Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle zur ersten Sitzung nach der par-
lamentarischen Weihnachtspause und wünsche Ihnen ein
gutes Jahr 2000.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Neufassung der politischen
Grundsätze der Bundesregierung für den Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie, Siegmar
Mosdorf.
S
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesre-gierung hat auf ihrer heutigen Kabinettssitzung eineNeufassung der aus dem April 1982 stammenden politi-schen Grundsätze für Exporte von Kriegswaffen undsonstigen Rüstungsgütern beschlossen.Die Fassung dieser Grundsätze war bisher vertraulicheingestuft. Sie wurde unter Mitwirkung einer Kolleginund eines Kollegen der beiden Koalitionsparteien, derKollegin Roth und des Kollegen Erler, in den letztenWochen erarbeitet. Die vereinbarte Vertraulichkeit wur-de mit dem heutigen Kabinettsbeschluss aufgehoben. Die Neufassung der Grundsätze wird heute noch, undzwar direkt im Anschluss an diese Regierungsbefragung,den Vorsitzenden der zuständigen Bundestagsausschüs-se zugesandt. Sie wird in den nächsten Tagen im „Bulle-tin“ der Bundesregierung und im Bundesanzeiger veröf-fentlicht. Damit wird dem Gebot der Transparenz so-wohl gegenüber dem Parlament als auch gegenüber derbetroffenen Wirtschaft in schneller Weise Rechnung ge-tragen. Lassen Sie mich nun die Hintergründe für die vorge-nommene Neufassung sowie die wichtigsten Änderun-gen im Vergleich zu den alten Grundsätzen kurz erläu-tern. Der Änderungsbedarf ergab sich aus der Koaliti-onsvereinbarung zur Rüstungsexportpolitik. Ich darf zi-tieren: Der nationale deutsche Rüstungsexport außerhalbder NATO und der EU wird restriktiv gehandhabt.Bei Rüstungsexportentscheidungen wird der Men-schenrechtsstatus möglicher Empfängerländer alszusätzliches Entscheidungskriterium eingeführt. Außerdem wurden in der Neufassung der Grundsätzezwischenzeitlich eingetretene Entwicklungen auf euro-päischer Ebene berücksichtigt. Die EU hatte im Juni 1998 einen Verhaltenskodex fürWaffenausfuhren beschlossen. Er enthält acht Kriterien,die bei der Entscheidung über Rüstungsexportvorhabendurch die jeweilige Regierung zu beachten sind. DieserVerhaltenskodex soll allen EU-Regierungen als ein poli-tisch verbindlicher Maßstab bei der Entscheidung übereinzelne Rüstungsexportvorhaben dienen. Leider ist esder Bundesregierung bislang nicht gelungen, diesemKodex in der Europäischen Union auch eine stärkere ju-ristische Verbindlichkeit zu geben. Die Bundesregierungwird sich jedoch weiterhin in allen Institutionen auf eu-ropäischer und internationaler Ebene für eine Rechts-verbindlichkeit dieses Kodex oder vergleichbarer Rege-lungen einsetzen. Dadurch, dass die Bundesregierung inihren neuen Grundsätzen festlegt, dass die Bestimmun-gen des EU-Verhaltenskodex integraler Bestandteil ihrerRüstungsexportpolitik sind, macht sie unter anderemauch für unsere EU-Partner deutlich, dass sie den Kodexfür sich als verbindlich anerkennt. Für die Koalitionsparteien war es besonders wichtig,den Menschenrechtsaspekt in den neuen Grundsätzenstärker zu verankern. Diesem Aspekt wurde nunmehrbreite Geltung verschafft. Er ist bei der Prüfung, ob einExportvorhaben genehmigt werden kann, in jedem Ein-zelfall zu beachten. In den bisherigen Grundsätzen war
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7360 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
dieser Aspekt nicht ausdrücklich festgeschrieben, wenn-gleich er bei der Abwägung der Umstände des jeweili-gen Einzelfalls mit berücksichtigt wurde. Nunmehr fin-det sich dieser Aspekt als wesentliches Entscheidungs-kriterium in dem vorangestellten allgemeinen Teil derGrundsätze, der sich auf Rüstungsexporte in alle Länderbezieht. Aufgrund dieser Neuregelung sind Genehmi-gungen für Rüstungsausfuhren dann grundsätzlich aus-geschlossen, wenn hinreichender Verdacht besteht, dassdas betreffende Rüstungsgut zu internen Repressions-zwecken oder zu sonstigen fortdauernden, systemati-schen Menschenverletzungen missbraucht wird.Darüber hinaus wird unabhängig von der Art des Rüstungsguts die Menschenrechtslage des Empfänger-landes für die Entscheidung über ein Ausfuhrvorhabengenerell eine wichtige Bedeutung haben. Die Bundesre-gierung ist damit über die einschlägige Bestimmung desEU-Verhaltenskodex hinausgegangen. Eine solche res-triktivere nationale Festlegung steht auch im Einklangmit dem EU-Verhaltenskodex, der eine derartige Ent-scheidung grundsätzlich zulässt.Im Anschluss an den hier dargelegten allgemeinenTeil folgt in den Grundsätzen die Differenzierung derAusfuhrvorhaben nach Empfängerländern. Auf der ei-nen Seite stehen die NATO-, EU-Staaten und die Staa-ten, die einen den NATO-Staaten gleichgestellten Statusgenießen, nämlich die Schweiz, Japan, Australien undNeuseeland. Auf der anderen Seite stehen alle übrigenStaaten, die so genannten Drittländer. Diese Aufteilunghat sich bewährt. Sie bedeutet, dass Rüstungsgüteraus-fuhren in NATO- und EU-Staaten in aller Regel geneh-migt werden. Für Ausfuhren in Drittländer kann diesnicht gelten. Hier ist in jedem Einzelfall sehr sorgfältigzu prüfen, ob eine Genehmigung in Betracht kommenkann.Bei der Prüfung von möglichen Rüstungsexporten inLänder außerhalb des NATO/EU-Bereichs spielen nebendem erwähnten Menschenrechtskriterium weitere As-pekte eine wichtige Rolle: Es sind die innere und äußereLage des jeweiligen Empfängerlandes sowie die nach-haltige Entwicklung in diesem Land zu berücksichtigen.Dies entspricht auch den Kriterien des EU-Verhal-tenskodex. Die Möglichkeiten für eine ausnahmsweiseerteilte Genehmigung von deutschen Rüstungsexportenin Drittländer sind mit den neuen Grundsätzen einge-grenzt worden. Dies entspricht der erklärten Absicht derBundesregierung, ihre Exportpolitik außerhalb der NA-TO und der EU restriktiv zu gestalten.Auch in den neuen Grundsätzen misst die Bundesre-gierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeitdeutscher wehrtechnischer Unternehmen mit Unterneh-men aus dem NATO/EU-Bereich große Bedeutung bei.Dies wird deutlich, indem sie weiterhin ihr besonderesInteresse am Erhalt der Kooperationsfähigkeit der deut-schen Industrie betont. Auf europäischer Ebene sind seit einiger Zeit umfas-sende Restrukturierungs- und Kooperationsbemühungenim Gange. Die Bundesregierung verfolgt diese Maß-nahmen mit großer Aufmerksamkeit und unterstützt sieim Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sie haben zum Ziel,verstärkt auf eine europäische Verteidigungspolitik hin-zuwirken. Neben einer noch stärkeren militärischen Zu-sammenarbeit zählt hierzu zweifellos auch eine europäi-sche Zusammenarbeit auf Unternehmensebene, die Be-schaffungen und die Versorgung der Streitkräfte derNATO/EU-Mitglieder betrifft. Eine derartige Entwick-lung kann nicht allein von den Unternehmen des europä-ischen Marktes vorangetrieben werden. Es ist not-wendig, dass die europäischen Regierungen die ent-sprechenden Rahmenbedingungen für eine verstärkteund verbesserte grenzüberschreitende Zusammenarbeitschaffen.Mit den neuen Grundsätzen trägt die Bundesregie-rung nunmehr ihrer erklärten Absicht einer restriktivenRüstungsexportpolitik außerhalb der NATO und der EURechnung, ohne ihr Interesse am Erhalt einer leistungs-fähigen deutschen Industrie gerade auch im europäi-schen Kontext zu gefährden. Die Bundesregierung sig-nalisiert dadurch, dass sie in ihren Grundsätzen der Ko-operation weiterhin breiten Raum einräumt, ihr großesInteresse an der Erhaltung bestehender Kooperations-vereinbarungen und am Abschluss entsprechender neuerAbkommen. Sollten in der Folgezeit Meinungsunter-schiede zwischen den an einer Kooperation beteiligtenRegierungen über Ausfuhren in Drittländer auftreten,müssen diese dann auf dem Konsultationswege erörtertwerden. Dabei wird die Bundesregierung die Bedeutung,die sie den Menschenrechtsaspekten beimisst, besondersbetonen.Die Bundesregierung verpflichtet sich mit den neuenGrundsätzen auch dazu, dem Bundestag jährlich einenRüstungsexportbericht vorzulegen. Damit beabsichtigtsie, für eine größere Transparenz in diesem Politikbe-reich zu sorgen. Der erste Rüstungsexportbericht wirdnoch das Kalenderjahr 1998 betreffen und kann voraus-sichtlich in wenigen Wochen vorgelegt werden. Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen,dass die Neufassung der politischen Grundsätze derBundesregierung für den Export von Kriegswaffen undsonstigen Rüstungsgütern einen notwendigen Kompro-miss der zum Teil widerstreitenden außen-, sicherheits-,wirtschafts-, entwicklungs- und menschenrechtspoliti-schen Vorstellungen der Bundesregierung darstellt. Inden Grundsätzen hat sich die Bundesregierung zum Teilfestgelegt, unter welchen Bedingungen sie eine Aus-fuhrgenehmigung grundsätzlich versagen wird. Sie be-wahrt sich aber auch ihren Beurteilungs- und Ermes-sensspielraum, um nach Abwägung aller Aspekte zu ei-ner ausgewogenen Lösung im jeweiligen Einzelfall zukommen. Ich glaube, dass sich das hier erreichte Ergeb-nis sehen lassen kann.Herr Präsident, ich bitte um Verständnis, dass ich ei-nen Augenblick länger gebraucht habe, um diese Grund-sätze vor dem Parlament zu erläutern.
Wir sind alle an ei-ner möglichst umfassenden Information interessiert. Ichdanke Ihnen, Herr Staatssekretär.Ich rufe die Frage des Kollegen Siemann auf.Vizepräsident Rudolf Seiters
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7361
Herr Staatssekretär,
welche Auswirkungen haben die restriktiven Rüstungs-
exportrichtlinien auf die deutsche Industrie? In welchem
Umfang können davon Arbeitsplätze betroffen sein?
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass
durch die Neuregelung Kernfähigkeiten der deutschen
Rüstungsindustrie unwiederbringlich verloren gehen
können?
S
Herr Kol-
lege, die Bundesregierung ist sich bewusst, dass es sich
hierbei um Grundsätze handelt, die den verschiedenen
Aspekten gerecht werden müssen. Ich habe sie am
Schluss ausdrücklich genannt. Wir sind der Auffassung,
dass wir mit diesen Grundsätzen sicherstellen, dass die
Bundesregierung und damit die Bundesrepublik
Deutschland auch im Gesamtkonzept der Sicherheitspo-
litik der europäischen Staaten ihre notwendigen sicher-
heitspolitischen Entscheidungen treffen kann, und dass
von dieser Regelung auch die notwendigen Vorausset-
zungen ökonomischer Art betroffen sein werden.
Herr Kollege
Koppelin.
Herr Staatssekretär, be-
urteile ich es richtig, dass nach dem, was Sie jetzt vorge-
tragen haben, die Türkei – den Fall kennen wir alle –
nicht nur den Testpanzer bekommen konnte, sondern
demnächst auch, wenn sie sie bestellt, diese Panzer er-
halten würde? Oder gibt es nach diesen Richtlinien Be-
denken?
S
Herr
Koppelin, Sie sind immer sehr weit vorausschauend.
Das kann man ja auch von jemandem erwarten, der an
der Küste lebt.
Herr Koppelin, Sie werden Verständnis dafür haben,
dass ich mich nicht zu Fragen äußern kann, die erst am
Ende des Jahres beurteilt werden können. Das ist klar.
Bei der Entscheidung, die anstehen könnte – sie steht
noch nicht an; das ist eine Entscheidung der türkischen
Regierung –,werden wir nach diesen Grundsätzen ver-
fahren.
Zusatzfrage.
In diesem Zusammen-
hang eine weitere Frage. Ich habe kürzlich an einer Ver-
anstaltung teilgenommen, bei der die deutsche Wehr-
technik vertreten war. Unter anderem war auch der Bun-
desverteidigungsminister dort. Dort hat er auf Befragen
erklärt – es gab Klagen, was Rüstungsexporte angeht –,
im letzten Jahr habe diese Koalition mehr Rüstungsex-
porte genehmigt als die alte Koalition in vier Jahren.
Wie kommentieren Sie das?
S
Ich danke
Ihnen zunächst einmal dafür, dass Sie in diesem Parla-
ment von einer Veranstaltung berichten, die Sie besucht
haben. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich die von
Ihnen wiedergegebene Stellungnahme des Bundesver-
teidigungsministers nicht kommentieren möchte.
Herr Kollege Erler.
Herr Staatssekretär, teilen Sie
meine Meinung, dass diese Neufassung der politischen
Grundsätze nicht nur einen wichtigen Schritt der Euro-
päisierung, der europäischen Anpassung unserer Richt-
linien darstellt, nachdem in den alten Richtlinien von
1982 das Wort Menschenrechte überhaupt nicht vorge-
kommen ist?
Teilen Sie meine Meinung, dass bei den für Deutschland
in der Tat unverzichtbaren Kooperationen mit europäi-
schen und anderen Partnern eine wichtige Balance ge-
funden worden ist? Dies gilt für die Balance zwischen
der notwendigen Beachtung von Menschenrechtskrite-
rien und – durch die Betonung des besonderen Interesses
der Bundesrepublik an diesen Kooperationen – dem
Hinweis darauf, dass es nicht angeht, dass solche Ko-
operationen ohne jede Einwirkungsmöglichkeit auf zu
treffende Entscheidungen bei Rüstungsexporten nieder-
geschrieben worden sind? Teilen Sie meine Meinung,
dass eine gute Balance zwischen diesen beiden europä-
isch sehr wichtigen Interessen, nämlich Rüstungskoope-
ration auf der einen Seite und strikten Kriterien, was
Menschenrechte angeht, auf der anderen Seite, gefunden
worden ist?
– Der Staatssekretär hat meine Frage schon verstanden.
S
Herr Koppelin, ich muss Ihnen sagen, dass ich so komplizier-te Fragen gewohnt bin.
Komplex denkende Menschen haben auch komplizierteFragen. Es ist nicht so einfach, wie Sie denken. Herr Erler hatnämlich zwei Punkte angesprochen, die, wie ich glaube,von großer qualitativer Bedeutung sind.
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7362 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Erstens. Der Code of conduct – das weiß jeder hierim Haus – ist eine europäische Verabredung. Aufgrundfehlender Formalisierung und Rechtsfassung sind dierechtlichen Möglichkeiten bisher eher begrenzt gewe-sen. Die Bundesregierung macht nun mit diesen Grund-sätzen klar, dass sie sich diesen Code of conduct zu Ei-gen macht und damit tatsächlich in ihr nationales politi-sches Handeln übernimmt. Das haben bisher keineswegsalle europäischen Staaten getan. Das ist der eine Punkt. Zweitens. Ich darf daran erinnern, dass es Ende der60er- bzw. Anfang der 70er-Jahre einen so genanntenSpannungserlass gab. Dieser wurde vor dem Hinter-grund der damaligen Konstellation des Ost-West-Gegen-satzes erlassen. Die Welt hat sich aber verändert. Des-halb wurde auch zu Recht eine Debatte und Diskussiondarüber geführt, mit welchem Konzept Europa insge-samt auf diese Frage reagiert. Dafür gibt es nun wichtigeGrundsätze: erstens in Bezug auf die Menschenrechte,zweitens aber auch bezüglich der Spielräume für Koope-rationen. Das darf man nicht unterschätzen. Für Europasind beide Punkte wichtig. Wir brauchen Zielvorgabenfür die nationale Politik, aber auch für Kooperationen,wenn wir wirklich eine europäische Sicherheitspolitikrealisieren wollen.
Herr Kollege Gehr-
cke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär,
kann ich aus dem aus meiner Sicht begrüßenswerten
Umstand, dass die Bundesregierung die Richtlinien ver-
öffentlicht, schließen, dass künftig auch die Gründe für
Einzelentscheidungen transparent gemacht werden? Da-
durch könnte der Verdacht, dass etwas anderes als sach-
fremde Gründe eine Rolle gespielt habe – Koffer, Bim-
bes oder wie auch immer man es neudeutsch nennt –,
minimiert werden.
Darf ich zweitens daraus schlussfolgern, dass auch
eine parlamentarische Erörterung der Richtlinien demzu-
folge durchaus im Interesse der Bundesregierung wäre?
S
Herr Gehr-
cke, Sie können davon ausgehen, dass die Bundesregie-
rung allergrößtes Interesse daran hat, nur solche Ent-
scheidungen zu treffen, die auch Transparenz erlauben.
Damit machen wir klar, dass wir Entscheidungen treffen
wollen, die wir auch vermitteln können. Diese Grund-
sätze in Zukunft zu beachten wird die Aufgabe der Bun-
desregierung sein. Ob sich das Parlament damit beschäf-
tigt, ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Ich
bitte Sie um Verständnis. Dies muss das Parlament
selbst entscheiden.
Herr Kollege Fritz.
Herr Staatssekretär,
stimmen Sie mit mir überein, dass die Aussage des Kol-
legen Erler falsch ist, dass in den Richtlinien der Bun-
desregierung für den Rüstungsexport aus dem Jahre
1982 – damals noch unter der Verantwortung der Regie-
rung Schmidt – das Wort „Menschenrechte“ nicht vor-
kommt? Recht hätte er gehabt, wenn er gesagt hätte, es
stünde nur in der Präambel.
Geben Sie mir auch Recht, dass die Änderungen, die
Sie uns jetzt erläutert haben, anschließend in solchem
Maße wieder relativiert werden, dass in der Praxis im
Prinzip kein Unterschied zu den bisher bestehenden
Richtlinien vorhanden ist und dass die Regierung auch
nach den bestehenden Richtlinien, wenn sie es denn ge-
wollt hätte, jederzeit und bei jedem Einzelfall in der La-
ge gewesen wäre, die Menschenrechtslage als aus-
schlaggebenden Beurteilungstatbestand für eine Ent-
scheidung zugrunde zu legen?
Herr Präsident, lassen Sie mich noch eine zweite Fra-
ge anfügen: Angesichts Ihrer Einschätzung, Herr Staats-
sekretär, dass man sich mit dieser Neufassung dem Code
of conduct in der Europäischen Union sozusagen viel
stärker verpflichte und rechtlich abgesicherten Verfah-
ren innerhalb der EU ein Stück näher komme, möchte
ich Sie fragen, ob Sie denn glauben, dass diese Neuges-
taltung der Richtlinien tatsächlich ein essenzieller Bei-
trag dazu ist, dass den Erfordernissen Rechnung getra-
gen wird, die wir brauchen, wenn es eine gemeinsame
europäische Rüstungsexportkontrolle im Kriegswaffen-
bereich geben soll. Im Dual-use-Bereich sind wir ja viel
weiter.
Herr Kollege Fritz,
bitte kommen Sie zum Ende Ihrer Frage.
Ich möchte in diesem
Zusammenhang drei Aspekte nennen: erstens eine ge-
meinsame europäische Rüstungsexportpolitik, zweitens
eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die
auch in Fragen der außenpolitischen und strategischen
Interessen zu einer gemeinsamen Politik führen muss,
und drittens eine gemeinsame Politik zur Verringerung
des Rüstungsexportdrucks auf die Unternehmen, damit
in Europa endlich das Überangebot abgebaut wird und
wir schon dadurch gemeinsam zu einer umwelt-, men-
schenrechts- und friedensverträglichen Exportpolitik in
Europa kommen.
S
Herr Kol-lege Fritz, zunächst möchte ich Ihnen sagen, dass die be-sondere Herausarbeitung und Betonung der Menschen-rechte – der Begriff „Menschenrechte“ ist im Text ex-pressis verbis erwähnt – aus meiner Sicht ein wichtigerFortschritt ist und dass es mit diesen Grundsätzengleichzeitig auch sehr präzise Abgrenzungen in Bezugauf NATO- und EU-Staaten sowie auf Drittländer gibt.Sie wissen, dass wir in früheren Jahren einmal eine an-dere Handhabung hatten, die die ASEAN-Staaten betraf.
Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7363
– Nein, auch in diesem Bereich. Deshalb bin ich davonüberzeugt, dass die Grundsätze, die wir jetzt formulierthaben, präziser und klarer sind.Zur europäischen Entwicklung: Ich halte es für gut,dass die Bundesrepublik mit einer solchen Vorlage dielaufende europäische Diskussion über gemeinsame Ver-fahrensweisen befördert. Der Code of conduct ist, wiegesagt, verabredet; aber was die unmittelbare Anwen-dung und Umsetzung angeht, tun sich manche nochschwer. Wir sind jetzt diejenigen, die sehr präzise Vor-gaben gemacht haben. Sowohl unter Menschenrechtsas-pekten als auch im Hinblick auf Kooperationsmöglich-keiten werden diese politische Grundsätze in Europasehr hilfreich sein. Insoweit wäre es auch angemessen,wenn die Opposition einen so großen Fortschritt einmalanerkennte.
Frau Kollegin Beer.
Herr
Staatssekretär, ich schaue jetzt doch einmal ein bisschen
nach vorne. Es wird eine Konferenz zur Überprüfung
des Code of conduct geben, über den Sie eben Ausfüh-
rungen gemacht haben. Verfügt die Bundesregierung be-
reits über Planungen, um eine Verbindlichkeit des Code
of conduct für die Europäische Union zu erreichen?
Eine zweite Frage möchte ich anfügen: Sie haben ge-
sagt, dass der Export und natürlich auch die Frage des
Reexportes zukünftig unter Berücksichtigung der Situa-
tion der Menschenrechte im Empfängerland beurteilt
werden. Welche Kriterien werden zur Entscheidung he-
rangezogen? Sind es die Lageberichte des Auswärtigen
Amtes? Aufgrund welcher Informationen wird man eine
Entscheidung über die Situation im Empfängerland tref-
fen?
S
Frau Kol-
legin Beer, erstens werden wir unser Verhalten in Bezug
auf die Realisierung, Umsetzung und Handhabung des
Code of conduct in Zukunft an diesen Grundsätzen ori-
entieren.
Ich habe eben bei der Unterscheidung deutlich gemacht,
dass diese Grundsätze im Grunde genommen präziser
anwendbar sind und dabei auch hilfreicher sind, was die
Nachfolgeberatungen angeht. Das wird unsere Grundla-
ge sein.
Zur zweiten Frage. Natürlich wird die Bundesregie-
rung alle ihr zur Verfügung stehenden Informationen
nutzen, um eine solche Situation zu beurteilen. Sie wis-
sen, dass in den Grundsätzen auch die Aspekte hinsicht-
lich der Entwicklung des Landes und der Dimension
dieser Exporte im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt
und zu entwicklungspolitischen Initiativen und Aktivitä-
ten enthalten sind. All diese Informationen müssen be-
rücksichtigt werden. Wir werden sie nutzen, um die La-
ge des jeweiligen Landes beurteilen zu können.
Herr Kollege Irmer.
Herr Präsident, ich würde dem
Staatssekretär gern die Frage stellen, wie man die Bei-
trittskandidaten zur EU und zur NATO behandelt. Gehö-
ren sie tendenziell eher in die Gruppe der EU- und der
NATO-Mitglieder oder eher in die Kategorie der Dritt-
staaten?
Nachdem Sie nun so unglaubliche Fortschritte erzielt
haben, für die Sie unser Lob erheischen, möchte ich in
diesem Zusammenhang noch eine weitere Frage an-
schließen: Wäre die Entscheidung über den Export des
Testpanzers in die Türkei anders ausgefallen, wenn es
Ihre neuen gloriosen Richtlinien seinerzeit schon gege-
ben hätte?
Schließlich möchte ich wissen, was denn passiert,
wenn eine Gemeinschaftsproduktion, wie zum Beispiel
der Eurofighter, von einem Land angefordert wird, das
nicht der NATO angehört? Wer entscheidet in diesen
Fällen? Werden sich die mitproduzierenden Länder die-
sen neuen Richtlinien der Bundesregierung unterwerfen,
oder werden sie tun, was sie für richtig halten?
S
Herr Irmer,da Sie ein erfahrener Außenpolitiker sind und deshalbschon mehrfach mit den Fragen zu tun hatten, die Sieuns jetzt stellen, will ich Ihnen nur sagen, dass es selbst-verständlich ist – das wird auch in den Grundsätzenklar –, dass wir uns die Einzelfälle genau ansehen müs-sen. Übrigens haben Sie selbst die These immer vertre-ten, dass man den Einzelfall unter verschiedenen Aspek-ten sehr genau anschauen muss. In Bezug auf die kom-plexen Rüstungsproduktionen, die es im Rahmen inter-nationaler Kooperationen gibt, an denen mehrere Staatenbeteiligt sind, sehen diese Grundsätze vor, dass man diekonsultativen Möglichkeiten nutzt, die wir haben.Wenn ich beispielsweise an die WTO-Verhandlungenund an die WIPO-Verhandlungen denke, dann muss ichsagen: Es ist völlig klar, dass wir zunächst einmal eigeneGrundsätze haben müssen, bevor wir in diesem inter-nationalen Konzert mit anderen Partnern zusammen zuübereinstimmenden Positionen kommen können, diedann Auswirkungen haben. Wir können natürlich nichtsagen: Wir haben unsere Grundsätze; nach denen habtihr zu verfahren. – Wir müssen vielmehr im Rahmen ei-nes konsultativen Prozesses gemeinsam handeln.Dass dieses Vorgehen immer notwendiger wird,ist darauf zurückzuführen, dass sich auch in diesem Sektor die Globalisierung immer deutlicher vollziehtund damit hinsichtlich einzelner Produkte immer mehrParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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7364 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
internationale Kooperationen stattfinden. Wir könnendaher nicht ex cathedra allein entscheiden, wir könnennur nach unseren Grundsätzen verfahren, indem wir un-sere konsultativen Möglichkeiten nutzen und mit denPartnern darüber reden.
Mir liegen noch
Wünsche nach vier Fragen vor, zwei aus dem Bereich
der Koalition und zwei aus dem Bereich der Opposition.
Diese Fragen möchte ich noch zulassen. Danach gehen
wir zur Fragestunde über. – Herr Kollege Nachtwei.
Herr Staatssekretär, in der Öffentlichkeit wird das Men-
schenrechtskriterium vielfach als bloß moralisches Kri-
terium interpretiert und von manchen so genannten Rea-
listen abgewertet. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass
dieses so genannte moralische Kriterium zugleich auch
von eminenter sicherheitspolitischer Bedeutung für uns
ist? Es ist für unsere sicherheitspolitischen Interessen
sehr bedeutsam, ob Rüstungsexporte in Regionen, in de-
nen die Menschenrechte nicht eingehalten werden, si-
cherheitspolitische Probleme schaffen.
S
Herr Kol-
lege Nachtwei, zunächst tue ich mich immer schwer, vor
das Wort „Moral“ das Wort „so genannt“ zu setzen. In-
sofern teile ich Ihren kritischen Unterton.
Zweitens: Wenn es richtig ist, dass die These, die Fu-
kuyama einmal im Zusammenhang mit den Worten vom
Ende der Geschichte formuliert hat, nicht zutrifft, son-
dern dass wir pausenlos weitere Konflikte haben, und
zwar oftmals regionale Konflikte haben werden, dann
müssen wir uns natürlich mit der Frage beschäftigen,
wie man mit diesen Konflikten umgeht. Insofern teile
ich Ihre Ansicht, dass wir auch unter Sicherheitsaspek-
ten sehr genau schauen müssen, wohin bestimmte Ex-
porte gehen und welche Konstellationen und welche Be-
dingungen dort herrschen. Sie haben Recht, dies hat
nicht nur etwas mit dem Land und mit unserer morali-
schen Verantwortung zu tun, sondern – dies ist durchaus
richtig – es hat auch etwas, ich sage es mal so: mit unse-
ren eigenen direkten Interessen, mit unseren eigenen si-
cherheitspolitischen Bedürfnissen zu tun. Insofern gibt
es einen inneren Zusammenhang zwischen dieser mora-
lisch motivierten Fragestellung und sicherheitspoliti-
schen Fragestellungen, die sich immer wieder stellen,
vor allen Dingen auch in den regionalen Konflikten, mit
denen wir jetzt zunehmend konfrontiert sind.
Herr Kollege
Nolting.
Herr Staats-
sekretär, wird denn nach den neuen Richtlinien der
deutsch-französische Hubschrauber „Tiger“ an die Tür-
kei zu Testzwecken geliefert oder würde er nach den
neuen Kriterien nicht mehr geliefert?
S
Herr Kol-
lege Nolting, Sie wissen, dass wir Einzelfragen im Bun-
dessicherheitsrat beraten, und die unterliegen der Ver-
traulichkeit.
Aber ich meine, es gibt ja auch wieder Zeiten, wo Sie
wieder – –
– Ich glaube, es dauert noch eine Weile, Sie müssen sich
noch ein bisschen gedulden – aber jetzt im Ernst:
– Nein, Herr Staatssekretär, da ist gar nichts mehr ver-
lässlich; dem kann ich nur zustimmen. Es ist sehr volatil,
wie man neuerdings so sagt, auch in den Parteienland-
schaften.
Wie gesagt, diese politischen Grundsätze, die das
Kabinett beschlossen hat und die die Bundesregierung
jetzt auch zur Grundlage ihrer Entscheidungen macht,
werden Kooperation ermöglichen. Aber zugleich wird
natürlich bei diesen Kooperationen diese Frage berück-
sichtigt. Wie sich dies im Einzelfall darstellt, werden wir
in den gegebenen Situationen sehen, wenn deutsche Un-
ternehmen mit entsprechenden Aufträgen gefordert sind.
Herr Kollege
Zumkley.
Herr Staatssekretär, teilt die
Bundesregierung meine Auffassung, dass die wehrtech-
nische Industrie einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung
von Sicherheits- und Verteidigungspolitik leistet und
dass die jetzt getroffene Entscheidung zum Rüstungsex-
port diesen Beitrag prinzipiell nicht schmälert?
S
Herr Kol-lege Zumkley, das mögen manche, die schon ein biss-chen länger hier sitzen, ja so abtun; aber das ist natürlichin dem Moment eine ernsthafte Frage, in dem sich derOst-West-Systemgegensatz so nicht mehr darstellt,wenn sich Europa selber verteidigen muss. Deshalb ist die Frage: „Haben wir die Verteidigungs-fähigkeit?“ auch eine wichtige Frage bei dieser Erörte-rung der Grundsätze gewesen. Gleichzeitig ist ein wich-tiger Aspekt gewesen, wie man in Zeiten, in denen Eu-ropa selber verteidigungsfähig sein will und es aus eige-ner Kraft schaffen will, dies sozusagen auch industriepo-litisch, ökonomisch, verlässlich und nachhaltig ermög-licht. Auch deshalb waren diese Grundsätze notwendig,weil sie Klarheit schaffen.Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7365
Die Wirtschaft braucht oftmals an vielen Stellen kei-ne direkte Hilfe oder so etwas, aber sie braucht Klarheit;und diese Grundsätze sorgen für Klarheit, sowohl in derMenschenrechtsfrage als auch in der Frage der Koopera-tion.
Herr Kollege
Hirche.
Herr Staatssekretär, im An-
schluss an Ihre Aussage und die freundliche Erläute-
rung, die der Kollege Erler gegeben hat, dass es sich um
eine Angleichung der Richtlinien an die anderer europä-
ischer Länder handele, stelle ich die Frage, ob sich die
Rüstungsexportpraxis an die Praxis Frankreichs und
Englands angleicht.
S
Ich habe
dem Kollegen heute Morgen im Wirtschaftsausschuss
sehr herzlich zu seiner Wahl zum energiepolitischen
Sprecher der F.D.P.-Fraktion gratuliert und möchte die
Frage mit dem nötigen Respekt beantworten.
Es gibt Differenzen in den nationalen Exportpoliti-
ken, auch in den Nachbarländern – das wissen wir. Der
Code of conduct war ein Kompromiss, der hilft. Was wir
jetzt machen, ist im Grunde eine Präzisierung sowohl
der Grundsätze als auch des Handlungsrahmens. Wir
haben alles Interesse daran, dass diese Grundsätze – das
war Ihre Frage – in einem europäischen Kontext reali-
siert werden. Das können wir aber von Berlin aus nicht
bestimmen. Wir können nur, wie das bei internationalen
Verabredungen immer der Fall ist, zunächst in unserem
Land Klarheit schaffen. Das ist mit diesen Grundsätzen
geschehen. Jetzt kann man über den Weg der Konsulta-
tion darüber reden, ob man in Europa zu solchen Grund-
sätzen, auch zu solchen Verfahrensweisen, kommt, weil
klar ist, dass es keinen asynchronen Wettbewerb zwi-
schen den jeweiligen Nachbarländern geben darf.
Herr Präsident, darf ich eine
Zusatzfrage stellen? –
Herr Staatssekretär, heißt Angleichung an andere eu-
ropäische Länder, dass sich Deutschland in Richtung
Großbritannien und Frankreich bewegt? Oder heißt es,
dass Sie eine Position bestimmen und erwarten, dass
sich alle anderen Ihrer Position anschließen?
S
Herr
Hirche, ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Begrif-
fe wie Angleichung oder Anpassung sind nicht ange-
messen. Wir haben eine eigene Positionsbestimmung
vorgenommen. Es geht nicht darum, dass wir uns anpas-
sen oder angleichen. Es geht vielmehr darum, dass wir
unsere Positionsbestimmung jetzt mit den europäischen
Partnern auf der Grundlage des Code of conduct zu rea-
lisieren versuchen, dass wir aber auch mit den europäi-
schen Partnern sprechen.
Hier geht es nicht um die Haltung: Hier stehe ich und
kann nicht anders, macht, was Ihr wollt. Das geht nicht.
Es geht auch nicht um die Haltung des Anpassens. Es
geht darum, dass – das wissen Sie aus den inter-
nationalen Wirtschaftsverträgen –, wenn man internatio-
nale Vereinbarungen haben will, man zunächst einmal
selber Grundsätze formulieren muss. Das ist hiermit ge-
schehen. Auf dieser Grundlage werden wir hier Ver-
antwortung tragen. Aber gleichzeitig werden wir mit den
europäischen Partnern darüber reden, wie der Code of
conduct in diesem Sinne umgesetzt werden kann.
Herr Kollege
Rossmanith, Sie haben das Wort zu einer letzten Frage.
Es sah allerdings so aus, als ob Sie Ihre Wortmeldung
zurückgezogen hätten.
Herr Präsident,
ich habe meine Wortmeldung nicht zurückgezogen, son-
dern ich habe mich versehentlich ein zweites Mal ge-
meldet.
