Gesamtes Protokol
Guten Morgen! DieSitzung ist eröffnet.Interfraktionell ist vereinbart worden, daß nach derBeratung des Steuerbereinigungsgesetzes die Beschluß-empfehlung des Rechtsausschusses zum Gerichtsverfas-sungsgesetz auf Drucksache 14/2037 ohne Debatte aufdie Tagesordnung gesetzt werden soll.Des weiteren teile ich mit, daß der Ältestenrat verein-bart hat, daß in der Haushaltswoche vom 22. Novemberkeine Regierungsbefragung, keine Fragestunde und kei-nen Aktuelle Stunden stattfinden sollen. Sind Sie damiteinverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann istdas so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 d sowieZusatzpunkt 6 auf:11. a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak-tionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sa-
–
Beschlußempfehlung und Bericht des Haus-haltsausschusses – Drucksachen14/2016, 14/2036 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Christa Luft b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs einesGesetzes zur Familienförderung – Drucksa-chen 14/1513, 14/1670 –
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Fi-nanzausschusses – Drucksa-che 14/2022 –Berichterstattung:Abgeordnete Nicolette KresslElke WülfingKlaus Wolfgang Müller
Gisela FrickDr. Barbara Höll
– Drucksache 14/2023 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Jochen HenkeHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens Rössel c) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs einesGesetzes zur Bereinigung von steuerlichen
14/1655, 14/1720 –
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Fi-nanzausschusses – Drucksa-che 14/2035, 14/2070 –Berichterstattung:Abgeordnete Jörg-Otto SpillerHans MichelbachKlaus Wolfgang Müller
Gisela FrickHeidemarie Ehlert
– Drucksache 14/2048 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Jochen HenkeHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens Rössel
Metadaten/Kopzeile:
6280 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses zudem Antrag der Abgeordneten Dr. HermannOtto Solms, Hildebrecht Braun ,Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und derFraktion der F.D.P.Ordnungspolitisch vernünftige Steuergesetzeverabschieden– Drucksachen 14/1546, 14/2035, 14/2070 –Berichterstattung:Abgeordnete Jörg-Otto SpillerHans MichelbachKlaus Wolfgang Müller
Gisela FrickHeidemarie EhlertZP 6 Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Sozial-ordnung zu dem Antrag derAbgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Dr.Klaus Grehn, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der PDSKindergelderhöhung auch für Kinder imSozialhilfebezug– Drucksache 14/1308, 14/2033 –Berichterstattung:Abgeordnete Brigitte LangeEs liegen eine Reihe von Änderungs- und Entschlie-ßungsanträgen vor. Ich weise darauf hin, daß wir nach-her mehrere namentliche Abstimmungen durchführenwerden. Bisher sind acht angemeldet, und zwar siebenzum Tagesordnungspunkt 11 und eine zum Tagesord-nungspunkt 12.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre da-zu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat PeterStruck, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Paket, daswir heute verabschieden, tun wir einen großen, einengewaltigen Schritt für die Zukunft unseres Landes. Es istein Schritt, den uns niemand zugetraut hätte.
Gelingt dieser Kraftakt auch nur halbwegs, dannwäre dies die markanteste Zäsur in der bundesdeut-schen Haushaltspolitik seit den fünfziger Jahren.
So schrieb zweifelnd die „Süddeutsche Zeitung“ am16. Juni über die Durchsetzbarkeit unseres Zukunftspro-gramms. – Dieser Kraftakt ist gelungen.Worum es heute geht, hat der Chefökonom der Deut-schen Bank, Norbert Walter, bei der Anhörung desHaushaltsausschusses am 25. Oktober eindringlich um-rissen. Er hat das Zukunftsprogramm als ein „überfälli-ges Stoppschild nach einer langen Blindfahrt“ bezeich-net. – Wie recht der Mann hat!
Das war die Blindfahrt von Schäuble und Co, mit derder Staat in 16 Jahren in die Schuldenfalle getrieben ist.Ich zitiere Herrn Walter weiter – Sie haben ihn immerfür Ihren Kronzeugen gehalten;
er hat Sie von der Union bei der gleichen Anhörung ge-warnt –:Was mit diesem Haushalt auf den Weg gebrachtwurde, ist unverzichtbar. Wer es sabotiert, mußwissen, was er tut.Sie wissen es offensichtlich nicht.
Aber es wird an Ihnen zum Glück nicht scheitern, daßder Bundestag heute mehrere Gesetzentwürfe beschließt,mit denen das „Zukunftsprogramm zur Sicherung vonArbeit, Wachstum und sozialer Stabilität“ in wesentli-chen Teilen umgesetzt wird. Dazu gehören das Haus-haltssanierungsgesetz, das Gesetz zur Änderung desWohngeldgesetzes und anderer Gesetze, das Steuerbe-reinigungsgesetz und das Gesetz zur Familienförderung.Ich möchte noch einmal daran erinnern, daß wir diesesGesetz zur Familienförderung machen, weil Sie die Fa-milien 16 Jahre lang verfassungswidrig behandelt haben.
– Da brauchen Sie gar nicht „Oh!“ zu rufen, das ist Tat-sache.Die „Berliner Zeitung“ vom 26. Oktober hat über dieAnhörung des Haushaltsausschusses berichtet. Für dieCDU/CSU ist an diesem Artikel vielleicht nur eines er-freulich,
nämlich ein, wenn auch nicht ganz so gelungenes Bilddes Kollegen Adolf Roth. Im übrigen stand dort:Die Bundesbank hält das Sparpaket für unverzicht-bar, weil die Staatsschulden sonst die Grenzen derVerfassung und des Euro-Stabilitätspaktes spren-gen.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6281
(C)
(D)
Der Bundesrechnungshof begrüßt, daß die Bundes-regierung aus der finanziellen Notlage des Bundesendlich Konsequenzen gezogen hat.Die von Ihnen beantragte Anhörung im Haushaltsaus-schuß hat unsere Politik eindeutig bestätigt.
Wir legen mit diesem Paket, das wir heute mit unse-rer Mehrheit verabschieden werden, die Grundlage zueiner nachhaltigen und wirksamen Entlastung der öf-fentlichen Haushalte.
Insgesamt beläuft sich das Entlastungsvolumen durchdas Zukunftsprogramm für den Haushalt des Bundes al-lein für das Jahr 2000 auf rund 30 Milliarden DM; essteigt bis 2003 auf jährlich 50 Milliarden DM.Zur größten Erblast der Regierung Kohl gehört dochdie Verschuldung des Staates. Allein die Schulden desBundes sind in der Regierungszeit von Kohl – von 1982bis 1998 – von 300 Milliarden DM auf die gigantischeGröße von 1 500 Milliarden DM gestiegen. Die Folgensind fatal. Wir und unsere Kinder leiden unter den Fol-gen dieser wahnsinnigen Verschuldungspolitik. Wirmüssen 82 Milliarden DM im Jahr nur für Zinsen auf-wenden; das sind 22 Prozent aller Steuereinnahmen.Damit sind die Zinsausgaben nach den Sozialausgabenschon der zweitgrößte Etatposten. Diese wachsendeSchuldenlast hat die Handlungsfähigkeit des Staates er-drückt. Es mußte ein Weg aus dieser Schuldenfalle ge-funden werden. Wir haben ihn jetzt gefunden.
Die alte Regierung hätte, wenn sie am Ruder geblie-ben wäre, für das Jahr 2000 eine Nettokreditaufnahmevon 54,5 Milliarden DM vorgesehen, wobei bei dieserNeuverschuldung noch nicht einmal zusätzlich belasten-de Entwicklungen berücksichtigt waren. Wir dagegenwerden bei realistischer Veranschlagung aller Risikenim Jahr 2000 mit einer Nettokreditaufnahme von unter50 Milliarden DM auskommen. Das ist das Ergebnis derBeratungen des Haushaltsausschusses, die gestern abge-schlossen worden sind. Das nenne ich eine solide Vor-sorgepolitik. Wenn wir an dieser Stelle nicht energischentgegengesteuert hätten, hätten wir im Bundeshaushalteine Finanzierungslücke von 80 Milliarden DM.
Eine Neuverschuldung in dieser Größenordnung wäreweder mit dem europäischen Stabilitätspakt noch mitArt. 115 unseres Grundgesetzes vereinbar gewesen. Wirhalten uns an die Verfassung und an die Regeln der Eu-ropäischen Union.
Wir mußten gegenlenken. Es macht mir Freude, denEiertanz der Opposition aufzuzeigen, der diesen Kraftaktbegleitet hat. Als Hans Eichel im Mai unser Konsolidie-rungsziel von 30 Milliarden DM nannte, haben Sie, HerrKollege Schäuble, im ZDF gesagt:Das alles sieht mir sehr nach Schau aus. In Wahr-heit ist meine Besorgnis, mit den dramatischen An-kündigungen, die dann hinterher nicht erfüllt wer-den, bereitet er– er meinte Hans Eichel –in Wahrheit nur die Ausrede vor, daß er hinterherdie Mehrwertsteuer erhöhen kann.Sein Stellvertreter in der Fraktionsführung, HerrMerz, sagte am 28. Mai im „heute journal“:
Ich fürchte, daß am Ende die Botschaft sein wird,wir haben es nicht geschafft mit den Einsparungen.Wir müssen Steuererhöhungen machen. Und daswird systematisch vorbereitet.Herr Kollege Schäuble, Herr Kollege Merz, Ihre Be-fürchtungen, wir würden die Steuern erhöhen müssen,werden heute der Unwahrheit überführt.
– Herr Schäuble möchte eine Zwischenfrage stellen. Ichhabe nichts dagegen.
Ich wollte Ihnen,
Herr Kollege, noch Gelegenheit geben, Ihren Satz zu
beenden. – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Schäuble?
Natürlich.
Herr Schäuble, bitte
sehr.
Herr Kollege
Struck, sind Sie so liebenswürdig und sagen dem Hohen
Haus, wieviel Milliarden DM Steuererhöhungen wir ge-
stern beschlossen haben?
Herr Kollege Schäuble, wirwollen schon bei der genauen Formulierung bleiben.
Ich habe Sie zitiert, und Sie haben gesagt: Ihr schafft dasnicht – ich sage es einmal ein bißchen verkürzt –, Ihrmacht eine Mehrwertsteuererhöhung. Dazu sage ichIhnen klipp und klar: Es gibt keine Mehrwertsteuererhö-hung.
Dr. Peter Struck
Metadaten/Kopzeile:
6282 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Ich mache Ihnen auch noch die Freude und zitiereHerrn Lambsdorff, den Ehrenvorsitzenden der F.D.P.:Ich glaube, daß das ein Alibivorstoß ist. Ein Mannvon der Erfahrung des Hans Eichel weiß ganz ge-nau, daß er eine solche Größenordnung in einemHaushalt nicht bewältigen kann – ... 30 MilliardenMark, das ist nicht zu schaffen.Wenn Sie jetzt noch Bedarf haben, kommt ein echterRexrodt, der ebenfalls anwesend ist. Er hat am gleichenTage, am 31. Mai 1999, gesagt:Jetzt zeigt sich, daß Eichels Sparankündigungennur der Aufbau einer Drohkulisse waren, um Steu-ererhöhungen vorzubereiten.
– Falsch, Herr Rexrodt, falsch. Das ist Ihre alte Politikgewesen, die der alten Koalition. Wenn Sie nicht mehrweiterkamen, haben Sie die Nettokreditaufnahme er-höht, also neue Schulden gemacht, und haben die Steu-ern erhöht. Wir machen das nicht. Darum geht es. Dasist der Unterschied zwischen uns und Ihnen.
Dann gibt es noch ein wunderbares Zitat des Kolle-gen Wissmann. Ich weiß nicht, ob er noch der wirt-schaftspolitische Sprecher der CDU ist.
– Wenn man gute Zitate von der Gegenseite hat, mußman sie auch vortragen. Sie haben einen solchen Unsinnerzählt, und ich bin so frei, ihn hier zu wiederholen, HerrKollege Austermann.
Wissmann hat im August behauptet, als sich abzeich-nete, daß Hans Eichel den Kurs schafft:Die Schröder/Fischer-Regierung geht mit ihremSparpaket wieder auf den von Theo Waigel vorge-gebenen Sparkurs zurück.Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wer1 500 Milliarden DM Schulden, die Waigel hinterlassenhat, als Sparkurs bezeichnet, muß entweder ein Witzboldoder ein Zyniker sein.
Es ist klar, solide Staatsfinanzen sind eine unver-zichtbare Grundlage für Arbeit, Innovation und sozialeStabilität. Deswegen haben wir für eine sozial ausgewo-gene Ausgestaltung des Zukunftspakets gesorgt.Daneben werden die Sparanstrengungen mit notwendi-gen strukturellen Reformen verbunden, die zu ökono-mischen und sozialen Reformen führen. Wir machenjetzt das, was die Vorgängerregierung sträflich ver-nachlässigt hat: Wir stellen nämlich die Weichen für dieZukunft unseres Landes, für die Zukunft unserer Kinder,Enkel und Urenkel.
Ich war, als wir das Sparpaket zum erstenmal imBundestag – damals noch in Bonn – diskutiert haben,gespannt auf die Alternativen aus den Reihen derCDU/CSU, F.D.P. und PDS, insbesondere auch bei denHaushaltsberatungen, auf die sich das Sparprogramm imwesentlichen auswirkt. Abgesehen davon, daß Sie ge-sagt haben, daß wir es nicht schaffen, und abgesehendavon, daß Sie einzelne Maßnahmen in diesem Paketkritisiert haben – über die man sicherlich zu Recht dis-kutieren kann –, haben Sie keine einzige konkrete Alter-native zu unserem Programm vorgelegt. Darum geht es:Was ist Ihre Antwort auf die Zukunftsfragen unseresLandes? Unsere Antwort ist klar: das Zukunftspaket.Wo ist Ihre Antwort? Fehlanzeige auf allen Ebenen,meine Damen und Herren.
In der schon zitierten Anhörung hat der Kölner Wirt-schaftswissenschaftler Johann Eekhoff, ehemaligerStaatssekretär der von Kohl geführten Bundesregierungim Wirtschaftsministerium, gesagt: „Die Regierung hatmit dem Sparpaket einen vernünftigen Weg eingeschla-gen.“ Dieses Urteil eines uns politisch nicht sehrfreundlich gesonnenen Mannes beweist, daß uns dieSachverständigen, die sich intensiv mit diesen Fragenbeschäftigt haben, den richtigen Weg bescheinigt haben.Wir werden ihn weitergehen.
Wir stellen uns der Verantwortung, die uns die Bür-gerinnen und Bürger im September 1998 mit dem Auf-trag zum Regieren gegeben haben. Wir stellen uns dieserVerantwortung auch in den Bereichen, in denen wirschmerzhafte Eingriffe vornehmen mußten. Aber es gibtkeine Alternative zur Sicherung der Zukunftsfähigkeitunseres Landes. Der Weg, den wir jetzt gehen, ist soli-darisch und – unter Umständen – in Einzelfällen gegendas Interesse einzelner Gruppen gerichtet.Sie wissen, daß in meiner Fraktion intensive Diskus-sionen über einzelne Maßnahmen des Sparpaketes, desHaushaltssanierungsgesetzes, stattgefunden haben. Wirhaben in der Fraktion eine offene Diskussion geführt.Die Fraktion hat mehrfach insbesondere über die Ren-tenanpassung und über die Erhaltung der Kaufkraft derRentner diskutiert. Ich sage Ihnen hier deutlich: Es wirdkein Mitglied meiner Fraktion geben, das diesem Spar-paket, diesem Haushaltssanierungsgesetz, nicht zustim-men wird – entgegen allen Unkenrufen, die aus IhrenReihen gekommen sind. Es war ein schwieriger, abersolidarischer Prozeß.Dr. Peter Struck
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6283
(C)
(D)
Wir werden das Haushaltssanierungsgesetz in zweiTeile aufteilen: in einen zustimmungsfreien und in einenzustimmungspflichtigen Teil. Das ist notwendig, damitnoch im November – auch ohne Zustimmung des Bun-desrates – rund 26 Milliarden DM – das sind 90 Prozentder im Jahre 2000 insgesamt notwendigen Konsolidie-rungssumme – nicht mehr zur Disposition stehen.Allerdings bleibt klar – das sage ich an die Adressedes Bundesrates, auch wenn dessen Bank hier heute leerist –, daß die noch ausstehenden und der Zustimmungdes Bundesrates bedürfenden gesetzlichen Änderun-gen ebenfalls unverzichtbar für den erfolgreichen Schrittaus der Staatsverschuldung heraus sind. Dabei han-delt es sich im wesentlichen um Änderungen beim pau-schalierten Wohngeld, beim Unterhaltsvorschuß sowieum die Begrenzung des Einkommenszuwachses im öf-fentlichen Dienst. Mit diesen Maßnahmen ist ein Spar-volumen von insgesamt gut 4 Milliarden DM verbun-den.Wir gehen ganz fest davon aus, daß sich die Länderihrer gesamtstaatlichen Verantwortung bewußt sind undim Interesse unseres Landes die Zustimmung zu diesenÄnderungen im Bundesrat nicht verweigern werden. Injedem Fall werden wir aber dafür sorgen, daß der Kon-solidierungsbeitrag auch tatsächlich erbracht wird. Ent-weder wird dies im Gesetzgebungsverfahren jetzt oderüber die Beratungen im Vermittlungsausschuß gesche-hen, oder es werden rechtzeitig andere geeignete Maß-nahmen ergriffen werden.Ich möchte noch einmal ganz deutlich sagen: DerBund verhält sich solidarisch und saniert seinen Haus-halt nicht zu Lasten von Ländern und Gemeinden.
So werden durch die Maßnahmen des Sparpaketes beiallen Gebietskörperschaften per saldo Ausgaben einge-spart. Beispielsweise führt der Konsolidierungsbeitragder Beamten, der entsprechend der Regelung bei Rent-nerinnen und Rentnern am Prinzip der Kaufkraftsiche-rung orientiert ist, zu erheblichen Einsparungen beiLänder- und Gemeindehaushalten.
Herr Kollege
Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Ostrowski?
Wenn Sie gestatten, möchte
ich diesen Gedanken noch zu Ende führen.
Ja.
Sie wissen doch ganz ge-
nau, daß der Ministerpräsident eines Landes in seinem
Haushalt einen Personalkostenanteil von über 40 Pro-
zent hat. Der von uns vorgesehene Konsolidierungsbei-
trag wird seinen Haushalt deutlich entlasten. Das gleiche
gilt auch für die Gemeinden.
Jetzt hat die Kolle-
gin Ostrowski das Wort, bitte sehr.
Herr Kollege Struck,
zu Ihrer eben getroffenen Aussage, daß Sie nicht zu La-
sten der Kommunen sparen, hätte ich Sie gerne folgen-
des gefragt:
Erstens. Ist Ihnen bekannt, daß sich gestern die Län-
derfinanzminister, also auch die Finanzminister der
SPD-regierten Länder, im Finanzausschuß des Bundes-
rates völlig einig darin waren, daß sie die Abwälzung
des pauschalierten Wohngeldes auf Länder und Kom-
munen ablehnen, weil dies eine Zusatzbelastung bedeu-
ten würde?
Zweitens. Stimmen Sie mit mir darin überein, daß die
Abwälzung des pauschalierten Wohngeldes nicht kom-
pensiert wird und daß im Entwurf des Haushaltssanie-
rungsgesetzes die Durchrechnung der Kompensation auf
Basis der Reduzierung der Beamtenpensionen nicht auf
die Gemeinden bezogen ist, wohl aber die Abwälzung
der Kosten für das pauschalierte Wohngeld?
Drittens. Stimmen Sie mit mir auch in diesem Punkt
überein, daß insbesondere ostdeutsche Kommunen
nichts kompensieren können, weil der Beamtenanteil im
Osten bekanntlich an einem Finger, der steigende Anteil
der Sozialhilfeempfänger dagegen nicht einmal an
100 Fingern abzuzählen ist?
Natürlich stimme ich mitIhnen nicht überein. Ich will Ihnen aus den Beratungenzwischen Bundestag und Bundesrat im Vermittlungs-ausschuß, die ich in den letzten Legislaturperioden mit-gemacht habe, eines gerne bestätigen: Wenn es um dieFinanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern geht,vertreten die Länder eine bestimmte Position und brin-gen diese in die Verhandlungen im Vermittlungsaus-schuß ein. Deshalb irritieren mich die ablehnendenStellungnahmen auch von SPD-geführten Ländern über-haupt nicht.
Sie würden sich sogar völlig falsch verhalten, wenn siegleich von vornherein Zustimmung signalisieren wür-den.Wenn man im Vermittlungsausschuß über die Fi-nanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern redet,dann gibt es verschiedene Ausgangspositionen; die Aus-gangspositionen der SPD-geführten Länder und die desBundestages mit seiner Mehrheit haben Sie beschrieben.Wir werden am Ende des Vermittlungsverfahrens einErgebnis erzielen, das sowohl den Interessen des Bundesals auch den Interessen der Länder entsprechen wird.Davon bin ich fest überzeugt.
Dr. Peter Struck
Metadaten/Kopzeile:
6284 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Frau Ostrowski
möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich möchte jetzt in
meiner Rede fortfahren. Es reicht nun.
Frau Kollegin, Herr
Kollege Struck möchte auf Ihre Frage nicht mehr ant-
worten. – Jetzt hat der Kollege Struck das Wort.
Bei den Finanzbeziehungen
zwischen Ländern und Gemeinden – das wissen alle, die
in der Kommunalpolitik gearbeitet haben; das sind nicht
wenige in diesem Hause –, haben wir die Situation, daß
sich die Länder, wenn sie durch Bundesentscheidungen
möglicherweise finanziell zusätzlich belastet werden,
einen Weg suchen, sich den Teil, der ihnen zusätzlich
aufgebürdet wird, eventuell bei den Gemeinden zurück-
zuholen. Hier haben wir das bewährte Instrument des
kommunalen Finanzausgleichs. Ich kann nur an alle
Länder appellieren, dieses Instrument des kommunalen
Finanzausgleichs zu nutzen, um die Gemeinden in ihrer
finanziellen Leistungsfähigkeit zu stützen. Dabei ist
klar: Die generelle Klage der Gemeinden, sie seien im
Vergleich zum Bund arm, ist, was die Schuldenlast an-
geht, absolut unberechtigt. Das will ich hier deutlich
festhalten.
Die Botschaft ist klar: Wir haben ein Programm vor-
gelegt, von dem Sie gesagt haben, wir würden das nicht
schaffen. Es hat noch kein Finanzminister der Bundes-
republik Deutschland geschafft, das Volumen eines
Haushalts nicht zu erhöhen, sondern zu senken, nämlich
um 30 Milliarden DM. Das ist die erste Botschaft.
– Regen Sie sich nicht auf!
Die zweite Botschaft lautet: Wir haben ein Programm
vorgelegt, das Solidarität sichert zwischen Alt und Jung,
zwischen denjenigen, die jetzt Beitragszahler zum Bei-
spiel in die Rentenversicherung sind, und denjenigen,
die schon Rente empfangen. Das haben Sie mit Ihrer
Rentenreform nicht geschafft.
Die dritte Botschaft – auch die möchte ich Ihnen noch
nennen –: Wir werden den Weg der konsequenten Rück-
führung der Staatsverschuldung zu Ende gehen. Wir
halten Kurs. Wir schaffen wieder finanzielle Spielräume
für unsere Kinder, Enkel und Urenkel. Sie werden uns
bei diesem Kurs nicht aufhalten.
Ich erteile nun dasWort dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.
Michael Glos (von der CDU/CSU so-wie von Abgeordneten der F.D.P. mit Beifall begrüßt):Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Vor drei Tagen, am 9. November, hatten wir einenFreudentag. Am gleichen Tag gab es aber auch ein we-nig Schmerz – als die Arbeitslosenzahlen für Oktobervorgestellt wurden. Das hat ein Stück Ernüchterung ge-bracht.Ich habe Verständnis dafür, daß der Herr Bundes-kanzler, der sich offensichtlich gerne mit fremden Fe-dern schmückt, heute nicht anwesend ist; denn das, washeute beschlossen wird, hat er zu verantworten. Daß am9. November vor zehn Jahren die Mauer gefallen ist, hater nicht verhindern können.
Er war trotzdem bei der Feierstunde anwesend, hat sichzu Wort gemeldet und sich hineingedrängt, um dabeizu-sein. Es wäre gut, wenn er auch heute bei der Beratungdes sogenannten Sparpaketes wenigstens zeitweise an-wesend wäre. Doch ich vermute, er berät sich derzeit mitHerrn Scharping.
Im Berliner „Tagesspiegel“ lautet die Überschrift zuRecht: „Ein Jahr Schröder: Stillstand am Arbeitsmarkt“.Zur Erinnerung: Am Ende der Amtszeit von HelmutKohl war die Arbeitslosenzahl innerhalb eines Jahresum 400 000 zurückgegangen. Die Regierung Schröderist zum Risikofaktor für Deutschland geworden. DieRegelung der sogenannten Scheinselbständigkeit undder geringfügigen Beschäftigung hat die Menschen ver-unsichert und in die Schwarzarbeit getrieben.
Bundesweit sind 700 000 Beschäftigungs- und Ver-dienstmöglichkeiten als Folge dieser Maßnahme verlo-rengegangen. Die gestern beschlossene Ökosteuerreform– so wird dieses Abkassieren genannt – erzeugt eineneue Kostenlawine für Bürger und Betriebe.
Das sogenannte Haushaltssanierungsgesetz, das wirheute beraten, wird an diesem falschen Zustand nichtsändern. Es ist ein Verschiebebahnhof und eine Bünde-lung von Schikanen.
Ich komme später noch zu den ganz bewußten Schika-nen gegen die deutschen Bauern.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6285
(C)
(D)
Noch eines: Sie werden sich schwertun, Herr Struck,dieses 30-Milliarden-DM-Paket umzusetzen. Ich könntedazu Herrn Schleußer zitieren:Länder und Gemeinden gegen Eichel – SPD-Finanzminister: „Verschieben ist kein Sparen.“
Insofern muß ich sagen: Wo die Leute recht haben, dahaben sie recht!Die gestern beschlossene Ökosteuer verstärkt zusätz-lich das sogenannte Steuerentlastungsgesetz. Damit sindder deutschen Wirtschaft Zusatzlasten von 10 MilliardenDM aufgebürdet worden.
Die versprochenen Entlastungen dagegen lassen im-mer noch auf sich warten. Die Unternehmensteuerre-form ist verschoben, und die Betriebe wissen immernoch nicht, woran sie sind, das heißt, was sie letztend-lich versteuern müssen. Deswegen sind ausländische In-vestoren auch enttäuscht über den Standort Deutschland.Die amerikanische Handelskammer in Deutschland hältunser Land mittlerweile für „reformunfähig“ und vorallen Dingen für „unberechenbar“. Daran tragen Sie dieSchuld.
An Rotgrün ist das einzig Berechenbare die Unfähig-keit und die Unberechenbarkeit, die letztendlich in im-mer neuen Steuererhöhungsvorschlägen gipfelt. Ver-braucher und Betriebe üben Kauf- und Investitionszu-rückhaltung, und die Zahl der Gewerbeanmeldungen beiuns im Lande geht zurück, da niemand weiß, mit wel-cher Steuer ihm morgen Geld aus der Tasche gezogenwerden soll.
Man überbietet sich auch ständig mit neuen Vor-schlägen. Montags sollen die Erben zur Kasse gebetenwerden, dienstags sind es die Vermögenden, mittwochssind es die Kapitalanleger oder die Sparer, donnerstagssind es die Familien, freitags sind es die Energiever-braucher und samstags die Energieerzeuger. Nicht ein-mal am Sonntag ist Ruhetag. Bei Steuererhöhungsvor-schlägen gilt bei der SPD auch nicht das Wort „Sonntagsnie“.
Nicht einmal das ist kalkulierbar. Sonntags denkt mandarüber nach, in welcher Reihenfolge man montags mitdiesen Vorschlägen wieder beginnen will.
Dabei hat sich auch mein Vorredner hervorgetan. Ichzitiere die „Bild“-Zeitung: „Schnüffel-Struck will Bank-geheimnis aufheben.“
Ich kann nur sagen: Mit dem Zwang zur Kontrollmit-teilung treiben Sie noch mehr Kapitalanleger aus demLand und verunsichern die Sparer. Außerdem bringenSie damit den Menschen ein gewaltiges Mißtrauen ent-gegen.
Ich sage noch einmal: Wer das Bankgeheimnisdurchlöchern will, schadet letztendlich unserem Ban-kensystem und kuriert an Symptomen.
Die Steuerzahler sind wieder ein ganzes Stück mehr be-reit – der größte Teil unserer Bürger ist steuerehrlich –,ehrlich zu bleiben, wenn unser Steuersystem gerecht undtransparent erscheint, wenn es einfach ist, die vielenAusnahmen aufhören und es dafür niedrigere Steuersät-ze gibt.
Herr Kollege Glos,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Nein. Den kenne ich
nicht.
Zu Ihrer Informa-
tion: Er ist ein Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.
Ach so.
Aber Sie haben das
Wort. – Bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Prä-sidentin.Ich möchte die Zeit lieber dazu nutzen, Bundesfi-nanzminister Eichel zu zitieren. Er hat eine Broschüremit dem Titel „Unsere Steuern von A – Z“ herausgege-ben. Lieber Herr Eichel, darin befindet sich auch einBild von Ihnen. Dieses Bild ist sogar ziemlich zeitnah.
Also muß auch der Text zeitnah sein.Sie haben ja ein großes Erbe angetreten. Ich meinejetzt nicht das Erbe von Lafontaine, sondern in allerer-Michael Glos
Metadaten/Kopzeile:
6286 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
ster Linie das Erbe, das Ihnen Gerhard Stoltenberg undTheo Waigel hinterlassen haben.
Sie schreiben in dieser Broschüre zu Recht:Mit dem Steuersenkungsgesetz 1986/88 wurde dieBelastung von Arbeitnehmern und Selbständigenmit Lohn- und Einkommensteuer in zwei Schrittenum insgesamt 25 Mrd. DM zurückgeführt,
ohne daß zum Ausgleich andere Steuern erhöhtwurden.
Sie schreiben weiterhin:Mit dem Steuerreformgesetz 1990 wurde die Bela-stung von Bürgern und Betrieben mit indirektenSteuern um insgesamt weitere 24 Mrd. DM nettozurückgeführt.Sie schreiben ferner:Das Jahressteuergesetz 1996 führt zu einer Netto-entlastung von rd. 19 Mrd. DM, vor allem– das konterkariert Herrn Struck –zugunsten von Familien mit kleineren und mittlerenEinkommen.
Sie, Herr Eichel, werden sagen: Es war eine Panne,daß man mit der Wahrheit herausgerückt ist.
Das wird getilgt werden. Ich höre ja auch, in Ihrem Mi-nisterium versucht man verzweifelt, diese Broschüre ausdem Verkehr zu ziehen und eine neue Auflage zu druk-ken.
Im Internet ist dieser Text inzwischen verschwunden.Das Referat Öffentlichkeitsarbeit mauert bei Anfragennach dieser Broschüre. Sie sei angeblich vergriffen.Aber ich kann allen, die an dieser Broschüre interessiertsind, einen Tip geben: Beim Presse- und Informations-amt der Bundesregierung ist sie noch stapelweise vor-handen und zu haben.
Herr Eichel, ich frage Sie jetzt: Warum weigern Siesich so beharrlich, den erfolgreichen Weg Ihrer Vorgän-ger – ich wiederhole, daß ich damit nicht Lafontainemeine – weiterzugehen? Warum weigern Sie sich, eineumfassende Steuerreform mit einer Senkung allerSteuersätze – und nicht mit irgendwelchen künstlichenHilfsaggregaten und Teilungen zwischen Einnahmen,die dem Staat lieb sind, und Einnahmen, die ihm nichtso lieb sind und auf die er dann im Rahmen der Be-steuerung willkürlich zugreift – und mit einer nachhal-tigen Nettoentlastung für alle durchzuführen, nachdemSie zu Recht auf die guten Erfahrungen verwiesen ha-ben?Hilfe haben Sie ja in Peter Struck. Sie müssen nuraufpassen, daß der Schwarze Peter nicht bei Ihnen bleibtund Ihr Nichthandeln zum Roten Peter als Vorteil wan-dert – nach dem Motto: Ich habe es ja rechtzeitig ge-prüft. Denn der rote Peter ist durch das Land gegangen –insbesondere die Grünen haben gesagt: Ein Struck gehtdurch das Land
– natürlich, und zwar so lange, bis er wieder zurückge-pfiffen worden ist – und hat überall gesagt: „Es kannnicht falsch sein, Steuern zu senken.“ Weiterhin hat erfestgestellt:Die alte Position einer Arbeiterpartei „Von denReichen nehmen, um den Armen zu geben“ kannnicht die Politik unserer modernen Gesellschaftsein.Das ist richtig. An diesem Satz ist allerdings einesfalsch: Die SPD ist keine Arbeiterpartei mehr. Sie ist imGrunde eher eine Lehrerpartei, eine Partei Ewiggestrigerund was weiß ich alles. Die Arbeiter haben sich ein gan-zes Stück von ihr abgewandt.Herr Struck, stehen Sie zu Ihren Worten – wo Sierecht haben, haben Sie recht – und setzen Sie sich end-lich dahin gehend durch, daß es eine Steuerreform gibt,die ihren Namen letztendlich verdient!
Ich weiß, daß es sehr schwer ist, dies in einer solchenPartei durchzusetzen. Gut wäre es natürlich, wenn derBundeskanzler einen Parteivorsitzenden an seiner Seitehätte, der die Seele dieser Partei ansprechen kann undder sie kennt. Für den Parteivorsitzenden Schröder ist esnatürlich schwer, Bundeskanzler Schröder zu helfen.Denn diese beiden stehen sich ja oft gegenseitig im We-ge. Deswegen werden immer wieder neue Pirouettengedreht und neue Ausflüchte erfunden, damit man diesePartei einbinden kann.
Wie wenig diese Partei und insbesondere ihre Frakti-on noch zu ihrem Bundeskanzler steht, hat sie gesternbeim Bericht zur Lage der Nation bewiesen: Von 297Genossinnen und Genossen – so viele sind es theoretisch– war höchstens ein Drittel anwesend, und auch diesesDrittel hat sich zum Teil geschämt. Das war ganz deut-lich am Verhalten zu merken.Michael Glos
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6287
(C)
(D)
Diese Bundesregierung und dieser Bundeskanzler ha-ben ihre Lektion nicht gelernt. Statt die Probleme imRahmen der eigenen Verantwortung anzupacken, wirdversucht, sie in vielfältigen Konsensgesprächen zu be-wältigen. Herausgekommen ist dabei noch nichts – au-ßer Spesen nichts gewesen. Auf seiner Asienreise hatder Kanzler nun noch einen internationalen Beschäfti-gungsdialog zwischen Regierungen, Arbeitgebern undArbeitnehmern gefordert, als ob wir noch nicht genugüberflüssige Runden hätten. Statt ständig nur zu reden,wäre es besser, einfach zu handeln.Wir brauchen doch nur abzugucken, was unsereNachbarländer, unsere Konkurrenten und Mitbewerberam Weltmarkt getan haben. Die Konjunktur in denUSA brummt. Die Arbeitslosigkeit in Großbritannien,Holland, Dänemark, Österreich und Portugal ist um zweiDrittel niedriger als bei uns. Auch innerhalb Deutsch-lands gibt es Beispiele, an denen Sie sich orientierenkönnen: Insbesondere im Süden Deutschlands bewegtman sich sehr nahe an der Vollbeschäftigung. Auch inden neuen Ländern gibt es inzwischen beachtliche re-gionale Unterschiede, was natürlich ein Stück weit mitder Politik der jeweiligen Landesregierung zu tun hat.Das alles zeigt: Man kann die Probleme durchaus zuHause lösen, wenn man will.Mit der heutigen Abstimmung über das sogenannteHaushaltssanierungsgesetz will die Bundesregierung– deswegen ist es richtig, daß Herr Riester anwesend ist– die Grundlage dafür schaffen, die Rentner willkür-lich zu behandeln; denn das ist ja das Präludium zurÄnderung der Rentenformel, weil auch im Bundeshaus-halt ein Betrag dafür eingestellt wird, nämlich der Bun-deszuschuß. Ich kann nur sagen: Auch auf dieser Maß-nahme ruht kein Segen. Die Rentnerinnen und Rentnerwerden sich merken, welche Betrugsmanöver Sie hiervorhaben.
Es ist ja nicht so, als hätten Sie zwischendurch keinUnrechtsbewußtsein gehabt, Herr Riester. Sie haben jaim eigenen Hause eine Studie bestellt, die untersuchensoll, welche Pirouetten es gibt, mit denen man das bisnach den Landtagswahlen verschieben kann. Dadurch,daß dies bekanntgeworden ist – wahrscheinlich, weil esvom Bundeskanzleramt her durchgestochen worden ist –,ist das Manöver gescheitert. Sie werden also mit diesemoffenkundigen Rentenbetrug in die Wahlkämpfe inSchleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen gehenmüssen.Lassen Sie sich nicht so viel von Herrn Zwickel her-einreden! Er beneidet Sie, Herr Riester, vielleicht nurum Ihren Posten und will Sie deswegen hinter die Fichteführen.
Wer glaubt, daß eine Rente mit 60 finanzierbar ist, derist falsch gezwickelt, meine sehr verehrten Damen undHerren.
Dies wäre ein Vertrag zu Lasten der jungen Generation:Sie müßte einen noch höheren Teil ihres Einkommenshergeben, um die heutigen Probleme kurzfristig – denndies würde nicht auf Dauer wirken – lösen zu können.Das würde einen neuen Keil zwischen die Generationentreiben und bewirken, daß sich immer mehr junge Men-schen überlegen: Wie kann man diesem Rentensystementgehen? Damit wurde also immer mehr „ausgeflaggt“.Ich möchte noch einen Punkt herausgreifen, den ichfür besonders eklatant halte: Die Bauern werden hierbehandelt wie Unkraut, das man jäten muß.
Mit dem sogenannten Steuerentlastungsgesetz wurde be-reits die Vorsteuerpauschale abgesenkt, die landwirt-schaftlichen Freibeträge wurden abgeschafft. Gesternwurde die Ökosteuer massiv erhöht, was sich natürlichauch auf die Spritkosten der Bauern auswirkt. Mit demsogenannten Haushaltssanierungsgesetz soll jetzt auchnoch die Gasölbetriebsbeihilfe – bis auf eine Art Sozial-hilfe für Kleinbauern – abgeschmolzen werden. Dielandwirtschaftliche Altersversicherung wird abgebaut. –Das alles führt natürlich bei einer besonders gekniffenenBerufsgruppe zu ganz massiven Veränderungen. Dar-über können sich lediglich die freuen, die die deutscheLandwirtschaft sowieso für einen ökologischen Störfallhalten. Aber das ist eine Minderheit in diesem Land, undvon dieser Minderheit allein können Sie nicht leben.
Das ist eine Kampfansage an den ländlichen Raum,das ist eine Kampfansage an eine intakte Sozialstruktur,und es ist eine Kampfansage an unsere Kulturlandschaft,wie wir sie gewohnt sind und nicht wie sie dort aussah,wo seinerzeit die eigentumsfeindliche und enteignendeSPD, Entschuldigung, natürlich SED, gewütet hat. –Entschuldigen Sie den Versprecher. Das war keine Ab-sicht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die ge-schichtliche Wahrheit aber ist – Herr Eichel wird sicherähnlich wie Herr Struck wieder das Lied von der Erblastsingen wollen –: In Deutschland – das hat der Bundes-kanzler gestern selbst gesagt – ist in den letzten zehnJahren eine einmalige Solidarleistung erbracht worden.Das war eine großartige Aufbauleistung, die natürlichviel Geld gekostet hat.Wir haben trotzdem, als wir in die gemeinsame euro-päische Währung eingetreten sind, keinen höherenSchuldenstand gehabt als unsere Nachbarländer. Ich fin-de, das ist eine ganz großartige Leistung,
die Sie würdigen sollten, statt immer wieder mit IhremMärchen von der vermeintlichen Erblast zu kommen.Wenn es eine Erblast bei den Schulden gibt, dann be-steht sie in der Tatsache, daß 1982 ohne Not Schuldenaufgehäuft waren, die Gerhard Stoltenberg und TheoWaigel hinterlassen worden sind. Wir mußten seitdemZinsen und Zinseszinsen zahlen.
Michael Glos
Metadaten/Kopzeile:
6288 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Es hätte weitere Rückführungen gegeben, wenn nichtdie deutsche Wiedervereinigung gekommen wäre.Über die Wiedervereinigung freuen wir uns, und wirstehen zu allen Leistungen, die – auch aus der Bundes-haushaltskasse – zugunsten der neuen Bundesländer er-bracht worden sind.
Sehen Sie sich die Finanzkennziffern an: Das Defizitder öffentlichen Haushalte belief sich 1998, am Ende derRegierung Kohl, auf 1,7 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts, und zwar mit den Leistungen für die deutscheEinheit. 1982 waren es noch 3 Prozent ohne deutscheEinheit. Das ist die Wahrheit. Die Staatsquote belief sich1998 auf 48 Prozent – mit Trend nach unten – unter Be-rücksichtigung der deutschen Einheit. 1982 lag sie bei50 Prozent ohne deutsche Einheit. Der Anteil der Bun-desausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag 1998 bei12 Prozent, 1982 lag er beträchtlich höher.
Die Umfragen zeigen: Die Deutschen glauben Rot-grün nicht mehr. Sie haben die Mehrheit in der Bevölke-rung längst verloren. Wenn man die Schlagzeilen derletzten Tage liest, hat man auch das Gefühl, die Kanz-lerdämmerung hat bereits begonnen.Wie gesagt, vielleicht unterhalten sich die beiden jagerade. Ich bin gespannt, wie lange es sich die Sozial-demokraten noch leisten können, daß ihre Basis ab-bruchartig wegbricht, wie es in Nordrhein-Westfalen ge-schehen ist.Gestern war der SPD-Fraktion durch Nichtanwesen-heit – diese Strafe galt nicht nur dem Fraktionsvorsit-zenden, sondern auch dem Bundeskanzler – anzumer-ken, daß sie nicht mehr hinter diesem Kanzler steht.Wenn die Lage der Nation diskutiert wird, dann mußman anwesend sein. Wir waren bei Helmut Kohl immergeschlossen da. Ich kann nur sagen: Der lange bleierneSchatten von Oskar Lafontaine hat sich auf die SPD ge-legt, und Sie werden diesen Schatten nicht mehr loswer-den.Ich habe noch einmal etwas über die japanischenKamikazeflieger nachgelesen. Sie waren meistens nursehr wenig erfolgreich, aber einzelne Schlachtschiffesind getroffen worden. Der Kamikazeflieger Oskar La-fontaine hat Wirkung hinterlassen, und es wird auchHerrn Müntefering nicht gelingen, alle Schotten abzu-dichten und alle Schäden zu beheben. Deswegen habenwir jetzt statt Aufbruchstimmung Untergangsangst beider SPD. Darüber konnte auch die Rede von HerrnStruck nicht hinwegtäuschen.
Herr Schröder hatte nie die Herzen der Genossen er-obert. Er hat ihren Verstand erreicht,
und er ist damit über die Genossen hinweg an vieleDeutsche herangekommen, weil sie geglaubt haben, waser versprochen hat: Er modernisiert, er macht alles bes-ser und moderner. Inzwischen sind die Leute, die ihn mitdem Verstand gewählt haben – natürlich haben die ihrenVerstand wieder zurückgewonnen –, wieder von derSPD abgerückt. Ich glaube nicht, daß es Ihnen gelingt,sie wieder zurückzuerobern.Deswegen werden wir den Weg beharrlich weiterge-hen, den wir in diesem Jahr eingeschlagen haben, näm-lich bei Landtagswahlen, die auch Stimmungstests fürdie Bundestagswahl sind, soviel Erfolg wie möglich zuhaben. Ich bin sehr zuversichtlich, daß die positive Ent-wicklung im Februar in Schleswig-Holstein und im Maiin Nordrhein-Westfalen fortgesetzt wird. Man kann auchmit noch so teurer Kleidung Blößen nicht bedecken, unddie politischen Blößen sind vorhanden, meine sehr ver-ehrten Damen und Herren.
Herr Struck hat die „Süddeutsche Zeitung“ bemüht.Herr Struck, Sie erinnern sich sicher noch an Ihre Rede.
– Kennen Sie sie soweit auswendig, daß Sie noch wis-sen, von welchem Tag Sie sie zitiert haben? Ich habezugehört und glaube, es war der 16. September 1999.
– 16. Juni. Ich nehme den 13. September 1999. Es machtbei der „Süddeutschen Zeitung“ oft mehr Spaß, dasFeuilleton zu lesen, als die Zeitung selbst. Denn mancheLeute, die gerade mit dem Kanzler in Japan und Chinaunterwegs waren, verbreiten das Märchen, es handelesich um eine gute Rede des Kanzlers und was weiß ichalles.
