Gesamtes Protokol
Guten Morgen, meine
Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung mache ich einige
Mitteilungen: Der Abgeordnete Peter Jacoby hat am
19. Oktober 1999 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat der Ab-
geordnete Albrecht Feibel am 29. Oktober 1999 die
Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich
begrüße den neuen Kollegen sehr herzlich.
Sodann müssen einige Änderungen bei der Besetzung
von Gremien vorgenommen werden. Die Fraktion der
SPD teilt mit, daß der Kollege Dr. Christoph Zöpel aus
dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grund-
gesetzes als stellvertretendes Mitglied ausscheidet. Als
Nachfolger wird der Kollege Gert Weisskirchen
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kol-
lege Weisskirchen als stellvertretendes Mitglied im Ge-
meinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes
bestimmt.
Der Kollege Hans Martin Bury scheidet als Mitglied
aus dem Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank
aus. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger den
Kollegen Dr. Ditmar Staffelt vor. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist
der Kollege Dr. Staffelt als Mitglied im Verwaltungsrat
der Deutschen Ausgleichsbank entsandt.
Die Fraktion der PDS teilt mit, daß der Kollege
Dr. Uwe-Jens Rössel sein Amt als Schriftführer nieder-
gelegt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Gustav-
Adolf Schur vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-
spruch. Damit ist der Kollege Schur als Schriftführer
gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um weitere Punkte, die Ihnen in einer
Zusatzpunktliste vorliegen, zu erweitern:
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.:Steuermehreinnahmen zu größeren Steuersenkungen fürdie Bürger nutzen
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erste Beratung des von den FraktionenSPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Änderungsgesetzes zur Neuordnung des Be-rufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte– Drucksache 14/1958 – 3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Hal-tung der Bundesregierung zu den jüngsten Kritiken hin-sichtlich der Wohnungsbauförderung des Bundes 4. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz durch ökologische Moder-nisierung und Verbesserung der internationalen Zusam-menarbeit – Drucksache 14/1956 –Sind Sie auch damit einverstanden? – Ich sehe, das istder Fall. Dann ist es so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesord-nungspunkt 3 auf:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs einesGesetzes zur Reform der gesetzlichen Kranken-
– Drucksachen 14/1245, 14/1721 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Gesundheit
– Drucksache 14/1977Berichterstattung:Abgeordnete Gudrun Schaich-WalchWolfgang Lohmann
Katrin Göring-EckardtDr. Dieter ThomaeDr. Ruth FuchsEs liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion derF.D.P. und der Fraktion der PDS vor. Nach der Ausspra-che werden wir über den Gesetzentwurf und den Ent-schließungsantrag der F.D.P. namentlich abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bun-desministerin für Gesundheit, Andrea Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letz-ten Monaten ist fast nichts ungesagt geblieben, was manan polemischen Äußerungen zur Gesundheitspolitik ma-chen kann.
Die Debatte ist in den letzten Wochen und Monatenimmer stärker eskaliert. Ich möchte deshalb an alle ap-pellieren, eine weitere Eskalation zu verhindern, da wires hier mit einem sehr sensiblen Feld zu tun haben, aufdem die Menschen schnell zu verunsichern sind. Selbstwenn man der Auffassung ist, daß das, was wir vor-schlagen, nicht richtig ist, kann man darüber auch kri-tisch debattieren, ohne die Menschen in Angst undSchrecken zu versetzen. Das sollte für uns alle das Ge-bot der Stunde sein.
Wir haben – das ist unbestritten – ein gutes Gesund-heitssystem und eine gute Gesundheitsversorgung. Un-sere Aufgabe ist es, sie immer wieder für die Zukunft zustabilisieren und fit zu machen. Wir stehen vor großenHerausforderungen: Der demographische Wandel, dermedizinische Fortschritt, aber auch eine andere Haltungder Menschen zum Gesundheitssystem verlangen vonuns, daß wir Reformen durchführen.
Außerdem geht ein gewisser Druck davon aus, daßtrotz aller Kostendämpfungsmaßnahmen, die in denletzten Jahren vorgenommen worden sind, die Beiträgeimmer wieder gestiegen sind. 1991 lag der durchschnitt-liche Beitragsatz der Krankenversicherung noch bei12,2 Prozent; bis 1998 ist er auf 13,6 Prozent gestiegen.Insgesamt gesehen, kann man nicht davon sprechen, daßwir geordnete finanzielle Verhältnisse vorgefunden ha-ben.
Die Situation in Ostdeutschland ist schon seit Jahren be-kannt gewesen; das Problem der Verschuldung der Ost-kassen ist in den letzten Jahren zumindest nicht weitrei-chend genug angegangen worden.
Mit dem Solidaritätsstärkungsgesetz haben wir da-für gesorgt, daß wir 1999 ein ausgeglichenes Ergebnishaben werden – und das trotz der Ausgabenzuwächse imArzneimittelbereich, der beschlossenen Leistungsver-besserungen und der Absenkung der Zuzahlungen.
Wir können jetzt zwar von einem ausgeglichenen Er-gebnis ausgehen. Wenn wir die Zustimmung der Versi-cherten und Patienten zu diesem System auf Dauer er-halten wollen, dann kommen wir um Reformen nichtherum, die zwei Anforderungen miteinander vereinba-ren, nämlich einerseits die Beitragsstabilität, das heißtdie Kostenentwicklung, immer wieder im Blick zu be-halten und andererseits eine Modernisierung der innerenVerhältnisse des Gesundheitswesens anzustreben.
Das ist der Grund, warum wir auf strukturelle Refor-men setzen, die die Effizienz steigern und neue Versor-gungsformen ermöglichen sollen. Ich bin mir sicher:Auch heute wird jemand – viele unserer Gegner habendas immer wieder getan – sagen, wir brauchen einenlängeren Diskussionsprozeß. Auch was das Verfahrenanlangt, werden Sie dieses Argument vermutlich wiederanbringen. Ich will nur noch einmal sagen: Wir habenhier ein fast einjähriges geordnetes Gesetzgebungsver-fahren hinter uns.
Das heißt, es gibt überhaupt keine Veranlassung, so zutun, als müsse man noch einmal von vorn anfangen.
Ich meine grundsätzlich, daß sich niemand auf das Ter-rain von formalen Einwänden begeben sollte, wenn es inWirklichkeit um politische Differenzen geht.
Uns ist immer wieder, auch jetzt, vorgeworfen wor-den, wir würden nur Kostensenkung oder Kostendämp-fung machen. Ich meine, daß dieser Vorwurf auf seineUrheber zurückfällt.
Denn in diesem Gesetz geht es wie bei noch keinem zu-vor darum, inhaltliche Verbesserungen zu machen. DieStichworte dazu sind: mehr Patientennähe, mehr Quali-tät, mehr Kooperation zwischen den Leistungserbrin-gern. Das sind die Zukunftsthemen der Gesundheits-politik. Wer mit uns darüber nicht redet, muß sich fragenlassen, warum er über diese inhaltlichen, strukturellenVeränderungen nicht spricht, sondern immer nur aus-schließlich über die Frage: Was ist der gesamte finanzi-elle Rahmen für das Gesundheitssystem?
Deswegen will ich jetzt noch einmal die wichtigstenPunkte festhalten und Argumente dafür bringen, warumwir sie gemacht haben.Die mangelnde Kooperation zwischen ambulantemund stationärem Bereich wird seit langem beklagt – undzwar auch von denjenigen, die dort arbeiten, nicht nurvon den Beobachtern des Systems und den Patientinnenund Patienten. Das wirkt kostentreibend und führt zuPräsident Wolfgang Thierse
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einer schlechteren Versorgung, wovon insbesondereauch chronisch Kranke zu berichten wissen. Das ist derGrund, warum wir sagen: Wir wollen die integrierteVersorgung, mit der wir in den letzten Jahren gute Er-fahrung gemacht haben, zu einem Bestandteil der Re-gelversorgung machen. Wir wollen die Rolle des Haus-arztes als Lotsen durch dieses immer komplexer wer-dende System stärken. Ferner haben wir ein weiteresBündel von Maßnahmen zur besseren Verzahnung derbeiden Bereiche vorgesehen.Ich meine, daß diese konkreten Vorschläge auch einekonkrete Debatte verdienen und nicht in dieser allge-meinen Aufgeregtheit untergehen sollten. Ich finde siewirklich bemerkenswert. Wir haben dort ja Sachen auf-gegriffen, die seit langem in der Debatte sind und seitlangem gefordert werden.Deshalb frage ich die Opposition im Parlament heute:Unterstützen Sie das nicht? Wollen Sie nicht, daß wirneue Versorgungsformen einführen und möglich machen?Wollen Sie tatsächlich, daß in diesem Bereich alles beimalten bleibt, daß Patienten und Patientinnen hin und hergeschoben werden und das Problem von Doppel- undMehrfachuntersuchungen nicht angegangen wird?
Ein weiterer Punkt: mehr Qualität in der Versorgungdurch die Orientierung an anerkannten Leitlinien und dieEinführung verbindlicher Verfahren des Qualitätsma-nagements. Auch hier hat das deutsche Gesundheitswe-sen erheblichen Nachholbedarf.
Aber: Nur eine qualitätsgesicherte Versorgung ist aucheine wirtschaftliche Versorgung. Alle reden gern über dieverschiedenen ökonomischen Instrumente, die uns zurSteuerung im Gesundheitswesen zur Verfügung stehen.Dabei gerät aber meines Erachtens völlig aus dem Blick,welche große Bedeutung Qualitätssicherung auch als einSteuerungsinstrument in der Gesundheitspolitik hat.Zu dieser besseren Steuerung gehört auch eine Verbes-serung der Daten. Um das direkt vorwegzunehmen: Wirhaben im Laufe der Beratung mit den Datenschützernaus Bund und Ländern eine Verständigung über die Ver-änderungen, die wir vornehmen, erreicht. Von Daten-schützerseite wird die Auffassung vertreten, daß die Re-gelungen zum Patienten- und Datenschutz, die wir jetztvereinbart haben, besser sind als das, was vorher galt.
Gleichwohl bieten sie uns verbesserte Datentransparenz,die wir brauchen, wenn wir wissen wollen, was im Ge-sundheitswesen los ist.
Auch die größere Patientenorientierung ist im deut-schen Gesundheitswesen seit langem überfällig. In derPraxis ist das paternalistische Verhältnis zwischen Arztund Patient ohnehin Vergangenheit. Die Menschen en-gagieren sich für ihre Gesundheit. Sie wollen einbezo-gen werden. Sie wollen informiert werden. Sie wollenwissen, was warum geschieht. Dem, was sich in derPraxis vollzieht, müssen die Strukturen des Gesund-heitswesens Rechnung tragen.Dazu gehört auch, daß wir der Eigenverantwortungder Gesundheitspolitik eine andere Rolle zuweisen. Dasist einer der Gründe dafür, warum wir die Präventionund die Gesundheitsförderung in diesem Gesetz gestärkthaben.
Wir wollen mit diesem Gesetz dem Grundsatz „am-bulant vor stationär“ zum Durchbruch verhelfen. Zudemwollen wir die Kosten für den Klinikbereich begrenzen.Die Maßnahmen dazu sind: Änderungen bei der Kran-kenhausplanung und Einführung eines neuen Preissy-stems im Krankenhausbereich sowie eines Stufenplansfür eine monistische Krankenhausfinanzierung.Letzteres ist einer der umstrittensten Punkte. Ich habe indiesem Zusammenhang mit Interesse zur Kenntnis ge-nommen, daß der Bundesrat mit sehr großer Mehrheitbeschlossen hat, daß das Verfahren der monistischen Fi-nanzierung, wie es in unserem Gesetzentwurf vorgese-hen ist, auch auf die Hochschulkliniken anzuwenden ist.Offenkundig ist die Skepsis gegenüber der Monistikdoch nicht ganz so groß, wie es manche öffentliche De-batte erscheinen ließ. In diesem Sinne bin ich wirklichsehr gespannt auf die Diskussion mit den Ländern überdiesen Bereich.In dieser ganzen Debatte gerät die geplante Verände-rung des Preissystems häufig aus dem Blick. Ich haltedas für einen Fehler, weil ich glaube, daß wir in diesemPunkt an der richtigen Stelle ansetzen, um die Wirt-schaftlichkeit der Krankenhäuser zu fördern. Wir habenauch in den Diskussionen gemerkt, daß die Kranken-hausseite diesen Teil durchaus begrüßt. Ich kann mirnicht vorstellen, daß es im Sinne der CDU-Oppositionhier im Haus und der CDU-geführten Länder ist, dieKrankenhausentwicklung nicht zu steuern und der zu-nehmenden Verschiebung der Kosten hin in den Kran-kenhausbereich der letzten Jahre einfach zuzusehen. Ichdenke, daß es gute Gründe gibt, gemeinsam nach einemWeg zu suchen.
Ein Thema, das in den letzten Wochen eine eigeneDynamik entwickelt hat, betrifft die Sozialmauer zwi-schen Ost und West im Gesundheitsbereich. In denletzten Jahren ist zum Abbau dieser Mauer zu weniggetan worden. Wir als neue Bundesregierung haben mitdem Solidaritätsstärkungsgesetz schon einen wichtigenSchritt getan.In den letzten Monaten hat sich die Problematiknoch einmal deutlich verschärft. Die Schulden der be-troffenen Kassen sind weiter gestiegen, und gleichzei-tig hat es deutliche Mitgliederwanderungen gegeben,die bei ihnen noch einmal zu einer VerschlechterungBundesministerin Andrea Fischer
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5832 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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der Mitgliederstruktur und damit der Finanzsituationgeführt haben. Wir haben seit Monaten in einer Viel-zahl von Gesprächen – es handelt sich hier um einenlangen Prozeß – nach einer einvernehmlichen Lösunggesucht.
Dabei hat sich gezeigt, daß die sehr unterschiedlichenInteressen der Beteiligten einer Lösung nicht ganz zu-träglich waren.Ich weiß, daß der Vorschlag, den wir jetzt gemachthaben, umstritten ist. Aber ich vertrete ihn mit vollerÜberzeugung. Wir haben für die kurzfristig unerläßlicheEntschuldung Bedingungen gestellt, die dazu führen,daß wirklich nur die Kassen, die nicht auf Grund eige-nen Versagens, sondern auf Grund der BesonderheitenOstdeutschlands in den zehn Jahren seit der VereinigungSchulden aufgehäuft haben, in den Genuß der Entschul-dung kommen – und dies auch nur teilweise – und dasSystem immer noch dazu verpflichtet ist, sich internauszuhelfen. Wir haben außerdem dafür gesorgt, daßdiese Mittel wirklich nur zur Entlastung bei den Alt-schulden herangezogen werden und nicht dazu verwen-det werden dürfen, sich damit ungerechtfertigte Wett-bewerbsvorteile zu verschaffen. Ich halte das Vorgehenunter diesen Bedingungen für vertretbar.Wir haben darüber hinaus dieses kurzfristige Pro-gramm mit einer langfristigen Perspektive verknüpft. Ichfinde, daß die Beschwerden aus Ostdeutschland berech-tigt sind, daß es nach 10 Jahren deutscher Einheit wirk-lich höchste Zeit ist, zu einer Angleichung der Regel-kreise zu kommen. Wir haben deswegen die Schrittedorthin aufgezeigt. Wir wissen, daß das ein schwierigerProzeß ist, aber ich glaube, daß wir alle miteinander guteGründe haben, diesen Prozeß endlich anzugehen.
Eines möchte ich hier ganz deutlich sagen: Ich weiseentschieden den Vorwurf zurück, es handele sich hierum irgendeine Art von Trick, mit dem wir Zustimmungerkaufen oder gar erpressen wollten.
Wir haben das in die laufende Gesetzgebung einbezo-gen, weil die Zeit für die betroffenen ostdeutschen Kas-sen wirklich drängt.
Sie sind hier gefordert. Sie müssen sich der Frage stel-len, ob Sie wirklich zuschauen wollen, wie in Ost-deutschland einige Kassen in den Ruin getrieben wer-den. Das wird weitreichende Folgen haben, weit überdie betroffenen Kassen hinaus, auch für das Vertrauender Menschen in unser Sozialversicherungssystem.Deswegen sage ich noch einmal: Ich finde, auch Siehaben eine Verpflichtung als Opposition, daß wir hiereinen gemeinsamen Weg finden. Ich meine, daß es keineVeranlassung gibt, diese Frage in die polemische Aus-einandersetzung so einzubeziehen, wie Sie es tun.
Kollegin Fischer, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thomae?
Nein, ich würde gerne fortfahren.
In den vergangenen Monaten wurde kein Bestandteildes Gesetzes so engagiert diskutiert wie die Maßgabe,daß Beitragssatzstabilität auch in Zukunft das Maß derAusgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversi-cherung bilden soll.Mich hat gestern jemand gefragt, wer eigentlich dasGebot der Beitragssatzstabilität erfunden habe. Das isteine gute Frage, auf die es eine einfache Antwort gibt:Es sind die Versicherten, die der Meinung sind, daß ihreBelastung mit den Sozialversicherungsbeiträgen in denvergangenen Jahren ein Maß erreicht hat, das sie über-strapaziert hat und überfordert hat. Ganz zu schweigenvon den sonstigen Auswirkungen. Ich will uns aber alleökonomischen Diskurse über die Bedeutung der Lohn-nebenkosten für die Arbeitsmarktentwicklung ersparen.Ich meine, daß Beitragssatzstabilität ein wichtigesGebot ist, bei dem wir darauf achten müssen, daß wirdiese starke Forderung der Mitglieder dieses Sozialsy-stems auch erfüllen.
Deswegen bin ich der Auffassung, daß die Debatten, diewir darüber in den letzten Monaten zu führen hatten,häufig wirklich an dem Problem vorbeigingen und auchan der politischen Aufgabe vorbeigingen, daß man soli-darische Systeme nicht überstrapazieren darf, weileinem sonst die Menschen einfach die Gefolgschaft auf-kündigen.Wir erleben es jetzt schon, daß zum Wechselterminbei den Krankenkassen eine wachsende Anzahl der jun-gen Gesunden sich die billigsten Kassen sucht. Es han-delt sich dabei um so etwas wie eine Abstimmung mitden Füßen.
Wenn wir das vermeiden wollen, müssen wir die Bei-tragssatzstabilität für das gesamte System zu einemwichtigen Leitpunkt für die Gesundheitspolitik machen.
Bundesministerin Andrea Fischer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5833
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Ich habe von der Union immer gehört, daß sie das imGrund auch nicht in Frage stellen will.
Aber so richtig hat sich mir das alles noch nicht er-schlossen.
Ich kann bisher nur erkennen, daß man gegen unsereVorschläge zur Steigerung von Qualität und Effizienzist. Dagegen zu sein ist ja nicht so schwer, aber selbstmeine aufmerksame Lektüre aller einschlägigen Redenund Vorschläge hat meine Verwirrung eher gesteigert,als daß sie zur Klarheit geführt hat. Einmal ist da dieRede von 20 DM pro Arztbesuch.
Dann wird eine Erhöhung von Zuzahlungen allgemeinins Spiel gebracht. Dann geht es darum, einen Selbstbe-halt von 300 DM pro Versichertem oder auch Wahltarifefür angebliche zusätzliche Leistungen einzuführen, wor-unter sogar Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitati-on fallen.Wenn ich die vielen Vorschläge, die ich gelesen undgehört habe, richtig verstehe,
läuft alles darauf hinaus, daß von seiten der Union dieBeitragssatzstabilität dadurch gesichert werden soll, daßzu Lasten von Versicherten und Patienten mehr Geld insSystem kommt. Dies ist Voraussetzung.
Das Argument dafür, daß man mehr Geld braucht, lau-tet: Das, was wir haben, reicht nicht aus, und auch dievorgesehenen Steigerungen sind nicht ausreichend.Nach Maßgabe des Gesetzentwurfes, der heute hierzur Debatte und Abstimmung steht, würde eine Steige-rung der Grundlohnsumme um 2 Prozent bedeuten, daßim kommenden Jahr 5 Milliarden DM mehr ins Systemfließen. Jetzt stellt sich die Frage: Reicht das nicht? Wasbraucht man mehr? Sie sagen, wir könnten die Zuzah-lungsabsenkung vom letzten Jahr zurücknehmen. Dieswürde 1 Milliarde DM bringen. Reicht das dann, um denmedizinischen Fortschritt zu finanzieren? Oder meinenSie, es muß eine erheblich größere Summe sein? Dannmüßten Sie schon richtig zulangen. Jetzt haben wir Zu-zahlungen der Patienten für diverse Leistungen in Höhevon rund 12 Milliarden DM. Wenn Sie mehr Geld ineiner nennenswerten Größenordnung in das System flie-ßen lassen wollen, müssen Sie vermutlich die bestehen-den Zuzahlungen verdoppeln. Sie müßten schon sagen,um welche Größenordnung und um welche Mittel es Ih-nen geht. Dann sollten Sie darüber die Auseinanderset-zung mit Patientinnen, Patienten und Versicherten su-chen.Teil des Problems der Union 1998 war auch – wennich die Debatte richtig verfolgt habe –, daß die Men-schen den Eindruck hatten, ihre Belastung durch Zu-zahlungen sei definitiv an eine Grenze gekommen.
Ich glaube, daß man dem Problem nicht ausweichenkann, indem man irgendeine neue Geldquelle auftut.Man muß sich wirklich den strukturellen Reformenstellen und sehen, was man innerhalb dieses Systemsändern muß. Ich finde, deswegen sind Sie in der Pflicht,sich mit den strukturellen Vorschlägen stärker auseinan-derzusetzen, als das bislang geschehen ist.
Es ist völlig klar, daß in einem solidarischen Versi-cherungssystem nicht alles, was man sich vorstellt, fi-nanziert werden kann, sondern eben – das ist eine schonlange bestehende Regel – nur das, was notwendig undzweckmäßig ist. Die Entscheidung darüber ist nicht ein-fach. Sie mußte immer schon getroffen werden und wirdauch in Zukunft zu treffen sein. Die Mittel werden im-mer begrenzt sein. Das ist völlig klar. Deswegen müssenauch wir als Politiker uns dazu bekennen, daß dieses Sy-stem Grenzen bezüglich dessen hat, was es finanzierenkann.Aber – das ist der Punkt, wo ich behaupte, daß meineGegner eine bewußte polemische Zuspitzung vorneh-men, die mit der Sache nichts zu tun hat –
diese Erklärung hat mit Rationierung nichts zu tun.
Denn Rationierung würde bedeuten, daß den Menschendas Notwendige vorenthalten wird. Das wird und soll esnicht geben. Deswegen machen wir genau diese Reform.
Für die schwierige Entscheidung darüber, welche Ko-sten die gesetzliche Krankenversicherung übernimmtund welche nicht, brauchen wir rationale Kriterien, diesich an der medizinischen Notwendigkeit orientieren.Deswegen schreiben wir in dieses Gesetz Maßnahmenzur Qualitätssicherung. Diese, eine unabhängige Tech-nologiebewertung und auch die Positivliste sollen ge-nau dazu dienen. Auch im Wissen darum, wie schwierigdiese Entscheidung ist – übrigens auch als Konsequenzaus einer Debatte, die in den letzten Monaten geführtwurde, in deren Rahmen viele Behauptungen in die Weltgesetzt wurden –, erscheint es uns sinnvoll, daß wir denSachverständigenrat mit einem regelmäßigen Berichtzum notwendigen Bedarf und den finanziellen MittelnBundesministerin Andrea Fischer
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5834 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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beauftragen. Vielleicht können wir dann eine gemein-same Gesprächsgrundlage darüber, was in unserem Sy-stem notwendig ist, finden und diese Debatte mehr aufden Punkt bringen.
Kollegin Fischer, ge-
statten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Tho-
mae?
Nein, ich möchte immer noch meine Ausführungen zu
Ende bringen.
Wer der Meinung ist, daß das, was wir hier in diesem
Gesetzentwurf vorgelegt haben, so nicht richtig ist, der
muß wirklich Alternativen auf den Tisch legen. Wir dis-
kutieren jetzt seit fast einem Jahr über den Gesetzent-
wurf und haben von Ihnen keine wirklichen Alternativen
gehört.
Wir wissen ganz genau, daß wir für diesen Gesetz-
entwurf die Zustimmung der Länder brauchen. Ich wer-
be für diese Zustimmung, weil ich glaube, daß dieser
Gesetzentwurf sie verdient hat. Verständigung zwischen
Bund und Ländern setzt Kompromiß- und Verände-
rungsbereitschaft voraus. Ich glaube, daß wir das immer
deutlich gemacht haben.
Die Union muß sich entscheiden. Wenn Sie Ihre Be-
hauptung ernst meinen, daß eine Blockadepolitik das
Schlechteste ist, was diesem Land passieren kann, dann
blockieren Sie diesen Gesetzentwurf nicht einfach nur,
sondern diskutieren Sie mit uns über Veränderungen!
– Trotz der Art und Weise, wie Sie mich hier anbrüllen,
werde ich mich nicht davon abbringen lassen, Sie zu
einem Gespräch über mögliche Gemeinsamkeiten ein-
zuladen. Ich lade für den kommenden Donnerstag die
Oppositionsfraktion der CDU/CSU, die B-Länder und
die A-Länder zu einem Gespräch bei mir ein. Zusammen
mit den Koalitionsfraktionen können wir über Ihre Än-
derungsvorschläge reden.
– Herr Zöller, wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt,
der in einem ausführlichen Beratungsverfahren – das ist
die Geschäftsgrundlage für Gespräche – zustande ge-
kommen ist. Ohne ein solches Beratungsverfahren wür-
den Sie uns wahrscheinlich den Vorwurf machen – da
bin ich sicher –, wir wüßten nicht, was wir wollten. Von
daher glaube ich, daß wir über den dann verabschiedeten
Gesetzentwurf miteinander reden können.
Meines Erachtens können wir aber nicht so tun, als
könnten wir jetzt „zurück auf Los“. Die Lage duldet
keinen Aufschub. Wenn wir die Dinge jetzt auf die lan-
ge Bank schieben,
dann ergeben sich zwei, wie ich finde, durchaus uner-
quickliche Alternativen, die ich deutlich machen will:
Die eine Alternative wäre eine unkontrollierte Aus-
gabenentwicklung. Diese Befürchtung hat auch der
Bundesrat in seiner Stellungnahme geäußert, weswegen
er diese Alternative nicht will.
Wir hätten Defizite und Beitragssatzerhöhungen. Das
kann keiner wollen. Die andere Alternative wäre, daß
wir zu neuen Zwischenlösungen gezwungen wären. Ich
glaube, auch das ist keine gute Alternative. Beide Alter-
nativen wären keine Lösung der vor uns stehenden Pro-
bleme.
Gerade vor dem Hintergrund, mit welcher Emphase
Sie in den letzten Monaten die Auffassung vertreten ha-
ben, daß die Menschen ein anderes Gesundheitswesen
verdient haben, haben Sie wirklich die Verantwortung,
Ihre Position und unsere Position zu einer gemeinsamen
zu machen und die Verabschiedung dieses Gesetzent-
wurfs nicht einfach zu blockieren.
Die Menschen sind durch die Debatten in den letzten
Monaten gründlich verunsichert. Sowohl die Patientin-
nen und Patienten als auch die im Gesundheitswesen
Beschäftigten haben es verdient, daß wir zu einem ge-
meinsamen Weg finden und aus dem von der Bundesre-
gierung vorgelegten Gesetzentwurf, den der Bundestag
heute mit Mehrheit verabschieden wird, eine erfolgrei-
che Reform machen. Wir befinden uns in einem demo-
kratischen Vorgang. – Ich wundere mich darüber, wel-
che Aufregung er bei Ihnen hervorruft. – Das zu akzep-
tieren ist die Grundlage für gemeinsame Gespräche. Sie
sollten Ihrer Verantwortung gerecht werden!
Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Kol-legen Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion, dasWort.Bundesministerin Andrea Fischer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5835
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie merken: Ichbin verschnupft.
Deswegen komme ich auch gleich auf das Verfahren zusprechen.Frau Ministerin, Sie hielten es gerade für richtig, denAblauf dieser sogenannten Gesundheitsreform als eingeordnetes Verfahren zu bezeichnen.
Wenn Sie das behaupten, muß ich sagen, dann wissenSie nicht mehr, was überhaupt in dem Gesetz steht.
Darauf, was uns hier zugemutet wird, komme ichnoch zu sprechen. Vorweg nur noch eines: Verbesserungder Patientenrechte. Na, bravo! Großartig! Daß man denPatienten künftig Leistungen vorenthält, an die sie ge-wöhnt waren, das sind die Verbesserungen der Patien-tenrechte. – Aber ich will, weil ich auch Berichterstatterbin, in der Chronologie bleiben.Meine Damen und Herren, Ihre löblichen Zielvorstel-lungen, die Überschriften haben wir heute wieder gehört.Aber man kann sagen: Durch die Änderungsanträge istaußer diesen Zielvorstellungen und Überschriften nichtsin diesem Gesetzentwurf unverändert geblieben.
Dabei müssen wir einmal auf das sogenannte Solidari-tätsstärkungs- oder Vorschaltgesetz zurückblenden, HerrDreßler. Damals hieß es, dies sei dringend notwendig, umdie ständigen Beitragssatzsteigerungen zu vermeiden undum die Ruhe zu gewinnen, eine wirkliche Gesundheits-reform zu konzipieren und zu entwickeln. Bei dieser Ge-legenheit haben Sie, Frau Schaich-Walch, und andere sich– nicht nur privat, sondern auch öffentlich; deshalb sageich es hier auch – bei uns bedankt und sich teilweise we-gen dieses weiß Gott chaotischen Verfahrens sogar ent-schuldigt. – Sie nicken. Ich danke Ihnen dafür.Ich wäre danach jede Wette eingegangen, daß Sie et-was auch nur annähernd Ähnliches nicht wieder tunwürden. Aber weit gefehlt, meine Damen und Herren.Wir lasen im ersten Halbjahr dieses Jahres in den Zei-tungen zunächst von Streit in der Koalition: Dreßler ge-gen Fischer; der Kanzler unterstützt wiederum Frau Fi-scher. Er hat mit Sicherheit diesen späteren Entwurfnicht gelesen; aber hierbei geht es ja auch um andereDinge. Dann hörte man, es liege nunmehr ein Referen-tenentwurf vor. Aber dieser durfte bei der Veröffentli-chung nur „Arbeitsentwurf“ genannt werden, weil dieSPD – und vor allen Dingen Herr Dreßler – noch erheb-liche Bedenken hatte.
Schließlich fand am 30. Juni die erste Lesung hier imHause statt, und ab 8. September dieses Jahres wurdeder Gesetzentwurf beraten.Eine Anhörung mußte stattfinden. An vier Tagen, undzwar am 9. und 10. September und am 21. und 22. Sep-tember, fand diese statt. Natürlich können die Protokollenicht fertig sein. Uns wurde zugesagt, wir würden dieProtokolle über diese viertägige Anhörung am 18. Okto-ber erhalten. Nichts geschah. Inzwischen liegen dieProtokolle von zwei Tagen bzw. seit gestern von dreiTagen vor, nicht aber vom vierten Tag.
Aber das ist noch längst nicht alles. – Ich lasse jetzteinige Zwischenstationen weg. – Nachdem Sie uns biseinschließlich gestern mit insgesamt 345 Seiten Ände-rungsanträgen – –
– Insgesamt 345 Seiten Änderungsanträge,
davon alleine rund 60 Seiten am letzten Beratungstag, andem die Entscheidung fallen sollte. Was daran seriössein soll, kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Nun haben Sie ja in letzter Minute, in einer Sonder-sitzung am 29. des vergangenen Monats, noch erkannt,daß die Frage der Ostkassen, vor allem die der AOK,dringend einer Lösung bedarf.
Wir haben monatelang auf eine Vorlage in Form eineseigenen Gesetzes gewartet. Wir haben es bedauert, daßSie als eine der ersten Amtshandlungen den Auftrag, dender Sachverständigenrat vom früheren Gesundheitsmi-nister Seehofer bekommen hatte, nämlich genau zu die-ser Frage Stellung zu nehmen und eine seriöse Bera-tungsgrundlage zu erarbeiten, zurückgenommen haben.– Als erste Amtshandlung haben Sie übrigens den Sach-verständigenrat entlassen. – Und nun wird, wie Sie sa-gen, in monatelanger Diskussion – ich füge hinzu: hinterverschlossenen Türen –, mit wem auch immer, darübergesprochen, und dann kommt, wie gesagt, in der Son-dersitzung eine Vorlage, die dringend der Anknüpfungan dieses Gesetz bedarf.
Ich gehöre zu denjenigen – Sie werden das bestätigen–, die bisher immer gesagt haben: Ich spekuliere nicht,was der Hintergrund dessen ist, obwohl es in allen Zei-tungen stand. Aber wenn Sie jetzt die Stirn haben, zubehaupten, daß das Ganze nichts mit dem Versuch zutun hat, die Ostländer zur Zustimmung zu bewegen
– nein, im Moment nicht, Dieter Thomae; ich weißschon, was ich sagen möchte –,
dann muß ich – leider – Sie selber unmittelbar ins Visiernehmen.
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5836 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Mir liegt ein Aktenvermerk vor, in dem es heißt: DasEntschuldungsprogramm sollte allerdings nicht, wie vonIhnen – vom Ministerium – intendiert, in einem speziel-len Gesetz, Finanzhilfegesetz, geregelt werden. – DieserMeinung waren wir auch. – Es drängt sich angesichtsder Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat vielmehr gera-dezu auf, diese Materie in der Gesundheitsreform 2000zu behandeln, um den Bundesländern Thüringen undSachsen Sachgründe an die Hand zu geben, dem Ge-samtpaket zuzustimmen.
Soviel dazu. Ich möchte daraus nicht weiter zitieren.Ich möchte nur auf die heutigen Überschriften „Me-tamorphose einer Gesundheitsreform“, „Die Frau mitden leeren Händen“ aus der „Süddeutschen Zeitung“sowie „Fischers Gesundheitsreform ist nicht zu retten“,„Gesundheitsreform vor dem Aus“ und „Auch Ersatz-kassen fordern Neuanfang“ hinweisen. Nein, Ihr Bera-tungsverfahren war nicht seriös.Ein Letztes zu der gestrigen Sitzung: Wir haben denAntrag gestellt, das Problem mit den Ostkassen abzu-trennen und möglichst – wenn Sie es wollen – sofortwieder in einem eigenen Gesetz einzubringen, über daswir reden können. Dies haben Sie abgelehnt. Nachdemdie Anhörung über die Änderungsanträge – 345 Seitenumfassend – endlich beendet war, haben wir gefragt:Wie soll jetzt seriös weiterberaten werden? KeinMensch – auch Sie nicht – blickt noch durch, was mitdem Gesetz im einzelnen geschehen soll. Auf unsereFrage hin wurde uns von Herrn Dreßler gestern gnädi-gerweise zugestanden, man könne ja noch zwei Stundendarüber reden. Nachdem wir bereits zig Stunden
– zwei Stunden – beraten hatten, sollte noch weiter überden Gesetzentwurf geredet werden, um dann erklären zukönnen: Sieh doch, Öffentlichkeit! Wir haben doch seriösberaten. – Aber wir wären in zwei Stunden möglicher-weise erst bis Antrag C gekommen; denn die Zeit warkurz, weil bis gestern 24.00 Uhr die Beschlußvorlage desAusschusses in den Fächern sein mußte. Wenn man diesnicht geschafft hätte, dann wäre der Zeitplan zum Teufelgewesen. Nein, dies war keine seriöse Beratung.Nun möchte ich noch einige Bemerkungen zu demReformentwurf selbst machen, damit Sie nicht sagenkönnen, wir wüßten nicht, worum es eigentlich geht. Ei-nige von uns wissen tatsächlich nicht, worum es geht. Inder gestrigen Beratung hat unser Kollege Zöller – ichsage gelegentlich: „Z“ in Zöller steht für Zahlen undZähne – Ihnen nachgewiesen, daß allein 30 Seiten in denÄnderungsanträgen doppelt waren. Diese Seiten mußtenwieder herausgenommen werden. Es war also chaotisch.
Danach wurden neue Anträge gestellt. Wir haben daraufhingewiesen – dies ist eines der wenigen Minderheiten-rechte, die wir noch haben –, daß darüber beraten wer-den muß. Daraufhin gab es eine Unterbrechung. Einigeriefen: Wir setzen das aus! Andere riefen: Nein, wir set-zen das ab. Wir haben abgewartet. Als wir in den Aus-schuß zurückkehrten, hieß es: Wir ziehen den Antrag zu-rück. So lief die gestrige Sitzung ab.Zur Bewertung. Diese sogenannte Gesundheitsre-form richtet sich nach unserer Auffassung in ihrer Wir-kung gegen die Kranken, gegen die Versicherten, gegendie Arbeitnehmer,
gegen die Gesundheitsberufe und letztlich auch gegendie Länder.
Mit diesem Entwurf werden dem Gesundheitswesen er-forderliche Mittel entzogen und wird die Entscheidungs-freiheit der Patientinnen und Patienten, der Ärztinnenund der Ärzte sowie der Beschäftigten in anderen Ge-sundheitsberufen beeinträchtigt. Durch ihn wird in zu-nehmendem Maße die Entwicklung hin zu einem Kas-senstaat vorangetrieben. Der Gesetzentwurf hat einÜbermaß an Bürokratie zur Folge. Durch ihn werden diebedarfsorientierten Plankontingente durch Bürokratie er-setzt. Durch ihn werden Selbständigkeit und Neugrün-dungen erschwert und Beschäftigungschancen verhin-dert. Die Selbstverwaltung und die Tarifautonomie imGesundheitswesen werden nicht beachtet. Sie enthaltenden Versicherten, die sich keine private Vorsorge leistenkönnen, eine optimale medizinische Versorgung vor,obwohl Sie eben erklärt haben, Sie wollten die Rechteder Patienten verbessern.Mit dem Globalbudget wird der Weg zur Rationie-rung der Gesundheitsleistungen bereitet. Dies ist unbe-streitbar.
Im Grunde genommen bestätigt jeder: Ein Globalbudgetmit einem Unterbau sektoraler Budgets, das ganz unab-hängig von der medizinisch-technischen Entwicklung,von der Überalterung der Bevölkerung und von demnotwendigen Bedarf in den einzelnen Bereichen ist, mußdazu führen, daß den Menschen Leistungen vorenthaltenwerden. Das wird nicht mehr bestritten. Wir lehnen jedeBudgetierung ab,
weil wir, Herr Dreßler, dazugelernt haben.
– Das ist gar keine Frage.Wahrscheinlich werden Sie sich ja noch an Lahnsteinund Ihre Sternstunden erinnern. Seitdem ist viel Zeitvergangen, und wir haben gemeinsam dazugelernt, daßdie frühere Politik der immer weitergehenden Kosten-dämpfung nicht fortgesetzt werden kann. Das ist in denReformgesetzen der letzten Legislaturperiode schonüberdeutlich geworden. Es fehlt in diesem Gesetz jedeAuseinandersetzung mit der nicht ausreichenden Ein-Wolfgang Lohmann
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nahmeentwicklung der Krankenkassen auf Grund deranhaltend hohen Arbeitslosigkeit, auf Grund unstetigerBeschäftigungsverhältnisse und der dadurch sinkendenLohnquote.Herr Dreßler, da ja jetzt, wie gesagt, über Einnahmennicht gesprochen wird, versucht die Frau Ministerin ir-gendwelche Unterstellungen. Wenn ich alles zitierenwürde, wer von Ihnen bei verschiedenen Gelegenheitenmit welchen Vorschlägen gekommen ist, dann würde jader Rest von Durchsicht verlorengehen. Diese oder jeneBemerkung von diesem oder jenem Kollegen ist dochkein Vorschlag, ist doch kein Antrag, sondern es kommtauf das an, was Sie hier vorgelegt haben. Herr Dreßler,ich zitiere einmal, weil auch Sie ja nicht über Einnah-men sprechen wollen:Die gesetzliche Krankenversicherung braucht mehrEinnahmen. Dies war das Fazit eines von der kas-senärztlichen Bundesvereinigung veranstaltetenSymposiums.Da heißt es wörtlich:Das Gesundheitssystem braucht mehr Einnahmen.Die finanziellen Probleme lassen sich langfristignicht durch Einsparungen lösen. Denn Kürzungenführen zu einem Kellertreppeneffekt. Stufe um Stu-fe gerät man auf ein niedrigeres Leistungsniveau,bis es nicht mehr weitergeht, weil man unten ange-kommen ist. Eine dauerhafte Lösung sieht der So-zialdemokrat nur in einer Verbreiterung der Bemes-sungsgrundlage.Dieser „Sozialdemokrat“ war aber nicht irgendwer, son-dern es war Rudolf Dreßler. Die Einnahmen also sindproblematisch, und die Ausübung von Druck über bud-getierte Ausgaben führt zum Kellertreppeneffekt. Darinstimmen wir mit Ihnen voll überein.
Der Entwurf gibt auch keine Antwort auf die Heraus-forderungen der demographischen Entwicklung – ichsagte es bereits: von Eigenverantwortung der Versi-cherten kann natürlich nicht mehr geredet werden –,sondern er ist im Gegenteil getragen von einem tiefenMißtrauen gegenüber den Leistungserbringern und denVersicherten. Er ignoriert völlig die Frage, ob der Lei-stungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung an-gesichts der veränderten Rahmenbedingungen nochzeitgemäß ist, ob er mit den vorhandenen, begrenztenMitteln weiter finanziert werden kann. Alles das findetnicht statt. Und dann kommt dieses Gesetzeswerk, bür-det der Selbstverwaltung unlösbare Aufgaben auf. Sie istschlicht überfordert. Der Vertreter der Ersatzkassen hatja nicht zu dem Ostkassenproblem, sondern gerade zudiesem Problem in der öffentlichen Anhörung gesagt,das sei schlicht nicht umsetzbar.Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um von vorn-herein der Legendenbildung vorzubeugen. Sie tun jetztso, als wäre wegen der Ablehnung dieses Gesetzent-wurfs – ich tue mich immer wieder schwer, dazu „Ge-setzentwurf“ zu sagen – gleichzeitig die Verantwortungfür Beitragssatzerhöhungen spätestens ab Mitte näch-sten Jahres bei uns abzuladen. Meine Damen und Her-ren, seit Monaten sagen diejenigen, denen Sie immergroße Glaubwürdigkeit beimessen, nämlich die Kran-kenkassen, daß völlig unabhängig von diesem Gesetzerhebliche Beitragssatzsteigerungen kommen werden,weil Sie durch Ihr Vorschaltgesetz ja nicht nur auf Zu-zahlungen verzichtet haben, nicht nur auf die Finanzie-rung im Krankenhausbereich, das sogenannte Notopfer,verzichtet haben. Nein, Sie haben ja auch Leistungenausgeweitet und die entsprechende Gegenfinanzierungdafür nicht erbracht.
Man spricht allein in diesem Bereich – die einen sa-gen: 1 Milliarde DM, die anderen: 3,5 Milliarden DM;nehmen wir die Mitte – von 2 Milliarden DM Unterfi-nanzierung dieses alten Gesetzes. Das haben wir für un-nötig gehalten, daran darf man erinnern. Damals habenwir gesagt, das müßte zur Abbremsung der ständigenBeitragssatzerhöhung stattfinden. Wir hatten sechs Jahrelang Beitragssatzstabilität; denn kleine Schwankungenzwischen 13,4 Prozent und 13,5 Prozent kann man jawohl als Stabilität bezeichnen. Wir hatten 1997 und1998 erfreulicherweise erstmals einen Überschuß in dergesetzlichen Krankenversicherung.Sie selbst sagen jetzt sogar, daß das Defizit aus demersten Halbjahr dieses Jahres möglicherweise bis zumEnde dieses Jahres noch ausgeglichen werden kann.Diese Möglichkeiten sind die Folgen unserer Gesetzge-bung,
so daß man sagen kann: Trotz dieses unmöglichen Vor-schaltgesetzes, trotz der damit verbundenen erhöhtenKosten und trotz der mangelnden Gegenfinanzierunghaben Sie möglicherweise das Glück, auf der Basis un-serer Gesetze wenigstens dieses Jahr ohne Beitragssatz-erhöhungen zu bestehen. Dafür hätte man vielleichteinmal ein Wort des Dankes erwarten können.
Jetzt möchte ich noch etwas zu den Hauptpunkten sa-gen, weil das für viele die einzigen Punkte sind, die un-verrückbar bleiben und zu denen man bemerken kann,daß Sie davon auf keinen Fall abrücken werden. DasGlobalbudget habe ich genannt. Der zweite Punkt ist diePositivliste, sie führt dazu, daß den Menschen Arznei-mittel vorenthalten werden.
– Ach, Frau Schmidt-Zadel, „umstritten“. Wissen Sienicht, daß in Deutschland ein Arzneimittel als umstrittengilt, wenn zwei Professoren unterschiedlicher Meinungüber seine Wirksamkeit sind? Wissen Sie, was alles um-stritten ist? Sie können Gutachten von Professoren zujeder Frage so bekommen, wie Sie sie erwarten. Insofernist das doch kein Kriterium.Wolfgang Lohmann
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5838 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Patienten und Ärzte haben keine Therapiefreiheit undTherapievielfalt mehr. Wenn ein Arzneimittel trotzdemverordnet werden soll, dann muß der Patient das zu 100Prozent selbst bezahlen. Ist das noch Solidarität?
Sie nicken. Gut. Ich hoffe, die Patienten erkennen, wasdamit wirklich gemeint ist.
