Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist er-
öffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Zustimmung der Bundesregie-
rung zur Unterzeichnung des Vertrages zur Änderung
des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa
vom 19. November 1990 anläßlich des OSZE-Gipfels in
Istanbul am 18./19. November 1999.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt Dr. Chri-
stoph Zöpel.
D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolle-ginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heutebeschlossen, dem eben von Ihnen, Frau Präsidentin, ge-nannten Änderungsvertrag zuzustimmen. Es ist demHohen Haus bekannt, daß es den KSE-Vertrag seit 1990gibt und daß er durch die Auflösung der Blöcke, insbe-sondere des Warschauer Paktes und der Sowjetunion,obsolet geworden ist. Seit 1996 ist deshalb über eineÄnderung des Vertrags verhandelt worden. Diese Ver-handlungen werden im Vorfeld des OSZE-Gipfels zu ei-nem Abschluß gebracht.Neu sind vor allem folgende Elemente: die erstmaligeEinführung rechtsverbindlicher nationaler Obergrenzenfür die fünf konventionellen Waffensysteme, also imPrinzip für Panzertruppen am Boden sowie für Kampf-flugzeuge und für Angriffshubschrauber in der Luft.Erstmalig werden die Streitkräftekonzentrationen undStationierungsumfänge durch rechtsverbindliche territo-riale Obergrenzen beschränkt. Erstmals gibt es eine ge-sicherte Krisenfestigkeit durch Festlegung maximal er-laubter vorübergehender Verlegungen zur militärischenKrisenstabilisierung. Die entsprechenden Informations-und Verifikationssysteme in den beteiligten Ländernwerden angepaßt, das heißt, das deutsche Verifikations-zentrum in Geilenkirchen erhält zusätzliche Aufgaben.Schließlich wird der Vertrag für alle OSZE-Staaten imgeographischen Raum zwischen Atlantik und Ural ge-öffnet, und zwar auch für diejenigen, die ihm bishernoch nicht beigetreten waren.Die Bundesregierung hat sich natürlich sehr intensivmit der Frage auseinandergesetzt, ob die derzeitige Si-tuation in Rußland, insbesondere das Eingreifen russi-scher Militärkräfte in Tschetschenien, Anlaß sein könn-te, den Vertrag in Istanbul nicht zu unterzeichnen. Sie istzu dem Ergebnis gekommen: Den Vertrag nicht zu un-terzeichnen wäre ein Fehler, wiewohl nicht zu übersehenist, daß es auch in bezug auf den Vertrag direkte Betrof-fenheiten gibt. Diese Betroffenheiten verstecken sich vorallem hinter dem Begriff der KSE-Flankenobergrenzen.Demjenigen, der diesen Begriff nicht kennt – ich kannteihn bis vor kurzem auch nicht –, möchte ich ihn erläu-tern: Nach dem KSE-Vertrag ist Rußland in seinenKernraum und seine Flanken eingeteilt. Die beiden nichtzusammenhängenden Flanken rings um Leningrad undum den Nordkaukasus dürfen nach dem neuen Vertragmit höchstens 2 140 Panzern bestückt sein.
– Ich habe „Leningrad“ gesagt. Diese Bezeichnung wäreselbst dann nicht falsch, wenn ich die entsprechende Re-gion, die noch diesen Namen trägt, gemeint hätte. Ichfreue mich, Herr Kollege Erler, daß Sie mir meineKenntnis über Rußland bestätigen.Nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung sindderzeit allein im Flankenteil Nordkaukasus 3 100 Pan-zerfahrzeuge im Einsatz. Das heißt, daß der Vertrag, derbisher allerdings noch nicht unterzeichnet worden ist,schon bei der Unterzeichnung nicht erfüllt wäre. Aller-dings hat der russische Ministerpräsident Putin daraufhingewiesen und bei allen Verhandlungen erklärt, Ruß-land werde, sobald die Problematik in Tschetschenienaus russischer Sicht gelöst sei, zu den Flankenbegren-zungen zurückkehren. Es sollen also 2 140 Fahrzeuge imgesamten Flankenraum vertraglich vereinbart werden.Für die Entscheidung der Bundesregierung, in Istan-bul zu unterzeichnen, spricht die Auffassung, daß hier-durch ein wesentliches Hoffnungssignal für die interna-
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tionale Rüstungskontrollpolitik gesetzt werden kann.Dies gilt vor dem Hintergrund mancher Enttäuschungen,vor allem angesichts der Nichtratifizierung des umfas-senden Testverbotsvertrags durch den amerikanischenSenat.Eine Nichtunterzeichnung würde der internationalenRüstungskontrollpolitik einen weiteren gefährlichenSchlag versetzen. Sie würde als demonstrativer Aktletztlich nichts nützen, möglicherweise sogar positive,wirksame Ansatzpunkte für eine umfassende Lösung desTschetschenien-Konfliktes eher schwächen. Die wichti-ge Zukunftsgestaltung von Stabilität und Sicherheit inanderen europäischen Regionen könnte geschwächtwerden und damit könnten letztlich sogar unsere natio-nalen Sicherheitsinteressen unmittelbar betroffen sein.Schließlich wäre die Ausweitung der neuen konven-tionellen Stabilität in ganz Europa gestoppt, da vorgese-hene Beitritte zum neuen KSE-Vertrag für neue Unter-zeichnerstaaten nicht möglich würden.Selbstverständlich ist die Bundesregierung zusammenmit allen EU-Partnern und innerhalb der NATO bemüht,auf diplomatischem Wege auf Rußland einzuwirken unddie für uns nicht akzeptable Intensität des militärischenEinsatzes in Tschetschenien zu beenden. Diese Bemü-hungen laufen ständig. Es ist nicht abzusehen, aber zuhoffen, daß hier noch bis zum Gipfel in Istanbul Erfolgeerzielt werden und in dieser wirklich schwierigen Ab-wägung ein Signal gesetzt wird, das auf Rußland Einflußhaben könnte. Daß die seit 1996 – also von der Vorgän-gerin der jetzigen Bundesregierung – initiierte Ver-handlungsrunde zu einem Erfolg kommt, ist unsere Auf-fassung: In Istanbul zu unterzeichnen, ist dauerhaft fürdie friedliche Entwicklung in Europa das Wichtige indieser schwierigen Abwägung.Herzlichen Dank, Frau Präsidentin.
Vielen Dank, Herr
Staatsminister. Gibt es zu diesem Themenbereich Fra-
gen? – Bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Präsidentin! Herr
Staatsminister, vielen Dank für Ihre allgemeinen, erläu-
ternden Ausführungen, für die jeder viel Verständnis
haben kann. Mir ist nur nicht ganz klargeworden, wie in
einer Situation, in der wir eine derart flagrante Verlet-
zung der beabsichtigten Grundsätze erleben, von der
Bundesregierung deutlich gemacht werden kann, wo
Kriterien liegen – oder ob es sie überhaupt gibt –, in
einer solchen Situation neu nachzudenken oder zu ver-
handeln. Mir ist nicht ganz klargeworden, ob Ihre
Überlegungen, die Sie vorgetragen haben, daß man in
einer solchen Situation immer abwägen muß, hinsicht-
lich der Abwägung auch eine Grenze haben.
Ich bitte Sie auch darum, uns – außer dem Hinweis
auf dauerndes Einwirken – mitzuteilen, welche konkre-
ten Maßnahmen die Bundesregierung eigentlich im Zu-
sammenhang mit dieser äußerst schwierigen und kom-
plizierten Situation – die wir durch Erörterungen in der
Öffentlichkeit nicht verkomplizieren wollen – ergreift.
Mir wäre es lieb, wenn Sie das Ganze ein bißchen mehr
verdeutlichen könnten, damit man als Opposition beur-
teilen kann, ob dem konkrete Maßstäbe unterliegen oder
ob es sich dabei nur um allgemeine Erörterungen han-
delt.
Herr Staatsminister,
bitte sehr.
D
Herr Kollege Hirche, die Maßstäbe lassen sichaus den internationalen Vertragswerken, die sowohlRußland, wie die Bundesrepublik Deutschland, wie un-sere Partner unterzeichnet haben, ableiten. Die Maßstäbefür die Bewertung einer Entwicklung, wie wir sie inTschetschenien erleben, stehen fest. Vor allem derOSZE-Vertrag und auch die Zusatzprotokolle zur Gen-fer Konvention von 1977 legen bestimmte humanitäreGrundsätze beim Einsatz militärischer oder polizeilicherGewalt in solchen inneren Auseinandersetzungen fest.Orientiert an diesen Maßstäben ist es für die Bundes-republik Deutschland und die OSZE Mitgliedstaatennicht akzeptabel, mit welcher Unverhältnismäßigkeit dierussische Regierung in Tschetschenien vorgeht.Das hauptsächlich verletzte Vertragswerk ist die OS-ZE-Konvention und nicht der KSE-Vertrag; auch dasscheint mir ein wesentlicher Punkt zu sein. Insbesonderesind die im OSZE-Vertrag festgelegten Passagen überhumanitäres Verhalten im Inneren verletzt. Dagegenwird protestiert, und hier wird geprüft, was zu tun ist.Nun nehme ich mir die Freiheit, sehr nüchtern festzu-stellen, was wir tun können – manchmal ist es sinnvoll,die Sachen auf den Punkt zu bringen –: Ein militärischerEinsatz gegen Rußland verbietet sich. Da in anderen Re-gionen der Welt nach einer militärischen Logik gehan-delt wurde, ist es vernünftig, nicht zu verheimlichen undzu verkleistern, daß sich ein militärischer Einsatz in die-sem Fall verbietet.Als nächstes kämen wirtschaftliche Sanktionen inFrage. Nach meinem Kenntnisstand stehen in diesemJahr weder beim Währungsfonds noch bei der Weltbank,noch bilateral neue Kreditzusagen an, so daß im Augen-blick auch keine Kredite nicht gewährt werden könnten.Bleibt abzuwägen, welchen Effekt eine frühzeitigeRückforderung von Krediten bringen könnte, sofern sieüberhaupt durchsetzbar wäre. Man kann das also weiter-spinnen; allerdings steht an akuten Maßnahmen nichtsan, was verweigert werden könnte.Dann bleiben die diplomatischen Möglichkeiten, beidenen es im Gegensatz zu den beiden eben erwähntenMöglichkeiten nicht nur um unser Verhalten gegenüberRußland geht. Bei diplomatischen Interventionen, diewie immer auf das Demonstrative beschränkt sind, istabzuwägen, ob die Ausdehnung eines Vertragswerkes,das für rund 50 Staaten einschließlich der Bundesrepu-blik Deutschland eine Verbesserung von Vertragsrege-lungen bringt, nicht einen höheren Wert darstellt. Diesist also gegen das letztlich einzig verbleibende Instru-ment einer sehr demonstrativen diplomatischen Nicht-Staatsminister Dr. Christoph Zöpel
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unterzeichnung abzuwägen; dies haben Sie in Ihrer Fra-ge aber auch nicht gemeint.Es ist nüchtern deutlich zu machen, daß der KSE-Vertrag bisher nicht verletzt ist. Die Problematik liegtdarin, daß die neuen Obergrenzen, die vor allem fürPanzerfahrzeuge beschlossen werden sollen, im Bereichder russischen Flanken nach den Zahlen, die uns vorlie-gen, wegen der Tschetschenien-Auseinandersetzung imAugenblick um etwa 30 Prozent überschritten sind. Nungeht es darum, daß bis zur Unterzeichnung oder kurzdanach die Grenzen eingehalten werden, wobei hin-sichtlich des prozessualen Weges zu bedenken ist, daßdie Obergrenzen erst nach Ratifikation des Abkommensdurch alle beteiligten Parlamente gültig wären. Erst da-nach könnte man konkret von einer Vertragsverletzungsprechen.Deshalb meine klare Antwort: Die Werte sind klar.Das Instrument ist die diplomatische Intervention imRahmen der OSZE. Die potentielle Bereitschaft der rus-sischen Regierung, OSZE-Beobachter, die derzeit nochin Moskau sind, in ihrer Mission zuzulassen, stellt einenbegehbaren Weg dar. Ich wollte aber deutlich ausspre-chen, was bei rationaler Diskussion auch angesichts allerVerzweiflung über das Schicksal betroffener Zivilistenin Tschetschenien ausgeschlossen werden kann.
Herr Kollege Hir-
che, Sie wollten eine weitere Frage stellen? – Bitte
sehr.
Herr Staatsminister, Sie ha-
ben mir ja zugestimmt, daß es schon ein ungewöhnlicher
Vorgang ist, wenn man in einer Situation, in der im
Grunde eine verstärkte militärische Präsenz in einer Re-
gion gegeben ist, einen Vertrag abschließt, in dem es um
eine Reduzierung geht. Das kann ja möglicherweise auf
andere, zum Beispiel auf einige unserer Nachbarn, eine
zweifelhafte Wirkung haben. Ich möchte jetzt aber nicht
Einzelheiten zu diesem Thema weiterverfolgen; Sie ha-
ben es zu Recht in einen größeren Zusammenhang von
KSE und OSZE gestellt.
Die alte wie die neue Bundesregierung setzt sich da-
für ein, daß das Prinzip „Konsens minus eins“ – es be-
sagt, daß man auch handeln kann, wenn ein Partner an-
derer Auffassung ist – durchgesetzt wird, um die OSZE
schlagkräftiger zu machen. Welche konkreten Maßnah-
men und Aussichten sehen Sie angesichts des derzeiti-
gen Verhaltens von Rußland, bei den Verhandlungen in
der OSZE hier einen Schritt weiterzukommen?
D
Bei den Verhandlungen vor allem über die
Istanbuler Erklärung ist im Augenblick festzustellen,
daß die Grundhaltung der russischen Diplomatie relativ
restriktiv ist, was die Ermöglichung von Eingriffen in
staatliche Souveränität angeht. Das muß man sehr
nüchtern feststellen, allerdings auch in einen bestimmten
gedanklichen Zusammenhang stellen, bevor man einsei-
tig verurteilt.
Bislang ist die OSZE mit etwas intensiveren Instru-
menten – zum Beispiel mit aufgenötigter Beobachtung –
ausschließlich gegen Staaten im ehemaligen kommuni-
stischen Machtbereich vorgegangen. Diese Situation
kann etwas besorgt machen; denn es ist nicht zu bestrei-
ten, daß es Auseinandersetzungen mit Einsatz von Ge-
walt auch in Westeuropa gibt. Das wollte ich zur Relati-
vierung sagen. Wir werden die Bemühungen fortsetzen.
Wir stellen allerdings fest, daß Rußland in dieser Hin-
sicht zur Zeit relativ restriktiv ist. Dies kann allerdings
kein Grund sein, an der Logik und an dem Prozeß der
OSZE nicht festzuhalten.
Ich mache eine letzte Bemerkung zu dem, was zu tun
ist. Alle unsere Sorgen – auch diejenigen, die Sie artiku-
lieren – beruhen auf der Notwendigkeit der Feststellung,
daß Rußland auf dem Wege zu einer Demokratie noch
nicht so weit fortgeschritten ist, wie sich das Demokra-
ten in Deutschland wünschen. Das ist der Grund des
Prozesses.
Angesichts des historischen Vergleichs, den man
auch gegenüber dem jetzigen Rußland ziehen muß – ich
denke an das undemokratische Verhalten seiner politi-
schen Vorgänger –, wäre es meiner Meinung nach nicht
logisch, da der KSZE-Prozeß, seine Vorläufer und auch
der KSZE-Vertrag mit einer Regierung begonnen wur-
den, die eindeutig nicht demokratisch war, ihn jetzt zu
stoppen. Mit einer undemokratischen Regierung haben
wir um des Friedens willen solche Verträge geschlossen.
Es handelt sich jetzt um eine Regierung, die – gemessen
an dem alten Maßstab – deutlich besser ist. Gemessen an
unseren Wünschen ist sie noch nicht so gut. Sie aber
deshalb nicht mehr für vertragsfähig zu halten halte ich
für einen grundsätzlichen Fehler und im Grunde ge-
nommen für ein Verkennen der Logik, die insgesamt mit
den Gesprächen über Abrüstung in Europa eingeleitet
wurde.
Danke.
Jetzt hat der Kollege
Gernot Erler eine Frage. Danach kommen Frau Zapf und
Herr Gehrcke. – Herr Kollege, bitte.
Herr Staatsminister, Sie habenzutreffend und überzeugend dargelegt, daß wir alle ge-meinsam ein übergeordnetes Interesse an dem Erfolg derKSE-Adaptation haben und daß es eine Tragödie wäre,wenn dieser Vertrag – der wahrscheinlich wichtigste fürdie konventionelle Abrüstung und Rüstungsbegrenzungin Europa – Opfer einer aktuellen tragischen Entwick-lung würde.Aber ein bißchen besteht die Gefahr, daß in Istanbulso etwas wie der Geruch eines „Tschetschenien-Deals“aufkommt – nach dem Motto: Laßt sie jetzt noch dieseAktion zum Abschluß bringen; danach kehren sie in denRahmen der bisherigen Flankenobergrenzen zurück, unddann ist wieder alles in Ordnung. Sehen Sie, HerrStaatsminister, eine Chance für eine Initiative der Bun-Staatsminister Dr. Christoph Zöpel
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desregierung, daß Istanbul auch genutzt wird, um in ei-nen substantiellen und kritischen Dialog mit der russi-schen Seite über das Vorgehen in Tschetschenien einzu-treten, zum Beispiel indem man nutzt, daß die russischeSeite Anfang November der Zulassung einer OSZE-Mission in Tschetschenien zugestimmt hat, und indemman vielleicht einen ersten Bericht dieser Mission inIstanbul anfordert, um darüber auch mit der russischenSeite zu debattieren?D
Vielen Dank für Ihre Beurteilung.
Um eine Klarstellung sollten wir uns bemühen. Nach
meinem Kenntnisstand sind die neuen Flankenobergren-
zen dann rechtsgültig, wenn der neue Vertrag ratifiziert
ist. Das heißt, man kann Rußland im Augenblick nicht
vorwerfen, daß die Flankenobergrenzen nicht eingehal-
ten sind; denn der Vertrag ist weder gezeichnet noch ra-
tifiziert. Das ist zwar nicht schön; aber bevor wir völker-
rechtliche Vorwürfe erheben, müssen wir präzise sein.
Zu den Initiativen. Ich glaube, die Bundesregierung
muß keine neue Initiative ergreifen. Der Bundesaußen-
minister ist seit Wochen in ständigen Kontakten mit dem
russischen Außenminister Iwanow. Der EU-Rußland-
Gipfel hat unter der Beteiligung des EU-Mitglieds
Deutschland vor rund 14 Tagen in Helsinki das Thema
Tschetschenien zum Schwerpunkt gemacht. Derzeit
werden alle Überlegungen angestellt, wie die verschie-
denen Ebenen – so darf ich es formulieren – der russi-
schen Regierung in einer geeigneten Form noch vor
Istanbul auf die möglichen Konsequenzen für Rußland
in Istanbul angesprochen werden können.
Schon heute steht fest: Die heutige Situation in
Tschetschenien würde nicht zu einer Prestige- und
Imagesteigerung für Rußland in Istanbul beitragen. Dies
den verschiedenen Ebenen der russischen Regierung auf
geeignete Weise deutlich zu machen gehört zu der di-
plomatischen Strategie, an der die Bundesregierung ar-
beitet und die sie intensiviert. Auch der von Ihnen geäu-
ßerte Gedanke mag dazugehören. Hinsichtlich der Ein-
zelheiten werde ich ihn überprüfen lassen.
Eine weitere Frage?
– Herr Kollege Erler, bitte.
Herr Staatsminister, in einer
verbreiteten und angesehenen deutschen Tageszeitung
hat Zbigniew Brzezinski heute einen Artikel geschrie-
ben, in dem er behauptet, daß Rußland nach der voll-
ständigen Zerschlagung der tschetschenischen Rebellen
vorhat, die Republik Georgien zu destabilisieren und die
Kontrolle über sie wiederzugewinnen. Besitzt die Bun-
desregierung Erkenntnisse darüber, daß dies einen realen
Hintergrund haben könnte?
D
Die Bundesregierung hat zumindest keine ent-
sprechenden Erkenntnisse, die mir zur Kenntnis gelangt
wären.
Nun die Frage von
Kollegin Zapf. Frau Zapf, bitte sehr.
Herr Staatsminister, meine Fragen
betreffen mehr die Technik des Vertragsabschlusses. Es
ist üblich, daß es noch bis kurz vor Schluß der Unter-
zeichnung offene Fragen gibt. Es gibt zum Beispiel noch
ungelöste Probleme, die möglicherweise nur in einer
politischen Schlußerklärung untergebracht werden kön-
nen. Zu diesen Problemen gehören zum Beispiel die
nicht eindeutig mögliche Zuordnung von Waffensyste-
men zu den Vertragsstaaten Transnistrien, Abchasien
und Nagorny Karabach, die russischen Truppenstatio-
nierungen in Moldau und Georgien sowie die bisherige
Weigerung von Abchasien, seine Obergrenzen zu defi-
nieren. Besteht die Gefahr, daß dies neben dem Tsche-
tschenien-Problem, das schon diskutiert wurde, mögli-
cherweise dazu führt, daß einige Vertragsstaaten nicht
unterzeichnen?
D
Frau Kollegin, Sie haben darauf hingewiesen,
daß es wie vor fast allen Gipfelvertragswerken bis zu-
letzt Verhandlungen gibt. Die Bundesregierung hat
heute ihre Zustimmung beschlossen, weil die sorgfältige
Prüfung des derzeit erreichten und nicht mehr in Einzel-
heiten diskutierten Vertragswerks ergeben hat, daß na-
tionale Interessen der Bundesrepublik Deutschland nur
positiv und in keinem Fall negativ berührt sind.
Die Bundesregierung ist in Istanbul durch die ent-
sprechenden Diplomaten daran beteiligt, sich zu bemü-
hen, daß andere Einzelfragen geklärt werden. Sie haben
sie in ihrer Vielfalt aufgezeigt. Ihr Kern besteht darin,
daß eine gewisse Intransparenz vorliegt, welche dieser
neu entstandenen Staaten welche Waffen besitzen und
wie sie tatsächlich kontrolliert werden können, vor allem
in nicht eindeutig zuordbaren innerstaatlichen oder zwi-
schenstaatlichen Konflikten. Darüber wird verhandelt.
Unser Ziel ist es, diese Verhandlungen so zum Ab-
schluß zu bringen, daß nach Möglichkeit alle Staaten
unterzeichnen. Ich hätte keinen Anlaß, an dieser Stelle
in dieser Stunde zu erklären, daß die Bundesregierung
Befürchtungen hätte, daß ein Staat nicht unterzeichnet.
Unser Handeln ist darauf gerichtet, daß alle Staaten un-
terzeichnen, wenn die letzten für diese Region gewichti-
gen, für das Gesamtwerk aber nicht so gewichtigen Ein-
zelfragen gelöst sind.
Eine weitere Frage?
– Bitte sehr, Frau Kollegin Zapf.