Nachdem Herr Struck die „Süddeutsche Zeitung“ zi-tiert hat, möchte ich auch – dann höre ich auf, Frau Prä-sidentin – etwas daraus vorlesen. Darin wird die SPDmit dem Suppenkasper verglichen. Dort heißt es:Der Kasper, der war kerngesund, ein dicker Bubund kugelrund. Am nächsten Tag, ja sieh nur her,da war er schon viel magerer.Dies war der Sachstand nach den Landtags- und Kom-munalwahlen in diesem Herbst. Wie die Geschichte en-det, ist bekannt: Am vierten Tag dann – das wird imnächsten Jahr im Mai sein –endlich gar, der Kasper wie ein Fädchen war. Erwog vielleicht ein halbes Lot – und war am fünftenTage tot.Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Michael Glos
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6289
(C)
(D)
In unserer Debatte
zum Haushaltssanierungsgesetz, zum Gesetz zur Famili-
enförderung sowie zum Steuerbereinigungsgesetz erteile
ich nun dem Kollegen Rezzo Schlauch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Glosist mit Sicherheit ein guter Schauspieler und Darstellerim bayerischen Komödienstadl.
Aber zu dem Thema, das auf der heutigen Tagesordnungsteht, kam kein einziges Wort, kein einziger Vorschlag,keine einzige Alternative, auf die einzugehen sich loh-nen würde.
Dies ist auch kein Wunder, denn die Alternative der al-ten Regierung war, die Handlungsfähigkeit des Staatesdurch einen schwindelerregenden Schuldenkurs immerweiter gen Null zu reduzieren.
Meine Damen und Herren, mit dem heutigen Gesetzes-paket werden wir diese Handlungsfähigkeit wieder umeinen entscheidenden Schritt nach vorn bringen.
Herr Glos, im 21. Jahrhundert brauchen wir Gestal-tungsräume, um statt der reinen Marktwirtschaft auchweiterhin eine soziale Marktwirtschaft zu haben, dieHerr Gerhardt – wenn ich ihn recht verstanden habe –schleifen will, und um sie zu einer ökologisch-sozialenMarktwirtschaft weiterzuentwickeln.
Mit dem vorliegenden Gesetzespaket beweisen wiraber auch die Handlungsfähigkeit dieser Regierung trotzgeänderter Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Dies istetwas, was die alte Koalition in zwei Legislaturperiodennicht geschafft hat.
Wir kommen heute unserem ehrgeizigen Ziel, 30Milliarden DM im Bundeshaushalt einzusparen und dieNettoneuverschuldung zurückzuführen, ein ganzes Stücknäher. 10 Milliarden DM schultern wir mit dem nichtzustimmungspflichtigen Teil des Haushaltssanierungs-gesetzes. Eine Einsparung von weiteren 16 MilliardenDM werden wir Ende November mit der Verabschie-dung des Bundeshaushalts realisieren. Das ist gesternbereits in den Ausschüssen mit einer fast millimeterge-nauen Punktlandung erledigt worden.
Jetzt, Herr Glos, kommen Sie ins Spiel. Es bleibenganze 4 Milliarden DM, bei denen Sie sich als Oppositi-on sehr gut überlegen müssen, was Ihnen wichtiger ist:das Wohl des Landes oder der kurzfristige parteipoliti-sche Erfolg.
Zugegeben, Sie haben bei den letzten Wahlen gut abge-sahnt. Dauerhaft – da bin ich ganz sicher – wird es sichaber nicht auszahlen, sich für die Partei und gegen dasLand zu entscheiden,
für die Stagnation und für den Status Quo, wie Sie esjahrelang getan haben. Wir waren für die Veränderun-gen, die längst überfällig waren und die wir heute ein-leiten.Besonders deutlich zeigt sich dies an einem Punkt desGesetzes, den Sie vehement streitig stellen, nämlich beider Rentenpolitik. Wer soll denn eigentlich die Positionder Union in der Rentenpolitik noch verstehen? Siewollten das Rentenniveau auf 64 Prozent senken,
und zwar ohne sozialen Ausgleich, ohne Stärkung derprivaten Vorsorge, ohne Senkung der Lohnnebenkosten,ohne Senkung der Rentenbeiträge.Was wir wollen, ist ein langsamerer Anstieg derRenten plus soziale Gerechtigkeit. Herr Glos, Sie habenwieder demonstriert: Beim Thema Rente zeigt sich dasElend der politischen Debattenkultur in diesem Land.Die Rentnerinnen und Rentner haben ein Anrecht dar-auf, daß die Politik den Lohn ihrer Lebensleistung heuteund morgen sichert. Sie haben aber auch ein Anrechtdarauf, Herr Glos, daß Union und F.D.P. in der Opposi-tion nicht anders reden, als sie in der Regierung gehan-delt haben.
Auch ein Teil der heutigen Regierung hat es sich –das gebe ich unumwunden zu – vor der Bundestagswahlan diesem Punkt zu einfach gemacht.
Metadaten/Kopzeile:
6290 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Aber, meine Damen und Herren von der Union, wirhatten wenigstens den Anstand, uns hierfür bei denRentnerinnen und Rentnern zu entschuldigen.
Ihre Entschuldigung, Herr Schäuble, für demagogischeReden von Rentenkürzungen, für Ihr unanständigesSpiel mit den Ängsten der Menschen, steht allerdingsaus.
Kommen Sie an dieses Pult und sagen Sie den Men-schen die Wahrheit! Sagen Sie ihnen, daß Sie die Net-tolohnanpassung der Renten, die Sie heute wie eineMonstranz vor sich hertragen, erst 1992 eingeführt ha-ben, und zwar nicht, um den Rentnerinnen und Rentnernetwas Gutes zu tun, sondern um sie nicht an den damalssteigenden Bruttolöhnen partizipieren zu lassen. Das wardoch der Grund.Sagen Sie den Menschen, daß während der 16schwarzgelben Jahre die Rentenanpassung achtmal unterder Inflationsrate lag und die Kaufpreiserhöhung nichtausgeglichen hat.
Wenn Sie die Verweigerung der Wirklichkeit endlichaufgeben, können Regierung und Opposition wiederüber einen Rentenkonsens reden. Wir sind dazu bereit.Wir zögern aber auch nicht, die notwendigen Reformen,wenn Sie sich weiter verweigern, alleine zu gestaltenund zu beschließen.
Ich verstehe ja, daß Sie dagegen Sturm laufen, weilwir mit dieser Politik unter Beweis stellen, daß der vonIhnen aufgebaute Gegensatz zwischen Innovation undGerechtigkeit – daß Sie so getan haben, als ginge beidesnicht zusammen, als ginge das eine immer nur auf Ko-sten des anderen – nichts anderes als ein neoliberalesMärchen war.Ihre Zeit der Stagnation ist vorbei. Wir setzen derPolitik des Stillstandes mit den heutigen Entscheidungeneine Politik des Wandels gegenüber.
Wir haben den Mut zur Wirklichkeit. Wir haben auchden Mut zu unbequemen Wahrheiten. Zu diesen unbe-quemen Wahrheiten gehört leider auch, daß wir den So-zialbereich nicht von Kürzungen ausnehmen konnten.Diese Einsparungen können allerdings nur ein ersterSchritt für durchgreifende strukturelle Reformen dersozialen Sicherungssysteme sein.So schwer uns die Entscheidungen im Sozialbereichgefallen sind, so unberechtigt sind aber auch die Vor-würfe, es würde sich um eine sozial unausgewogene Po-litik handeln. Ein Haushaltssanierungsgesetz ist selbst-verständlich immer ein Einsparungsgesetz. Aber wirsparen fair. Wir belassen es nicht beim Sparen, sondernwir bauen gleichzeitig auch auf.
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Wir habenden Eingangssteuersatz um sechs Prozentpunkte ge-senkt. Das sind 36 Milliarden DM, die vor allem denBeziehern kleiner und mittlerer Einkommen zugute ge-kommen sind.
Wir haben das steuerfreie Existenzminimum ange-hoben. Wir haben 183 000 Jugendlichen eine neue be-rufliche Perspektive gegeben, während Sie von der Uni-on über Jahre hinweg die steigende Jugendarbeitslosig-keit tatenlos haben vorbeiziehen lassen.
Diese Politik der neuen Chancen und der sozialenFairneß setzen wir heute fort; denn wir beschließenheute nicht nur Einsparungen im Bundeshaushalt, son-dern auch eine Reihe weiterer wichtiger sozialer Verbes-serungen. Die Wohngeldreform, die Schwarzgelb im-mer nur versprochen hat, wird endlich Wirklichkeit.Durchschnittlich 83 DM pro Monat mehr für einkom-mensschwache Haushalte kann nur derjenige für Peanutshalten, der von der Lebenswirklichkeit dieser Menschenso weit entfernt ist wie die Opposition.
Insgesamt werden 1,5 Millionen einkommensschwacheHaushalte von der Reform profitieren. Das ist gut so.
Herr Glos, besonders stolz sind wir – dazu haben Siekein Wort gesagt – auf die nochmalige Aufstockung derLeistungen für Menschen, die mit Kindern leben, fürFamilien. Wir erhöhen das Kindergeld binnen einesJahres zum zweitenmal.
Eine Familie mit zwei Kindern hat ab dem nächsten Jahr1 200 DM jährlich mehr in der Tasche.
Mit der Verabschiedung des Familienförderungsge-setzes geht es den Familien nicht nur in Sonntagsredenbesser, sondern bei jedem Blick auf ihre Lohnabrech-nung.
Rezzo Schlauch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6291
(C)
(D)
Dabei freuen wir Grünen uns besonders, daß es uns zu-sammen mit der SPD-Fraktion gelungen ist, die Sozial-hilfesätze anzuheben, so daß wirklich alle Kinder unddie mit Kindern Lebenden unmittelbar von der Kinder-gelderhöhung profitieren.
Diese Koalition verbindet seriöse Haushaltspolitikmit sozialer Fairneß. So sparen wir mit dem heutigenGesetzespaket mindestens zehn Milliarden DM ein. Da-bei gelingt es uns bei gleichzeitiger Absenkung derNettoneuverschuldung trotzdem, weitere 5,5 MilliardenDM für Familien in unserem Land zu mobilisieren. Dasverstehen wir unter Generationengerechtigkeit.
Es geht nicht darum, eine Generation gegen die andereauszuspielen. Vielmehr werden wir unser Land heute soerneuern, daß wir es morgen mit gutem Gewissen an un-sere Kinder weitergeben können.
Meine Damen und Herren von der Union und derF.D.P., Politik mit mehr Geld zu machen ist einfach. Mitgleichen oder weniger Mitteln mehr zu erreichen ist dieKunst des Machbaren. Dabei haben wir heute einen gu-ten Schritt nach vorne getan.Danke schön.
Zu einer Zwischen-
bemerkung erteile ich dem Kollegen Dr. Grehn das
Wort. Bitte sehr.
Herr Kollege Schlauch, ich
verstehe ja, daß Sie dieses Haushaltssanierungsgesetz
hier in einem positiven Sinne begründen. Ich stelle al-
lerdings fest, daß der Sozialabbau Arbeitslosengeld-
empfänger, Arbeitslosenhilfeempfänger und Sozialhilfe-
empfänger in diesem Jahr zum wiederholten Male und
Rentner zum erstenmal trifft. Und das alles soll nur ein
erster Schritt sein. Sie haben angekündigt, daß es in die-
sem Sinne weitere Strukturreformen geben wird. Heißt
dies, daß Sie diese Gruppen weiter schlauchen wollen?
Sie haben davon gesprochen, daß 1,5 Millionen
Haushalte von der Reform profitieren. Dies möchte ich
nicht negieren. Sie haben allerdings nicht gesagt, wie
viele Haushalte durch das Haushaltssanierungsgesetz
negativ betroffen werden.
Ich stelle fest, daß die bisherige Darstellung der
Auswirkungen des Haushaltssanierungsgesetzes einsei-
tig war und daß die Gruppen, die durch die soziale
Schieflage stärker betroffen sind, nicht benannt worden
sind.
Als Begründung hat der Kollege Struck angeführt,
daß sich diese Menschen in der Gesellschaft solidarisch
verhalten sollen. Ich weiß nicht, wer mit wem solida-
risch sein soll, ob die Solidarität für sie eine Einbahn-
straße ist, indem nur die sozial Schwachen weiterhin so-
lidarisch mit denjenigen sein sollen, die eigentlich brei-
tere Schultern haben und deshalb mehr tragen können.
Herr Kollege
Schlauch möchte nicht antworten.
Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Günter Rex-
rodt, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Heute möchten Sie von Rot-grün unter Beweis stellen, daß Sie mit Geld umgehenkönnen.
Dies ist angesichts einer Serie verunglückter Gesetzeund angesichts der Tatsache, daß wichtige Reformvor-haben schlingern und nicht zu Ende gebracht werden,natürlich ein mutiges Unterfangen. Ich nehme dem Bun-desfinanzminister Eichel auch ab, daß er den angestreb-ten Spar- und Konsolidierungskurs fahren möchte. Icherkläre für meine Fraktion: Wir haben nie Zweifel darangelassen, daß es zu dem Kurs des Sparens und Konsoli-dierens keine Alternative gibt. Das ist der richtige Kurs,zu dem wir stehen.
Ich halte es aber für anmaßend, so zu tun, als ob Rot-grün Erneuerer und Reformer sei und diesen Kurs er-funden hätte. Sie tun so, als ob die Erblast der RegierungKohl Sie gewissermaßen zur Besinnung und Neuorien-tierung veranlaßt habe. Dies ist Humbug, auf den ichnoch eingehen werde.Man kann an Hand von Fakten ganz einfach darlegen,daß das Ergebnis Ihrer Sparbemühungen ziemlich magerist, daß viele Teile Ihres Sparpakets eine Mogelpackungsind und daß mit diesem Paket an vielen Stellen Wei-chen gestellt werden, die für unser Land nicht gut sind.Ich nehme Ihnen auch nicht übel, daß Sie das Haus-haltssanierungsgesetz in zustimmungspflichtige undnicht zustimmungspflichtige Gesetze aufgeteilt haben.Dies ist ein legitimes Vorgehen, um politisch etwas zubewegen.Ihr Anspruch, gewissermaßen Erfinder der Ausga-bendisziplin und Rückführer der Staatsschuld zu sein,platzt allerdings wie eine Seifenblase, wenn man sichfolgende Fakten vor Augen führt: Das Ausgabenvolu-men des Haushalts 1998 lag mit 456 Milliarden DM be-reits unter den Ausgabenvolumina der Haushalte derVorjahre, unter anderem unter dem des Haushalts 1993.SPD und Grüne haben den Sparkurs, den wir damals ge-fahren haben, kritisiert. SPD und Grüne haben auf jedeAusgabe, die wir eingebracht haben, noch einen SchelmRezzo Schlauch
Metadaten/Kopzeile:
6292 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
draufgesetzt, und sie wollten noch mehr haben. Das wa-ren die Fakten in den 90er Jahren.
Hinsichtlich Ihres Anspruchs weise ich darauf hin,daß der Anteil der Bundesausgaben am Bruttosozial-produkt 1998 11,98 Prozent betrug und damit ein histo-risches Tief erreicht hatte. Ist dies etwa kein Ausdruckvon Sparen und Konsolidieren? Die Staatsquote lag1998 wieder unter denen der Vorjahre. Sie weist seit1997 – trotz der damals besonders hohen Belastungdurch die Wiedervereinigung – eine fallende Tendenzauf. Niemand in Deutschland wird vergessen, wieviel imZusammenhang mit der Währungsunion und den Krite-rien von Maastricht gespart wurde, und zwar sichtbarund erfolgreich.Wir alle wissen – das halte ich in den Diskussionen,die von der Koalition kommen, für so unfair –, daß diezweifellos explodierte Staatsschuld ihre Ursache darinhat, daß wir enorme Investitionen in die Wiederverei-nigung tätigen mußten. Würde man das herausrechnen –niemand will diese Investitionen ungeschehen machen;aber man muß fair argumentieren –, könnte man sehen,daß die Staatsschuld nicht überproportional angestiegenist.Deshalb bitte ich Sie, hier nicht davon zu sprechen,Sie seien die Reformer und Erneuerer, Sie hätten Sparenund Konsolidieren erfunden. Das haben wir genausogetan, und Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel warengute Haushälter und Sparkommissare.
Ich komme zum zweiten Aspekt: Was steckt hinterdiesem 30-Milliarden-Sparpaket? Das Deutsche In-stitut für Wirtschaftsforschung, das nun gewiß nichtverdächtig ist, den Regierungsparteien besonders kri-tisch gegenüberzustehen, schreibt dazu, von den30 Milliarden DM seien 8,7 Milliarden DM Abwälzun-gen auf andere Haushalte, und 4,5 Milliarden DM wer-den als zweifelhaft und als „Luftbuchungen“ dargestellt.Nun kann man sagen, übrig blieben 17 MilliardenDM, was ja eine ganze Menge sei. Auch ich gebe zu,daß 17 Milliarden DM mehr als nichts sind. Aber versu-chen Sie doch bitte nicht, diesen relativ geringen Betrag,der immerhin auf einem richtigen Kurs eingefahrenwird, als etwas hochzustilisieren, was er gar nicht ist. InWirklichkeit soll dieser Betrag nur Ihre falschen Ent-scheidungen – von der Scheinselbständigkeit über dieGesundheitspolitik bis hin zur Rentenpolitik – aufwie-gen und erklären. Sie machen mit diesem Haushaltssa-nierungsgesetz den Versuch,
alles andere, was Sie an Stückwerk, an handwerklichschlechten Gesetzen und an Falschorientierungen gelie-fert haben, zu heilen und aufzuwiegen. Das Gegenteil istder Fall. Das, was Sie machen, ist nicht mehr als das,was zur Routine einer sparsamen Haushaltsführung ge-hört.
– Wir haben das genauso gemacht, Herr Kollege Wag-ner. Das ist ein Routinevorgang, den Sie hier zu einergroßen Staatsaktion aufblasen. Der Kurs ist richtig, aberdahinter steckt nicht mehr als ein Routinevorgang. Dasmuß beim Namen genannt werden.
Meine Damen und Herren, niemand unterstellt Ihnen,daß die steuerliche Entlastung der unteren Einkom-mensgruppen oder auch die Erhöhung des Kindergel-des – das sind ja Ihre Vorzeigeprojekte, die immer wie-der genannt werden – falsch seien.
– Ich mache Ihnen gerade ein Kompliment.
Diese beiden Vorzeigeprojekte sind aber schlichtStückwerk. Außerdem haben Sie dieses Stück Entla-stung selbst konterkariert, indem Sie mit der Ökosteueraus der anderen Tasche wieder abkassieren und vor al-lem bei denjenigen abkassieren, die von der Entlastungbei den Beiträgen zur Sozialversicherung gar nichts ha-ben.
Das ist keine gerechte Politik. Das ist Stückwerk undliegt neben der Sache.
– Darauf komme ich jetzt. Aber nun schreien Sie dochnicht so. Sie haben ein schlechtes Gewissen, weil Ihnenklar ist, wie haltlos Ihre Argumentation ist. Ihnen ist jabewußt, daß der Berg zwar kreißte, aber nur ein Mäus-lein gebar.
Genauso verhält es sich mit den lächerlichen Beträgen,die Sie so aufblasen, als könnten sie zu einer großenZeitenwende führen. Nichts ist dahinter.
Dr. Günter Rexrodt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6293
(C)
(D)
Die Steuerschätzung für das Jahr 1999 liegt um9,5 Milliarden DM über den ursprünglichen Ansätzen.Das ist Ergebnis der Korrekturen von 1997 und 1998 beibestimmten Fördervorgängen. Meine Damen und Herrenvon der SPD, Sie hatten und haben den Spielraum, umeine wirkliche Steuerreform zu machen, die den Mit-telstand entlastet und den Tarif in seiner gesamten Breiteverändert.
– Das machen Sie nicht. Geben Sie das an den Steuer-bürger zurück, was Sie auf Grund von Umständen, fürdie wir noch verantwortlich waren, mehr bekommen.Das wäre eine überzeugende Politik.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei Ihnen auseinan-der, und deshalb verdient das Haushaltssanierungsgesetzdiesen Namen nicht.Ein überzeugender Spar- und Konsolidierungskurs –jetzt bin ich bei den Alternativen, Herr Kollege Poß,Herr Kollege Wagner – hätte zumindest die Fortsetzungunserer Bemühungen um Subventionsabbau verlangt.
Die Sachverständigen, die zu der Anhörung gekommenwaren, haben das bestätigt. Was machen Sie? – Sie set-zen noch einen drauf. Ein Beispiel aus den letzten Ta-gen: Die Koalition hat die Subventionierung der Kraft-Wärme-Kopplung auf Kohlebasis für Stadtwerke be-schlossen. Dies soll durch eine allgemeine Umlage beimStromkunden finanziert werden. Die Leute werden wie-der abkassiert. Das hat gar nichts mit Umweltschutz zutun; das ist eine Prämie für die Stadtwerke, die alteSchleudern betreiben. Das ist nichts anderes als eineVerbeugung vor eben diesen Stadtwerken und vor derGewerkschaft ÖTV; das ist bezeichnend für Ihre Sub-ventionspolitik.
Herr Poß, wie steht es denn um Ihre Glaubwürdigkeitbei der Steinkohle? Sie sind hierhergegangen, insbeson-dere der Kollege Lafontaine, und haben getönt: Wort-bruch bei der Steinkohle. – Sie haben nie das gezahlt,was eigentlich in den Vereinbarungen niedergelegt ist.Heute machen auch Sie das, was wir gemacht haben:
Sie verschieben Zahlungen in ein anderes Jahr. Das kannman ja machen. Nur, Herr Poß, den Anspruch, den Sieerheben, lösen Sie damit nicht ein.
Vielmehr machen Sie eine ganz kleinkarierte Politik. Siestreichen 250 Millionen und verschieben 200 Millionenund erheben gleichzeitig den Anspruch, im Wort bei denKohlekumpeln zu sein.
Das Gegenteil ist der Fall: Sie bringen das nicht. Das istein Faktum, und die Leute in den Revieren wissen dasauch.
Da, wo die wirklichen Sparpotentiale im Haushaltliegen, nämlich bei den Maßnahmen zum zweiten Ar-beitsmarkt, kommt von Ihnen nicht viel. Er muß mitMitteln in Milliardenhöhe finanziert werden. Aber mitMitteln in der Höhe, wie Sie sie vorsehen – das sindjetzt rund 7,7 Milliarden DM, glaube ich –, kann manProjekte nicht sinnvoll finanzieren. Da hätte ich mirmehr Akzente und mehr Verantwortung gewünscht.Statt dessen kürzen Sie im Haushalt des Wirtschafts-ministers, schädigen damit den Mittelstand und ver-nichten damit Arbeitsplätze. Wer mit dem Anspruch indas Parlament geht, die Staatsfinanzen neu ordnen zuwollen, kann uns hier nicht Stückwerk vorlegen und dasGanze als großen Durchbruch, als neue Qualität be-zeichnen.
Die großen, finanziell gewichtigen Entscheidungenbekommen Sie nicht auf die Reihe. Die Reform des Ge-sundheitswesens droht zu scheitern. Die Reform derRentenversicherung steht noch aus, und am Ende wer-den Sie sich zu etwas durchringen müssen, was wir be-reits veranlaßt hatten und was Sie als erstes abgeschaffthaben. Eine andere Alternative gibt es nicht – intellektu-ell schon gar nicht.Die Deregulierung, insbesondere im Arbeitsrecht, istfür Sie ein Tabu. Neben der Steuerreform ist die Libe-ralisierung des Arbeitsrechtes eine der ganz großenAufgaben für dieses Land, eine Zukunftsaufgabe, wennes um Arbeitsplätze geht.
Das ist für Sie Tabu; da gehen Sie überhaupt nicht her-an. Das ist ein Versäumnis. Da kann auch nicht von Er-neuerung gesprochen werden.Die wichtigste Reform dieses Landes, die Steuerre-form, die der alte Bundestag beschlossen hatte und deralte Bundesrat blockiert hatte, haben Sie erst einmal ver-schoben.
Was ich da in bezug auf die Spreizung und vieles mehr,das kommen soll, höre, läßt Schlimmes erahnen.Dr. Günter Rexrodt
Metadaten/Kopzeile:
6294 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Meine Damen und Herren, was wir heute und hier be-schließen, ist ein magerer Versuch, über die Runden zukommen. Manches ist natürlich im Detail richtig; ande-res ist weniger richtig.
Aber der Durchbruch, das Entscheidende, fehlt. Wirsollten uns den wirklich wichtigen Aufgaben, den gro-ßen Reformen zuwenden. Ihre Arbeit wird dann ihreWürdigung finden
– Herr Poß –, wenn Etikett und Wirklichkeit überein-stimmen. Das ist nicht der Fall bei Ihnen. Es ist einMäuslein, das Sie uns hier vorlegen.
Das Haushaltssanierungsgesetz, Ihr großes Gesetz, mitdem Sie den ganzen Schrott, den Sie im letzten Jahrproduziert haben, quasi in eine Wundertüte einpackenwollen,
verdient seinen Namen nicht.
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Dr. Christa Luft, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Die CDU-geführte Bundes-regierung, die vor gut einem Jahr abgewählt worden ist,hat einen Schuldenberg hinterlassen, über dessen Ursa-chen ich hier nicht richten will.
Der Punkt für mich ist: Diese Regierung hat kein Ab-baukonzept hinterlassen. Es gibt bis heute kein Konzeptfür den Abbau der öffentlichen Schulden. Jedenfalls wareine tragfähige Idee hier nicht zu hören.Die einzige Idee zur Sanierung des Haushalts, die inden Haushaltsausschußberatungen von CDU/CSU undF.D.P. vorgetragen worden ist – auch das muß man derÖffentlichkeit einmal mitteilen –, war, den Bundeszu-schuß an die Bundesanstalt für Arbeit auf Null zu stel-len. Man muß sich das einmal vorstellen! Ich halte dasangesichts der Arbeitsmarktlage in den neuen Bundes-ländern in der Tat für einen Skandal.
Auch in den alten Bundesländern gibt es nur dadurch ei-ne Entlastung des Arbeitsmarktes, daß das Angebot anArbeitskräften rückläufig ist.Die Schröder-Regierung schickt sich nun an, die fi-nanzielle Handlungsfähigkeit des Staates – so nennt siees – zurückzugewinnen. Die Grundrichtung des Anlie-gens ist nachvollziehbar. Der eingeschlagene Weg seinerUmsetzung, nämlich die Beschränkung auf Streichen,Kürzen und Verlagern von Ausgaben, ist aus unsererSicht allerdings gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv.Ob dies das erste rotgrüne Gesetz ist, das nicht nachzu-bessern sein wird, ist noch fraglich.Herr Kollege Struck – er ist nicht da –, die Zustim-mung von Bundesbank, vom Bundesrechnungshof undvon einigen wohlsituierten Experten – ich weiß noch,wer an der Anhörung teilgenommen hat – zu diesem Sa-nierungsweg bedeutet noch nicht, daß er Resonanz inder Bevölkerung finden wird.
In der Koalitionsvereinbarung wird der Schlüssel zurSanierung der öffentlichen Finanzen richtigerweise inder energischen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ge-sehen. Aber bevor überhaupt etwas Spürbares auf demGebiet gelungen ist, wird der Spieß nun umgedreht. Seitdem Amtsantritt von Finanzminister Eichel ist allein dieReduzierung der Nettoneuverschuldung ins Zentrum derRegierungspolitik gerückt. Das aber ist keine Zukunfts-vision.Zum Entlastungsvolumen durch die Unternehmen-steuerreform hören wir jede Woche neue Ziffern. DieRentenreform ist im Höchstfall in Konturen erkennbar.Es steht in den Sternen, wie es mit der Ausbildung vonjungen Leuten weitergehen soll, wenn das JUMP-Programm einmal nicht verlängert wird. Die Verschul-dung zu senken, das ist keine Zukunftsvision. Die Poli-tik der Bundesregierung muß durch inhaltliche Konzepteuntermauert werden. Diesbezüglich sieht es bisher sehrmager aus.Mit dem von der Regierung vollzogenen Paradig-menwechsel ist dem gesellschaftlichen Hauptübel in derBundesrepublik Deutschland, nämlich der Massenar-beitslosigkeit, nicht beizukommen. Tiefe Einschnitte beiden Sozialleistungen und bei den Kürzungen öffentli-cher Investitionen bringen keine Impulse für Beschäfti-gung. Am Ende droht ein solcher Weg zu nichts ande-rem als zu sinkenden Steuereinnahmen und zu wachsen-den Krisenkosten in den Folgejahren zu führen. Daherlehnen wir den Sanierungskurs der Bundesregierung ab.
Das Ziel einer nachhaltigen Haushaltssanierung kannnicht ausschließlich durch Streichen oder Kürzen öf-fentlicher Ausgaben oder durch deren Verlagerung aufLänder und Kommunen erreicht werden. Wir beantragendaher, eine Änderung am Haushaltssanierungsgesetzvorzunehmen. Dies gilt insbesondere für die Verlage-rung des Wohngeldes auf die Kommunen als auch fürdie Novellierung des Wohngeldgesetzes, die mit demHaushaltssanierungsgesetz – auch das muß man einmalDr. Günter Rexrodt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6295
(C)
(D)
mitteilen – terminlich klammheimlich noch einmal wei-ter nach hinten verschoben wird.Aus unserer Sicht ist für die Haushaltssanierung eineStrategie der Einnahmenverbesserung, sowohl durchökologisch verträgliches Wachstum als auch durch He-ranziehung großer Vermögen zur Finanzierung öffentli-cher Ausgaben, unverzichtbar – so wie es die Sozial-pflicht des Eigentums gebietet. Leider sind die neue Re-gierung und die Koalition auf diesem Ohr taub.Wir halten das jetzige Vorgehen für inkonsequent.Mit einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit hatdas, was Sie gegenwärtig vorhaben, nichts zu tun. Siefürchten offenbar von der rechten Seite des Hauses denVorwurf des Sozialneides. Dieser wäre aber völlig un-begründet, wenn sich die Koalition endlich der Besteue-rung großer Vermögen zuwendete.
An dieser Stelle frage ich Sie auch: Wann beendenSie endlich den Zustand, daß große Konzerne, wie zumBeispiel Daimler, zwar seit Jahrzehnten öffentliche Gel-der in Höhe mehrstelliger Milliardenbeträge abziehen,aber seit Jahren keine Steuermark an den Bund zurück-zahlen und sich dann, wenn Standortentscheidungen an-stehen – ich denke an die gewünschte Ansiedlung derProduktionsstätten für den A 320 in den neuen Bundes-ländern –, Standorte suchen, wo ihnen offenbar nochgrößere Zugeständnisse gemacht werden? Auf dieseWeise fachen die großen Konzerne Lohn- und Sozial-dumping an, werden aber dennoch weiter aus dem Bun-deshaushalt bedient. Hier stimme ich mit dem KollegenRexrodt überein:
In diesem Bereich hätte Rotgrün die Subvention längstbeschneiden müssen.
Warum dauert es bei Ihnen so lange, bis eine wieauch immer geartete Entscheidung über die Vermö-gensteuer bzw. die Vermögensabgabe herbeigeführtwird? Hat denn die SPD zu ihren Oppositionszeiten im-mer nur lauter nicht grundgesetzkonforme Vorschlägeunterbreitet? Das kann ich mir nicht vorstellen. Im übri-gen ist durch das jüngste Urteil des Bundesfinanzhofesauch der Einwand obsolet, daß sich eine Vermögensbe-steuerung nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren ließe.Warum tun Sie sich so schwer mit Veränderungen beider Erbschaftsteuer?Der vorgelegte Entwurf eines Haushaltssanierungsge-setzes widerspricht – das muß man nochmals unterstrei-chen – dem selbstgestellten Anspruch „Arbeit, Innovati-on, Gerechtigkeit“, mit dem die SPD als der größereKoalitionspartner der Bundesregierung seinerzeit imWahlkampf angetreten ist und mit dem sie auch eineMehrheit von Bürgerinnen und Bürgern für einen Regie-rungswechsel gewinnen konnte.Statt mit diesem Haushaltssanierungsgesetz aufbrachliegenden Tätigkeitsfeldern dauerhafte Beschäfti-gung zu initiieren, wird mit der Haushaltspolitik die La-ge auf dem Arbeitsmarkt noch verschärft. ÖffentlicheInvestitionen werden nicht einmal im bisherigen Um-fang aufrechterhalten, sondern bis zum Jahre 2003 um5 Milliarden DM gekürzt. Statt deutliche Innovationssi-gnale durch öffentliche Ausgabenpolitik in Bildung,Forschung, Wissenschaft und Technologie zu setzen, ra-gen diese Bereiche nun nicht mehr als Schwerpunkte derRegierungsarbeit heraus.Auch mit sozialer Gerechtigkeit hat Rotgrün Proble-me. Statt sozialer Gerechtigkeit endlich zum Durchbruchzu verhelfen, verläßt Rotgrün mit diesem Haushaltssa-nierungsgesetz den Pfad sozialer Ungerechtigkeit nicht,den die alte Regierung eingeschlagen hatte.
Begrüßenswerte Einzelakzente, wie die verbesserte Fa-milienförderung oder veränderte Einkommensgrenzenbei der Wohneigentumsförderung, ändern an dieser Ge-samteinschätzung wenig.
Das Haushaltssanierungsgesetz leitet auf vielen Ge-bieten Systembrüche mit gravierenden Folgen für diesoziale Verfaßtheit der Bundesrepublik Deutschland ein.Ich nenne hier als Stichworte die Abkehr von der Formelfür die Anpassung der Renten, der Arbeitslosenhilfe undder Sozialhilfe und die fehlende Einbettung all dieserMaßnahmen in ein langfristiges, schlüssiges und über-schaubares Konzept. Ich verweise darauf, daß die wahr-scheinlich noch hier zu beschließende Änderung desHaushaltssanierungsgesetzes, durch die Abschied vonder Formel für die Rentenanpassung genommen wird,von harschen Tönen aus der grünen Fraktion begleitetwird.
Sie lauten: Auch nach zwei Jahren – also nach Ablaufder Frist für die Aussetzung – könne man nicht zu deralten Formel zurückkehren. Die Öffentlichkeit muß zurKenntnis nehmen, daß es hier noch keinerlei Klarheitund keinerlei Sicherheit gibt, sondern daß nur ein Hin-und Herschwimmen zu erkennen ist.Die beabsichtigte Aussetzung der Rentenformel wirdvor allen Dingen Rentnerinnen und Rentner in den neu-en Bundesländern, die noch Auffüllbeträge bekommen,hart treffen, denn sie konnten seit Jahren keine Netto-rentenerhöhung im Portemonnaie feststellen. Sie werdenjetzt noch drei weitere Jahre warten müssen, bis sich et-was niederschlägt. Wir haben hierzu heute einen Ände-rungsantrag vorgelegt; wir bitten Sie, ihm zuzustimmen.Auch der Umgang mit der Künstlersozialkasse zeugtnicht gerade von sozialer Sensibilität.Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren von derKoalition, noch eines sagen: Dort, wo SPD und Bünd-nisgrüne zu ihren Oppositionszeiten noch bis in denSommer 1998 hinein Einsparmöglichkeiten auf Bundes-ebene gesehen haben, sind sie heute als Regierungsfrak-Dr. Christa Luft
Metadaten/Kopzeile:
6296 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
tionen abstinent. Wir haben uns die Mühe gemacht, dieDrucksachen, die noch bis in den Sommer 1998 hineinim Deutschen Bundestag debattiert worden sind, einmalim Hinblick darauf durchzuforsten, –
Frau Kollegin, ich
muß Sie an Ihre Redezeit erinnern.
– welche Einsparpotentiale
sich ergeben könnten, wenn man addiert. Ich sage Ihnen,
Sie würden auf 8 Milliarden DM allein im Jahre 2000
kommen, wenn Sie das umsetzten, was Sie zu Ihren Op-
positionszeiten immer gefordert haben.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der
Koalition, so nachvollziehbar das Grundanliegen ist, das
Sie haben – alternativlos ist der Weg, den Sie vorhaben,
nicht.
Ich erteile das Wort
dem Finanzminister Hans Eichel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
FrauPräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Die Bundesregierung hält Kurs. Was wir im Sommerzugesagt haben: Zukunftsprogramm 2000, Einstieg ineine nachhaltige Finanzpolitik, hat gestern und heute be-reits entscheidende Wegemarken passiert.
Gestern hat der Haushaltsausschuß des DeutschenBundestages den Haushaltsentwurf des Jahres 2000 be-schlossen und punktgenau die Vorgaben für Einsparun-gen von etwas mehr als 30 Milliarden DM umgesetzt.Die Nettokreditaufnahme sinkt seit langer Zeit zum er-sten Mal wieder unter die 50 Milliarden DM-Grenze.
Ich will dem Haushaltsausschuß für diese weiß Gottnicht einfache Arbeit herzlichen Dank sagen.
Herr Kollege Rexrodt und alle anderen, Sie müssensich einmal entscheiden: Entweder sind es Luftbuchun-gen – dann demonstrieren Sie aber auch mit allen De-monstranten gegen Luftbuchungen –, oder es sind wirk-liche Einschnitte. Dann haben die Demonstrationen al-lerdings Ihre Berechtigung. Entweder – oder; eines vonbeiden kann nur sein.
Tatsächlich ist es so, daß im Haushalt 16 MilliardenDM stehen, daß wir heute mit dem Haushaltssanie-rungsgesetz in seinen beiden Teilen, dem zustimmungs-pflichtigen und dem zustimmungsfreien Teil, noch ein-mal über 14 Milliarden DM entscheiden und damit,meine Damen und Herren, das Paket mit den aller-größten Schritten auf den Weg bringen. Mit Sicher-heit werden wir zum Ende dieses Jahres – ich kalkulierein diesen Bereichen noch nicht das Votum des Bundes-rates ein, in denen er zustimmen muß – 26 bis 27 Mil-liarden DM von den 30 Milliarden DM bereits gepackthaben.
Im übrigen ist auch Ihre sprachliche Umdefinitioninteressant. Im Sommer haben Sie, Herr Kollege Rex-rodt, gesagt: Der schafft nicht einmal 15 Milliarden DM.Heute sagen Sie, 17 Milliarden DM seien Peanuts. Darechnet sogar Herr Kopper anders.
Die Wahrheit ist natürlich, wie Sie ganz genau wissen,eine andere.Meine Damen und Herren, was wir hier durchsetzenkönnen, ist klar. Was Sie, wenn Sie wollen, mit Hilfeder Landesregierung vielleicht blockieren können, sind 3bis 4 Milliarden DM. Ich finde es hochspannend, HerrKollege Schäuble – das hat es im Vermittlungsverfahrennoch nie gegeben, wenn ich die Zeitungen richtig lese –,daß der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Oppositi-onsfraktion im Deutschen Bundestag in den Vermitt-lungsausschuß geht. Was müssen Sie für eine Angst da-vor haben, daß Ihre Ministerpräsidenten ihre eigenenInteressen durchsetzen!
Meine Damen und Herren, wir beschließen heutegleichzeitig im Rahmen des Zukunftsprogrammes eineweitere Aufstockung der Familienförderung; ichkomme darauf zurück. Es ist überhaupt nicht wahr, hiernur von einem Sparpaket zu reden. Es geht darum, daßwir die Weichen für die Zukunft richtig stellen und ineiner Reihe von Bereichen einsparen, um Chancen fürdie Zukunft überhaupt zu eröffnen, und zwar gerade mitBlick auf die soziale Gerechtigkeit.
Die Märchenstunde von Herrn Glos, die wir uns an-hören mußten, ist ja schon ein starkes Stück.
1,5 Billionen DM Staatsverschuldung scheinen für ihn„peanuts“ zu sein. Das war Ihre Art, Finanzpolitik zubetreiben, die zu einer Staatsverschuldung von1,5 Billionen DM geführt hat.
Dr. Christa Luft
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6297
(C)
(D)
Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß Sie 1982 ei-nen riesigen Schuldenberg übernommen hätten. Es han-delte sich damals um Schulden in Höhe von rund300 Milliarden DM. Ich will diese Summe nicht kleinre-den, aber ich muß schon feststellen, daß sich dieserSchuldenberg 16 Jahre später unter Ihrer Regierung ver-fünffacht hat. Was ist das für eine Rede, in der Sie ange-sichts dieser Tatsache von „peanuts“ sprechen?
Ich will ganz deutlich sagen: Es geht doch überhauptnicht um die Frage – das wissen Sie ganz genau; Sieversuchen aber immer wieder, dieses Märchen zu er-zählen –, ob wir den Aufbau Ost überhaupt gewollt ha-ben. Den Aufbau Ost haben wir gewollt. Aber wir woll-ten ihn solide finanzieren, was Sie nicht zustande ge-bracht haben.
Andere Länder waren erfolgreicher als Sie in IhrerRegierungszeit. Schauen Sie sich einmal an, wie schnellSchweden, Finnland und Dänemark die Finanzkrisentrotz höherer Defizite am Anfang dieses Jahrzehnts ge-löst haben!
Ihr Problem ist, daß Sie keine solide Finanzpolitik ma-chen können.
Das Problem von 1,5 Billionen DM Schulden ist na-türlich nicht durch einen einzigen Kraftakt zu lösen.Dieses Problem ist nicht in der Zeit vom 27. Septemberdes vergangenen Jahres bis zum Rücktritt von Oskar La-fontaine am 11. März dieses Jahres entstanden. Mit die-sem Märchen kommen Sie nicht durch. 82 MilliardenDM Zinslast bedeuten den zweitgrößten Posten imHaushalt. Was haben Sie nicht alles in Ihrer Zeit schön-gerechnet? In Ihrer Zeit ist die Zinssteuerquote im Bun-deshaushalt von 9 Prozent auf 22 Prozent mehr als ver-doppelt worden.
Genau dieses Problem verschweigen Sie die ganze Zeit.
Es ist unglaublich, daß täglich 225 Millionen DM anZinsen gezahlt werden müssen. Sie betrügen damit diesteuerzahlenden Bürger um die ihnen zustehenden Lei-stungen, weil sie von 100 DM gezahlten Steuern nurnoch für 78 DM Leistungen bekommen. 22 DM werdensofort an die abgeliefert, die uns ihr Geld leihen.
Folgenden Punkt, verehrte Frau Professor Luft, lasseich Ihnen nicht durchgehen: Das Problem der sozialenUngerechtigkeit fängt bei der Staatsverschuldung an undnicht dahinter.
Jahrelang wurde eine Situation geschaffen, in der eskeine Möglichkeit gab, einen Haushalt des Bundes ver-fassungsgemäß aufzustellen. Seit 1996 – unter der Ver-antwortung der alten Bundesregierung – war der Bun-deshaushalt im Vollzug verfassungswidrig. Sie habendoch viel mehr Geld ausgegeben, als Sie Investitionengetätigt haben. Sie haben sich also für den Konsum ver-schuldet. 1998 konnten Sie diese Tatsache nur durch diePrivatisierungserlöse in Höhe von 20 Milliarden DMverdecken. In diesem Zusammenhang haben Sie Tafel-silber veräußert, das wir noch brauchen, weil wir50 Jahre lang die Pensionen für die Postbediensteten undihre Angehörigen bezahlen müssen. In dieser Situationhaben Sie die Unternehmen verkauft und die Einnahmenins große Haushaltssloch geworfen. Der deutsche Steu-erzahler darf nun 50 Jahre lang die Pensionen zahlen.Das war Ihre Finanzpolitik.
Sie müssen auch zugeben, daß Sie die Kriterien imRahmen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstums-paktes überhaupt nicht einhalten konnten. Die anderenStaaten Europas knechten – das war richtig –, um zu ei-ner stabilen Politik zu kommen. Es ist daher keine guteWerbung für Deutschland in Europa, wenn wir diesselbst nicht zustande bringen.
Wir stellen uns dem Problem, mittelfristig zu ausge-glichenen Haushalten zu kommen. Dieses Problem mußman aber anpacken und darf es nicht durch das Einstel-len von Privatisierungserlösen vertuschen.
Hätten wir nicht eingegriffen, hätten wir in der Tat80 Milliarden DM neue Schulden machen müssen. Aberso konnten wir das erste Mal seit vielen Jahren unter dieGrenze von 50 Milliarden DM kommen.Warum führen wir diese Maßnahmen durch? Der ent-scheidende Punkt ist doch: Spätestens in 15 Jahren istdas Generationenproblem wirklich brisant, weil dieZahl der Älteren viel größer und die Zahl der Erwerbs-tätigen viel kleiner geworden ist. Welcher Start ist dasfür die Erwerbstätigen ins Arbeitsleben, wenn das Ren-tensystem nicht reformiert ist – daran arbeiten wir gera-de und haben viel Ärger – und wenn sie solche Staats-schulden tragen müssen? Wie sollen sie überhaupt nochvernünftig leben? Was ist das für eine Zukunftsvorsorge,die Sie da treiben?
Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
6298 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Es sind unsere Kinder, die unsere Renten bezahlen sol-len und denen Sie eine riesige Schuldenlast zusätzlichaufgebürdet haben.Ich will Ihnen sagen, was unsere Nachbarn gemachthaben; ich nenne Ihnen das schönste Beispiel, nämlichDänemark: In derselben Zeit, in der wir hoffentlich zueinem ausgeglichenen Haushalt kommen werden und inder wir zum erstenmal seit Jahrzehnten mit dem Geldauskommen, das uns die Bürgerinnen und Bürger geben,in derselben Zeit ist Dänemark schuldenfrei. Warum?Die Dänen sagen – diese Begründung sollten Sie sichsehr genau merken -: Dann haben wir das ganze Geld,die Zinsen für den Kapitalmarkt, frei, damit wir nochüber lange Zeit die Renten stabil halten können, ohnedaß wir die Steuern erhöhen müssen. Das ist Zukunfts-vorsorge. Dort finden Sie sozialdemokratische Finanz-minister.
Herr Minister, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rex-
rodt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.Ich habe nur eine sehr kurze Redezeit.Es geht erstens darum, welche Lebenschancen wirunseren Kindern geben, wenn sie ins Arbeitsleben star-ten. Da versagen Sie kläglich.
Es geht zweitens darum, wie wir heute handlungsfä-hig werden; Sie haben ja nicht geglaubt, daß Sie daseinholt. Sie haben 1990 versäumt, eine solide Finanzpo-litik zu machen. Sie haben – das hat Herr Schäuble offi-ziell erklärt – gedacht, man könne alles auf die nächsteund die übernächste Generation schieben. Das alles holtuns aber nach zehn Jahren ein. Das ist der Sachverhalt,mit dem wir es zu tun haben.
Es geht darum, bereits heute einen handlungsfähigenStaat zu erreichen. Dazu haben wir nur dann eine Chan-ce, wenn wir eingreifen und solide Staatsfinanzen errei-chen. Deswegen sage ich ausdrücklich: Ja, ich bekennemich zu den Eingriffen.Was ist das übrigens für eine Debatte, die Sie um dieRentnerinnen und Rentner führen? Herr Kollege Bie-denkopf hat Ihnen vorgerechnet – mir brauchte er dasnicht vorzurechnen –: In den letzten 20 Jahren ist dieRente insgesamt um genau die Preissteigerungsrate ge-stiegen und nicht um mehr. In den letzten Jahren IhrerRegierungszeit haben Sie nicht einmal dies erreicht. Unddann stellen Sie sich hierher und halten solche Reden!
Bei all dem, was wir vorgefunden haben und was wiran Zukunftsaufgaben vor uns haben, sage ich Ihnen:Wenn es nicht einmal möglich ist, daß diejenigen, dievom Staat und von den von ihm garantierten Einrichtun-gen, zwei Jahre lang Geld bekommen, ohne etwas zuverlieren – etwas anderes heißt es nicht, wenn die Ge-hälter, die Renten, die Pensionen und die Sozialhilfe umdie Preissteigerungsrate erhöht werden –, wenn Sie mei-nen, das bekämpfen zu müssen, dann wäre dieses Landein nicht mehr sanierbarer Fall. Das können Sie nichtverantworten.
Wir sanieren, weil wir unsere Aufgaben wahrnehmenwollen: Der Aufbau Ost erhält im Jahre 2000 rund3 Milliarden DM mehr als im Jahre 1998. Wir sanierenden Haushalt und machen solide Staatsfinanzen, weilwir für die Arbeitslosen – das unterscheidet uns von Ih-nen, Herr Kollege Rexrodt – wirklich etwas tun wollen –nicht nur vor Bundestagswahlen, sondern die ganzenvier Jahre lang.
Sie müssen erklären, wieso Sie sagen: Ihr dürft nichtsoviel bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik tun. Dasgalt aber nicht im September und im Oktober vergange-nen Jahres, als Sie die Mittel erhöht haben, damit Sievor der Bundestagswahl Ihre Statistiken schönen konn-ten. Was ist das für ein zynischer Umgang mit Men-schen?
Nur mit dieser Regierung und mit dieser Mehrheit,sehr geehrte Frau Professor Luft, gibt es zusätzlicheMittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Das gehört zurBekämpfung der Arbeitslosigkeit. Nur mit dieser Regie-rung und mit der sie tragenden Mehrheit gibt es das Pro-gramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit,mit dem wir uns in Europa wirklich sehen lassen kön-nen.
Es gibt kein Land in Europa, in dem die Jugendar-beitslosigkeit so stark zurückgeht wie bei uns. Auch dieabsolute Rate – die immer noch zu hoch ist – ist weitausbesser als in den meisten anderen europäischen Ländern,jedenfalls in denen, die südlich von uns liegen. Das isteine wirkliche Leistung. Dafür sparen wir, und dafürlohnt es sich auch zu sparen!
Dasselbe gilt für die Forschungsförderung und für dieSteuerentlastung bei den Beziehern kleiner und mittlererEinkommen. Dabei ist die Familienförderung nur einPunkt, die mit insgesamt 50 DM Kindergelderhöhungzum 1. Januar dieses Jahres und zum 1. Januar nächstenBundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6299
(C)
(D)
Jahres für eine vierköpfige Familie ab dem nächstenJahr 1 200 DM bringt.
– Darauf komme ich noch. Diesen Zwischenruf habe ichschon erwartet.Jetzt sage ich Ihnen noch etwas, sehr geehrte FrauProfessor Luft: Ich kann das, was Sie zum Thema so-ziale Gerechtigkeit immer erzählen, nicht mehr hören.Haben Sie denn gar nicht zur Kenntnis genommen, daßwir 35 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen dadurcherzielen, daß wir Steuerschlupflöcher geschlossen ha-ben? Das war doch der Kampf im Frühjahr dieses Jah-res, bei dem die Besitzstandswahrer plötzlich alle aufder rechten Seite saßen!
Wer richtig an das Thema herangeht, der wird fest-stellen, daß die soziale Gerechtigkeit – das war doch derKampf! – an dieser Stelle richtig aufgenommen wordenist: Entlastung der kleinen und mittleren Einkommenund auf der anderen Seite die Abschaffung der Vergün-stigungen – die auch Sie, als Sie noch an der Regierungwaren, abschaffen wollten –, weil es ein Skandal war,daß sich Bezieher hoher Einkommen wegen der vielenSchlupflöcher im Steuersystem praktisch steuerfrei stel-len konnten. So geht es doch nicht!
Es hat in Deutschland nach dem Kriege keine Wahl-periode gegeben, in der die Bezieher kleiner und mitt-lerer Einkommen steuerlich so entlastet worden wärenwie in dieser Wahlperiode. Daß der Eingangssteuer-satz in einer Wahlperiode um 6 Prozentpunkte gesenktwird, hat es früher nie gegeben, und das bei diesemhohen steuerfreien Existenzminimum. Beim Spitzen-steuersatz haben Sie – 16 Jahre waren Sie an der Regie-rung! – eine Senkung um 3 Prozentpunkte erreicht. Wirwerden ihn innerhalb von vier Jahren um 4,5 Prozent-punkte gesenkt haben. Hören Sie doch einmal mit IhremGerede auf!
Wir machen solide Finanzpolitik, damit wir dieseSteuerentlastung erreichen können. Alleine die Steuer-entlastung durch dieses Gesetz bringt nachhaltig20 Milliarden DM Nettoentlastung. Wir machen solideFinanzpolitik, damit wir die Familien besserstellen kön-nen. In dieser Wahlperiode werden sie allein durch dieErhöhung des Kindergeldes mindestens 12 MilliardenDM zusätzlich erhalten.
Wir machen solide Finanzpolitik, damit wir eine Unter-nehmensteuerreform mit einer Nettoentlastung von8 Milliarden DM nachhaltig erreichen können. Insge-samt gibt es ab 2002 durchgängig rund 35 MilliardenDM Steuerentlastung für Arbeitnehmer, Familien undUnternehmen. Das ist mehr als 1 Prozent vom Bruttoin-landsprodukt. Das ist nachhaltige Steuerentlastung!
Nun komme ich zur Ökosteuer. Es war so etwas vonunter Ihrem intellektuellen Niveau, falls das ernst ge-meint war – war es aber nicht –, zu erzählen, daß dieÖkosteuer eine Steuererhöhung sei.
– Sie wollten suggerieren, wir nähmen den Leuten mehraus der Tasche; darüber rede ich jetzt. – Als Sie an derRegierung waren, haben Sie in den fünf Jahren von 1989bis 1994 die Mineralölsteuer um 50 Pfennig erhöht. Wirerhöhen sie in fünf Stufen um 30 Pfennig. Sie haben inderselben Zeit die Sozialversicherungsbeiträge um3 Prozent erhöht. Wir senken die Sozialversicherungs-beiträge. Das ist der fundamentale Unterschied!
Das heißt, zum erstenmal gibt es eine Steuererhö-hung, bei der das Geld komplett an die Bürgerinnen undBürger zurückfließt. Dazu sind Sie nie fähig gewesen!Zum erstenmal seit Jahrzehnten sinken die Lohnneben-kosten.
Im übrigen: Was Sie zum Thema Ökosteuer an die-sem Pult zum besten gegeben haben, hat nichts mit demzu tun, was Einsichtige unter Ihnen früher, als Sie nochin der Regierung waren, zu Protokoll gegeben haben. Eshat auch nichts mit dem zu tun, was gegenwärtig in Eu-ropa diskutiert wird. Denn der Entwurf der Ökosteuer-richtlinie der Kommission – der in Europa leider nochnicht Gesetz geworden ist – sieht genau das vor, was wirmachen, nämlich den Ressourcenverbrauch zu verteuernund die Lohnnebenkosten zu senken.
13 von 15 Mitgliedern der Europäischen Union stehenvoll dahinter. Inzwischen ist auch Irland in der Kurve.Im Moment erkenne ich in Spanien erste Lockerungs-übungen. Dann wäre dies allgemein auf europäischerEbene so. Dann können Sie hier ruhig dagegen stimmen.Sie würden gegen ganz Europa stimmen, wenn Sie sichweiterhin so verhalten, wie Sie das zur Zeit tun.
Meine Damen und Herren, solide Finanzen sind dieVoraussetzung dafür, daß die Bürgerinnen und Bürgerwissen: Der Staat muß ihnen nicht in die Tasche greifen.Solide Finanzen sind auch der Hinweis an die Märkte,Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
6300 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
daß der Staat nicht als Preistreiber auf den Kreditmärk-ten auftritt. Heutige Situation ist ja, daß die Zinsen amlangen Ende günstiger werden. Das brauchen der Häus-lebauer und die mittelständische Wirtschaft. Deswegenmachen wir eine solche Finanzpolitik.
Unser Weg – er ist ehrgeizig – ist der der gleichzeiti-gen Senkung der Steuer- und Abgabenlast und derHaushaltskonsolidierung. Man kann lange über andereDinge nachdenken. Sie meinen, daß man über dieStaatsverschuldung besser nicht sprechen sollte und daßman den Bürgern das Blaue vom Himmel herunter ver-sprechen sollte. Eine solche Politik verfolgen wir nicht.
Eine Finanzpolitik ist nur dann seriös, wenn sie beideSeiten, die Einnahmeseite und die Ausgabeseite, imBlick behält und austariert. Sie können den Menschenkeine Steuersenkungen versprechen, die Sie nachher aufder Ausgabeseite nicht solide finanzieren bzw. nachhal-ten können. Genau das ist Ihr Problem.
Meine Politik und die der gesamten Bundesregierungist es – dabei bleibe ich –: „Es war bisher ein Spezifi-kum des deutschen Weges – anders also als in den Ver-einigten Staaten –, bei dem neuen Kurs der Finanzpolitiksteuerpolitischen Wohltaten keinen Vorrang vor allemÜbrigen einzuräumen, sondern umgekehrt, um der Soli-dität willen – sprich: um der Nachhaltigkeit des Erfolges
für die Initiativen zum dritten Ziele (nämlich zur Sen-kung der Steuern) zu machen.“Es wurde ja eine von uns herausgegebene Broschüreangesprochen. Ich habe nichts gegen diese Broschüre.Die soeben von mir angesprochenen drei Ziele stammenaus einer Broschüre des Finanzministeriums unter Füh-rung von Gerhard Stoltenberg aus dem Jahre 1985. ImVorwort schreibt er, wie er die Finanzpolitik gesehenhat. Sie haben ihn ja vorhin gelobt. Halten Sie sich alsodaran!
Herr Minister, ich
muß Sie leider auf Ihre Redezeit hinweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind
auf dem richtigen Wege. Der Arbeitsmarkt hat kon-
junkturbedingt wieder angezogen. Im Oktober dieses
Jahres hatten wir die niedrigste Arbeitslosenquote seit
1995. Es besteht ein hohes Maß an Preisstabilität.
Die Wirtschaft zieht ordentlich an. Das Wirtschafts-
wachstum wird in allen Prognosen der entsprechenden
Institute nach oben korrigiert. Die Staatsfinanzen sind
auf dem Weg der Konsolidierung. Der Internationale
Währungsfonds und die Sachverständigen geben uns im
Hinblick auf unsere Politik recht.
Sie aber laufen mit Ihrer Totalopposition, die Sie hier
betreiben, ins Abseits.
Sie verkennen schon ein Jahr, nachdem Sie aus der Re-
gierungsverantwortung heraus sind, welche Verantwor-
tung Sie für dieses Land haben und was Sie nach den
16 Jahren Ihrer Regierung hinterlassen haben.
Deutschland war in Europa auf dem Weg auf die Ersatz-
bank. Das hat mich sehr geschmerzt.
Wir sind wieder auf dem Weg in das Mittelfeld, und wir
wollen ganz nach vorne.
Eines sage ich Ihnen zum Schluß: Politisch haben wir
es zur Zeit nicht leicht; das ist wahr. Aber als Helmut
Kohl 1982 hier die Regierung übernommen hat, nach-
dem Sie Helmut Schmidt gestürzt hatten, hat er Land-
tagswahl auf Landtagswahl verloren und ist dann
16 Jahre lang Kanzler geblieben. Ich sagen Ihnen: Auch
wir bleiben viel länger, als Sie heute glauben.
Zu einer Kurzinter-
vention – –
– Ihr wollt noch klatschen? – Bitte sehr.
Da jetzt schon „sehr langanhaltender Beifall“ im
Protokoll stehen müßte, kann ich, glaube ich, fortfahren:
Ich möchte darauf hinweisen – damit spreche ich insbe-
sondere Herrn Minister Eichel an –, daß, wenn Zwi-
schenfragen zugelassen werden, die Zeit für die Beant-
wortung nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
– Ich sage dies so unmittelbar, weil ich denke, daß Sie die-
sen Hinweis für Ihre weitere Arbeit gebrauchen können.
Herr Dr. Rexrodt, ich erteile Ihnen jetzt das Wort zu
einer Kurzintervention.
Herr Kollege Eichel,Sie haben uns in Ihrer Rede eine zynische Argumentati-on vorgeworfen,
Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6301
(C)
(D)
als es um die Kritik Ihrer Finanzpolitik ging. Halten Sie,Herr Kollege Eichel, es nicht für zynisch, die Entwick-lung der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland inden letzten zehn Jahren mit der Entwicklung andererLänder, zum Beispiel Dänemark, Schweden und Finn-land, zu vergleichen, wie Sie es getan haben – Länder,von denen wir wissen, daß deren staatliche und politi-sche Kontinuität überhaupt keinen Vergleich mit derWiedervereinigung Deutschlands zuläßt? Ist nicht daseine zynische Argumentation?
Ist es nicht eine zynische Argumentation, wenn Sie dieWiedervereinigung und die damit einhergehenden Bela-stungen nicht ein einziges Mal in Ihrer Rede erwähnen?
Herr Kollege Eichel, es hätte Sie über alle Maßen ge-ehrt, wenn Sie gesagt hätten: Da waren riesige Schulden,die aufgetürmt werden mußten. Die damalige Regierunghat sich bemüht, die Schulden so gering wie möglich zuhalten,
hat große Anstrengungen unternommen, diese Schuldenzurückzuführen. Ich stehe in der Kontinuität dieser Poli-tik. – Dies hätte Sie geehrt. Sie aber treten hier auf und tun so, als würde derganze Schrott, den Sie innerhalb eines Jahres verzapfthaben, durch die Tatsache geheilt, daß Sie nun einenSparkurs fahren; damit verkaufen Sie sich unter Ihreneigentlichen Fähigkeiten und Qualitäten. Ich habe Siegelobt, Herr Eichel, weil Sie diesen Kurs einschlagenwollen. Wenn Sie diesen Weg in Redlichkeit gingen undihn hier abgewogen darstellen würden, dann wären Sieein Finanzminister, der der Bundesrepublik Deutschlandwürdig ist.
Herr Minister, Sie
dürfen darauf antworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr
Kollege Rexrodt, das Wort „zynisch“ habe ich an einer
Stelle erwähnt – dazu stehe ich auch –, nämlich als es
um die Arbeitsmarktpolitik ging.
– Nein, das habe ich in bezug auf die Arbeitsmarktpoli-
tik gesagt. Das können Sie im Protokoll nachlesen.
Ich habe gesagt: Es ist zynisch, wenn Sie hier erklä-
ren, man könne sparen, aber doch selbst die Verantwor-
tung dafür tragen, daß unmittelbar vor der Bundestags-
wahl mehr Mittel in die Arbeitsmarktpolitik geflossen
sind, und beabsichtigt war, direkt nach der Wahl nichts
mehr dafür zu veranschlagen, und uns anschließend sa-
gen, wir dürften auch nichts tun. Das habe ich gesagt,
und dazu stehe ich.
Bezüglich der Staatsverschuldung habe ich etwas an-
deres gesagt. Ich will es noch einmal erklären: Däne-
mark, Schweden und Finnland waren finanziell in einem
viel tieferen Loch und sind viel schneller wieder heraus-
gekommen. Das war es, was ich gesagt habe.
– Seien Sie jetzt ganz vorsichtig! Ich kann das genau
aufdröseln.
Ich habe gesagt: Wir bekennen uns zu den Lasten, die
wir zu tragen haben, aber nicht zu der unsoliden Art der
Finanzierung. Das gilt unverändert.
Sie erinnern sich doch ganz genau daran, was Sie zu
Beginn des Jahres 1990 gesagt haben. Die Folgen dessen
haben wir jetzt auszubaden. Hätten Sie den Mut der Dä-
nen und der Schweden gehabt, dann, als es nötig war,
richtig zuzugreifen und zu sagen: „Um dies solide finan-
zieren zu können, müssen wir einige Jahre lang höhere
Steuern und eine höhere Staatsquote hinnehmen“ – Herr
Biedenkopf und andere Kollegen haben dies gesagt –,
dann hätten wir keine so hohe Staatsverschuldung und
müßten nicht heute, zehn Jahre später, anfangen, sie ab-
zutragen. Das haben Sie falsch gemacht.
Jetzt hat das Wort
der Kollege Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Wenn man die mit ge-spielter Entrüstung vorgetragenen Ausführungen des Fi-nanzministers gehört hat, wird man sich an die deutscheLiteratur erinnert fühlen, an einen Roman von RobertMusil mit dem Titel „Mann ohne Eigenschaften“. WennMusil noch lebte, müßte er über Hans Eichel ein neuesBuch mit dem Titel „Mann ohne Gedächtnis“ schreiben.
Dr. Günter Rexrodt
Metadaten/Kopzeile:
6302 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Wir können uns doch noch erinnern. Das gilt bis zumSchlußsatz seiner Rede, der lautete: Wir werden längerdranbleiben, als Sie denken. Diesen Satz haben Sie imFebruar in Hessen auch schon einmal gesagt.
Ich erinnere an das, was der hessische Finanzministervor wenigen Wochen vorgetragen hat, als er IhreSchlußbilanz in Hessen gezogen hat. Da ist es schon ei-nigermaßen erstaunlich, was Sie hier heute vortragen.Hier machen Sie heute den Sparmaxe,
und in Hessen gab es kein einziges Jahr, in dem nichtmit einem Nachtragshaushalt gearbeitet werden mußte,in dem die Personalausgaben nicht höher waren als inanderen Ländern. Wenn Sie uns heute erzählen wollen,wo es langgeht, kann uns das nicht ganz überzeugen.
Bei den Zahlen, die Sie, Herr Eichel, vorgetragen ha-ben, habe ich den Eindruck, dem Herrn Overhaus wärebei der Vorbereitung die chinesische Rechenmaschineruntergefallen. Bei den Daten stimmt nichts mehr, undich werde das gleich belegen. Ich will aber zunächst et-was zur Verantwortung sagen, weil das immer wiedervorgetragen wird und für die Bürger von besonderer Be-deutung ist. Das beziehe ich jetzt auf das Thema „Mannohne Gedächtnis“.Im Bundesrat waren Sie federführend für die Blok-kadepolitik der SPD-Länder verantwortlich. Der Bun-desrat hat dazu beigetragen, daß der Bund bei der Neu-verteilung der Finanzmittel in den letzten Jahren ganzerheblich über den Tisch gezogen wurde, was Ihr Kolle-ge Rudi Walther aus Hessen im Haushaltsausschußmehrfach bestätigt hat.
Ich erinnere nur an das Thema Bahnreform. Sie warenmassiv daran beteiligt, die Finanzen des Bundes so zubeeinflussen, wie sie sich heute tatsächlich darstellen.Jetzt kommen Sie daher und machen den Sparmaxe.
Das gilt natürlich auch für andere Dinge. Sie werfen unsheute Totalopposition vor, dabei sollten Sie sich an Ihrfrüheres Vorgehen im Bundesrat erinnern.Sie haben an Gerhard Stoltenberg 1985 erinnert.Hätten Sie es lieber nicht getan. Gerhard Stoltenberg hat1985 eine dreistufige Steuerreform vorgenommen. Daswar keine Mickerlösung wie das Steuerentlastungsge-setz, sondern es entlastete netto um 43 Milliarden DM.Das Ergebnis war – die Einwände, die damals gekom-men sind, waren genau die gleichen wie die, die Sie undbestimmte Länder heute noch vortragen; Sie haben ge-sagt: das geht an unsere Kassen, das Geld ist später nichtda, das können wir nicht verantworten – ein Zuwachsbei der Beschäftigung bis zum Jahre 1992 um 3 Millio-nen Erwerbstätige. Die Steuereinnahmen des Staates ha-ben sich in der gleichen Zeit verdreifacht.Wenn Sie sich heute auch sonst nichts merken, sosollten Sie sich wenigstens eine einfache Rechnungmerken: Je niedriger die Steuern sind, um so besser läuftdie Wirtschaft und um so mehr nimmt der Finanzmi-nister ein. Diese Rechnung müßte man aufmachen, wennman ein wirklich vernünftiges Gesetz machen wollte.
Sie haben etwas zum Thema Arbeitsmarkt gesagt.Wir haben in der Tat 8 000 weniger Arbeitslose als imletzten Jahr. Das gilt allerdings nicht für den Osten, dortgibt es zigtausend mehr. Sie haben uns vorgeworfen, wirhätten das im letzten Jahr erreicht, indem wir die Ar-beitsmarktmittel aufgeblasen hätten. Vergleichen Sie dieMittel mit denen der Vorjahre! Wir haben die Mittelnicht ausgeweitet. Sie geben heute für den zweiten Ar-beitsmarkt mehr aus als wir damals – dabei werfen Sieuns vor, wir hätten die Ausgaben vor der Wahl getätigt –,erreichen aber weniger Leute. Herr Riester hat mir ge-stern im Haushaltsausschuß bestätigt, daß die Ausgabenfür die Arbeitslosenhilfe in diesem Jahr um 2 MilliardenDM über dem Ansatz liegen werden.
Das heißt doch wohl: Die Langzeitarbeitslosigkeit steigtan; nichts anderes kann man dem entnehmen. Wenn Siedie Köpfe der Beschäftigten zählen, werden Sie in derTat feststellen, daß Sie – obwohl Sie zusätzlich dasSofortprogramm für arbeitslose Jugendliche aufgelegthaben – weniger Leute erreichen, als wir je erreicht ha-ben.Ich möchte mich nun mit dem sogenannten Sparpa-ket auseinandersetzen. Ich habe gesagt, keine einzigeZahl stimmt.
Leo II., der Kollege Schlauch, hat gesagt: Wir sollen dieWahrheit sagen. Dann wollen wir das auch tun, obwohles einer meiner Vorredner nicht getan hat.Erstens. Die rotgrüne Bundesregierung spart nicht,sondern sie erhöht Steuern und Abgaben. Das kann je-der, der ein bißchen von Zahlen versteht, nachvollzie-hen. Die Gesamtausgaben des Bundes sind von 1993 bis1998 praktisch unverändert geblieben. Sie aber planeneine Ausgabenausweitung bis zum Jahre 2003 um über50 Milliarden DM. Der seit fünf Jahren konstante Haus-halt erhöht sich also bei Ihnen um 50 Milliarden DM.Das rechtfertigt die Frage: Wie kann da von Sparen ge-redet werden? In dieser Legislaturperiode bis zum Jahre2002 – dann ist Ihre Amtszeit spätestens vorbei –
Dietrich Austermann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6303
(C)
(D)
werden Sie rund 120 Milliarden DM mehr ausgeben alsdie vorherige Bundesregierung in den vorangegangenenvier Jahren. Sie werden 120 Milliarden DM mehr ausge-ben. Sie sparen also nicht, sondern erhöhen Steuern.
Zweitens. Im sogenannten Sparpaket werden dieAusgaben bis zu 17 Milliarden DM nicht wirklich ver-ringert, sondern auf Länder und Gemeinden verscho-ben. Von Sparen kann keine Rede sein. Sie könnenheute in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen, was dieSPD-Länderfinanzminister dazu meinen. Sie sagen:Verschieben ist kein Sparen.Eindeutiger kann das Urteil kaum sein.
Statt dessen steigen die gesamtwirtschaftlichen Steu-er- und Abgabenbelastungen weiter. Dies haben auchdie Wirtschaftsforschungsinstitute deutlich gemacht.Sie sagen: Die Ökosteuererhöhung ist keine Steuerer-höhung. Dazu möchte ich Ihnen aus einer Tischvorlagezitieren, die Ihr Ministerium gestern an uns verteilt hat.
Die Ökosteuer – ich nenne jetzt die Mehreinnahmenohne die Mehrwertsteuer
– natürlich ist das unsere Argumentation
aber das sind auch die wahren Zahlen – bedeutet zusätz-liche Steuern in Höhe von 8,4 Milliarden DM für 1999,in Höhe von 17,4 Milliarden DM für 2000, in Höhe von22,8 Milliarden DM für 2001, in Höhe von28,1 Milliarden DM für 2002 und in Höhe von33,5 Milliarden DM für 2003. Wenn man das alles ad-diert, kommen zirka 110 Milliarden DM heraus.Nun sagen Sie: Dafür senken wir die Rentenbeiträ-ge. Aber blicke ich auf Seite 2 dieses Papiers, stelle ichfest, daß dort steht: Durch die der Rentenversicherungder Arbeiter und Angestellten zufließende Ökosteuerkommt es zu folgender Senkung des Beitragssatzes: Sielanden bei einer Senkung um 1,9 Prozentpunkte im Jah-re 2003. Tatsächlich aber könnten die Einnahmen durchdie Ökosteuer in Höhe von 38 Milliarden DM zusam-men mit der Mehrwertsteuer zu einer Senkung der Ren-tenversicherungsbeiträge um 2 Prozentpunkte führen. Sehen Sie sich aber einmal an, wie die Situation tat-sächlich ist. Würde der Rentenbericht des letzten Jahresfortgeschrieben, würde das einen Rentenversicherungs-beitrag in Höhe von 20,2 Prozentpunkten für das Jahr2003 bedeuten. Zieht man davon 2 Prozentpunkte ab,wären das 18,2 Prozentpunkte. Sie aber landen bei über19 Prozentpunkten. Das heißt, die Arbeitnehmer undArbeitgeber sparen jeweils 0,9 Punkte, Sie kassierenaber das Doppelte.
Das müssen Sie auch machen, weil Sie die durch IhreFinanz- und Haushaltspolitik und insbesondere durchIhre Rentenpolitik – hier langen Sie durch das soge-nannte Sparpaket auch noch einmal kräftig zu – selbstgeschaffenen Haushaltslöcher wieder stopfen müssen.Aber hier den Sparmax machen und die Leute über diehöhere Ökosteuer abkassieren, die eben nur zur Hälftean die Rentenversicherung weitergegeben wird, ist uner-hört. Für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber bleibt je-weils ein Viertel.Nächster Punkt. Rotgrün hat Steuererhöhungen biszum Jahre 2003 im Gesamtumfang von rund70 Milliarden DM pro Jahr einschließlich der Ökosteuerbeschlossen. Das muß man sich einmal vorstellen. Gera-dezu unglaublich ist, daß Sie sich hier in dieser Formaus den Einnahmen durch die Ökosteuer bedienen unddie Rentner im Regen stehenlassen. Dies kann man aneiner Fülle von Beispielen festmachen.Jetzt komme ich zum Haushaltsentwurf, der gesternvorgelegt worden ist. Das sollte eine kleine Zwischener-folgsmeldung von Ihnen sein, denn die Meldungen zu-gunsten der Koalition sind sonst rar. Ich weise auf einenNebenpunkt hin, der vielleicht deutlich macht, wie dasFinanzgebaren tatsächlich ist. Der Vorgang soll vonIhrem Hause unterstützt sein.Gestern in der Haushaltsausschußsitzung legten dierotgrünen Abgeordneten einen Antrag vor, aus demHaushalt 1999 50 Millionen DM für eine neue deutscheStiftung für Friedens- und Konfliktforschung bereit-zustellen.
– 50 Millionen DM aus dem Haushalt 1999 für ein neu-es Institut für Friedens- und Konfliktforschung. Manbraucht natürlich eine entsprechende Einrichtung, umdas Klima in der Koalition nachhaltig zu verbessern.Aber kurz vor Abschluß der Beratungen über den Haus-halt für das folgende Jahr einen Antrag zu stellen, in die-sem Jahr 50 Millionen DM bereitzustellen, wo Sie dochfür das nächste Jahr schon 400 000 DM für das Institutdes Egon Bahr vorgesehen haben – es existieren dochgenügend Institute –, ist unverständlich.
Wir haben darauf hingewiesen, daß dies verfassungs-widrig ist. Daraufhin haben Sie den Antrag zurückgezo-gen, der übrigens mit Hilfe des Finanzministeriums er-arbeitet war. Danach kam ein neuer Antrag, über dennachgedacht werden mußte. Jetzt werden im nächstenJahr für eine derartige Stiftung für Friedens- und Kon-fliktforschung 50 Millionen DM bereitgestellt. Eindeuti-ger kann man nicht brandmarken, daß Geld verschleu-dert wird, daß der Konsum aufgebläht wird und dieHaushaltswirkungen des Sparens nicht ernst genug ge-nommen werden.
Das sogenannte Sparpaket ändert auch nichts daran,daß die Struktur des Haushaltes insgesamt nicht verbes-Dietrich Austermann
Metadaten/Kopzeile:
6304 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
sert, sondern verschlechtert wird. Ich habe bereits aufden erheblichen Zuwachs der Gesamtausgaben hinge-wiesen und könnte die Zahlen noch einmal durchdekli-nieren. Im Jahre 2000 liegen die Ausgaben um22 Milliarden DM über denen des Jahres 1998. Trotzdieses Zuwachses der Gesamtausgaben nimmt der An-teil der Investitionen ab. Die Investitionsquote sinkt;Sie tun also weniger für den Arbeitsmarkt.Man kann das in jedem Bereich verfolgen, auch imStraßenbau. Da legen Sie ein Papier vor, das deutlichmacht: In den alten Bundesländern werden praktischkeine neuen Straßen mehr gebaut. Gleiches gilt für dieStädtebauförderung, für die Bahn – überall. Als wir denVerkehrsminister gefragt haben, wie es bei der Schieneaussehe, da gebe es ja wohl mehr Geld, sagte er: Einpaar Posten im Haushalt waren vorher woanders, dieordnen wir jetzt der Schiene zu. – So steigen natürlichdie Ausgaben für die Schiene im Haushalt, aber effektivgibt es keine einzige Mark mehr für die Schiene. Aber indieser Koalition muß man wohl so arbeiten, damit allezufrieden sind und die Deutsche Stiftung für Konflikt-forschung endlich ihre Arbeit aufnehmen kann.
Die Ausgaben zur Alterssicherung steigen um mehrals die Hälfte in den nächsten drei Jahren, von100 Milliarden DM im letzten Jahr auf 150 Milliar-den DM im Jahre 2003. Dadurch erhöht sich gleichzeitigder Anteil des Bundes an den Ausgaben der Rentenver-sicherung. Das heißt doch, daß die Rentenversicherungimmer abhängiger wird von dem, was in der öffentlichenKasse drin ist.
Weil Sie nicht müde werden, darauf hinzuweisen, daßdie Rentner auch in den letzten Jahren „bloß die Inflati-onsrate“ mehr bekommen haben, greife ich auch diesesBeispiel auf. Herr Finanzminister, sie haben offensicht-lich eines nicht verstanden: Die Rente ist lohnbezogen.Wenn die aktiv Beschäftigten mehr Lohn bekommen,steigt auch die Rente. Wenn man ihnen diese Sicherheitnimmt, verhält man sich – im Sinne der Gesetze, die inden letzten Jahren galten – gesetzeswidrig.Der Bundeskanzler erzählt auf jeder Veranstaltung –nach dem Motto: wenn ich viele Feinde habe, dann mußich wohl richtig handeln; wenn alle aufschreien, ist daswohl in Ordnung –, daß das, was man tue, dem Ge-meinwohl diene. Ich behaupte: Genau das Gegenteil istrichtig. Die Haushalts- und Finanzpolitik der Koalitionund dieses sogenannte Sparpaket schaden der Zukunfts-fähigkeit Deutschlands.
Die Investitionsschwäche im Haushalt der rotgrünenBundesregierung ist schon für sich genommen schlimm.Mindestens ebenso schlimm ist aber, daß die Lastenver-schiebungen in zweistelliger Milliardenhöhe auf Länderund Gemeinden auch deren Investitionskraft beein-trächtigen und somit langfristig die öffentliche Strukturin Deutschland negativ beeinflußt wird. Gleichzeitig be-einträchtigt die halbherzige und widersprüchliche Steu-erpolitik sowohl die Investitionsfähigkeit als auch dieInvestitionsbereitschaft.In der Situation, in der wir uns befinden – die Steuer-einnahmen steigen jedes Jahr; auch wenn sie noch stär-ker steigen könnten, wenn man eine andere Politik ma-chen würde –, ist doch vor dem Hintergrund der Erfah-rungen aus den 80er Jahren die Frage berechtigt – dieKollegin Hasselfeldt wird noch darauf eingehen –: Istjetzt nicht der Zeitpunkt gekommen,
um die Steuerbelastung für Bürger und Betriebe imganzen Tarifverlauf abzusenken? Denn nur so erreichtman eine wesentliche Veränderung der Situation inDeutschland.
Sie haben sich auf die Sachverständigen berufen, diebei der von uns erzwungenen Anhörung zum Sparpaketanwesend waren, und gesagt, sie alle hätten Ihnen rechtgegeben. Schauen Sie sich doch einmal an, was NorbertWalter und was Frau Pollack wirklich gesagt haben!
– Er hat von „Chaos“ und „Kreisverkehr“ gesprochenund davon, daß zwar ein Stoppsignal gesetzt sei, manaber nicht erkennen könne, in welche Richtung das Gan-ze gehe. Ich mußte ihm da widersprechen und habe ge-sagt, man könne schon erkennen, wohin der Weg führe,nämlich in die Irre.
Der richtige Kurs ist: Sparen und investieren für dieZukunft und gleichzeitig deutliche Senkung der Steu-ern zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung abdem 1. Januar 2000. Diese Generallinie haben wir in derDebatte der letzten Monate im Haushaltsausschuß ver-treten. Wir führen heute nicht die eigentliche Haushalts-debatte.
– Das können wir gerne machen. Aber ich meine schon,daß man nach dem Abschluß der Beratungen eine Zwi-schenbilanz ziehen sollte.Was stelle ich fest? Im Juni ist der Haushalt vorgelegtworden. Gestern haben wir die letzte Sitzung im Haus-haltsausschuß gehabt. Wir haben drei Monate beraten.Was ist das Ergebnis? Der Haushalt sieht genauso auswie vorher.
Jetzt könnte man sagen: Sie haben ein ordentlichesPapier vorgelegt. Ich habe deutlich gemacht, daß dasnicht der Fall ist, denn Investitionen gehen herunter, derKonsum wird aufgebläht.
Dietrich Austermann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6305
(C)
(D)
Ich frage mich bloß: Was haben eigentlich die rotgrü-nen Abgeordneten in den drei Monaten gemacht?
Sie haben natürlich weiterhin flicken müssen. Sie habenversucht, das Klima untereinander aufrechtzuerhalten.Aber einen echten Sparbeitrag
– ich sage Ihnen das gleich – haben Sie nicht geliefert.Die Ausgaben gehen hoch, um 600 Millionen DM, weildie Rentenausgaben steigen. Die Investitionen gehenherunter. Das war das Signal von gestern abend nachdreimonatiger Beratung.
Man muß wirklich fragen, ob man in dieser Situationnoch Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuß macht.Herr Eichel legt einen Entwurf vor, solange er noch imAmt ist, und im Haushaltsausschuß wird dem dann zu-gestimmt.Die Anträge, die wir gestellt haben –
– Leo II. Schlauch ist wieder da –, kann ich Ihnen deut-lich skizzieren. Wir haben gesagt: Wenn nach der eige-nen Darstellung der Regierung und nach dem, was ein-zelne Forschungsinstitute sagen, demographisch bedingtdie Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr um 200 000 Per-sonen abnimmt, dann muß doch die Frage berechtigtsein, ob das Arbeitslosengeld nicht entsprechend zu-rückgehen müßte. Das würde bedeuten, daß statt der 7,7Milliarden DM, die Sie jetzt noch für die Bundesanstaltfür Arbeit einplanen, eine Null stehen könnte.Es ist doch besser, in den ersten Arbeitsmarkt, in dieInfrastruktur unseres Landes, insbesondere in die neuenBundesländer zu investieren, als den zweiten Arbeits-markt mit Maßnahmen aufzublähen, die man hier skiz-zieren könnte, die überhaupt keinen zusätzlichen Ar-beitsplatz schaffen, und damit das Geld zum Fenster hi-nauszuwerfen.Wir haben deswegen vorgeschlagen, hier zu sparen.Wir haben weitere Sparvorschläge gemacht. Wir habenebenso Einnahmeverbesserungen vorgeschlagen. Wennich das alles addiere, ist das Ergebnis unserer Bemühun-gen, daß wir statt bei 49,5 Milliarden DM Neuverschul-dung bei etwa 39 Milliarden DM gelandet wären. WennSie diese Zahl hören und es wissen, dann können Siedoch nicht ernsthaft sagen: Es fehlt eine Alternative derOpposition zum Sparen.Ich sage das im Hinblick auf die Kollegen, die mitmir in den letzten Jahren im Haushaltsausschuß gesessenhaben. Das, was wir dort gemacht haben, ist uns oftnicht leichtgefallen. Aber Sie haben es uns doch gerade-zu vorgeworfen, daß wir das Land mit den Maßnahmen,die wir getroffen haben, kaputtsparen. Jetzt hier denEindruck zu vermitteln, wir hätten keine Alternative, isteinfach töricht.Unsere Alternative lautet: mehr sparen, 39 Milliar-den DM Neuverschuldung, mehr investieren und dazubeitragen, daß die Strukturen in unserem Land verbes-sert werden.
Kollege Austermann,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Claus?
Ja.
Herr Kollege Austermann, da
Sie gerade auf Ihre Anträge zu sprechen kommen, wollte
ich Sie etwas fragen. Wir haben soeben den Antrag zur
Künstlersozialversicherung auf den Tisch bekommen.
Ich wollte Sie fragen: Gibt es irgendeinen sachlichen
Grund für diesen Antrag, weil es ihn doch inhaltlich in
gleicher Gestalt bereits als Änderungsantrag gibt, und
zwar von der Fraktion der PDS? Trifft es nicht vielmehr
zu, daß Sie einem inhaltlichen Anliegen nur deshalb
nicht zustimmen können, weil es von der PDS begehrt
wird? Falls dies zutrifft, will ich Sie fragen: Finden Sie
das dann nicht lächerlich?
Falls Sie es lächerlich finden, sollten Sie dann nicht mit
diesem Quatsch aufhören?
Wenn Sie nun sowieso schon wissen, daß Sie mit die-
sem Quatsch irgendwann aufhören müssen, wäre doch
hier eine günstige Gelegenheit, Ihren Antrag zurückzu-
ziehen.
Ich gebe zu,Herr Kollege, daß es einem ordentlichen Demokratennicht leichtfällt, mit Ihnen gemeinsam politisch zu ar-beiten.
Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Vergan-genheit Ihrer Partei und die Erblast, die Sie übernommenhaben. Aber Sie haben zum Thema Künstlersozialkasse ge-fragt. Das gibt mir die Gelegenheit, zum Schluß daraufhinzuweisen, was mit diesem Sparpaket tatsächlich ge-macht wird. Beispiel: Künstlersozialkasse. In dem Spar-paket heißt die Vorgabe, die Beiträge für die Künstler zuerhöhen. Das sind nicht nur all diejenigen, die man imFernsehen sieht. Das sind vielmehr eine Fülle von Leu-Dietrich Austermann
Metadaten/Kopzeile:
6306 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
ten, Zeilenschreiber und viele andere. Ihnen wollen Siedie Beträge erhöhen und betrachten dies als wesentli-chen Sparbeitrag.Dann legt die SPD, weil sie im Haushaltsausschußein schlechtes Gewissen bekommen hat, einen Antragvor, der lautet: Demnächst wird ein neues Gesetz überdie Künstlersozialkasse vorgelegt. Bis dieses Gesetzvorgelegt wird, soll das Spargesetz, über das wir jetztbeschließen, nicht angewendet werden. Man streut denKünstlern Sand in die Augen, indem man ihnen denHahn zudreht und ihnen gleichzeitig – damit sie es nichtmerken – sagt: Wir wenden das Gesetz – dies ist garnicht möglich – nicht an. Dies ist nicht der einzigePunkt. Sie hätten dies früher als soziale Schweinerei ti-tuliert.
Kollege Austermann,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke
von der PDS-Fraktion?
Danke, nein.
Ich habe dem Parteikollegen von Herrn Gehrcke schon
vorhin gesagt, was ich von seiner Truppe halte.
Jetzt möchte ich auf andere Stellen des Sparpakets
eingehen. Auf der einen Seite kürzen Sie – vor allem an
den falschen Stellen –, auf der anderen Seite schmeißen
Sie das Geld zum Fenster hinaus. Leider ist das unter
dem Strich so.
Die Bahn soll für die Kosten der Einsätze des BGS
aufkommen, der für innere Sicherheit sorgt. Dies wirkt
sich auf die Fahrpreise und damit auch auf die kleinen
Leute aus.
Die Kosten für Zivildienstleistungen werden auf
Alte, Schwache und soziale Dienste verlagert. Dies ist
Bestandteil des Sparpakets.
Die Gewährung der BAföG-Darlehen wird privati-
siert. Der Forschungsetat schrumpft. Wir können uns
noch daran erinnern, daß Sie die Investitionen im For-
schungsetat verdoppeln wollten. Nein, im nächsten Jahr
schrumpft er.
Patentgebühren werden angehoben. Dies hilft be-
stimmt den jungen Erfindern.
Das Branntweinmonopol wird beschränkt. In der
Landwirtschaft wird im sozialen Bereich abkassiert.
Das soziale Wohngeld wird abgeschafft. Ist dies kei-
ne soziale Schweinerei? Früher hätten Sie dies so ge-
nannt. Weshalb sollte man es dann heute anders be-
zeichnen?
Das sind alles Bestandteile des Sparprogramms, das
Sie vorgestellt haben. Dazu muß noch die Kürzung der
Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose addiert werden,
auch die Beseitigung der originären Arbeitslosenhilfe.
Die Einkommenszuwächse im öffentlichen Dienst
werden auf das Niveau der Inflationsrate beschränkt.
Durch diese Politik wird nicht etwa die Zahl der Ar-
beitsplätze vergrößert; vielmehr wird das Gegenteil er-
reicht. Um dies zu verschleiern, wird seit einem Drei-
vierteljahr die Statistik über den Arbeitsmarkt nicht
mehr vollständig vorgelegt. Wenn man die Arbeitslo-
senquote messen will, muß man die Zahl der Erwerbstä-
tigen wissen. Aber seit einem Dreivierteljahr können
weder die Bundesanstalt für Arbeit noch das Bundesar-
beitsministerium und auch nicht das Statistische Bun-
desamt genau sagen, wie hoch die Zahl der Erwerbstäti-
gen ist. Es gibt darüber keine Zahlen. Deswegen kann
auch die Arbeitslosenquote nur in Zweifel gezogen wer-
den.