– Frau Schmidt-Zadel hat unter anderem genickt.
Dieser Gesetzentwurf, der durch ein chaotisches unddurch nichts mehr zu übertreffendes sogenanntes Bera-tungsverfahren bis zur Unkenntlichkeit verschlimmbes-sert oder sogar zerstört worden ist, kann nur mit klarerHaltung abgelehnt werden.[Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! – HorstSchmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Wo ist dieAlternative?)Es wäre vernünftiger gewesen, wenn Sie Ihr Gesprächs-angebot gemacht hätten, bevor dies alles zu Papier ge-bracht und anschließend dreimal geändert worden ist.Ich bin ganz sicher, daß dieser Gesetzentwurf imBundesrat nicht das Licht der Welt erblicken wird; denndie Mehrheit im Bundesrat wird wissen, was man demdeutschen Gesundheitswesen noch zumuten kann, wasman den Patienten noch zumuten darf und was man anArbeitsplatzzerstörung damit bewirken wird. Er wird Ih-nen eine klare Antwort zu diesem Gesetz geben.Ich bedanke mich.
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Rudolf Dreßler, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Gestatten Sie mir einleitend eine Be-merkung zur Verdrängung von parlamentarischen Ab-läufen, und zwar von parlamentarischen Abläufen wäh-rend der Regierungszeit von CDU/CSU und F.D.P.Selbst 1992, als mit meiner Fraktion eine Gesundheits-strukturreform auf den Weg gebracht werden sollte, alsoeine breite parlamentarische Basis für dieses Gesetz be-stand, waren die Verhandlungen für die Abgeordneten inden federführenden Ausschüssen und im Plenum desDeutschen Bundestages, um es höflich zu sagen, brutal.Es hat, so weit ich zurückblicken kann – und das sindschon einige Jahre –, keinen Entstehungsprozeß vonmaßgebenden Gesetzen gegeben, bei denen nicht denAbgeordneten in den Ausschüssen und im Plenum desBundestages Erhebliches zugemutet wurde. Das war indiesem Fall zweifellos genauso. Daraus aber zu kon-struieren, man habe in 16 Jahren Regierung Kohl nureinwandfreie und seriöse Parlamentsabläufe, die denAbgeordneten dienlich waren, organisiert, ist geradezuabsurd.
Herr Lohmann, die einzige These, die richtig wäreund die ich auch unterstreichen könnte, ist die: Egal, werregiert, den Abgeordneten wird immer sehr viel zuge-mutet. Das ist die Wahrheit.
– Sehen Sie, das ist der Punkt. Sie haben den Abge-ordneten im Einvernehmen etwas zugemutet, und jetzthaben die SPD und Bündnis 90/Die Grünen ohne Ein-vernehmen mit der CDU/CSU uns allen etwas zuge-mutet.
In der Substanz bleibt das gleich: Egal, wer regiert, denAbgeordneten wird immer brutal viel zugemutet. Dasnun zum Dollpunkt zu erklären, Herr Lohmann, wirdden Tatbeständen, die Sie 16 Jahre mit zu verantwortenhaben, nicht gerecht.[Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)Gesundheitspolitische Entscheidungen berühren dieMenschen unmittelbar und existentiell. Nicht zuletztdeshalb rangiert die Gesundheitspolitik im Bewußtseinder Bürgerinnen und Bürger im Gesamtkomplex der Ge-sellschaftspolitik stets vornan. Die Sicherung einer lei-stungsfähigen und bezahlbaren Gesundheitsversorgungin hoher Qualität gehört daher zu den politischen Auf-gaben ersten Ranges.Diese drei Attribute – Leistungsfähigkeit, Bezahlbar-keit und Qualität – muten manchmal wie die Quadraturdes Kreises an. Daß es gleichwohl möglich ist, dies alleszu gewährleisten, soll der heute zur Verabschiedung an-stehende Reformentwurf für die nächsten Jahre bein-halten.Die akuten Finanznöte der unterschiedlichsten Ge-sundheitssysteme in den Industriestaaten sind auch anDeutschland nicht vorbeigegangen. Allerdings enthältder heute zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf– im Unterschied zu allen Gesundheitsgesetzen derletzten 20 Jahre – keine einzige Zuzahlungserhöhung,keine einzige Leistungskürzung und auch sonst keineeinzige Belastung für die Versicherten oder die Kran-ken. Das ist die Wirklichkeit.
Wolfgang Lohmann
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Unser Ziel ist klar: Es geht nicht zuallererst darum,mehr Geld ins System zu pumpen, sondern es geht dar-um, mit dem vorhandenen Geld wirtschaftlicher und ef-fektiver umzugehen. Es geht nicht darum, Leistungendes Systems zu streichen oder auszudünnen und in dieprivate Zusatzfinanzierung zu verlagern, sondern es gehtdarum, die Leistungsdichte beizubehalten.Der Gesetzentwurf stellt unter Beweis: Diese Regie-rung geht den exakt gegenteiligen Weg der RegierungKohl. Eine Privatisierung gesundheitlicher Risiken fin-det mit uns nicht statt. Wir rationieren nicht, wir ratio-nalisieren.
Der vorliegende Gesetzentwurf hat ein vielfältigesEcho gefunden.
Auch mit Kritik ist wahrlich nicht gespart worden. Da-zu ist unter Berücksichtigung aller vorangegangenenGesundheitsgesetze zunächst einmal festzuhalten: Daswar immer so, das war nie anders.
Kritik geübt hat sogar die Opposition in diesem Haus.Das ist nicht nur deren Recht, sondern das ist sogar de-ren parlamentarische Pflicht. Aber die Opposition hatnoch eine andere Pflicht: ihrer Kritik an der Politik derRegierung die Alternative der Opposition anzufügen.
Von einer Alternative der Opposition ist nichts, aberauch gar nichts zu sehen. Es gibt keinen einzigen nochso klitzekleinen Alternativantrag der CDU/CSU, wederim Gesundheitsausschuß noch hier im Plenum.
Konzeptionell kommt diese Opposition nicht vor.CDU/CSU und F.D.P. sind gesundheitspolitisch nichtexistent.
Nur wer zwischen den Zeilen liest, was die heimlicheAlternative der Opposition wäre, der kommt vielleichtzu einem Ergebnis: Sie will an der Zuzahlungsschraubedrehen und den Leistungskatalog ausdünnen. Kurz ge-sagt, die Opposition will eine höhere Selbstbeteiligungder Patienten, und sie will Leistungskürzungen. Aber sietraut sich nicht, das laut zu sagen.
Die Menschen in Deutschland sollten deshalb wissen:Der Begrenzung der Einkommenssteigerungen bei Ärz-ten und Pharmaindustrie setzen CDU und CSU neueSelbstbeteiligungen der Patienten gegenüber.
Dem Abbau von überflüssigen Kapazitäten im Kranken-haus und bei Arzneimitteln setzen CDU und CSU Lei-stungskürzungen für Kranke gegenüber.
Das alles ist nicht verfassungswidrig. Das kann manpolitisch wollen. Aber wer das verheimlicht, weil es ihmunangenehm ist, der führt die Menschen hinters Lichtund täuscht.
Ich fordere Sie deshalb auf: Hören Sie mit IhrerHeimlichtuerei auf! Hören Sie mit Ihrer Täuschung auf!
Sagen Sie endlich offen, was Sie vorhaben, wenn manSie denn ließe oder Sie durchsetzen könnten, was Siewollen. Sagen Sie, was Sie anders machen würden. Wirhaben das Recht, das von Ihnen zu verlangen.
Im Zentrum der Kritik der Interessengruppen sowieaußerhalb des Parlaments und der Opposition steht dieAbsicht der Koalition, die Steigerung der Gesamtaus-gaben im Gesundheitswesen zukünftig an der Steige-rung der Gesamteinnahmen zu orientieren. Kurz ge-sagt, wir wollen, daß zukünftig nicht mehr ausgegebenwird, als eingenommen wurde. Globalbudget nennenwir das. Über den Namen kann man streiten, über dasInstrument nicht. Was soll eigentlich unvernünftig dar-an sein, sich beim Geldausgeben an den Einkünften zuorientieren?
Wer diesen Grundsatz nicht beherzigen will, wer inKauf nehmen will, daß mehr ausgegeben als eingenom-men wird, der hat nur zwei Möglichkeiten, auf andereWeise für ausgeglichene Konten bei den Krankenkassenzu sorgen:
Möglichkeit eins, Herr Zöller, wäre, den Kranken Lei-stungen zu streichen, damit sie sie zukünftig selbst be-zahlen. Möglichkeit zwei, Herr Lohmann, wäre, dieKrankenversicherungsbeiträge zu erhöhen. Etwas ande-res gibt es nicht.
Rudolf Dreßler
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5840 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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– Lottospielen, das können Sie tun. Nur, damit retten Siedie deutsche Krankenversicherung bzw. das deutscheGesundheitswesen nicht. – Wir wollen weder das einenoch das andere.
Ebenso wollen wir nicht, daß versteckt der Patientbzw. der Kranke wiederum derjenige ist, der Defizite zubegleichen hat. Wir wollen ein vernünftiges Leistungs-angebot bei stabilen Beitragssätzen. All denjenigen, diebehaupten, mit der als Globalbudget bezeichneten Ober-grenze würden im Gesundheitswesen die Ausgaben fürLeistungen zusammengestrichen, muß entgegengehaltenwerden, daß sie die Unwahrheit behaupten. Wir strei-chen nicht; wir begrenzen die Zuwächse. Wenn dieKrankenkassen in diesem Jahr – Herr Lohmann, einkleiner Ausflug in das kleine Einmaleins; das große willich Ihnen heute morgen noch nicht zumuten –
260 Milliarden DM für Gesundheit ausgeben werden,dann dürfen sie im Jahre 2000, also nächstes Jahr, eineSteigerung der Grundlohnsumme um 2 Prozent voraus-gesetzt, 265 Milliarden DM ausgeben und im Jahre 2001unter den gleichen Bedingungen 271 Milliarden DM.Wo wird da zusammengestrichen? Jahr für Jahr kannmehr ausgegeben werden, und zwar so viel mehr, wieauch mehr eingenommen wurde.
Ich vermute, daß in den Unternehmen, in denen Sie tätigwaren oder sind, das gleiche Prinzip gilt. Denn andern-falls würde der Amtsrichter kommen. Wir wollen denAnteil der Gesundheitsausgaben am Volkseinkommenstabil halten. Das heißt, daß der Grundsatz gilt: Wächstdas Volkseinkommen, kann man auch mehr für Gesund-heit ausgeben.Ich gebe ja zu, daß während der Vorgängerregierungdas alles anders gelaufen ist. Da wurden Leistungen ge-strichen, was bei der gesetzlichen Krankenversicherungzu Milliardeneinsparungen geführt hat. Das haben Siedann gefeiert. Sie feiern dies ja heute noch. Daß gleich-zeitig die Versicherten die gestrichenen Leistungenselbst bezahlten oder außerhalb der gesetzlichen Kran-kenversicherung abdeckten, in der Gesamtrechnung alsonicht gespart wurde, das haben Sie den Menschen ver-schwiegen. Solche Buchhaltertricks hat sich die jetzigeKoalition nicht einfallen lassen.
Wir sichern diese Ausgabenobergrenze zusätzlichstrukturell ab: In dem vorliegenden Gesetzentwurf be-grenzen wir die Zahl der Neuniederlassungen von Ver-tragsärzten. Wir führen über das Mitbestimmungsrechtder Kassen bei der Krankenhausbedarfsplanung die Zahlder Krankenhausbetten zurück, und wir bereinigen überdie Positivliste die Zahl der abrechnungsfähigen Arz-neimittel. Alles das sind zusätzliche Instrumente, um dasGlobalbudget einzuhalten.
Nun höre ich von seiten der Medizingerätehersteller,von Siemens bis General Electric, und von seiten derPharmaindustrie, von Hoechst bis Novartis, heftigeProteste gegen die von uns vorgesehene Ausgabenober-grenze. Ich finde das gelinde gesagt eigentümlich. Kannman einerseits als Elektrokonzern stabile Lohnnebenko-sten einfordern und andererseits zulassen, daß die eigeneMedizingerätetochter alles dagegen tut, daß dieses Zieltatsächlich erreicht wird?
Kann man einerseits als Chemiekonzern stabile Kran-kenversicherungsbeiträge fordern und andererseits dieeigene Pharmatochter eine Geschäftspolitik betreibenlassen, die diese Beiträge steigen läßt? Wie sieht es damit der Glaubwürdigkeit aus, meine Damen und Herren?
Es ist richtig, daß der Gesundheitsbereich ein Wachs-tumsmarkt ist. Wer aber dieses Wachstum reklamiert,der muß auch ehrlich sein: Wachstum nur auf der Aus-gabenseite, dem nicht ein entsprechendes Wachstum aufder Einnahmenseite, sprich der Beitragsseite, gegenü-bersteht, darf es nicht geben. Das führt im Gesundheits-wesen wie anderswo auf direktem Wege zum Konkurs-richter. Wer keine Ausgabenobergrenze für die Kran-kenversicherung will, der sollte sicherheitshalber denBegriff „stabile Lohnnebenkosten“ nicht mehr in denMund nehmen.
Einige Kritiker halten uns vor, mit ökonomisch ori-entierten Ausgabefonds sei der medizinische Fortschrittnicht zu finanzieren. Dem halte ich entgegen, daß nichtjede fortschrittliche Weiterentwicklung so gewaltig undfinanziell so schwerwiegend ist, als daß sie nicht durchdie Mehreinnahmen im Rahmen des üblichen Wachs-tums abgedeckt werden könnte.
Sollte es Entwicklungen geben, Herr Lohmann, wie zumBeispiel eine bahnbrechende und kostspielige Neuorien-tierung bei der Krebsbekämpfung, dann muß diese ein-geführt werden können, und zwar außerhalb des vorge-sehenen Budgets. Aber das wird die Politik von Fall zuFall zu entscheiden haben.
Auch der Gesetzentwurf sieht diese Sonderfälle vor. DerSachverständigenrat für die Konzertierte Aktion wirddazu regelmäßig dem Deutschen Bundestag und damitRudolf Dreßler
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5841
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der Öffentlichkeit verläßliche Vorschläge unterbreiten.Auch das ist geklärt.Meine Damen und Herren von der Opposition ohneeigenen Lösungsvorschlag, was bleibt jetzt noch an sub-stantieller Kritik an der Ausgabenbeschränkung?
Nichts, gar nichts bleibt!
– Es bleibt nichts, Herr Lohmann. Sonst müßten Sieeinmal substantielle Kritik im Deutschen Bundestag ar-tikulieren.
Wenden wir uns einem zweiten Kritikpunkt der Op-position ohne eigenen Lösungsvorschlag zu. Er richtetsich gegen die von der Koalition in der Arzneimittelver-sorgung vorgesehene „Liste verordnungsfähiger Arz-neimittel“; so heißt es im Gesetzestext, wir nennen das„Positivliste“. Die Kritik von CDU/CSU und F.D.P. ander Positivliste ist zunächst einmal schon vom politi-schen Ansatz her unglaubwürdig.
Was führen Sie in diesem Zusammenhang nicht allesfür Vokabeln im Mund? „Fortschrittsfeindlichkeit“,„Reglementierungswut“ und anderes, was Ihnen dazueingefallen ist. Um Ihr Gedächtnis etwas aufzuhellen:Die Positivliste ist exakt jenes Instrument, dasCDU/CSU, SPD und F.D.P. für so wirksam zur ver-nünftigen Neuordnung des Arzneimittelmarktes gehaltenhaben, daß wir deren Einführung 1992 gemeinsam insGesetzblatt geschrieben haben.
Sie wollten diese Positivliste bis zu jenem Zeitpunkt, alsman Ihnen höheren Ortes verbot, sie länger zu wollen.Das ist aber auch alles.Die Koalition will sie heute noch.Wir wollen ein qualitätsorientiertes Instrument zur Si-cherung einer ebenso hochwertigen wie preisgünstigenArzneimittelversorgung der Versicherten. Wir brauchentherapeutisch sinnvolle, wirksame und über jeden quali-tativen Zweifel erhabene Arzneimittel. Was wir in denArzneimittelschränken der Krankenversicherten nichtbrauchen, sind therapeutischer Schrott und Mittel vontherapeutischer Zweifelhaftigkeit.
Genau jene zweifelhaften Mittel und jenen Schrott wirddie Positivliste aus dem Leistungskatalog der Kranken-kassen entfernen.
Im übrigen wollen, Herr Lohmann, die Krankenkassenund die Vertragsärzte die Liste; die Krankenhäuser ha-ben bereits eine je nach Haus individuelle Liste. Daszeigt, daß das Gemosere der Opposition ohne eigenenLösungsvorschlag abwegig ist.
CDU/CSU und F.D.P. müßten es eigentlich besserwissen. In einer Antwort auf eine entsprechende KleineAnfrage nach Positivlisten in anderen EU-Staaten in derzweiten Hälfte dieses Jahres – nicht vor 20 Jahren, mei-ne Damen und Herren –, also vor wenigen Wochen,wurde Ihnen von der Bundesregierung mitgeteilt, aufwie viele Präparate die zugelassenen Arzneimittel in denEU-Staaten begrenzt sind. Ich will das noch einmal fest-halten: Belgien 4 900, Dänemark 4 000, Frankreich7 700, Griechenland 5 800, Italien 9 100, Niederlande9 900, Österreich 10 900, Portugal 4 500, Schweden3 500 und Spanien 8 000. In der Regel gehen diese Posi-tivlisten in den EU-Staaten mit einer Staffelung der Er-stattungsfähigkeit einher. Damit wird in diesen Ländernein flächendeckendes therapeutisches Angebot zur Ver-fügung gestellt.Die Gegner der Positivliste wollen uns aber einreden,es müsse alles so bleiben, wie es ist, und es müsse alsoweiterhin – je nach Zählweise – zwischen 28 000 und53 000 Arzneimittel geben, um das gleiche Ziel inDeutschland zu erreichen.
Wer den Menschen das einredet, ist nichts anderes alsein politischer Scharlatan, dem es nur um Interessen undnicht um das Wohl der Menschen geht.
Fortschrittsfeindlich und innovationshemmend solldie Liste sein. Daß ich nicht lache: Das Gegenteil istrichtig; denn auch für Arzneimittel stehen nur begrenztefinanzielle Mittel zur Verfügung. Wenn aber innerhalbdes begrenzten finanziellen Arzneimittelrahmens thera-peutische Zweifelhaftigkeiten mit therapeutisch Hoch-wertigem um Marktanteile konkurrieren, dann ist dasvon Nachteil für Fortschritt und Innovation.
– Das stimmt doch wohl! Es ist von Nachteil in diesemWettbewerb.
Nur wo Fortschritt und Innovation vor derart zweifel-hafter Konkurrenz geschützt sind, lohnen sich neue For-schung und Innovation. Genau dieses pharma- undstandortpolitische Ziel lohnt sich zusätzlich anzustreben,um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Genaudas tut diese Koalition. Sie setzt nämlich mit der Posi-tivliste auf beide Ziele: Die Positivliste schadet nichtRudolf Dreßler
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5842 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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dem Pharmastandort Deutschland; sie nützt und fördertihn, weil sie auf Innovation setzt, statt Zweifelhaftes zubegünstigen.
Der dritte Schwerpunkt unserer Reformvorhaben liegtim Bereich der Krankenhausversorgung. Wir alle wis-sen: Das ist der politisch schwierigste Teil jeder Ge-sundheitsreform.
Die Koalitionsfraktionen haben – jedenfalls da, wo sieüber politischen Einfluß verfügen – von Anfang an gro-ßen Wert darauf gelegt, daß der Krankenhausteil desGesetzentwurfes besonders intensiv mit den Bundeslän-dern abgesprochen wird. Bei der ersten Lesung des Ge-setzes habe ich darauf hingewiesen, daß unsere Reform-bemühungen im Gesundheitswesen ein Torso blieben,würde es abermals nicht zu durchgreifenden Verände-rungen in der Krankenhausversorgung reichen. Dasbleibt aus meiner Sicht unverändert.Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs steht die Einfüh-rung einer zukünftig gemeinsam von Krankenkassenund Bundesländern durchgeführten und verantwortetenKrankenhausbedarfsplanung. Wir wollen, daß in derKrankenhausversorgung endlich das Platz greift, was injedem Wirtschaftsbetrieb existentiell für dessen Lei-stungsfähigkeit ist. Die Verantwortung für die Investiti-onsplanung einerseits und die Verantwortung für die fi-nanziellen Folgen dieser Investitionsplanung anderer-seits sollen zusammengeführt werden. Das hat mit derverfassungsgrechtlich garantierten Planungshoheit derLänder nichts zu tun; sie bleibt selbstverständlich unbe-rührt. Es darf nicht länger so bleiben, daß die eine SeiteInvestitionen planen kann, ohne die finanziellen Lang-zeitfolgen dieser Planung zu berücksichtigen, weil siediese sozusagen an der Garderobe anderer politisch ab-geben kann. Deshalb gilt: Die Krankenkassen gehören indie Mitentscheidung für die Krankenhausbedarfspla-nung.Es ist kein Zufall, daß die Bettendichte und übrigensauch die Krankenhausverweildauer in Deutschland be-deutend höher sind als in allen vergleichbaren europäi-schen Ländern. Über die Neuordnung der Planungsver-antwortung wollen wir den Bettenüberhang in Deutsch-land abbauen helfen. Mit einiger Verwunderung muß ichdabei zur Kenntnis nehmen, daß die Deutsche Kranken-hausgesellschaft dadurch die Krankenhausversorgunggefährdet sieht. Mit Verlaub: Das ist absurd. Die Kran-kenhausversorgung gefährdet nicht der, der die Zahl derKrankenhausbetten auf ein normales und vertretbaresMaß zurückführt, sondern der, der an überflüssigen Ka-pazitäten festhält und so über kurz oder lang den Fi-nanzinfarkt des Gesamtsystems heraufbeschwört.
Wenn die Deutsche Krankenhausgesellschaft daraufhinweist, schon in vergangenen Jahren seien fast100 000 Betten abgebaut worden, dann antworte ich:Mag sein, aber auch diese 100 000 Betten sind gegenden Willen der Deutschen Krankenhausgesellschaft ab-gebaut worden, die damals ebenfalls den Zusammen-bruch der Krankenhausversorgung prophezeit hat.Nichts davon ist eingetreten.Das im Zusammenhang mit dem Bettenabbau geäu-ßerte Arbeitsplatzargument nehme ich hingegen ernst,sehr ernst sogar. Dieses Argument gilt übrigens nichtnur für den Krankenhausbereich, sondern überall da, woKapazitäten abgebaut werden.Wir beklagen in Deutschland überhöhte Lohnneben-kosten. Wir wollen das Niveau zunächst stabilisierenund dann zurückführen. Es entspricht der ökonomischenLogik, daß überhöhte Lohnnebenkosten zu Arbeitsplatz-verlusten führen. Überhöhte Kapazitäten, die zu über-höhten Lohnnebenkosten führen, mögen kurzfristig zurAufrechterhaltung von Arbeitsplätzen beitragen, an an-derer Stelle unserer Volkswirtschaft aber führen sie zuArbeitsplatzverlusten. Kurzfristig handelt es sich ar-beitsplatzpolitisch also um ein Nullsummenspiel; länger-fristig wird sogar eine Negativbilanz daraus. Längerfri-stig bezahlen wir gesamtwirtschaftlich durch Arbeits-platzverluste, heraufbeschworen durch die sinkendeWettbewerbsfähigkeit. Das Arbeitsplatzargument gegendieses Gesetz führt also in die Irre. Wir bleiben bei derNeuordnung der Planungsverantwortung für die Kran-kenhäuser.Die Investitionskosten, die durch die Krankenkassenzu übernehmen sind, betragen fast 7 Milliarden DM.Diese Summe – sie entspräche fast einem halben Bei-tragspunkt – kann nicht auf einem Schlag aufgebrachtwerden, zumindest nicht unter Beachtung des Gebotsder Beitragssatzstabilität. Deshalb muß die Überführungder Finanzlast der Krankenhausinvestitionen auf dieKrankenkassen zeitlich gestreckt werden und schrittwei-se erfolgen.Wir wollen letztlich echte Preise im Krankenhausbe-reich erreichen. Sie werden unabhängig von der Dauerdes Krankenhausaufenthalts nur auf den jeweiligen Fallund die jeweilige Diagnose bezogen sein. Das schafftKostentransparenz und macht unwirtschaftliches Ver-halten bei den einzelnen Krankenhäusern sichtbar. Ichbin mir ganz sicher: Die Neuordnung der Krankenhaus-entgelte, die mancher Wirtschaftsabteilung in den Kran-kenhäusern als Revolution erscheinen mag, wird weit-reichende Folgen für das Erreichen von mehr Effizienzhaben, und zwar ohne daß die Qualität der medizini-schen Versorgung beeinträchtigt wird.Bleibt abschließend zu fragen: Wie hält es die Oppo-sition in diesem Hause mit dem Reformteil „Kranken-haus“ im heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf? Siebleibt eine Opposition ohne eigenen Lösungsvorschlag.Es gibt nicht den Hauch einer eigenen Konzeption. Esist schon bemerkenswert: Die zweitgrößte Fraktion imParlament legt sich bei einer der wichtigsten gesell-schaftspolitischen Aufgaben dieser Wahlperiode einfachauf Grund und spielt U-Boot.
Rudolf Dreßler
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5843
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Vom Kartell der politischen Schweiger konnte manmehrfach erfahren, man lehne die Gesundheitsstruktur-reform ab.
Meine Güte, habe ich gedacht, wie originell, wie aufre-gend ist das! – Sie von der CDU/CSU müssen sagen,was Sie an die Stelle des von Ihnen Abgelehnten setzenwollen. Sie wollen kein Globalbudget, also keine Aus-gabenbeschränkung. Was wollen Sie statt dessen? Wol-len Sie einfach alles laufen lassen, höhere Zuzahlungenoder Leistungskürzungen?
Sie wollen keine Positivliste. Das bedeutet: Sie wollenkeine Qualitätsverbesserung, keine Neuordnung auf demArzneimittelmarkt. Was aber wollen Sie statt dessen?Was setzen Sie an deren Stelle? Sie wollen keine Kran-kenhausreform, keine monistische Finanzierung, keineNeuordnung der Krankenhausvergütungen. Was will dieCDU/CSU? Es bleibt uns allen ein Rätsel.
Sie werden die Stunde der Wahrheit auf sich zukom-men sehen. Sie werden dem Konzept der Koalition et-was entgegensetzen müssen.
U-Boot-Spielen kann man immer nur eine begrenzteZeit. Irgendwann – das wissen wir – muß jedes U-Bootauftauchen. Wir sind gespannt, was für ein Bötchen ausdem Meer des politischen Schweigens auftauchen wird.
– Herr Lohmann, ich will Ihnen an dieser Stelle sagen:Abgetakelte Fregatten können manchmal zwar nochschwimmen, aber als Fortbewegungsmittel sind sie un-geeignet.
Meine Damen und Herren, die KoalitionsfraktionenSPD und Bündnis 90/Die Grünen, die für unser Gesund-heitswesen Verantwortung Tragenden, können und wer-den nicht auf die CDU/CSU warten. Wir setzen unsheute für die notwendigen Strukturveränderungen ein,damit unser Gesundheitswesen seine Qualität auchweltweit sichern kann.Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Ich erteile nun dem
Kollegen Dieter Thomae, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Ihre Philosophie ist,man könne das Gesundheitswesen über Globalbudgetsorganisieren. Auch wir haben 1992 mit Ihnen zusammengeglaubt, wir könnten es so organisieren. Leider hat sichin den Folgejahren gezeigt, daß das ein absoluter Fehl-schlag war; denn es waren bereits 1994 Rationierungs-tendenzen im Lande zu erkennen.
Ich frage Sie: Wenn wir diese praktischen Erfahrungenmit Globalbudgets in Deutschland gemacht haben undnoch mehr praktische Erfahrungen dieser Art in Englandund Schweden gemacht worden sind, warum gehen Siedann diesen Weg? Warum sorgen Sie dafür, daß die Pa-tienten Probleme bekommen?Im Vorschaltgesetz haben Sie die Zuzahlungen zwarabgesenkt; aber Sie haben dabei verschwiegen, daß Siegleichzeitig das Budget reduziert haben. Meine Damenund Herren, was bedeutet das für den Patienten? Er mußin der Tat weniger zuzahlen, aber der Arzt kann ihmwegen des Budgets die Arzneimittel und Heilmittel nichtmehr verschreiben. Das hat zur Folge, daß der Patientdiese Mittel hundertprozentig selbst bezahlen muß. Istdas Ihre Sozialpolitik?
Wie sieht das heute in der Praxis aus? Als Beispielnehme ich die Physiotherapie: Patienten brauchendringend Behandlungen, der Arzt verschreibt heute je-doch nur noch zwei Behandlungen, auch wenn der Pati-ent dringend mehr Behandlungen braucht. Es gibt zwarkeine Zuzahlungserhöhung, aber eine nennenswerte Lei-stungsreduzierung.
Das ist der Betrug am Patienten, der von Ihrer Seite ganzbewußt betrieben wird.
Meine Damen und Herren, das Problem besteht nichtnur darin, daß lediglich zwei Behandlungen verschriebenwerden. Weil der Patient weitere Behandlungen dringendbenötigt, wechselt er den Arzt. Er geht zu mehreren Ärz-ten, und jeder Arzt schreibt ein oder zwei weitere Rezepteaus. Damit sind Kostensteigerungen vorprogrammiert,und eine vernünftige therapeutische Behandlung ist beidiesen Arztwechseln natürlich nicht gegeben.
Ich nenne Ihnen ein zweites praktisches Beispiel: Inden neuen Bundesländern sind die Budgets auf Grunddes Vorschaltgesetzes schon weitgehend erschöpft. Nunist Ihr neues Paket keinen Deut besser, sondern verstärktdiese Tendenz noch. Gehen Sie einmal zu Rheumapati-enten gerade in den neuen Bundesländern! Ein Arztfragte mich, was er angesichts der Tatsache tun solle,Rudolf Dreßler
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daß sein Budget erschöpft sei. Er erzählte, daß er zu-meist Arzneimittel verschreibe, die mehr als 100 DMkosteten, und solche hochinnovativen Arzneimittel ver-schreiben müsse, da es wenig Zweck habe, auf Generi-kaprodukte auszuweichen.Was soll er tun? Er hat drei Möglichkeiten: Er ver-schreibt wie bisher, dann wird er in Regreß genommenund muß selber zahlen. Die zweite Möglichkeit: Er re-duziert seine Verschreibungen und nutzt Generika; aberdann sind die Therapieerfolge erheblich reduziert. Dieletzte Möglichkeit ist, daß er den Patienten an ein Kran-kenhaus überweist. Das ist Ihre Gesundheitspolitik, vonder Sie behaupten, es werde nichts reduziert. In der Pra-xis wird massiv reduziert. Der Patient merkt es manch-mal heute schon, und er wird es in den nächsten Wochennoch mehr merken.
Meine Damen und Herren, Sie müssen doch ehrlichbekennen, daß Budgets zu Lasten der Patienten und derLeistungserbringer gehen. Ihr Parteikollege ProfessorHankel hat das im „Handelsblatt“ eindeutig definiert.Die Patienten erfahren indirekt eine Leistungskürzung.Auf der anderen Seite werden die Leistungserbringer imHonorarteil schlechtergestellt. Was bedeutet das? Unserfreiberufliches Gesundheitswesen wird angegriffen. DieÄrzte werden auf Dauer nicht mehr in der Lage sein, inihre Praxen zu investieren, weil ihre Honorare herunter-gehen. Sie wissen doch, wie es in den neuen Bundeslän-dern im freiberuflichen ärztlichen Bereich aussieht.Sprechen Sie mit diesen Ärzten, dann erkennen Sie dieSituation der Freiberufer in den neuen Bundesländern!Gehen Sie darüber einfach hinweg? Sie sollten Ihre Po-litik wirklich überdenken!
Dann fallen Ihnen noch weitere Schlagworte ein. Manmuß sich ja fragen, wie Sie darauf kommen. Ich nennehier das „Globalbudget“. Ja, wie soll das denn mit zehnsektoralen Budgets organisiert werden? Das kann Ihnenkeiner sagen. Kein Vertreter einer gesetzlichen Kranken-kasse kann Ihnen sagen, wie dies in der Praxis organisiertwerden soll. Das wird ein Chaos, sage ich Ihnen. DieBürger und die Patienten werden es ertragen müssen.Daneben fallen Stichworte aus der Industrie wie„Benchmarking“. Man sagt, man solle sich an der Regi-on orientieren, die die niedrigsten Arzneimittelausgabenhat. Aber dabei werden beispielsweise überhaupt nichtdie Pro-Kopf-Ausgaben in der Region, die Befreiungs-quoten, die Härtefallregelung, die Fälle der chronischKranken und auch nicht die Morbiditätsentwicklung inder betreffenden Region berücksichtigt. Ich verweisejetzt noch einmal auf die neuen Bundesländer. Da ist dieSituation völlig anders. Sie wollen eine Politik für dieneuen Bundesländer machen? Ich sage Ihnen: Sie ma-chen genau das Gegenteil, und darum sind die Wahler-gebnisse so, wie sie sind; verdammt noch mal!
– Ich würde nicht so spucken.
Ihre Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern kön-nen sich auch nicht sehen lassen.
Zweites Stichwort: Positivliste. Herr Dreßler bejubeltdie Positivliste, und dabei weiß er, daß er nur die Hälfteder Wahrheit gesagt hat.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland 42 000Arzneimittel. Wir haben auch eine besondere Zählweise.Denn jede Darreichungsform wird extra gerechnet.
Es gibt fünf Darreichungsformen. Wenn wir die von mirgenannte Zahl durch fünf dividieren, dann kommt manzu dem Ergebnis, daß wir im europäischen Durchschnittliegen. Das muß man wissen. Was Sie behaupten, istvöllig falsch.
Jetzt, Herr Dreßler, zu Ihrer großen Innovation Posi-tivliste. Sie glauben doch wohl nicht, daß Unternehmen inder Bundesrepublik Deutschland zunächst forschen, dafürden Antrag beim zuständigen Institut für Arzneimittel undMedizinprodukte stellen und dann einen zweiten Antragbei dem neu zu gründenden Institut stellen werden. Glau-ben Sie, das wäre ein sinnvoller Weg?
Ferner behindert die Positivliste die Therapiefreiheit unddie Erfüllung von Patientenwünschen. Sie haben es docheingesehen. Warum hätten Sie denn sonst einen Anhangzugestanden? Sie vernichten mit diesem Vorhaben diegesamte Therapie im Bereich der Naturheilmittel, unddies wollen wir nicht.
Sie, Frau Ministerin, bejubeln die integrierte Ver-sorgung. Über integrierte Versorgung kann man wirk-lich reden. Aber man kann es nicht so machen wie Sie,nämlich sofort als Pflicht. Sie bringen ein ganz neuesModell auf den Weg. Sie behaupten, daß die integrierteVersorgung in der Stadt und auf dem Land gleich zu or-ganisieren ist. Eine solche Verantwortung, wie Sie siejetzt im Gesetz pauschal formulieren, kann man nichtübernehmen.
Dies kann man nur machen, wenn es vorher entspre-chende Modellversuche gegeben hat. Wir haben in derVergangenheit ausgesprochen interessante und guteDr. Dieter Thomae
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Konzepte im Rahmen von Modellversuchen auf denWeg gebracht. Ich will Ihnen das einmal an einem Bei-spiel aufzeigen. Das soll Ihnen klar machen, daß Sie soetwas nicht mit Budgetierung und pauschal machenkönnen. Vielmehr müssen Sie es mit intelligenten Lö-sungen vor Ort organisieren. Ich nenne einmal die Dia-betiker-Betreuung. Wir haben in meiner Region ein Mo-dell auf den Weg gebracht: Niedergelassene Ärzte sollenZuckerkranke betreuen. Wenn dies nicht mehr möglichist, sollen sie in eine spezielle Rehabilitationsklinik undnicht in das Krankenhaus. Es ist nämlich medizinischgünstiger, das so zu organisieren. Die betreffende Kran-kenkasse hat bundesweit 840 Millionen DM durch ver-nünftige organisatorische und medizinische Maßnahmeneingespart.
Wenn Sie glauben, Sie könnten so etwas bundesweitzentral organisieren, dann sage ich Ihnen: Das gehtdaneben.
Nur durch intelligente Lösungen können Sie das machen.
Als weiteren Punkt nenne ich die Krankenhausfi-nanzierung. Auch wir sind für die monistische Finan-zierung; auch wir sind dafür, daß die laufenden Be-triebskosten und die Investitionskosten monistisch fi-nanziert werden. Aber sich das Leben so einfach machenzu wollen, wie Sie es vorhaben, geht nicht: Glauben Sienicht, Sie bekämen die Zustimmung der Bundesländerdafür, im Krankenhausbereich über Einsparungen 7 bis9 Milliarden DM herauszupressen, um diese Investitio-nen zu tätigen! Das ist der völlig falsche Weg
und zerstört die guten Ansätze der Neuorganisation derKrankenhauslandschaft, die wir in den letzten Jahrendurchgesetzt haben. Man muß hier ehrlich sagen, HerrDreßler: Wir haben im Krankenhausbereich in den letz-ten Jahren sehr viel verändert. Die Zuwachsraten imKrankenhausbereich sind in den letzten Jahren gleichNull gewesen. Das war schon ein großer Erfolg.Ich will nicht auf den europäischen Kontext eingehen– ein großes Thema, das die Bundesregierung völlig ausdem Blick läßt. Europa wächst immer enger zusammen,und sicherlich werden auch die Gesundheitsleistungen inZukunft stärker grenzüberschreitend in Anspruch ge-nommen.Wir stellen heute einen Entschließungsantrag zurAbstimmung. Die Positionen der F.D.P. sind genau for-muliert und eindeutig festgelegt. Die wichtigsten möchteich hier nennen: Die Finanzierung ist so zu gestalten,daß keine negativen Auswirkungen auf die Beschäfti-gungslage ausgehen.
– Moment, ich sage es Ihnen. – Wie kann man das ma-chen? Wir sind der Auffassung, daß der heutige Lei-stungskatalog, verglichen mit anderen Staaten dieserWelt, sehr umfangreich ist. Das ist sicherlich mehr alseine Grundversorgung. Wir möchten jetzt den Arbeitge-berbeitrag festschreiben.
Wenn der Leistungskatalog erweitert wird – was nichtsein muß –, soll der Arbeitnehmer die entstehendenBeitragserhöhungen tragen.
– Hören Sie genau zu! – Das geht nur im Zusam-menhang mit einer Steuerreform, die den Bürgern mehrGeld in der Tasche beläßt, damit sie sich das leistenkönnen.
– Daß eine Steuerreform Auswirkungen auch auf diesenBereich haben kann, ist Ihnen wohl fremd. –
Wir werden also auch die Thematik Leistungskatalogbesprechen müssen.Ein weiterer Punkt wird in Ihrem System überhauptnicht organisiert. Wir denken, daß dann, wenn Anreizesowohl für die Patienten als auch für die Leistungs-erbringer geschaffen werden, mehr Wettbewerb in dasSystem hineinkommt. Beitragsrückgewähr, Bonusrege-lungen, Selbstbehalt, Wahlmöglichkeiten – all dies sindfür uns wichtige Überlegungen.
– Das schadet gar nichts.Wir wollen auch weg vom Sachleistungssystem. Die-ses alte Prinzip wird in der Bundesrepublik nicht zuhalten sein. Die europäische Ebene wird auf das Sachlei-stungssystem einen solchen Druck ausüben, daß Sie sichschon heute Gedanken machen sollten, wie man unserGesundheitswesen über die Kostenerstattung organisie-ren kann.
Wenn Sie Versicherten und Leistungserbringern mehrFreiheit geben würden, dann würden Sie manche plan-wirtschaftlichen Elemente, die Budgetierung, manch fal-sche Organisation – Detlef Parr wird noch auf den Me-dizinischen Dienst zu sprechen kommen – und mancheSuperbehörde nicht benötigen.Ich sage sehr deutlich: Die sozial Schwachen müssenüber eine vernünftige Härtefallregelung und über eineÜberforderungsregelung geschützt werden. Eine solchgute Härtefallregelung und Überforderungsregelung, wiewir sie gemeinsam mit der CDU/CSU in der letztenWahlperiode verabschiedet haben, können Sie lange su-chen.
Dr. Dieter Thomae
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Wenn bei der Budgetierung das Budget erschöpft ist,dann bekommt der sozial Schwache nichts mehr, dannmuß er alles selbst bezahlen. Das aber kann er nicht. Dasist der Betrug am Bürger, am Patienten.
Das Wort hat nun
Kollegin Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit zwei
Vorbemerkungen beginnen. Werte Frau Ministerin Fi-
scher, es ist richtig, daß die Polemik zu dieser Gesund-
heitsreform in der letzten Zeit wirklich unerträglich war.
Aber Sie vergessen, daß durch die Art und Weise Ihres
Vorgehens, nämlich daß diese Gesundheitsreform nicht
von einem ordentlichen Verfahren begleitet wurde, Ihr
Eigenanteil an dieser Entwicklung nicht ganz unwesent-
lich ist.
Aus meiner Sicht war es ein Chaos, und da interessiert
es mich überhaupt nicht, ob in der Zeit vorher, als ich
noch nicht dabei war, das genauso gelaufen ist. Ich habe
es als schlimm empfunden. Was ich ganz schlimm finde,
ist: Das Öffentlichkeitsimage dieser Reform, die gute
Ansätze hat, wurde im Prinzip beschädigt, und die Pati-
enten wurden verunsichert.
Lieber Herr Dreßler – ich weiß gar nicht, ob ich „Lie-
ber“ sagen darf –,
daß für Sie die Opposition nur aus der CDU/CSU be-
steht, kann ich nachvollziehen, denn mit ihr müssen Sie
sich im Bundesrat auseinandersetzen. Aber ob es Ihnen
paßt oder nicht: Es liegen außerdem Entschließungsan-
träge von der F.D.P. und von uns vor. Bei der F.D.P.
passen mir die Inhalte nicht, und unsere Anträge mögen
Ihnen nicht passen.
– Eben. Sie haben „die Opposition“ gesagt, aber damit
immer nur die CDU/CSU gemeint. Ich finde, das ist
nicht gerecht.
Kollegin Fuchs, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßler?
Ja, wenn es nicht von der
Zeit abgeht.
Das wissen Sie doch.
Frau Kollegin Fuchs, ich le-
ge wegen des parlamentarischen Ablaufs auf folgendes
sehr großen Wert: Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, daß ich immer von der „Opposition ohne eige-
nen Lösungsvorschlag“ gesprochen habe?
Ich nehme an, daß Sie sich deshalb auch nicht angespro-
chen fühlen dürfen.
Herr Dreßler, ich heißeFuchs, aber Sie sind ein Fuchs!
Ich akzeptiere das.Nun zum Thema. Was das Reformvorhaben selbstbetrifft, so unterstützen wir ausdrücklich, daß dabei aneiner solidarischen Absicherung des Krankheitsrisi-kos festgehalten werden soll. Damit besteht die Aus-sicht, daß die entscheidenden Grundlagen der gesetzli-chen Krankenversicherung und ihre Fähigkeit zum Soli-darausgleich erhalten bleiben.Natürlich begrüßen wir die Absicht der Koalition, denWeg der Zuzahlungserhöhungen nicht weiter zu be-schreiten, obwohl ich ehrlich sagen muß: Ich hatte er-wartet, daß Sie Ihr Wahlversprechen einlösen und hiermehr zurücknehmen.Das mit dem Gesetz verfolgte Ziel, bestehende Un-wirtschaftlichkeiten durch Strukturreformen zu beseiti-gen, wird von uns grundsätzlich befürwortet. Es kannkein ernsthafter Streitpunkt sein, daß es im Gesund-heitswesen gravierende Strukturfehler gibt. Man denkenur an die vielfältige Aufteilung der medizinischen Ver-sorgung in voneinander getrennte Einzelbereiche oderan die schwache Stellung der Hausärzte.Bekannt ist auch, daß falsche Stimuli, noch dazu vordem Hintergrund einer fast unkontrollierten Machtstel-lung und einer kaum gebremsten Profitorientierung derMedizinindustrie, das ärztliche Handeln teilweise in einemedizinisch nicht begründete Mengen- und Ausgaben-dynamik treiben. Deshalb sind echte Strukturreformenim Gesundheitswesen dringend erforderlich.Aber lassen Sie mich auch folgendes sagen: Ent-scheidend ist die richtige Ausgestaltung solcher Ab-sichten im Sinne überzeugender Lösungen, und zwarsolcher Lösungen, die sich in der Praxis auch als funk-tionstüchtig erweisen. In dieser Hinsicht lassen die imGesetz enthaltenen Vorstellungen nach wie vor vieleFragen offen. Natürlich ist zum Beispiel eine Positiv-liste wirksamer und unverzichtbarer Arzneimittel einsinnvolles Einzelelement, vor allem wenn man zu einerqualitativ besseren und rationelleren Arzneimittelver-sorgung kommen will.Aber davon allein sind die notwendigen Veränderun-gen kaum zu erwarten. Eine rationelle Arzneimittelver-sorgung verlangt auch die Zurückdrängung der gegen-wärtigen Abhängigkeit des Verordnungsverhaltens derÄrztinnen und Ärzte von den Herstellern. Es verlangtaußerdem die Gewährleistung einer gezielten und vorallem industrieunabhängigen fachlichen Information undDr. Dieter Thomae
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Fortbildung der Leistungserbringer und letztendlich denVorrang definierter Versorgungsaufgaben vor den Pro-fitinteressen der Pharmaindustrie.
