen Niebel.
Herr Minister, vor dem Hinter-
grund, dass die F.D.P. vor ungefähr 10 Jahren für den
Ausschluss der FPÖ aus der Liberalen Internationale ge-
sorgt hat, unterstelle ich, dass wir diese Partei im We-
sentlichen inhaltlich gleich bewerten. Wenn Sie aller-
dings argumentieren, dass das Einfrieren offizieller Kon-
takte im Innenverhältnis der EU angemessen sei, muss
ich fragen, ob es nicht genauso angemessen wäre, wenn
im Innenverhältnis der Bundesrepublik die Bundesregie-
rung die offiziellen Kontakte zum Land Mecklenburg-
Vorpommern einfrieren würde, wo ja auch eine extreme
Partei mitregiert.
Bei allem Respekt, Herr Abgeordneter: Ich bin nunwirklich der Letzte, der die Auseinandersetzung mit derPDS und auch die Frage nach der Vergangenheitsbewäl-tigung scheut. Aber ich bin bei diesem sehr ernstenThema für eine klare Differenzierung. Wenn ich mir Herrn Haiders Programm anschaue, dasschlimme Emotionen in Form von Ausländerfeindlich-keit schürt und das die Europafeindlichkeit seiner Parteiund die Relativierung der nationalsozialistischen Ver-gangenheit beinhaltet, dann komme ich zu dem Schluss,dass ich eine solche Gleichsetzung mit der PDS nichtnachvollziehen kann. Dies würde auf eine Verharmlo-sung der FPÖ und vor allen Dingen auf eine Unterschät-Ulrich Irmer
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7934 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
zung der von ihr ausgehenden Gefahr hinauslaufen. Dasmöchte ich Ihnen klipp und klar sagen.
Ich bin der Letzte, der die PDS in Schutz nehmen willund der die politische Auseinandersetzung mit ihrscheut. Aber Ihren Vergleich – Entschuldigung – kannich nicht nachvollziehen.
Letzte
Zusatzfrage vom Kollegen Schauerte.
Herr Minister,
zunächst eine ganz kurze Vorbemerkung. Wenn man
jemanden fälschlicherweise einen Juristen genannt hat,
muss man sich deswegen im deutschen Parlament nicht
entschuldigen.
Nun die Frage. Sehr seriöse Quellen haben die Aus-
länderprogrammatik der FPÖ und der österreichischen
Regierung analysiert und haben sie mit der Programma-
tik der anderen europäischen Staaten verglichen. Sie
kommen zu dem Ergebnis, dass die dänische Ausländer-
politik um Längen restriktiver und weniger zumutbar sei
als die österreichische Ausländerpolitik. Wenn dieser
Tatbestand zutreffen sollte: Wann gedenkt die Bundes-
regierung mit Dänemark ähnlich zu verfahren wie mit
Österreich?
Herr Schauerte, zu Ihrer Vorbemerkung. Ich wollte nie-
mandem zu nahe treten, indem ich ihm den ehrbaren Be-
ruf des Juristen unterstelle. Die Bundesregierung ver-
sucht, allen Berufen gleichermaßen gerecht zu werden,
solange sie ernsthaft, seriös und auf der Grundlage des
Rechtes ausgeübt werden.
– Ich kann Ihnen dazu nur sagen: In diesem Falle geht es
nicht um Trauben, sondern nur darum, dass ich mich für
meinen Fehler entschuldigen wollte. Sie müssen sich als
Jurist nicht angegriffen fühlen.
Aber was Sie anschließend gesagt haben – da wächst
in mir eher die Skepsis. Man kann ernsthaft darüber
streiten, was wir heute im Auswärtigen Ausschuss getan
haben, ob man das, was die Staats- und Regierungschefs
getan haben, gut findet oder nicht, ob man es produktiv
oder kontraproduktiv findet. Man muss dann aber auch
über die Alternativen sprechen. Das wird schon weniger
getan. Ich habe mich mit der CSU und der CDU und
auch mit Herrn Kanther in der Frage der Ausländerpoli-
tik öfter sehr heftig gestritten,
weil ich grundsätzlich anderer Meinung bin. Dennoch
war ich nie der Meinung, dass die CSU oder die CDU
deswegen für mich sozusagen eine rechtspopulistische
oder gar rechtsradikale Gefahr darstellen. Bei Herrn
Haider stellt sich dies anders dar.
– Ich komme zu Dänemark, Herr Schauerte. – Ich bitte
Sie nochmals zu begreifen – was Sie offensichtlich nicht
tun –, was Herr Haider vor dem Hintergrund unserer
gemeinsamen deutsch-österreichischen Geschichte tat-
sächlich bedeutet und wie dieses in den Öffentlichkeiten
unserer EU-Partner angenommen wird.
Ihre Frage zeugt auch von Geschichtsblindheit, wenn
man weiß, welche Rolle Dänemark gespielt hat, wenn
man auch und gerade an die tapfere Haltung der Dänen
in den Zeiten des Holocausts denkt, als Deutschland ver-
suchte, die dänischen Juden zu deportieren, wenn man
weiß, mit wie viel Selbstbewusstsein das kleine dänische
Volk damals widerstanden hat, vom König angefangen,
quer durch alle Parteien, von links bis rechts. Ich hoffe,
dass diese Fragestellung und diese Vergleiche nicht dort
ankommen; denn sie würden dort völlig fehlinterpretiert
werden.
Insofern appelliere ich noch einmal an Sie zu begreifen,
dass wir hier zwar auch eine innenpolitische Debatte
führen, dass wir gleichzeitig aber sehr klar sehen müs-
sen, dass wir es mit einem europapolitischen Vorgang zu
tun haben. Dieser Aspekt scheint mir bei der Opposition
ein wenig zu kurz zu kommen.
Wir
kommen nun zur Frage 17 des Kollegen Dr. Haussmann:
Ist es nach Auffassung der Bundesregierung erforderlich, den betroffenen Mitgliedstaat um Stellungnahme zu ersuchen, bevor eine Maßnahme nach Art. 6 des Unionsvertrages gegen ihn ver-hängt wird, und aus welchen Gründen ist eine derartige Stel-lungnahme der österreichischen Regierung eventuell nicht ein-geholt worden?
Herr Kollege Haussmann, da eine Entscheidung des Ra-
tes nach dem EU-Vertrag nicht getroffen wurde, war ei-
ne Stellungnahme der österreichischen Regierung nicht
erforderlich.
Zusatz-
frage? – Keine. Dann Herr Irmer.
Wenn die Regierungen derMitgliedstaaten der EU diesen Beschluss gefasst habenund nicht der Europäische Rat, dann stellt sich die Fragegenauso, ob es nicht seitens dieser Mitgliedstaaten an-gebracht gewesen wäre, die Regierung eines anderenBundesminister Joseph Fischer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7935
Mitgliedstaates der EU vorher zu konsultieren. Auchwenn es nicht der Europäische Rat war, bleibt also dieFrage gleichwohl unbeantwortet.
Nein, die Frage bleibt nicht unbeantwortet. Es hat über
Wochen hinweg ein intensives Gespräch zwischen den
verschiedensten Staats- und Regierungschefs – übrigens
nicht nur der EU, sondern auch außerhalb der EU – ge-
geben. Das österreichische Bundespräsidialamt hat dies
in einer eigenen Dokumentation sehr penibel fest-
gehalten. Ich empfehle Ihnen, diese Dokumentation
nachzulesen. Sie wurde dem österreichischen Parlament
überstellt. Es hat intensive Gespräche auf der Ebene ein-
zelner Staats- und Regierungschefs gegeben, an denen
ich nicht teilgenommen habe, von denen aber berichtet
wurde. Dies geschah am Rande des Europäischen Rates,
wobei es gegenüber dem Kollegen Schüssel keinerlei
Unklarheit gegeben hat. Wenn ich jetzt formal antworte-
te, müsste ich sagen: Aber zu diesem Zeitpunkt war ja
über die österreichische Regierung, über die wir heute
sprechen, noch nicht zu sprechen. Sie hatte sich damals
noch nicht konstituiert. Dennoch hat es auf den ver-
schiedensten Ebenen eine offene Ansprache und Aus-
sprache gegeben. Ich denke, es konnte keinerlei Zweifel
daran bestehen, wie ernst die beteiligten Staats- und Re-
gierungschefs in der EU dies tatsächlich nehmen.
Nun
stellt Herr Kollege Koppelin eine Zusatzfrage.
Herr Außenminister,
wenn ich das in den Medien richtig verfolgt habe, haben
Sie in diesen Tagen Gespräche mit dem EU-
Beitrittskandidaten Türkei geführt. Hat die Haltung der
deutschen Regierung gegenüber Österreich in diesen
Gesprächen auch eine Rolle gespielt und haben Sie dem
türkischen Außenminister klargemacht, welche Parteien
in der Türkei zukünftig nicht mehr zu wählen sind?
Wieso jetzt herauskommt, wie schwach unsere Position
ist, weiß ich nicht. Ich kann Ihnen aber Folgendes versi-
chern: Ich habe darüber selbstverständlich mit dem tür-
kischen Kollegen gesprochen, weil Österreich ein
Thema war. Wir haben darüber sehr ausführlich gespro-
chen. Ich kann Ihnen versichern: Es ist nicht die Aufga-
be der Bundesregierung, darüber zu entscheiden, welche
Partei in Deutschland gewählt wird, es sei denn, es ist
eine verfassungsfeindliche Partei. In diesem Fall findet
ein entsprechendes gesetzliches Verfahren statt, wenn es
einen Verbotsantrag gibt. Es ist nicht die Aufgabe der
Bundesregierung, hier oder in einem anderen Land dar-
über zu entscheiden. Es ist aber die Aufgabe der Bun-
desregierung, sich klar zu unseren Grundwerten zu be-
kennen.
Wenn sie die Gefahr sieht, dass diese Grundwerte in der
Europäischen Union bedroht sind, muss sie entspre-
chend reagieren. Nur darum geht es. Wenn Sie aber
meinen, wir müssten hier eine innenpolitische Kontro-
verse führen, ob die Bundesregierung darüber entschei-
det, wer wo gewählt werden soll, so kann ich Ihnen eine
Wahlentscheidung für Schleswig-Holstein geben, wer
auf keinen Fall gewählt werden soll.
Wir
kommen nun zur Frage 18 des Kollegen Ulrich Irmer:
Ist die Regierungsbildung nach demokratischen Wahlen in einem EU-Mitgliedstaat nach Auffassung der Bundesregierung ein Vorgang, der der Mitbestimmung der anderen EU-Partner bedarf, oder handelt es sich hierbei um eine souveräne Entschei-dung des Mitgliedstaates, die der strengen Subsidiarität unter-worfen ist?
Die 14 EU-Mitgliedstaaten, Herr Kollege Irmer, die in
abgestimmter Weise bilateral auf die Regierungsbildung
unter Beteiligung der FPÖ politisch reagiert haben, ha-
ben nicht den Anspruch, ein Mitbestimmungsrecht zu
besitzen. Sie haben aber von ihrer Möglichkeit
Gebrauch gemacht, ihre bilateralen Beziehungen zur ös-
terreichischen Regierung so zu gestalten, wie es im Inte-
resse der gemeinsamen Grundwerte, der Freiheit, der
Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaat-
lichkeit, geboten ist. Die Frage nach der Subsidiarität
stellt sich deshalb nicht.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Irmer. Bitte schön.
Herr Bundesaußenminister, im
Jahre 1994 wurde in Italien eine Regierung von Herrn
Berlusconi gebildet unter Einbeziehung zweier neofa-
schistischer Parteien. Können Sie mir sagen, warum da-
mals keine Reaktion erfolgte, die vergleichbar gewesen
wäre mit der, wie sie jetzt gegen Österreich erfolgt ist?
Das ist eine Frage, die Sie an den damaligen Außenmi-nister und an Herrn Dr. Kohl richten müssen. Ich wardamals nicht Mitglied der Regierung.
Ich war sehr besorgt darüber.
– Entschuldigung, für mich als überzeugten Europäer istdie Beteiligung einer neofaschistischen Partei keineSelbstverständlichkeit. Wenn Sie es lustig finden, dannfinden Sie es lustig. Ulrich Irmer
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7936 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Eine
weitere Zusatzfrage des Kollegen Irmer.
Herr Bundesaußenminister,
meiner Erinnerung nach waren Sie 1994 Mitglied des
Deutschen Bundestages und haben keine Gelegenheit
ausgelassen, der damaligen Bundesregierung am Zeug
zu flicken. Ich erinnere mich nicht – vielleicht helfen Sie
mir auf die Sprünge, wenn Sie auf die damaligen
Machtverhältnisse verweisen –, dass von Ihnen oder von
der grünen Fraktion irgendeine Attacke auf die Bundes-
regierung erfolgt wäre wegen Nichtagierens gegen die
Beteiligung von Neofaschisten in Italien.
Hier bin ich, Herr Kollege Irmer, wirklich überfragt. Da
müssen Sie nicht ins Tremolo fallen. Mit Aussagen, was
die Erinnerung betrifft, sollten wir aus der Lamäng he-
raus vorsichtig sein.
Gibt es
dazu weitere Fragen? – Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zu Frage 19 des Kollegen Ulrich
Irmer:
Hat die Bundesregierung Hinweise darauf, dass die bis zur Regierungsübernahme durch die neue Koalition im Amt befind-liche Vorgängerregierung in Österreich unter Bundeskanzler Viktor Klima die Mitgliedstaaten der Europäischen Union er-sucht hat, Maßnahmen gegen Österreich nach Art. 7 des Uni-onsvertrages zu prüfen?
Herr Kollege, die Frage wird mit Nein beantwortet.
Zusatz-
frage des Kollegen Irmer.
Ich möchte gerne zusätzlich
fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, dass es An-
gebote des früheren Bundeskanzlers Klima, SPÖ, an die
FPÖ gegeben hat, über eine gemeinsame Koalition zwi-
schen SPÖ und FPÖ zu verhandeln, oder ob es zumin-
dest die Aufforderung von Herrn Klima an die FPÖ und
damit an Herrn Haider gegeben hat, eine Minderheiten-
regierung der SPÖ in Österreich zu tolerieren.
Ich kann nur für mich antworten, denn für die gesamte
Bundesregierung zu antworten wäre etwas vermessen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Mir liegen keine Kenntnisse
über das, was man in den Zeitungen gelesen hat, vor. Ich
habe mich zu dieser Frage aber vorher klar und eindeu-
tig geäußert. Die Haltung der Bundesregierung gilt hier
generell für die Beteiligung der FPÖ an der Bundesre-
gierung in Österreich.
Keine
weitere Zusatzfrage? – Dann sind die Fragen zum Ge-
schäftsbereich des Auswärtigen Amtes beendet. Ich be-
danke mich, Herr Bundesaußenminister.
Die F.D.P.-Fraktion hat eine Aktuelle Stunde zu die-
sem Thema beantragt. Diese wird genau um 15 Uhr auf-
gerufen werden.
Wir fahren nun in der Fragestunde fort.
Die Fragen 48 und 49 zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie
werden schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Be-
antwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Ulrike Mascher zur Verfügung.
Die Fragen 50 und 51 des Kollegen Strobl sollen
schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zur Frage 52 des Kollegen
Singhammer:
Wie beurteilt die Bundesregierung allgemein die Vorschläge der EU-Kommission für Richtlinien zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und zur Anwendung des Gleichheits-grundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Her-kunft und insbesondere die vorgesehenen Vorschriften zur Be-weislastumkehr zulasten des Arbeitgebers, zur Möglichkeit einer Verbandsklage und zum Tendenzschutz?
Frau Mascher, bitte schön.
U
Herr KollegeSinghammer, die Bundesregierung begrüßt grundsätz-lich die Initiative der Europäischen Kommission zur Be-kämpfung von Diskriminierungen, die auch den Schluss-folgerungen des Europäischen Rates von Tampere ent-spricht. Dieser hat die Kommission ersucht, so bald wiemöglich Vorschläge, die Durchführung des Art. 13 EG-Vertrag betreffend, zur Bekämpfung von Rassismus undFremdenfeindlichkeit vorzulegen. Hierdurch wird eineinheitlicher europäischer Rahmen zur Bekämpfung vonDiskriminierungen geschaffen.In Bezug auf die Beweislastumkehr zulasten des Ar-beitgebers, die Möglichkeit einer Verbandsklage undden Tendenzschutz möchte ich auf Folgendes hinwei-sen:Die Richtlinienentwürfe enthalten keine generelleBeweislastumkehr zulasten des Arbeitgebers. Sie sehenvielmehr vor, dass es in Fällen, in denen Tatsachenglaubhaft gemacht werden, die das Vorliegen einer Dis-kriminierung vermuten lassen, dem Arbeitgeber obliegt,zu beweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt. DieBundesregierung hält diese Regelung für angemessen.Bundesminister Joseph Fischer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7937
Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der betroffeneArbeitnehmer in der Regel nicht über die notwendigenNachweise verfügen dürfte. Diese Regelung entsprichtauch der EG-Richtlinie über die Beweislast bei der Dis-kriminierung aufgrund des Geschlechts sowie der Rege-lung des § 611 a BGB, Gleichbehandlung von Männernund Frauen.Eine Verbandsklage ist in den Richtlinienentwürfennicht vorgesehen. Vorgesehen ist lediglich, dass Ver-bände, Organisationen oder andere juristische Personenim Namen der beschwerten Person mit deren Einwilli-gung ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren einleitenkönnen. Dies entspricht der geltenden Rechtslage inDeutschland.Die Richtlinienentwürfe berücksichtigen generell denTendenzschutz. Sie sehen unter anderem vor, dass Un-gleichbehandlungen aufgrund wesentlicher beruflicherAnforderungen auch weiterhin zulässig sein sollen. InBezug auf die Kirchen ist eine spezielle Regelung vor-gesehen, die dem Tendenzschutz der Kirchen Rechnungträgt. Entsprechend der Erklärung Nr. 11 zum Vertragvon Amsterdam hat die Europäische Kommission aus-drücklich anerkannt, dass sie den Status der Kirchen undweltanschaulichen Gemeinschaften anerkennt und nichtbeeinträchtigen möchte. Der Richtlinienvorschlag ent-hält daher in Art. 4 eine entsprechende Regelung, diedem Tendenzschutz Rechnung trägt.Die Bundesregierung wird darauf achten, dass das inunserer Verfassung verankerte Recht der Kirchen aufSelbstbestimmung durch die Richtlinien nicht berührtwird.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Singhammer?
Gilt dieser
Schutz für Tendenzbetriebe auch für nicht kirchliche
Tendenzbetriebe, zum Beispiel den Deutschen Gewerk-
schaftsbund?
U
Selbstver-
ständlich gilt er auch da. Wir haben die Frage der Koali-
tionsfreiheit auch in unserer Verfassung geregelt. Ent-
sprechend gilt das hier.
Weitere
Zusatzfrage? – Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Frage 53 des Kollegen
Singhammer:
Welchen Änderungsbedarf für das deutsche Recht und wel-che konkreten Auswirkungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sieht die Bundesregierung im Falle einer unveränderten Annah-me der Richtlinienvorschläge?