Ich möchte zum Schluß kommen. Die sogenannte
Haushaltssanierung ist eine negative Bilanz, wie sie
schlimmer nicht sein könnte. Das, was Sie jetzt tun, ha-
ben Sie früher als „kaputtsparen“ bezeichnet, damals, als
Sie sich noch gegen jede Form der Haushaltskonsolidie-
rung gewendet haben. Durch das sogenannte Sparpaket
wird der Haushalt in eine falsche Richtung gesteuert.
Ein schnellerer Schuldenabbau wäre möglich, wenn er-
forderliche Maßnahmen, zum Beispiel Steuersenkungen,
für mehr Dynamik in der Wirtschaft getroffen würden.
Dazu fehlt Ihnen die Kraft. Ihre Maßnahmen sind büro-
kratisch und ideologisch fehlgesteuert.
Herzlichen Dank.
Nun haben drei
Kollegen und Kolleginnen Kurzinterventionen angemel-
det. Zunächst hat das Wort die Kollegin Schwaetzer,
dann der Kollege Gehrcke und dann die Kollegin Eich-
städt-Bohlig.
Bitte schön, Kollegin Schwaetzer.
Herr Präsident!Ich beziehe mich auf den Beitrag des Kollegen Auster-mann, der die Künstlersozialversicherung angespro-chen hat. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daßdie regierende Koalition glaubt, es mit der Bestellungeines Kulturstaatssekretärs bewenden lassen zu können.Dies war dann die ganze Leistung für die Kultur.
Durch das Haushaltssanierungsgesetz wird wieder ein-mal ein bisher gut funktionierender Zweig der sozialenSicherung, der einen Personenkreis mit zum Teil sehrniedrigen Einkommen betrifft, kaputtgespart.
Die einseitige Senkung des Bundeszuschusses wird sichsehr bald als eine schlichte Sondersteuer für die Ver-werter auswirken. Dies kann wohl nicht dem Sozialpaktentsprechen, der der Einrichtung der Künstlersozialver-sicherung einmal zugrunde gelegen hat. Insofern ist diesein weiterer Beweis dafür, daß die Koalition ohne Sinnund Verstand spart.Es ist richtig, daß Sie zu Beginn der Legislaturperi-ode angekündigt haben, einen Gesetzentwurf zur Neu-Dietrich Austermann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6307
(C)
(D)
ordnung der Künstlersozialversicherung vorzulegen. Ei-ne solche Neuordnung ist zweifellos zur Abgrenzungdes Personenkreises, der einen Anspruch auf Aufnahmein die Künstlersozialversicherung hat, auch notwendig.Nur ist inzwischen ein Jahr vergangen, ohne daß sich ir-gend etwas getan hätte. Sie haben nichts vorgelegt.Nun wird einfach der Zuschuß gekürzt, was nichtsanderes bedeutet, als daß Sie die Grundlagen dieses So-zialversicherungssystems der Künstler gefährden. DiesesSystem ist einmal für die Geigenlehrerin und den Kla-vierlehrer um die Ecke eingerichtet worden. Inzwischengibt es viele Musikschulen und weniger Geigenlehrerin-nen.
Kollegin Schwaet-
zer, eine Kurzintervention soll sich auf die Rede bezie-
hen, die zuletzt gehalten wurde.
Das alles bezieht
sich auf Herrn Austermann, Herr Präsident.
Ich habe bisher nicht
bemerken können, daß Sie sich auf Herrn Austermann
beziehen.
Das alles bezieht
sich auf die Antwort von Herrn Austermann auf
die Zwischenfrage von Herrn Gehrcke. Damit war es
ein Beitrag des Kollegen Austermann zur laufenden De-
batte.
Aber ich komme zum Schluß. Die F.D.P.-Fraktion
hat einen Entschließungsantrag vorgelegt, der zum In-
halt hat, diese unsystematische Kürzung, die kulturpoli-
tisch überhaupt nicht zu rechtfertigen ist, zu unterlassen.
Ich empfehle Ihnen, unserem Antrag zuzustimmen,
wenn Sie in Ihrer Koalition überhaupt noch gewillt sind,
Rücksicht auf die Bedürfnisse der Künstler zu nehmen.
Nun hat Kollege
Gehrcke das Wort zu einer Kurzintervention unter Be-
zugnahme auf die vorherige Rede.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Austermann hat
in seiner Rede als einen Beleg für unsolide Haushalts-
führung von Rotgrün den Antrag gewürdigt, 50 Millio-
nen DM für eine Stiftung für Friedens- und Konflikt-
forschung einzustellen. Ich weiß nicht, ob dieser Antrag
handwerklich sauber und korrekt gestellt worden ist.
Unabhängig davon merke ich an, daß 50 Millionen DM
für Friedens- und Konfliktforschung weitaus weniger als
das sind, was wir für die Folgen von Kriegen aus-
zugeben haben. Auch das sollte man in dieser Situation
bedenken, anstatt den Antrag so zynisch zu kommentie-
ren.
Dann gab es eine sehr interessante Unterscheidung
zwischen ordentlichen und wohl außerordentlichen De-
mokraten. Wenn „außerordentlicher Demokrat“ eine
Steigerung von „ordentlicher Demokrat“ ist, dann neh-
me ich es dankend zur Kenntnis. Ansonsten aber sollten
wir allgemein bei der Bezeichnung bleiben, daß hier
Demokraten miteinander streiten.
Nun hat Kollegin
Eichstädt-Bohlig das Wort zu einer Kurzintervention.
gesagt, das soziale Wohngeld werde abgeschafft. Ich
stelle demgegenüber fest, daß Sie offenbar nicht in der
Lage sind, den Gesetzentwurf, den wir heute verab-
schieden wollen, überhaupt zu lesen. In ihm ist nämlich
als ein sehr wichtiger Baustein die Reform des Wohn-
geldes enthalten, die zum 1. Januar 2001 mit einem Vo-
lumen von 1,4 Milliarden DM zu einer deutlichen An-
hebung des Wohngeldes führt. Im Durchschnitt der
Haushalte macht die Anhebung monatlich 83 DM aus.
Dies wird dazu beitragen, daß weit über 300 000 Haus-
halte neu in den Wohngeldbezug kommen werden und
damit eine deutliche Absicherung der Wohnkostenlasten
erhalten werden. Insofern frage ich Sie, wieso Sie das
mit dem Satz kommentiert haben, das soziale Wohngeld
werde abgeschafft.
Kollege Austermann,
Sie haben Gelegenheit zu antworten.
Frau Kollegin,
ich muß Ihnen leider den Rücken zudrehen, weil ich
sonst nicht in das Mikrophon sprechen könnte.
Im sogenannten Sparpaket sind verschiedene Beträge
aufgelistet, darunter der Betrag für das soziale Wohn-
geld. Diese Mittel werden direkt an die Gemeinden ge-
leistet, die dadurch ihre Aufwendungen für Wohngeld-
zahlungen verringern können. Dieser Betrag beläuft sich
im Sparpaket auf 2,1 Milliarden DM und steigt dann auf
2,5 Milliarden DM und soll dann gestrichen werden.
Das heißt, der Bund verabschiedet sich aus der Gewäh-
rung der Mittel an die Gemeinden für die Aufbringung
des sozialen Wohngeldes. Insofern war meine Bemer-
kung zutreffend.
Das Wort hat nun
der Kollege Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer wennich Kollege Austermann höre, fällt mir auf, daß sich dieDr. Irmgard Schwaetzer
Metadaten/Kopzeile:
6308 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Opposition dann, wenn sie Schwierigkeiten hat, die Ge-nerallinie der Haushaltskonsolidierung anzugreifen, aufNebenkriegsschauplätze zurückzieht und in polemischerWeise falsche Zahlen verwendet.
Zum Auftakt gleich das erste Beispiel: Bereits zumwiederholten Male kommt vom haushaltspolitischenSprecher der Union, obwohl er es besser wissen müßte,die Behauptung, in den Jahren 1993 bis 1998 seien dieAusgaben des Bundeshaushalts praktisch stabil geblie-ben. Er unterschlägt dabei einen ganz entscheidendenSachverhalt, nämlich daß 1996 eine Umstellung beimKindergeld dazu geführt hat, daß das Kindergeld voneiner Ausgabenposition des Staates zu einer Einnahme-verringerungsposition wurde, weil es bei der Lohn- undEinkommensteuer in Abzug gebracht wird. Diese Bi-lanzveränderung durch Rechtsänderung, die die alte Ko-alition beschlossen hatte, führt für das Haushaltsjahr1998 dazu, daß das Ausgabevolumen des Staates um sa-ge und schreibe 50 Milliarden DM pro Jahr geringerwar, als es ohne diese systematische Änderung seinkönnte. Wenn Sie das bereinigen, merken Sie, daß auchin Ihrer Zeit die Ausgaben des Staates sehr deutlich ge-stiegen sind.
Punkt zwei. Kollege Austermann versucht für dieUnion ständig den Eindruck zu erwecken, daß das, waswir jetzt sparen, sozusagen ein Nasenwasser sei und garkeine strukturelle Verbesserung des Bundeshaushaltsdarstelle. Der Bund hat in den vier Jahren der letztenLegislaturperiode – das sind die Ist-Zahlen, für dieCDU/CSU und F.D.P. geradezustehen haben – insge-samt 242 Milliarden DM Schulden aufgenommen; dassind pro Jahr rund 62 Milliarden DM. Im Jahr 1 der neu-en Regierung waren 53,5 Milliarden im Etatansatz alsSchulden enthalten; wir hoffen, daß wir im Ist vielleichtsogar eine Idee besser abschneiden werden. Vor allemmöchte ich darauf hinweisen, daß in der Finanzplanung– wenn ich nur den Zeithorizont bis 2002, also diese Le-gislaturperiode, nehme – die Neuverschuldung auf ins-gesamt 190 Milliarden DM sinken wird, das sind imJahresdurchschnitt 47,5 Milliarden. Noch einmal zumVergleich: Bei Ihnen waren das in den vier Jahren zuvor242 Milliarden DM. Das ist eine deutliche Konsolidie-rung, ein Erfolg der Finanzpolitik, für den Hans Eichel,aber auch die Regierungsfraktionen stehen.
Dritter Punkt. Wir haben mit einer absolut unseriösenFinanzpolitik aufgehört, die zum Beispiel darinbestand, allein im Haushalt 1998 sage und schreibe28,7 Milliarden DM Privatisierungserlöse einzustellen.Es war der Verkauf von Tafelsilber, mit dem Sie über-haupt erst einen verfassungsgemäßen Haushalt möglichmachen konnten. Diese Regierung hat bei einer deutli-chen Senkung der Nettoneuverschuldung im nächstenJahr gerade noch 3,5 Milliarden DM an Privatisierungs-erlösen eingestellt und hat also mit dem strukturellenUngleichgewicht und damit Schluß gemacht, zu Lastender Zukunft das Tafelsilber zu verkaufen und die Grund-sätze der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit außeracht zu lassen. Das ist eine enorm große Leistung, dievon allen Instituten – von der Bundesbank, von derEZB, vom IWF – und von der konservativen Presse an-erkannt wird, nur nicht von Ihnen, obwohl Ihre Wähle-rinnen und Wähler diese Konsolidierungsstrategie teil-weise durchaus als richtig ansehen.
Kollege Austermann, Sie haben, als Sie über dieÖkosteuer sprachen, hier am Rednerpult wieder ein Bei-spiel für Ihr altes Argumentationsmuster geliefert, mitfalschen Vergleichen unrichtige Behauptungen zu un-termauern. Sie haben mit Bezug auf das Tableau, dasder Finanzminister für den Bereich des Arbeitsministe-riums in der Haushaltsausschußsitzung gestern aufden Tisch gelegt hat, gesagt, wir würden im Jahre 2003die 34 Milliarden DM Einnahmen aus der Ökosteuernur teilweise dazu verwenden, den Beitragssatz beider Rentenversicherung abzusenken; er würde dann19,3 Prozent betragen. Dazu sage ich: Das ist falsch.Die 19,3 Prozent sind der Wert des Jahres 2001. ImJahre 2003 wird der Rentenversicherungsbeitrag – wennman dieser Tabelle folgt – um weitere 0,8 Prozent-punkte niedriger sein. Damit stimmt die Behauptung derOpposition, Ökosteuereinnahmen würden nicht in glei-cher Größenordnung zur Senkung des Rentenversiche-rungsbeitrages verwendet, nicht. Mir stinkt diese Un-redlichkeit, und dies gehört hier einfach einmal deutlichgesagt.
Ein weiteres Beispiel – ich habe mich gewundert, daßSie es heute nicht angesprochen haben, aber wahr-scheinlich wird es die F.D.P. noch in der Debatte brin-gen – sind die globalen Minderausgaben. Wie habenSie getönt, als Hans Eichel im Juni im Kabinett seinKonzept durchbekam: Ihr habt ja Luftbuchungen inForm globaler Minderausgaben von über 5 Milliar-den DM drin. Ich als haushaltspolitischer Sprecher derGrünen kann Ihnen Vollzug melden: Wir haben dieseglobalen Minderausgaben bis auf einen Restbetrag von570 Millionen DM im Haushalt titelgenau herunterge-brochen. Zur Erinnerung: Im Jahr 1997 – da hatten Siedie Verantwortung – hat der als Gesetz verabschiedeteHaushaltsplan des Bundes über 10 Milliarden DM glo-bale Minderausgaben vorgesehen.Es ist unredlich, diese 570 Millionen DM zu attackieren.Wir haben endlich angefangen, die Prinzipien vonHaushaltsklarheit und Haushaltswahrheit umzusetzen.
Kollege Metzger,gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppe-lin?
Oswald Metzger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6309
(C)
(D)
Aber bitte.
Kollege Metzger, Sie
sollten sich vielleicht nicht so sehr mit der alten Regie-
rung vergleichen, sondern mit dem, was Sie im Plenum
verkünden. Daran müssen Sie sich messen lassen. Sind
Sie bereit, diese Bemerkung zur Kenntnis zu nehmen?
Ist es richtig, daß die Kollegin Hermenau bei der Ein-
bringung des Haushalts gesagt hat, nicht eine einzige
Mark werde in die globale Minderausgabe gehen, es
werde alles bis zur letzten Mark belegt werden? Ist es
richtig, daß Sie jetzt doch globale Minderausgaben fest-
stellen müssen? Nehmen Sie meine Meinung zur Kennt-
nis, daß die Grünen nicht umgefallen sind, weil sie es
gar nicht können, da sie vorher zur Sache nicht gestan-
den haben?
Kollege Koppelin, das mit dem Stehen ist so eine Sache.
Ich will mir eine billige, polemische Antwort ersparen.
Wenn man bedenkt, was Sie in den letzten vier Jahren
hinsichtlich Ihres Abstimmungsverhaltens im Haus-
haltsausschuß zu diversen Projekten angekündigt haben,
und dann sieht, wie Sie sich schlußendlich immer der
Regierungsdisziplin untergeordnet haben, kommt man
zu dem Ergebnis, daß Sie vom Stehen und vom Liegen
nicht zu reden brauchen.
Zur Sache: Kollege Koppelin, ich brauche mich nicht
hinter einer Kollegin zu verstecken. Auch ich habe an
diesem Rednerpult in der ersten Lesung gesagt: Wir bre-
chen die globale Minderausgabe auf Null herunter. Ich
melde Vollzug. Eine titelgenaue Herunterbrechung von
95 Prozent ist – angesichts dessen, was die F.D.P. in der
Regierungszeit der Vorgängerregierung normalerweise
angekündigt und dann tatsächlich erreicht hat – Vollzug.
Wir brauchen uns für dieses Ergebnis bei Gott nicht zu
schämen.
Herr Kollege Kop-
pelin möchte nachfragen.
Kollege Metzger, da Sie
vorhin vom Tafelsilber gesprochen haben: Wenn Sie
von Privatisierungserlösen in Höhe von nur 3 Milliarden
DM ausgehen, darf ich dann zur Kenntnis nehmen, daß
Sie die Eisenbahnerwohnungen also nicht mehr verkau-
fen wollen?
Herr Koppelin, Sie sind Mitglied des Haushaltsaus-schusses und müßten es daher eigentlich besser wissen.Die Eisenbahnerwohnungen sind im Haushalt 1999 eta-tisiert. Zur Zeit reden wir vom Bundeshaushalt des Jah-res 2000. Das Zukunftsprogramm greift erst im nächstenJahr.Kollege Koppelin, da Sie gerade das Thema Privati-sierung angesprochen haben, liefere ich ein weiteresArgument für die Unseriosität der Opposition, die ausvielen Abgeordneten besteht, die auch der alten Regie-rungskoalition angehörten. Kollege Austermann ist ge-stern im Haushaltsausschuß nach der Rechnung derUnion auf Grundlage der CDU/CSU-Anträge – dieF.D.P. hat ihnen teilweise zugestimmt – auf eine be-stimmte Nettoneuverschuldung gekommen, indem er diePrivatisierungseinnahmen um sage und schreibe 6 Milli-arden DM über einen einzigen Antrag erhöhen wollte.Es handelt sich um genau dieselbe unsolide Politik wiein der Vergangenheit, als man durch Privatisierungenstrukturelle Defizite zudecken wollte. Man wollteSchulden lediglich auf dem Papier senken, was keinetatsächliche Konsolidierung bedeutet hätte.
Diese Strategie hat die F.D.P. gestern mitgetragen. Dasist einfach verlogen.Zurück zur Generallinie. Der heutige Tag ist für dieseKoalition und noch mehr für dieses Land wirklich ent-scheidend. Mit dem Haushaltssanierungsgesetz wagtdiese Koalition trotz eines brutalen Herbstes – manschaue sich die Wahlergebnisse im September und imOktober sowie die Diskussionen in unserer Gesellschaftan – den Einstieg in die Konsolidierung der Staatsfinan-zen, die strukturelles Sparen wirklich beinhaltet. Dasbedeutet natürlich auch Einschnitte in soziale Leistun-gen quer durch die Bevölkerungsgruppen.Wir glauben, daß wir dabei trotzdem sozial gerechthandeln, weil sich Gerechtigkeit nicht nur über das Hierund Jetzt definiert. Wir dürfen nicht verprassen, waskünftige Generationen an Spielräumen brauchen. Viel-mehr müssen wir so haushalten, daß der Staat mit seinenEinnahmen auskommt, sich nicht immer neue Einnah-mequellen überlegen muß, trotzdem neue Schuldenmacht und die Erfüllung seiner Aufgaben nicht mehrgewährleisten kann.Wir wollen mit der falschen Politik der Vergangen-heit aufräumen. Das haben Sie und vielleicht auch vieleWählerinnen und Wähler uns nicht zugetraut. Aber siewerden die Wirkung auf den Märkten spüren. Wir ma-chen heute den ersten Aufschlag mit der Verabschie-dung des Haushaltssanierungsgesetzes, das konsolidie-rend wirkt und gleichzeitig Maßnahmen zur Steuerentla-stung und zur Familienförderung beinhaltet.Der zweite Aufschlag kommt im nächsten Jahr mitder Unternehmensteuerreform. Dazu wird der Fi-nanzminister am 5. Januar ein Konzept vorlegen. Ich binmir absolut sicher, daß das, was sich an den Märkten re-alwirtschaftlich abspielt, eine konjunkturelle Erholunggerade im größten Industrieland Europas bedeutet, die
Metadaten/Kopzeile:
6310 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
helfen wird, die Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lö-sen. Sie wird auch bei der anstehenden Reform der so-zialen Sicherungssysteme – ich denke an die Rentenre-form – helfen. Wir Grüne glauben, daß die Steigerungder Renten um den Inflationsausgleich in den nächstenzwei Jahren keine Dauerlösung darstellt; vielmehr sindStrukturreformen im Rentensystem nötig, um der älterenGeneration ihren Anteil am lebensstandardsicherndenEinkommen innerhalb einer älter werdenden Gesell-schaft solide zu gewährleisten.Vor allem wollen wir mit dieser Politik dazu beitra-gen, daß sich die realwirtschaftliche Situation inDeutschland wieder erholt und daß das reale Wachs-tum, das in Ihrer Regierungszeit mit Ausnahme der Zeitdes Wiedervereinigungsbooms Anfang der 90er Jahreimmer unter 2 Prozent lag, auf ein Niveau steigt, durchdas die Beschäftigungsschwelle wieder überschrittenwird, so daß die Arbeitslosigkeit auf dem ersten Ar-beitsmarkt tatsächlich abgebaut wird. Davon haben dieMenschen im Land etwas. Wenn sie merken, daß dieKonsolidierung zu Erfolgen führt, weil sich die Kon-junktur verbessert, dann werden sie, obwohl es immerunangenehm ist, Einschnitte hinzunehmen, auch hinterdiesem Kurs stehen.Wir wissen, wofür wir sparen. Wir haben positiveZiele und die Vision einer gerechten Gesellschaft, in derdie jeweils lebende Generation mit ihren Einnahmenauskommt. Dafür sind ausgeglichene Haushalte und un-sere Konsolidierungsstrategie die Voraussetzung. Dafürstehen Hans Eichel und diese Koalition. Wir wissen, daßhierfür mühsame Überzeugungsarbeit nötig ist. Wir bit-ten aber die Bevölkerung um Vertrauen in diesen Pro-zeß.
Kollege Metzger, der
Kollege Austermann möchte noch eine Zwischenfrage
stellen. Dafür müßten Sie aber am Rednerpult bleiben.
Gut, eine Kurzintervention.
Diese müßte ein Ge-
schäftsführer bei mir anmelden. Das geht nicht auf Zu-
ruf, sonst entsteht hier Chaos.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hermann Otto
Solms.
– Ich erteile das Wort dem Kollegen Hermann Otto
Solms, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundes-finanzminister hat seine Rede mit der Aussage eröffnet:Die Bundesregierung hält Kurs. Ich möchte dieses aus-drücklich bestätigen. Die Bundesregierung hält Kurs beiihren Reformen in der Rentenpolitik: Renten nach In-flationshöhe, Renten nach Kassenlage, Absenkung desRenteneintrittsalters auf 60 Jahre. All dies muß die nach-folgende Generation bezahlen.
Sie hält Kurs in der Gesundheitspolitik, indem sieeine Politik macht, die zu Lasten der Patienten, derDienstleister, der Ärzte und Krankenhäuser geht. Dieseführt direkt zu einem staatlichen Gesundheitssystem.
Sie hält Kurs in der Steuerpolitik. Den Ausgangs-punkt bildete die Lafontainesche Steuerpolitik, der HerrEichel ja als schon abgewählter Ministerpräsident vonHessen noch zugestimmt hat.
Wir können heute die Schleifspuren, die diese Politikangerichtet hat, in der Konjunkturentwicklung und aufdem Arbeitsmarkt feststellen.
Die Regierung hält aber auch Kurs in Fragen derScheinselbständigkeit durch völlig unzulängliche Kor-rekturen an diesem völlig verfehlten Gesetz und bei den630-Mark-Arbeitsverhältnissen. Die Regierung ist nichtzu belehren. Sie will mit dem Kopf durch die Wand undeine falsche Politik machen. Das richtet sich leider ge-gen die Bürger in unserem Land und deren Zukunfts-chancen. Das muß hier eindeutig kritisiert werden.
Meine Damen und Herren, der Kollege Michael Gloshat ja schon darauf hingewiesen, daß wir es in den 80erund selbst in den 90er Jahren geschafft haben, Netto-steuerentlastungen zu verwirklichen und gleichzeitig,insbesondere in den 80er Jahren, die Verschuldung ab-zubauen. Sie können die Vergangenheit nicht in 16 glei-che Jahre einteilen, sondern es handelte sich um achtJahre Finanzpolitik in der alten Bundesrepublik und umacht Jahre Finanzpolitik in einem vereinten Deutschland,in dem erhebliche Lasten zu bewältigen waren.
Deswegen ist eine rückwärtsgewandte Betrachtung, diedieses außer acht läßt, unehrlich und unfair.
Was ist jetzt das Ergebnis von einem Jahr rotgrünerRegierung und rotgrüner Politik? Der Konjunktureinbruchsetzt sich seitdem bis heute weiter fort. In den um uns lie-genden Industriestaaten boomt es, bei uns ist nur der Ex-port in Ordnung, die Binnenkonjunktur ist eingebrochen.Die Investitionen sind zurückgegangen; die StimmungOswald Metzger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6311
(C)
(D)
bei den Unternehmern – eine Umfrage des DIHT hat dasvor kurzem bestätigt – ist weiter gesunken.
Ohne Stimmungsumschwung bekommen Sie auch keineInvestitionen. Die Beschäftigtenzahlen verharren aufniedrigem Niveau, wobei das alles noch durch die Ar-beitsmarktzahlen überdeckt wird. In Wirklichkeit ist jadie Zahl der Erwerbstätigen drastisch zurückgegangen.
Die Frage an die Bundesregierung, wie sich denn dieErwerbstätigenzahl entwickelt habe, wird mit der Aus-kunft beschieden, man könne dieses gegenwärtig nichtbeantworten, weil man die Statistik verändere. Ich weißnicht, was da geschieht, aber ich finde es eine Zumu-tung, daß man – möglicherweise nur deshalb, weil dieEntwicklung schlecht ist – hier eine klare Aussage ver-weigert.
Nach objektiven Schätzungen ist jedenfalls die Zahl derBeschäftigten zurückgegangen. Trotzdem verfügt derFinanzminister von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr überSteuermehreinnahmen. Im Jahre 1998 betrugen dieSteuereinnahmen 833 Milliarden DM für den Gesamt-staat – Bund, Länder und Gemeinden zusammen –, imJahre 1999 werden es 884 Milliarden DM sein, und nachder Planung werden es im nächsten Jahr etwa 915 Milli-arden DM sein. Dies sind Steuermehreinnahmen in Hö-he von 80 Milliarden DM in zwei Jahren. In der Situati-on ist die rotgrüne Koalition nicht in der Lage, etwas zurSteuerentlastung derjenigen zu tun, die diese Steuern jabezahlen müssen,
denn Steuermehreinnahmen beim Staat sind Steuer-mehrausgaben beim Bürger. Das müssen Sie sich immerin Erinnerung rufen.
Die Gesetze, die heute zur Diskussion stehen, undauch die Ökosteuer, die gestern zur Diskussion stand,zeigen, daß man die Fehler der Vergangenheit, der La-fontaineschen Politik, nicht erkannt hat. Eine Ökosteuerbewirkt eine echte Zusatzbelastung, gerade auch bei denPersonen, die in einer sozial schwachen Situation sind.Denn Rentner, Hausfrauen, Beamte, Studenten, Schüler,Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger haben keine ge-genläufige Entlastung bei den Rentenversicherungsbei-trägen, sondern für sie ist es eine Zusatzbelastung.Was ist das auch für eine Politik gegenüber demländlichen Raum!
Darauf muß man hinweisen. Die Leute, die auf demLande leben, sind darauf angewiesen, weite Wege zwi-schen Wohn- und Arbeitsstätte zurückzulegen, im Ostenvielfach noch mehr als im Westen. Für die ist diese zu-sätzliche Belastung quasi eine existentielle Bedrohung.
In diesem Zusammenhang will ich auch ein Wort zurLandwirtschaft sagen. Was diese Bundesregierung mitden Landwirten anstellt, ist in meinen Augen nicht nurunverantwortlich, es ist geradezu eine Vernichtungs-kampagne, die hier durchgeführt wird.
Sie müssen einmal die Belastungen zusammenrechnen.Machen Sie sich die Mühe. Bei der Agenda 2000 sind es1,5 Milliarden DM weniger, durch das Steuerentla-stungsgesetz 1 Milliarde DM weniger, durch den Agrar-haushalt und das Haushaltssanierungsgesetz rund4 Milliarden DM weniger, durch die Ökosteuer900 Millionen DM Mehrbelastung. Das heißt, daß diebetroffenen Landwirte, gerade die kleineren und mittle-ren, etwa 20 bis 25 Prozent ihres Einkommens verlieren.Ich möchte die Diskussion in der SPD erleben, wennman daran dächte, nur etwa halb soviel bei den Arbeit-nehmern zu tun!
Dabei werden Tausende und Zehntausende vonLandwirten über die Klinge springen. Die werden dasnicht überleben. Ich halte das für nicht zu verantworten.Meine Damen und Herren, zur Besteuerung der Fa-milien: Was Sie hier machen, ist ein sehr vorsichtigerSchritt in die richtige Richtung. Sie werden dabei mitMühe und Not den Auftrag des Verfassungsgerichts er-füllen.
Dem gesellschaftspolitischen Auftrag werden Sie dabeiin keiner Weise gerecht.
Zum Steuerbereinigungsgesetz, Besteuerung der Le-bensversicherung. Herr Riester fordert mehr private ka-pitalgestützte Altersvorsorge. Jetzt wird die Kapitalle-bensversicherung – das ist das entscheidende Instru-ment bei der privaten Vorsorge – zusätzlich besteuert.Welchen Reim machen Sie sich darauf? Die Grünen wi-dersprechen dem wie immer, stimmen dann aber zu. Daswar beim Steuerentlastungsgesetz auch so: viel Wider-spruch –, aber zum Schluß sind sie umgefallen. Das isthier bei der Kapitallebensversicherung – Sie werden esheute wieder erleben – genauso: Sie werden dem zu-stimmen, obwohl man jede Woche im „Handelsblatt“liest, was Frau Scheel alles für falsch hält, Herr Müllerund Herr Merz genauso.Dr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
6312 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Sie kritisieren beispielsweise genauso die Unterneh-mensteuerreformpläne der Bundesregierung. Die Mi-nister der Grünen haben im Kabinett dem Plan zuge-stimmt, die Finanz- und Steuerpolitiker widersprechenin der Öffentlichkeit, zum Schluß machen alle wiederalles mit. Meine Damen und Herren, wie Sie das mit Ih-rer persönlichen Glaubwürdigkeit vereinbaren können,frage ich mich seit langem.
Ich möchte noch eine Bemerkung zum Steuerberei-nigungsgesetz machen. Dabei handelt es sich um dieBereinigung der falsch gelaufenen Steuerentlastung –Lafontainesches Gesetz – des Frühjahrs. Ich will der Öf-fentlichkeit einmal deutlich machen, welches Chaos hin-sichtlich der formalen Arbeit herrscht. Damals gab esjede Menge Korrekturanträge für das eigene Gesetz.
Da diese Korrekturen aber nicht ausgereicht haben, hatman nun das Bereinigungsgesetz vorgelegt. In das Ge-setzgebungsverfahren sind nun erneut 115 Anträge fürdie Korrekturen der Korrekturen der Korrekturen einge-bracht worden.
Wenn Sie dieses Verfahren in Ihren Seminardiskussio-nen witzig finden, dann ist das Ihr Problem. Aber wassollen denn die Steuerberater, die Finanzbeamten, dieUnternehmen und die steuerpflichtigen Bürger davonhalten, die durch diesen Wust – das kann ja kein Menschmehr verstehen – überhaupt nicht mehr durchblickenkönnen?
Ich will noch ein Wort zu dem Thema Steuergerech-tigkeit sagen. Sie haben den Begriff Gerechtigkeits-lücke erfunden. Wenn es eine Gerechtigkeitslücke gibt,dann liegt sie in dem viel zu komplizierten und durchSie noch viel komplizierter gemachten Einkommensteu-errecht, das kein Mensch mehr versteht. Die Steuer-pflichtigen fühlen sich diesem Steuerrecht hilflos ausge-liefert.
Diese Menschen haben immer das Gefühl, daß derNachbar bei der Steuer besser wegkommt als sie selbst.Das Ergebnis dieser Politik ist, daß Steuerhinterziehung,Schwarzarbeit und Kapitalflucht heute Kavaliersdeliktegeworden sind.
Wenn Sie also an eine vernünftige Steuerreform he-rangehen wollen, Herr Eichel, dann müssen Sie ersteinmal damit anfangen, eine radikale Steuervereinfa-chung durchzuführen, so daß die Bürger das Steuerrechtwieder verstehen können. Und wenn dann noch dieSteuerlast gesenkt wird, sind sie bereit, ihren Beitrag zuleisten.Was Sie sich unter der Unternehmensteuerreformvorgestellt haben, wird von den wirtschaftswissen-schaftlichen Forschungsinstituten in ihren Gutachten inBausch und Bogen zerrissen. Sie schreiben – ich darfzitieren –:Ein Investitionsschub ist von dieser Reform nichtzu erwarten, eher sogar eine Investitionsdämpfung.Negativ zu bewerten ist insbesondere die unglei-che Behandlung von „guten einbehaltenen“ und„schlechten ausgeschütteten“ Gewinnen. Die Hoff-nung, daß durch die bisherigen steuerlichen Maß-nahmen, einschließlich dieser Steuerreform, diegewünschte Wachstums- und Beschäftigungsdy-namik entsteht, dürfte sich nach Einschätzung derInstitute nicht erfüllen.Das ist eine klare Aussage.Ein weiterer Punkt. Wenn Sie schon von einer Ge-rechtigkeitslücke reden, Herr Poß, dann müssen wir fest-stellen, daß es eine Gerechtigkeitslücke in Form der ho-hen Arbeitslosigkeit gibt.
Wenn Sie eine gute Steuerpolitik machen wollen, dannmüssen Sie sie so anlegen, daß die Investoren sowie diekleinen und mittleren Unternehmen entlastet werden.Mit Ihrem Steuerentlastungsgesetz haben Sie aber genaudas Gegenteil erreicht.
Ich habe mir die vielen Maßnahmen angesehen, diedie kleinen und mittleren Unternehmen zusätzlich bela-sten. Diese Maßnahmen bewirken in der Summe Bela-stungen zwischen 24 Milliarden und 28 Milliarden DM.Sie wollen jetzt aber eine Steuerreform durchführen, diedie Unternehmen, insbesondere die Großunternehmen,um insgesamt 8 Milliarden DM entlastet. Das heißt, derMittelstand muß die Zeche zahlen.
Daraus entsteht keine Verbesserung der konjunkturellenEntwicklung. Diese Entwicklung haben Sie zu verant-worten.Lieber Herr Metzger, schminken Sie es sich ab, daßes im nächsten Jahr besser wird. Es wird noch schlim-mer werden. Es beginnt mit der Erhöhung der Ökosteueram Anfang des Jahres und wird sich dann im Laufe desJahres fortsetzen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Dr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6313
(C)
(D)
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Austermann zu der von ihm erbete-
nen Kurzintervention.
Vielen Dank,
Herr Präsident. – Der Kollege Metzger hat mich mit drei
Bemerkungen angesprochen. Ich möchte ganz kurz dar-
auf erwidern.
Erstens. Er hat bestätigt, daß die Regierung neue
Schulden macht. Angesichts seiner Worte in früheren
Jahren möchte ich feststellen: Wer 220 Milliarden DM
neue Schulden im Finanzplanungszeitraum macht, der
spart doch nicht.
Zweitens. Er hat gesagt, der Verkauf des Tafelsilbers
sei beendet worden. Dazu stelle ich fest, daß eine Haus-
haltsbemerkung im Wirtschaftsetat aufgenommen wur-
de, die es ermöglicht, in erheblichem Umfang Privati-
sierungserlöse einzukassieren. Ich nenne beispielsweise
die Lizenzen bei der Telekom. Nach heutiger Bewertung
ergibt dies mit den vorgesehenen Mitteln für die Privati-
sierung von 3,5 Milliarden DM einen Betrag in zwei-
stelliger Milliardenhöhe.
Der dritte Punkt betrifft den Hinweis auf die globalen
Minderausgaben, die im Laufe des Verfahrens auf
570 Millionen DM begrenzt worden seien. Was das
konkret bedeutet, kann jeder nachvollziehen. Die glo-
bale Minderausgabe für den Wirtschaftsetat ist für dieses
Jahr aufgelöst worden. Das hat Wirkung auf folgende
Bereiche: Kürzung bei Kokskohlenbeihilfe, Förderung
erneuerbarer Energien, Forschung und Entwick-
lung erneuerbarer Energien, Forschungskooperation
„FUTOUR“, Förderung der industriellen Gemein-
schaftsforschung, Förderung und Entwicklung neue
Bundesländer, der überbetrieblichen Lehrlingsunterwei-
sung, Leistungssteigerung des Handwerks, Innovations-
förderung, Außenwirtschaft, Absatzfinanzierung Luft-
fahrt, Luftfahrtforschung, den Zinszuschüssen für die
Werften – jeder weiß, in welcher Situation sich die
Werften befinden.
Es werden im Haushalt 1999 auf diese Weise 330
Millionen DM eingespart. Für das nächste Jahr hat der
Wirtschaftsminister wieder eine globale Minderausgabe
eingeplant; das heißt, er wird die Mittel wieder dort
wegnehmen, wo sie für die Innovationssteigerung in
Deutschland am meisten gebraucht werden.
Ein letzter Satz zum Thema Förderung erneuerba-
rer Energien. Durch die Kürzungen im laufenden
Haushalt entsprechend der globalen Minderausgabe sind
allein die erneuerbaren Energien mit 115 Millionen DM
betroffen. Das heißt, Sie geben für erneuerbare Energien
115 Millionen DM weniger aus, als in Ihren frisch ge-
druckten Broschüren zu lesen ist. Dazu kommen die
Belastungen durch die Ökosteuer.
Sich hier hinzustellen und zu sagen: Wir betreiben ei-
ne der Zukunft zugewandte Politik, das verstehe, wer
will.
Kollege Metzger, Sie
haben Gelegenheit zur Erwiderung.
Herr Kollege Austermann, auch mit dieser Intervention
setzen Sie Ihre Tradition fort, Dinge falsch darzustellen.
Zur Wiederholung: Sie behaupten immer, wir mach-
ten im Finanzplanungszeitraum eine bestimmte Menge
Schulden. Wenn ich einen Fünfjahresvergleich mit Ihrer
Regierung herbeiführe, dann stelle ich fest, daß Sie mit
Ihrer Nettokreditaufnahme in allen Jahren der alten Re-
gierungszeit deutlich über dem liegen, was wir in den
nächsten fünf Jahren aufnehmen. Das zu Ihrer ersten fal-
schen Behauptung.
Die zweite falsche Behauptung. Sie sagen, wir hätten
einen Haushaltsvermerk erweitert, der Lizenzgebühren
aus Frequenzveräußerungen im Mobilfunk als Einnahme
ermöglicht. Das ist richtig. Aber wir haben, Herr Kolle-
ge Austermann, in das Haushaltsgesetz gleichzeitig eine
Ermächtigung des Finanzministers eingestellt, die künf-
tig dafür Sorge trägt, daß überschüssige Einnahmen aus
Privatisierungserlösen, die über den Betrag hinausgehen,
den der Bund ausgeben muß, um die Postunterstüt-
zungskassen, die für die Pensionen früherer Mitarbeiter
und ihrer Angehörigen zuständig sind, zu bedienen, zur
Tilgung von Schulden verwendet werden und eben nicht
wie früher zur Überdeckung des strukturellen Defizits.
Die dritte falsche Behauptung betrifft die globalen
Minderausgaben. Sie behaupten, wir würden im Haus-
halt Beträge für Energieforschung als Luftbuchung ein-
stellen. Wir halten an den 200 Millionen DM jährlich
fest. In diesem Jahr ist dieses Geld nicht abgeflossen,
weil der Haushalt auf Grund der Wahlen im letzten Jahr
erst spät, erst im Juni, in Kraft trat. Deshalb haben wir
die Verpflichtungsermächtigung für Energieforschung
für das Jahr 2001 um 100 Millionen DM erhöht, so daß
im übernächsten Jahr über 300 Millionen DM effektiv
zur Verfügung stehen.
Ich finde, Programme sollte man so stricken, daß sie
nachhaltig wirken, daß die Mittel für vernünftige Dinge
abfließen und daß nicht am Schluß mit Geld, das man
eigentlich für vernünftige Projekte bräuchte, Mist ge-
macht wird. Also auch in diesem Punkt: absolute Fehl-
anzeige. Sie benutzen eine Argumentation, die nur dar-
auf abzielt, Nebelkerzen zu zünden, weil man die
Grundlage, die vernünftige Finanzstrategie dieser Regie-
rung, nicht glaubwürdig attackieren kann.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Barbara Höll, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Ich möchte mit der kleinen Regie-rungsfraktion, den Grünen, beginnen. Sie hat heute nurnoch alten Wein in neuem Schlauch geboten. HerrMetzger, ein Bundeshaushalt führt sich etwas anders alsder Haushalt einer kleinen Gemeinde durch Kommunal-
Metadaten/Kopzeile:
6314 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
politiker. Wenn Sie sagen, das Wohngeld sei ein Ne-benkriegsschauplatz, dann fragen Sie bitte die MillionenBürgerinnen und Bürger, die darauf warten, daß endlicheine Novellierung des Wohngeldes erfolgt. Sie haben siewieder um ein Jahr verschoben. Sie versprechen etwasfür die Zukunft, und was dann passiert, das wird mandann sehen.
Außerdem verschieben Sie über das pauschalierteWohngeld einen Riesenbatzen in die Landeskassen.Unser Bundesfinanzminister hat uns noch einmal er-klärt, daß die soziale Gerechtigkeit bei der Staatsver-schuldung anfängt. – Richtig. Aber warum senken Siedann den Spitzensteuersatz? Das kostet den Bundes-haushalt im nächsten Jahr 1,7 Milliarden DM. Damitnicht genug: In einem zweiten Schritt wollen Sie denSpitzensteuersatz von 51 Prozent auf 48,5 Prozent sen-ken. Das bedeutet weitere 2,5 Milliarden DM, auf dieder Herr Bundesfinanzminister locker verzichtet.Wenn heute in der Presse steht, daß bei der Unter-nehmensteuerreform neu nachgedacht wird, ist das gut,weil das zeigt, daß Ihnen endlich aufgefallen ist, daßkleine und mittelständische Betriebe zu gering entlastetwerden. Die überproportional hohe Entlastung der gro-ßen Unternehmen wollen Sie jedoch nicht zurückneh-men. Das ist so, muß man sagen, sozial absolut un-gerecht und wirtschaftsfeindlich.
Ich komme zu einem konkreten Punkt der heutigenDebatte, der Frage der Umsetzung des Bundesverfas-sungsgerichtsurteils zum Kindergeld. In den letzten 30Jahren sind Familien mit Kindern immer ärmer gewor-den. 1965 bekam nur jedes 75. Kind Sozialhilfe,1994 je-des siebte Kind. Eine Million Kinder und Jugendlicheleben von Sozialhilfe. An dieser besorgniserregendenPolitik hat die alte Regierungskoalition von CDU/CSUund F.D.P. natürlich einen großen Anteil. Aber auch dieneue Koalition beseitigt das Problem nicht.Die große Chance, die das Urteil des Bundesverfas-sungsgerichts geboten hat, nämlich eine feste Grundlagefür das Existenzminimum von Kindern zu berechnenund dieses steuerfrei zu stellen, so daß der Staat erst an-schließend Zugriff auf das Einkommen der Eltern hat,haben Sie nicht genutzt.Das Urteil ist widersprüchlich; das wissen wir alle indiesem Haus. Aber es hat einen ganz großen Vorteil: Eshat zum erstenmal klar gezeigt, daß Kinder für ihr Er-wachsenwerden mehr brauchen als Wohnen und Schla-fen. Sie brauchen Betreuung, Erziehung, kulturellen Zu-gang, Sportarbeitsgemeinschaften, Musikunterricht undähnliches. Das führt natürlich dazu, daß wir das Exi-stenzminimum von Kindern anheben müssen.Aber die Frage ist: Wie setzen Sie das um? VerharrenSie in der Logik des Steuerrechts, oder gehen Sie dar-über hinaus? Sie sind nicht darüber hinausgegangen. Sieverharren im Steuerrecht und führen die Politik der altenRegierung weiter, indem Sie das System von Kindergeldund Kinderfreibeträgen ausbauen.Vor seinem Amtsantritt behauptete Herr Eichel noch,daß für ihn das Kind des Unternehmers und das Kinddes Arbeiters gleichwertig seien. Sie hätten die Chancegehabt, das umzusetzen. Aber Sie wählen die kosten-günstige Minimalvariante. Anstatt alle Eltern gleich zubehandeln, erhalten Spitzenverdiener bis zu 150 DMmonatlich mehr als eine Familie mit geringem odermittlerem Einkommen. Herr Eichel, auch wenn Ihnendas Mahnen der PDS an die soziale Gerechtigkeit lang-sam auf den Docht geht – wie man umgangssprachlichsagt –, werden wir da nicht lockerlassen. Das lassen wirIhnen nicht durchgehen!
Kollegin Höll, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?
Ja.
Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Kollegin Höll, Sie haben jetzt zum wieder-
holten Male die meines Erachtens falsche Aussage ge-
troffen, das Familienförderungsgesetz sei ein Minimal-
paket. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir
die Vorgaben des Karlsruher Urteils auch durch eine
ausschließliche Erhöhung der Kinderfreibeträge hätten
umsetzen können – dann hätte das Gesetz ein Volumen
von ungefähr 1,5 Milliarden DM gehabt –, sich die rot-
grüne Koalition aber entschlossen hat, das Kindergeld
um 20 DM zu erhöhen, übrigens auch für Sozialhilfe-
empfänger,
das heißt, die alte Politik definitiv nicht fortzusetzen,
daß sie auf diese Weise ein Volumen von 5,5 Milliarden
DM geschaffen hat, die 900 Millionen DM für die Alt-
fälle einmal nicht mitgerechnet, und daß das somit keine
Minimallösung ist?