Wenn Sie gestatten, Herr Staatsmi-nister, würde ich gern eine Frage zu der eben erwähntenSicherheitscharta stellen. Ein Kernpunkt, der auch in un-serem Interesse lag, war die Festschreibung, die die Be-fassung der Organisation für Sicherheit und Zusammen-arbeit mit innerstaatlichen Konflikten ermöglicht. Deraugenblickliche Stand sieht so aus, daß einige Staaten –besonders Rußland – offensichtlich gegen eine solcheFormulierung sind. Diese Staaten wehren sich außerdemGernot Erler
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dagegen, daß das Prinzip „Konsens minus eins“, das wirals Entscheidungsverfahren bevorzugen, in der Sicher-heitscharta untergebracht wird. Wie beurteilt die Bun-desregierung den Stand der Verhandlungen? Was, glau-ben Sie, ist bis zur endgültigen Beschlußfassung in die-sen beiden Fragen noch kurzfristig zu erreichen?D
Die Bundesregierung bemüht sich intensiv,
hier Fortschritte zu erreichen. Es erschließt sich in die-
sem Zusammenhang aber jedem die Problematik, daß
der Tschetschenien-Konflikt und die diplomatischen In-
terventionen gegen Rußland damit in Verbindung ste-
hen, was Rußland zugestehen kann. Die Bundesregie-
rung geht davon aus, daß bis zur letzten Stunde, wie bei
solchen Konferenzen üblich, um Fortschritte gerungen
werden muß. Um aber jetzt keinen falschen Eindruck
entstehen zu lassen: Es ist nicht auszuschließen – das
wäre aber kein Grund, die Istanbuler Erklärung nicht zu
unterzeichnen –, daß nicht alle Erwartungen, die in
Deutschland wie in anderen westeuropäischen Staaten
geäußert wurden, tatsächlich in Erfüllung gehen. Das
darf aber kein Hinderungsgrund dafür sein, die derzeit
möglichen Fortschritte in einer entsprechenden Erklä-
rung festzuhalten.
Jetzt kommen wir zu
den Fragen des Kollegen Gehrcke. Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, nur,
um sicherzugehen, daß ich Sie richtig verstanden habe,
frage ich noch einmal nach: Ist auch die Bundesregie-
rung der Auffassung, daß es nicht klug wäre, auf dem
Istanbuler Gipfel die Frage der Sicherheitscharta und des
KSE-Vertrages unmittelbar mit Fortschritten in der
Tschetschenien-Frage zu verbinden, da sich ein Staat
unter diesem Druck möglicherweise der Sicherheits-
charta oder dem KSE-Vertrag verweigern würde? Ich
hielte das für eine angemessene Verhandlungsstrategie.
Das würde es ja nicht unmöglich machen, mit aller
Deutlichkeit bei anderen Gelegenheiten auf dem Gipfel
die eigene Position zum Tschetschenien-Krieg zu un-
terstreichen.
Gestatten Sie mir noch eine Nachfrage zur KSE-
Vereinbarung. Durch diese werden ja Obergrenzen fest-
gelegt; sie führt also nicht unmittelbar zu konventionel-
ler Abrüstung. Hat die Bundesregierung die Absicht,
über die KSE-Vereinbarung hinaus auf dem Gebiet der
konventionellen Abrüstung neue Initiativen zu ergreifen,
um insbesondere zu verhindern, daß eine qualitative
Umrüstung die quantitativen Fortschritte zunichte
macht?
D
Auf den ersten Teil Ihrer Frage antworte ich:
Um der Sache willen sollten wir uns nicht mißverstehen.
Die Bundesregierung hält den KSE-Vertrag für ein gutes
Verhandlungsergebnis; er sollte deshalb unterschrieben
werden. Wenn die russische Seite diesen Vertrag unter-
zeichnet, dann glauben wir, daß man ihr vertrauen kann
und sie sich nach der Ratifizierung daran halten wird.
Damit wäre auch die hier besonders diskutierte Frage,
wieviel Panzerkampfverbände in den Flankenzonen
Rußlands stehen dürfen, geklärt. Deshalb wollen wir,
daß er unterschrieben wird.
Rein formal und nicht politisch davon zu trennen ist,
daß in Vorbereitung auf Istanbul jeglicher diplomati-
scher Druck auf die verschiedenen Ebenen der russi-
schen Regierung ausgeübt werden soll und wird, damit
sie Aktionen, die die Menschenrechte und die OSZE-
Charta verletzen, einstellt. Das sind zwei durchaus ver-
bundene, aber in der prozeduralen Behandlung zu tren-
nende Dinge. Das möchte ich gerne bestätigen. Nach
meinem Kenntnisstand wird es, um die Obergrenzen der
Waffensysteme tatsächlich einzuhalten, in Einzelfällen
nötig sein, die Anzahl zumindest in Teilbereichen – es
werden dort ja fünf Bereiche geregelt – zu reduzieren.
Das soll mit diesem Vertrag erreicht werden.
Eine weitere Frage?
– Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine zweite Frage be-
zieht sich auf die Sicherheitscharta, auf ein weiteres,
bislang in den Verhandlungen offensichtlich nicht gelö-
stes Problem. Wie und in welcher Form findet das Be-
kenntnis zum Gewaltmonopol der Vereinten Nationen,
genauer gesagt: des Sicherheitsrates, in diese Charta
Eingang? Die Position der russischen Seite, die das un-
bedingt will, und die amerikanischen Positionen liegen
hier weit auseinander. Mich würde interessieren, welche
Position die Bundesregierung bezieht und ob sie bereit
ist, sich dafür einzusetzen, in der Sicherheitscharta ein
klares Bekenntnis zum Gewaltmonopol der Vereinten
Nationen zu verankern.
D
Herr Kollege, die Haltung der Bundesregie-
rung zum Sicherheitsmonopol der UNO wurde schon
mehrfach, zuletzt auch durch die Rede des Bundesau-
ßenministers in New York, dargelegt. Es macht aber
überhaupt keinen Sinn, so zu tun, als ob man bei der Be-
handlung dieses Themas in einer Befragung, die sich
schon relativ weit vom Gegenstand entfernt hat – das
kritisiere ich nicht –, jede Schwierigkeit vermeiden
könnte.
Ich kann Ihnen jetzt nicht mit Verläßlichkeit sagen,
welcher Einzelformulierung die Bundesregierung im
Augenblick zustimmt. Ich hole dies gerne nach. Offen
gesagt: Ich würde mit einer Leerformel möglicherweise
nur ein Mißverständnis erwecken. Daran kann uns bei-
den nicht gelegen sein. Ich bitte um Verständnis.
Nun hat der Kollege
Weisskirchen eine Frage.
Herr Staats-minister, Sie haben schon deutlich gemacht, daß die Be-Uta Zapf
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grenztheit der Instrumente der OSZE in diesem Punktmöglicherweise dazu zwingt, in Istanbul die kriegerischeEntwicklung in Tschetschenien derzeit noch hinzuneh-men. Es gibt aber noch ein anderes Instrument, das imersten Tschetschenien-Krieg von der OSZE eingesetztworden war. Die OSZE hatte nämlich eine begrenzteVermittlerrolle übernommen, die in Zusammenarbeitmit Lebed zu Verhandlungen und dann zu einer gewis-sen Entspannung des Konfliktes geführt hat. Wäre dieBundesregierung bereit, an jenem formal noch existie-renden OSZE-Instrument der Vermittlung anzuknüpfenund die russische Seite davon zu überzeugen, daß jeneexistierende OSZE-Mission wieder zum Leben erwecktwerden könnte?D
Die Frage läßt sich einfach mit Ja beantwor-
ten. Dieser Prozeß läuft seit dem EU-Rußland-Gipfel,
auf dem der russische Ministerpräsident zugesagt hat,
eine OSZE-Mission in Tschetschenien wieder zuzulas-
sen. Diese Delegation hält sich derzeit in Moskau auf,
wo sie allerdings die Geschehnisse vielleicht nicht ge-
nauer beobachten kann als wir hier.
Wir gehen davon aus, daß der geeignetste Weg zur
Erfüllung der Zusage von Ministerpräsident Putin der
ist, dieser derzeit in Moskau arbeitenden Mission – ihre
Zusammensetzung kann sich aber ändern – erst einmal
formal einen entsprechenden Auftrag zu geben. Ich füge
hinzu: Die Bundesregierung ist bereit, sich für jegliche
darüber hinausgehenden Lösungen einzusetzen und sich
daran zu beteiligen, die durch Einschaltung der OSZE zu
einem Ausweg aus diesem Konflikt führen.
Mir ist aber noch ein Punkt wichtig, Herr Kollege
Weisskirchen. Sie haben hinsichtlich des Gipfels von
Istanbul vom „Hinnehmen“ der kriegerischen Entwick-
lung gesprochen. In Istanbul werden aber weder die
Bundesregierung noch ihre Verbündeten hinnehmen,
daß in Tschetschenien Krieg ist. Die Bundesregierung
wird zwar diesen Krieg nicht verhindern können – das
ist aber etwas grundsätzlich anderes; einen Krieg, den
man nicht verhindern kann, nimmt man deshalb nicht
automatisch hin –, aber sie wird mit den von mir er-
wähnten Instrumenten und Mitteln alles tun, was in ihrer
Macht liegt, um den Krieg zu beenden. Sie wird die-
sen Krieg aber auf keinen Fall hinnehmen. Hinnehmen
hat etwas mit Verschweigen zu tun. Das wird die Bun-
desregierung – wie schon in der Vergangenheit – nicht
tun.
Noch eine Frage,
Herr Kollege Weisskirchen.
Ich bin Ihnen
sehr dankbar für diese Klarstellung, macht sie doch
deutlich, daß es eine innere Seite in Rußland gibt, die
allmählich beginnt, mit dem Krieg kritischer umzuge-
hen, als es in den ersten Tagen dieses jetzt stattfinden-
den Tschetschenien-Krieges der Fall ist. Wie bewerten
Sie mit Blick auf die Duma-Wahlen die neue Qualität
der innerrussischen Debatte? Zum Beispiel hat Jaw-
linskij deutlich gemacht, daß er jetzt gegenüber dieser
Kriegführung erhebliche Einwände hat. Wie bewerten
Sie diese neue Entwicklung in der innerrussichen De-
batte selbst?
D
Die gesamte innerrussische Debatte wird von
der Bundesregierung natürlich aufmerksam verfolgt. Be-
stimmte Schilderungen erfüllen sie auch in Hinblick auf
die Motive, die die russische Regierung haben könnte,
mit Sorge.
Die Bundesregierung unterstützt, soweit es möglich
ist, die Kräfte in Rußland, die wie die Bundesregierung
der Auffassung sind, daß kriegerische Mittel nicht in den
Raum der OSZE gehören. Zu diesen Kräften zählen vor
allem diejenigen, die nach außen deutlich machen, daß
sie mit demokratischen Parteien, wie sie überwiegend
durch das Spektrum der Parteien im Bundestag bestimmt
sind, zusammenarbeiten wollen. Eine solche Stimme
haben Sie zitiert.
Es verbleiben noch
einige Minuten für die Regierungsbefragung. Gibt es
weitere Fragen an die Bundesregierung?
– Selbst Herr Hörster hat keine Frage an die Bundesre-
gierung. – Damit beende ich diese Befragung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 14/2003, 14/2015 –
Wir kommen zunächst zu den Dringlichen Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beantwortung
der Fragen steht Herr Staatssekretär Siegmar Mosdorf
zur Verfügung.
Ich rufe die Dringliche Frage 1 des Abgeordneten
Koppelin auf:
Treffen die Berichte der „Berliner Morgenpost“ vom 7. No-vember 1999 über die vom Bundessicherheitsratgenehmigten Rüstungsexporte zu?
S
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Herr Koppelin, ich
möchte Ihre beiden Fragen zusammen beantworten.
Sind Sie damit ein-verstanden, Herr Kollege? – Gut. Dann rufe ich auch dieDringliche Frage 2 des Abgeordneten Jürgen Koppelinauf:Haben alle dem Bundessicherheitsrat angehörenden Mitglie-der der Bundesregierung den Rüstungsexporten zugestimmt?Gert Weisskirchen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6063
(C)
(D)
S
Ich danke
Ihnen für das Entgegenkommen.
Die Sitzungen des Bundessicherheitsrats sind geheim.
Dies gilt auch für die im Bundessicherheitsrat behan-
delten Tagesordnungspunkte und das Abstimmungsver-
halten der einzelnen Mitglieder.
Zusatzfrage, Herr
Kollege. Sie können vier Zusatzfragen stellen, wenn Sie
wollen.
Frau Präsidentin, es ist
bekannt, daß ich immer weiß, was ich will. Herzlichen
Dank.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Empörung, daß
heute in einer Agenturmeldung zu lesen ist, daß die
„Bild“-Zeitung schreibt, daß wir an die Türkei eine
Maschine liefern, die Flugabwehrraketen produzieren
soll?
S
Herr Kop-
pelin, bei dieser Frage handelt es sich um einen Fall, der
nicht den Bundessicherheitsrat betrifft. Es handelt sich
um eine Werkzeugmaschine, die man Rollenstreckma-
schine nennt und die im Rahmen des Gemeinschaftspro-
gramms Stinger durch die Länder Belgien, Schweiz,
Bundesrepublik Deutschland, Spanien, Großbritannien,
Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande und die
USA gemeinsam hergestellt und produziert wird. Dieses
geht auf Vereinbarungen in den 70er und 80er Jahren
zurück. Darauf bezieht sich auch die heutige Meldung
der „Bild“-Zeitung.
Zweite Frage.
Herr Staatssekretär, da
Sie gesagt haben, daß diese Entscheidungen alle geheim
sind – dafür habe ich großes Verständnis –, darf ich Sie
fragen, wie es denn möglich ist, daß sich verschiedene
Ministerien äußern, ob diese Entscheidungen richtig sind
oder nicht, und sich das in Agenturmeldungen und Pres-
semitteilungen widerspiegelt. Wie kommen die Presse-
stellen der jeweiligen Ministerien dazu, das zu kom-
mentieren, wenn es geheim ist?
S
Herr Kop-
pelin, ich halte mich an die vereinbarten Spielregeln und
werde mich zu den Diskussionen und Entscheidungen
des Bundessicherheitsrates nicht äußern.
Dritte Frage, Herr
Kollege.
Sie werden verstehen,
Herr Staatssekretär, daß ich Ihre Haltung sehr ehrenwert
finde. Darf ich Sie aber fragen, ob das Kabinett bereit
ist, ein Strafverfahren wegen Verletzung von besonderen
Geheimhaltungspflichten nach § 353 b des Strafgesetz-
buches durchzuführen, oder ob es eine entsprechende
Initiative Ihres Hauses geben wird?
Ich brauche Ihnen das nicht vorzutragen; wie ich Sie
kenne, haben Sie sich das selber schon einmal ange-
schaut, vor allem im Zusammenhang mit Ihrer Entschei-
dung nach der Diskussion über die Lieferung eines
Testpanzers in die Türkei. Kann ich von der Bundesre-
gierung erwarten, daß sie sich noch einmal den § 353b
des Strafgesetzbuches – Geheimhaltungspflicht – durch-
liest?
S
Herr Kol-
lege Koppelin, ich kann Ihnen versichern, daß der
§ 353b des Strafgesetzbuches der Bundesregierung be-
kannt ist und daß wir auch die Geschäftsordnung der
Bundesregierung kennen. Daran halten wir uns.
Vierte Frage, Herr
Kollege.
Haben Sie, Herr Staats-
sekretär, in irgendeiner Weise Erkenntnisse, wie be-
stimmte Entscheidungen des Bundessicherheitsrats in
die Medien gelangen können, sogar mit Details? Ich zi-
tiere zum Beispiel die „Berliner Morgenpost“, die
schreibt, daß es Lieferungen nach Pakistan über Südko-
rea gibt. Solche Details muß doch irgend jemand ausge-
flüstert haben. Haben Sie da irgendwelche Erkenntnisse,
oder gehen Sie dem nach, wer das ausgeflüstert hat?
S
Herr Kol-
lege Koppelin, ich bitte nochmals um Verständnis, daß
ich zu Einzelheiten der Beratungen des Bundessicher-
heitsrats und auch zu Exportvorhaben keine Stellung
nahmen kann. Ich kann Ihnen aber sagen, daß Ausfüh-
rungen der „Berliner Morgenpost“, insbesondere in dem
erneuten Artikel vom 8. November 1999, inhaltlich nicht
zutreffend sind. Es gilt bei uns der Grundsatz, daß es
keine Lieferungen an Putschisten gibt.
Nun hat die Kollegin
Schwaetzer eine Frage. Bitte sehr.
Vielen Dank,Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, auch ich beziehemich auf die „Berliner Morgenpost“, die heute unter derÜberschrift „Schily sucht U-Boote in der Regierung“ be-
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6064 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
(C)
richtet, daß der Bundesinnenminister von der SPD-Fraktion gebeten oder beauftragt worden sei, die„U-Boote“, die exakt diese Informationen nach außentragen, in der Bundesregierung zu suchen. Sind Sie mitmir der Meinung, Herr Staatssekretär, daß es besserwäre, ein geordnetes staatsanwaltschaftliches Verfahren– da es sich immerhin um einen Straftatbestand han-delt – einzuleiten, wie es für eine Regierung eigentlichganz selbstverständlich wäre, die sich an Recht und Ge-setz hält?S
Frau Kol-
legin, ich verweise in diesem Zusammenhang auf die in
der letzten Woche von meinem Kollegen Staatssekretär
Körper gegebene Antwort, der dafür als Vertreter des
Bundesinnenministeriums zuständig ist, und möchte
dem nichts hinzufügen.
– Das müssen Sie doch wissen. Das kann man im Proto-
koll nachlesen.
Eine weitere Frage,
Frau Schwaetzer? Bitte sehr.
Da dies ja eine
Befragung der Bundesregierung ist, frage ich Herrn
Staatssekretär Körper, ob es sinnvoll wäre, in dem Res-
sort, das für die Aufrechterhaltung geordneter rechts-
staatlicher Verfahren in dieser Republik verantwortlich
zeichnet, ein solches geordnetes staatsanwaltschaftliches
Verfahren einzuleiten?
Die Bundesregie-
rung entscheidet, wer antwortet. Wer will antworten? –
Herr Staatssekretär Körper, bitte.
F
Frau Kollegin Schwaetzer, der
Kollege Mosdorf hat bereits auf die letzte Fragestunde
hingewiesen. Die Rechtsgrundlagen, die diese Angele-
genheit betreffen, sind klar. § 353 b des Strafgesetzbu-
ches ist bereits zitiert worden. Demnach sind klare Re-
gelungen vorgesehen. Kollege Mosdorf hat in diesem
Zusammenhang ebenso auf die Geschäftsordnung der
Bundesregierung hingewiesen. Wenn ich es richtig im
Kopf habe, betrifft das den § 12. Dies skizziert in richti-
ger Art und Weise, wie, vom Einzelfall ausgehend, eine
solche Überprüfung auszusehen hat. Ich denke, dem ist
nichts hinzuzufügen. Damit ist Ihre Frage entsprechend
beantwortet.
Jetzt hat Kollege
Hirche eine Frage.
Herr Staatssekretär, wann ist
damit zu rechnen, daß der Öffentlichkeit Ergebnisse der
Nachforschungen und der Untersuchung, die die Bun-
desregierung über das Öffentlichwerden des Abstim-
mungsverhaltens im Bundessicherheitsrat angestellt hat,
mitgeteilt werden? Denn es ist ja in der Geschichte der
Bundesrepublik ein relativ einmaliger Vorgang, daß In-
formationen aus einem geheimen Gremium detailliert
bekannt werden und sich einzelne Ministerien auch noch
rühmen, daß ihre Minister entsprechend abgestimmt ha-
ben. Wann ist also mit dem Ergebnis dieser Ermittlun-
gen zu rechnen?
S
Herr Kol-
lege, ich habe keine Erkenntnis über den Fortgang des
Verfahrens und bleibe bei der Aussage, daß wir uns an
die Geschäftsordnung und die Spielregeln der Bundes-
regierung halten.
Zusatzfrage? – Bitte
sehr, Herr Hirche.
Gerade weil wir das begrü-
ßen, daß sich wenigstens Sie daran halten wollen, lege
ich natürlich Wert darauf, daß Sie die Frage beantworten
– wenn dies nicht erfolgt, werden wir diese Frage immer
wieder stellen; das kündige ich schon jetzt an –, wann in
dieser wichtigen Angelegenheit mit einem Ergebnis zu
rechnen ist. Denn das betrifft die Tatsache, ob Rechtssi-
cherheit nur durch Worte oder auch durch Taten gege-
ben ist.
S
Lieber
Kollege, es bleibt dabei: Die Bundesregierung hält sich
an die Spielregeln der Geschäftsordnung. Ich gehe da-
von aus, daß alle Beteiligten sich ebenfalls an diese
Spielregeln halten.
Die nächste Frage
hat der Kollege Niebel.
Herr Staatssekretär, Ihren bis-herigen Äußerungen kann ich entnehmen, daß auch dieBundesregierung nicht glücklich darüber ist, daß aus ei-ner geheimen Sitzung des Bundessicherheitsrates Infor-mationen in die Öffentlichkeit gelangt sind.
Auch wenn Sie nichts über diese Sitzung sagen dür-fen – das sollten Sie auch nicht tun; das wollen wir garnicht –, haben wir den Presseberichterstattungen ent-nehmen können, daß Details dieser Bundessicherheits-ratssitzung öffentlich geworden sind.Aus welchem Grund kommen Sie nicht wie wir zudem Schluß, daß es nach dem Prinzip der Gewaltentei-lung sinnvoll wäre, eine unabhängige staatsanwalt-schaftliche Überprüfung dieses Geheimnisverratesdurchzuführen?Dr. Irmgard Schwaetzer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6065
(C)
(D)
S
Herr Kol-
lege, ich wiederhole: Sie können davon ausgehen, daß
die Bundesregierung nie glücklich darüber ist, wenn
Dinge, die sie miteinander verabredet hat, nicht ein-
gehalten werden.
Eine weitere Frage,
Kollege Niebel?
Herr Staatssekretär, mit dieser
Antwort bin ich leider nicht zufrieden. Deswegen frage
ich noch einmal, anders formuliert: Wann wird die Bun-
desregierung staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu
diesem Geheimnisverrat einleiten lassen?
S
Herr Kol-
lege, ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf das
verweisen, was der Staatssekretär im Bundesinnenmi-
nisterium bereits letzte Woche erklärt hat.
Die nächste Frage
hat der Kollege Erler.
Herr Staatssekretär, würden Sie
mir zustimmen, daß es eigentlich ein schwer erträglicher
Zustand ist, wie hier seitens der Opposition gegen die
Regeln der Fairneß verstoßen wird, daß nämlich auf der
einen Seite, wie Herr Koppelin es getan hat, Fragen zu
Zeitungsberichten gestellt werden, die die Bundesregie-
rung nicht beantworten kann, weil sie sonst gegen die
Vorschrift der Geheimhaltung verstoßen würde, sie aber
auf der anderen Seite von der Opposition wegen dieses
Verhaltens auch noch kritisiert wird?
S
Herr Kol-
lege Erler, ich muß Ihnen gestehen, daß ich grundsätz-
lich keine Kommentierungen über das Frageverhalten
von Abgeordneten vornehmen möchte.
Jetzt hat der Kollege
Lippelt eine Frage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für einen bemer-
kenswerten Vorgang, daß, nachdem in der vergangenen
Woche der größere Oppositionspartner alles getan hat,
um zu erfahren, ob diesbezüglich ein Geheimnisverrat
vorliege, in dieser Woche – zumindest der Fragestellung
nach – der kleinere Oppositionspartner alles tut, um die
Regierung genau in diesem Punkt zum Verrat von Ge-
heimnissen zu verleiten
– Sie sind diesem ausgewichen und haben korrekt ge-
antwortet –, und sich damit nur auf dasselbe Gleis be-
gibt, auf dem bereits der größere Oppositionspartner,
allerdings mit etwas mehr Geschwindigkeit, nämlich vor
einer Woche, gefahren ist und längst alles abgegrast ist?