Frau Kollegin Mascher.
U
Herr Kollege
Singhammer, die Beratungen der Richtlinienvorschläge
in den Ratsgremien haben erst jetzt begonnen. Hierbei
wurde deutlich, dass die Mitgliedstaaten noch zahlreiche
Fragen und Änderungsvorschläge haben. Es ist daher
zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, konkrete Anga-
ben darüber zu machen, welche Auswirkungen die
Richtlinien auf das Arbeitsleben haben und welche
Rechtsänderungen im deutschen Recht durch die Um-
setzung der Richtlinien erforderlich werden. Ich bitte Sie
deswegen noch um etwas Geduld.
Zusatz-
frage, Herr Singhammer? – Bitte.
Frau Staats-
sekretärin, vielleicht können Sie trotzdem schon jetzt ei-
ne Frage beantworten, jedenfalls von der Tendenz her:
Schließen Sie aus, dass dadurch ein Konflikt mit Be-
stimmungen des Grundgesetzes möglich wäre?
U
Ich kann mir
nicht vorstellen, um welchen Konflikt es sich Ihrer Mei-
nung nach handelt. Ich denke, wir sollten abwarten, bis
die konkrete Richtlinie vorliegt.
Eine
weitere Zusatzfrage, Herr Singhammer? – Nein.
Dann kommen wir zur Frage 54 des Abgeordneten
Klaus Hofbauer:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Regelungen in den Richtlinienvorschlägen zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und zur Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft hinsichtlich der beruflichen und allgemeinen Bildung in Bezug auf die EU-Kompetenz, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass Art. 13 des EG-Vertrages eine EU-Kompetenz nur „im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zu-ständigkeiten“ vorsieht?
U
Herr Kollege
Hofbauer, Art. 13 des EG-Vertrages ermächtigt den Rat,
einstimmig Vorkehrungen zur Bekämpfung von Diskri-
minierungen zu treffen. Die auf der Grundlage der Quer-
schnittsregelung des Art. 13 vorgeschlagenen Richtli-
nienentwürfe beziehen sich daher grundsätzlich auch auf
die berufliche und allgemeine Bildung. Allerdings soll
mit den Richtlinien zur Umsetzung des Art. 13 EGV
keine Kompetenzausweitung verbunden sein. Daher
wird die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die
Lehrinhalte und die Gestaltung der Bildungssysteme
nicht berührt.
Dies wird ausdrücklich in Art. 3 g des Richtlinien-
entwurfs zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrund-
satzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Her-
kunft bestimmt.
Es gibtkeine Zusatzfrage. Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
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7938 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Dann kommen wir zur Frage 55 des AbgeordnetenKlaus Hofbauer:Wie rechtfertigt sich für die Bundesregierung der grundge-setzliche Schutz von Ehe und Familie, wenn nach dem Rechts-text der Richtlinienvorschläge zwischen ehelichen und nicht ehelichen bzw. gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nicht dif-ferenziert und so eine unterschiedliche Behandlung durch den Arbeitgeber, zum Beispiel bei betrieblichen Sozialleistungen, verboten wird?Frau Kollegin Mascher. U
Herr Kollege
Hofbauer, der grundgesetzliche Schutz von Ehe und
Familie wird durch den Vorschlag einer Richtlinie zur
Bekämpfung von Diskriminierungen in Beschäftigung
und Beruf nicht berührt. Dieser Richtlinienvorschlag
enthält keine Regelung zur Gleichstellung gleichge-
schlechtlicher Partnerschaften, sondern verweist auf die
jeweilige nationale Rechtslage. Daher richten sich die
Rechte gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften
ausschließlich nach den jeweiligen nationalen Rechts-
vorschriften.
Es gibt
keine Zusatzfrage. Dann kommen wir zur Frage 56 des
Kollegen Aribert Wolf:
Welche beschäftigungs- und sozialpolitischen Auswirkungen erwartet die Bundesregierung bei unveränderter Annahme des Kommissionsvorschlags für eine Richtlinie zur Familienzusam-menführung, insbesondere zugunsten von legal in der EU leben-den Drittstaatlern?
U
Herr Kollege
Wolf, die unveränderte Annahme des von der Kommis-
sion vorgelegten Vorschlags für eine Richtlinie zur Fa-
milienzusammenführung durch den Rat ist nicht zu er-
warten. Nach den ersten Beratungen in der Ratsarbeits-
gruppe zeichnet sich keine für die Annahme erforderli-
che einstimmige Zustimmung ab. Die beschäftigungs-
und sozialpolitischen Auswirkungen des Kommissions-
vorschlags können mangels entsprechender Daten nicht
benannt werden.
Hinsichtlich beschäftigungspolitischer Auswirkungen
ist aber darauf hinzuweisen, dass gemäß diesem Vor-
schlag der Kreis der Familienangehörigen, die einen An-
spruch geltend machen können, zu legal in der EU le-
benden Drittstaatlern nachzuziehen, im Vergleich zum
deutschen Recht ausgeweitet wird. Allerdings sollen aus
diesem Personenkreis nur der Ehegatte, die Ehegattin
und die Kinder bis zum 18. Lebensjahr ein uneinge-
schränktes Recht auf den Zugang zum Arbeitsmarkt er-
halten.
Nicht eingeschätzt werden kann, mit welchem zusätz-
lichen Nachzugspotenzial aus dem Kreis jener zu rech-
nen ist, die sich auf der Grundlage der bisherigen deut-
schen Nachzugsregelungen – dies betrifft Kinder bis
zum 16. Lebensjahr – entschieden haben, in ihrem Hei-
matland zu verbleiben, und für die sich nach der Ver-
wirklichung des Vorschlags ein zeitliches Fenster zum
Nachzug öffnen würde.
Ferner sollen weitere Familienangehörige, und zwar
Verwandte in aufsteigender Linie und unverheiratete
Kinder über dem 18. Lebensjahr, soweit ihnen jeweils
von sich in Deutschland legal aufhaltenden Drittstaats-
angehörigen Unterhalt gewährt wird – das ist entschei-
dend –, ein Nachzugsrecht, aber kein Recht auf Zugang
zum Arbeitsmarkt erhalten. Nach gegenwärtigem deut-
schen Arbeitsgenehmigungsrecht können diese Personen
gegebenenfalls nach Erfüllung bestimmter Wartezeiten
eine Arbeitserlaubnis erhalten.
Insoweit könnte sich einerseits eine zusätzliche
Belastung, andererseits aber auch eine Entlastung des
Arbeitsmarktes ergeben.
Da die
Staatssekretärin sehr erkältet ist, würde ich vorschlagen,
dass Sie sie schonen. Denn wir sind kurz vor Ablauf der
vorgesehenen Zeit für die Fragestunde und könnten an
dieser Stelle mit der Aktuellen Stunde fortsetzen.
U
Ich werde Ih-
nen meine Antwort schriftlich zur Verfügung stellen. –
Danke.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin. Ich wünsche gute Besse-
rung.
Die Fragen 57 bis 63 werden schriftlich beantwortet.
Wir sind jetzt eine halbe Minute vor Ablauf der für
die Fragestunde vorgesehenen Zeit. Deswegen beende
ich die Fragestunde.
Wir kommen nun zu der angekündigten Aktuellen
Stunde, die die Fraktion der F.D.P. zu den Antworten
der Bundesregierung auf die Fragen 14 bis 19 der Frage-
stunde verlangt hat.
Ich rufe daher auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Europäischen Union zur neuen
österreichischen Regierung
Das entspricht Nummer 1 b der Richtlinien für die Ak-
tuelle Stunde. Nach Nummer 2 a der Richtlinien muss
die Aussprache unmittelbar nach Schluss der Fra-
gestunde durchgeführt werden.
Als erster Redner in der Aktuellen Stunde hat der
Kollege Klaus Kinkel von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Europäer haben sich beiden Ausgrenzungsmaßnahmen gegenüber Österreichganz zweifellos vergaloppiert. Bundeskanzler SchröderVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7939
und Außenminister Fischer – das müssen sie sich sagenlassen – haben die Peitsche kräftig mitgeschwungen,obwohl es Deutschland, obwohl es der Bundesregierunggut angestanden hätte, gegenüber unserem kleinen,wichtigen Nachbarn Österreich in besonderer WeiseVerantwortung zu übernehmen und den Versuch zu ma-chen, die völlig unverhältnismäßigen Maßnahmen auf-zuhalten.
Es wird Zeit, dass der Rückwärtsgang eingeschaltetwird. Wenn ich die Lage richtig sehe, sind schon Rück-ruderbewegungen im Gange.
Ja, Jörg Haider ist ein schlimmer, ein sehr schlimmerPopulist, der sich durch seine Äußerungen disqualifizierthat. Daran kann es gar keinen Zweifel geben, auch nichtfür uns.
Seine simplifizierende, irreführende Art, auf die Sorgenund Probleme der Menschen Antworten eines vermeint-lich leichten Weges zu geben, ist nicht hinnehmbar. Dasmuss entlarvt und bekämpft werden, aber er muss poli-tisch bekämpft werden. Man darf nicht wie ein Kanin-chen auf die Schlange blicken und Angst haben, sich po-litisch mit ihm auseinander zu setzen.
Was die Europäer angerichtet haben,
bewirkt genau das Gegenteil von dem, was beabsichtigtist, nämlich Haiders Aufwertung.
– Vorsichtig, Herr Bundeskanzler. An der Haider-Hysterie haben Sie leider Gottes mitgewirkt. Es wäredeshalb besser gewesen, man hätte vorher ein bisschenmehr darüber nachgedacht.
Wir sind der Meinung, dass die Europäische Unionwahrhaftig sehr genau darauf achten sollte, was im Re-gierungsprogramm und in der Koalitionsvereinbarungsteht – wachsam, aber ruhig, besonnen und selbstsicher.Es scheint eine furchtbare Angst zu herrschen. Ich frage:vor Haider? Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.Niemand hat doch Angst vor Österreich, der kleinen Al-penrepublik, die sich in kurzer Zeit sehr gut in die Euro-päische Union eingefügt hat.
– Ja, es besteht Angst vor der Ansteckung. Aber ichmeine, man sollte ein bisschen selbstsicherer sein. Die Angst bekämpft man sicher auch nicht, indemman Haider und Österreich isoliert. Ich habe vielmehrdas Gefühl, dass wir uns auf die Ursachen konzentrierensollten: Warum hat Haider eigentlich solch einen Er-folg? Könnte es nicht sein, dass wir gemeinsam Fehlergemacht haben? Sollten wir uns in der politischen Aus-einandersetzung nicht besser darauf konzentrieren? Da-rüber sollte nachgedacht werden.
Man kann die Österreicher nicht einfach in das Strafeckstellen, nur weil einem die ÖVP/FPÖ-Regierung nichtpasst.
Herr Außenminister, gerade ist schon die Frage da-nach gestellt worden: Ich sehe keine Verstöße gegenArt. 6 oder 7 des Amsterdamer Vertrages; ich selbst ha-be mit darauf hingewirkt, dass diese Artikel aufgenom-men wurden. Ich sehe auch keine völkerrechtlichen Ver-stöße, sosehr ich mich anstrenge. Ich wiederhole es: Wirsollten das Verhalten beobachten, aber einen vernünfti-gen Umgang pflegen.Im Übrigen: Als Bundeskanzler Klima von der SPÖdie FPÖ gefragt hat, ob sie nicht eine SPÖ-Regierungtolerieren wolle, habe ich keinen Aufschrei gehört, auchnicht den kleinsten.
Ich habe auch nichts gehört, als es um Regierungsbetei-ligungen von Neofaschisten und Kommunisten in Euro-pa ging. Also bitte: Gleiches Recht für alle und gleicheMaßstäbe, keine Samtpfotenpolitik gegenüber Men-schenrechtsverletzern und nicht den großen Max spielen,wenn es um ein kleines Land in Europa geht!
Ich stelle die Frage, was passiert wäre, wenn es einesder großen europäischen Länder gewesen wäre. Ichtraue mir die Erfahrung zu, um zu sagen, wie dann dieLösung ausgesehen hätte: Niemals so wie jetzt. Auf demkleinen Österreich herumzuprügeln ist billig.
In gewisser Weise geniere ich mich für Europa ange-sichts dessen, was da in der Praxis abläuft:
Da gibt es ein kalkuliertes Zuspätkommen; da gibt eskeine Familienfotos; da geht man aus den Sälen heraus.Seien Sie nicht böse: Das ist albern
Dr. Klaus Kinkel
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7940 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
und erweckt langsam den Eindruck eines Kasperlthea-ters! Das ist kindisch!
Es sollte viel mehr auf die energischen Fortschrittebei der Beitrittsfrage, bei den institutionellen Reformenund beim Euro geachtet werden.
Stattdessen beteiligt sich die Bundesregierung an diesenlächerlichen Spielen. Als ob Europa keine anderen Sor-gen hätte! Der Kompass stimmt nicht mehr.
„Brüssel albern“ titelte gestern eine große Tageszei-tung. Ich finde, wir sollten bald von dem KasperltheaterAbstand nehmen.
Wir sollten Österreich und seiner neuen Regierung einefaire Chance geben. Wir sollten uns die europäische In-tegration nicht kaputtmachen lassen, indem wir uns sel-ber wegen Haider lähmen. Das wäre der falsche Weg.
Die Bundesregierung sollte schnell zu einer sachorien-tierten, vernünftigen und besonnenen Politik zurückkeh-ren. Europa hat andere Sorgen als dieses – ich benutzedas Wort noch einmal – alberne und fast kindische Ver-halten
in der praktischen Abwicklung dessen, was an Sankti-onsmaßnahmen vorgesehen ist. Leider haben Deutsch-land und die Bundesregierung daran mitgewirkt.
Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Redner
aufrufe, möchte ich etwas zur aktuellen Situation sagen.
Wolfgang Schäuble, der Fraktionsvorsitzende der CDU/
CSU, hat soeben seinen Platz eingenommen. Kurz zuvor
hat er in einer Pressekonferenz bekannt gegeben, dass er
weder für den Fraktionsvorsitz noch für den Parteivor-
sitz wieder kandidieren wird. Ich glaube, wir können
deshalb nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen.
Natürlich kann ich nicht ausdrücken und ermessen, was
das sowohl für Ihre Fraktion als auch für diesen Bundes-
tag bedeutet. Sie sind eine prägende Figur dieses Bun-
destages. Ich möchte Ihnen im Namen des ganzen Hau-
ses meinen persönlichen Respekt ausdrücken und Ihnen
persönlich in der Zukunft ein bisschen mehr Freiheit
wünschen.
Das Wort hat jetzt der Herr Außenminister Joschka
Fischer.
Wenn Sie mit dem „Joschka“ so große Probleme haben,dann muss ich sagen: Das passt nicht damit zusammen,dass Sie sich gleichzeitig für k. u. k. aussprechen. Joschka ist die Koseform für Joseph auf Ungarisch.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wirgegenwärtig diskutieren, wird mit etwas mehr Abstandals Beginn einer für Europa sehr wichtigen innenpoliti-schen Verfassungsdebatte bewertet werden, bei der esauch um die Frage der kommenden europäischen innen-politischen Demokratie und Souveränität gehen wird.
Grundrechte sind hier aufgerufen, die einen klaren histo-rischen Bezug haben. Ich habe Herrn Kollegen Kinkel zugehört und glaube,dass seine Rede zwar im Deutschen Bundestag und inder deutschen Öffentlichkeit verstanden wird – man magdie Meinung teilen oder nicht –, in vielen unserer Mit-gliedstaaten aber überhaupt nicht nachvollzogen werdenkann
und in einen völlig anderen Zusammenhang gerücktwird.
Ich halte überhaupt nichts davon, so zu tun, als ob essich um eine gewöhnliche Regierungsbildung handelnwürde, an der man Kritik üben mag, sonst aber zur eu-ropäischen Tagesordnung übergeht. Ich möchte Ihnennur sagen: Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, wennausgerechnet die Europäische Volkspartei darüber nach-denkt, ob sie die Mitgliedschaft der ÖVP aufgrund die-ser Koalition suspendieren solle und über diese Frageein formelles Verfahren eingeleitet hat. Es ist ein unge-wöhnlicher Vorgang
– zu Ihnen, Ihrer Partei und Ihrem Ministerpräsidentenkomme ich gleich noch, Herr Glos – wenn zwei Minis-terkandidaten innerhalb kürzester Zeit wegen nicht hin-nehmbarer rassistischer Äußerungen vom Österreichi-schen Bundespräsidenten nicht akzeptiert werden undersetzt werden müssen.
Herr Kinkel, wenn Ihre Rede gilt: Was heißt das dannfür den Österreichischen Bundespräsidenten in Bezugauf all die gravierenden Bedenken, die er vorgetragenhat? Diese Frage müssen Sie sich einmal stellen. Dr. Klaus Kinkel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7941
In einem Interview der Zeitschrift „News“ sagt derÖsterreichische Bundespräsident:Die FPÖ ist keine Nazipartei. Ich habe die FPÖwegen dieser Vorwürfe im Ausland auch immerwieder verteidigt. Aber leider bedienen sich höchs-te Funktionäre dieser Partei nach wie vor einerSprache, die sie für jedes politische Amt disqualifi-ziert.
Ich stelle fest, dass selbst der Österreichische Bun-despräsident diese Position vertritt. Ich habe Ihnen vorhin klipp und klar gesagt und in IhrStammbuch geschrieben: Ich kenne Wolfgang Schüsselin der Zusammenarbeit als einen überzeugten Europäer.
Die entscheidende Frage ist eine andere. Die ent-scheidende Frage stellt sich, wenn die Strategie vonSchüssel, die FPÖ über eine Regierungsbeteiligung zuintegrieren, nicht gelingt und am Ende die FPÖ als derstärkere Partner daraus hervorgehen wird. – Da schüttelnSie jetzt den Kopf. Es hat nicht der EU bedurft, um Haider in diese Position zu bringen, in der er heute tat-sächlich ist.
Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Schüssel geht hierein Risiko ein, bei dem er genau weiß, dass am Endeletztendlich die ÖVP als Verliererin aus dieser Koalitionhervorgehen kann. Genau das ist die Intention von HerrnHaider. Hierbei gibt es in der Tat einen Zusammenhang mitder Krise des europäischen Konservativismus und derChristdemokratie, die ich alles andere als positiv emp-finde. Ich kann darüber keine Freude empfinden, weilich weiß, wie wichtig die beiden großen StabilisatorenMitte-Rechts und Mitte-Links für die europäische Nach-kriegsdemokratie sind. Bei allen parteipolitischen Aus-einandersetzungen weiß ich um die große Integrations-leistung der demokratischen Mitte-Rechts-Parteien, vorallen Dingen der Christdemokraten. Diese sind in einerfundamentalen Krise, wie wir es gerade in diesen Tagenerleben. Mich erreichen vor dem Hintergrund der ge-genwärtigen Lage immer wieder besorgte Fragen, ob esdenn einen Zusammenhang zwischen dem Auftauchenbzw. Stärkerwerden von Herrn Haider und derChristdemokratie in unserem Lande geben könnte. Ichverneine diesen Zusammenhang.Festzustellen ist, dass es dieses Problem gibt und esauf uns zukommt. Insofern wären die Europäer meinesErachtens schlecht beraten und würden einen schwerenFehler machen, wenn sie ihrer Sorge nicht mit allemNachdruck Ausdruck verleihen und klar machen – eswurde das mildeste Mittel dafür gewählt –, dass die Par-tei Haiders letztendlich eine ausländerfeindliche, eineEuropa ablehnende und eine den Nationalsozialismus re-lativierende Politik betreibt. Haider gerät immer wiederdort hinein, und zwar nicht deshalb, weil er versucht,Stammtische zu integrieren, sondern weil es Kern seinerÜberzeugung ist – das können Sie bei Haider nachle-sen –, letztlich hinter das Europa der Integration zurück-zugehen. Er will ein Aufbrechen der Verbindung vonKonservativismus und europäischer Integrationsidee,wie sie nach 1945 entstanden ist. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Schwäche.Wären die europäische Christdemokratie und der euro-päische Konservativismus stärker, dann hätte ich daranpolitische Kritik. Es wäre dann aber keine echte Sorge,dass Haider mehr als ein Integrations- oder Mehrheits-beschaffungsproblem sein könnte. In der gegenwärtigenSituation wird meines Erachtens die österreichische In-nenpolitik weit über Österreich hinaus für die Europäi-sche Union bedeutsam. Das macht die Sorge, gerade derwestlichen Nachbarn, aus, auf die ich gleich noch zusprechen komme.In einer solchen Situation wäre es sträflich, wenn ge-rade die Bundesrepublik Deutschland versuchen würde,die Dinge zu bremsen. Wir haben weitergehende Vor-stellungen wie etwa in Bezug auf die Gestaltung des eu-ropäischen Vertragswerkes oder die Ausgestaltung derinformellen Räte. Und Sie wissen das nur zu gut, HerrKinkel, die informellen Räte sind Bestandteil der for-mellen, multilateralen europäischen Arbeit. Wir habendies immer abgewehrt. Auf der anderen Seite bitte ichSie, mit Ihrer ganzen Erfahrung Folgendes zu bedenken– ich verstehe nicht, wie Sie dies unter den Tisch fallenlassen können –:Wenn nur der leiseste Eindruck entsteht, dass wir re-lativierend die Hand darüber halten, würden wir unmit-telbar in eine Situation geraten wie damals bei der Kroa-tienpolitik, das heißt, wir würden uns isolieren undMisstrauen auslösen bei unseren Partnern.
– Das ist eben gerade keine Frage des Mutes. Es ent-täuscht mich, dass Sie offensichtlich bereit sind, an ei-nem so wichtigen Punkt eine innenpolitische und – wo-für ich Verständnis habe – persönliche Auseinanderset-zung zu führen. Es geht nicht um die Frage des Mutes.Es bedarf hier überhaupt keines Mutes. Es ist doch nichteine Frage des Mutes, wenn man einen schweren politischen Fehler macht, wie Sie, Herr Kinkel, es unsempfehlen. Das darf doch nicht wahr sein!
Die Kroatienpolitik damals war aus meiner Sicht einschwerer politischer Fehler.Ich darf Ihnen einmal aus einem Interview vorlesen,das der Herr Kollege Schäuble am 8. Februar 2000, alsovor wenigen Tagen, gegenüber „Le Monde“ gegebenhat. Er wurde nach den Unterschieden zwischen derdeutschen und der französischen Bewertung in diesemZusammenhang gefragt. Nach dem, was mir die Bot-schaft berichtet hat, wird das quer durch alle Fraktionenim französischen Parlament – und so auch in der franzö-sischen Öffentlichkeit – völlig anders bewertet, mitBundesminister Joseph Fischer
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7942 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Ausnahme von Pasqua und der Front National. KollegeSchäuble wusste dies. Er wurde von Daniel Vernet, ei-nem intimen Kenner der deutschen Innenpolitik, für „LeMonde“ zu den unterschiedlichen Auffassungen befragt.Die Frage war: "Besteht die Gefahr einer Spaltung in-nerhalb der Europäischen Volkspartei?" – Das wird ver-neint.Dann kommt die dritte Frage: "Kann diese unter-schiedliche Auffassung zu einer Belastung des deutsch-französischen Verhältnisses werden?" – Daraufhin sagtWolfgang Schäuble:Nein. Übrigens liegen die Regierungen beider Län-der auf ein und derselben Linie. Was die Öffent-lichkeit in beiden Ländern angeht, so ist diedeutsch-französische Zusammenarbeit so wichtig,dass sie Meinungsunterschiede problemlos aushält.Ich kann Ihrer Analyse nur zustimmen. Wenn die Bun-desregierung eine andere Haltung eingenommen hätte,hätten wir das Problem Haider unmittelbar bei uns ge-habt.
– Das ist überhaupt nicht absurd. Sie sprechen von dem„kleinen Österreich“. Fast könnte man meinen, es sei einOpfer. Österreich ist Mitglied der europäischen Familie.Unser großes Problem ist doch – das zeigen die Dis-kussionen –, dass wir sehr sorgfältig abwägen mussten.Was ich Ihnen vorwerfe, ist, dass Sie diese Abwägungaus innenpolitischen Gründen nicht vorgenommen ha-ben, sondern einen Angriff starten wollen ohne Rück-sicht auf die Wirkung bei unseren Partnern. Das ist derentscheidende Punkt.
Herr Außen-
minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schäuble?
Gerne.
Herr Au-
ßenminister, hätten Sie, damit kein Missverständnis ent-
steht – ich habe es ja zurzeit mit der Vermeidung von
Missverständnissen zu tun –, die Liebenswürdigkeit,
dem Hohen Hause ausdrücklich zu sagen, dass ich auch
in diesem Interview mit „Le Monde“ – unbeschadet der
Passage, die Sie vorgetragen haben – den Standpunkt
unserer Bundesregierung für falsch erklärt habe?
Das ist überhaupt keine Frage.
– Nein, Herr Schäuble, jetzt können Sie es nicht umge-kehrt auslegen. Sie wollten ja Missverständnisse aufklä-ren. Deswegen wollen wir nicht in neue Missverständ-nisse flüchten. Ich sage: Es ist überhaupt keine Frage, dass Sie eineandere Position haben. Sonst würden Sie sich ja einemmassiven Konflikt innerhalb der CDU/CSU aussetzen.Aber Sie haben es für wichtig gefunden – als Opposi-tionsführer sind Sie freier als die Regierung –, auf dieFrage, ob dies ernsthafte Verwerfungen im deutsch-französischen Verhältnis geben kann, mit Nein zu ant-worten. Obwohl Sie eine andere Position haben, habenSie darüber hinaus auf den wichtigen Punkt der Gemein-samkeit der beiden Regierungen hingewiesen – nichtmehr und nicht weniger. Ich will Ihnen nicht unterstel-len, dass Sie meine Position vertreten. Dennoch findeich das bemerkenswert angesichts der Debatte.Nun zu den großen Nichtinterventionisten – so wirddas ja diskutiert –: Dort sitzt der BayerischeMinisterpräsident. Man kann ja von Edmund Stoiberhalten, was man will. Auf jeden Fall rennt er jetzt durchdie Gegend und verkündet übermäßige Reaktionen:„Amoklauf“ und Ähnliches mehr. Mich würde einmalinteressieren, wie der Bayerische Ministerpräsident seineRolle als Geburtshelfer dieser Koalition definiert.
Wenn wir hier über die Frage reden, ob Interventio-nen nötig sind oder nicht, muss man schon einmal fest-halten: Ohne dass ihn jemand danach gefragt hätte, ohnedass ihn irgendwelche Depeschen aus Wien erreicht hät-ten, kam es aus Edmund Stoiber – sozusagen in einemeinsamen Überfall des politischen heiligen Geistes –wenige Tage nach der Wahl direkt und unmittelbar her-aus: Er hat sich für diese Koalition dort ausgesprochen.
Das muss man klipp und klar sagen. Dass er als Ge-burtshelfer dieser Koalition jede Kritik an dieser Koali-tion als Amoklauf darstellt, scheint mir konsequent undnicht weiter verwunderlich zu sein. Ich kann Ihnen, HerrStoiber, nur sagen: Sie müssen sich hier schon die Fragenach der Nähe stellen lassen, die Sie zu diesem Projekttatsächlich haben. Diese Frage werden Sie sich stellenlassen müssen.
Deshalb möchte ich hier noch einmal in aller Deut-lichkeit die Position der Bundesregierung darstellen:Wir halten es für dringend geboten, nicht zur alltägli-chen Arbeit, nicht zum normalen Geschäft überzugehen;denn viele unserer europäischen Partner sehen das, auchaus historischen Gründen, anders. Die BundesrepublikDeutschland hatte abzuwägen. Sie musste einerseits ver-hindern, dass im Übermaß reagiert wird, und anderer-seits verhindern, dass ein business as usual stattfindet. Bundesminister Joseph Fischer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7943
Wir haben uns für das mildeste Mittel entschiedenund versucht, in geduldigem Gespräch mit unseren Part-nern überzeugend dafür zu werben, dass wir diese Linieeinhalten und alles, was unserer Meinung nach darüberhinausgeht, vermeiden. Ich halte diese Linie von der Sa-che her für angemessen und im Interesse der europäi-schen Integration für dringend notwendig.
Sie werden erleben, meine Damen und Herren – inso-fern verstehe ich die Haltung der Union nicht; ich sagebewusst Union –, dass Herr Haider in die Koalition mitder ÖVP nicht eingetreten ist, damit er dort demokra-tisch in die Regierungsverantwortung integriert wird.
Sein einziges Ziel ist vielmehr, hegemonial zu werden.Dadurch werden Sie Weiterungen für Europa und für dieZukunft des christdemokratischen Projektes in Europaerleben, von denen ich hoffe, dass sie nicht eintreten.Jetzt hat man ihm aber den Steigbügel hingehalten. Viele unserer Partner wären gern weiter gegangen.Wir halten den Schritt, den wir heute gemacht haben, fürnotwendig, richtig und angemessen. Wir werden ge-meinsam mit unseren Partnern Wert darauf legen, dasswir, solange das Vertragswerk nicht verletzt ist, auf dermultinationalen Ebene der Europäischen Union die Din-ge voranbringen, um die es jetzt geht. Es geht um dieFrage der Erweiterung, es geht mit der Eröffnung derRegierungskonferenz um die Reform der Institutionen.Wir haben einen enormen Fortschritt bei der gemeinsa-men Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemacht. Dasalles sind Dinge, die jetzt konkret und praktisch ange-packt werden müssen. Die Europäische Kommission hat gleichzeitig erklärt,dass sie sehr sorgfältig darauf achten wird, ob es zu ei-ner Verletzung des Vertragswerke, zu vertragsrelevantenSchritten der österreichischen Regierung kommen wird.Ansonsten wird es um die politische Auseinanderset-zung gehen. Die Staats- und Regierungschefs habenauch klargemacht, dass sie mit tiefer Sorge die Regie-rungsbildung sehen, weil sie diese Regierungsbildungim Interesse Europas und im Interesse Österreichs fürfalsch halten. Dies sei keine Einmischung in die innerenAngelegenheiten.Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft,und mit dem Amsterdamer Vertrag sind wir ein weiteresStück zusammengewachsen. Die Zeiten, in denen dienationale Politik nur eine Frage der Außenpolitik war –das zeigt die heutige Debatte in diesem Parlament, in derSie fast wie ein österreichischer Innenpolitiker gespro-chen haben –, sind in Europa vorbei.
– Ich meine das nicht negativ. Ich meine, dass Sie fastwie ein österreichischer Innenpolitiker sprachen, derfordert: Wir müssen Haider bekämpfen. Als wenn wirHaider in Deutschland im Sinne der österreichischen Po-litik bekämpfen könnten! Ich weiß aber auf jeden Falleines: Das, was Sie als Kampf gegen Haider gebotenhaben, ist das Gegenteil.
Ich möchte Ihnen noch etwas zur These, die EU-Reaktionen hätten Haider groß gemacht, sagen.
– Schauen Sie sich doch die Umfragen an. Sie besagenheute, dass sich das Wählerpotenzial der Grünen ver-doppelt hat,
dass sich die ÖVP bei 19 Prozent befindet, Herr Haiderbei 27 Prozent stagniert und die SPÖ nach wie vor mitüber 30 Prozent die stärkste Partei ist. Nichts von einemHaider-Boost, den Sie hier beschreien! Den hätten Sievielleicht gerne, um innenpolitisch Recht zu haben. Ausall diesen Gründen kann ich Ihnen, meine Damen undHerren, nur sagen: Wenn wir Ihrer Linie gefolgt wären,stünden wir jetzt vor dem Problem, dass wir Deutsch-land in die Isolation geführt und
Misstrauen produziert hätten, wie es in der Kroatienpoli-tik der Fall war. Das wollten wir nicht, das tun wir nicht.Das ist auch nicht Mut, sondern das wäre eine europapo-litische Eselei. Diese lehnen wir ab.
Meine Damen
und Herren, der Bundesaußenminister hat länger als
zehn Minuten gesprochen. Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen hat nach den Richtlinien für die Aktuelle
Stunde in Verbindung mit § 44 Abs. 3 unserer Ge-
schäftsordnung verlangt, dass über diese Ausführungen
eine Aussprache eröffnet wird. Das ist in Übereinstim-
mung mit der Geschäftsordnung. Ich habe es überprüft.
Ich schließe damit die Aktuelle Stunde und eröffne
die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordne-
te Gernot Erler.
– Einen Moment. Es geht nicht um die Tatsache, dass
wir nun eine Aussprache führen, sondern um die Frage,
wer anfängt. – Ich kläre das eben.
Wir haben die Frage im Konsens mit allen Geschäfts-
führern geklärt. Ich gebe jetzt Herrn Ministerpräsidenten
Stoiber das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! MeineBundesminister Joseph Fischer
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7944 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Herren! Ich freue mich über jede Debatte über die weite-re Entwicklung Europas in diesem Hause, weil ich ins-gesamt der Auffassung bin, dass wir in Deutschland vielzu wenig über die weit reichenden Konsequenzen derfortschreitenden Erweiterung Europas sprechen. Dazumüssen wir uns gegenseitig auch einmal die Frage stel-len, ob wir die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lan-de ausreichend über das informieren, was heute bereitspolitisch in Brüssel entschieden wird. Deswegen geht es mir hier nicht um die österreichi-sche Innenpolitik, Herr Außenminister. Vielmehr habenwir hier ohne Zweifel einen beispiellosen Vorgang inder Geschichte der Europäischen Union zu bewerten;
denn nach einer demokratischen Wahl haben 14 europä-ische Regierungen versucht, auf die Regierungsbildungin einem Mitgliedstaat der Europäischen Union massiveinzuwirken. Das hat es so noch nie gegeben.
Nicht genug damit: Sie drohen mit Sanktionen und be-ginnen diese zu vollziehen, weil sich Österreich ihremDruck nicht beugt. Die Bundesregierung hat sich an die Spitze dieserBewegung gesetzt.
Sie fügt damit der europäischen Integration schwerenSchaden zu.
Ich kann nur sagen: Diese Isolation Österreichs, die Siehier versuchen und zum Teil durchführen, halte ich fürverhängnisvoll.
Herr Außenminister, ich bin gerne bereit, über die In-nenpolitik Österreichs mit Ihnen zu reden, aber hier gehtes zunächst einmal nicht um die Innenpolitik Öster-reichs, sondern hier geht es alleine um die EntwicklungEuropas, darum, wie weit eigentlich die Befugnisse unddie Zuständigkeiten Europas reichen und wie weit sienicht reichen. Darüber müssen wir uns klar werden.
Sie wollen hier durch Diffamierung Ihrer Kritiker mitder angeblichen Nähe zu Herrn Haider ablenken. Daswird Ihnen nicht gelingen.
Ich sage Ihnen, Herr Außenminister, auch ganz offen:Ich brauche von Ihnen persönlich keine Belehrungen inpuncto Demokratie, wenn ich an Ihre Vergangenheitdenke.
Sie sind der Letzte, der das Recht dazu hat.
Für die CDU und die CSU steht fest: Haider hat sichmit völlig inakzeptablen Äußerungen selbst disqualifi-ziert. Für seine Entgleisungen in den letzten Jahren gibtes keinerlei Entschuldigungen.
Ihre Politik der Bevormundung der österreichischenWähler ist allerdings ein tatkräftiges Haider-Förderprogramm. Das belegen im Gegensatz zu IhrenAussagen alle Umfragen, die es gegenwärtig nicht nur inÖsterreich, sondern auch in anderen europäischen Län-dern gibt. Mit Ihrer Politik fördern Sie im Grunde ge-nommen gerade die Rechtsradikalen in den verschiede-nen Ländern.
Das eigentlich Empörende ist: Diejenigen, die sich alsHüter und Verteidiger der europäischen Grundwerteaufspielen, missachten gröblichst das Demokratieprinzipund das Selbstbestimmungsrecht. Sie berufen sich jetzt darauf, dass Deutschland mitden anderen Regierungen mitziehen musste, um nichtisoliert zu sein.
– Das haben Sie gerade gesagt. – Aber die Wahrheit ist:Sie haben diese Entwicklung selbst entscheidend mitini-tiiert. Damit haben Sie Europa in eine Sackgasse ge-führt, aus der wir möglichst schnell wieder herauskom-men müssen. Für diesen Irrweg mögen Sie für eine ge-wisse Zeit die Mehrheit der europäischen Regierungs-chefs auf Ihrer Seite haben. Aber, Herr Außenminister,die Mehrheit der deutschen Bürger haben Sie mit dieserPolitik nicht hinter sich. Dies müssen wir auch deutlichartikulieren.
Selbstverständlich ist die Europäische Union eineWertegemeinschaft.
Es ist gut und richtig, dass die Europäische Union nachArt. 7 des EU-Vertrags Sanktionen gegen Mitgliedstaa-ten verhängen kann, welche die Grundsätze der Demo-kratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechts-staatlichkeit schwerwiegend und anhaltend verletzen.Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7945
Aber davon kann doch gegenwärtig im Falle Österreichsüberhaupt nicht die Rede sein. Das Land hat sich nichtszuschulden kommen lassen. Sie beleidigen die Men-schen in Kufstein, in Innsbruck, in Wien und wo immersie in Österreich leben.
Theo Sommer, der wirklich nicht verdächtigt ist, mitmir immer einer Meinung zu sein, hat es vor ein paarTagen, am 10. Februar, in der „Zeit“ auf den Punkt ge-bracht. Er schreibt:Da wird ein Land gelyncht nach dem Prinzip: Voll-streckung auf Verdacht, Beweise werden sichschon finden.So kann man nicht vorgehen.
Eine derartige Vorverurteilung und Ausgrenzung einesMitgliedstaats, wie wir das jetzt erleben, darf es in derEuropäischen Union nicht geben. Das widerspricht ekla-tant den Grundwerten der Europäischen Union und ge-fährdet die Funktionsfähigkeit der Staatengemeinschaft. Hinter vorgehaltener Hand wird ja selbst im Auswär-tigen Amt eingeräumt, dass man gegenüber einem grö-ßeren EU-Partner – hier hat Herr Kinkel völlig Recht –wohl kaum so vorgehen würde, wie man das mit dem 8-Millionen-Volk Österreichs glaubt tun zu können.