Herr Müller, ich habe ge-sagt, es ist eine Minimallösung, und ich glaube, damithabe ich auch recht. Entsprechend Ihrer früheren Auf-fassung, daß alle Kinder gleich viel wert seien und dasgleiche Kindergeld erhalten müßten, hätten Sie durchausdie Möglichkeit gehabt, das, was das Bundesverfas-sungsgericht vorgegeben hat, zu einem entsprechendenSteuersatz umzurechnen. Sie wissen, daß dann heraus-gekommen wäre,
daß jedes Kind 400 DM Kindergeld bekommen muß.Dann hätte man die Kinderfreibeträge streichen können.Das würde eine elternunabhängige Förderung allerKinder bedeuten. Das kostet natürlich ein bißchen mehrGeld.
Dr. Barbara Höll
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6315
(C)
(D)
– Frau Kressl, auch Sie wissen, daß dieses Geld durch-aus vorhanden ist. Ich kann Ihnen das gerne etwas de-taillierter vorrechnen.Herr Müller, ich möchte ergänzen, daß ich sehr wohlweiß, daß Sie mit der Erhöhung des Kindergeldes um20 DM – dies gilt jedoch nur für das erste und zweiteKind – ein klein bißchen über das vom Bundesverfas-sungsgericht Geforderte hinausgegangen sind. Aber ichmuß Ihnen auch sagen, daß dieses Hinausgehen durchIhr Ökosteuerkonzept wieder kompensiert wird. So hateine vierköpfige Familie durch die zweite Stufe derÖkosteuer eine monatliche Belastung von durchschnitt-lich 62 DM. Diese Familie erhält im Rahmen der Kin-dergelderhöhung aber nur 40 DM mehr pro Monat. Dasheißt, auf Grund der Ökosteuer kommt es zu einerMehrbelastung. Bei einer Familie mit drei Personen be-läuft sich die Mehrbelastung aus der Ökosteuer auf53 DM pro Monat. Diese Familie bekommt nur 20 DMKindergeld mehr pro Monat. Auch hier bleibt untermStrich eine deutliche Mehrbelastung. Diese Zahlen hatdas Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ausge-rechnet. Wir haben das noch einmal nachgerechnet. Daskann man nachlesen; das stimmt.Ferner haben Sie mich zur Sozialhilfe gefragt. Dazumuß ich sagen: Wir freuen uns, daß die Koalition zumersten Mal die entsprechende gesellschaftliche Diskussi-on aufgegriffen hat – ein Anliegen, das die PDS bereitsim Frühjahr dieses Jahres in den Deutschen Bundestageingebracht hat.
Der Druck hier im Parlament kam also von der linkenSeite. Denn es ist einfach skandalös, daß bisher jeglicheKindergelderhöhung durch die Gegenrechnung mit derSozialhilfe nicht bei den wirklich betroffenen Kindernund Jugendlichen ankam.
Wir haben Ihnen vorgeschlagen, die Regelsätze für Kin-der zu erhöhen. Denn das wäre wirklich sachgerecht. Siehaben sich aber für eine Lösung entschieden, die nur aufdiese Anhebung begrenzt ist. Das wirkliche Problempacken Sie auf diese Art und Weise nicht an.
Herr Müller, es bleibt dabei: Sie entlasten mit IhremKonzept der Familienförderung – man müßte dies inAnführungszeichen setzen; denn es ist allerhöchstens einerster Schritt zum Nachteilsausgleich – Eltern mit einemsehr hohen Einkommen wesentlich mehr als Normalver-diener. Ein Spitzenverdiener kann sich über eine Erhö-hung um jährlich 1 500 DM freuen. Das ist doch wohlbedeutend mehr als die 240 DM, die Eltern mit einemJahreseinkommen von bis zu 48 000 DM pro Jahr durchdie Erhöhung des Kindergeldes um 20 DM bekommen.Sie manifestieren damit das Auseinanderdriften vonKindergeld und Kinderfreibetrag und weichen als Re-gierung auch in diesem Punkt automatisch von Ihrer ur-sprünglichen Forderung nach einem einheitlichen Kin-dergeld ab.Die PDS hat zur heutigen Debatte einen Entschlie-ßungsantrag vorgelegt. Ich glaube, er wird – leider –seine Aktualität behalten. Wir werden hier weiter überdie nächste Stufe der Familienentlastung zu diskutierenhaben.Entsprechend unserer Auffassung fordern wir, daßuns als Gesetzgeber wirklich jedes Kind gleich viel wertist. Wir fordern 400 DM Kindergeld für jedes Kind. DerKinderfreibetrag sollte abgeschafft werden. Damit be-kommen wirklich alle Eltern für ihre Kinder eine Entla-stung in gleicher Höhe, und zwar unabhängig von ihremEinkommen. Ein altersabhängiges, existenzsicherndesKindergeld sollten nach unserem Konzept bereits jetztalle sozialhilfeberechtigten Eltern und diejenigen miteinem geringen Einkommen erhalten. Denn es ist klar:Auch 400 DM würden für ein Kind, welches von Sozi-alhilfe leben muß, absolut nicht ausreichen. Deshalbschlagen wir ein altersabhängiges Zulagensystem vor.Wir meinen, daß auf diese Art und Weise ein Schritt indie richtige Richtung getan werden kann.Zur Finanzierung – Frau Kressl, darüber haben Sievorhin gelacht –: Wir diskutieren schon ziemlich langeüber die Frage der Individualbesteuerung. Wir wissen,daß wir durch eine Umwandlung des jetzt geltendenEhegatten-Splittings – natürlich mit einer entsprechen-den Übergangslösung; wir schlagen eine Unterhaltsvari-ante vor – ein Finanzvolumen von 20 Milliarden DMlockermachen können. Dieses Finanzvolumen könnteman einsetzen. Sie wissen, daß damit weitere Dingewegfallen. Wir schlagen vor, das Dienstmädchenprivilegzu streichen. Vorsorgeaufwendungen, die doppelt einzu-stellen sind, würden dann individuell veranlagt werden.Nach unserem Konzept – das gebe ich ehrlich zu –bleibt ein geringes Finanzierungsdefizit. Zu Ihrer Beru-higung: Wir haben das vom Bundesfinanzministeriumnachprüfen lassen. Dieses Finanzierungsdefizit beträgtetwa 5 Milliarden DM. Mit diesen 5 Milliarden DMkann ich als Oppositionspolitikerin relativ locker umge-hen.
Frau Kollegin Höll,
Ihre Redezeit ist vorüber.
Sie bräuchten nur den
Transrapid oder den Eurofighter zu streichen. Dann wä-
re diese kleine Finanzierungslücke geschlossen.
Zum Steuerbereinigungsgesetz haben wir Änderungs-
anträge eingebracht.
Frau Kollegin Höll,
Ihre Redezeit ist vorüber. Bitte kommen Sie zum letzten
Satz.
Ich komme jetzt zum letz-ten Satz und werbe für unseren Antrag: Entscheiden Siesich endlich richtig – für eine Kinderförderung, die un-abhängig vom Einkommen der Eltern ist!Dr. Barbara Höll
Metadaten/Kopzeile:
6316 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Ansonsten bedanke ich mich für Ihre Aufmerksam-keit.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans Georg Wagner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank für
dieses allgemeine Gemurmel. Das spiegelt den Zustand
der Opposition hinreichend wider: Außer Murmeln
nichts gewesen!
Wer heute morgen auf Alternativen der Opposition ge-
wartet hat, der mußte zur Kenntnis nehmen: Von seiten
der damaligen Regierung ist keine einzige Alternative
genannt worden.
Es tut mir leid um die Arbeit, die sich Herr Staatsse-
kretär Diller im Haushaltsausschuß gemacht hat. Er hat
sich bemüht,
Jürgen Koppelin, Dietrich Austermann und Günter Rex-
rodt die Sache so beizubringen, daß es jedes kleine Kind
verstehen kann – wie er es in seinem erlernten Beruf
gelernt hat. Aber Sie kommen nun hierher und zeigen,
daß Sie anscheinend überhaupt nichts begriffen haben.
Es tut mir furchtbar leid, aber dann können wir uns die
Arbeit im Haushaltsausschuß sparen.
Meine Damen und Herren, heute ist in der Tat ein
wichtiger Tag für die Bundesrepublik Deutschland; denn
heute wird das Sparpaket, das wir im Rahmen des Zu-
kunftsprogramms 2000 angekündigt haben, verabschie-
det. Die rotgrüne Koalition ist zum Handeln fähig. Den
Beweis erbringen wir heute.
Wenn wir in der letzten Sitzungswoche dieses Monats
den Haushalt 2000 verabschieden, ist das Bild rund.
Dann haben wir ein Reformpaket auf den Weg gebracht,
wozu Sie 16 Jahre lang nicht in der Lage waren und was
Sie zum Teil auch gar nicht wollten.
Wir sind in dieser Situation, nämlich sparen zu müs-
sen, nicht allein. Wir haben Hilfestellung aus allen Ek-
ken der Republik, wenn man so will, sogar aus der gan-
zen Welt bekommen. Auf Antrag der F.D.P. haben wir
eine Anhörung durchgeführt. Allerdings waren Sie, ob-
wohl Sie von der F.D.P. der Antragsteller waren, die
meiste Zeit nicht da.
– Wenn Sie da gewesen wären, dann hätten Sie gehört,
was Herr Professor Eekhoff und Norbert Walter gesagt
haben. Norbert Walter hat eindringlich vor einer Sabo-
tage der Sparbemühungen der Bundesregierung gewarnt.
Wenn Sie dieses Paket also heute ablehnen, dann sind
Sie die Saboteure der Sparbemühungen.
Auch der Bundesrechnungshof hat die Sparbemü-
hungen der Bundesregierung gelobt und gesagt, eigent-
lich könne man noch weiter gehen – was weitere Ein-
schnitte auch im sozialen Bereich bedeutet hätte. Das
haben wir abgelehnt. Aber das Lob kommt ja nicht von
ungefähr: Sie rufen doch bei jeder passenden und unpas-
senden Gelegenheit den Bundesrechnungshof an, er
solle dies oder jenes überprüfen. Das hat nun Ihrerseits
die Bundesregierung auch gemacht. Sie hat ihr Sparpa-
ket überprüfen lassen und das Urteil bekommen: Das ist
in Ordnung; alles wunderbar! – Sagen Sie das doch auch
einmal!
Kollege Wagner, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich lasse keineFrage zu.Der Internationale Währungsfonds hat das Spar-und Steuerreformpaket der Bundesregierung ausdrück-lich begrüßt. Er hat Anfang November erklärt:Es umfaßt angemessen ausgerichtete Ausgabenkür-zungen und Einkommensteuerreformen, von denenzusammengenommen erwartet wird, daß sie sowohlzu einer ausgeglichenen mittelfristigen Haushalts-position wie auch zu einer Verringerung der Steu-erlast führen werden.Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wenn Sie unsnicht glauben, warum glauben Sie dann nicht wenigstensden international anerkannten Fachleuten?
Einer, den Sie immer wieder benutzen, um aktuelleAussprachen zu bedienen, hat es begriffen, Herr Kol-lege Koppelin. Früher, zu Zeiten von Karl-Her-mann Flach, war Ihnen die „Frankfurter Rundschau“nahe; jetzt ist es ja die „Bild“-Zeitung – sowohl vonder Argumentation als auch vom Inhalt her. Darinstand am 5. November: Lob für Deutschland. Esmuß Sie ja Überwindung gekostet haben, dort ein LobDr. Barbara Höll
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6317
(C)
(D)
für Deutschland, für diese Bundesregierung lesen zumüssen.
Sie haben dies kleingeredet, Herr Koppelin; dies ent-spricht Ihrem Niveau. Das ist mir vollkommen klar.Nun noch einige Bemerkungen zu der Debatte: Ge-stern hat Herr Rüttgers gelogen.
Ich vermute, er war falsch informiert. Er hat nämlichbehauptet, daß wir eine Stunde vor Beginn der Sitzungdes Haushaltsausschusses die Kohlebeihilfen um250 Millionen DM gekürzt hätten. Das ist schlichtweggelogen. Wir haben im Einvernehmen mit Vertretern derdeutschen Steinkohle vereinbart – sie haben es angebo-ten –, daß sie im Jahr 2000 auf Forderungen in Höhevon 250 Millionen DM verzichten, weil sie im Januar2001 – –
– Wenn jemand verzichtet, ist dies keine Kürzung. Ha-ben Sie das nicht begriffen? Herr Kampeter, Sie sind fürIhre Fraktion im Haushaltsausschuß für Wissenschaftund Forschung zuständig. Sie sollten also schon so in-telligent sein, das mitzubekommen.
Die nächsten 250 Millionen DM sind in der globalenMinderausgabe enthalten und werden im Vollzug desHaushalts erwirtschaftet. Die 500 Millionen DM, die dieBundesregierung vertragsgemäß zahlen wird, sind si-cher. Die deutschen Bergleute brauchen keine Angst zuhaben. Das, was Herr Rüttgers erzählt hat, ist schlicht-weg gelogen.
Die Ausgangsposition ist Ihnen wohl immer nochnicht klar. Herr Solms, Sie haben in der Vergangenheitals Schatzmeister einige Probleme mit den Parteifinan-zen gehabt; das weiß man. Die CDU hat jetzt aktuelleProbleme; sie sucht überall unter dem Tisch 1 MillionDM. Aber 1,5 Billionen DM Schulden sind Ihre Schul-den, da können Sie machen, was Sie wollen.82 Milliarden DM Zinsen pro Jahr sind Ihre Zinsen. Dasist die Ausgangsposition. Und uns gelingt es jetzt, mitdem Sparpaket, dem Zukunftsprogramm und dem Haus-halt 2000 endlich eine Umkehr zu erreichen, so daß wirdafür sorgen können, daß wieder Ordnung herrscht.Ein Wort zu den Renten: Hier ist die Unverschämt-heit Ihrer Argumentation nicht mehr zu überbieten. Siehaben die Rentnerinnen und Rentner 16 Jahre lang umihre jährliche Rentenerhöhung beschissen. Sie haben sieim wahrsten Sinne des Wortes beschissen.
Wenn wir jetzt die Preissteigerungsrate zum Maßstab derRentenerhöhung im nächsten Juli machen, dann ist daseine Verdoppelung der Rentenerhöhung im Vergleich zuder Erhöhung in Ihren letzten Regierungsjahren.
Lieber Kollege
Wagner, Leidenschaft ist eine schöne Sache. Das gilt
auch für die rhetorische Leidenschaft, aber mit der
Wortwahl sollte man in diesem Plenum sehr achtsam
umgehen.
Herr Präsident, ichverspreche Ihnen, daß ich nicht mehr sage, daß die Op-position die Rentnerinnen und Rentner beschissen hat,sie hat sie nur im unklaren über die wirkliche Erhöhunggelassen.Meine Damen und Herren, die Rentenerhöhung, dieWalter Riester für das Jahr 2001 vorsieht, ist eine Ver-vierfachung der Rentenerhöhung, die Sie in den letztenJahren vorgenommen haben; dabei behaupten Sie, denRentnern werde etwas gekürzt. Es ist absoluterSchwachsinn, was hier erzählt wird.
Ich komme nun zum Sozialversicherungskonzeptder Frau Schwätzer. Ach du lieber Gott, Sie haben 1993als alte Bundesregierung vom Rechnungsprüfungsaus-schuß einstimmig den Auftrag erhalten – da hatten Sieübrigens auch die Mehrheit –, eine Novelle zur Sozial-versicherung vorzulegen. Dazu waren Sie nicht in derLage.
Über Ihren heutigen Antrag habe ich mich nur gewun-dert. Denn wir müssen auch in diesem Bereich Refor-men vorantreiben, und zwar im Einvernehmen mit denBetroffenen. Wir werden zusammen mit Walter Riesterim nächsten Frühjahr eine Novelle ausarbeiten, mit derdie Betroffenen zufrieden sein werden.
Sie sollten sich beruhigen und sich nicht von solchenSchwätzereien irremachen lassen, denn sie stimmenletztendlich nicht, auch, wenn sie von Frau Schwätzerkommen.
Es gibt Anträge von Ihnen, in denen gefordert wird,die aktive Arbeitsmarktpolitik auf Null zu setzen. Einsolcher Antrag liegt vor, den können Sie nicht aus derWelt diskutieren. Sie wollen die aktive Arbeitsmarkt-politik kaputtmachen.
Hans Georg Wagner
Metadaten/Kopzeile:
6318 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
– Sie waren doch gar nicht dabei. Fragen Sie mal HerrnKoppelin, der weiß das besser.
– Das ist ja gut, dann sieh hinein.
Kollege Wagner, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?
Nein.
Kollege Niebel, es
ist das Recht jedes Redners, eine Zwischenfrage zuzu-
lassen oder nicht.
Ich nenne noch einen
Punkt: Haben Sie sich einmal überlegt, was wäre, wenn
Hans Eichel für die 1,5 Billionen DM Schulden, die Sie
ihm hinterlassen haben, Erbschaftsteuer zahlen müßte?
Wissen Sie, wie viele Milliarden er dazu bräuchte?
Sie haben noch nie darüber nachgedacht, was Sie da an-
gerichtet haben. Sie haben die Rentenversicherung, den
Haushalt und die Finanzen ruiniert, und jetzt wollen Sie
das alles aus Ihrem Gedächtnis verdrängen. Ich habe
schon einmal gesagt: Es gibt Menschen mit einem
Langzeitgedächtnis, es gibt Menschen mit einem Kurz-
zeitgedächtnis, und hier gibt es Menschen ohne Ge-
dächtnis.
Schönen Dank.
Nun hat die Kollegin
Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wenn wir die Finanzpolitik
dieser Regierung allgemein und insbesondere die drei
heute vorliegenden Gesetzentwürfe bewerten, kommen
wir zu dem Ergebnis: Das Schlimmste daran ist, daß
keine Solidität, keine Berechenbarkeit und keine Ver-
läßlichkeit erkennbar sind.
Sie, lieber Herr Solms, haben recht gehabt: Auch da-
bei ist Kurs gehalten worden. Diesen Kurs hat diese Re-
gierung vom Anfang ihrer Regierungszeit an durch-
gehalten. Ich will das gern begründen: Sie reden vom
Sparpaket, aber von Sparen kann gar keine Rede sein.
Den Haushalt 1999 haben Sie um 30 Milliarden DM
aufgebläht. Den Haushalt 2000 führen Sie aber lediglich
um 7,5 Milliarden DM zurück. Auf dem Weg dahin
schröpfen Sie die Rentner, kassieren Sie bei den Land-
wirten massiv ab, kürzen Sie die Investitionen und scha-
den damit dem Arbeitsmarkt. Auf dem Weg dahin ver-
lagern Sie massiv Lasten des Bundes auf Länder und
Kommunen. Das ist kein Sparen, das ist Flickschusterei.
Der Kollege Wagner hat gerade die gestrigen Äuße-
rungen des Kollegen Rüttgers angesprochen. Ich kann
mir vorstellen, daß es Ihnen schwerfällt, Herrn Rüttgers
zu glauben. Aber wenn Sie meinen, daß er nicht recht
hat, empfehle ich Ihnen, doch wenigstens Ihren eigenen
Parteifreund, den Ministerpräsidenten des Landes Nord-
rhein-Westfalen, Herrn Clement, anzuhören.
Er hat gesagt – nicht nur gestern, sondern auch heute –,
er halte dieses Ökosteuergesetz für falsch.
Damit werde der Wettbewerb zwischen den auf Kohle-
und Gasbasis arbeitenden Kraftwerken verfälscht.
Wenn Sie uns schon nicht glauben, dann schaffen Sie
wenigstens klare Verhältnisse in Ihren eigenen Reihen.
Kollegin Hasselfeldt,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchtezunächst einmal im Zusammenhang vortragen.Jetzt möchte ich auf einen anderen Punkt zu sprechenkommen, nämlich darauf, was noch in den Steuergeset-zen, die wir heute beraten, enthalten ist. Es ist heute bis-her fast nicht zur Sprache gekommen, daß Sie in diesesSteuerbereinigungsgesetz die Besteuerung der Erträgeaus den Kapitallebensversicherungen hineingenom-men haben, obwohl diese überhaupt nicht in dieses Ge-setz hineinpaßt. Sie ist ein völliger Fremdkörper in die-sem Gesetz. Warum gerade dies darin steht, bleibt IhrGeheimnis. Aber auch hier sollten Sie nicht nur auf uns,sondern auch auf Ihre eigenen Kollegen, unter anderemauf den Kollegen Schleußer aus Nordrhein-Westfalen,hören, der der gleichen Meinung ist und sagt: DiesesVorhaben sollte im Zusammenhang mit der gesamtenAltersvorsorge geregelt werden.
Das ist auch unsere Meinung. Es paßt nicht in diesesGesetz. Es ist reine Schikane und weiteres Abkassieren.
Hans Georg Wagner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6319
(C)
(D)
Darüber hinaus enthält dieser Gesetzentwurf eineReihe von Korrekturmaßnahmen zum sogenanntenSteuerentlastungsgesetz, das wir erst vor einem halbenJahr beschlossen haben.
Auch daran, daß ein im April dieses Jahres beschlosse-nes Gesetz ein halbes Jahr später in den Punkten korri-giert wird, die schon damals im April bzw. einige Wo-chen vor der Verabschiedung von uns kritisiert wurden,merkt man die Unberechenbarkeit und die fehlendeVerläßlichkeit Ihrer Politik. Dies sind noch dazu Punkte,die schon damals eindeutig EU-rechtswidrig waren. HerrMinister Eichel, zu der Zeit hätten Sie das Schlimmstenoch verhindern können. Statt dessen haben Sie alsschon abgewählter Ministerpräsident noch die Hand zudiesem Murks an Steuerpolitik gereicht.
Das im April dieses Jahres angerichtete Chaos istnoch nicht beseitigt. Fast noch wichtiger als das, wasjetzt korrigiert wird, nämlich im wesentlichen die Ände-rungen bei den Werkvertragsunternehmen im Auslandund bei den ausländischen Schachteldividenen, wäredas, was nicht geändert wird. Es gibt eine ganze Reihevon Notwendigem, was mit dem Steuerentlastungsge-setz von vor einem halben Jahr verabschiedet wurde undinsbesondere die mittelständische Wirtschaft erheblichbeschwert und belastet, was jetzt aus dem Gesetz her-ausgenommen werden müßte. Diese Chance müßte end-lich ergriffen werden.
Es gibt im wesentlichen zwei Kritikpunkte. Zumersten: Sie haben mit diesem Gesetz die Wirtschaft, ins-besondere die mittelständische Wirtschaft, erheblich zu-sätzlich belastet, indem Sie die Bemessungsgrundlageverbreitert, aber die Steuersätze nicht entsprechend ge-senkt haben. Zum zweiten sind eine Fülle von Vor-schriften schlichtweg nicht handhabbar. Wenn schon derSteuerberaterverband, der ja nicht irgendein Verbandist, öffentlich zu einem „passiven Steuererklärungs-streik“ aufruft,
weil die Vorschriften, die in diesem Gesetz enthaltensind, selbst von Fachleuten nicht anwendbar sind, dannist ein in diesem Land noch nie dagewesener Zustand er-reicht: daß die Vollziehung eines Gesetzes bestreiktwerden soll, weil es nicht anwendbar ist. Das muß dochAlarm geben und dazu führen, wenigstens diese Vor-schriften zu ändern.
So sind wir in der Situation, daß Fachleute – auch diepolitische Spitze des Ministeriums – auf öffentlichenVeranstaltungen Änderungen an diesem Gesetz als not-wendig hinstellen, beispielsweise mit Blick auf dieVerlustzuweisungsgesellschaften, auf die Verlustver-rechnung, auch auf den Schuldzinsenabzug. Dies allessind Punkte, die auch von uns kritisiert wurden. Dadurchwerden Erwartungen geweckt. Ich frage mich, warumdas, wenn man dies erkannt hat, jetzt nicht geändertwird. Es ist wie vor einem halben Jahr: Nur weil Siekeinen Mut haben, zuzugeben, daß es falsch war, ver-schieben Sie die Korrekturen, ohne Rücksicht darauf,welche Folgen das für Unternehmer, Steuerberater,Wirtschaftsprüfer und die Steuerpflichtigen hat. So kannman in diesem Land nicht verfahren.
Hinzu kommt, daß dieser Gesetzentwurf eine Füllevon weiteren zusätzlichen Belastungen beinhaltet, diegerade die mittelständischen Unternehmen treffen. Ichnenne nur einige Punkte zur Änderung der Abgabenord-nung: Zum ersten sind aus Betriebsprüfungen erwach-sende Steuernachforderungen künftig über die volleZeit, nicht mehr begrenzt auf vier Jahre, zu verzinsen;zum zweiten wird der Verspätungsvorschlag erheblicherhöht; zum dritten beschränkt sich der Zugriff der Be-triebsprüfung nicht mehr auf EDV-Daten, sondern wirdkünftig bei ganzen EDV-Systemen möglich sein. Siemachen auf der einen Seite eine chaotische Steuerpoli-tik, bei der kein Mensch mehr durchblickt, und auf deranderen Seite erhöhen Sie in unverantwortlichem Aus-maß die Mitwirkungspflicht der Steuerpflichtigen. Diesist weder notwendig noch gerechtfertigt, das ist reineSchikane.
Das Ganze setzt sich fort mit Ihren Versprechungenzur Unternehmensteuerreform. Heute hat man davongesprochen, daß die Unternehmen um 8 Milliarden DMentlastet werden sollten – nachdem sie vorher im Steuer-entlastungsgesetz um zig Milliarden belastet wurden.
– Genau, um 30 Milliarden DM.Ich will noch einmal die Historie der Behandlung die-ses Gesetzentwurfs in Erinnerung rufen: Im Zuge derBeratung des Steuerentlastungsgesetzes im Frühjahr die-ses Jahres haben Sie sich angesichts der hohen Bela-stungen für die Wirtschaft zu der Aussage durchgerun-gen, Sie erarbeiteten demnächst eine Unternehmensteu-erreform, die zum 1. Januar 2000 in Kraft treten solle.
Damals haben Sie gesagt, die Höchstbelastung der Un-ternehmen werde sich inklusive Gewerbesteuer auf35 Prozent belaufen.
In der Zwischenzeit haben Sie von einer Entlastung um8 Milliarden DM, vor einigen Wochen von 15 Milliar-den DM gesprochen. Kein Mensch weiß mehr, was nochgilt.Derzeitiger Stand ist: Bis heute, Ende 1999 – zum1. Januar 2000 sollte das Ganze in Kraft treten –, liegtnoch nicht einmal ein Referentenentwurf vor. Tatsacheist, daß der Zeitpunkt des Inkrafttretens aus heutigerSicht auf das Jahr 2001 hingeschoben wird. Ob das tat-Gerda Hasselfeldt
Metadaten/Kopzeile:
6320 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
sächlich so geschieht und ob überhaupt etwas kommt,weiß kein Mensch. Tatsache ist ferner, daß man von derHöchstbelastung von 35 Prozent inklusive Gewerbe-steuer abgegangen ist. Und Tatsache ist auch, daß dasganze Konzept noch völlig konfus ist, daß man nichtweiß, wie zum Beispiel die Personengesellschaften be-handelt werden sollen.
So verantwortungslos, so chaotisch darf man in derSteuerpolitik nicht sein.
Gerade in der Steuerpolitik ist es notwendig, daß dieBedingungen verläßlich sind, damit sich Unternehmenund Steuerpflichtige mit ihren Investitionsentscheidun-gen darauf einstellen können. Sie können nicht biszum Sankt-Nimmerleins-Tag warten, bis irgend etwaskommt.
Ganz abgesehen davon, daß das alles leere Verspre-chungen sind, haben sich die Grünen davon mittlerweileauch öffentlich distanziert. Aber wenn es darauf an-kommt, werden sie – wie das schon in der Vergangen-heit der Fall war – dem Schwachsinn doch zustimmen.Das haben wir alles schon erlebt.
Abgesehen von all diesen leeren Versprechungen istauch das Konzept falsch. Wenn jetzt schon zu einemZeitpunkt, in dem wir noch gar nicht voll in der Bera-tung, sondern erst im Vorfeld des Entwurfs sind, dieFachleute, also die Verfassungsrechtler, die Wirtschafts-professoren, sagen, dies kann nicht funktionieren, daswird auch verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen,
dann müßte man doch schon in diesem Stadium sehen,daß dies eine Mißgeburt wird. Eine Operation an einerMißgeburt macht die Mißgeburt nicht besser, sonderndann muß man von Grund auf etwas Neues erarbeiten.
Deshalb führt gar kein Weg daran vorbei, daß Sie einschlüssiges Steuerkonzept vorlegen, eine Steuerreformmit einer Nettoentlastung. Die Steuerschätzung hatdeutlich gemacht, daß das Volumen dafür vorhanden ist.Diese Steuerreform muß niedrige Steuersätze haben, undzwar für den gesamten Tarif: unten und oben, für Ar-beitnehmer und Arbeitgeber, für Körperschaften undPersonenunternehmen.Sie müssen eine Steuerreform machen, die wirklichverständlich ist, nicht kompliziert, sondern anwendbar.Dann laufen Ihnen vielleicht auch die Wähler nicht mehrdavon. Daß Ihnen die Wähler davonlaufen, wie das inder Vergangenheit war, ist Ihr Problem, nicht unseres.Aber das Problem, das uns alle gemeinsam betrifft, istdie Situation und die weitere wirtschaftliche Entwick-lung unseres Landes. Um diese positiv zu gestalten, istein Kurswechsel Ihrer Politik notwendig.
Ich erteile dem Kol-
legen Joachim Poß das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Kollegin Hasselfeldt, ich
stelle fest, daß Sie ein gebrochenes Verhältnis zur
Wahrheit und zu Tatsachen haben.
Der Kollege Wagner hat in seiner Rede wahrheitsge-
mäß festgestellt, daß der NRW-Landesvorsitzende der
CDU, Rüttgers, gestern hier im Parlament gelogen hat,
als er sagte, daß 250 Millionen DM Kohlehilfen gestri-
chen würden. Das ist, wie Kollege Wagner zu Recht
feststellte, eine glatte Lüge.
Sie haben vorhin in Ihrem Beitrag – das werden wir
im Protokoll feststellen, das lasse ich Ihnen nicht durch-
gehen – den Eindruck erweckt, als ob der nordrhein-
westfälische Ministerpräsident Clement diese wahr-
heitswidrige Behauptung von Herrn Rüttgers stützt. Das
tut er nicht. Herr Clement hat sich zwar kritisch zu dem
Ökosteuergesetz, insbesondere zu der GuD-Regelung,
geäußert.
Aber er hat mit keinem Wort die wahrheitswidrige Be-
hauptung von Herrn Rüttgers, daß 250 Millionen DM
Kohlehilfen gestrichen würden – sei es öffentlich, sei es
intern –, gestützt. Das aber haben Sie vorhin hier fest-
gestellt. Ich fordere Sie ausdrücklich auf, diese wahr-
heitswidrige Behauptung zurückzunehmen, Frau Kolle-
gin Hasselfeldt.
Kollegin Hasselfeldt,
Sie haben die Gelegenheit zur Antwort.
Herr Kollege Poß,ich habe mich auf die grundsätzliche Bemerkung desKollegen Wagner zu der gestrigen Einlassung des Kol-legen Rüttgers bezogen. Ich bin nicht Mitglied desHaushaltsausschusses, aber nach meinen Informationenist die Äußerung in bezug auf die 250 Millionen DMKohlehilfen, die Kollege Rüttgers gestern gemacht hat,richtig. Das wird von den Kollegen des Haushaltsaus-schusses bestätigt.
Ich persönlich habe in meiner Einlassung nicht von den250 Millionen DM gesprochen, sondern habe mich aufdie grundsätzliche Kritik des Herrn Wagner an HerrnRüttgers bezogen.Gerda Hasselfeldt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6321
(C)
(D)
Ich bleibe dabei, daß Sie in Ihren eigenen Reihen inbezug auf die Ökosteuer Klarheit schaffen sollten. Wennsich ein Ministerpräsident Ihrer eigenen Partei, der Mi-nisterpräsident des großen Landes Nordrhein-Westfalen,gegen ein Gesetz stellt, das Sie hier trotz des eindeutigentgegenstehenden Sachverstandes beschlossen haben,dann ist das notwendig. Das ist der Punkt, den ich kriti-siert habe; dabei bleibe ich.
Ich erteile nun demKollegen Klaus Müller, Bündnis 90/Die Grünen, dasWort.Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Am heutigen Tage macht die rot-grüne Koalition mit einer Kombination aus Haushaltssa-nierungsgesetz und Familienförderungsgesetz mit demThema Generationengerechtigkeit Ernst.
Wir machen in doppelter Hinsicht Ernst. Wir sorgen da-für, daß der nächsten Generation nicht weiterhin dieSchulden hinterlassen werden, die Ihre alte Regierungaufgetürmt hat. Dies ist das eine, was wir tun.
Dadurch, daß wir die Debatte über das Familienförde-rungsgesetz mit der Debatte über das Haushaltssanie-rungsgesetz verknüpfen, machen wir auch deutlich, daßwir nicht nur an die nächste Generation, sondern auch andie Generation, die zur Zeit aufwächst, und an die Gene-ration, die Kinder großzieht, denken. Dies wird darandeutlich, daß wir durch das Familienförderungsgesetzzusätzliche Mittel ausschütten, während wir in allen an-deren Ressorts – mit Ausnahme des Bildungsbereichs;dies hat ebenfalls etwas mit Generationengerechtigkeitzu tun – sparen, und zwar zu Recht, auch wenn esschwerfällt. Aber im Bereich der Familienförderung legtRotgrün drauf. Verehrte Kollegin Höll, Sie kommennicht darum herum, anzuerkennen, daß Rotgrün für dieFamilien wesentlich mehr tut, als vom Gesetzgeber vor-geschrieben wird.
Damit es überhaupt keine Spekulationen um dieZahlen gibt, möchte ich darauf hinweisen: Rotgrün hatin den ersten 15 Monaten der Regierungszeit das Volu-men des Kindergeldes von 50 Milliarden DM auf 60Milliarden DM erhöht. Dies ist eine deutliche Steige-rung, die richtig und notwendig ist.Des weiteren haben wir mit dem vorliegenden Fami-lienförderungsgesetz eine sehr konsequente Familien-politik betrieben. Ich möchte bei dieser Gelegenheitausdrücklich darauf hinweisen – nicht weil irgend je-mand einen Antrag im Finanzausschuß gestellt hat;vielmehr ist es zwischen Rotgrün vereinbart worden –,daß wir nach Maßgabe des Urteils aus Karlsruhe, daßdie Familien über das sächliche Existenzminimumhinaus gefördert werden müssen, Familien berücksich-tigt haben, die von Sozialhilfe leben.Ich möchte an dieser Stelle an die Kollegen Fug-mann-Heesing und Gerster, die sich in der Öffentlichkeitkritisch zum Familienförderungsgesetz geäußert haben,die eindringliche Bitte richten, sich im Bundesrat zurUnterstützung des Gesetzes durchzuringen und zu derEinsicht zu gelangen: Durch das Familienförderungsge-setz werden alle Kinder berücksichtigt. Es kann nichtAufgabe von Rotgrün sein, zwischen Kindern von Sozi-alhilfeempfängern und von Erwerbstätigen zu differen-zieren. Alle Familien mit Kindern sollen von einer Er-höhung des Kindergeldes bzw. durch eine Berücksichti-gung im Rahmen der Sozialhilfe profitieren. Dies ist einSignal für mehr soziale Gerechtigkeit.
Zu all den Einwänden, die es in der platten öffentli-chen Debatte zum Stichwort Lohnabstandsgebot gibt,möchte ich deutlich sagen: Dieses Gebot ändert sichnicht durch das vorliegende Gesetz, ganz im Gegenteil:Rotgrün hat durch das Steuerentlastungsgesetz sukzessi-ve mehr Anreize für die Menschen geschaffen, die inArbeit stehen. Es ist richtig, wenn es jetzt im Familien-förderungsgesetz einen Ausgleich für Sozialhilfeemp-fänger gibt.Die Opposition in der heutigen Debatte relativ wenig– wenn Sie etwas gesagt haben, war es verschämt – zurFamilienförderung gesagt. Dafür gibt es einen gutenGrund; denn durch das Familienförderungsgesetz wer-den die Familien jedes Jahr um 5,5 Milliarden DM ent-lastet. Im nächsten Jahr sind es sogar 900 Millionen DMmehr. Das sind genau die 900 Millionen DM, die Sieden Familien vorenthalten haben und mit denen Sie dieFamilien zuviel belastet haben. Für diese Politik solltenSie sich schämen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einen Ausblick aufdas Jahr 2002 geben. Die Familienpolitik von Rotgrünwird auch zu diesem Zeitpunkt nicht zu Ende sein, weilwir noch in dieser Legislaturperiode eine zweite Stufedes Familienförderungsgesetzes beschließen werden. Indiesem Zusammenhang sind mir drei Punkte besonderswichtig, um die wir uns bei der Vorbereitung des näch-sten Gesetzes kümmern sollten, damit den Menschenklar wird, worin der Unterschied zwischen einem rot-grünen Familienförderungsgesetz und einem Familien-förderungsgesetzgesetz anderer Parteien besteht, undwarum es richtig ist, Rotgrün auch bei den kommendenWahlen zu unterstützen.Das erste: Wir verfolgen weiterhin das Ziel, jede Fa-milie mit Kindern gleichermaßen steuerlich zu entlasten.Dies ist im Rahmen des bestehenden Systems durchGerda Hasselfeldt
Metadaten/Kopzeile:
6322 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
weitere Erhöhungen des Kindergeldes möglich. Wirwerden in ernste Verhandlungen mit den Haushälternund mit dem Finanzminister eintreten müssen, um diesesZiel auch mit der zweiten Stufe zu erreichen.Wenn Sie mit den Menschen auf der Straße reden,dann werden Sie feststellen, daß niemand nachvollzie-hen kann, warum auf Grund der Steuerprogression Men-schen, die ein höheres Einkommen haben, stärker entla-stet werden müssen. Darum halten wir an dem Ziel einesKindergrundfreibetrages fest, der alle Kinder glei-chermaßen entlastet, unabhängig davon, ob die ElternMillionäre sind oder arbeiten bzw. einer sonstigen Be-schäftigung nachgehen.
Das zweite: Wir verfolgen ein modernes Partner-schaftsbild. Wir hängen nicht der Vorstellung an, daßalle Menschen nur in der Ehe glücklich sein und gut fürKinder sorgen können. Natürlich kann man auch in derEhe glücklich sein, aber eben auch in anderen Formendes Zusammenlebens. Daher halten wir es für notwen-dig, über die Individualbesteuerung nachzudenken, an-statt das Ehegattensplitting, wie es die PDS vorschlägt,hoppla hopp abzuschaffen. Das wäre eine unseriöse Po-litik, die die Menschen verunsichert. Richtig ist aber, dasEhegattensplitting zu reformieren und in ein Realsplit-ting umzuwandeln. Auch daran halten wir von grünerSeite fest.Das dritte: Alleinerziehende, denen das Urteil vonKarlsruhe wahrlich nichts Positives beschert hat, werdenwir weiterhin im Blick behalten. Eine Schlechterstellungwollen wir auch in der zweiten Stufe vermeiden.An dieser Stelle möchte ich auf eine Frage der Kolle-gin Ina Lenke zurückkommen, die sie in der ersten De-batte über das Familienförderungsgesetz gestellt hatte.Damals wollte sie wissen, ob es nicht ein Widerspruchsei, auf der einen Seite die Familien mit der Ökosteuerzu belasten und auf der anderen Seite die Familien entla-sten zu wollen. Frau Lenke, ich habe das einmal nachge-rechnet.
Kollege Müller, Frau
Lenke möchte Ihnen gerade eine Zwischenfrage stellen.
Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ich möchte den begonnenen Gedanken kurz
zu Ende führen. Wenn Sie noch eine Minute warten, las-
se ich Ihre Zwischenfrage gerne zu.
Ich nehme eine vierköpfige Familie mit einem Brut-
toeinkommen von 70 000 DM. Nach den beiden ersten
Stufen der Ökosteuer – nicht nur nach der ersten, son-
dern bereits ab nächstem Jahr – hat diese Familie unter
Berücksichtigung der Absenkung der Lohnnebenkosten
eine Nettobelastung von 78 DM im Jahr. Das sind pro
Monat und Kopf 1,63 DM, also zwei Kugeln Eis oder
zwei Schokoriegel, weniger. Allein durch unser Famili-
enförderungsgesetz steht dem bei dieser Familie eine
Entlastung von 1 200 DM pro Jahr gegenüber. Das sind
pro Monat pro Kopf 25 DM. Dafür müssen wir uns nicht
schämen. Im Gegenteil, wir können sagen, Rotgrün ent-
lastet netto die Familien.
Nun ist Gelegenheit
zu einer Zwischenfrage.
Was Ihre Berechnung angeht,Herr Müller, würde ich sagen: „Alles Müller, oder was“.
Die Berechnung, die Sie angestellt haben, stimmt hintenund vorne nicht.Ich frage Sie, Herr Müller, warum Sie sagen, daß dieAlleinerziehenden bei Ihrem rotgrünen Familienförde-rungsgesetz gut weggekommen seien. Sie wissen, daß esder Betreuungsbetrag nach § 33c Einkommensteuerge-setz möglich machte, mit Nachweis 4 000 DM bei derEinkommen- oder Lohnsteuer abzusetzen, während Siejetzt bei 3 024 DM gelandet sind. Könnten Sie mir erklä-ren, wie Sie das als Positivum für die Alleinerziehendenhinstellen können?Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Liebe Kollegin, vielen Dank für Ihre Frage.Leider haben Sie in Ihrer Frage eine Situation geschil-dert, die so nicht stimmt. Erstens ist richtig, daß zwar inder Vergangenheit für das erste Kind die Möglichkeitbestand, 4 000 DM abzuziehen. Für das zweite und allefolgenden Kinder waren es aber nur 2 000 DM. Zwei-tens müssen Sie ehrlicherweise hinzufügen, daß es in derVergangenheit einen Eigenvorbehalt gab.
– Danke, Frau Kollegin, dazu wollte ich gerade kom-men: Drittens war es nur mit Nachweis möglich.
Rotgrün dagegen wird im Familienförderungsgesetzfür alle Kinder gleichermaßen 3 024 DM einführen. Dasheißt, bei einem Kind beträgt die Entlastung 3 024 DM,bei zwei Kindern sind es schon 6 048 DM und bei dreiKindern weit über 9 000 DM. Gerade kinderreiche Fa-milien werden durch unsere Politik bessergestellt. Au-ßerdem ist das ein Pauschalbetrag. Das heißt, jeder kannsich das anrechnen lassen, ohne den Betrag nachweisenzu müssen. Das hat etwas damit zu tun, daß wir nichtmehr zwischen Fremdbetreuung und Eigenbetreuungdifferenzieren. Das ist an dieser Stelle ein Fortschritt.Insofern glaube ich, daß Sie sich bei Ihren Kollegen, dieim Finanzausschuß sind, erkundigen sollten. Die werdenes Ihnen genau darlegen.Klaus Wolfgang Müller
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6323
(C)
(D)
Herr Kollege Müller,
gestatten Sie noch eine Nachfrage der Kollegin Lenke?
Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ich gestatte gerne eine zweite Frage.
Herr Müller, ich kann selber
rechnen und brauche keinen Nachhilfeunterricht von
Kollegen aus dem Finanzausschuß.
Herr Müller, stimmen Sie meiner Aussage zu, daß für
das erste Kind 4 000 DM Kinderbetreuungskosten im
Jahr mit Nachweis mehr als 3 024 DM ohne Nachweis
sind?
Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Lenke, dies ist zweifelsohne richtig.
Aber ich habe Ihnen eben erklärt, daß es nichts mit der
Realität zu tun hat, wenn Sie zwei Zahlen isoliert mit-
einander vergleichen. Ich glaube zwar, daß die liberale
Welt Ihrer Partei sehr einfach gestrickt ist;
das hat etwas mit Gut und Böse und schwarz und weiß
zu tun. Die Wirklichkeit ist aber etwas komplizierter.
Wenn Sie nicht die Rahmenbedingungen – etwa den
Eigenanteil oder die Frage von zwei und mehr Kindern –
berücksichtigen, dann greift Ihr Bild zu kurz.
Trotzdem möchte ich den Kern Ihrer Frage beant-
worten: Wir haben dieses geprüft. Es gibt eine Son-
derauswertung der Lohn- und Einkommensteuerstatistik
– Ihre Kollegen können sie Ihnen nachreichen –, auf
Grund derer man die Fragen stellen kann: Worüber re-
den wir eigentlich? Wen betrifft das denn real? Bei
95 Prozent aller alleinerziehenden Familien, von denen
wir reden, können wir dieses definitiv ausschließen.