Herr Staatssekretär, angesichts der erfreulichen Tat-
sache des Wegfalls des Ost-West-Konflikts hat sich in
der wehrtechnischen Industrie ein massiver Abbau der
Arbeitsplätze von etwa 270 000 auf jetzt 80 000, 90 000,
– zeitweilig sogar nur noch 70 000 – Arbeitsplätze ein-
gestellt. Teilen Sie deshalb meine Meinung, dass die
Bundesrepublik Deutschland eine eigene wehrtechni-
sche Industrie benötigt und dass für die Systemfähigkeit
in weiten Bereichen der wehrtechnischen Industrie na-
türlich eine Exportfähigkeit mitgegeben werden sollte,
die nicht Einschränkungen unterliegen darf, damit die
deutsche wehrtechnische Industrie im Exportmarkt nicht
hoffnungslos zum Beispiel unseren Partnern Frankreich
oder Großbritannien unterlegen ist?
S
Herr Kol-lege Rossmanith, zunächst ist es richtig, dass die Auflö-sung des Ost-West-Systemgegensatzes zu einer funda-mentalen Veränderung auch dieser Branchenstruktur ge-führt hat. Allerdings muss ich an dieser Stelle ebenfallsanerkennen, dass die Wirtschaft selber diesen Struktur-wandel nicht nur betrieben, sondern auch bewältigt hat.Sie wissen, wovon ich rede. Ich sage das auch als Koor-dinator. Es gibt Branchen, die inzwischen mehr Ar-beitsplätze in angrenzenden Bereichen aufgebaut haben,als sie vorher im rein wehrtechnischen Bereich hatten,weil die vorhandenen Ingenieurqualitäten für neue Pro-dukte und zivile Ansätze genutzt worden sind. Da ist ei-ne Menge passiert. Wir können nur froh sein, dass der Strukturwandel indiesem sehr sensiblen Sektor nicht in Brüchen vollzogenworden ist. Ich denke etwa an die Debatte, die wir Mitteder 90er-Jahre zum Thema „Dolores“ hatten, bei dem esum viele Tausend Menschen ging. Wenn man sich an-Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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7366 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
schaut, wie die Airbus-Familie heute dasteht und was indiesem Bereich passiert ist, stellt man einen großen Er-folg fest. Man muss positiv würdigen, dass da vonseitender Wirtschaft, teilweise flankiert durch die Politik, einaktiver Strukturwandel betrieben worden ist.Herr Rossmanith, zu Ihrer zweiten Frage, nationalewehrtechnische Industrie. Ich weiß, dass Sie die interna-tionalen Zusammenhänge eigentlich richtig erkennen.Aber ich glaube, dass die alte Vorstellung, wir bräuchteneine nationale wehrtechnische Industrie, der heutigen in-ternationalen Entwicklung im Grunde nicht mehr ge-recht wird. Wenn wir eine europäische Verteidigungs-und Sicherheitspolitik erreichen wollen, brauchen wirentsprechende ökonomische Kapazitäten und Potenziale;das ist völlig klar. Bei jedem ökonomischen Potenzialspielen „economies of scale“ und die Frage eine Rolle,ab wann ich über Prototypen hinaus etwas erreichenkann. Genau deshalb geht es nicht mehr nur um nationalewehrtechnische Industrie, sondern um die Frage: Wiekann der Kontinent Europa insgesamt, auch durch Ko-operationen, Handlungsfähigkeit erlangen? Das ist einwichtiger Punkt, in dem sich die Debatte vielleicht vonder Debatte der letzten Jahre unterscheidet. Für uns istunter dem Aspekt des Primats der Politik wichtig, dassman zunächst einmal eine europapolitische und sicher-heitspolitische Vorstellung hat, bevor man konkreteflankierende industriepolitische Maßnahmen ergreift.Auch in dieser Hinsicht sind diese Grundsätze hilfreich.Ich bin übrigens fest davon überzeugt, dass dieseGrundsätze nicht nur hinsichtlich des klaren Akzents derMenschenrechte, sondern auch hinsichtlich der Mög-lichkeiten der Flexibilität bei den Kooperationen in zweiwichtigen Bereichen Fortschritte erzielen, welche auchvon den Menschen anerkannt werden, die nicht wollen,dass wir uns auf diesen Bereich konzentrieren, die abergleichzeitig sehen, dass wir eigene Handlungsfähigkeitfür unsere Sicherheitsinteressen brauchen.
Ich lasse die Zusatz-
frage zu.
Ich bedanke
mich, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht gerade aufgrund
der Situation, die Sie geschildert haben, die Notwendig-
keit einer gesamteuropäischen Regelung, um unsere
deutsche wehrtechnische Industrie handlungsfähig und
vertragsfähig hinsichtlich der europäischen Nachbarlän-
der zu machen? Denn natürlich besteht eine Verflech-
tung; man kann in den allermeisten Bereichen nicht
mehr von einer reinen nationalen wehrtechnischen In-
dustrie sprechen, sodass die Kooperation mit den Indust-
riezweigen in anderen Staaten erforderlich ist. Aber ge-
rade deshalb ist es notwendig – das haben auch andere
Fragesteller schon dargelegt –, dass hier eine europäi-
sche Regelung angestrebt wird.
S
Herr
Rossmanith, ich sage noch einmal: Es ist tatsächlich so,
dass die Kooperationen zwischen europäischen Unter-
nehmen in der Praxis deutlich zunehmen. Ich glaube,
dass die Grundsätze, die wir jetzt gefasst haben, die
Rahmenbedingungen sehr präzise abstecken.
Was Ihre Frage zu Europa insgesamt angeht, will ich
wiederholen: Für uns hat der Code of conduct eine große
Bedeutung; wir nehmen ihn sehr ernst. Deshalb spielt er
hier eine große Rolle. Wir sind auch dafür, dass die
Grundsätze in der Linie in Europa insgesamt verfolgt
werden, sodass man dann eine Plattform hat, auf der
man gemeinsam operieren kann.
Ich danke Ihnen,
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Mosdorf. – Damit
beende ich die Regierungsbefragung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
–Drucksache 14/2507 –
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundes-
kanzleramtes auf. Die Fragen 1 und 2 des Kollegen Aus-
termann werden schriftlich beantwortet.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf
Körper zur Verfügung. Den Fragesteller, den Kollegen
Hans-Peter Uhl, sehe ich jedoch nicht. Es wird also mit
der Frage 3 verfahren, wie in der Geschäftsordnung
vorgesehen. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Körper, dass Sie hier gewesen sind.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Fragen 4
und 5 der Kollegin Cornelia Pieper werden schriftlich
beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Dr. Ilja Seifert auf:
Welche Maßnahmen sind aus Sicht des Bundesministeriums für Gesundheit erforderlich, um eine am 10. Dezember 1999 vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen ge-troffene Entscheidung zum Ausschluss der Balneo-Photo-therapie als vertragsärztliche Leistung der gesetzlichen Kran-kenkassen für an Schuppenflechte chronisch Erkrankte nicht in Kraft treten zu lassen und zu gewährleisten, dass die genannte Therapie zu den bisherigen Bedingungen für die chronisch Kranken zur Verfügung steht?
Frau Staatssekretärin, bitte.
C
Herr Kollege Dr. Seifert,Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7367
der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hatdem Bundesministerium für Gesundheit den genanntenBeschluss zur Balneo-Phototherapie gemäß § 94 Abs. 1Fünftes Buch Sozialgesetzbuch vorgelegt. Die Prüfung,ob der genannte Beschluss nach dieser Vorschrift zu be-anstanden ist, ist noch nicht abgeschlossen. Die Prüffristendet am 21. Februar 2000.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ich
muss vermuten, dass Sie mir jetzt noch nicht sagen kön-
nen, wie die Prüfung ausgeht. Deshalb möchte ich Sie
zumindest nach Ihrer persönlichen Meinung fragen, ob
Sie nicht glauben, dass es wichtig ist, dass Menschen,
die an Schuppenflechte erkrankt sind und die keinen
entsprechend großen Geldbeutel haben, die Lichtthera-
pie auch weiterhin in Anspruch nehmen können, indem
die Krankenkassen die Kosten der Therapie überneh-
men, sodass sie nicht in Bräunungsstudios gehen müs-
sen?
C
Herr Kollege Dr. Seifert,
es gibt ja unterschiedliche Therapien, Basistherapien,
aber auch verschiedene differenzierte und abgestufte
Therapien, die von dem jeweiligen Arzt in Absprache
mit seinen Patienten verordnet werden können. Es ist
nicht so, dass die von Ihnen konkret angesprochene The-
rapie die einzige Therapieform wäre. Es steht ein großes
Spektrum an Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, die
vonseiten des Arztes sachgerecht verordnet werden kön-
nen. Es gibt zudem einen sehr hohen Erkenntniszu-
wachs. Von daher gesehen stellt sich die Frage, die Sie
mir gestellt haben, nicht.
Bezogen auf die Therapieform, nach der Sie fragen,
ist es so, dass das Prüfverfahren noch läuft. Es handelt
sich um eine sehr facettenreiche Prüfung; denn es gibt –
das wissen Sie – nur wenige Urteile. Die wenigen, die es
gibt, lassen jedoch keine genaue Stoßrichtung erkennen.
Von daher gesehen muss man intensiv prüfen. Sobald
die Prüfungen abgeschlossen sind bzw. sobald die Frist
abgelaufen ist – Sie sind ja Mitglied des Gesundheits-
ausschusses; Sie wissen das also –, können Sie sich
selbstverständlich noch einmal an uns wenden. Dann
werden wir Ihnen das Ergebnis dieser Prüfung mitteilen.
Aber während eines laufenden Verfahrens kann man zu
einem möglichen Ergebnis nichts sagen. Das gehört sich
nicht.
Die Fragen 7 und 8
der Kollegin Gudrun Kopp werden schriftlich beantwor-
tet. Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Am-
tes auf. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Dr.
Christoph Zöpel zur Verfügung.
Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Hartmut Koschyk
werden schriftlich beantwortet.
Dann rufe ich die Frage 11 des Kollegen Werner
Siemann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik , wonach ein deutscher Alleingang im Rüstungsexport die nach-haltige Erschütterung eines wesentlichen Fundaments einer ei-genständigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspoli-tik bedeutet, im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bun-dessicherheitsrates vom 22. Dezember 1999 über die Grundla-gen einer restriktiven nationalen Rüstungskontrollpolitik?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Herr Kollege, die abstrakte Feststellung dervon Ihnen angesprochenen Studie der Stiftung Wissen-schaft und Politik hat keinen Realitätsbezug. Sie meinenaber vermutlich – dahin geht wohl Ihr Interesse –, ob eseinen Bezug dieser abstrakten Behauptung zu den so-eben erörterten neuen Grundsätzen gibt. Hier kann manfeststellen: Die neuen Grundsätze machen diese abstrak-te Hypothese obsolet. Sinn der Neufassung der politischen Grundsätze fürRüstungsexporte ist es auch, diese Richtlinien stärker inden hier schon erörterten EU-Kodex für Waffenaus-fuhren einzubinden. Der EG-Vertrag – auch das mag in-teressant sein – sieht in Art. 296 vor, dass die Einzel-staaten berechtigt sind, nationale Regelungen zu treffen.Alle EU-Mitgliedstaaten haben davon Gebrauch ge-macht. Wir befinden uns also völlig in Übereinstim-mung mit der EU.Die Praxis aber vollzieht sich nur in Grenzen in An-wendung derartiger Richtlinien; sie vollzieht sich imRahmen der Gemeinsamen Außen- und Si-cherheitspolitik. In dem Institutionengefüge, das schonentstanden ist, existiert eine gemeinsame Arbeitsgruppekonventionelle Rüstungsexporte, in der die konkrete Po-litik abgesprochen und abgesichert wird. Es gibt nochdas Wassenaar Arrangement, nach dem die EU-Staatenschon mit anderen, zum Beispiel mit Russland, in dieserFrage zusammenarbeiten. Das ist ein großer Fortschrittgegenüber der Cocom-Zeit. Bei sämtlichen Überlegungen, auch in Bezug auf dieRüstungszusammenarbeit mit den größeren Mitglied-staaten, hat die Bundesregierung kontinuierlich im Au-ge, dass die auch bei uns existierenden Vorstellungenvon Menschenrechten – es ist ja nicht so, als gäbe eswoanders keine – einbezogen werden. Momentan arbei-ten wir an einem Letter of intent über die gemeinsameRüstungsproduktion mit den großen Rüstungsproduzen-ten in der EU. – So viel zur Praxis.Ich habe schon zu Beginn gesagt, dass die Ausfüh-rungen der Stiftung Wissenschaft und Politik wenigRealitätsbezug haben. Die gemeinsame Sicherheitspoli-tik wird gerade erst entwickelt. Das Jahr 1999, erst unterdeutschem, dann unter finnischem Vorsitz, war ein Jahrgroßer Fortschritte im Bereich dieser gemeinsamen Poli-tik. Aber wir haben uns auf ein Institutionengefüge ver-ständigt. Das Jahr 2000, unter portugiesischem und –das erscheint auch geeignet – französischem Vorsitz,wird ein Jahr sein, in dem man sich über Inhalte dieserPolitik verständigt. Dazu gehört sicherlich eine gemein-Parl. Staatssekretärin Christa Nickels
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7368 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
same Rüstungsproduktion, die den Verteidigungszielender Europäischen Union entspricht. Die Realität geeig-neter zu gestalten – das ist es, worum sich die Bundesre-gierung bemüht.Danke schön.
Zusatzfrage des
Kollegen Siemann.
Sie sehen also durch
die unilaterale Neuregelung der Rüstungsexportrichtli-
nien keine Gefährdung für die grenzüberschreitende Ar-
beitsteilung und Effizienzsteigerung der europäischen
Rüstungszusammenarbeit, wenn ich das, was Sie eben
gesagt haben, zugrunde lege.
D
Nein, wir sehen dies nicht so.
Lassen Sie es mich wiederholen: Zusätzlich zu dem
europäischen Kontext gibt es in allen EU-Staaten unila-
terale Regelungen. Wir benehmen uns also ganz normal.
Dann macht es Sinn, darüber zu reden, was die Ziele
der Rüstung sind. Ich glaube, das sollte man wirklich
ansprechen. Wir sind uns einig, dass die NATO und in
Zusammenarbeit damit auch die Europäische Union die
Waffen brauchen, die nach gründlicher Analyse der ver-
teidigungspolitischen Gegebenheiten notwendig sind.
Diese Analysen müssen innerhalb der NATO- und der
EU-Staaten erstellt werden. Nach unserer Auffassung
sollte dies möglichst durch Rüstungskooperationen ge-
schehen. Darüber hinaus waren in der Vergangenheit die
europäischen Regierungen, auch frühere Bundesregie-
rungen, der Auffassung, dass der Export von Rüs-
tungsgütern an und für sich nichts Gutes ist. Das will ich
deutlich sagen. Es gibt kein Interesse daran, dass in die-
ser Welt Waffen eingesetzt werden. Man sollte die dafür
aufgebrachten Mittel – von wem auch immer – in die
Entwicklungszusammenarbeit umlenken. Das heißt: Von
der Zielsetzung her ist der Waffenexport um des Frie-
dens willen restriktiv zu gestalten; und das tun wir.
Es gibt Feinheiten, die sich nur durch Kooperationen
regeln lassen. Das ist es, worum wir uns bemühen. Ich
glaube, das läuft ganz ordentlich, sowohl bei den 14
Partnern als auch bei uns.
Es gibt keine weite-
ren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Lothar Ibrügger zur Verfügung.
Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Wolfgang Börn-
sen werden schriftlich beantwortet. Das Gleiche gilt für
die Frage 14 des Kollegen Hollerith.
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Renate Blank auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich jetzt auch die mit-telfränkischen SPD-Landtagsabgeordneten unabhängig vom Bau der ICE-Strecke Nürnberg-Erfurt für die rasche Verwirklichung der S-Bahn-Strecke Nürnberg-Forchheim – nachdem die Zu-rückstellung der ICE-Trasse das vorläufige Aus für die dringend benötigte und verkehrlich sinnvolle S-Bahn-Verbindung bedeu-tet – einsetzen?
L
Erlau-
ben Sie, Herr Präsident und Frau Kollegin Blank, dass
ich die beiden Fragen im Zusammenhang beantworte?
Dann rufe ich auch
Frage 16 auf:
Ist die Bundesregierung nun bereit, eine schnelle S-Bahn-Realisierung mit finanzieller Bundesbeteiligung zu ermögli-chen?
L
Zu-
nächst zu Frage 15: An die Bundesregierung ist von ver-
schiedenen Seiten, unter anderem auch aus dem parla-
mentarischen Raum, das Interesse an einer raschen
Verwirklichung des S-Bahn-Projektes Nürnberg-
Erlangen-Forchheim herangetragen worden.
Die Antwort auf Frage 16 lautet: Das Vorhaben S-
Bahn Nürnberg, zweite Baustufe, Nürnberg-
Hauptbahnhof-Erlangen-Forchheim, ist in das Bundes-
programm nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungs-
gesetz 1999 bis 2003 mit Gesamtkosten von
385,64 Millionen DM und einer ersten Förderrate in
Höhe von 1 Million DM im Jahr 2001 bedingt aufge-
nommen, Kategorie c.
Dies bedeutet, dass der Bund grundsätzlich bereit ist,
das Vorhaben im GVFG–Bundesprogramm nach Maß-
gabe der verfügbaren finanziellen Mittel zu fördern,
wenn die Fördervoraussetzungen nach § 3 des Gemein-
deverkehrsfinanzierungsgesetzes erfüllt werden. Vor-
aussetzung hierfür ist jedoch, Frau Kollegin Blank, dass
das Land die entsprechenden Verkehrsleistungen be-
stellt.
Die notwendigen Planungen werden von der Deut-
schen Bahn AG, dem Freistaat Bayern und der Region
unter Beteiligung des Bundes abgestimmt und durchge-
führt. Dabei ist den geänderten Voraussetzungen Rech-
nung zu tragen, die sich aus der Entscheidung, am Ver-
kehrsprojekt Deutsche Einheit – VDE – 8.1, Ausbau-/
Neubaustrecke Nürnberg–Erfurt, festzuhalten, es jedoch
zu einem späteren Zeitpunkt zu realisieren, ergeben ha-
ben. Es wird nach Möglichkeiten gesucht, das S-Bahn-
Vorhaben als eigenständiges Projekt zeitnah zu verwirk-
lichen, ohne die spätere Realisierung des VDE 8.1 zu er-
schweren, und zu vermeiden, dass Investitionen verloren
gehen. Ziel der Arbeiten ist daher die zeitnahe Realisie-
rung des S-Bahn-Vorhabens als ein eigenständiges Pro-
jekt.
Zusatzfrage, FrauKollegin Blank.Staatsminister Dr. Christoph Zöpel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7369
Herr Staatssekretär, die-
se Worte klingen besser als die vom August vergange-
nen Jahres. Ich freue mich sehr darüber. Sie können sich
vorstellen, dass wir in der Region sehr erfreut darüber
sind. Sie sprechen von „zeitnah“ und davon, dass das
Projekt abgekoppelt werden soll. Können Sie in etwa
sagen, was für Sie „zeitnah“ bedeutet? Es geht ja hier
um die Bundeszuschüsse, und ferner geht es darum,
mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern.
L
Frau
Kollegin Blank, ich habe ja schon erwähnt: Wir spre-
chen über das Programm 1999 bis 2003. Dort ist das
Vorhaben ja bedingt aufgenommen worden. „Zeitnah“
heißt für mich und heißt aus Sicht der Bundesregierung,
die ja nicht alleine entscheidet: Es hängt vor allem da-
von ab, dass der Freistaat Bayern, die Deutsche Bahn
AG und die beteiligte Region sich verständigen. Die
Voraussetzungen habe ich genannt. Wir bleiben bei der
Auffassung: Wir wollen eine Verbesserung der S-Bahn-
Bedienung im Raum Nürnberg, und das so schnell, wie
es uns möglich ist. Aber die Voraussetzungen müssen
erfüllt sein.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär, ist
Ihnen bekannt, dass an dieser S-Bahn-Strecke natürlich
auch das besagte Verkehrsprojekt Deutsche Einheit
hängt und dass es insbesondere um einen zeitnahen
Ausbau der Strecke von Nürnberg nach Fürth geht?
Denn in der Region und speziell in der Stadt Fürth müs-
sen ja auch Vorleistungen für diese S-Bahn-Strecke er-
bracht werden. Deshalb erklärt sich meine Hartnäckig-
keit, und ich möchte nachfragen: Ist der Bund bereit,
wenn das Land Bayern sich mit der Region verständigt –
das Land Bayern hat ja die Zustimmung schon signali-
siert –, sich im Rahmen der Mittel – über 100 Millionen
DM für diese Großprojekte – so schnell wie möglich zu
beteiligen?
L
Frau
Kollegin Blank, für den Bund habe ich die grundsätzli-
che Zustimmung ja schon signalisiert.
Wir kommen zur
Frage 17 des Kollegen Hans-Joachim Otto:
Was veranlasst die Bundesregierung zu der Ansicht, es wi-derspräche der „Ein-China-Politik“, wenn der privatwirtschaft-lich organisierten China Airlines Verkehrsrechte in Deutschland eingeräumt würden?
L
Auch
hier, Herr Präsident, lieber Kollege Otto, bitte ich dar-
um, beide Fragen zusammen beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich auch
noch die Frage 18 des Kollegen Otto auf:
Wie steht die Bundesregierung zu einer Zulassung der Chi-na-Airlines mit ihrem Code CI angesichts der Tatsache, dass diese unter ihrem Code CI Italien, die Niederlande und sogar Hongkong anfliegen darf?
L
Die
Bundesregierung ist der Ansicht, dass die Einräumung
von Verkehrsrechten in Deutschland an privatwirtschaft-
lich organisierte Fluggesellschaften per se nicht gegen
ihre „Ein-China-Politik“ verstoßen kann. Sie gesteht
solche Verkehrsrechte unter Berücksichtigung der Inte-
ressenlage der Bundesrepublik Deutschland und der
deutschen Fluggesellschaften zu.
Zu Ihrer zweiten Frage. Gemäß den bestehenden Ver-
einbarungen sind für Linienflüge zwischen Taiwan und
der Bundesrepublik Deutschland die beiden Fluggesell-
schaften Mandarin Airlines und Condor designiert. Dies
wurde in einem Notenwechsel zwischen der Botschaft in
Peking und dem Außenministerium der Volksrepublik
China vom 3./4. Juni 1993 bestätigt. Condor übt seine
Verkehrsrechte derzeit nicht aus. Änderungen der beste-
henden Vereinbarungslage würden einen erneuten No-
tenwechsel erforderlich machen. Vor dem Hintergrund
der jüngsten Spannungen in der Taiwan-Straße sieht die
Bundesregierung derzeit keine Möglichkeit, eine solche
Änderung herbeizuführen.
Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär Ibrügger, ist Ihnen bekannt, dass – unab-
hängig von den von Ihnen geschilderten Spannungen
zwischen Taiwan und der Volksrepublik China – die
Niederlande und Italien diese Verkehrsrechte einräu-
men, auch unter der Codebezeichnung CI, was für die
Fluggesellschaft sehr wichtig ist? Wie lässt sich das ü-
berhaupt vereinbaren mit der Tatsache, dass es sogar die
Volksrepublik China zulässt, dass Flugzeuge der taiwa-
nischen China-Airlines nach Hongkong fliegen? Wie
lässt sich das miteinander vereinbaren und inwiefern
gibt es Bedenken angesichts bestehender Spannungen
zwischen Taiwan und China?
L
HerrKollege, die Beziehungen zwischen Taiwan und derVolksrepublik China muss ich in diesem Parlament si-cherlich nicht vortragen. Wir sind uns alle bewusst, dassauch das Verhältnis der Mitgliedstaaten der UNO zurVolksrepublik China bestimmt ist von dem inneren Ver-hältnis zwischen Taiwan und der Volksrepublik China.Dies hat sich seit Jahrzehnten auf Handelsverträge undAbkommen ausgewirkt, wie ich es Ihnen erläutert habe,beispielsweise auch auf den Notenwechsel, den die Re-gierung Kohl im Jahr 1994 veranlasst hatte.An der grundsätzlichen Beurteilung der Situation –um den Empfindsamkeiten Genüge zu leisten, die wir zu
Metadaten/Kopzeile:
7370 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
beachten haben – hat sich nichts geändert. Wenn Italienoder die Niederlande zu solchen Ergebnissen gekommensind, vermute ich – in gleicher Weise ist das in der Ver-gangenheit auch in der Bundesrepublik Deutschland ge-schehen –, dass die Verantwortlichen in Taiwan aufge-fordert waren, sich mit der Volksrepublik China darüberzu verständigen, ob sie so verfahren können. Genauso wurde auch bei der BundesrepublikDeutschland verfahren, als es 1994 um die Genehmi-gung und die Designierung der beiden Fluglinien ging.Dies wurde in Abstimmung und nach Rückfragen ge-meinschaftlich mit der Volksrepublik China verabredet.Ein gleiches Vorgehen erwarten wir hier.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Eine eher
praktische verkehrspolitische Frage: Es bedurfte seiner-
zeit, als die Condor nach Taipeh flog, keiner großartigen
Vereinbarung mit der Volksrepublik China, dass sie den
Code der Lufthansa benutzen konnte. Ich frage mich:
Wollen Sie uns ernsthaft erklären, dass die Verwendung
des Codes von China-Airlines für Flüge der Mandarin-
Airlines nach Deutschland tatsächlich einer Vereinba-
rung mit der Volksrepublik China bedarf? Ist es nicht
wenigstens möglich, dass die deutschen Behörden der
Mandarin-Airlines die Verwendung des Codes ermögli-
chen, der außerordentlich wichtig ist?
L
Herr
Kollege, ich wiederhole hier meine Aussage: Ja, es war
so. Auch die Designierung von Condor und Mandarin-
Airlines beruhte auf einem Notenwechsel zwischen der
Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutsch-
land.
– Ich beziehe mich auf die Genehmigung, diese beiden
Fluggesellschaften überhaupt zu designieren. Dies – ich
wiederhole es – beruhte auf einem Notenwechsel. Im in-
ternationalen Luftverkehr braucht man grundsätzlich
entsprechende vertragliche Regelungen, weil das auf
völkerrechtlichen Bedingungen beruht.
Wenn Sie jetzt von „praktischen Abläufen“ im Flug-
verkehr sprechen, dann fällt dies nicht unmittelbar in die
Zuständigkeit der Bundesregierung. Wir werden Sie,
wenn Sie das belegen, gerne auch darüber informieren,
wie die Verwendung von Code-Bezeichnungen in der
Vergangenheit geregelt wurde. Das betrifft zum Beispiel
auch Veränderungen, die aufgrund von Allianzen, Fusi-
onen oder Ähnlichem bei Fluggesellschaften zustande
gekommen sind. Wir werden Ihnen eine schriftliche
Antwort auf diese praktische Frage gerne nachreichen.
Die Frage 19 des
Kollegen Hans-Peter Uhl wird – ebenso wie seine
Frage 3 – entsprechend den Richtlinien für die Fra-
gestunde behandelt.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Norbert Hauser
auf:
Ist durch den Umzug der Bundesregierung und der meisten Bundesministerien nach Berlin die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Dienststellen erschwert worden und welche Schwierigkeiten gibt es bei der Zusammenarbeit zwischen den nach Berlin gezogenen und den in Bonn verbliebenen Ministe-rien?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Achim Großmann zur Verfügung. Herr Staats-
sekretär Ibrügger, ich danke Ihnen.
A
Herr Kollege Hauser, bei einem derartig komplizierten
Großprojekt wie der Verlagerung von Parlament und
Regierung nach Berlin wäre es nicht überraschend,
wenn am Anfang gewisse Schwierigkeiten aufträten. Ei-
ne Verlagerung und gleichzeitige Dislozierung der Bun-
desregierung auf zwei 600 Kilometer entfernte Standorte
ist eine völlig neue Situation, auf die man sich einstellen
muss.
Umso befriedigender ist es, dass die Ressorts nun-
mehr übereinstimmend mitgeteilt haben, dass es keine
nennenswerten Erschwernisse bei der Zusammenarbeit
zwischen Berlin und Bonn gibt. Auch der Aktentrans-
port kann inzwischen ohne zeitliche Verzögerung über
Nacht erfolgen. Resterschwernisse, die sich aus der noch
nicht vollständigen Einzelverlagerung oder der Unter-
bringung in nur vorübergehend genutzten Standorten er-
geben, werden mit dem Umzugsabschluss bereinigt
werden müssen.
Zusatzfrage.
Herr Staats-
sekretär, herzlichen Dank. Ich bin froh, dass Sie den Ab-
lauf, den ich ansonsten genauso einschätze wie Sie, et-
was günstiger darstellen, als das gemeinhin in den Ver-
öffentlichungen geschieht.
Ich möchte Sie fragen: Inwieweit hat es durch die
Umzugsmaßnahmen Personalfluktuationen gegeben?
Dabei beziehe ich mich nicht nur auf die Personalfluktu-
ationen, die durch den Wechsel zu Tauschbehörden ent-
standen sind. Das ist klar, diese Zahlen sind auch be-
kannt. Hat es aber darüber hinaus Personalfluktuationen
durch den Umzug gegeben, und wie haben sich diese –
vorausgesetzt, sie haben stattgefunden – auf die Arbeit
ausgewirkt?
A
Ichbeginne mit den Mitarbeitern der Tauschbehörden, dieauch Sie angesprochen haben. Erfreulicherweise ist esso, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus denTauschbehörden ihre neuen Aufgaben mit sehr viel En-Parl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7371
gagement wahrnehmen und uns aus den einzelnen Häu-sern nicht von Schwierigkeiten berichtet wurde.Darüber hinaus haben sich Biografien in Einzelfällenverändert. Einige Mitarbeiter, die sich entschieden hat-ten, in Berlin oder Bonn zu arbeiten, haben diese Ent-scheidung noch einmal hinterfragt. Ich kann aber dabeinicht von nennenswerten Zahlen berichten. Ich kennenicht die inneren Organisationsangelegenheiten allerHäuser; deshalb müsste eine so spezielle Frage geson-dert geklärt werden. Aus meinem eigenen Haus weiß ichaber, dass es in Einzelfällen neue Entscheidungen gege-ben hat, die man respektieren und berücksichtigen sollte,wenn es geht.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Herr Staats-
sekretär, es steht noch eine Reihe von Umzugsmaßnah-
men aus, weil die entsprechenden Gebäude noch nicht
hergerichtet sind und die Abteilungen daher noch nicht
umziehen konnten. Sehen Sie bei diesen Umzugsmaß-
nahmen noch Schwierigkeiten auf die Häuser zukom-
men, oder glauben Sie, dass sich das Bild ähnlich erfreu-
lich oder möglicherweise sogar besser darstellen wird,
wenn die Umzugsmaßnahmen abgeschlossen sein wer-
den?
A
Ich
könnte mir vorstellen, dass wir das Bild verbessert dar-
stellen können, weil man aus den Erfahrungen, die man
in der ersten Umzugswelle gemacht hat, Konsequenzen
ziehen kann und dadurch den einen oder anderen Fehler
nicht mehr macht.
Ich rufe die Frage
21 des Kollegen Hauser auf:
Inwieweit ist die technische/elektronische Infrastruktur ge-eignet, den reibungslosen Arbeitsablauf zwischen den Bundes-ministerien zu gewährleisten und welche Maßnahmen unter-nimmt die Bundesregierung, um die Kommunikation zwischen Bundesministerien zu verbessern?
A
Herr Kollege Hauser, die Einrichtung des In-
formationsverbundes Berlin-Bonn – wir kürzen ihn mit
IVBB ab – trägt nach Einschätzung der Ressorts zu einer
deutlichen Arbeitserleichterung bei und unterstützt die
Arbeitsabläufe sowie die Kommunikation sowohl zwi-
schen den Bundesministerien als auch zwischen den ver-
schiedenen Standorten.
Diese informationstechnische Unterstützung wird
kontinuierlich weiterentwickelt. Das Bundesministerium
des Innern treibt den weiteren Ausbau von Diensten und
Anwendungen voran, wie zum Beispiel im Bereich der
Videokonferenztechnik und des Dokumentenaustau-
sches.
Neben der kontinuierlichen Weiterentwicklung und
Verbesserung der Infrastruktur wird insbesondere auch
das Intranet, die internen Informationsdienste des Bun-
des, ausgebaut. Mit zunehmender Erfahrung wird es zu
einer weiteren Intensivierung der vorhandenen Anwen-
dungen kommen. Im Zusammenspiel mit der Ablaufor-
ganisation kann sich so aus unserer Sicht eine neue
Kommunikationskultur herausbilden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Kollege,
Ihnen ist wahrscheinlich bekannt, dass das Bundesver-
waltungsamt das Produkt „favorite office flow“ entwi-
ckelt hat, welches eine digitale Aktenführung ermöglicht
und die Kommunikation zwischen den Standorten – völ-
lig unabhängig von der Frage des Regierungsumzuges –
verbessern kann. Dieses Produkt wird zurzeit zwischen
Rodenkirchen und Nürnberg im Zusammenhang mit den
BAföG-Darlehen von 300 Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern angewandt. Gibt es Pläne, dieses Produkt breit-
flächig in den Ministerien einzuführen, oder sind die
Überlegungen insoweit noch nicht begonnen oder noch
nicht abgeschlossen?
A
Ich
beziehe mich in meiner Antwort auf die elektronische
Vorgangsbearbeitung, die Sie angesprochen haben. Hier
sieht die Bundesregierung erhebliche Potenziale. Sie
verfolgt eine unter organisatorischen Gesichtspunkten
schrittweise Einführung und hat hierzu bereits mit ver-
schiedenen Pilotversuchen begonnen.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Der Bundes-
rechnungshof hat am 12. Juni 1999 einen ersten Bericht
veröffentlicht, der – wie ich glaube – entweder auf einen
Kabinettsbeschluss oder sogar auf einen Beschluss die-
ses Hauses aus dem Jahre 1996 zurückgeht. Dieser Be-
richt spricht sich dafür aus, den Umzug von Bonn nach
Berlin auch dazu zu nutzen, sich Gedanken über die
Strukturen in den Häusern, über den Zuschnitt von Refe-
raten und über ähnliche Dinge zu machen.
Es ist davon auszugehen, dass wir in diesem Jahr oder
Anfang des nächsten Jahres einen weiteren Bericht er-
halten. Inwieweit gibt es Überlegungen, auf dem Wege,
wie er hier angedacht ist, zu schlankeren Formen, zu
Konzentrationen zu kommen, oder können Sie dazu
noch keine konkreten Angaben machen?
A
Esfällt mir insofern schwer, Angaben zu machen, weil essich um die inneren Angelegenheiten der einzelnen Häu-ser handelt, über die ich in der Vorbereitung auf dieseFragestunde nicht im Detail informiert worden bin.Parl. Staatssekretär Achim Großmann
Metadaten/Kopzeile:
7372 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Wenn Sie Interesse haben, müsste man diese Frage ineiner weiteren Abfrage an die Häuser weitergeben. DieAntwort würden wir Ihnen dann gegebenenfalls mittei-len. Aber, wie gesagt, es handelt sich hier wahr-scheinlich um Entwicklungen, die in jedem Haus unter-schiedlich ablaufen.
Ich danke Ihnen,
Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht die Par-
lamentarische Staatsekretärin Dr. Barbara Hendricks zur
Verfügung.