Offensichtlich stellen Sie nur den an den Pranger, beidem Sie es sich glauben leisten zu können. Damitbetreiben Sie im Grunde genommen eine Politik nachdem Motto: Das große Europa schlägt das kleine Österreich.
Diese Anmaßung hat keinen Rückhalt bei den Menschenin der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Außenminister, auch noch so wortreiche Recht-fertigungsversuche mit moralischem Alleinvertretungs-anspruch können nicht davon ablenken: Erstens. Ihrem Boykott gegen Österreich fehlt jegli-che rechtliche Grundlage.
Zweitens. Das Verfahren erfüllt nicht einmal die Mi-nimalanforderungen rechtsstaatlicher Grundsätze, weilder Betroffene ohne jegliche Anhörung vorverurteiltworden ist.
Drittens. Sie verletzen in eklatanter Weise das Selbst-bestimmungsrecht eines souveränen Mitgliedstaates derEuropäischen Union.Ich komme noch einmal zu Theo Sommer, der in sei-nem Artikel ausgeführt hat:Soll so ein europäisches Wertebewusstsein entste-hen? Eher wächst nun wohl die Furcht, dass in Eu-ropa eine Art umgekehrter Breschnew-Doktrin gel-ten soll.Der Mitherausgeber der „Zeit“ formuliert damit in zuge-spitzter Form Befürchtungen insbesondere der jungenDemokratien im Osten. Diesen Ländern ist die be-schränkte Souveränität der Jahrzehnte vor 1989 nochsehr genau in schmerzlicher Erinnerung; deswegen sindals Reaktion auf diese Entscheidungen viele Stimmenaus den Ländern, die Aufnahmeanträge gestellt habenoder gegenwärtig Aufnahmeverhandlungen führen, nichtvon der Hand zu weisen. Sie greifen nicht nur in dasRegierungshandeln eines Landes ein; vielmehr greifenSie in die Willensbildung eines Volkes ein. Das ist einQualitätsunterschied gegenüber dem bisherigen Verhal-ten.
Natürlich ist die nationale Politik eines Landes heutein großem Umfang auch europäische Innenpolitik undnicht mehr Außenpolitik. Selbstverständlich kann manKritik an einzelnen Handlungen und vielen Entschei-dungen nationaler Regierungen üben. Wenn das ge-schieht, dann erwarte ich aber, Herr Außenminister, dassman mit Gleichmaß vorgeht. Wo war die EuropäischeUnion, als Frankreich damals gegen massivste Wider-stände in der Welt Atomwaffenversuche durchgeführthat? In dieser Frage hat sich die Europäische Union sehrzurückgehalten.
Wo waren die EU-Partner,
als in Italien – darauf ist hingewiesen worden – die neo-faschistische Allianz Finis an der Regierung beteiligtwurde? 1994, als Berlusconi und Fini zusammen dieRegierung gebildet haben, habe ich nichts gehört.
– Sie können schreien, so viel Sie wollen. – Wo sind dieAufschreie der Partner darüber, dass an der französi-schen oder an der italienischen Regierung heute nachwie vor Kommunisten beteiligt sind, die von vielen Sei-ten kommen?
Dazu habe ich noch nie etwas gehört.
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
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7946 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Ich wundere mich, Herr Außenminister, dass Sie – HerrKinkel hat darauf hingewiesen – so tun, als ob Sie esnicht wüssten: In allen Gazetten und in der gesamten ös-terreichischen Innenpolitik war es ein Thema, als derBundeskanzler und Vorsitzende der SPÖ bei Herrn Hai-der um die Tolerierung einer Minderheitenregierung ge-buhlt hat. Wo war denn da das Eingreifen der Euro-päischen Union?
Ich erwarte nur, dass man gerecht und nicht ungerechtvorgeht.
Erst nachdem dieser Schmusekurs der SPÖ gegen-über der FPÖ gescheitert war, haben Sie umso lauter„Skandal“ und „Boykott“ gerufen. Die Bürger erkennenaber – wir werden dies auch weiterhin diskutieren, nichtnur in diesem Hause –: Sie führen hier eine pure Heu-chelei auf.
Dabei hätte gerade die deutsche Regierung in dieserschwierigen Phase eine besondere Verantwortung ge-genüber unserem europäischen Nachbarland gehabt. Ge-rade die deutsche Regierung hätte ihre Stimme gegenvorschnelle und kurzsichtige Reaktionen erheben müs-sen. Durch die gemeinsame Sprache und durch die ge-meinsame Kultur sind Deutschland und Österreich be-sonders eng verbunden.
Es gibt kein Land, Herr Außenminister, das die Deut-schen so gut kennen wie unser südliches Nachbarland.10 Millionen Deutsche sind mindestens fünf Tage imJahr in Österreich. Sie erleben dieses Land natürlichnicht in der Weise, wie Sie es darstellen, und sie haltenes für ungerecht, wie Sie mit diesem kleinen Land um-gehen.
Wir werden das auch nicht akzeptieren. Die politischeDiskussion ist damit nicht beendet.
Gerade im Zuge der Osterweiterung der EuropäischenUnion wird Österreich als Vermittler zwischen Ost undWest eine entscheidende Rolle zuwachsen. Ich betone:Es liegt im ureigensten Interesse Deutschlands, dass Ös-terreich der Europäischen Gemeinschaft auch in Zukunftdiesen Dienst als Brücke zum Osten und zum Südostenerweisen kann. Wien ist europäisches Urgestein. WerÖsterreich boykottiert, der trifft Europa ins Herz hinein.
Jede europäische Regierung ist an dem zu messen,was sie erklärt und in die Tat umsetzt. Ich vertraue dar-auf, dass die österreichische Regierung unter Bundes-kanzler Schüssel auch in Zukunft in jeder Weise von deneuropäischen Grundwerten bestimmt sein wird. Jederweiß – deshalb tun Sie auch Ihrem früheren Kollegensehr viel Unrecht –: Gegen starken Gegenwind hatWolfgang Schüssel unermüdlich mit Vernunft und mitguten Argumenten für den Beitritt Österreichs zur Euro-päischen Union gekämpft. Er hat große Schwierigkeitendamals auch in der Österreichischen Volkspartei gehabt.In Österreich hat man ja per Volksentscheid abgestimmt.Daran wird deutlich, dass das für Österreich ein außer-ordentlich schwieriges Thema gewesen ist. Eine Mehr-heit für den Beitritt Österreichs zur EU war in der Be-völkerung nicht von Anfang an vorhanden. Herr Schüs-sel hat sich gerade auch innerhalb der EuropäischenVolkspartei außerordentlich exponiert für die AufnahmeÖsterreichs in die EU eingesetzt. Mit Ihren Maßnahmentreffen Sie einen überzeugten Europäer, dem Sie un-terstellen, er würde irgendetwas gegen Europa oder ge-gen die Grundwerte Europas unternehmen.
Das ärgert mich erheblich und wird auch dem PolitikerSchüssel nicht gerecht, meine sehr verehrten Damen undHerren.
Alle diese historischen und politischen Zusammen-hänge hätte die Bundesregierung bei ihrer Beurteilungder Regierungsbildung in Österreich meines Erachtensin die Waagschale legen müssen. Ich sage Ihnen aberauch, dass meiner Meinung nach Ihrer Europapolitik –das werden wir an anderer Stelle sicherlich häufiger dis-kutieren – jede klare Linie fehlt.
Das muss ich Ihnen, Herr Außenminister, ganz offensagen. Ich will es nicht unmittelbar vergleichen, aber na-türlich ist es eigenartig, dass man gegen ein demokrati-sches Land, das die Deutschen, wie ich sagte, wie keinzweites Land kennen, in dieser Weise vorgeht, währendSie sich gleichzeitig bemühen, die Türkei, der im Grun-de genommen noch außerordentlich viel fehlt, unter dieBeitrittskandidaten aufzunehmen. Ich halte das nicht fürmiteinander vereinbar.
– Es mag sein, dass das aus Ihrer Sicht unglaublichklingt, aber vielleicht sind Sie schon so abgehoben, dassSie nicht mehr spüren, worüber die Menschen draußenreden und diskutieren. Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7947
Vielleicht sollten Sie auch einmal mehr mit den Men-schen reden.
Wo Sie sich, Herr Außenminister, hier schon wie einemoralische Großmacht aufspielen, frage ich Sie, wasdenn, nachdem Sie als Oppositionsführer der Grünenvor vier Jahren Bundesaußenminister Kinkel, der geradegesprochen hat, und den ehemaligen BundeskanzlerKohl in einer harten Weise wegen der Menschenrechts-verletzungen in Tschetschenien attackiert haben, jetzteigentlich los ist.
Wo bleiben denn die Maßnahmen, die Sie damals vomBundeskanzler verlangt haben?
Sanftmütig sind Sie bei Ihrem Besuch in Russland inMoskau aufgetreten. Warum ist noch keine Wortmel-dung von Ihnen gegen die Mitgliedschaft Russlands imEuroparat wegen der Menschenrechtsverletzungen inTschetschenien erfolgt? Natürlich muss man das ver-gleichen. Hier stimmt manches nicht!
Ich finde es erbärmlich, dass Sie vorgestern in Brüs-sel – das ist ja eine tolle Art des Boykotts – der österrei-chischen Außenministerin den Handschlag verweigerthaben. Wem haben Sie in den letzten 30 Jahren schondie Hand gegeben,
um nicht zu sagen, was haben Sie in den letzten30 Jahren alles in der Hand gehabt, meine Damen undHerren?
Hier geht es nicht um eine Regierungsbildung, hiergeht es um die Substanz der freien demokratischen Wil-lensbildung in Europa insgesamt.
Einzelne Regierungen wollen einen Präzedenzfall fürdie Einmischung in Wahlentscheidungen demokrati-scher Völker schaffen.
All das, was Sie hier machen, will man ohne Diskussionund ohne Zustimmung der Bürger von oben verordnen.Das darf und kann nicht die Zukunft Europas sein. HerrAußenminister, ich bin der festen Überzeugung, dass wirweitere europäische Entscheidungen dieser Größenord-nung nicht mehr ohne eine größere Beteiligung des Vol-kes treffen können,
weil sie im Prinzip sehr schwach legitimiert sind. Wo-hin dieser Weg führt, zeigt die Forderung aus Belgiennach einer Vertragsänderung, um künftig Länder mit„rechtsgerichteten“ Parteien in der Regierung aus derEuropäischen Union ausschließen zu können.Wir stellen uns die Zukunft der Europäischen Unionauch anders vor als Kommissionspräsident Prodi in sei-nen jüngsten Äußerungen in Riga.
– Das ist für mich der Präzedenzfall. – Dort hat er fest-gestellt, im Zuge der Osterweiterung würden wir künftigviele Fälle wie Österreich erleben, weil es in derEuropäischen Union der 28 ja jeden Monat eine größereWahlentscheidung gebe. Eine solche, wie er es nennt,„neue Wirklichkeit“ der Einmischung in die Souveräni-tät von Ländern, die Mitglied der Europäischen Unionsind oder demnächst sein werden, ist nicht die Vorstel-lung einer großen Mehrheit der Europäer von einemdemokratischen Europa der Bürger, meine sehr verehr-ten Damen und Herren.
Eine solche Entwicklung in Europa wollen wir nicht undwill auch eine große Mehrheit der Menschen in unseremLande nicht.Deswegen kann ich Sie nur immer wieder auffordern,mit der Isolation Österreichs aufzuhören. Sie schadendamit der Integration Europas, die wir alle wollen, wasich Ihnen natürlich nicht abspreche. Sie schaden der In-tegration Europas gerade im Ansehen der kleinen Län-der fundamental. Kehren Sie um! Damit würden Sie Eu-ropa einen größeren Dienst als mit diesen lächerlichenBoykotten leisten, die darin bestehen, dass Sie den Leu-ten nicht einmal die Hand geben.
Das Wort hat
jetzt Herr Außenminister Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da michder Bayerische Ministerpräsident direkt angesprochenhat, bekommt er auch eine direkte Antwort. Höhepunktseiner ganzen Rede war ja der Vorwurf, ich hätte der ös-terreichischen Kollegin Ferrero-Waldner nicht die HandMinisterpräsident Dr. Edmund Stoiber
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7948 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
gegeben. Edi Stoiber muss es wissen, denn er war ja da-bei. Ich muss Sie aber leider enttäuschen: Ich habe siegesehen, ich habe ihr die Hand gegeben, ich habe Servusgesagt, das war’s. Ich weiß gar nicht, wie Sie auf etwasanderes kommen.Aber ich kann Ihnen sagen, welches Ihr Problem ist.Ihr Problem ist, dass Sie die Verhältnisse völlig verkeh-ren.
Für Sie ist nicht die Regierungsbeteiligung von HerrnHaider das Problem.Darüber haben Sie nicht einen Satz verloren. Ihr Pro-blem ist vielmehr, dass Ihnen die ganze Entwicklung inder Europapolitik – das ist doch der entscheidende Punkt– nicht passt.
Ich möchte Ihnen Folgendes ganz persönlich sagen:Was die aktuelle Situation betrifft, habe ich mich hierzurückgehalten. Ich hatte meine Gründe dafür. Ich binnämlich der Meinung, dass der Vorgang, den wir ge-genwärtig innenpolitisch erleben, sehr ernst ist.
Wenn Sie aber meinen, uns in einer Situation Vorhal-tungen machen zu können, in der bis jetzt noch nichtklar ist, was am Ende des Skandals alles offen gelegtwird und wer welche Verantwortung trägt,
dann müssen Sie es sich schon gefallen lassen, dass wirSie auf diesen Punkt hinweisen.
Zu dem Handschlag will ich sagen – auch in diesemPunkt bin ich mir sicher –: Wir werden ja noch sehen,wer welche Handreichung gemacht hat, Herr Minister-präsident.
Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der fürmich der wichtigste Punkt ist. Wenn das, was Stoibergerade hier dargestellt hat, die künftige Europapolitikist, dann kann ich nur sagen: arme Union.
Dann tritt nämlich genau das ein, was ich als meineHauptsorge bezeichnet habe, nämlich eine Veränderungin der europäischen Integrationsachse in Richtung einesMitte-Rechts-Spektrums.
Wenn Edmund Stoiber in Zukunft die Politik in diesemZusammenhang bestimmt, dann sage ich dazu: arme In-tegration. Wenn das die Wirkung von Haiders Politik ist,dann muss man die Entwicklung als fatal bezeichnen.Wir dürfen nämlich nicht zurückblicken, sondern müs-sen vorausblicken.Da Sie in diesem Zusammenhang die Türkei anfüh-ren, sage ich Ihnen: Sie müssen doch sehen, Herr Minis-terpräsident, dass die Öffnung der Europäischen Unionzur Türkei bereits heute hinsichtlich der Entspannungdes bilateralen Verhältnisses in der Ägäis positive Wir-kungen gebracht hat. Es ist doch mit den Händen zugreifen, dass wir in Zypern, wo sich 36 Jahre nichts be-wegt hat, jetzt erstmals einen positiven Prozess vorfin-den. Jetzt gibt es in der Ägäis eine Entwicklung, die vonEntspannung geprägt ist. Erbfeinde, Griechen und Tür-ken, fangen aufgrund der nicht mehr vorhandenen Blo-ckadepolitik an, nicht nur miteinander zu sprechen, son-dern in eine konstruktive Entwicklung einzutreten. Esgibt in der Türkei weiß Gott noch sehr viel zu tun. Aberangesichts der Menschenrechtssituation in der Türkeieinen Zusammenhang mit Österreich herzustellen istabwegig und zeigt, dass Sie nur Emotionen schüren wol-len, die in eine bestimmte Richtung gehen. Das ist dochoffensichtlich.
Ich komme zu Tschetschenien. Jetzt plötzlich gibt esHelden in Ihren Reihen. Der Außenminister Iwanow warauf Einladung des Auswärtigen Ausschusses Gast desDeutschen Bundestages. Es gab aber vorher keine For-derung eines CSU-Abgeordneten – es ist gar nicht solange her –, man möge ihn ausladen. Es gab auch seitensder Opposition nicht eine wirklich energische kritischeÄußerung. Kollege Lamers und andere Kollegen, diesich zu Wort gemeldet haben, haben sich in sehr ver-antwortungsbewusster Weise geäußert, wissend um dieBedeutung der deutsch-russischen Beziehungen.Ich erinnere mich auch noch sehr gut an die Äuße-rungen von Edmund Stoiber, der die Integration Russ-lands als entscheidenden Punkt bei der Lösung der Bal-kan-Krise angeführt hat. Ich kann Ihnen sagen, was ichdamals an Helmut Kohl kritisiert habe. Ich habe kriti-siert, dass er die Dinge nicht wirklich beim Namen ge-nannt hat, als er nach Moskau gefahren ist. Wir abernennen die Dinge beim Namen.
Sie müssen mir aber einmal eine Möglichkeit nennen,wie wir mit den Instrumenten, die wir tatsächlich haben,die russische Regierung zu einer Umkehr bewegen kön-nen.
Bundesminister Joseph Fischer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7949
Sie wissen doch so gut wie ich, dass wir gegenwärtigkeine entsprechenden Instrumente haben; es sei denn,wir würden auf strategische Isolation setzen. Das aberwäre das Dümmste, was die Bundesrepublik Deutsch-land im Interesse von Frieden und Stabilität machenkönnte.
Ich begreife die kritischen Punkte sehr gut. Was aberdas Engagement in Sachen Menschenrechte von Ed-mund Stoiber, seinem früheren Chef Strauß und anderenbetrifft, muss ich bemerken: Liebe Leute, wo sind wir indiesem Punkt gelandet?
Ich kann nur sagen: Der Beitrag des Bayerischen Mi-nisterpräsidenten hat völlig klargemacht, worum es inWirklichkeit geht. Es geht um die Auseinandersetzunghinsichtlich der Haltung der Europäischen Union undder Wertegemeinschaft. Sie sollten offen sagen, dass Ih-nen der Zug in Richtung einer weitergehenden Integrati-on und einer weiteren Übertragung von Souveränität aufein gemeinsames Europa nicht passt. Es gibt offensicht-lich eine geistige Verwandtschaft mit Menschen, überdie wir heute hier gesprochen haben. Es gibt insgesamteine Auseinandersetzung um die Grundrichtung der Eu-ropapolitik und auch um die Grundwerte.Da sage ich Ihnen, Herr Stoiber: Ich rede mit der Be-völkerung. Ich rede aber nicht nur in Bierzelten mit derBevölkerung und nicht nur mit den Leuten, die mir zu-klatschen.