Leider ist die Statistik nicht differenziert genug, um zu
unterscheiden, ob es sich um Ein- oder Zwei-Kind-
Familien bei Alleinerziehenden handelt. Insofern kann
man diese Aussage nicht für den letzten Rest treffen.
Aber das Entscheidende ist, daß uns das Urteil aus
Karlsruhe aufgegeben hat – das können wir leider nicht
ändern –, Alleinerziehende und Eltern gleich zu behan-
deln. Darum sage ich Ihnen deutlich – ich hoffe dabei
auf die Unterstützung der F.D.P. –, daß wir dann zu ei-
ner Gleichbehandlung
– Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen will – von
Menschen mit Trauschein und Menschen ohne Trau-
schein kommen. Dazu gehört ein gleich hoher Freibetrag
für beide Seiten; dazu gehört aber auch, darüber zu re-
den, wie wir das Ehegattensplitting in einen direkten
Zuschuß für das Zusammenleben mit Kindern umwan-
deln können, und dazu gehört ein deutlich höheres Kin-
dergeld. Dann haben wir tatsächlich alle Kinder gleich-
gestellt und bessergestellt. Das ist eine richtige Politik;
Rotgrün macht sie.
Ich möchte den letzten Rest meiner Redezeit noch
kurz für das Steuerbereinigungsgesetz nutzen. Frau Has-
selfeldt, Sie haben eben die Lebensversicherungen an-
gesprochen. Ihre Politik war es, in gültige Verträge ein-
zugreifen; das war unsozial. Ihre Politik war es, auch
gegen diese Steuersubventionen vorzugehen. Das haben
Sie vergessen; das ist Folge Ihres Kurzzeitgedächtnisses.
Darum sage ich Ihnen: Wenn Sie das im Bundesrat
blockieren – das können Sie gerne tun –, sehen wir uns
nächstes Jahr wieder. Wir werden dann darüber reden,
wie wir die private Altersvorsorge systematisch stärken,
indem wir zu einem Wechsel der Besteuerung und zu
einer nachgelagerten Besteuerung kommen. Ich bin ge-
spannt, ob Sie auch dann noch zu Ihren starken Worten
stehen werden.
Insgesamt gesehen muß man sagen: Sie haben viele
Anträge gestellt, um Steuerschlupflöcher wieder zu öff-
nen. Das ist Ihre Politik. Sie halten schöne Reden, wo-
nach Sie Steuersätze senken und die Bemessungsgrund-
lage verbreitern wollen. In Wahrheit drücken Sie sich
davor. Das ist feige und unredlich. Das ist nicht die Po-
litik von Rotgrün.
Vielen Dank.
Ich erteile nun dasWort dem Bundesminister Walter Riester.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und Sozi-alordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damenund Herren! 1 500 Milliarden DM Schulden: Sie weisenzum Teil zu Recht darauf hin, daß das auch mit denZwängen des deutschen Einigungsprozesses zu tun hat.Deswegen will ich auch nicht mit den Schuldnern überden Grad der politischen Schuld richten. Ich denke, dieBevölkerung weiß sehr genau,
daß Sparen erforderlich ist. Die Bevölkerung will aberauch wissen, wofür gespart wird. Deswegen möchte ichmich in meinem Beitrag mit der Frage auseinanderset-zen: Wofür wird gespart? Was wird korrigiert?Wir haben als erste Maßnahme korrigiert, daß in derRentenversicherung die Beitragszahler mit versiche-rungsfremden Leistungen belastet werden. Wir haben
Metadaten/Kopzeile:
6324 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
in diesem Jahr die Rentenversicherung um 16,8 Milli-arden DM entlastet und werden sie im nächsten Jahr um25 Milliarden entlasten. Wir haben das beseitigt, wasin der öffentlichen Diskussion zu Recht kritisiert wurde,nämlich daß die Politik die Sozialversicherungen bela-stet.
Zweiter Punkt. Sie haben in den letzten fünf Jahrenzugelassen, daß die Rücklagen der Rentenversiche-rung um 20,8 Milliarden zurückgegangen sind. Im letz-ten Jahr waren gerade noch für 21 Tage Rücklagen inder Rentenversicherung vorhanden.
Das haben wir geändert. Ab diesem Jahr gilt wieder dasvom Gesetz vorgeschriebene Minimum von einer Mo-natsrücklage. Wir haben die Rücklage um 8,7 Milliardenweiter aufgestockt, und wir werden am Ende des Jahreseine um 100 Millionen DM höhere Rücklage haben, alssie das Gesetz erfordert.
Dritter Punkt. Sie haben – das geschah völlig im Sy-stem – vier Jahre hintereinander die Renten unterhalbder Preissteigerungsrate angehoben. Ich werfe Ihnennicht vor, daß das gegen das System war. Nur, denRentner interessiert das System erst in zweiter Linie.
Den Rentner interessiert in erster Linie die Höhe derRentensteigerung. Das hat etwas mit Planbarkeit zu tun.Wir werden in den nächsten beiden Jahren die Rentenim Rahmen der Preissteigerungsrate des jeweiligenVorjahres anheben. Das bedeutet, daß die Renten zwargeringer als die Löhne und die Gehälter steigen werden;aber wir werden die Kaufkraft sichern. In den letztenvier Jahren Ihrer Regierungszeit ist die Kaufkraft desDurchschnittsrentners um 3,4 Prozent – in D-Mark: um41 DM – gesunken.
Die Menschen wollen wissen, wofür gespart wird.Wir werden damit eine Entlastung der Rentenversiche-rung in einem Volumen von rund 60 Prozent des vonIhnen bis zum Jahr 2030 angesetzten Demographiefak-tors sicherstellen.
Wir haben die Beiträge zur Rentenversicherung ge-senkt, und wir werden sie in sechs Wochen erneut sen-ken. Die Absenkung um 1 Prozent bedeutet eine Entla-stung von 18 Milliarden DM.
Davon gehen 7,5 Milliarden DM an die Betriebe und7,5 Milliarden DM an die Beitragszahler.
– Sie brauchen nicht dazwischenzuschreien, Herr Nie-bel. – Um es etwas einfacher auszudrücken: Der durch-schnittliche Beitragszahler – Sie sind keiner, weil Siekeine Mark einzahlen
– wird im nächsten Jahr durch die Absenkung der Bei-tragssätze um netto 272 DM entlastet. Diese Absenkungwerden wir fortsetzen.Ich komme zum Beitrag von Herrn Austermann.Zwar sehe ich ihn gar nicht mehr; aber ich gehe davonaus, daß ihm mitgeteilt wird, was ich jetzt sage.
Sein Ansatz rechnet sich nicht. Bis zum Jahr 2002 wer-den wir die Rentenversicherungsbeiträge auf 18,9 Pro-zent senken. Würden Sie noch regieren, läge der Ren-tenversicherungsbeitrag im Jahr 2002 bei 21,5 Prozent.Durch unsere Politik werden die Beitragszahler zurRentenversicherung und der Bund um über 45 Milliar-den DM – das ist die Differenz – entlastet. Sie haben zuRecht die zusätzlichen Belastungen durch die Ökosteuerangeführt. In der Parallelrechnung – zusätzliche Be-lastung durch die Ökosteuer und Entlastung durch dieSenkung der Rentenversicherungsbeiträge – zeigt sich,daß wir unterm Strich eine höhere Entlastung schaffen.Der Bürger möchte wissen, wofür gespart wird. Wirsparen auch für eine aktive Arbeitsmarktpolitik.
Ein paar Hinweise: Wir haben für ein Jugendsofortpro-gramm gespart, von dem wir nach konservativer Schät-zung annahmen, daß es 100 000 neue Chancen für jungeMenschen schaffe.
Bis zum Ende des letzten Monats haben sich 199 000junge Menschen an dem Programm beteiligt. Das sind199 000 neue Chancen für Ausbildung und Arbeit.
Wären diese 199 000 neuen Chancen für junge Men-schen das einzige, dann würde ich mich mit Freude hierhinstellen und sagen: Das ist eine gute Bilanz.
Der Bürger will wissen, wofür investiert wird. Mitt-lerweile ist Herr Austermann wieder da. Gestern habeich ihm auf Nachfrage geantwortet, wie es mit denBundesminister Walter Riester
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6325
(C)
(D)
Langzeitarbeitslosen ist. Wir haben die Anzahl derLangzeitarbeitslosen innerhalb von einem Jahr um über50 000 abgesenkt. Das hat Herrn Austermann aber nichtdaran gehindert, sich hier hinzustellen und vor laufendenKameras zu sagen, die Anzahl der Langzeitarbeitslosensei höher. Herr Austermann, was soll ich dazu sagen?
Entweder Sie hören nicht zu, oder Sie sagen ganz be-wußt dem deutschen Volk und dem Parlament die Un-wahrheit. Sie können es sich aussuchen.
Der Bürger möchte wissen, wofür gespart wird. Wirsparen, damit künftige Generationen, die einen An-spruch darauf haben, daß Politik für sie gemachtwird, eine Perspektive haben. Ich sage Ihnen als Arbeits-und Sozialminister: Ich gehe gern den Weg mit HansEichel und mit dieser Regierung, weil wir wissen, wofürwir Opfer verlangen, nämlich für die Zukunft der Men-schen draußen im Lande. Diese Politik wird sich durch-setzen.
Das Wort hat nun
Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr ge-ehrte Damen und Herren! Mit der endlich in Angriff ge-nommenen Haushaltssanierung und dem Familienförde-rungsgesetz nehmen die Regierung und die sie tragendenFraktionen eine doppelte Verantwortung wahr, so daßwir dieses Paket zu Recht als Zukunftsprogramm be-zeichnen können.
Diese doppelte Verantwortung wird zum einen darindeutlich, daß wir auf die nachfolgenden GenerationenRücksicht nehmen, indem wir endlich die Staatsfinanzenin Ordnung bringen, so daß sie beispielsweise auch inZukunft noch gute Schulen besuchen können und Chan-cen auf Ausbildungsplätze in neuen Technologien ha-ben, und zum anderen darin, daß wir die Familien durchein ganz konkretes Familienförderungsgesetz, das wirheute verabschieden werden, fördern.Bereits mit dem Steuerentlastungsgesetz haben wir,ohne daß Vorgaben vom Bundesverfassungsgericht ge-macht wurden – Sie haben doch immer gewartet, bis dasBundesverfassungsgericht Vorgaben gemacht hatte; erstdann haben Sie gehandelt –, das Kindergeld zum 1. Ja-nuar 1999 um 30 DM erhöht.
Noch eines möchte ich deutlich machen, damit dasein für allemal klar ist: Frau Höll sprach davon, daß es janur um geringe Geldbeträge ginge. Eine Erhöhung desKindergeldes um 10 DM bedeutet aber,
daß wir in den Familien 1,9 Milliarden DM geben. Ichsage es noch einmal: Durch die Erhöhung des Kinder-geldes um 10 DM werden den Menschen 1,9 MilliardenDM zurückgegeben.
Von Verantwortung zeugt es auch, auf der einen Seitedurch die Sanierung der Staatsfinanzen für Ausgabenbe-grenzungen zu sorgen und auf der anderen Seite dafür zusorgen, daß auch diejenigen, die viel Geld verdienen –das ist ja völlig in Ordnung so –, zur Finanzierung derGesellschaft entsprechend beitragen.
Auch das haben wir mit dem Steuerentlastungsgesetz er-reicht. Wir haben nämlich sehr viele Steuerschlupflö-cher geschlossen.Bei den Beratungen im Finanzausschuß wurde nochetwas anderes sehr deutlich: Wir wußten ja immer, daßMinister Waigel der Herr der Löcher war. Daß Sie sichjetzt aber, wie es während der Beratungen des Finanz-ausschusses geschah, zu den Herren der Steuerschlupf-löcher machen, das war äußerst witzig und interessant zubeobachten.
Verantwortliches Handeln heißt auch, daß wir uns imKleinen um die Entlastung der Familien kümmern. Fürunverantwortlich halte ich es zum Beispiel, daß Sie sichwährend der ganzen letzten Jahre konsequent geweigerthaben, unseren Anträgen zuzustimmen, erwachsenenbehinderten Kindern ein Teilkindergeld zuzugestehen.Unverantwortlich von Ihnen war es, daß Sie sich gewei-gert haben, zum Beispiel jungen Menschen, die in Euro-pa ihren freiwilligen Dienst geleistet haben, Kindergeldzuzugestehen. Erst wir haben das umgesetzt.
Ich bin ganz sicher: Wären Sie noch an der Regierung,hätten Sie weiterhin so unverantwortlich gehandelt. Wirhaben das geändert. Es ist ja kein Zufall, daß durch denRegierungswechsel in diesen Bereichen ganz plötzlichVeränderungen möglich wurden.Wir werden uns große Mühe geben – und das ent-sprechend vorbereiten –, auch die zweite Stufe des Fa-milienentlastungsgesetzes ordentlich zu machen. Auchsie soll Ausdruck verantwortlichen Handelns sein. Wirkümmern uns um Steuergerechtigkeit und um Familien-entlastung. Wir sehen mit Vergnügen, daß die CDU/Bundesminister Walter Riester
Metadaten/Kopzeile:
6326 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
CSU und die F.D.P. hier zwar Anträge einbringen, dieviel Geld kosten, sich aber immer noch nicht über dieLinie ihrer Familienpolitik im klaren sind. Sie streitenimmer noch über den Weg, den sie im Bereich derFamilienpolitik gehen wollen.
Ich kann nur an Sie appellieren: Sie sollten sich heutenicht so schwer dabei tun, richtige Schritte, die wir un-ternehmen, anzuerkennen. Sie sollten sich nicht soschwer dabei tun, dem zuzustimmen, nur weil Sie esnicht geschafft haben, Haushaltssanierung und Steuer-entlastung miteinander zu verbinden. Überlegen Siesich, ob Sie nicht doch zustimmen können, ob Sie dieVerantwortung für die Familien und für die zukünftigenGenerationen nicht ein Stück mittragen wollen statt nurdestruktive Oppositionsarbeit zu betreiben.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hermann Kues, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst
einmal mit der Mär aufräumen, Sie hätten etwas Durch-
greifendes für die Familien getan. Das stimmt einfach
nicht.
Das stimmt einfach deswegen nicht, weil Sie nur das
Minimum dessen, was das Bundesverfassungsgericht
verlangt, nachvollziehen. Deswegen ist das, was Sie
vorlegen, mutlos, unehrlich und verantwortungslos.
Kollege Kues, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?
Ich gestatte eine
Zwischenfrage.
Herr Kollege, haben Sie
etwa vergessen, daß bei der Diskussion um das Steuer-
entlastungsgesetz 1999 sowohl Kollegen aus Ihrer Frak-
tion wie auch Kollegen aus der Fraktion der F.D.P. un-
sere Kindergelderhöhung um 30 DM als unnötiges
Weihnachtsgeschenk bezeichnet haben?
Haben Sie das wirklich vergessen? Die Tatsache, daß
Sie unsere weitere Kindergelderhöhung als zu gering
kritisieren, steht in keinem logischen Verhältnis zu Ih-
rem Verhalten beim Steuerentlastungsgesetz 1999.
Frau Kollegin, ich
will Ihnen einmal sagen, was die Familienverbände, mit
denen Sie häufig argumentieren, dazu gesagt haben. Sie
haben gesagt, das, was SPD und Grüne vorlegen, sei ei-
ne Billiglösung. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich will Ihnen einmal zwei Zahlen nennen, damit
deutlich wird, wer wirklich etwas gemacht hat. Alles,
was Sie jetzt für die Familien zusätzlich tun, hat ein
Volumen von 1, 2 Milliarden DM. Jetzt sollten wir ein-
mal auf unsere Regierungszeit zurückblicken. Von 1982
bis 1998 sind die Ausgaben für Familien von
27 Milliarden DM auf 80 Milliarden DM erhöht worden.
Das ist eine wirkliche Kraftanstrengung gewesen.
Kollege Kues, ge-
statten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin von
Renesse?
Nein, ich möchtejetzt zu Ende reden.Ich glaube, das Problem ist, daß Sie, wie in derSozial- und Rentenpolitik, auch in der Familienpolitikvöllig konzeptionslos sind. Ich will Ihnen das auch bele-gen. Wenn Sie wirkliches Interesse an den Familien undan denen, die die Elternverantwortung wahrnehmen,hätten, dann hätten Sie in den Ländern, in denen Sieteilweise seit Jahren Verantwortung tragen, ein Landes-erziehungsgeld einführen können. Wo haben wir dasLandeserziehungsgeld? Nur in unionsgeführten Ländern,weil uns die Familien wichtig gewesen sind.
Ich persönlich halte es auch für falsch – das will ichganz offen sagen –, daß Sie das Kindergeld nicht auf dieSozialhilfe anrechnen wollen. Das ist eine schöne Bot-schaft und hört sich gut an. Aber es geht zu Lasten derArbeitnehmerfamilien. Es geht zu Lasten des durch-schnittlichen Arbeitnehmers mit zwei, drei Kindern, derfür seine Familie arbeiten gehen muß. Er hat das Gefühl,er wird hier erneut benachteiligt. Deswegen ist das ord-nungspolitisch falsch, auch wenn es sich gut anhört.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur Sozialpo-litik allgemein machen. Ich habe das Gefühl: Ihr Pro-blem ist, daß Sie überhaupt kein Leitbild haben und daßSie sich überhaupt nicht darüber im klaren sind, wievielder einzelne an Verantwortung und wieviel die Gesell-schaft an Verantwortung tragen soll. Diese Haltungschlägt sich in einem treffenden Kommentar vom11. November der „Frankfurter Rundschau“ nieder, dieNicolette Kressl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6327
(C)
(D)
relativ unverdächtig ist, uns nahezustehen. Unter derÜberschrift „Superschlau“ steht:Was will Walter Riester? Selbst wohl gesonnenenBeobachtern fällt es schwer, auf diese Frage eineklare Antwort zu geben.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich habe zeitweise selbst schon geglaubt, bei unseremVorwurf „Rente nach Kassenlage“ sei sozusagen diePropaganda mit uns etwas durchgegangen. Aber ange-sichts der Tatsache, daß Sie die massiven und willkürli-chen Eingriffe ins Rentenrecht unter dem StichwortHaushaltssanierungsgesetz durchführen, wird ganz klar,was Sie wollen: Sie wollen den Menschen Renten sozahlen, wie es die Kassenlage gerade hergibt. Sie versu-chen, dies zu verschleiern. Das ist das Schäbige an IhrerArgumentation.
Vor kurzem ist ein Strategiepapier aus dem Arbeits-ministerium bzw. aus dem Kanzleramt sozusagen her-ausgerutscht. Man hätte nun denken können, diezugrunde liegende Frage hätte gelautet: Wie bewältigenwir das Rentenproblem? Die entsprechende Frage lau-tete aber: Wie mogeln wir uns angesichts des Rentenbe-truges an den Landtagswahlen in Schleswig-Holsteinund Nordrhein-Westfalen vorbei? – Sie interessierensich nicht für die Sache, sondern nur für Taktik undStrategie. Das ist das Verheerende.
Wenn ich die Rentenpolitik einmal mit der Gesund-heitspolitik vergleiche, dann stelle ich übrigens eine be-merkenswerte Widersprüchlichkeit fest. In der Gesund-heitspolitik versprechen Sie mehr oder weniger eineRundumversorgung. Sie sagen, im Prinzip sei mit weni-ger Mitteln alles finanzierbar. In der Rentenpolitik ge-hen Sie den umgekehrten Weg. Ihre Maßnahmen laufenletztendlich auf eine Basissicherung hinaus, die lei-stungsfeindlich ist und die den Beitragszahlern nicht ge-recht wird.
Noch eine Bemerkung zu den Langzeitarbeitslosen.Auch in diesem Bereich versuchen Sie, sich mit IhrerLeistung zu schmücken. Wenn Sie sich aber ansehen,daß Sie für Langzeitarbeitslose die Beiträge, die in dieRentenversicherung gezahlt werden, um insgesamt im-merhin 3,5 Milliarden DM absenken, dann wird deut-lich, daß Sie den Langzeitarbeitslosen nicht nur nichthelfen, sondern auch ihre Altersansprüche absenken.Das ist gegenüber diesen Menschen unanständig.
Das Stichwort soziale Gerechtigkeit ist heute schonhäufig gefallen. Langzeitarbeitslose sind nicht zuletztMenschen, die krank sind, die zu den Modernisierungs-verlierern zählen, weil sie die Ansprüche der heutigenZeit nicht mehr erfüllen können und die ein gewissesAlter haben. Ihre Maßnahmen gehen zu Lasten dieserMenschen. Deshalb sage ich: Ihre Sparpolitik ist nichtnur konzeptionslos, sondern wirklich unsozial.
Ich will Ihnen auch noch etwas zu dem angeblichenAbbau der Langzeitarbeitslosigkeit sagen, Herr MinisterRiester. Sie haben ein Zahlenfeuerwerk vorgetragen, dassich auf den ersten Blick überzeugend anhörte. Auf denzweiten Blick muß man aber feststellen, daß Sie2 Milliarden DM mehr an Mitteln für die Arbeitslosen-hilfe ausgeben müssen,
weil die Belastungen für die öffentlichen Haushalte zuIhrer Regierungszeit durch die Langzeitarbeitslosigkeitgestiegen sind. Das ist die Wahrheit.
Lassen Sie mich unter dem Stichwort „soziales Spar-konzept“ einen weiteren Punkt ansprechen. Sie kürzendie Mittel der Pflegeversicherung und plündern dieKasse der Pflegeversicherung um 400 Millionen DMjährlich.
Frau Ministerin Fischer hat sich bezüglich der Kranken-versicherung dagegen gewehrt, weil wir nachgefragt ha-ben, wie das finanziert werden soll. Sie interessiert sichaber überhaupt nicht für die Pflegeversicherung. Ich sa-ge Ihnen auch, weshalb: Die tatsächlichen Folgen, näm-lich ein Defizit von 1,35 Milliarden DM, werden erst imJahr 2003 zu beobachten sein. Das zeigt ganz deutlich:Sie denken – nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ –nur in der Größenordnung von Legislaturperioden. Dasist unsozial und im Endeffekt schäbig.
Ich glaube, daß die Menschen in Deutschland eingutes Gespür dafür haben, wer Ihnen etwas vormacht.Sie haben den Menschen die superschlaue Idee von derwunderbaren Geldvermehrung suggeriert: alles undmehr sei mit weniger Mitteln zu finanzieren. Das ist einTrugschluß. Dieser Trugschluß holt Sie jetzt ein.
Das Wort hatjetzt die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen undJugend, Dr. Christine Bergmann.Dr. Hermann Kues
Metadaten/Kopzeile:
6328 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber HerrKues, daß Sie sich hier hinstellen und darüber reden, wirwürden nur ein Minimum für Familien tun,
ist wirklich ein starkes Stück.
Entweder rechnen Sie auf ein kurzes Gedächtnis derMenschen, das nicht länger als ein Jahr zurückreicht,oder Sie sind wirklich so unverfroren, noch nicht einmaldas zur Kenntnis zu nehmen, was das Bundesverfas-sungsgericht in seinen Beschlüssen entschieden hat.Wenn Sie hier die Familienverbände als Kronzeugenanrufen, dann sage ich: Es ist wohl war, daß die Famili-enverbände mehr möchten.
Wir alle möchten in diesem Bereich mehr ausgeben, ha-ben aber natürlich Grenzen. Ich führe im Moment vieleDebatten mit Familienverbänden. Deshalb kann ich Ih-nen sagen: Sie hätten gerne mehr erreicht, akzeptierenaber, daß wir – seit vielen Jahren zum ersten Mal – tat-sächlich versuchen, Familien mehr zukommen zu lassen.Sie merken, daß wir, auch ohne Druck des Bundesver-fassungsgerichtes, einen großen Schritt gegangen sind.Das und andere Dinge, auf die ich noch zu sprechenkomme, werden von Familienverbänden durchaus ak-zeptiert.Ich will Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen –wir haben das hier schon manchmal angesprochen –:Die Kindergelderhöhung von 1997 ist gegen den Wil-len der CDU mit Hilfe der SPD-regierten Länder imBundesrat durchgesetzt worden. Auch das gehört zurWahrheit.
Ich denke, daß diese Bundesregierung im ersten Jahrihrer Regierungstätigkeit klargemacht hat, daß für sieFamilien im Mittelpunkt ihrer Politik stehen. Dies istnicht nur verbal geschehen, sondern es passiert auchetwas.
Sie dagegen haben immer geredet, gehandelt haben Sieaber nicht.Wir haben die Zahlen auf dem Tisch; wir wissen, waswir an Kindergelderhöhung ausgeschüttet haben. Sie da-gegen können offensichtlich auch nicht rechnen:
Diese 50 DM, die durch die zwei Schritte zustandekommen, ergeben in der Summe immerhin fast 10 Mil-liarden DM. Außerdem haben wir bereits mit demSteuerentlastungsgesetz eine ganz erhebliche Entlastungder Familien vorgenommen. Das wissen Sie, und daswissen auch die Familien.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wir habenschon – bei der Nachfrage von Frau Lenke – darüber dis-kutiert, wie die Situation der Alleinerziehenden ist. Wirhaben es bei der steuerlichen Freistellung des Kinderbe-treuungsbedarfes endlich geschafft, daß eine finanzielleLeistung dort verbleibt, wo die Leistung erfolgt. Alleiner-ziehende Mütter und Väter können diesen Freibetrag, die-ses Kindergeld voll und ganz für sich verbuchen, weil wirhier nicht das Halbteilungsprinzip haben. Das ist ein ganzwichtiges Signal gerade an Alleinerziehende.
Sie wissen sehr genau, daß wir mehr getan haben alsnur finanzielle Entlastung. Ich will ein paar Punkte an-sprechen: Wir haben den Gesetzentwurf zur gewaltfrei-en Erziehung auf den Weg gebracht. Das ist sehr wich-tig für die Familien, aber auch für die Gesellschaft ins-gesamt. Dies werden wir verbinden mit Hilfen für El-tern, die Probleme bei der Erziehung haben. – Es handeltsich um ganz konkrete Maßnahmen, die zeigen, daß wirFamilien in unserem Land stärken. Außerdem zeigt das,daß wir ein Bild von Familie haben, das sich schon lan-ge an der Lebenswirklichkeit orientiert. Wir respektierendie Vielfalt der Familienformen, die Sie gerade fürsich entdeckt haben. Immerhin nehmen Sie jetzt einStück weit die Realität zur Kenntnis, wenn auch mitgroßen Problemen, die Sie – ich wende mich hier an dieKolleginnen und Kollegen der CDU – offensichtlichselbst damit haben.Was Sie dazu in Ihrem familienpolitischen Leitantragformuliert haben, ist allerdings wahrlich nichts Neues.Da ist nicht viel dabei, was uns überraschen könnte. Esmacht mir aber sehr deutlich, daß Sie Ihre eigenen Ver-säumnisse offensichtlich sehr genau kennen,
denn sonst würden Sie hier nicht mit aller Kraft versu-chen, Lücken zu schließen.
Sie kennen Ihre Versäumnisse, und zwar nicht nur beider finanziellen Ausstattung der Familien, sondern auchbei der Anerkennung von Lebensformen der Familien,hinsichtlich dessen, was Familien brauchen. Das istnicht nur eine Sache, die beim Bundesverfassungsge-richt entschieden wird.Wir werden Ihre Versäumnisse schrittweise aufzuar-beiten haben. Wir haben bereits einen großen Schrittgetan.
Frau Ministe-rin, einen Moment. Ich will einmal versuchen, ein biß-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6329
(C)
(D)
chen mehr Ruhe für Sie zu schaffen. Es ist immer sehrschwierig für die letzten Redner und vor allem für dieRednerinnen, gehört zu werden. Ich bitte, etwas mehrRuhe walten zu lassen.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ja, das müssen Siesich schon anhören, auch wenn es Ihnen nicht schmeckt.So ist das halt im Leben.Ich möchte darauf hinweisen, daß wir bei der zweitenStufe, die wir noch vor uns haben, um die KarlsruherBeschlüsse umzusetzen, den Weg weiterverfolgen wol-len. Es stimmt natürlich – da haben Sie, Herr Kues, wie-der etwas Falsches gesagt –, daß wir den Bundesverfas-sungsgerichtsbeschlüssen voll Genüge tun würden,wenn wir mit einer reinen Kinderfreibetragslösung ar-beiten würden.
Das tun wir aber nicht, weil uns wirklich jedes Kindgleich viel wert ist. Da müssen wir noch besser werden,das ist klar. Da müssen wir sehen, wie wir diese Lei-stung als Transferleistung ausgestalten können. Aber wirhaben hier kräftig zugepackt, wie Sie wissen.
Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der jetztnicht unmittelbar etwas mit Geld zu tun hat, aber mit derLebenssituation der Familien. Ich denke, wenn man überFamilien redet, muß man auch sehen: Welche Möglich-keiten haben sie, so zu leben, wie sie wollen? Wie kön-nen Familien Erwerbsarbeit und Kindererziehungmiteinander verbinden? Das ist nicht nur ein Thema fürMütter in unserer Gesellschaft.
Wir gehen jetzt massiv daran. Wir können Benach-teiligungen von Frauen und auch von Familien nur be-seitigen, wenn wir die Väter stärker in die Erziehungsar-beit einbeziehen.
Das werden wir mit unserem neuen Gesetz tun. Da wer-den Väter und Mütter zur gleichen Zeit Erziehungsur-laub nehmen können, verbunden mit Teilzeitarbeit undeinem Anspruch auf verkürzte Arbeitszeit. Auch Siediskutieren ja ähnliche Dinge. Ich kann da nur sagen:Unterstützen Sie unsere Vorhaben! Ich denke, sie sindnotwendig für unsere Gesellschaft.Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einen Punkteingehen. Familien brauchen auch Zeit in unserer Ge-sellschaft. Sie brauchen Zeit, in der sie miteinander le-ben können. Die sogenannte „Pinnbrettfamilie“ ist,glaube ich, nicht das Idealbild unserer Gesellschaft. Siereden nur darüber, wie wichtig Ihnen Familie ist. Wiraber machen ernst. Wir reden mit den Betrieben undversuchen, bei dem Thema Flexibilisierung die Familiein das Blickfeld zu rücken. Wenn wir über familien-freundliche Arbeitszeiten und Ladenschlußzeiten reden,haben wir auch die Familien im Blick. Natürlich wollenwir den Sonntag als Zeit für die Familie erhalten. Ichdenke, das ist ein Signal, das die Familien von uns er-warten.
Wir denken, Herr Kues, überhaupt nicht nur in derPhase einer Legislaturperiode. Was wir hier tun und waswir hier vorlegen, ist ebenso für die nächste Generation.Das werden die Familien auch anerkennen.Danke.
Zu einer
Kurzintervention erteile ich nun der Kollegin Lenke das
Wort.
– Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kurzintervention
ist ein Parlamentsrecht.
Wenn Sie weniger stöhnen, gehtes schneller.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beziehe michauf den Redebeitrag von Ihnen, Frau FamilienministerinBergmann. Sie haben sich in Ihrer Rede zu dem Famili-engesetz von Rotgrün geäußert. Dieses Gesetz ist fürFamilien mit Kindern völlig unzureichend,
erstens wegen des niedrigen Kinderbetreuungsfreibe-trages für das erste Kind und zweitens wegen der Strei-chung des § 33c EStG bei der Kinderbetreuung. Allein-erziehende und – ich weiß nicht, ob Sie das schon fest-gestellt haben – Ehepartner, von denen einer krank oderbehindert ist, sind von dieser Streichung des § 33c be-troffen. Ich sehe da keinen Ausgleich.Drittens – diesen Punkt finde ich sehr wichtig, da indem vorliegenden Gesetzentwurf der steuerliche Abzugvon Kinderbetreuungskosten bei berufstätigen Väternund Müttern nur sehr begrenzt möglich ist –: Die Frei-beträge können die tatsächlichen Kosten von monatlich400 bis 600 DM für Kindergartengebühren nicht aus-gleichen.In dem von uns vorgelegten Entschließungsantrag,über den auch abgestimmt wird, fordern wir eine sozialgerechtere Familienförderung. Wir wollen, daß berufs-tätige Alleinerziehende und berufstätige Eltern über ei-nen Freibetrag hinaus nachgewiesene Kinderbetreu-ungskosten als Werbungskosten – bei Arbeitnehmernund Arbeitnehmerinnen – und als Betriebsausgaben –bei Selbständigen – von der Steuer absetzen können.Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Metadaten/Kopzeile:
6330 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Zum Schluß möchte ich im Hinblick auf unseren An-trag sagen: Wir wollen diesen Familien für den Fall, daßdas familiäre Existenzminimum nicht ausreicht, einenKindergeldzuschlag gewähren.
Frau Ministe-
rin, Sie haben das Wort.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich möchte es ganz
kurz machen, Frau Lenke, denn wir haben ja schon
durchgerechnet, zu welchen Auswirkungen die Freibe-
tragsregelung beim ersten, beim zweiten und beim drit-
ten Kind führt. Wir haben vorhin schon durchexerziert,
daß dies eine gute Regelung ist. Wir haben gesagt, daß
im Rahmen dieser Regelung die Beträge bei den Allein-
erziehenden, dort also, wo die Leistung erbracht wird,
verbleiben. Wir sind damit vielen Wünschen Alleiner-
ziehender entgegengekommen. Mehr ist dazu im Mo-
ment nicht zu sagen.
Als letztem
Redner in dieser Debatte gebe ich nun das Wort dem
Abgeordneten Jörg-Otto Spiller.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Nach anderthalbJahrzehnten ungehemmten Schuldenmachens und wach-sender Steuerungerechtigkeit
ist Deutschland unter der jetzigen Regierung endlich zudem Kurs einer verantwortungsvollen Finanzpolitik zu-rückgekehrt.
Die Grundsätze lauten: gerechte Steuern und solide Fi-nanzen.
Heute steht auch ein Antrag der F.D.P., der die schö-ne Überschrift „Ordnungspolitisch vernünftige Steuer-gesetze verabschieden“ trägt, zur Debatte und zur Ab-stimmung. Herr Kollege Solms, ich habe nicht verstan-den,
warum Sie vorhin nicht gesagt haben: Weil die Regie-rung das tut, stimmen wir den vorliegenden Gesetzent-würfen zu. Das wäre logisch gewesen.
Leider haben Sie inzwischen keine Skrupel mehr, vonOrdnungspolitik zu sprechen und zugleich im Ausschußund auch hier Anträge zu stellen, die dazu in krassemWiderspruch stehen. Denn das, was Sie im Ausschußgetan haben, ist folgendes: Alle Schlupflöcher, die wirgeschlossen haben, wollten Sie wieder öffnen.
Ich nenne ein paar Beispiele; ich beschränke mich aufganz wenige: Sie wollten unbedingt, daß sich Spitzen-verdiener durch ein System von Verlustzuweisungenwieder vor dem Finanzamt armrechnen können.
Sie wollten beispielsweise auch, daß durch ein Hin- undHerschieben auf verschiedenen Konten Einfamilienhäu-ser im Rahmen von Betriebsausgaben finanziert werdenkönnen. Das alles fanden Sie normal,
obwohl selbst zu Zeiten, als Ihre Partei, Herr KollegeMichelbach, noch den Finanzminister stellte, das Bun-desfinanzministerium dagegen angehen wollte. Sie ha-ben es nur nicht getan.
Herr Kollege Solms, es ist schade, daß Sie nur nocheine geringe Beziehung zur marktwirtschaftlichen Ord-nung haben.
Genauso schade ist es – und nur zu bedauern –, daß sichbei der CDU/CSU das Verständnis vom Christentum an-scheinend weitestgehend auf das Prinzip „Nach uns dieSintflut“ reduziert hat.
Deswegen war es notwendig, zu einer Wende in der Fi-nanzpolitik dieses Landes zu kommen.
Herr Solms, Sie haben im Zusammenhang mit demSteuerbereinigungsgesetz das Stichwort Lebensversi-cherung angeschnitten. Der Kollege Wagner hat schondarauf hingewiesen, daß Sie mit Ihrem Gedächtnis so Ih-re Schwierigkeiten haben. In diesem Punkt muß ich Ih-nen aber leider einen völligen Gedächtnisschwund be-scheinigen.Ich darf einmal in Erinnerung rufen, was Sie, dienunmehr abgewählten Koalitionsfraktionen, machenwollten: Ursprünglich wollten Sie gemäß den Petersber-Ina Lenke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6331
(C)
(D)
ger Beschlüssen in bestehende Versicherungsverträgeeingreifen und die Steuerbegünstigung nachträglich be-seitigen.
Dann haben Sie kalte Füße bekommen und eine Abgel-tungssteuer ab einem Stichtag vorgesehen. Nach weite-rem Überlegen ist Ihnen der Gedanke gekommen, daßdies vielleicht auch Mißmut auslösen könnte, und Siehaben alles wieder umgedreht und gesagt: Jetzt führenwir eine andere Besteuerung ein. Laufende Einzahlun-gen sowohl in alte als auch in neue Lebensversiche-rungsverträge sollten mit einer Versicherungssteuer be-legt werden. – All das wollten Sie machen. Aber jetztsagen Sie, wir täten etwas Unfaires.In diesem Zusammenhang muß ich noch etwas sagen,Herr Kollege Solms: Sie sind vorhin mit einem Papier-stapel gekommen. Als wir über Ihr Steuerreformpaketberaten haben – das war noch in Bonn –, war der Papier-stapel dreimal so dick. Ich habe ihn nachher entsorgt,weil ich dafür eine ganze Umzugskiste gebraucht hätte,und das wollte ich niemandem zumuten.
Mit unserer Regelung bezüglich der Lebensversiche-rungen – das will ich hier noch einmal sagen, weil esvielleicht den einen oder anderen Zuhörer interessiert –greifen wir nicht in bestehende Verträge ein.
Der Vertrauensschutz bleibt voll gewahrt. Künftig, alsofür Verträge, die ab dem 1. Januar 2000 abgeschlossenwerden, wird es eine Besteuerung geben, wenn die Le-bensversicherung ausgezahlt wird.
Allerdings gibt es einen großzügigen Freibetrag und eineDämpfung der Steuerprogression, die noch über diesenFreibetrag hinaus wirkt.Übrigens: Haushaltsmäßig ist das auf kurze Sichtvöllig uninteressant; denn Steuermehreinnahmen werdenwir frühestens nach 12 Jahren haben. Wir werden allestun, damit diese Koalition diese Steuermehreinnahmendann nutzen kann.
Unsere Politik ist auf einen langen Atem ausgerichtet.Richten Sie sich darauf ein, daß Sie noch lange mit un-serer Politik, der Politik solider Finanzen und gerechterSteuern, zu rechnen haben!
Damit schließe
ich die reguläre Debatte.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Es folgt, wie
Sie schon ahnen, ein nicht ganz so einfacher Prozeß.
Zunächst möchte ich Sie darauf hinweisen, daß wir
von den zahlreichen Abstimmungen sieben namentlich
durchführen werden. Nach diesem Tagesordnungspunkt
gibt es allerdings eine weitere namentliche Abstimmung.
Ich sage dies nur, damit Sie sich darauf vorbereiten kön-
nen.
Es gibt zahlreiche schriftliche Erklärungen zur Ab-
stimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung, die ich
Sie bitte zu Protokoll nehmen zu dürfen. Es sind so viele
Erklärungen, daß ich die Namen der Abgeordneten nicht
aufführen möchte.*) Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall.
Eine mündliche Erklärung zur Abstimmung möchte
die Abgeordnete Christina Schenk abgeben. Bitte schön,
Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Die PDS-Bundestagsfraktion wirdmit Mehrheit dem Gesetzentwurf der Bundesregierungzur Familienförderung zustimmen. Ich erkläre hiermit,daß ich mich gemeinsam mit den Abgeordneten CarstenHübner, Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Ilja Seifert undWinfried Wolf der Stimme enthalten werde, und das ausfolgenden Gründen:Ich nehme durchaus zur Kenntnis, daß die weitausmeisten Eltern – nicht alle, aber die weitaus meisten – abdem 1. Januar 2000 mindestens 10 DM mehr in der Ta-sche haben werden. Die Bundesregierung hat jedoch alsZiel der vorgeschlagenen Neuregelung formuliert, daßalle Kinder unabhängig vom Einkommen ihrer Elterngleiche Entwicklungschancen haben sollen. Genau daswird aber mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nicht er-reicht, im Gegenteil.Ich kann dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weildie bereits jetzt bestehenden gravierenden sozialen Un-gerechtigkeiten im System der Familienförderung nichtabgebaut, sondern sogar noch verstärkt werden. Je mehrdie Eltern verdienen, desto größer sind auch künftig diefinanziellen Entlastungen, die sie für ihre Kinder erhal-ten.Während Eltern mit mittlerem oder niedrigem Ein-kommen lediglich eine Kindergelderhöhung von 10 DModer 20 DM erhalten, bringt der Betreuungsfreibetragden Besserverdienenden eine zusätzliche monatlicheEntlastung von bis zu 120 DM. Das sind jährlich bis zu1 440 DM.Eine solche Regelung verringert nicht die einkom-mensbedingten Entwicklungsunterschiede zwischenKindern, sondern läßt die Schere immer weiter ausein-anderklaffen. Mit Steuergerechtigkeit – das wird an die-sem Punkt besonders deutlich – ist soziale Gerechtigkeitnicht zu erreichen.*) Die Erklärungen werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarpro-tokoll abgedrucktJörg-Otto Spiller
Metadaten/Kopzeile:
6332 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Ich kann dem Gesetzentwurf auch aus folgendemGrund nicht zustimmen: Die Neuregelungen bewirken inZeiten knapper Kassen und vermeintlicher Sparzwängeeine erneute Umverteilung zugunsten der Besserverdie-nenden. Die Kostenverteilungen machen das deutlich.Obwohl nur etwa jede sechste Familie von der Einfüh-rung des Betreuungsfreibetrags profitiert, wird dafür einDrittel der Kosten für das Gesetz aufgebracht.Ein dritter Grund dafür, daß ich dem Gesetzentwurfnicht zustimmen kann, ist, daß die Regelung, wonachdie Erhöhung des Kindergelds im Unterschied zum Be-treuungsfreibetrag auf das erste und zweite Kind be-grenzt ist, völlig inakzeptabel ist. Damit werden genaudie Familien benachteiligt, die in besonderer Weise vomkindbedingten Armutsrisiko betroffen sind.Ein vierter und letzter Grund, warum ich dem Ge-setzentwurf nicht zustimmen kann, ist, daß trotz allergegensätzlichen Behauptungen die Neuregelungen inzahlreichen Fällen zu einer finanziellen MehrbelastungAlleinerziehender führen, und das nicht nur dadurch,daß der Betreuungsfreibetrag um 1 000 DM unter dembisherigen Höchstbetrag absetzbarer Kinderbetreuungs-kosten in Höhe von 4 000 DM liegt, sondern vor allemauch dadurch, daß sowohl das Kindergeld – das warschon immer der Fall – als auch der Betreuungsfreibe-trag dem Halbteilungsgrundsatz unterliegen. Die steuer-liche Gleichbehandlung verheirateter Eltern wird – dasmuß man so klar sagen –zu einem Teil von den Allein-erziehenden finanziert. Das ist für mich unerträglich.Dieses Gesetz ist kein Schritt in die richtige Rich-tung, es verfestigt das sozial ungerechte duale Systemvon Kindergeld und Kinderfreibeträgen und verlängert –das ist das eigentlich Schlimme – den Weg hin zu einerwirklichen Reform der Familienförderung, in deren Er-gebnis sich der Staat alle Kinder als Ausdruck dessen,daß sie ihm alle gleich viel wert sind, gleich viel kostenläßt.Danke.
Wir treten in
den Abstimmungsprozeß ein und kommen zunächst zu
dem von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
Grünen sowie der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurf eines Gesetzes zur Sanierung des Bundeshaushalts.
Das ist das Haushaltssanierungsgesetz.
Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache
14/2016, zunächst die nicht der Zustimmung des Bun-
desrates bedürfenden Teile des Gesetzesvorhabens von
den der Zustimmung des Bundesrates bedürfenden Tei-
len abzukoppeln. Der Ausschuß empfiehlt weiter, die
zustimmungsfreien Teile als Haushaltssanierungsgesetz
in der Fassung der Anlage 1 der Beschlußempfehlung
auf Drucksache 14/2016 und die zustimmungsbedürfti-
gen Teile als Gesetz zur Änderung des Wohngeldgeset-
zes und anderer Gesetze in der Fassung der Anlage 2 der
Beschlußempfehlung auf Drucksache 14/2016 anzu-
nehmen. Es gibt jetzt also eine Zweiteilung: zum einen
das Haushaltssanierungsgesetz und zum anderen das
Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes.