S
Verehrter
Kollege Lippelt, Ihre Frage ist so diabolisch, daß ich sie
nicht kommentieren möchte.
Jetzt hat der Kollege
Hörster eine Frage.
Hat die Bundesre-
gierung heute morgen beschlossen, Herrn Bundesin-
nenminister Schily mit Untersuchungen hinsichtlich die-
ses Geheimnisverrates zu beauftragen? Ich frage dies
vor dem Hintergrund dessen, daß der Herr Kollege Er-
ler, der ja hier anwesend ist, in Artikeln der „Berliner
Morgenpost“ zitiert wird, die SPD-Bundestagsfraktion
habe den Herrn Bundesinnenminister beauftragt, das
„U-Boot“ zu finden
und die Löcher zu stopfen, die zu dem Geheimnisverrat
beigetragen haben. Ich denke, wenn die SPD-
Bundestagsfraktion dies beschlossen hat, wird es auch
im Bundeskabinett umgesetzt.
S
Herr Kol-
lege Hörster, ich kann Ihnen mitteilen, daß die Bundes-
regierung in der heutigen Kabinettssitzung eine derartige
Entscheidung nicht getroffen hat.
Herr Kollege Hör-
ster, haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr.
Heißt das, daß Er-mittlungen von der Bundesregierung in diesem Fall
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6066 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
(C)
nicht für notwendig erachtet werden? Zu Recht hat jader Kollege Lippelt darauf hingewiesen, daß wir uns be-reits in der letzten Fragestunde mit diesem Sachverhaltbefaßt haben. Mittlerweile müßte doch innerhalb derBundesregierung Klarheit darüber bestehen, ob man ge-gen diese Sachen vorgehen will oder nicht. Sonst könnteunterstellt werden, daß man seinen Amtseid verletze.S
Herr Kol-
lege Hörster, Sie haben gefragt „Heißt das …?“ Ich ant-
worte darauf: Das heißt es nicht.
Jetzt hat der Kollege
Rose eine Frage.
Herr Staatssekretär,
müssen wir uns darauf einstellen, daß wir in dieser Fra-
gestunde nichts erfahren und daß wir uns die Wahrheit
über all das, was in der letzten Zeit an Rüstungsexporten
durch die rotgrüne Bundesregierung erfolgt ist, aus Pres-
seberichten mühsam zusammensuchen müssen?
S
Lieber Herr
Kollege Rose, die Bundesregierung hat Spielregeln ver-
abredet. Danach tagt der Bundessicherheitsrat geheim
und gibt über seine Entscheidungen nichts bekannt. Da-
bei wird es bleiben.
Haben Sie eine
weitere Frage? – Nein. Jetzt hat der Kollege Geis eine
Frage.
Herr Staatssekretär, kön-
nen wir davon ausgehen, daß dann, wenn die Bundesre-
gierung zu dem Ergebnis kommen sollte, daß ein Ge-
heimnisverrat, über den wir hier diskutieren, vorliegt,
die Bundesregierung der Staatsanwaltschaft die Er-
mächtigung erteilen wird – sie ist notwendig –, um ein
entsprechendes Ermittlungsverfahren einzuleiten?
S
Verehrter
Herr Kollege Geis, ich kann Ihnen nur sagen, daß ich
Wenn-dann-Fragen nicht beantworte, sondern bei der
Linie bleibe, daß die Geschäftsordnung der Bundesre-
gierung gilt.
Nun hat der Kollege
Solms eine Frage.
Herr Staatsse-
kretär, können wir davon ausgehen, daß die Klärung der
Frage des Geheimnisverrats noch in dieser Legislaturpe-
riode erfolgt?
S
Verehrter
Herr Solms, ich entnehme nicht nur Ihrer Frage, sondern
auch Ihrem Lächeln, daß Sie die Frage ironisch meinen.
– Er lächelt immer. An jedem Wahlsonntag lächelt er.
Herr Solms, ich bleibe bei der Aussage, die lautet,
daß die Bundesregierung eine Geschäftsordnung hat, an
die sich alle zu halten haben. Diese Linie wird auch
nicht verlassen.
Eine zweite Frage
des Herrn Kollegen Solms, bitte.
Herr Staatsse-
kretär, was wird die Bundesregierung unternehmen, da-
mit ein solcher Geheimnisverrat aus den Beratungen des
Bundessicherheitsrates nicht wieder vorkommt? Wird
beispielsweise erwogen, einzelne Minister nicht mehr an
den Sitzungen des Bundesrates teilnehmen zu lassen?
S
Die Bun-
desregierung bekräftigt die Geschäftsordnung des Kabi-
netts für die Beratung solcher Gegenstände, und dabei
bleibt es.
Damit haben wir die
Dringlichen Fragen beantwortet. Wir danken Herrn
Staatssekretär Mosdorf für die Beantwortung der Fragen
und kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fra-
gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Walter
Kolbow zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Joachim Günther
auf:
Hat es bis zum heutigen Tag im Rahmen von INTERFEToder auf anderer Grundlage einen Flugeinsatz der in Dar-win/Australien stationierten Transall gegeben, und welcher Artwaren diese möglichen Einsätze?
W
Frau Präsidentin, wenn SieJoachim Hörster
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und der Herr Kollege Günther es erlauben, würde ich dieFragen gerne im Zusammenhang beantworten, da eininnerer Zusammenhang besteht.
Wollen Sie dem zu-
stimmen, Herr Kollege?
– Dann machen wir das so, Herr Staatssekretär. Ich rufe
die Frage 2 des Kollegen Joachim Günther auf:
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, die auf eineÄnderung des gegenwärtigen Transportaufkommens hindeuten,oder wird ein baldiger Abzug der Bundeswehrsoldaten aus Au-stralien in Erwägung gezogen?
W
Herzlichen Dank, Herr Kol-
lege Günther. Ich darf die Fragen wie folgt beantworten.
Seit der Unterstellung der zwei Transall-Flugzeuge zu
Interfet haben insgesamt sieben Einsätze stattgefunden.
Dabei wurden ein Einweisungsflug und sechs Flüge zum
Transport von insgesamt 35 Verletzten und Kranken
durchgeführt.
Um die Antwort auf die zweite Frage anzuschließen,
Herr Kollege, möchte ich ausführen: In bezug auf die
Auslastung der eingesetzten Maschinen wird mit einer
steigenden Tendenz gerechnet, da mit der Dauer der
Mission und dem Aufwuchs der Personalstärke bei In-
terfet die Verletzungs- und Krankheitsfälle bereits jetzt
erkennbar zunehmen.
Ein Abzug unserer Bundeswehrsoldaten aus Australi-
en ist erst mit dem Auslaufen des Mandats Interfet vor-
gesehen. Mit ihrer medizinischen Einrichtung haben die
eingesetzten Flugzeuge eine positive psychologische
Wirkung auf die Soldaten der Interfet-Truppe. Ein vor-
zeitiger Abzug hingegen hätte negative Auswirkungen.
Wir beobachten aber sehr sorgfältig die Ausstattung
im medizinischen Bereich der ab Januar beabsichtigten
UNO-Truppe, deren Lead-Nation noch nicht festgelegt
ist. Es wird wohl aber dazu kommen, daß Australien die
Lead-Nation wird. Wir stehen mit Australien wegen der
Ausgestaltung der UNO-Truppe in enger Verbindung,
um die medizinischen Kapazitäten abzugleichen. Mögli-
cherweise hätte dies – das ist aber noch nicht zu erken-
nen – Auswirkungen auf die Dauer unseres Einsatzes.
Herr Kollege, Sie
können, wenn Sie wollen, vier Zusatzfragen stellen.
Bitte sehr, die erste Zusatzfrage.
Herr Staatsse-
kretär, wäre es in diesem Fall auch möglich gewesen,
die Transall durch zivile Maschinen zu ersetzen oder
war in diesem Zusammenhang die militärische Kompo-
nente unbedingt erforderlich?
W
Die militärische Komponente
war aus unserer Sicht und aus Sicht der internationalen
Staatengemeinschaft erforderlich. Wir sind darum ge-
beten worden und haben dieser Bitte entsprochen, weil
zivile Flugzeuge mit den entsprechenden Einrichtungen
für die MEDIEVAC auch anderer Nationen nicht so ko-
stenkünstig und so schnell zur Verfügung gestanden
hätten.
Eine weitere Frage?
– Bitte sehr.
Herr Staatsse-
kretär, nach unseren Informationen ist die medizinische
Versorgung in Osttimor relativ gut. Waren unter diesen
Bedingungen die Flüge von Verletzten nach Australien
erforderlich, oder hätte die Behandlung nicht ebenso in
Osttimor stattfinden können?
W
Wir sind um diese Flüge ge-
beten worden. Die Aufforderungen bestanden. Im Inter-
esse einer unverzüglichen Hilfe für die Verletzten und
Kranken sind die Maschinen geflogen.
Jetzt hat der Kollege
Dr. Seifert eine Frage.
Herr Staatssekretär, Sie haben
gesagt, daß bisher 35 Menschen ausgeflogen worden
sind. Wie viele davon sind Zivilisten, gehören also zur
osttimoranischen Bevölkerung, und wie viele davon sind
Soldaten, die dort hingeschickt worden sind, um dort zu
befrieden? Wirkt sich das auf die Bevölkerung aus oder
nicht?
W
Herr Kollege Seifert, eine
Aufschlüsselung liegt mir nicht vor. Darf ich Ihnen die
unverzüglich nachreichen?
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6068 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
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6070 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
(C)
Sie haben diese Anträge sicherlich mit großem Erkennt-nisgewinn gelesen.Herr Kollege, es ist völlig klar: Wir haben immer da-für gekämpft – ich weiß nicht, ob Sie das in den vergan-genen Jahren im Wirtschaftsausschuß verfolgen konn-ten –, daß das Niveau sowohl im Bereich der Auslands-handelskammern als auch der Messeförderung hochbleibt und nicht reduziert wird. Gleichzeitig stellen wirzusammen mit den Vertretern der Kammern, aber auchmit den Vertretern der Messeförderung Überlegungendarüber an, wie den mittelständischen Unternehmen ge-zielt geholfen werden kann. Bei der Messeförderung istes ganz einfach: Wenn wir große Messen auf entferntenKontinenten veranstalten, dann sind die Grundkosten sohoch, daß es Mittelständlern fast unmöglich ist, an die-sen Messen teilzunehmen. Wir wollen im Bereich derMesseförderung alles tun, damit Mittelständler auf sol-che Messen mitgenommen werden können.Man muß eines nüchtern sehen: Das, was Informa-tions- und Kommunikationstechnik heute möglichmacht, nämlich als kleiner Mittelständler mit Hilfe vonE-Commerce und E-Business von einem bestimmtenPunkt aus den ganzen Weltmarkt bedienen zu können,ist eine große Chance für den Mittelstand, weil bishernur Großunternehmen dezentral fertigen oder Filialenunterhalten konnten. Jetzt gibt es durch E-Commerceund E-Business große Möglichkeiten für den Mit-Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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(C)
(D)
telstand. Deshalb werden wir alles tun, um die Präsenta-tionsmöglichkeiten des Mittelstandes auf dem gesamtenWeltmarkt zu verbessern.
Keine weitere Zu-
satzfrage mehr.
Ich rufe jetzt Frage 8 des Kollegen Klaus Holetschek
auf:
Will die Bundesregierung im Sinne dieser Zielsetzung dieKürzungen im Haushalt 2000 bei den Mitteln des Bundesmini-steriums für Wirtschaft und Technologie für Außenwirtschafts-führung rückgängig machen?
Herr Staatssekretär, bitte.
S
Herr Kol-
lege Holetschek, die im Regierungsentwurf des Bundes-
haushalts 2000 für die Außenwirtschaftsförderung vor-
gesehenen Mittel verdeutlichen, daß die Außenwirt-
schaftsförderung weitgehend von den haushaltspolitisch
notwendigen Einsparungen ausgenommen ist. Damit ist
sichergestellt, daß trotz geringfügiger Kürzungen die
Substanz des weltweiten Auslandshandelskammernetzes
erhalten werden kann. Dies gilt auch für die Aktivitäten
im Bereich der Auslandsmesseförderung.
Wir stehen übrigens mit dem DIHT und der Förder-
gesellschaft für die Auslandsmesseförderung in engen
Gesprächen. Wir finden Verständnis dafür, daß wir alles
tun, um das wichtige Instrument der Auslandsmesseför-
derung gerade im Zeitalter der Globalisierung zu erhal-
ten.
Keine weiteren Zu-
satzfragen. Dann danke ich Herrn Staatssekretär Mos-
dorf für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
Frau Staatssekretärin Christa Nickels zur Verfügung.
Ich rufe Frage 9 des Abgeordneten Gerald Weiß
auf:
Zu welchen Mindereinnahmen bei der gesetzlichen Kran-kenversicherung würde die von der Bundesregierung geplanteReduzierung des Rentenzuwachses auf einen „Inflationsaus-gleich“ in den Jahren 2000 und 2001 führen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
C
Herr Kollege Weiß, Ihre
Frage beantworte ich wie folgt: Die Beschränkung der
Rentenerhöhung zum 1. Juli 2000 und zum 1. Juli 2001
auf die Höhe der Inflationsrate führt zu relativ geringen
Mindereinnahmen in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung, wenn man die Modellrechnung des letzten, von
der alten Bundesregierung vorgelegten Rentenversiche-
rungsberichts vom Herbst 1998 als Vergleichsmaßstab
zugrunde legt. Bei diesem Vergleich ergeben sich durch
die Rentenanpassung in Höhe des Inflationsausgleichs
für die GKV Mindereinnahmen von 0,1 bis 0,2 Milliar-
den DM im Jahr 2000 und von weiteren 0,2 bis 0,3 Mil-
liarden DM im Jahr 2001.
Eine Zusatzfrage?
– Bitte sehr, Herr Kollege.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Frau
Staatssekretärin, ich frage Sie, ob Sie ihre Angaben
überprüfen werden, wenn ich Ihnen folgende Zahlen
entgegenhalte, die die Barmer Ersatzkasse – nicht gera-
de eine Klitsche unter den Krankenkassen – zusammen-
gestellt hat: Die Barmer Ersatzkasse hat ausgerechnet,
daß eine Rentenerhöhung um 3,7 Prozent zu Einnahmen
bei der Krankenversicherung für Rentner in Höhe von
44,6 Milliarden DM im Jahr 2000 führen würde. Wenn
die Renten nur um 0,7 Prozent angehoben werden, dann
betragen die Einnahmen 43,3 Milliarden DM. Ein Jahr
später lägen die Einnahmen bei einer Rentenanpassung
nach dem Anstieg der Nettolöhne bei 45,9 Milliarden
DM, bei einer Rentenanpassung in Höhe der Inflations-
rate von 1,6 Prozent nur bei 44 Milliarden DM.
Wenn man jetzt alle Zahlenpaare zusammenführt,
heißt das: Differenz in 2000: 1,3 Milliarden DM und
Differenz in 2001: 1,9 Milliarden DM. Hinzukämen, wie
die Barmer annimmt, Mindereinnahmen bei freiwillig
Versicherten in einer Größenordnung von 100 Millionen
DM. Das würde für die beiden Jahre Mindereinnahmen
in Höhe von 3,3 Milliarden DM ergeben. Das ist also
eine ganz andere Größenordnung.
Würden Sie Ihre Rechnung von eben unter Berück-
sichtigung dieser Zahlen noch einmal überprüfen?
C
Herr Kollege Weiß, ich
habe eben darauf abgehoben, daß die Zahlen, die auch in
den Ausschüssen diskutiert worden sind, erheblich nied-
riger liegen, wenn man die Schätzungen und die Vor-
ausberechnungen zugrunde legt, die unter Maßgabe des
demographischen Faktors, den die alte Bundesregierung
ja hatte, erfolgt sind. Das ist geltende Gesetzeslage ge-
wesen.
Wenn man die neue Gesetzeslage zugrunde legt, dann
kommt es natürlich gegenüber der entsprechenden netto-
lohnbezogenen Rentensteigerung zu etwas größeren,
aber unseres Erachtens noch verkraftbaren Minderein-
nahmen. Generell – nicht bezogen auf die Zahlen einer
einzelnen Kasse – ergeben sich im Vergleich zu der
nettolohnbezogenen Rentensteigerung auf Grund der
aktuellen Gesetzeslage vermutlich Mindereinnahmen in
der GKV von 0,6 Milliarden DM für das zweite Halb-
jahr 2000 und von weiteren zirka 1,4 Milliarden DM für
das Jahr 2001. Die Zahlen sind in den Beratungen der
Fachausschüsse diskutiert worden.
Wenn Sie von einer einzelnen Kasse besondere Zah-
len haben, die mir nicht vorliegen, dann bitte ich Sie,
mir diese zur Verfügung zu stellen. Sie bekommen dann
darauf eine Antwort.
Eine Zusatzfrage,Herr Kollege, bitte. Ihre Ausführungen waren jedochParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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6072 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
(C)
schon fast so lang wie bei einer Kurzintervention – nurdamit wir uns über die Begrifflichkeiten nicht streiten.Sie haben aber noch eine Zusatzfrage, bitte sehr.Gerald Weiß (CDU/CSU): Sei es sooder so, ich werde Ihnen die Zahlen natürlich zur Verfü-gung stellen. Mit Ihren Angaben, die Sie eben gemachthaben, bewegen wir uns immerhin im Raum von Milli-arden. Welche Auswirkungen hat das auf die Kranken-versicherungen?C
Herr Kollege, wir haben
uns als neue Bundesregierung fest vorgenommen, den
gigantischen Schuldenberg abzubauen. Sie wissen, daß
mittlerweile jede vierte eingenommene D-Mark zur
Schuldentilgung benutzt werden muß. Wenn wir das
nicht angehen, werden die kommenden Generationen
überhaupt nicht mehr auch nur den geringsten Spielraum
für eine Planung haben.
Das tun wir nicht gerne. Aber das muß man in An-
griff nehmen, wenn man die Gestaltungsspielräume für
die Zukunft erhalten will. Dazu muß jedes Ressort sei-
nen Beitrag leisten. Im Bereich der Renten kann ein –
unseres Erachtens vertretbarer – Betrag gespart werden.
Sie dürfen aber nicht außer acht lassen, daß diese Re-
gierung natürlich in anderen Bereichen einige Anstren-
gungen unternommen hat, um die Finanzgrundlage der
gesetzlichen Versicherungssysteme zu verbessern. Ich
möchte an einen Bereich erinnern, der im Frühjahr
hochumstritten war, nämlich die Einbeziehung der ge-
ringfügen Beschäftigungsverhältnisse in die Versiche-
rung. Ihnen liegen die Zahlen sicher vor, da Sie in die-
sem Bereich sehr engagiert sind. In diesem Jahr sind er-
heblich mehr Mittel in die Versicherungen – gerade
auch in die Krankenversicherung – geflossen, als die
Regierung überhaupt zu träumen gewagt hat.
Bei den Krankenkassen muß man wirklich redlicher-
weise Soll und Haben miteinander in Bezug setzen.
Dann ist das Ganze vertretbar, und wir gehen davon aus,
daß es von den Kassen so gut geschultert werden kann.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Dr. Grehn, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, in
Anknüpfung an die Fragestellung des Kollegen Weiß
möchte ich gerne wissen: Wieviel weitere Minderein-
nahmen werden auf die Krankenkassen dadurch zu-
kommen, daß das Arbeitslosengeld und die Arbeitslo-
senhilfe wie die Renten entsprechend der Preissteige-
rungsrate angepaßt werden?
C
Ich kann Ihnen die genau-
en Schätzungen nicht nennen. Das wird davon abhän-
gen, wie hoch die Zahl der Arbeitslosengeld- und der
Arbeitslosenhilfeempfänger sein wird. Es ist davon aus-
zugehen, daß wir erfreulicherweise mit einem Sinken
der Zahl der Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfe-
empfänger rechnen können.
Wir haben gerade neue Wirtschaftsgutachten auf den
Tisch bekommen. Der Präsident der Bundesanstalt für
Arbeit, Herr Jagoda, hat vor kurzem vorgetragen, daß
wir zuversichtlich sein können, daß die Arbeitslosen-
zahlen im nächsten Jahr unter 4 Millionen liegen wer-
den. Diese Zahlen müssen mit eingerechnet werden,
damit man hier zu vernünftigen Prognosen kommen
kann.
Nun rufe ich die
Fragen 10 und 11 der Kollegin Sabine Bergmann-Pohl
auf:
Ist es richtig, daß der Deutsche Bundestag entsprechend ei-ner Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses 1998 dasBundesministerium für Gesundheit aufgefordert hat, gesetzlicheRegelungen dahin gehend zu treffen, daß allen Mitgliedern dergesetzlichen Krankenversicherung während des Erziehungsur-laubs eine beitragsfreie Familienversicherung gewährt wird?
Wenn ja, warum wurde bei der Gesundheitsreform oder beianderer Gelegenheit diesem Votum des Petitionsausschussesnicht gefolgt?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
C
Frau Kollegin Bergmann-
Pohl, zunächst weise ich darauf hin, daß die Beschluß-
empfehlung des Petitionsausschusses weder auf eine Be-
rücksichtigung noch auf eine Erwägung hinauslief. Das
heißt, der Petitionsausschuß hat in Kenntnis der kompli-
zierten und verwickelten Lage die Regierung nicht auf-
gefordert, bestimmte Maßnahmen sofort umzusetzen,
sondern hat ein zweigeteiltes Votum abgegeben. Zum
einen ist gesagt worden, die Rechtslage sei einwandfrei,
weshalb man in dem Einzelfall nichts tun könne. Zum
anderen ist die Petition als Material Ihrer damaligen Re-
gierung und, weil die Aufgabe noch nicht umgesetzt
werden konnte, auch der neuen Regierung zur weiteren
Beratung im Rahmen von Gesetzgebungsvorhaben
überwiesen worden.
Sie haben nun gefragt, ob wir es in die Gesundheits-
strukturreform 2000 einbezogen haben. Das haben wir
nicht, und zwar nicht etwa, weil wir es übersehen hätten
oder weil es uns nicht wichtig gewesen wäre – wir ha-
ben eine Reihe von Petitionen eingearbeitet und umge-
setzt, die zum Teil schon sehr lange im Hause lagen –,
sondern weil wir der Meinung waren, daß das Gesund-
heitsstrukturreformgesetz nicht der richtige Platz sei.
Die Bundesregierung hat sich für das nächste Jahr vor-
genommen, das Organisationsrecht zu reformieren. Da
in den in Rede stehenden Petitionen organisationsrecht-
liche Fragen berührt sind, gehören sie in diesen Zusam-
menhang. Das ist also ein fester Bestandteil des Arbeits-
programms der Bundesregierung.
Frau Kollegin, Sie
haben jetzt vier Zusatzfragen. Bitte sehr.
FrauStaatssekretärin, ist es richtig, daß Sie zunächst AnträgeVizepräsidentin Anke Fuchs
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6073
(C)
(D)
zur Organisationsstruktur der Krankenkassen in die Ge-sundheitsreform 2000 eingebracht hatten, die Sie späterzurückgezogen haben?C
Frau Kollegin Bergmann-
Pohl, Sie wissen, daß wir zur Gesundheitsreform 2000
sehr intensive Beratungen hatten, die auch mehrtägige
Anhörungen umfaßten. Im Rahmen dieser Debatten sind
Veränderungen des Gesetzentwurfs vorgenommen wor-
den, weil wir sehr ernst genommen haben, was in den
Anhörungen gesagt worden ist. An diesem Punkt aber
waren wir uns von vornherein einig, daß das in die Or-
ganisationsstrukturreform hineingehört. Im übrigen
möchte ich darauf hinweisen, daß mir alles, was mit Pe-
titionen zu tun hat, besonders wichtig ist, weil ich in der
letzten Legislaturperiode Vorsitzende des Petitionsaus-
schusses war. Ich habe daher selbst dafür plädiert, die-
sen Punkt aufzunehmen.