Doch der entscheidende Fehler dieser Gesundheitsre-form besteht nach unserer Auffassung darin, daß dieelementare Tatsache ignoriert wird, daß auch in der ge-setzlichen Krankenversicherung die allein lohnbezoge-ne Beitragsfinanzierung an ihre Grenzen gestoßen ist.Damit wird das wichtigste Problem des Gesundheitswe-sens in der vorgelegten Reform völlig ausgeblendet.Aber Tatsachen halten sich hartnäckig: Das Gesund-heitswesen hat nicht nur ein Ausgabenproblem, sondernauch ein zunehmendes Einnahmenproblem. Die Finan-zierungsschwierigkeiten in der gesetzlichen Kranken-versicherung sind keineswegs in einer vermeintlichenKostenexplosion begründet. Sie gehen in erster Linie aufdie relativ zurückbleibenden Einnahmen in Folge der ein-schneidenden Veränderungen im Erwerbsleben zurück.Die bekannten Verschiebebahnhöfe zugunsten des Bun-deshaushaltes haben diese Situation zusätzlich verschärft.Andererseits darf man die Augen nicht davor ver-schließen, daß die demographische Entwicklung undder medizinische Fortschritt den Bedarf nach gesund-heitlicher Versorgung objektiv weiter erhöhen. Damitbleibt unabweisbar, daß sowohl die Zahl der Beschäf-tigten im Gesundheitswesen als auch die finanziellenAufwendungen für diesen Bereich weiter zunehmenmüssen. Reformansätze in der GKV und im Gesund-heitswesen, die sich dieser Ausgangssituation nichtstellen, laufen Gefahr, in der Praxis zu scheitern.Will man dem begegnen, sind sowohl Strukturrefor-men als auch eine systematische Konsolidierung der Fi-nanzgrundlagen unabdingbar. Allerdings sind wir – imGegensatz zu bekannten gesundheitspolitischen Grund-philosophien von CDU/CSU und F.D.P. – nicht derMeinung, man solle die Einnahmenprobleme durchständig steigende Belastungen der Patientinnen und Pa-tienten lösen.
Im Gegenteil: Wir halten eine Stärkung und Erneue-rung des Solidargedankens für notwendig und möglich,die auch unter den veränderten wirtschaftlichen Rah-menbedingungen den Grundsätzen solidarischer Ge-rechtigkeit klar verpflichtet bleiben.
Dabei ist es erforderlich, dem GesundheitswesenEntwicklungsspielräume im Rahmen der Steigerung desBruttoinlandprodukts zu ermöglichen. Beitragssatzsta-bilität ist auch unter solchen Bedingungen zu gewähr-leisten. Notwendig ist nur der politische Wille – und derscheint zu fehlen –, die Möglichkeiten des bestehendenlohnbezogenen Finanzierungssystems voll auszuschöp-fen. So ist es beispielsweise immer weniger vertretbar,daß sich ausgerechnet der besserverdienende Teil derBevölkerung aus der solidarischen Übernahme von Ge-meinschaftslasten verabschieden kann.
Wir halten es nach wie vor für richtig – was übrigensvor der Bundestagswahl auch von SPD und Grünennoch zu hören war –, die Versicherungspflichtgrenzein der gesetzlichen Krankenversicherung auf das Niveauder Rentenversicherung zu heben. Auch die Auffassung,weitere Bevölkerungsschichten auf der Grundlage einerallgemeinen Versicherungspflicht in die gesetzlicheKrankenversicherung einzubeziehen, finden wir richtig.Nach unserer Überzeugung gilt für das Gesundheits-wesen und die gesetzliche Krankenversicherung ebensowie für die anderen Sozialversicherungssysteme: Werihren solidarischen Charakter bewahren will, muß auchdie Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen.
Darüber hinaus muß man in diesem Zusammenhangeine gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reich-tums einfordern. Mittel- und längerfristig halten wir esfür notwendig, daß auf der Grundlage einer anderenSteuer- und Finanzpolitik Bund, Länder und Gemeindenin die Lage versetzt werden, gesundheitliche Leistungenstärker als bisher aus Steuermitteln mitzufinanzieren.Darüber hinaus sollte bedacht werden, künftig den Ar-beitgeberanteil der Unternehmen nach ihrer Leistungs-fähigkeit zu berechnen, das heißt, nach ihrer Brutto-wertschöpfung, die – im Unterschied zu den entspre-chenden Lohnkosten – regelmäßig durchschnittlichsteigt. Genau dies würde mehr Verteilungsgerechtigkeitbedeuten.
Die Tatsache, daß die Regierung eine Erweiterungder Finanzierungsbasis der GKV ausschließt – darankann auch die kleine Veränderung, die Sie dort inzwi-schen bezüglich der Einnahmen von geringfügig Be-schäftigten vorgenommen haben, nichts ändern –, wirdschwerwiegende Folgen haben. In der zentralen Frageder Reform zwingt dies zum Abschied von der Realität.Denn nichts anderes ist es, wenn die Regierungskoaliti-on an die Strukturveränderungen die Erwartung knüpft,sofort mit geringstmöglichen Finanzzuwächsen auszu-kommen, oder glaubt, Mittel direkt freisetzen zu kön-nen.Aber weder durch die Stärkung der Hausärzte nochdurch Formen der integrierten Versorgung, noch durchdie Positivliste können kurzfristig entsprechende Einspa-rungen erwartet werden; denn bei solchen Strukturver-änderungen handelt es sich um tief in bestehende Denk-und Handlungsmuster eingreifende soziale Lernprozes-se. Das benötigt Zeit und muß von den Betroffenen mit-getragen und vor allen Dingen auch mitgestaltet werden.Hinzu kommt, daß das Gesundheitswesen nicht nurÜberkapazitäten und Wirtschaftlichkeitsreserven besitzt.Es hat auch große Felder mit Unterversorgung undNachholbedarf.Erfreulicherweise hat das inzwischen auch die Regie-rung zur Kenntnis genommen. Dennoch zieht sie es vor,nur das Ausgabenproblem des Gesundheitswesenswahrzunehmen und ab sofort ein hart begrenztes Glo-balbudget zu verordnen. Damit dient das richtige Ziel,Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen, nicht primärder Verbesserung in der medizinischen Versorgung. EsDr. Ruth Fuchs
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muß letztendlich als Begründung für eine rigorose Spar-politik herhalten. Eine Gesundheitspolitik, die denWachstumsbereich Gesundheitswesen von der Ent-wicklung der wirtschaftlichen Leistungskraft abkoppelt,kann nur als Teil eines neoliberalen Gesamtkonzeptesverstanden werden.
Darüber hinaus wird deutlich, daß diese Reform pri-mär von wirtschaftspolitisch determinierten Vorgabenund nicht von den eigentlichen gesundheitspolitischenNotwendigkeiten geprägt ist. Ein solcher Sparkurs kannnicht ohne Auswirkungen auf die Patientenversorgungbleiben. Auch wenn man annimmt, daß von einer Stär-kung der hausärztlichen Tätigkeit oder von Formen derintegrierten Versorgung günstige Wirkungen ausgehenkönnen, bleibt die Gefahr für die medizinische Arbeitvorherrschend.Ihnen allen ist bekannt, daß ein bloßer Einspardrucknicht nur fragwürdige, sondern in gleichem Maße auchmedizinisch notwendige Leistungen verhindert. Hinzukommt: Die Verlierer solcher Art von Reformen sind diesozial Schwächeren und insgesamt all jene, die sich amwenigsten wehren können. Soziale Gerechtigkeit undChancengleichheit in der gesundheitlichen Versorgungwerden auch auf solche Weise in Frage gestellt.
Es kann deshalb kaum verwundern, wenn ein so we-nig durchdachtes Herangehen an Reformen von denÄrztinnen und Ärzten und den anderen im Gesundheits-wesen Beschäftigten als Druck in Richtung Qualitäts-minderung und Rationierung empfunden wird. Darüberhinaus weiß man, daß Anbieter medizinischer Leistun-gen, die bei prospektiven Preissystemen im wirtschaftli-chen Wettbewerb stehen, tendenziell zu Unterversor-gung stimuliert werden.
Unter anderem deshalb halten wir es für eine grund-sätzlich falsche Weichenstellung, daß die Bundesregie-rung gewillt ist, ökonomischen Wettbewerb jetzt auchauf Krankenhäuser und andere Leistungserbringer imGesundheitswesen auszudehnen.
Ob man es wahrhaben will oder nicht: Marktprinzipienund wirtschaftlicher Wettbewerb haben in der ge-sundheitlichen Versorgung höchst verhängnisvolle Wir-kungen. Sie machen chronisch Kranke und damit auf-wendige Patienten zu unerwünschten Risiken, und siediskriminieren die sozial Schwächsten.Im übrigen sind die negativen Folgen der Sparpolitikder Regierung schon im laufenden Jahr sichtbar gewor-den. Vor allem in Ostdeutschland ist es als Folge vongrundlohnorientierten Budgetierungen bereits zu massi-ven Androhungen von Personalabbau, zu Abstrichen beider medizinischen Leistungsfähigkeit sowie zu ver-schlechterten Arbeitsbedingungen gekommen. Es ist äu-ßerst dringlich, die besonderen Finanzierungsproblemein Ostdeutschland aufzugreifen und den Transfer zwi-schen West und Ost neu zu regeln.Deshalb wird es von uns außerordentlich begrüßt, daßsich die Regierung jetzt zu konkreten Maßnahmen ent-schlossen hat, um die Finanzsituation verschuldeter Kas-sen in den neuen Bundesländern substantiell zu verbes-sern. Die vorgesehene Kombination von Soforthilfen füreine weitgehende Entschuldung mit einem stufenweisenÜbergang zum gesamtdeutschen Risikostrukturaus-gleich bietet eine tragfähige Lösung. Allerdings hättedie erforderliche Hilfe für unverschuldet in Not gerateneostdeutsche Krankenkassen schon früher eine eigene ge-setzliche Regelung gerechtfertigt.
– Ja, Herr Professor Pfaff, keine Frage: schon bei dervorigen Regierung. Die entsprechenden Herrschaftenmüssen sich das an den eigenen Hut stecken. Der größteFehler war, daß man diese Kreditaufnahme überhauptgarantiert hat.Ich sage trotzdem: besser später als gar nicht. Ichvermute und befürchte, daß Sie durch die Verknüpfungdieses Problems mit der Gesundheitsstrukturreform ver-suchen – in Ihren Reden tun Sie es laufend –, die CDU-regierten Länder ins Boot zu bekommen. Ich sage Ihnenim Interesse des eigentlich parteiübergreifend zu klären-den Problems ganz ehrlich und offen: Ich befürchte, daßdas der Sache leider nicht dienen wird und daß es weit-aus später zu einer Lösung kommen wird.
– Das ist nicht zum Klatschen, lieber Herr Kollege Zöl-ler. Das ist traurig!Dieses Problem muß unbedingt gelöst werden. Ichglaube zwar nicht an Wunder, aber wir wollen einmalsehen, Frau Ministerin, was Ihr Treffen bringen wirdund was es bringen wird, wenn Sie versuchen, IhrenCharme auszuspielen und die Herrschaften noch umzu-stimmen.Abschließend möchte ich aus unserer Sicht sagen:Die gegenwärtige Gesundheitsreform unterscheidet sichim Hinblick auf den Erhalt des Solidarsystems durchauspositiv von den Reformansätzen der Vorgängerregie-rung, aber insgesamt stellt auch sie keine adäquate Ant-wort auf die entscheidenden gesundheitspolitischen Her-ausforderungen dar.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Bevor ich der näch-sten Rednerin das Wort erteile, möchte ich Ihnen mit-teilen, daß die Fraktion der PDS um eine Sitzungsunter-brechung von 30 Minuten nach der Aussprache und vorder Abstimmung gebeten hat.Nun erteile ich der Kollegin Gudrun Schaich-Walch,SPD-Fraktion, das Wort.Dr. Ruth Fuchs
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Herr Präsident!Kolleginnen und Kollegen! Wir haben von Herrn Tho-mae erfahren, welche Freiheiten er sich für die Versi-cherten vorstellt,
nämlich daß sie die Zeche zu bezahlen haben, weil Sienicht den Willen und die Kraft haben, im System das zuverändern, was notwendig ist.
Sie wollen die Beitragssätze der Arbeitgeber fest-schreiben, obwohl Sie die Kosten explodieren lassenwollen. Zu zahlen hat der Versicherte, indem er zumeinen die Beitragssätze bezahlen muß. Zum anderenrufen Sie ihn mit Ihrer sogenannten Selbstbeteiligungoder unter dem Stichwort Eigenverantwortung dazu auf,den Rest über den Bereich zu tragen, den man Zuzah-lung nennt. Das heißt, Sie greifen den Leuten letztend-lich zweimal in die Tasche.
Sie, Herr Thomae, haben allerdings – das muß mansagen – einen Sachverhalt ordentlich beschrieben, näm-lich die Tatsache, daß unser System in den letzten 20Jahren von Debatten über Kostenexplosion, Kosten-dämpfung und Kostensenkung geprägt war und daß wireinen Verteilungskampf unter den Leistungserbringernin diesem Gesundheitssystem haben, der letztendlichimmer auf dem Rücken der Patientinnen und Patientenausgetragen wird. Das erleben wir in der Praxis derzeitwiederum.
Insoweit haben Sie die Situation trefflich beschrieben.Aber was passiert jedesmal, wenn die Politik sagt:Wir wollen Hand an die finanziellen Besitzstände derLeistungserbringer legen, wir wollen sehen, daß dieMittel ordentlich eingesetzt werden? – Dann werden diePatientinnen und Patienten gegen die Politik in Stellunggebracht. Das ist zwar in bezug auf die Besitzstände de-rer, die dort arbeiten, verständlich, aber meiner Meinungnach absolut schädlich für das Allgemeinwohl.
Bei all diesen Auseinandersetzungen, die wir in denletzten Jahren und auch in diesem Jahr erlebt haben,bleibt meiner Meinung nach eine ganz zentrale Fragedes Gesundheitswesens auf der Strecke, nämlich dienach seiner Wirksamkeit, seiner Qualität und nach derNotwendigkeit der erbrachten Leistungen. Wir wissenzwar, was unser Gesundheitssystem kostet, wir wissenaber letztendlich nicht, was es leistet.
Es wird allerhöchste Zeit, daß wir diese Frage stellen,und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Finan-zierbarkeit, sondern insbesondere auch unter dem Ge-sichtspunkt der Qualität.Wir wissen inzwischen von unserem Gesundheitssy-stem, daß das Problem massiver Über-, Unter- undFehlversorgung besteht. Das wollen Sie unter demOberbegriff der Therapiefreiheit festschreiben. Ichmöchte Ihnen an einigen Beispielen deutlich machen,um welche Brisanz es sich dabei handelt.Untersuchungen im Bereich der Fehlversorgung ha-ben ergeben, daß jede fünfte Behandlung, die im Kran-kenhaus durchgeführt wird, ebensogut – bei gleicherQualität – auch ambulant durchzuführen wäre. Ich frageSie: Wer geht schon gerne ins Krankenhaus?Dies ist allerdings noch die harmlose Form. Katastro-phal wird es, wenn in einem noch von Minister Seehoferin Auftrag gegebenen Bericht festgestellt werden muß,daß 25 Prozent aller Eileiterentfernungen und 50 Prozentaller Gebärmutteroperationen unnötig waren. Damitmüssen wir uns auseinandersetzen. Angesichts dieserZahlen müssen doch auch Sie zu der Erkenntnis gelan-gen: Den Schaden hat der Patient; den Nutzen hatte al-lein derjenige, der die Leistung erbracht hat. Dies müs-sen wir beenden.
Auch die Überversorgung ist ein Problem. In derBundesrepublik werden jährlich 5,5 Milliarden DM fürUltraschalluntersuchungen ausgegeben. Aber in Ge-samteuropa werden lediglich 4,5 Milliarden ausgegeben!
Man könnte sagen: Vielleicht ist unsere Bevölkerungdeshalb total gesund. Aber das Gegenteil ist der Fall:Wir geben in Europa das meiste Geld für die medizini-sche Versorgung aus. Trotzdem sind wir hinsichtlich derQualität der Versorgung nicht die Nummer eins.
Ich möchte Ihnen auch Stück für Stück die Bereicheauflisten, in denen Unterversorgung herrscht. Es gibtim Bereich der chronischen Erkrankungen Unterversor-gungen. Diese führen oftmals nicht nur zu einer Verlän-gerung des Leidens, sondern auch zu gravierenden ge-sundheitlichen Schäden, wie zum Beispiel zu Amputa-tionen, die bei schlecht versorgten Diabetikern durch ge-führt werden müssen, die aber letztlich durch eine qua-litativ gute Versorgung hätten vermieden werden kön-nen.
Metadaten/Kopzeile:
5850 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
(C)
Wir müssen uns noch mit einem weiteren Bereich desGesundheitswesens beschäftigen; denn wir müssen auchzur Kenntnis nehmen, daß schlecht versorgte Krankeweitere Kosten produzieren und daß schlecht versorgtePatienten vermeidbare Einbußen ihrer Lebensqualität inunserem Land hinnehmen müssen. Sie persönlich müs-sen den Preis dafür bezahlen, daß sie nicht so wirksambehandelt werden, wie es möglich wäre. Diesem wollenwir endlich und endgültig mit dem Gesetz einen Riegelvorschieben.Wir werden Maßnahmen ergreifen, auf deren Grund-lage die Akteure des Gesundheitswesens gemeinsamvereinbaren können, nach welchen Qualitätskriterienund nach welchen Standards in der Bundesrepublik be-handelt werden soll. Es ist selbstverständlich, daß dazueine gewisse Bandbreite notwendig ist. Aber es kannnicht sein, daß das, was qualitativ gut gemacht werdenkönnte, den Menschen letztendlich vorenthalten wird.Auf diese Weise kann auch nicht das geleistet werden,was notwendigerweise in unserem Gesundheitssystemgeleistet werden muß. Wir müssen endlich dafür sorgen,daß das Geld dorthin gelangt, wo es gebraucht wird, daßder Patient dann behandelt wird, wenn es notwendig ist,und daß der Patient dort behandelt wird, wo es sinnvollist.
Das alles beklagen Sie, Herr Thomae, unter dem Ge-sichtspunkt „Einbuße an Therapiefreiheit“. Ich sage Ih-nen: Auch die Freiheit der Therapie muß dort Grenzenhaben, wo sie sich auf Patientinnen und Patienten nega-tiv auswirkt und etwas nicht so positiv durchgeführtwird, wie es möglich wäre.
Wir haben die anstehenden Aufgaben einem Koordi-nierungsausschuß übertragen,
an dem Ärzte und Patienten im Rahmen des Bundesaus-schusses beteiligt sind.
Sie sollen zusammen mit den Fachleuten der einzelnenArztgruppen und mit den anderen am GesundheitswesenBeteiligten Leitlinien entwickeln und Standards festle-gen. Wir haben uns auch deshalb für diesen Weg ent-schieden, weil wir glauben, daß es in diesem Ausschußganz persönliche wirtschaftliche Interessenskonfliktenicht geben wird und deshalb sachgerechtere Entschei-dungen über die Qualitätssicherung getroffen werden.Vor dem von mir beschriebenen Hintergrund derZielsetzung des Gesetzes, mehr Qualität zu vernünftigenBedingungen durchzusetzen, muß ich ehrlich zugeben,daß ich die Opposition nicht verstehen kann. Ich kannnicht nachvollziehen, wo Sie Probleme sehen.Die Regelungen für den Qualitätsstandard zielenvor allen Dingen darauf ab, daß jeder weiterhin das be-kommt, was er braucht, um seine Krankheit zu heilen,oder daß dem Patienten, wenn seine Krankheit nichtmehr heilbar ist, das zur Verfügung gestellt wird, wasnotwendig ist, um die Auswirkungen dieser Krankheitmöglichst gering zu halten.
Ich bin der festen Überzeugung, das ist zu erreichen –nicht, indem man mehr Geld durch Zuzahlungen in dasSystem pumpt. Das ist nicht eine Frage des Geldes, diewir hiermit zu entscheiden haben. Geld ist meiner Mei-nung nach genügend im System. Es muß an der richti-gen Stelle eingesetzt werden. Solange in unserem Ge-sundheitswesen zu viel und unnötig geröntgt, operiertwird und solange immer noch Medikamente verschrie-ben werden, deren Wirkung nicht nachgewiesen ist, dieaber ihrerseits durchaus Gesundheitsschäden verursa-chen können, solange in unseren Krankenhäusern ausGründen der Kapazitätsauslastung Patienten unterge-bracht werden, obwohl sie ebensogut ambulant operiertund behandelt werden können, so lange ist in unseremGesundheitssystem etwas nicht in Ordnung und so langemüssen wir unser Hauptaugenmerk darauf richten, dieMittel, die wir haben, vernünftig einzusetzen
und das durch vernünftige Verwendung eingesparteGeld dorthin zu lenken, wo es gebraucht wird und zurVerbesserung der Versorgung beitragen kann.
Diesen Weg sollten wir gehen, nicht den Weg: Ein-frierung der Arbeitgeberbeiträge, Erhöhung für die Ar-beitnehmer. Bei guter Qualität auf die Kosten zu achtensind wir meiner Überzeugung nach denjenigen schuldig,die jeden Monat mit vielen hundert Mark ihren Beitragfür das Gesundheitssystem leisten.
Diese Menschen sorgen auch dafür, daß im nächstenJahr 5 Milliarden DM mehr für die Versorgung derkranken Menschen in diesem Lande zur Verfügung ste-hen. Sie aber stellen sich regelmäßig hier hin und tun so,als gäbe es immer weniger.
Es gibt aber beständig immer mehr Geld: 5 Milliarden DMmehr aus den Beiträgen, und wir werden zirka 1 Mil-liarde DM mehr allein aus den 630-DM-Arbeitsver-hältnissen zur Verfügung haben, die endlich sozialver-sicherungspflichtig geworden sind.
Gudrun Schaich-Walch
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5851
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Ich frage Sie auch noch einmal: Wie sieht es denn mitIhren Alternativen aus? Sie sagen uns, wir sollten zu denRegelungen der Vorgängerregierung zurückkehren, diedie Patientinnen und Patienten in Milliardenhöhe bela-stet haben,
die im Bereich Kuren und Rehabilitation eine Tabula-rasa-Politik betrieben haben, an der alle Bundesländer,auch Bayern, immer noch leiden.
Frau Fuchs, es wäre schön gewesen, wir hätten mehrZuzahlungen zurücknehmen können. Aber auch für unsgilt in diesem Bereich: Wir können nicht mehr ausge-ben, als wir in der gesetzlichen Krankenversicherungeinnehmen.
– Wir haben vor den Wahlen Beitragssatzstabilität ver-sprochen
und in diesem Rahmen Rücknahme von Zuzahlungen.Das haben wir auch durchgeführt, Herr Thomae.
Das, was Sie uns hier im Augenblick vorschlagen, istnichts anderes als eine zusätzliche Belastung von Pati-entinnen und Patienten in Milliardenhöhe.
Das führt zur Zweiklassenmedizin. Sie wollen damitdas erreichen, was Sie beim Zahnersatz schon vor einemJahr erreicht haben: daß die Menschen es sich nichtmehr leisten können, die ärztliche Versorgung in An-spruch zu nehmen. Das werden Sie mit uns nichthinkriegen.Wir sind an einem Kompromiß mit Ihnen im Bundes-rat interessiert.
Aber wenn Sie bei der Haltung bleiben, die Sie seit Mo-naten haben, nämlich sich zu verweigern und keineneinzigen inhaltlichen Vorschlag auf den Tisch zu legen,dann werden wir prüfen, was alles zustimmungsfreimöglich ist.
[CDU/CSU]: Das dauert aber
Nun erteile ich dem
Kollegen Wolfgang Schäuble, Vorsitzender der CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsi-dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die KollegenGesundheitspolitiker, die Fachleute in diesem Haus,mögen mir verzeihen, wenn ich als Nichtexperte dieEmpfindung äußere, daß in dieser Debatte, in der es umsehr viele komplizierte technische Fragen geht, ein biß-chen zu viel von Leistungserbringern und Kosten und alldiesen Dingen die Rede ist. Deswegen lautet mein ersterSatz: Aus der Sicht der Patienten haben wir in erster Li-nie immer wieder daran zu erinnern, daß wir inDeutschland ein gutes System und ein hohes Niveau ge-sundheitlicher Versorgung haben.
Ich glaube, gerade wenn man über so schwierige Fra-gen redet und sie regeln muß, ist es richtig, in der De-batte ein Wort des Dankes an die sogenannten Lei-stungserbringer, also an die Ärzte, an die Kranken-schwestern und Krankenpfleger, an die Physiotherapeu-ten, an die Krankengymnasten und an alle medizini-schen Hilfsberufe zu richten.
Wir sollten darauf achten, daß die Debatte nicht soverstanden wird, als würden wir eine Art Kriminalitäts-bekämpfungsgesetz beraten. Nein, es geht darum, dashohe Niveau gesundheitlicher Versorgung in Deutsch-land zu erhalten und für die Zukunft zu sichern,
und das unter sich verändernden Rahmenbedingungen.Es gibt Veränderungen im Altersaufbau und beim medi-zinischen Fortschritt, der ungeheuerlich ist – ein Segenfür die Menschen –, ein stärker werdendes Bewußtseinder Menschen für die Notwendigkeit der Gesundheit unddergleichen mehr. Deswegen ist es überhaupt keine Fra-ge, daß unser System der gesetzlichen Krankenversiche-rung reformbedürftig ist. Das ist völlig außer Streit,deswegen sage ich das als zweiten Satz.
Als dritten Satz will ich ausführen, Frau Minister Fi-scher, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koaliti-onsfraktionen: Das Gesetz, das Sie heute verabschiedenwollen, ist keine Grundlage für eine verantwortbare Re-form unserer gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Kollege Lohmann hat das Verfahren ganz ruhigund nüchtern, wie er ist, geschildert. Es hat doch wirk-lich keinen Sinn, das Verfahren zu behindern. Das habenwir auch nicht getan, sondern zugestimmt, daß heute diezweite und dritte Lesung stattfinden kann, obwohl esvon den Fristen her nicht möglich wäre. Wir hatten da-bei aber nicht im Traum die Vorstellung, daß Sie in denletzten Tagen der Ausschußberatungen 345 Seiten Än-Gudrun Schaich-Walch
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5852 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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derungsanträge einbringen würden, davon gestern, wieich gehört habe, noch einmal an die 50 Seiten.
– Ich will Ihnen sagen: Ich höre im Moment von denKollegen, daß in der Beschlußempfehlung des Aus-schusses ein Punkt zur Beschlußfassung vorgeschlagenist – ich kann das gar nicht prüfen, kein Mensch kanndas im einzelnen übersehen –
den Sie gestern als Antrag eingebracht und dann wiederzurückgezogen haben, weil Sie ein neues Anhörungsver-fahren ausgelöst hätten.
Jetzt liegt er wieder der Beschlußempfehlung zugrunde.Nun mag es sein, daß das ein Versehen ist.
Man muß aber ein wenig darauf achten, denn der Ver-dacht liegt nahe, daß Sie sagen: Probieren wir es so,wenn es anders nicht geht. Ich will das aber nicht un-terstellen.
Die Rückfrage, die ein Fraktionsvorsitzender an seineKollegen im Ausschuß stellen muß, lautet: Könnt Ihrdenn garantieren, daß ansonsten alles dem entspricht,was der Ausschuß beschlossen hat? Die Antwort ist:Kein Mensch kann das garantieren. Wie wollen wir alsGesetzgeber verantworten, daß wir etwas beschließen,Frau Minister, obwohl im Zweifel nicht einmal Sie wis-sen, was in der Beschlußempfehlung genau steht?
Ich mache eine weitere Bemerkung. Der Bundesratmuß diesem Gesetz zustimmen, sonst kommt es nichtzustande. Gibt es nicht von vornherein eine Überein-stimmung, kann es zu einem Vermittlungsverfahrenkommen. Das ist alles geregelt. Es ist unvorstellbar, daßman ein solches Gesetz, das im Bundestag mit so wenigSorgfalt beraten worden ist, nun im Vermittlungsaus-schuß in irgendwelchen Arbeitsgruppen – die Vermitt-lungsausschußmitglieder sind an keine Weisung gebun-den – quasi vollständig neu beraten muß, wobei dieRolle der Regierung nur eine beratende ist. Der Ver-mittlungsausschuß ist ein Organ, mit Hilfe dessen amSchluß eines Gesetzgebungsverfahrens bestehende Dif-ferenzen zwischen Bundestag und Bundesrat aus derWelt geschaffen und vielleicht eine Einigung gefundenwerden soll. Aber es soll nicht dazu dienen, ein Gesetzvon Anfang an neu zu beraten. Das wäre eine Perversiondes Vermittlungsverfahrens.
Frau Minister Fischer, es war für Menschen, die nichtjeden Tag mit den Auseinandersetzungen zu tun haben,schon ein bißchen bezeichnend, daß Sie anläßlich derzweiten und dritten Lesung des Gesetzes, also anläßlichder Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag, dieFraktionen des Bundestages zu einem Gespräch in dernächsten Woche einladen, bei dem darüber diskutiertwerden soll, wie man das Gesetz gemeinsam verab-schieden kann. Das ist schon ein bißchen absurd.
Es ist auch ziemlich peinlich, wenn Sie die Lösungder Probleme der ostdeutschen Krankenkassen – ohnejede Not und ohne jede sachliche Begründung – in die-sem Gesetz regeln wollen, nach dem Motto: Wollen wireinmal schauen, ob sich nicht der eine oder andere aufdiesem Wege für die Zustimmung zu diesem Gesetz, daser eigentlich ablehnen möchte, gewinnen oder – wie ichsalopp sagen möchte – kaufen läßt. Sie lassen sich nichtkaufen.
Wenn schon der brandenburgische MinisterpräsidentStolpe, der nicht der CDU/CSU angehört,
gestern nach einer Konferenz der ostdeutschen Mini-sterpräsidenten gesagt hat, dieses Junktim werde vonden ostdeutschen Ländern nicht unterstützt, sollten Siedoch merken: Solche Versuche sollten Sie bleiben las-sen, wenn es Ihnen darum geht, eine verantwortungs-volle Reform zu machen.
Wenn das Gesundheitswesen, etwa das Kranken-hauswesen und die gesetzliche Krankenversicherung,gesetzlich reformiert werden muß, dann muß man sichklarmachen: Die veränderten Rahmenbedingungen, dieich angedeutet habe – ich will keine lange Rede zur Sa-che halten –, sprechen wohl dafür, daß wir einen wach-senden Bedarf an Leistungen unseres Gesundheitssy-stems haben. Ich glaube nicht, Herr Dreßler – darüberwerden wir beide uns wahrscheinlich nie verständigen –,daß man einen dynamisch wachsenden Bedarf – Bedarfheißt auch wachsende Nachfrage der Menschen – mitbürokratischen Systemen regeln kann. Das ist ein grund-sätzlich falscher Ansatz.
Deswegen wird der Ansatz der Budgetierung nicht tra-gen.Im übrigen, Herr Dreßler, sollten Sie uns nicht vor-werfen, wir würden mehr Geld ausgeben. Sie haben be-schlossene und in Kraft gesetzte Maßnahmen, die Sie imWahlkampf bekämpft haben – das ist ja in Ordnung; wirhaben das Wahlergebnis akzeptiert –, in diesem Jahr zu-rückgenommen, damit der gesetzlichen Krankenversi-cherung Einnahmen entzogen und zugleich die Ausga-ben der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeweitet.
Dr. Wolfgang Schäuble
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Die Methode „Haltet den Dieb“ funktioniert also nicht.
Sie können jetzt ganz spitzfindig sagen, Zuzahlungenseien keine Einnahmen für die Krankenkassen. Aber an-gesichts des wachsenden Bedarfs an gesundheitlichenLeistungen haben Sie die Einnahmen verringert.Deswegen will ich Ihnen sagen: Wenn Sie diesen dy-namisch wachsenden Bedarf – die Bevölkerung will jamehr an Gesundheitsleistungen haben; sie will die Seg-nungen behalten – deckeln wollen, wird es besser sein,daß wir uns darüber verständigen, was solidarisch undsozial an Grundsicherung gewährleistet werden muß,inwieweit die Eigenbeteiligung von Versicherten undPatienten möglich sind und welche Steuerungselementesich daraus ergeben.Bei der Debatte um die Budgetierung hat man dasGefühl, daß Sie ein furchtbares Mißtrauen gegen Ärzteund Patienten haben, Frau Ministerin. Ich finde, Siesollten das nicht haben, sondern den Menschen mehrzutrauen.
Nützen Sie die Elemente der Wahlfreiheit bei Lei-stungserbringern – so lautet ja der technische Begriff –und Versicherten sowie die eines verstärkten Wettbe-werbs und einer größeren Transparenz. Mit diesen vierElementen werden wir – wenn Sie wollen, gemeinsam –eine verantwortliche und dem Interesse der Menschendienende Reform unserer gesetzlichen Krankenversiche-rung zustande bringen. Dies kann aber nicht auf der Ba-sis des vorliegenden Gesetzentwurfes erfolgen. WennSie ihn zurücknehmen und nächste Woche mit Gesprä-chen beginnen wollen, sind wir dazu bereit.
Ich gebe das Wortfür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der KolleginKatrin Göring-Eckardt.
Alle diejenigen, mit denen wir im vergangenen Jahr überdas Gesundheitssystem gesprochen haben, sind sich dar-über einig – auch Herr Schäuble hat das soeben betont –:Wir haben zum einen trotz Unterversorgung in einigenBereichen eines der besten Gesundheitssysteme derWelt. Dieses Gesundheitssystem – auch das haben Siesoeben zugestanden – ist zum anderen dringend reform-bedürftig, damit es überhaupt erhalten werden undüberleben kann.Herr Kollege Schäuble, jetzt zu sagen, dieses Systemsei zwar reformbedürftig, aber da, wo Sie die Verant-wortung für die Patientinnen und Patienten mittragen,nämlich in den Ländern, sei man nicht zu Gesprächenbereit, das halte ich für eine Form der Auseinanderset-zung, für die wir nicht zur Verfügung stehen. Das verun-sichert die Menschen draußen nach all den Kampagnender letzten Wochen und Monate noch mehr. Ich glaube,Sie nehmen hier Ihre Verantwortung nicht wahr, son-dern betreiben weiterhin Verunsicherung auf eine Wei-se, die zu Lasten gerade der Schwachen in unserer Ge-sellschaft geht. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.
Natürlich wissen wir, daß jede Reform im Gesund-heitsbereich von großer Aufregung begleitet wird. HerrSeehofer weiß das. Manche im Haus erinnern sich nochdaran, daß Herr Blüm – Spaßvogel, der er nun einmal ist– irgendwann einmal Sozialhilfeanträge an demonstrie-rende Ärzte verteilt hat. Ich sage das ohne Häme, aberauch ohne Leichtfertigkeit nach dem Motto: „Kritik in-teressiert uns nicht“. Im Gegenteil: Sie interessiert uns.Ein derart offener Umgang mit Kritik, aber auch mit Be-stärkung, wie er dieses Gesetzesvorhaben begleitet hat,hat es noch in keiner Regierung bei keiner Gesundheits-reform gegeben. Deswegen kann man hier nach einemderartig offenen Prozeß die über Monate hinweg ge-machten Vorwürfe, was das Verfahren im Parlament an-geht, mit aller Deutlichkeit zurückweisen. Das tue ichhier für meine Fraktion.
Warum ist dieses Thema so sensibel? Auf der einenSeite geht es um Besitzstände, die sicherlich keiner ger-ne aufgibt. Auf der anderen Seite geht es um das Intim-ste, was man sich vorstellen kann, nämlich um die eige-ne Gesundheit, um den eigenen Körper, im Zweifel umLeben und Tod. Deswegen ist es unzulässig, die Ängsteder Menschen zu instrumentalisieren, wie das in denletzten Wochen geschehen ist und wie Sie es heute aufdie Spitze getrieben haben. Ich habe keine Lust darauf,daß, wenn wir im Bundesrat über die Umsetzung desvorliegenden Gesetzentwurfes sprechen und darüberdiskutieren, welche Möglichkeiten am besten zu demZiel führen, das bestehende System zu erhalten, dies aufKosten derjenigen ausgetragen wird, die sowieso schonverängstigt sind.Wenn Sie unsere Vorschläge rundweg ablehnen, danngibt es einige Fragen, die Sie den Patientinnen und Pati-enten sowie den Versicherten zu beantworten haben.Alle Welt beklagt sich über die Sektorierung im Ge-sundheitswesen: hier die niedergelassenen Ärzte, dortdie Krankenhäuser, die Reha-Einrichtungen und diephysiotherapeutische Praxis.
Wenn ein Mensch all diese Sektoren durchläuft, ist nichtsichergestellt, daß irgendeiner derjenigen, der an dereinen Stelle behandelt, etwas von dem anderen weiß, derauch schon behandelt hat.Wenn Sie meinen, daß es weiter verantwortbar ist,innovative Elemente wie Modernität und Teamarbeit imGesundheitswesen außen vor zu lassen und den Patien-ten nicht zu gewähren, statt dessen aber ein System, beiDr. Wolfgang Schäuble
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dem die eine Abteilung dieses und die andere jenesmacht, ohne daß je darüber geredet würde, und das injedem Wirtschaftsunternehmen nicht mehr tragbar wäre,zu befürworten, dann lehnen Sie diesen Gesetzentwurfab. Diese Haltung müssen Sie den Patientinnen und Pa-tienten dann aber auch erklären.Zweitens. Man könnte wahrscheinlich – wir alle ha-ben vermutlich nicht genügend Zeit dafür – jeden Abendauf einem anderen Sender im Fernsehen einen Film se-hen, der von einem Landarzt handelt, der die Kinder unddie Eltern kennt, von den Großeltern und vom Liebes-kummer weiß und im Zweifelsfall auch eine warmeSuppe bereithält. Natürlich geht es bei der Stärkung desHausarztsystems nicht um diese Umsetzung eines sol-chen Klischees von einer heilen Welt. Es geht aberschon um das Gute daran: Es soll nämlich derjenige ge-stärkt werden, der im Sinne der Patientinnen und Pati-enten den ganzen Menschen in seinem Umfeld, in seinerGeschichte und im konkreten Leben im Auge hat. Essollen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden,damit er diese Arbeit gut leisten kann.
Wir haben dazu ganz konkrete Vorschläge gemacht;über die wurde ja heute auch geredet. Durch dieses Ge-setz soll die Rolle der Hausärzte in der KassenärztlichenBundesvereinigung gestärkt und die sprechende Medizinaufgewertet werden. All das wird dazu führen, daßHausärztinnen und Hausärzte ihre eigentliche Aufgabewahrnehmen und kompetente Partnerinnen und Partnerfür die Patientinnen und Patienten werden können.Wenn Sie verhindern wollen, daß Patientinnen und Pati-enten solche Partner zur Verfügung stehen, dann müssenSie gegen dieses Gesetz stimmen.Drittens. Alle hier wissen, daß Vorbeugung immerdie beste Medizin ist. Das Gesetz sieht vor, daß an Handvon klaren Kriterien und mit einem sich jährlich dyna-misierenden Betrag Prävention und qualitativ hochwer-tige Vorsorgemaßnahmen zum Standardprogrammwerden.
Vorsorgemaßnahmen setzen beispielsweise im zahn-ärztlichen Bereich bei denen an, die sie tatsächlich brau-chen, nämlich bei besonders gefährdeten Kindern undJugendlichen. Das ist eine ganz konkrete Antwort aufdie von Ihnen eingeführte Streichung von Zahnersatzlei-stungen für nach 1978 Geborene, die wir bereits zurück-genommen haben.
Wenn Sie dahin zurückwollen, müssen Sie es sagen undgegen das Gesetz stimmen.Viertens. Sie wissen, daß es die beste Möglichkeit fürden Umgang mit einer Krankheit ist und auch der Ge-sundungsprozeß am besten dadurch unterstützt wird,wenn Patientinnen und Patienten selbst einbezogen wer-den und ihre Kompetenz einbringen können. Die Selbst-hilfebewegung in Deutschland leistet in Verbänden, inkleinen und großen Gruppen hier richtige, gute und un-verzichtbare Arbeit. Selbsthilfe braucht aber auch Un-terstützung. Deswegen geben wir das klare Signal, daßSelbsthilfeeinrichtungen künftig auch finanziell von denKrankenkassen unterstützt werden.
Das wird natürlich auch Rückwirkungen auf das Ge-sundheitssystem haben. Wenn nämlich solche Kompe-tenz klarer organisiert ist, kann sie auch in die weitereEntwicklung des Systems zurückfließen. Wenn Sie da-gegen sind, müssen Sie eben gegen dieses Gesetz stim-men.Fünftens. Jede Illustrierte macht heute Patientenbe-ratung. Ärztinnen und Ärzte beklagen zu Recht, daßderart „aufgeklärte“ Patienten mit teilweise schwierigeneigenen Vorstellungen zu ihnen kommen. Weil wir dasVertrauensverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten aufder einen und Patientinnen und Patienten auf der ande-ren Seite stärken wollen, sehen wir in Form von Mo-dellversuchen unabhängige Patientenberatung, diekompetent beraten kann, in unserem Gesetz vor. Auchdavon erwarten wir uns natürlich Rückwirkungen aufdie weitere Entwicklung des Systems. Patientenberatungdient zur Stärkung von Eigenverantwortung und vonSelbstbestimmung.Sechstens. Es bestreitet niemand, daß angesichts vonmehr als 40 000 Arzneimitteln eine große Unübersicht-lichkeit auf dem Markt herrscht und es notwendig ist,neben der Zulassung auch noch für Qualitätssicherungzu sorgen. Patientinnen und Patienten wollen genau wis-sen, daß ein Medikament für ihren Fall wirksam ist. ZurQualitätssicherung und nicht auf Grund irgendwelcherEinsparmaßnahmen wollen wir eine Positivliste für dieSchulmedizin auf der einen und für Medikamente mitbesonderen Therapierichtungen auf der anderen Seiteeinführen. Wenn Sie dieses Gesetz ablehnen, werden Siebegründen müssen, warum Sie nicht für eine solche zu-sätzliche Qualitätsprüfung im Sinne der Patientinnenund Patienten sind.
Über die Situation in Ostdeutschland ist heute schonviel gesagt worden. Wenn Sie die Regelung bezüglichder Krankenkassen in Ostdeutschland nur als strategi-sches Element hinstellen wollen, dann verkennen Sie ge-rade die Lage derjenigen, die in den Allgemeinen Orts-krankenkassen in Ostdeutschland versichert sind. Dazugehören nämlich diejenigen, die nicht zu den Gewinne-rinnen und Gewinnern der deutschen Einheit gehören,sondern diejenigen, die unsere Unterstützung und dasganz klare Signal brauchen, daß die beiden getrenntenRechtskreise, die wir im Gesundheitswesen in Ost undWest immer noch haben, endlich aufgehoben werden.Diese Maßnahme ist nicht strategisch, sondern längstüberfällig. Wir packen sie mit diesem Gesetzentwurf an.Darum werbe ich an dieser Stelle eindringlich um IhreZustimmung.
Katrin Göring-Eckardt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5855
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Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Ich möchte am Ende meiner Rede auf Ihre Alternati-
ven verweisen.
Was bei uns Prävention, Selbsthilfe, Eigenkompetenz
und Selbstbestimmung heißt, heißt bei Ihnen neue Zu-
zahlungen. Was bei uns Stärkung der hausärztlichen
Versorgung und integrierte Versorgung heißt, heißt bei
einem Teil von Ihnen, Eintrittsgeld beim Arzt zu bezah-
len.
Man kann nur feststellen, daß Sie keine weiteren An-
gebote haben. Darüber haben wir heute nichts gehört.
Wir haben von Ihnen nur gehört, daß Sie nicht darüber
reden wollen, wie das Gesundheitswesen gesichert wer-
den kann und wie wir für die Patientinnen und Patienten
mehr Vertrauen, mehr Sicherheit und mehr Selbstbe-
stimmung schaffen können. Ich finde diese Haltung sehr
schade und fordere Sie auf, diese Haltung zu überden-
ken.
Vielen Dank.
Ich gebe nunmehrder Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Fa-milie, Frauen und Gesundheit des Freistaates Bayern,Barbara Stamm, das Wort.Barbara Stamm, Staatsministerin (vonAbgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): HerrPräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Wenn man sich die heutige Debatte vergegenwärtigt undwenn man Ihre Argumente, Frau Bundesgesundheitsmi-nisterin Fischer, und die der Kolleginnen und Kollegender Regierungsfraktionen hört, in denen immer wiederIhre Kritik gegenüber der Opposition in diesem Hauseund gegenüber der Union im Bundesrat – wir seien kon-zeptlos – zum Ausdruck kommt, dann kann ich nur fest-stellen: Sie waren es doch – das kann man Ihnen garnicht oft genug sagen –, die mit dem hohen Anspruchdie Regierungsverantwortung übernommen haben: Wirmachen nicht alles anders, aber wir machen alles besser.