Wir stimmen daher über zwei Gesetzentwürfe ab, und
zwar zunächst über das Haushaltssanierungsgesetz in
der Ausschußfassung. Das ist die Drucksache 14/2016,
Anlage 1. Zu einem Teil dieses Gesetzentwurfs wird
getrennte und namentliche Abstimmung verlangt. Au-
ßerdem liegen drei Änderungsanträge vor, wobei wie-
derum über zwei davon namentlich abgestimmt wird.
Ich rufe zunächst Art. 1 bis 16 des Haushaltssanie-
rungsgesetzes in der Ausschußfassung auf. Ich bitte
diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Art. 1 bis 16
des Haushaltssanierungsgesetzes in der Ausschußfas-
sung sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen
worden.
Ich rufe nun Art. 17 des Haushaltssanierungsgesetzes
in der Ausschußfassung auf. Er betrifft die Künstlersozi-
alversicherung. Hierzu liegt ein gemeinsamer Ände-
rungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
F.D.P. sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
vor. Beide Anträge zielen auf Streichung des Art. 17 des
Haushaltssanierungsgesetzes.
Wir hatten vorgesehen, bei der Reihenfolge der Ab-
stimmung entsprechend der parlamentarischen Praxis
auf das Stärkeverhältnis der antragstellenden Fraktionen
abzustellen. Es gibt dazu aber einen Geschäftsordnungs-
antrag der PDS. Bitte, Herr Kollege Claus.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Ich darf Sie nur einen Moment um Ihregeschätzte Aufmerksamkeit bitten, weil wir finden, daßdie Sache eine gewisse Pikanterie birgt. Es geht um dieKünstlersozialkasse und um zwei gleichlautende Antra-ge der CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion einerseits undder PDS-Fraktion andererseits. Ich will Ihnen sagen, wieder Hergang war.Nachdem bei der Abstimmung im Ausschuß unterden Oppositionsfraktionen Übereinstimmung herrschte,haben wir einen entsprechenden Änderungsantrag ein-gebracht und die namentliche Abstimmung verlangt.Danach trat offenbar folgender Zustand ein: DieCDU/CSU-Fraktion hat sich gesagt: Inhaltlich stimmenwir dem zu, aber wir dürfen oder können oder sollen nieund nimmer PDS-Anträgen zustimmen. Wie können wirdas jetzt verhindern? Sie haben beschlossen: Wir ma-chen einfach einen eigenen Änderungsantrag. Der Kol-lege Austermann hat dies auf Anfrage vorhin in der De-batte im Grunde auch bestätigt.Nun sagen Sie, die Größe der Fraktion bestimme dieReihenfolge der Abstimmung. Wir meinen, es müßte inder Reihenfolge des Antragseingangs abgestimmt wer-den.
Wenn Sie das weiterdenken, würde das bedeuten, daßdadurch eine größere Fraktion einer kleineren ein in-haltliches Anliegen immer streitig machen könnte.Christina Schenk
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6333
(C)
(D)
Ich will auch noch auf eines hinweisen, meine Damenund Herren: Die Geschäftsordnung sieht dafür keine Re-gelung vor. Das kann sie auch nicht, weil die Geschäfts-ordnung dieses Hauses logisch aufgebaut, das Verhaltender CDU/CSU aber ausgesprochen unlogisch ist. Des-wegen paßt das nicht zusammen.
Ich weiß bloß nicht, warum die Freien Demokraten einsolches Spiel mitmachen.Zum Schluß, meine Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen der CDU/CSU: Sie haben in jüng-ster Zeit so große und schöne Reden abgesondert, daßSie sich inhaltlich mit der Partei des DemokratischenSozialismus auseinandersetzen wollen.
Fangen Sie doch damit an! Das müßte aber damit begin-nen, daß Sie jetzt entweder unserem Antrag zustimmenoder Ihren zurückziehen.Vielen Dank.
Zur Ge-
schäftsordnung spricht der Kollege Hörster.
Frau Präsidentin!
Sie haben die Gepflogenheiten des Hauses zutreffend
vorgetragen. Deswegen beantragen wir, in der von Ihnen
vorgeschlagenen Reihenfolge abzustimmen.
Noch jemandzur Geschäftsordnung? – Es ist tatsächlich Gepflogen-heit des Hauses und geschäftsordnungsgemäß, daß wirdie Anträge nach sachlichen Gesichtspunkten ordnenund dann, wenn es sich um die Reihenfolge der Ab-stimmung handelt, genauso vorgehen, wie wir auch beijeder Redeordnung vorgehen. Das ist lange geübte Pra-xis in diesem Hause.Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag derPDS, daß über ihren Änderungsantrag vor dem Ände-rungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.abgestimmt wird? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Der Geschäftsordnungsantrag der PDS ist mitden Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen dieStimmen der PDS bei Enthaltung von SPD und Bünd-nis 90/Die Grünen abgelehnt worden.Wir stimmen nun also zuerst über den Änderungsan-trag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Druck-sache 14/2097 ab. Es ist namentliche Abstimmung ver-langt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnenbesetzt? – Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht derFall zu sein. Dann schließe ich jetzt die Abstimmung.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mitder Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnenspäter bekanntgegeben.*) Wir setzen jetzt die Beratun-gen fortWir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktionder PDS auf Drucksache 14/2073. Auch die PDS ver-langt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh-rerinnen und Schriftführer, wieder zu den Urnen zukommen. Sind alle Urnen besetzt? – Dann eröffne ichdie zweite namentliche Abstimmung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte einenMoment um Aufmerksamkeit. Uns fehlen Schriftführerzum Auszählen. Ich bitte deshalb diejenigen von denSchriftführerinnen und Schriftführern, die nicht fest ein-geteilt waren – Sie wissen, daß es jetzt eine ganze Reihevon Abstimmungen gibt –, an den Tisch zum Auszählenzu kommen.Ist noch ein Mitglied anwesend, das seine Stimme indieser zweiten namentlichen Abstimmung nicht abgege-ben hat? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dannschließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Aus-zählung zu beginnen. Das Ergebnis auch dieser Ab-stimmung wird Ihnen später mitgeteilt.**) Jetzt muß ichSie bitten, sich zu Ihren Plätzen zu begeben, weil esnoch einfache Abstimmungen gibt und ich dafür einbißchen Übersicht brauche.Ich rufe Art. 18 bis Art. 22 Ziffer 4 Haushaltssanie-rungsgesetz, Drucksache 14/2016, Anlage 1 auf. Ichbitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Hand-zeichen! – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Art. 18bis Art. 22 Ziffer 4 in der Ausschußfassung sind mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender gesamten Opposition angenommen worden.Jetzt rufe ich Art. 22 Ziffer 5 Haushaltssanierungsge-setz, auf. Hier geht es um den aktuellen Rentenwert inden Jahren 2000 und 2001. Hierzu liegt ein Änderungs-antrag der PDS auf Drucksache 14/2074 vor. Außerdemist namentliche Abstimmung über Art. 22 Ziffer 5 vonder CDU/CSU verlangt.Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag derPDS auf Drucksache 14/2074 ab. Wer stimmt für denÄnderungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS,die zugestimmt hat, mit den Stimmen des übrigen Hau-ses abgelehnt worden.Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentlicheAbstimmung über Art. 22 Ziffer 5. Ich bitte wieder dieSchriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenenPlätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? – Danneröffne ich jetzt die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimmkarte nicht abgegeben hat? – Jetzt haben alle ihreStimmkarten abgegeben. Damit schließe ich die drittenamentliche Abstimmung und bitte, mit der Auszählung**) Seite 6334 A**) Seite 6334 ARoland Claus
Metadaten/Kopzeile:
6334 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
zu beginnen. Auch das Ergebnis dieser Abstimmungwird Ihnen später bekanntgegeben.*)Wir setzen die Beratung fort. Ich rufe Art. 22 Ziffer 6bis Art. 27, Einleitung und Überschrift, des Haushalts-sanierungsgesetzes auf. Ich bitte diejenigen, die zustim-men wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –Enthaltungen? – Art. 22 Ziffer 6 bis Art. 27, Einleitungund Überschrift, sind mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen gegen die Stimmen der gesamten Oppositionangenommen worden.Weil wir erst fortfahren können, wenn die Ergebnisseder namentlichen Abstimmungen vorliegen, unterbrecheich jetzt die Sitzung.
Die unterbro-chene Sitzung ist wiedereröffnet.Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionenvon CDU/CSU und F.D.P. zum Entwurf eines Gesetzeszur Sanierung des Bundeshaushaltes bekannt. Abgege-bene Stimmen 579. Mit Ja haben gestimmt 253, mitNein haben gestimmt 326. Es gab keine Enthaltungen.1)Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt worden.Nun gebe ich das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionder PDS bekannt. Abgegebene Stimmen 573. Mit Ja ha-ben gestimmt 32, mit Nein haben gestimmt 517, Ent-haltungen 24.1) Auch dieser Änderungsantrag ist damitabgelehnt.Nach Ablehnung der Änderungsanträge zu Art. 17stimmen wir jetzt über Art. 17 in der Ausschußfassungab. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, umdas Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Art. 17 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionengegen die Stimmen der gesamten Opposition angenom-men worden.Jetzt gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnenund Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-chen Abstimmung über Art. 22 Ziff. 5 Haushaltssanie-rungsgesetz bekannt. Abgegebene Stimmen 574. Mit Jahaben gestimmt 323, mit Nein haben gestimmt 249,Enthaltungen 2.1) Art. 22 Ziff. 5 ist damit angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangtnamentliche Abstimmung. Das ist jetzt die vierte na-mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnenund Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-men. – Sind alle Urnen besetzt? – Das scheint der Fallzu sein. Ich eröffne die Abstimmung.*) Seite 6334 B1) Die Namenslisten werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarpro-tokoll abgedrucktIst noch jemand anwesend, der in dieser vierten na-mentlichen Abstimmung seine Stimme noch nicht abge-geben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe danndiese Abstimmung. Ich bitte, mit der Auszählung zu be-ginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekanntgege-ben.2)Wir kommen jetzt zu weiteren einfachen Abstim-mungen. Deswegen brauche ich freien Platz für dieÜbersicht.Wir setzen die Beratungen fort. Interfraktionell wirdvorgeschlagen, den Entschließungsantrag der Fraktionder F.D.P. auf Drucksache 14/2025 zur federführendenBeratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnungund zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Haus-haltsausschuß, den Ausschuß für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschußfür Kultur und Medien zu überweisen. – AnderweitigeVorschläge gibt es nicht. Dann ist die Überweisung sobeschlossen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den zweitenvom Haushaltsausschuß in seiner Beschlußempfehlungauf Drucksache 14/2016 in Anlage 2 zur Annahme emp-fohlenen Gesetzentwurf. Es handelt sich um den Ent-wurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgeset-zes und anderer Gesetze. Dazu liegen zwei Änderungs-anträge der Fraktion der PDS vor, über die wir zunächstabstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS aufDrucksache 14/2075? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen desganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS, die demAntrag zugestimmt hat, abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS aufDrucksache 14/2076? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stim-men des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS,die dem Antrag zugestimmt hat, abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die dem Entwurf eines Gesetzeszur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Ge-setze in der Ausschußfassung, Drucksache 14/2016,Anlage 2, zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmender Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der ge-samten Opposition angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Die Koalitionsfraktionen ver-langen namentliche Abstimmung. Ich bitte, wieder dieUrnen zu besetzen. Sind die Urnen besetzt? – Das ist derFall – Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung. Es ist diefünfte namentliche Abstimmung. –Ist jemand da, der in dieser namentlichen Abstim-mung seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das istnicht der Fall. Ich schließe damit die Abstimmung und2) Seite 6335 BVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6335
(C)
(D)
bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Auch dieses Er-gebnis wird Ihnen später mitgeteilt werden.*)Wir fahren mit einfachen Abstimmungen fort.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache14/2072. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen dieStimmen der PDS, die zugestimmt hat, abgelehnt wor-den.Wir kommen nun zur Abstimmung über den von denFraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowieder Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zurFamilienförderung, Drucksachen 14/1513, 14/1670 und14/2022. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen fast des ganzen Hauses angenommen wordenbei zwei Gegenstimmen aus der F.D.P. und einigen we-nigen Enthaltungen bei der PDS.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Die Koalitionsfraktionen ver-langen namentliche Abstimmung. Dies ist jetzt die sech-ste namentliche Abstimmung.Nur zur Klarstellung: In diesem Zusammenhang gibtes noch eine siebte namentliche Abstimmung und da-nach eine namentliche Abstimmung zum nächsten Ta-gesordnungspunkt, über den aber vorher debattiert wird.Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröff-ne die Abstimmung. – Hat jemand seine Stimmkarte indieser sechsten namentlichen Abstimmung noch nichtabgegeben? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe damitdie Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen undSchriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auchdieses Ergebnis wird Ihnen später bekanntgegeben.**)Wir setzen die Beratung fort.Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführernund Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der na-mentlichen Abstimmung über die Schlußabstimmungzum Haushaltssanierungsgesetz bekannt.Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt328. Mit Nein haben gestimmt 252. Es gab keine Ent-haltungen.1) Der Gesetzentwurf ist damit angenommenworden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-che 14/2024. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-trag? – Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Der Ent-**) Seite 6335 C**) Seite 6336 A 1) Die Namenslisten werden in einem Nachtrag zu diesem Plenar-protokoll abgedruckt.schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen und der PDS gegen die Stimmen der F.D.P.bei Enthaltung von CDU/CSU abgelehnt worden.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache14/2088. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Dieser Entschlie-ßungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ge-gen die Stimmen der PDS, die zugestimmt hat, abge-lehnt worden.Ich gebe Ihnen das von den Schriftführern undSchriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentli-chen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetzebekannt. Abgegebene Stimmen 566. Mit Ja haben ge-stimmt 323. Mit Nein haben gestimmt 243. Es gab keineEnthaltungen.1) Auch dieser Gesetzentwurf ist damit an-genommen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von denFraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowieder Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Steu-erbereinigungsgesetzes 1999, Drucksachen 14/1514,14/1655 und 14/2035 Nr. 1. Dazu liegen Ihnen zwei Än-derungsanträge der Fraktion der PDS vor, über die wirzuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache14/2081? – Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Der Än-derungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hausesgegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache14/2089? – Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Auchdieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hausesgegen die Stimmen der PDS, die zugestimmt hat, abge-lehnt worden.Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschuß-fassung? – Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU undF.D.P. bei Enthaltung der PDS in zweiter Beratung an-genommen worden.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Die Koalitionsfraktionen ver-langen namentliche Abstimmung. Das ist die siebte na-mentliche Abstimmung und in diesem Zusammenhangdie letzte. Ich bitte, die Urnen zu besetzen. – Sind dieUrnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich dieAbstimmung. –Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der1) Die Namenslisten werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarpro-tokoll abgedruckt.Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Metadaten/Kopzeile:
6336 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen spä-ter bekanntgegeben.*)Ich weise noch einmal darauf hin, daß wir in zirkaeiner Stunde auch zu dem Tagesordnungspunkt 12 einenamentliche Abstimmung haben werden.Ich muß eine Abstimmung nachholen. Wir kommenzur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeitund Sozialordnung auf Drucksache 14/2033 zu demAntrag der Fraktion der PDS zur Kindergelderhöhungauch für Kinder im Sozialhilfebezug. Der Ausschußempfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1308 abzuleh-nen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlußempfeh-lung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmender PDS angenommen worden.Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung desFinanzausschusses auf Drucksache 14/2035 Nr. 2 zudem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Ord-nungspolitisch vernünftige Steuergesetze verabschie-den“ ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag aufDrucksache 14/1546 abzulehnen. Wer stimmt für dieseBeschlußempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmendes Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. angenommenworden.Ich gebe nun das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung über den Gesetzentwurf zur Familienför-derung bekannt: Abgegebene Stimmen 568. Mit Ja ha-ben gestimmt 556, mit Nein haben gestimmt 5, Enthal-tungen 7.1) Der Gesetzentwurf ist damit angenommenworden. Es handelte sich um die Drucksachen 14/1513,14/1670 und 14/2022.Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ZweitenGesetzes zur Änderung des Einführungsgeset-zes zum Gerichtsverfassungsgesetz– Drucksache 14/1418 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 14/2037 –Berichterstattung:Abgeordnete Alfred HartenbachDr. Wolfgang Frhr. v. StettenRainer FunkeEine Aussprache ist nicht vereinbart. Wir kommendaher gleich zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung auf Druck-sache 14/2037 zustimmen wollen, um das Handzeichen.– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-*) Seite 6339 C1) Die Namensliste wird in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokollabgedruckt.entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmendes ganzen Hauses angenommen worden.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Stimmt jemand dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen desganzen Hauses angenommen worden.Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag derFraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen „Ver-besserung der Kohärenz von EU-Agrarpolitik und Ent-wicklungspolitik im Rahmen der WTO-II-Verhand-lungen“ auf Drucksache 14/1860 nachträglich auch demAuswärtigen Ausschuß zur Mitberatung zu überweisen.Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint der Fall zusein. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-gebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Förderung der Selbständigkeit– Drucksache 14/1855 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Arbeit und Sozialordnung
– Drucksache 14/2046 –Berichterstattung:Abgeordneter Johannes Singhammer b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-nung zu dem Antrag der Abge-ordneten Birgit Schnieber-Jastram, Dr. MariaBöhmer, Rainer Eppelmann, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der CDU/CSU630-DM-Gesetz und Neuregelung derScheinselbständigkeit zurücknehmen– Drucksachen 14/1005, 14/2046 –Berichterstattung:Abgeordneter Johannes SinghammerWir werden nachher auch dazu eine namentliche Ab-stimmung durchführen. Es liegt ein Entschließungsan-trag der Fraktion der F.D.P vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge-ordnete Peter Dreßen.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Auch wenn es die Opposition nichtglauben will: Mit dem Gesetz zur Förderung der Selb-ständigkeit werden entstandene Fehlentwicklungen derVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6337
(C)
(D)
letzten Jahre in der Sozialversicherung wieder in geord-nete Bahnen gelenkt. In nahezu allen europäischen Län-dern sind Selbständige in die Alterssicherung mit ein-gebunden. Nur wir in Deutschland erlauben uns den Lu-xus, das nicht zu tun.Dabei ist unbestritten, daß auch bei Selbständigen dieGefahr der Altersarmut besteht. Ich darf daran erinnern,daß wir 1972 die Sozialversicherung zum erstenmal fürSelbständige geöffnet haben. Das wurde damals als gro-ße soziale Errungenschaft hingestellt. Damals gab es inder F.D.P. aber noch Persönlichkeiten wie Maihofer,Flach, Baum, Hirsch. Und heute? Heute hat sie Leutewie Westerwelle, Schwaetzer usw.
– Zu Ihnen komme ich noch.Was ist aus der F.D.P. geworden? Heute müssen wirSprüche von Herrn Niebel ertragen, der ungeniert davonspricht, daß bei diesem Gesetz den Selbständigen dasUnheil der Sozialversicherung droht. Herr Niebel, Ihnensei gesagt: Die Sozialversicherung ist kein Unheil, son-dern eine segensreiche Einrichtung, um die uns alleLänder beneiden, die sie nicht haben.
Das Gesetz, das wir heute verabschieden, dient gera-de dazu, daß im Alter keine Altersarmut entsteht. Dabeihaben wir Sozialpolitiker natürlich einen Kompromißschließen müssen: einerseits Existenzgründungen nichtzu behindern – deswegen die dreijährige Freistellungvon Sozialversicherungsbeiträgen mit einer Option füreine zweite Chance – und andererseits die Selbständigenvor der Sozialhilfe im Alter zu bewahren. Gleichzeitighaben wir den eklatanten Mißstand der Scheinselbstän-digkeit beseitigt. Sie von der Opposition sollten uns da-für eigentlich loben; denn Sie haben sich 16 Jahre langdie Zähne daran ausgebissen. Sie haben nichts zustandegebracht, obwohl auch Sie den Mißstand erkannt hatten.
Es ist schlichtweg falsch, wenn die Opposition be-hauptet, wir hätten dieses Gesetz im Schweinsgaloppdurch dieses Parlament getrieben. Ich möchte Sie daranerinnern: Nachdem auch aus unseren Reihen Bedenkenaufkamen, daß das alte Gesetz Existenzgründungen be-hindern könnte, haben wir im März eine Experten-kommission unter der Leitung von Professor Dr. Diete-rich eingesetzt. Diese Kommission hat vom Frühjahr biszum Herbst getagt und dann Ergebnisse vorgelegt, diewir nun in diesem Gesetz wiederfinden. Wenn Sie esauch nicht wahrhaben wollen: Es sind alle relevantenPunkte dieser Kommission umgesetzt worden. Dabei istes – das muß ich offen sagen – auch dieser Expertenrun-de nicht gelungen, eine Definition zu finden, wer abhän-gig Beschäftigter und wer selbständig ist. Im übrigenwaren die Experten in guter Gesellschaft; denn das hatbisher keine andere Regierung geschafft. Das wird nachmeiner Überzeugung auch nicht zu schaffen sein, weilnichts stärker in Bewegung ist als die Arbeitsbedingun-gen in den Betrieben und in den Verwaltungen.Statt dessen haben wir nun eine Lösung gefunden, in-dem fünf Vermutungskriterien erarbeitet wurden, vondenen drei zutreffen müssen, damit man der Vermutungder Scheinselbständigkeit entgehen kann. Aber Ihnenmuß ich sagen: Vermutungen sind noch keine Tatbe-stände; Vermutungen kann man widerlegen.Die Grundsätze zur Abgrenzung zwischen abhängigerBeschäftigung und Selbständigkeit werden klargestellt.Genauso gilt weiter der Amtsermittlungsgrundsatz in derSozialversicherung weiter. Wir haben erweiterte Mög-lichkeiten zur Befreiung der Selbständigen von derRentenversicherungspflicht geschaffen. Wir haben dieGewährung eines vorläufigen Rechtsschutzes vorgese-hen, den Ausschluß von unzumutbaren Beitragsnachfor-derungen ins Gesetz aufgenommen und das Ganze ent-bürokratisiert, indem wir die BfA als allein zuständig beiden Antragsverfahren erklärt haben. Das alles sindWahrheiten.Wer nun immer noch behauptet, wir hätten für Exi-stenzgründungen nichts getan, will nicht wahrhaben,was in diesem Gesetz steht, oder – das vermute ich, unddas ist noch schlimmer – er will überhaupt keineSchutzbestimmungen, und selbst Mindeststandards sindihm ein Greuel.
Das allerdings machen wir nicht mit. Wir haben, umExistenzgründungen nicht zu verhindern, die Anträgeder PDS abgelehnt. Wenn wir ihnen gefolgt wären,hätten wir nichts verändert. Deswegen konnten wir ih-nen nicht zustimmen.
Im Ausschußbericht ist zu lesen, daß die CDU/CSUbehauptet, daß wir das Ganze im „Trial-and-error-Verfahren“ – zu deutsch: Versuch-und-Irrtum-Verfahren– durchgeboxt hätten. Ich glaube, Sie haben sich deshalbder englischen Sprache bemächtigt, weil Sie diesenBlödsinn, wenn Sie ihn deutsch ausgedrückt hätten, sel-ber nicht geglaubt hätten.
Allerdings ist es Ihrer Politik der sozialen Kälte zuverdanken, daß die Sozialkassen in den letzten 16 Jahrenausgeplündert wurden. Statt eine Sondersteuer für dieWiedervereinigung zu erheben, haben Sie einfach derRentenversicherung zusätzliche Fremdleistungen aufge-bürdet. Den Aufbau Ost haben Sie dann auch noch mitMitteln der Bundesanstalt für Arbeit finanziert. Heuteschreien Sie hier herum und sagen, die Lohnnebenko-sten seien zu hoch. Wer hat denn von 1982 bis heute dieLohnnebenkosten von 34 Prozent auf 42 Prozent hoch-getrieben, Sie oder wir? Das darf man sich doch einmaloffen fragen.Die von Ihnen so vielgescholtene rotgrüne Bundesre-gierung hat Wege beschritten, um die Lohnnebenko-sten zu senken. Diese rotgrüne Bundesregierung hat diebeitragsungedeckten Leistungen, also die Fremdleistun-Peter Dreßen
Metadaten/Kopzeile:
6338 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
gen, steuerfinanziert, statt sie den Beitragszahlern undden Rentnern aufzubürden. Die Renten steigen, und dieBeitragssätze sinken – das ist die Realität rotgrünerPolitik.
Wenn Sie dieses Kunststück damals fertiggebracht hät-ten, hätten wir Ihnen einen Heiligenschein aufgesetzt.Aber nachdem Sie das nicht geschafft haben, sollten Siewenigstens ein paar Stunden in Sack und Asche gehen.Der Gipfel Ihrer Alternativvorschläge ist nun, daß wirgleichzeitig das 630-Mark-Gesetz zurückziehen sollen.Als Begründung steht im Ausschußbericht, die Koalitionhabe kein Gefühl mehr für die Lebenswirklichkeit unddas, was gerecht ist. Ich frage Sie: Ist es gerecht, daß einArbeitnehmer, der Überstunden macht, dafür Steuernund Sozialabgaben berappen muß, aber der, der keineÜberstunden macht, sondern statt dessen zusätzlicheinen 630-Mark-Job hat, dafür nichts zahlen muß? Ichsage: Das ist nicht gerecht!Wenn unser Sozialsystem sich nur aus der Bemes-sungsgrundlage des Faktors Arbeit speist, war es danngerecht, immer mehr Arbeit von dieser Bemessung aus-zuschließen und denen, die übrigbleiben, die Beiträge zuerhöhen? Ich sage: Nein, Ihre Politik war unsozial undungerecht.
Sie waren im Wolkenkuckucksheim und fern von je-der Realität. Es ist bekannt: Wer reformiert, kann dasnicht zum Vorteil aller machen. Da stimme ich jedemzu. Frau Noelle-Neumann hat festgestellt: Wer refor-miert, wird abgewählt. Wir haben bei den letzten Land-tags- und Kommunalwahlen bittere Erfahrungen machenmüssen.Trotz alledem bin ich überzeugt: Wir dürfen diesenPfad nicht verlassen. Ich bin sicher, daß die Bürger lang-fristig einsehen, daß ohne Reformen in diesem Landvieles kaputtgeht. Ihren Weg kennen wir: Schulden ma-chen und auf Kosten unserer Kinder die Zukunft verves-pern. Das kann nicht unser Weg sein.Sie argumentieren im Ausschußbericht, vorrangigesZiel der jetzigen Regelung der Koalition sei es, Geld indie Sozialkassen zu bekommen. Ich habe bereits ausge-führt, daß das für das Gesetz zur Förderung der Selb-ständigkeit nicht zutrifft.
Allerdings trifft es zu, daß wir über die Mehreinnah-men in der Krankenversicherung beim 630-DM-Gesetz nicht unerfreut waren. Denn dadurch haben wirunter anderem für junge Menschen die Zuzahlung beimZahnersatz wiederhergestellt und andere unsoziale Tatenbeseitigt.Ist im übrigen eine Regierung zu tadeln, wenn sie alleAnstrengungen unternimmt, um das von Ihnen in derSozialversicherung 16 Jahre lang verursachte Chaoswieder in geordnete Bahnen zu lenken? Ich meine, nein.
Ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie morgen hier in die-sem Hause das Sagen hätten, Sie würden an diesem Ge-setz kein Komma und kein Jota ändern.
Sie wären sogar dankbar, daß wir das für Sie gemachthaben.Nun lese ich in einer Presseerklärung der CDU/CSUunter der Überschrift „Ein Jahr rotgrüne Sozialpolitik“den Satz: „Die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt der Regie-rung Kohl schmelzen dahin.“ Dann weisen Sie daraufhin, daß zwischen September 1997 und September 1998die Zahl der Arbeitslosen um 340 000 gesunken ist.Ich will gar nicht auf die Manipulationen eingehen,die Sie während des Bundestagswahlkampfes mit denABM-Mitteln insbesondere in den neuen Ländern vorge-nommen haben. Vielmehr möchte ich Sie darauf hinwei-sen, daß wir schon heute weniger Arbeitslose haben als1997. Wir sind schon beim Stand des Jahres 1996 ange-kommen. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
– Wir befinden uns auf dem Stand von 1996, und daskönnen Sie nicht wegdiskutieren. Wir haben jetzt weni-ger Arbeitslose als 1997.
Wir sind schon bei 1996 angekommen.Der Kanzler und sein Arbeitsminister haben es ge-schafft, daß sich auf dem Arbeitsmarkt etwas bewegt,und zwar nach unten.
Die Erfolge von Kohl waren doch immer wieder neueRekorde, was die Höhe der Arbeitslosigkeit,
die Zahl der Langzeitarbeitslosen und die Höhe der Ju-gendarbeitslosigkeit angeht. Angesichts dessen verteu-feln Sie hier das JUMP-Programm, obwohl es dazu bei-trägt, daß junge Menschen wieder eine Chance für dieZukunft bekommen.Insofern haben Sie recht: Diese Erfolge von Kohl,nämlich die Rekordhöhe der Arbeitslosigkeit, schmel-zen. Dazu sage ich: Gott sei Dank sind wir jetzt auf demrichtigen Weg.
Peter Dreßen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6339
(C)
(D)
Im Fazit ihrer Presseerklärung stellt die CDU/CSUfest:Notwendig ist ein Neubeginn in der Sozialpolitik,der den Weg freimacht für mehr Beschäftigung undmehr Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme.Recht haben Sie mit dieser Feststellung.Ihr Problem ist nur, daß Sie nicht wahrhaben wollen,daß die rotgrüne Bundesregierung genau dies tut, undzwar mit Erfolg.
Haben Sie denn vergessen, daß wir die 100prozentigeLohnfortzahlung im Krankheitsfalle wiederhergestellthaben? Haben Sie denn vergessen, daß für 8 MillionenMenschen der Kündigungsschutz wieder gilt? Haben Sievergessen, daß der Beitrag zur Rentenversicherung von20,3 auf 19,5 und demnächst auf 19,3 Prozent absinktund daß zugleich die Fremdleistungen in der Rentenver-sicherung jetzt steuerfinanziert werden? Haben Sie ver-gessen, daß die Winterarbeitslosigkeit auf dem Baudurch die Einführung des Schlechtwettergeldes beseitigt,daß die Entlassungsabfindungen nicht mehr auf das Ar-beitslosengeld angerechnet werden und daß beim Steu-errecht Familien und Arbeitnehmerhaushalte kräftigentlastet werden?Dies ist wahrlich eine stolze Bilanz, wobei ich derZeit wegen noch nicht einmal alles aufführen konnte.Dies alles haben wir durchgesetzt, obwohl Sie von derOpposition in der Sozialpolitik nichts anderes tun alsverschleiern und verhindern, ja selbst vor Unwahrheitenund Verunsicherungen nicht zurückschrecken.Ich will Ihnen deutlich machen, daß sogar die Pressedarauf einsteigt. In der „Bild-Zeitung“ vom 10. Novem-ber dieses Jahres steht: 75 Prozent der 630-DM-Jobswurden ersatzlos gestrichen.
– Ja, weil Sie das so behaupten. Leider übernimmt diePresse manchmal die Enten, die Sie produzieren.
– Im Arbeitsministerium wurden 3,2 Millionen 630-DM-Jobs registriert.
Wenn man dem folgen würde, hätten wir vorher12,4 Millionen solcher Jobs gehabt. Daß das von A bis Znicht stimmen kann, ist ja wohl klar. Das können Sienicht wegdiskutieren.
3,2 Millionen 630-DM-Jobs sind schon heute regi-striert. Dabei sind diejenigen, die neben einem normalenArbeitsverhältnis einen zusätzlichen 630-DM-Job haben,gar nicht registriert. Wenn ich die noch hinzurechne,dann müßte es nach Ihrer Devise 12 bzw. 13 Millionen630-DM-Jobs gegeben haben. Das – das müssen Siezugeben – haben selbst wir in der Opposition nicht be-hauptet. Wir sind immer davon ausgegangen, daß eszwischen 5 und 6 Millionen 630-DM-Jobs gibt.Wie gesagt, 3,2 Millionen sind Gott sei Dank regi-striert. Die Sozialversicherung und die Krankenversiche-rung haben dadurch Mehreinnahmen; das ist richtig. Dasist notwendig, damit die bestehenden schwierigen Gege-benheiten beseitigt werden können.Die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Realisie-rung sozialer Gerechtigkeit sind und bleiben die vorran-gigen Ziele der rotgrünen Regierung.
Dieses Gesetz ist ein Baustein zur Förderung der Selb-ständigkeit, aber auch ein Baustein für die Funktionsfä-higkeit des Sozialversicherungssystems. Ich bitte des-halb um Ihre aktive Zustimmung, meine Herren.
Bevor ich dem
nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich Ihnen das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der letzten namentlichen Abstimmung zum
Steuerbereinigungsgesetz 1999 auf den Drucksa-
chen 14/1514, 14/1655 und 14/2035 bekannt: Abgege-
bene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 326, mit
Nein haben gestimmt 212. Es gab 29 Enthaltungen.1)
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Das Wort in dieser Debatte hat nun der Abgeordnete
Klaus Hofbauer.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! HerrDreßen, es ist schon interessant, Ihnen zuzuhören,
vor allen Dingen Ihren Ausführungen zum Thema Ar-beitsmarkt.Angesichts der Arbeitsmarktzahlen, die in denletzten Tagen zu hören waren, wird die Bankrotterklä-rung der Bundesregierung offensichtlich.
Diese Bundesregierung hat versprochen, die Arbeitslo-sigkeit drastisch zu reduzieren.
1) Die Namensliste wird in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokollabgedruckt.Peter Dreßen
Metadaten/Kopzeile:
6340 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Aber in der Presse steht: Ein Jahr Schröder – Stillstandauf dem Arbeitsmarkt. Und das ist auch feststellbar; dasmuß registriert werden.
Diese Bundesregierung ist angetreten, um die Ar-beitslosigkeit drastisch abzubauen, und zwar in kürzesterZeit. Im letzten Jahr der Regierung Kohl, sind 400 000Arbeitslose abgebaut worden. Aber seitdem ist ein Jahrlang nichts mehr passiert. Das sind die Fakten, meinesehr geehrten Damen und Herren.
Ich möchte gar nicht erst von dem Rückgang derZahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigtensprechen. Leider Gottes kann uns niemand, auch nichtdie Bundesregierung, die genaue Zahl nennen. DieSchätzungen gehen aber unbestritten davon aus, daß indiesem einen Jahr fast 400 000 Arbeitsplätze verloren-gegangen sind. Dies muß noch in die Arbeitsmarktzah-len einbezogen werden.
Der neuerliche Entwurf eines Gesetzes zur Förde-rung der Selbständigkeit genügt bei weitem nicht denAnforderungen an ein modernes Regelungswerk für einunkompliziertes und unbürokratisches Verfahren. Des-halb fordert die Union, das Gesetz in Gänze zurückzu-nehmen.
Wir und viele Experten haben vor den Problemengewarnt. Die Entwicklung der letzten Monate hat unsleider recht gegeben.
Das jetzt vorliegende Korrekturgesetz ist ein offenesEingeständnis des völligen Fehlschlags des ersten Ver-suchs von Herrn Minister Riester, die sogenannteScheinselbständigkeit zu bekämpfen.Wir erinnern uns an die Regierungserklärung imletzten Jahr. Rotgrün hat versprochen, mehr Arbeitsplät-ze zu schaffen, den Arbeitsplatzabbau zu stoppen
und die Bürokratie abzubauen. Es sieht ganz anders aus:Das 630-DM-Gesetz hat geringfügige Beschäftigungs-verhältnisse vernichtet. Und das Gesetz zur Bekämp-fung der Scheinselbständigkeit hat Existenzgründun-gen erschwert und zum Teil unmöglich gemacht.
Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, daß imBundestag auf Ihren Vorschlag hin Gesetze verabschie-det werden, die sich schon nach wenigen Wochen alspraxisuntauglich erweisen und grundlegend geändertwerden müssen. Das Maß an Widersprüchen und an Ir-ritationen, die durch dieses Ministerium und durch IhreKoalition ausgelöst werden, ist meiner Auffassung nachvoll.Bezeichnend ist, was die Bundesregierung im Ent-wurf eines Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeitals Begründung für die Reparatur des Gesetzes vorlegt.Ich zitiere aus dem Vorspann:Die Neuregelungen haben in der Praxis ... aufgrundvon Mißverständnissen über ihre rechtliche Trag-weite zu Schwierigkeiten geführt.Wenn man nach wenigen Wochen feststellt, daß einGesetz so nicht funktioniert, dann ist es doch ein Ar-mutszeugnis, ein solches Gesetz überhaupt vorgelegt zuhaben. Sie haben mit dieser Neuregelung Ihr eigenesGesetz vom letzten Jahr abgewatscht.
Wie lange wollen es sich diese Bundesregierung unddie rotgrüne Koalition noch erlauben, solch mißrateneGesetze
trotz der Warnung der Experten und der Opposition inKraft zu setzen?
Wir garantieren Ihnen, daß auch dieses Gesetz nicht lan-ge halten wird und daß wir bald wieder vor neuen Er-gänzungen und Änderungen stehen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Siemir, wenn es um Existenzgründungen geht, eine ganzpersönliche Bemerkung. Ich war 15 Jahre lang Wirt-schaftsreferent in einem Landratsamt
und habe vielleicht 700 oder 800 Existenzgründungsge-spräche geführt und ungefähr 150 Existenzgründungenvon Anfang an bis zum Erfolg begleitet. Aus meinerpraktischen Erfahrung kann ich sagen: Dieses Gesetzbehindert und verzögert, und vor allen Dingen demoti-viert es junge Leute, einen Betrieb zu eröffnen.
Klaus Hofbauer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6341
(C)
(D)
Erlauben Sie mir eine weitere Bemerkung auf Grundmeiner praktischen Erfahrung aus den Existenzgrün-dungsgesprächen: Die jungen Menschen haben mit derBürokratie die größten Schwierigkeiten. Sie bauen mitdiesem Gesetz wie bei den 630-DM-Jobs neue Demo-kratie
– Bürokratie auf. Sie sind Weltmeister in der Schaffungvon Bürokratie, dabei wollten Sie doch die Bürokratieabbauen. Dieses Versprechen haben Sie bei weitemnicht erfüllt.
Ein schlechtes und unausgewogenes Gesetz wirdauch durch das Herumdoktern an den Symptomen nichtbesser. Es fehlt die Grundlage. Schauen Sie einmal indie neue Ausgabe der „Wirtschaftswoche“: Im letztenJahr ist gegenüber heuer die Zahl der Gewerbeanmel-dungen um 40 000 zurückgegangen. Denken Sie einmaldarüber nach, welchen Anteil daran Ihr Gesetz hat. Dasist Ihre verfehlte Politik, für die tragen Sie die Verant-wortung.Erlauben Sie mir, zum Antrag der CDU/CSU zum630-DM-Gesetz ein paar Anmerkungen zu machen. Siehaben einen Wust von Bestimmungen und Verordnun-gen verursacht, der katastrophal ist.
Sie haben Regelungen für verschiedene Gruppen getrof-fen, zum Beispiel für Minijobber oder für Nebenjobber –hier gibt es vier Varianten zu beachten –, für geschiede-ne Jobber, für Rentner, für Schüler und Studenten, fürkurzzeitig tätige Jobber und für Menschen, die erwei-terte Rentenansprüche erwerben wollen, für Arbeitsloseund für Sparer. Sie haben ein undurchschaubares Gesetzin die Welt gesetzt.
In der Broschüre des Arbeitsministeriums sind allein12 unterschiedliche Fallbeispiele enthalten. In denRichtlinien für die Spitzenverbände der Sozialversiche-rung stehen sogar 28 verschiedene Fallbeispiele. DieVerwaltungs- und Gerichtspraxis wird zeigen, daß dieseListe ins Unendliche fortgesetzt werden kann. DieseBundesregierung und diese Koalition schaffen Bürokra-tie und keine Arbeitsplätze.
Darf ich zum 630-DM-Gesetz noch eine Zahl insSpiel bringen? Wenn meine Schätzungen stimmen –man möge mir widersprechen, wenn es nicht so ist –,sind allein ungefähr 2,3 Millionen Anträge über Frei-stellungen im letzten Jahr zu bearbeiten gewesen.
Wissen Sie, welchen bürokratischen Aufwand Sie denFinanzämtern aufgebürdet haben?
Die Finanzämter kommen nicht mehr zu ihren eigenenAufgaben. Sie wollten Bürokratie abbauen und habenneue Bürokratie geschaffen.In diesem Sinne wäre es sinnvoll, das eine Gesetz so-fort aufzuheben und das andere Gesetz zurückzuneh-men, um wieder mehr Schwung in die Wirtschaftskraftzu bringen.Herzlichen Dank.
Das Wort hatjetzt die Abgeordnete Margareta Wolf.
Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Niebel, ich würde nie von Ihnen ab-schreiben.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Verehrter Herr Kollege Hofbauer, Sie haben ge-rade beklagt, daß wir mit unserem Gesetz die Schein-selbständigkeit nicht zurückgedrängt haben. Wir habenin der Tat mit dem Gesetz, das am 19. Dezember 1998verabschiedet wurde,
einen untauglichen Versuch unternommen, der Schein-selbständigkeit entgegenzuwirken.
– Ich weiß, daß Sie gern dazwischenrufen.Sie sind diesem Prozeß, daß zunehmend Leute vonden Arbeitgebern aus Betrieben „outgesourced“ und indie Selbständigkeit geschickt wurden, weil die Sozial-versicherungsbeiträge zu hoch waren, nicht entgegenge-treten. Sie wissen auch, daß Sie den Mut dazu nichthatten und haben.
Jetzt sagen Sie, verehrter Herr Kollege Hofbauer, wirwürden mit dem Gesetzentwurf, über den wir heute dis-kutieren, deutlich machen, daß wir unser erstes Gesetzabwatschen. Herr Kollege Hofbauer, wir haben ein an-deres Verständnis von Politik als Sie. Wir haben mitdiesem Gesetzentwurf tatsächlich das erste Gesetz kor-rigiert. Wir haben erst drei Monate lang Erfahrungen ge-sammelt und dann eine Kommission eingerichtet. Wirhaben genau das gemacht, was Sie heute mit Ihren An-trägen einfordern.
– Sie hätten sich schon in den 16 Jahren Ihrer Regie-rungszeit mit den Leuten treffen müssen. Aber jetzt,Klaus Hofbauer
Metadaten/Kopzeile:
6342 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
nachdem wir einen Prozeß abgeschlossen haben, stellenSie sich hierhin und sagen: Weg mit dem Gesetz, dennihr müßt euch erst einmal mit den betroffenen Branchentreffen.Das haben wir getan. Dieser Gesetzentwurf ist unterBeteiligung der IT-Branche, einer Zukunftsbranche, derJournalisten, der freien Berufe und der Gewerkschaftenentstanden. Diese Kommission hat hart gearbeitet undhier einen Gesetzentwurf vorgelegt, von dem ich glaube,daß er tatsächlich zu mehr Selbständigkeit und zur Si-cherung der Sozialversicherungssysteme beiträgt.
Herr Kollege Dreßen, ich glaube, es war gut, daß sichdie Kommission nicht die Aufgabe gestellt hat, zu defi-nieren, was abhängig Beschäftigte sind. Daran beißensich BAG-Richter seit Jahrzehnten die Zähne aus. Ichglaube auch, daß es hier keine Statusdefinition gebensollte. Denn unsere Arbeitsgesellschaft befindet sich ineinem Umbruch, bei dem Statusdefinitionen nicht wei-terhelfen.
Frau Kollegin,darf der Kollege Hinsken eine Zwischenfrage stellen?Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Nein. Den Kollegen Hinsken kenne ichschon. Herr Hinsken, ich schätze Sie sehr, und Sie kön-nen Ihre Frage später stellen. Ich möchte noch einenPunkt ansprechen, danach können wir gern diskutieren.
– Herr Niebel, dies möchte ich mit allem Ernst anspre-chen. Ich finde das alles nämlich nicht so schrecklichkomisch, wie Sie das immer finden.
Ich habe eine wirklich ernstgemeinte Frage an dieF.D.P., aber auch an die CDU. Ich glaube, Sie, meineverehrten Kolleginnen und Kollegen, müssen sich ent-scheiden, ob Sie die soziale Marktwirtschaft tatsäch-lich zukunftstauglich machen wollen.Sehen Sie sich einmal alle Statistiken an. Diese sindnicht vom Himmel gefallen. Ich möchte auch nicht im-mer auf die 16 Jahre hinweisen, aber Sie müssen sicheinmal ansehen, wie das Vertrauen in die Systeme dersozialen Sicherung in den letzten Jahren – berechtigt –geschwunden ist. Es wird von sozialer Ungerechtigkeitgeredet. Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie diesoziale Marktwirtschaft zukunftstauglich machen, oderbeziehen Sie sich immer nur so auf Röpke und Eucken,weil es gut in Ihren Kurs paßt? Für meine Begriffe sindSie durch Ihren Fundamentalismus auf dem besten We-ge, sich von der sozialen Marktwirtschaft zu verabschie-den. Sie blockieren Innovationen, die diese sozialeMarktwirtschaft zukunftstauglich machen würden.