Ich rufe Frage 22 des Kollegen Jochen-Konrad
Fromme auf:
Kann man aus der Tatsache, dass im Konzept für die Unter-nehmenssteuerreform die Steuermehreinnahmen aus der Verän-derung der AfA-Tabellen zur Gegenfinanzierung nur noch mit 3,5 Milliarden DM bezeichnet werden, während der zuständige Abteilungsleiter den Effekt der im Sommer 1999 zur Anhörung versandten Tabellen noch mit 13 bis 15 Milliarden DM bestätigt hat, den Schluss ziehen, dass die Bundesregierung die im Som-mer 1999 den Wirtschaftsverbänden zur Anhörung übersandten neuen AfA-Tabellen zurückziehen oder so stark verändern wird, dass die Steuermehreinnahmen auf 3,5 Milliarden DM be-schränkt werden?
D
Herr Kollege Fromme,
der Schluss kann so nicht gezogen werden. Im Übrigen
trifft es auch nicht zu, dass der zuständige Abteilungslei-
ter den Effekt der im Sommer 1999 als Entwurf versand-
ten AfA-Tabelle mit 13 bis 15 Milliarden DM bestätigt
hätte. Er hat lediglich die von Seiten der Wirtschaft ge-
nannten Zahlen aufgegriffen und ausgeführt, dass eine
Anhebung der Nutzungsdauer um durchschnittlich 65
vom Hundert, wie von der Wirtschaft angegeben, nicht
beabsichtigt sei. Steuermehreinnahmen von 3,5 Milliar-
den DM sind eine vorsichtige Schätzung.
Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der
Länder haben Anfang Dezember 1999 beschlossen, die
von ihren Fachleuten unter Beachtung der im Urteil des
Bundesfinanzhofes von 19. November 1997 aufgestell-
ten Grundsätze zur Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes bisher ermittelte technische
Nutzungsdauer einzelner Wirtschaftsgüter auch unter
Berücksichtigung der Stellungnahmen der Verbände
noch einmal eingehend zu prüfen. Angestrebt wird dabei
eine Verbreiterung der Datenbasis, um realistische Nut-
zungsdauern zu ermitteln. Mit einem Ergebnis ist nicht
vor Spätsommer dieses Jahres zu rechnen.
Eine Zusatzfrage?
Frau Staats-
sekretärin, bedeutet das, dass neue AfA-Tabellen in die-
sem Jahr nicht mehr in Kraft treten werden?
D
Nein, wir gehen davon
aus, dass neue AfA-Tabellen erst zum Jahre 2001 in
Kraft treten werden.
Eine weitere Zu-
satzfrage?
Müssten
Sie, wenn Sie das Volumen von 14 Milliarden DM auf
3, 4 oder 5 Milliarden DM herunterschrauben wollen,
nicht neue Tabellen erarbeiten?
D
Ich habe Ihnen schon ge-
sagt, dass wir dies auf einer breiteren Datenbasis ermit-
teln wollen. Die von Teilen der Wirtschaft geschätzten
14, 15 oder wie viel Milliarden DM auch immer gingen
davon aus, dass eine durchschnittliche Nutzungsdauer-
verlängerung um etwa 65 Prozent zugrunde gelegt sei;
rein rechnerisch hätte das gestimmt. Wir gehen rechne-
risch und im Sinne einer vorsichtigen Schätzannahme
von einer durchschnittlichen Verlängerung der Nut-
zungsdauern verteilt über alle Wirtschaftsgüter um rund
10 Prozent aus.
Ich rufe die Frage
23 des Kollegen Fromme auf:
Wenn ja, in welchen Punkten werden die Änderungen vor-genommen?
D
Herr Kollege Fromme,
die Antwort erübrigt sich.
Herzlichen Dank.
Die Fragen und 24
und 25 des Kollegen Hans Michelbach werden schrift-
lich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 26 des Kollegen Peter Dreßen
auf:
Welche steuerlichen Möglichkeiten wird die Bundesregie-rung ergreifen, um den vom Orkan „Lothar“ geschädigten Pri-vatwaldbesitzern zu helfen, und gibt es zum Beispiel die Mög-lichkeit, die einmalig hohen Gewinne, die in diesem und viel-leicht im nächsten Jahr entstehen, auf mehrere Jahre zu vertei-len, da spätestens in zwei Jahren nur noch Verluste entstehen werden?
D
Nach Auffassung derBundesregierung werden die derzeit bestehenden steuer-rechtlichen Vorschriften in ihrer Gesamtheit als ausrei-chend erachtet, die durch den Orkan „Lothar“ betroffe-nen Privatwaldbesitzer zu unterstützen. In diesem Zu-sammenhang weise ich auf die Sonderregelung des§ 34 b Einkommensteuergesetz hin, nach der bei Holznutzungen infolge höherer Gewalt außerhalb desParl. Staatssekretär Achim Großmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7373
Nutzungssatzes, so genannten Kalamitätsnutzungen -das ist die einzige Ausnahme, die wir im Einkommens-teuergesetz haben -, reduzierte Steuersätze angewandtwerden. Dies ist geltendes Recht.Außerdem gilt nach § 5 Abs. 1 Forstschäden-Aus-gleichsgesetz im Wirtschaftsjahr einer Einschlagsbe-schränkung für jegliche Kalamitätsnutzungen der nied-rigste Steuersatz des § 34 b Abs. 3 Einkommensteuerge-setz. Dieser niedrigste Steuersatz beträgt ein Viertel desNormalsatzes und wird, wie erwähnt, unter der Bedin-gung gewährt, dass eine Beschränkung des Holzein-schlags entsprechend § 1 Forstschäden-Ausgleichsgesetzvorgenommen wird. Das Land Baden-Württemberg bereitet im Übrigenmit Unterstützung des Bundeslandwirtschaftsministeri-ums zurzeit eine entsprechende Bundesratsinitiative vor,der nach unserem Dafürhalten nichts entgegensteht. Mitanderen Worten: Es wird dann zu einem Steuersatz voneinem Viertel des Normalsteuersatzes kommen. Darüber hinaus werden weitere Progressionsnachteiledurch die Verteilungsregelung des § 4 a Abs. 2 Nr. 1Einkommensteuergesetz insofern erheblich abgemildert,als die Gewinne eines bei Forstwirten in der Regel vomKalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres schonimmer auf zwei Veranlagungszeiträume verteilt werden.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, gibt es
einen Hilfsfonds der Bundesregierung für solche Schä-
den, von denen die Waldbesitzer gerade in Südbaden
sehr stark betroffen sind? Manche Existenz wird unter
Umständen schlichtweg vernichtet. Das Land Baden-
Württemberg hat 100 Millionen DM zur Verfügung ge-
stellt. Gibt es etwas Ähnliches bei der Bundesregierung?
D
Nein. Bei regionalen Ka-
tastrophen sind die jeweiligen Länder zuständig. Inso-
fern ist es folgerichtig, dass das Land Baden-
Württemberg einen Einmalbetrag zur Verfügung stellt.
Dies ist nicht Aufgabe des Bundes.
Ich danke Ihnen,
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Dreßen, Sie können gleich stehen blei-
ben. Denn beim nächsten Geschäftsbereich wird Ihre
Frage 27 als erste aufgerufen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Die
Fragen werden vom Parlamentarischen Staatssekretär
Dr. Gerald Thalheim beantwortet.
Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Peter Dreßen auf:
Welche finanziellen Hilfen kann die Bundesregierung den vom Orkan „Lothar“ stark betroffenen Waldbesitzern gewähren, und ist es zum Beispiel möglich, die dringend notwendigen Nasslager zur Vermeidung von Borkenkäfern finanziell zu för-dern?
Dr
Sehr geehrter Herr Kollege Dreßen, zu den
steuerlichen Möglichkeiten hat sich das Bundesfinanz-
ministerium bereits geäußert.
Wichtig ist die von Ihnen angesprochene Begrenzung
von Sekundärschäden zum Beispiel durch Borkenkäfer.
Hierzu ist eine zügige Beseitigung des Sturmholzes aus
dem Wald erforderlich, wobei die ganze Logistikkette
von der Aufarbeitung bis zu Abfuhr und Lagerung funk-
tionieren muss. Baden-Württemberg ist bereits bei der
Koordination des überregionalen Waldarbeiter- und Ma-
schineneinsatzes aktiv geworden und wird von anderen
Bundesländern personell und technisch unterstützt.
Das vom Bundeslandwirtschaftsministerium angereg-
te Sonderkreditprogramm der Landwirtschaftlichen Ren-
tenbank ermöglicht die Finanzierung von forstlichen
Lohnunternehmen, Maschinen und Betriebsmitteln, und
das bei erheblich niedrigeren Marktzinsen als 1990. Das
Bundeslandwirtschaftsministerium hat sich auch bereits
für vermehrte Transportkapazitäten eingesetzt.
Die Aufnahmefähigkeit des Holzmarktes hat sich in
letzter Zeit glücklicherweise positiv entwickelt. Deshalb
hat Bundesminister Funke ein verstärktes Holzmarketing
der Forst- und Holzwirtschaft mit dem Holzabsatzfonds
im In- und Ausland angeregt. Bezüglich der Entwick-
lung des Holzmarktes sind jedoch noch keine verlässli-
chen Einschätzungen möglich. Insbesondere durch die
erheblichen Schäden in Frankreich und der Schweiz
dürfte es zu einem spürbaren Druck auf den Holzmarkt
kommen. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung
Kontakt zur französischen Regierung aufgenommen, um
zu einem konzertierten Vorgehen auf der europäischen
Ebene zu kommen. Eine weitere Abstimmung wird auf
dem Agrarrat in der kommenden Woche erfolgen.
Für die Einlagerung von Rohholz in Nasslagern soll-
ten zuerst die nach den Sturmwürfen von 1990 auch
vom Bund mit erheblichen Mitteln geförderten La-
gerplätze und Anlagen genutzt werden. Die Anlage von
zusätzlichen Holzlagerplätzen kann im Rahmen der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ gefördert werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, besteht die
Möglichkeit, die erhöhten Transportkosten, die jetzt da-
durch entstehen, dass in anderen Bundesländern die
Hiebsätze nach unten gefahren werden und dass die
Transportunternehmen ihre Lkws von Norddeutschland
nach Süddeutschland fahren lassen, zu bezuschussen o-
der steuerlich zu begünstigen?
Dr
Diese Möglichkeit besteht nicht. Bei der Be-antwortung darf ich auf die Frage, die die KolleginHendricks bereits beantwortet hat, eingehen. Die Situa-tion stellt sich so dar, dass die Schäden im WesentlichenParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
Metadaten/Kopzeile:
7374 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
auf Baden-Württemberg begrenzt sind. Damit fällt dieVerantwortung - vor allem im rechtlichen Sinne - demBundesland Baden-Württemberg zu.Natürlich sehen auch wir das Ausmaß der Schäden.Ich werde bei der Beantwortung der folgenden Fragenoch darauf eingehen. Aus diesem Grunde hat sich Bun-deslandwirtschaftsminister Funke bereits in der erstenWoche dieses Jahres unmittelbar in den Schadensregio-nen umgeschaut. Er hat ein Kreditprogramm der Land-wirtschaftlichen Rentenbank angeregt.Im Übrigen sei noch darauf hingewiesen, dass esnicht sinnvoll ist, Transporte zu bezuschussen, weil die-se in stärkerem Maße der Holzindustrie zugute kommen.Das Ziel muss vielmehr sein, die Hilfe vor allen Dingenauf die betroffenen Forstwirtschaftsbetriebe zu konzent-rieren. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dann, wenndie Hilfe falsch organisiert wird, im Wesentlichen nurdie Sägewerke und andere nicht betroffene Betriebe dieNutznießer von niedrigen Holzpreisen sind.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär, Sie haben
Recht: Der Bundeslandwirtschaftsminister hat aufgrund
meiner Einladung am 7. Januar 2000 die Stadt Lahr be-
sucht. Er hat dort gesehen, welche Riesenschäden insbe-
sondere der Forstwirtschaft, aber auch im Privatwald
entstanden sind. Können Sie kurz zusammenfassen, was
die Bundesregierung unternommen hat, um in den wich-
tigsten Fällen zu helfen, und welche Möglichkeiten das
Landwirtschaftsministerium hat, um die Schäden so ge-
ring wie möglich zu halten bzw. Hilfe zu leisten?
Dr
Ohne eine Wertung vornehmen zu wollen, wie-
derhole ich: Als Erstes ist das Land Baden-Württemberg
gefordert. Entsprechende Maßnahmen sind vom dorti-
gen Kabinett bereits beschlossen worden. Es seien in der
Reihenfolge auch die steuerlichen Regelungen erwähnt,
die Steuerausfälle für den Bund und damit auch eine fi-
nanzielle Mitbeteiligung des Bundes bedeuten.
Das Kreditprogramm der Landwirtschaftlichen Ren-
tenbank wird unmittelbar den betroffenen Waldbesitzern
helfen. Dann gibt es die Maßnahmen des Forstschäden-
Ausgleichsgesetzes. Um Zeit zu gewinnen, muss das
Land Baden-Württemberg die Initiative ergreifen. Auch
die Bundesregierung unterstützt ausdrücklich die schnel-
le Umsetzung der Maßnahmen des Forstschäden-Aus-
gleichsgesetzes.
Des Weiteren gibt es im Rahmen der Gemeinschafts-
aufgabe zum Beispiel die Möglichkeit, in Nasslagerplät-
zen Rohholz einzulagern, um dem Befall durch Forst-
schädlinge vorzubeugen. Die Einrichtung entsprechen-
der Lagerplätze kann durch Mittel aus der Gemein-
schaftsaufgabe finanziert werden. Im Laufe dieses Jah-
res müssen wir prüfen, ob eventuell freiwerdende Mittel
aus der Gemeinschaftsaufgabe dem Land Baden-
Württemberg zur Verfügung gestellt werden können.
Ich möchte an dieser Stelle auch an die Solidarität der
nicht betroffenen Bundesländer appellieren. Eine solche
Solidarität wäre kein singulärer Fall. Dies hat es bereits
in der Vergangenheit zum Beispiel bei Hochwasser-
schäden und ähnlichen Katastrophen gegeben.
Des Weiteren müssen alle Programme - auch die, die
von Baden-Württemberg beschlossen worden sind - in
Brüssel notifiziert werden. Das heißt, sie müssen von
der Bundesregierung nach Brüssel weitergeleitet wer-
den. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen,
dass die Programme - wer hier schnell hilft, hilft beson-
ders gut - schnell notifiziert werden.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Heinz Wiese.
Herr Staats-
sekretär, das Land Baden-Württemberg ist schon vor ei-
nigen Jahren von einem fürchterlichen Orkan heimge-
sucht worden. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass be-
sonders der Vermeidung der von Ihnen erwähnten Se-
kundärschäden eine große Bedeutung zukommt. Glau-
ben Sie nicht, dass über die Bekämpfung der Borkenkä-
fer, der Buchdrucker und vor allem der Kupferstecher
durch die Einrichtung von Nasslagern hinaus auch Maß-
nahmen, die mit einer chemischen Bekämpfung oder
dergleichen betrieben werden, unterstützt werden soll-
ten? Es gibt inzwischen gerade in diesem Bereich neue
Erkenntnisse, wie man Sekundärschäden vorbeugen
kann. Sie wissen, man kann den Borkenkäfer nicht ver-
meiden; vielmehr kann man nur die explosionsartige
Vermehrung des Borkenkäfers wirksam bekämpfen.
Dr
Herr Kollege, das Entscheidende ist doch, dassjetzt erst einmal die umgestürzten und abgebrochenenBäume aus dem Wald geräumt werden. Dort muss derSchwerpunkt der Maßnahmen liegen. Es gibt in erhebli-chem Umfang auch Unterstützung durch Waldarbeiteraus den anderen Bundesländern. Es ist besonders daraufhinzuweisen, dass es sich nicht um ein professionellesFällen handelt; vielmehr müssen Schadensgebiete auf-gearbeitet werden, was Professionalität bei den Forstar-beitern zur Voraussetzung hat; das heißt, es werdenMenschen benötigt, die ihr Handwerk verstehen. Darinbesteht der eine Teil der Maßnahmen.Man muss das - wenn ich diesen Begriff gebrauchendarf - „geerntete“ Holz am Ende auch lagern und vor ei-nem um sich greifenden Schädlingsbefall schützen. Dasist am günstigsten über die Nasslagerung möglich. Dieseist aufwendig; man braucht sehr viel Wasser. Aber be-reits beim Sturm „Wiebke“ sind 1990 Nasslagerplätze -auch damals aus den Mitteln der Gemeinschaftsaufgabegefördert - eingerichtet worden. Diese Nasslagerplätzemuss man jetzt wieder nutzen bzw. man muss auch neueParl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7375
anlegen. Auch dafür könnten die Mittel verwendet wer-den.Die Entscheidung über eine chemische Bekämpfungvon Holzschädlingen liegt bei den betroffenen Landwir-ten vor Ort. Es können selbstverständlich nur die dafürzugelassenen Mittel verwendet werden. Ich wiederhole:Die Entscheidung liegt bei den betroffenen Waldbauern.
Ich rufe die Fra-
ge 28 des Kollegen Peter Weiß auf:
Welche Hilfen hat die Bundesregierung eingeleitet bzw. wird sie einleiten, um die immensen Schäden, die der Orkan „Lothar“ am 26. Dezember 1999 vor allem in den Wäldern Süddeutsch-lands angerichtet hat, zu beheben und um die geschädigten Waldbesitzer zu unterstützen?
Dr
Herr Kollege Weiß, die Orkane vom 26. und
28. Dezember 1999 haben in weiten Gebieten Europas
Schäden angerichtet. Die schwersten Waldschäden hat
Frankreich mit 115 Millionen Kubikmeter Holzanfall zu
beklagen, gefolgt von Deutschland mit 27 Millionen
Kubikmeter Holzanfall und der Schweiz mit 11 Millio-
nen Kubikmeter. Dänemark mit 3,5 Millionen Kubikme-
ter und Schweden mit 8 Millionen Kubikmeter waren
bereits am 3. Dezember 1999 vom Orkan „Anatol“ be-
troffen. In Deutschland konzentrieren sich die vom Or-
kan „Lothar“ am 26. Dezember 1999 angerichteten
Schäden im Wesentlichen auf Baden-Württemberg mit
23,5 Millionen Kubikmeter. Die angefallenen Holzmen-
gen sind hier sogar größer als bei den Stürmen „Vivian“
und „Wiebke“ im Jahre 1990. Damals waren es rund
15 Millionen Kubikmeter.
In geringerem Umfang sind Bayern mit 3 Millionen
Kubikmeter sowie Rheinland-Pfalz und andere Länder
betroffen. Der Schaden betrifft nicht nur das Ökosystem
Wald, sondern auch viele Forstbetriebe in Südwest-
deutschland existenziell. Das erhöhte Holzangebot hat
zudem Auswirkungen auf den europäischen Holzmarkt.
Als Erstes ist die Solidarität der Forstbetriebe in den
nicht betroffenen Gebieten durch Zurückhaltung beim
normalen Holzeinschlag gefragt. Das Bundeslandwirt-
schaftsministerium hat in dieser Hinsicht eine Zusage
der Bundesforstverwaltung. Bund und Länder bemühen
sich, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die
Forstbetriebe nach den Sturmschäden möglichst rasch zu
verbessern. Hierzu wurde ein ganzes Bündel von Maß-
nahmen angeschoben.
Die gesetzlichen Schwellenwerte für eine erhebliche
und überregionale Marktstörung nach dem Forstschä-
den-Ausgleichsgesetz sind durch die Schäden in Baden-
Württemberg überschritten. Dort wird derzeit eine Bun-
desratsinitiative zur Beschränkung des ordentlichen
Holzeinschlages für die Holzartengruppen Fichte und
Buche vorbereitet. Die Anwendung des Forstschäden-
Ausgleichsgesetzes durch den Bund bedingt auch steuer-
liche Erleichterungen, zu denen bereits die Kollegin
Hendricks in ihrer Antwort auf Frage 26 Auskunft gege-
ben hat. Auf Anregung des Bundeslandwirtschaftsminis-
teriums hat die Landwirtschaftliche Rentenbank bereits
ihr Sonderkreditprogramm „Landwirtschaft“ mit um
rund 1 Prozentpunkt vergünstigten Krediten für die Be-
seitigung orkanbedingter Waldschäden sowie für die
Wiederaufforstung erweitert.
Die Anlage von Holzlagerplätzen und die Wiederauf-
forstung von Sturmflächen kann im Rahmen der Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ gefördert werden. Darüber hi-
nausgehende Möglichkeiten bieten die Entwicklungs-
pläne nach der EAGFL-Verordnung zur ländlichen Ent-
wicklung. Weiterhin hat sich das BML beim Bundes-
verkehrsministerium unterstützend für verkehrsrechtli-
che Ausnahmen in den Ländern in Form einer Herauf-
setzung der Beladungsgrenze und einer Zulassung von
Transporten an Sonn- und Feiertagen eingesetzt, damit
die Holzabfuhr nicht zu einem Engpass bei der Scha-
densaufarbeitung wird. Zudem hat das BML die Deut-
sche Bahn gebeten, Kapazitäten für verstärkte Holz-
transporte bereitzuhalten. Insoweit hat die Bundesregie-
rung direkt nach dem Orkan die erforderlichen Sofort-
maßnahmen eingeleitet.
Das weitere Vorgehen wird sich an den im Zuge der
Schadensaufarbeitung ergebenden Problemen orientie-
ren. Dabei sind auch die regionalen und wirtschaftlichen
Unterschiede, die sich seit 1990 ergeben haben, zu be-
rücksichtigen.
Eine Zusatzfrage?
Herr
Staatssekretär, Sie haben ja zu Recht auf das Forstschä-
den-Ausgleichsgesetz hingewiesen, zu dem die Landes-
regierung von Baden-Württemberg gestern eine Bundes-
ratsinitiative beschlossen hat, um die notwendige Ver-
ordnung in Gang zu setzen. Da angesichts der bestehen-
den Situation auf der einen Seite in den nächsten Mona-
ten mit einem massiven Preisverfall zu rechnen ist, auf
der anderen Seite aufgrund der großen Schwierigkeiten,
die vor allen Dingen in den Steillagen des Schwarz-
waldes bei der Aufarbeitung und Sicherung des Holzes
bestehen, zu erwarten ist, dass in einem hohen Maße
Kosten entstehen, die ansonsten bei einer normalen
Waldbewirtschaftung nicht entstehen würden, besteht
vor allen Dingen für viele Privatwaldbesitzer das Prob-
lem, dass voraussichtlich kein Gewinn zu erwirtschaften
sein wird. Sehen Sie über steuerliche Maßnahmen im
Rahmen des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes hinaus
Möglichkeiten, in starkem Maße betroffenen Privat-
waldbesitzern zum Beispiel eine zinslose Stundung von
Steuerschulden oder die Herabsetzung von Steuervor-
auszahlungen bereits jetzt und ab sofort zu gewähren?
Dr
Ich muss auf die bereits gegebenen Antwortenverweisen. Wir müssen jetzt abwarten, wie sich am En-de tatsächlich die Preise auf dem Holzmarkt entwickelnwerden, zumal das – ich habe schon darauf hingewie-sen - natürlich auch mit dem hohen Schadensvolumen,Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
Metadaten/Kopzeile:
7376 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
das sich in Frankreich ergeben hat, zusammenhängt. Wirmüssen jetzt einerseits diese Entwicklungen und ande-rerseits die Umsetzung der Hilfsmaßnahmen abwarten. Sollte sich eine Situation ergeben, wie Sie sie geschil-dert haben, kann zu gegebenem Zeitpunkt auch darübernoch einmal gesprochen werden.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Herr
Staatssekretär, Sie haben auf das Sonderkreditprogramm
der Rentenkasse hingewiesen, die um 1 Prozentpunkt
verbilligte Kredite anbietet. Da wir zurzeit beobachten
müssen, dass vor allen Dingen die Privatwaldbesitzer
die angebotenen Hilfen, insbesondere von Firmen mit
entsprechenden Aufbereitungsgeräten, deswegen nicht
in Anspruch nehmen, weil sie nicht wissen, wie sie diese
Maßnahmen finanzieren bzw. refinanzieren sollen,
möchte ich Sie fragen, ob es vorstellbar wäre, für diesen
besonders betroffenen Personenkreis ein Programm mit
zinslosen Krediten aufzulegen?
Dr
Auch hier muss ich auf die gegebenen Antwor-
ten verweisen. Wir müssen jetzt abwarten, wie sich die
Preise tatsächlich entwickeln werden. Im Übrigen tritt
eine solche Situation nicht zum ersten Mal auf; eine ver-
gleichbare Situation gab es bereits 1990. Damals hat
sich gezeigt, dass Kreditprogramme durchaus hilfreich
waren, da seinerzeit die Marktzinsen wesentlich höher
als heute waren. Schon aufgrund der Marktzinsen ist –
ich habe in meiner Antwort schon darauf verwiesen –
heute eine günstigere Situation zu verzeichnen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Heinrich-Wilhelm Ronsöhr.
Herr
Staatssekretär, Sie haben gesagt, der Bundeslandwirt-
schaftsminister sei bei der Begutachtung der Sturmschä-
den in Baden-Württemberg zugegen gewesen. Ist Ihnen
nicht klar, dass viele Betriebe durch diese Sturmschäden
in viel stärkerem Ausmaß betroffen sind, als es bei ver-
gleichbaren Katastrophen bisher der Fall war? Wollen
Sie diesen Betrieben angesichts der schwierigen Situati-
on, in der viele Betriebsleiter nicht mehr wissen, wie es
weitergeht, lediglich sagen, dass 1 Prozentpunkt Zins-
verbilligung ausreicht? Wollen Sie angesichts des Aus-
maßes der Katastrophe darauf verweisen, dass es sich
nur um regionale Schäden handelt? Nach meiner Auf-
fassung sind „regionale Schäden“ nicht solche, die sich
auf ein ganzes Bundesland erstrecken, sondern solche,
die auf eine Region begrenzt sind. Hier sind über das
Land Baden-Württemberg hinaus sogar weitere Land-
striche betroffen.
Herr Kollege Ron-
söhr - -
Erfordert
dies nicht ein Bund-Länder-Programm und ein Stück fi-
nanzielle Solidarität des Bundes?
Dr
Nein, Herr Kollege, das erfordert es nicht. Aus
dem Zahlenüberblick, den ich gegeben habe, ging ganz
eindeutig hervor, dass sich die Schäden fast ausschließ-
lich auf das Land Baden-Württemberg konzentrieren.
Aus diesem Grunde ist an erster Stelle das Land Baden-
Württemberg gefordert, im Hinblick auf die schwierige
Situation der Waldbauern, die in unterschiedlichem Ma-
ße von den Auswirkungen des Sturms betroffen sind –
einige sind ganz extrem davon betroffen –, Hilfen zu lei-
sten. Wir gehen davon aus, dass das Programm, das die
baden-württembergische Landesregierung aufgelegt hat,
für die Entscheidung über das Volumen maßgeblich
war. Hier liegt also zunächst die Verantwortung.
Auf der anderen Seite sehen wir natürlich auch beim
Bund eine Verantwortung. Ich verzichte aber darauf, all
das, was der Bund flankierend unternommen hat, noch
einmal aufzulisten.
Hinzu kommt ein Weiteres: Aus einer Tickermeldung
der Nachrichtenagentur „AFP“ vom heutigen Tage geht
hervor, dass die Europäische Union die Absicht hat, ein
Programm in Höhe von 15,6 Milliarden DM aufzulegen.
Ich weiß hierüber auch nicht mehr als das, was in der
Meldung der Nachrichtenagentur steht. In meiner Ant-
wort habe ich aber bereits darauf verwiesen, dass in der
nächsten Woche im Agrarrat darüber gesprochen wer-
den soll. Ich gehe davon aus, dass letztendlich auch aus
der Europäischen Union finanzielle Mittel zur Verfü-
gung gestellt werden, um den Betroffenen unter die Ar-
me zu greifen.
Auf der anderen Seite – das ist die Lehre aus ver-
gleichbaren Ereignissen in der Vergangenheit – verteilen
sich die Schadensauswirkungen auf einen längeren Zeit-
raum. Jetzt kommt es darauf an, genau zu bewerten, um
welche Auswirkungen es sich handelt und wie die Schä-
den in der nächsten Zeit ausgeglichen werden können.
Wie gesagt, die Europäische Union wird hier vermutlich
Unterstützung geben. In der Meldung heißt es, dass
Deutschland 3 Milliarden Euro, verteilt auf die nächsten
sieben Jahre, erhalten soll. Das ist eine ansehnliche
Summe, die allen Betroffenen in Baden-Württemberg
helfen wird.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Peter Dreßen.
Herr Staatssekretär, könnenSie sich vorstellen, dass in allerkürzester Zeit Staatssek-retäre aus dem Verteidigungsministerium, aus dem Ar-beitsministerium und aus Ihrem Ministerium zusammen-treten und gemeinsam darüber nachdenken, wie manunbürokratisch helfen kann? Das Verteidigungsministe-Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7377
rium habe ich deswegen erwähnt, weil unter UmständenTruppen bei den notwendigen Aufräumarbeiten im Waldhelfen könnten. Frage: Ist so etwas möglich?Der andere Punkt ist, dass Sie zur AufarbeitungFacharbeiter brauchen. Das bedeutet, dass Facharbeiteraus Tschechien und Polen benötigt werden, die dieseArbeit verrichten können. Sie können nicht einfach Ar-beitslose einsetzen, weil es dann mehr Unfälle gebenwürde. Wir brauchen also Facharbeiter.Wäre es angesichts der schwierigen Situation, die wirin Südbaden haben, nicht an der Zeit, dass all diese Fra-gen auf Staatssekretärsebene erörtert werden und dassman dann vielleicht noch zusätzliche Hilfen auflegenkann, die vielleicht gar nicht so viel Geld kosten wür-den?Dr
Aus den hier bereits mehrfach dargelegten
Gründen müsste für eine solche Gesprächsrunde die Ini-
tiative vom Land Baden-Württemberg ausgehen. Ich
wiederhole: Nach den Regeln, die wir in der Bundesre-
publik haben, ist bei einem solchen regionalen Scha-
densfall als Erstes die Landesregierung, in diesem Fall
die Landesregierung von Baden-Württemberg, gefragt.
Was die Hilfe von Forstarbeitern anbelangt, ist mei-
nes Wissens in wenigen Tagen schon viel passiert. Es
wurde eine ganze Reihe von Forstarbeitern aus den an-
deren Ländern in Baden-Württemberg eingesetzt. Wir
haben über unser Haus entsprechende Fragen gestellt.
Die Antwort war - es ging konkret um die Frage, ob
möglicherweise aus dem Land Brandenburg eine
„Amtshilfe auf Forstarbeiterebene“ geleistet werden
soll -, dass im Grunde genommen keine weiteren Ar-
beitskräfte gebraucht werden.
Ich wiederhole an dieser Stelle: Die Qualifikationen,
die gerade bei der Beseitigung von Sturmschäden not-
wendig sind, erlauben es nicht, jemandem ohne Ausbil-
dung eine Axt und eine Säge in die Hand zu drücken
und ihm zu sagen: Mach mit und hilf hier! Qualifikation
ist erforderlich, letztendlich auch, um wertvolles Holz
aus dem Wald zu bergen, das sich verkaufen lässt. Es
geht nämlich nicht nur darum, die umgestürzten Bäume
wegzuräumen.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Annette Widmann-Mauz.
Herr Staats-
sekretär, Sie haben vorhin die Aussage getroffen, dass es
sich bei den Sturmschäden, die zum größten Teil auf
dem Gebiet von Baden-Württemberg zu finden sind,
hauptsächlich um ein Problem des Landes Baden-
Württemberg und nicht um ein nationales Problem han-
delt. Daher verwundert es schon sehr, wenn Sie in Ihren
bisherigen Antworten auf die nationale Dimension zu-
mindest hinweisen.
Sie verweisen zum einen auf die Amtshilfen aus an-
deren Bundesländern, die notwendig sein könnten, zum
anderen aber auch auf die Auswirkungen auf die Ge-
winne der Privatwaldbesitzer, die sich durch den Preis-
verfall aufgrund der Holzschwemme aus Frankreich er-
geben. Mich würde schon interessieren, was die Bundes-
regierung konkret tut, um den Preisverfall angesichts der
zu erwartenden Holzschwemme aus Frankreich zu stop-
pen. Sie haben vorhin davon gesprochen, dass es eine
Kontaktaufnahme mit Frankreich gegeben habe. Gibt es
bereits Erkenntnisse? Können Sie uns darüber bitte be-
richten?
Dr
Es hat ein Gespräch im Bundesland-
wirtschaftsministerium mit den obersten Vertretern der
französischen Forstverwaltung gegeben. In dem Ge-
spräch ist im Wesentlichen die Meinung geäußert wor-
den, dass es für Frankreich angesichts seiner unter-
schiedlichen ländlichen Struktur und seiner unterschied-
lichen Struktur in der Forstverwaltung sehr schwer wer-
den wird, in kürzester Zeit eine Aufarbeitung vorzu-
nehmen.
Letztendlich ist es unsere Auffassung, dass auch die
Hilfen, die auf europäischer Ebene beschlossen werden
sollen – ich habe bereits die entsprechende Tickermel-
dung zitiert –, in diese Richtung weisen. Die Maßnah-
men bezüglich des Marktes werden erst notwendig,
wenn das Holz auf den Markt kommt. Speziell in Frank-
reich gibt es zurzeit sehr große Probleme, das Holz so
aus den Wäldern zu holen, dass es aufgearbeitet werden
kann.
Zur Unterstützung durch den Bund: Es ist eindeutig
so, dass als Erstes das Land Baden-Württemberg gefor-
dert ist, weil sich der Schaden auf dieses Land konzent-
riert. Die Landesregierung hat ja entsprechende Maß-
nahmen eingeleitet. Das heißt aber im Umkehrschluss
nicht, dass sich der Bund nicht an den Maßnahmen be-
teiligt. Ich habe bereits eine ganze Reihe von Maßnah-
men genannt. Wir müssen jetzt abwarten, welche kon-
kreten Hilfen sich aus dem Programm ableiten lassen,
das auf Brüsseler Ebene aufgelegt werden soll. In der
kommenden Woche wird sich der Bundeslandwirt-
schaftsminister im Agrarrat für eine länderübergreifende
Regelung einsetzen, damit es nicht zu gravierenden
Auswirkungen auf dem europäischen Holzmarkt kommt.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Thomas Strobl.
Herr Staatssekretär,was tut die Bundesregierung, um möglichst schnell undkomplikationslos Waldfacharbeiter aus Nicht-EU-Ländern für die Aufarbeitung des Sturmholzes zuzulas-sen?
Peter Dreßen
Metadaten/Kopzeile:
7378 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Dr
Nach meinen Informationen gibt es in dieser
Richtung kaum Bedarf. Ich habe ja die Initiative ge-
nannt. Die Nachfrage, ob Unterstützung aus Branden-
burg gewünscht wird, ist am Ende abschlägig beschie-
den worden. Insofern wiederhole ich meine Aussagen,
dass es im Wesentlichen darauf ankommt, dass hoch
qualifiziertes Personal hier zur Verfügung gestellt wird.
Wenn Sie im Übrigen darauf abstellen: Die Saisonar-
beiterregelung lässt sich auf diese Dinge nicht anwen-
den.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Heinz Wiese.
Herr Staats-
sekretär, ich möchte noch auf die Tickermeldung zu-
rückkommen; ich habe sie in Händen: Sie haben darauf
hingewiesen, dass Deutschland 3 Milliarden Euro aus
einem Fonds der EU bekommt. Aber es kommt dabei,
glaube ich, nicht deutlich genug heraus, aus welchem
Fonds dieses Geld dann genommen wird. Es sollte nicht
der Eindruck entstehen, dass es sich um ein Sonderpro-
gramm handelt. Hier steht eindeutig nachzulesen:
Das Geld wird im Rahmen der so genannten Regi-
onalhilfe aus dem Strukturfonds der Europäischen
Union... gezahlt.