Alle waren begeistert von dem, was Sie besser machenwollten. Aber nun können Sie es nicht besser machen;Sie bessern nur nach. Sie sind wirklich die Nachbesse-rungsregierung: Was heute morgen gilt, ist am Abendschon nicht mehr gültig.
Jetzt beschweren Sie sich bei der Opposition in die-sem Hohen Hause und demnächst bei den von der Unionregierten Ländern im Bundesrat, daß wir nicht bereitsind, Konzepte zu liefern und den Dialog mit Ihnen zuführen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ichkann Ihnen dazu schlicht und einfach sagen: Sie hättenkein sogenanntes Solidaritätsstärkungsgesetz zum 1.Januar 1999 in Angriff nehmen müssen. Sie hatten ge-ordnete Verhältnisse in der gesetzlichen Krankenversi-cherung, Frau Bundesgesundheitsministerin.
– Natürlich hatten Sie geordnete Verhältnisse.
Es gab einen Überschuß von 1 Milliarde DM im Jahre1998.Was ist aber dann passiert? Mit Ihrem sogenanntenSolidaritätsstärkungsgesetz haben Sie diesen Überschußim Grunde genommen für die Zukunft aufgebraucht.
Wir haben mittlerweile ein Defizit von 3,3 MilliardenDM, was Sie zu verantworten haben.
Frau Bundesgesundheitsministerin, ich habe wirklichgedacht, mir verschlägt es den Atem, als Sie gesagt ha-ben, Sie wollten geordnete Verhältnisse schaffen. Siehatten geordnete Verhältnisse in der gesetzlichen Kran-kenversicherung.
Ein weiterer Punkt. Frau Bundesgesundheitsministe-rin, es muß endlich einmal mit den MärchenstundenSchluß sein. Sie sagen, daß wir den Dialog verweigern.Was haben Sie denn in den zurückliegenden Monatenmit den von der Union regierten Länder gemacht? Wieoft haben wir – auch ich persönlich – Sie gebeten, vorIhrem ersten Arbeitsentwurf Gespräche nicht nur mitden A-Ländern, sondern auch mit den B-Ländern aufzu-nehmen. Sie aber haben gesagt: Das nimmt nun allesseinen Lauf, wir machen das schon. Dabei haben Sieimmer die Verhältnisse im Bundesrat im Auge gehabt.Sie haben uns doch nicht gebraucht, Frau Bundesge-sundheitsministerin.
Nun aber stehen Sie vor der Tatsache, daß es Ihnenmißglückt ist, bestimmte Ostländer einzukaufen, undzwar wegen der Krankenkassenhilfe Ost.
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Ich muß schon sagen: Dies geschah auf unappetitlicheArt und Weise. Ihr Staatssekretär Jordan ist doch in denvergangenen Wochen auf Reisen gegangen, um seinEinkaufsmodell, betreffend bestimmte von der Unionregierte Länder, im Osten auf den Weg zu bringen.
Nein, so können wir nicht miteinander reden.
Frau Bundesgesundheitsministerin, es sind noch eini-ge Wochen bis zur Bundesratssitzung. Ich kann Ihnenheute sagen: Es wird Ihnen nicht gelingen, die Unions-seite in diesem Punkt auseinanderzubringen.
Es wird Ihnen auch nicht gelingen, im Vorfeld mit unsKonzepte zu erarbeiten. Wir sind nur dann bereit, mitIhnen ein Konzept zu entwickeln, das den Namen Ge-sundheitsreform 2000 auch wirklich verdient,
wenn Sie Ihr Gesetz in Gänze zurücknehmen und mituns gemeinsam die Weichen neu stellen.
Wir haben in den Ländern noch so viel Verantwortungund Selbstbewußtsein, daß wir die Gesundheitspolitikauch in Zukunft mitgestalten wollen.Herr Kollege Dreßler, nicht nur Sie erinnern sich anLahnstein. Es gibt noch andere Kolleginnen und Kolle-gen, die dort waren. Was geschah denn in Lahnstein?Was wollten Sie damals mit dem Kompromiß erreichen,Herr Kollege Dreßler? Sie wollten das Globalbudget;das war im Jahre 1992.
Herr Dreßler ist stehengeblieben; er hat sich nicht wei-terentwickelt. Er fordert noch immer das Globalbudget.
Dabei hatten wir mittlerweile ganz andere Herausforde-rungen im Gesundheitswesen zu bewältigen.
Was wollten Sie noch? Sie wollten die Monistik.Lieber Herr Kollege Dreßler, mich wundert es schon:Anscheinend haben bayerische Kolleginnen und Kolle-gen aus der SPD in diesem Hohen Haus und auch in derRegierung überhaupt nichts mehr zu sagen. Im Bayeri-schen Landtag nämlich gibt es diesbezüglich einen An-trag nach dem anderen. Wo immer Kolleginnen undKollegen aus der SPD bei Krankenhauseinweihungenzugegen sind, sagen sie: Wir sind gegen die Monistik.Wir wollen die Letztverantwortung bei der Kranken-hausplanung haben.
Sie sprechen hier doch nicht mit einer Stimme. Für wassind Sie denn nun?
Wer sich an Lahnstein erinnert, der weiß: Herr Dreß-ler forderte das Globalbudget, die Monistik – damit kamer aber nicht durch – und die Positivliste.
Wir alle wissen: Mitten in der Nacht und in den frühenMorgenstunden kam es nach mehreren Auftritten – eswurde gerufen: wir sind dagegen, wir machen nichtmit! – zu Sitzungsunterbrechungen. Zu sehr später Stun-de, fast in letzter Minute haben wir uns auf die Positiv-liste geeinigt, um einen Kompromiß zu erzielen.Verehrter, lieber Herr Kollege Dreßler, ich persönlichund die Union stehen dazu: Wir haben in Lahnstein ge-meinsam – mit Seehofer – zu dem Kompromiß „Posi-tivliste“ gefunden; das ist richtig. Es war aber nicht dieIdee der Union, auch nicht die der F.D.P. Sie wollten diePositivliste, und im Kompromiß haben Sie sich durchge-setzt.Wir haben aus guten, vertretbaren Gründen von die-ser Positivliste Abschied genommen,
und zwar deshalb, weil wir uns weiterentwickelt haben.Wir haben gesehen, daß die Therapiefreiheit des Arztesmit einer Positivliste nicht mehr gegeben ist. VerehrterHerr Kollege Dreßler, wenn Sie sich mit SPD-Ministerpräsidenten unterhalten, werden Sie sehr schnellfeststellen, daß auch einige von denen
die Positivliste, was den Pharmastandort BundesrepublikDeutschland anbelangt, als sehr negativ ansehen.
Das war letztlich der Grund, warum wir davon Abschiedgenommen haben.
Frau Staatsministe-
rin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Irber?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein,ich muß mich leider an die Zeit halten. Ich habe ein sehrstrenges Zeitbudget.
Herr Kollege Dreßler, eines hat mich heute sehr er-schüttert,
aber das wird wohl Ihre Botschaft an viele alte, chro-nisch kranke Menschen sein. Sie haben gesagt, Sie seienStaatsministerin Barbara Stamm
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5857
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deshalb für die Positivliste, weil sie von therapeuti-schem Schrott bereinigt werden müsse.
Das ist Ihre Botschaft an viele Kranke und Ältere, vorallen Dingen an chronisch Kranke, die in Zukunft Arz-neimittel nicht mehr durch die gesetzliche Krankenver-sicherung finanziert bekommen, weil die von der Listegestrichen worden sind.
Angesichts dessen werfen wir Ihnen die soziale Kälteund die soziale Ungerechtigkeit vor, die Sie uns bei derZuzahlung unterstellt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß mansich mit einer so angelegten, in Bürokratismus ver-strickten Reform ins Jahr 2000 aufmacht, ist völlig un-verständlich.
Man muß sich nur einmal vorstellen, was allein der Me-dizinische Dienst regeln soll,
was nicht mehr in die Verantwortung des einzelnenArztes und der einzelnen Krankenhäuser gehören soll!Lassen Sie mich noch einmal kurz auf die Kranken-häuser zu sprechen kommen. Herr Kollege Dreßler, wirnehmen für uns als Länder und vor allen Dingen für unsin Bayern in Anspruch, daß wir unsere Hausaufgaben inder Krankenhauspolitik immer gemacht haben. 1,2 Mil-liarden DM gibt der Freistaat Bayern jährlich für dieFörderung seiner Kliniken aus. Sie führen eine Monistikein, sind aber nicht bereit, die Gegenfinanzierung zu lie-fern, Frau Kollegin Fischer.
Im Jahre 2008 wird es 4 Milliarden DM weniger an In-vestitionsmitteln für unsere Krankenhäuser in Deutsch-land geben. Das ist Ihre Antwort.
Wie wollen Sie denn den kranken Menschen gerechtwerden? Wenn in der heutigen Debatte gesagt wird, Sienähmen den Menschen nichts weg, dann frage ich Sie,wo Sie leben.
Wir brauchen ja gar nicht mehr die Frage zu stellen, obwir schon eine Zweiklassenmedizin haben. Wir habensie schon, meine sehr verehrten Damen und Herren.
– Ja, durch das Vorschaltgesetz und die Budgetierungenin diesem Jahr.Dann sagen Sie hier, es gebe keine Wartelisten inKrankenhäusern.
Es gibt sie, und sie führen dazu, daß ältere Menschenauf notwendige Operationen warten müssen,
obwohl es für sie medizinisch wichtig wäre, umgehendoperiert zu werden. Gehen Sie doch einmal in Sozialsta-tionen und unterhalten sich dort mit den Menschen.Dann werden Sie erfahren, daß heute bei schwerstpfle-gebedürftigen Menschen, die zu Hause leben, die Kran-kenversicherung nicht mehr für Leistungen eintritt, dienoch im vergangenen Jahr selbstverständlich gewesensind.
Schon heute werden in Arztpraxen keine neuen Patien-ten aufgenommen, weil das Budget ausgeschöpft ist.
Wissen Sie denn überhaupt, wohin Ihr Gesetz mit die-sem Globalbudget führen wird?
Im übrigen frage ich mich, wo es in Deutschlandüberhaupt noch eine Krankenkasse gibt, die mit diesemGlobalbudget zurechtkommt. Die Krankenkassen habenSie doch verlassen. Sie brauchen nur einmal nachzule-sen, was Herr Rebscher vor einigen Tagen von sich ge-geben hat, und Sie brauchen nur die Protokolle derSachverständigenanhörung nachzulesen. Dann werdenSie feststellen, daß selbst der Koalition nahestehendeWissenschaftler ganz deutlich gemacht haben, daß dasGlobalbudget mit dem medizinischen Fortschritt einfachnicht in Übereinstimmung zu bringen ist, wenn Sie es soeng an die Grundlohnsumme binden.Nun sagen Sie, Sie hätten es gelockert, und es kommenun ein bißchen mehr Geld in das System hinein. Dazuverweise ich ganz schlicht und einfach darauf, daß Siedas, was Sie an Lockerungen im Budget vorgenommenhaben, in Ihrem Gesetzentwurf zum Teil schon wiederverfrühstückt haben.
Insofern glaube ich schon – es ist hier die Polemikbedauert worden –, es war nicht gut, wie in den zurück-liegenden Wochen und Monaten auch Ärzte in die Kritikgekommen sind.
– Natürlich! – Ich lege Wert auf die Feststellung, daß ineinem modernen Gesundheitswesen, das vor allen Din-gen auch unseren älteren Menschen gerecht werden soll,der Leistung auch das Geld folgen muß.
Staatsministerin Barbara Stamm
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5858 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Das muß auch in dieser Debatte deutlich werden. Ichstehe auch dafür, daß in das Gesundheitswesen inDeutschland mehr Markt hineinkommen muß,
mehr Wettbewerb hineinkommen muß. Ich will hieraber nicht ausschließlich dem Markt das Wort reden.
Im Gegensatz zu dem von Ihnen vorgesehenen Bürokra-tismus mit dem Medizinischen Dienst und dem Global-budget müssen der Markt, der Wettbewerb und die Ver-antwortung derjenigen, die in der Selbstverwaltung sind,gestärkt werden.
Wir verstehen Selbstverwaltung nicht so, daß es dabeium ein Diktat der Krankenkassen geht.
Für mich war ja interessant, daß Sie, Frau KolleginSchaich-Walch, gesagt haben – ich formuliere das jetzteinmal vom Standpunkt der Länderseite –: Entwedermachen Sie jetzt mit,
oder wir werden das Gesetz sozusagen auseinanderneh-men und werden das Paket trennen in das, was zustim-mungspflichtig ist, und das, was zustimmungsfrei ist.Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei. Machen Sie es! FrauKollegin Fischer, gehen Sie es an! Machen Sie das Ge-setz zustimmungsfrei; Sie werden dann schon sehen,was dabei übrigbleibt. Zu Strukturveränderungen wer-den Sie so nicht kommen. Aber wir haben dann keineVerantwortung dafür.
Vielen Dank.
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht der Kollege Detlef Parr.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Mit dieser Debatte sind wir am vorläufigen
Ende einer Odyssee angelangt, einer Irrfahrt, die mit der
Verweigerung eines ehrlichen Dialogs mit den Betroffe-
nen begann – Terminanfragen, Frau Ministerin, sind of-
fensichtlich bei Ihnen auf dem Stapel mit den Glückwün-
schen zum Amtsantritt gelandet –, die sich nach den An-
hörungen mit der verpaßten Chance von grundlegenden
Änderungen und grundlegenden Korrekturen fortsetzte
und die im Wirrwarr der Änderungsanträge im Ausschuß
endete. Für mich ist das eine Politik nach Gutsherrenart.
Jüngstes und eklatantestes Beispiel ist die hand-
streichartige Einführung eines bundesweiten Risiko-
strukturausgleiches, gekrönt von einer kräftigen Fi-
nanzspritze für die überschuldeten Ortskrankenkassen in
den neuen Ländern. Wer die überaus komplizierten Fra-
gen des Ausgleichs der unterschiedlichen Risikostruktu-
ren der Kassen, die schon zahlreichen Experten seit Jah-
ren Kopfzerbrechen bereiten, im Vorbeigehen erledigen
will, ist an Verantwortungslosigkeit nicht zu übertreffen.
Ihr Herz mag links schlagen; mit der linken Hand lösen
können Sie solche Probleme nicht.
Die alte Koalition war sich der Komplexität des The-
mas völlig bewußt; sie hatte ein Gutachten des Sachver-
ständigenrates angefordert. Das würde in Kürze vorliegen,
wenn Sie, Frau Ministerin, als eine Ihrer ersten Amts-
handlungen nicht diesen Auftrag storniert hätten.
In der Anhörung war das Echo der von Ihrer Entschul-
dungsaktion betroffenen Krankenkassen erwartungsge-
mäß verheerend, natürlich mit der Ausnahme der AOK,
die gegen das großzügige Geschenk der Ministerin
nichts einzuwenden hatte. Aber der Chef der Barmer Er-
satzkasse, Ekkehard Fiedler, hat Ihren Raubzug bei den
gut wirtschaftenden Kassen im Westen völlig zu Recht
als – ich zitiere – schallende Ohrfeige für all jene, die
schon seit langem Solidarität üben, bezeichnet. Mit ihren
bundeseinheitlichen Beitragssätzen, mit den kassenin-
ternen Transfers haben sich die Betriebs-, Ersatz- und
Innungskrankenkassen dem Problem längst gestellt. Sie
haben gute Ergebnisse erzielt. Sie wollen sie jetzt dafür
bestrafen.
Sicherlich ist es richtig, daß die Allgemeinen Orts-
krankenkassen im Osten nach der deutschen Einheit
schlechte Ausgangsbedingungen hatten und ihre Mit-
gliederstruktur nach wie vor problematischer ist als die
im Westen. Aber – auch das darf nicht verschwiegen
werden – diese Faktoren wurden weitestgehend ausge-
glichen bzw., wenn man den Zahlen Glauben schenken
darf, teilweise sogar überkompensiert.
Herr Kollege Parr,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kirsch-
ner?
Wenn Sie mich als Neuling nettfragen, Herr Kirschner, gerne.
– Herzlichen Dank, Herr Kirschner.Staatsministerin Barbara Stamm
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5859
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Es gibt zudem hausgemachte Probleme bei denAOKs im Osten, und es wird zum Teil ineffizient ge-wirtschaftet. Deshalb löst diese einseitige und willkürli-che Finanzspritze das Problem nur oberflächlich undkurzfristig. Was wir brauchen, ist eine Strukturanalyseals Grundlage eines schlüssigen Gesamtkonzeptes fürdie ostdeutsche Kassenlandschaft. Wir wollen vermei-den, daß die nächste Notlage kommt, die wieder auf Ko-sten der Versicherten mit Beitragssatzerhöhungen abge-wendet werden muß. Die Bereitschaft, Solidarität zuüben – das hat auch Frau Ministerin Fischer heute in ih-rer Eingangsrede gesagt –, ist eben nicht unendlich unddarf nicht überstrapaziert werden.Festzustellen bleibt: Ein gesamtdeutscher Risiko-strukturausgleich ist zehn Jahre nach Öffnung der Gren-zen grundsätzlich richtig. Aber solange es unterschiedli-che Tarife in Ost und West gibt, kann er nicht vollstän-dig sein. Zudem muß man die besonderen Strukturen inOst und West insgesamt auf den Prüfstand stellen, umbeurteilen zu können, wie schnell und umfassend dieAngleichung sein muß.
Die Verwerfungen in der bundesdeutschen Kassenland-schaft werden sich mit rein dirigistischen Eingriffennicht glätten lassen. Willkürliche Beschränkungen desWettbewerbs und der Konkurrenz unter den gesetzlichenKrankenkassen verkleistern lediglich das Problem.Jetzt komme ich zu dem Errichtungs- und Öff-nungsverbot gegen BKK und IKK. Dieses Verbotzeigt, wie Sie dem Wettbewerb gegenüber eingestelltsind. Es richtet sich gegen den Wunsch der deutlichenMehrheit der Verbraucher, die kein Kasseneinerlei wol-len, sondern die Wettbewerb und Wahlmöglichkeitenwollen.
Es ist erfreulich, daß Sie kurz vor Toresschluß das Öff-nungsmoratorium wieder zurückgenommen haben unddamit wenigstens in diesem Teilbereich unseren Forde-rungen nachgekommen sind. Aber heute morgen habenSie, Frau Ministerin, von einem „geordneten Verfahren“gesprochen. Wir haben heute um 10 Uhr zufällig festge-stellt – hier habe ich die 512 Seiten der Beschlußemp-fehlung und des Berichts des Ausschusses zum Gesetz-entwurf –, daß der § 8 der Überleitungsvorschriften imGesetzentwurf immer noch überschrieben ist mit: „Mo-ratorium für die Errichtung und Öffnung von Betriebs-und Innungskrankenkassen“. Gestern dagegen ist derAntrag zum Öffnungsverbot zurückgezogen worden. Ichstelle mir die Frage: Ist das Chaos oder eine bewußte Ir-reführung?
Herr Dreßler ist nicht mehr da. Ich hätte ihn jetzt ge-fragt, ob man mit uns Abgeordneten jemals so in diesemHause umgegangen ist.Ich möchte noch ein paar Bemerkungen im Hinblickauf den Datenschutz machen. Der vielstimmige Protestgegen die geplante Erweiterung der Befugnisse derKrankenkassen, persönliche Daten zu erheben und zusammeln, hat Sie in Teilen umgestimmt, und das ist gutso. Was ich aber schlimm finde, ist, daß es überhauptder nachdrücklichen Proteste der F.D.P. und der Daten-schutzbeauftragten gegen die von Ihnen geplante Über-wachung und Beschnüffelung von Patienten und Ärztenbedurfte. Diese Änderungsvorschläge hätten überhauptnicht Eingang in diesen Entwurf finden dürfen.
Das ist ein weiterer Beweis dafür, wie weit sich dieGrünen von ihren Prinzipien entfernt haben. Sie vertrau-en eben dem Staat und den Institutionen mehr als demIndividuum. Uns trennen hier Welten. Wir wissen jetzt:Wir müssen gerade im Bereich des Datenschutzes weiterunser Wächteramt erfüllen.
Auch die weitgehenden Eingriffe in die ärztliche undzahnärztliche Selbstverwaltung und der Ausbau desMedizinischen Dienstes zu einem gewaltigen Kontroll-organ
zeugen von Ihrem Glauben an die Allzuständigkeit desStaates. Für uns bedeutet das Wort „Selbstverwaltung“,daß Ärzte und Zahnärzte ihre Angelegenheiten so weitwie möglich selbst regeln. Das hat sich in Jahrzehntenbewährt
und viel zur Kreativität und Leistungsfähigkeit desGesundheitssystems beigetragen. Bei Ihnen liegt dieBetonung offenbar auf dem Wort „Verwaltung“, näm-lich im Sinne von Behörde. Denn bei dem, was Siemit den Gremien der Ärzte und Zahnärzte vorhaben,haben offenbar behördenähnliche Strukturen Pate ge-standen.
Es ist keine Frage, daß es auch in den Kassenärztli-chen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen so man-chen Wildwuchs gibt, der behoben werden muß, aberwir möchten das im Konsens mit den Betroffenen tunund nicht gegen sie. Nur so macht das Prinzip derFreiberuflichkeit Sinn. Ansonsten könnten wir auchgleich alle Ärzte zu Angestellten der Krankenkassenmachen.
Ich komme zum Schluß. Nach Wilhelm Röpke, ei-nem der großen Liberalen und Väter der SozialenMarktwirtschaft, ruht diese auf drei Säulen: Freiheit,Verantwortung und sozialer Ausgleich. Diese Wertesollen nach unserer Ansicht auch für das Gesundheits-wesen gelten. Daran richten sich unsere VorstellungenDetlef Parr
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5860 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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in dem Entschließungsantrag, der Ihnen heute vorliegt,aus.Wir brauchen Freiheit im Sinne von Wahlmöglich-keiten für die Versicherten, Sicherung der Freiberuflich-keit, freie Arztwahl, Therapiefreiheit; Verantwortungauch als Verantwortung für die eigene Gesundheit, beider sich die Inanspruchnahme der Krankenkassen aufdas gesundheitlich Notwendige beschränkt; sozialerAusgleich, der sich unter anderem in Härtefallregelun-gen und Überforderungsklauseln ausdrückt. In dieseRichtung muß die Gesundheitsreform gehen.
Wir werden im Bundesrat diesem Gesetzentwurf ne-gativ gegenüberstehen, ihn in aller Konsequenz ableh-nen und hoffen auf neue Gespräche und einen neuenDialog, der offen und ehrlich geführt wird und ein bes-seres Ergebnis zeitigen muß als das, was auf diesen 512Seiten vorliegt.Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzinter-
vention gebe ich dem Kollegen Kirschner, SPD-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Nachdem gerade Kollege
Parr und vorher Kollege Lohmann das Verfahren im
Ausschuß als einmalig oder chaotisch bezeichnet haben,
möchte ich darauf hinweisen, daß bei der Beratung des
2. GKV-Neuordnungsgesetzes, das bekanntermaßen von
der damaligen Koalition und Bundesregierung einge-
bracht wurde, ein Verfahren mit folgendem Zeitablauf
im Ausschuß stattgefunden hat: Am 12. März 1997 wur-
den Änderungsanträge eingebracht. Am 14. März 1997
wurde um 13.30 Uhr eine Anhörung zu diesen Ände-
rungsanträgen durchgeführt. Dann fand am 17. März
1997, also drei Tage später, eine Sondersitzung statt.
Abgeschlossen wurden die Beratungen im Ausschuß am
19. März, und die zweite und dritte Lesung fand am 20.
März 1997 statt.
Ein solches Verfahren gab es also nicht zum ersten Mal
bei diesem Gesetz.
Ich will daran erinnern, daß in der letzten Ausschuß-
sitzungswoche der 13. Legislaturperiode am 17. Juni
1998 im Ausschuß Änderungsanträge beraten wurden,
mit denen Regelungen an das Erste Medizinprodukteän-
derungsgesetz angehängt wurden, die völlig andere Be-
reiche betrafen, nämlich das Beitragsrecht des Sozialge-
setzbuchs V, das Bundessozialhilfegesetz und das SGB
X. In der gleichen Sitzung wurden die Ausschußbera-
tungen abgeschlossen. Am nächsten Tag fand die zweite
und dritte Lesung im Plenum statt.
Dies wollte ich der Korrektheit halber darstellen. Man
kann hier also nicht so tun, als ob wir im Gesundheits-
ausschuß zum ersten Mal unter diesem Zeitdruck gear-
beitet hätten.
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Martin Pfaff.
Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Viele der Vorrednerinnen undVorredner, vor allem aber Herr Dr. Schäuble und FrauStaatsministerin Stamm, haben hier vieles gesagt,
aber ehrlich in der Konsequenz waren sie nicht.
Denn wir wissen, daß es eigentlich nur drei Wege gibt,steigenden Ausgaben zu begegnen. Entweder müssendie Beiträge steigen, oder es müssen die Zuzahlungensteigen, oder man muß rationalisieren.
Dann sagen Sie doch offen, verehrte Frau Stamm, daßSie die Beiträge anheben wollen,
oder sagen Sie offen, daß Sie die Zuzahlungen in nochweitere Höhen, als es Ihnen in Ihrer Verantwortungszeitgelungen ist, anheben wollen. Das haben Sie nicht ge-sagt, aber die deutschen Bürgerinnen und Bürger habenein Recht, dies zu erfahren.
Sie haben sich außerdem gebrüstet, Sie hätten geord-nete Verhältnisse hinterlassen, weil Sie noch 1 MilliardeDM in den Kassen – –
– Ja, aber Sie haben nicht gesagt, daß die Zuzahlungenvorher um mehrere Milliarden angehoben wurden.
Die Ausgaben über immer mehr Zuzahlungen zufinanzieren ist die Kunst der Primitiven. Das kann jeder.Sie haben keine Einsparungen realisiert. Wir haben esgetan.
Detlef Parr
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5861
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– Budgetierung, das ist das nächste Stichwort. Es isteigenartig, liebe Kolleginnen und Kollegen, von wievielen sektoralen Budgets wir von der anderen Regie-rung hören mußten. Das Landeskrankenhausbudget warTeil Ihres Konzepts. Jetzt, wo diese Regierung dasmacht und es auch im Rahmen des Globalbudgets nochflexibler macht, soll das Teufelszeug sein. Wer mit sogespaltener Zunge spricht, kann die deutsche Öffent-lichkeit sicher nicht davon überzeugen, daß er ein besse-res Konzept hat als wir.
Zur Positivliste: Wollen Sie wirklich, daß dieZwangsbeiträge der Versicherten verwendet werden, umArzneimittelramsch zu finanzieren? Können Sie daswirklich sagen?
Wollen Sie wirklich, daß die Zwangsbeiträge der Versi-cherten oder die Zuzahlungen verwendet werden, damitÜberkapazitäten – auch im Krankenhaus – finanziertwerden? Nein, die knappen Mittel müssen für das ver-wendet werden, was wirklich notwendig ist. Nichts an-deres will dieser Gesetzentwurf, den wir heute zu verab-schieden haben.
Es geht nicht an, zu sagen, man wolle Einsparungenauch im Krankenhausbereich, ohne zu sagen, wie dasgeschehen soll. Die Monistik ist nur ein Instrument untervielen. Daß Investitionskosten und laufende Kosten zu-sammengehören, hat selbst die F.D.P. heute wieder be-kräftigt.Frau Staatsministerin Stamm, Sie haben Lahnsteinerwähnt. Ich frage mich wirklich, mit welchem Maß Siedie jetzige Regierungskoalition messen. Wir haben unsin Lahnstein nicht verweigert. Wir haben uns beimGKV-Finanzstärkungsgesetz nicht verweigert. Jetzt, woSie verantwortungsvolle Oppositionsarbeit machen sol-len, sagt Herr Dr. Schäuble oder deutet es zumindest an,daß selbst ein Vermittlungsausschußergebnis nichtdenkbar ist. Dann frage ich Sie: Wie können Sie diesden deutschen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber ver-treten? Wir würden uns schämen, mit solchen Positionenvor die deutsche Öffentlichkeit zu treten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,können Sie wirklich dagegen sein, daß die Position derHausärzte gestärkt wird, daß die integrierte Versorgung,also die Kooperation, verbessert wird?
Können Sie wirklich bestreiten, daß wir die Kranken-hausfinanzierung reformieren müssen, daß wir die Pati-entenrechte stärken müssen und vieles mehr?
– Sie sagen: Ja, das wollen wir. Aber Sie zeigen nichtauf, wie Sie es anders oder besser als das machen könn-ten, was wir Ihnen vorgelegt haben. Auch das ist nichtkonsequent. Diese Art der Opposition ist billig und wirdauch nicht die Zustimmung der Deutschen finden kön-nen.
Davon sind wir fest überzeugt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Punkt, der be-sonders angesprochen wird und den auch ich ansprechenwill, ist der: Es geht noch immer eine Sozialmauer imGesundheitswesen quer durch Deutschland. Es gibt nochimmer getrennte Rechtskreise: West und Ost.
Es sind große Breschen geschlagen worden, aber die Re-ste der Mauer stehen noch.
Es ist höchste Zeit, daß die Reste der Mauer auch imGesundheitswesen systematisch abgetragen werden. Esist Zeit für einen gesamtdeutschen Risikostrukturaus-gleich, denn die Probleme der Ostkassen gehen nicht nurdie Bürgerinnen und Bürger im Osten Deutschlands,sondern uns alle an.Es geht nicht nur um Geld, sondern es geht um vielmehr. Wir wollen nicht irgendwann in der Zukunft einVolk von gleichen Brüdern und Schwestern in Ost undWest sein.
Wir müssen etwas dafür tun. Wie es in einem Land kei-ne Regionen unterschiedlicher Freiheit ohne Schaden fürdas Ganze geben kann, können wir auf Dauer keine Re-gionen unterschiedlicher Solidarität akzeptieren.
Wie die Freiheit ist die Solidarität in einem Gemeinwe-sen unteilbar. Das müßte eigentlich auch für alle hiergelten.
Herr Kollege Pfaff,gestatten Sie eine Zwischenfrage?Dr. Martin Pfaff
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5862 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Jederzeit.
Herr Kollege Professor
Pfaff, können Sie sich daran erinnern, daß ich Anfang
Mai dieses Jahres einen Antrag zum West-Ost-
Ausgleich eingebracht habe und daß von Mai bis jetzt in
der Regierungskoalition nichts passiert ist, bis vor zwei
Tagen Ihr Konzept auf den Tisch kam?
Halten Sie das für verantwortungsvoll gegenüber den
neuen Bundesländern, die das besonders betrifft? Ich
finde das unverantwortlich.
Herr Kollege Dr. Thomae,
natürlich erinnere ich mich an Ihren Schaufenster- und
Trostpflästerchenantrag.
Er hätte die Probleme der neuen Länder in keiner Weise
geändert.
Seit Mai dieses Jahres und noch länger arbeiten wir an
Konzepten, um die strukturellen Verwerfungen, die zu
den Finanzproblemen geführt haben, zu beseitigen. Das
ist die Antwort auf Ihre Frage. Auch das, lieber ge-
schätzter Herr Dr. Thomae, sollten Sie wissen.
Wir brauchen einen gesamtdeutschen Risikostruk-
turausgleich. Wir brauchen aber noch viel mehr. Wir
wissen, daß wir ihn nur schrittweise einführen können.
Wir müssen auch die Altschulden beseitigen; so
schwierig dies ist. Wir wissen, daß dies Schulden sind,
die weder von den ostdeutschen Ländern selbst zu ver-
antworten sind noch mit eigener Kraft abgebaut wer-
den können.
Diese Schulden laufen seit 1994 an.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es warenBayern und Baden-Württemberg, die sich selbst demdamaligen Gesundheitsminister Seehofer verweigert ha-ben, als wir die Probleme in den neuen Bundesländernanders angehen wollten.
– Ja, natürlich. – Es war die SPD, die sich bei der Lö-sung der Probleme beteiligt hat: die hohe Arbeitslosig-keit, der hohe Rentneranteil, die steigenden Kosten imOsten – die Schere zwischen Osten und Westen gehtweiter auseinander.Ich darf daran erinnern, daß wir in Lahnstein dieAufhebung der Trennung der Rechtskreise gemeinsambeschlossen haben. Nur die Bedingungen – 90 Prozentder Lebens- und Einkommensverhältnisse – sind nichtrealisiert worden. Zwar öffnet sich die Schere weiter,aber die politische Absicht sollten Sie eigentlich nicht inFrage stellen.Wir wissen, daß bestimmte Kassenarten besondersbetroffen sind. Die Beiträge im Osten sind sehr viel hö-her als im Westen.
Die jüngeren AKV-Versicherten gehen von diesen Kas-sen weg, und immer mehr Schulden werden auf immerweniger und schwächere Schultern verlagert. LiebeKolleginnen und Kollegen von der Opposition, wollenwir diese Probleme im Osten dadurch lösen, daß dieSchwachen die Schwächeren finanzieren? Oder sind dieStärkeren in Gesamtdeutschland ebenfalls gefordert?Wir meinen: Solidarität ist eine Veranstaltung, die nichtnur unter den Schwachen stattfindet; Solidarität ist viel-mehr eine Veranstaltung, die uns alle angeht.
Dafür haben wir in diesem Gesetzentwurf Vorkehrungengetroffen.
Zur Entschuldung von 1,3 Milliarden DM sage ichganz offen: Dies ist eine sehr schwierige Frage. Wirwissen, daß die Situation nicht voll unverschuldet ist.Die Entschuldung erfolgt ja auch nicht vollständig; abersie erfolgt so, daß zum Beispiel die AOKen im Westenan dieser Finanzierung in großem Umfang beteiligt sind,nachdem sie 400 Millionen DM von 3 Milliarden DM inden Osten transferiert haben.
Wir wissen, daß diese Beteiligung schwierig ist.Wir müssen die Kriterien so legen, daß das Geld auchwirklich dort ankommt, wo es gebraucht wird.Polemik und Streit gehören in ein Parlament.
Die schönsten Stunden des Parlaments, die ich erlebendurfte, waren aber solche, in denen die Gemeinsamkeitder Demokraten gefordert und auch praktiziert wurde.Die Probleme der ostdeutschen Kassen, liebe Kollegin-nen und Kollegen, sind keine Spielwiese für parteipoliti-sche Auseinandersetzungen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5863
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(D)
Die Probleme gehen uns alle an, ob wir es wollenoder nicht. Die Bürgerinnen und Bürger in unseremLande dürfen erwarten, daß Sie – jetzt spreche ich dieOpposition an – nicht weniger Verantwortung für dasGanze zeigen, als wir in Lahnstein oder beim Finanz-stärkungsgesetz gezeigt haben. Damals haben wir par-teipolitische Bedenken zurückgestellt. Wir haben HerrnSeehofer unterstützt, weil es der Sache und den Men-schen diente. Nicht weniger, liebe Kolleginnen undKollegen von der Opposition, erwarten wir von Ihnenam besten heute oder spätestens, wenn es gar nicht an-ders geht, im Vermittlungsausschuß.Ich danke Ihnen.
Ich gebe dem Kol-
legen Wolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Mei-
ne sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen,
Herr Kollege Pfaff: Zu behaupten, Ministerin Stamm
und Minister Seehofer hätten nicht gemeinsam an einem
Ost-West-Problemfall gearbeitet, ist einfach unwahr.
Beide haben sogar einen Auftrag an den Sachverständi-
genrat erteilt, bis zum Dezember dieses Jahres diese dif-
fizile Aufgabe ordnungsgemäß zu erledigen und uns
Vorschläge zu unterbreiten. Die Ministerin hatte nichts
anderes zu tun, als diesen Sachverständigenrat zu entlas-
sen und das Gutachten zu streichen. Vor diesem Hinter-
grund kann man sich nicht hier hinstellen und behaup-
ten: Da ist nichts passiert. – Das ist unredlich.
Es ist ebenfalls unredlich, sich hier hinzustellen und
zu sagen: Unser Gesetz ist erstmals ein Gesetz, das die
Versicherten nicht zusätzlich belastet.
Herr Kollege Zöller,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Pfaff?
Selbstverständlich. –
Entschuldigung, hier läuft die Uhr weiter. Ich bitte, daß
sie angehalten wird. – Danke.
Ihre Uhr wird auch noch
ablaufen, Herr Kollege Zöller, keine Sorge.
Herr Kollege Zöller, denken wir doch zurück an die
Situation, die zu diesem Gesetz geführt hat. Sie konnten
sich in Ihrer eigenen Regierungskoalition nicht mit Bay-
ern und Baden-Württemberg einigen. Die Bayern und
die Baden-Württemberger wollten den Wettbewerbsfö-
deralismus, das heißt, sie wollten die Solidarität unter
den Starken einer Region, aber nicht insgesamt. Sie ha-
ben dann einen Kompromiß gefunden, um Zeit zu ge-
winnen. Stichwort: Laßt doch den Sachverständigenrat
diese Frage beantworten. Ich sage: Die wesentlichen
Punkte, um die es kurz- und mittelfristig geht, sind hin-
länglich bekannt. Langfristig muß natürlich der Risiko-
strukturausgleich auf seine Kriterien hin überprüft wer-
den. – Das ist die Wahrheit, und die sollten Sie bitte zur
Kenntnis nehmen.
Herr Professor Pfaff,Sie werden sich wundern: Ich war bei diesen Gesprä-chen im Bundeskanzleramt anwesend und kann michdaran recht gut erinnern. Damals ist diskutiert worden,wie jemandem, dessen Krankenkassenbeitrag 13,9 Pro-zent beträgt, zu erklären ist, daß er zusätzlich eine Kran-kenkasse, die ihren Beitrag künstlich auf 12,2 Prozentgesenkt hat, subventionieren soll. Mir konnte niemanderklären, was daran logisch ist. Deshalb sollte in demGutachten auch geklärt werden, wie man dies gerechtverteilen kann.Herr Kollege Dreßler, Sie haben vorhin gesagt, dieLeute bekämen mehr, und haben versucht, dem Kolle-gen Lohmann das kleine Einmaleins zu erklären. Tut mirleid: Bei einer Grundlohnsummensteigerung von 1,66Prozent bei gleichzeitigen Ausgabensteigerungen im Ta-rifbereich von 3,1 Prozent bleibt für die Versichertenweniger und nicht mehr übrig. Um dies zu begreifen,reicht schon die Mengenlehre aus.
Ich sage Ihnen: Mit Ihrem Gesetzentwurf wird der Pati-ent die Zeche bezahlen.Auch bin ich verwundert, wie Sie die Patienten ver-unsichern. Ich darf zitieren, was die Staatssekretärinletzte Woche von diesem Pult aus zur Entlastung chro-nisch Kranker gesagt hat – ich zitiere wortwörtlich: –Das ist für alle Alten und Kranken, die nur einekleine Rente haben, eine ganz erhebliche Verbesse-rung.Das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle: Beifall beimBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und derPDS. – Entschuldigung, Sie sagen die Unwahrheit!Leute mit kleiner Rente waren bei unserer Regelung vonder Zuzahlung ganz befreit. Sie haben die Leute verun-sichert und so getan, als müßten sie Zuzahlungen leisten.
Nur zu Ihrer Information: Ein Rentner oder eine Rentne-rin mit einem monatlichen Einkommen von 1 764 DMist von der Zuzahlung ganz befreit. Eine Familie mitzwei Kindern und einem Einkommen von 3 307 DMmonatlich ist ebenfalls von der Zuzahlung ganz befreit.
Mit Ihrer Teilrücknahme der Zuzahlung haben Sie dieBesserverdienenden und nicht die Kleinen entlastet.Denn die Kleinen haben bisher nichts bezahlt.
Leider sind Sie nicht bereit, die verschiedenen sozia-len Schieflagen in Ihrem Gesetz zu korrigieren oder – inDr. Martin Pfaff
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5864 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Ihrem Jargon – nachzubessern. Sonst hätten Sie längstunsere Anregung aus der ersten Lesung aufgreifen müs-sen. Nach Ihrem Gesetzentwurf müssen nämlich Famili-en mit chronisch Kranken künftig das Doppelte dessenbezahlen, was sie nach unserer Regelung zu zahlen hat-ten.
Wenn Sie das Entlastung für chronisch Kranke nennen,tut es mir leid. Das kann ich nicht nachvollziehen. WennIhr Gesetz nicht in Kraft tritt und Ihr befristetes soge-nanntes Solidaritätsstärkungsgesetz außer Kraft ist, wirddas für chronisch Kranke sogar besser sein.Liebe Kolleginnen und Kollegen, im übrigen werdenchronisch Kranke von der Positivliste in negativer Wei-se besonders betroffen, da sie künftig die benötigtenschwachwirksamen Arzneimittel zu 100 Prozent selbstzahlen müssen.
Hier von medizinischem Ramsch zu sprechen, ist völligunangebracht.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ärzte ihren PatientenRamsch verschreiben. Für so unverantwortlich halte ichunsere Ärzte nicht.
Wenn sie den Versicherten jetzt nur hochwirksame Arz-neimittel zukommen lassen, wird folgendes passieren:Diese hochwirksamen Arzneimittel wird die gesetzlicheKrankenversicherung bezahlen
– ja, wesentlich teurer –, und die Nebenwirkungen derArzneimittel werden wesentlich größer sein. Dies istmedizinisch nicht notwendig und zum Nachteil für diePatienten.Nun zum nächsten Punkt, mit dem Sie die Patientenbenachteiligen. Ob Sie es wollen oder nicht: Behandlungnach Kassenlage führt zu Rationierung und zu Warte-listen für Kassenpatienten.
Ihre Krankenhausplanung ist ein weiteres Beispielfür eine Benachteiligung der Patienten. Nach rein fiska-lischen Gesichtspunkten wird eine flächendeckendeVersorgung durch Krankenhäuser auf dem Lande ver-hindert. Sie muten Patienten zu, daß sie nicht 15 Kilo-meter, sondern 30, 50 oder mehr Kilometer zur nächstenstationären Versorgungseinheit fahren müssen. WennSie dies wollen, dann sagen Sie dies dem Patienten undschreiben Sie nicht über Ihr Gesetz „patientenfreundli-che Regelung“.
Ein weiterer Punkt: Wir haben dem Patienten dieMöglichkeit eingeräumt, seine privatärztliche Versor-gung selber zu wählen. Des weiteren haben wir demKassenpatienten endlich das Recht auf eine Rechnungfür ärztliche Leistung gegeben. Beide Regelungen habenSie ersatzlos gestrichen. Es wäre wirklich eine Stärkungder Patientrechte gewesen, endlich eine Rechnung ein-fordern zu können.Durch Ihren neuen Gesetzentwurf wird zum Teil auchdie freie Arztwahl eingeschränkt und die Therapiefrei-heit entscheidend beschnitten. Die Auswirkungen Ihressogenannten Aktionsprogramms gehen ebenfalls zu La-sten der Patienten. Wenn am Ende des Quartals dasBudget ausgeschöpft ist, dann wird kein Arzt mehr eineGroßpackung verordnen. Das Ergebnis ist: Der Patientbezahlt für eine Kleinpackung sowohl am Ende desQuartals als auch für eine Kleinpackung am Anfang desnächsten Quartals. Er zahlt also zweimal 8 DM zu statteinmal 9 DM für eine Großpackung. Nach Ihrer Rege-lung wird dem Patienten fast doppelt soviel abgezocktwie nach unserer Regelung.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Ihre überzogeneÜberwachungs- und Reglementierungswut führt zudeutlich höheren Verwaltungskosten.
Wo soll das Geld dafür hergenommen werden? DasGeld, das für Verwaltungskosten ausgegeben werdensoll, wird dort gespart, wo es für die Patienten medizi-nisch notwendig wäre.
Das Schlimmste an dem Gesetz ist für mich: Sie blähendie Bürokratie auf. Dadurch fehlen uns die Mittel dort,wo sie für die Patienten benötigt werden. Deshalb kannman nur zu dem Schluß kommen: Wer für die Patientenist, muß gegen dieses Gesetz sein.
Ich gebe das Wort
der Bundesministerin für Gesundheit, Andrea Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich reiztes mich, auf etliches, was hier gesagt worden ist, inhalt-lich einzugehen. Aber dies ist nicht der Punkt. Es gehtvielmehr darum, wie der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion mit dem Gesprächsangebot umgegangen ist,das ich heute gemacht habe. Ich halte es für ein eigenwil-liges Demokratieverständnis, wenn Sie mir sagen, ichsolle den Gesetzentwurf, über den der Bundestag heutebefinden wird, zurücknehmen. So funktionieren die Ge-setzgebungsverfahren in unserer Demokratie nicht, daßMinister hier handstreicherartig vorgehen und dem Bun-destag vorschreiben könnten: Beendet jetzt eure Beratun-gen! Entscheidet euch in meinem Sinne!
Wolfgang Zöller
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5865
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Auch etwas anderes ist nicht richtig: Mit dem Hin-weis auf Verfahrensfragen sagen Sie, man könne überden vorliegenden Gesetzentwurf nicht sprechen. Zwarist heute schon einiges klargestellt worden, ich möchteaber darauf hinweisen, daß nicht alle Änderungsanträgeerst seit gestern im Ausschuß vorgelegen haben. Dieshaben Sie falsch dargestellt. Unabhängig davon, wie estatsächlich gewesen ist, möchte ich darauf aufmerksammachen, daß der Bundestag dieses Gesetz verabschiedenwird. Erst dann stellt sich die Frage, wie das weitereVerfahren aussehen wird.