Die zweite Zusatz-
frage.
Frau
Staatssekretärin, stimmt es, daß Sie als Vorsitzende des
Petitionsausschusses die entsprechende Beschlußemp-
fehlung unterstützt haben? Ich zitiere aus dieser Be-
schlußempfehlung:
Der Petitionsausschuß unterstützt das Anliegen der
Petenten. Kinder sind gesellschaftlich erwünscht.
Es ist auch offensichtlich erwünscht, daß Kinder in
den ersten Lebensjahren in ihrer Familie erzogen
werden. …
Der Staat ist gehalten, die Familie vor Beeinträchti-
gungen zu bewahren, … durch geeignete Maßnah-
men besonders den wirtschaftlichen Zusammenhalt
zu fördern. Dies könnte durch eine beitragsfreie
Familienversicherung der Person, die sich im Er-
ziehungsurlaub befindet, erreicht werden.
C
Das unterstütze ich auch
heute noch nachdrücklich. Diese Thematik ist aber sehr
komplex. Als ehemalige Parlamentarische Staatssekretä-
rin kennen Sie sich hier sehr gut aus, Frau Dr. Berg-
mann-Pohl, und Sie wissen, daß es grundsätzliche Un-
terschiede zwischen gesetzlich Versicherten und frei-
willig Versicherten gibt. Außerdem gibt es den Sonder-
fall, daß sich Ehegatten das Einkommen des Partners zu-
rechnen lassen müssen, wenn sie freiwillig versichert
sind.
Eine Neuregelung dieser Materie steht seit vielen Jah-
ren an. Bereits mit Beschluß des Bundessozialgerichts
vom 24. Juni 1985 wurde entschieden, daß bei der
Beitragsbemessung – das war nur ein Bestandteil der
Entscheidung – auf die wirtschaftliche Leistungsfähig-
keit beider Ehegatten abgestellt werden darf. Dieses
Problem schleppen wir also schon sehr lange mit uns
herum.
Sie wissen sicherlich auch, daß das Bundesversiche-
rungsamt Anfang 1998 Verpflichtungsbescheide gegen-
über Ersatzkassen erlassen hat, die besagten, daß bei der
Beitragsbemessung freiwillig Versicherter – das betrifft
gerade die Frauen, die die Petitionen eingereicht hatten –
ohne bzw. mit geringfügigem Erwerbseinkommen die
Hälfte des Einkommens des Ehegatten zugrunde zu le-
gen ist, wenn diese Ehegatten nicht der gesetzlichen
Krankenversicherung angehören.
Wir haben auch von seiten der Länder – nicht nur der
A-Länder, sondern auch der B-Länder – Vorschläge für
die Organisationsreform, die nächstes Jahr ansteht. Weil
es uns und auch mir – Sie haben mich persönlich gefragt
– ein besonderes Anliegen ist, ist es uns sehr wichtig,
daß wir mit diesem Bereich sehr sorgfältig umgehen und
uns wirklich sehr bemühen, in diesem auch organisati-
onsrechtlich komplizierten Sachverhalt das von Ihnen
angegebene Ziel – die Bundesregierung steht nach-
drücklich dazu – im nächsten Jahr zu erreichen.
Dritte Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, können Sie Angaben dazu machen, wie
hoch der durchschnittliche Beitrag für diesen Personen-
kreis ist?
C
Es gibt Mindestbeiträge.
Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, wie hoch die Summe
unter Berücksichtigung der Tatsache ist, daß sich die
Ehegatten – meistens sind Frauen betroffen – Teile des
Einkommens des anderen Ehegatten zurechnen lassen
müssen. Ich kann gerne im Haus nachfragen. Ich werde
Ihnen die Antwort schriftlich nachreichen.
Vierte Zusatzfrage.
Ein Mit-
arbeiter Ihres Hauses hat der Petentin am 24. September
1999 geschrieben: „Eine Änderung der Rechtslage kann
ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Aussicht stel-
len.“ Frau Staatssekretärin, da auch mir dieses Anliegen
wirklich sehr am Herzen liegt, möchte ich Sie zum
Schluß fragen: Kann ich mich darauf verlassen, daß Sie
dieses Problem in dieser Organisationsreform lösen
werden?
C
Frau Kollegin, der Mitar-beiter unseres Hauses hatte recht. Zum jetzigen Zeit-punkt können wir das der Petentin leider nicht in Aus-sicht stellen. Sie wissen, daß die in Frage kommendenFrauen nur in einem bestimmten Zeitraum betrof-fen sind. Ich bin immer dagegen, den Menschen etwaszu versprechen, was man nicht halten kann. Darum hatder Mitarbeiter unseres Hauses absolut korrekt gehan-delt.Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Metadaten/Kopzeile:
6074 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
(C)
Wir kennen uns schon länger: Sie können sicher sein,daß dieses Anliegen in die Organisationsreform hinein-genommen wird. Wir versuchen, es nach vorne zu brin-gen. Was letzten Endes dabei herauskommt, weiß ichnicht. Aber es steht auf unserer Agenda, und wir bemü-hen uns um eine Lösung des Problems.
Wir kommen zu
Frage 12 des Kollegen Matthäus Strebl:
Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung, die Lei-stungen der Pflegeversicherung nach dem Spielraum, den dasMittelaufkommen in der Pflegeversicherung langfristig bietet, zuverbessern?
Frau Staatssekretärin, bitte.
C
Sehr geehrter Kollege,
selbstverständlich steht die Bundesregierung dieser For-
derung positiv gegenüber. Es ist allerdings so – ich
glaube, darin sind wir uns einig –, daß die Leistungsver-
besserungen dauerhaft aus den laufenden Einnahmen der
Pflegeversicherung finanziert werden müssen.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
stimmen Sie mit mir überein, daß durch die Politik der
Bundesregierung die Pflegeversicherung bereits in we-
nigen Jahren in finanzielle Not kommen wird? Stimmen
Sie mit mir überein, daß dann zum Beispiel die Forde-
rung der CDU/CSU, Leistungen für Demenzkranke auf-
zunehmen, nicht gewährleistet werden kann?
C
Herr Kollege Strebl, darin
stimme ich mit Ihnen nicht überein. Wir haben uns
schon oft darüber unterhalten. Sie verweisen auf die
Vorschläge von Ihnen und von den Ländern Baden-
Württemberg und Bayern. Ich habe hier schon wieder-
holt gesagt, daß ich diese Vorschläge für unseriös halte,
weil man von völlig falschen Zahlen ausgegangen ist.
Das betrifft den Mittelbestand. In den Bundesratsanträ-
gen ist von fast 12 Milliarden DM ausgegangen worden.
Es ist bekannt, daß der aktuelle Mittelbestand bei 9,3
Milliarden DM liegt. Außerdem hat man die dauerhafte
Finanzierung erheblich zu gering angesetzt. Bei den Be-
troffenen und den sie Pflegenden darf man nicht mit fal-
schen Zahlen in einer solchen Größenordnung operieren.
Die Bundesregierung hat diesen Bereich im Koaliti-
onsvertrag als wichtiges Aufgabengebiet dargestellt. Wir
haben schon etwas in der Größenordnung von etwa 260
Millionen DM getan. Die Sachkundigen hätten dies ger-
ne schon in der letzten Legislaturperiode umgesetzt. Das
war ihnen aber nicht gelungen. Wir dagegen haben es
schon in diesem Jahr umgesetzt.
Was die Einbeziehung der Demenzkranken angeht:
Wenn man wirklich seriös und ehrlich vorgeht, dann
muß man feststellen, daß es sich um eine Größenord-
nung von zusätzlich mehr als 1 Milliarde DM handelt.
Man muß an das Problem kreuzsolide herangehen. Es
handelt sich um eine schwere Aufgabe. Wir haben ge-
sagt: Wir prüfen das intensiv. Wir sind damit noch nicht
fertig.
Sie haben keine
weitere Frage? – Dann hat die nächste Frage der Kollege
Dr. Seifert.
Frau Staatssekretärin, Sie be-
tonen ausdrücklich, daß Sie dem Anliegen, das dieser
Frage zugrunde liegt, positiv gegenüberstehen und Lei-
stungsverbesserungen für wünschenswert halten. Kön-
nen Sie mir dann bitte wenigstens eine Art Prioritäten-
liste nennen, was Sie machen würden, wo Sie Leistun-
gen verbessern würden, wenn Sie könnten, wenn finan-
zielle Mittel vorhanden wären und wenn die Bei-
tragseinnahmen durch die verschiedenen Dinge, die die
Regierung eingeleitet hat, nicht zusätzlich geschmälert
würden?
C
Herr Kollege Seifert, das,was im Rahmen dessen, was bislang an Mitteln verfüg-bar ist, möglich war, haben wir gemacht. Das, was mitweiteren Mittel möglich sein wird – ich betone: Nachden Schätzungen wird der Mittelbestand auf Dauer nichtunter 8 Milliarden DM sinken und ab 2005 wieder stei-gen –, werden wir tun. Ich habe bereits gesagt: Es han-delt sich um eine Größenordnung von 260 Millio-nen DM.Man kann sehr viel durch Qualitätssicherungsmaß-nahmen erreichen. Sie wissen, daß in Zusammenarbeitmit dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen undJugend im Bereich des Heimgesetzes und auch im Rah-men eines Qualitätssicherungsgesetzes intensive Vorar-beiten geleistet werden. Man kann also auch im kleine-ren Rahmen einiges bewirken.Wenn man den Pflegebegriff ausweitet – das ist jaschon immer diskutiert worden –, dann entstehen Mehr-kosten in der Größenordnung von 1,5 Milliarden DM.Ich kann Ihnen nicht irgend etwas an die Wand malen,weil eine Regierung unter gar keinen Umständen denMenschen etwas vorgaukeln darf. Sie darf nicht sagen:„Wir können das kurzfristig lösen“, da wir alle wissen,daß das nicht kurzfristig zu lösen ist.Ich betone: Diese Bundesregierung und namentlichMinisterin Andrea Fischer, die für Bündnis 90/Die Grü-nen in diesem Bereich in der letzten Legislaturperiodefederführend war, sind mit diesem Bereich immer sehrsolide umgegangen, weil die Betroffenen und diejeni-gen, die sie pflegen, es nicht verdient haben, daß auf ih-rem Rücken spekuliert wird. Man muß sich dieser Pro-zedur vielmehr unterziehen. Sie wissen, daß der Bei-tragssatz bei 1,7 Prozent festgeschrieben ist und daß diePflegeversicherung bisher immer nur als eine Teilabsi-cherung geplant ist.Das sind die Probleme, vor denen wir stehen. Daranmüssen wir arbeiten. Das wird noch einige Zeit dauern;Parl. Staatssekretärin Christa Nickels
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6075
(C)
(D)
darum kann ich Ihnen diese Frage jetzt nicht beantwor-ten.
Die Frage 13 wird
auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fra-
gestunde schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als
Anlage abgedruckt.
Ich danke der Staatssekretärin Nickels für die Beant-
wortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentari-
sche Staatssekretär Lothar Ibrügger anwesend.
Die Fragen 14 und 15 des Kollegen Josef Hollerith
werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden
als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 16 der Kollegin Anke Eymer:
Welchen Anteil kann die Bundesregierung leisten, um denFamilien der landwirtschaftlichen Betriebe, denen durch denBau der Bundesautobahn A 20 im Süden Lübecks ihre historischgewachsene Agrarstruktur zerschnitten wird, ihre Existenz aufden Höfen zu erhalten, und wie könnte Ersatzland zwecks Um-siedlung vollständiger Beriebe bereitgestellt werden, etwa da-durch, daß hierfür Flächen des Bundes bzw. der BVVG zur Verfügung gestelltwerden?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
L
Liebe
Kollegin Eymer, die zuständige Auftragsverwaltung des
Bundes, das Straßenbauamt Lübeck, hat bereits rund
50 Prozent der Grunderwerbsfälle hinsichtlich der Zur-
verfügungstellung von Ersatzlandflächen zufriedenstel-
lend lösen können. Dabei wurden zwei Landwirtschafts-
betriebe komplett erworben, um die für die Straßenbau-
maßnahme nicht benötigten Flächen zur Arrondierung
und Kompensierung anderer von der Maßnahme eben-
falls betroffener Betriebe zur Verfügung zu stellen.
Sowohl die Bundesvermögensverwaltung als auch die
Landgesellschaft sind weiterhin in die bereits größten-
teils erfolgreichen Bemühungen der Ersatzlandbeschaf-
fung eingebunden. Die Landwirtschaftskammer Schles-
wig-Holstein ist beauftragt worden, eine agrarstruktu-
relle Entwicklungsplanung für den zweiten Bauabschnitt
der A 20 – Anschlußstelle Genin bis zur Landesgrenze
Schleswig-Holstein/Mecklenburg-Vorpommern – zu er-
stellen.
Eine Zusatzfrage? –
Frau Kollegin, bitte.
Herr Staatsse-
kretär, ich habe auch nach dem Anteil gefragt, den die
Bundesregierung leisten kann. Wenn ich Ihnen richtig
zugehört habe, dann haben Sie dazu bisher nichts gesagt.
L
Frau
Kollegin, der Bund hat bereits zwei Betriebe komplett
erworben. Das ist ein ganz gewichtiger Anteil, den der
Bund auch als Straßenbaulastträger übernimmt, denn das
ist zu Lasten der Baumaßnahme erfolgt. Diese zwei
Landwirtschaftsbetriebe, die komplett von der Bundes-
regierung für die Bundesrepublik Deutschland erworben
worden sind, sind gleichzeitig zur Arrondierung und
Kompensierung anderer zusätzlicher, von dieser Maß-
nahme betroffener landwirtschaftlicher Betriebe genutzt
worden. Das ist der höchste Anteil, den gegenwärtig
überhaupt einer der Beteiligten leisten konnte. Insofern
ist die Frage klar beantwortet worden.
Eine weitere Frage?
– Frau Kollegin, bitte.
Zu diesem
Punkt haben Sie die Frage beantwortet. Ich beziehe mich
aber nicht nur auf Lübeck, da ich für meine Partei ganz
Ostholstein betreue. Ich weiß von dort, auch von den
Vertretern der Landwirtschaft, daß diese Probleme nicht
zufriedenstellend und nicht abschließend gelöst worden
sind. Meine Frage lautet: Hat nach Ansicht der Bundes-
regierung damit der Bund seinen Teil geleistet? Sehen
Sie keine Notwendigkeit, weitere Maßnahmen zu ergrei-
fen?
L
FrauKollegin Eymer, ich warne sehr davor, die Zuständig-keiten zu verwischen. Die Ausbauplanung für die Bun-desfernstraßen erfolgt im Auftrag des Bundes durch dieStraßenbauverwaltungen der Länder. Die Planfeststel-lung für entsprechende Maßnahmen wird durch das je-weils beauftragte Land erlassen. Es wird auch beklagt,wenn es zu Eingaben und Beschwerden von Betroffenenkommt, die sich mit bestimmten Regelungen im Rah-men der Planfeststellung nicht einverstanden erklären.Auch Ihre Anmerkungen habe ich so gedeutet, daß ein-zelne nicht zufrieden sind. Es ist aber bei einer Fülle vonMaßnahmen feststellbar, daß es beim notwendigen Aus-gleich der Interessen nicht immer für alle zufriedenstel-lende Lösungen gibt.Die Bundesregierung hat hier nach Recht und Gesetzzu handeln und ist als Straßenbaulastträger für die Be-reitstellung der Mittel verantwortlich. Die ganze Ausge-staltung aber, also auch alles, was das Innenverhältnisder Beteiligten zueinander betrifft, die Abwägung derprivaten und öffentlichen Belange und die Frage derQualität des Eingriffs in das Eigentum nach Art. 14 un-seres Grundgesetzes muß ganz eindeutig durch das Plan-feststellungsverfahren geregelt werden. Bei dieser Plan-feststellung sind alle Belange, die Sie bei Ihren Ausfüh-rungen mit anklingen ließen, zu berücksichtigen. Das hathier bis hin zur richterlichen Überprüfung geführt.Einzelne haben jederzeit das Recht, Fälle, bei denensie sich im Rahmen der Planfeststellung nicht ordnungs-gemäß behandelt oder in ihren Rechten beeinträchtigtfühlen, durch unabhängige Richter überprüfen zu lassenund gesagt zu bekommen, ob durch die Planfeststel-Parl. Staatssekretärin Christa Nickels
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6076 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
(C)
lungsbehörde eine ausgewogene Entscheidung getroffenwurde oder nicht. In bezug auf die in Ihrer Ausgangsfra-ge angesprochene Situation kann ich nur sagen, daß alleLösungsvorschläge, zum Beispiel auch der, Flurbereini-gungen vorzunehmen, von den Landwirten selbst abge-lehnt wurden.
Nun rufe ich die
Frage 17 der Kollegin Anke Eymer auf:
Ist es unter dem Gesichtspunkt, daß der Schlüssel für dieAusgleichsmaßnahmen für den Bau der A 20 im Süden Lübecksca. 10 : 1 be-trägt, richtig, daß in anderen Regionen Deutschlands, etwa inMecklenburg-Vorpommern, ein geringerer Ausgleich erforder-lich ist, und kann dieser Ausgleichsschlüssel bundeseinheitlichverkleinert werden?
Herr Staatssekretär, bitte.
L
Frau
Kollegin Eymer, der Ausgleich bemißt sich nicht nach
einem Schlüssel, sondern erfolgt auf der Grundlage des
§ 8 des Bundesnaturschutzgesetzes und der Natur-
schutzgesetze der Länder. Maßgebend sind danach die
Intensität des Eingriffs und die Empfindlichkeit sowie
die Regenerationszeit der betroffenen Biotope. Ein Ver-
gleich des Verhältnisses der Ausgleichsfläche zu der
vom Eingriff betroffenen Fläche zwischen Schleswig-
Holstein und Mecklenburg-Vorpommern ist bei der
Autobahn A 20 nur möglich, wenn auch die Art der be-
troffenen Biotope berücksichtigt wird.
Keine Zusatzfrage?
– Dann kommen wir zu den Fragen 18 und 19 der Kol-
legin Rita Streb-Hesse; sie werden schriftlich beant-
wortet. Das gleiche gilt für die Fragen 20 und 21 des
Kollegen Hubert Deittert und für die Fragen 22 und 23
der Kollegin Anke Hartnagel.*) Ich danke dem Staats-
sekretär Ibrügger für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Dr. Martin Mayer
auf:
Welche Auswirkungen auf kleine und mittelständische Un-ternehmen der Hochtechnologie in Deutschland hat nach Ein-schätzung der Bundesregierung die Gründung der In-Q-It, Inc.,eines auf High-Tech-Spionage spezialisierten Subunternehmens(vgl. „Süddeutsche Zeitung“ vom 12. Oktober 1999), durch denamerikanischen Geheimdienst CIA?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
F
Frau Präsidentin, Ihr Einver-
ständnis und auch das des Kollegen Mayer vorausge-
setzt, möchte ich gerne die beiden Fragen 24 und 25 zu-
sammen beantworten. Das scheint mir der Sache ange-
messen zu sein.
*) Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich sehe ein zu-
stimmendes Nicken des Fragestellers. Dann rufe ich
auch die Frage 25 des Kollegen Dr. Martin Mayer auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung Abwehrmaßnahmen hier-gegen oder die Gründung einer ähnlichen Einrichtung mit ähnli-cher Zielsetzung?
F
Der Bundesregierung ist die in
der Presse erwähnte Internet-Notiz bekannt. Sie be-
trachtet die Zusammenarbeit zwischen staatlichen und
privaten Stellen im Ausland und die sich hieraus für bei-
de Seiten ergebenden Möglichkeiten zur Weiterent-
wicklung auch in telekommunikations- und informati-
onstechnischen Bereichen grundsätzlich weder als einen
zu beanstandenden noch zu kommentierenden Vorgang.
Sie ist auch der Auffassung, daß die aus diesem Vor-
gang in der öffentlichen Berichterstattung gezogenen
Schlüsse eine spekulative und durch Fakten nicht annä-
hernd zu belegende Betrachtungsweise darstellen. Im
übrigen liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse
zu möglichen negativen Auswirkungen auf deutsche
Wirtschaftsunternehmen der Hochtechnologie durch die
Gründung dieser besagten Firma vor.
Der Bundesregierung sind die zahlreichen Medien-
veröffentlichungen zu Fragen der Wirtschaftsspionage
insbesondere unter angeblicher Beteiligung der Verei-
nigten Staaten von Amerika bekannt. Es darf in diesem
Zusammenhang darauf hingewiesen werden, daß keine
konkreten Anhaltspunkte vorliegen, die die erhobenen
Vorwürfe und Befürchtungen auch im Sinne der Anfra-
ge rechtfertigen würden.
Im übrigen hat die Bundesregierung nie einen Zwei-
fel daran gelassen, daß sie bei dem Vorliegen entspre-
chender Sachverhalte nicht zögern wird, diese Probleme
auch gegenüber befreundeten Staaten in aller Deutlich-
keit anzusprechen.
Erste Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, wenn an die Gründung dieser Kapitalbe-
teiligungsfirma in den Vereinigten Staaten auch nicht
der leiseste Verdacht von Wirtschaftsspionage geknüpft
werden kann, wie ich das Ihrer Beantwortung entnehme,
will ich doch fragen: Gibt es in der Bundesregierung
Überlegungen, ähnliche Einrichtungen in Deutschland
zu schaffen, zumal dies offensichtlich eine erfolgver-
sprechende Möglichkeit ist, um neue Techniken zu nut-
zen?
F
Herr Kollege Mayer, diese Frageüberrascht mich nicht. Ich möchte deutlich unterstrei-chen, daß wir dem Geheimschutz eine große Bedeutungbeimessen. Wir gehen aber in diesem Bereich einen an-deren Weg, indem wir mit dem Bundesamt für Sicher-heit in der Informationstechnik zusammenarbeiten, dassich insbesondere mit diesen Fragen beschäftigt.Parl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6077
(C)
(D)
Sie schauen ein bißchen kritisch. Ich möchte dahereine Einladung aussprechen: daß wir gemeinsam dorthinfahren, damit Sie interessante Informationen be-kommen können. Ich würde dies gerne tun. Das Ange-bot steht.
– Herr Kollege Hörster, ich habe verstanden.
Zusatzfrage 2.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es beim
Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik
eher darum geht, unerlaubtes oder unerwünschtes Aus-
forschen irgendwelcher Geheimnisse von Wirtschafts-
unternehmen oder von öffentlichen Einrichtungen ab-
zuwehren und daß es bei der genannten amerikanischen
Einrichtung eher darum geht, neue Techniken zu ent-
wickeln, um andere auszuspähen? Hier liegt ein grund-
sätzlicher Unterschied in bezug auf die Zielsetzung, was
nichts mit Recht oder Unrecht zu tun hat.
F
Herr Kollege Mayer, es ist rich-
tig, daß diese Firmengründung in den Vereinigten Staa-
ten von Amerika auch unter dem Gesichtspunkt zu se-
hen ist, sich auf neue Techniken und neue Entwicklun-
gen einzustellen. Aber der Auftrag unseres Bundesamtes
wäre verkürzt, wenn es nicht auch solche Aufgaben
übernehmen würde. Das könnte ich Ihnen gelegentlich
an ganz konkreten Beispielen demonstrieren.