Also muss man da schon, meine ich, differenzieren.
Teilen Sie diese Einschätzung?
Dr
Ich habe ja bewusst dargestellt, dass meine
Aussagen sich hier auf eine Tickermeldung beziehen.
Ich gehe davon aus, dass in der nächsten Woche im Ag-
rarrat auch in diesem Bereich Konkreteres diskutiert
wird. Ich habe dies vor allen Dingen als Argument dafür
angesehen, dass wir jetzt abwarten müssen, wie sich die
auf Baden-Württemberger Ebene und auf Bundesebene
beschlossenen Maßnahmen konkret auswirken und wel-
che Mittel am Ende aus diesem Programm tatsächlich
zur Verfügung stehen, unabhängig davon, wo die kon-
kreten Finanzierungsquellen sein werden.
Da das Programm auf sieben Jahre angelegt ist, gehe
ich davon aus – aber das ist meine persönliche Meinung,
dass dieses Geld aus freien Mitteln der Strukturfonds zur
Verfügung gestellt wird.
Im Übrigen hat die Gemeinschaftsaufgabe nach den
Förderrichtlinien zu einem Teil durchaus auf solche Er-
eignisse zu reagieren, speziell im Forstbereich. Es wäre
also nichts Ungewöhnliches, dass dann innerhalb der
Grundprogramme auch in diesem Bereich eine Schwer-
punktsetzung erfolgen kann.
Noch eine Zusatz-
frage des Kollegen Straubinger.
Herr Staatssekretär,
wird sich die Bundesregierung denn zumindest dafür
einsetzen, dass Sondermittel bereitgestellt werden?
Dr
Natürlich werden wir uns dafür einsetzen, dass
diese Mittel, wenn schon die Europäische Union am En-
de auch aufgrund des Umfanges dieser Schäden Mittel
zur Verfügung stellt, schwerpunktmäßig nach Deutsch-
land fließen, also auch nach Baden-Württemberg, weil
dieses Bundesland am stärksten betroffen ist. Davon
können Sie ausgehen, zumal wenn die Tickermeldung,
die hier schon mehrfach zitiert wurde, stimmt und wenn
sich am gleichen Tag die deutsche Haushaltskommissa-
rin Michaele Schreyer vor Ort informiert. Ich denke,
wenn sie sich die Schäden vor Ort ansieht, wird sie auch
mit dem Bewusstsein nach Brüssel zurückkehren, dass
dieses europäische Geld genau hier einzusetzen ist.
Ich rufe die Frage
29 des Kollegen Peter Weiß:
Ist die Bundesregierng bereit, zur Behebung der durch den Orkan „Lothar“ verursachten Schäden ein Bund-Länder-Sonderprogram aufzulegen?
Dr
Kollege Weiß, zu dem von Ihnen angesproche-
nen Bund-Länder-Sonderprogramm ist zunächst darauf
hinzuweisen, dass Hilfen in Katastrophenfällen
grundsätzlich in den alleinigen Zuständigkeitsbereich
der Länder fallen. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind
die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise
Bundesbeteiligung im Gegensatz zu den Sturmwürfen
von 1990 nicht gegeben, da sich die Orkanschäden
regional begrenzt in Süddeutschland konzentrieren.
Im Übrigen verweise ich auf die Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-
schutzes“, an der der Bund mit 1,7 Milliarden DM betei-
ligt ist, die auch forstliche Maßnahmen beinhaltet, unter
anderem Maßnahmen zur Beseitigung von Schäden im
Wald.
Zusatzfrage.
HerrStaatssekretär, können Sie bestätigen, dass die Konfe-renz der Amtschefs der Länder-Landwirtschafts-ministerien am 16. Januar 2000 in Berlin einstimmig,das heißt, auch mit den Stimmen aller sozialdemokra-tisch regierten Landesregierungen, an die Bundes-regierung die Bitte gerichtet hat, ein Bund-Länder-Sonderprogramm „Orkanschäden“ mit 60-prozentiger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7379
Finanzierung durch den Bund aufzunehmen? Hierbeisollen insbesondere Maßnahmen im Privat- und Kom-munalwald bezuschusst werden, nämlich bei der Sturm-holzkonservierung, der Wiederaufforstung, derWegeinstandsetzung, bei Liquiditätshilfen für Forstbe-triebe, beim Forstschutz und bei der Förderung der Um-setzung von Arbeitskräften aus von Sturmschäden nichtbetroffenen Gebieten in die Schadensgebiete. Wie ver-hält sich die Bundesregierung hinsichtlich dieser Auf-forderung seitens der Amtschefs sämtlicher deutscherBundesländer?Dr
Für ein solches Programm – das wissen Sie –
gibt es im Haushalt überhaupt keinen Titel und keine
Voraussetzung. Das ist die rein haushaltstechnische Sei-
te. Ich möchte noch einmal wiederholen: Im Rahmen der
Gemeinschaftsaufgabe, bei der der Bund Mittel in Höhe
von 1,7 Milliarden DM zur Verfügung stellt, ist die Auf-
arbeitung von Forstschäden ein wichtiger Teil. Gerade
für Baden-Württemberg ist da etwas vorgesehen. Es ist
sogar so, dass dort eine Notifizierung recht einfach wür-
de. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite habe ich
schon mehrfach auf dem ganzen Strauß von Maßnahmen
hingewiesen.
Wenn die Amtschefs hier deutlich ihre Solidarität be-
kannt haben, dann gehe ich davon aus, dass sie ihrer So-
lidarität auch insoweit Rechnung tragen werden, dass
sie, wenn am Ende des Jahres freie Mittel aus der Ge-
meinschaftsaufgabe vorhanden sind, diese ganz bewusst
dem Land Baden-Württemberg zur Verfügung stellen,
was in der Vergangenheit bei ähnlichen Scha-
densereignissen bereits praktiziert worden ist.
Ein letzter Punkt. Ich habe bereits mehrfach auf das
von Brüssel beabsichtigte Programm aufgrund der Ti-
ckermeldung hingewiesen. Wenn man sich allein das
Finanzvolumen vor Augen führt, das die Europäische
Union hier beabsichtigt, muss man sich die Frage stel-
len: Was wäre darüber hinaus noch an Unterstützung
notwendig? Ich wiederhole noch einmal: Wir haben sehr
viele Maßnahmen beschlossen. Jetzt muss abgewartet
werden, wie diese wirken. Wenn noch Handlungsbedarf
besteht, dann kann man sich zu gegebener Zeit noch
einmal darüber unterhalten.
Eine letzte Zusatz-
frage.
Herr
Staatssekretär, nachdem Sie bei der Beantwortung meh-
rerer Fragen darauf hingewiesen haben, dass Sie eine
Bundeszuständigkeit nicht sehen, möchte ich Sie noch
einmal herzlich bitten, darzulegen, wie sich die Bundes-
zuständigkeit oder die Nichtzuständigkeit aus Ihrer Sicht
definiert.
Es sind drei Bundesländer betroffen: hauptsächlich Ba-
den-Württemberg, aber auch Bayern und Rheinland-
Pfalz. Das Schadensausmaß ist aber doppelt so groß wie
vor zehn Jahren bei „Wiebke“.
Herr Kollege, bitte
beschränken Sie sich auf die Frage.
Jawohl. –
Müsste für die Beurteilung, ob der Bund mit einem Son-
derprogramm helfend eingreifen muß, nicht die Frage
beantwortet werden, welches Schadensausmaß wir zu
beklagen haben?
Dr
Ich darf hier bereits gegebene Antworten noch
einmal wiederholen. Wenn ich sage, der Bund sei nicht
zuständig, dann ist das die rechtliche Seite der ganzen
Geschichte. Dass wir sehr wohl unsere Verantwortung
wahrzunehmen haben, lässt sich allein aus den Tatsa-
chen ableiten, dass sich der Bundesminister sofort vor
Ort informiert hat, dass er die Initiative ergriffen hat, das
Kreditprogramm der Landwirtschaftlichen Rentenbank
zu unterstützen, dass wir die Landesregierung Baden-
Württemberg bei der Umsetzung des Forstschäden-
Ausgleichsgesetzes unterstützen werden, dass wir die
Landesregierung Baden-Württemberg bei der Notifizie-
rung der ganzen Programme unterstützen werden, dass
wir den Kontakt zur französischen Regierung aufge-
nommen haben, um die Auswirkungen auf dem Holz-
markt in verträglichen Grenzen zu halten, und dass sich
der Bundesminister im Agrarrat nächste Woche für eine
überregionale Regulierung der Schäden einsetzen wird,
auch in dem Sinne, dass die Mittel aus der Europäischen
Union, die diese dankenswerterweise zur Verfügung
stellen will, ganz konzentriert für die Behebung der
Schäden eingesetzt werden.
Damit sind wir amEnde dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, HerrParlamentarischer Staatssekretär Dr. Thalheim.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwor-tung steht die Parlamentarische Staatssekretärin UlrikeMascher zur Verfügung.Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Ilja Seifert auf:Welche Gründe liegen dafür vor, dass die in der Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Ulrike Mascher, vom 26. Oktober 1999 auf meine schriftliche Frage in Drucksache 14/1933 an mich gegebene Zusicherung, dass die Verordnung zur Durchfüh-rung des Schwerbehindertengesetzes „möglichst noch vor Jahresende erlassen und dem Bundesrat zur Zustimmung zugeleitet werden soll“, nicht einge-halte wurde, und für wann ist nunmehr mit dem In-Kraft-Treten der Verordnung zu rechnen?Peter Weiß
Metadaten/Kopzeile:
7380 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
U
Herr Dr. Sei-
fert, die Bundesregierung hat in der Antwort vom 26.
Oktober 1999 nicht zugesichert, dass die Verordnung
zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes, die
Werkstätten-Mitwirkungsverordnung, vor dem Jahres-
ende erlassen und dem Bundesrat zur Zustimmung zuge-
leitet werde. In der Antwort vom 26. Oktober habe ich
darauf hingewiesen, dass der vorliegende Entwurf mit
den Beteiligten noch einmal erörtert und abgestimmt
und die Verordnung möglichst noch vor Jahresende
1999 erlassen und dem Bundesrat zur Zustimmung
zugeleitet werden solle. Dies musste leider, entgegen der
ursprünglichen Absicht des Bundesministeriums für Ar-
beit und Sozialordnung, wegen vorrangiger Arbeiten am
SGB IX und an der angekündigten Gesetzesinitiative zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter
Menschen zurückgestellt werden. Das Bundesministeri-
um für Arbeit und Sozialordnung bemüht sich, die noch
notwendigen Abstimmungen rasch vorzunehmen und
das Verfahren alsbald abzuschließen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Seifert.
Frau Staatssekretärin, Sie
werden mir glauben, dass ich es selbstverständlich für
richtig halte, dass das BMA am SGB IX und vor allem
an der Verringerung der Massenarbeitslosigkeit unter
Schwerbehinderten arbeitet; das ist keine Frage. Der
weitgehend abgestimmte Entwurf der Werkstätten-
Mitwirkungsverordnung liegt jedoch schon seit Sommer
vergangenen Jahres vor. Deshalb war meine Frage, zu
welchen inhaltlichen Punkten es jetzt noch Abstim-
mungsbedarf gibt, wodurch es so lange dauert. Mich
würde schon interessieren, an welchen Punkten der
Entwurf scheitern könnte.
U
Die Mutma-
ßung, dass der Entwurf scheitern könnte, wäre völlig
falsch. Es besteht noch Bedarf nach Abstimmung mit ei-
nigen Trägern. Ich denke, wir sollten im Interesse des
Erfolges dieser Werkstätten-Mitwirkungsverordnung das
Abstimmungsverfahren ordentlich zu Ende bringen;
denn ich würde es bedauern, wenn die Umsetzung dieser
Verordnung durch fehlende Abstimmung beeinträchtigt
würde.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Frau Staatssekretärin, auf die
Gefahr hin, dass das wieder nicht ganz klappt, möchte
ich Sie um die Angabe eines ungefähren Zeithorizonts
bitten, zu dem damit gerechnet werden kann, dass die
notwendigen Abstimmungen trotz aller sonstigen Arbei-
ten, die in Ihrem großen Ministerium geleistet werden
müssen, abgeschlossen sind, sodass man mit dem In-
Kraft-Setzen dieser Verordnung, die wirklich gebraucht
wird, rechnen kann.
U
Herr Dr. Sei-
fert, nachdem ich mit meiner Einschätzung bei Ihrer
letzten Frage so wenig Glück hatte, möchte ich um Ver-
ständnis bitten, dass ich mich jetzt hier nicht festlege,
wann wir zu einem Ergebnis kommen. Ich kann Ihnen
aber versichern, dass ich mich auch persönlich dafür en-
gagiere, dass wir das Ganze rasch abschließen können.
Ich rufe die Frage
31 des Kollegen Heinz Schemken auf:
Wie beurteilt der Bundesminister für Arbeit und Sozialord-nung den Umstand, dass nun doch beim Holzmann-Konzern cir-ca 3 000 Arbeitnehmer entlassen werden?
U
Herr Kollege
Schemken, die Bundesregierung hat am 15. Dezember
1999 dem Haushaltsausschuss und dem Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie des Deutschen Bundestages
über das Restrukturierungskonzept für die Philipp
Holzmann AG und die damit verbundenen Arbeitsplatz-
effekte berichtet. Sie hat darüber hinaus im Rahmen der
Aktuellen Stunde zu beschäftigungspolitischen Aspek-
ten des Konzepts Stellung genommen. Das von allen Be-
teiligten – Aktionären, Vorstand und Betriebsrat der Phi-
lipp Holzmann AG sowie den Gläubigerbanken - getra-
gene Restrukturierungskonzept, das unter anderem die
Veräußerung von Beteiligungs- und Tochtergesellschaf-
ten beinhaltet, sieht einen Abbau der Unternehmenska-
pazität im Inland um gut ein Drittel vor. Der Personal-
abbau beim verbleibenden inländischen Konzern um
circa 3 000 ist damit Teil der von den Beteiligten ge-
meinsam getragenen Neustrukturierung des Unterneh-
mens.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Schemken.
Frau Staatssekretä-
rin, hat sich die Bundesregierung im Hinblick darauf,
dass Steuermittel eingesetzt werden – natürlich mit dem
Ziel, die bedrohten Arbeitsplätze zu sichern; dies ist zu
begrüßen –, abgesichert? Denn es liegen ja von unter-
schiedlichen Seiten Meldungen vor, dass insbesondere
in den Beteiligungsgesellschaften und in den Nieder-
lassungen im Ausland weitere 3 000 Arbeitsplätze infra-
ge gestellt werden. Welche Sicherung gibt es für die, die
damit rechnen durften, dass die Rettungsaktion auch
wirklich ein Sanierungskonzept ist?
U
Die Bundes-regierung stützt sich auf dieses Sanierungskonzept undgeht davon aus, dass es so, wie es vorgesehen wurde,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7381
auch umgesetzt wird und dass die Mittel, die von derBundesregierung zur Verfügung gestellt werden, zur Si-cherung der Arbeitsplätze genutzt werden. Darauf werdeich in der Beantwortung Ihrer zweiten Frage näher ein-gehen, in der Sie danach fragen, was hinsichtlich derArbeitsplätze geschehen wird.
Eine weitere Zusatz-
frage, Herr Kollege? – Bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, wie beurteilt die Bundesregierung die Ausführungen
des Wettbewerbskommissars Mario Monti, der ja erklärt
hat, dass seiner Meinung nach dieser Restrukturierungs-
plan nicht dazu führt, diesen Konzern zu retten? Teilt
die Bundesregierung diese Meinung vor dem Hinter-
grund des möglichen Einspruchs gegen diese Rettungs-
aktion, der von Brüssel noch zu erwarten ist?
U
Die Bundes-
regierung teilt die Meinung des EU-Kommissars Monti
nicht. Die EU-Kommission hat gestern ein förmliches
Prüfverfahren für die von der Bundesregierung zugesag-
ten Hilfen für die Philipp Holzmann AG eingeleitet. Wir
müssen jetzt das Ergebnis dieses Verfahrens abwarten.
Nun rufe ich die
Frage 32 des Kollegen Schemken auf:
Wie sieht der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung dies im Hinblick auf die Stützungsaktion durch die öffentliche Hand, die den betroffenen Beschäftigten galt, und wie wird die angekündigte Beschäftigungs- und Qualifikationsgesellschaft fi-nanziert?
Frau Staatssekretärin, bitte.
U
Herr Schem-
ken, die Bundesregierung begrüßt, dass allen Arbeit-
nehmern, die von einer Kündigung betroffen sein wer-
den, die Möglichkeit der Aufnahme in eine Beschäfti-
gungs- und Qualifizierungsgesellschaft angeboten wird.
Diese Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft
bzw. die dort beschäftigten Arbeitnehmer werden so-
wohl aus Mitteln des Unternehmens als auch aus Mitteln
der Bundesanstalt für Arbeit finanziert.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? – Bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, vor dem Hintergrund, dass Arbeitslosen diese Brü-
cke in den ersten Arbeitsmarkt geschaffen wird – das ist
sicherlich zu begrüßen –, frage ich denn doch, inwieweit
angesichts der Verpflichtung gegenüber den Arbeitneh-
mern das Missmanagement der Banken und des Kon-
zerns stärker berücksichtigt werden sollte. Denn die Tat-
sache, dass in diesem Zusammenhang 200 Millionen
DM von den Beitragszahlern aufgebracht werden müs-
sen und dass ein sehr viel geringerer Betrag vom Unter-
nehmen selbst beigesteuert wird, scheint mir im Hin-
blick auf die außerordentliche Misswirtschaft in diesem
Unternehmen gegenüber den Beitragszahlern nicht ge-
rechtfertigt zu sein, sosehr ich diese Maßnahmen zu-
gunsten der Arbeitslosen begrüße.
U
Für Sozialpo-
litiker sollten im Zentrum zunächst die Maßnahmen für
die von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer stehen.
Ein anderer Punkt ist , wie man damit umgeht, was Sie
als Missmanagement bezeichnen. Soweit es sich um ein
nicht besonders erfolgreiches Management handelt,
kennen wir in unserer Rechtsordnung keine Sanktionen.
Soweit es sich um rechtlich relevantes Fehlverhalten
handelt, muss es entsprechend geahndet werden.
Noch eine Zusatz-
frage, Herr Kollege? – Bitte.
Wird untersucht und
rechtlich stringent verfolgt, was im Rahmen der Mög-
lichkeiten der Arbeitsverwaltung – das Unternehmen in
Haftung und dafür Konkursausfallgelder in Anspruch zu
nehmen – unternommen werden kann?
U
Wir werden
das rechtlich stringent verfolgen. Ich kann Ihnen aber
noch kein Ergebnis mitteilen.
Nun rufe ich die
Frage 33 des Kollegen Max Straubinger auf:
Wie hoch ist der zu erwartende Mehraufwand für Kommu-nen und karitative Verbände durch die neue Sozialversiche-rungspflicht für Aufwandsentschädigungen bei ehrenamtlich Tä-tigen, wie z.B. bei Führungskräften bei der freiwilligen Feuer-wehr oder Führungskräften in karitativen Einrichtungen , gegenüber der früheren Pauschalversteuerungsmöglichkeit?
Frau Staatssekretärin, bitte.
U
Herr KollegeStraubinger, bei den angesprochenen Tätigkeiten für diefreiwillige Feuerwehr oder für karitative Einrichtungenin den Kommunen handelt es sich in der Regel um Ne-benbeschäftigungen, die nach dem Melderecht der Sozi-alversicherung nicht gesondert erfasst werden.Für Personen, die eine Aufwandsentschädigung biszur Höhe des steuerlichen Freibetrags erhalten, wird ü-berhaupt keine Meldung abgegeben. Da die Anzahl derbetroffenen Personen aus diesen Gründen nicht bekanntist, lässt sich keine Aussage über mögliche Änderungendes Aufwandes für die Kommunen und karitativen Ver-bände treffen.Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
Metadaten/Kopzeile:
7382 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Nur zu Ihrer Information, aber sicher wissen Sie dies:Soweit es sich um nebenberufliche Tätigkeiten im Sinnevon § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes – dieswird umgangssprachlich als Übungsleiterpauschale be-zeichnet – handelt, sind ab dem Jahr 2000 Einnahmenbis 3 600 DM pro Kalenderjahr steuerfrei; der Betragpro Monat ist von 200 DM auf 300 DM angehoben wor-den. Auf diesen Betrag werden auch keine Sozialversi-cherungsbeiträge erhoben. Nach der bisherigen Rege-lung waren es nur 2 400 DM pro Kalenderjahr.
Erste Zusatzfrage,
bitte sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, Ihrer Antwort entnehme ich, dass Sie nicht die Auf-
fassung der Bundesversicherungsanstalt, der Landesver-
sicherungsanstalten und der Spitzenverbände der Kran-
kenkassen vertreten, die sich in der Sitzung am 16. und
17. November 1999 darauf geeinigt haben, dass es sich
bei den Kreisbrandräten, Stadtbrandräten, Kreisbrandin-
spektoren und Feuerwehrdienstleistenden um ein abhän-
giges Beschäftigungsverhältnis mit den Kommunen
handelt und deshalb für die Aufwandsentschädigungen
eine Sozialversicherungspflicht besteht.
U
Herr Strau-
binger, da muss ich passen. Der Vorgang, den Sie gera-
de dargestellt haben, ist mir nicht bekannt. Ich kann Ih-
nen deshalb keine sachgerechte Antwort geben. Ich bitte
um Ihr Verständnis; ich werde Ihnen die Antwort
schriftlich mitteilen.
Zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregie-
rung aufgrund ihrer Auffassung bereit, im Rahmen ihrer
Aufsichtspflicht und sonstigen Möglichkeiten auf die
Versicherungsanstalten hinzuwirken, dass es nicht zu ei-
ner Sozialversicherungspflicht, die von diesen Anstalten
bejaht wird, kommt?
U
Herr Strau-
binger, ich werde diesen Vorgang prüfen lassen. Ich
kann jetzt keine Erklärungen dazu abgeben. Ich bitte um
Ihr Verständnis.
Dann rufe ich die
Frage 34 des Kollegen Straubinger auf:
Ist nach Ansicht der Bundesregierung zu erwarten, dass durch diese zusätzliche Kostenbelastung das ehrenamtliche En-gagement bei den freiwilligen Feuerwehren bzw. den karitativen Einrichtungen nachlässt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
U
Die Bundes-
regierung ist nicht der Meinung, dass das ehrenamtliche
Engagement bei der freiwilligen Feuerwehr und bei kari-
tativen Einrichtungen nachlässt.
Erste Zusatzfrage,
bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, angesichts Ihrer vorhergehenden Antwort habe ich
keine andere Antwort erwartet. Gehen wir aber einmal
davon aus, dass sich die Auffassung der Bundesversi-
cherungsanstalt, der Landesversicherungsanstalten und
der Spitzenverbände der Krankenkassen durchsetzt und
damit ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bejaht
wird. Kann dies nicht große Auswirkungen auf die Aus-
übung und Übernahme eines solchen Ehrenamtes ha-
ben? Denn zum Beispiel dürften Rechtsanwälte, die hier
sicherlich engagiert sind, Nebentätigkeiten nicht durch-
führen, und möglicherweise sind viele Personen nicht
bereit, solche Formalien und Hindernisse auf sich zu
nehmen.
U
Herr Strau-
binger, bei der Bedeutung zum Beispiel der freiwilligen
Feuerwehr würde ich das sehr bedauern. Ich denke, wir
müssen dies sorgfältig prüfen. Im Moment wäre es spe-
kulativ, auf Ihre Vermutungen zu antworten.
Nun rufe ich die
Frage 35 der Kollegin Birgit Schnieber-Jastram auf:
Welche Gesetzesänderungen plant die Bundesregierung in Umsetzung der gemeinsamen Erklärung der Spitzenvertreter von Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit vom 9. Januar 2000, um ein vorzeitiges Ausscheiden langfristig Versicherter aus dem Erwerbsleben zu ermöglichen, für den Fall, dass die Ta-rifvertragsparteien in künftigen Tarifverhandlungen in diese Richtung zielende Vereinbarungen treffen sollten?
Frau Staatssekretärin, bitte.
U
Frau KolleginSchnieber-Jastram, die Bundesregierung wird sorgfältigbeobachten, ob und in welcher Form die Tarifpartner inkünftigen Tarifverhandlungen Vereinbarungen zur Um-setzung der in der gemeinsamen Erklärung des „Bünd-nisses für Arbeit“ angesprochenen Möglichkeiten für einbeschäftigungswirksames vorzeitiges Ausscheiden älte-rer Arbeitnehmer treffen werden. Werden Tarifvereinba-rungen mit dieser Zielsetzung getroffen und führen dieseVereinbarungen, wie in der gemeinsamen Erklärung ge-fordert, zu keinen zusätzlichen Belastungen für die So-zialversicherungen, dann wird die Bundesregierungrechtzeitig prüfen, welche gesetzgeberischen Konse-quenzen sich daraus ergeben, und dem Gesetzgeber, alsodem Bundestag, entsprechende Vorschläge vorlegen.Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7383
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 36 der Kollegin Schnieber-
Jastram auf:
Ist von der gemeinsamen Erklärung der Spitzenvertreter von Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften im Rahmen des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähig-keit vom 9. Januar 2000 auch die Möglichkeit der Einführung des Modells der „Rente mit 60“ umfasst?
U
Frau Schnie-
ber-Jastram, in der gemeinsamen Erklärung werden die
Tarifpartner aufgefordert – so wörtlich –, „differenzierte
und branchenbezogene“ Regelungen anzustreben. Be-
rücksichtigt man ferner, dass die gemeinsame Erklärung
auch auf das Erfordernis der Finanzneutralität solcher
Regelungen für die Sozialversicherung hinweist – ich
habe das schon in meiner Antwort auf Ihre erste Frage
angesprochen –, dann kann es nicht Aufgabe der Bun-
desregierung sein, jetzt eine Vorauswahl an denkbaren
Möglichkeiten für ein beschäftigungswirksames vorzei-
tiges Ausscheiden älterer Arbeitnehmer zu treffen.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin.
Frau
Staatssekretärin, wie beurteilt die Bundesregierung in
diesem Zusammenhang Empfehlungen der Europäi-
schen Kommission und das Gutachten des Sachverstän-
digenrates zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung, in denen sehr deutlich steht, dass Rege-
lungen, die den Vorruhestand begünstigen, vermieden
werden sollten?
U
Die Ge-
sprächspartner im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit“
haben sich ja dafür ausgesprochen, dass Möglichkeiten
geschaffen werden sollen, damit ältere Arbeitnehmer
vorzeitig ausscheiden können. Das soll bei hoher Diffe-
renzierung zwischen Branchen und Regionen erfolgen;
das soll finanzneutral für die Rentenversicherung erfol-
gen. Ich denke, wir sollten abwarten, was sich in diesem
Bereich in den Tarifverträgen tatsächlich realisieren
lässt.
Eine weitere Zwi-
schenfrage? – Bitte sehr.
Frau
Staatssekretärin, hält die Bundesregierung ein Ausschei-
den älterer Arbeitnehmer, eine Vorruhestandsregelung –
auf welche Art und Weise auch immer – wirklich für
möglich, ohne dass die Rentenversicherungsträger damit
belastet werden?
U
Das ist die
Voraussetzung dafür, dass die Bundesregierung entspre-
chende rechtliche Rahmenbedingungen schafft.
Nun kommt die Fra-
ge 37 des Abgeordneten Thomas Strobl:
Welche Gesetzesänderungen will die Bundesregierung in Umsetzung der gemeinsamen Erklärung im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit vom 9. Januar 2000 im Rahmen des Altersteilzeitgesetzes vornehmen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
U
Herr Kollege
Strobl, ich darf die beiden von Ihnen gestellten Fragen
vielleicht zusammen beantworten?
Sind Sie einverstan-
den? – Dann rufe ich auch die Frage 38 des Abgeordne-
ten Thomas Strobl auf:
Welche der von der Bundesregierung im Rahmen der Sit-zung des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbs-fähigkeit am 9. Januar 2000 in Aussicht gestellten Gesetzesände-rungen sollen befristet gelten und über welchen Zeitraum soll sich diese Befristung erstrecken?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
U
Die Bundes-regierung prüft derzeit, welche Änderungen am Alters-teilzeitgesetz zur Verwirklichung der in der gemeinsa-men Erklärung des Bündnisses für Arbeit, Ausbildungund Wettbewerbsfähigkeit vereinbarten Ziele in Betrachtkommen. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.Ich bitte daher um Verständnis, wenn ich mich zum jet-zigen Zeitpunkt zu den Details noch nicht äußern kann.Sie haben noch danach gefragt, welche Änderungenim Altersteilzeitgesetz zum 1. Januar 2000 wirksamwerden. Die wichtigsten Punkte sind, dass teilzeitbe-schäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Al-tersteilzeit gehen können, dass bei der Wiederbesetzungeiner Stelle für kleine und mittlere Betriebe Erleichte-rungen in Bezug auf die Förderung durch das Ar-beitsamt geschaffen wurden, sodass kleine und mittlereUnternehmen mit bis zu 50 Arbeitnehmern auch dannFördergelder vom Arbeitsamt erhalten, wenn sie mit denneuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht konkretdie durch Altersteilzeit frei gewordene Stelle neu beset-zen, sondern sie vielmehr an anderer Stelle im Unter-nehmen einsetzen. Das war immer wieder eine Forde-rung von kleinen und mittleren Unternehmen, damit siedie Möglichkeiten der Altersteilzeit für ihre Beschäftig-ten auch nutzen können. Bei Arbeitgebern mit mehr als50 Beschäftigten ist nunmehr der Nachweis einer Um-setzungskette zwischen Mitarbeitern in Altersteilzeit undden neu eingestellten Kräften nicht mehr zwingend er-forderlich. Förderleistungen können bereits dann bezahltwerden, wenn für einen in Altersteilzeit gehenden Mit-arbeiter ein anderer in seinen Aufgabenbereich nach-rückt und im selben Funktionsbereich eines Unterneh-mens jemand eingestellt wird.
Metadaten/Kopzeile:
7384 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Ich denke, das ist der Versuch, das etwas weniger bü-rokratisch zu gestalten und den Beschäftigten die Chan-cen der Altersteilzeit weiter zu öffnen.
Keine Zusatzfrage
des Kollegen Strobl. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin
Mascher.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Brigitte
Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 der Kollegin Angelika Vol-
quartz auf:
Trifft es zu, dass die Wehrbereichsverwaltungen in Kiel und in Hannover zu einer gemeinsamen Wehrbereichsverwaltung in Hannover zusammengelegt werden sollen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kollegin,
es gibt keine Absichten des Bundesverteidigungsminis-
teriums oder gar des Verteidigungsministers, die Wehr-
bereichsverwaltungen Kiel und Hannover zusammenzu-
legen.
Unruhe entsteht wahrscheinlich durch die Tatsache,
dass der Bundesrechnungshof – noch zurzeit der alten
Regierung, aber auch danach – die Organisation und den
Personalbedarf der Wehrbereichsverwaltung V, Stutt-
gart, und der Wehrbereichsverwaltung VI, München, un-
tersucht. Er kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Auf-
gaben künftig von einer Wehrbereichsverwaltung wahr-
genommen werden könnten. In seiner Prüfungsmittei-
lung vom 29. März 1999 schlägt er vor, die beiden
Dienststellen zusammenzulegen. Seine Ankündigung,
weitere Prüfungen vorzunehmen, hat der Bundesrech-
nungshof bisher weder inhaltlich noch zeitlich konkreti-
siert. Wir haben daran auch kein Interesse.
Da die bestehende Behördenstruktur mit sieben
Wehrbereichsverwaltungen angesichts der Größe unse-
res Landes derzeit den Anforderungen an die Verwal-
tung der Bundeswehr sowie den Interessen der Länder
am besten entspricht und da wir zwar eine schlankere
Verwaltung, nicht aber eine zentralere Verwaltung ha-
ben möchten, wurde dem Vorschlag des Bundesrech-
nungshofs unter eingehender Darstellung der vielfältigen
fachlichen, verfahrensökonomischen und personalpoliti-
schen Gründe ausdrücklich widersprochen.
Der Bundesrechnungshof beabsichtigt allerdings, die
Angelegenheit zum Gegenstand eines Bemerkungsver-
fahrens nach § 97 der Bundeshaushaltsordnung zu ma-
chen. Somit wird das Thema im Rechnungsprüfungsaus-
schuss diskutiert werden. Ich gehe davon aus, dass ich
die Angelegenheit dort selbst vertreten kann.
Ich weiß, dass daher Unruhe auch in anderen Wehr-
bereichsverwaltungen herrscht. Aber es gibt keinerlei
Absichten, die Wehrbereichsverwaltungen in Kiel und
Hannover zusammenzulegen.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin? – Bitte sehr.
Kann ich daraus
schließen, dass der Bundeskanzler der gleichen Meinung
ist wie der Verteidigungsminister?
B
Der Bundeskanzler ist
zwar ein sehr belesener und viel wissender Mann, aber
er wird sich nicht in die Belange der einzelnen Ministe-
rien einschalten,
solange nicht einmal Pläne darüber vorliegen.
Wir haben das, was Sie vermuten, auch nicht vor.
Denn unsere Vorstellung ist nicht, dass es sinnvoll ist,
die Wehrbereichsverwaltungen zu zentrieren. Sie wissen
ja selbst, wie groß der Wehrbereich I ist, der Mecklen-
burg-Vorpommern, Hamburg und – das flächenmäßig
große – Schleswig-Holstein umfasst, und Sie wissen
auch, wie groß Niedersachsen und Bremen sind.
Vorstellungen darüber, wie man die Struktur verän-
dern kann, hat es schon in der alten Regierung gegeben
und die gibt es auch in der neuen Regierung. Es gibt
auch neue Vorstellungen hinsichtlich der Aufgaben, die
die Wehrbereichsverwaltungen und die Standortverwal-
tungen erfüllen sollen. Aber es gibt keinerlei Absichten
hinsichtlich einer Zusammenlegung dieser beiden
Wehrbereichsverwaltungen. Deswegen kann der Bun-
deskanzler gar nicht davon sprechen.
Zweite Zusatzfrage,
Frau Kollegin.
Kann ich daraus
schließen, dass der Standort Kiel gesichert ist?
B
Wenn ich das zu bestim-
men hätte, könnten Sie das daraus schließen. Aber Sie
wissen, dass wir eine Kommission unter Leitung von
Richard von Weizsäcker eingesetzt haben, die sich Ge-
danken macht über die Struktur und die Größe der Bun-
deswehr. Diese Kommission wird im März eine Vorlage
machen. Darin spielt natürlich auch die Aufgabe der zi-
vilen Verwaltung eine Rolle. Aber Sie werden mir zu-
stimmen, Frau Kollegin: Wir werden die Bundeswehr
nicht auf einige wenige Standorte zentrieren. Deswegen
ist es sinnvoll, dass auch die zivile Verwaltung dezentral
arbeitet. Ich gehe davon aus, dass die Wehrbereichsver-
waltung in Kiel erhalten bleibt.