Es ist das Recht des Deutschen Bundestages, Gesetze zuverabschieden. Es ist falsch, wenn Sie das Gesetzge-bungsverfahren zwischen Länderkammer und Bundestagmißbrauchen wollen, um eine Totalopposition aufrecht-erhalten zu können.
Frau Bundesmini-
sterin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Ramsauer?
Nein, ich möchte meinen Gedanken fortsetzen.
Der Gesetzentwurf ist die Geschäftsgrundlage für dieweiteren Beratungen. Mit Verlaub, wir brauchen für un-sere Beratungen auch eine Grundlage; denn von IhrerSeite gibt es nichts, über das wir reden könnten, außerZeitungsinterviews und Äußerungen, die Sie irgendwogemacht haben.
Ich will noch etwas dazu sagen, daß die KolleginStamm gesagt hat, wir würden erst jetzt zu den Ländernkommen, weil wir sie erst jetzt bräuchten. Liebe Kolle-gin Stamm, das ist einfach die Unwahrheit. Wir habenauf der Gesundheitsministerkonferenz, die meiner Erin-nerung nach im Mai oder Juni in Trier gewesen ist, dar-über gesprochen, daß es Sinn machen würde, wenn eszwischen den A- und B-Ländern und der BundesseiteGespräche gäbe. Dazu hat es sogar eine Verabredunggegeben. Sie ist von Bayern aufgekündigt worden
mit dem Argument, daß sich die Verhältnisse im Bun-desrat, was die Mehrheiten anbelangt, vermutlich ändernwürden, und deswegen sei es sinnlos, im Spätsommer –zu diesem Zeitpunkt waren wir eigentlich verabredet –miteinander zu sprechen. Ich finde es ungeheuerlich,wenn Sie heute behaupten, wir hätten diese Gesprächeverweigert.Ich weise auch entschieden zurück, daß Sie hier dieGespräche meines Staatssekretärs mit den Staatssekretä-ren der B-Länder als Einkaufstouren denunzieren.
Er ist nur deswegen bei diesen Gesprächen gewesen,weil er den Kontakt und das Gespräch mit denB-Ländern gesucht hat. Das war seine Aufgabe, damithatte ich ihn beauftragt. Es ging um die Vorbereitungsolcher Gespräche.
Und jetzt reden wir doch einmal über den Sinn desVermittlungsverfahrens:
Der Vermittlungsausschuß hat einen verfassungsrechtli-chen Auftrag.
– Wir können jetzt noch eine Weile ausprobieren, wervon uns lauter brüllen kann, aber ich glaube nicht, daßes dadurch besser wird.
Sollten Sie damit weitermachen, würde ich den Präsi-denten bitten, mir Unterstützung zu geben, damit ich zudiesem Punkt etwas sagen kann.Was ist der Sinn eines Vermittlungsverfahrens?
Es geht darum, Länderinteressen mit Bundespolitik inEinklang zu bringen. Das ist der verfassungsrechtlicheAuftrag des Vermittlungsausschusses. Es ist nicht seineAufgabe, parteipolitisch instrumentalisiert zu werden.
Sie sagen, daß Sie ein Interesse an konstruktiver Mit-arbeit haben. Sie haben auch gesagt, Sie wollten keineBlockadepolitik machen. Dann aber ist es der Sacheüberhaupt nicht dienlich, wenn hier mit Vorbedingungengearbeitet wird, die sozusagen das Verfahren als solchesbereits unmöglich machen – übrigens auch mit einer fal-schen Unterstellung. Denn es ist allen Seiten bekannt,daß Vermittlungsverfahren auch auf Fachebene vorbe-reitet werden. Das wird jedoch nur funktionieren, wennsozusagen – und dafür plädiere ich – abgerüstet wird,wenn man ohne Vorbedingungen in die Gespräche gehtund respektiert, daß der Deutsche Bundestag eine Ent-scheidung trifft, die Gesprächsgrundlage ist, auf derdann über die drängenden Probleme geredet werdenkann.Bundesministerin Andrea Fischer
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5866 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
(C)
Hier ist heute sowohl von mir persönlich als auch vonseiten der Koalitionsfraktionen deutlich erkennbar ge-worden, daß wir gesprächs- und auch kompromißbereitsind. Wenn Sie dieses Angebot ausschlagen, dannspricht das nicht für Ihr Verantwortungsbewußtsein undauch nicht für Ihre Bereitschaft, wirklich zum Wohle derGesundheitspolitik zu wirken. Jetzt sind Sie am Zug!
Wie darf ich das
verstehen, Herr Kollege Hirche? Möchten Sie eine
Kurzintervention machen? Dann bitte ich darum, das
rechtzeitig anzumelden. – Sie haben das Wort zu einer
Kurzintervention.
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich habe mit meiner Wortmeldung
gewartet, weil ich dachte, die Frau Ministerin geht noch
auf den – von mir jetzt anzusprechenden – Sachverhalt
ein. Deswegen kann ich das erst jetzt machen.
Es ist in der Debatte von mehreren Rednern ange-
sprochen worden, daß die Seite 394 der Drucksache ei-
nen Text enthält, der gestern im Ausschuß ausdrücklich
anders beschlossen worden ist. Heute aber wird uns der
Text so vorgelegt, wie er im Ministerium erarbeitet wor-
den ist. Ich möchte von der Ministerin wissen – ich
glaube, daß sie, da das im Ministerium miterarbeitet
worden ist, der richtige Ansprechpartner ist; ansonsten
richte ich diese Frage an den Präsidenten –, ob wir jetzt
über die Ausschußvorlage – die hier nicht vorliegt – ab-
stimmen sollen oder ob wir eine Korrektur dieser Seite
bekommen, damit über den Text abgestimmt wird, der
im Ausschuß beschlossen worden ist. Handelt es sich
hier um eine falsche Drucksache, ja oder nein? Ist das
Ministerium bereit, heute offiziell von seiner gestrigen
Stellungnahme abzurücken?
Da es dazu keine
Wortmeldung gibt, fahren wir in der Aussprache fort.
– Ich kann es nicht ändern. Aber der Kollege Hirche hat
eine Frage gestellt, die natürlich zu klären ist. Mögli-
cherweise kann sie in der Unterbrechung, die heute mit-
tag vor der Abstimmung stattfinden wird – darauf hat
Präsident Thierse ja schon hingewiesen –, geklärt wer-
den. – Eine Kurzintervention, eine Antwort des Kolle-
gen Kirschner.
Herr Präsident! Ich will auf
die relativ späte Verabschiedung eingehen, Herr Hirche.
– Ich brauche nicht zu wiederholen, was ich schon ge-
sagt habe.
– Wenn Sie mich ausreden lassen, glaube ich, bekom-
men wir alles hin.
Es ist völlig klar, daß es nicht korrekt übermittelt
worden ist. Es handelt sich um einen Übermittlungsfeh-
ler. Ich erkläre hiermit, daß der Ausschußbericht geän-
dert werden muß. Auf Seite 152 steht in Art. 1 Nr. 82
:
Soweit die Verträge die vertragsärztliche Versor-
gung einschließen, müssen sie Vorkehrungen dazu
treffen, daß der Anteil der an der integrierten Ver-
sorgung teilnehmenden Versicherten höchstens 70
vom Hundert der Zahl der von dem einzelnen Ver-
tragsarzt versorgten Versicherten umfaßt.
Dieses ist zu streichen, weil dieser Antrag zurückgezo-
gen wurde.
Auf den Seiten 394 und 395 – Sie sehen, wir passen
auf, Sie haben es noch nicht einmal bemerkt – sind in
Art. 23 § 8 in der Überschrift die Worte „und Öffnung“ zu
streichen. Darüber hinaus ist § 8 Abs. 2 einschließlich
Inkrafttretungsvorschrift zu streichen. Das heißt, die Seite
18 der Ausschußdrucksache 14/274 ist zurückgezogen
worden. Dies will ich der Korrektheit wegen sagen.
Ich stelle hiermit den Antrag, daß diese Ausschuß-
drucksache so geändert wird, daß sie die vom Ausschuß
beschlossene Fassung enthält.
Zu einer weiteren
Kurzintervention, zu einer Erwiderung der Kollege Zöl-
ler.
Herr Präsident, ich
habe jetzt ein ganz großes Problem. Bisher haben wir
nur von der Änderung, die nicht in diesen Entwurf auf-
genommen wurde – von der Betriebskrankenkassenre-
gelung –, gesprochen. Daher verwundert es mich, daß
jetzt noch eine Änderung kommt. Ich muß also davon
ausgehen, daß man diesen Bericht erst einmal durchle-
sen muß, um zu prüfen, ob in ihm das steht, was wir ge-
stern beschlossen haben. Es kann ja nicht angehen, daß
wir im Ausschuß etwas beschließen und heute während
der Beratung ständig Änderungen kommen.
Wenn Ihre Wort-meldung, Herr Kollege Ramsauer, eine Wortmeldungzur Geschäftsordnung ist, dann haben Sie das Wort.Bundesministerin Andrea Fischer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5867
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(D)
Herr Präsident!
Nach dem, was uns jetzt hier von fachlicher Seite vor-
getragen worden ist, bitte ich Sie für die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion
– ich höre gerade, daß ich das auch für die Fraktion der
F.D.P. tun kann –, zu prüfen, ob vor diesem Hintergrund
im Einklang mit der Geschäftsordnung unseres Hauses
eine Fortführung der Beratung dieses Gesetzes über-
haupt möglich ist.
Im Hinblick auf diese Prüfung beantrage ich vorsorglich
für meine Fraktion – ich nehme an, auch für die F.D.P.-
Fraktion – eine sofortige Unterbrechung der Sitzung.
Ich habe diese
Wortmeldung so verstanden, daß die Fraktionen von
CDU/CSU und F.D.P. die sofortige Unterbrechung der
Beratung erbitten. Können wir darüber eine Verständi-
gung unter den Fraktionen erzielen?
Herr Präsident! Unabhängig
von der Tatsache, daß es das Recht jeder Fraktion ist,
eine Unterbrechung der Sitzung zu verlangen – das ver-
steht sich von selbst –, kommt es mir auf folgendes an:
Der Ausschußvorsitzende, der Abgeordnete Kirschner,
hat gerade den Sachverhalt vor dem Deutschen Bundes-
tag dargestellt. Er hat dargestellt, daß auf Antrag der
CDU/CSU und der F.D.P. die Koalitionsfraktionen ge-
stern im Ausschuß die beiden Anträge, die er gerade zi-
tiert hat, zurückgezogen haben.
Das Wort hat der
Kollege Dreßler!
Herr Präsident, ich darf in
eigener Sache feststellen, daß die Empörung bei der
CDU/CSU nicht meiner Intervention gilt.
Nun hat der Abgeordnete Kirschner in seiner Eigen-
schaft als Vorsitzender des Gesundheitsausschusses dem
Hause mitgeteilt, daß diese beiden Anträge – aus einem
Grunde, den ich nicht kenne – gleichwohl auf merkwür-
dige Weise in der Ausschußdrucksache aufgetaucht sind.
Das heißt, bei der Beschlußfassung des Ausschusses
waren diese beiden Anträge nicht mehr existent. Damit
kann auch hier nicht über Inhalte gestritten werden, denn
diese beiden Passagen sind vom Ausschuß nicht be-
schlossen worden. Ich lege Wert darauf, daß zur Kennt-
nis genommen wird: Es geht nicht um strittige Texte,
sondern nur darum, daß ein Antrag, der gar nicht zur
Abstimmung stand, in diese Ausschußdrucksache einge-
fügt worden ist – auf welche Art und Weise auch immer.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir sind nun in einer etwas eigenartigen
Situation. Es wurde der Geschäftsordnungsantrag auf
Unterbrechung der Sitzung gestellt. Aber da der Kollege
Dreßler, nachdem ich ihm das Wort erteilt habe, den
Sachverhalt aus seiner Sicht dargestellt hat, möchte ich
diese Möglichkeit nun auch den beiden Kollegen der
Oppositionsfraktionen geben. Ich bitte Sie, sich kurz zu
fassen. Dann werde ich die Sitzung unterbrechen.
Ich habe den Eindruck, Herr Präsident, auch der Kollege
Dreßler hat jetzt den Überblick verloren. Es war nicht
so, wie Sie sagen, daß die Anträge auf Antrag der
CDU/CSU und der F.D.P. zurückgezogen worden sind.
Wir haben bei der Erläuterung der Anträge festgestellt,
daß mit diesen Anträgen neue Tatbestände ins Verfahren
eingeführt werden. Deshalb – das ist ein Minderheiten-
recht – haben wir gesagt: Da muß wohl eine öffentliche
Anhörung stattfinden. Daraufhin wurden diese Anträge
zunächst beiseite geschoben und ausgesetzt. Dann gab
es eine Sitzungsunterbrechung. Als wir in die Sitzung
zurückkehrten – ohne jeden Antrag –, hatten die An-
tragsteller ihre Anträge zurückgezogen.
– Sie haben eben von unseren Anträgen gesprochen,
aber wir haben überhaupt keine Anträge dazu gestellt,
und zwar deswegen nicht, weil man befürchtet hat, daß
durch eine öffentliche Anhörung der zeitliche Ablauf
behindert werden würde.
Noch ein Satz: Herr Kollege Kirschner, die Worte
„und Öffnung“ sagen Sie so leicht dahin. Es ging bei
den Worten „und Öffnung“ darum, daß Sie den beste-
henden Betriebskrankenkassen untersagen wollten, sich
im Rahmen der Wahlfreiheit für alle Versicherten zu
öffnen, die den Wunsch haben, diesen Betriebskranken-
kassen beizutreten.
Darum ging es!
Herr Kollege, bitte
schön.
Es war in der Tat so,wie Herr Lohmann es geschildert hat. Aber ich denke,nachdem wir jetzt in Windeseile diese zwei Tatbeständegefunden haben, wäre es sehr sinnvoll, wenn wir Zeitbekämen, das Paket insgesamt daraufhin durchzusehen,
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5868 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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ob hier nicht noch weitere Fehler vorhanden sind. Daherbeantrage ich Sitzungsunterbrechung.
Wir haben in diesem
Hause klare Regeln. – Jetzt kommt der Antrag des Kolle-
gen Ramsauer. Darüber werde ich dann entscheiden.
Herr Präsident!
Ich möchte meinen Geschäftsordnungsantrag von vorhin
wie folgt ergänzen: Da die Verfahrenslage immer ver-
worrener wird und von seiten der Koalitionsfraktionen
nicht für Aufklärung gesorgt werden kann, sehe ich die
einzig gangbare Möglichkeit darin, daß der Ältestenrat
zusammentritt
und die weiteren Möglichkeiten des Verfahrens prüft.
Ich beantrage deswegen die sofortige Unterbrechung der
Sitzung, verbunden mit der Bitte, daß der Ältestenrat so-
fort zusammentreten möge.
Verehrte Kolleginnen
und Kollegen, nach diesem Antrag der CDU/CSU-
Fraktion und der F.D.P.-Fraktion wird die Sitzung unter-
brochen. Die Sitzung des Ältestenrates wird in Abstim-
mung mit dem Präsidenten einberufen. Dieser Zeitpunkt
und der Zeitpunkt, wann die Sitzung des Deutschen Bun-
destages fortgesetzt wird, werden noch bekanntgegeben.
Ich unterbreche die Sitzung.
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz zu
nehmen. Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich weise noch einmal darauf hin, daß der Ältesten-
rat beschlossen hat, daß wir jetzt mit der Beratung der
weiteren Tagesordnungspunkte fortfahren und die Ent-
scheidung des Ältestenrates und des Gesundheitsaus-
schusses bezüglich des Gesundheitsreformgesetzes ab-
warten.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Erwin
Marschewski, Wolfgang Zeitlmann, Wolfgang
Bosbach, weiteren Abgeordneten und der Frakti-
on der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das
Ausländerzentralregister und zur Einrichtung
einer Warndatei
– Drucksache 14/1662 –
Überweisungsvorschlag:
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5869
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Sie haben jetzt den Auftrag zum Regieren, der zumHandeln verpflichtet. Dieser Auftrag heißt, Herr KollegeStiegler: Nicht mehr Zuwanderung, sondern Zuwande-rungsbegrenzung und vor allen Dingen eine wirksameBekämpfung von Schleppern und Schleusern sind dasGebot der Stunde.
Herr
Kollege Marschewski, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich komme zum
Schluß.
Beschränken Sie sich nicht darauf, Herr Bundesin-
nenminister, uns wie in Tampere ein wortreiches Sollte-
Müßte-Dürfte vorzuschlagen! Nehmen Sie mit uns ge-
meinsam den Kampf gegen das organisierte Schlepper-
tum auf! Ich verspreche Ihnen: Wenn es im Bundestag
wegen der Grünen etwas schwieriger werden sollte,
dann werden wir dies, so glaube ich, gemeinsam im
Vermittlungsausschuß schon richten.
Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Eckhardt Barthel von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Nach dem Beitrag von HerrnMarschewski habe ich ein bißchen Angst bekommen: Inwelchem Land lebe ich denn? Wodurch bin ich bedroht?Es macht mir Sorge, wenn ich eine solch einseitige Be-schreibung der Situation höre. Ich frage mich: Hat dieVerbreitung von Angst Methode? Was ist das Ziel? Alldas, was Sie angeführt haben, in Verbindung mit demAZR zu bringen, halte ich für ein wenig übertrieben.
Natürlich sieht man sich ein Gesetz, das bereits seitfünf Jahren in Kraft ist, auf Verbesserungs- und Verän-derungsbedarf hin an. Das gilt allgemein und nicht nurfür dieses Gesetz. Ich wundere mich aber manchmal,daß, wenn von der CDU/CSU eine Änderung in SachenAusländerrecht gewünscht wird, dies immer mit Ver-schärfung einhergeht. Vielleicht sollte man einmal ineine andere Richtung sehen.
– Nein, nicht „nur so“.Meine Damen und Herren, wenn man Änderungenwill – das schlagen Sie hier vor –, so genügt es meinesErachtens nicht, nur zu sagen, was man ändern will undwelches Ziel man damit verfolgt. Ich glaube, es ist not-wendig, vor einer Gesetzesänderung, vor allem in einemErwin Marschewski
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5870 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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so sensiblen Bereich, zu fragen, ob die bisherigen In-strumente wirklich nicht ausreichen. Man sollte ersteinmal überprüfen: Was liegt vor? Wird es genutzt?Reicht es aus, oder ist eine Ergänzung – in welcherForm auch immer – notwendig? Erst dann läßt sich mei-ner Ansicht nach eine Gesetzesänderung begründen.Ich sagte, daß es hier um einen sensiblen Bereichgeht. Man darf ihn nicht so leicht zur Seite schieben. IhrVorschlag bedeutet eine Einschränkung des Rechts aufinformationelle Selbstbestimmung von Ausländern, diein Deutschland leben. Gerade hier ist es notwendig, ganzstark den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu be-achten.
Eine Frage, die sich anschließt, auch angesichts derTatsache, daß Sie viele durch Ihr Gesetzeswerk mögli-cherweise zu lösende Probleme angeführt haben, ist: Be-steht Handlungsbedarf? Sie wollen mit diesem Gesetz-entwurf – das wurde durch Ihre Rede sehr deutlich – denMißbrauch und das Schlepperwesen bekämpfen. Werwill dies nicht? Ich glaube, da besteht überhaupt keinDissens; das ist Ziel aller in diesem Haus vertretenenParteien. Das Traurige aber ist, daß es Mißbrauch leiderGottes überall und fast immer gibt.Wenn man diesen Mißbrauch aber bekämpfen will,dann muß man über Einzelfälle hinaus darlegen und denBeweis dafür erbringen, daß das bisherige Instrumenta-rium dafür nicht ausreicht. Zudem muß klar sein, obdurch die Vorschläge zur Beseitigung des Mißbrauchs –Herr Marschewski, das meine ich sehr ernst – auch ne-gative Folgen erzeugt werden können.Wenn ich überhaupt Handlungsbedarf sehe, dannnur auf Grund der notwendigen Anpassung, die sich ausEU-Datenschutz-Richtlinien ergibt. Deutschland istverpflichtet, diese Richtlinien umzusetzen. Zudem müs-sen wir zur Erfüllung der Verpflichtungen aus demDubliner Übereinkommen eine einwandfreie Rechts-grundlage schaffen.Meine Damen und Herren, beim Sammeln, Speichernund Weitergeben von Daten einer Minderheitengruppe, al-so der Ausländer, besteht immer die Gefahr der Diskri-minierung. Schon deshalb kann man meines Erachtensnicht locker der Datensucht frönen, wie Sie es mit IhremAntrag tun. Es muß auch die Frage gestattet sein, welcheWirkung das, was wir hier tun und worüber wir reden – vorallem, wie wir darüber reden –, auf die Betroffenen unddiejenigen, die sich betroffen fühlen, hat. Werden so leichteine Verpflichtungserklärung und der Besuch eines Ver-wandten unterbunden? Wird er aus Angst, erfaßt zu wer-den, darauf verzichten? Diese Angst mag unbegründet sein– vielleicht ist sie es auch –, aber sie ist da. Das Gefühlvieler Ausländer in dieser Gesellschaft, als Problem, alsGefährdung definiert zu werden, ist vorhanden. UnsereAufgabe muß es sein, dem entgegenzuwirken. Nur, mit Ih-rem Gesetzentwurf verstärken Sie die Angst und dieseSelbstdefinition von vielen in unserem Lande.
Ich glaube auch, daß Zurückhaltung geboten ist, weilbeim Bundesverfassungsgericht zwei Klagen in diesemBereich anhängig sind. Darin geht es unter anderem dar-um, ob das bestehende Ausländerzentralregistergesetzgegen das Diskriminierungsverbot verstößt. Schon des-halb bitte ich um etwas Zurückhaltung. Wir sollten aufjeden Fall im Auge behalten, welches Urteil gefällt wird.Eines ist sicher: Liberaler wird das AZR-Gesetzdurch Ihren Vorschlag bestimmt nicht.
– Sie sagen selbst, daß es das auch nicht werden soll.Zumindest besteht jetzt also Klarheit über die bei Ihnenvorhandene Zielsetzung.Ich betone noch einmal: Es geht auch uns um die Be-kämpfung des Mißbrauchs und des Schlepperwesens. Dasind wir uns sicherlich einig. Allerdings ist das Instru-ment, das Sie einsetzen wollen, zu überprüfen.
Meine Damen und Herren, wir sehen in dem von Ih-nen eingebrachten Gesetzentwurf eine Verschärfung desderzeitigen AZR-Gesetzes in einer Form, die wir nichtakzeptieren können. Das gilt besonders für den zweitenTeil des Gesetzentwurfes, die Einrichtung einer Warn-datei. Ich habe bisher noch keinen Beleg dafür bekom-men, daß die Notwendigkeit zur Errichtung einer sol-chen Warndatei gegeben sei. Auch hier geht es wiederum die psychologische Wirkung, die mit einer Warnda-tei verbunden wäre. Worauf läuft das denn hinaus?Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, daß es aufBürger zweiter Klasse hinausläuft. Bei diesen Bürgernaber handelt es sich zum großen Teil um Menschen, diewir als Arbeitnehmer hierhergeholt hatten. Jetzt dürfenwir mit ihnen so nicht umgehen.
– Ob das Blödsinn ist, bezweifle ich. Sie sollten sicheinmal fragen, welche Wirkung auf die Gesamtgesell-schaft und das Zusammenleben von Mehrheiten undMinderheiten von Ihren Gesetzentwürfen und Beiträgenausgeht. Das vermisse ich bei Ihnen sehr.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, mitdieser Politik betreiben Sie Populismus. Sie engagierensich vorgeblich für die innere Sicherheit, tun es aber aufKosten von Menschen, die zu unserer Gesellschaft gehö-ren. Das darf nicht sein.Auch im ersten Teil Ihres Gesetzentwurfes sind For-derungen enthalten, die wir nicht übernehmen können.
Herr
Kollege Barthel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Marschewski?
Ja.Eckhardt Barthel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5871
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(D)
Bitte
schön, Herr Marschewski.
Herr Kollege
Barthel, wenn Sie das „Populismus“ nennen, wie beur-
teilen Sie dann die Aussage des Bundesinnenministers,
die ich zitiert habe und in der es heißt, die Grenze der
Belastbarkeit sei überschritten, und wie beurteilen Sie
seinen neuerlichen Vorschlag, sogar das subjektive
Asylrecht abzuschaffen?
Aus Ihrer Zwi-
schenfrage wird mir deutlich, daß Sie über ganz andere
Dinge als das reden, was Sie uns hier vorlegen.
In Ihrem Antrag finde ich nichts, was mit dem Asylrecht
zu tun hätte. Ich empfehle Ihnen, daß Sie einmal Ihren
eigenen Entwurf lesen. Dann kämen Sie vielleicht zu
dem Ergebnis, daß wir hier über ganz andere Dinge re-
den.
Wie immer man diese Aussage bewertet, es gibt keine
Verbindung mit dem, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf
vorhaben und was Sie vorhin hier selbst vorgetragen ha-
ben.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole, auch im
ersten Teil Ihres Gesetzentwurfs sind noch einige Re-
gelungen vorgesehen, die nicht den Vorstellungen der
Sozialdemokraten entsprechen.
Lassen Sie mich abschließend eines sagen: Ich bin
neu in diesem Hause und habe deshalb nachgeguckt,
was in der vorigen Legislaturperiode war.
In der vorigen Legislaturperiode haben Sie dasselbe
schon einmal versucht, wenn ich richtig informiert bin.
Damals hatten Sie mit der F.D.P. jedoch einen Koaliti-
onspartner
– und eine Ausländerbeauftragte; sie gehörte ja auch der
F.D.P. an –, der verhindert hat, daß Sie Ihr Vorhaben
umsetzen konnten. Dazu beglückwünsche ich die F.D.P.
noch nachträglich.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, glau-
ben Sie doch nicht, daß Sie das, was Sie mit der F.D.P.
nicht durchbekommen haben, mit den Sozialdemokraten
durchbekämen. Das wäre ein Irrglaube.
Ich bedanke mich.
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Max Stadler von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es heute inder Tat mit einem Fall von Gesetzesrecycling zu tun.Genauer gesagt, betreibt die CDU/CSU-Fraktion dieWiederverwertung eines Gesetzentwurfes, mit dem siein der letzten Legislaturperiode am Widerstand derF.D.P. und insbesondere am Veto der Ausländerbeauf-tragten Cornelia Schmalz-Jacobsen gescheitert ist. Siewar eine wirkungsvolle Ausländerbeauftragte, wie sichan diesem Beispiel zeigt.
Einen solchen Gesetzentwurf erneut einzubringen istfreilich das gute Recht der Union. Es ist im Interesse derKlarheit der politischen Positionen sogar zu begrüßen.Uns gibt es Gelegenheit, daran zu erinnern, daß dieF.D.P. ihre traditionelle Rolle als Hüterin der Rechts-staatlichkeit und der inneren Liberalität
in der alten Politik sehr wohl wirkungsvoll wahrge-nommen hat.
Man darf aber aus Anlaß der Einbringung dieses Ge-setzentwurfs vorweg noch eine weitere Feststellung tref-fen: Jeder weiß ja, daß es in der früheren Koalition Mei-nungsunterschiede im Bereich der Innenpolitik gegebenhat. In der neuen rotgrünen Koalition erscheinen mir al-lerdings die Meinungsunterschiede gerade in Fragen desAusländer- und Asylrechts eher noch gravierender. Das,was Otto Schily im Interview in der „Zeit“ zur Asylpo-litik gesagt hat, läßt sich doch nicht mit Ihren Vorstel-lungen, Frau Beck, als Ausländerbeauftragte vereinba-ren.
Kein Wunder, daß allenthalben Stillstand in der rotgrü-nen Innenpolitik festzustellen ist.Bemerkenswert ist aber vor allem auch die Art derAuseinandersetzung in der neuen Koalition. Bündnis90/Die Grünen haben in letzter Zeit so viele Demüti-gungen und Provokationen hingenommen, daß an derBasis die Mitglieder reihenweise austreten, wie zumBeispiel kürzlich, Herr Uhl, die grüne Stadträtin Angeli-ka Lex aus München, die noch vor einem halben Jahr alsOberbürgermeisterkandidatin der Grünen im Gesprächwar.
Demgegenüber – das will ich durchaus konzedieren –kann man im Rückblick zur Arbeit der alten Koalition
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5872 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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sagen, daß die Minister Kanther und Schmidt-Jortzigund die Innen- und Rechtspolitiker der alten Koalitionimmerhin fair und respektvoll miteinander umgegangensind.
Das ändert nichts daran, daß die F.D.P. den Vorschlägenzur Veränderung des Ausländerzentralregisters und zurEinführung einer Warndatei seinerzeit eine klare Absageerteilt hat. Die dafür maßgeblichen drei Gründe geltenheute noch unverändert fort.Erstens. Wer eine Gesetzesänderung vorschlägt, trägtdie Beweislast dafür, daß die Neuregelung wirklichnotwendig ist. Dieser Nachweis kann von den Initiatorendes Gesetzentwurfes nicht geführt werden.Klar ist zunächst nur – das ist aber ein Nebenpunkt,wie ich ausdrücklich betonen möchte –: Ein solches Ge-setz würde hohe Ausführungskosten verursachen. Ex-perten veranschlagen allein die Beträge für notwendigeSoftware-Änderungen auf zirka 6 Millionen DM und dieZusatzkosten bei den Auslandsvertretungen auf 10 Mil-lionen DM. Zudem würde bei der Realisierung derWarndatei ein erheblicher Personalaufwand notwendigsein.Zweitens. Das alles wäre aber hinnehmbar, wenn dieNeuregelung wirklich erforderlich wäre. Was wollen Siedenn? Sie wollen umfangreiche Datenspeicherungenvornehmen, und das ist ein erheblicher Eingriff in dasGrundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. DieRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schreibtvor, daß in einem solchen Fall besonders sorgfältig ge-prüft und dargelegt werden muß, daß solche Eingriffezwingend notwendig sind. Die Praxis kommt aber dochmit der geltenden Rechtslage durchaus zurecht.Es war die Rede davon, daß es Mitteilungspflichtengeben soll, so daß man Sozialbetrug verhindern kann.Solche Unterrichtungsverpflichtungen gegenüber denAusländerbehörden kennt auch das geltende Ausländer-recht zur Durchsetzung von Erstattungsansprüchen. EineÄnderung ist hier gar nicht notwendig.Drittens – das ist der gewichtigste, weil politischeEinwand –: Dieser Gesetzentwurf enthält eine allgemei-ne Tendenz zur Erschwerung von Auslandskontakten.Es ist ja so, daß in bestimmten Fällen bei der Einladungvon Ausländern die Verpflichtung übernommen werdenmuß, für sämtliche Folgekosten aufzukommen. Das istgeltendes Recht. Nach dem Gesetzentwurf der Unionsollen nun Daten von Privatpersonen, aber auch Organi-sationen wie Firmen und Vereinen zum Beispiel dann inder Warndatei gespeichert werden, wenn sie eine solcheVerpflichtungserklärung abgegeben haben und der Gastetwa später einen Asylantrag stellt. Das halten wir füräußerst bedenklich. Sie werden dann in einer Warndateigespeichert – der Name spricht ja für sich –, das heißt,derjenige, dessen Daten dort gespeichert werden, wirdmit dem Makel versehen, daß er unzuverlässig sei oderetwas Gefährliches mache. Diese Speicherung wollenSie vorsehen, obwohl derjenige, der die Einladung aus-gesprochen hat, mit dem Verhalten des Eingeladenengar nichts zu tun hat, also auch nichts damit, daß dieservielleicht einen Asylantrag stellt. Jedenfalls verlangenSie nicht, daß etwa nachgewiesen werden müßte, daß eshier ein rechtswidriges Zusammenwirken zwischen demEinladenden und dem späteren Asylbewerber gebe. Ichkann nicht akzeptieren, daß auf diese Weise Privatper-sonen, aber auch Unternehmen der deutschen Wirtschaftdiskriminiert werden, Herr Kollege Barthel, indem ihreDaten wegen eines Verhaltens in einer Warndatei ge-speichert werden, zu dem sie gesetzlich verpflichtetsind. Sie müssen nämlich solche Folgekosten überneh-men. Mit den eventuellen Weiterungen, die sich darausergeben könnten, haben sie aber nichts zu tun.Im Zeitalter der Globalisierung und im Zuge vielfäl-tiger internationaler wirtschaftlicher, wissenschaftlicherund kultureller Kontakte erscheint uns Liberalen dieWarndatei für ein weltoffenes Land wie die Bundesre-publik Deutschland als ein falsches politisches Signal.Die Speicherung des Umstandes, daß eine Verpflich-tungserklärung vorliegt, die Speicherung der Daten vonPersonen, die solche Kostenübernahmen erklären, wür-den doch – das ist der erklärte Zweck – von der Abgabevon Verpflichtungserklärungen abschrecken. Will manwirklich die damit verbundene Konsequenz, nämlichweniger Besuchs- und Auslandskontakte? Das kanndoch nicht richtig sein.
Zu den Einzelheiten könnte man noch zahlreicheAnmerkungen machen. Dies ist in erster Lesung im Ple-num nicht erforderlich. Das können wir in den Aus-schußberatungen nachholen. Die F.D.P.-Bundestags-fraktion jedenfalls wird aus den dargelegten grundsätzli-chen Erwägungen die Linie von Cornelia Schmalz-Jacobsen weiterverfolgen und den Gesetzentwurf in die-ser Form nicht unterstützen.
Alsnächste Rednerin hat das Wort die Kollegin MarieluiseBeck, Bündnis 90/Die Grünen.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Herr Dr. Stadler, ich muß fest-stellen, daß ich Ihnen in jedem Punkt zustimme. Inso-fern gibt es Kontinuität in der Politik.In der Tat handelt es sich um einen Gesetzentwurf,der in der letzten Legislaturperiode im Hause Kantherverfaßt worden ist. Ihnen, meine Damen und Herren vonder Union, ist es nicht gelungen, damit zu Ende zukommen,
Dr. Max Stadler
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5873
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(D)
weil innerhalb der Koalition doch schwerwiegende Dif-ferenzen in dieser Frage bestanden haben. Die Gegenar-gumente sind überwiegend aus dem Bundesjustizmi-nisterium, vom Bundesdatenschutzbeauftragten
und von meiner Amtsvorgängerin vorgetragen worden.Nun also versuchen Sie es ein zweites Mal; das seiIhnen zugestanden. Allerdings werden wir einer Verän-derung des AZR in dieser Form nicht zustimmen, weilwir ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken haben.Allein die Tatsache, daß schon gegen das bestehendeGesetz mehrere Verfassungsbeschwerden in Karlsruheanhängig sind, verpflichtet den Gesetzgeber, weil dieseVerfahren noch laufen, zu außerordentlicher Zurück-haltung. Das AZR greift bereits jetzt massiv in dasGrundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein.Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 in seinemgrundlegenden Urteil zum Recht auf informationelleSelbstbestimmung folgendes ausgeführt – ich zitiere mitErlaubnis des Präsidenten –:Unter den Bedingungen der modernen Datenverar-beitung wird der Schutz des einzelnen gegen unbe-grenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung undWeitergabe seiner persönlichen Daten von dem all-gemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzesumfaßt.Weiter sagt das Bundesverfassungsgericht, daß derGesetzgeber den Verwendungszweck von Daten be-reichsspezifisch und präzise bestimmen muß und daß, sowörtlich, „die Sammlung nicht anonymisierter Daten aufVorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbarenZwecken“ nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Deshalb möchte ich bereits den ersten Satz der Be-gründung Ihres Gesetzentwurfs in Frage stellen. Daß dasAusländerzentralregister den Anforderungen des Daten-schutzes genügt, ist für uns in der Tat zweifelhaft.
Dieses Register dient nämlich nicht nur ausländerrecht-lichen Zwecken. Bereits jetzt kann eine Vielzahl von Be-hörden – vom Zollkriminalamt über die Bundesanstalt fürArbeit bis zum Bundesnachrichtendienst – auf diese Datenzugreifen. Ist das noch die bereichsspezifische und präziseRegelung, die das Bundesverfassungsgericht fordert? Ichglaube, das kann man mit Recht in Zweifel ziehen.Vieles spricht aus meiner Sicht für das, was die SPD-Fraktion im ursprünglichen Gesetzgebungsverfahrenzum AZR-Gesetz zu Protokoll gegeben hat – ich zitierenoch einmal –:Mit der vorgesehenen Vernetzung der polizei- undnachrichtendienstlichen Informationssysteme viaAZR werden Ausländer anders behandelt als Deut-sche.
Aus dem Fehlen einer sachlichen Rechtfertigungfür diese Sonderbehandlung dürfte sich eine verfas-sungsrechtliche Diskriminierung ergeben. Es seidenn, dieses Modell sollte Vorreiter für eine ent-sprechende Kontrolle auch von Inländern sein.
Diese grundsätzlichen Zweifel am AZR machen ausmeiner Sicht den Versuch, eine Erweiterung des Regi-sters vorzunehmen – und das, bevor das Bundesverfas-sungsgericht über die anhängige Verfassungsbeschwer-de entschieden hat –, mehr als fragwürdig. Wir solltenuns da tatsächlich in Zurückhaltung üben.Aber selbst wenn es die verfassungsrechtlichen Be-denken gegen das AZR nicht gäbe, würden wir IhremGesetzentwurf kaum zustimmen, was Sie nicht verwun-dern wird.
Denn ich würde davon ausgehen, daß viele der von Ih-nen vorgeschlagenen Regelungen einfach nicht erfor-derlich sind. Sie berufen sich auf den massiven Miß-brauch von Sozialleistungen durch Ausländer. Aberbisher ist, obwohl es immer wieder behauptet wird, derNachweis über das Ausmaß dieses Mißbrauchs nicht ge-führt worden. Auch eine Umfrage über den DeutschenStädtetag bei verschiedenen Großstädten konnte die vonIhnen behaupteten „massenhaften Mißbrauchsfälle“nicht belegen. Da plädiere ich für große Zurückhaltung.
Zudem hat man mir bis heute auch nicht verständlichmachen können, weshalb das bestehende rechtliche In-strumentarium nicht ausreicht, um Mißbrauchsfälle auf-zudecken.Es gibt noch weitere Kritikpunkte an dem Gesetzent-wurf. Zu den Kosten – auch das hat Kollege Stadlereben angeführt – sagt Ihr Entwurf, vermutlich aus gutenGründen, so gut wie nichts. Wir als Gesetzgeber sindaber verpflichtet, auch über die Kosten eines Gesetzesnachzudenken. In der letzten Legislaturperiode wurdenallein die Kosten für neue Software beim Bundesver-waltungsamt auf etwa 5,8 Millionen DM geschätzt. Da-zu kommen Kosten bei den Auslandsvertretungen alleinfür zwei Jahre in Höhe von etwa 10 Millionen DM.Schließlich wäre da noch ein erheblicher Stellen- undPersonalbedarf beim Bundesverwaltungsamt – alles inallem also durchaus ein teurer Spaß.Die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen sind abernicht nur teuer, sondern sie sind auch weitgehend über-flüssig. Warum sollte die Abgabe einer Verpflichtungs-erklärung, mit der sich ein Deutscher verpflichtet, fürden Lebensunterhalt eines Ausländers aufzukommen,der ihn in Deutschland besuchen möchte, in einer zen-tralen Datei gespeichert werden?
Marieluise Beck
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5874 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Wer gelegentlich ins Ausländergesetz schaut, weiß, daßdie Ausländerbehörde das Sozialamt ohnehin über dasVorliegen von Verpflichtungserklärungen informierenmuß. Eines zentralen Registers bedarf es da nicht. Es istgerade eine der positiven Erfahrungen mit dem deut-schen Föderalismus, daß vieles vor Ort besser angegan-gen werden kann als durch ein zentralisiertes System.Zum dritten wollen Sie, meine Damen und Herrenvon der Union, nun auch die wenigen positiven Rege-lungen, die das AZR-Gesetz enthält, noch beseitigen. Sohatte meine Amtsvorgängerin durchgesetzt, daß das In-strument der Gruppenauskunft nicht auf Ausländer an-gewandt werden darf, die schon lange und dauerhaft inDeutschland leben. Denn bei diesen Menschen gibt eskeinerlei Rechtfertigung für den Einsatz besondererFahndungsinstrumente. Das interessiert Sie aber nicht.Was Sie wollen, ist die Nutzung vorhandener Daten füreine polizeistaatlich orientierte Überwachung von Men-schen in unserem Land, die mit dazugehören undgleichberechtigt sind.
Aber damit nicht genug. Sie wollen das Register mitder sogenannten Warndatei – nomen est omen – nun-mehr auch auf deutsche Staatsangehörige ausdehnen.Gespeichert werden sollen auch diejenigen, die eineVerpflichtungserklärung für einen Ausländer abgegebenhaben, wenn der im Visumsverfahren etwa falsche Do-kumente vorlegt oder nach der Einreise einen Asylantragstellt.Daß ein Gastgeber vielleicht in gutem Glauben ge-handelt haben könnte, ist für Sie offensichtlich belang-los. Die Unschuldsvermutung soll hier einfach außerKraft gesetzt werden, und das wäre in der Tat einmaligin der deutschen Rechtsordnung.
Eine solche Datei, meine Damen und Herren, würdedie Bereitschaft deutscher Staatsangehöriger, Bekannteaus dem Ausland einzuladen, sicherlich nicht erhöhen,
und das wäre schade in einer Zeit, in der nationale Gren-zen immer unwichtiger werden, immer mehr MenschenBindungen und Kontakte ins Ausland haben und überdie Grenzen hinweg zueinander Verbindung aufnehmen.Dabei gilt schon jetzt, daß die deutschen Auslands-vertretungen im Visumsverfahren überaus gründlich aufpotentielle Asylbewerber hin prüfen. In diesen Fällenwird kein Visum erteilt, wovon Sie sich in jedem Kon-sulat vor Ort überzeugen können.Schon Herrn Kanther ist es nie gelungen, einen zah-lenmäßig wirklich relevanten Mißbrauch des Visums-verfahrens in bezug zu gestellten Asylanträgen nachzu-weisen. Gleichwohl und immer wieder fordern Sie wei-tere zentrale Dateien. Sie wollen immer mehr Menschenerfassen und überwachen. Offenbar haben Sie keineSorge, daß wir zu einem Staat von zunehmend starkerKontrolle gegenüber dem Bürger werden. Dies ist nichtdas Bild, das ich mir von dieser Gesellschaft mache. Esentspricht mit Sicherheit auch nicht dem Menschenbildunseres Grundgesetzes.Schönen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Herr Marschewski, ich habe mich schon ge-fragt, was für ein unverfrorenes Bild von der Wirklich-keit Sie hier zu malen versuchen. Ich stimme der Kritik,die bisher an Ihrem Antrag geübt worden ist, voll zu.Sehen wir uns Ihren Antrag einmal sachlich an. Ichzitiere:Illegale Einreise und Schleuserkriminalität stellenzunehmend eine Bedrohung für die innere Sicher-heit Deutschlands dar.Das haben Sie auch heute wieder als einen Schwerpunkthier in den Raum gestellt. Wer sich die Fakten ansieht,wird sich fragen, wie Sie eigentlich zu so einer Ein-schätzung kommen.Ich habe mir die Daten des Bundesinnenministeriumsdes vergangenen Jahres dazu einmal genauer angesehen.Das Bundesinnenministerium hat im vergangenen Jahrdrei Tage lang bei einer internationalen Aktion vonPolizei- und Grenzschutzeinheiten aller Schengen-Staaten gegen illegale Zuwanderung und Schleuserban-den mitgewirkt. Daran waren laut BMI alle SchengenerVertragsstaaten entlang der Hauptschleusungsroutenbeteiligt. Es gab koordinierte Grenz- und Inlandskon-trollen an sogenannten Luft-, See- und Landrouten. Aufdeutscher Seite waren das Bundeskriminalamt, der Bun-desgrenzschutz und die Polizeien der Länder beteiligt.Ergebnis: Ganze 706 Personen ohne Aufenthaltspapierewurden bei dieser großangelegten Aktion gefunden,ganze 26 Schleuser festgenommen. Die meisten derFestgenommenen waren – man höre und staune – Koso-vo-Albaner, rumänische Flüchtlinge und Flüchtlinge ausAfghanistan. Ich sage Ihnen hier: Vorsicht, es handeltsich hierbei um Menschen, die aus krisengeschütteltenStaaten kommen.Ein weiteres Beispiel. Das Bundeskriminalamt zeigtin seiner polizeilichen Kriminalstatistik in der Tat einenAnstieg der Schleuserkriminalität auf. Aber, Herr Mar-schewski, auch Sie haben heute wieder falsche Datengenannt. Es gab nicht allein im vergangenen Jahr12 000, sondern in den vergangenen drei Jahren zusam-Marieluise Beck
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5875
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men – ohne das verharmlosen zu wollen – 14 400 Fällevon Schleuserkriminalität. Gleichzeitig – ich denke, dassollte man wirklich einmal gemeinsam diskutieren – re-gistrierte das BKA allein für das Jahr 1998 rund 15 100Fälle von Betrug und Untreue im Zusammenhang mitBeteiligungen und Kapitalanlagen und rund 18 500 Fällevon Wirtschaftskriminalität im Anlage- und Finanzie-rungsbereich. Dies sind die Zahlen für ein Jahr. Mit an-deren Worten: Die Zahl der Straftaten in diesen Berei-chen der Wirtschaftskriminalität ist mehr als dreimalso hoch wie die bei der Schleuserkriminalität. Trotzdemwerden von den Unionsparteien nur für FlüchtlingeAusländerzentralregister bzw. weitere Dateien gefordert.Somit werden Flüchtlinge als Sicherheitsrisiko undpotentielle Kriminelle – wie wir heute schon gehört ha-ben – diffamiert.Ich will mit der BKA-Statistik fortfahren, denn dieseStatistik nennt auch Schadenssummen zum Beispiel imBereich der von Ihnen als Begründung genannten Er-schleichung von Sozialhilfe sowie in den obengenanntenanderen Bereichen von Wirtschaftskriminalität. Im ein-zelnen nennt das BKA für 1998 Schäden in Höhe von2,5 Milliarden DM auf Grund von Betrugsdelikten,Schäden in Höhe von 2,9 Milliarden DM durch Kon-kursbetrug und Schäden in Höhe von 1,1 Milliarden DMdurch Betrug bei Kapitalanlagen.Delikte im Bereich der Erschleichung von Sozialhilfesind verglichen damit so unbedeutend, daß sie beimBKA nur als Untergruppe in der Rubrik „Wirtschafts-kriminalität im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnis-sen“ erfaßt werden. Für diese gesamte Schadensgruppe,die also auch andere Kriminalitätsformen erfaßt, nenntdas BKA allein für 1998 Schäden in Höhe von 191 Mil-lionen DM.Mit anderen Worten: Die finanziellen Schäden, diejedes Jahr durch Betrug entstehen, sind 13mal so großwie alle Schäden durch Erschleichung von Sozialhilfe.Die finanziellen Schäden durch Konkursbetrug sind15mal so groß, und die Schäden durch Kapitalanlagebe-trug sind sechsmal so groß. Und Sie erzählen uns hierdiese Gruselgeschichten über illegale Einreise und überSozialhilfebetrug!Um nicht falsch verstanden zu werden – ich habe eseben schon einmal gesagt –: Kriminalitätsbekämpfungund Verhinderung von Leistungsmißbrauch bei derSozialhilfe sind selbstverständlich legitim. Aber vor die-sem Hintergrund und mit dieser Zielsetzung werdenimmer mehr Überwachungsmechanismen eingerichtet –meine Kollegin Beck hat es eben vorgetragen –, die inkeinem Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen.Opfer sind immer die Bevölkerungsgruppen, die überkeine oder nur über eine schwache Lobby verfügen:Arme, Ausländer und andere Minderheiten. Das mußman Ihnen einfach einmal ins Stammbuch schreiben.