Das will ich Ihnen auch sagen, denn es liegt im Inter-esse unseres Landes:
Oberstes Ziel der Bundesrepublik Deutschland ist imInteresse von Frieden, Stabilität und Wohlstand dieVollendung der europäischen Integration. Das galt bis-her eindeutig und daran darf sich nichts ändern. Ihr Bei-trag heute bedeutet eine Abkehr hiervon.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ulrich Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Wenn es darum geht, Unterstellungenanzubringen, Halbwahrheiten unterzujubeln, populisti-sche Verdrehungen vorzunehmen, dann kann ich nachdem, was wir heute erlebt haben, nur sagen: Darin stehtder Fischer Joschka dem Haider Jörgl in fast nichtsnach.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben hier den Ein-druck zu erwecken versucht, als sei es uns egal, was inÖsterreich geschieht, als hätten wir keine Bedenken derFPÖ gegenüber, als wäre uns diese halbfaschistischePartei gar sympathisch. Das haben Sie uns hier unter-stellt.
Ich will Ihnen ganz eindeutig sagen: Gerade wir alsLiberale haben uns da überhaupt nichts vorzuwerfen.Als die FPÖ seinerzeit durch einen Machtstreich, durcheinen Putsch von Herrn Jörg Haider übernommen wur-de, haben wir sofort dafür gesorgt, dass diese Partei ausder Liberalen Internationale hinausflog, und ich bin bisheute stolz darauf, dass ich persönlich daran beteiligtwar, die Kollegen von der FPÖ aus der liberalen Frakti-on der Parlamentarischen Versammlung des Europarateshinauszukomplimentieren.
Das ist die Wahrheit. Wenn ich sage, das ist die Wahr-heit, dann zitiere ich schon wieder wie heute früh imAuswärtigen Ausschuss den bedeutenden österreich-ischen Autor Thomas Bernhard. Denn die weitereWahrheit ist, dass Jörg Haider nur deshalb so groß wer-den konnte, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse inÖsterreich in einem jahrzehntelangen Filz zwischenSPÖ und ÖVP derart erstarrt und geknebelt worden sind,dass sich dort kein Bürger mehr richtig wohl fühlenkonnte.
Dass dann ein Rattenfänger vom Schlage Haiders Erfolghat, darf uns eigentlich nicht wundern. Wenn wir dieEntwicklung bei uns und in anderen europäischen Län-dern betrachten, sollten wir aufpassen, dass wir gegen-steuern, solange noch Zeit ist, damit Rattenfänger vomSchlage Haiders eben nicht zum Zuge kommen. – Dasist das eine.
Zweitens ist von Herrn Stoiber schon Theo Sommerzitiert worden. Ich setze noch eins drauf:
Ich bin ja mit Ihnen der Meinung, dass es richtig war,nicht zu schweigen, als diese Koalition begründet wur-de. Hier hätte man warnen können und müssen. Hierhätte man auch drohen können und vielleicht müssen.Aber dann hätte man zumindest abwarten sollen undBundesminister Joseph Fischer
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7950 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
müssen, ob dort wirklich etwas geschieht. Bisher ist eben nichts geschehen.
Ich will das nicht überbewerten. Aber insofern habenSie, Herr Fischer, ja Recht: Die Aufnahme der Türkeials Beitrittskandidat hat dort schon segensreiche Wir-kungen erzielt. Ich will einmal behaupten: In Österreichist durch den Druck, der gemacht wurde, auch etwas Se-gensreiches geschehen. Die FPÖ hat nämlich ein euro-pafreundliches Papier unterschrieben. Ist das nicht einFortschritt? Darüber sollten wir uns freuen, aber nichtmit diesen lächerlichen Sanktionen gegen Österreichvorgehen. Übrigens: Dass Sie der österreichischen Au-ßenministerin die Hand gegeben haben, ist ja fast einGrund, Ihre Koalitions- und Regierungstreue in Zweifelzu ziehen. Das ist geradezu ein Skandal!
Wenn ich an der Stelle Ihrer Leute wäre, würde ich mirdas nicht gefallen lassen.Meine Damen und Herren, was Sie hier gemacht ha-ben, grenzt an Gesinnungsstrafrecht. Sie haben nichtgewartet, bis etwas getan worden ist, sondern Sie habengesagt: Wir schießen erst einmal und warten ab, ob viel-leicht etwas geschieht. Das ist nicht in Ordnung.
Herr Stoiber hat mit Recht darauf hingewiesen, dasshier eine unerträgliche Heuchelei im Spiel ist. Denn wirmüssen sehen: Niemand hat ernsthaft Sanktionen gegenRussland verlangt. So leicht darf man es sich mit Sank-tionen weiß Gott nicht machen. Insofern bin ich auf Ih-rer Seite. Aber öffentlich anzukündigen, wir erwägennicht einmal Sanktionen gegen Russland angesichts des-sen, was in Tschetschenien geschehen ist und weiterhingeschehen wird, grenzt an eine völlige Verdrehung allerUmstände.
Gegen Russland angesichts von zigtausend Toten, Op-fern und Vertriebenen machen Sie nichts. Da erwägenSie eine Sanktion nicht einmal. Aber gegen Österreich,ehe dort auch nur der geringste Verstoß gegen Men-schenrechte, gegen europäische Grundsätze vorgekom-men ist – nicht einmal verbal, in der Regierungsbil-dung –, schießen Sie sofort mit schwerem Geschütz,womit Sie sich natürlich zum Teil lächerlich machen. Meine Damen und Herren, wenn wir in dem Zusam-menhang über Subsidiarität sprechen, dann ist das schoneine ganz ernste Sache. Sie müssen sich einmal Folgen-des überlegen: Die Bürger in Europa haben Gott seiDank, weil es im Augenblick nicht nötig ist – man mussallerdings wachsam sein –, keine Angst davor, dassMenschenrechte in der Europäischen Union massiv mitFüßen getreten werden. Die Bürger haben aber Angstdavor, dass sich ein übermächtiges Brüssel in die Ange-legenheiten einmischt, die sie vor Ort selber regeln kön-nen,
dass sich Brüssel als Moloch entfaltet, der überall dorthineinregiert, wo Brüssel nichts zu suchen hat. Das ist eine Gefahr für die Akzeptanz unserer Euro-päischen Union bei unseren Bürgern: nicht nur bei unsin Deutschland, sondern auch in anderen – vor allemkleineren – Mitgliedstaaten und erst recht bei den Bei-trittskandidaten. Reden Sie einmal mit den Vertreternkleiner Länder, die der Europäischen Union beitretenwollen. Wenn die sehen, was in Richtung Österreichpassiert, vergeht ihnen vielleicht die Lust, zu uns zukommen.
– Nein, ich rede über das, was ich weiß: dass wir unssehr hüten müssen, die Grenzen der Zuständigkeiten zuverwischen. Wenn in Österreich eine freie Wahl stattge-funden hat – deren Ergebnis ich bedauere – und nachumfangreichen Verhandlungen eine Regierung gebildetworden ist, dann müssen wir das zunächst einmal res-pektieren und akzeptieren. Wir können gegebenenfallswarnen und auch drohen, aber wir sollten uns sehr zu-rückhalten, den Eindruck zu erwecken, als ob sich hiergroße Nachbarn in souveräne Entscheidungen andererLänder einmischen. Herr Fischer, Sie haben gerade gesagt, wir hätten dieDebatte aus innenpolitischen Gründen angezettelt. Nunmag es sein, dass die Grenze vielfach schwer zu ziehenist. Natürlich versuchen wir, wenn Sie einen Fehler ma-chen, Sie vehement zu kritisieren. Aber lassen Sie sichdenn von anderen Erwägungen leiten? Das ist doch dieschlimmste Chuzpe, die ich je erlebt habe. Wenn ich Siedort nicht sitzen sähe, wenn es Sie nicht wirklich gäbe –Sie könnten eine Erfindung von Thomas Bernhard sein,so wie Sie ausschauen und so wie Sie sich verhalten.
Nein, meine Damen und Herren, Sie haben doch in denletzten Wochen und Monaten nichts anderes als denVersuch unternommen, Ihre aufgebrachte grüne Basis zubeschwichtigen, die Sie – ich teile die Auffassung nicht – seit dem Krieg im Kosovo für einen Kriegstrei-ber hält. Sie haben zuerst durch einen Alleingang vorder Generalversammlung der Vereinten Nationen dengroßartigen Einsatz in Osttimor veranlasst und damit nurdas Geld der Bürger verschleudert. Dann haben Sie neuegroßartige Rüstungsexportrichtlinien auf den Markt ge-worfen, weiße Salbe auf die grüne Seele, und jetzt folgtder Marsch gegen Österreich, um die grüne Basis zu-frieden zu stellen. Frau Präsidentin, ich habe das Zeichen gesehen. Ichbin am Ende meiner Rede und bedanke mich für dieAufmerksamkeit.
Ulrich Irmer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7951
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident Stoiber istder Stätte seines, wie ich finde, empörenden Auftrittsbereits entfleucht. Insofern kann ich ihm nur einen klei-nen politischen Nachruf widmen. Mir fällt zum ThemaStoiber und Europa immer nur die Geschichte von je-nem Geisterfahrer auf einer bayerischen Autobahn ein,
der im Radio hört, dass es einen Geisterfahrer – damit ister selbst gemeint – gibt, und der dann zu seinem Beifah-rer sagt: „Wieso nur ein Geisterfahrer? Hunderte sindhier!“ –
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Herr Stoiber noch merkt, dass er derjenige ist, der auf der fal-schen Spur fährt, und dass es nicht die 14 europäischenStaaten sind.Kollege Irmer, ich kenne Sie eigentlich als einen ver-nünftigen, erfahrenen Kollegen. Ich fände es ganz gut,wenn Sie noch einmal darüber nachdenken, ob es wirk-lich angemessen ist, den deutschen Außenminister mitJörg Haider auf eine Stufe zu stellen. Ich fände es gut,wenn Sie das berichtigen.
Ich möchte meinen Beitrag mit drei Feststellungenbeginnen. Erste Feststellung. Die bisherige SPÖ/ÖVP-Koalition in Wien hat unter Bundeskanzler Viktor Klimalange Jahre eine erfolgreiche Politik für Österreich ge-macht
und ein Land hinterlassen, das hervorragende Daten be-züglich der Wirtschaft, der sozialen Verhältnisse undauch der Situation von Minderheiten und Ausländernaufweisen kann. Die sozialdemokratisch geführte Regie-rung hat außerdem große Leistungen bei der Politik dereuropäischen Integration erbracht, besonders gegenüberden ost- und südosteuropäischen Beitrittsstaaten. Ichfinde, es ist angemessen, hier einmal unseren Dank andie Regierung Klima, in den ich auch gerne seinen da-maligen Stellvertreter Wolfgang Schüssel einbeziehe,zum Ausdruck zu bringen.Unser dringendster Wunsch ist, dass Österreich aufder Basis seiner in der Tat jahrhundertlangen Erfahrun-gen mit dem Zusammenleben verschiedener Völker undKulturen seine politische Kraft und Kreativität so wiebisher weiter für die europäische Integration einsetzt.
Europa braucht Österreich, freilich ein offenes, ein aus-länderfreundliches und europafreundliches Österreich.Das ist der dringende Wunsch, der hinter den Maßnah-men der 14 Regierungen steht.Zweite Bemerkung: In dieser Debatte geht es, obwohles oft behauptet worden ist, nicht um die Angemessen-heit von bestimmten Reaktionen auf die Re-gierungsbildung in Wien. Das haben auch die Beiträge,die wir eben gehört haben, gezeigt. Es geht vielmehr umdie grundsätzliche Einschätzung der Person Jörg Haider,seiner Partei und der Gefahren, die mit der Regierungs-beteiligung seiner Partei verbunden sind.Der Hinweis auf Herrn Stoiber, der ja, wie der Au-ßenminister gesagt hat, Geburtshilfe bei dieser unheili-gen Allianz geleistet hat, ist schon gegeben worden. Wirerleben jetzt Wallfahrten nach Österreich, auch von Kol-legen aus diesem Haus, und sogar Plädoyers von IhrenLeuten, Herrn Haider doch nach Deutschland einzula-den. In Wirklichkeit haben wir hier keinen Konflikt zwi-schen unseren Fraktionen, sondern Sie haben einen Kon-flikt mit ganz Europa, sogar mit Ihren europäischenFreunden von der EVP,
die ernsthaft überlegen, ob sie Schüssel aus der EVPausschließen müssen, weil er Steigbügelhalter für Haiderwar. Sie haben einen Konflikt mit ganz Europa, ganz be-sonders, wenn Sie Haider auch noch demonstrativ einla-den wollen.Dritte Feststellung: Sie sprechen gerne von Überreak-tion. Dazu erstens: In Europa, in Deutschland hat esnoch nie eine Überreaktion auf Rechtsradikalismus undFremdenfeindlichkeit gegeben. Alles Unglück ist immeraus deren Gegenteil gekommen:
aus dem Mangel an rechtzeitiger Einsicht in eine Gefahrund aus dem Mangel an entschlossener Gegenwehr.Dazu zweitens: Sie tun so, als könnte sich die Bun-desregierung in dieser Lage beliebig verhalten, so oderso, als hätte es die deutsche Geschichte nie gegeben, alssähen Sie nicht, dass Deutschland gerade in dieser Fragemillimetergenau bei dem Konsens der 14 europäischenStaats- und Regierungschefs bleiben
und jedes Ausscheren zu einer katastrophalen weltwei-ten Reaktion, zu einer Diskussion über alte und neueAchsen führen muss.
Dazu drittens: Liebe Kolleginnen und Kollegen vonder rechten Seite des Hauses, haben Sie eigentlich zurKenntnis genommen, dass Israel seinen Botschafter ausWien abgezogen hat? Sind Sie eigentlich in der Lage,die große Besorgnis der israelischen Öffentlichkeitnachzuvollziehen? Am 30. September 1995 – das ist fastfünf Jahre her – trat Jörg Haider in Krumpendorf bei ei-nem Veteranentreffen der Waffen-SS auf. Den dort Ver-sammelten hat er zugerufen:
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7952 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Es ist gut, dass es in dieser Welt noch anständigeMenschen gibt, die einen Charakter haben, die auchbei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung ste-hen und ihrer Überzeugung bis heute treu gebliebensind. Dann hat er gesagt – ich fahre fort mit dem Zitat –: Wir geben Geld für Terroristen, wir geben Geld fürgewalttätige Zeitungen, wir geben Geld für arbeits-scheues Gesindel und wir haben kein Geld für an-ständige Menschen. Reicht Ihnen dieser eine Auftritt vor „anständigenMenschen“ nicht aus, um Israels Sorgen zu verstehen?
Kann man in dieser Situation ernsthaft fordern, businessas usual zu betreiben, bis Herr Haider vielleicht zumzweiten oder zum dritten Mal vor solchen Kamerad-schaften auftritt? Ist unter diesem Aspekt die maßvolleReduzierung bilateraler Kontakte mit jener Regierung,der Haiders Partei jetzt angehört, nicht das Minimum anSensibilität, das man von Europa und ganz besondersvon Deutschland erwarten kann?
Meine Damen und Herren, ich möchte hier einen As-pekt besonders herausgreifen, und zwar den der europäi-schen Integration und der Osterweiterung der EU. Hierhat eine entscheidende Phase begonnen. Seit gestern istdie Zahl der Verhandlungspartner auf zwölf angewach-sen. Nach einem inoffiziellen Fahrplan sollen erste Ent-scheidungen bis 2003 getroffen werden. Mit anderenWorten: Jetzt wird es Ernst mit der EU-Erweiterung. Im Regierungsprogramm der ÖVP und der FPÖ stehtein Bekenntnis zur EU-Erweiterung. Da steht sogar derSatz – ich zitiere –: „Österreich steht mit den mittel- undosteuropäischen Kandidatenländern auch durch Ge-schichte und Kultur in einem besonderen Nahverhält-nis.“ Dann aber kommt eine Ausführung über die, sowörtlich, „Bedachtnahme auf gesamtösterreichische An-liegen und Wettbewerbsinteressen“. Anschließend wirdein ganzer Parcours von hohen Hürden im Hinblick aufden Beitritt der Transformationsstaaten aus Ost- undSüdosteuropa formuliert. Das wird in neun – streng for-mulierten – Kriterien ausgeführt.Keine Frage: Schon im Regierungsprogramm gibt eseine veränderte Prioritätensetzung, die voller Skepsishinsichtlich der neuen Mitgliedstaaten der EU und desvorgesehenen Beitrittsprozesses ist, und zwar insbeson-dere dann, wenn irgendwelche österreichischen Interes-sen tangiert sind.
Dann gab es den Auftritt der, wie ich finde, sehrsympathischen Außenministerin Benita Ferrero-Waldnerin Brüssel. Sie hat dort versichert, dass man sich daraufverlassen könne, dass der Fahrplan der EU-Erweiterungeingehalten werde.
– Ich glaube ihr. – Das war eindrucksvoll. Aber nocheindrucksvoller war, dass sich bereits dann, als die Tintefür das Verfassen der Berichte über diesen Auftritt nochnicht trocken war, Herr Haider aus dem Off gemeldetund gesagt hat: Er sehe in der Anpassung des Lohnni-veaus dieser Beitrittsländer eine unverzichtbare Voraus-setzung für deren EU-Beitritt. Diese Anpassung müssevor einem potenziellen Beitritt erfolgen.
Die arme Frau Ferrero-Waldner konnte gar nicht anders,als das sofort zu dementieren. Das werden wir in Zu-kunft noch öfter erleben. Aber die Frage, die ich hierstellen möchte, lautet: Wie wirkt es Ihrer Meinung nachin Polen, in Tschechien und in Ungarn, wenn dieses Kri-terium hier aufgestellt wird?
Die Polen werden sich an ein anderes Zitat von Hai-der aus dem Jahr 1991 erinnern, das ich Ihnen gerne vor-tragen möchte. Er hat vor der Maifeier der FPÖ am1. Mai 1991 gesagt: Wenn ich da an die Polen denke, dieglauben, dass sie ohne entsprechende Arbeitsleistungden Wohlstand des Westens erringen werden, wenn ichmir den Lech Walesa anschaue, der ja, seit er Präsidentist, mehr breit als hoch geworden ist, dann ist das sym-bolisch für die Denkart, die dort herrscht, dass manglaubt, nur mit Erbschaft im Westen die Tragik im Osten kosmetisch überbrücken zu können und zuWohlstand zu kommen. Wer nicht gelernt hat zu arbei-ten, der wird auch in der Zukunft kein Wohlstandsgebietaufbauen können. Das muss also auch an die Adresseder Osteuropäer gesagt werden.Meine Damen und Herren, das ist eine verheerendeBotschaft. In Polen, in Tschechien, in Ungarn und in an-deren Transformationsländern haben die Regierungen inden letzten zehn Jahren nicht populistisch, sondern ver-antwortungsvoll gehandelt. Sie haben sich regelmäßignach vier Jahren aufgrund des Unmuts in der Bevölke-rung ablösen lassen, weil sie konsequent Reformendurchgeführt haben, weil sie den Tranformationsprozessvorangetrieben haben, weil sie das Ziel „Europa“ festvor Augen hatten. Das war mutig, viel mutiger als das,was Haider je gemacht hat.