Nun rufe ich dieFrage 40 der Kollegin Angelika Volquartz auf:Ist diese Frage zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Ministerpräsidentin Heide Simonis oder zwischen anderen Mitgliedern der Bundesregierung und der Landesregierung Schleswig-Holstein erörtert worden?Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7385
Frau Staatssekretärin.B
Diese Frage kann ich mit
einem schlichten Nein beantworten. Wenn es solche
Pläne nicht gegeben hat, dann können Bundeskanzler
Gerhard Schröder und Ministerpräsidentin Heide Simo-
nis – Gleiches gilt für andere Mitglieder der Bundesre-
gierung und der Landesregierung – das nicht erörtert ha-
ben.
Eine Zusatzfrage? –
Nein.
Dann rufe ich die Frage 41 des Kollegen Werner
Siemann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das derzeitige System der vorzeitigen Zurruhesetzung von Berufssoldaten und welche Plä-ne zur Neuregelung liegen vor?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
B
Herr Kollege Siemann,
das Personalstärkegesetz vom 31. Dezember 1991 hat
Berufsoffizieren und Berufsunteroffizieren von 1992 bis
1994 auf Antrag bei Vorliegen bestimmter altersmäßiger
Voraussetzungen eine vorzeitige Zurruhesetzung ermög-
licht. Darüber hinaus sind die besonderen Altersgrenzen
für Berufssoldaten im Zeitraum von 1993 bis 1998 um
ein Jahr herabgesetzt worden. Wie Sie wissen, ging es
darum, dass wir bei der Reduzierung des Personalum-
fangs der Bundeswehr auch die Altersstruktur vernünftig
regeln.
Seit Auslaufen dieser Regelung, die ja noch von der
alten Bundesregierung beschlossen und, wie ich meine,
von uns mitgetragen worden ist, kann ein Berufssoldat
seine vorzeitige Entlassung nur auf der Grundlage des
nach wie vor geltenden § 46 Abs. 3 des Soldatengeset-
zes verlangen. Nach dieser Regelung hängt der frühest-
mögliche Zeitpunkt der Entlassung des Soldaten von der
Dauer seiner Ausbildung oder seines Studiums ab. Er
erhält keine Versorgungsbezüge, sondern wird in der ge-
setzlichen Rentenversicherung nachversichert.
Das System entsprach bzw. entspricht den Anforde-
rungen. Es gibt deshalb zurzeit auch keinen Grund, an
eine Neuregelung zu denken.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege?
Nein.
Damit sind wir am
Ende der Fragestunde.
Es folgt um 15.30 Uhr eine Aktuelle Stunde. Bis da-
hin unterbreche ich die Sitzung.
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur Verwen-
dung und Verfassungsmäßigkeit der Benzin-
und Stromsteuererhöhungen zum 1. Januar
2000 sowie den beschlossenen weiteren Steuer-
erhöhungsstufen
Ich weise darauf hin, dass die Redezeit in der Aktuel-
len Stunde auf fünf Minuten begrenzt ist.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Seiffert das Wort.
Frau Präsidentin! Meineverehrten Damen und Herren! Gegen unseren eindring-lichen Rat und gegen jede ökologische und ökonomischeVernunft hat die rot-grüne Regierung ihren Ökosteuer-irrweg fortgesetzt.
Wir haben im Finanzausschuss und im Plenum desDeutschen Bundestages mit großem Nachdruck vor denFolgen dieser ausschließlich ideologisch veranlasstenBenzin- und Strompreiserhöhung gewarnt.
Wir haben zuletzt bei der Verabschiedung im Deut-schen Bundestag auch die Frage der Verfassungsmäßig-keit dieser ungerechtfertigten Steuererhöhungen deutlichangesprochen.
Sie haben das, was insbesondere in den Gutachtender Herren Professoren Schön und Herdegen ausführlichdargelegt worden ist und was dort zu Verfassungsver-stößen gesagt worden ist, in den Wind geschlagen. Es hat Sie nicht interessiert, dass mit diesen Steuerer-höhungen allgemeine Verfassungsprinzipien verletztund die Grundrechte der Unternehmen auf Gleichheitund Berufsfreiheit ziemlich offensichtlich verletzt wor-den sind.Bis heute haben Sie keine Genehmigung der EU fürdie vorgesehenen Ausnahme- und Subventionstatbe-stände.
Es ist handwerklich schlampig und unverantwortlich,aufgrund eines solchen schon zum 1. Januar 2000 nurteilweise in Kraft getretenen Gesetzes bei den Bürgernabzukassieren.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
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7386 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Sie haben den Autofahrern zum neuen Jahr ein schö-nes Geschenk gemacht: Innerhalb weniger Tage ist derBenzinpreis um bis zu 20 Pfennig geklettert.
Natürlich hat die Ökosteuer dabei nur 6 bis 7 Pfennigausgemacht. Aber Sie brauchen sich doch nicht zu wundern, wenndie Mineralölkonzerne versuchen, im Windschatten die-ser Ökosteuererhöhung weitere Preiserhöhungen durch-zusetzen. Ich sage Ihnen jetzt schon, das wird auch beiden nächsten drei Stufen so sein. Sie haben dies zu ver-antworten.
–
Lachen bei Abgeordneten der SPD)Ich halte es für besonders scheinheilig, wenn sich dar-über gerade der Umweltminister lautstark aufregt. DerHerr Trittin müsste sich doch darüber freuen; denn sokann er schneller als bisher gedacht sein nie aufgegebe-nes Ziel, 5 DM für den Liter Benzin zu verlangen, errei-chen.
Aber das, was Sie den Menschen, die als Pendler auf ihrAuto angewiesen sind und all denen, die nicht aufDienstwagen zurückgreifen können, damit antun, hättenSie sich vorher überlegen müssen.
Die Ökosteuer frisst sämtliche Entlastungen, die sichdurch die Liberalisierung der Strommärkte ergeben ha-ben.
– Ich habe nicht von den Lohnnebenkosten, sondern vonden Wohnnebenkosten gesprochen.
– Sie, Herr Schlauch, sollten nicht lautstark dazwischen-rufen, sondern besser zuhören.
Dies gilt im Übrigen auch für die Kommunen. In al-len Bereichen, die auf Energie angewiesen sind – vomSchwimmbad bis zu den Sporthallen und Kläranlagen,-vergrößern sich entweder die Defizite oder die Beiträgeund Gebühren erhöhen sich. Dies trifft insbesondere diefinanzschwachen Gemeinden, auch in den neuen Bun-desländern. Im Übrigen wirkt sich die Ökosteuer in Ostdeutsch-land geradezu zynisch aus. Die Angleichung der Löhnein Ost und West ist längst noch nicht erreicht und wirdwohl so schnell auch nicht möglich sein. Der Pendleran-teil ist in den neuen Ländern besonders hoch. Die Ar-beitswege sind dort oft länger als im Westen. Die Öko-steuer belastet also den Standort Ostdeutschland undwird ihn weiter benachteiligen, statt ihm zu helfen.
Dass für viele Bereiche der Wirtschaft, insbesonderefür den Handel, für die Landwirtschaft und für die Be-triebe des Güterkraftverkehrs, die Energie-steuererhöhungen existenzgefährdend sind, ist eine trau-rige Tatsache. Es ist schlimm, dass Sie dies ignorieren.Für den weiteren Verlust von Arbeitsplätzen trägt dieserot-grüne Regierung, tragen Sie von SPD und Grünenmit die Verantwortung. Deshalb fordern wir Sie mitNachdruck auf: Stoppen Sie wenigstens die weiterenStufen dieser Ökosteuerreform, –
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.
– bevor diese vom Bun-desverfassungsgericht einkassiert wird und bevor Siedem Wirtschaftsstandort Deutschland und den Men-schen noch weiteren Schaden zufügen! Danke schön. Heinz Seiffert
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7387
Das Wort hat der
Staatssekretär Karl Diller.
K
Frau Präsidentin! Es fällt schwer, demKollegen Seiffert zuzuhören, wenn er durch eine An-sammlung von wilden Rundumschlägen, Halbwahrhei-ten und glatten Unwahrheiten versucht, einen Popanzaufzubauen.
Ich möchte das deutlich sagen, Herr Kollege Seiffert:Ich fordere Sie auf, Ihre unwahren Behauptungen zu-rückzunehmen.
Erstens. Das, was wir durch die Ökosteuer einnehmen,wird mitnichten zum Stopfen von Haushaltslöchernverwendet, sondern kommt ausschließlich der Renten-versicherung zugute.
Zweitens. Es wird behauptet, wir hätten eine Preis-steigerung ausgelöst. Im Unterschied zu Ihnen wohneich an der Grenze zu Luxemburg. In Luxemburg gibt eskeine Ökosteuer. Gleichwohl sind aufgrund des Kurs-verhältnisses zwischen Dollar und Euro und aufgrundder damit zusammenhängenden Verteuerungen sowieaufgrund des Funktionierens des Ölkartells auch in Lu-xemburg - parallel zu unseren Preisen – die Benzinprei-se entsprechend drastisch gestiegen.
Wir bitten, das sorgfältig auseinander zu halten.Im Übrigen wollen Sie sich jetzt offenkundig aktivdaran beteiligen, sich auch inhaltlich von Ihrem Frakti-onsvorsitzenden zu distanzieren. Ihr - noch amtierender- Fraktionsvorsitzender hat gesagt:
Der Einsatz des Faktors Arbeit muss durch eineSenkung der Lohnzusatzkosten relativ verbilligtwerden, der Energie- und Rohstoffverbrauch durcheine schrittweise Anpassung der Energiepreise rela-tiv verteuert werden. Beides muss zu einer auf-kommensneutralen Lösung intelligent verbundenwerden. So lautet die Aufgabe.Wörtliches Zitat von Herrn Schäuble,
vorgetragen am 20. September 1997 in Ingolstadt wäh-rend eines Grundsatzreferats. Exakt das setzen wir mitunserer Ökosteuer jetzt um.
Wir haben erreicht, dass mit der ersten Stufe der Bei-tragssatz in der Rentenversicherung um0,8 Prozentpunkte gesunken ist. Damit konnten dieLohnnebenkosten von 42,3 Prozent auf 41,5 Prozent ge-senkt werden und der Faktor Arbeit wurde entlastet. Mitdem Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerre-form in vier maßvollen Schritten – 6 Pfennig pro LiterKraftstoff und einem halben Pfennig pro Kilowatt Strom– wollen wir unsere Anstrengungen fortsetzen. Wir wol-len dazu kommen, dass der Beitragssatz in der Renten-versicherung um einen weiteren Prozentpunkt gesenktwerden kann. Das ist unsere Zielsetzung. Wir werdendas erreichen und wir werden uns von dem, was Sie sa-gen, nicht beirren lassen.
Verschiedene Interessenverbände haben nun ange-kündigt, gegen die Ökosteuer Verfassungsbeschwerdeeinzulegen. Dem Vernehmen nach ist inzwischen eineerste beim Verfassungsgericht eingegangen. Es ist abernoch völlig offen, ob überhaupt und – falls ja – wanndas Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung auf-fordert, zu dieser Verfassungsbeschwerde eine Stellung-nahme abzugeben. Uns sind die Bedenken der Branchenvertreter be-kannt. Wir bewerten die Erfolgsaussichten dieser Be-schwerde als ganz gering; denn es handelt sich sowohlbei der Mineralölsteuer als auch bei der Stromsteuer umVerbrauchsteuern im Sinne des Art. 106 Abs. 1Nr. 2 des Grundgesetzes, für die dem Bund gemäßArt. 105 Abs. 2 die Gesetzgebungskompetenz zusteht.An dieser Stelle möchte ich als Fußnote noch erwähnen:Ihre Regierungskoalition hat einmal zugunsten der Ren-tenversicherung die Mehrwertsteuer um einen Prozent-punkt angehoben.
Die Verbrauchsteuereigenschaft der Mineralölsteuerist von der Rechtsprechung anerkannt. Auch für dieStromsteuer gilt nichts anderes. Die Belastung soll überden Strompreis vom Letztverbraucher getragen werden;somit ist sie auf Überwälzung angelegt. Die verfas-sungsrechtlich erforderliche Möglichkeit der Überwäl-zung der Stromsteuer durch den Stromversorger ist ge-geben.Auch die Verwendung des Steueraufkommens für dieSenkung der Rentenversicherungsbeiträge stellt diegrundsätzliche Ausrichtung der Stromsteuer auf Über-wälzung auf den Letztverbraucher nicht infrage. DasAufkommen fließt zwar zunächst in den Bundeshaus-Heinz Seiffert
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7388 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
halt, aber es geht voll – das unterstreiche ich noch ein-mal – in die Rentenkasse ein. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, neben derEinnahmeerzielung mit Steuern auch außerfiskalischeZielsetzungen zu verfolgen, beispielsweise in diesemFall die Entlastung der Arbeitskosten zulasten der Ener-giekosten. Die finanzpolitische Entscheidung ist einefreie Entscheidung des Gesetzgebers und hat auf die ver-fassungsrechtliche Einordnung der Regelungen als Steu-ern keinen Einfluss. Mit dem Konzept der ökologischenSteuerreform stellt sich die Bundesregierung ihrer um-weltpolitischen Verantwortung für die künftige Genera-tion. Wir senden auch positive Signale für den Arbeits-markt.
Sie waren der Meinung, auf das verfassungsrechtlicheGutachten der Professoren Schön und Herdegen einge-hen zu müssen. Die Ausführungen der Gutachter sindaus verfassungsrechtlicher Sicht unserer Auffassungnach nicht haltbar. In dem Gutachten werden nämlichzahlreiche ganz entlegene Aufsätze und politische Sta-tements angeführt. Die maßgebende Rechtsprechung desBundesverfassungsgerichts wird jedoch nicht einmal an-satzweise hinreichend ausgewertet. Dies gilt insbesonde-re für die weit reichende wirtschaftspolitische Gestal-tungsbefugnis des Gesetzgebers. Deswegen: Wir sindguten Mutes, das Richtige zu tun, und wir vertrauen aufdie Unterstützung der Koalitionsfraktionen.
Ich erteile dem Ab-
geordneten Dr. Otto Solms, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Mit dem Begriff Ökosteuer diffamieren Sie den Begriffder Ökologie.
Ökologisch ist an dieser Steuer gar nichts. Wenn Sie ei-nen ehrlichen Begriff hätten wählen wollen, hätten Siesie Rentensteuer nennen müssen, denn es handelt sichum eine Steuererhöhung zur Finanzierung der Renten-versicherung.
– Das wäre ehrlich, aber das ist nicht Ihre Absicht. - Sieversuchen Ihre wahre Absicht mit dem Begriff Ökosteu-er zu verschleiern.
Diese Ökosteuer ist handwerklich schon schlecht ge-macht und in mehreren Punkten rechts- bzw. verfas-sungswidrig.
Erstens ist es doch eindeutig so, dass aufgrund derAusnahmeregelungen Unternehmen unterschiedlich ent-lastet werden, obwohl sie gleich hohen Energie-verbrauch haben. Das produzierende Gewerbe erfährteine relative Entlastung, das Dienstleistungsgewerbe,welches gleichwohl hohe Energielasten zu tragen hat,erfährt diese Entlastung nicht. Gleiches wird ungleichbesteuert. Das ist ausgesprochen verfassungswidrig. Daswerden Sie ändern müssen und Sie werden es, wie manschon hört, vermutlich ja auch ändern.
Das Zweite ist die Zweckbindung für die Finanzie-rung der Rentenversicherung. Sie haben sie ja nicht insGesetz geschrieben, weil Sie wissen, dass das verfas-sungswidrig ist, aber Sie haben damit eine politischeZweckbindung verbunden,
die so eindeutig ist, dass es zumindest verfassungspoli-tisch unakzeptabel ist, was Sie da machen,
unabhängig davon, dass es in der Sache völlig verfehltist, auf diese Weise einschneidende Maßnahmen im Zu-ge einer Rentenreform umgehen zu wollen, um sich anden Konsequenzen vorbeizumogeln.Drittens hatten Sie zugesagt – das steht ja in IhremGesetz drin –, dass die beihilferechtliche Genehmigungvon europäischer Seite erteilt sein muss, bevor es inKraft tritt.
Ich habe nicht gehört, dass diese Genehmigung erteiltworden sei. Gleichwohl haben Sie dieses Gesetz In-Kraft-Treten lassen. Dies scheint mir zumindest europa-rechtlich
nicht einwandfrei zu sein.
Auch hier möchten wir hören, wie die Bundesregierungdiesen Zusammenhang beurteilt. Schließlich ist diese Ökosteuer auch noch ausgespro-chen ungerecht, weil sie die Betroffenen völlig ungleichbelastet: Hausfrauen, Rentner, Beamte, Schüler, Studen-ten, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose haben über-haupt nichts von der Entlastung.Parl. Staatssekretär Karl Diller
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7389
Sie müssen zusätzliche Kosten tragen, ohne einen Pfen-nig Entlastung aufgrund geringerer Beiträge zur Renten-versicherung zu bekommen. Darüber hinaus belasten Siedie Leute – das sind mit die Fleißigsten in unserem Lan-de –, die es auf sich nehmen, weite Strecken zwischenWohnung und Arbeitsstätte zurückzulegen, um arbeitenzu können.
Diese belasten Sie überproportional. Um im Rhein-Main-Gebiet, der Region, aus der ich komme, arbeitenzu können, pendeln die Menschen teilweise über 100 Ki-lometer hin und 100 Kilometer zurück.
Deren Entlastung ist überhaupt nicht adäquat. So be-lasten Sie gerade die Fleißigsten unter den Arbeitneh-mern überproportional. Das ist ebenfalls sozial un-gerecht.
Für mich ist es das Groteskeste,
dass Sie ja viel vernünftigere Ideen haben. Man mussdafür ja nur einmal in das Wahlprogramm der Grünenoder in den Koalitionsvertrag schauen, denn selbst dieGrünen haben ja überlegt, ob es nicht sinnvoll wäre, imGegenzug die Kfz-Steuer zu senken oder abzuschaffen.Diesen Vorschlag hat die F.D.P. schon vor 20 Jahrenformuliert. Warum haben Sie es nicht getan?
Die SPD hat im Koalitionsvertrag festgelegt, dass dieKilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängigeEntfernungspauschale umgewandelt werden soll. Das istebenfalls ein sehr vernünftiger Vorschlag. Beide Vor-schläge haben wir hier im letzten Jahr in Form eines Ge-setzentwurfes eingebracht. Sie haben ihn mit IhrerMehrheit abgelehnt. Das ist kein ehrliches Verhalten,zumal das ja im Wahlprogramm steht. Sie könnten dieses falsche Gesetz jetzt noch in derForm korrigieren, dass Sie die Kfz-Steuer bei der nächs-ten Anhebung im gleichen Volumen senken. Dann wür-den nämlich die gleichen Personengruppen entlastet, dieSie mit der Ökosteuer belasten. Trotzdem bliebe einökologischer Anreiz erhalten.
Ich sehe es Ihnen ja an, dass Sie diese Vorschläge fürrichtig halten,
aber leider konnten Sie sich nicht darauf einigen.Wenn das nicht der Fall wäre, wäre ja das, was in IhremWahlprogramm steht, überflüssig.
Herr Schlauch, Sie reden ja nach mir: Sagen Sie ehr-lich, dass Sie das Wahlprogramm falsch formuliert ha-ben, oder bekennen Sie sich zu Ihrem Wahlprogrammund verhalten sich auch hier im Bundestag so. Davorkönnen Sie sich dann nicht drücken.
Diese so genannte Ökosteuer, diese Rentensteuerbringt viele Nachteile und Ungerechtigkeiten mit sich,aber keine Vorteile, erst recht keine ökologischen. Des-halb ist sie abzulehnen. Zumindest darf man Sie auffor-dern, sie in der Weise, wie ich vorgeschlagen habe, zukorrigieren.Vielen Dank.
Ich erteile dem Vor-
sitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Rezzo
Schlauch, das Wort.
Herr Kollege Solms, ich bekenne mich nicht
zum Wahlprogramm und ich bekenne mich nicht zurÖkosteuer, weil ich mich im Deutschen Bundestag nichtbekenne. Man bekennt sich in der Kirche; ein Bekennt-nis gibt es im religiösen Kontext. Ich kann nur sagen:Ich glaube,
nachdem Sie an der Tankstelle etwas zu viel Benzin ein-geatmet haben, sind Ihre Sinne vernebelt.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass Sie –das gilt auch für viele aus der CDU –, in der Haushalts-beratung 1995 die Ökosteuer als eine durchaus gute Ideebezeichnet und gesagt haben, man müsse daran denken,sie einzuführen. Allerdings haben Sie diesbezüglichnichts getan; das gilt für die gesamte damalige Koaliti-on.Es gibt Legionen von Zitaten des Herrn Schäuble zurÖkosteuer. Beispielsweise hat er gesagt, dass es „öko-Dr. Hermann Otto Solms
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7390 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
nomisch und ökologisch sinnvoller ist, im Mix der Pro-duktionsfaktoren menschliche Arbeit billiger zu machenund im Gegenzug den Verbrauch von Rohstoffen undEnergie zu verteuern“, also genau den Zusammenhangherzustellen, den wir hergestellt haben. Damit ist HerrSchäuble ebenfalls für eine Energiesteuer eingetreten.
Oder denken Sie an die ehemalige UmweltministerinMerkel! Sie hat auf der Rio-Nachfolgekonferenz in Ber-lin die Vertreter der anderen Nationen von der Einfüh-rung einer Ökosteuer überzeugen wollen. Sie hat sichaber mit ihrer richtigen Idee der Ökosteuer nicht gegenBDI, BASF, F.D.P., CSU und Herrn Kohl durchgesetzt.Sie hat sich in Kioto im Land der aufgehenden Sonne –das habe ich mir von unseren Delegationsteilnehmernerzählen lassen –
die Nächte um die Ohren geschlagen, um die anderenIndustrieländer von der Ökosteuer zu überzeugen. Heuteaber wollen Sie alle davon nichts mehr wissen. Ich ver-stehe nicht, woher dieser Sinneswandel kommt.
Meine Damen und Herren von der CDU, 30 JahreÖkobewegung, 30 Jahre das Bewusstsein der Begrenzt-heit der natürlichen Lebensgrundlagen und die zuneh-mende Bereitschaft der Menschen, sich umweltbewusstzu verhalten, sind an Ihnen spurlos vorübergegangen.
Das geht so weit, dass Ihr Spitzenkandidat Rühe inSchleswig-Holstein davon redet, er möchte eine zehn-jährige Pause für die Umwelt. Angesichts dessen kannich Sie nur fragen: Glauben Sie, Herr Seiffert, dass auchder Schwarzwald, der halb am Boden liegt, eine zehn-jährige Pause will? Ich glaube es nicht.
Man darf Politik nicht nur bis zum Ende des Tagesgestalten. Der Orkan „Lothar“ war ja nicht nur eine öko-logische Katastrophe, sondern auch eine ökonomischeKatastrophe. Allein die Waldschäden machen1,5 Milliarden DM aus. Sie aber diskreditieren den Ge-danken, den Ressourcenverbrauch über den Preis zuvermindern. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ichlasse Sie da überhaupt nicht heraus. Ich bin nicht des-halb zornig – –
– Hören Sie doch auf, Herr Voralpen ...! Wie war dasnoch? Ich sage es jetzt nicht.
Ich bin nicht deshalb zornig, Herr Seiffert, weil dieseKampagne gegen die Grünen und gegen wen auch im-mer gerichtet ist, sondern deshalb, weil sich Ihre Kam-pagne gegen den Erhalt der natürlichen Lebensgrundla-gen und gegen die Bewahrung der Schöpfung richtet.Das ist die Wahrheit!
Wenn Sie es nicht glauben, dann lassen Sie es sichvon den deutschen Bischöfen sagen. Die haben völligrichtig formuliert: Die Menschheit hat nur Zukunft,wenn die Schöpfung Zukunft hat. - Sie aber haben denUmweltgedanken und den Erhalt der Schöpfung voll-kommen aus Ihrer Gedankenwelt getilgt. Sie bedienennur noch billige Stimmungen, die es in der Bevölkerungnatürlich gibt. Ich gebe Ihnen gerne darin Recht, dassman sich damit auseinander setzen muss, aber nicht so,wie Sie es tun.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Zum Schluss. Herr Seiffert, wer selbst keinerlei Konzep-
te vorlegt – das haben Sie weder in Ihrer Regierungszeit
noch in der Opposition getan –, der hat meiner Meinung
nach das Recht auf eine seriöse Diskussion verwirkt. Ihr
Beitrag hat daran nichts geändert. Ich lade Sie ein, am
nächsten Montag zusammen mit mir den Schwarzwald
zu besuchen und Ihre Anhänger vor Ort zu befragen, die
mit Sicherheit von der Ökosteuer eine andere Meinung
haben als Sie.
Danke schön.
Liege Kolleginnenund Kollegen, ich denke, der Begriff Brüllaffe ist nichtganz parlamentarisch.
– Zuruf von der
CDU/CSU: Nicht ganz!)– Ich möchte mit diesem Hinweis sanft ankündigen, dassich diesen Begriff das nächste Mal rügen werde.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Ostrowski.Rezzo Schlauch
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7391
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Abgesehen von dem Begriff
Brüllaffe gibt es ein altes Sprichwort, Herr Schlauch,
das heißt: Wer schreit, dem fehlt es an Argumenten.
Jetzt komme ich zum Thema. Wer kraft seiner Mehr-
heit und taub für jegliches Argument eine zutiefst unso-
ziale Ökosteuer beschließt, der es an ökologischer Len-
kungswirkung mangelt,
der muss sich nicht wundern, wenn Betroffene den
Rechtsweg beschreiten. Ganz so ohne sind die Klagen
nämlich nicht, die in Vorbereitung sind oder die in
Karlsruhe schon vorliegen.
– Brüllen Sie einmal nicht! Vielleicht schaffen Sie das
ja!
Es geht doch erstens um die Verletzung des Gleich-
heitsgrundsatzes. Die Ökosteuer verletzt natürlich den
Gleichheitsgrundsatz; denn manche sind privilegiert und
manche nicht.
Man muss nicht Mathematikprofessor sein, um dies
festzustellen. Manche Regierungspolitiker scheinen aber
nicht einmal mehr das kleine Einmaleins beherrschen zu
können.
In Karlsruhe – auch das muss ich sagen – klagen
Verbände, die Macht, Einfluss und Geld haben, um
Rechtsanwälte zu bezahlen und Gutachten erstellen zu
lassen. Ihnen geht es natürlich darum, dass sie entweder
in den Genuss der gleichen Vergünstigung wie andere
Industriebranchen kommen oder dass die Ökosteuer alle
Industriezweige gleichermaßen belastet.
Wer aber in Karlsruhe nicht klagt, sind die Studentin
Frau Schulze, die Rentnerin Frau Müller und der Sozial-
hilfeempfänger Herr Meier. Sie haben nämlich weder
Macht und Einfluss noch Geld, um Rechtsanwälte zu
bezahlen.
Diese Bevölkerungsgruppen gehören aber hinsichtlich
der Ökosteuer zu den unterprivilegiertesten Gruppen.
Sie zahlen nämlich diese Steuer zu 100 Prozent, ihre
Entlastung ist aber gleich null. Das ist Fakt; man braucht
gar nicht darum herumzureden.
Unterprivilegiert, meine Damen und Herren von der
Koalition, sind auch Familien mit geringem Einkom-
men. Rechnet man nämlich, falls Sie das noch können,
Steuererhöhung und die Entlastung durch das Sinken der
Rentenversicherungsbeiträge gegen, dann weiß man,
dass Familien mit drei Kindern und einem Pkw umso
mehr belastet werden, je weniger sie verdienen. Eine
dreiköpfige Familie mit einem Auto müsste monatlich
mindestens 7.500 DM sozialversicherungspflichtiges
Einkommen haben, um in den Genuss einer Entlastung
zu kommen.
Um auch das noch einzuflechten: Diese Familie kann
nicht auf ihr Auto verzichten, solange Mutter oder Vater
noch in Lohn und Brot stehen; denn fast alle, die einen
Beruf ausüben, sind darauf angewiesen, von Ort zu Ort
oder sogar von Land zu Land zu pendeln. Ich muss Ih-
nen nichts über den ÖPNV in der Fläche und seine Tari-
fe erzählen. Der Hinweis, man könne ja vom Auto auf
den öffentlichen Nahverkehr umsteigen, zeigt keine Al-
ternative auf; denn auch der öffentliche Nahverkehr wird
netto – und zwar steigend – durch die Ökosteuer be-
lastet.
– Wenn Sie die Antworten der Bundesregierung nachle-
sen würden, dann würden Sie die Zahlen kennen: 1999
betrug die Nettobelastung 26 Millionen DM; im Jahre
2003 wird sie 151 Millionen DM betragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind die
energieintensiven Unternehmen im produzierenden Ge-
werbe,die Sie privilegieren – Herr Schlauch, man hat
wahrhaftig den Eindruck, weil Sie hier so gebrüllt ha-
ben, dass es Ihnen bei dieser Ökosteuer nicht um die
Umwelt geht, sondern um Geldeinnahmen –, die Sie be-
vorteilen; denn diese bekommen durch die Möglichkei-
ten,die das Gesetz bietet, 96 Prozent der Stromsteuer,
die über 1000 DM hinaus zu zahlen ist, rückerstattet und
partizipieren gleichzeitig unbegrenzt an der Senkung der
Lohnnebenkosten. Kleine und mittelständische Betriebe,
die um 1000 DM herumpendeln, gucken in den Mond.
Wo ist da, bitte schön, der Gleichheitsgrundsatz beach-
tet?
Die Nettoentlastung der Wirtschaft, meine Damen
und Herren, beträgt schon in der ersten Stufe zirka
3 Milliarden Mark und wird auf zweistellige Milliarden-
summen anwachsen. Die Steuer – so sagen Experten –
wird letzten Endes zu mehr als zwei Dritteln von priva-
ten Haushalten aufgebracht, aber nur ein Drittel wird
über die Senkung der Rentenbeiträge dorthin zurückflie-
ßen. Vor dem Grundgesetz sind alle gleich? – Ich denke,
das ist hier nicht der Fall, meine Damen und Herren.
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Ludwig Eich, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Unsere Verfassung schützt die Grund-
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7392 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
lagen unseres Lebens, schützt die Natur. Ich möchte ge-rade bei dieser Debatte den Art. 20 a hier zitieren: Der Staat schützt auch in Verantwortung für diekünftigen Generationen die natürlichen Lebens-grundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigenOrdnung durch die Gesetzgebung und nach Maß-gabe von Gesetz und Recht durch die vollziehendeGewalt und Rechtssprechung. Die Regierungsmehrheit von SPD und Grünen folgtsomit mit der sozialökologischen Steuerreform demAuftrag der Verfassung, diese Reform ist also nicht etwagegen sie gerichtet. Und nicht nur das: Mit dieser Politikbefindet sich die Regierung Schröder auch im Einklangmit den allermeisten europäischen Staaten. Wir wollen unsere Umwelt schützen, indem wir denGe- und Verbrauch der Umwelt maßvoll und vorherseh-bar verteuern. Das heißt, auch mit dem marktwirtschaf-tichen Instrument des Preises wollen wir gemäß unsererVerfassung und im Einklang mit unseren europäischenNachbarn unsere Lebensgrundlagen schützen, meineDamen und Herren.
Die Reform der ökologischen Besteuerung ist aber auchdeswegen eine sinnvolle Maßnahme, weil gleichzeitigjede so eingenommene Mark an die Bürger über dieRentenkasse zurückgegeben wird.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDUund der F.D.P., ich weiß nicht, ob Sie es vergessen ha-ben:
Einer Ihrer größten und schwerwiegendsten Fehler wares, dass Sie die deutsche Einheit über Sozialkassen fi-nanziert haben.
Wir wissen, dass dies ein unglaublicher Fehler war. Siehaben es politisch zu verantworten, dass in den letztenJahren die Rentenbeiträge in diesem Umfang gestiegensind. Sie haben es zu verantworten, dass die Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer von ihrem Lohn und ihremGehalt immer weniger in der Tasche hatten.
Sie mit Ihrer Politik haben es zu verantworten, dass derWirtschaftsstandort Deutschland durch die hohen Lohn-nebenkosten geschädigt wurde.
Und nun schafft es diese neue Mehrheit im deutschenBundestag, die Rentenkassen mit der ökologischen Be-steuerung von allen versicherungsfremden Leistungender Regierung Kohl zu befreien und darüber hinaus dieBeiträge zu senken.
Das ist eine erfolgreiche Reformpolitik, meine Damenund Herren: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerbehalten mehr Lohn und Gehalt, die Wettbewerbsfähig-keit unserer Wirtschaft steigt. Und nicht zuletzt verfol-gen wir mit dieser Reform auch die Ziele unserer Ver-fassung. Die sozialökologische Steuerreform, die seit überzehn Jahren diskutiert wird – das muss ich einräumen –,hatte von Anfang an ein Akzeptanzproblem. Das hatdamit zu tun, dass die Bürgerinnen und Bürger einfachnicht glauben, dass der Staat das Geld, das er einmalvereinnahmt hat, wieder zurückgibt.
Wenn wir die Erhöhung der Mineralölsteuer der vergan-genen Jahre anschauen,
dann kann man dieses Misstrauen in staatliches Handelnder Bürgerinnen und Bürger verstehen. CDU/CSU undF.D.P. haben die Mineralölsteuer zwischen 1989 und1994 um 50 Pfennig erhöht.
Dadurch stieg die Belastung der Bürger um rund20 Milliarden DM, meine Damen und Herren. Sie habenden Bürgern davon keinen einzigen Pfennig zu-rückgegeben. Ich verstehe nicht, wie Sie die Stirn haben,hier eine solche Debatte zu führen.
Meine Damen und Herren, Sie haben in der Rohöl-preiserhöhung der Mineralölkonzerne einen willkom-menen Anlass gesehen – und Sie haben ihn genutzt da-von parteipolitisch zu profitieren, denn sonst hat dieDiskussion überhaupt keinen Sinn. Sie bauen auf Miss-trauen und Sie bauen auf die Vergesslichkeit der Bürger.Aber Sie werden damit erfolglos sein, denn die Men-schen verstehen immer mehr, dass wir unsere Industrie-gesellschaft ökologisch umbauen müssen. Das hat etwasmit unserer Zukunft zu tun.
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich fasse zusammen. Das Zielder sozialökologischen Steuerreform ist ein behutsamerUmgang mit unseren Lebensgrundlagen. Sie sorgt dafür,dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr von ih-rem Gehalt und ihrem Lohn behalten. Die Einnahmenaus dieser Reform fließen über die Rentenkasse an alleBürgerinnen und Bürger zurück. Eine solche Reformpo-litik braucht dieses Land. Denn wir fördern damit auchLudwig Eich
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7393
eine wichtige technische Innovation, meine Damen undHerren.
Jetzt hat der Kollege
Dietrich Austermann von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Ich bin erstaunt, wieleichtfertig manche mit der Wahrheit und bestimmtenStichwörtern umgehen, die mit der Ökosteuer zusam-menhängen.
Ich mache eine ganz einfache Rechnung auf – insbe-sondere für den Parlamentarischen Staatssekretär –, diebestätigt, dass die Ökosteuer unsozial, umweltschädlich,ungerecht und zukunftsfeindlich ist.
Seit dem Regierungswechsel hat sich – durch Entschei-dungen der rot-grünen Koalition bedingt – das Benzin,der Diesel usw. um 15 Pfennig verteuert.
– Die Mehrwertsteuer dazugerechnet.– Bis zum Jahre2003 gibt es eine weitere Entwicklung, die bedeutet,dass sich das Ganze um 35 Pfennig erhöht.