Kein anderes Thema in diesem Land wurde in denvergangenen Jahren von der CDU/CSU so hochgespieltwie die sogenannte Ausländerkriminalität. Allein die Artund Weise, wie Sie dieses Thema anpacken, ist auslän-derfeindlich und rassismusfördernd.
Frau
Kollegin Jelpke, kommen Sie bitte zum Schluß.
Im Grunde genommen habe ich
damit alles gesagt. Wir werden diesem Gesetzentwurf
auf gar keinen Fall zustimmen.
Als
nächster Redner hat der Bundesinnenminister Otto
Schily das Wort.
Herr Präsi-dent! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich garnicht vor, mich in dieser Debatte zu Wort zu melden;denn heute findet erst die erste Lesung dieses Gesetz-entwurfs statt, und er wird noch im Ausschuß beratenwerden.Wenn es darum geht, Schleuserkriminalität und Sozial-hilfemißbrauch zu bekämpfen, dann gibt es niemandenin diesem Plenarsaal, der diesen Zielen widerspricht.
Entscheidend ist die Frage nach dem richtigen Instru-ment. Sie müssen die Einwände, die von dem KollegenBarthel, von der Kollegin Beck und von dem KollegenStadler vorgetragen worden sind, ernsthaft diskutieren.
Das heißt nicht, daß man nicht über andere Informa-tionsmöglichkeiten für die Polizei oder für die Sozialhil-feämter nachdenken darf. Auch das muß man vorurteils-frei diskutieren dürfen. Wir handeln nicht richtig, wennwir alle diese Fragen mit Denkverboten belegen; viel-mehr sollten wir an die Probleme vorurteilsfrei herange-hen. Wenn das geschieht, dann werden wir entdecken,was die beste Lösung sein könnte.Ich habe mich wegen eines einzigen Satzes desKollegen Marschewski zu Wort gemeldet. Er hat wie-der die These aufgestellt, in Tampere sei außer schö-nen Wortgirlanden nichts passiert. Herr Marschewski,obwohl es nach den Usancen nicht möglich ist, hätteich Sie gern einmal als Zuhörer zur Luxemburger Kon-ferenz der EU-Innen- und -Justizminister eingeladen.Dort haben die Justiz- und die Innenminister aller EU-Mitgliedstaaten – alle – gesagt, daß das Ergebnis vonTampere sehr gut ist und daß es in wichtige Hand-lungsfelder hineinführt.
Wir haben von der Kommission einen Kalender, einensogenannten „score board“, in dem wir sehen, nach wel-chen Abläufen und unter welcher Verantwortung etwasauf der Grundlage von Tampere in Gang kommt. HerrUlla Jelpke
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5876 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Marschewski, ich kann nur sagen: Sie sind europapoli-tisch total vereinsamt.
Es tut mir um Sie herzlich leid. Ich bin so fair, anzu-erkennen, daß die CDU/CSU früher durchaus eine be-achtliche europapolitische Kompetenz hatte. Seit Sieaber in der Opposition sind, haben Sie sie im Handum-drehen abgegeben. Das ist traurig. Dieser Trauer wollteich Ausdruck verleihen.Vielen Dank meine Damen und Herren.
Herr
Marschewski, möchten Sie das Wort zu einer Kurzinter-
vention?
– Bitte sehr.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz so ein-
sam bin ich nun doch nicht, wie Sie an der Reaktion
meiner werten Kolleginnen und Kollegen festgestellt
haben dürften.
Herr Minister, für mich war Tampere zum Beispiel
hinsichtlich der Asylgesetzgebung kein Erfolg. Inwie-
weit ist denn bei sicheren Herkunftsstaaten, bei Dritt-
staaten eine Angleichung erfolgt, Herr Minister Schily?
Was haben Sie in bezug auf Burden-sharing erreicht?
– Nichts. Oder was haben Sie in der ganz wichtigen Fra-
ge der Angleichung der Asylbewerbergelder erreicht?
Die Leute kommen doch zu uns, weil ein Nord-Süd-
Gefälle besteht.
Ich weiß, daß das alles sehr schwierig ist, und bedan-
ke mich dafür, daß Sie gesagt haben, daß die Kompetenz
für Europa bei der Union liegt; keine Frage.
Nur, in diesen Fragen haben Sie, Herr Kollege Schily,
nichts erreicht. Gleiches gilt für die Verbrechensbe-
kämpfung. Europol haben Sie in Kraft gesetzt. Wir ha-
ben die Vorleistung dazu erbracht.
Aber wie sieht es im Bereich der Angleichung des mate-
riellen Rechts, im Bereich der europäischen Staatsan-
waltschaften, im Bereich gemeinsamer Visapolitik, um
nur einiges zu nennen, aus? Tampere war für die Innen-
politik und für die Sicherheitspolitik ein schwarzes, kein
gutes Europa. Das darf ich Ihnen sagen.
Herr
Bundesminister, wollen Sie erwidern?
– Bitte schön.
Lieber
Kollege Marschewski, ich kann Ihnen nur zugute halten,
daß Sie es einfach nicht besser wissen. Das kann ja ein-
mal passieren.
Aber Sie können noch nicht einmal anerkennen, daß
es eine große Leistung der deutschen EU-Präsident-
schaft war, Europol arbeitsfähig gemacht zu haben, die
von allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union hochgelobt und anerkannt worden ist. Sie haben
vier Jahre Zeit gehabt, und es ist Ihnen nicht gelungen.
Ich kann die Vorarbeiten durchaus würdigen; aber ich
finde, wir haben den großen Erfolg, den Durchbruch er-
rungen.
Sie haben über Schleuserkriminalität geredet. Wir
haben Eurodac zu Ende geführt.
Ich glaube, Herr Marschewski, Sie sollten ein wenig
mehr Sachlichkeit in die Debatte bringen, damit Sie Ihre
europapolitische Kompetenz vielleicht zurückgewinnen.
Das würde Ihnen guttun. Deshalb empfehle ich Ihnen
auch, einmal die Bilanz zu lesen.
Ich kann Ihnen übrigens auch etwas über die Zusam-
menarbeit sagen, soweit es die Flüchtlinge angeht.
Auch dort haben wir eine Lastenteilung erreicht, im Ge-
gensatz zu Ihnen, die Sie dies hinsichtlich der bosni-
schen Flüchtlinge nicht erreicht haben. Seinerzeit hatten
wir 320 000 Flüchtlinge im Lande. Jetzt beträgt das
Verhältnis alles in allem 15 000 : 94 000.
Sie müssen sich wirklich daran gewöhnen, die Tatsa-
chen zur Kenntnis zu nehmen. Sie sollten sich nicht in
ideologischen Gefängnissen aufhalten. Das führt in der
Politik nicht weiter.
Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Bundesminister Otto Schily
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5877
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– Ich habe bislang nicht gewußt, daß der Redner dasMikrophon selbst einschalten muß.
– Herr Özdemir, die Vorstellung, Sie kämen einmal inder Lederhose, genieße ich allerdings.
– Ich habe Ihnen gar nichts versprochen!
Aber jetzt komme ich zum AZR. Wer die bisherigeDebatte in diesem Hause mitbekommen hat – ich habesie von Anfang an verfolgt –, der stellt sich die Frage,Herr Minister – darüber kann man streiten –, ob imRahmen einer solchen Debatte auf Europa eingegangenwerden muß und ob man sich durch einen Nebensatz desKollegen Marschewski veranlaßt sehen muß, am Themavorbeizudiskutieren. Der Schwerpunkt Ihres Redebei-trags hat das Thema verfehlt. Aber ich konzediere Ihnensofort: Sie haben zumindest – im Gegensatz zu den Vor-rednern Ihrer Koalition – klar betont, daß Sie auch fürdie Verhinderung von Mißbrauch eintreten. Darin binich mit Ihnen d'accord. Ich habe zumindest erwartet, daßjemand in dieser Debatte eine Prüfung des vorgelegtenGesetzes unter diesem Gesichtspunkt im Ausschuß vor-schlägt.
– Nein, ich habe gehört, wie jemand von polizeistaatli-chen Methoden gesprochen hat, und zwar jemand, dereinen Text abgelesen hat, den ihm andere anscheinendaufgeschrieben haben. Dies ist alles in Ordnung; dage-gen habe ich nichts. Aber denjenigen, der den Begriff„polizeistaatliche Regelung“ im Zusammenhang mit un-serem freien Land verwendet, schnappe ich mir und ma-che ihn darauf aufmerksam, welche Denkweise dieserBegriff offenbart.
– Nein, Sie waren es nicht. Frau Beck hat davon gespro-chen. Ich bitte darum, deutlich zu machen – gerade auchmit Rücksicht auf diejenigen, die draußen ihren Diensttun –, was polizeistaatlich ist und was nicht. Es ist eineDummheit, von so etwas in diesem Haus zu sprechen.
Ich sage Ihnen dies, auch wenn Sie ein Amt haben.Ich gehe jetzt auf den Kern des AZR-Entwurfs ein.Dieser Entwurf ist auf der Grundlage einer großen Um-frage entstanden, die der damalige Innenminister Kantherunter Fachleuten, Profis vor Ort und Leitern der Auslän-derbehörden – es war jede politische Couleur vertreten –durchführen ließ. Es wurde gefragt: Was stört euch? Wodrückt der Schuh? Wo läßt sich etwas verbessern? Waswird in der Praxis benötigt? Auf diese Fragen hin wur-den genau die Vorschläge unterbreitet, die in unseremjetzigen Antrag enthalten sind. Man kann über dieseVorschläge streiten.Sie können dem deutschen Volk lautstark erklären,daß die Einhaltung des Datenschutzes wichtiger ist alsdie Strafverfolgung desjenigen, der zu uns kommt undsich Leistungen erschleicht. Sie können auch erklären,daß solche Leute Priorität genießen, weil man auf Grundvon Verfassungsbeschwerden, über die Sie sich bis jetztinhaltlich gar nicht geäußert haben, nichts gegen sie tunkönne.Ich sitze jetzt ein Jahr auf der Oppositionsbank undhabe erlebt, daß dieser Innenminister außer dem Staats-angehörigkeitsrecht keine anderen Gesetzesinitiativenauf den Weg gebracht hat. Wer es besser weiß, der mögesich jetzt melden.
– Richtig, das Wahlstatistikgesetz; Entschuldigung, HerrMinister. Dieses Gesetz – das muß ich fairerweise ein-räumen – war notwendig, weil sich die F.D.P. damalsquergelegt hat.
Aber Sie müssen sich jetzt auch mit einem Koalitions-partner auseinandersetzen, der im Zusammenhang mitunserem freien Land unsinnigerweise von „Polizeistaat“redet.Die Zahl der illegal Zugewanderten ist im erstenHalbjahr 1999 gestiegen. Sie hat etwa um die Hälfte zu-genommen. Die Zahl der aufgegriffenen unerlaubt ein-gereisten Ausländer ist auf 18 754 gestiegen. Im erstenHalbjahr gab es mehr als 1 500 Einschleusungen. Ichhabe leider nicht mehr die Zahl in Erinnerung – HerrKanther hatte sie immer parat –, wie viele Visa einedurchschnittlich große Botschaft normalerweise erteilt.Wer davon redet, daß die Zahl der illegal Zugewander-ten überhaupt kein Thema sei und daß der Mißbrauchvon uns belegt werden müsse, dem muß ich entgegnen:Entschuldigung, Sie sind weit weg von der Realität. Siemüssen vielleicht innerhalb des nächsten Jahres selbereine Praktikerkonferenz einberufen und diejenigen fra-gen, die draußen die Arbeit machen. Der Landrat inmeinem Wahlkreis berichtet mir, daß er keine Mitarbei-ter mehr für das Ausländeramt bekommt, weil niemanddie dort anfallende Dreckarbeit machen möchte.Erkundigen auch Sie sich einmal bei den Praktikern!Sehr viele – ich möchte nicht generalisieren; es sind be-stimmt nicht alle – betreiben Mißbrauch. Sie könnenzwar hier die Augen davor verschließen, aber draußenkennt man die Realität. Machen Sie nur so weiter wiebisher und sagen Sie: Der Datenschutz ist ganz wichtig!Behaupten Sie ruhig, wir würden die Ausländer diskri-minieren.In meiner Familie gibt es Ausländer, ich habe vieleGäste aus dem Ausland. Ich habe mich auch schon ver-pflichtet, zu zahlen, wenn der Gast nicht zurückkehrt.Wolfgang Zeitlmann
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5878 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Aber sagen Sie diesen Leuten einmal, daß es schlimmist, wenn sie registriert werden! Ich habe überhauptnichts dagegen. Wenn ich morgen Herrn X einlade, dannhabe ich gar nichts dagegen, wenn das registriert wird,weil ich weiß, daß es auch Schleuser gibt, die in SerieVerpflichtungserklärungen abgeben, daß es aber auchpraktische Fälle gibt, daß jemand auf Grund einer sol-chen Verpflichtungserklärung einreist, aber ganz woan-ders hingeht und dort dann Anträge stellt.
Herr
Kollege Zeitlmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wiefelspütz?
Bei Wiefelspütz
immer.
Herr Kollege Zeitlmann,
weil ich Sie für einen prinzipiell anständigen Kollegen
halte, –
Wenn Sie einen
solchen Vorspann machen, ist Gefahr im Verzug.
– würde ich Sie herzlich
bitten, sich das Wort „Drecksarbeit“ im Zusammenhang
mit der Tätigkeit in Ausländerbehörden noch einmal zu
überlegen.
Ich will jetzt eine Frage an Sie richten: Ich habe ja ein
gewisses kollegiales Verständnis dafür, daß es Ihnen
Probleme bereitet, daß der Bundesinnenminister Ihnen
so wenig Angriffsfläche bietet. Sind Sie denn wirklich
ernstlich der Auffassung, daß die Leistung eines Bun-
desinnenministers daran zu messen ist, wie viele Geset-
ze er auftürmt?
Herr Wie-felspütz, zum einen: Ich habe mit dem Begriff „Drecks-arbeit“ natürlich nur den Teil der Arbeit gemeint, beidem die Mitarbeiter in Ausländerbehörden pausenlosbelogen werden, pausenlos Mißbrauch erleben.
noch schlimmer! Es wird immer schlimmer,was Sie sagen! – Gegenruf von der CDU/CSU:Nein, nein, gehen Sie einmal da hin!)– Gehen Sie doch einmal vor Ort und fragen Sie, ob daseine schöne Tätigkeit ist, das zu erleben, was diese Herr-schaften erleben. Das ist zu erheblichen Teilen eineganz, ganz schwierige Tätigkeit.Natürlich, wenn Herr Wiefelspütz einen ausländi-schen Gast einlädt oder eine Verpflichtungserklärungabgibt, ist das mit Sicherheit eine höchst unterhaltsameBeschäftigung, weil er sich mit diesen Menschenfreundlich befassen kann. Sie wissen genau, was ichmeine. Wir muten den Ausländerbehörden eine schwie-rige Arbeit zu, die kaum ein anderer zu erbringen bereitist. Und das ist für einen solchen Mitarbeiter im Ver-hältnis zu dem, der soziale Leistungen austeilt, eineDrecksarbeit. Damit meine ich doch nicht die Menschen,die etwas beantragen. Ich habe viel Verständnis, auchfür den, der wegen einer drohenden Abschiebung viel-leicht falsche Angaben macht. Verständnis habe ich da-für durchaus. Aber ich muß auch sehen, daß der Prakti-ker vor Ort vor der pausenlosen Inanspruchnahme diesesStaates geschützt werden muß, daß der, der diese Tätig-keit zu erbringen hat, auch einen gewissen Anspruchdarauf hat, daß dieser Staat für ihn einsteht.
Herr Wiefelspütz, ich habe den Minister nicht an derZahl der eingereichten Gesetze gemessen, sondern ichhabe nur gesagt: In diesem einen Jahr habe ich außerdem Staatsangehörigkeitsrecht – ich weiß gar nicht, wieviele Entwürfe es waren – nichts gesehen. Ich bin danndurch den Hinweis auf die Wahlstatistik verbessert wor-den. Aber abgesehen davon haben Sie nichts Wesent-liches gebracht. Der Minister hätte in diesem einen JahrZeit gehabt, seine Praktiker zu befragen, ob es nichtdoch ein Defizit gibt. Dann wäre er vermutlich zu ähnli-chen Ergebnissen gekommen wie ich.Meine Damen und Herren, eines möchte ich noch er-wähnen. Herr Kollege Barthel, Sie haben hier erklärt,die Union würde immer nur Gesetzentwürfe einreichen,die zu einer – wie haben Sie es ausgedrückt? – Ver-schärfung des Ausländerrechts oder der Situation derAusländer führten. Ich habe Ihnen gerade die Zahl derillegalen Zuwanderer genannt. Dieses Ihr Argument,man müsse endlich etwas zur Erleichterung tun, müssenSie draußen einmal vorbringen!
– Doch, Sie haben wörtlich gesagt, man sollte jetzt eherumgekehrt in Richtung Erleichterung gehen. Das müs-sen Sie auch mit Ihrem Innenminister absprechen. Erwar ja hier, und ich habe ihn gelobt. Er hat ja ganz offenzugegeben, daß auch er Mißbrauch bekämpfen will.Natürlich muß man sich in Ruhe anschauen, ob damitwomöglich eine Verbesserung der Bekämpfung vonMißbrauch verbunden ist.Meine Damen und Herren, nur einen Satz möchte ichbitte noch sagen dürfen, damit wir klar sehen, um was esgeht. Schauen Sie, wir wollen mit dieser Möglichkeit desAZR den Kreis der Nutzer eines Registers erweitern. Er-stens soll künftig die Sozialbehörde, die eine Leistunggewährt, direkt und nicht über Umwege hineinschauenkönnen. Wir meinen zweitens, daß die visaerteilendenStellen – sprich Ausländervertretungen – durchaus Über-prüfungen vornehmen sollten, wenn einer zehnmal einlädtund zehn Asylbewerber die Folge sind. Drittens. Wenndie Polizei Identitätsprüfungen vor Ort vornimmt unddie Menschen keine Pässe, keine Ausweise oder Paßer-satzpapiere dabei haben müssen, dann kann doch niemandetwas dagegen haben, wenn der Polizeibeamte effektiverund schneller zu der Feststellung kommen kann, daß derWolfgang Zeitlmann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5879
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Überprüfte legal hier ist und alles seine Ordnung hat.Nach jetzigem Recht erschweren wir den vor Ort arbei-tenden Polizeibeamten die Tätigkeit.Nicht mehr und nicht weniger ist das, was wir vor-schlagen. Demjenigen, der sich dagegen so heftig undmit solchen Argumenten wehrt, als würde sich der Staatin Richtung Polizeistaat verändern, kann ich nur sagen:Gute Nacht, Deutschland! Aber diese Diskussion setzenwir im Innenausschuß fort.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Der Herr
Kollege Veit wollte eine Zwischenfrage stellen. Ich habe
das nicht erkannt. Ich bitte diejenigen, die eine Zwi-
schenfrage stellen wollen, aufzustehen, damit man sie
deutlich sieht. Jetzt ist das mit der Zwischenfrage etwas
schwierig, aber Sie können noch eine Kurzintervention
machen.
Ich mache eine wirkliche
Kurzintervention. Ich wollte als Praktiker, der zwölf
Jahre lang in der Sache engagiert einer Ausländerbehör-
de als Landrat vorgestanden hat, der, wenn auch nur für
sieben Jahre, die Verantwortung für die Abschiebebe-
hörde in ganz Mittelhessen hatte, sagen: Ihre Qualifizie-
rung der Arbeit von in der Ausländerbehörde tätigen
Menschen ist genauso unwürdig wie die Qualifizierung
von deren „Kundschaft“. Ich will Ihnen auch sagen,
worin ein wirkliches Problem unserer Mitarbeiter dort
bestand und immer noch besteht: Das sind zum Teil
schlechte und zu stringente Gesetze und im übrigen
Verwaltungsvorschriften auf Hunderten von Seiten, die
kein Mensch mehr übersieht. Deswegen kann dort ein
Beamter kaum noch seine Arbeit erledigen. Dafür tragen
in erster Linie Sie die Verantwortung.
Herr
Kollege Zeitlmann, wollen Sie erwidern? – Bitte schön.
Lieber Kollege
– „lieb“ nicht, sagt mir gerade ein Zwischenrufer, aber
ich wollte es höflich machen –,
ich konzediere Ihnen sofort, daß es viele Verwaltungs-
vorschriften gibt. Das ist sicher ein Übel. Die Tatsache,
daß Sie hier so tun, als wäre dies das alleinige Übel für
die Beamten und Angestellten in den Ausländerbehör-
den, beweist mir, daß Sie zwar Vorgesetzter waren, aber
keine Ahnung haben.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Joachim Stünker, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Bis vor einem Jahr,bevor ich die Ehre hatte, als Bundestagsabgeordneter indieses Hohe Haus gewählt zu werden, war ich Richter indiesem Land, und zwar fast drei Jahrzehnte lang. Ichmuß Ihnen sagen: Mich erschreckt es langsam, mit wel-chen Platitüden umfangreiche Gesetzesänderungen undneue Gesetze begründet werden,
wie mit Fremdenhaß und Fremdenfeindlichkeit und mitVokabeln wie Drecksarbeit, die die Beamten vor Ortmachen, argumentiert wird. Das beweist im Grunde nureines: Sie schüren Angst, aber Sie beschäftigen sichnicht im Detail mit den Dingen, die es zu regeln gilt.Das ist eigentlich nicht die Aufgabe dieses Hohen Hau-ses.
– Nein, ich bin nicht der einzige Gescheite hier,
aber ich bin offensichtlich der einzige – zumindest habeich nach dem, was von Ihrer Seite bisher dazu gesagtworden ist, den Eindruck –, der sich mit dem Gesetz be-schäftigt hat. Dazu habe ich von Ihrer Seite in den bishe-rigen Redebeiträgen so gut wie nichts gehört.
Lassen Sie mich von daher eines einleitend sagen:Für uns Sozialdemokraten war schon immer Grund-überzeugung, den einzelnen vor Verbrechen zu schüt-zen. Das ist eine Kernaufgabe des Staates, zu der wiruns bekennen. Freiheit und Sicherheit sind eine un-trennbare Einheit; daran geht in der Demokratie keinWeg vorbei. Für uns Sozialdemokraten ist es selbstver-ständlich, daß der Rechtsstaat die Freiheitsrechte seinerBürger achtet. Aber wir sehen auch, daß heute in De-mokratien nicht in erster Linie die Gefahr einer Über-macht des Staates, sondern eher die einer Ohnmachtdes Staates droht und dem entgegengewirkt werdenmuß. Das ist keine Frage. Deshalb sind wir auch bereit,mit Ihnen zu diskutieren und dort Lösungen zu finden,wo es in der Tat beklagenswerte Mißbräuche gibt. Sol-che Mißbräuche müssen jedoch auch rechtstatsächlichverifizierbar sein.Von daher machen Sie sich vielleicht am Ende dieserDebatte noch für ein paar Minuten die Mühe, mit mirgemeinsam in das geltende Ausländerzentralregister hi-neinzusehen und zu schauen, was dort gegenwärtig ge-regelt ist.Wolfgang Zeitlmann
Metadaten/Kopzeile:
5880 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Dieses Ausländerzentralregister hat drei Funktionen:Erstens: die Identifizierungsfunktion. Das heißt, esermöglicht die Identifizierung von Ausländern an Handder gespeicherten Daten.Zweitens: die Nachweisfunktion. Es weist Behördennach, die zu bestimmten Sachverhalten über nähere In-formationen über Ausländer verfügen.Drittens: die Substitutionsfunktion. Es hält selbstwichtige Informationen über Ausländer bereit, die beiEntscheidungen zugrunde gelegt werden können, wenneine Anfrage bei der aktenführenden Behörde zu langeZeit in Anspruch nehmen würde.Somit deckt das Register die Informationsbedürfnisseverschiedener öffentlicher Stellen ab und dient letztlicheiner Vielzahl von Zwecken. Es dient der Zusammenar-beit und der Aufgabenerfüllung von Behörden im Be-reich des Ausländer- und Asylrechts, der polizeilichenGefahrenabwehr, der Strafverfolgung, der Bekämpfungder illegalen Beschäftigung, des Verfassungsschutzes,der Nachrichtendienste sowie der Staatsangehörigkeits-und Vertriebenenbehörden.Für die Aufgabenerfüllung werden in dem Registerdie zu unterschiedlichen Zwecken gesammelten Datenverknüpft, die dann einem sehr weit gefaßten Kreis vonNutzern und Anwendern, zum Teil im On-line-Verfahren, zur Verfügung gestellt werden. Das ist gel-tendes Recht. Damit stehen die Aufgaben dieses Aus-länderzentralregisters wie bei jedem Register, das Per-sonendaten sammelt, immer zugleich auch im Span-nungsverhältnis zu dem Grundrecht auf Datenschutz.Lassen Sie mich hierzu noch einmal die vier Essenti-als – Frau Beck hat es vorhin teilweise bereits getan –,die das Bundesverfassungsgericht in seinem grundle-genden Urteil zu dem Grundrecht auf Datenschutz be-reits im Jahre 1983 festgestellt hat, nennen. Wir könnenhier doch nicht so tun, als würden wir in einem Raumaußerhalb unserer Verfassung argumentieren.
Das Bundesverfassungsgericht stellt erstens fest: Dasallgemeine Persönlichkeitsrecht beinhaltet unter den Be-dingungen der modernen Datenverarbeitung auch denSchutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung,Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner per-sönlichen Daten.Zweitens. In dieses Recht darf nur im überwiegendenAllgemeininteresse eingegriffen werden.Drittens. Hierzu ist eine gesetzliche Grundlage erfor-derlich, aus der sich Art und Umfang des Rechtseingriffsnormenklar ergeben müssen.Viertens. Bereits der Gesetzgeber hat organisatori-sche und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen,welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeits-rechts entgegenwirken.Zu diesen klassischen vier Grundsätzen steht in IhremEntwurf nicht ein Wort.Da das Grundrecht auf Datenschutz aus dem Schutzdes allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Verbindung mitdem Schutz der Menschenwürde abgeleitet wird, kann esjedermann, ob er Deutscher oder Ausländer ist, in An-spruch nehmen. Das ist dabei zu berücksichtigen. Wirwerden deshalb in der jetzt beginnenden Ausschußbera-tung Teile der Vorschläge, die Sie zum AZR hier gemachthaben, genau unter Berücksichtigung dieses genanntenSpannungsverhältnisses beraten. Wir werden uns dierechtstatsächlichen Voraussetzungen und Untersuchungendazu ansehen. Danach werden wir gemeinsam zu prüfenhaben, wo tatsächliche Mißbrauchsbereiche gegeben sindund letzten Endes Änderungsbedarf besteht. Wir tretensomit mit Ihnen in eine sachliche Diskussion ein, jedochnicht auf dem Niveau, auf dem sie heute nachmittag vonIhnen teilweise begonnen worden ist.
Ein letzter Satz – ich hoffe, ich habe die Zeit dazunoch, weil mir dieser Punkt wichtig ist – zu Ihrem Vor-schlag der Einrichtung einer Warndatei. Dazu werdenSie uns im Ergebnis nicht bewegen können; denn mitdiesem Vorschlag ist beabsichtigt, die vorhin von mirgenannten Funktionen zur Identifizierung, zum Nach-weis und zur Substitution des Ausländerregisters zu er-weitern, hin zu Mitteln zur Abwehr und zur Bekämp-fung von Ausländern. Ein sachlicher Grund zur Ein-richtung einer derartigen Warndatei besteht nicht undwird auch in Ihrem Entwurf nicht genannt. Es ist nichtersichtlich und auch nicht näher begründet, aus welchenGründen die Sammlung derartiger Daten im Hinblickauf die Bekämpfung von illegaler Einreise oder Schleu-serkriminalität notwendig wäre. Letztendlich macht dieWortwahl „Warndatei“ die programmatische Zielset-zung deutlich: Es soll vor denjenigen gewarnt werden,deren Daten in dieser Kartei verzeichnet sind. Damitwird der fatale Eindruck erweckt, als ob es sich hierbeium Schwerverbrecher oder, allgemein bezeichnet, umKriminelle handele.Betrachtet man Ihren Vorschlag genauer, ist festzu-stellen, daß Daten von Ausländern und übrigens auchDeutschen gesammelt und zugänglich gemacht werdensollen auf Grund von Handlungen und Verhaltenswei-sen, die lediglich einen Anfangsverdacht, also keinengerichtlich festgestellten Schuldnachweis, begründen.Bei einem Anfangsverdacht also sollen Daten gesam-melt werden, die über einen gewissen Zeitraum doku-mentiert bleiben und auf die ein freier Zugriff der vonmir genannten Nutzer möglich ist.Teilweise ist nicht einmal ein derartiger Anfangsver-dacht Voraussetzung für die Eintragung. Vielmehr sol-len quasi in Verantwortung für ein möglicherweise straf-rechtlich relevantes Verhalten Dritter Daten von Perso-nen registriert werden. Als zehn Jahre lang tätig gewe-sener Strafrichter kann ich nur sagen: Dies ist ein absur-der Vorschlag.
Im Ergebnis wird im vorliegenden Gesetzentwurf dieSammlung von Verdachtstaten gefordert. Das ist rechts-Joachim Stünker
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staatlich unmöglich und nicht hinnehmbar. Von daherkann Ihr Entwurf zur Schaffung einer Warndatei auchnach den nun anstehenden Beratungen mit Sicherheitnicht unsere Zustimmung finden.Schönen Dank.
Nach der Rede desKollegen Stünker schließe ich die Aussprache. WeitereWortmeldungen liegen nicht vor.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-fes auf Drucksache 14/1662 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander-weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann istdie Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 l undZusatzpunkt 2 auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-führung der Richtlinie des Rates der Europäi-schen Union zur Änderung der Bilanz- und derKonzernbilanzrichtlinie hinsichtlich ihres An-wendungsbereichs , zur Verbesse-rung der Offenlegung von Jahresabschlüssen undzur Änderung anderer handelsrechtlicher Be-
– Drucksache 14/1806 –
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 25. Mai 1998 über Partnerschaftund Zusammenarbeit zur Gründung einerPartnerschaft zwischen den EuropäischenGemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten ei-nerseits und der Republik Turkmenistan an-dererseits– Drucksache 14/1787 –
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demVertrag vom 11. Dezember 1997 zwischen derBundesrepublik Deutschland und der Repu-blik El Salvador über die Förderung und dengegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 14/1840 –
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demVertrag vom 28. August 1997 zwischen derBundesrepublik Deutschland und Turkmeni-stan über die Förderung und den gegenseiti-gen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 14/1842 –
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 10. September 1996 zwischender Regierung der Bundesrepublik Deutsch-land und der mazedonischen Regierung überdie Förderung und den gegenseitigen Schutzvon Kapitalanlagen– Drucksache 14/1843 –
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demVertrag vom 21. März 1997 zwischen derBundesrepublik Deutschland und der Repu-blik Kroatien über die Förderung und den ge-genseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 14/1844 –
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Meliorationsanlagengesetzes
– Drucksache 14/1832 –
Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung huma-nitärer Auslandseinsätze
– Drucksache 14/628 –
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung desVerwaltungskostengesetzes– Drucksache 14/639 –
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5882 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung desApothekengesetzes– Drucksache 14/756 –
marie Ehlert, Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDSBekämpfung der sinkenden Zahlungsmoraldurch Änderung des Umsatzsteuerrechtes
– Drucksache 14/1878 –
fried Wolf, Christine Ostrowski, Dr. Gregor Gysiund der Fraktion der PDSÜberzählige Diesellokomotiven der DB AGnicht verschrotten, sondern weiterverwenden– Drucksache 14/1930 –Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und WohnungswesenZP 2 Erste Beratung des von den Fraktionen SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachtenEntwurfs eines Änderungsgesetzes zur Neu-ordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälteund der Patentanwälte– Drucksache 14/1958 –
– Drucksache 14/1673 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 14/1962 –Berichterstattung:Abgeordneter Otto BernhardtIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschußfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – BeiEnthaltung der PDS-Fraktion ist der Gesetzentwurf da-mit in zweiter Beratung angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist bei Enthaltung der PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 17 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Umwandlung der Deutschen Sied-lungs- und Landesrentenbank in eine Aktien-
– Drucksache 14/1672 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 14/1953 –Berichterstattung:Abgeordnete Otto BernhardtKlaus LennartzIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschußfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Ge-gen die Stimmen der PDS ist der Entwurf in zweiter Be-ratung angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist gegen dieStimmen der PDS angenommen worden.Tagesordnungspunkt 17 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung insolvenzrechtlicher und kre-ditwesenrechtlicher Vorschriften– Drucksachen 14/1539, 14/1931 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 14/1987 –Berichterstattung:Abgeordnete Alfred HartenbachDr. Wolfgang GötzerRainer FunkeVizepräsidentin Anke Fuchs
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Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschußfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – BeiEnthaltung der PDS ist der Gesetzentwurf damit inzweiter Beratung angenommen worden.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthal-tung der Fraktion der PDS ist der Gesetzentwurf ange-nommen.Tagesordnungspunkt 17 d: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des vonder Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom9. September 1998 zwischen der Regierung derBundesrepublik Deutschland, der Regierung derFranzösischen Republik, der Regierung der Ita-lienischen Republik und der Regierung des Ver-einigten Königreichs Großbritannien und Nord-irland zur Gründung der Gemeinsamen Organi-
– Drucksache 14/1709 –
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ver-teidigungsausschusses
– Drucksache 14/1943 –Berichterstattung:Abgeordnete Manfred OpelKurt J. Rossmanith
– Drucksache 14/1945 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannVolker KröningOswald MetzgerJürgen KoppelinDr. Uwe-Jens RösselWir kommen zurzweiten Beratungund Schlußabstimmung. Der Verteidigungsausschußempfiehlt auf Drucksache 14/1943, den Gesetzentwurfunverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer dagegen ist, möge sich jetzt erheben. – Enthaltun-gen? – Der Gesetzentwurf ist bei Ablehnung durch diePDS-Fraktion angenommen.Tagesordnungspunkt 17 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Verleihung der Rechts- und Geschäfts-fähigkeit an die Internationale Kommissionzum Schutze des Rheins
– Drucksache 14/1017 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit
– Drucksache 14/1823 –Berichterstattung:Abgeordnete Christel DeichmannKurt-Dieter GrillWinfried HermannUlrike FlachEva-Maria Bulling-SchröterDer Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/1823, den Ge-setzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratungeinstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenproben und Enthaltungen sehe ich keine. Der Ge-setzentwurf ist damit einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 17 f: Zweite Beratung und Schlußabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom5. November 1998 zwischen der Regierungder Bundesrepublik Deutschland und derRegierung der Arabischen Republik Ägyptenüber ihre gegenseitigen Seeschiffahrtsbezie-hungen– Drucksache 14/1090 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
– Drucksache 14/1845 -Berichterstattung:Abgeordneter Konrad KunickWir kommen zurzweiten Beratungund Schlußabstimmung. Der Ausschuß für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache14/1845, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, sich zu erheben. – Ich sehe keine Enthaltungenund Gegenstimmen. Der Gesetzentwurf ist damit ein-stimmig angenommen.Vizepräsidentin Anke Fuchs
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5884 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Tagesordnungspunkt 17 g: Beratung der Beschlußempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungHaushaltsführung 1999Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02Titel 683 06 – Zuweisung nach dem Gesetzüber die Verbilligung von Gasöl durch Betrie-be der Landwirtschaft –– Drucksachen 14/1345, 14/1577 Nr. 5, 14/1783 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Uwe-Jens RösselIris Hoffmann
Josef HollerithMatthias BerningerDr. Günter RexrodtDer Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 14/1783,von der Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Wer stimmtfür diese Beschlußempfehlung?
– Sie können ja die Kenntnisnahme verweigern, HerrKollege. – Alle stimmen dafür. Damit ist diese Be-schlußempfehlung angenommen.Tagesordnungspunkt 17 h: Beratung der Beschlußempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungHaushaltsführung 1999Überplanmäßige Ausgabe im Einzelplan 23 –Kapitel 23 02 Titel 836 03 – Beteiligung derBundesrepublik Deutschland am Kapital derAsiatischen Entwicklungsbank, am Asiati-schen Entwicklungsfonds sowie am Sonder-fonds für Technische Hilfe– Drucksachen 14/1431, 14/1616 Nr. 1.7,14/1785 –Berichterstattung:Abgeordnete Antje HermenauDr. Emil SchnellMichael von SchmudeJürgen KoppelinDr. Barbara HöllDer Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 14/1785, vonder Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt fürdiese Beschlußempfehlung? Gegenprobe! – Enthaltungen?– Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen nun zu Beschlußempfehlungen des Pe-titionsausschusses. Als erstes rufe ich Tagesordnungs-punkt 17 i auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 88 zu Petitionen– Drucksache 14/1862 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Bei Stimmenthaltung der Fraktion derPDS ist die Sammelübersicht 88 angenommen.Tagesordnungspunkt 17 j: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 89 zu Petitionen– Drucksache 14/1863 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion der PDS istdie Sammelübersicht 89 angenommen.Tagesordnungspunkt 17 k: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 90 zu Petitionen– Drucksache 14/1864 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? –Einige Mitglieder der PDS-Fraktion haben sich enthalten.
– Die PDS hat also zugestimmt. – Gegen die Stimmenvon CDU/CSU und F.D.P. ist die Sammelübersicht 90damit angenommen.Tagesordnungspunkt 17 l: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 91 zu Petitionen– Drucksache 14/1865 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Bei Enthaltung der PDS-Fraktion ist dieSammelübersicht 91 angenommen.Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN undF.D.P.OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stärkungder Handlungsfähigkeit der OSZE– Drucksache 14/1959 –
Neue europäische Sicherheitsarchitektur– Drucksache 14/1771 –
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Die OSZE ist eine Organisation gemeinsamer Sicher-heit, die sich über den Raum von Vancouver bis Wladi-wostok erstreckt. Wie wichtig gemeinsame Sicherheitist, wissen wir ganz besonders in unserer Zeit zu schät-zen, in der wir immer wieder mit Krisen konfrontiertwerden, von denen wir eigentlich gedacht hatten, daß essie nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation in Euro-pa nicht mehr geben würde.Dieser Gipfel hat eine besondere Bedeutung, weil erin den Bereichen Abrüstung, Rüstungskontrolle, Trans-parenz- und Vertrauensbildung – die Krisenpräventionist in unserer Zeit ganz wichtig geworden – sowie derStärkung der OSZE hinsichtlich ihrer Missionen zurFriedenserhaltung wichtige Beschlüsse zu fassen hat.Wir wollen alle gemeinsam die OSZE stärken. Ichmöchte in diesem Zusammenhang auch daran erinnern,daß wir mit unserer Delegation bei der OSZE-Parlamentarierversammlung in diesem Jahr einen Antrageingebracht haben, der eine sehr breite Akzeptanz ge-funden hat. In diesem Antrag haben wir die verschiede-nen Maßnahmen aufgezählt, die wir uns zur Stärkungder OSZE wünschen. Es sieht aber nicht so aus, alswenn der Gipfel in Istanbul all unsere Wünsche erfüllenwürde. Aber wenn er ein Erfolg wird – was wir uns allewünschen –, wird er uns ein gutes Stück weiterbringen.
Wir wollen auf der Grundlage der Erfahrungen ausdem Bosnien- und dem Kosovo-Konflikt die OSZE inihrer Handlungsfähigkeit stärken. Wir wollen auch, daßsie auf Krisen schneller reagiert, damit sie eingreifenkann, bevor Blut geflossen ist, und damit sie in die Lageversetzt wird, Konflikte zu verhindern.Der Erfolg des Gipfels liegt also in unser aller Inter-esse. Ein ganz wichtiger Punkt auf der Agenda ist eineNeufassung des KSE-Vertrages, die beschlossen werdensoll. Weitere wichtige Punkte sind das Wiener Doku-ment – ich komme gleich darauf zurück – und eine neueSicherheitscharta für Europa, die festlegen soll, unterwelchen Bedingungen gemeinsame Sicherheit in Europafortgeschrieben werden kann, und die die gemeinsameSicherheitsarchitektur stärken soll, die wir uns wün-schen. Die Rahmenbedingungen dafür sollen in dieserCharta niedergelegt werden.Meine Damen und Herren, es zeichnet sich ab, daßdieser OSZE-Gipfel ganz wichtig ist und daß uns allen aneinem Fortschritt gelegen sein muß. Ein Scheitern hättefür uns unter Umständen ganz fatale Folgen. Das wärenämlich ein fatales Signal für die Rüstungskontrolle nichtnur in Europa, sondern weltweit. Nach dem, was wirletzte Woche diskutiert haben, nämlich die Nichtratifika-tion des Atomteststopabkommens durch die USA, wäredies ein weiteres Signal dafür, daß Abrüstung, Rüstungs-kontrolle und Vertrauensbildung nicht mehr gefragt sindund wir zu einer Politik zurückkehren, die wir überwun-den zu haben glaubten. Deshalb, so glaube ich, liegt unsallen am Herzen, daß dieser Gipfel ein Erfolg wird.
Nach all dem, was im OSZE-Raum aktuell abläuft undbisher abgelaufen ist, wissen wir, daß dies gar nicht soeinfach sein wird. Mein Kollege Weisskirchen wirdnachher noch auf das Thema Tschetschenien eingehen.Der neue KSE-Vertrag ist deshalb so wichtig, weil erden KSE-Vertrag ablöst, der noch ganz deutlich das Si-gnum der Blockkonfrontation trägt, und weil durch ihndie Stabilität in Europa gefestigt werden kann, dies insbe-sondere in einer Situation, in der die Kooperation mitRußland nach der NATO-Osterweiterung schwierigergeworden ist. Wir alle sehen dies im täglichen politischenGeschehen. Die Kooperation mit Rußland kann durchdiesen neuen KSE-Vertrag wesentlich verbessert werden.Rußland kann in das System der Vertrauensbildung, Ab-rüstung und Zusammenarbeit eingebunden werden. Diesicherheitspolitische Zusammenarbeit wird daher auch inZukunft eine der wesentlichen Leistungen der OSZE sein.Ein weiteres Instrument, über das auf der Konferenzin Istanbul gesprochen werden wird, ist das Wiener Do-kument. Dies ist ein zentrales Dokument, um im militä-rischen Bereich Vertrauen zu bilden und Transparenz zuschaffen. Ich denke, wir wissen, wie wichtig das ist.Auch die Sicherheitscharta – diese Charta ist neu;sie wurde 1994 in Budapest gemeinsam verabredet –soll auf dem Gipfel in Istanbul beschlossen werden. Diesist zwar kein völkerrechtlich bindender Vertrag, aber einpolitisch bindendes Dokument. Dieses Dokument sollsozusagen die Plazierung der OSZE im Verhältnis zuden anderen Sicherheitsorganisationen, also der NATO,der WEU, der UNO usw. genau beschreiben. Es sollaber auch die Möglichkeiten der OSZE verbessern –auch dies wieder unter dem Gesichtspunkt der NATO-Osterweiterung und der gegenwärtigen Konflikte –, weilVizepräsidentin Anke Fuchs
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die sicherheitspolitischen Interessen aller beteiligtenStaaten berücksichtigt werden.Wir alle sind angesichts der Erfahrungen aus denKonflikten in Bosnien und dem Kosovo zu dem Ergeb-nis gekommen, daß es dringend notwendig ist, dieHandlungsfähigkeit der OSZE zu stärken. Thema aufdieser Konferenz wird daher auch sein: Wie stärken wirdie Handlungsfähigkeit der OSZE insbesondere in Kri-sensituationen? Natürlich wünschen wir uns mehr, alsauf dem Gipfel beschlossen werden kann. Die OSZEwird aber zu einer Organisation werden, die in der Tatall die Konflikte, die anstehen, bewältigen kann. Geradedie momentanen Ereignisse in Tschetschenien sind einwichtiger Hinweis darauf, daß wir in diesem Bereichdringend eine Stärkung brauchen.