Bei der Erweiterung der Europäischen Union verfolgenwir das Konsensprinzip. Insofern ist das, was Österreichhier tut, existenziell.Nebenbei gesagt: Wir haben es hier mit einer be-stimmten Methode des Herrn Haider zu tun. Er haut ei-nem in die Magengrube, sagt dann: „Falls es wehgetanhat, bin ich eventuell bereit, mich zu entschuldigen“,holt aber im gleichen Moment aus, um nochmals in dieMagengrube zu hauen. Wenn sich dies stets wiederholt,ist es ein sehr gefährliches politisches Prinzip. Das, wasich zitiert habe, die Verbindung der Forderung nachGernot Erler
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7953
gleichem Lohnniveau mit den herabsetzenden Äußerun-gen über die Arbeitsfähigkeit in Osteuropa, hat eine ver-heerende politische Schleifspur zur Folge. Das hat Aus-wirkungen, die wir nicht kampflos zulassen können.
Offenbar wirken die Maßnahmen der europäischenLänder doch ein bisschen mehr, als öffentlich erwartetworden ist. Ich behaupte: Die Änderungen im Koaliti-onsvertrag der neuen österreichischen Regierung, zumBeispiel der Verzicht darauf, auch noch die Benes-Dekrete und die Afnoj-Maßnahmen in Slowenien aufzu-nehmen, sind schon eine Folge des geschlossenen, imKonsens erfolgten Protestes der europäischen Länder.Die vielen konstruktiven Äußerungen von Frau Ferrero-Waldner, von Herrn Schüssel und anderen in Sachen Osterweiterung, in Sachen Verlässlichkeit Österreichs,die gegen die ständige Konterkarierung durch Haiderverteidigt werden müssen, sind bereits Folge der ent-schlossenen Protesthaltung der 14 europäischen Länder.Der Außenminister hat schon darauf hingewiesen:Die letzten Umfragen belegen – das richte ich an HerrnIrmer, der heute im Auswärtigen Ausschuss gesagt hat,die Maßnahmen der EU würden Herrn Haider die Hasenin den Stall treiben –, dass es jetzt sogar eine rot-grüneMehrheit in Wien gäbe und die FPÖ verloren hat, aberganz dramatisch auch die ÖVP. Es sieht also so aus, alswürden die Botschaften der europäischen Länder in Ös-terreich ernst genommen.
Allein unser Interesse daran, dass der europäische In-tegrationsprozess nicht scheitern darf, weder an Öster-reich noch an einem anderen Land – dieses Interesse hatganz besonders die Bundesrepublik Deutschland –,rechtfertigt die Aufrechterhaltung der Maßnahmen der14 europäischen Länder, nicht als eine Bestrafung Öster-reichs – ich will noch einmal deutlich machen, welchgroßes Interesse an der Fortsetzung der konstruktivenArbeit bezüglich des europäischen Integrationsprozessesvon Österreich wir haben –, sondern als ein un-missverständliches Signal an die österreichische Öffent-lichkeit, auch an den österreichischen Wähler: Öster-reich muss seinen Beitrag leisten. Europa braucht Öster-reich, und zwar ein offenes, ein ausländerfreundlichesund vor allen Dingen ein europafreundliches Österreich.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat
jetzt der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Ich glaube, dass es wichtig ist, inden Formulierungen sicherer zu werden. Es geht nichtdarum, dass Herr Haider ein Populist ist. Populismusgibt es in allen Parteien.
– Sie haben es gerade nötig. Ich sage doch, dass es dasin allen Parteien gibt. Gelegentlich gibt es auch Dema-gogie bei der Politikerinnen und Politikern. Herr Irmer,das ist doch nicht das Problem. Das Problem an Haiderund der FPÖ ist nicht, dass Haider populistisch ist;
das wäre zu verkraften. Das Problem ist, dass er Rassis-mus, Ausländerfeindlichkeit und die Verharmlosung derNS-Vergangenheit instrumentalisiert. Das ist ein ganzanderes Thema als Schwächen im Umgang mit politi-schen Forderungen oder den Reaktionen darauf.
Nun werfen Sie dieser Regierung vor, Haider indirektzu stärken. Im Augenblick leisten aber in WirklichkeitCDU/CSU und leider auch F.D.P. ihren Beitrag dazu,ihn zu stärken,
und zwar schon dadurch, dass sie ihn als eine Art ver-folgte Unschuld in Europa darstellen. Das ist eine ziem-liche Katastrophe.
Ein Weiteres: Sie erkennen gar nicht, was in diesenTagen in Österreich los ist. Sehen Sie die Tausende, diedort demonstrieren? Sehen Sie die Reaktion der Intellek-tuellen? Nehmen Sie das alles nicht zur Kenntnis? Einesmuss man doch auch einmal sagen: Etwa 80 Prozent derÖsterreicherinnen und Österreicher haben nicht FPÖgewählt. Die zeigen jetzt Reaktion. Darauf muss manauch einmal hinweisen.Der Bundesrepublik Deutschland wurde immer vor-geworfen, sich zu wenig mit der NS-Vergangenheit aus-einander gesetzt zu haben. An dieser Kritik ist sicherlichetwas dran. Ehrlicherweise muss ich aber sagen: ImVergleich zu Österreich ist in Deutschland eine Mengepassiert. Deshalb wird es Zeit, dass die Auseinanderset-zung mit der Geschichte in Österreich in anderer Formstattfindet.Es ist immer von Sanktionen „der EU“ die Rede.Wieso bringen Sie immer einen solchen falschen Sach-verhalt? Warum reden Sie in diesem Zusammenhangvom Völkerrecht? Es gibt keinen einzigen Beschluss derEuropäischen Union über irgendeine Sanktion gegenÖsterreich. So etwas kann es nur bei Vertragsverletzun-gen geben. Die aber – das ist richtig – können noch garnicht vorliegen und liegen dementsprechend auch nichtvor.
Gernot Erler
Metadaten/Kopzeile:
7954 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Es gibt aber eine kritische Reaktion der Regierungen derMitgliedsländer der Europäischen Union. Sie haben ent-schieden, wie sie ihre bilateralen Beziehungen zu Öster-reich pflegen wollen.
Das ist gerade Ausdruck der völkerrechtlichen Souverä-nität dieser Staaten. Deswegen geht Ihre diesbezüglicheArgumentation völlig fehl. Wenn Sie sagen, kleinere Staaten könnten vom Bei-tritt abgehalten werden, weil sie zu viel Einmischung indie inneren Angelegenheiten befürchten, dann sage ichIhnen: Das Gegenteil ist wahr. Wenn Österreich nicht inder EU wäre, könnten diese Regierungen, wenn sie dennwollten, die Beziehungen praktisch völlig einstellen.Das wäre ihr völkerrechtlich souveränes Recht. Aber ge-rade weil Österreich in der EU ist, bleiben alle entschei-denden Kontakte über die Kommission usw. aufrechter-halten. Das ergibt sich nämlich aus den Mitgliedsrech-ten. Das heißt: Gerade die kleinen Staaten werden sagen,als Mitglied seien sie in gewisser Hinsicht internationalviel besser geschützt. Denn sonst wären alle Staatendurchaus berechtigt, Sanktionen usw. zu beschließen,ohne irgendjemanden zu fragen. Sie sehen, auch dieseArgumentation von Ihnen geht fehl.Herr Ministerpräsident Stoiber, es gab übrigens nochnicht einmal Einmischung in die Regierungsbildung.Vielmehr gab es die Reaktion der Regierungen der Mit-gliedsländer der Europäischen Union erst, nachdem derBeschluss über die Koalition bekannt gegeben wordenist. Herr Stoiber, noch etwas, weil Sie in dieser Hinsichtnicht müde werden: Dass Sie Herr Stoiber, das machen,ist ja noch irgendwie nachvollziehbar, aber dass es auchdie F.D.P. macht, ist schon ein starkes Stück. Sie setzendie FPÖ gleich mit den Kommunisten in Frankreich undItalien. Dazu will ich Ihnen einmal etwas sagen: Ich fin-de, dieses Recht haben gerade Sie als deutsche Politikernicht.
Es geht gar nicht um die politische Differenz. Wir habenauch Differenzen; die sind mit Sicherheit nicht so großwie Ihre. Die Frage ist, was Sie denen vorwerfen. Dasssie gegen Mussolini, Vichy und Hitler gekämpft haben?
Dass sie in der ersten Volksfrontregierung Frankreichnach 1945 waren – mit den Konservativen zusammen –,die eine wichtige demokratische Grundlage für Frank-reich gelegt hat?
– Das stimmt nicht. Die französischen Kommunistenhaben zum Beispiel den Einmarsch 1968 deutlich verur-teilt. Nicht einmal das wissen Sie, Herr Stoiber. Sie ha-ben sich nie mit der Geschichte dieser Parteien beschäf-tigt.
Ich muss dar-
auf hinweisen, dass es keine Zwiegespräche zwischen
der Bundesratsbank und dem Redner geben darf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
– Das ist richtig. Aber das
ist sein Problem und nicht meines. Ich darf hier reden,
mit wem ich will. Im Übrigen hat Herr Stoiber mich ja
indirekt geehrt. Er hat zu Herrn Fischer gesagt: Sie sind
der Letzte, der hier über Demokratie reden darf. – Damit
bin ich immerhin der Vorletzte. Früher hätte er das an-
ders gesehen. Darüber sollten Sie nachdenken, Herr Fi-
scher.
Sie müssen verstehen, dass Sie der Geschichte dieser
beiden Parteien in Italien und Frankreich in keiner Wei-
se gerecht werden. Es gibt diesbezüglich nichts, was Sie
diesen Parteien vorwerfen könnten. Beschäftigen Sie
sich mehr mit Geschichte, damit Sie von diesen Dingen
etwas verstehen. Sie müssen zwischen den Parteien der
verschiedenen Länder differenzieren. In Griechenland
haben die Konservativen mit den Kommunisten gegen
die PASOK koaliert. Sie haben sich damals nicht dar-
über aufgeregt. Es gab schon die merkwürdigsten Dinge
in der Geschichte. Insofern sollten Sie einmal die eigene
Geschichte und die Geschichte anderer studieren. Es ist
wirklich eine Frechheit, wenn Sie in den Bereichen, um
die es hier geht, diesen Parteien etwas vorwerfen.
Ich muss allerdings auch sagen, dass Kritik an der
österreichischen Sozialdemokratie angebracht ist. Die
österreichische Sozialdemokratie ist nicht besonders
glaubwürdig. Wer der FPÖ eine Tolerierung und fak-
tisch vier Minister anbietet, ist in seiner Empörung an-
schließend nicht besonders glaubwürdig. Das muss man
einfach sagen und das gehört mit zur Wahrheit.
Ich habe mich sehr gefreut, dass Herr Stoiber hier
plötzlich viele Volksentscheide vorgeschlagen hat. Als
wir zum Euro und zu Maastricht Volksentscheide vorge-
schlagen haben – auch die Grünen wollten damals einen
Volksentscheid und die SPD war halb entschlossen –,
hat Ihre Fraktion vor Volksentscheiden in der Bundes-
republik Deutschland gewarnt. Ich sage Ihnen: Ändern
Sie Ihre Meinung!
Herr Kollege
Gysi, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich kom-me zum Schluss. Das Entscheidende – und darin hat Herr Kollege Kin-kel Recht – ist die Frage nach der Ursache. Bei der Ur-sachenfrage muss man mehrere Dinge sehen. Erstens.Die demokratische Linke in Österreich war immer sehrDr. Gregor Gysi
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7955
schwach, was bis heute Folgen hat. Zweitens. Die Auf-arbeitung der Geschichte war in Österreich nicht aus-reichend, was ebenso Folgen bis heute hat. Drittens. DasEntscheidende ist: Der europäische Integrationsprozessfindet in einer Art und Weise statt, bei der MenschenÄngste haben. Diese werden von Herrn Haider geschürt.
Herr Gysi, der
letzte Satz bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Ängste hängen damit
zusammen, dass alles wirtschaftsgerecht gestaltet wird
und die sozialen Standards und ökologischen Belange
nicht gesichert werden. Wir müssen die Ängste abbauen.
Dann hat auch der Rechtsextremismus in Europa keinen
Erfolg.
Das Wort hat
der Herr Kollege Peter Hintze.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der Bayerische Mi-
nisterpräsident hat, wie ich finde, zutreffend ausgeführt,
dass die deutsche Europapolitik über Jahrzehnte vom
Geist der Partnerschaft und Fairness bestimmt war. Er
hat weiterhin zutreffend ausgeführt, dass dieser Geist
der Partnerschaft und Fairness von der deutschen Bun-
desregierung in der Frage der österreichischen Regie-
rungsbildung schändlich missachtet wurde.
Vierzehn Regierungen spielen Staatsanwalt und Richter
zugleich und geben dem Beschuldigten noch nicht ein-
mal das Wort. Vierzehn Regierungen stiften Hysterie in
Europa. Auch der Advokat des Weltkommunismus hält
uns noch seine Vorträge und die Ergebnisse dieser Hys-
terie werden hier als Beleg für die eigene These vorge-
führt.
Nun hat der Herr Bundesaußenminister über die in-
ternationalen Reaktionen gesprochen. Es gibt in der Tat
zwei Formen internationaler Reaktionen, nämlich sol-
che, die Ergebnis dieser unfairen Praktiken der 14 EU-
Staaten sind, und solche, die auch Sie ein bisschen
nachdenken lassen sollten. Im „Spiegel“ vom
7. Februar 2000 hat sich der frühere Wiener Oberbür-
germeister, Zilk, der fast einem rechtsradikalen Brief-
bombenanschlag zum Opfer gefallen wäre, mit Ihrer
Person und Ihrer Politik, Herr Fischer, auseinander ge-
setzt. Es lohnt, das ganze Interview zu lesen. Ich be-
schränke mich auf zwei Kernsätze, da die Zeit zu kurz
ist:
Ich kann … nicht verstehen, dass für diese demo-
kratisch entstandene Regierung, zu der es im Mo-
ment offenbar keine Alternative gibt,
– ich füge in Klammern hinzu: Herr Klima hat ein Vier-
augengespräch mit Herrn Haider geführt und dabei ver-
sucht, die FPÖ herüberzuziehen. Als das nicht klappte,
war die Sache auf einmal nicht mehr in Ordnung –
ein ganzes Volk in Geiselhaft genommen wird. Das
ist unziemlich.
– Dieser Zwischenruf, Herr von Larcher, spricht für Ihre
Aufmerksamkeit, aber nicht für Ihre Intelligenz.
Ich weiß nicht, was die beiden besprochen haben, aber
ich weiß, dass es hochgradig unglaubwürdig ist, wenn
Herr Klima ein Vieraugengespräch mit Herrn Haider
führt, über das Ergebnis unzufrieden ist und sich hinter-
her darüber empört, dass eine andere Koalition gebildet
wird.
Nun noch zu Herrn Fischer. Der „Spiegel“ sagt zu
Herrn Zilk:
Joschka Fischer hat die EU-Maßnahmen damit be-
gründet, man wolle „Österreich eine bittere Erfah-
rung“ ersparen.
Zilk: Da steckt etwas von der Überheblichkeit drin,
die Grüne an sich haben. Sie fühlen sich als Missi-
onare der Welt.
Später heißt es:
Ohne ihn
– Fischer –
im Geringsten mit Haider gleichsetzen zu wollen,
würde ich dem Joschka Fischer ins Stammbuch
schreiben: Er ist eigentlich das Musterbeispiel da-
für, dass Domestikation durch Verantwortung
klappt. Ich erinnere mich, wie er mit Turnschuhen
die Straßen deutscher Großstädte verunsichert hat.
Auch wir erinnern uns daran, Herr Fischer. Dann kommt
noch ein Lob über seinen Nadelstreifenanzug und die
Aussage – da gehen unsere Meinungen auseinander –,
dass er ihn ansonsten ganz in Ordnung findet.
Herr Kollege
Hintze, auch Ihre Redezeit ist leider überschritten, und
zwar deutlich.
Frau Präsidentin, wennSie mir das kurz gestatten: Ich bin gerade 27 Sekundenüber die Zeit. Das ist leider deswegen notwendig gewor-Dr. Gregor Gysi
Metadaten/Kopzeile:
7956 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
den, weil die linke Seite des Hauses – im Wissen, dasssie Unrecht hat, im Wissen, dass sie auf dem linken Au-ge blind ist und auf dem rechten Auge eine Lupe ange-setzt hat – dauernd dazwischenschreit und es so un-möglich macht, dies hier auszuführen.Auf jeden Fall weist Herr Zilk darauf hin – das sagtein österreichischer Sozialdemokrat, der selber einmalOpfer eines rechtsradikalen Anschlags war –, dass diesePolitik gegen Österreich unfair ist und dies das Landnicht verdient hat. Ich sage Ihnen: Auch Deutschland hates nicht verdient, dass wir so unfair mit Österreich um-gehen.Schönen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ludwig Stiegler.
Jetzt hat er schon wiederAngst, der Michael Glos. Da zittert er schon!
– Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Be-geisterung, mit der die rechte Seite hier die „Haiderisie-rung“ der österreichischen Politik verteidigt, hat aucheine innenpolitische Dimension. Es ist wirklich unglaub-lich, dass Sie sich hier hinstellen
und solche Typen verteidigen.
Das ist auch ein Anschlag auf die politische Kultur inDeutschland.
Der Verteidiger von Herrn Haider, der hier in Gestaltdes CSU-Vorsitzenden mit dem Rederecht des bayeri-schen Ministerpräsidenten gesprochen hat, ist Vorsit-zender der Partei, die bisher am meisten für Haider ge-tan hat. Ich glaube, man müsste Ihnen einmal eine halbeStunde lang alle Ihre Haider-Zitate vorlesen. Man müss-te Sie einmal daran erinnern, dass Max Streibl, der Vor-gänger von Herrn Stoiber in München, laut „MünchnerMerkur“ – eine Zeitung, die sozialistischer Umtriebenicht verdächtig ist – gesagt hat, Haider könne genausogut bei der CSU sein. Da hat er die Wahrheit gespro-chen. Stoiber soll laut „Münchner Merkur“ damals ge-sagt haben, er suche die enge Zusammenarbeit zwischenCSU und FPÖ.
Das ist doch die ganze Wahrheit. Die CSU tut sichschwer, sich von solchen Leuten abzugrenzen. In Wirk-lichkeit verteidigen Sie sich hier selber.
Das ist das Problem. Deshalb müssen wir diesesProblem auch in der innenpolitischen Debatte und hierim Parlament erörtern. Denn manche von Ihnen glauben,sie müssten, um Rechts zu bekämpfen, so reden wie dieRechten, so reden wie Haider – das ist bei der CSU inden Bierzelten gang und gäbe –, statt sich von solchenKräften sauber demokratisch abzugrenzen.
Meine Damen und Herren, es gibt in der deutschenGeschichte schon ein Beispiel dafür, dass flotte konser-vative Herren geglaubt haben, sich braune Flegel nutz-bar machen zu können. Es gab einmal einen Herrn vonPapen und andere, die glaubten, sie könnten den jungenHerrn H. vor ihren Karren spannen. Sie haben sehrschnell gemerkt, dass sie unter dem Pflug waren,
dass sie selber die Probleme hatten. Warum lernen Sienicht aus der Geschichte? Es ist eine Katastrophe, dassdie konservativen Parteien immer mit solchen Typen zu-sammenarbeiten wollen.