– Ich komme gleich darauf zurück, Herr KollegeSchlauch.Das heißt unter dem Strich: 35 Milliarden DM kas-siert der Staat zusätzlich im Jahre 2003 ein. Der Renten-versicherungsbeitrag – Ihre Aussage ging ursprünglichin die Richtung: Wenn ich die Ökosteuer erhöhe, senkeich im gleichen Zuge den Rentenbeitrag – im Jahre 2003wird statt 20,2 Punkte – das war unser Plan –19,2 Punkte betragen. Das ist 1 Prozentpunkt weniger.Das heißt, dass Sie 35 Milliarden DM kassieren, um denRentenbeitrag um 1 Prozentpunkt abzusenken. Mir kanndoch keiner erzählen, dass das den Bürgern netto zu-rückgegeben wird. Sehen Sie sich das doch konkret an!Herr Diller zum Beispiel spricht nicht mehr von der Ab-senkung des Rentenbeitrages, sondern er sagt, dass esvoll in die Rentenkasse geht. Das mag sein. Das liegtaber daran, dass Sie im Verlauf des letzten Jahres ausverschiedenen Gründen den Zuschuss des Bundes an dieRentenkasse erhöht haben. Sie haben ein neues Fassaufgemacht. Jetzt überlegen Sie, wie Sie die Löcher indem Fass stopfen können. Genau das ist der entschei-dende Punkt.
Die Ökosteuer ist auch wirtschaftsfeindlich. SagenSie jetzt bitte nicht, die Beträge, über die wir sprechen,seien viel zu hoch. Frau Kollegin Mehl hat gesagt, 2 DMseien erst der Anfang. Herr Steenblock, der Umweltmi-nister von Schleswig-Holstein, hat schon 1995 gefordert,es müssten 5 DM erreicht werden, in Sprüngen von 30Pfennig pro Jahr. Verniedlichen Sie doch nicht Ihre tat-sächlichen Absichten, sondern schauen Sie sich die Si-tuation an! Ich sage, das Ganze ist umweltschädlich, so-zial ungerecht und zukunftsfeindlich.Ich will das auch begründen. Herr Schlauch, Sie ha-ben sich so um den Schwarzwald bemüht. Ich fragemich: Weshalb belasten Sie mit der Ökosteuer geradedie Landwirtschaft mit 600 Millionen DM im Jahr? Dastrifft doch auch die Waldbauern, diejenigen, die mit derHege und Pflege im Schwarzwald beschäftigt sind.Weshalb belasten Sie eigentlich die Träger erneuerbarerEnergien – Sonne, Wind, Biomasse usw. – mit der Öko-steuer? Sie sagen, Sie gleichen das aus und stellen200 Millionen DM im Haushalt zur Verfügung.Im Haushalt 1999 haben Sie von den 200 Millionen DM165 Millionen DM wieder einkassiert und im nächstenJahr machen Sie das genauso. Sie geben weniger für er-neuerbare Energien aus, als wir das in unserer Zeit getanhaben.
– Das ist ein Faktum. Schauen Sie sich die Haushaltsbi-lanz für das letzte Jahr an. Unter unserer Regierung istDeutschland Weltmeister bei der Wind- und Solarzel-lenproduktion geworden. Die Erhöhung der Mineral-ölsteuer, übrigens mit der Zustimmung der SPD, ist imWesentlichen veranlasst worden, um die Bahnreformdurchführen zu können.
Die Bahnreform haben wir durchgeführt, um den regio-nalisierten Bahnverkehr zu verbessern und attraktiver zumachen. Das heißt, wir haben dafür gesorgt, dass mehrLeute die Bahn benutzen. Wofür sorgen Sie? Der Kolle-ge Seiffert hat es gesagt: Sie sorgen dafür, dass dasBahnfahren teurer wird. Das ist Ihre Umweltpolitik!
Sie können sich auch nicht damit herausreden, dassSie sagen: Wir begünstigen dafür andere, die Energie-fresser werden besonders gut behandelt; wer sich um-weltfreundlich verhält, wird bestraft. Was machen Siedenn, wenn die Leute sagen: Bei einem Benzinpreis von5 DM fahre ich nie wieder Auto? Wie bekommen Siedann das Geld für Ihre Rentenversicherung zusammen?Geld zu kassieren und damit ein bestimmtes Verhaltenzu erzwingen ist, glaube ich, ziemlich töricht. Das hatmit Vernunft nicht mehr viel zu tun.Ludwig Eich
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7394 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Ich nenne die Steuer deshalb zukunftsfeindlich, weilsie die neuen Energien bestraft. Was Sie hier machen, istplumpe Ökozockerei.
Das hat nichts mit einer Verbesserung der Situation derUmwelt zu tun.Sie können das auch erkennen, wenn Sie die Fragestellen: Wie wirkt sich die Bahnreform eigentlich in deneinzelnen Bundesländern aus? Was bekommt Baden-Württemberg, was bekommt Niedersachsen, was be-kommt Schleswig-Holstein aus dem Topf, den wir da-mals geschaffen haben, um eine Verbesserung für um-weltfreundliche Energieträger zu erreichen? Herr Meh-dorn ist hier deutlich zitiert worden.Schauen wir einmal, wie sich das beim einzelnenBürger konkret auswirkt. Welche zusätzliche Belastunghat er durch die Ökozockerei, die Sie veranlasst haben?Im Jahr etwa 800 DM. Die Entlastung durch den Ren-tenversicherungsbeitrag beträgt etwa 300 DM. Dasheißt, unter dem Strich haben die Leute, wenn ich richtiggerechnet habe, Mehrkosten von 500 DM im Jahr.
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an die Redezeit.
Jawohl, das
mache ich. – Wenn Sie das durch die Anzahl der Monate
teilen, können Sie das auf den Lohn umrechnen und
feststellen, dass das eine plumpe Plünderei unter dem
Deckmantel des Umweltschutzes ist. Das hat mit wirt-
schaftlicher Vernunft oder Sozialpolitik nichts zu tun,
weil Sie natürlich die Schwachen treffen.
Herr Kollege, die
Redezeit. Wir sind in der Aktuellen Stunde.
Letzter Satz,
Frau Präsidentin.
Sie treffen die sozial Schwachen: die Rentner, die
Sozialhilfeempfänger, die Studenten, die Beamten, die
Pensionäre und die Pendler. Deswegen ist Ihre Politik
schädlich für die Umwelt sowie für die Fläche und muss
abgelehnt werden.
Das Wort hat nunder Kollege Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Austermann, wenn ich Ihnen so zuhöre, dann frageich mich wirklich, welche Berater Sie in Sachen Finan-zen haben. Sie ziehen hier Sachen zusammen, die über-haupt nicht zusammengehören.Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen. Sie müssendie gesamte Steuerreform betrachten, einschließlich desKindergeldes und der ökologischen Steuerreform.
Auch von Herrn Solms kam hier das Argument, diekleinen Leute würden über den Löffel balbiert. Dasklingt aus Ihrem Munde besonders berufen. Die F.D.P.als Partei der kleinen Leute – das glaubt Ihnen doch keinMensch.
Die Realität sieht in der Gesamtschau folgenderma-ßen aus. Wenn Sie sich eine Familie mit zwei Erwach-senen und zwei Kindern mit einem Jahreseinkommenvon 60 000 DM brutto anschauen, also eine gute Durch-schnittsfamilie, stellen Sie fest: Sie wird erstens durchdie Reform der Lohn- und Einkommensteuer entlastet,zweitens bekommt sie mehr Kindergeld, drittens sinkenihre Rentenversicherungsbeiträge und viertens steigenmoderat die Energiekosten, wenn man nicht spart. Allesin allem hat die Familie monatlich 170 DM mehr imWarenkorb. Damit kann man einkaufen; das ist vielGeld.
Zum zweiten Punkt, zur Verfassungsmäßigkeit. Das„Handelsblatt“ – Herr Solms, das ist doch sicherlich IhrLeib- und Magenblatt – hat geschrieben, die Verfas-sungsklage habe überhaupt keine Chance. Das wissenSie besser als ich. Das betrifft vor allen Dingen den Be-reich der Spediteure. Die Mineralölsteuer bzw. die Die-selsteuer wird doch gar nicht gespreizt. Die Preise, diewir in Deutschland haben, liegen im Vergleich zu denanderen Preisen in Europa nach wie vor im unteren Drit-tel. Malen Sie doch nicht den Teufel an die Wand! Dasstimmt doch alles vorne und hinten nicht!
Ausgerechnet Sie haben während der Beratungen ü-ber die ökologische Steuerreform tausenderlei Ausnah-metatbestände gefordert. Wenn wir dem gefolgt wären,hätten wir 20 000 neue Finanzbeamte einstellen müssen.Das ist doch die Realität.
Jetzt klagen Sie darüber, dass es zu viele Ausnahmengibt.
Dietrich Austermann
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7395
Eines kann nur richtig sein: Entweder man verlangtmehr Ausnahmen, so wie Sie das getan haben, oder manklagt darüber, dass es zu viele gibt. Beides zusammengeht nicht. In Sachen umweltpolitischer Glaubwürdigkeit erwar-te ich von der F.D.P. sowieso nicht viel.
Seit Gerhart Baum und Hans-Dietrich Genscher nichtmehr im Bundestag sind, passiert bei Ihnen in dieserRichtung überhaupt nichts mehr.
Nun möchte ich auf die CDU/CSU eingehen. Denndie CDU/CSU nimmt für sich – zumindest zum Teil – inAnspruch, eine Partei zu sein, der die Bewahrung derSchöpfung ein Herzensanliegen ist.
Da muss man einmal genauer nachfragen: Wo sind dennIhre Leute, die im Hinblick auf die ökologische Steuer-reform immer eine positive Einstellung hatten? Wo istHerr Repnik? Wo ist Herr Schäuble? Wo ist Frau Merkel? Ich verstehe, dass sie nicht hier sind. Die habenim Moment andere Probleme. Das ist klar. Aber diemüssten eigentlich, wenn sie ehrlich wären, sich hierund heute positiv zur ökologischen Steuerreform beken-nen.
Sie haben doch Personen wie Gruhl aus dem Parlamentgeekelt. Vielleicht erinnern Sie sich noch an sein Buch„Ein Planet wird geplündert“, das in den 70er-Jahren er-schienen ist. Das alles ist spurlos an Ihnen vorbeige-gangen. Leute wie Herrn Töpfer haben Sie weggeekelt.Die Ökologie hat bei der CDU/CSU keine Chance. Dasist die Wahrheit.
Nun zur Glaubwürdigkeit. Es ist schon merkwürdig,dass ausgerechnet die CDU/CSU in diesem Zusammen-hang die Stimme erhebt. Sie haben in den 90er-Jahrenerstens die Mineralölsteuer – darauf wurde bereitsmehrmals hingewiesen – mehrfach angehoben. Zweitenssind die Lohnnebenkosten ständig gestiegen.
Um sie – drittens – nicht weiter ansteigen zu lassen, ha-ben Sie sogar die Mehrwertsteuer erhöht. Sie habendoch jedes moralische Recht verwirkt, über diese Steu-erbelastung zu klagen.
Auch auf Ihren letzten Punkt, darauf, was Sie im Zu-sammenhang mit der Rente gesagt haben, möchte ichkurz eingehen: Sie wissen ja, wir haben die Themen Ar-beit und Umwelt verknüpft. Es ist vollkommen richtig –Herr Solms, Sie haben dies beklagt –, dass dies nicht imGesetz steht. Wir sind der Meinung, dass das Budget-recht das Königsrecht des Parlaments ist. Das Parlamentbestimmt darüber, wie öffentliche Mittel, die einge-nommen werden, verwendet werden. Das ist so. Der po-litische Wille dieser Regierung bzw. der beiden Koaliti-onsfraktionen ist es, dass diese beiden Themen mitein-ander verkoppelt werden. Wir wollen, dass der Energie-verbrauch teurer wird, damit mit Energie sparsamer um-gegangen wird, und wir wollen im Gegenzug die Mittelaus der in diesem Zusammenhang erhobenen Steuerverwenden, um den Faktor Arbeit durch die Senkung derLohnnebenkosten billiger zu machen. Es geht darum,zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Das müssteneigentlich auch Sie verstehen.
Jetzt noch einmal zu den genannten Zahlen – HerrAustermann, auch Sie haben Zahlen genannt; Sie habendies auch in der „Zeit“ zu lancieren versucht –: Das,was behauptet worden ist, stimmt vorne und hintennicht. Sie wissen doch selber, dass sich das Rentensys-tem in einer gewissen Dynamik befindet. Das heißt, fürden Fall, dass wir nichts dagegen unternehmen, würdendie Rentenversicherungsbeiträge steigen. Die Wahrheitist – das hat Herr Staatssekretär Diller gerade angespro-chen –, dass die Einnahmen aus der Ökosteuer 1 : 1 indie Rentenversicherung fließen, und zwar im Rahmender Absenkung der Lohnnebenkosten von 20,3 Prozent –von dem Niveau also, das bestand, als wir an die Regie-rung kamen – auf heute 19,3 Prozent. Im Rentensystemexistiert eine Dynamik. Diese Dynamik müssen wirstoppen. Deshalb brauchen wir eine vernünftige Renten-reform. Das ist völlig klar. Darüber sind wir uns docheinig. Es geht darum, das Rentenversicherungssystem wet-terfest zu machen. Es geht darum, es um eine privateVorsorge zu ergänzen. Dafür stehen wir und dafür set-zen wir uns ein. Sie können sicher sein, dass wir dieDinge nicht so treiben lassen, wie dies im Moment ge-schieht. Summa summarum: Das, was Sie hier tun, ist nichtsanderes als ein billiges Ablenkungsmanöver. Sie versu-chen von Ihren Problemen abzulenken. Das ist nachvoll-ziehbar; das ist sogar legitim. Aber durchkommen wer-den Sie damit nicht. Da bin ich sicher.
Jetzt hat die Kolle-
gin Monika Ganseforth, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Sehrgeehrte Damen und Herren! Die ökosoziale Steuerre-form ist ein Instrument, mit dem wir für Probleme, dieDr. Reinhard Loske
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7396 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
in unserer Gesellschaft bestehen, Lösungen anbieten. Indiesem Zusammenhang gibt es zwei Aspekte: Der eineist der Schutz der Umwelt bzw. die Vernichtung unsererLebensgrundlagen. Der zweite ist die hohe Arbeitslo-sigkeit. Die ökosoziale Steuerreform ist jedoch weder ein In-strument, das alle Probleme der Welt löst – manchmalhabe ich den Eindruck, daran soll sie gemessen wer-den – noch ist sie – das sage ich zur linken Seite diesesHauses – an allen Problemen und Ungerechtigkeiten, diees in der Welt gibt, schuld. Sie ist ein Instrument, dasden Charme hat, marktwirtschaftlich zu sein.
Natürlich haben wir zum Schutz der Lebensgrundla-gen noch andere Instrumente, zum Beispiel das 100 000-Dächer-Programm, die Kampagne „Solar – na klar!“, dieEnergieeinsparverordnung, die Mittel, die in der For-schungsförderung für erneuerbare Energien eingesetztwerden, das Stromeinspeisegesetz usw.
Ein wichtiges Instrument aber ist das Preisinstrument.Sie wissen, dass in unserer bundesrepublikanischen Ge-sellschaft das Bewusstsein für ökologisches Verhaltengroß ist. Sie wissen aber auch, dass die Menschen immerwieder schimpfen und sagen: Wer sich bei uns umwelt-gerecht verhält, der ist der Dumme, der muss mehr be-zahlen. Es lohnt sich nicht. – Mit der öko-sozialen Steu-erreform wollen wir gegensteuern. Wir wollen errei-chen, dass sich ökologisches Verhalten rechnet,
dass also diejenigen, die sich entsprechend verhalten,dies in ihrem Portemonnaie spüren.
Das geht nur über eine Erhöhung der Energiepreise.Wir haben dies in kleinen, maßvollen Schritten, dievorhersehbar sind, angelegt; denn wir wollen, dass sichdie Produktionsbedingungen ändern, dass Investitions-entscheidungen in die richtige Richtung gehen und dassdie Zukunftsprodukte so entwickelt werden, dass sieweniger Energie verbrauchen. – Das ist das eine Prob-lem.Das zweite Problem ist die Arbeitslosigkeit. Die ho-hen Lohnnebenkosten stellen ein Hindernis für Einstel-lungen dar. Sie führen dazu, dass immer mehr Arbeitwegrationalisiert wird, dass Roboter gebaut werden. Wirwollen gegensteuern. Die Produktivitätssteigerungensollen nicht in Richtung Wegrationalisierung von Arbeitgehen, sondern in Richtung Minderung des Energiever-brauchs. Diesen Wandel zu vollziehen haben Sie wäh-rend Ihrer Regierungszeit nicht geschafft.
Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht noch – wieim sozialen Bereich und bei den Lohnnebenkosten – an-dere Instrumente gibt und Reformen nicht notwendigsind. Aber gewinnen werden die Firmen, die arbeitsin-tensiv produzieren, zum Beispiel das Handwerk. Übri-gens: Der öffentliche Personennahverkehr ist untermStrich ein Gewinner; denn die Personalkostenentlastun-gen sind höher als die Belastungen durch den Energie-verbrauch.
Auch im ÖPNV gibt es Sparpotenziale, die umgesetztwerden müssen. Insofern ist das ein wichtiger Schritt.Ich will Ihnen einmal vor Augen führen, was Sie ge-sagt haben, als Sie noch nicht so opportunistisch waren,nämlich als Sie um Wählerstimmen gekämpft haben. ImZukunftsprogramm der CDU für den Bundestagswahl-kampf 1998 haben Sie genau das vertreten, was ich hiergesagt habe
– Herr Austermann und Herr Seiffert müssen doch dar-über informiert gewesen sein –:Unser Steuer- und Abgabensystem macht geradedas besonders teuer, wovon wir gegenwärtig imÜberfluss haben: Arbeit. Dagegen ist das, woranwir sparen müssen, eher zu billig zu haben: Ener-gie- und Rohstoffeinsatz. Genauso ist es. – Sie haben weiter gesagt:Dieses Ungleichgewicht müssen wir wieder stärkerins Lot bringen, wenn wir unseren beiden Hauptzie-len, mehr Beschäftigung und weniger Umweltbe-lastung, näher kommen wollen.Das haben Sie gesagt; damit sind Sie vor die Wählerin-nen und Wähler getreten. Wir machen dies. Ich glaube, Sie unterschätzen die Bürgerinnen undBürger. Sie wissen, auch wenn sie für Energie nicht ger-ne mehr bezahlen, dass dies ein richtiger Schritt ist unddazu führt, dass derjenige, der Energie spart, sein Por-temonnaie entlasten kann, und derjenige, der Energiequast, dies bezahlen muss. Das ist auch in Ordnung. Ichbin davon überzeugt – das weiß ich aus vielen Gesprä-chen –, dass die Bürgerinnen und Bürger dies akzeptie-ren. Sie wissen, dass es so weitergehen muss.Sie von der CDU haben natürlich andere Problemeund wollen davon ablenken.
Ich glaube nicht, dass Sie so Mehrheiten bekommenwerden und die Menschen davon abbringen können, un-ser Ökosteuerkonzept, ein marktwirtschaftliches Instru-ment, zu durchschauen. Wie ich bereits sagte: Es sollnicht derjenige der Dumme sein, der sich umweltfreund-lich verhält.Schönen Dank.Monika Ganseforth
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7397
Das Wort hat nun
der Kollege Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! DasÖkosteuergesetz entpuppt sich als abstruses Sammelsu-rium aus Ideologie, Illusion, Dirigismus und Willkür.
Die Ökosteuer ist für Verbraucher preissteigernd undunsozial und für die Wirtschaft ungerecht und wettbe-werbsverzerrend. Die Ökosteuer hat zu unsozialen Preis-steigerungen geführt; das müssen Sie doch einmal zurKenntnis nehmen. Insbesondere den kleinen Mann undden ländlichen Raum trifft dies hart.
Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Die Ökosteuer beinhaltet eine ungerechte Wettbe-werbsverzerrung, weil die größten Energieverbrauchervon der Steuerpflicht befreit werden und ermäßigteSteuersätze eingeräumt bekommen, während viele Be-triebe und private Haushalte stärker belastet werden.Das bringen Sie mit diesem Gesetz nicht zusammen.Hören Sie einmal, Sie Öko-Schlauch – ich gebe ja zu,dass Sie eher dem C-Schlauch bei meiner Feuerwehrähneln –:
Wie kommen Sie eigentlich dazu, den Benzinpreis auf 2DM pro Liter hochzutreiben und gleichzeitig die alsumweltschädlich bekannte Kohle steuerfrei zu stellen?
Diese Logik muss mir einmal jemand erklären. Das istIhre Ökologie; das ist Ihr ökologisches Umdenken undnichts anderes. Das ist eine Fehlleitung und eine Fehllo-gik. Das kann ich Ihnen nur deutlich sagen.Unter dem Deckmantel der Schonung von Ressour-cen findet eine gigantische Geldbeschaffungsmaßnahmefür die Rentenversicherung statt.
Die Senkung der Lohnnebenkosten wird durch die Steu-ererhöhungen konterkariert. Damit werden keine neuenArbeitsplätze geschaffen. Wenn ich in meinem Betriebletzten Endes zehn Pfennig weniger Lohnnebenkostenpro Stunde habe, aber es gleichzeitig erhebliche Kosten-steigerungen durch die Ökosteuer gibt, dann kann ichkeine neuen Arbeitsplätze schaffen Das ist die Fehlannahme, die es in diesem Gesetz gibt.Die Ökopreistreiberei ist eben kein marktwirtschaftli-ches, sondern ein ungeeignetes Instrument zur Senkungder Sozialversicherungsbeiträge.
Es hat nicht im Entferntesten etwas mit Ökologie zu tun.Inzwischen stellen aber auch viele Rechtsgutachtendie Verfassungsmäßigkeit des Ökosteuergesetzes in Fra-ge. Ich sehe Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz,die Finanzverfassung, das staatsrechtliche Verfahrenund auch gegen das EU-Recht.
Zum Gleichheitsgrundsatz. Die Aufkommens- undBelastungsneutralität für die Wirtschaft und dieVerbraucher ist durchgängig nicht gewahrt. Die Freistel-lungs- und Ermäßigungstatbestände sind lenkungspoli-tisch kontraproduktiv. Wie kommen Sie eigentlich dazuanzunehmen, dass die Teilung der Wirtschaft in zweiGruppen eine richtige Maßnahme ist? Ich kann im Hin-blick auf den Gleichheitsgrundsatz einen Verstoß gegenArt. 3, Art. 12 und Art. 14 des Grundgesetzes deutlichfeststellen.
Sie haben mit diesem Gesetz den an verschiedener Stelleniedergelegten Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzesverletzt.Auch Prinzipien der Finanzverfassung haben Sie ver-letzt, die besagen, dass Bedürfnisse des Staates nur danndurch Steuern gedeckt werden dürfen, wenn dabei dieLeistungsfähigkeit seiner Bürger Berücksichtigung fin-det.
Diese Prinzipien der Finanzverfassung sehen ebenfallseindeutig vor, dass eine neue Steuerart nur mit einerZweidrittelmehrheit eingeführt werden darf. Die Öko-steuer ist ja keine endbesteuernde Verbrauchsteuer.Vielmehr haben Sie eine neue Steuerart eingeführt, dieSie nur mit einer Zweidrittelmehrheit im DeutschenBundestag hätten beschließen dürfen.Monika Ganseforth
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7398 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Ich kann Ihnen klar sagen: Insbesondere das staatsrecht-liche Verfahren, das Sie hier angewendet haben, schreitzum Himmel.
Sie haben letzten Endes die Notifikation der EU-Kommission in der zweiten und dritten Lesung immervorausgesetzt. Der Bundestag hat den Beschluss gefasstund der Bundespräsident hat die Unterschrift unter dasentsprechende Gesetz gesetzt – und das, obwohl Sie ver-schwiegen haben, dass es keine Notifikation der beihil-ferechtlichen Genehmigung durch die EU-Kommissiongibt.Gleichzeitig haben Sie – mit einem Brief am20. Dezember an die Oberfinanzdirektion – diese Öko-steuer in weiten Teilen einfach ausgesetzt. Wenn einGesetz in weiten Teilen nicht administrierbar ist, dannist es rechtsungültig – ein Rechtszustand, den Sie sonicht verantworten können.
Ich kann Ihnen abschließend nur sagen: Die Bundes-regierung sollte nicht nur Teile des Gesetzes einfrieren,wie es Herr Eichel am 20. Dezember getan hat, sondernes gänzlich zurücknehmen, bevor es das Bundesverfas-sungsgericht tun wird. Das Ökosteuergesetz, HerrSchlauch, ist rot-grüne Gesetzgebung bei Fallobst:
Wenn die Dummheiten reif sind, fallen sie von selbst.
Das Wort hat nun
der Kollege Christoph Matschie, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Mei-ne werten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin-nen und Kollegen von der Union, Sie müssen unter einergigantischen Verdrängung leiden, wenn Sie hier von„Willkür“, „Geldbeschaffung“ und „Ökozockerei“ re-den.
Ich möchte Sie nur an ein paar Fakten erinnern. Ichweiß, es tut manchmal weh, an Fakten erinnert zu wer-den, aber ich kann es Ihnen nicht ganz ersparen. Ich be-ziehe mich einmal auf die Jahre seit 1989. Januar 1989:Erhöhung der Mineralölsteuer um 9 Pfennig;
Januar 1991: Erhöhung der Mineralölsteuer um3 Pfennig; Juli 1991: Erhöhung der Mineralölsteuer um22 Pfennig;
Januar 1994: Erhöhung der Mineralölsteuer um16 Pfennig.
Das alles war in Ihrer Regierungsverantwortung. Das hat auch nicht dazu geführt – Herr Solms, Siewaren auch daran beteiligt –, dass die Kraftfahr-zeugsteuer verringert worden ist, wie Sie das hier wohl-feil fordern.
Auch die Kraftfahrzeugsteuer ist im gleichen Zeitraum –zumindest für Dieselfahrzeuge – um 24 DM pro 100Kubikzentimeter Hubraum gestiegen.
Sie müssen einmal zu den Fakten zurückkehren, liebeKolleginnen und Kollegen.
Nun zu der Einordnung dieser Debatte und den Vor-würfen, die Sie hier erheben. Sie sagen, die Wettbe-werbsfähigkeit sei gefährdet, wir seien nicht mehr kon-kurrenzfähig mit unseren Nachbarn. Schauen Sie docheinmal in ein paar Preistabellen hinein. Der ADAC zumBeispiel – ich gebe Ihnen einen Anstoß – hat eine Listeder Preise für einen Liter Bleifrei Super herausgegeben,Stand 7. Januar dieses Jahres: Niederlande: 2,10 DM;Dänemark: 2,10 DM; Frankreich: 2,03 DM; Belgien:1,95 DM; Deutschland: 1,94 DM. Sie sehen, dass vieleunserer Nachbarländer höhere Preise haben als wir. In-sofern ist der Vorwurf, die Wettbewerbsfähigkeit seinicht gegeben, völlig absurd. Ich weiß nicht, wie Sie dasbegründen wollen.
Wenn Sie theoretische Probleme mit dem Fakt haben,dass Verkehr verteuert werden muss, dann möchte ichSie einmal an eine Rede Ihres Fraktionsvorsitzenden er-innern. Er hat am 20. September 1997 vor der CSU – umdenen in Sachen Ökosteuer ein bisschen Nachhilfe zugeben – eine Rede gehalten. Dabei hat er ausgeführt
– nein, das ist noch nicht vorgelesen worden! –:Es führt kein Weg daran vorbei: Der Straßenver-kehr, und zwar der Güterverkehr ebenso wie derPersonenverkehr, ist zu billig zu haben. Die Preisespiegeln nicht die wahren Kosten wider. Wir wer-den den Straßenverkehr teurer machen müssen, gerade in Deutschland. In den meisten anderen eu-ropäischen Ländern liegt der Benzinpreis höher alsbei uns.Hans Michelbach
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7399
Das war die Einsicht Ihres Fraktionsvorsitzenden 1997.
Aber offensichtlich stehen Sie heute nicht mehr dazu,
so wie die Position Ihres Fraktionsvorsitzenden insge-samt ein bisschen infrage steht.Aber ich brauche gar nicht so weit in die Vergangen-heit zu gehen. Einer Ihrer Sprecher, Herr Merz, hat ineinem Interview 1998 gesagt:Durch die Ökosteuern sollen Steuereinnahmen er-zielt werden, um auf der anderen Seite Sozialaus-gaben zu reduzieren. Über ein solches Konzeptkann man reden.Also reden Sie darüber, machen Sie vernünftige Vor-schläge, anstatt alles in Bausch und Bogen zu verdam-men!Im Übrigen sind Sie in der Diskussion in Europa weithinterher. Dänemark, Frankreich, Italien, die Niederlan-de, Norwegen, Schweden, Großbritannien haben in denletzten Jahren Umweltsteuern eingeführt. In Frankreichwird heute übrigens ein neues Klimaschutzpaket vorge-stellt. Ein wichtiger Bestandteil dieses Klimaschutz-paketes ist die Erhöhung der Steuern auf den Ver-brauch von Energien. In allen europäischen Staaten istdieses Konzept im Grundsatz anerkannt. Nur bei Ihnenscheint diese Einsicht überhaupt nicht vorhanden zu sein.
Zu dem Vorwurf der Mehrbelastung in den neuenBundesländern kann ich nur sagen: Auch hier sollten Siesich ein bisschen an die Zahlen halten und nicht im Ple-num des Deutschen Bundestages herumfantasieren. DieSchätzung des Aufkommens aus der Ökosteuer in denneuen Bundesländern im Jahr 1999 liegt bei1,56 Milliarden DM. Die Senkung der Rentenversiche-rungsbeiträge wird 1,6 Milliarden DM betragen. DieEntlastung ist hier also etwas höher als die Belastung.Die Energiekosten der privaten Haushalte betragensowohl in den alten als auch in den neuen Bundeslän-dern zwischen 6 und 7 Prozent des Einkommens, ob-wohl die verfügbaren Einkommen in den alten Bundes-ländern im Durchschnitt höher sind. Das hängt damit zu-sammen, dass die Energieverbräuche in den Haushaltenin Ostdeutschland niedriger sind.Jetzt komme ich noch zu einem interessanten Punkt.Die Teuerungsrate lag 1999 durchschnittlich bei0,7 Prozent in den alten Bundesländern, in den neuenBundesländern jedoch nur bei 0,4 Prozent. Das hat da-mit zu tun, dass der Anteil an Heizölverwendung in denostdeutschen Haushalten wesentlich geringer ist als inden alten Bundesländern. Auch hier ist der Anteil, dendie neuen Bundesländer zu leisten haben, wesentlich ge-ringer als der Anteil der alten Bundesländer. Es ist alsoein Märchen, wenn man behauptet, Ostdeutschland seibesonders belastet. Ich möchte eine letzte Bemerkung zu Ihres Belas-tungsrechnung, Herr Austermann, machen. Sie sprachenvon 800 DM zusätzlicher Belastung im Jahr durch dieÖkosteuer. Nach den Berechnungen, die uns vorliegen,kann ich nur fragen: Sind Sie eigentlich ständig mit demLkw unterwegs? Ich kann mir nicht vorstellen, wie sonsteine solche Belastung für Sie zustande kommt.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass ich
auch den Begriff „Heuchler“ nicht parlamentarisch fin-
de. Das wollte ich dem Kollegen Bernd Scheelen gesagt
haben.
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Paziorek,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Die rot-grüne Regierungsko-alition hat mit der Erhöhung der Steuersätze im Rahmender so genannten ökologischen Steuerreform den Wegfortgesetzt, mit dem sie vordergründig der Umwelt hel-fen will, mit dem sie aber tatsächlich die Idee des Um-weltschutzes in Deutschland nachhaltig beschädigenwird.
Herr Schlauch, Sie haben hier gerade herumge-schrien, „lautstark argumentiert" kann man vielleichtauch sagen.
Sie haben herumgeschrien, Sie sind wohl sehr unterDruck gewesen; ich weiß gar nicht, weshalb. Sie habenjedoch in einer Art argumentiert, die für einen Frakti-onsvorsitzenden zu diesem Thema nicht angemessen ist.
Dazu will ich Ihnen ganz deutlich sagen: Keiner von derCDU/CSU bestreitet – ich will diese Formulierung be-wusst gebrauchen –, dass es notwendig ist, unser Steuer-system Schritt für Schritt umweltgerecht umzugestalten,
damit die Inanspruchnahme der Umwelt in sinnvollemMaße finanziell einbezogen wird.
Christoph Matschie
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7400 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Das bestreitet niemand. Frau Merkel hat mit dieserAussage ebenso Recht wie Herr Schäuble. Das Ent-scheidende, Herr Schlauch, ist, wie man das macht.
Wir sagen Ihnen: Sie machen es falsch. Sie machen esnicht richtig, und das ist der entscheidende Unterschiedzwischen uns.
Ich will Ihnen methodisch auf den Punkt gebracht sa-gen, warum Sie es falsch machen:
Jede echte ökologische Steuerreform muss von demganz einfachen Grundsatz ausgehen,
dass sich umweltgerechtes Verhalten letztlich für denUnternehmer und die Privatpersonen lohnen und derje-nige, der sich nicht umweltgerecht verhält, mit Preiszu-schlägen rechnen muss. Das ist der richtige Grundsatz.Jetzt schauen wir uns unter Berücksichtigung diesesGrundsatzes Ihre Steuerreform an.
Die Kolleginnen und Kollegen der SPD sagen, dass esgar nicht so schlimm sei, wenn man im ökologischenBereich ein wenig mehr zahlt; denn das würde über dieSozialversicherung wieder zurückgegeben. Ich frage Sie: Was ist daran umweltgerecht, dass die-jenigen, die dadurch mehr im Portemonnaie haben, sa-gen, das, was ich jetzt mehr im Portemonnaie habe, gebeich für das Benzin aus und fahre ein paar Kilometermehr? Damit hebeln Sie sich doch umweltpolitisch aus.Das ist der erste Widerspruch. Der zweite Widerspruch liegt darin – jetzt werden Sieruhiger –, dass Sie sagen, wir geben das Geld, um damitdie Rentenkasse bis zum Jahr 2004/2005 zu stabilisie-ren. Was machen Sie denn, wenn sich alle so verhalten,wie Sie es in Ihren schönen Wunschreden ausgeführthaben? Dann bricht Ihr ganzes Finanzsystem der Zuwei-sung schon im Jahr 2002 zusammen. Das ist doch dieKrux, und daran kann man erkennen, dass Sie metho-disch überhaupt nicht die Grundsätze einer ökologischenSteuerreform berücksichtigen.
Die Menschen fragen sich schon heute – so zum Bei-spiel im ländlichen Raum bei mir im Wahlkreis –: Wie-so wird gerade der Arbeitnehmer bestraft, der das Pechhat, dass sein Arbeitsplatz etwas weiter weg liegt als beidem Arbeitnehmer, der das Glück hat, dass dessen Ar-beitsplatz direkt vor dessen Haustür liegt? Das ist dochungerecht. Warum bestrafen Sie Arbeitnehmer, die aufGrund der Umstände keinen anderen Arbeitsplatz aufsu-chen können als einen, zu dem sie morgens mit demFahrzeug hinfahren müssen?