Es ist aber von zentraler Wichtigkeit, die Instrumenteder Krisenprävention zu stärken, um auch so die Hand-lungsfähigkeit der OSZE zu verbessern. Die Vorgängein Bosnien und im Kosovo haben das gezeigt. Wir ver-suchen, aus dem zu lernen, was dort möglicherweiseschiefgelaufen ist oder mühsam war. Ich erinnere nurdaran, wie schwierig es war, das große Kontingent derKosovo Verification Mission aufzustellen, und wie gutes gewesen wäre, wenn wir uns sehr viel früher daran-gemacht hätten, für so etwas Vorsorge zu treffen.Dies ist jetzt geschehen. Ein Bestandteil dessen istdas, was die Bundesrepublik eingeleitet hat: eine Aus-bildung für solche Emissionäre, für Fachleute – ich magdas Wort „Friedensfachkräfte“ nicht; aber es wird indiesem Fall angewandt –, die dann für das schon gerü-stet sind, was sie in einer Konfliktsituation erwartet.Man kann die Menschen ja nicht einfach unvorbereitetin solche Situationen schicken. Deshalb ist es ganzwichtig, einen großen Personenkreis auszubilden undauf solche Missionen vorzubereiten, der schnell einsetz-bar ist, wenn es „zu brennen“ beginnt.Möglicherweise wird dieser Gipfel auch einen Schritthin zu sogenannten zivilen Stand-by-Forces – das istauch kein sonderlich schöner Ausdruck, weil er so mili-tärisch klingt – machen. Ein wichtiger Ansatz ist dabeider Vorschlag der USA, eine REACT-Truppe, also Ra-pid Expert Assistant and Cooperation Teams, als Stand-by-Truppe vorzuhalten, die mit Konflikten umgehen undsehr schnell dorthin geschickt werden kann.Darüber hinaus muß uns auch klar sein, daß wir imBereich der Polizei mehr tun müssen, als bisher geplantund angedacht worden ist.
Ein Schwerpunkt der nächsten Jahre muß sein, zu re-geln, daß Polizeikräfte sehr schnell in Krisengebiete ent-sandt werden können. Wir müssen ja nicht immer Sol-daten schicken, sondern es geht auch auf einer zivilenEbene. Aber es muß eben ein Ordnungsfaktor sein.
Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ichnoch einmal darauf zurückkommen, wie wichtig es seinwird, daß diese Konferenz Erfolg hat; denn sie wirdauch Auswirkungen darauf haben, ob der Stabilitätspakt,wie wir ihn jetzt geplant haben und angegangen sind, zueinem Erfolg geführt werden kann. Scheitert dieser Paktausgerechnet in der Organisation, die eigentlich dafürgeschaffen ist, solche Projekte durchzuführen, hätte dieserhebliche Auswirkungen zum Beispiel auf den Sicher-heitstisch des Stabilitätspaktes, der ja nach dem Musterder bisherigen OSZE-Vorschläge zur Abrüstung, zurRüstungskontrolle und zur regionalen Vertrauensbildungenthalten soll. Auch von daher haben wir ein großes In-teresse daran, daß dieser Gipfel ein Erfolg wird.Er stellt aber keinen Endpunkt dar. Vielmehr geht esum den Start in eine neue Dimension. Am Ende stehtdas Ziel, daß auch von der OSZE Krisenbewältigungausgeht. Statt immer auf militärische Organisation zu-rückzugreifen, sollten wir den zivilen Teil der Konflikt-prävention stärken. Das ist uns allen enorm wichtig.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Prä-sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der OSZE-Gipfel in Istanbul dient dem Ziel, die Handlungsfähig-keit der OSZE zu stärken, eine europäische Sicherheits-charta zu verabschieden, das Konzept eines gesamteuro-päischen Sicherheitsraumes ohne neue Trennlinien zubekräftigen und die Verpflichtung aller Teilnehmerstaa-ten zur Förderung von Menschenrechten, Demokratieund Rechtsstaatlichkeit hervorzuheben.Der brutale Krieg in Tschetschenien steht im Wider-spruch zu jeder dieser Zielvorgaben und gefährdet denOSZE-Gipfel insgesamt.Deshalb richte ich für die CDU/CSU-Fraktion zuerst ei-nen eindringlichen Appell an die russische Regierung,den unangemessenen und unverhältnismäßigen Krieggegen die tschetschenische Zivilbevölkerung unverzüg-lich zu beenden.
Wir als CDU/CSU-Fraktion können das in dieserDeutlichkeit sagen, weil wir nicht im Verdacht stehen,allein eine antirussische Politik zu verfolgen. Im Ge-genteil, die heutigen Regierungsfraktionen haben unsin der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, derrussischen Regierung zu weit entgegenzukommen undfalsche Rücksichten auf die russische Innenpolitik zunehmen.Uta Zapf
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5887
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Wir haben den schwierigen Weg der RussischenFöderation zu Demokratie, Rechtstaatlichkeit undMarktwirtschaft immer sehr realistisch und kritisch ver-folgt. Wir haben nüchtern abgewägt, wie wir diese Ent-wicklung fördern können, soweit wir von außen über-haupt Einfluß haben. Unsere Haltung ist klar und giltunverändert: Wir wollen, daß Rußland zu Europa gehört.Aber solange die russische Regierung die Menschen-rechte ihrer eigenen Bevölkerung so massiv verletzt,steht sie außerhalb des Fundamentes, auf dem das HausEuropa gebaut wird.
Der Krieg in Tschetschenien schadet den eigenen rus-sischen Interessen. Er macht die innere Entwicklungnicht stabiler, sondern im Gegenteil unkalkulierbar.Selbstverständlich hat jeder Staat das Recht, sich gegenTerroranschläge zur Wehr zu setzen. Die russischeKriegführung in Tschetschenien aber ist völlig unange-messen. Sie geht rücksichtslos gegen die Bewohner vorund nimmt hohe Verluste bei der Zivilbevölkerung inKauf. Das ist ein krasser Verstoß gegen den OSZE-Verhaltenskodex, der verlangt, daß im Falle eines Streit-kräfteeinsatzes innerhalb eines Mitgliedstaates keine un-verhältnismäßige Gewalt angewendet werden darf undBeeinträchtigungen von Zivilpersonen zu vermeidensind. Gerade Rußland hat immer darauf gedrängt, einegesamteuropäische Sicherheitsarchitektur auf der OSZEaufzubauen, damit Rußland und die neuen Staaten imKaukasus und in Ost- und Südosteuropa eingebundensind. Mit dem Krieg in Tschetschenien zerstört Rußlanddie Autorität der Organisation, von der es sich selbstmehr Einfluß auf die Sicherheitspolitik in Europa er-hofft.Es ist bezeichnend, daß wir als Opposition im Deut-schen Bundestag diesen Appell an die russische Regie-rung richten müssen. Von der Bundesregierung habenwir dazu bisher leider kein öffentliches Wort gehört.
Das steht im Gegensatz zu der überzogenen außenpoliti-schen Rhetorik, die die Koalition ansonsten untereinan-der und in der Öffentlichkeit pflegt.
Dabei haben doch Sozialdemokraten und Sie von dergrünen Fraktion in der Vergangenheit immer sovielWert auf die Krisenbewältigung im Rahmen der OSZEgelegt, weil Sie der NATO mißtraut haben. Sie, HerrStaatsminister, waren einer der Wortführer gegen dieNATO-Osterweiterung. Sie haben sie als Militarisierungder Außenpolitik diffamiert.
Ferner haben Sie behauptet, wir könnten die Sicherheitin Europa besser gewährleisten, wenn wir ausschließlichauf die OSZE setzen.
Wir, die CDU/CSU, waren immer realistischer. Wirsetzen uns für die Stärkung der OSZE ein, weil sie dieeinzige Sicherheitsinstitution in Europa ist, die alleNATO-Mitglieder und alle europäischen und zentral-asiatischen Staaten, die nicht der NATO angehören, um-faßt. Wir unterstützen die Forderung, daß die OSZEdirekt den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anrufenkann, notfalls auch ohne Zustimmung der an einemKonflikt beteiligten Staaten. Wir sind ja auch für denVorschlag, der OSZE eigene friedenserhaltende Maß-nahmen zu ermöglichen, darunter auch den Einsatz vonStreitkräften. Aber wir haben berechtigte Zweifel daran,ob die OSZE ohne die NATO und deren Instrumente imErnstfall wirklich handlungsfähig ist. Das gilt hinsicht-lich der Krisenprävention wie hinsichtlich der Krisen-reaktion.Leider haben sich unsere Zweifel einmal mehr bestä-tigt, weil der Krieg in Tschetschenien die OSZE und ih-re Prinzipien desavouiert. Welchen Wert hat ein Vertrag,dessen Bestimmungen schon bei der Unterschrift nichteingehalten werden? Auf dem Istanbuler Gipfel soll derKSE-Vertrag an die neuen Sicherheitsgegebenheiten inEuropa angepaßt werden. Aber die Truppenstärke derrussischen Streitkräfte im Kaukasus liegt schon heuteerheblich über den vertraglich festgelegten Werten.Glauben Sie im Ernst, daß es etwa in Armenien, wonach dem Terroranschlag im Parlament die Armee diepolitische Kontrolle übernommen hat, eine Zustimmungfür eine Reduzierung der konventionellen Streitkräftegeben wird?Die Vorstellung von der OSZE, die der Außenmi-nister und seine Partei während der Debatte um dieNATO-Osterweiterung vertreten haben, war Wunsch-denken. Wir empfinden darüber keine Schadenfreude,im Gegenteil: Wir alle haben Anlaß zu großer Sorge.Wenn Sie Ihre Haltung jetzt an die Realitäten anpassen,ist dagegen nichts einzuwenden. Aber die Bundesregie-rung kann zum Krieg in Tschetschenien nicht einfachschweigen. Das ist falsch gegenüber unserem PartnerRußland, und das ist falsch gegenüber der OSZE. Wennwährend des Gipfels in Istanbul die Ziele, die sich dieOSZE dort setzt und die wir gemeinsam unterstützen,durch einen unverhältnismäßigen Krieg und durch mas-sive Menschenrechtsverletzungen ad absurdum geführtwerden, ist die Erfolglosigkeit des Gipfels vorprogram-miert.Der Herr Außenminister hält es nicht für nötig, dazuvor dem Parlament Stellung zu nehmen. Er hat zuneh-mend ein Problem mit seiner moralisierenden Rhetorik,die ethische Grundsätze der deutschen Außenpolitik jenach Opportunität für die eigene Position in Sachfragenin Anspruch nimmt oder nicht. Keiner von denen, diesich in der vergangenen Woche in der öffentlichen De-batte um die Lieferung eines Testpanzers an die Türkeibeinahe inflationär auf die Menschenrechte berufen ha-Dr. Andreas Schockenhoff
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ben – der Außenminister, seine Partei, viele Sozialde-mokraten –, hat sich bisher in auch nur annähernd ver-gleichbarer Weise zu den eklatanten Menschenrechts-verletzungen in Tschetschenien geäußert.
– Das paßt nicht zusammen, Herr Lippelt. Ihr Wertrela-tivismus ist unglaubwürdig. Moral ist nicht beliebig.Richten Sie das bitte dem Herrn Außenminister aus!
Während des Kosovo-Krieges hat Joschka Fischerzum Vorgehen der Serben gegen die Kosovo-Albanergesagt, Auschwitz dürfe sich nicht wiederholen. Das hater natürlich getan, um die Pazifisten in Ihren Reihen zuködern, weil er sich der Zustimmung seiner Fraktion fürdie Politik der Bundesregierung nicht sicher sein konnte.Wir fanden diese Rhetorik unangemessen. Im Kosovosind schreckliche Verbrechen passiert, aber Auschwitzist einzigartig und darf durch keinen Vergleich relati-viert werden.
Zum Krieg in Tschetschenien hat sich der Außenmi-nister öffentlich überhaupt nicht geäußert. Totschweigenist das andere Extrem. Auch das finden wir unangemes-sen.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Lippelt?
Bitte.
Bitte sehr.
Herr Kollege, mit Respekt: Sind Ihnen etwa zwei Pres-
seerklärungen, die der Außenminister selber gemacht
hat, und darüber hinaus eine Erklärung, die er zusam-
men mit dem italienischen und dem französischen
Außenminister abgegeben hat, völlig entgangen?
Herr Lip-
pelt, angesichts der moralisierenden Töne und der star-
ken Sprüche, die vom Bundesaußenminister in der letz-
ten Woche im Zusammenhang mit der Türkeifrage zu
hören waren, ist ein Kommuniqué des Außenministeri-
ums in dieser Frage zu wenig. Das ist genau der Relati-
vismus, den ich Ihnen vorwerfe.
– Nein, der Außenminister hat sich öffentlich nicht er-
klärt. Es gab lediglich ein Kommuniqué, das schriftlich
verbreitet wurde. Ich sage es noch einmal: Im Verhältnis
zu dem Auftreten, was er sonst pflegt, ist das der massi-
ven Verletzung von Menschenrechten in Tschetschenien
nicht angemessen.
Eine verläßliche, berechenbare Außen- und Sicher-
heitspolitik verträgt diesen Wertrelativismus nicht. Des-
halb sagt die CDU/CSU in aller Klarheit: Die Raketen
auf dem Marktplatz von Sarajevo waren ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit. Die Raketen auf dem Markt-
platz von Grosny waren ebenfalls ein Verbrechen gegen
die Menschlichkeit.
Es wird höchste Zeit, daß jemand von der Bundesregie-
rung dazu in derselben Klarheit Stellung bezieht.
Vielen Dank.
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Rita Grießhaber, Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istrichtig – wie Herr Schockenhoff gesagt hat –, daß dieEreignisse in Tschetschenien den OSZE-Gipfel inIstanbul überschatten. Das Vorhaben, nach dem kaltenKrieg eine substantielle europäische Sicherheitschartazu verabschieden, ist gefährdet. Dieses Vorhaben alleinist schon schwierig genug; denn es ist keine einfacheAufgabe, die künftige Rolle der OSZE zwischen Ver-einten Nationen, NATO, WEU und Europäischer Uni-on zu gestalten. Ähnlich wie die UN ist die OSZE eineOrganisation von höchst heterogenen Staaten. Die Ein-haltung der Menschenrechte – das ist die aktuelle Er-fahrung und die traurige Wahrheit – kann leider nichtvorausgesetzt werden.Dennoch haben KSZE und OSZE ganz entscheidenddazu beigetragen, die Prinzipien von Demokratie,Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Frieden po-pulär zu machen.
Meilensteine auf diesem weiten Weg waren die Schluß-akte in Helsinki, die Charta von Paris und die Erklärungvon Lissabon. Trotzdem – das ist richtig – müssen wirrealistisch sein. Das Hauptverdienst der OSZE lag bisherin ihrer dialogischen Struktur, ihrer Hilfe für junge De-mokratien, Wahlbeobachtung und Wahlbegleitung. Esbleibt eine Herkulesaufgabe, die Rolle der OSZE imProzeß hin zu einer gesamteuropäischen Friedensord-nung zu definieren und zu stärken.Aber die OSZE hat eine hervorragende Rolle bei derBewältigung des Transformationsprozesses nach Been-digung der Blockkonfrontation gespielt. Sie hat nichtnur Wahlen organisiert und sich bei der Wahlbeobach-tung Verdienste erworben. Sie hat auch in sehr schwie-Dr. Andreas Schockenhoff
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rigen Konflikten vermittelt. Ich erinnere hier nur anMoldawien und Georgien.
Durch die Mitgliedschaft sämtlicher Nachfolgestaatender UdSSR in der OSZE ist sie eine transatlantisch-eurasische Veranstaltung mit höchst unterschiedlichemEntwicklungsstand in den demokratischen Standards.Auch wenn sich alle verpflichtet haben, die Menschen-,Minderheiten- und demokratischen Rechte zu wahren,ist es sehr schwer, dies einheitlich hinzubekommen.In Istanbul erwartet die Teilnehmer wirklich keinFeiertagsprogramm – Herr Schockenhoff, das haben Sieganz richtig gesehen –, sondern eine schwierige Missi-on. Vor allem sind wir tief besorgt über die Entwicklungin Tschetschenien. Auf dem OSZE-Gipfel muß nachLösungen gesucht werden, wie der grausame Krieg dortbeendet werden kann.
Im ersten Tschetschenien-Krieg hat die OSZE einewichtige Vermittlerrolle innegehabt, und es ist offen, obes jetzt zu einer politischen Lösung kommen kann.Rußland hat in Tschetschenien, wie Sie richtig be-merkt haben, den OSZE-Verhaltenskodex massiv ver-letzt. Der Krieg ist offensichtlich ein Krieg gegen dieZivilbevölkerung. Minister Fischer hat das in einemBrief an Iwanow auch entsprechend zum Ausdruck ge-bracht.Selbstverständlich hat jeder Staat das Recht, gegenTerroristen vorzugehen, und wir wissen, daß es auch auftschetschenischer Seite Geiselnahmen gab. Doch dies istkeine militärische, sondern eine polizeiliche Aufgabe.Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung dürfenselbstverständlich nicht die Lebensgrundlagen einesganzen Volkes zerstört werden.
Rußland hat als Mitglied der OSZE alle Möglichkei-ten, die Organisation um Vermittlung anzurufen. DieZulassung einer OSZE-Beobachtermission ist ein aller-erster Schritt in diese Richtung. Er genügt aber natürlichnicht. Wir erwarten von Rußland auch, daß eine öffent-liche und objektive Berichterstattung aus Tschetschenienwieder möglich wird. Mit der Abschottung muß Schlußsein. Wir brauchen mehr Transparenz.
Auch Rußland hat die Einsetzung des OSZE-Medienbeauftragten unterstützt. Ihn jetzt ins Land zulassen wäre eine richtige Geste. Daß Hilfsorganisationenwie dem Internationalen Roten Kreuz und Cap Anamurendlich die Einreise gestattet wird, ist wichtig, aber an-gesichts der humanitären Katastrophe längst nicht aus-reichend.Wir dürfen bei dieser Debatte auch nicht außen vorlassen, liebe Kollegen und Kolleginnen, daß dieserKrieg in Rußland bis jetzt auf breite Zustimmung stößt.Auch das ist ein Grund, warum eine schnelle Lösungnicht in Sicht ist. Es ist gut, wenn es jetzt in Moskauzumindest einzelne Stimmen gibt, die für Verhandlun-gen plädieren. Wir ermutigen alle Kräfte, die sich gegendiesen Krieg einsetzen.
Lassen Sie mich zum Gipfel zurückkommen: DieUnterzeichnung des KSE-Änderungsvertrags in Istanbulsoll ein neues Kapitel der konventionellen Abrüstungin Europa eröffnen. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zueiner europäischen Sicherheitsarchitektur.Herr Schockenhoff, natürlich kann man sich fragen:Was ist ein Vertrag mit Vertragspartnern wert, die dasPapier mit Füßen treten? Wir wissen auch, daß Papiergeduldig ist. Aber der mühsame Aushandlungsprozeßzeigt doch auch, wie bedeutend völkerrechtliche Verträ-ge sind, wie notwendig die Einbeziehung aller Akteureist und welche Verpflichtung für alle daraus erwächst,für ihre Einhaltung zu sorgen. Die Menschen sind daraufangewiesen, daß dies so ist. Haben Sie denn dazu eineAlternative?
Wir müssen alles tun, um die Bemühungen für Abrü-stung und Rüstungskontrolle voranzubringen. Sie wissengenau, daß der Außenminister deswegen jetzt auch inden USA ist, denn all das ist nach der Weigerung desSenats, den Atomteststoppvertrag zu ratifizieren, nichteinfacher geworden.Meine Damen und Herren, die Rahmenbedingungendes Istanbuler Gipfels sind ungleich schwieriger, alswir das bei der Vorbereitung erwartet haben. Es gibtaber keinerlei Anlaß, danach zu fragen, was die OSZEüberhaupt noch machen kann. Ihre Erfolge sind oftnicht spektakulär, aber gerade ihr zähes Wirken istnotwendig. Die Ankündigung des weißrussischen Prä-sidenten Lukaschenko, in seinem Land endlich freieWahlen durchführen zu lassen, und die Freilassungenvon Oppositionellen sind Erfolge des beharrlichenWirkens vor Ort, weil sich die OSZE-Vertreter nichthaben beirren lassen.
Der Gipfel in Istanbul kann nicht business as usualsein. Noch gibt es Chancen, im Rahmen der OSZE aufRußland einzuwirken. Jede Einflußmöglichkeit muß ge-nutzt werden, um den grausamen Krieg gegen die Be-völkerung in Tschetschenien zu beenden und die Abrü-stung voranzubringen.Ich danke Ihnen.
Rita Grießhaber
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Das Wort hat nun
der Kollege Dr. Werner Hoyer, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Grießhaberhat zu Recht auf die langfristigen Entwicklungsliniender internationalen Politik und der Außenpolitik hinge-wiesen. Der zehnte Jahrestag des Falls der Mauer, denwir in der nächsten Woche feiern – ein überaus glückli-ches Ereignis in der deutschen Geschichte –, hat natür-lich etwas mit dem Gegenstand unserer heutigen Debattezu tun, nämlich mit dem Prozeß, der, von Walter Scheelund Willy Brandt angelegt, in Helsinki seinen erstengroßen Höhepunkt fand und der heute einer Fortent-wicklung der Organisation, in die dieser Prozeß mittler-weile eingebettet ist, bedarf.Deshalb ist es schon bedrückend, daß dieser Gipfel inIstanbul offensichtlich unter einem eher ungünstigenStern steht, und zwar aus zwei Gründen: Erstens lastetdie Katastrophe in Tschetschenien wie Blei auf denVorbereitungen dieser Tagung. Auch die – wie ichfand – eindrucksvollen und bedrückenden Erörterungengestern im Auswärtigen Ausschuß haben uns, was dieEinschätzung der Vorgänge im Kaukasus angeht, letzt-endlich nicht entscheidend weitergebracht. Ich bin allen-falls noch vorsichtiger in der Bewertung und der Analy-se der Vorgänge dort geworden.Zweitens haben wir nach Meinung der Freien Demo-kraten die notwendige kritische Bilanz des Kosovo-Krieges noch längst nicht gezogen.
Die Erleichterung darüber, daß wir – wenn man das sosagen darf – wohl noch mit einem blauen Auge davon-gekommen sind, sollte nicht darüber hinwegtäuschen,daß gerade im Hinblick auf die Interdependenz zwi-schen den großen internationalen Organisationen dieerforderlichen Schlußfolgerungen noch nicht gezogensind.Im übrigen muß klar sein, daß im Kosovo noch ge-waltige Herausforderungen zu bewältigen sind, wenndenn alles einen Sinn gehabt haben soll. Bei diesen Her-ausforderungen dürfen wir diejenigen, die nach demEnde des Krieges mit der Bewältigung des Friedensfertig werden müssen, nicht allein lassen. Das sind zumgroßen Teil wieder deutsche Soldaten und Polizei-beamte – qualitativ und quantitativ in ganz herausragen-der Form – sowie viele internationale und nationaleHilfsorganisationen.Für die Rolle, die UNO und OSZE in diesem Kontextin Zukunft spielen können und müssen, und für dieRolle, die sich die NATO aufbürden kann, wird dieBilanz, die wir noch ziehen müssen, von Bedeutungsein.Unser wichtiger Partner Rußland ist gegenwärtignatürlich in einer ganz besonders heiklen Lage. Dennwährend in Istanbul in feierlichen Erklärungen OSZE-Prinzipien abgefeiert werden, muß sich Rußland imHinblick auf Tschetschenien bereits an diesen Prinzipienmessen lassen. Es kann dann auch wohl nicht wahr sein,daß auf Grund ausdrücklichen russischen Wunsches inIstanbul keine freie Debatte, sondern nur ein Herunter-beten abgestimmter und austarierter Statements stattfin-den soll. Hierauf sollte sich die Bundesregierung nichteinlassen.
In den letzten Tagen hat es interessante Bewegungengegeben. Es ist anzuerkennen, daß MinisterpräsidentPutin nunmehr anbietet, der Entsendung einer OSZE-Beobachtermission zuzustimmen und auch Hilfsorgani-sationen ins Land zu lassen. Das wird auch allerhöchsteZeit. Daß das jetzt geschieht, zeigt, wie sehr Rußland anIstanbul und dem OSZE-Prozeß sowie daran interessiertist, daß der OSZE mehr Verantwortung übertragen wird.Das sollte die Bundesregierung nutzen, um Rußland zuBewegung zu veranlassen.Erstens. Rußland sollte seine Blockadehaltung beimKonsens-minus-eins-Prinzip aufgeben. Wer wie Ruß-land die Übertragung von mehr Verantwortung auf dieOSZE wünscht, wird unglaubwürdig, wenn er am Ein-stimmigkeitsprinzip festhält.
Die Zukunftsfähigkeit der OSZE wird weitgehenddavon abhängen, ob es in einer konkreten Situationeinem Völkerrechtsbrecher oder einem Menschen-rechtsverletzer möglich sein wird, durch schlichtenVerweis auf nationale Souveränitätsrechte das Tätig-werden der Völkergemeinschaft zu verhindern. Späte-stens seit Kosovo müßte dieses Denken eigentlich über-wunden sein.Die aktuelle Debatte in der UNO-Generalversamm-lung zeigt, daß erheblich mehr Dynamik in die Diskus-sion gekommen ist. Das sollte die OSZE-Partner ermu-tigen. Das Völkerrecht ist eben nicht statisch, sondernbedarf im historischen Prozeß der behutsamen, abermutigen Fortentwicklung. Der Mensch rückt in denMittelpunkt des Völkerrechts. Für Liberale ist das einganz gewaltiger Fortschritt.
Die humanitäre Intervention zum Schutz der Opferund das Statut von Rom zur Verfolgung der Täter mar-kieren einen Epochenwandel, der nach unserer Auffas-sung ein Fortschritt im Sinne der Menschlichkeit ist. InZukunft wird das alte Völkerrechtsverständnis mit seinerstarken Betonung staatlicher Souveränität nicht mehr alsSchutzschild für großformatige und systematische Men-schenrechtsverletzungen herhalten können, und das istgut so.
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Liebe Kolleginnen
und Kollegen im Saal, ich bitte darum, zuzuhören und
Gesprächsbedarf außerhalb des Raumes zu befriedigen.
Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Ich bedanke mich, Frau
Präsidentin.
In diesen Kontext gehört die überfällige Reform der
Vereinten Nationen ebenso wie die beherzte Weiterent-
wicklung der OSZE. Rußland sollte dabei aktiver Part-
ner und nicht Bremser sein. Aber es muß eben auch
glaubwürdig sein.
Zweitens. Die Bundesregierung sollte Rußland ermu-
tigen, seine Haltung zum Verhältnis von NATO und
OSZE endlich über Bord zu werfen. Es war von vorn-
herein ein fundamentales Mißverständnis oder eine Ver-
suchung, der man offensichtlich nicht widerstehen
konnte, der OSZE die Rolle eines NATO-Nachfolgers
anzudichten. Diesem Irrtum war nicht nur Rußland auf-
gesessen, auf dieses Glatteis wollten uns nicht nur frühe-
re Kreml-Chefs ziehen; vielmehr konnte auch mancher,
der heute auf der Regierungsbank sitzt oder einer der
jetzigen Regierungsfraktionen angehört, in den letzten
Jahren der Versuchung nicht widerstehen, entsprechende
Wege aufzuzeigen.
Es wird Zeit, daß wir Ordnung in unser Denken brin-
gen, einerseits im Hinblick auf die Systeme kooperativer
Sicherheit, wie UNO und OSZE, und andererseits im
Hinblick auf Systeme kollektiver Verteidigung, wie
NATO und WEU. Erst dann wird die überaus wertvolle
Rolle deutlich, die vor allem die NATO als System kol-
lektiver Verteidigung spielen kann, wenn sie sich mit ih-
rem Potential in den Dienst der Völkergemeinschaft und
in den Dienst der Systeme kooperativer Sicherheit stellt.
Deshalb müssen wir beides tun: NATO und UNO/OSZE
weiterentwickeln und den regionalen Charakter der
OSZE im System der Vereinten Nationen besser heraus-
arbeiten.
Wenn schon die UNO-Reform dieses Jahr keinen
Millimeter vorankommt, so könnte immerhin die OSZE
in Istanbul einen wichtigen Schritt nach vorne machen.
Mancher Beobachter hat natürlich recht, wenn er davor
warnt, daß vor dem Hintergrund der Tschetschenien-
Katastrophe und angesichts massiver Verletzungen von
OSZE-Prinzipien und, wie ich befürchte, auch von KSE-
Vereinbarungen der Gipfel über die europäische Sicher-
heitscharta zur Farce werden könnte und besser ver-
schoben werden sollte. Aber vielleicht steckt in dieser
bedrückenden Szenerie ja auch so etwas wie die Gunst
einer schwierigen Stunde.
Wenn auch zum Teil aus sehr unterschiedlichen Mo-
tiven: Alle – Amerikaner wie Russen, EU- wie Nicht-
EU-Länder, Türken wie Deutsche – haben ein enormes
Interesse daran, den KSE-Vertrag neu zu fassen und die
OSZE voranzubringen. Wir Freien Demokraten fordern
die Bundesregierung auf, ihren Beitrag zum Gelingen zu
leisten.
Nun hat der Kollege
Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu, daß es einemschwerfällt, über europäische Sicherheitsarchitekturnachzudenken und reden zu wollen, während in Tsche-tschenien Krieg tobt, Bomben fallen, Menschen leidenund wir tagtäglich das Drama von Tod, Flucht, Hungerund Elend betrachten müssen.Ich will, wie ich dies bereits während des Kosovo-Krieges getan habe, heute deutlich sagen: Für mich gibtes nur ein kategorisches Nein zum Krieg, mit welchenBegründungen er auch immer geführt wird, und zuBomben und Raketen, mit welcher Begründung sie auchimmer abgeworfen werden.
Es gibt kein Recht zum Krieg und auch keinen Kriegaus politischer Vernunft. Das sage ich zu Rußland eben-so, wie ich es zur NATO gesagt habe. Politische Lösun-gen sind nötig, auch in Tschetschenien. Mit Krieg löstman keine Probleme. Mit Bomben bekämpft man keinenTerrorismus, und mit Bomben erreicht man keine Men-schenrechte.
Ich habe mich im Kosovo-Krieg immer gegen dasArgument gewandt, daß die Bomben nicht auf das serbi-sche Volk, sondern nur auf die serbische Führung ge-richtet seien, und ich wende mich ebenso gegen das Ar-gument, daß Rußland in Tschetschenien Krieg gegen dieTerroristen führt und nicht gegen das tschetschenischeVolk. Am Ende leidet immer das einfache Volk. Damitmuß man endlich Schluß machen. Deswegen brauchtman eine andere Politik.
Gerade weil ich möchte, daß sich Rußland auf dieSolidarität und Hilfe Europas beziehen kann, weil ichimmer vor der Demütigung Rußlands gewarnt habe,weil ich glaube, daß Sicherheit in Europa Rußland nichtausschließen darf, sondern einschließen muß, nehme ichmir auch das Recht, Kritik und Mahnung an die AdresseRußlands offen auszusprechen. Solidarität hat etwas mitPartnerschaft zu tun, weder mit Bevormundung noch mitUnterordnung; und Partnerschaft brauchen wir gegen-über Rußland ebenso wie gegenüber den USA.Aus meiner Sicht zeigt sich – deshalb sind die Töneder Regierungskoalition hier gedämpfter als in anderenKonflikten –: Wer gegenüber den USA Unterordnungakzeptiert, ist nicht souverän im Umgang mit der ande-
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ren Weltmacht. Wer wie die Bundesregierung im Koso-vo auf Bomben und Raketen gesetzt hat, ist wenigglaubwürdig, wenn er ein Ende des Bombenkrieges inTschetschenien einfordert. Das ist das eigentliche Pro-blem, und ich finde, dies zeigt sich im Agieren der Bun-desregierung.Diese Regierung schwankt nach meinem Geschmackzu oft zwischen lautstarken, oft peinlichen Erklärungenin der Öffentlichkeit, wo Selbstbeschränkung und stille-re Töne angebracht wären, und einem Abtauchen, woPosition und Handeln gefordert sind.Die Töne des Bundeskanzlers zu Tschetschenien wa-ren sehr verhalten. Da mußte man schon sehr genau hin-hören, um sie überhaupt wahrnehmen zu können. Stattdessen forderte er in Japan einen Sitz für Deutschlandim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ich finde esnicht hilfreich, dies gerade jetzt einzufordern. Ich finde,das sind Weltmachtallüren. Ein sinnvoller deutscherBeitrag für die UNO ist es nicht, eine deutsche Füh-rungsrolle einzufordern. Sinnvoll ist es vielmehr, dieUNO handlungsfähiger zu machen und zivile Strukturenzu stärken. Dafür kann man einen Beitrag in Europadurch die Stärkung der OSZE leisten.
Der Gipfel der OSZE in Istanbul kann ein Erfolgwerden. Die OSZE leistet, wie ich mich in den letztenTagen in Wien überzeugen konnte, selbst Erheblichesdafür. Es besteht die Chance, eine europäische Si-cherheitscharta zu verabschieden, den KSE-Vertragan die neuen sicherheitspolitischen Bedingungen anzu-passen und damit nationale wie territoriale Obergren-zen der konventionellen Rüstung in Europa zu verein-baren.Entscheidend sind jedoch nicht hehre Deklarationen,sondern konkrete Schritte. Ich muß wiederum sagen:Liebe Kolleginnen und Kollegen aller anderen Parteien,– dies muß ich wiederum so sagen, da sich die anderenParteien entschlossen haben, ihren Antrag separat undohne PDS zu gestalten – ich finde, in dem Antrag ist zu-viel Folklore, zuviel Lyrik und zuwenig verbindlicheFestlegung von Inhalten. Deutschland sollte klarmachen,daß für uns nicht gilt: NATO first. Zumindest für michheißt es – hierin liegt die Differenz –: OSZE first. Ichsehe in der OSZE eine reale Alternative zu den militäri-schen Blöcken. Das heißt, daß kooperative Sicherheitin einem europäischen Sicherheitssystem unter Ein-schluß Rußlands und der transatlantischen Komponenteso gut gewährleistet sein könnte, daß die NATO als Mi-litärbündnis gegen potentielle Gegner überflüssig würdeund sich die Debatte um die WEU und ihre Integrationin die Europäische Union von selbst erledigte. Dazu be-darf es einer Stärkung der zivilen Strukturen, der aucheine Chance zum Abbau der militärischen Potentiale in-newohnt.Für viele hier im Hause buchstabiert sich Sicherheitnoch immer militärisch. Das, finde ich, ist Steinzeitden-ken. Die OSZE bietet die Chance, einen zivilen Sicher-heitsbegriff zu verankern. Diesen Prozeß sollten wir vo-rantreiben und auch gegenüber unserer Bevölkerungdeutlich machen.Deutschland hätte die Chance – damit komme ichzum Schluß –, auf dem Gipfel im Sinne guter Beispieleeigene Akzente zu setzen. Deutschland sollte deutlichmachen, daß wir die Sicherheitscharta für unser Land alsrechtsverbindlich akzeptieren wollen. Eine solche Erklä-rung kann dazu beitragen, daß sich auch andere Länderauf diesen Weg begeben. Wir sollten erklären, daß wirdie Obergrenze für konventionelle Rüstung im KSE-Vertrag nicht durch eine qualitative Umrüstung konter-karieren wollen. Wir sollten dafür eintreten, daß derOSZE mehr Geld und Personal zur Verfügung gestelltwerden. Wichtig wären auch weitere Abrüstungsschritte,auch wenn sie vorerst einseitig von unserem Land aus-gehen.Für mich war das gemeinsame Haus Europa immereine große Vision. Ich gebe zu, daß es schwer ist, überdas gemeinsame Haus nachzudenken, während in Euro-pa Krieg geführt wird. Aber das gemeinsame Haus Eu-ropa ist die einzige Chance, die die europäischen Völkersinnvollerweise miteinander gestalten können. Ich binhinsichtlich des OSZE-Gipfels in Istanbul gar nicht sopessimistisch, wenn dieses Parlament eindeutige Signaleim Vorfeld des Gipfels setzt.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Jetzt hat das Wort
der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.
Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Boris Jelzinhat in einem Artikel, der am 17. Februar 1995 in der„Rossiskaja gazeta“ erschienen ist, mit Blick auf das,was damals in Tschetschenien geschah, geschrieben:In den jüngsten Ereignissen in Tschetschenienspiegelten sich alle Probleme des heutigen Ruß-lands wider.Im Herbst 1999 wiederholt sich genau diese Einschät-zung. Alle Probleme des heutigen Rußlands spiegelnsich in Tschetschenien wider: die tiefsitzende Angst vordem Terrorismus, die Furcht vor der Rückkehr des Krie-ges und die Sorge vor dem Zerfall des Landes. Aberwarum – diese Frage sollten wir uns alle stellen; hof-fentlich stellt sich diese Frage auch die russische Elite –sind die Jahre nach dem ersten Tschetschenien-Krieg,der ja – in welcher Form auch immer – entkrampft undpolitisch auf eine andere Ebene gehoben worden war,nicht genutzt worden? Warum hat Moskau die Chancevertan, mit Aslan Maschadow eine enge Kooperationeinzugehen? Maschadow ist immerhin der gewähltetschetschenische Präsident, der – wenn Sie so wollen –von der OSZE bestätigt wurde und dessen Legitimationdurch die Wahl anerkannt wurde. Er wurde übrigensauch von der russischen Elite anerkannt. Schließlichwurden mit ihm sogar Verträge abgeschlossen, die dar-auf hinauslaufen, daß im Jahr 2001 endgültig geklärtwird, in welcher Form Tschetschenien innerhalb derRussischen Föderation verbleibt. Warum hat die Russi-sche Föderation diese Chance also nicht genutzt? ManWolfgang Gehrcke
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muß auch die russischen Kolleginnen und Kollegen ausder Duma fragen, was sie in dieser Zeit getan haben.Ich bin der Meinung, Rußland ist die Verträge ausgutem Grund eingegangen. Alexander Lebed hatschließlich mit Maschadow kooperiert und die Verträgevorangetrieben. Der russische Präsident, die russischeRegierung und die Mehrheit der Staatsduma habenTschetschenien in dieser Zeit allerdings vollständig al-lein gelassen. Man hat das Gefühl, daß diese Chancenicht genutzt worden ist, weil man Tschetschenien sichselbst überlassen wollte und weil man keine wirklichenKooperationsbeziehungen eingehen wollte. Wenn Sieden Artikel von Sergej Kowalew in der heutigen Ausga-be der „Welt“ lesen, dann können Sie sich die Fragen,die ich gestellt habe, selbst beantworten. Manchmaldrängt sich mir der Eindruck auf, daß die russische Elitenur darauf gewartet hat, bis sich terroristische Gruppie-rungen innerhalb Tschetscheniens durchgesetzt haben.Lieber Kollege Schockenhoff, wir sollten darübernachdenken, was wir tun können, damit die russischeDemokratie die Kraft aufbringt, sich auf der einen Seitemit dem Terrorismus nach den Regeln der OSZE aus-einanderzusetzen und auf der anderen Seite dafür zusorgen, daß die Russische Föderation ein integrales An-gebot an alle noch so unterschiedlichen Bevölkerungs-gruppen macht.
Das ist die zentrale Frage, die wir uns selbst stellen müs-sen, und ich bitte darum, lieber Kollege Schockenhoff,daß wir nicht innenpolitische Auseinandersetzungen mitdieser ungeheuer schwierigen Frage verbinden. Dennder Bundesaußenminister – das wissen Sie sehr wohl;wir waren ja gestern im Ausschuß zusammen – hat ge-genüber der russischen Elite eine klare Sprache gespro-chen, und ich bin dankbar dafür, daß der Außenministerdies auch in Istanbul tun wird.
Nichts hat er gesagt! – Geschwiegen hat er doch! Erist doch ein Schweiger!Damit ich nicht mißverstanden werde: Der Kampfgegen den Terrorismus, der sich gegen die zivilen, ge-gen die demokratischen Strukturen des Rechtsstaatesrichtet, ist gerechtfertigt. Das sagt ja übrigens auch dieOSZE selbst, die Budapester Erklärung. Ich will nurPunkt 5 der Erklärung zitieren:Wir erkennen, daß die Gesellschaften in der OSZE-Region immer stärker durch den Terrorismus be-droht sind. Wir bekräftigen unsere uneinge-schränkte Verurteilung aller Arten und Praktikendes Terrorismus, die unter keinen Umständen zurechtfertigen sind. …Im Code of Conduct schließlich, in Punkt 36, wirdsehr klar hinzugefügt – und das ist vorhin ja auch schonangesprochen worden –: „In Fällen, in denen zur Erfül-lung von Aufgaben der inneren Sicherheit ein Rückgriffauf Gewalt“ geschieht, muß dieser Rückgriff auf Gewalt„den Erfordernissen der Durchsetzung angemessensein“. Und weiter:Die Streitkräfte werden es sorgsam vermeiden, Zi-vilpersonen zu beeinträchtigen oder deren Hab undGut zu beschädigen.Kaum hatte Boris Jelzin diesen Satz in Budapest un-terschrieben, ihn politisch als verbindlich für sich undsein Land erklärt, begann der erste Krieg gegen Tsche-tschenien. Die Brutalität der russischen Armee hatte1996 eine harte Kritik bei den russischen Demokratenhervorgerufen. Im Moment, so muß man leider sagen,sind die russischen Demokraten sehr stumm. Das istvielleicht mit dem Blick auf die Wahlen zur Duma zuerklären, die im Dezember bevorstehen. Aber ich denke,wir sollten unseren Kolleginnen und Kollegen in derStaatsduma deutlich machen: Bitte seien Sie genausowie in den Jahren 1995/96 hart in der Kritik an der Bru-talität der russischen Armee! Diese darf von uns in Eu-ropa gemeinsam von keinem der Abgeordnetenfreundein frei gewählten Parlamenten akzeptiert werden. Das istdie Bitte, die wir an die Staatsduma richten.
Die terroristischen Bombenanschläge – man muß siesich einmal in der Fernsehlandschaft Rußlands genauansehen – haben vieles verändert, auch die psychischeStimmung innerhalb des Landes selbst. Eine Konstantegroßrussischen Denkens taucht hier wieder auf: Sindnicht die Terroristen von heute die schwarzen – wie siedort genannt werden – Kaukasier des 19. Jahrhunderts,gegen die das imperiale Reich 30 Jahre lang Krieg ge-führt hat? Tausende von Menschen sind jetzt, rechts-staatlich fragwürdig, kurzerhand festgesetzt worden.Medien zeigen Bilder zerfetzter Bombenopfer und ge-hen dann einfach zum Krieg gegen Tschetschenien über.Was soll damit suggeriert werden? – Dies sei gerecht-fertigt.Mit einem Krieg allerdings – das haben wir gesternim Ausschuß selber erkennen können –, mit militäri-schen Mitteln, ist dieser Konflikt nicht zu lösen. Mankann ihn nur mit zivilen Mitteln lösen. Die OSZE bietetdafür eine Plattform. Diejenigen, die den Krieg befür-worten, müssen sich doch wohl selber die Frage stellen:Kann denn der politische Wille Tschetscheniens, nachRußland zurückkehren zu wollen, ein integraler Be-standteil Rußlands zu bleiben, mit Bomben zurückgeholtwerden? Das kann doch wohl nicht der Fall sein.Noch ist die Chance gegeben, daß das Treffen derStaats- und Regierungschefs in Istanbul helfen wird, dieProbleme zu lösen, vor denen wir alle stehen. Allerdingssetzt dies voraus, daß die politische Elite in Moskau die-se Lösung selbst will, daß sie dazu bereit ist. Wir alle je-denfalls wollen, daß gemeinsam mit Rußland ein Europagebaut wird, das allen Platz bietet, die sich verpflichtethaben, Freiheit und Demokratie zu sichern und dieMenschenrechte zu achten. Wir alle wollen, daß eineCharta verabschiedet wird, die den Menschen in allenMitgliedstaaten der OSZE Sicherheit bietet, damit sie inFrieden miteinander leben können, die den anderen – inGert Weisskirchen
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Respekt voreinander – in seiner Unverwechselbarkeitanerkennt. Immerhin hat Moskau jetzt den ersten Schrittgetan, so daß eine humanitäre Mission in Tschetsche-nien tätig werden kann.Moskau sollte den politischen Dialog mit Aslan Ma-schadow neu aufnehmen. Das hat der Bundesaußenmi-nister im Gleichklang mit seinem italienischen und fran-zösischen Kollegen gefordert. Wir unterstützen den Au-ßenminister ausdrücklich darin, daß Moskau zum politi-schen Dialog mit Maschadow zurückkehren muß.