Ihr
Angebot will ich gern annehmen.
F
Ja, einverstanden.
Ich rufe die Frage 26
der Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf:
Kommen beim Einsatz von Beamten des Bundeskriminal-amtes, auch bei Tätigwerden als verdeckte Ermittler, „manipu-lierte Handys“ als Abhörmikrofone zum Einsatz und, wenn ja,mit welchem Zweck?
Herr Staatssekretär, bitte.
F
Frau Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger, wenn Sie mir gestatten, mache ich eine
Vorbemerkung. Hintergrund der Frage dürften Pressebe-
richte sein, denen zufolge Mobiltelefone gegebenenfalls
als ferngesteuerte Abhörmikrofone eingesetzt werden
können. Die Bundesregierung weist darauf hin, daß für
einen hoheitlichen Einsatz dieser technischen Mittel die
materiellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen
der Eingriffsbefugnisnormen vorliegen müssen. Das un-
befugte Aufzeichnen und Abhören des nichtöffentlich
gesprochenen Wortes ist nach Maßgabe des § 201 des
Strafgesetzbuches strafbar.
Konkret zur Beantwortung der Frage 26: Soweit im
Rahmen von Einsätzen, auch Einsätzen von verdeckten
Ermittlern des Bundeskriminalamtes, technische Mittel
zum Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich ge-
sprochenen Wortes eingesetzt werden, erfolgt dies aus-
schließlich im Rahmen der Strafverfolgung außerhalb
oder innerhalb von Wohnungen auf der Basis einer An-
ordnung gemäß § 100 d Strafprozeßordnung und im
Rahmen der Gefahrenabwehr in Form der Eigensiche-
rung auf der Basis einer Anordnung gemäß § 16 Abs. 2
des BKA-Gesetzes.
Zu den eingesetzten technischen Mitteln werden im
Rahmen einer parlamentarischen Frage selbstverständ-
lich keine Auskünfte erteilt – ich glaube, hier auf Ihr
Einverständnis zählen zu können –, da dadurch sowohl
effektive strafprozessuale Ermittlungshandlungen als
auch der gebotene Schutz der eingesetzten Mitarbeiter,
insbesondere jener der verdeckten Ermittler, in ihrer
Wirksamkeit beeinträchtigt oder unmöglich gemacht
werden könnten.
Zusatzfrage, Frau
Kollegin? – Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Zusatzfrage, die sich
aber – im Hinblick auf den Schutz der Beteiligten –
selbstverständlich nicht auf konkrete Verfahren bezieht.
Ist es so, daß bei Vorliegen der von Ihnen genannten ge-
setzlichen Voraussetzungen rein technisch geeignete
Handys benutzt werden, oder existiert eine andere Tech-
nik, die zum Einsatz kommt? Können Sie ausschließen,
daß eine solche Technik zum Einsatz kommt?
F
Man muß dabei unterscheiden,
Frau Kollegin. Es gibt zum einen ganz normale Handys,
die zum Abhören geeignet sind, und zum anderen, wie
ich formulieren möchte, manipulierbare Handys, die
aber nicht in Serie produziert werden; sie werden im
Grunde genommen von Einzeltätern manipuliert. Insge-
samt kann ich Ihre Frage so beantworten, daß diese Art
von manipulierbaren Handys nicht eingesetzt wird.
Zusatzfrage? – Bitte
sehr.
Herr Staatssekretär, gibt es Erkenntnisse der Bundesre-gierung, daß manipulierbare Handys zunehmend nichtvon seiten des Staates bzw. von für den Staat handeln-den Personen, sondern von Personen der anderen Seite,mit denen der Staat zu tun hat, das heißt von Tätern derorganisierten Kriminalität – welcher Form auch immer –,gebraucht werden, wodurch diese sich dann möglicher-weise gegen das Handeln des Staates richten und Maß-nahmen des Staates gefährden könnten?Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
Metadaten/Kopzeile:
6078 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
(C)
F
Frau Kollegin, auf Grund mei-
nes Erkenntnisstandes – ich habe auch nachgefragt –
kann ich das nicht bestätigen.
Nun kommt die Fra-
ge 27 der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger:
Beabsichtigt die Bundesregierung angesichts der Manipula-tionsmöglichkeiten an und mit Handys, die Hersteller ggf. ge-setzlich zu verpflichten, Handys technisch abhörsicher zu ma-chen?
Herr Staatssekretär.
F
Frau Kollegin, die Forderung,
Handys technisch abhörsicher zu machen, hat zwei von-
einander sehr verschiedene Aspekte.
Zum einen wird damit der Problembereich berührt, ob
Handys illegal abgehört werden können. Hierfür enthält
der sogenannte GSM-Standard technische Vorgaben, bei
deren Einhaltung durch die Betreiber der Mobilfunknet-
ze die Telekommunikation mittels Mobiltelefonen min-
destens so sicher gegen unerlaubte Zugriffe ist wie die
über das herkömmliche Telefonnetz abgewickelte.
Ihre Frage hat auch einen zweiten Aspekt. Er betrifft
die Möglichkeit, mittels eines Mobilfunkgerätes unbe-
merkt Raumgespräche abhören zu können. Mir ist wich-
tig, festzuhalten, daß diese Möglichkeit keine zulas-
sungsrelevanten Eigenschaften der Mobilfunkgeräte be-
trifft und ihre Ursachen ausschließlich in der gegebenen-
falls rechtswidrigen oder unachtsamen Benutzung des
Mobilfunkgerätes hat, worauf ich vorhin bereits hinge-
wiesen habe. Deshalb sieht die Bundesregierung in die-
ser Angelegenheit derzeit auch im Hinblick auf die
Strafbewehrung keine Veranlassung, initiativ zu werden.
Zusatzfrage.
Bedeutet dies, daß in Situationen, in denen manipulierte
oder manipulierbare Handys festgestellt würden, diese
ohne irgendeine zusätzliche gesetzliche Handhabe aus
dem Verkehr gezogen werden könnten oder gegen Her-
steller vorgegangen werden könnte, die die technische
Manipulation ermöglicht haben?
F
Dies kann ich bejahen. Außer-
dem will ich mir noch einmal den Hinweis erlauben, daß
es sich nach unserem Kenntnisstand um keine serienmä-
ßige Manipulation handelt. Solche Handys sind bei-
spielsweise weder für Sie noch für mich auf dem nor-
malen Markt käuflich zu erwerben. Gleichwohl ist be-
kannt, daß es für bestimmte „Experten“ diese technische
Möglichkeit offensichtlich gibt.
Darf ich noch eine Bemerkung machen?
Eine Bemerkung,
Frau Kollegin.
Ich gehe davon aus, daß solcherart manipulierbare Han-
dys nicht im Bundessicherheitsrat zum Einsatz kommen.
Darauf dürfen Sie
gerne antworten, Herr Staatssekretär.
F
Frau Kollegin, ich weiß diesen
fürsorglichen Rat richtig zu werten und bedanke mich
ausdrücklich dafür.
Damit sind die Fra-
gen aus diesem Geschäftsbereich abgehandelt. Ich danke
Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht
Frau Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfü-
gung.
Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Hartmut Koschyk
auf:
Wie begründet die Bundesregierung ihre Ansprüche auf dasbei einer Wiener Bank verbuchte Vermögen der Firma F. C. G., und aufwelche weiteren in das Ausland verbrachten Vermögen aus derDDR – getrennt nach staatlichem Vermögen sowie Vermögender Parteien und Massenorganisationen – erhebt die Bundesre-publik Deutschland Anspruch?
D
Herr Kollege Koschyk,das Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien hat derKlage der Bundesrepublik Deutschland in erster Instanzstattgegeben. Damit hat sich der Bund mit seiner Auf-fassung durchgesetzt, daß es sich bei dem Vermögen derFirma F. C. G. um das Vermögen eines Staatsunterneh-mens aus dem ehemaligen Bereich „Kommerzielle Ko-ordinierung“ handelt und daß es damit dem Finanzver-mögen nach Art. 22 des Einigungsvertrages zuzurechnenist. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.Die Bundesrepublik Deutschland versucht grundsätz-lich, die ihr zustehenden Ansprüche auf in das Auslandverbrachte DDR-Vermögen – gegebenenfalls im Klage-wege – durchzusetzen, sofern hierfür eine hinreichendeErfolgsaussicht besteht. Hiervon umfaßt sind gemäßArt. 21 und Art. 22 des Einigungsvertrages sowohlVermögensgegenstände des Verwaltungs- und Finanz-vermögens, insbesondere aus dem Bereich „Kommerzi-elle Koordinierung“, als auch das Vermögen der ehema-ligen Parteien und Massenorganisationen der DDR. ZurZeit sind mehrere Klagen in der Schweiz, in Liechten-stein und Österreich anhängig.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6079
(C)
(D)
Zusatzfrage, Herr
Kollege? – Bitte sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, können Sie die Schadenssumme nennen, um die es
bei dem Verfahren in Österreich geht, bei dem die Bun-
desrepublik Deutschland erstinstanzlich einen Erfolg
verbuchen konnte, und können Sie angeben, auf welche
Summen sich das weitere ins Ausland verbrachte Ver-
mögen aus der DDR – sowohl das Staatsvermögen als
auch das Vermögen der Parteien und Massenorganisa-
tionen, also die von Ihnen genannten Rechtsansprüche in
der Schweiz, in Liechtenstein und anderswo – beläuft?
D
Herr Kollege Koschyk,
ich sagte Ihnen schon, daß die Bundesrepublik
Deutschland zahlreiche Rechtsstreite auch im Ausland
zur Rückführung veruntreuten Finanzvermögens führt,
unter anderem gegen die Firma Lomer & Co AG mit
einem Streitwert von 150 Millionen DM – dieses Ver-
fahren findet in der Schweiz statt – und gegen die Firma
Universal Finanz Holding AG mit einem Streitwert von
200 Millionen DM in Liechtenstein.
Das Vermögen der Parteien und Massenorganisatio-
nen der ehemaligen DDR unterliegt, wie Sie wissen,
Herr Kollege, der Regelung nach § 20 b des Parteigeset-
zes der DDR, modifiziert durch den Einigungsvertrag.
Soweit dieses Vermögen nicht den jeweiligen Parteien
oder Massenorganisationen zurückzugeben ist, muß es
für gemeinnützige Zwecke in den neuen Ländern ver-
wandt werden. In diesem Bereich ist übrigens das soge-
nannte Novum-Verfahren mit einem Streitwert von zirka
500 Millionen DM – die Gerichtsorte liegen in Berlin
und in der Schweiz – hervorzuheben.
Es würde den Rahmen dieser Fragestunde sprengen,
wenn wir alle von der Bundesrepublik Deutschland in
diesem Bereich geführten Rechtsstreite auflisten woll-
ten. Aus dem Bereich „Kommerzielle Koordinierung“
hat das BMF bisher rund 4 Milliarden DM an verun-
treutem Vermögen zurückgeführt. Hierin ist allerdings
gemäß Art. 21 des Einigungsvertrages auch ein Anteil
an Verwaltungsvermögen enthalten, der dem Bundes-
haushalt zugeflossen ist.
Noch eine Zusatz-
frage? – Bitte sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, könnten Sie mir, da Sie der Auffassung sind, daß ei-
ne Auflistung aller in diesem Bereich geführten Rechts-
streite den Rahmen dieser Fragestunde sprengen würde,
eine vollständige Auflistung von ins Ausland verbrach-
ten Vermögenswerten, auf die die Bundesrepublik
Deutschland – wie auch immer – Anspruch erhebt, nach-
reichen?
D
Herr Kollege Koschyk,
das will ich gerne tun. Ich bitte allerdings um etwas Ge-
duld.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Dr. Seifert. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, würden
Sie so freundlich sein, auch mir eine solche Liste zu-
kommen zu lassen? Insbesondere würde mich interessie-
ren, wie viele und welche gemeinnützigen Organisatio-
nen in Ostdeutschland schon etwas von dem Vermögen
der ehemaligen Parteien und Massenorganisationen der
DDR erhalten haben.
D
Herr Kollege Seifert, ich
habe großes Verständnis für Ihr Interesse. Ich meine,
daß es, wenn wir in Beantwortung der Frage eine solche
umfangreiche Ausarbeitung machen, sinnvoll ist, diese
dem Präsidenten des Deutschen Bundestages zuzuleiten,
so daß er sie allen Mitgliedern des Hohen Hauses zu-
stellen kann.
Das Präsidium be-
dankt sich dafür.
Nun rufe ich die Frage 29 des Kollegen Hartmut Ko-
schyk auf:
Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung nach einem„effizienten und bürgerfreundlichen Staat“ und dem Verspre-chen, „Bürokratie ab(zu)bauen“, und kann die Bundesregierungim Sinne dieser Zielsetzung zusichern, daß für die weiteren Stu-fen der Ökosteuer nicht erneut neue Stellen beim Zoll geschaf-fen und die bürokratischen Verpflichtungen für die Unterneh-men vergrößert werden?
Bitte sehr, Herr Kollege.
D
Herr Kollege Koschyk, esist der erklärte Wille der Bundesregierung, einen effi-zienten und bürgerfreundlichen Staat zu schaffen sowieBürokratie abzubauen. Der Staat soll Partner der Bürge-rinnen und Bürger sein. Leitbild ist der aktivierendeStaat.Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist, die Bundes-verwaltung zu modernisieren. Dazu werden die gelten-den Verfahrensabläufe und Rechtsvorschriften überprüftund vereinfacht sowie die Regelungsdichte verringert.Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise bei der Fort-führung der ökologischen Steuerreform. Die nunmehranstehenden Stufen beinhalten eine Erhöhung der Steu-ersätze und eine Ausweitung des Kreises der begünstig-ten Unternehmen des produzierenden Gewerbes sowieder Land- und Forstwirtschaft.Die Bundesregierung ist nachhaltig bemüht, die not-wendigen Formalitäten sowohl für die betroffenen – indiesem Fall auch begünstigten – Unternehmen als auchfür die betroffenen Verwaltungen so einfach wie mög-lich zu gestalten. Die Zollverwaltung wird alle Anstren-gungen darauf richten, den damit verbundenen zusätzli-
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chen Verwaltungsaufwand soweit wie möglich durchRationalisierungsmaßnahmen bei der Wahrnehmung derübrigen Aufgaben auszugleichen, um eine Ausweitungdes Stellenplanes der Zollverwaltung zu vermeiden.
Zusatzfrage? – Bitte
sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs
sollen bei der Ökosteuer sehr weitreichende Differenzie-
rungen vorgenommen werden; Sie haben das angespro-
chen. Wer wird für die Überwachung bzw. für die Bear-
beitung der Erstattungsanträge zuständig sein? Können
Sie wirklich ausschließen, daß dies ohne Schaffung neu-
er Planstellen bei der Zollverwaltung gelingen kann?
D
Herr Kollege Koschyk,
Sie haben es in Ihrer Frage schon implizit formuliert:
Die Zollverwaltung ist dafür zuständig.
Aus meiner Antwort auf Ihre Frage ging bereits her-
vor, daß ich dies nicht vollständig ausschließen kann,
daß wir allerdings alle Anstrengungen unternehmen
werden, dies zu vermeiden.
Sie haben noch eine
Frage? – Bitte sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, wann wird die Bundesregierung respektive Ihr Haus
sich abschließend zu den Strukturreformen in der Zoll-
verwaltung äußern?
Von seiten des Bundesrechnungshofs sind verschie-
dene Vorschläge gemacht worden, zu denen sich die
Oberfinanzdirektionen bereits geäußert haben. Wann
wird Ihr Haus die künftige Struktur der Zollverwaltung
endgültig festlegen, so daß die Beschäftigten eine ge-
wisse Planungssicherheit für ihre persönliche Zukunft
in einer sich verändernden Zollverwaltungsstruktur ha-
ben?
D
Herr Kollege Koschyk,
Sie haben richtigerweise darauf hingewiesen, daß der
Bundesrechnungshof schon mehrere Vorschläge zur
Struktur der Zollverwaltung gemacht hat. Darüber hin-
aus gibt es Änderungen, die die Zollverwaltung betref-
fen, auf die wir keinen Einfluß haben. Ich nenne zum
Beispiel den Beitritt unserer östlichen Nachbarstaaten
zur Europäischen Union. Dies wird ganz grundlegende
Veränderungen für die Zollverwaltung mit sich bringen,
weil wir dann außer mit der Schweiz keine Drittlands-
grenzen mehr haben. Das macht für den grenzaufsichtli-
chen Dienst schon einen großen Unterschied.
Darüber hinaus sind die Sparvorgaben des Bundes-
haushalts für das Bundesfinanzministerium ab dem Jahr
2001 überwiegend im Personalhaushalt zu erbringen.
Es finden zur Zeit, sowohl mit den entsprechenden
Gewerkschaften und Berufsverbänden als auch mit den
zuständigen Verwaltungsebenen Gespräche statt. Zu
diesem Zweck ist eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet
worden, die schon einen Zwischenbericht vorgelegt hat.
Die Entscheidungen werden sicherlich im ersten Quartal
des nächsten Jahres fallen. Wann genau, kann ich noch
nicht sagen. Aber im Vorgriff auf die zu erwartenden
Veränderungen schon allein durch die Öffnung der EU-
Binnengrenzen – ich sagte dies eben – werden wir all
dies im Rahmen einer langfristigen Planung zu berück-
sichtigen haben.
Ich rufe nun die Fra-
ge 30 des Kollegen Hansgeorg Hauser auf:
Wie steht die Bundesregierung zu einer Abwertung großerEinkünfte aus „Kapital und Vermögen“ als „leistungsloser“Reichtum?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Herr Kollege Hauser, mit
dieser Frage ist sicherlich eine Bewertung großer Ein-
künfte aus Kapital und Vermögen gewünscht. Die Bun-
desregierung vertritt in Fragen der Besteuerung die Auf-
fassung, daß alle Einkünfte gleichermaßen zur Ermitt-
lung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Bürger he-
rangezogen werden müssen, um auf dieser Grundlage
eine leistungsgerechte Besteuerung vornehmen zu kön-
nen.
Zusatzfrage? – Bitte
sehr.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir in etwa Ihre Vor-
stellungen darstellen, welche Vermögen Sie als „lei-
stungslose“ Vermögen bezeichnen und um welche Grö-
ßenordnung es sich dabei handelt?
D
Die Bundesregierung hat
kein Vermögen als leistungsloses Vermögen bezeichnet.
Zusatzfrage.
Im Leitantrag für den SPD-Parteitag ist von „leistungs-
losem“ Reichtum durch Einkünfte aus Kapital und Ver-
mögen die Rede. Würden darunter nicht auch die Ein-
künfte der Sparer und derer, die durch Investitionen
Vermögen erworben haben, fallen?
D
In der Tat, Herr KollegeHauser, ist im Leitantrag für den SPD-Parteitag von„leistungslosem“ Reichtum die Rede. Zur Beurteilungsollte allerdings erläutert werden, in welchem Zusam-Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
Metadaten/Kopzeile:
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menhang diese Formulierung benutzt wird. Es geht nichtum die generelle Minderbewertung oder Minderein-schätzung von Einkünften aus Kapital und Vermögen.Es handelt sich in dem Leitantrag lediglich um die Fest-stellung, daß in der Vergangenheit durch Ausnutzungund vor allem durch Umgehung des SteuersystemsVermögensmehrungen entstanden sind, die im Vergleichzu den Realeinkommen der Arbeitnehmer und der un-ternehmerischen Leistung von kleinen und mittlerenBetrieben quasi ohne Leistung entstanden sind.
Ich rufe nun die Fra-
ge 31 des Kollegen Hansgeorg Hauser auf:
Trifft es zu, daß das Bundesministerium der Finanzen dieBroschüre „Unsere Steuern von A–Z“ zurückgezogen hat, inder, wie das Handelsblatt vom 2. November 1999 schreibt, „miteindrucksvoller Objektivität die steuerreformerischen Leistun-gen der heute so diffamierten Vorgängerregierung gewürdigt“und der Bundesminister der Finanzen Hans Eichel in seinemVorwort „offensichtlich der steuerpolitischen Bilanz der Regie-rungsarbeit von 1982 bis 1998 ein hervorragendes Testat“ erteilthat?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Nein, es trifft nicht zu,
daß das Bundesministerium der Finanzen die Broschüre
„Unsere Steuern von A-Z“ zurückgezogen hat. Die Bro-
schüre ist vielmehr vergriffen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, würden Sie mir bitte mitteilen,
wann die Broschüre erstmals erschienen ist und in wel-
chem Umfang die Broschüre aufgelegt worden ist?
Können Sie mir erklären, wieso sie so schnell vergriffen
ist?
D
Die Broschüre ist 1999
erschienen. Ich vermute, sie ist deswegen so schnell
vergriffen, weil Finanzminister Hans Eichel auf Seite 3
so freundlich lächelt. Einen darüber hinausgehenden
Grund kann ich Ihnen nicht nennen.
Eine weitere Frage.
Könnte es vielmehr daran liegen, daß die Broschüre –
ich bezeichne es trotzdem so – vom Markt genommen
worden ist, weil im Vorwort, das der Finanzminister ge-
schrieben hat, nach der Aussage des „Handelsblatts“
„mit eindrucksvoller Objektivität die steuerreformeri-
schen Leistungen der … Vorgängerregierung gewür-
digt“ wurden und „offensichtlich der steuerpolitischen
Bilanz der Regierungsarbeit von 1982 bis 1998 ein her-
vorragendes Testat“ erteilt wurde?
D
Herr Kollege Hauser, da
muß das „Handelsblatt“ etwas verwechselt haben. In der
Tat hat Finanzminister Eichel ein Vorwort zu dieser
Broschüre geschrieben. Ich erwähnte schon das Bild auf
Seite 3, auf dem er freundlich lächelt. Auf ebendieser
Seite steht auch das Vorwort.
In diesem Vorwort wird nicht die steuerpolitische
Leistung der Vorgängerregierung gewürdigt. Es ist al-
lerdings so, daß sich die im „Handelsblatt“ zitierten Pas-
sagen in der Broschüre finden lassen. Sie stehen jedoch
nicht im Vorwort des Finanzministers. Das „Handels-
blatt“ hat wohl gemeint, der Finanzminister adle durch
sein Vorwort geradezu die Aussagen, die in der Bro-
schüre stehen. Möglicherweise ist so die Fehleinschät-
zung des „Handelsblatts“ zustande gekommen.
Die im „Handelsblatt“ zitierten Passagen finden sich
in dem Kapitel „Rückblick in die deutsche Steuerge-
schichte“ – da gehören sie auch hin –, das einen histori-
schen Überblick vom Ursprung der Steuern über die
Steuern im Mittelalter bis in die Neuzeit gibt. Dazu ge-
hört die alte Bundesregierung unbestreitbar. Bei der
Darstellung der steuerlichen Maßnahmen der Jahre 1982
bis 1998 handelt es sich nicht um eine Würdigung, son-
dern lediglich um eine Wiedergabe.