Ziel unseres Gesetzes – ich gebe zu, das ist ein Spa-gat – war es, auf der einen Seite Selbständigkeit zu för-dern und auf der anderen Seite den schon beschriebenenProzeß, daß Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu-nehmend in die Selbständigkeit ohne Sozialversiche-rungspflicht gedrängt werden, zu beenden und dies zuverknüpfen. Das ist eine Herausforderung, der wir unsvor dem Hintergrund des Übergangs von der Industrie-gesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft stellenmußten.Dazu, daß Sie jetzt immer sagen, dies sei unglaublichbürokratisch, muß ich sagen: Entschuldigen Sie bitte,verehrte Kolleginnen und Kollegen, aber die Statusan-frage, die Sie im Rahmen der Anhörung immer als bü-rokratisch kritisiert haben, gab es auch schon zu IhrerRegierungszeit, allerdings mit dem Unterschied gegen-über dem jetzigen Entwurf, daß man die Statusanfragebei dem jeweiligen Krankenversicherungs- und Renten-versicherungsträger stellen mußte. Wir gestalten dieStatusanfrage effizient. Ausschließlich zuständig ist dieBfA.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, eshandelt sich bei dem Gesetz zur Förderung der Selb-ständigkeit um ein gutes Gesetz. Wir haben durch dieErweiterung des Kriterienkatalogs und vornehmlichdurch die Zurückdrängung – –
– Sie haben sicher noch Gelegenheit, sich dazu zu äu-ßern, sonst lassen Sie sich von Ihrer Fraktion auf dieRednerliste setzen. Ich finde es störend, Herr Niebel.
– Ich habe von Ihnen noch nie etwas abgeschrieben. Ichfinde Ihre Papiere bisweilen nicht sehr inhaltsreich. DieFloskeln wiederholen sich ständig.
Daß Sie damit auf wenig Resonanz stoßen, müßteninzwischen auch Sie schon gemerkt haben.
Wir haben die Vermutungsregelung aus gutenGründen – aus Gründen des Bürokratieabbaus, aberauch vor dem Hintergrund des Ziels der Förderung derSelbständigkeit – zurückgedrängt. Sie ist quasi nichtmehr existent.Darüber hinaus haben wir etwas gemacht, auf dasman vielleicht schon früher einmal hätte kommen kön-nen: Wir stellen die Existenzgründer für drei Jahre vonder Rentenversicherungspflicht frei. Diese Möglichkeitkann man zweimal im Leben in Anspruch nehmen. Zu-dem sind wir dazu übergegangen, daß alle schon jetztSelbständigen bis zum 30. Juni 2000 Zeit haben, ihreAltersvorsorge nachzuweisen: in Form von Immobi-lien, in Form von Anlage in Aktienfonds – egal, wie.Wir überlassen es ihnen selber, nachzuweisen, daß sieMargareta Wolf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6343
(C)
(D)
für ihr Alter vorgesorgt haben. Wir schreiben ihnennicht vor, wie sie das zu regeln haben. Die Befreiungvon der Rentenversicherungspflicht muß bis zum30. Juni 2000 beantragt werden. Ich halte das für einsehr gutes Signal für die Existenzgründer.Ich möchte Sie bitten, diesen Prozeß – das wird janicht die letzte Debatte zu diesem Thema sein – zurFörderung der Selbständigkeit in Deutschland und zurReform des Sozialversicherungssystems zu unterstützen.Verehrter Herr Kollege Niebel, ein Problem der altenBundesregierung war – aber ich glaube, das betrifft alleFraktionen hier in diesem Hause –, daß Sozialpolitikerzuwenig mit Wirtschaftspolitikern geredet haben. Ichweiß nicht, wie das bei Ihnen ist.
– Das ist ja ganz hervorragend, nur erinnere ich mich anüberhaupt keine sozialpolitischen Ansätze bei Ihnen.Übrigens sind mir auch keine Ansätze erinnerlich, diein der Vergangenheit zu mehr Selbständigkeit geführthätten. 1998 betrug die Selbständigenquote in Deutsch-land 9,4 Prozent.
Sie wissen vielleicht, daß sie in Großbritannien bei12 Prozent, in den Niederlanden bei 10 Prozent, in Bel-gien bei 13 Prozent lag. 1999 beläuft sich die Selbstän-digenquote auf 9,6 Prozent, gegenüber 9,4 Prozent imJahre 1998. Wir müssen hier noch relativ viel tun. Aberich glaube, Sie können hier nicht ernsthaft behaupten,den Selbständigen gehe es so schlecht, weil jetzt ein JahrRotgrün regiert.
Es gibt unsererseits einiges aufzuarbeiten. Ich kannSie nur herzlich einladen: Wenn wir die soziale Markt-wirtschaft erhalten und zukunftstauglich machen wollen,dann wirken Sie konstruktiv mit, anstatt jede Debatte zurReform der sozialen Marktwirtschaft dazu zu nutzen,populistisch dumme Sprüche zu klopfen!
Als ich die Beiträge der F.D.P.-Kollegin zur Familien-förderung gehört habe, habe ich spontan gesagt: DieF.D.P. ist auf dem Weg hin zur alten Traditionssozial-demokratie. Diese Beiträge sind hier lange genuggehalten worden. Ich lade Sie also ein – denn es handeltsich um ein riesengroßes Reformprojekt –, die sozialeMarktwirtschaft Ludwig Erhards zu erneuern und somitzukunftstauglich zu machen.Danke schön.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Heinrich Kolb.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! LiebeFrau Wolf, Ihr Versuch, den hier vorliegenden Gesetz-entwurf schönzureden, taugte nicht. Sie werden damitkeinen Erfolg haben.
Die rotgrüne Koalition hat vor ziemlich genau einemJahr – trotz damals unüberhörbar vorgetragener War-nungen und Bedenken nicht nur der Opposition, sondernauch aller angehörten Experten – eine Regelung be-schlossen, die man rückblickend nur als Anschlag aufdie Selbständigkeit in Deutschland bezeichnen kann.
Eifernd, mit Schaum vor dem Mund, haben Sie damalsunter dem hehren Titel „Korrekturen in der Sozialversi-cherung und Sicherung der Arbeitnehmerrechte“ zumin-dest einen Gründerjahrgang erheblich verunsichert,wenn nicht sogar vollständig platt gemacht.Zwar werden uns die endgültigen Zahlen zum Exi-stenzgründungsgeschehen das ganze Desaster für dasJahr 1999 deutlich machen, aber der Trend ist schonjetzt klar; Kollege Hofbauer hat ihn benannt. Die Ver-antwortung dafür liegt bei Ihnen.Nun liegt also das Korrekturgesetz zum Korrekturge-setz vor. Dieser Gesetzentwurf ist schon deswegen un-zureichend, weil er andere dringend korrekturbedürftigeSachverhalte, zum Beispiel die geringfügigen Beschäf-tigungsverhältnisse, außen vor läßt.Ich fordere Sie auf: Werden Sie auch hier tätig. Neh-men Sie die berechtigten Klagen im Lande und die Men-schen ernst. Wir werden auf jeden Fall heute aus diesemGrund dem Entschließungsantrag der CDU/CSU zu-stimmen.
Aber selbst da, Frau Kollegin Kastner, wo Sie denVersuch einer Überarbeitung bei der von Ihnen so be-zeichneten Scheinselbständigkeit unternehmen, kannman nicht umhin, kopfschüttelnd nur eine Verschlimm-besserung festzustellen. Es zeugt – ich muß das so sagen– von Unbelehrbarkeit und von Beratungsresistenz, daßSie erneut den Anregungen und Warnungen in der Ex-pertenanhörung nicht folgen, sondern Ihren Gesetzent-wurf weitgehend unverändert in einem Eilverfahren indiesem Hause durchsetzen wollen.
– Herr Dreßen, ich habe sie alle durchgelesen. Ich habemir diese Mühe gemacht, obwohl Ihnen etwa die BDAund der ZDH in Kenntnis Ihrer vorgeschlagenen Kor-rekturen dringend und übereinstimmend nahegelegt ha-ben, die mit dem ersten Korrekturgesetz eingeführtenBestimmungen zurückzunehmen und zum alten Rechts-zustand zurückzukehren.Margareta Wolf
Metadaten/Kopzeile:
6344 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Ich fordere Sie im Namen meiner Fraktion auf: Neh-men Sie, wenn Sie dem Titel Ihres Gesetzentwurfes ge-recht, wenn Sie Selbständigkeit fördern wollen, diesesGesetz vollständig, ersatzlos und rückwirkend zurück.
Erneut werden Sie mit Ihrer Gesetzesvorlage Ihremselbstverschuldeten Ansehen in der Öffentlichkeit,schlampig und nicht mit der gebotenen Sorgfalt zu ar-beiten, gerecht. So hat es in der Anhörung, Herr Dreßen,regelrecht Anregungen und Verbesserungsvorschlägegehagelt. Ich kann Ihnen hier nur einige nennen.Der Amtsermittlungsgrundsatz wird anders, als Siebehauptet haben, nicht gestärkt, sondern geschwächt. Siesetzen Ihren wohl wichtigsten Vorschlag, die Vermu-tungsregelung des § 7 Abs. 4 des Sozialgesetzbuches aufFälle zu beschränken, in denen die Verfahrensaufklä-rung eine Sachaufklärung durch Obstruktion unmöglichmacht, nicht sachgerecht um. Sogar der Vorsitzende dervon Ihnen eingesetzten Kommission Scheinselbständig-keit, Professor Dieterich, hat Ihnen dazu in einem drin-genden Appell attestiert, daß dies in der Praxis zu ver-fehlten Ergebnissen führen kann – ich füge hinzu –, füh-ren wird.
Professor Dieterich schreibt:Ein Auftragnehmer, der seine Einbeziehung in diegesetzliche Rentenversicherungspflicht wünscht,könnte durch beharrliches Schweigen erreichen,daß die Vermutungsregelung angewendet werdenmuß, obwohl der auskunftswillige Auftraggeberdem nachdrücklich und substantiiert widerspricht.Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Besinnen Sie sich! Sor-gen Sie dafür, daß dieser Murks nicht geltendes Recht inDeutschland wird!
Die Beschränkung der rückwirkenden Beitragshaf-tung des Auftraggebers ist sicherlich gut gemeint, abersie läuft leer, wenn der Arbeitnehmer bzw. Auftragneh-mer seine Zustimmung nach § 7 a Abs. 6 und § 7 b Nr. 1SGB verweigert. Das ist nicht sachgerecht, weil der Be-schäftigte dem Arbeitgeber damit die Beitragshaftungaufzwingen kann.Ich kann aus Zeitgründen nicht mehr Beispiele nen-nen. Doch schon diese wenigen Beispiele zeigen, wa-rum Sie auch mit diesem Gesetz an der Praxis schei-tern werden. Sie sind vom falschen Paradigma geleitet,das bei einer Existenzgründung sozusagen böswilligeArbeitgeber einen schutzbedürftigen Arbeitnehmer ausder Sicherheit der Sozialversicherung herausreißenwollen.Herr Dreßen, Sie tun dem Kollegen Niebel unrecht.
Sie übersehen, daß es viele Menschen gibt, die dieZwangsvorsorge der gesetzlichen Rentenversicherungnur allzugerne abstreifen. Das ist bei der von Ihnen be-triebenen Rentenpolitik kein Wunder.
Warum, Herr Dreßen, geben Sie keine Wahlfreiheitauf Dauer, wie auch von den Experten vorgeschlagen,zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und privaterAltersvorsorge? Ich kann Ihnen sagen warum. Es gehtIhnen letztlich nicht um die Absicherung der Menschen,
sondern darum, für die Rentenversicherung Kasse zumachen. Das ist der eigentliche Grund.
– Sehen Sie denn nicht, Herr Dreßen, daß Sie damit dieVerunsicherung der Existenzgründer noch steigern? Werkann und will in den ersten drei Jahren nach Gründungmit dem Aufbau einer alternativen Altersvorsorge be-ginnen, wenn er oder sie damit rechnen muß, sich nachdrei Jahren erneut in den Fängen der Pflichtversicherungwiederzufinden?
Oder umgekehrt: Bei Ihrem Gesetz ist es möglich,zunächst ohne Mitarbeiter zu arbeiten, nach fünf JahrenMitarbeiter einzustellen, um dann festzustellen, daß diezwischenzeitlich bezahlten Beiträge verloren gegangensind, wenn man dann mit dem Beginn einer eigenen Al-tersvorsorge anfängt.Daß Sie im übrigen jedem Existenzgründer nur zweiVersuche einer Gründung zugestehen wollen, ist einweiterer Ausdruck Ihres Mißtrauens gegen alles, wasmit Selbständigkeit zu tun hat.
Deswegen seien Sie wenigstens so ehrlich, den Titel Ih-res Gesetzes zu ändern. Es ist nicht mehr und nicht we-niger als ein Etikettenschwindel.
Fazit, Herr Dreßen: Die Verunsicherung wird bleiben.Die Modellrechnungen, die uns in der Anhörung vorge-legt worden sind, bestätigen, daß durch das vorliegendeGesetz ein deutlich größerer Personenkreis dem Ver-dacht der Scheinselbständigkeit ausgesetzt wird, als esvor dem Inkrafttreten des ersten Korrekturgesetzes derFall war.
Dies ist nicht nur schade, sondern fatal, Herr Dreßen,weil Existenzgründer in den ersten Wochen und Mona-Dr. Heinrich L. Kolb
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6345
(C)
(D)
ten ihrer Selbständigkeit wirklich andere Probleme ha-ben, als mit der BfA über ihren Status zu streiten.
Aber davon haben Sie keine Ahnung. Wir schon! Des-wegen stimmen wir Ihrem Gesetz nicht zu.
Als
nächster Redner hat das Wort die Kollegin Dr. Heidi
Knake-Werner von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ihr Gesetzentwurf,meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Koali-tionsfraktionen, ist weder Fisch noch Fleisch. Es istwirklich schade, daß binnen eines Jahres rotgrüner Re-gierungspolitik ein richtiger Politikansatz verwässertwird, nur weil die Unternehmer und ihre Verbände –diese machen ja die eigentliche Politik – laut genug da-gegen Stimmung machen. Es fällt auf, daß genau unterdiesem Druck aus einem Gesetz zum Schutz vorScheinselbständigkeit ein Gesetz zur Förderung derSelbständigkeit wird. Dies mag auch ein wichtiges An-liegen sein, aber es war nicht das Anliegen des ur-sprünglichen Gesetzes. Dies führt natürlich dazu, daßinzwischen alle unzufrieden sind. CDU/CSU und F.D.P.– dies haben wir gerade gehört – sowie die Unterneh-merverbände wettern gegen jede Form der sozialen Re-gulierung. Die Gewerkschaften sind enttäuscht. Die Be-troffenen selbst fürchten, daß dem Mißbrauch nun er-neut Tür und Tor geöffnet wird.
Vor knapp einem Jahr haben wir hier Regelungen zurBekämpfung der Scheinselbständigkeit verabschiedet.Die PDS hat damals zugestimmt, und zwar aus gu-tem Grund. Wir alle wissen, daß immer mehr Men-schen gegen ihren Willen in die Selbständigkeit ge-drängt werden, und zwar meist unter dem Verlust ihresTariflohns oder ihrer sozialen Schutzrechte. Dies ge-schieht nur, weil sich ihre Arbeitgeber vor der Zahlungder Beiträge in die Sozialkassen drücken wollen. Aberes ging damals darum, den scheinselbständig Arbeiten-den sozialen Schutz zu geben und dafür zu sorgen, daßKrankheit sie nicht ruiniert, daß Arbeitslosigkeit nichtihre Existenz bedroht und daß sie im Alter nicht zumSozialamt gehen müssen. Vor allem darum geht es auchheute.Niemand möchte Künstler, freie Journalisten, Com-puterspezialisten oder diejenigen, die wirklich selbstän-dig sein wollen, in die Sozialversicherung zwingen.Niemand möchte Existenzgründungen verhindern. Nein,in dem vorliegenden Gesetz, das bis jetzt gilt, ging esvorrangig um den Transportfahrer, der den Lkw bei sei-nem Auftraggeber kaufen muß, die Regalauffüllerin imSupermarkt sowie um den Ausbeiner und den Kopf-schlächter, die am Fließband im Schlachthof arbeiten,oder um die Telearbeiterin an ihrem heimischen Com-puter. Deren Schutzbedürftigkeit ist heute genauso aktu-ell wie vor einem Jahr.
Es geht uns ebenfalls darum – auch dies ist bedrük-kend aktuell –, der Entwicklung eines neuen Niedrig-lohnsektors in der Grauzone zwischen Selbständigkeitund Scheinselbständigkeit entgegenzuwirken. Dies wardas zentrale Anliegen des jetzt noch geltenden Gesetzes.Aber von diesem rücken Sie zunehmend ab. Genau dashalten wir für den völlig falschen Weg.Das, was die CDU/CSU und die F.D.P. hier anzubie-ten haben, ist so einfallslos wie falsch. Sie machen essich wirklich ein bißchen zu einfach, wenn Sie sagen:Das Gesetz muß weg; denn selbst während Ihrer Regie-rungszeit ist Ihnen schon aufgefallen, daß die Sozialkas-sen ausbluten, wenn immer weniger Menschen in nor-malen und dafür immer mehr Menschen in prekären Ar-beitsverhältnissen arbeiten und wenn sich die Unter-nehmer aus ihrer sozialen Verpflichtung stehlen. Hierbestand und besteht auch weiterhin Handlungsbedarf.Aber ich finde es gut, daß das Problem zumindest ange-packt worden ist.Auch wir hatten reichlich Kritik an dem Gesetz zuden 630-DM-Jobs, sehen uns aber heute in der Situation,dieses Gesetz gegen die Verdummungskampagne derOpposition in der Öffentlichkeit zu verteidigen.
Nun zu einigen Punkten im einzelnen: Ich gestehe zu,daß es in dem neuen Gesetzentwurf, den Sie vorgelegthaben, einige wichtige Änderungen gibt, die helfen kön-nen, Mißverständnisse, Fehlinterpretationen und Irrita-tionen zu verhindern. Ich finde es gut, daß künftig Be-troffene überprüfen lassen können, ob sie selbständigoder scheinselbständig sind, und dabei alle Umstände ih-rer individuellen Situation zum Tragen kommen müssen.Daß das jetzt allein die Bundesversicherungsanstalt fürAngestellte machen soll, ist ganz sicher ein wichtigerSchritt zur Entbürokratisierung. Dies schafft Rechtssi-cherheit sowohl für die echten Selbständigen als auchfür die abhängig Beschäftigten. Auch verhindert es of-fensichtlich, daß weiter Panik gemacht werden kann unddie Betroffenen verunsichert werden können.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützenauch, daß Sie neu regeln, daß künftig bei der Feststel-lung der Selbständigkeit Ehefrauen und Ehemänner alsganz reguläre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerzählen. Das kann natürlich Mißbrauch fördern; aber jedeandere Regelung wäre wirklich mittelalterlich. Daswollen wir sicherlich alle gemeinsam nicht.
Aber ich sage Ihnen auch, liebe Kolleginnen undKollegen, daß ich es absolut falsch finde, daß künftigSozialbeiträge unter bestimmten Bedingungen erst ge-zahlt werden müssen, wenn die Scheinselbständigkeitfestgestellt wird, und nicht schon ab dem Zeitpunkt desAnstellungstermins. Das führt zu Verlusten bei Sozial-beiträgen für die Betroffenen. Das führt ferner zumVerlust eines indirekten Kündigungsschutzes. Das be-Dr. Heinrich L. Kolb
Metadaten/Kopzeile:
6346 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
günstigt schließlich die Arbeitgeberinnen und Arbeitge-ber, die sich ihrer Sozialpflicht entziehen, und verschafftihnen Wettbewerbsvorteile, die ihnen einfach nicht zu-stehen.
Kom-
men Sie bitte zum Schluß.
Ich komme zum
Schluß.
Lassen Sie mich nur noch etwas zu den Existenz-
gründungen sagen. Ich halte es auch für richtig, Exi-
stenzgründerinnen und Existenzgründer zu unterstützen;
das wollen wir auch. Aber sie drei Jahre lang beitrags-
frei zu stellen, obwohl sie lediglich Minimalbeiträge von
103 DM bzw. 123 DM zu bezahlen haben, halte ich für
falsch. Sie wissen sehr wohl, daß man bei demjenigen,
der diese Beiträge nicht aufbringen kann, schon fragen
darf, ob sein Unternehmenskonzept wirklich zukunfts-
tauglich ist. Diesen Fehler zu wiederholen empfinde ich
als das absolut falsche Signal. Wir möchten diesen Per-
sonenkreis einbeziehen.
Zum Abschluß möchte ich Sie an ein Wort Ihres
Bundeskanzlers erinnern,
der gestern in seiner Regierungserklärung gesagt hat – –
Frau
Kollegin, Sie haben jetzt Ihre Redezeit weit überzogen.
Ich bitte Sie, Ihre Rede sofort abzuschließen.
Lassen Sie mich
einfach noch das Zitat vortragen.
Nein,
ich lasse das nicht mehr zu. Ich bitte Sie aufzuhören.
Schade, denn er
hat sich und uns etwas sehr Wichtiges mit auf den Weg
gegeben.
Wir werden uns jedenfalls bei dem Gesetzentwurf
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen der Stimme ent-
halten.
Als
nächster Redner hat der Kollege Olaf Scholz von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Wir diskutieren hier über die Weiter-entwicklung eines Gesetzes, das wir vor einem Jahr be-schlossen haben, das dringend notwendig war und dasnoch einmal erläutert werden muß, weil man manchmalein bißchen durcheinanderkommt.Bei diesem Gesetz ging es um einen großen Miß-stand, der sich über Jahre hinweg aufgebaut hat und dendie alte Regierung nicht beheben konnte.
Er bestand darin, daß bei der zugegebenermaßen nichtimmer einfachen Frage, wer Selbständiger und wer ab-hängig Beschäftigter, also Arbeitnehmer, ist, der Arbeit-geber aus ökonomischen Gründen in immer mehr FällenMenschen als Selbständige behandelt hat, die in Wahr-heit abhängig Beschäftigte waren. Es gibt Zählungen,die besagen, daß fast eine Million Menschen in dieserArt und Weise tätig sind. Das ist für einen Sozialstaatund für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft einegroße Bedrohung.
Wir haben uns nämlich schon sehr lange dafür ent-schieden, daß in Deutschland das System der sozia-len Sicherheit, als Pflichtmitgliedschaft organisiert, vorallem denjenigen zugute kommt, die abhängig beschäf-tigt sind. Insofern ist für einen Sozialstaat unserer Prä-gung von zentraler Bedeutung, daß wir immer ge-währleisten, daß alle abhängig Beschäftigten sozial-versichert werden und den daraus erwachsenden Schutzgenießen können.
Das Gesetz, das wir im letzten Jahr beschlossen habenund das im wesentlichen erhalten bleibt, hat dazu eineNeuerung eingeführt. Es ist gesagt worden: Weil aufGrund der Fehlberatung durch viele Steuerberater, derFehlberatung leider auch durch viele Berufsverbände,der Fehlberatung durch viele Rechtsanwälte
und wegen des guten Glaubens, daß man mit dem Miß-brauch durchkommen könnte, dieser Zustand immermehr zugenommen hat, wollen wir eine Regelung ein-führen, daß neben der Rechtsprüfung – da, wo die Leutenicht mitmachen; da, wo die Leute die Angaben verwei-gern, wo sie falsche Angaben machen –
eine Möglichkeit bestehen soll, auf Grund sozialerSachverhalte – hier geht es darum, daß man aus einerWahrscheinlichkeit heraus schätzen kann, daß es sichbei dem Betreffenden um einen Arbeitnehmer handelt –eine Vermutungsregelung hinzuzunehmen. Nur fürdiesen Fall hat sie gegolten. Die Kriterien, die wir bisherhatten, sind Vermutungsregelungen, die dann helfen,Dr. Heidi Knake-Werner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6347
(C)
(D)
wenn gewissermaßen die Tatsachen nicht beigebrachtwerden.
Weil nun so viele Menschen dabei ertappt wordensind, wie sie das, was ihnen ihre Steuerberater oderRechtsanwälte fälschlich gesagt haben, umgesetzt ha-ben, oder bei dem ertappt worden sind, was sie vonselbst gemacht haben,
hat es einen großen Schrecken gegeben. Dieser großeSchreck hat zu folgendem geführt: Es wurde das Gesetzganz anders wahrgenommen, als die Regelungen desGesetzes es nahelegten oder als es beispielsweise schonim April die Spitzenverbände der Sozialversicherungs-träger jedermann mitgeteilt haben. Es sollte nämlichnicht nach der Vermutungsregelung geprüft werden, objemand selbständig oder abhängiger Arbeitnehmer ist.Vielmehr sollte das an Hand der Kriterien geprüft wer-den, die seit Jahrzehnten in der sozialgerichtlichen undder arbeitsrechtlichen Rechtsprechung entwickelt wor-den sind. Da sollte gar nichts verschoben werden.
Zeitungsschreiber, Verbandsjournalisten, F.D.P.-Politi-ker haben immer so getan, als böte die Vermutungsre-gelung das alleinige Abgrenzungskriterium.
Das war nicht richtig, weil das vom Gesetz nicht vorge-sehen war.
Weil man ja zur Kenntnis nehmen muß, was passiert,wenn Fehlinformationen von Politikern verbreitet wer-den – die Menschen glauben ja, daß sie sich danachrichten müßten –, haben wir das Gesetz an dieser Stellekorrigiert, indem wir noch einmal ganz deutlich gesagthaben: Erst hat an Hand der beigebrachten Fakten eineSachprüfung durch die Sozialversicherungsträger statt-zufinden – das war immer schon der Fall, auch nachdem neuen Gesetz des letzten Jahres –, und dann, wennjemand nicht mitwirkt, wenn er nicht tut, was er soll,wenn er keine Angaben macht, greift die Vermutungsre-gelung. Diese Klarstellung ist hilfreich, und ich glaube,es ist richtig, das zu machen.
Das zweite Moment, das dieses Gesetz trägt, das Sieheute mit uns beraten, ist die Tatsache, daß wir nicht einschrecklicher Gesetzgeber sind, der die Leute gewisser-maßen bis ins letzte Glied verfolgen will.
Vielmehr wollen wir dafür sorgen, daß es den Menschenleichter fällt, sich an die Gesetze zu halten, und daß siemit den Schwierigkeiten, die sich ergeben könnten, zu-rechtkommen können. Darum gibt es jetzt das Anfrage-verfahren, das es irgendwie schon immer gegeben hat,das aber jetzt um neue Möglichkeiten erweitert wordenist.
Jeder, der unsicher ist, braucht sich nicht mehr an soge-nannte Berater zu wenden, die ihm Fehlinformationengeben; er kann sich statt dessen an die BfA wenden undkann dort eine Auskunft darüber erhalten, ob er Arbeit-nehmer oder Selbständiger ist. Auch sein Arbeitgeberkann das tun.
Das ist eine hervorragende Regelung. Es ist überhauptnicht schlimm, daß dann für einen oder zwei MonateBeiträge in die falsche Versicherung einbezahlt werden.Bestimmungen hinsichtlich der Rückwirkung sind daauch nicht nötig. Die Leute haben sich ja an die Versi-cherung gewandt, und man kann die Sachen für die Zu-kunft lösen. Das ist ja wichtig.Das gleiche gilt für die wichtigste Vorschrift des Ge-setzes. Ich meine nämlich den § 7 c, der eine Amnestie-regelung beinhaltet.
Ich bitte die Mitglieder dieses Hauses darum, daß sie dasauch einmal draußen sagen.
Auf vielen mittelständischen Unternehmen liegt seit Jah-ren eine schreckliche Last,
weil wegen der Gesetzesfehler, der Fehler im Gesetzes-vollzug, wegen der Fehler ihrer Berater, die in der Ver-gangenheit passierten, Rückgriffe der Sozialversiche-rungsträger, die viele Jahre zurückreichen können, dro-hen. Das passiert auf der Grundlage von Gesetzen, dieschon immer existiert haben. Das hat gar nichts mit Ge-setzen aus unserer Regierungszeit zu tun.
Weil das also so ist, weil die mittelständische Wirt-schaft durch Ihre Unfähigkeit in den letzten Jahren be-droht worden ist, weil die Unternehmen deswegen inihren Bilanzen mit Belastungen zu rechnen haben, istjetzt die Möglichkeit geschaffen worden, daß man biszum 30. Juni des nächsten Jahres unter Bezugnahme aufdiese Kriterien einen Antrag stellen kann. Wenn darauf-hin festgestellt wird, daß es in der Vergangenheit falschgemacht wurde, dann kann man, ohne Beitragslasten ausder Vergangenheit befürchten zu müssen, für die Zu-kunft alles in Ordnung bringen. Das ist richtig.Olaf Scholz
Metadaten/Kopzeile:
6348 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
Ich sage ausdrücklich auch denjenigen, die das kriti-sieren, daß sie nicht genügend nachgedacht haben. Es istfür die Funktionsfähigkeit des Sozialstaates ohne jedeBedeutung, ob Beiträge für drei oder vier Jahre von ir-gend jemandem rückwirkend gefordert werden. Für dieFunktionsfähigkeit dieses Sozialstaates ist es von zen-traler Bedeutung, daß es uns in Hunderttausenden vonFällen gelingt, für die Zukunft eine Korrektur zustandezu bringen.Darum werbe ich um die Mithilfe von Ihnen allen da-für, daß in der nächsten Zeit viele Unternehmen dieseAnträge stellen. Daß diese Unternehmen für die Ver-gangenheit dann nichts nachzahlen müssen, machtnichts, weil ihre Arbeitnehmer in Zukunft sozialversi-chert sind. Das ist ein Fortschritt ungeheuren Ausmaßes.
Die im Gesetz des letzten Jahres vorgenommene Re-gelung, daß der Alleinunternehmer rentenversiche-rungspflichtig ist, bleibt aufrechterhalten. Der Alleinun-ternehmer – irgendwer hat ihn einmal unglücklicherwei-se „arbeitnehmerähnlicher Selbständiger“ genannt –
ist jemand, der im Prinzip keine Beschäftigten hat undfür einen einzigen Auftraggeber arbeitet. Nach der bis-herigen Rechtsprechung kann er aber sehr wohl auch einSelbständiger sein. Dagegen ist gar nichts einzuwenden.
Der Alleinunternehmer baut fast immer keine Al-tersversorgung aus seinem Betrieb heraus auf. Da insbe-sondere Sie von der F.D.P. nicht ordnungspolitischdenken können und auch von Marktwirtschaft keine Ah-nung haben,
muß man Ihnen einmal folgendes sagen: Eigentlich istdie Entscheidung, daß Selbständige – anders als abhän-gig Beschäftigte – nicht rentenversicherungspflichtigsein sollen, in der Vorstellung begründet, ein Unterneh-mer könne mit 60 oder 65 Jahren das Unternehmen ver-äußern und daraus seine Altersversorgung finanzieren.
– Hören Sie in der Lehrstunde zur Marktwirtschaft zu!
Wer sich in einer Situation befindet, die von ihmverlangt, hier und dort einmal eine Programmierungvorzunehmen, der kann zwar mit 60 oder 65 Jahren auf-hören zu arbeiten; aber er kann die Tätigkeit der letztenJahre, den Kundenstamm und Sonstiges nicht als ideel-len Wert des Unternehmens verkaufen, wie es einRechtsanwalt, ein Steuerberater oder andere möglicher-weise können. Darin besteht der Unterschied. Deshalbsind die Alleinunternehmer, deren Stellung wir im Ge-setzentwurf weiter geregelt haben, rentenversicherungs-bedürftig. Sie werden auch weiterhin rentenversiche-rungspflichtig sein.
Wir nehmen die Realität in der Gesellschaft ja einbißchen zur Kenntnis.
In dieser Gesellschaft gibt es das Rentenversicherungs-mobbing seitens der F.D.P. und vieler Leitartikler. Je-dem Menschen wird gesagt: Das Schlimmste, was einempassieren kann, ist, daß man rentenversicherungspflich-tig wird.
Um diese Lüge zu verbreiten, lassen Sie keine Bundes-tagsrede und keine öffentliche Rede aus. Wir haben dar-aus die Schlußfolgerung gezogen, daß sich viele Men-schen offenbar grauenhaft davor erschrecken, 128 DMRentenversicherungsbeitrag im Monat zahlen zu müs-sen, weswegen sie nicht mehr Unternehmer werdenwollen. Sie haben mit Ihren Reden im Bundestag denMenschen zugemutet, so etwas zu glauben!
Was Sie behaupten, ist aber nicht richtig. Deshalb ha-ben wir dafür gesorgt, daß sich die in Frage kommendenPersonen als Selbständige drei Jahre lang von der Ren-tenversicherungspflicht befreien lassen können. Manmuß für einige Menschen hinzufügen: Davon geht nichtsunter; das ist gar kein Problem. In Wahrheit ist es füreinen wohlmeinenden Staat – das sollte der Sozialstaatimmer sein – ein Fortschritt.Das Wichtigste ist doch, daß man sich kennenlernt.Wer als Selbständiger drei Jahre lang keine Beiträgezahlen möchte, der muß sich an die Rentenversicherungwenden und erklären, daß er von der Rentenversiche-rungspflicht befreit sein möchte. Wenn das passiert,dann kennt man sich und schreibt sich zu WeihnachtenGrüße und fragt: Wie geht es Ihnen mit Ihrer Selbstän-digkeit? Nach drei Jahren prüft man dann, wie sich dieSituation weiterentwickelt hat. Ich glaube, das ist einegute Sache. Dafür haben wir etwas mit unserem Gesetzzur Förderung der Selbständigkeit getan.Schönen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dorothea Störr-Ritter
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimmeOlaf Scholz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6349
(C)
(D)
Ihnen zu: Es gibt sicher nichts mehr, was zu diesemThema nicht schon gesagt wurde; das gilt insbesonderenach der fulminanten Rede des Kollegen Hofbauer.
Da ich aber weiß, daß es in unserer Gesellschaft sehrviele leistungsstarke und engagierte Menschen gibt, diesich über Ihre Gesetze sehr ärgern, nutze ich die Gele-genheit und unterstütze diese Menschen noch einmal inihrer Auffassung.
Drei Vertreter unterschiedlicher Berufe unterhieltensich darüber, welches der älteste Beruf sei. „Natürlichmeiner“, sagte der Chirurg, „da Gott dem Adam be-kanntlich eine Rippe herausgeschnitten hat.“ „Zuvoraber“, sagte der Architekt, „hat Gott die Welt aus demChaos erschaffen. Das war die größte architektonischeLeistung.“ „Ja und“, sagte der Politiker, „woher, glaubtihr, kam das Chaos?“
Auch ich glaube nicht, daß es diese Anekdote schonlange gibt. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herrenvon der rotgrünen Koalition, haben dafür gesorgt, daßman sich heute solche Geschichten erzählt. Außerdemhaben Sie dafür gesorgt, daß die Menschen heute glau-ben, daß Politiker der älteste Beruf der Menschheit sei.Damit wollen Sie sich Ihren Platz in der Geschichte si-chern.
Zugegeben, es gibt viele Lebenssachverhalte undTatbestände, die, sofern ein Regelungsbedarf erkanntwird, nicht einfach zu gestalten sind. Dazu gehören so-wohl die geringfügigen Beschäftigungen als auch dasProblem des Mißbrauchs des Selbständigkeitsprinzips.Dennoch, meine sehr verehrten Damen und Herren, binich der Meinung, daß dies weder Grund noch Rechtfer-tigung dafür ist, in diese Themen noch mehr Verwirrungzu bringen und einen solchen Flurschaden auf Feldernanzurichten, auf deren Ernte wir noch dringend ange-wiesen sein werden.
Damit wir uns nicht mißverstehen, halte ich fest, daßauch vor Ihrer Regelung geringfügige Beschäftigung alsZusatzbeschäftigung zu versteuern war und dafür Sozi-alabgaben abzuführen waren.
Wir wollten aber die Steuern insgesamt senken, dieLohnnebenkosten senken und die Arbeitnehmer entla-sten. Wir wollten aber nicht, daß diese Steuersenkungengleich wieder von der Ökosteuer abgeerntet werden.
Dann wären die Abzüge auch so erträglich gewesen, daßes sich gelohnt hätte, einer Zusatzbeschäftigung nachzu-gehen.Schlimmer und unbeschreiblicher ist aber das Chaos,das Sie bezüglich der praktischen Handhabung diesesGesetzes angerichtet haben. Mit einem bürokratischenMonster walzen Sie die Betriebe nieder, obwohl Sieselbst zugeben, daß die mittelständischen Betriebe vielzu sehr belastet sind. Geradezu lächerlich mutet es des-halb an, wenn das Bundeswirtschaftsministerium in der„Sozialpolitischen Umschau“ vom 18. Oktober 1999 ei-ne Initiative zur Bürokratieentlastung des Mittelstan-des ankündigt und im ersten Satz des Textes feststellt:Mittelständler leiden stärker unter Bürokratiekostenals große Unternehmen.Es kommt aber noch besser:Das Bundeswirtschaftsministerium startet deshalbeine Initiative mit dem Ziel, Unternehmen von un-nötigen Bürokratielasten zu befreien. Denn werneue Arbeitsplätze anstrebt, der muß sich mit die-sem Thema auseinandersetzen.So das Ministerium.
– Herr Dreßen, wir kennen uns schon so lange, daß ichmich freue, daß Sie mich endlich einmal zur Kenntnisnehmen. Das ist mir die ganzen Jahre vorher nicht ge-lungen.
Nach dieser Selbsterkenntnis hat das Bundeswirt-schaftsministerium nach eigenen Angaben eine Projekt-gruppe „Abbau von Bürokratie“ eingerichtet, die nunkonkrete Vorschläge der Unternehmen entgegennehmensoll. Eines stimmt mich dabei zuversichtlich: Das Mini-sterium kündigt an, den Anregungen nachzugehen unddiese in Handlungsvorschläge umzusetzen. Wissen Sie,was das heißt, meine sehr verehrten Damen und Herrenvon der rotgrünen Koalition? – Sie bekommen Ihr 630-Mark-Gesetz wieder auf den Tisch. Ich gebe Ihnen einenTip: Helfen Sie Finanzminister Eichel beim Sparen,schicken Sie die Projektgruppe heim, und nehmen SieIhr 630-Mark-Gesetz zurück!
All dies gilt selbstverständlich auch zum Thema För-derung der Selbständigkeit à la Rotgrün. Mit einemkomplizierten und nach eigenen Angaben mißverständ-lichen und in der Praxis zu besonderen Schwierigkeitenführenden Gesetz schalteten Sie die Ampel auf Rot. Nunhaben Sie festgestellt, daß nichts mehr geht. Übrigenslernt man schon im Kindergarten: Rot heißt Stopp!Nun versuchen Sie krampfhaft, auf Grün zu schalten.Aber ich prophezeie Ihnen, meine sehr verehrten Damenund Herren, Sie drücken wieder den falschen Knopf. In-zwischen haben Sie zwar gelernt, daß es auf die Signaleankommt, die man setzt. Sie haben begriffen, daß esDorothea Störr-Ritter
Metadaten/Kopzeile:
6350 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999
(C)
katastrophal wirkt, wenn man von „Bekämpfung derScheinselbständigkeit“ spricht. Damit haben Sie bereitseine tiefe Verunsicherung in der Wirtschaft bewirkt,insbesondere auch bei jungen Menschen, die Existenzengründen wollen.
Der Kontur einer Selbständigkeit, die wir dringendbräuchten, haben Sie dadurch nachhaltig geschadet. Nunversuchen Sie eine Schadensbegrenzung. Sie schwen-ken nun um und sprechen von Förderung der Selb-ständigkeit. Aber Sie gestatten, meine sehr verehrtenDamen und Herren von der Koalition, so schnell nimmtIhnen niemand ab, daß Sie Ihre Einstellung geänderthätten.
Das neue Gesetz wird genauso zu Diskussionen undAuslegungsproblemen führen.Drei Abgrenzungskriterien bieten im übrigen logi-scherweise mehr Streitpunkte als nur zwei Abgren-zungskriterien. Welche neutrale Prüfung versprechenSie den Betroffenen, wenn das Tätigkeitsverhältnis vonder Bundesversicherungsanstalt für Angestellte geprüftwerden soll, die schließlich Geld in ihrer Kasse habenwill? Alterssicherung, Herr Dreßen, kann man übrigensauch auf andere Art und Weise herbeiführen. Im übrigen ist es sehr merkwürdig, wenn man einGesetz, mit dem man nach wie vor Selbständigkeitverhindern will, in ein „Selbständigkeitsförderungs-gesetz“ umbenennt. Sie machen Selbständige zuNichtselbständigen und doch wieder nicht zu ganzNichtselbständigen. Das grenzt, mit Verlaub, schon anSchizophrenie.
Zur Förderung der Selbständigkeit gehört noch einbißchen mehr. Wenn Sie die Selbständigkeit wirklichfördern wollen, müssen Sie auch eine entsprechendePhilosophie verbreiten. Dann müssen Sie alles daranset-zen, das Unternehmerbild in der Öffentlichkeit zu ver-bessern. Dann müssen Sie dafür sorgen, daß ein besseresÖkonomieverständnis die Bereitschaft zu unternehmeri-scher Selbständigkeit in unserem Land langfristig för-dert. Sie sollten sich der Meinung Ludwig Erhards an-schließen, daß die freie Entfaltung des Menschen dasoberste Gut ist. Aber Sie verhindern diese nicht nur mitdiesen Gesetzen. Und warum? Weil Sie hinter freierEntscheidung im Wirtschaftsleben immer nur Unred-lichkeit der Unternehmer befürchten.
Zielkonflikte sind nicht ausgeschlossen; das ist un-strittig. Die Wirtschaftspolitik hat dabei die Rahmenbe-dingungen zu schaffen, die für die WirtschaftssubjekteAnreiz sind, sich selbst in die vom Staat gewünschteRichtung zu entwickeln. Darin, und nur darin, bestehtauch die soziale Ordnungsaufgabe des Staates. Sie ha-ben nicht nur Chaos produziert, Sie wissen nicht einmal,was Sie wollen. Wollen Sie Selbständigkeit nun verhin-dern, oder wollen Sie sie befördern?
Wollen Sie nun Selbständige zu Nichtselbständigenmachen oder umgekehrt – und wenn ja, wann? BrauchenSie die Selbständigen nur, um abzukassieren, um dieRentenkassen zu füllen? Oder stehen Sie wirklich hinterihnen, indem Sie ihnen etwas Positives zutrauen undnicht nur die Hinterziehung von Sozialversicherungs-beiträgen?Solange Sie diese Fragen nicht intern abgeklärt ha-ben, befürchte ich, wird der Beruf des Politikers weiter-hin der älteste Beruf der Welt bleiben.
Aber das ist schädlich für unser Volk und für unserLand.Ändern Sie dies, nehmen Sie diese unglückseligenGesetze zurück, und beginnen Sie endlich zu ordnen.
Ichschließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denFraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-brachten Gesetzentwurf zur Förderung der Selbständig-keit, Drucksachen 14/1855 und 14/2046 Buchstabe a.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-schußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann istder Gesetzentwurf in der zweiten Beratung mit denStimmen der Koalitionsfraktion gegen die Stimmen vonCDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS ange-nommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Die Koalitionsfraktionen ver-langen namentliche Abstimmung. – Ich möchte Sie andieser Stelle schon darauf hinweisen, daß es im An-schluß noch einige einfache Abstimmungen geben wird.– Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist geschehen.Ich eröffne die Abstimmung.Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abge-geben? – Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmungund bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mitder Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-mung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)Wir setzen die Beratungen fort:*) Seite 6351 CDorothea Störr-Ritter
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. November 1999 6351
(C)
(D)
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-tion der F.D.P. auf Drucksache 14/2098. Wer stimmt fürdiesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Dann ist der Entschließungsantrag mitden Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegendie Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Aus-schusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antragder Fraktion der CDU/CSU zur Rücknahme des 630-DM-Gesetzes und der Neuregelung der Scheinselbstän-digkeit, Drucksache 14/2046 Buchstabe b. Der Aus-schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1005abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann istdie Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koaliti-onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen derCDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. angenommen.Ich unterbreche die Sitzung und bitte die Kolleginnenund Kollegen, noch so lange hierzubleiben, bis ich dasErgebnis der namentlichen Abstimmung bekanntgebenkann. Ansonsten würde die Bekanntgabe erst in derübernächsten Woche erfolgen.
Ich er-
öffne die unterbrochene Sitzung und gebe das von den
Schriftführerinnen und Schriftfühern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen zur Förderung der Selbständigkeit, Drucksachen
14/1855 und 14/2046, bekannt. Abgegebene Stimmen
517. Mit Ja haben gestimmt 317, mit Nein haben ge-
stimmt 171, Enthaltungen 29.*) Der Gesetzentwurf ist
damit angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages – das ist die Haushaltswoche – auf Dienstag,
den 23. November 1999, 11 Uhr ein. Die Sitzung ist ge-
schlossen.