Das, was Sie hier machen, ist ein Ritt auf dem Tiger.Es wird Ihnen so gehen wie der berühmten Lady vonRiga. Sie ist einmal lächelnd auf einem Tiger ausgerittenund kam am Ende im Tiger zurück, und der Tiger hatgelächelt.
Ich kann diesen Limerick leider nicht auf Englisch vor-tragen, aber er ist sehr empfehlenswert. Nein, meine Damen und Herren, das Grundproblemist nicht Österreich. Stellen Sie sich nicht vor Österreich,Österreich ist nicht angegriffen. Es wird eine gesell-schaftliche Entwicklung, die es in Österreich und leiderGottes auch in Deutschland, Frankreich und anderswogibt, angegriffen. Es ist unsere gemeinsame Demokra-tenpflicht, deutlich zu machen, dass solche Worte undsolche Hetzereien nicht mehr in der demokratischenKultur geduldet werden, Peter Hintze
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7957
weil in der deutschen Geschichte schon der Blitz auf denDonner gefolgt ist. Die Worte bereiten die Taten vor,und das müssen wir uns gemeinsam zu Gemüte führen. Wir müssen deutlich machen, dass wir von Anfang anwiderstehen. Die CSU gibt sich immer so, als ob sieSchönhuber – wir haben Glück gehabt, dass er nicht soalt ist wie Haider; denn dann würde Stoiber noch andersreden – –
– Entschuldigung, die Münchener CSU will Haider so-gar einladen. Der oberbayerische JU-Vorsitzende willsogar eine Botschaft in Wien – Bravo! – für den Frei-staat Bayern, damit der Haider-Prozess noch gefördertwerden kann. Sie sind doch an Ihren Rändern infiziert.Reinigen Sie sich und halten Sie sich sauber!
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Singhammer?
Gern. Ich bin froh, wenn er
dementiert. Der „Münchner Merkur“ schreibt, dass der
Singhammer den Haider nach München holen will. Die
F.D.P. unter Brunner wollte ihn früher auch holen. Ich
bin gern bereit, ihm hier die Gelegenheit zu geben abzu-
schwören. Warum nicht?
– Wer zu Haider pilgert, um ihn zu verteidigen, sollte
hier ruhig sein.
Herr Kollege
Stiegler, Sie haben davon gesprochen, dass die Münche-
ner CSU Herrn Haider einladen würde. Ich muss leider
Ihre politisch lustvolle Erregungskurve etwas senken,
indem ich erkläre, dass die Münchener CSU Herrn
Haider nicht einlädt.
Ich habe das in unverdäch-tigen Quellen gelesen, wahrscheinlich haben Sie sichdanach nicht mehr getraut.
– Er darf sich ruhig setzen, sechs. Es ist schon okay. Ich habe nur gelesen, dass es in Ihrer Bürgerbewe-gung – vielleicht gründen Sie noch einen Freikorps, umHaider zu verteidigen, das wäre alles in der Traditionder bayerischen Konservativen –
heftige Erwägungen gab, ihn einzuladen. Vielleicht ha-ben Sie sich dann doch nicht getraut, weil ein paar Ver-nünftige zu dem Schluss gekommen sind, dass das mo-mentan nicht passt. Wenn Sie jetzt aber für immer wi-dersagen, ist das auf jeden Fall ein Fortschritt.
Meine Damen und Herren, das ist die zentrale Bot-schaft. Hier sind auch die Worte gefallen, andere Staatenwürden sich davon beeinträchtigt fühlen. Unter den 14befinden sich auch viele kleine Länder. Wir werden si-cher auch in anderen Staaten noch erleben, dass es sol-che Haider-Kurven und dass es solche konservativenParteien wie die CSU gibt, die Unschärfe zulassen. Wir müssen in Europa deutlich machen, dass diesesVokabular von Herrn Haider keine Zukunft hat. HerrStoiber, wer hat denn von der durchrassten Gesellschaftgesprochen? Wer hat denn diese Sprüche gemacht? – Dann heißt es, Herr Stoiber habe sich ja entschuldigt. Herr Haider entschuldigt sich fortlaufend. Er entschuldigt sich jeden Tag, sagt jeden Tag Schweinereien und erklärt dann: Entschuldigen Sie, ich bin es nicht gewesen. Nein, meine Damen und Herren, von solchen Leutenheißt es Abstand zu nehmen, und wer sie an die Regie-rung bringt, versündigt sich an der europäischen politi-schen Kultur.
Dort heißt es, den Anfängen zu wehren. Das ist die ent-scheidende Sache. Wir haben in Deutschland schoneinmal erlebt, wohin es führt, wenn man den Anfängennicht wehrt, wenn man die Dinge laufen lässt und dannfeststellt, dass man ihrer nicht mehr Herr wird. Ich stimme allen zu, die sagen, wir müssen mit denMenschen reden. – Jawohl, aber mit den Menschen re-den heißt nicht, allen nach dem Munde zu reden,
sondern heißt aufzuklären, heißt die Probleme anzuspre-chen, heißt bürgernahe Arbeit zu machen. Da könnenwir meinetwegen alle miteinander noch besser werden.Wer aber meint, auf solchen Ängsten sein Süppchen ko-chen zu können, der überwindet nicht das Übel, sondernder fördert das Übel, meine Damen und Herren.
Eine letzte Bemerkung noch zu der außenpolitischenAngelegenheit. Ich möchte einmal wissen, wie HerrStoiber oder andere reagiert hätten, wenn während derZeit der vorherigen Koalition, also der Bimbes-Koalition,
eine von der Bundesregierung mit allen europäischenLändern abgestimmte Erklärung durch eine sozialdemo-Ludwig Stiegler
Metadaten/Kopzeile:
7958 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
kratisch geführte Landesregierung so angegangen wor-den wäre. Das hätte ich einmal erleben wollen,
was da über kooperativen Föderalismus, über Zustän-digkeiten gesagt worden wäre. Ich kenne Bayern, Herr Stoiber, ich kenne Bayerngenauso gut wie Sie.
Ich kenne aber auch die bayerische Zeitgeschichte, dieSie verdrängen, und ich weiß, was die bayerischen Kon-servativen in Weimar gegenüber Berlin, das anders re-giert war, so alles angestellt haben.
Das ist es, was mich aufregt.
Herr Kollege
Stiegler – –
Sie haben keine Ahnung
von der bayerischen Geschichte.
Herr Redner,
ich muss hier jetzt einmal eingreifen.
Man muss es wirklich ein-
mal deutlich sagen.
– Sie sehen ja, der Ministerpräsident braucht heute kei-
nen Kaffee mehr. Das ist auch schon ein Fortschritt. Ich
sage Ihnen nur – –
Herr Kollege
Stiegler, einen Moment! Jetzt lassen Sie mich auch ein-
mal etwas sagen.
Erstens möchte ich Herrn Ministerpräsidenten Stoiber
sagen, dass es nicht die Sitte dieses Hauses ist, von der
Bundesratsbank dazwischenzurufen. Das ist nicht das
Recht.
Frau Präsidentin, ich ver-
zeihe ihm.
Zweitens.
Auch Sie, Herr Kollege Stiegler, haben die Regeln hier
nicht neu zu bestimmen, zum Beispiel im Zusammen-
hang mit Aufstehen und Hinsetzen, Dazwischenrufen
oder nicht. Diese Regeln haben wir uns gemeinsam ge-
geben, und wir halten sie auch ein.
Dann möchte ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Schmidt erlauben.
Ja.
Herr Kol-
lege Stiegler, ich möchte Ihnen die Möglichkeit geben,
bei Ihrer sozialistischen Generalabrechnung mit dem
Konservativismus einen Moment Luft zu schöpfen und
den Blutdruck wieder zu senken. Ich möchte Sie fragen,
wie sich im Lichte Ihrer Darstellungen die Tatsache,
dass Herr Bundeskanzler außer Diensten Klima öffent-
lich über eine Minderheitsregierung nachdenkt, die von
der FPÖ, die von Haider toleriert werden soll, mit Ihrer
Position vereinbaren lässt. Man hört, dass österreichi-
sche Sozialdemokraten unter der Hand und hintenrum
der FPÖ gesagt haben: Wenn ihr ein Jahr lang Ruhe gebt
und uns toleriert, dann können wir später darüber nach-
denken, ob wir eine Koalition mit euch machen. – Sind
Sie einer solchen Position in Wien entgegengetreten?
Wer aus einer Fraktion
kommt, wo in den letzten Jahren so viel unter der Hand
gelaufen ist, der sollte sich solche Fragen wirklich erst
einmal überlegen, bevor er sie stellt.
Das Zweite: Stoiber war es, der den Schüssel aufge-
fordert hat, mit Haider zusammenzugehen. Noch bevor
die anderen zum Überlegen kamen, hat er seine Bot-
schaft gesandt. Das Entscheidende ist, dass der CSU-
Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident – Herr
Schäuble hat sich da viel zurückhaltender verhalten –
gesagt hat: Haider ist hoffähig. Das ist die Sünde wider
die demokratische Kultur. Damit müssen wir uns aus-
einander setzen, nicht mit irgendwelchen Hintergründen,
die keiner von uns beweisen und belegen kann.
Herr Kollege
Stiegler, es möchten noch zwei Abgeordnete eine Zwi-
schenfrage stellen, erst der Kollege Irmer, dann der Kol-
lege Gysi. Gestatten Sie auch diese beiden?
Wie Sie meinen, Madam.
Nein, ich mei-ne hier gar nichts, sondern Sie müssen das entscheiden.Ludwig Stiegler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7959
Ja.
Gut, dann ma-
chen wir es so. – Herr Kollege Irmer.
Herr Kollege Stiegler, es hat
mir so Leid getan, dass Sie vorhin mit dem Limerick so
ins Schwimmen geraten sind. Ich möchte Sie jetzt fra-
gen, ob Sie bereit sind, einen Limerick zu akzeptieren,
der mir soeben durch den Kopf geschossen ist und den
ich gerne zitieren möchte. Er lautet nämlich folgender-
maßen:
Es reitet Herr Ludwig, der Stiegler,
auf Haider und sonst manchem Tigler.
Er setzt stets noch eins drauf,
denn ob ab oder auf, er ist ein begnadeter Wiegler.
Das hat ein Stück Dadais-
mus, nach der Methode: Reim dich oder ich fress dich.
Aber es ist in Ordnung. Das wird sicher den nächsten Li-
teraturpreis gewinnen.
Jetzt der Herr
Kollege Gysi.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Stiegler, ich
habe nur eine Frage. Sie haben vorhin vielleicht ge-
merkt, dass ich die Kritik der rechten Opposition an dem
Verhalten der Regierung überhaupt nicht teile. Dennoch
bewegt mich eine Frage, ohne dass ich darauf wirklich
eine Antwort hätte.
Kann es in gewisser Hinsicht nicht sein, dass die Art
der Reaktionen ein bisschen mit dazu beigetragen hat,
aus einer Provinzgröße namens Haider eine europäische
Größe zu machen?
Wie könnte man das künftig verhindern? Das finde ich
keine unwichtige Frage dabei. Das muss man sich im-
mer mit überlegen.
Diese Frage stellt sich im-
mer: ob ich etwas laufen lasse oder ob ich es bekämpfe.
In dem Moment, wo ich etwas offen bekämpfe, mache
ich es erst einmal bekannt. Das ist eine ganz klare Ge-
schichte. Aber die viel wichtigere Frage ist, ob ich es
unterstütze. Was ich der Union vorwerfe, ist, dass sie
aktiv unterstützt hat.
Wir sind jetzt in einer Lage, wo wir nicht etwa sagen
können: So, das war es, jetzt gehen wir nach Hause.
Vielmehr muss jetzt deutlich werden: Die Sprache, die
Haider spricht, und die Sprache, die seine Freunde in
Deutschland mit unterstützen, kann nicht die Sprache
Europas sein. Das ist unsere Aufgabe. Das müssen wir
auch in der innenpolitischen Auseinandersetzung mit der
CSU deutlich machen.
Die CDU muss ich hier ausnehmen. Sie ist weniger
gefährdet. Sie hat sich auch ganz anders geäußert. Nur
Michael Glos ist heruntergeeilt und hat gemeint, er
müsste dort demonstrieren und sich in Wien im Prater
entsprechend darstellen.
Meine Damen und Herren, wir werden es der CSU
nicht hingehen lassen, dass sie hier als Haider-
Förderungspartei die politische Stimmung auch in unse-
rem Lande und in anderen europäischen Ländern ver-
dirbt. Viele haben gesagt: Es war das erste Mal. – Ja,
Gott sei Dank sind wir in einer europäischen politischen
Kultur, bei der wir nicht mehr zusehen, sondern bei der
wir Laut geben und bei der wir die Auseinandersetzung
suchen.
Lasst uns den Österreichern zurufen: In der Europäi-
schen Union seid ihr herzlich willkommen, aber lasst
euch nicht von Leuten regieren, die die europäische
Rechtskultur tagtäglich mit den Füßen treten! Das ist die
entscheidende Auseinandersetzung, die wir zu führen
haben. Zu der ist die CSU weder gewillt noch in der La-
ge, weil Sie meinen, im Schlamm angeln zu können.
Das ist Ihre Situation. Sie glauben, Sie könnten den Leu-
ten nach dem Munde reden, weil Ihnen das Thema Auf-
klärung weit entfernt ist und weil Sie in Wahrheit so
denken wie der Haider. Schämen Sie sich!
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Pflüger.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Ich finde es ein bisschenschade, Herr Kollege Stiegler, dass Sie hier in dieserForm reden und versuchen, den Eindruck zu verbreiten,als ob es in diesem Haus Unterschiede in der Ablehnungvon Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Ver-harmlosung des Holocaust gäbe.
Wir alle sollten uns von Herrn Haider nicht so spaltenlassen, wie das bei Ihnen geschehen ist. Genau das istdie falsche Reaktion.
Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist nicht nur die CSUgewesen, die letzte Woche nach Wien gefahren ist, son-
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7960 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
dern auch die CDU. Ich bin dabei gewesen, und zwaraus voller Überzeugung. Nicht, weil ich Herrn Haiderfür gut hielte – ich halte ihn für schlimm, ich möchte mitihm nicht an einem Tisch sitzen, in einer Partei sein. Ichfinde, wir müssen ihn bekämpfen. Sie, Herr Fischer, ha-ben mit dieser EU-Entscheidung Herrn Haider aber nichtgeschadet,
sondern Sie haben ihm geholfen. Sie haben Öl in seinFeuer gegossen; er ist ein Medienstar geworden.
Sie haben Österreich und der EU geschadet und HerrnHaider geholfen. Das ist die Lage.
Wir haben eine Regierungskonferenz vor uns. DieseRegierungskonferenz soll über die Zukunft der EU be-finden. Ein Ziel dieser Konferenz ist es, das Einstim-migkeitsprinzip weiter zurückzudrängen und durchMehrheitsabstimmungen zu ersetzen. Glauben Sie, mitder Isolierung und der Demütigung Österreichs könntenSie die Österreicher dazu bringen, dabei mitzumachen?
Mit dieser Entscheidung, Herr Außenminister, schadenSie den Bemühungen, Europa voranzubringen. HerrSchüssel hat es geschafft, Herrn Haider und seine FPÖauf ein europafreundliches Programm zu bringen.
Auf diese Art und Weise gießen Sie neues Wasser aufseine Mühlen. Die Hetzer, die es dort natürlich gibt unddie wir alle miteinander ablehnen sollten, werden durchdiese EU-Entscheidung in ihrer Agitation und in ihrerPolitik doch am allerbesten gestärkt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sehrdafür, Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus zu be-kämpfen. Wir alle sind hoffentlich dafür. Aber HerrnHaider mit Hitler zu vergleichen – das ist eine Verharm-losung von Hitler. Ich bin sehr froh, dass AbrahamFoxman, der Direktor der „Anti-Defamation League“,einer der angesehensten jüdischen Organisationen, jetztgesagt hat: „Ich glaube nicht, dass man das Problem derFPÖ-Regierungsbeteiligung durch eine Isolierung desLandes lösen kann.“ Sie sollten sich einmal überlegen,ob Sie Herrn Haider mit diesem ganzen Projekt letztlichnicht sogar geholfen haben.
Herr Kollege
Pflüger, Ihre Zeit ist leider schon um. Die kleinen Par-
teien wissen, wie wenig drei Minuten sind, das ist so.
Aber die Zwi-
schenfragen sollten Sie noch zulassen. Bei Herrn
Stiegler haben Sie auch drei oder vier Zwischenfragen
zugelassen.
Ich wollte Sie
gerade fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen,
wollte dabei aber anmerken, dass Ihre offizielle Redezeit
vorbei ist. Sie können also nur noch auf die Zwischen-
frage antworten.
Bitte schön.
Herr Kollege Pflüger, Sie wis-
sen, dass ich Sie in Ihrer Person und in Ihrer Arbeit sehr
schätze. Können Sie verstehen, dass es auf dieser Seite
des Hauses Irritationen darüber gibt, dass der Vorsitzen-
de des Europaausschusses des Deutschen Bundestages
in einer Situation, in der 14 europäische Staaten zutiefst
besorgt sind über die Regierungsbeteiligung einer Partei,
deren Sprecher unter anderem Maastricht als die Fort-
setzung von Versailles ohne Krieg bezeichnet hat und
die EU-Erweiterung ablehnt, in genau dieser Eigenschaft
und mit diesem Titel "Vorsitzender des Europa-
ausschusses des Deutschen Bundestages" nach Wien
fährt?
Lieber HerrKollege Erler, ich schätze Sie ebenfalls. Ich habe aber,obwohl ich Vorsitzender des Europaausschusses bin,meine persönliche Meinung und meine persönliche Ur-teilskraft nicht an der Garderobe des Deutschen Bundes-tages abgegeben. Das hat, glaube ich, noch kein Vorsit-zender eines Ausschusses getan.
Ich habe mich bemüht, bei jeder Erklärung in diesemZusammenhang sehr deutlich darauf hinzuweisen, dassich als CDU/CSU-Politiker spreche. Ich habe sogar einpaar Mal darauf hingewiesen, dass ich nicht für denganzen Ausschuss sprechen kann.Gerade wenn man Europa voranbringen will – daswollen wir alle zusammen –, muss man sehr darauf ach-ten, in der EU einen ethischen Minimalkonsens zu for-mulieren. Ein solcher ist in der Europäischen Unionnotwendig und wir müssen ihn auch schützen. Aber ei-nem Land aufgrund von Wahlkampfsprüchen von HerrnHaider zu sagen, dass es diesen nicht erfüllt, es präven-tiv zu isolieren,
Dr. Friedbert Pflüger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7961
eine Regierung nicht an ihren Taten zu messen, sondernan den Sprüchen von jemandem, der nicht einmal in die-ser Regierung ist, wie Sie das machen, das ist einschwerwiegender Fehler. Ich darf es noch einmal sagen:Damit schaden Sie Österreich, damit schaden Sie der EUund der Regierungskonferenz und damit helfen SieHerrn Haider. Diesen Vorwurf mache ich auch als Vor-sitzender des Europaausschusses des Deutschen Bundes-tages.