Die Frage 32 und 33
des Abgeordneten Norbert Barthle werden gemäß I Nr. 2
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich be-
antwortet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15.30 Uhr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die unterbrochene
Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Medienberichte über Zuwendungen im Zu-
sammenhang mit Rüstungsexporten im Jahr
1991
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD-
Fraktion hat der Kollege Frank Hofmann.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Der Fall, über den wir heutein der Aktuellen Stunde sprechen, liegt neun Jahre zu-rück. Die Staatsanwaltschaft Augsburg arbeitet an die-sem Fall seit etwa fünf Jahren. Nach Erkenntnissen derStaatsanwaltschaft hat es sich in etwa so abgespielt, daßbei einer Lieferung von 36 Panzern nach Saudi-ArabienSchmiergelder in Höhe von 220 Millionen DM geflos-sen sind. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sind da-von mehr als 24 Millionen DM in Händen von HerrnParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
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6082 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
(C)
Schreiber gewesen. Herr Schreiber ist nun derjenige, derGelder in Höhe von 1 Million DM an die CDU oder anHerrn Kiep übergeben haben soll.Daneben spielt auch noch Herr Pfahls eine Rolle, derfrüher als Staatsanwalt gearbeitet hat und der – wie esimmer in den Medienberichten heißt – enger Vertrauterund Büroleiter von Franz Josef Strauß, der Verfassungs-schutzpräsident, der Rüstungsstaatssekretär war, dermöglicherweise persönlich mit dem Deal zu tun hat undder möglicherweise auch den Bundessicherheitsrat dazugebracht hat, dieser Lieferung zuzustimmen.Auf Grund meiner Erkenntnis ist es so, daß Herr Kiepentweder als Person oder als CDU-Schatzmeister durch-aus die Verfügungsgewalt über dieses Geld hatte. Manfragt sich natürlich, ob innerhalb der CDU Parteispen-den jetzt, kurz vor dem Jahre 2000, immer noch nichtbargeldlos, sondern – wie in einem schlechten Krimi –in einem Einkaufszentrum in Koffern übergeben wer-den.
Herr Kiep kann sich natürlich nicht davon freispre-chen, daß er entweder als CDU-Schatzmeister oder alsPerson mit Herrn Schreiber zu tun hatte.
Er hat sich am 19. mit Herrn Schreiber getroffen. Am20. Februar 1991, das heißt sieben Tage vor der Ent-scheidung, geht ein Fax von Herrn Schreiber an HerrnKiep mit der Bitte, er solle beim Bundeskanzler in Sa-chen Panzer tätig werden, weil sonst – ich gebe dassinngemäß wieder – die USA Probleme machen würde,dem Herrn Bundeskanzler den Morgenthau-Preis zuverleihen.
– Man kann das zum Lachen finden.Am Wochenende, liebe Frau Merkel, haben Sie mit-geteilt, Sie wollten eine lückenlose Aufklärung. FrauMerkel, für mich stellt sich dann die Frage – wenn Sievon lückenlos sprechen, sind wohl Lücken da –, ob esLücken sind oder ob sich hier Abgründe auftun. Für diedamalige Zeit tragen Sie persönlich nicht die politischeVerantwortung. Generalsekretär war zu diesem Zeit-punkt Herr Rühe, der wahrscheinlich auch von HerrnWeyrauch als CDU-Generalsekretär bezahlt worden ist.Herr Weyrauch war wohl auch derjenige, der das Geldim Koffer von diesem Einkaufszentrum nach Frankfurtgebracht hat.Die politische Verantwortung trägt natürlich auchHerr Kohl. Ich denke, er kann sich nicht einfach nurschütteln und sagen: Damit habe ich nichts zu tun. Erkann das nicht aussitzen. Ich denke, das ist nicht akzep-tabel.21 Jahre lang war Kiep CDU-Schatzmeister. Nun sollKiep innerhalb der CDU einfach wie ein Aussätziger mitder Begründung behandelt werden: Daran war nur erschuld, wir tragen dafür keine politische Verantwortung.Ich denke, das geht nicht.
Frau Merkel, Sie sagten noch am Wochenende, Siewollten eine lückenlose Aufklärung. Einige Tage späterhaben Sie schon einschränkend gesagt, die Staatsanwalt-schaft solle lückenlos und schnell aufklären. Das Inter-esse der CDU an Selbstaufklärung hat innerhalb vonwenigen Tagen kräftig nachgelassen.
Wer bremst denn da in der CDU? Will die CDU nunaufklären, oder will sie es nicht?Für uns gibt es noch einen Zusammenhang zwischenden Namen Pfahls und Kiep in Sachen Leuna. Im Unter-suchungsausschußbericht zeigt sich, wie die damaligeBundesregierung alles getan hat, um in Sachen Leunanicht zum Ende zu kommen, damit der Untersuchungs-ausschuß nicht weiterkommen konnte.
Ich denke, für uns gilt es, in Sachen Schreiber, Kiep,Pfahls, aber auch in Sachen Leuna aufzuklären.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Andreas Schmidt.
FrauPräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Die Bundesregierung und die rotgrüne Koalition befin-den sich im freien Fall.
Konfusion statt Konzepte, Chaos statt klarer Politikbestimmen das Bild der Regierungspolitik in der öffent-lichen Wahrnehmung.
Vor allem das Thema Rüstungsexporte hat die Zerris-senheit der rotgrünen Bundesregierung in den letztenTagen überdeutlich werden lassen.
Die Aktuelle Stunde ist offensichtlich der krampfhafteVersuch, von der eigenen chaotischen rotgrünen Politikein Stück weit abzulenken. Dieser Versuch wird schei-tern.
Frank Hofmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6083
(C)
(D)
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will ich zumThema der Aktuellen Stunde in drei Punkten Stellungnehmen: Erstens.
Ein laufendes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsver-fahren wird durch den Versuch, es parteitaktisch auszu-schlachten, eher behindert als befördert.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ein großesInteresse daran, daß der hier in Rede stehende Sachver-halt schnell aufgeklärt wird.
Eine schnelle Aufklärung ist das beste Mittel, ein par-teitaktisches rotgrünes Ablenkungsmanöver zu verhin-dern.
Zweitens. Das Prinzip der Unschuldsvermutung biszum Beweis des Gegenteils ist ein tragender Grundsatzunseres Rechtsstaates.
Bei allem Verständnis für parteitaktisches Kalkül sindauch wir als Parlament diesem rechtsstaatlichen Prinzipverpflichtet. Deshalb fordere ich die anderen Fraktionensehr eindringlich auf, nicht durch das Streuen von Ge-rüchten, Vermutungen und Unterstellungen
das Prinzip der Unschuldsvermutung dem parteitakti-schen Kalkül zu opfern, wie es gerade wieder von mei-nem Vorredner hier geschehen ist.Drittens. Die Falschmeldung in den Medien der ver-gangenen Woche, daß Herr Leisler Kiep flüchtig sei, hatfaktisch zu einer Vorverurteilung geführt.
Dies ist unter dem Gesichtspunkt einer rechtsstaatlichenOrdnung nur schwer erträglich.Im übrigen ist für mich auch die Begründung desHaftbefehls gegen Herrn Leisler Kiep nicht nachvoll-ziehbar. Den Umstand, daß Herr Leisler Kiep ein Hausin der Schweiz besitzt, als einzigen Haftgrund aufzufüh-ren, ist juristisch mehr als abenteuerlich und mit demSinn und Zweck unserer Strafprozeßordnung nach mei-ner Auffassung nicht vereinbar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schlußmein Appell an Sie: Setzen Sie Ihre Energie – wenn Sienoch welche haben – dazu ein, die Regierungsarbeit zuverbessern, und nicht dazu ein, durch Gerüchte und Un-terstellungen von Ihrer desaströsen Politik in Berlin ab-zulenken.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FraktionBündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Hans-Christian Ströbele.
Kollegen! Die Frage war völlig berechtigt: Wo ist derKoffer mit der 1 Million DM in bar, Frau Generalsekre-tärin?
Den hätten wir gerne.Klar ist doch, daß der ehemalige Bundesschatzmei-ster der CDU, Herr Leisler Kiep, 1 Million DM in barkassiert hat. Das hat er selber gegenüber einem Richterbestätigt.Gebündeltes Bares in einem Koffer ist eigentlichschon anrüchig genug. Zur Bekämpfung der Geldwäschehaben Sie sich auf einen Betrag von 20 000 DM in barfestgelegt. Ab dieser Höhe muß an der Grenze jeder Be-trag deklariert werden, weil jemand, der soviel Geld her-überbringt, verdächtig ist. Aber für die CDU und diesenSchatzmeister ist das offenbar nichts Außergewöhnli-ches. Das wissen wir ja aus den 80er Jahren; da war die-ser Herr bereits in den Mühlen der Justiz.
Klar ist auch, daß die Million von einem ganz dubio-sen Waffenhändler stammt, dem ehrenwerten HerrnSchreiber.
Das bestärkt den Verdacht, daß da etwas nicht mit rech-ten Dingen zugegangen ist, und begründet den schlech-ten Geruch dieses Geschäfts.Unklar ist bisher, wer denn nun diese Million be-kommen hat.
Die Staatsanwaltschaft Augsburg geht davon aus, daßder Beschuldigte Kiep das Geld bekommen hat. Derstreitet das ab und sagt, die CDU habe es bekommen. Erwar damals Schatzmeister, muß es also wissen. Die al-Andreas Schmidt
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(C)
lerneueste Variante ist, daß nicht die CDU es gewesenist, sondern deren Angestellte von diesem Geld eineSondervergütung bekommen haben. In den Spendende-klarationen der CDU taucht das aber nicht auf. Das ken-nen wir aus den Affären der 80er Jahre. Ich sage: Sieentwickeln sich zu einer Partei der Wiederholungstäter.
Es handelt sich hier ganz offenbar um einen Rückfalleines unverbesserlichen Wiederholungstäters. Ihr Vereinscheint völlig unbelehrbar zu sein. Eigentlich hätten Siesich das, was Ihnen in den 80er Jahren zugestoßen ist,zur Lehre dienen lassen sollen. Aber diesmal ist es nochviel schlimmer: Die Million wurde ja nicht gezahlt – wiedamals von dem Flick-Konzern – zur Pflege der politi-schen Landschaften,
sondern, so die Staatsanwaltschaft Augsburg, im Zu-sammenhang mit einem Waffendeal.
– Die Staatsanwaltschaft Augsburg ist dieser Auffas-sung.Der Bundesschatzmeister sollte helfen – den entspre-chenden Brief haben wir ja –, die Lieferung von36 Fuchs-Panzerwagen an die Saudis bei der Bundesre-gierung durchzusetzen. Der Brief hatte, wie wir wissen,Erfolg. Die Genehmigung der Bundesregierung wurdenach anfänglichem Zögern und anfänglicher Ablehnungerteilt, und die Panzer wurden geliefert. Daraufhin hatder Herr die Hand aufgehalten, und die Millionen sindgeflossen
für seine schmutzige Mitwirkung an diesem Deal.
– Aus den Akten der Staatsanwaltschaft Augsburg.
Das stinkt gewaltig, und das ist eine neue Dimension derParteienkorruptheit.Aber damit noch nicht genug. Auch andere Würden-träger der CDU und der CSU sollen Millionenbeträgeabgezockt – und natürlich nicht versteuert – haben, weilsie an dem Panzerdeal mitgefingert haben: Mitgliederder Kohl-Regierung, Staatssekretär Pfahls, Staatssekre-tär Riedl.
– Genau, die Familie Strauß ist auch dabeigewesen undhat mitverdient, so jedenfalls die StaatsanwaltschaftAugsburg.
Schließlich fragt sich die geneigte Öffentlichkeit –das werden Sie jetzt immer wieder von Journalisten ge-fragt –: An wen sind denn eigentlich die 180 MillionenDM, die die Saudis zusätzlich gezahlt haben, gegangen?Wer ist damit bezahlt worden? In welche Amigo-Wirtschaft ist dieses Geld geflossen?
In der CDU breiten sich, nachdem das jetzt bekanntge-worden ist, Schweigen und Blackouts aus. In Italiennennt man das wohl „omertà“.
Wir und die deutsche Öffentlichkeit wollen endlich wis-sen: Was hat der damalige CDU-Generalsekretär, washat der damalige CDU-Parteivorsitzende gewußt? Siebehaupten, nichts gewußt zu haben. Warum hat er ei-gentlich nicht seine Aufsichtspflicht wahrgenommen?Es ist doch völlig egal, ob 1 Million DM an die Parteioder an die Angestellten der Partei geflossen sind. Wennich 50 000 DM eingenommen habe, kann ich dem Fi-nanzamt auch nicht sagen, daß ich sie nicht versteuernmuß, weil sie an meine Angestellten weitergeflossensind. Es macht doch in der Sache keinen Unterschied, anwen das Geld geflossen ist.Frau Merkel, sagen Sie hier bitte deutlich: Haben Siemit den Angestellten geredet? Haben Sie mit Ihremehemaligen Bundesschatzmeister geredet? Haben Siemit Ihrem ehemaligen Parteivorsitzenden geredet? Washaben die gesagt? Ist das Geld dort angekommen? Unterwas ist es verbucht worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Strö-
bele, bitte achten Sie auf Ihre Redezeit.
geleistet worden? Welche Angestellten haben sich für
eine zusätzliche Sondervergütung in Höhe von 100 000
DM bedankt?
Wir fordern die CDU auf: Rücken Sie die Million
heraus! Zahlen Sie 2 Millionen DM an Strafe! Wir for-
dern den Deutschen Bundestag auf: Lassen Sie diese
Aktuelle Stunde den ersten Schritt zur Aufklärung dieses
Skandals und dieser Amigo-Affäre sein! Setzen Sie zu-
sammen mit uns einen Untersuchungsausschuß ein, da-
mit wir der Sache auf den Grund gehen können und den
Sumpf aus Korruption und Vetternwirtschaft trockenle-
gen können!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Jürgen
Koppelin, Sie haben das Wort für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde trägtden Titel „Medienberichte über Zuwendungen im Zu-sammenhang mit Rüstungsexporten im Jahr 1991“. Ge-Hans-Christian Ströbele
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6085
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(D)
rade nach Ihrem Beitrag, Herr Kollege Ströbele, habeich den Eindruck, daß
mit dieser Aktuellen Stunde von den Waffenlieferungen,von denen wir am Wochenende erfahren haben, abge-lenkt werden soll.
Ich stelle fest, daß unter Ihrem Außenminister Fischermehr Waffen exportiert worden sind als zu Zeiten derAußenminister Genscher und Kinkel.
Diesen Vergleich ziehen wir gern.
Es muß festgestellt werden – darauf ist richtigerweisehingewiesen worden –: Seit fünf Jahren ermittelt dieStaatsanwaltschaft.
– Ich komme gleich darauf zu sprechen. – Seit Jahrenwerden Namen im Zusammenhang mit der Lieferungvon 36 Fuchs-Panzern nach Saudi-Arabien genannt.
– Hören Sie mir doch zu! Ich habe Ihnen auch ruhig zu-gehört. Sie sind ja nicht einmal in der Lage, zuzuhören.
Es geht doch nicht nur um Herrn Kiep, sondern auchum andere Personen,
die namentlich genannt worden sind. Seit Jahren werdenPersonen im Zusammenhang mit der Panzerlieferung öf-fentlich beschuldigt.
Es ist endlich an der Zeit – der Kollege Ströbele hat an-scheinend schon in die Akten schauen können –, daß dieStaatsanwaltschaft Augsburg auch die Fakten auf denTisch legt, statt daß etwas über die Medien lanciert wird.Darauf komme ich gleich zurück.
Es ist auch Zeit, daß – eventuell – unschuldig Betroffenevom Verdacht befreit werden.
– Ich finde es interessant, daß Sie „oh“ rufen. Ich kom-me auf Sie gleich zurück. – Es darf nicht sein, daß Be-schuldigte – teilweise über lange Zeit – mit einem sol-chen Verdacht leben müssen.
Ich sage Ihnen auch: Hüten wir uns davor – Sie habendas eben so gemacht –, Leute zu verurteilen, bevor sieüberhaupt einen Gerichtssaal gesehen haben!
Nun komme ich zum Thema „Medienberichte“ zu-rück. Ich habe im „Focus“ vom 13. September – dies istnoch nicht lange her; Sie haben es anscheinend verges-sen – gelesen – ich lasse den entsprechenden Namenbewußt weg –: In den Unterlagen der Ermittler tauchteauch der Name eines sozialdemokratischen Politikersauf. Dieser ist uns allen bekannt. Vielleicht haben Sieauch diesen Bericht gelesen. Gegenüber dem „Focus“bestätigte der Abgeordnete – ich nenne auch sein Alterbewußt nicht – eine Vernehmung durch die Staatsan-waltschaft. Den Empfang von Schmiergeldzahlungenweist er aber vehement zurück. Da ist nichts geflossen.
Ich setze noch eines drauf und behaupte: So, wie ich denKollegen kenne, ist an dieser Geschichte – wahrschein-lich – wirklich nichts dran.
Ich mache nur darauf aufmerksam: Wir reden hier überMedienberichterstattung.
– Frau Präsidentin, ich bitte Sie, dafür zu sorgen, daßRuhe herrscht. Das ist Ihre Aufgabe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kop-
pelin, die Zurufe bewegen sich noch im normalen Maß
von Zustimmung und Ablehnung.
Das Schlimmste war,daß in dem von mir zitierten Bericht ein Bild eines Kol-legen gleichen Namens war, der wirklich nicht von die-ser Geschichte betroffen war. Auch dies gilt es zu be-rücksichtigen, wenn wir über Medienberichte reden.
Nun möchte ich fortfahren: Kollegin Beer, ichmöchte jetzt aus einem seitenlangen Brief vorlesen, denein Beschuldigter, der sogar eine Zeitlang in Haft geses-sen hat, von einem SPD-Bundestagsabgeordneten er-halten hat, den Sie auch alle kennen würden, wenn ichseinen Namen sagte.
Jürgen Koppelin
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6086 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
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Mir ist – ich weiß nicht, warum – eine Kopie diesesBriefes zugänglich geworden. Am Schluß dieses Brie-fes, der vom 11. Juni 1999 stammt, heißt es: Abschlie-ßend hoffe ich, daß die unwürdige Behandlung, die Ih-nen von der Augsburger Staatsanwaltschaft derzeit wi-derfährt, möglichst bald beendet wird. Wenn ich Ihnenhelfen kann, so will ich es gern tun. – Das schreibt die-ser SPD-Bundestagsabgeordnete. Ich finde das übrigenssehr interessant. Ich sage, der Mann hat recht. Ichkönnte das unterstützen.
Nun kommen wir einmal zu Herrn Kiep. Ich lese mitgroßem Interesse, was Ihr Bundeskanzler – getragen vondieser Koalition – von Herrn Kiep sagt: Der liebe Wal-ther sei ein deutscher Patriot in bestem Sinne. Er hältauch weiter zu ihm. Alle Achtung, sage ich zu diesemBundeskanzler. –
Genau, Herr Kollege Glos, wo er recht hat, hat er recht.Ich sage Ihnen, wir erwarten über diese Lieferung nachSaudi-Arabien eine lückenlose Aufklärung. Ich habeauch den Eindruck, daß die CDU überhaupt nichts ver-tuscht. Ich sage Ihnen allerdings: Auf Grund der Debatteheute habe ich mir noch einmal die vom Präsidentenveröffentlichten Spendenberichte durchgesehen. Ich ha-be da vorher nie hineingeschaut. Ich fand es ganz inter-essant, daß zum Beispiel ein Unternehmen – auch hieraus Deutschland – an die SPD einmal eben 500 000 DMgibt. Für Ihre blauen Augen haben Sie das Geld dochwahrscheinlich nicht bekommen. Das würde mich schoninteressieren. – Ich erwarte also von der Staatsanwalt-schaft Augsburg, daß sie ihre Ermittlung endlich ab-schließt, daß sie die Fakten auf den Tisch legt.Nun sage ich Ihnen folgendes: An diesen berühmtenNikolausfeiern des Herrn Schreiber – das habe ich inden Medien gelesen – sollen immer zwanzig Personenteilgenommen haben, unter anderem auch Sozialdemo-kraten. Mich würde einmal wirklich interessieren, weralles von der SPD auch dabei war. Ich sage nur: Ver-dächtigungen helfen uns hier nicht, sondern die Tatsa-chen.
Sie haben keine Tatsachen genannt.
Nun fordern Sie einen Untersuchungsausschuß. Las-sen Sie doch erst einmal die Staatsanwaltschaft in Augs-burg ihre Fakten auf den Tisch legen. Lassen Sie dieVerfahren stattfinden. Dann können wir einen Untersu-chungsausschuß einberufen. Sie wollen gar keinen Un-tersuchungsausschuß. Sie wollen gar nicht untersuchen.Sie wollen bereits vor dem Untersuchungsausschuß ver-urteilen.
Dagegen wenden wir uns allerdings als F.D.P.
Sie, Herr Kollege Ströbele, haben nichts anderes ge-macht, als hier vorzuverurteilen. Dagegen werden wiruns mit Vehemenz wenden.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Manfred Müller.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schmidt, beider heutigen Debatte geht es nun wirklich nicht darum,ein rotgrünes Ablenkungsmanöver durchzuführen.Vielmehr ist das die parlamentarische Kontrolle der Re-gierung. Das ist die originäre Aufgabe des Parlaments.Daß es sich allerdings um die von Ihrer Partei gestelltefrühere Regierung handelt, ist Ihr Problem. Das ist nichtdas Problem des Parlaments.
Wir diskutieren das Problem ja heute nicht zum er-sten Mal. Wie ein roter Faden
– wie ein roter Faden; den roten Faden sieht man näm-lich besser –
zieht sich seit der Wiederbewaffnung in den fünfzigerJahren ein Abgrund von Korruption, Bestechung undBestechlichkeit, von illegaler Parteienfinanzierung,wenn es um die Produktion und um die Verwendungund den Export von Kriegswaffen geht, durch die Regie-rungspolitik.
Ich will nur ein paar Stichworte nennen. Denken Siean die U-Boot-Blaupausen für das Apartheidland Süd-afrika oder an Landwirtschaftsmaschinen, die nach Isra-el geliefert werden sollten. Bekanntlich geriet auch da-bei ein Minister der CDU ins Straucheln. Der Flick-Schmiergeldskandal ist noch gut in unserer Erinnerung.Sie wollten sogar damals im Deutschen Bundestag einerückwirkende Strafbefreiung durch ein Bundesgesetzdurchsetzen. Auch da spielten Leisler Kiep und auchGraf Lambsdorff eine unrühmliche Rolle.
Jürgen Koppelin
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6087
(C)
(D)
Wir wissen, daß bei Waffengeschäften kräftige Provi-sionen oder Dotationen an der Tagesordnung sind. Esgilt als offenes Geheimnis, daß derartige Zahlungen er-folgen, nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland.Wir wissen, daß der Nato-Generalsekretär Claes genaudarüber gestolpert ist, als er sich für die Bewaffnungitalienischer Hubschrauber einsetzte.
Wir wissen, daß im harten Rüstungsgeschäft vielGeld gemacht wird, daß dort Extra-Profite verdient wer-den und daß die Firmen oder Waffenhändler gerne dieNachfrager nach ihren Waren – die politischen Ent-scheidungsträger nämlich – in ihrem Entscheidungspro-zeß unterstützen wollen, um mich vorsichtig auszudrük-ken.Das wäre eine spannende Frage, der man an demheutigen Beispiel nachgehen müßte. Es wäre doch einelohnende Aufgabe für Europol oder andere Einrichtun-gen, diese Geschäftsverbindungen aufzudecken, der Öf-fentlichkeit bekannt zu machen und gegebenenfalls dieStrafverfolgung einzuleiten.Ich werde mich wegen der Unschuldsvermutungheute nicht besonders mit Herrn Kiep auseinandersetzen.Wenn Herr Kiep nachweisen kann, daß er die Spendetatsächlich weitergegeben hat, dann ist es das Problemder CDU, nachzuweisen, daß sie die Spende ordnungs-gemäß verbucht hat, daß sie im Bundesanzeiger veröf-fentlicht worden ist.Wenn wir uns über einen Untersuchungsausschuß indieser und in anderen Fragen unterhalten, dann mußauch die Politik der Treuhand in eine solche Untersu-chung einbezogen werden;
denn ähnliche Profite wie in der Rüstungsindustrie sindauch nach der Vereinigung im Zusammenhang mit derPrivatisierung der DDR-Wirtschaft zu erzielen gewesen.Entsprechend war das Verhalten der großen Konzernegegenüber der Politik. Es ist die Rede von 14 MillionenDM, die damals an die CDU geflossen sein sollen, umdem französischen Multi Elf Aquitaine den Zuschlag fürden DDR-Monopolisten Minol zu geben. Auch dassollte Gegenstand eines – –
– 18 Millionen?