Sie bestrafen diese Menschen; denn diese haben nachIhrem System keine Entlastungsmöglichkeiten. Darankann man erkennen: Sie kassieren ab.Wenn Sie wirklich ein umweltpolitisches, ökologischsinnvolles Steuersystem wollen – Herr Loske, Sie argu-mentieren im Ausschuss eigentlich differenzierter; ichbin erstaunt, wie grobschlächtig Sie gerade argumentierthaben –,
wenn Sie wollen, dass sich die Menschen umweltpoli-tisch neu verhalten, dann müssen Sie ein Steuersystemwählen, das lange Übergangsfristen kennt. Denn nurdann, wenn ein Steuersystem lange Übergangsfristenkennt, hat der Einzelne die Möglichkeit zu sagen: Dennächsten Autokauf ziehe ich vor und werde darauf Wertlegen, dass ich mich nicht für ein Sechsliterauto, son-dern für ein Fünfliterauto entscheide. Derjenige, der inzwei Jahren seine Heizung umbauen möchte, zieht denNeubau der Heizung vor, weil sich das für ihn finanziellvielleicht lohnt. Wenn Sie aber eine Steuerreform imNovember verabschieden, die schon zum ersten Januardes darauf folgenden Jahres wirkt, dann frage ich Sie,wie sich die Verbraucher auf eine solche neue Steuereinstellen sollen.
– Nein, Sie haben sofort mit der Steuererhöhung ange-fangen. Und jedes Jahr packen Sie noch drauf.
Wissen Sie, Sie wollen in Wirklichkeit verhindern, dassdie Menschen eine sinnvolle Ausweichstrategie entwi-ckeln;
denn sonst kämen Ihre Finanzbeträge nicht zusammen,die Sie brauchen, um die Rentenkasse zu finanzieren.Das ist ökologisch heuchlerisch und passt nicht zusam-men.
Viel interessanter ist der Begründungstext Ihres Gesetzes; sehen Sie sich ihn einmal an. In der ganzen Begründung wird nichts zu einer ökologischen Zielgenauigkeit gesagt. Es steht nichts über CO2-Dr. Peter Paziorek
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Reduktionen drin, weil Sie ganz genau wissen, dass IhrGesetz so breit angelegt ist, dass es dazu gar nicht ziel-genau beitragen kann. Ihre Konzeption widerspricht auch der Konzeption ananderer Stelle: In allen Berichten des Bundesumweltmi-nisteriums gehen Sie von einem mengensteuernden An-satz bei der CO2-Reduktion aus.
– Das große Problem ist, dass Sie das nicht wissen. Des-halb kann die Regierung Sie als Koalitionsabgeordnetenmanchmal so über den Tisch ziehen. Ihr Zwischenrufwar wirklich entlarvend; vielleicht haben Ihnen die Kol-legen aus dem Umweltausschuss das noch nicht gesagt.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Wir haben die
ganz große Bitte – nicht nur in Ihrem eigenen Sinne,
sondern in einem Sinne einer echten Umweltpolitik –:
Lassen Sie ab von diesem Weg! Nehmen Sie die Men-
schen mit in eine neue Umweltpolitik! Sie werden die
Menschen gegen eine solche Umweltpolitik aufbringen,
wenn der eine bestraft und der andere nur minimal be-
lohnt wird. Das ist ungerecht. In dem Sinne ist dieses
Gesetz aus meiner Sicht verfassungsmässig höchst be-
denklich.
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Ulrike Mehl, SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Frau Präsidentin! Ich komme, auch nach dem, wasich hier gehört habe, nicht umhin festzuhalten, dass dieOpposition mit dieser Debatte ein leicht zu durchschau-endes Wahlkampfmanöver versucht; das ist so offen-sichtlich. Wie anders ist es zu erklären, dass Sie die De-batte um die Ökosteuer – begleitet mit einer entspre-chenden Öffentlichkeitskampagne – nicht während derparlamentarischen Beratung führen, bevor das Gesetzbeschlossen wird? Sie führen sie vielmehr rein zufällig –als wenn das gar nichts damit zu tun hätte – sechs Wo-chen vor einem wichtigen Landtagswahlkampf. Ich den-ke, es ist ziemlich eindeutig, dass Sie versuchen, von Ih-rem Desaster abzulenken.
Die Argumente sind – wenn es erlaubt ist, dies zu sa-gen, scheinheilig, und zwar aus mehreren Gründen. Dererste Grund, den ich nennen möchte, ist schon mehrmalsgenannt worden; man kann ihn aber gerne wiederholen.Sie haben in der Zeit von 1989 bis 1994 den Bürgerin-nen und Bürgern eine Mineralölsteuererhöhung von 50Pfennig zugemutet; allein 1991 waren es 23 Pfennig,Herr Matschie hatte es eben gesagt.
Sie haben dieses Geld nicht an die Bürgerinnen undBürger zurückgegeben, sondern in große schwarzeHaushaltslöcher fließen lassen. Das teilen Sie der inte-ressierten Öffentlichkeit bei Ihren Tankstellenaktionennatürlich nicht mit. Wir hingegen – auch das wiederholeich – lassen das Geld komplett zurückfließen und ste-cken es in regenerative Energien.Zweitens sind Ihre Argumente auch deshalb schein-heilig, weil Sie selbst seit Jahren behaupten, dass ausUmweltschutzgründen eine Ökosteuer sinnvoll ist, undzwar nicht nur auf europäischer Ebene. Denn kein Ge-ringerer – auch ich habe ein Zitat; auch das ist nochnicht genannt – als Wirtschaftsminister Rexrodt in seinerAmtszeit hat in seinen Kernpunkten einer ökologischverpflichtenden sozialen Marktwirtschaft im Juni 1995zur Einführung einer CO2-/Energiesteuer Folgendes festgehalten:Sollten die entsprechenden Anstrengungen derBundesregierung nicht fruchten, werde ich zu ge-gebener Zeit einen Vorschlag für einen nationalenAlleingang vorlegen. Herr Rexrodt fand das offenbar nicht abwegig. Au-ßerdem wäre es davon abgesehen kein nationaler Al-leingang gewesen, weil nämlich bereits sieben eu-ropäische Länder eine Ökosteuer eingeführt haben.Interessant ist, dass es nicht bei dieser Ankündigunggeblieben ist. Vielmehr ist – auch das ist bisher uner-wähnt geblieben – im April 1998 von der damaligenUmweltministerin Merkel tatsächlich ein Entwurf erar-beitet worden. Wenn man sich anschaut, was dringe-standen hat, dann ist es nicht weit von dem entfernt, waswir jetzt tatsächlich umgesetzt haben. Die Grundstrukturist nämlich genauso. Deswegen wundere ich mich dar-über, dass Sie unser Konzept und überhaupt die Öko-steuer für ein Horrorkonstrukt der rot-grünen Regierunghalten. Sie kritisieren damit die für Sie ja so wichtigeund fähige Generalsekretärin. Ich würde mit ihr viel-leicht noch einmal Rücksprache nehmen. Ich glaube,dass Sie sie damit beschädigen. Sie macht sich un-glaubwürdig.
– Ja, ja, warum ist er wohl erarbeitet worden? Also, Sie wissen ganz genau, dass in Sachen Klima-schutz eine riesige und sehr schwierige Aufgabe vor unsliegt. Die kommenden Maßnahmen müssen ein Bündelsein. Es sind verschiedene Dinge, die erarbeitet werdenmüssen. Aber an vorderster Stelle muss das Thema E-nergieeinsparen stehen, das heißt energiesparende Tech-nologien entwickeln, damit Arbeitsplätze schaffen undeinen Wettbewerbsvorsprung erhalten. Auch das ist po-sitiv, wenn wir mit Technologien schneller und weitersind als andere Staaten.Dr. Peter Paziorek
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7402 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Der Punkt ärgert mich an dieser Debatte besonders.Voraussetzung für solche Maßnahmen ist, dass es in derBevölkerung ein breites Zustimmungsfundament gibt.Wir haben lange über solche und andere Instrumentediskutiert. Sie versuchen in für mich unverantwortlicherWeise
aus billigen wahltaktischen Gründen genau dieses Fun-dament zu zerstören.
Das ist nicht auch nur ansatzweise akzeptabel.Nun kann man in Schleswig-Holstein zufällig hierund da Kommentare der Ökosteuerspezialisten der CDUlesen, in denen zum Beispiel behauptet wird, Rot-Grünmacht das Autofahren unbezahlbar und gefährdet dieExistenzen vieler. Das finde ich schon sehr erstaunlich,wenn man daran zurückdenkt, welche Steuererhöhun-gen, die nicht zurückgeflossen sind, Sie beschlossen undumgesetzt haben. Kein Mensch hat damals davon gere-det, dass irgendjemand Schwierigkeiten bekommenkönnte. Ich will dazu noch ein paar Bemerkungen machen.
Das können Sie
nicht Frau Kollegin, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Das ist wirklich schade.
Also dann einen Schlusssatz. Als Sie die Mineral-
ölsteuer erhöht und dabei wirklich zugeschlagen haben,
als Sie die Lohnnebenkosten immer weiter haben in die
Höhe treiben lassen, als Sie die Bürgerinnen und Bürger
immer weiter mit Kosten – vor allen Dingen im Ge-
sundheitsbereich – und anderem belastet haben, haben
Sie kein Wort darüber verloren, ob die Menschen damit
klarkommen oder ob es auch soziale Gruppen gibt, die
besondere Schwierigkeiten kriegen. Weil Sie uns nach
diesen Maßnahmen außerdem noch einen völlig de-
saströsen Bundeshaushalt hinterlassen haben, finde ich,
kann man Ihre Aktion und Ihren Debattenwunsch wirk-
lich als scheinheilig betrachten.
Jetzt hat Kollege
Ronsöhr, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Prä-sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hierwurde ja nun wieder erklärt, dass die Ökosteuer zu garkeinen ungerechtfertigten Belastungen führe, dass siekeine Wettbewerbsverzerrungen mit sich bringe. Ich willIhnen einmal sagen, was der Landwirtschaftsminister imDezember in Braunschweig erklärt hat. Als Erstes ein-mal sei er eine Einmannbewegung gegen die Ökosteuer. Als Zweites hat er erklärt, die Ökosteuer führe in derLandwirtschaft zu erheblichen Wettbewerbsverzerrun-gen. Die Ökosteuer belaste die Landwirtschaft überpro-portional. Das, was laut Herrn Funke für die Landwirt-schaft gilt, gilt nach meiner Meinung auch für die länd-lichen Räume. Ich finde es schon etwas eigenartig, wennSie, Frau Ganseforth, davon sprechen, dass die Men-schen Energie verquasen. Was soll denn ein VW-Arbeiter in meinem Wahlkreis machen, der 30 Kilome-ter vom Volkswagenwerk entfernt wohnt? Er fährt mor-gens mit seinem Auto dort hin. Er kauft sich ein kleines,sparsames Auto. Trotzdem wird ihm generell der Vor-wurf gemacht, er verquase Energie. Deshalb müssten dieBenzin- und Dieselpreise, die er bezahlen muss, steigen.
Ich finde das ungerecht.
– Sprechen Sie mit den Arbeitnehmern ruhig einmal ü-ber die Vorteile dieser Energieerhöhungen! Herr vonLarcher, ich habe sowieso den Eindruck, dass Sie in Ih-rer eigenen Partei politisch meistens dort stehen, wo Siekeiner abholt. Sie wird auch keiner abholen, wenn es umdie Interessen der Arbeitnehmerschaft von VW geht. Der VW-Arbeiter sagt: Wenn ich tanke
und allein die zusätzliche Belastung durch die Ökosteuerspüre, dann sind alle Entlastungen, die man mir früherversprochen hat, weg. Die Arbeitnehmer, die mit ihremFahrzeug zur Arbeit fahren müssen, werden ständig be-lastet. Das ist ungerecht.
Sie sollten sich einmal vor Augen führen, welche un-geheuren zusätzlichen Belastungen im ländlichen Be-reich durch den Transport eines Behinderten mit einemKleinbus entstehen.
– Hören Sie bitte zu! Ich habe Ihnen auch zugehört! –Verquast dieser Behinderte Benzin? Nein, er nimmt Leistungen wahr, die ihm zustehen und die er unbedingtzur Rehabilitation und zur Integration benötigt. Es ist imGrunde eine Sauerei, dass Sie alles verteuern.
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In der Landwirtschaft sind wir schon weiter. DerBundesminister für Landwirtschaft hat anlässlich derGrünen Woche – wir haben ihm genau zugehört – ange-kündigt, dass die Belastung der Landwirtschaft durchdie Verteuerung des Diesels um 900 Millionen DM ver-ringert werden soll. Das heißt, er hat anerkannt, dasshier eine überproportionale Belastung entstanden ist. Erhat dann unter dem Beifall der Bäuerinnen und Bauernerklärt, dass die Belastung wieder zurückgenommenwird. Ich finde das richtig. Bitte tun Sie dies auch! Sor-gen Sie wieder für vernünftige Regelungen bei der Gas-ölbeihilfe, damit diese Regierung nicht erst die Verteue-rung von Energie beschließt und nachher nur das zu-rücknimmt, was vorher an Belastungen der Landwirt-schaft zugemutet worden ist. Hier gibt es doch eineWettbewerbsverzerrung. Herr Schlauch, Sie haben über die Waldschäden imSchwarzwald gesprochen.
Ich habe mir angeschaut, wie man in Hochlagen Holzbergen kann. Dies ist ungemein schwierig. Auf der einenSeite benötigt man technisch sehr versierte Arbeitskräf-te. Aber auf der anderen Seite benötigt man auch Ma-schinen, die sehr viel Energie verbrauchen.
Wie ließe sich sonst das Holz an schwierigen Stellen si-cher bergen? Tun Sie doch nicht so, als ob sich jederSturm, der bisher über die Bundesrepublik oder über Eu-ropa niedergegangen ist, durch die Ökosteuer hätte ver-hindern lassen. Wenn Sie tatsächlich zu einem geringeren Energie-einsatz kommen – das ist Ihnen hier schon mehrmals er-klärt worden –, dann stimmen doch die finanziellenGrundlagen, die Sie hinsichtlich der Rentenversicherungvorgetragen haben, nicht mehr.
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an die Redezeit.
Insofern
ist die Ökosteuer von vornherein nur Lug und Trug ge-
wesen.
Im Grunde genommen hat die Bevölkerung das längst
durchschaut. Wir warten die Wahlergebnisse ab, auch
das der Grünen in Schleswig-Holstein.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Die Grü-
nen in Schleswig-Holstein haben die Ökosteuer abge-
kanzelt. Das wird auch die Bevölkerung in diesem Lan-
de tun.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass ich etwas länger
habe reden können.
Nein, Herr Kollege,Sie durften nicht länger reden, weil wir in einer Aktuel-len Stunde sind; aber wir sind ja großzügig.Ich erteile nun dem Ministerpräsidenten des Saarlan-des, Herrn Peter Müller, das Wort.
Peter Müller, Ministerpräsident [Saarland]: FrauPräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Die Idee des ökologischen und sozialen Umbaus unseresSteuersystems ist richtig.
Das Etikett einer Ökosteuer ist positiv besetzt.
Weil das so ist, lieber Herr Abgeordneter Schlauch,
muss die Frage erlaubt sein, ob dort, wo „Ökosteuer“draufsteht, auch „Ökosteuer“ drin ist. Ich sage Ihnen:Das, was Sie vorgelegt haben, ist weder „öko“ noch „lo-gisch“ noch sozial und es hat mit der Idee einer ökologi-schen Veränderung unseres Steuersystems nichts zu tun.
Ich will Ihnen gerne begründen, warum das so ist.Das Wesen einer ökologischen Steuerreform ist dochwohl die Erzielung ökologischer Lenkungseffekte.
Das Wesen besteht darin, dass die Inanspruchnahme – –
– Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen. Hören Siedoch einmal zu! Vielleicht lernen Sie etwas, dann wardie Debatte zumindest für Sie nicht umsonst.
– Ich fange doch erst an.Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
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7404 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Erstens. Einen ökologischen Lenkungseffekt erzieltman dadurch, dass die Inanspruchnahme natürlicherRessourcen nicht mehr kostenfrei, sondern zu kos-tenechten Preisen erfolgt, dass dadurch Sparanreize ge-setzt werden und eine Umweltrendite dergestalt erzieltwird, dass der Umweltverbrauch und damit zwingendauch das Aufkommen der Steuer zurückgeht.Was aber bieten Sie uns anstelle von kostenechtenPreisen an? Sie bieten uns an, dass diejenigen, die dienatürliche Lebensgrundlagen in besonderem Umfang inAnspruch nehmen und besonders viel Energie verbrau-chen, etwa das produzierende Gewerbe, – relativ gese-hen – deutlich weniger zahlen als der Normalverbrau-cher, der die Umwelt weniger in Anspruch nimmt.
Wer viel in Anspruch nimmt, der muss wenig zahlen;wer wenig in Anspruch nimmt, der muss viel zahlen.Das ist die Perversion der Idee einer ökologischen Steu-erreform. Deshalb können Sie dieses Etikett vergessen.
Zweitens. Maßstab für die Bemessung der Steuermüssten doch die Höhe und der Umfang der verursach-ten Emission sein. Damit ist aber überhaupt nicht ver-einbar, dass die CO2-Bilanz bei der Bemessung Ihres Ökosteuermodells überhaupt keine Rolle spielt.Drittens. Vor allem kalkulieren Sie mit einem stabilenAufkommen aus dieser Ökosteuer. Sie rechnen mit Jahrfür Jahr zusätzlichen Einnahmen für den Bundeshaus-halt, weil Sie damit Sozialversicherungsbeiträge stabili-sieren wollen.
Das hat zur Voraussetzung, dass ökologische Lenkungs-effekte nicht eintreten. Sie sind darauf angewiesen, dassnicht weniger Energie verbraucht wird, weil sonst IhreRechnung nicht mehr aufgeht. Deshalb wiederhole ich:Da steht zwar „Ökosteuer“ drauf, aber da ist keine Öko-steuer drin.
Weil das so ist, sollten Sie das Gesetz vielleicht „Ge-setz zur Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge“nennen. Darüber kann man reden. Sie können noch sohäufig Wolfgang Schäuble, Angela Merkel und anderezitieren: Sie sind für eine echte ökologische Lenkungs-steuer und nicht für das von Ihnen vorgeschlagene Mo-dell. Deshalb nutzen auch all diese Zitate nicht. Das magsich in der Debatte ganz gut machen; an der Sache gehtes vorbei.
Bei einem Gesetz zur Stabilisierung der Sozialversi-cherungsbeiträge
– Herr Schlauch, ich weiß gar nicht, warum Sie sich soaufregen; irgendwie habe ich den Eindruck, dass da einkritischer Punkt getroffen worden ist – muss die Frageerlaubt sein, wer davon profitiert und einen Vorteil hat,
wer die Lasten trägt und ob die Lasten gerecht verteiltsind. Wer gewinnt? Gewinner sind diejenigen
– das ist offensichtlich notwendig in diesem Haus –,
bei denen die Entlastung durch geringere Sozialversi-cherungsbeiträge höher ist als die zusätzliche Belastungüber höhere Steuern. Gewinner ist aber auch der Bund.Sie können da erzählen, was Sie wollen.
Sie wollen die Sozialversicherungsbeiträge stabilisierenund sogar eine Senkung um einen Prozentpunkt erwirt-schaften.
Diesem entspricht etwa ein Betrag von 20 MilliardenDM. Für das Jahr 2003 erwarten Sie ein Aufkommen inHöhe von 35 Milliarden DM.
Es geht also in allererster Linie darum, zusätzlicheHandlungsspielräume zu erwirtschaften, um Haushalts-löcher zu stopfen. Das ist die Wahrheit an dieser Stelle.
Wer aber ist der Verlierer? Verlierer sind diejenigen,die diese Steuer, die Sie Ökosteuer nennen, zahlen müs-sen, ohne selber entlastet zu werden. Das sind Studen-ten, viele Alleinerziehende, Sozialhilfeempfänger, Be-amte und Selbstständige. Die Arbeitslosen heranzuzie-hen, um die Sozialversicherungssysteme derjenigen zustabilisieren, die Arbeit haben, ist sozial nicht ausgewo-gen, sondern ungerecht. Deshalb kann ich sagen, dassdiese Steuer unsozial ausgestaltet ist.
Sie bekommen weitere Gleichheits- und Gerechtig-keitsprobleme.
Die umfänglichen Ausnahmen, die Sie auf der einen Sei-te vorsehen, rechtfertigen nicht, an anderen Stellen dieSteuern in vollem Umfange zu erheben. Ministerpräsident Peter Müller
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7405
Eben wurden die Bauern angesprochen. Herr Funkehat jetzt erklärt, dass es so nicht gehe und man hier na-türlich etwas machen müsse, zum Beispiel steuerver-günstigten Agrardiesel wie in Frankreich anbieten. Hier-zu hat sich Herr Eichel kryptisch geäußert. Im Zweifels-falle müssen Sie einen weiteren Ausnahmetatbestandschaffen. Das Ergebnis davon wären mehr Bürokratie,noch unüberschaubarere Regelwerke, noch weniger sys-tematische Gerechtigkeit. Das ist sicherlich kein sinn-voller Beitrag in dieser Debatte.
Was machen Sie mit den Speditionsunternehmen, diemit enorm niedrigen Umsatzrenditen arbeiten? JederLkw wird pro Jahr bei jeder Stufe mit 2 800 DM zusätz-lich belastet. Ich komme aus einer Grenzregion undweiß, unter welchem Konkurrenzdruck die Speditions-unternehmen stehen angesichts der Unternehmen auf deranderen Seite der Grenze.
Mit Ihrem Modell gefährden Sie die Existenz der Spedi-tionsunternehmen. Deshalb ist es nur allzu verständlich,dass diese Unternehmen den Weg zum Ver-fassungsgericht beschreiten.
Verehrter Herr Diller, Sie haben gesagt, Sie wohntenan der Grenze zu Luxemburg. Auch ich wohne dort. Siehaben so sicherlich die Möglichkeit, irgendwann einmalam Wochenende nach Schengen, Perl oder sonst wohinan die luxemburgische Grenze zu fahren und sich anzu-schauen, was dort los ist. Was ist dort los? Endlose Kfz-Schlangen von Deutschen, die nach Luxemburg fahren,um dort billig zu tanken.
Das hat zur Folge, dass die Existenzgrundlage deutscherTankstellenbesitzer gefährdet wird und auch dort Exis-tenzen vernichtet werden. Das ist die Wahrheit. Daswerden Sie doch wissen, wenn Sie dort wohnen.
Deshalb sage ich Ihnen: Auf dem,
lieber Herr Kollege Schlauch, was Sie hier vorgelegt ha-ben, steht Ökosteuer drauf, ist aber nicht Ökosteuer drin.
Sie haben dazwischengerufen: „Der Aufklärer Müller!“Wenn ich Sie heute darüber aufgeklärt habe, ist es gutfür den politischen Diskurs in der BundesrepublikDeutschland.
Was Sie hier vorlegen, ist ein Abkassiermodell, mehrnicht, ein reines Abkassiermodell. Ein Pendler, der25 000 Kilometer im Jahr zu fahren hat, muss mit einerMehrbelastung in einer Größenordnung von etwa 800DM rechnen, ein Vierpersonenhaushalt mit einer etwagleichen Belastung. Deshalb ist es notwendig, bei die-sem Gesetz dringend Nachbesserungen vorzunehmen. Da hilft nicht – auch das will ich sagen –
der Hinweis auf die Benzinpreise in anderen europäi-schen Ländern. Sie können doch Länder, in denen es keine Kfz-Steueroder ein völlig anderes Verhältnis von indirekten und di-rekten Steuern gibt oder in denen die Verbrauchsteuernvöllig anders ausgestaltet sind, nicht mit der Bundesre-publik Deutschland vergleichen.Ein Benzinpreis von 2 DM, den wir im Moment nichthaben, den wir aber zum Jahreswechsel hatten
und den wir wieder bekommen werden, wenn sich dieÖlpreise entsprechend entwickeln,
ist bei dem Steuersystem der Bundesrepublik Deutsch-land zu hoch. Er ist nicht vertretbar und muss vermiedenwerden.
Ich teile nicht alles, was der Bundeskanzler GerhardSchröder gesagt hat; aber in einem hatte er Recht: Am6. September 1998 hat er gesagt, mit 6 Pfennig mehrbeim Benzin sei das Ende der Fahnenstange erreicht.
Mittlerweile sind es 14 Pfennig mehr. Wenn es nach Ih-ren Plänen geht,
werden es im Jahr 2003 35 Pfennig mehr sein. Das Wortdieses Kanzlers scheint nicht viel wert zu sein. Das ha-ben wir in der Rentendiskussion gesehen, das sehen wirhier wieder.
Ministerpräsident Peter Müller
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7406 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Deshalb sage ich Ihnen zusammenfassend: Das, wasSie unter dem Etikett „Ökosteuer“ vorlegen, bringt keineökologischen Lenkungseffekte, es ist kein Beitrag zumKlimaschutz und hilft der Erhaltung der Lebensgrundla-gen nicht. Es ist wettbewerbsfeindlich, es gefährdet Existenzen und es ist sozial unausgewogen. Deshalbsollten Sie diese Pläne zurückziehen.
Zur Geschäftsord-
nung hat der Kollege Grund das Wort.
Frau Präsidentin, da
der Ministerpräsident des Saarlandes als ein Vertreter
des Bundesrates in dieser Aktuellen Stunde länger als
10 Minuten gesprochen hat, beantrage ich gemäß § 44
Abs. 3 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundesta-
ges, zu diesen Ausführungen eine allgemeine Debatte zu
eröffnen.
Dieses Ansinnen hat
auch die SPD-Fraktion an mich herangetragen. Es ist
richtig, dass der Ministerpräsident mehr als zehn Minu-
ten gesprochen hat.
– Das ist alles geplant und organisiert; jedenfalls ist es in
§ 44 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung geregelt.
Ich schließe also die Aktuelle Stunde und eröffne die
Aussprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung
ist für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.
Ich erteile dem Kollegen Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Prä-sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! HerrMinisterpräsident Müller, ich bin Ihnen sehr dankbar,dass Sie einleitend noch einmal auf die Richtigkeit desGrundgedankens der ökologischen Steuerreform hinge-wiesen haben.
Wir wissen allerdings alle, dass der Anlass für die heuti-ge Debatte gar nichts mit dem Prinzip zu tun hat. DasPrinzip ist allgemein anerkannt. Der Hauptanlass für dieheutige Debatte
hat mit der gesetzgeberischen Arbeit dieses Hohen Hau-ses gar nichts zu tun, sondern einerseits mit der begreif-lichen Verärgerung von Autofahrern, dass wir zeitweiligdie berühmten 2 DM pro Liter Superbenzin erreicht ha-ben,
und andererseits mit dem ebenso begreiflichen Wunschder Opposition, insbesondere der CDU/CSU, endlicheinmal wieder Themen zu erörtern, die für sie nicht soärgerlich sind.
Die Begreiflichkeit solcher Wünsche stellt aber nochnicht automatisch einen Beitrag zu dem gesetzgeberi-schen Verfahren dar, das wir im November 1999 abge-schlossen hatten. Deshalb ist auch inhaltlich gar nichtsNeues dazugekommen. Das hat mich aber nicht beson-ders überrascht.
Im Jahr 1999 ist der Weltrohölpreis von etwa10 Dollar auf etwa 25 Dollar pro Fass angestiegen. Dasist natürlich der Hauptgrund für die Preissteigerung, diedie deutschen Autofahrer so ärgert. Sie, meine verehrtenDamen und Herren von der Opposition, hatten währendIhrer Regierungszeit etwas mehr Glück.In den fünf Jah-ren, in denen Sie den Benzinsteueranteil um 50 Pfennigerhöht haben, konnten Sie davon profitieren, dass sichdie OPEC nicht einig war und dass der Dollar relativschwach war. Deswegen haben die Autofahrer von die-ser Erhöhung nicht so viel gemerkt. Es ist daher ange-sichts der Tatsache, dass sich heute die OPEC einig istund der Dollar hoch steht, einfach zu billig, zu sagen,die SPD und die Grünen seien schuld. Da gibt es dochkeinen Zusammenhang!
Einige der Redner der Opposition haben schon vor-ausgesagt, wie das Bundesverfassungsgericht urteilenwird. Ich bin nicht ganz so verwegen und maße mirnicht an, vorsorgliche Richterschelte zu betreiben. Ichsage vielmehr, dass beispielsweise das, was ProfessorSchön zum Thema Ökosteuer vorgelegt hat, überhauptnichts mit Ihren Argumenten zu tun hat. Es hat nichtsmit Öko und mit der Gleichverteilung zu tun, wovon dieverehrten Damen und Herren von der Opposition aufMinisterpräsident Peter Müller
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7407
einmal sprechen. Es ist übrigens sehr interessant, HerrSolms, dass die F.D.P. auf einmal für Gleichverteilungund für gleichmäßige Behandlung spricht. Das habenwir sonst in der Vergangenheit von Ihnen nie gehört.
– Wir werden Sie später beim Wort nehmen.Die zentrale Aussage, um die es ja schließlich geht,ist die Behauptung von Ihrer Seite, dass eine Lenkungs-wirkung gar nicht eintrete. Diese Aussage ist einemerkwürdige Mischung aus trivial und falsch. Trivial istdiese Aussage deshalb, weil man innerhalb von zehnMonaten nach Beginn dieser ökologischen Steuerreformbei einem so langsam wirkenden Prozess wie der Anpas-sung an unterschiedliche Energiepreisniveaus eine Len-kungswirkung gar nicht erwarten kann. Jeder weiß, dassdie Konstruktion eines effizienten Motors und seineMarkteinführung etwa fünf Jahre in Anspruch nimmt. Inpraktisch allen Wirtschaftsbereichen, in denen Energieeingesetzt wird, braucht man fünf bis zehn Jahre, bis dasSignal seine Wirkung entfalten kann.
Deswegen ist es vollkommen unsinnig zu erwarten, dassinnerhalb von zehn Monaten die große Lenkungswir-kung eintritt.Auf der anderen Seite ist diese Aussage auch falsch,denn die Lenkungswirkung hat prospektiv längst einge-setzt. Ein Freund von mir fährt den berühmten Smart,der vor etwa zwei Jahren als neues Ökoauto eingeführtworden ist. Dieses Auto braucht immerhin acht LiterBenzin im Stadtverkehr.
– Ja, so ist es. – Nachdem wir die ökologische Steuerre-form eingeführt haben, kündigt der Daimler-Chrysler-Konzern auf einmal die Entwicklung eines Öko-Smartsan, der nur noch drei Liter – wenn auch Diesel – ver-braucht. Das heißt, die Wirkung ist längst vorhanden,weil die Entwicklung vorausgesehen wird.
– Das Dreiliterauto war vielleicht ein Ladenhüter. Aberseit wir die ökologische Steuerreform begonnen haben,besteht eine Nachfrage nach diesem Auto. Vorher war esein Ladenhüter, das war das Traurige.
Wie Frau Kollegin Ganseforth schon sehr richtig aus-geführt hat, geht es gar nicht darum, mit dem Instrumentder ökologischen Steuerreform allein die ganz großeWirkung zu erzielen. Sie ist vielmehr in einen vernünfti-gen Instrumentenmix, zum Beispiel im Häuserbereichmit der geplanten Energieeffizienzverordnung, eingebet-tet. Wir wollen gleichzeitig die erneuerbaren Energie-quellen stärken. Wir haben im Rahmen des Gesetzes ü-ber die Fortführung der ökologischen Steuerreform dieKraft-Wärme-Kopplung ganz besonders berücksichtigt,sodass sich ihr Anteil von 10 auf 20 Prozent verdoppelt.Zusammen mit anderen Maßnahmen wird im Gesamt-paket tatsächlich die ökologische Wende herbeigeführt.Es ist natürlich bequem und einfach zu sagen: Diearmen Autofahrer und die Fernpendler haben es heute soschwer. – Gerade diese werden die Ersten sein – bei ih-nen gibt es nämlich den raschesten Austausch von Au-tos –, die von der neuen Generation von Kraftmaschinenfür Autos profitieren werden. Ich rechne also fest damit,dass die Innovation, die unseren IndustriestandortDeutschland schließlich so robust gemacht hat, weitervorangetrieben wird. Wir haben endlich den Anschlussan die europäische Entwicklung gefunden.Die Winterstürme in Frankreich – auch das ist schongesagt worden – haben dazu geführt, dass die National-versammlung heute endlich das nachholt, was sie imMai letzten Jahres schon wollte, damals aber noch nichtdurchsetzen konnte. Jetzt ist die Mehrheit der EU-Länder schon auf demTrip. Es wäre sehr schön, Herr Ministerpräsident Müller,wenn Sie Ihre politischen Freunde in Spanien davon ü-berzeugen könnten, endlich die Blockade auf europäi-scher Ebene aufzugeben –
es sind ausdrücklich Ihre politischen Freunde – , denndann hätten wir auch etwas weniger mit Tanktourismuszu tun. Ganz Europa hat ein großes Interesse daran, einelangfristige Perspektive der technologischen Entwick-lung und der Sicherung der ökologischen Grundlagenfür unsere Enkel zu haben. Deswegen halte ich die sehraktualpolitische und ein bisschen an den Haaren herbei-gezogene Diskussion, die Sie hier zu entfesseln versuchthaben, für ziemlich daneben. Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Georg Brunnhuber, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Minister-präsident des Saarlandes sehr dankbar,
dass er als einziger Redner hier einen Bereich angespro-chen hat, den weder der Staatssekretär noch jemand vonder SPD und den Grünen auch nur erwähnt hat, nämlichDr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
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7408 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
den gesamten Güterkraftverkehrsbereich. Hierbei gehtes um Arbeitsplätze, und zwar um sehr viele Arbeits-plätze. Das Bundesamt für Güterverkehr – es ist sicherlichkein Oppositionsinstrument – hat im November 1999festgestellt, dass die Ökosteuer in diesem Bereich beiden Speditionen bis zu 380 000 Arbeitsplätze kostenkann.
– Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, das inte-ressiert Sie ja offensichtlich nicht. Wer darüber lacht,hat nicht begriffen, dass die Ökosteuer in diesem Landwirklich Arbeitsplatz gefährdend ist.
Sie haben auch nicht bedacht, wie ungerecht die Öko-steuer für diese Betriebe ist. Ich mache Ihnen eineRechnung auf: Rund 1 Prozent aller Firmen in Deutsch-land ist nur im Güterkraftverkehrsbereich tätig. Dieseseine Prozent der Unternehmen zahlt fast 40 Prozent derMehrkosten durch die Ökosteuer und damit also in dieRentenversicherung. Großbetriebe aber, die Millionenvon Beschäftigten haben, haben Sie herausgenommen.Wo ist denn da die Lenkung? Es zahlen lediglich dieKlein- und Mittelständler im Güterkraftverkehrsbereich,aber die anderen haben sie laufen gelassen.
Ich stehe mit ganzem Herzen hinter der Klage des Gü-terkraftverkehrsbereichs, des Bundesverbandes für Gü-terkraftverkehr, BGL, beim Bundesverfassungsgericht;denn es kann doch nicht sein, dass 1 Prozent der Unter-nehmen fast 40 Prozent der Rentenversicherung über-nimmt. Das ist ungerecht. Sie können es drehen undwenden wie Sie wollen, aus dieser Situation kommenSie nicht heraus.Herr Schlauch, Sie haben diesen Unternehmen nichtszu bieten, denn Sie sagen diesen Unternehmen nicht,wie sie aus dieser schwierigen Situation herauskommenkönnen; sie sind mit ihrem Problem alleine gelassen. DieRendite bzw. die Gewinnmarge in diesem Bereich – dasweiß doch jeder hier – ist so knapp bemessen, dass dieMehrkosten bei der Mineralölsteuer alles auffressen. DieExistenzgefährdung in diesen Betrieben ist enorm.