Das Wort hat
jetzt die Fraktionssprecherin vom Bündnis 90/Die Grü-
nen, Kerstin Müller.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Liebe Kollegen, ich möchte zunächst noch ein-
mal auf die wirklich unglaubliche Äußerung von Ihnen,
Herr Irmer, eingehen, dass nämlich zwischen Herrn
Haider in Österreich und dem deutschen Außenminister
Joschka Fischer kein Unterschied bestünde.
– Das haben Sie so gesagt, aber jetzt nehmen Sie es
wieder zurück.
Ich halte das wirklich für eine unglaubliche Entgleisung.
Diese macht die Beliebigkeit der Politik der F.D.P. deut-
lich und deutet vielleicht eher auf einen Sinneswandel
bei Ihnen hin. Ansonsten fordere ich Sie auf, hier klar-
zustellen, dass es einen riesigen Unterschied gibt, und
das hier nicht so stehen zu lassen.
Ich will auch noch einmal auf Haider eingehen. Sie
haben das nämlich nicht sehr intensiv getan und nicht
aufgezeigt, wofür dieser Mann eigentlich steht und
welch Geistes Kind er ist. Er und andere Vertreter seiner
Partei haben immer wieder die Verbrechen der National-
sozialisten verharmlost; er hat 1995 auf einer Versamm-
lung der Veteranen der Waffen-SS diese als anständige
Menschen mit ordentlichem Charakter bezeichnet und
musste 1991 vom Amt des Landeshauptmannes zurück-
treten, weil er die Beschäftigungspolitik der Nationalso-
zialisten als ordentlich bezeichnet hat. Ich finde, liebe
Kollegen, dass dies alles reicht, um mit Recht sehr deut-
lich auf die Gefahren hinzuweisen, die in einer Regie-
rungsbeteiligung der FPÖ in Österreich liegen.
Sie haben gesagt, man könne nicht immer nur die Zi-
tate nehmen, sondern müsse auch auf die konkrete Poli-
tik eingehen. Auch die konkrete Politik spricht eine
glasklare Sprache: 1993 initiierte die FPÖ ein Volksbe-
gehren, in dem sie forderte, öffentlich geförderte Woh-
nungen nur noch für Österreicher und nicht mehr für
Ausländer zur Verfügung zu stellen, das Staatsbürger-
schaftsrecht drastisch zu verschärfen und reine Auslän-
derklassen an Schulen einzuführen, also die Gettoisie-
rung ausländischer Kinder.
Es ist richtig: Haider ist ein wandelndes Chamäleon
und ein Populist in modernem Gewande. Das ist völlig
klar. Das macht ihn aber nur noch umso gefährlicher
und kann nicht verdecken, wofür er wirklich steht und
was er tatsächlich ist, nämlich ein Rassist, der einen
neuen deutschen Nationalismus in Österreich und
Deutschland begründen will. Mit ihm kann man die EU
nicht demokratisieren. Ich finde den Gedanken unerträg-
lich, dass von einer solchen Figur demnächst der Re-
formprozess in der EU abhängen wird.
Haider hat gedroht, dass er in diesen Fragen mitent-
scheiden will. Wolfgang Schüssel, der neue Kanzler,
glaubt ja, dass er und seine Außenministerin den Haider
schon einbinden und damit auch entzaubern können.
Außer Herrn Schüssel glaubt das eigentlich keiner. Das
wird nicht gelingen. Hierin liegt jedenfalls eine große
Gefahr.
Und, Herr Pflüger, durch die Regierungsbeteiligung,
durch die die ÖVP die FPÖ hoffähig gemacht hat, wird
die FPÖ vielmehr noch stärker werden, weil eine solche
Regierung jetzt zur Normalität Europas gehört. Es be-
steht die große Gefahr, dass der nächste Kanzler Haider
heißen wird. Auf diese Gefahr müssen wir hinweisen;
auf diese Gefahr mussten auch die Regierungen der EU-
Länder hinweisen.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Hintze?
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Bitte.
Frau Kollegin, Sie haben
eben ausgeführt, die ÖVP hätte die FPÖ durch Regie-
rungsbeteiligung hoffähig gemacht. Ist Ihnen bekannt,
dass die erste Koalition in Österreich –
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das weiß ich!
– unter Herrn Sinowatzzwischen der SPÖ, damals noch Sozialistische ParteiÖsterreichs, heute Sozialdemokratische Partei Öster-reichs, und der FPÖ bestand? Ist Ihnen bekannt, dass dieVorgängerregierung von Herrn Sinowatz, die RegierungKreisky,
Dr. Friedbert Pflüger
Metadaten/Kopzeile:
7962 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
eine Minderheitsregierung der SPÖ mit Unterstützungvonseiten der FPÖ war? Ist Ihnen das bekannt und wür-den Sie das und auch die Beteiligungen an den Landes-regierungen bitte mit in die Würdigung einbeziehen? Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Ja, das alles ist mir bekannt, Herr Hintze. Aberdas macht es doch nicht besser, dass in Zeiten, in denenwir über den EU-Reformprozess diskutieren, die EU er-weitern wollen und institutionelle Reformen umsetzenwollen, eine erklärt antieuropäische, rassistische undrechtspopulistische Partei in Österreich an der Regie-rung beteiligt ist.
Wir müssen vielmehr auf die Gefahren hinweisen, die ineiner solchen Regierungsbeteiligung liegen.
Wenn es um den Reformprozess und die Zukunft derEU geht und wenn dieser Reformprozess künftig vonHaider abhängen soll, dann muss man auch sehr klar sa-gen, dass es keine innere Angelegenheit Österreichsmehr ist. Dazu muss man sich äußern dürfen; denn esgeht um das zentrale Selbstverständnis der EU. Auchhier habe ich den Eindruck, dass das eine oder andereverdrängt wird oder dass Entwicklungen zurückgedrehtwerden sollen. Wir sind keine Zollunion oder Wirt-schaftsgemeinschaft mehr. Spätestens seit dem Amster-damer Vertrag sind wir eine Wertegemeinschaft. Des-halb müssen wir innerhalb Europas über die Werte, diezum Kern dieser Gemeinschaft gehören, und über dieje-nigen, die nicht dazugehören, ganz offensiv streiten.Daher war auch die Erklärung der EU-Regierungen rich-tig. Es war wichtig, dass auch die deutsche Bundesregie-rung sie ganz klar mitgetragen hat.
Herr Stoiber, Sie haben gesagt, gerade die deutscheStimme hätte sich gegen diese EU-Erklärung erhebenmüssen. Wie stellen Sie sich das vor? Ausgerechnet wirim Land der ehemaligen Täter sollen im Falle Haidersbeschwichtigen und beschönigen? Ich finde diese Vor-stellung abenteuerlich.
Hätte die Bundesregierung so etwas gemacht und nichtsehr klar im Bündnis mit den anderen Ländern Europasdiese Erklärung verabschiedet, dann hätte zum Beispielder Zentralrat der Juden sehr deutliche Worte gefunden.Allerdings wundert mich – das ist von einigen Vor-rednern schon gesagt worden – Ihr Verhalten nicht. Dieeuropaskeptische Haltung sowohl der CSU als auch dieIhre, Herr Stoiber, ist bekannt.
Äußerungen wie die von der „durchrassten Gesell-schaft“, von der Sie gesprochen haben, zeigen, dass esoffensichtlich eine bestimmte politische Nähe zumindestzu dieser Regierung gibt.Dies wurde auch dadurch deutlich, dass Sie – daraufsind Sie leider heute gar nicht eingegangen – schon zweiTage nach der Wahl in Österreich Ihren Kolleginnenund Kollegen von der ÖVP eine Regierungsbildung mitder FPÖ mit den Worten empfohlen haben,
die ÖVP könne jetzt mit der FPÖ einen Neuanfang wa-gen und die Erneuerung Österreichs einleiten. Hier re-gen Sie sich darüber auf, dass die EU-Erklärung eineEinmischung in innere Angelegenheiten sei. In dem Zu-sammenhang wurden Sie kurz nach der Wahl von denAgenturen aber wie folgt zitiert: Eigentlich sollten Aus-länder nicht in die Innenpolitik hineinreden. Doch imFalle des Nachbarn Österreich erlaube er sich das. –Nach Ihrer Auffassung, Herr Stoiber, darf man sich alsoim Falle der Bildung einer Regierung mit der FPÖ ein-mischen. Wenn aber die EU-Regierungen vor den Ge-fahren warnen, dann dürfen sie das nicht.
An dieser Stelle wird doch ziemlich klar, welche Inte-ressen Sie eigentlich verfolgen.
Ich empfinde es auch mehr als peinlich, dass Sie,meine Damen und Herren von CDU und CSU, nichtsBesseres zu tun haben, als so schnell wie möglich miteinem tiefen Bückling dieser Regierung Ihre Aufwar-tung zu machen.
Aber es ist natürlich Ihre Sache, dass Sie nach dem Cha-os der vergangenen Monate nun auch noch Ihren Ruf alsüberzeugte Europäer aufs Spiel setzen.Dann möchte ich noch einmal auf die F.D.P. zu spre-chen kommen. Herr Irmer und Herr Kinkel, Sie habenhier so getan, als gehe es Ihnen um die Erklärung der 14.Ich will das einmal so akzeptieren. Aber Sie solltennicht verschweigen, dass Ihre Haltung zur FPÖ zumin-dest nach meinen Informationen in der Vergangenheitmehr als unklar war. Sie, die deutschen so genanntenLiberalen, haben lange – viel zu lange, nämlich fünf Jah-re lang – die schützende Hand über Jörg Haider und dieFPÖ in Europa gehalten.
– So ist es gewesen.Mehrfach haben Ihre Kollegen, unter anderem dieniederländischen Kollegen der Liberalen Internationale,zwischen 1986 und 1991 den Ausschluss der FPÖ ge-fordert. Das ist unter anderem an der F.D.P. gescheitert.Peter Hintze
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000 7963
1991 wurde der FPÖ das Stimmrecht in der Föderationentzogen, und zwar gegen Ihren erklärten Widerstand.Sie sollten diese Vergangenheit nicht verschweigen,sondern sich damit beschäftigen. Jedenfalls ist das inÖsterreich hinlänglich bekannt. Sie sollten es auch derdeutschen Öffentlichkeit nicht verschweigen.Natürlich ist es völlig klar: Wir können nicht bei derErklärung der 14 stehen bleiben. Wir müssen politischverhindern, dass solche Parteien in Europa wieder starkwerden. Es ist auch klar: Rechtsradikale bekämpft mannicht, indem man ihnen nachgibt und zum Beispiel einebesonders restriktive Zuwanderungspolitik macht. Manbekämpft sie vielmehr – das ist meine feste Überzeu-gung –, indem man aufrecht und offensiv für ein weltof-fenes Europa, für ein Europa der Bürgerrechte und derMenschenrechte und für mehr Liberalität in Europastreitet.Ich möchte zum Schluss noch auf die Gefahren hin-weisen, die in der aktuellen Situation in Deutschlandliegen. Die Gefahr von Filz und die Krise der demokra-tischen Institutionen, die möglicherweise noch droht, derGlaubwürdigkeitsverlust der Parteien, der durch denSpendenskandal der CDU verursacht wurde, aber auchder Marsch von Rechtsextremen durch das Brandenbur-ger Tor – all das sind Warnsignale für unsere Republik.Ich glaube deshalb, dass es unsere Aufgabe ist, dieAufgabe der deutschen Regierung und auch des Parla-mentes, dass wir gemeinsam mit den Freunden in Euro-pa Demokratie und Bürgerrechte sehr offensiv zumThema machen. Meine Fraktion jedenfalls wird dafürstreiten.Vielen Dank.
Das Wort zu
einer Kurzintervention erhält zunächst der Abgeordnete
Irmer.
Frau Präsidentin! Ich habe
mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil Frau Müller
das, was ich vorhin gesagt habe, mit harten Worten ver-
abscheut hat. Frau Müller, so, wie Sie es wiedergegeben
haben, habe ich es nicht gesagt. Ich würde es auch so
nicht sagen. Wir können das später im Protokoll nachle-
sen.
Was ich gesagt habe, ist Folgendes: In formaler Hin-
sicht habe ich eine Methode des Außenministers Fischer
mit der Methode verglichen, die Jörg Haider in deut-
schen Fernsehanstalten äußerst geschickt praktiziert hat,
nämlich Dinge nur halb zu sagen, dann nicht zuzugeben
und später ganz abzustreiten. Das war meine Reaktion
darauf, dass Herr Fischer dasselbe getan hat, was auch
Sie jetzt versucht haben, nämlich den Eindruck zu erwe-
cken, als hätte irgendeiner von uns die Absicht, Herrn
Haider oder seine verabscheuungswürdigen Einstellun-
gen zu tolerieren oder gar zu verteidigen.
Wir haben nichts dergleichen getan.
Auf Ihre letzte Bemerkung hin sage ich Ihnen: Ich bin
nach wie vor stolz darauf, dass ich persönlich daran be-
teiligt gewesen bin, die FPÖ aus der Liberalen Internati-
onale und aus der Parlamentarischen Versammlung des
Europarates, dort aus der liberalen Fraktion, hinauszu-
schmeißen. Wir sind also völlig unverdächtig. Dass ich
während meiner kurzen Redezeit nicht noch einmal die
unsäglichen und gefährlichen Sprüche von Herrn Haider
zitiere, womit ich mich selber meiner Redezeit für meine
Argumentation berauben würde, müssten Sie, der Sie ja
ebenfalls einer kleineren Fraktion angehören, eigentlich
voll verstehen. Man braucht seine Redezeit nämlich für
wichtigere Punkte.
Ich komme zum Schluss. Ich habe den Eindruck, dass
sich Herr Fischer keineswegs beleidigt gefühlt hat; an-
sonsten würde ich mich bei ihm entschuldigen. Aber
manchmal habe ich den Eindruck, dass bei Ihnen nur
noch Ihre Mimosenhaftigkeit grün ist.
Zur Erwide-rung Frau Müller.Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Herr Kollege Irmer, ich bin nun wirklich dieLetzte, die etwas dagegen hat, dass man sich in diesemParlament heftig streitet. Ich finde, dass die Debattenhier manchmal viel zu wenig lebendig sind. Ich mussaber sagen: Das, was ich wahrgenommen habe, habenalle der hier Anwesenden wahrgenommen.Sie haben in Ihrer ersten Aussage sehr klar gesagt, esgebe keinen Unterschied. Wenn Sie über Populismus re-den wollen, dann sollten Sie auch wirklich darüber re-den. Ich würde es richtig finden, wenn Sie klarstellenwürden, dass sich der Vergleich mit Haider einfach ver-bietet, weil Sie mit einem solchen Vergleich all das ver-harmlosen, wofür dieser Mann und diese Partei stehen.Das ist nicht einfach Populismus, sondern das ist einsehr gefährlicher Populismus, der die Bürgerrechte be-droht, die Menschenrechte bedroht und der teilweiseauch Demokratie und anderes in Frage stellt. Das habenSie leider nicht deutlich gemacht. Zum Zweiten finde ich es interessant, dass Sie zwargesagt haben, Sie persönlich hätten sich dafür eingesetzt,dass Sie aber nicht dementiert haben, dass es ein langerProzess war, die FPÖ aus der Liberalen Internationaleauszuschließen.Kerstin Müller
Metadaten/Kopzeile:
7964 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Februar 2000
Sie haben auch nicht dementiert, dass dies fünf Jahrelang, von 1986 bis 1991, an der deutschen F.D.P. ge-scheitert ist. Das fand ich allerdings an Ihren Ausfüh-rungen interessant. Ich gehe davon aus, dass das, wasmir die liberalen Kolleginnen in Österreich dargestellthaben, stimmt.
Nein. Es tut
mir Leid, aber Sie haben keine Möglichkeit, hier eine
Debatte zu entwickeln. Mehr als eine Antwort auf eine
Kurzintervention ist nicht möglich.
Jetzt erhält der Kollege Sterzing das Wort. Er bezieht
sich, soweit ich weiß, auf den Redebeitrag von Herrn
Pflüger.
Bitte, Herr
Kollege Irmer! Jetzt hat Herr Sterzing das Wort.
Ich möchte auf den Redebeitrag des Kollegen Pflüger
eingehen. Wenn ich es mir in der Eile richtig notiert ha-
be, hat er auf die Frage des Kollegen Erler in den letzten
beiden Sätzen geantwortet, dass er die Politik der Bun-
desregierung für schädlich für Europa halte und dass er
dies ausdrücklich als Vorsitzender des Ausschusses für
Angelegenheiten der Europäischen Union sage.
Herr Pflüger, ich denke, dass Sie damit das Gebot der
Zurückhaltung eines Ausschussvorsitzenden verletzt ha-
ben. Es ist nicht Aufgabe und nicht das Recht eines Aus-
schussvorsitzenden, im Plenum Beurteilungen der Poli-
tik der Bundesregierung abzugeben.
Wir haben in den letzten Tagen beobachtet, dass der
Grat sehr schmal ist, auf dem man als Ausschussvorsit-
zender wandert, wenn man eine solche Solidaritätsreise
nach Österreich unternimmt. Gerade bei einigen Inter-
views ist deutlich geworden, dass Sie dabei ins Schleu-
dern gekommen sind. Aber mit der Bemerkung, die Sie
hier zum Abschluss Ihres Redebeitrages gemacht haben,
sind Sie sozusagen von diesem Grat abgestürzt. Ich den-
ke, es muss klargestellt werden, dass Sie als Ausschuss-
vorsitzender eine solche Beurteilung im Plenum nicht
abgeben können.
Darauf kann
der Kollege Pflüger antworten.
– Herr Hintze, auch Sie haben leider kein Rederecht
mehr. Der letzte Redebeitrag in dieser Debatte ist jetzt
diese Antwort. – Bitte.
Es tut mir Leid,
dass ich Sie noch ein wenig aufhalten muss. Ich glaube,
dass ich eben sehr deutlich gemacht habe, dass ich mir
im Klaren darüber bin, dass ich mit meiner Position, die
ich eingenommen und vertreten habe, natürlich nicht
den ganzen Ausschuss vertrete, dass die Grünen und die
SPD eine andere Auffassung haben. Auch die PDS ist ja
heute sehr deutlich geworden.
– Ich kann auch nicht die Ausschussmehrheit wiederge-
ben. Das ist völlig richtig. Das halte ich an dieser Stelle
noch einmal fest.
Im Übrigen habe ich, glaube ich, deutlich gemacht,
dass ich mir trotzdem als Abgeordneter und Mitglied der
Fraktion der CDU/CSU mein Recht auf meine politische
Meinung von niemandem verbieten lasse. Ich glaube,
das macht auch die Kollegin Scheel bei Ihnen nicht.
Ich schließe
die Aussprache.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages be-
rufe ich auf morgen, Donnerstag, den 17. Februar,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.