– Es könnte ja untersucht werden, wieviel es tatsächlichwaren.Auch hier konnten durch die Beeinflussung der Treu-hand Extragewinne erzielt werden. Der volkswirtschaft-liche Schaden geht hier ebenfalls in die Milliarden. DieOpfer dieser Politik, die Hunderttausende von zusätzli-chen Arbeitslosen, will ich an dieser Stelle wenigstenserwähnen.Die Ursachen von Korruption und illegaler Parteien-finanzierung zu beseitigen, das muß nach einer solchenDebatte unser gemeinsames Ziel sein. Wer soviel Scha-den wie große Teile der Rüstungsindustrie anrichtet,muß parlamentarisch stärker kontrolliert
und mittelfristig durch weltweite Abrüstung überflüssiggemacht werden.
Rüstungsexporte gehören sofort verboten. Damit erspa-ren wir uns dann auch den Bundessicherheitsrat undvielleicht die nächste Koalitionskrise.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der
Kollege Peter Zumkley, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Meine Ausführungen beziehen sichauf die damaligen, wie ich meine, sehr dubiosen Vor-gänge an der Spitze des Bundesministeriums der Vertei-digung.Das Risiko eines Einsatzes von Giftgasen und chemi-schen Kampfstoffen war während des zweiten Golfkrie-ges durchaus gegeben. Dafür Schutzmöglichkeiten füreventuell Betroffene zu bieten ist grundsätzlich nichtkritikwürdig. Allerdings bezweifle ich nach meinemheutigen Kenntnisstand, daß ein solches Motiv der allei-nige Beweggrund der damaligen CDU-geführten Regie-rung war.Aus der aktuellen Medienberichterstattung wird diesmehr als deutlich. Insbesondere nach der „Spiegel“-Veröffentlichung von Montag dieser Woche stellen sichfolgende Fragen: Warum wurde trotz erheblicher Be-denken seitens der militärischen Führung des BMVg fürdie Lieferung der Füchse aus dem Bestand des Heeresentschieden? Denn nach der Abgabe von 82 Panzern desTyps Fuchs an die USA und der Lieferung von 36 Füch-sen an Saudi-Arabien blieben der Bundeswehr von 140Stück lediglich noch 22 übrig.
Nach Auffassung des Heeres waren dadurch die ABC-Abwehrfähigkeit und die ABC-Abwehrausbildung er-heblich beeinträchtigt.Warum wurde in diesem Zusammenhang der Vor-schlag des Führungsstabes der Streitkräfte, ABC-Spürfahrzeuge der ehemaligen NVA an Stelle der 36Transport- und Spürpanzer kostenlos zu liefern, nichtweiter verfolgt?
Manfred Müller
Metadaten/Kopzeile:
6088 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
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Daraus lassen sich zwangsläufig weitere Fragen ab-leiten: Warum hat der damalige RüstungsstaatssekretärDr. Pfahls
die Einwände der militärischen Führung ignoriert, undwie kam es später zu dem überraschenden Meinungsum-schwung im BMVg? Denn, meine Damen und Herren,trotz aller vorherigen Bedenken wurde die ungewöhnli-che Entscheidung getroffen, binnen 14 Tagen der Indu-strie die 36 gepanzerten Fahrzeuge als Sachdarlehen zurVerfügung zu stellen. Damit war offensichtlich das am10. September 1990 vom Rüstungsstaatssekretär Dr.Pfahls angebahnte Geschäft perfekt. Danach sollten derHauptabteilungsleiter Rüstung und der Führungsstab desHeeres im Vorfeld politischer Entscheidungen prüfen,ob 100 Transportpanzer, 10 Spürpanzer und 50 Flugab-wehrkanonenpanzer an Saudi-Arabien abgegeben wer-den können. Warum ließ Staatssekretär Dr. Pfahls dieBemerkung, daß dieses Vorgehen auf Wunsch desKanzleramtes und maßgeblicher Kräfte im DeutschenBundestag geschehe, aus dem Ergebnisprotokoll vom20. März 1991 streichen?
Mehr als dubios, mehr als schleierhaft!Diese Streichung ist zwar nicht strafwürdig, abermehr als auffällig. Unschwer kann daraus doch ge-schlossen werden, daß die „maßgeblichen Kräfte“ – auswelchen Gründen auch immer – unbenannt bleibenwollten.
Im übrigen muß ich darauf hinweisen, daß die Fragenunseres ehemaligen Kollegen, des Abgeordneten Hirsch,
vom 9. November 1990, ob deutsche Waffen zum Kaufdem saudiarabischen Botschafter bzw. ob von bundes-behördlicher Seite die Vermittlung eines Waffenge-schäftes angeboten wurden, vom damaligen Staatsse-kretär Wimmer am 17. Dezember 1990 verneint wordensind.
Diese Antwort stellt sich nachträglich als offensichtlichfalsch dar. Bemerkenswert ist, daß es fünf Wochen zurBearbeitung dieser lapidaren Antwort brauchte.Im Zusammenhang mit den laufenden Ermittlungengegen den ehemaligen Schatzmeister der CDU tauchendie Fragen auf: Ist es zu Zahlungen außerhalb des Ver-tragsrahmens gekommen? Wer war daran beteiligt?Gelder sind zweifelsfrei geflossen; dies hat Herr Kiepzugestanden. Der Verbleib der in Rede stehenden 1 Mil-lion DM muß aufgeklärt werden.
Hieran uneingeschränkt mitzuwirken ist Sache der CDUund gegebenenfalls Betroffener in der Union. Die Öf-fentlichkeit und wir wollen eine lückenlose Aufklärung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt die
Kollegin Dr. Angela Merkel, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren!
Ganz ohne Zweifel haben wir es heute mit einemThema zu tun, das bei vielen Menschen Verunsicherung,mit Sicherheit aber Fragen hervorruft: Wie ist es mitdem Verhältnis von Politik und Geld, von Parteien undGeld? Wie ist die Transparenz bestimmter Vorgänge?Damit an dieser Stelle kein Zweifel aufkommt, sage ichganz deutlich: Jeder, der in diesem Hause – für welchepolitische Meinung auch immer – sitzt, muß wissen, inwelchem Maße er dazu beiträgt, daß dieses Thema mitdem ihm gebührenden Ernst, mit der ihm gebührendenWahrhaftigkeit behandelt wird.
Denn in Wahrheit geht es doch allzuoft darum, daß esöffentlich heißt: Politik und Moral gehen sowieso kaumzusammen.Wir alle in diesem Hause haben deshalb die Verant-wortung, die Pflicht und die Schuldigkeit, redlich vorzu-gehen und auf keinen Fall niederen, parteipolitisch be-stimmten Versuchungen zu erliegen.
Das ist die Ausgangsposition.
– Warten Sie es ab! – Das ist die Ausgangsbasis, auf derwir im Sinne unser aller Interessen agieren sollten.
Ihre Zwischenrufe zeigen mir aber schon, daß ichwahrscheinlich zuviel verlangt habe. Anders gesagt: Wiegroß muß eigentlich Ihre Verzweiflung in den Koaliti-onsfraktionen sein?! Wie groß muß eigentlich die Ver-zweiflung von Rotgrün sein, wenn Sie offensichtlichglauben, sich mit einer solchen Aktuellen Stunde – derentsprechende Antrag beruht auf Medienberichten – ausIhrer eigenen verzweifelten Lage befreien zu wollen?!
Peter Zumkley
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6089
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So ist diese Aktuelle Stunde heute nichts weiter alsein Psychogramm für den wirklich erbärmlichen Zu-stand der Regierungsfraktionen und für den erbärmli-chen Zustand der Bundesregierung insgesamt.
Es ist für mich offenkundig: Sie wollen von Ihrem ei-genen Desaster in der Außen- und Sicherheitspolitik undin der Türkei-Politik ablenken.
Es ist und bleibt niemandem verständlich zu machen,
wie Sie auf der einen Seite den EU-Beitritt der Türkeifordern und wie Sie auf der anderen Seite die Türkei nichtfür vertrauenswürdig und demokratiefähig genug halten,um ihr als NATO-Partner einen Panzer zu liefern.
Sie wollen von Ihren Wahlniederlagen in diesem Jahrablenken und davon, daß Sie keinen Kompaß und keineLinie haben. Sie wollen davon ablenken,
daß die Menschen in diesem Lande von Rotgrün und ei-ner Politik des Wortbruchs bitter enttäuscht sind.
Weil noch dazu kommt, daß Sie die nackte Angst vorWahlniederlagen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen plagt, wollen Sie mit aller Macht von Ihrereigenen Politik ablenken und deshalb einfach Kapitalaus Medienberichten schlagen, wie es heute hier zur De-batte steht.
Ich sage Ihnen, in Umkehrung des berühmten Satzes vonMichail Gorbatschow gilt auch folgender Grundsatz:Auch wer zu früh kommt, den bestraft das Leben.Sie haben nicht die Kraft gehabt – wir haben es beiallem, was wir heute gehört haben, gemerkt –, die Er-gebnisse der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegenWalther Leisler Kiep abzuwarten. Viel schlimmer noch:Sie haben nicht einmal die Kraft gehabt, nur diese eineWoche oder wenige Tage abzuwarten, wie es von derStaatsanwaltschaft selbst und von denen, die dort Be-richt erstattet haben, in Aussicht gestellt wurde.Sie spielen seit Tagen in der Öffentlichkeit mit derFrage eines Untersuchungsausschusses.
Sie wissen, wie die Mehrheitsverhältnisse und die Ge-gebenheiten sind. Ich sage Ihnen nur: Setzen Sie denUntersuchungsausschuß ein, wenn Sie es für sinnvollhalten, parallel zu den staatsanwaltlichen Ermittlungennoch einmal hier im Parlament alles zu untersuchen. Wirwerden dann konstruktiv mitmachen.
Machen Sie es, aber tun Sie nicht so, als ob Sie damitdrohen könnten. Sie müssen sich entscheiden, das istalles.
Ich wiederhole es: Es geht Ihnen gar nicht um die Sache,
sondern es geht Ihnen um einen Nebenkriegsschauplatzzu dem, was Sie in dieser Woche selber an internenSpannungen auszuhalten haben. Deshalb kommt Ihnendiese Aktuelle Stunde gerade recht.
Genau deshalb denke ich nicht daran, mich an demzur Zeit offensichtlich populären Streuen und Verbrei-ten, Bekräftigen und Dementieren von Gerüchten, Ver-dächtigungen und Andeutungen zu beteiligen.Ich glaube im übrigen immer noch – damit kommeich zu einem sehr ernsten Thema – an den Ablaufrechtsstaatlicher Ermittlungsverfahren und Gepflogen-heiten in diesem Lande.
Wir haben gestern den 10. Jahrestag des Mauerfalls ge-feiert.
Das ist für mich ein Datum von allergrößter Bedeu-tung, weil ich, die ich aus den neuen Bundesländernkomme,
mir nicht zu träumen gewagt hätte, daß ich heute in die-sem Parlament stehe. Ich bin am 9. November 1989 indie Politik gegangen, weil dies für mich ein Tag ist, andem Transparenz in unserem Lande begonnen hat undan dem man gegen die Lügen des vergangenen DDR-Regimes vorgehen konnte. Das sage ich einmal in IhreRichtung.
Ich bin in die Politik gegangen, weil ich auf der Basisdemokratischer Kontrolle und demokratischer Transpa-Dr. Angela Merkel
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6090 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
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renz im Meinungsaustausch und im Meinungswettbe-werb politische Mehrheiten entwickeln will.
Deshalb sage ich Ihnen als Generalsekretärin derCDU Deutschlands und im Namen von 630 000 Mit-gliedern dieser wunderbaren Partei CDU, daß –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Mer-
kel, Sie müssen zum Schluß kommen.
– ich komme zum
Schluß, ich bin schon beim letzten Satz – jedes dieser
Mitglieder und ich als Generalsekretärin besonders ein
Interesse daran haben, die auch für uns bis heute nicht
nachvollziehbaren Vorgänge aufzuklären, und zwar lük-
kenlos.
Die CDU Deutschland hat jedes Interesse an dieser Auf-
klärung, auch um Schaden von unserer eigenen Partei
abzuwenden. Ich sage dies in aller Deutlichkeit.
Aber ich sage Ihnen auch: Bundeskanzler Schröder
hat vor einigen Tagen bei der Vorstellung des Buches
„Was bleibt, ist große Zuversicht“ von Walther Leisler
Kiep eine Laudatio auf Kiep gehalten. Vielleicht ist der
Titel dieses Buches genauso wie das Motto der Arbeit
Schröders. Das wird das einzige sein, was Schröder nach
einem Jahr Rotgrün nach der Bundestagswahl und bis
zur Bundestagswahl 2002 bleiben wird. So ist das!
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Clau-dia Roth, Sie haben für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen das Wort.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich möchte versuchen, nach meiner Vor-rednerin nun wieder etwas mehr zum Thema zu spre-chen.
Frau Merkel, Sie haben selber gesagt, Sie sind Gene-ralsekretärin.
Das ist bekannt. Ich hätte mir schon gewünscht, daß Sieals Generalsekretärin Ihrer Partei eine ganz simple Fragebeantworten: Wo ist die eine Million hingekommen, vonder auch Herr Leisler Kiep sagt, daß er sie bekommenhat?
Fast täglich kommen durch, wie ich finde, in einemallerbesten Sinne investigativen Journalismus und durchdie sehr akribische Arbeit der Staatsanwaltschaft Augs-burg neue Fakten ans Tageslicht. Es sind keine Gerüch-te, sondern Fakten; es sind Fragen, die gestellt werdenmüssen.
All dies läßt einen unglaublichen politischen Skandalbefürchten.So soll – ich nehme jetzt den Konjunktiv, Herr Kop-pelin – Anfang der 90er Jahre der ehemalige Präsident –man muß sich das immer wieder vor Augen führen undlaut sagen – des Bundesamtes für Verfassungsschutzund damalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsmi-nisterium, Dr. Holger Pfahls,
3,8 Millionen DM Schmiergeld vom bayerischen Waf-fenhändler Karlheinz Schreiber erhalten haben. Im Ge-genzug – Kollege Zumkley hat auch einige Fragen indiese Richtung gestellt – soll Dr. Pfahls dafür gesorgthaben, daß sein Minister und das Auswärtige Amt ihrenWiderstand gegen eine Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien aufgegeben haben.Im Rahmen weiterer Waffengeschäfte und Lieferun-gen, zum Beispiel des Airbus, sollen Provisionen in Hö-he von 46 Millionen DM geflossen sein, die nicht ver-steuert wurden. Sechs- und siebenstellige Beträge sollenvon Herrn Schreiber zum Beispiel der ehemalige Staats-sekretär im Bundeswirtschaftsministerium Erich Riedlvon der CSU, der CSU-Politiker Max Strauß sowie derseinerzeitige CDU-Schatzmeister Kiep erhalten haben.
Solche kriminellen Machenschaften, die möglicherweiseklandestin in einer bayerischen Vermengung von Waf-fenschmieden, Geheimdiensten und gefälligen Politikernstattfanden,
sprechen aus unserer Sicht
Dr. Angela Merkel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6091
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eindeutig für die Einsetzung eines parlamentarischenUntersuchungsausschusses.
Folgende Fragen müssen in einem solchen Untersu-chungsausschuß geklärt werden
– diese Fragen müssen geklärt werden, sehr geehrterHerr Koppelin –:
Erstens. In welcher Weise sind möglicherweise
Herr Pfahls, Herr Strauß, Herr Kiep oder etwaige drittePersonen bestochen worden oder haben Provisionen er-halten, um auf Zustandekommen und Abwicklung desKaufvertrages für Panzer nach Saudi-Arabien Einfluß zunehmen?
Zweitens. Welche Bundesministerien und Bundesbe-hörden waren möglicherweise an Rüstungsgeschäftenbeteiligt – und auf welche Weise?Es gibt noch weitere Fragen, die gestellt werden müs-sen: Sind hierdurch die auswärtigen Belange oder dieSicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdetworden? Wurden technische oder militärische Geheim-nisse gegenüber einem nicht der NATO angehörigenStaat verraten? Und: Kam es durch etwaige Schmier-geldzahlungen zu Steuerausfällen zu Lasten des Bun-des?
Vor allem aber geht es um die Klärung einer lapida-ren, aber sehr grundsätzlichen Frage: Inwiefern warenMitglieder der früheren Bundesregierung Anfang der90er Jahre schlicht und ergreifend käuflich?
Frau Merkel, es geht uns hier wirklich nicht umAblenkung, und wir machen das nicht aus Verzweif-lung,
sondern bei diesen Fragen, die seit Monaten aufgewor-fen werden
– wir tun ein Gutes daran, diese Fragen zu beantworten,Herr Kollege Koppelin –, geht es um die Integrität vonPolitik.
Es geht darum, Gefährdungen und Beschädigungen derUnbescholtenheit und Unbestechlichkeit von Politik zuuntersuchen und dafür zu sorgen, daß diese unterbleiben.Illegale Waffengeschäfte sind organisierte Krimina-lität.
– Hören Sie doch einmal zu! – Waffengeschäfte an derGrenze zur Illegalität sind Waffengeschäfte an derGrenze zur organisierten Kriminalität.
Daher sind Provisionen aus illegalen WaffengeschäftenProvisionen aus organisierter Kriminalität, Herr Koppe-lin. Provisionen aus dubiosen Waffengeschäften sindProvisionen
aus dem Dunstkreis der organisierten Kriminalität. Siesollten darüber nicht den Kopf schütteln, sondern mirzustimmen: Parteispenden dürfen mit solchen Geschäf-ten nichts, aber auch gar nichts zu tun haben;
wenn doch, dann sind sie nicht nur bemakelt, sonderndann sind sie Judasgeld, nämlich Geld für den Verrat anden Werten, auf denen unser Gemeinwesen aufbaut.
Politik, die sich mit bemakeltem, mit dubiosem Geldfinanziert, wird möglicherweise in der Konsequenzzu einer dubiosen Politik. Es geht also bei einem sol-chen Untersuchungsausschuß um die Lauterkeit vonPolitik.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, auchSie müssen Ihre Redezeit einhalten.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Nur noch eine letzte Bemerkung.Ich erinnere an die 80er Jahre. Damals wollten sichCDU/CSU und F.D.P. bei der berühmt-berüchtigten undgeradezu klassischen Parteispendenaffäre mit einem Ge-setz selber amnestieren.
Claudia Roth
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6092 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
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Der Schaden für die Demokratie in unserem Land, deraus diesem Versuch entstand, wirkt wohl bis heute nach.Deswegen: lassen Sie uns in die Offensive gehen! Las-sen Sie uns über die Fragen, über die die gesamte Repu-blik redet, diskutieren!
Lassen Sie uns versuchen, aufzudecken und nicht zuzu-decken!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der
Kollege Rainer Wend, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte FrauMerkel, was Sie heute hier dargeboten haben, war schonein kleines Kunststück. Sie haben abstrakt appelliert,daß Politik und Moral zusammengebracht werden müs-sen und daß wir alle dafür verantwortlich sind, daß die-ses geschieht.
Frau Merkel, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Jeder,auch wir Sozialdemokraten, muß dazu einen Beitrag lei-sten. Man muß aber auch sagen: Sie und niemand sonstin diesem Hause ist verantwortlich dafür, aufzuklären,wo die Millionen geblieben sind.
Abstrakte Erklärungen zu Politik und Moral sind gut.Aber in der konkreten Situation darf die Verantwortungnicht auf die Schultern derer abgeladen werden, die sienicht zu tragen haben.
Ihr Beitrag, Frau Merkel, wurde nur noch von demübertroffen, was sich Herr Koppelin von der F.D.P. ge-leistet hat. Herr Koppelin, ist es Ihnen nicht selbstpeinlich, daß nur noch die devote Körperhaltung gegen-über der CDU/CSU gefehlt hätte, um endgültig deut-lich zu machen, was die F.D.P. im Bundestag eigentlichtut?
Da Sie sagen – in diesem Punkt stimme ich Ihnen aus-drücklich zu –, Vorverurteilungen dürfe es nicht geben,will auch ich mich sozusagen an meine eigene Nase fas-sen. Aber auch das sage ich Ihnen: Es geht nicht umrechtliche Vorverurteilungen, sondern es geht um politi-sche Beurteilungen eines Sachverhaltes, die wir unsnicht mit dem Vorwurf, wir würden vorverurteilen,nehmen lassen.
– Entschuldigen Sie bitte, Herr Koppelin, daß ich Ihrehäufigen Zurufe gelegentlich durch meinen fünfminüti-gen Redebeitrag unterbreche.Frau Merkel hat sich vor ein paar Tagen im Fernse-hen zu diesem Thema geäußert. Was ist aber eigentlichein „Treuhand-Anderkonto“, von dem Frau Merkel ge-sprochen hat? Ich kenne nur ein Treuhandkonto: Es gibtein Bankkonto; der Treugeber kennt den Treuhänder;der Treugeber weiß, über welchen Betrag der Treuhän-der wann verfügen kann. Aber was ist ein „Treuhand-An-derkonto“?Ich muß jetzt ein bißchen ironisch werden: Ange-sichts der beteiligten Personen – Waffenhändler Schrei-ber, der mit Haftbefehl gesucht wird, Strauß junior, aliasMaxwell, Walther Leisler Kiep, der Kohl-Vertraute undGeldkofferträger Steuerberater Weyrauch, der mit Haft-befehl gesuchte und untergetauchte ehemalige Staatsse-kretär Pfahls – habe ich den Eindruck, daß es sich beiIhrem „Treuhand-Anderkonto“, Frau Merkel, um einKonto handelt, bei dem der Treugeber den Treuhändernicht kennt, der Treuhänder nicht weiß, was für denTreugeber getan werden soll, und sich alle zusammenfragen, wo eigentlich das Geld und das Konto gebliebensind. Anders kann man Ihre Äußerungen nicht interpre-tieren.
Sie dürfen sich also nicht wundern, Frau Merkel, daßwir diese Tatsachen deutlich aussprechen.Ein Skandal, über den ich mich besonders ärgere, istnoch nicht angesprochen worden. Die Staatsanwalt-schaft hat festgestellt – das wird letztlich gerichtlich zuüberprüfen sein –, daß Zahlungen in Höhe von rund24 Millionen DM ins Ausland geflossen sind, ausgehan-delt mit dem Finanzamt als steuerfrei, weil nämlich der-artige Zahlungen ins Ausland bei den Betriebsausgabenals sogenannte „nützliche Aufwendungen“ abgesetztwerden können. Wenn die Million, wie Kiep sagt, dar-aus stammt, dann wurde die Hälfte dieses Geldes vomSteuerzahler, von den Bürgerinnen und Bürgern diesesLandes aufgebracht. Allein diese Tatsache ist – nebenallem anderen, ein Skandal, über den man sprechenmuß.