Gehen Sie doch einmal in Stuttgart zu irgendeinem mit-telständischen Gewerbeunternehmen, das sechs Lkwshat. Dieser Unternehmer hat 200 000 DM an Mehrkos-ten und bekommt 20 000 DM über die Lohnnebenkostenvergütet. Damit aber ist er pleite, weil er nirgendwo dasverdient, was er an Mehrkosten hat. Er kann auch seine Kosten nicht umlegen, denn eskommt noch ein Zweites hinzu, das Sie ebenfalls nichtbedacht haben. Es werden hier andauernd Schäuble-,Merkel- und CDU-Papiere zitiert. Wir haben immer ge-sagt, dies muss europäisch harmonisiert werden,
weil sonst die Konkurrenz zu groß wird. Herr Schlauch,Sie sollten sich einmal mit Herrn Schmidt unterhalten,denn er versteht davon ein bisschen mehr, aber er darfheute leider Gottes nicht reden. Herr Schmidt würde Ih-nen nämlich sagen: In diesem internationalen Konkur-renzkampf vergüten die Franzosen ihren gewerblichenSpediteuren sogar noch die Differenz, die die OPECdurch ihre Ölpreisschwankungen gelegentlich draufsat-telt. Da auch die Gewerbe- und Sozialvorschriften indiesem Bereich dort anders sind als bei uns, haben unse-re deutschen Güterkraftverkehrsunternehmen keineChance im Konkurrenzkampf gegen diese Betriebe.
Sie belasten den Lkw-Verkehr, Sie belasten den Au-tofahrer und gleichzeitig kürzt die Regierung die Stra-ßeninvestitionsmittel in jedem Haushalt bis zum Endeder Legislaturperiode drastisch. Keine Umgehungsstraßekann gebaut werden, keine Autobahn kann entsprechendsaniert werden. Wenn Sie das Geld wenigstens dort ein-setzen würden, hätte es einen ökologischen Sinn be-kommen, denn jeder Stau, der vermieden wird, wäre fürdie Umwelt wirklich ein Segen. Das verhindern Sie.
Sie kassieren bei den Lkws ab, Sie kassieren bei den Au-tofahrern ab und gleichzeitig sparen Sie im Straßenin-vestitionshaushalt. Das ist eine Politik, die eigentlichunverantwortlich ist. Da müssten Sie als Umweltpoliti-ker doch sagen: So kann es nicht weitergehen. Ich finde,auch hier machen Sie einen kapitalen Fehler. DieserFehler wird sich hoffentlich noch rächen. Ich möchte Ihnen außerdem sagen. Wenn Sie über dieÖkosteuer reden und versuchen, diese Mogelpackungmit allen möglichen Argumenten, die nichts damit zutun haben, zu rechtfertigen, dann werden Sie bei denen,die jeden Tag den Bus im ländlichen Raum benutzenmüssen, überhaupt kein Verständnis finden, denn dieFahrpreise für den Bus sind am 1. Januar dieses Jahresgestiegen. Am 1. Februar 2000 werden auch noch dieBahnpreise steigen.
Wie wollen Sie das denn den Leuten erklären? Sie ma-chen den Individualverkehr teurer und gleichzeitig wirdauch der öffentliche Verkehr teurer. Ich kann Ihnen nursagen, bei Ihrer Politik passt hinten und vorne nichts zu-sammen.
Herr Kollege, den-ken Sie an Ihre Redezeit!Georg Brunnhuber
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7409
Meine lieben Kol-
leginnen und Kollegen, wenn die Verfassungsklage der
verschiedenen Verbände durchkommt, dann stehen Sie
vor einem Scherbenhaufen sowohl was die ökologische
Politik angeht als auch was die Verkehrspolitik anbe-
langt.
Jetzt hat der Kollege
Klaus Müller vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Brunnhuber, nur mit Horrorzahlen zu
argumentieren und dabei Tausende, Zehntausende, Hun-
derttausende potenziell verlorene Arbeitsplätze in den
Raum zu stellen ist weder kreativ noch hilfreich, noch
ein besonders kluger Beitrag zur anstehenden Debatte.
Ich möchte Sie an Ihre Fraktionskollegen erinnern.
Nicht nachher, nicht nach dem Veto von Kohl, der
F.D.P. und anderen, sondern vorher waren auch Herr
Repnik und andere Fraktionskollegen für einen nationa-
len Vorstoß, für Innovation in der Ökosteuer.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass Ihr Beitrag
mich nicht dazu animiert hat, mich mit ihm zu be-
schäftigen. Spannender fand ich den Beitrag von Herrn
Peter Müller. Man ist aus dem Saarland gewohnt, dass
dort etwas kantige Ministerpräsidenten amtieren. Das
war früher so mit manchmal eigenen Ideen. Vielleicht
setzen Sie eine Tradition fort. Nur leider war Ihre Rede
gespickt mit Widersprüchen, wobei Sie in einem Mo-
ment das eine behaupteten und im nächsten Moment das
Gegenteil.
Sie beklagen die Pendlerbelastung. Sie haben aus-
führlich dargestellt – manche Kollegen von der CDU
auch –, wie sehr die Pendlerinnen und Pendler im länd-
lichen Raum leiden würden.
Im nächsten Satz dementieren Sie jede Lenkungswir-
kung. Sie sagen, die Ökosteuer habe doch mit Öko
nichts zu tun.
Sie müssen sich entscheiden. Sagen Sie, es gibt eine
Belastung für Pendlerinnen und Pendler und einen An-
reiz, weniger zu fahren, oder gibt es keine Lenkungs-
wirkung? Insofern widersprechen Sie sich selbst.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ronsöhr?
Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Gerne.
Bitte sehr.
Herr Kol-lege, Sie haben soeben angesprochen, dass die Ökosteu-er möglicherweise doch eine Lenkungswirkung hätte.
Sie haben nicht bestritten, dass die Pendler eine beson-dere Belastung haben. Ist es also so, dass die Ökosteuereine Lenkungswirkung gegen die ländlichen Räume undgegen die Pendler in den ländlichen Räumen hat?Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Lieber Kollege, ich glaube, Sie haben nichtbegriffen, was das Wort Ökosteuer bedeutet.
– Jetzt rede ich. Hören Sie einfach einmal zu! Ich willIhnen das gerne noch einmal erklären. Jeder Mensch, der lange Strecken mit dem Auto fährt,belastet die Umwelt entsprechend höher. Da sind wir,glaube ich, einer Meinung. Darin, dass das nicht gut ist,sind wir, glaube ich, auch einer Meinung, ebenso darin,dass der Mensch manchmal keine Alternative hat. Wirbieten ihm Alternativen und schaffen einen marktwirt-schaftlichen Anreiz – nicht ordnungspolitisch, wie Siedas vielleicht manchmal getan haben –, über diese nach-zudenken. Das ist das Prinzip der Ökosteuer.Je höher die Belastung für die Pendler ist – wie Sieund der Ministerpräsident es behauptet haben; natürlichhat ein Pendler eine höhere Belastung –, desto größer istder Anreiz, sich nach Alternativen umzuschauen. Das istgenau das Prinzip einer Lenkungswirkung: einenmarktwirtschaftlichen Anreiz zu schaffen, dass andereVerkehrsmittel genutzt werden, dass man sich Alternati-ven sucht
und genau überlegt, ob nicht Fahrgemeinschaften oderandere Möglichkeiten interessant sein könnten. KlugeMenschen kommen von selber darauf, manche Politikeretwas später.
Aber ich möchte gerne zur Rede des Ministerpräsi-denten zurückkommen. Herr Müller, Sie haben die Aus-nahme energieintensiver Unternehmen beklagt. Ichmöchte wissen, was in diesem Saal los wäre, wenn wir
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7410 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
das nicht gemacht hätten. Dann hätten Sie uns doch zuRecht gesagt, dass die Chemiewirtschaft, die Metallwirt-schaft, die Mineralölwirtschaft usw. vor dem Bankrottstünden. Dann würden Sie hier das Chaos ausrufen, weiles um Hunderttausende von Arbeitsplätzen ginge.
Deshalb haben wir maßvolle Schritte angekündigt,langfristig, berechenbar und mit Ausnahmen für einigeUnternehmen, die das nicht von heute auf morgen hättenverkraften können. Das ist ökonomisch sinnvoll undvernünftig.Nächster Widerspruch. Sie sagen, die Union stündeeigentlich für das bessere Ökosteuerkonzept.
Sie finden Ökosteuern gar nicht so verkehrt. Dafür gibtes genügend Zitate. Ich halte Sie auch für eine klugePerson, die das durchaus richtig erkannt hat. Für anderein Ihrer Fraktion gilt das nicht. Das heißt, auf der einenSeite schicken Sie hier Wadenbeißer ins Rennen – denKollegen Michelbach kennen wir für so etwas –, die ge-gen die Ökosteuer holzen, und auf der anderen Seite
– genau – kommen die Denker und sagen, dieCDU/CSU hätte das bessere Ökosteuerkonzept. DenMut, ein besseres Ökosteuerkonzept in den Bundestageinzubringen, hat die CDU/CSU-Fraktion aber nicht.
Dazu gehört intellektuelle Fähigkeit und mehr. Das hatIhre Fraktion nicht und das ist traurig und schändlich.
Nächster Punkt. Sie beklagen, die Ökosteuer sei un-sozial. Gleichzeitig war es Ihre Fraktion – und leiderauch einige Ministerpräsidenten aus CDU-Reihen –, diegegen die Erhöhung der Sozialhilfe für Kinder polemi-siert haben, welche wir zum 1. Januar dieses Jahres be-schlossen und in Kraft gesetzt haben – gegen Ihren Wi-derstand. Sie haben dagegen bis zum Erbrechen polemi-siert. Sie haben dagegen ins Feld geführt, das widerspre-che dem Lohnabstandsgebot usw. Das heißt, auf der ei-nen Seite klagen Sie, wir seien unsozial, auf der anderenSeite sind Sie gegen soziales Verhalten. Das ist, mitVerlaub, Heuchelei.Letzter Punkt. Herr Austermann, Sie haben sich hierin Zahlenakrobatik und Ähnlichem versucht. Ich findedas enttäuschend. Genauso haben Sie versucht, gegendas Sparpaket zu polemisieren. Aber mit den Zahlenge-bäuden, die zusammengebrochen sind, haben Sie dasauch diesmal nicht geschafft. Ich frage mich: Warummachen Sie das? Ich glaube, Herr Austermann, das hatetwas mit Ihren Berufsperspektiven zu tun. Ich erinneremich an Ihre Ansage, gerne Finanzminister in Schles-wig-Holstein werden zu wollen.
Aber die CDU in Schleswig-Holstein ist zurzeit dabeieinzubrechen, und zwar von 49 Prozent auf 43 Prozent,auf 41 Prozent, auf 38 Prozent. Die CDU ist im freienFall. Ich sage Ihnen: Schleswig-Holstein wird weitervon Rot-Grün regiert werden, egal, welche Kampagneund Polemik Sie hier anzuzetteln und einzubringen ver-suchen. Insofern wird Ihnen das nicht gelingen.Lassen Sie es sich gesagt sein, Herr Austermann: DieÖkosteuer wird kommen. Sie ist verfassungsfest, öko-nomisch sinnvoll und ökologisch richtig. Deshalb wer-den wir diesen Weg weitergehen.Vielen Dank.
Jetzt hat das Wort
der Kollege Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Herr Kollege Müller, es ist nicht zutreffend,
dass andere Parteien kein Konzept vorgelegt haben.
Die F.D.P. – für diese Partei spreche ich – hat ein Kon-
zept vorgelegt. In diesem Konzept war zum Beispiel
vorgesehen, die Kfz-Steuer abzuschaffen und die Mine-
ralölsteuer entsprechend zu erhöhen. In dem Konzept
der F.D.P. war zudem vorgesehen, die Kilometerpau-
schale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungs-
pauschale umzuwandeln. Ich frage mich bis heute, wa-
rum das zwar im rot-grünen Koalitionsvertrag verankert,
aber bis heute nicht umgesetzt worden ist.
Herr Kollege Thiele,
jetzt haben Sie Zwischenfragen provoziert. Lassen Sie
die zu?
Sofort.
Zuerst kommt Herr
Müller an die Reihe und dann Herr Eich.
Erst wenn dies erfol-gen würde, würde tatsächlich eine ökologische Len-Klaus Wolfgang Müller
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7411
kungswirkung erzeugt. Da Sie dies in Ihr Wahlpro-gramm geschrieben haben, ist mir nach wie vor unbe-greiflich, warum Sie unserem Antrag nicht zugestimmthaben. – Dazu erwarte ich jetzt Ihre Zwischenfrage, zuder Sie sich gemeldet haben.
Das Wort erteile
immer noch ich.
Entschuldigung, Frau
Präsidentin.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Klaus Müller und dann der Herr Eich.
Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Kollege Thiele, ich kann mir natürlich
zum einen nicht die Frage verkneifen, warum Sie dies
angesichts dessen, dass Ihre Partei 29 Jahre lang regiert
hat, nicht umgesetzt haben, und habe zum anderen die
Frage – wir haben ja lange über die Regelung hinsicht-
lich der Pendler gestritten –, ob nicht gerade Ihr Kon-
zept, also die Umlegung der Kfz-Steuer – ich persönlich
halte es an dieser einen Stelle für richtig; das will ich
nicht verhehlen –, Pendlerinnen und Pendler ganz be-
sonders belasten würde, so dass also genau das gesche-
hen würde, was Sie und Ihre Fraktionskollegen uns sonst
immer vorwerfen.
Zu Ihrem ersten
Punkt, Herr Kollege Müller: Es ist richtig, dass wir mit
unserer Auffassung in der Koalition keine Mehrheit ge-
funden haben. Sie sollten einmal mit Ihrer Kollegin
Scheel sprechen: In der letzten Wahlperiode gab es ein
Gesetzesvorhaben im Rahmen der Kfz-Steuer. Ich habe
damals gesagt – Frau Scheel, wir haben uns darüber un-
terhalten –, im Vermittlungsausschussverfahren gebe es
durchaus die Möglichkeit, Entsprechendes umzusetzen.
– Nein, das waren nicht nur die Länder. Es waren auch
die rot-grünen Länder, die nicht mitgespielt haben.
Insofern, Herr Kollege Müller, sollte, wenn man eine
ökologische Politik betreiben will – denn darüber spre-
chen wir –, das beschlossen werden, was tatsächlich eine
Lenkungswirkung entfaltet. Diese Wirkung hat Ihr Ge-
setz nicht. – Darauf komme ich gleich noch zu sprechen;
denn Herr von Weizsäcker hatte mich in diesem Zu-
sammenhang angesprochen. – Deshalb wäre ich dank-
bar, wenn Sie unseren Antrag wenigstens einer weiteren
Prüfung unterziehen und unserer Forderung möglicher-
weise zustimmen würden. Das wären Maßnahmen – im
Gegensatz zu Ihren –, die tatsächlich zu Effekten führen
würden.
Nun Ihre Frage,
Herr Kollege Ludwig Eich.
Herr Kollege Thiele, wie
kommt es zu dem Widerspruch – das ist doch die Kern-
frage –, dass Sie – Kollege Solms hat das getan; auch
Sie werden das vielleicht noch tun – einerseits das
Hohelied auf die Pendler singen, andererseits aber die
Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer umlegen
und dazu noch den Weg zum Arbeitsplatz steuersyste-
matisch – insoweit trifft das auch für die CDU/CSU zu –
nicht mehr anerkennen wollen, indem Sie fordern, dies
steuermindernd nicht mehr einsetzen zu können? Wie
können Sie eigentlich angesichts dessen, dass man diese
beiden Fakten miteinander verbinden kann, hier so tun,
als würden Sie ein besonderes Gewicht auf das Interesse
der Pendler legen?
Verzeihung, Herr Kol-lege Eich, ich möchte es Ihnen noch einmal erklären –Fragen dienen ja dazu, Antworten zu erhalten, insbeson-dere dann, wenn man Dinge nicht richtig verstanden hat–: Wenn die Kilometerpauschale in eine verkehrsmitte-lunabhängige Entfernungspauschale umgewandelt wird,dann bleibt die Pauschale für den Weg vom Arbeitsplatzzum Wohnort oder vom Wohnort zum Arbeitsplatz er-halten, selbst wenn man mit dem Auto fährt, sodasshierdurch keine Benachteiligung der Pendler erfolgt.Wir erreichen aber so eine steuerliche Gleichbehandlungder Personen, die den öffentlichen Personennahverkehr,das Fahrrad oder ein anderes Verkehrsmittel benutzen. Dazu nenne ich Ihnen noch einen anderen Aspekt:Wir erreichen hierdurch auch ein Mehr an Steuergerech-tigkeit. Denn wenn Sie sich mit Finanzbeamtenunterhalten, werden Sie hören, dass es unstreitig ist, dassdie Kilometerpauschale einen sehr hohen Missbrauchs-anteil hat. Wenn wir alle dazu beitragen wollen – geradedie heutigen Zeiten sind dazu angetan –, dass dieserPunkt mitbedacht wird, dann müssen wir das Steuersy-stem so gestalten, dass der Missbrauch reduziert wird.
Wenn man eine verkehrsmittelunabhängige Entfer-nungspauschale einführt, dann kommt es nicht mehr zudiesem massenweisen Missbrauch und Verstoß gegenGesetze, den es jetzt faktisch gibt. Das sind die Argu-mente, mit denen Ihre Frage beantwortet ist.Wir sagen weiter: Lasst uns den dritten Mehr-wertsteuersatz einführen! Dadurch würde keine zusätzli-che Belastung der Arbeitsplätze erfolgen, weil dies inden Betrieben ein durchlaufender Posten ist. Das ist einfundamentaler Unterschied. Weil Sie damit nicht klar-gekommen sind, haben Sie ein irrsinnig kompliziertesRegel-Ausnahme-System geschaffen, um die Arbeits-Carl-Ludwig Thiele
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7412 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
plätze möglichst nicht zu belasten. Dies aber wird nichtfunktionieren. Die Landwirtschaft wird nicht entlastet,sondern in Höhe von 900 Millionen DM belastet. DasSpeditionsgewerbe mit den Lkws und der Mittelstandwerden diese Steuererhöhung tragen müssen; auch siewerden nicht entlastet. Warum geschieht dies? Dies ge-schieht, weil der Regel-Ausnahme-Mechanismus nichtfunktioniert und unsystematisch ist.
Die Debatte über die ökologische Steuerreform wirdim Bundestag schon länger geführt. Aber die Debatteüber die rot-grüne ökologische Steuerreform ist von Ih-nen losgetreten worden. Ich bin von einem prominentenMitglied Ihrer Fraktion, von Herrn von Weizsäcker, derleider nicht mehr da ist, anfangs gebeten worden, ichmöge die ökologische Steuerreform nicht allzu sehr kri-tisieren, obwohl sie handwerklich nicht allzu gut sei,weil der Gedanke der Ökologie durch die Kritik nach-haltig Schaden erleiden könne. Genau das tritt momen-tan ein. Ihr Gesetz ist undurchdacht. Es kann mir heutenoch immer niemand erklären, warum der Gasverbrauchbesteuert wird, der Kohleverbrauch aber nicht.
Das ist natürlich Folge der grünen Politik. Sie hat fürKohlesubventionen gestritten. Als es seinerzeit darumging, endlich die Kohlesubventionen zu reduzieren, warder derzeitige Außenminister Joschka Fischer der Erste,der er eine Barrikade sah und fröhlich draufsprang, ummit den Bergarbeitern für den Erhalt der Kohlesubventi-onen zu demonstrieren.
Das ist unglaubwürdig und wird auch von Ihren eigenenLeuten nicht verstanden. Mir hat bislang kein Grünerglaubwürdig erklären können, was daran ökologisch ist,Mineralöl und Gas zu belasten, die Kohle aber nicht.
Das verstehen sogar Ihre Parteifreunde nicht. Wenn eine Partei unter dem Gesichtspunkt des Um-weltschutzes angetreten ist, den Begriff der Ökologieaber lediglich in die Überschrift eines Gesetzes setzt undin der Sache nicht dazu beiträgt, dass unsere Gesell-schaft ökologisch modernisiert wird, dann leidet dieGlaubwürdigkeit – auch in Schleswig-Holstein. Herr Müller, ich habe dem Handbuch entnommen,dass Sie bei den letzten Koalitionsverhandlungen inSchleswig-Holstein dabei waren. Das wird vermutlich indiesem Frühjahr nicht mehr der Fall sein, weil die Grü-nen ihre Glaubwürdigkeit auch in Sachen Umweltschutzlängst verloren haben. Sie sind zu einem Fischer-Wahlverein geworden. Grundsätzliche Überzeugungenzählen überhaupt nicht mehr.
Der entscheidende Fehler in Ihrem Konzept ist, dassSie behaupten, es würden Arbeitsplätze geschaffen. DasGegenteil ist der Fall: Arbeitsplätze werden vernichtet.Das ist der Grund, warum Ihre so genannte ökologischeSteuerreform, die in Wahrheit eine reine Steuererhöhungund ein reines Abkassieren ist, von den Bürgern auch alssolches durchschaut wird.
Jetzt hat die Kolle-
gin Christine Ostrowski, PDS-Fraktion, das Wort.
Ich finde es als Mit-glied der PDS schon sehr interessant zu sehen, wie sichzwei große Volksparteien hier bekriegen.
Es hat einen Vorteil, nicht in diesem unmittelbarenKampf zu stehen; die eine Seite ist schadenfroh wegender Spendenaffäre, die andere Seite versucht mühsam,die Ökosteuer auszunutzen, um der SPD einen überzu-ziehen. Wenn ich hier vorne stehe und eine Position ver-trete, dann weder, weil wir uns hier anbiedern müssen,noch aufgrund einer Wahlkampfnotsituation, sondernweil wir dies wirklich so sehen.
– Sehr wohl: Dann kommt es aus dem Herzen.Mich wundert wirklich sehr, dass Sie einen Fakt, denman unsozial nennen muss, nicht mehr unsozial nennen.Sie heißen im Übrigen Sozialdemokratische ParteiDeutschlands. Da können Sie nun machen, was Sie wol-len: Wenn ein Sozialhilfeempfänger 100 Prozent Steu-ern zahlen muss und null Entlastung bekommt,
dann ist das für mich unsozial; etwas anderes ist esnicht. Ich gebe Ihnen gern meine Rechnungen; das kön-nen Sie dann nachrechnen.
Wenn Familien mit niedrigem Einkommen umso mehrbelastet werden, je niedriger ihr Einkommen ist, dann istdas unsozial.Eine weitere Bemerkung noch einmal zur Lenkungs-wirkung. Es kann ja sein, dass Herr von WeizsäckerRecht hat – wahrscheinlich hat er sogar Recht – dassnämlich eine ökologische Lenkungswirkung nach einerso kurzen Zeit noch nicht eintreten kann. Was michCarl-Ludwig Thiele
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7413
verwundert, ist das Denken, das Konzept, mit dem dieBundesregierung und die Koalitionsfraktionen an dasProblem herangegangen sind. Es gibt eine interessanteDrucksache; das ist die Nummer 14/2228. Ich empfehlesie allen. Es ist die Antwort auf eine Anfrage derCDU/CSU-Fraktion. Wenn ich dort hineinschaue undsehe, dass die Regierung in ihrer Antwort schreibt, dasssich das Steueraufkommen von 1999 bis zum Jahre 2003um soundso viel Prozent erhöhen wird und dass sie esfür die Senkung der Rentenbeiträge einsetzen wird, dannweiß ich, dass die Regierung darauf baut. Sie wird,wenn sie diesen Zweck weiter verfolgt, auf diese Ein-nahmen angewiesen sein. Das kann doch nicht anderssein. Wenn das so ist, dann kann sie nicht gleichzeitigdas Ansinnen haben: Wir müssen das Steuerinstrumentso einsetzen, dass der Energieverbrauch gesenkt wird.Denn ansonsten ist Ihre Basis falsch. Oder Sie müssendas gleich offen sagen. Irgendetwas stimmt bei dieserökologischen Lenkungswirkung nicht.Meine letzte Bemerkung bezieht sich auf die Alterna-tiven zum Auto und auf das Umsteigen auf andere Ver-kehrsmittel. Die Krux liegt doch darin: Sie haben denBenzinpreis erhöht. 36 Prozent aller Beschäftigten müs-sen pendeln – das ergibt sich aus der Antwort der Bun-desregierung –, von Ort zu Ort, von Land zu Land. Nunkönnte man ja sagen: Sie können umsteigen. Völlig ir-real ist es zu sagen: Sie bilden Fahrgemeinschaften. Dasist weitab vom Leben; das muss ich Ihnen nun wirklicheinmal sagen.
Eine Alternative gibt es eben nicht. Denn der ÖPNV inder Fläche ist in der Umsetzung, in den Taktzeiten, inden Tarifen nicht adäquat. Viele Leute, die bisher Autogefahren sind und umsteigen wollen, können es nicht.Schauen Sie bitte in Ihr Investitionsprogramm; dannwerden Sie die Zahlen sehen. Dann wissen Sie sehr ge-nau, dass Sie für den öffentlichen Nahverkehr und fürden Ausbau des Schienenverkehrs wesentlich wenigertun als für den Ausbau von Straßen. Dann reden Sie mirhier nicht von Alternativen, schieben Sie das nicht aufdie Bürger und deuten nicht mit dem moralischen Zeige-finger auf sie.Es bleibt dabei:
Frau Kollegin,
kommen Sie bitte zum Schluss.
Die Ökosteuer ist keine
Steuer, die zur Finanzierung des öffentlichen Gemein-
wesens eingesetzt wird. Die Ökosteuer ist auch keine
Sozialversicherungsabgabe; das kann sie nicht sein, weil
viele, die abgezockt werden, nichts von der Senkung der
Rentenbeiträge haben. Die Ökosteuer ist ein Zwitterding
und muss deshalb auch verfassungsrechtliche Bedenken
hervorrufen. Sie ist letzten Endes ein Flickwerk, das un-
sozial ist und keine ökologische Lenkungswirkung hat.
Jetzt hat das Wort
der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe ein Stück
Mitgefühl für die Antrag stellende Fraktion, die uns heu-
te diese Aktuelle Stunde beschert hat.
– Ich kann das verstehen, Herr Kollege Michelbach.
Es gibt – da bin ich ganz sicher – viele Kolleginnen und
Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion, die sich – zu Recht
– ohne eigenes Mittun in eine Ecke gestellt sehen, in die
sie sich nicht hingehörig fühlen und die jetzt mit etwas
Verzweiflung nach Themen suchen, in der Hoffnung,
dass in der deutschen Öffentlichkeit auch wieder einmal
gut über die CDU/CSU gesprochen wird. Das kann ich
ein Stück weit verstehen. Ich finde nur, dass das Thema
Ökologie und auch ökologische Steuerreform zu schade
ist, um nur als Strohhalm zu dienen.
– Ich meine diese Aktuelle Stunde, Herr Kollege Solms,
und auch Ihre Tankwartaktion.
Das Wort Pendler ist ja mehrfach gefallen. Mir ist dabei
auch die F.D.P. eingefallen. Sie, Herr Solms, haben sich
ja nun sehr stark als Tankwart engagiert. Ich weiß nicht,
ob Ihnen das außer einem gewissen Stau in der Umge-
bung der Tankstelle so sehr viel Wirkung eingebracht
hat.
Aber mir ist das eine noch gut in Erinnerung: Sie
selbst, Herr Kollege Solms, haben im Bundestag vor un-
gefähr zwei Jahren den Grundsatz der ökologischen
Steuerreform befürwortet. Sie haben gesagt, über Ein-
zelheiten müsse man reden, aber im Ansatz sei das ver-
nünftig.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Solms?
Mache ich gerne.
Bitte sehr, Herr Kol-lege.Christine Ostrowski
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7414 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000
Würden Sie bit-
te zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht nur darüber ge-
redet haben, sondern entsprechende Gesetzentwürfe ein-
gebracht haben – Gesetzentwürfe, die inhaltlich teilwei-
se mit den Vorstellungen der SPD übereinstimmen, aber
gleichwohl von Ihnen abgelehnt worden sind?
Das Problem, Herr Kolle-
ge Solms, war: Sie haben einen Entwurf eingebracht,
aber Ihr Koalitionspartner damals hatte andere Auffas-
sungen. Das Ergebnis war jedenfalls: Obwohl es Be-
kenntnisse gab, von Ihnen, von Herrn Schäuble, von
Herrn Repnik, und obwohl auch im CDU/CSU-
Wahlprogramm für 1998 ein solches Grundbekenntnis –
Orientierung in Richtung ökologischer Akzente bei der
Besteuerung – zu finden war,
ist unter dem Strich nichts erfolgt. Das, finde ich, ist der
Unterschied. Der Unterschied liegt darin, dass wir nicht
ständig reden, sondern nach einer ausführlichen Debatte,
nach einer demokratischen Auseinandersetzung zu Er-
gebnissen kommen. Das ist es, was zählt. Ich bin sicher,
dass auch die Bevölkerung zu einem großen Teil diese
Grundüberlegung teilt und dass es uns gelingen wird,
das Verständnis dafür zu stärken. Da bin ich sehr guter
Hoffnung. Ich glaube allerdings, dass es darauf an-
kommt, nicht nur darüber zu reden, sondern sich in der
Praxis ökologiegerecht zu verhalten.
Wenn ich mir das erlauben darf, Herr Ministerpräsi-
dent: Für Ihren Beitrag war der weite Weg von Saarbrü-
cken nach Berlin nicht angemessen.
Ich hoffe, Sie hatten noch andere Gründe, um heute nach
Berlin zu kommen. Sonst hätte sich das nicht gelohnt.
Als Letzter in dieser
Debatte hat nun der Kollege Ulrich Klinkert das Wort.
Frau Präsidentin! Mei-ne sehr verehrten Damen und Herren! Die Ökosteuersorgt mit dafür, dass seit dem Amtsantritt der rot-grünenBundesregierung die Schere der Entwicklung zwischenOst und West wieder auseinander geht.Der Kollege Matschie hat versucht, diese Entwick-lung mit Durchschnittszahlen ins Gegenteil zu verkehrenoder es zumindest auf plus/minus null zu drücken. Aber,Herr Kollege Matschie, mit Durchschnittszahlen mussman vorsichtig sein. Manchmal helfen da alte Bauern-weisheiten mehr als rot-grüne Steuerkonzepte.
Mir ist folgende eingefallen: Im Durchschnitt war derGraben einen halben Meter tief und trotzdem ist die Kuhertrunken.Die Ökosteuer hat negative soziale Auswirkungen,die im Osten größer sind als im Westen. Das liegt an dergeringeren Einkommensbasis dort. Sie hat fatale wirt-schaftliche Auswirkungen. Sie kostet Arbeitsplätze. Dieswerde ich nachher anhand einiger Beispiele begründen.Insbesondere sozial Schwache, denen Sie an sich einebesondere Fürsorge zukommen lassen wollten, sind vonder Ökosteuer extrem betroffen. Dass Sie sich das heuteausgerechnet von der PDS vorwerfen lassen mussten,das spricht Bände.
Zu den besonders Betroffenen zählen die Rentner:Nicht nur dass Sie mit der Reduzierung der Rentenan-passung auf die Inflationsrate die Rentner um ihr Ein-kommen betrügen – der Bundeskanzler hat noch im ver-gangenen Jahr gesagt, er stehe dafür, dass die Renten-entwicklung an die Nettolohnentwicklung gekoppeltbleibt –, Sie haben auch mit der Rentenangleichung Ostan West gebrochen. Gerade bei den Rentnern kassierenSie gnadenlos ab. Denn Rentner können nichts kompen-sieren. Rentner werden von Ihnen doppelt abkassiert.
Wenn Sie einen durchschnittlichen Rentenverlust von500 DM pro Jahr ansetzen, dann bedeutet das im Übri-gen auch einen Kaufkraftverlust für die neuen Bundes-länder von 2 Milliarden DM. Sie kassieren 4 Pfennig proKilowattstunde Strom zusätzlich und der Benzinpreisnähert sich den Fünf-Mark-Vorstellungen der Grüneneher an als dem Versprechen des damaligen Kanzler-kandidaten Schröder, die Erhöhung werde nicht mehr als6 Pfennig betragen.Dass Sie dann aber auch noch den ÖPNV mit derÖkosteuer belasten, dient als letztes Beispiel dafür, dassSie wenigstens das Wörtchen „Öko“ aus dem Begriffstreichen sollten.
Die Ökosteuer hat unter anderem gravierende Aus-wirkungen auf die ostdeutsche Landwirtschaft; denndurch den Wegfall der Gasölbeihilfe in der rot-grünenAusgestaltung soll offensichtlich die Leistungsfähigkeitder nun mal größeren ostdeutschen Betriebe weiter be-schränkt werden. Ich habe mir heute Nachmittag einmalein Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen lassen: EineAgrar-GmbH mit 40 Mitarbeitern bekommt zunächstpro Jahr 84 000 DM weniger Gasölbeihilfe. Mit der Mi-neralölsteuererhöhung von 7 Pfennig pro Liter addiertsich der Einkommensverlust um 95 000 DM auf insge-samt 180 000 DM für diesen kleinen Betrieb. Unter Um-ständen bedeutet das für diesen Betrieb, dass er drei bisvier Arbeitsplätze wird abbauen müssen. Den Plan von Herrn Funke, grünen Diesel einzufüh-ren, halte ich für einen wirklich plumpen Wahltrick im
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 80. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2000 7415
Vorfeld der schleswig-holsteinischen Landtagswahlen.Denn selbst wenn er sich durchsetzen ließe, flösse nurein sehr kleiner Teil von dem zurück, was Sie vorher beiden Bauern abkassiert haben.
Zu den Lohnnebenkostensenkungen komme ich gleich,indem ich Ihnen ein anderes Beispiel aus einem ostdeut-schen Wirtschaftszweig, nämlich der Bergbausanierung,bringe.
Die Bergbausanierung wird immer noch mit jährlich1,2 Milliarden DM durch Bund und Länder gefördert.Diese Förderung wollen Sie um 50 Millionen DM kür-zen, das heißt, Sie wollen vertragswidrig ein geltendesBund-Länder-Verwaltungsabkommen aufkündigen. DieBetroffenen empfinden das als Diebstahl, der Hundertevon Arbeitsplätzen kosten wird. Im Bereich der Bergbausanierung habe ich mir eben-falls einen Betrieb näher angesehen. Dieser Betrieb gibtim Jahr 20 Millionen DM für Diesel aus. Die jährlichenErhöhungen der Mineralölsteuer um 7 Pfennig pro Litermachen für diesen Betrieb in fünf Jahren6 Millionen DM aus. Dem gegenüber steht eine Entlas-tung der Lohnnebenkosten von rund 300 000 DM. Diesbedeutet auf Grund der Lohnsumme für 100 Mitarbeitereine Mehrbelastung von mindestens 5,5 Millionen DM.Man könnte die Reihe der Beispiele fortsetzen. Zusammenfassend kann man sagen: Die Ökosteuer istunsozial, sie vernichtet mehr Arbeitsplätze, als sieschafft, sie belastet den Osten mehr als den Westen, undsie ist vor allen Dingen eines nicht: ökologisch. Vielen Dank.
Meine Damen und
Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich
schließe die Aussprache.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta-
ges auf morgen, Donnerstag, den 20. Januar 2000,
9.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.