Wir haben dies geändert, indem wir im Steuerent-lastungsgesetz vom 24. März 1999, in das wir nochviele andere vernünftige Regelungen aufgenommen ha-ben,
Claudia Roth
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6093
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§ 4 Abs. 5 Nr. 10 des Einkommensteuergesetzes geän-dert und klare steuerliche Voraussetzungen auch für –ich nenne es einmal freundlich so – Bakschisch-Zahlungen ins Ausland geschaffen haben. Das ist gut so.Sie haben die Aufgabe, Licht ins Dunkel von mögli-chen Schmiergeldzahlungen, Parteispenden, Steuerhin-terziehungen und Treuhand-Anderkonten zu bringen.Wir haben die Aufgabe, Ordnung in das von Ihnen zuverantwortende, in Teilen nicht nachvollziehbare Steuer-recht zu bringen. Wir haben begonnen; Sie sind noch inden Startlöchern. Ich kann Sie nur bitten: Klären Sie dasChaos im Interesse der Bürgerinnen und Bürger nach-vollziehbar auf, denn so kann es nicht weitergehen!
Ganz zum Schluß kann ich Ihnen folgendes nicht er-sparen. In einem Interview mit der Zeitschrift „Tenden-zen“, Ausgabe 2/95, erklärte Herr Walther Leisler Kiepfolgendes – ich zitiere mit freundlicher Genehmigungder Frau Präsidentin –:
Die Verwirrung der Werte ist ein Thema, mit demdie Kirchen nach meiner Überzeugung noch nichtannähernd fertig geworden sind.Ich kann heute nur sagen: Herr Kiep und die CDU/CSUhaben ihrerseits noch verdammt viel Arbeit vor sich, ummit der Verwirrtheit ihrer Werte fertig zu werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wend,
noch ist es nicht so, daß Zitate in Reden der Genehmi-
gung der Präsidentin oder des Präsidenten bedürfen.
Aber ich danke für Ihr Entgegenkommen.
Herr Kollege Erich Fritz, Sie haben das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Meine Damen und Her-ren! Ich finde es schon seltsam, daß von seiten der Re-gierungskoalition in dieser Debatte immer mit einemWort der Verantwortung angefangen wird, dann aber dieDebatte zu nichts anderem genutzt wird, als in einer Artund Weise mit diesem Thema umzugehen, wie Sie esgegenüber Ihren eigenen Parteimitgliedern eigentlichnicht verantworten können.
Jeder, der hier steht, trägt auch Verantwortung für dieFrage, ob die Mitglieder in unseren Parteien auf Dauerdas Gefühl haben, daß es dort ordentlich zugeht.Sie haben gerade von der Generalsekretärin der CDUgehört,
daß sie ein Interesse daran hat, diese Angelegenheit lük-kenlos aufzuklären.
– Zu Ihnen komme ich gleich noch, Herr Ströbele. WasSie und auch die Kollegin Roth hier gemacht haben, istnichts anderes als eine Vermischung von Gerüchten mitVermutungen,
immer mit der Tendenz, hier zu unterstellen, einer Un-tersuchung bedürfe es gar nicht mehr.
Was Sie hier gesagt haben, dient gerade nicht der Auf-klärung, sondern ist die mieseste Form der politischenAuseinandersetzung.
Es ist ja kein Zufall, daß sich in Umfragen zeigt, daß dieMenschen, was die Aufdeckung solcher Dinge angeht,sehr viel mehr Vertrauen in die Richter und Staatsan-waltschaften haben als in die Parteien, weil die Parteiennämlich in dieser Hinsicht nicht glaubwürdig sind.
Deshalb ist das auch keine Angelegenheit, die man ineiner Aktuellen Stunde debattieren kann, ohne daß dieParteien insgesamt an Glaubwürdigkeit verlieren. Ichwarne also davor, in dieser Weise damit umzugehen.Was ist eigentlich heute passiert?
Ich habe heute eine Tickermeldung gelesen, in der HerrScharping zitiert wird.
– Moment. – Herr Scharping spricht über den Zustandder Koalition, und den kann man ja hier besichtigen. Ersagt, es sei eine Verharmlosung, die Schwierigkeiten derKoalition lediglich als Marketingprobleme beschreibenzu wollen. – Da hat er recht. – Das Zurückgewinnen vonLösungskompetenz ist nach Darstellung von Scharpingnicht die alleinige Aufgabe des designierten SPD-Generalsekretärs Franz Müntefering.
Und jetzt hören Sie zu: Die Revitalisierung der SPD unddamit der Koalition – revitalisieren muß man jemanden,der schon tot ist – gelinge entweder gemeinsam oder garnicht, wie Scharping sagte.Dr. Rainer Wend
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6094 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
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Das hat mit dieser Debatte in folgender Weise zu tun:Mir scheint, daß Ihr hilflose Versuch, mit Hilfe diesesThemas, die Koalition zu revitalisieren, nicht funktionie-ren wird.
Auf diesem Wege werden Sie auch nicht von IhrenSchwierigkeiten in Sachen Rüstungsexporte ablenkenkönnen. Wenn ich lese, daß Frau Beer sagt, das sei dieStelle, an der die Koalition auseinanderbrechen könne –da ist offensichtlich noch immer viel Luft –, dann ist dasgenau der Punkt, um den es hier geht.
Mit dem, was Sie hier von sich geben, versuchen Sienur, von Ihren eigenen Schwierigkeiten abzulenken.
Vom Parteivorsitzenden und der Generalsekretärinder CDU ist öffentlich erklärt worden, daß wir ein Inter-esse daran haben, diese Angelegenheit lückenlos aufzu-klären. Herr Ströbele, das kann aber nicht in einer Aktu-ellen Stunde erfolgen, sondern muß dort geschehen, woes hingehört. Angesichts dessen, daß Sie in der Lagesind, aus Akten der Staatsanwaltschaft zu zitieren – Siesagten ja soeben, Sie hätten Ihre Informationen aus denAkten der Staatsanwaltschaft –, frage ich mich, wie Siean diese Akten gekommen sind. Ich wiederhole: Wir le-gen Wert darauf, daß über diese Angelegenheit dort ver-handelt wird, wo sie hingehört. Dafür gibt es vertrau-enswürdige Institutionen in unserem Land. Wir habenkeinen Anlaß, dem vorzugreifen bzw. in den Chor vonVerdächtigungen und Vorverurteilungen einzustimmen.
Sie sollten ein Interesse daran haben, durch diese Dis-kussion nicht zusätzlichen Schaden anzurichten, was dieGlaubwürdigkeit Ihrer Politik angeht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die
Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.
FrauPräsidentin! Verehrte Damen und Herren! Hier geht esnicht um Vorverurteilung. Wir versuchen, aufzuklären.Ich will unterstreichen, warum diese Aufklärung sonotwendig ist.
– Ich verstehe nicht, warum Sie schon wieder dazwi-schenreden. – Diese Aufklärung hat zum Ziel, Schadenvon allen politischen Parteien abzuwenden. Denn solan-ge der Verdacht im Raume stehenbleibt, daß im Rahmenvon Rüstungsgeschäften eine illegale Parteienfinanzie-rung stattgefunden hat, solange dieses Parlament sichnicht um Aufklärung bemühen würde, besteht ein Makelfür alle politischen Parteien – und das kann keiner wol-len.
Herr Schmidt, als Sie Ihre Rede begonnen haben,hatte ich fast Déjà-vu-Erlebnisse. Ich weiß nicht, ob Siewissen, daß ich über zwei Legislaturperioden im Unter-suchungsausschuß zur Aufklärung der Blaupausenex-porte nach Südafrika mitgearbeitet habe. Sie haben hierOffenheit und Aufklärung angekündigt, gesagt aberhaben Sie nichts. Das stimmt nachdenklich. Ich glaube,daß es sehr wichtig ist, die parlamentarische Aufklärungder hier diskutierten Fragen zu forcieren.Mit Verlaub, es besteht noch eine Parallele – dasmöchte ich ansprechen, auch wenn vorhin alle gelachthaben –: Damals war es eben der Koffer mit den Blau-pausen, der nie aufgetaucht ist. Diesmal ist es der Koffermit 1 Million DM, der heute noch nicht aufgetaucht ist.Der Verbleib der 1 Million DM jedoch, die – zugestan-denermaßen auf illegalem oder unlauterem Weg – ir-gendwohin geflossen sind – Frau Merkel, dazu habenSie heute nichts gesagt –, muß geklärt werden.Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. FrauMerkel, ich habe Verständnis für Ihre Situation: Sie ha-ben hier eine schwierige Rede halten müssen. Sie sindGeneralsekretärin. Sie haben derzeit die Verantwortung,mögliche Mißstände aufzuklären und nach außen hinOffenheit dafür zu signalisieren. Zeitgleich befinden Siesich in der Situation, daß Sie jede Aufklärung im Inter-esse Ihrer eigenen Partei verhindern müssen. Man hatgemerkt, daß das nicht zusammenpaßt.Da Sie von lückenloser und schneller Aufklärungsprechen, will ich Ihnen sagen: Ich verzichte aufSchnelligkeit. Ich glaube, daß die Einrichtung einesparlamentarischen Untersuchungsausschusses der bes-sere Weg ist.
Aber lückenlos muß diese Aufklärung sein. Dazu habenSie überhaupt nichts gesagt.Angesichts dessen kann ich es mir leider nicht erspa-ren, auf den früheren Generalsekretär Ihrer Partei zusprechen zu kommen. Wenn Sie hier heute wirklich ei-nen Ansatz von Aufklärung hätten liefern wollen, dannhätte es nicht dazu kommen dürfen, daß der Stuhl desnoch mandatierten Abgeordneten, der damals General-sekretär war, leer ist.
Denn Ihr ehemaliger Generalsekretär hätte doch heutedie Möglichkeit, mit zwei oder drei erhellenden Sätzenwesentliche Fragen zu beantworten. Warum ist er nichtanwesend, um zu zeigen, daß Sie tatsächlich ein Interes-se an Aufklärung haben? Da muß ich Ihnen ganz ehrlichsagen: Sie versuchen statt dessen, uns etwas zu un-terstellen, um von der Lücke namens Rühe abzulenken,und werfen uns vor, wir wollten von NRW und rotgrü-Erich G. Fritz
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6095
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nen Komplikationen ablenken. Ich muß dies an Sie zu-rückgeben: Vielleicht wollen Sie von einer ganz anderenLandtagswahl ablenken, nämlich von der, die im Febru-ar in Schleswig-Holstein stattfindet.
Sie versuchen verzweifelt, in dieser Aktuellen Stundedurch Hinweis auf Entscheidungen über aktuelle Rü-stungsexporte von der möglicherweise fatalen Partei-finanzierung, die unter Ihrer Verantwortung erfolgt ist,abzulenken. Dazu kann ich nur sagen: Diese Regierunghat sich vorgenommen, über die Frage der Rüstungsex-porte nach den Kriterien der Menschenrechte in den je-weiligen Ländern zu entscheiden. Ich finde, dies ist einewichtige Diskussion. Hier wird nicht von der politischenVerantwortung abgelenkt, sondern der Versuch unter-nommen – im Gegensatz zu der Zeit, in der Sie Verant-wortung trugen –, verantwortungsvoll über Rüstungsex-porte zu entscheiden. Das ist eine ganz neue Qualitätvon Politik. Daß Sie dies nicht nachvollziehen können,wird angesichts der nichtssagenden Reden
– gerade auch von Ihnen, Kollege Koppelin – sehr deut-lich. Aber dies wird nach hinten losgehen.Ich sage Ihnen noch einmal: Wenn Sie Aufklärungwollen, dann lassen Sie die damals Verantwortlichenhier zu Wort kommen – egal, ob sie dementieren odernicht.
Dann haben wir und die Staatsanwaltschaft eine Grund-lage, um lückenlos zu prüfen und zu einem Ergebnis zukommen, das von allen akzeptiert werden kann. Die-sen Weg sollten Sie mitgehen. Blockieren Sie deswe-gen nicht die Einsetzung eines Untersuchungsausschus-ses!
– Aber Sie zeigen doch, daß Sie überhaupt keinen Un-tersuchungsausschuß wollen. Sie führen nur Scheinde-batten, Sie diskutieren ganz andere Themen, anstatt denehemaligen Generalsekretär Volker Rühe in die Verant-wortung zu nehmen und zu sagen: Junge, sag doch, wasdamals unter deiner Verantwortung gelaufen ist! WennSie noch nicht einmal das schaffen, dann haben Sie un-term Strich null Interesse. Und das lassen wir nichtdurchgehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt der
Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wären die Angriffeder Koalitionsfraktionen nicht so erbärmlich, mankönnte diesen Tag unter der Überschrift „Allerschein-heiligen“ abbuchen; denn jeder von uns weiß doch, wor-um es tatsächlich geht, angesichts der Umfrageergebnis-se und angesichts der Probleme, die die Regierung in derletzten Zeit hatte:
Oskar Lafontaine, Bodo Hombach, Verletzung der be-sonderen Geheimhaltungspflichten im Bundeskabinett,Abstimmungschaos bei der Gesundheitsreform, Waffen-exporte in alle möglichen Länder.Ich will einmal zitieren, was allein in der „BerlinerMorgenpost“ dazu zu lesen war: Panzergetriebe an dieMilitärmachthaber in Pakistan, 32 leichte Kampfflug-zeuge und zwei gebrauchte U-Boote an die VereinigtenArabischen Emirate,
Bordkanonen für Kampfflugzeuge an Thailand, Hub-schrauber für Südkorea, Panzermunition an Chile, Pan-zer des Typs Leopard 1 an Brasilien usw. Dagegen sinddie 36 ABC-Abwehrpanzer Fuchs aus dem Jahr 1991nichts anderes als Futter für Ihre Fundamentalisten, diedoch angeblich innerlich immer so zerrissen sind, wennes um Rüstungsexporte geht.
Nein, meine Damen und Herren, wahrscheinlich hättenwir uns in einer ähnlich ausweglosen Situation wie derIhren ähnlich verhalten.Ich will aber jetzt einmal etwas dazu sagen, wie eini-ge von Ihnen mit Walther Leisler Kiep umgehen. Ichselber kenne ihn seit mehreren Jahren. Ich habe ihn überdie Atlantik-Brücke kennen- und schätzengelernt. Er istzur Zeit in den Vereinigten Staaten – mit einer Delega-tion, der auch Mitglieder der beiden Regierungsfraktio-nen angehören.Den Gipfel politischer Verleumdung – das will ichmit großem Ernst sagen – haben Sie heute geliefert, HerrKollege Ströbele.
Sie haben nicht nur nicht zur Kenntnis genommen, daßdie Verurteilung von Walther Leisler Kiep vom Bundes-gerichtshof wegen schwerer Verfahrens- und Rechts-mängel aufgehoben worden ist. Sie haben vielmehr die-ses aufgehobene Urteil auch noch zum erneuten Angriffgenutzt und so getan, als sei er verurteilt worden. DiesenEindruck haben Sie öffentlich erweckt. Das ist eineForm politischer Verleumdung, die Sie sich als Rechts-anwalt nicht leisten sollten.
Angelika Beer
Metadaten/Kopzeile:
6096 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999
(C)
Auch das, was Sie sich hier als Vorsitzende des Aus-schusses für Menschenrechte geleistet haben, Frau Roth,
war wirklich ein Trauerspiel; da fühlte man sich schonan die spanische Inquisition erinnert.
Auch die Umstände des Haftbefehls – der KollegeSchmidt hat schon darauf hingewiesen – sind mehr alsmerkwürdig. Ich finde es seltsam, daß man einen Haft-befehl gegen jemanden wegen Fluchtgefahr erläßt undihn trotzdem – unter anderem mit Ihren Kolleginnen undKollegen – in die USA reisen läßt.
Beeindruckend fand ich auch, wie schnell das Bun-deskanzleramt nahezu jeden Kontakt zu Walther LeislerKiep dementiert hat.
Vor einigen Tagen hat sich der Bundeskanzler derFreundschaft zu Kiep gerühmt, und heute tut er so, alshabe er ihn nie gekannt, als habe er ihm nicht als eineseiner letzten Amtshandlungen als Ministerpräsidentdie niedersächsische Verdienstmedaille verliehen. DieseSchnelligkeit beim Abrücken von Herrn Kiep macht je-dem Hasenfuß alle Ehre. Wir würden uns freuen, wennSie eine solche Schnelligkeit nicht nur bei der Aufkün-digung persönlicher Beziehungen, sondern auch bei derLösung der Probleme unseres Landes an den Tag legenwürden.
Meine Damen und Herren, wir haben im Gegensatzzu Ihnen – ich habe die Skandale, die bei Ihnen anste-hen, genannt: Bodo Hombach, Geheimnisverrat aus derSitzung des Bundessicherheitsrats – ein erhebliches In-teresse an der Aufklärung der öffentlichen Vorwürfe, diees gibt. Ich persönlich habe auch deswegen ein großesInteresse daran – das will ich Ihnen offen sagen –, weilich als Kreisvorsitzender der CDU darauf angewiesenbin, daß ich unter den engagierten Bürgerinnen undBürgern in unserem Land auch weiterhin diejeni-gen finde, die bereit sind, Geld für Wahlkämpfe zuspenden. Das ist gerade bei den Kommunalwahlkämpfenwichtig, für die es keine Wahlkampfkostenerstattunggibt.Deswegen haben wir als CDU ein besonderes Interes-se an einer schnellen und lückenlosen Aufklärung. Wirwären Ihnen dankbar, wenn Sie daran mitarbeiten undnicht ein solches Beispiel von Scheinheiligkeit abgebenwürden. Kehren Sie vor Ihrer Tür und lassen Sie uns un-seren Beitrag leisten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Ludwig Stiegler, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Es ist einfach toll, zu erleben, wel-che Windungen die Union macht, um hier nicht aufklä-ren zu müssen.
Das nächste Mal bringen Sie meinetwegen GrimmsMärchen oder ein Kapitel aus einem Buch von John Gri-sham mit, das wäre noch unterhaltsamer. Lesen Sie unsdas oder auch das Telefonbuch vor, aber stellen Sie sichnicht hier hin und reden über alles mögliche, aber nichtüber das Thema, um das es hier geht.
Ich sage Ihnen: Man kann sich drehen und wenden, wieman will, der Bauch bleibt immer vorn und das anderehinten. Das ist die Situation, vor der Sie stehen.
Sie müssen das leisten, was Sie leisten können. Siedürfen nicht allein auf die Staatsanwaltschaft in Augs-burg verweisen. Ich darf Ihnen das Parteiengesetz vor-halten. Sie haben die Pflicht zur öffentlichen Rechen-schaftslegung über die Herkunft und die Verwendungder Mittel. Dieser Rechenschaftsbericht nach § 24 desParteiengesetzes verpflichtet Sie, auch die sonstigenEinnahmen auszuweisen. Er verpflichtet Sie, Finanzan-lagen und sonstige Vermögensgegenstände darzustellen.Treuhandbeziehungen tauchen spätestens bei den„sonstigen Vermögensgegenständen“ auf; denn wennHerr Weyrauch, der nicht Weihrauch gestreut, sondernGeld gesammelt hat, Ihr Treuhänder war, dann hat dieUnion nach allgemeinem Rechtsverständnis eine Forde-rung an ihn. Er muß abrechnen, er muß Rechenschaftablegen. Diese Rechenschaft können und müssen Sieeinfordern. Das ist es, was wir von Ihnen verlangen. Siemüssen sagen: Bitte legen Sie die Treuhandbücher kom-plett vor und zeigen Sie, was darin steht;
geben Sie auch zu, wenn Sie auf indirektem Weg Spen-den gesammelt haben. Ich verweise auf § 25 des Partei-engesetzes, der besagt, daß Spenden, die „in Erwartungeines bestimmten wirtschaftlichen oder politischenVorteils gewährt werden“, nicht angenommen werdendürfen. Auch das mußte einem Bundesschatzmeister derCDU bekannt sein.Der Begriff der Einnahmen nach dem Parteiengesetz– lesen Sie das nach – beinhaltet jedes der Partei zuflie-ßende Geld und jede geldwerte Leistung. Über alles,worüber Sie verfügen können, sei es direkt oder indirekt,haben Sie Rechenschaft abzulegen – den Rechen-schaftsbericht müssen Sie liefern –, und Sie haben dieEckart von Klaeden
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. November 1999 6097
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Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung. Hier scheintjedoch eine kreative Buchführung vorzuliegen:
Man hat eine kleine Parteikasse, aber eine große Treu-handkasse. Früher hätte man sie schwarze Kasse ge-nannt. So schaut die Realität aus.Sie kommen aus Ihrer Bredouille nur heraus, wennSie wirklich hergehen und sagen: Ich setze in Zusam-menarbeit mit dem Bundestagspräsidenten einen Son-derprüfer ein. Jede Firma würde bei einem solchen Vor-gang einen Sonderprüfer einsetzen. Dieser schaut in dieBücher und legt korrekt Rechenschaft ab. Ich will diesegar nicht selbst sehen. Sie brauchen sie gar nicht zu ver-öffentlichen. Aber der Bundestagspräsident muß Ein-blick in Ihre Bücher und in alle Treuhandbeziehungenhaben. Ich bin gespannt, was da alles gelaufen ist.Herr Rühe, der nach Pressemitteilungen angeblichaus dem Treuhandkonto bezahlt worden ist, muß doch,verflucht noch mal, wissen, daß es hier ein Treuhand-konto gibt. Vielleicht geben Sie auch Antworten auf dieFrage, wie zwischen 1989 und 1991 Schulden der Unionin Höhe von 40 Millionen DM plötzlich verschwundensind. Auch das ist hier breit diskutiert worden.Wir fordern von Ihnen, daß Sie nicht einfach auf dieStaatsanwaltschaft verweisen, sondern daß Sie Ihrerechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen und sichnicht – wie eben Herr von Klaeden – hierhinstellen undder Bundesregierung Vorwürfe im Zusammenhang mitWaffenlieferungen machen, die gerade in der Frage-stunde dementiert worden sind. Wenn Sie über alles sogut informiert sind wie über diesen Fall, dann dankeschön.
Nein, meine Damen und Herren, es kommt jetzt dar-auf an, daß die Union das tut, was sie kann. Sie kannmehr als die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaftkann Ihren Herrn Weyrauch nicht auffordern, Rechen-schaft abzulegen und korrekt auszuweisen, was über dieTreuhandkonten A, B oder C geflossen ist. Das könnennur Sie allein. Nur auf diese Weise kann dann der Bun-destagspräsident feststellen, ob Sie rechtswidrig Spen-den empfangen, diese nicht deklariert haben und dannentsprechende Zahlungen an die Bundeskasse leistenmüßten. Sie können sich nicht hierhinstellen und dieUnschuld vom Lande spielen. Sie müssen vielmehr dieAufgaben erledigen, die nur Sie allein erledigen können.Sie, Frau Merkel, sind die Chefin des Herrn Weyrauch.Er schuldet Ihnen komplette Auskunft. Tun Sie IhrePflicht! Dann können wir weiterreden. Jammern Sienicht, daß Ihnen so etwas vorgehalten wird, sondern ge-hen Sie endlich an die Arbeit!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist
vereinbart worden, den Antrag der Fraktionen SPD,
CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. – OSZE-
Gipfel in Istanbul – auf Drucksache 14/1959 nachträg-
lich auch den Ausschuß für die Angelegenheiten der Eu-
ropäischen Union zur Mitberatung zu überweisen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das scheint der Fall zu sein.
Dann ist das so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 11. November
1999, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.