Es gibt noch ein anderes Zerrbild, das sich an diesemPunkt deutlich zeigt. Ich habe mir die Presse in Rußlandgenau angesehen und will den ehemaligen Verteidi-gungsminister des Jahres 1996 erwähnen, der behauptet,hinter den Auseinandersetzungen stünden „Rußlandsstrategische Feinde, um es zu spalten, einen Teil seinesTerritoriums zu besetzen und vom Zugang zum Kaspi-schen und Schwarzen Meer abzuschneiden“.Was sind das für Einkreisungsängste? Was sind dasfür Verschwörungstheorien? Es kommt darauf an,Rußland deutlich zu machen, daß es einen Platz in Eu-ropa hat. Wir wollen mit Rußland friedlich kooperieren.Rußland muß aber auch die Ängste, die es hat, und dieBesorgnisse, die sich in diesem Konflikt zeigen, selbstabbauen. Nur die inneren Kräfte der Demokratie werdenes möglich machen, daß Rußland bei einem solchenVerständnis seinen Platz in Europa findet – genauso wiealle anderen Europäer.Istanbul kann eine Chance für ein neues Denken in-nerhalb der russischen Elite werden. Ich wünschte mir,daß die Staatsduma das, worüber wir heute debattierthaben, aufnimmt und die russische politische Elite dar-um bittet, von diesem furchtbaren Krieg Abstand zunehmen und in die europäische Gemeinsamkeit zurück-zukehren. Frieden ist das, was wir in Europa gemeinsamwollen. Dazu brauchen wir ein Rußland, das demokra-tisch ist und den Tschetschenen die Chance gibt, inte-graler Bestandteil Rußlands zu bleiben.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Hans Raidel, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Es ist begrüßenswert,daß Tschetschenien heute in so großer Ausführlichkeitbehandelt wird und wir uns in den Grundlinien alle einigsind. Ich sage das vor dem Hintergrund einer Presseer-klärung, die heute in Rußland erschienen ist. Dort wirdvermeldet: Der Westen will uns bestrafen, weil wir unsihm nicht beugen. Damit macht er sich nur lächerlich.Wir hätten es begrüßt – da gebe ich dem KollegenSchockenhoff vollkommen recht –, wenn die Einwändeund Bedenken dieser Bundesregierung ein bißchen lau-ter zu hören gewesen wären. Ich darf daran erinnern, wieBundeskanzler Kohl und Außenminister Kinkel früherwegen einer angeblich zu laxen Haltung in der damali-gen Situation in diesem Hause, damals noch in Bonn,von der damaligen Opposition vorgeführt worden sind.Aber nun!Ich glaube, es hat keinen Sinn, wenn wir hier ledig-lich mit beschwörenden Formeln agieren. Wir müssenstatt dessen sagen: Wenn sich Rußland hier nicht verän-dert und nicht politische Lösungen angestrebt werden,dann muß der Westen reagieren. Es kann nicht sein, daßwir ständig mit Geldbeträgen in Milliardenhöhe ausselbstverschuldeten Notlagen heraushelfen, ohne daßdort Reformen in Gang kommen. Noch weniger kann essein, daß gleichzeitig 2 Milliarden US-Dollar pro Monatfür diesen unsinnigen Krieg ausgegeben werden. Auchhier ist die Politik gefordert, entsprechend zu handeln.Lassen Sie mich aber mit Blick auf Istanbul noch einpaar andere Dinge sagen. Es ist aus meiner Sichtschlimm – Kritik daran ist berechtigt –, daß die USAden CTBT nicht ratifiziert haben. Ich sage ganz unge-schminkt: Unsere amerikanischen Freunde müssen essich gefallen lassen, daß ihnen offen und ehrlich gesagtwird, daß der, der auf vielen Feldern vordenken will, zu-erst nachdenken muß, was er mit seiner Haltung in die-sen Bereichen anrichten kann.Ein weiterer Punkt betrifft die Türkei. Deswegen istes gut, daß Istanbul der Ort des nächsten Gipfels ist.Wenn die Türkei ständig daran erinnert, daß sie auf demWege nach Europa sei, dann muß sie die Chance wahr-nehmen, in Istanbul ihre Position bezüglich Menschen-rechten, Minderheitenschutz und Rechtsstaatlichkeitdarzulegen. Sie muß auch eine Zeitachse aufzeigen, aufder ihre wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Vor-stellungen diesem Ziel näher gebracht werden können.Wir sollten den Türken ganz deutlich sagen, daß es anihnen liegt und daß sie ihren Reden nun Taten folgenlassen müssen; sie bestimmen in einem gewissen Um-fange Inhalt und Tempo dieses Fahrplanes.Wir begrüßen den Gipfel in Istanbul; wir treten füreine Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE ein.Wir begrüßen die Unterzeichnung der Sicherheitschar-ta, die eine Standortbestimmung der gesamteuropäischausgerichteten OSZE vornimmt. Ich unterstreiche alles,was hier in diesem Zusammenhang gesagt worden ist.Sie dient der Verbesserung der Handlungsfähigkeit, ins-besondere bei der Konfliktprävention und dem Krisen-management, und sie führt natürlich zu einer verbesser-ten Zusammenarbeit der Sicherheitsorganisationen all-gemein. Dieses Vertragswerk ist ein überschaubares,politisch verbindliches Dokument; auf die Völkerrechts-problematik wurde hingewiesen. Es beinhaltet klareAussagen. Es sollte alles darangesetzt werden, daß dieseGrundsätze tatsächlich eingehalten und umgesetzt wer-den.Wir begrüßen auch die Unterzeichnung des neu ver-handelten KSE-Vertrages, durch den die konventio-nelle Rüstungskontrolle auf eine neue – auch hier betoneich: von allen zu beachtende – Grundlage gestellt unddie Stabilität im gesamten Sicherheitsraum gestärktwird. Ergänzend hoffen wir – wie Frau Zapf es ausge-Gert Weisskirchen
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führt hat –, daß auch das sogenannte Wiener Dokumentals ein Kerndokument vertrauensbildender Maßnahmenaktualisiert und gestärkt werden kann.Ich glaube, daß diese Dokumente eine gute Grundla-ge für ein Zukunftsmodell unserer gemeinsamen Sicher-heit sein können. Sie wissen alle: Wenn wir in der OSZEvon „Security“ sprechen, ist das sehr umfassend ge-meint. Dazu gehören wirtschaftliche Entwicklungen,Umweltthemen, Pressefreiheit, Verhinderung von ethni-schen Säuberungen, ein gemeinsames Wertesystem aufder Basis von Freiheit und Demokratie sowie Menschen-rechtsfragen und Menschenrechtsprobleme.Ebenfalls abgedeckt werden die Rüstungskontrolle,die Bekämpfung des illegalen Waffenhandels und dieVerringerung der atomaren Bedrohung. Die legitimenSicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten werden mitHilfe der festgelegten Obergrenzen bei Bewaffnung undPersonal in den Streitkräften der jeweiligen Mitglieds-länder definiert. Das Ziel, das dabei über allem steht, isteben nicht nur regionale, sondern globale Sicherheit.Nach meiner Auffassung – hier mag es vielleicht et-was divergierende Meinungen geben – soll und kann dieOSZE die NATO als militärisches Instrument nicht er-setzen.
Aber sie kann sie ergänzen, wie man aktuell auf demBalkan sehen kann. Bei einer engen Zusammenarbeitzwischen OSZE und NATO bräuchten die Länder, dieheute auf einen Beitritt zur NATO hoffen, keine Beden-ken zu haben, daß die Mitgliedschaft in der OSZE alleinkeinen wirklichen Schutz und letzten Endes keine Si-cherheit garantieren könne.
Wie effektiv dieses Wechselspiel, diese Zusammenar-beit zwischen NATO und OSZE sein könnte, hängtmaßgeblich vom politischen Willen der beteiligtenStaaten und davon ab, welche Handlungsinstrumente sieletztlich zwischen EU, WEU, NATO und OSZE schaf-fen. Wir befinden uns da auf einem guten Wege. Ich be-grüße das, was hier ausgeführt worden ist. Aber wir ha-ben diese Ziele noch nicht erreicht und mit den entspre-chenden Handlungsinstrumenten unsere gemeinsamenInteressen noch nicht durchgesetzt.Drei Grundkriterien muß man bei der Entwicklungeiner zukünftigen Sicherheitsstruktur Europas fürjedes Modell immer vor Augen haben: Erstens. Dielegitimen Sicherheitsinteressen aller Staaten sind ab-solut gleichwertig und gleichberechtigt. Zweitens. DieAnbindung Europas an die USA ist überlebenswichtig.Drittens. Ohne eine angemessene Einbeziehung Ruß-lands und der Ukraine gibt es keine europäische Si-cherheit.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch überGeld sprechen. Das ist genauso wichtig. Die Bundesre-gierung ist beim NATO-Jubiläumsgipfel im April diesesJahres und beim Kölner EU-Ratstreffen im Juni diesesJahres verteidigungspolitische Verpflichtungen im Hin-blick auf die EU, die NATO, die WEU und die OSZEeingegangen. Desgleichen verpflichten uns die Aufga-benerfüllung und die Neugestaltung der Bundeswehr.Alle diese Maßnahmen erfordern eine Aufstockung undkeinesfalls eine Schrumpfung des Wehretats. Die mit-telfristige Finanzplanung der Bundesregierung im Hin-blick auf den Verteidigungsetat steht zu diesen Ver-pflichtungen im offenen Widerspruch. An die Adressevon Regierung und Koalition muß ebenso gerichtet wer-den, daß die notwendigen Mittel zeitgerecht zur Verfü-gung gestellt werden müssen. Ich bin gespannt, wie diesmit Ihrer mittelfristigen Finanzplanung in Einklang zubringen ist.Meine Damen und Herren, unsere Diplomaten habenden Inhalt und die Gestaltung der Dokumente hervorra-gend mit vorbereitet. Ich möchte den im AuswärtigenAmt Beschäftigten – weniger der politischen Führung –meinen herzlichen Dank dafür aussprechen.
Unsere Aufgabe ist es, durch Parlamentsdiplomatie, wiewir sie auch in der IPU pflegen, den OSZE-Gipfel inIstanbul zu unterstützen. Mit dem vorliegenden gemein-samen Antrag – ich betone noch einmal, daß wir uns allein den Zielsetzungen einig sind – leisten wir die not-wendigen Schrittmacherdienste. Wir alle hoffen, daßdieser Gipfel uns weiterbringt und ein Erfolg wird.Vielen Dank.
Jetzt erteile ich das
Wort Staatsminister Ludger Volmer.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wiekann die OSZE ein Gipfeltreffen vorbereiten, auf dem esunter anderem um eine europäische Sicherheitschartaund Menschenrechte geht, wenn gleichzeitig in Tsche-tschenien ein Krieg geführt wird, der zahlreiche Opferunter der Zivilbevölkerung fordert? Diese Frage wurdein den letzten Tagen immer wieder gestellt, sie ist auchin dieser Debatte ein zentraler Punkt.In der Tat überschattet der Tschetschenien-Konfliktden Gipfel von Istanbul. Militärisch ist dieser Krieg fürkeine Seite gewinnbar. Rußland verliert rapide an inter-nationalem Ansehen, und die entsprechenden Berichtedeuten auf eine weitere Verschärfung der Lage derFlüchtlinge hin.Die Bundesregierung hat von Anfang an klare Wortean die russische Seite gerichtet. Dabei wurde nicht deröffentliche Weg gewählt, weil die Gefahr bestand – dashabe ich gestern im zuständigen Ausschuß dargestellt;niemand hat mir widersprochen –, daß während des rus-sischen Vorwahlkampfes eine politische Interventionvon den Wahlkämpfern als westliche Einmischungfunktionalisiert und dazu genutzt werden könnte, dieHans Raidel
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nationalistische Karte zu spielen und damit die Fixie-rung auf die Kriegsführung weiter zu verschärfen.
Deshalb hat der Bundesaußenminister in mehrerenTelefonaten mit seinem russischen Kollegen Iwanowund im Konzert mit den europäischen Partnern vier For-derungen an die russische Seite gerichtet: erstens denKonflikt sofort zu deeskalieren, zweitens den Dialog mitden verständigungsbereiten Kräften in Tschetschenienzu pflegen, drittens rasch ausreichende humanitäre Hilfezu leisten und internationale Hilfe zuzulassen sowieviertens in den Informationen über die Lage vor OrtTransparenz durch die Zulassung von objektiven Be-richterstattern zu gewährleisten.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Schockenhoff?
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Ich möchte im Zusammenhang vortragen. –Selbstverständlich erkennt die Bundesregierung dabeidie territoriale Integrität Rußlands und auch das in derOSZE-Charta verbriefte Recht an, mit geeigneten Mit-teln Terroristen entgegentreten zu dürfen.Ich appelliere an dieser Stelle erneut eindringlich andie russische Führung: Stellen Sie den unverhältnismä-ßigen Einsatz von Gewalt ein, der das Leben so vielerunschuldiger und unbeteiligter Zivilisten fordert undmilitärisch und politisch in die Sackgasse führt, undnehmen Sie den politischen Dialog wieder auf.
Der politische Dialog mit den gemäßigten und legal ge-wählten Kräften in Tschetschenien ist Voraussetzungdafür, die terroristischen Kräfte isolieren zu können. Nurso kann eine dauerhafte Lösung für den Regionalkon-flikt gefunden werden.Die OSZE ist bereit, ihr Potential hier einzubringen,kurzfristig zur Erleichterung humanitärer Hilfe und zurBeendigung der Gewalt, langfristig auch zum Aufbaudemokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen beizutra-gen. Die Tatsache, daß Mitte nächster Woche eine Beo-bachterdelegation der OSZE in die Region reisen kann,könnte ein erster Schritt zur Krisenbewältigung sein.Die Bundesregierung wird auch weiterhin in Zusam-menarbeit mit ihren Partnern alles tun, um zu einer Bei-legung des Konfliktes in Tschetschenien zu kommen.Außenminister Fischer weilt zur Zeit bei der UNO inNew York, um mit unseren europäischen und amerika-nischen Partnern über das Vorgehen im Vorfeld desIstanbuler Gipfels zu beraten, damit dieser Gipfel zu ei-nem Erfolg werden kann. Die russische Regierung mußwissen, daß die Staats- und Regierungschefs der in derOSZE vertretenen Länder in Istanbul mit ihrer Autoritätnicht Rechte und Prinzipien bekräftigen können, die zurgleichen Zeit im OSZE-Gebiet massiv verletzt werden.
Die Gebote, in einem Konflikt keine übermäßige Gewaltanzuwenden, humanitäre Hilfe zu erleichtern und allesfür eine friedliche Lösung zu tun, gehören zum Kernbe-stand der Verpflichtungen, die Rußland im Rahmen desBeitritts zur OSZE eingegangen ist. Daran wird Rußlandgemessen werden.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, der Tschetschenienkonflikt zeigt erneut, wiewichtig die OSZE für Sicherheit und Zusammenarbeitim gesamten Raum zwischen Vancouver und Wladiwo-stok ist. Welche andere Organisation könnte sonst in ei-ner so komplexen Lage als Ansprechpartner dienen, derdas Vertrauen aller Beteiligten hat? Nun kann man be-dauern, daß die OSZE noch zu schwach ist. Das tun wirauch. Hier wird es aber gefährlich für Sie, Herr Schok-kenhoff. Ich verstehe ja, daß Sie in Ihrer Rede auch Op-positionsrhetorik anwenden mußten; dabei beklagten Sie– zu Recht – die Schwäche der OSZE. Aber was habenSie in den letzten zehn Jahren der Regierungszeit IhrerPartei gemacht? Sie hatten damals die Chance, dieOSZE zu stärken, haben das aber nicht getan.
Teile der ehemaligen Regierung haben eine Stärkung derOSZE sogar hintertrieben.
Ganz und gar gefährlich wird es, Herr Schockenhoff,wenn Sie in diesem Zusammenhang nun plötzlich dieNATO ins Spiel bringen. Man kann ja über die NATO-Osterweiterung diskutieren. Sie ist ein gegebenes Fak-tum und für den Westen der Ausgangspunkt weiterge-henderer Sicherheitspolitik. Aber durch die NATO-Osterweiterung kann der Kaukasus-Konflikt nicht gelöstwerden. Ich möchte dringend davor warnen, die BegriffeNATO und Kaukasus in einem Atemzug zu nennen bzw.in einem Satz in den Mund zu nehmen.
Wenn man das zu Ende denkt, kommt man zu ganz undgar gruseligen Vorstellungen. Ich kann nur hoffen, daßSie sich lediglich rhetorisch vergaloppiert haben.Über dem Tschetschenien-Konflikt dürfen wir aberauch nicht das Engagement der OSZE in anderen Re-gionen vergessen. Ich nenne als Beispiele nur das Gebietdes ehemaligen Jugoslawien und den Konflikt um Na-gornyj Karabach.Für uns gilt es darüber hinaus, den Gesamtzusam-menhang von Stabilität und Sicherheit in Europa imAuge zu behalten. Wir wollen konkrete Fortschritte imBereich von Rüstungskontrolle und Abrüstung erzielen.Staatsminister Dr. Ludger Volmer
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Unser Ziel sind ein erfolgreicher Abschluß der Ver-handlungen zur Anpassung des Wiener Dokuments überVertrauensbildende Maßnahmen und die Anpassung desKSE-Vertrages. Rußland überschreitet derzeit die zu-künftig vorgesehenen KSE-Flankenobergrenzen.Die Bundesregierung hat deshalb ein großes Interessedaran, daß der Istanbuler Gipfel ein Erfolg wird; dennfür die europäische Sicherheit insgesamt und für das in-ternationale Rüstungskontrollsystem steht vieles aufdem Spiel. Sollte der KSE-Vertrag in der vorgesehenenForm verabschiedet werden, gibt er uns sogar neueMöglichkeiten, die russische Politik im Kaukasus unddie militärischen Operationen zu beobachten, zu beur-teilen und völkerrechtlich zu bemessen. Deshalb habenwir ein großes Interesse an einem Erfolg dieses Gipfels.Ohne die Unterzeichnung des KSE-Änderungs-vertrages in Istanbul, der die zukünftigen Flankenober-grenzen bestätigt, hätten wir nach der Ablehnung desVertrages über den Atomwaffenteststopp durch den US-Senat einen weiteren Rückschlag in den weltweiten Be-mühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle zu ver-zeichnen. Wir hoffen nicht, daß das passiert.
Der neue KSE-Vertrag dagegen wird die konventio-nelle Stabilität in ganz Europa durch eine historisch bei-spiellose Begrenzungssystematik und durch erhöhteTransparenz erheblich stärken. Ich möchte mich hierdem Dank an die Beamten des Auswärtigen Amtes an-schließen; denn es ist nicht zuletzt auf ihre Initiative undihre Kenntnis zurückzuführen, daß wir zu dieser neuenSystematik im KSE-Bereich gefunden haben. Sie ist eingutes Beispiel dafür, wie sich die Bundesrepublik in derRüstungskontrolle nützlich gemacht hat.
Wir wollen auf Krisen aber nicht nur reagieren, son-dern Konflikten so frühzeitig begegnen, daß es nicht zueinem gewalttätigen Ausbruch kommt. Für die Bundes-regierung steht diesbezüglich die OSZE im Zentrum dermultilateralen Bemühungen um Konfliktprävention, Kri-senmanagement und um die Wiederherstellung demo-kratischer und ziviler Institutionen.Die in Istanbul zu verabschiedende Sicherheitschartasoll diese für uns zentrale Ortsbestimmung der OSZE in-nerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur zu einemgemeinsamen Anliegen machen. Die Bundesregierung hathier bereits einen deutlichen Akzent gesetzt. Unser Pro-gramm zur Ausbildung von zivilem Friedenspersonal solleine Personalreserve schaffen, die der OSZE für ihreMaßnahmen zur Krisenreaktion auf Mandatsbasis zurVerfügung gestellt werden kann. Ich sehe mit großem In-teresse, daß andere Länder ebenfalls in diese Richtunggehen. Dieser Ansatz, der im übrigen von der deutschenParlamentarierdelegation bei der OSZE-Versammlung1997 zum erstenmal zur Debatte gestellt wurde, wird nunauf dem Istanbuler Gipfel offiziell behandelt.
Allgemein gilt es, die OSZE organisatorisch dazu in-stand zu setzen, daß sie fähig ist, schnell die Lage zuanalysieren und auf geeignetes Personal zurückzugrei-fen. Frühwarnsysteme existieren bereits. Nun kommt esdarauf an, die Kapazitäten für frühes Handeln zu stär-ken. Wir haben seit dem Ende des kalten Krieges in die-ser Hinsicht bereits viel erreicht. Aber der Tschetscheni-en-Konflikt zeigt uns mit aller Deutlichkeit, daß wirnoch einen langen Weg vor uns haben. Trotz der Rheto-rik, die in dieser Diskussion eine Rolle spielte, nehmeich mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Fraktionendes Deutschen Bundestages hier in den wesentlichenPunkten an einem Strang ziehen.Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Schockenhoff das
Wort.
HerrStaatsminister, mit Ihrem letzten Satz haben Sie das zu-rückgenommen, was Sie vorher gesagt haben. Wir habenin der Tat eine gemeinsame Position, die sich in einemgemeinsamen Antrag ausdrückt. Ich habe in meinemBeitrag überhaupt keinen Gegensatz zwischen derOSZE und der NATO hergestellt. Im Gegenteil: Wirbegrüßen die Stärkung der OSZE und auch die im An-trag ausformulierte Forderung, der OSZE eigenständigeMaßnahmen zur Krisenbewältigung und zur Friedenssi-cherung auch mit Hilfe des Einsatzes von Streitkräftenzu ermöglichen. Ich habe ergänzt: Wir haben aber be-rechtigte Zweifel, ob die OSZE heute dazu ohne dieNATO und ohne den Rückgriff auf Instrumente derNATO in der Lage ist. Leider bestätigen dies die Ereig-nisse.Zur früheren Bundesregierung haben Sie gesagt, siehabe die OSZE sogar hintertrieben. Das ist absurd undmuß hier in aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden.
Wer hat denn nach dem Zusammenbruch der Sowjet-union dafür gesorgt, daß die Staaten in Zentralasien, imKaukasus, auf dem Balkan von der OSZE aufgenommenwurden. Sie ernten doch nur, was der frühere Außenmi-nister gesät hat.
Ich bestätige Ihnen gerne, Herr Staatsminister, daßSie uns im Auswärtigen Ausschuß berichtet haben, derAußenminister habe in einem Brief an die russische Re-gierung auf den Konflikt in Tschetschenien reagiert.Meine Position dazu ist – ich wiederhole sie hier –: Siehaben dem NATO-Partner Türkei vor laufenden Kame-ras, also öffentlich, Menschenrechtsverletzungen vor-geworfen. Zu dem Morden in Tschetschenien haben Siein einem Brief Stellung genommen – ohne sich öffent-Staatsminister Dr. Ludger Volmer
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lich zu äußern. Außenpolitisches Gespür hätte Ihnen denanderen Weg nahegelegt: Sie hätten besser unseremNATO-Partner Türkei einen Brief geschrieben und zuden schrecklichen Kriegshandlungen in Tschetscheniennicht geschwiegen.
Herr Staatsminister,
möchten Sie antworten? – Bitte sehr.
D
Herr Schockenhoff, ich denke, daß die Äußerungen
des Bundesministers des Auswärtigen gegenüber der rus-
sischen Seite an Klarheit nichts zu wünschen übriglassen.
Er tut im Moment genau das, was er auch zu Zeiten des
Kosovo-Konfliktes getan hat: Er betreibt eine Diploma-
tie, die die reale Chance beinhaltet, zu einer Konfliktlö-
sung zu kommen. Das ist mehr, als sich nur öffentlicher
Rhetorik zu befleißigen.
Nun komme ich auf das Verhältnis zwischen OSZE
und NATO zurück: Es gibt eine seit vielen Jahren an-
dauernde Diskussion darüber, in welchem Verhältnis die
Großorganisationen zueinander stehen. Man hat dafür
den pragmatischen Begriff – es gibt leider nur einen
englischen Ausdruck dafür – „interlocking institutions“
gefunden: Zusammenarbeit miteinander verschränkter
Organisationen, die ihre jeweiligen komparativen Vor-
teile nutzen. Dieses Modell an sich stellt heute niemand
mehr in Frage.
Sie haben in Ihrer Kurzintervention genauso wie in
Ihrer Rede angemerkt, daß die OSZE, bezogen auf den
Kaukasus-Konflikt, nicht durchschlagskräftig genug sei.
Sie haben gerade noch einmal betont, die OSZE sei gar
nicht richtig handlungsfähig ohne die Rückendeckung
der NATO. Ich frage Sie noch einmal: Was soll die
NATO im Zusammenhang mit dem Kaukasus-Konflikt?
Daß die NATO, daß die Osterweiterung der NATO
einen Sinn hat, ist doch überhaupt nicht umstritten. Im
Kaukasus-Konflikt kann aber, wenn überhaupt eine
Großorganisation eine Rolle spielen kann, nur die OSZE
die Probleme lösen helfen. Wenn wir Europäer und wir
Deutschen die Möglichkeit haben wollen, uns friedens-
politisch an der Lösung der Konflikte innerhalb des
Raumes, der früher zur Sowjetunion gehörte, zu beteili-
gen, dann können wir das nicht über die NATO, sondern
nur über die OSZE. Jenseits aller Diskussionen, was in
Zukunft mit der NATO passieren soll, müssen wir unser
Augenmerk darauf richten, wie wir die OSZE so stärken
können, daß sie in der Lage ist, Regionalkonflikte wie
die im Kaukasus bewältigen zu helfen.
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/1959 zur federführenden Beratung an
den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den
Verteidigungsausschuß und an den Ausschuß für Men-
schenrechte und humanitäre Hilfe zu überweisen. Der
Antrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/1771
soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüs-
se überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschlä-
ge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zu den jüngsten
Kritiken hinsichtlich der Wohnungsbauförde-
rung des Bundes
Ich weise darauf hin, daß in einer Aktuellen Stunde
die Redezeit für die Mitglieder des Parlaments fünf Mi-
nuten beträgt.
Frau Präsidentin! Mei-ne Damen und Herren! Der Wohnungsmarkt sei ent-spannt, Wohnraum genügend vorhanden, Deutschlandein wahres Mieterparadies. Mit fachlich so oberflächli-chen Aussagen – es ist so, als hätten Sie den Begriff„Schweinezyklus“ noch niemals gehört – begründen SieIhren Rückzug aus der Wohnungsbauförderung.Es ist um die langfristige Wohnungspolitik unterRotgrün schlecht bestellt. Man hat nämlich den Ein-druck, daß Sie nicht zuerst fragen, wie man das existen-tielle Gut Wohnen für alle sichern kann, und hinterherüberlegen, wie man das am sparsamsten und effiziente-sten tun kann. Nein, Sie drehen den Spieß um. Ihr Zielin der Wohnungspolitik heißt Sparen, Sparen, Sparen.Dann reden Sie den verbliebenen schmalen Rest auchnoch schön. Beispielsweise geht der neue Bauminister,der sich im übrigen mit dem Bußgeld für Fußgänger undRadfahrer einen Namen gemacht hat, mit folgendemBegriff in die Öffentlichkeit: Er sagt, Sie stellten in derWohnungspolitik „zukunftsfähige Weichen“. Dabeiweiß er ganz genau, daß der soziale Wohnungsbau hal-biert wird. Ein anderes Beispiel: Sie sagen, das Moder-nisierungsprogramm werde mit 10 Milliarden DM fort-gesetzt. Die Wahrheit ist, daß der Bund 300 MillionenDM an Zinszuschüssen unter der Voraussetzung gibt,daß sich die Länder beteiligen. Schließlich sagen Sie,die Abwälzung des Pauschalwohngeldes in Höhe von 2Milliarden DM gehe nicht zu Lasten der Kommunen.Das ist ungefähr das Schärfste, was ich in letzter Zeitgehört habe.Meine Damen und Herren, die Direktförderung er-fährt einen Absturz sondergleichen. Die Förderung desSozialwohnungsbaus sinkt von 1,1 Milliarden DM auf600 Millionen DM im nächsten Jahr und auf 450 Millio-nen DM im übernächsten Jahr. Zur Erinnerung: Es wa-Dr. Andreas Schockenhoff
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ren einmal 4 Milliarden DM. Einst hatten wir vier Mil-lionen Sozialwohnungen bei zwei Millionen Arbeitslo-sen. Heute haben wir vier Millionen Arbeitslose undzwei Millionen Sozialwohnungen. Jährlich fallen100 000 Wohnungen aus der Bindung. Der Verkauföffentlicher Wohnungen schreitet fort. Dabei geht dieBundesregierung – siehe Bahnwohnungen – voran.Reden wir nicht schön, reden wir Klartext: Sie beer-digen den Sozialwohnungsbau. Sein Aus können Sieauch nicht mit dem Programm „Soziale Stadt“ kaschie-ren. Was nützt das wunderbarste Programm – das Pro-gramm ist ja wirklich gut –, wenn Sie kein Geld dafürzur Verfügung stellen?Doch das Problem liegt in Wirklichkeit noch tiefer,meine Damen und Herren. Sie köpfen ja nicht nur die di-rekte Förderung. Mit dem Steuerentlastungsgesetz ist diezweite, umfangreichere Fördersäule bereits geschrumpft.Damit wir uns nicht mißverstehen: Wir sind immer da-für eingetreten, Steuervergünstigungen abzuschaffen.Aber wir wollen auch, daß die Mittel zielgerichteter inder direkten Förderung eingesetzt werden. Wenn michnicht alles täuscht, waren das auch Ihre Überlegungen,als Sie noch in der Opposition waren.
Das Streichen steuerlicher Vergünstigungen imWohnungswesen bringt allein 1999 und 2000 demBund Mehreinnahmen in Höhe von 6 Milliarden DM.Wer hoffte, daß diese Mehreinnahmen der Wohnungs-förderung effizienter zugute kommen, der irrt. Dersatte Betrag löst sich beim Stopfen allgemeiner Haus-haltslöcher in Wohlgefallen auf. Man wird doch abereinmal fragen dürfen, warum Sie davon nicht das Pau-schalwohngeld finanzieren, warum Sie nichts gegenden strukturellen Leerstand in Ostdeutschland tun,warum Sie keine weitere Mark für den Sozialwoh-nungsbau erübrigen, sondern ihn statt dessen in denKeller fahren, und warum Sie die Städtebauförderungnicht aufstocken.Es nützt alles nichts, auch unter Rotgrün muß eineWohnung nach 50, spätestens nach 100 Jahren reprodu-ziert werden. Das ist ganz parteienunabhängig. GlaubenSie mir, daß ich weiß, wovon ich rede. Ich komme näm-lich aus der DDR. Um den steten Wohnungsbau, dernicht nur wegen der einfachen Reproduktion, sondernauch wegen einer Fülle anderer Faktoren sein muß, dieich jetzt nicht alle aufzählen kann, kann man sich nichtdrücken.Bauen kostet Geld, jährlich dreistellige Milliarden-summen. Gab bisher der Staat 1 DM aus, so gaben Wirt-schaft und Private 2 DM dafür aus. Mit Ihrem Total-rückzug aus der steuerlichen wie der direkten Woh-nungsbauförderung kürzen Sie, um in diesem Bilde zubleiben, diese 1 DM auf 50 Pfennig. Sie gefährden dennotwendigen Wohnungsbau damit aufs schärfste. Sieleiten die nächste Wohnungskrise ein. Sie sind nicht be-reit, die Mehreinnahmen aus der Streichung der Steuer-subventionen zur Reform der Förderung einzusetzen. Siehaben im Grunde nichts mehr, was Sie reformieren kön-nen.Meine Damen und Herren, Wohnen ist ein sozialesund ein wirtschaftliches Gut. Es ist immer wieder aufsneue die Balance zwischen beiden notwendig. Versuche,eine der beiden Seiten über- oder unterzubetonen, gin-gen stets fehl
und mußten im nachhinein ausgebessert werden. Daßaber beide Seiten zugleich gefährdet sind, das ist nunwirklich einmalig. Sie bedrohen die soziale und damitauch die wirtschaftliche Seite des Wohnens. Sie setzendie wirtschaftliche und damit auch die soziale aufs Spiel.Sie ernten folgerichtig die Kritiken, die sowohl auf sei-ten der Wohnungswirtschaft als auch der Mieter imKern übereinstimmen.Daß dieser Schritt von einer sozialdemokratisch ge-führten Bundesregierung gemacht wird, einer Bundesre-gierung, die versprochen hat, zu prüfen, wie der Bestandan Sozialwohnungen für die Sicherung der sozialenWohnungswirtschaft gewährleistet werden kann, das istleider kein schlechter Witz, sondern es ist traurigeWahrheit. Glauben Sie mir: Wenn ich als PDS-Politikerin, die im Wahlkampf 1998 ihr Möglichstesheftig und engagiert getan hat, damit die RegierungKohl abgewählt wurde, heute manchmal in Versuchungbin, zu sagen: „Mein Gott, das wäre vielleicht unterHelmut Kohl nicht passiert“, dann stimmt hier etwasnicht.
Aber es ist nicht so, daß etwa mit mir etwas nichtstimmt; vielmehr stimmt etwas nicht mit Ihrer Politik,mit Ihrer Wohnungspolitik.
Nun erteile ich das
Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim
Großmann.
A
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! – Ich habe
acht Minuten Redezeit; die Uhr ist falsch eingestellt. –
So, danke schön.
Sie haben acht Mi-
nuten Redezeit; das werden wir sofort richtig einstellen.
A
Wunderbar. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-ren! Die alte Bundesregierung hat uns vor zwölf Mona-ten einen dramatischen Reformstau im Wohnungs- undStädtebaubereich hinterlassen.
Christine Ostrowski
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Parallel dazu haben CDU/CSU und F.D.P. die Staatsfi-nanzen so ruiniert, daß wir nur mit großen Anstrengun-gen die Handlungsfähigkeit des Staates zurückgewinnenkönnen.
Schauen wir uns doch die Eröffnungsbilanz einmal an.Seit zehn Jahren ist das Wohngeld nicht angepaßt wor-den. In einem Jahr verlieren die Wohngeldbezieher inden neuen Ländern 30 Prozent ihres Wohngeldes, wennwir nicht handeln. Der soziale Wohnungsbau hat beiCDU/CSU und F.D.P. seine frühere Funktion völligverloren. Die Zahl der sozial gebundenen Wohnungenist von über 4 Millionen auf unter 2 Millionen Wohnun-gen mehr als halbiert worden. Die finanziellen Mittelsind unter der alten Regierung von zirka 4 MilliardenDM auf etwas mehr als 1 Milliarde DM, also um 75Prozent, heruntergesetzt worden. Die Reform des sozia-len Wohnungsbaus haben Sie völlig vergeigt. Allen Ex-perten war klar: Der neue soziale Wohnungsbau mußanders aussehen als in der Vergangenheit; es muß vorallen Dingen eine Wohngeldreform geben.
Die haben Sie mit vier Bauministern nicht geschafft.Bei den Problemen der überforderten Nachbarschaf-ten, der Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf,der Großsiedlungen und der anderen Stadtteile haben Siestatt Lösungen nur Konzeptlosigkeit hinterlassen.
Vor den Problemen des Altschuldenhilfe-Gesetzes ha-ben Sie die Augen verschlossen. Die Baulandfrage ha-ben Sie bei der Reform des Baugesetzbuchs außen vorgelassen. Beim Mietrecht haben Sie sich gegenseitigblockiert. Bei den steuerlichen Abschreibungen habenSie hingenommen, daß größtenteils nur noch in Steuer-sparmodelle investiert wurde
und nicht in nachhaltigen Mietwohnungsbau mit langfri-stiger wirtschaftlicher Ertragskraft. Die Energieeinspar-verordnung haben Sie in die Schublade gelegt undverstauben lassen. Nur in der Eigentumspolitik gab eseinen Fortschritt, aber erst nachdem Sie zehn Jahre langdie guten Vorschläge der SPD blockiert haben.Die Liste Ihrer Sünden und Fehler ließe sich fortset-zen. Aber wichtiger ist mir, die finanzielle Katastro-phe, die Sie uns hinterlassen haben, mit Beispielen ausder Wohnungs- und Städtebaupolitik zu verdeutlichen.Wir zahlen täglich 220 Millionen DM Zinsen an dieBanken. In nur drei Tagen liefert der Finanzministerdas Geld bei den Banken ab, das wir 1999 für denStädtebau zur Verfügung haben. In nur fünf Tagen lie-fert der Finanzminister das Geld für Zinsen bei denBanken ab, das wir im Jahr 1999 für den sozialenWohnungsbau zur Verfügung haben.
Das ist die dramatische Ausgangsposition für die Woh-nungs- und Städtebaupolitik dieser Regierung. Diese Er-öffnungsbilanz müssen Sie hören; dieser Eröffnungsbi-lanz müssen Sie sich stellen.
Nach nur einem Jahr legen wir nun eine erste Er-folgsbilanz vor. In dem engen finanziellen Rahmen set-zen wir neue Prioritäten, starten neue Konzepte und ar-beiten Schritt für Schritt den Reformstau ab.Erstens. Mit dem Programm „Soziale Stadt“ startenwir eine neue Förderphilosophie. Wir bündeln verschie-dene Fachpolitiken, statt nur einseitig Ressortpolitik zumachen. Wir wählen erstmals einen integrierten, ver-netzten Politikansatz.
Der finanzielle Einsatz wird dadurch effektiver,
und zusätzlich mobilisieren wir das unersetzliche Enga-gement der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Kon-zepte werden vor Ort, also von den Bewohnerinnen undBewohnern und von den Kommunen, entwickelt.
In fünf Jahren stehen mit den Mitteln der Länder undKommunen 1,5 Milliarden DM zur Verfügung; hinzukommen die Mittel der EU und die Mittel aus Program-men anderer Ressorts.Zweitens. Wir haben eine gesamtdeutsche Wohn-geldnovelle vorgelegt. Damit heben wir das Tabellen-wohngeld in den alten Ländern an. In den neuen Län-dern verhindern wir den Absturz um 30 Prozent.
All denen, die wegen der stark reduzierten Bestände vonsozial gebundenen Wohnungen keine Chance auf eineSozialwohnung haben, schaffen wir damit eine bessereWohnkaufkraft. Das ist ein riesiger Schritt hin zu Ge-rechtigkeit unter den Mieterinnen und Mietern.
Drittens. Beim Altschuldenhilfe-Gesetz haben wir mituntergesetzlichen Regelungen dazu beigetragen, daß vonden etwas mehr als 2 000 Unternehmen inzwischen etwa1 000 den Schlußbescheid erhalten haben, davon dieweitaus meisten nach dem Regierungswechsel, bedingtdurch unsere Entscheidungen. Derzeit bereiten wir eineNovelle des Altschuldenhilfe-Gesetzes vor, die weitereFehler dieses Gesetzes behebt.
Parl. Staatssekretär Achim Großmann
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Inzwischen hat das auch die CDU gemerkt, die gesternso etwas ähnliches beschlossen hat. Nachdem wir jetztmonatelang darüber geredet haben, wie das aussehensoll, hat auch sie es zu Papier bringen können.Viertens. Unsere Eckwerte für die Reform des sozia-len Wohnungsbaus sind fertig.
Wir hoffen, daß sich die Länder auf der Bauministerkon-ferenz Anfang Dezember für eine Reform aussprechen.Dann werden wir die Eckwerte zu dem Gesetzentwurfentwickeln. Wir wissen alle: Die finanzielle Ausstattungdes sozialen Wohnungsbaus in der Zukunft hängt davonab, ob wir die Reform des sozialen Wohnungsbausschaffen. Das ist Fakt, und deshalb müssen wir das alserstes abarbeiten.
Fünftens. Die Auswüchse der Steuersparmodellebeim freifinanzierten Mietwohnungsbau haben wir ge-stoppt, die degressive Abschreibung aber erhalten. MehrEffizienz und mehr Gewicht auf nachhaltige, von gutenMarktaussichten unterfütterte Investitionen mit kosten-bewußterer Planung sind die Folge.Sechstens. Das KfW-Programm für die Modernisie-rung und Instandsetzung von Wohnungen und Häusernin den neuen Bundesländern haben wir von 70 auf 89Milliarden DM aufgestockt.
Siebtens. Das KfW-Programm „Eigentum für jungeFamilien“ und das KfW-Programm „CO2-Minderungs-programm“ wurden ebenfalls aufgestockt.Achtens. Wir forcieren die Energieeinsparverord-nung. Wir sind im Gespräch mit den Ländern und denVerbänden und werden bald einen überarbeiteten Ent-wurf vorlegen. Zur Erinnerung: Die alte Regierung hatüber Monate hinweg die Energieeinsparverordnung ein-fach liegengelassen, weil sie sich gescheut hat, dieseschwierigen Gespräche zu führen.Neuntens. Zum Mietrecht wird die Regierung unterFederführung des Bundesjustizministeriums – die Bun-desjustizministerin hat dazu ja schon öffentlich Stellunggenommen – einen eigenständigen und ausgewogenenGesetzentwurf vorlegen. Die Abstimmungsgesprächezwischen Justiz- und Bauministerium sind in großerÜbereinstimmung abgeschlossen worden.
Zehntens. Mit einem Programm „Bauforschung undBautechnik“ – Federführung beim BMBF – unterstützenwir innovative Ideen und Konzepte bei Baugewerbe undBauindustrie, um die Betriebe fit zu machen für denWettbewerb in Europa und darüber hinaus.Elftens. Auch in die Bauland- und Bodenpolitik istBewegung gekommen. Eine Kommission des DeutschenVerbandes – damals eingesetzt nach einer Interventionim Vermittlungsausschuß von Rotgrün zum Baugesetz-buch –
hat Vorschläge unterbreitet, die dazu beitragen können,daß wieder mehr baureifes Land an den Markt kommtund das Bodenmanagement besser funktioniert.Zwölftens. Schließlich arbeiten wir verstärkt im eu-ropäischen und internationalen Kontext. In Europa tau-schen wir uns aus über Programme der „Sozialen Stadt“,um letztlich auch europäische Entscheidungen stärkerbeeinflussen zu können. Mit der hochrangigen Konfe-renz „Urban 21“ im Juli 2000 in Berlin geben wir derinternationalen Diskussion über die Stadtentwicklungder Zukunft neue Impulse.All das ist die Bilanz von nur zwölf Monaten. Wirhaben schon vieles erreicht, aber wir haben noch vielesvor.
Wir werden gezielt, solide, ohne Hast, aber zügig dieWohnungs- und Städtebaupolitik in diesem Land wei-terentwickeln: zu mehr Innovation, zu mehr Gerechtig-keit, zu mehr Treffsicherheit und zu mehr Effizienz.Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die ausreichendWohnraum brauchen – in Stadträumen und Städten, diealltagsgerecht und zukunftsfähig zugleich sind und indenen man sich wohl und zu Hause fühlt.Vielen Dank.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Dr. Kansy, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsi-dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! HerrStaatssekretär Großmann, ich sage gleich noch etwas zuIhrer grandiosen Geschichtsklitterung der letzten Legis-laturperiode. Manches von dem, was Frau KolleginOstrowski gesagt hat, mag richtig sein. Nur, warum dasin einer Aktuellen Stunde diskutiert werden soll, ist mirnicht ganz klar. Das wird ein Dauerbrenner sein, solangees diese Bundesregierung gibt.
Meine Damen und Herren, ich hätte dem neuen Mi-nister gerne noch ein paar Wochen Zeit gegeben, damiter hier ein bißchen Profil zeigen kann, aber eines istdoch wohl richtig: Vom Mieterbund bis zum Gesamt-verband der Wohnungswirtschaft, vom Bundesrat bis zuden kommunalen Spitzenverbänden, von Fachzeitungenbis zu Tageszeitungen ist das Urteil einmütig. Die„Frankfurter Rundschau“, nicht gerade unionsnah, hatParl. Staatssekretär Achim Großmann
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5902 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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dies bei dem Wechsel des Ministers Müntefering zu Mi-nister Klimmt wie folgt betitelt: „Traurige Bilanz – einKonzept ist nicht zu erkennen.“ Das ist genau das, wor-über wir heute reden.Herr Kollege Großmann – inzwischen Herr Staatsse-kretär –, wir waren weiter. Wir hatten eine völlig durch-formulierte Reform des sozialen Wohnungsbaus.
Die haben Sie im Rahmen der Lafontaineschen Blocka-depolitik mit Ihren Mehrheiten im Bundesrat zynischscheitern lassen.
Der vorherige Bauminister Oswald hat zwar im Be-reich Wohngeld auch keine finanziellen Wunder voll-bringen können, aber es war immerhin eine Novelle vonetlichen Millionen DM drin.
Sie haben 1,5 Milliarden DM versprochen, und statt des-sen erscheint Wohngeld jetzt auf der Kürzungsliste die-ser Regierung,
indem Sie 2,5 Milliarden DM zu den Ländern und Ge-meinden schieben wollen. Meine Damen und Herren,das ist die eigentliche Tragik beim Wohngeld. Ich sagedas, damit Sie sich nicht wieder einmal blamieren.
Das ist der Super-GAU für diese virtuelle Wohngeld-novelle, weil das natürlich im Bundesrat nicht durch-geht. Deswegen hat sie Eichel aus dem Paket herausge-nommen. Entweder fehlen jetzt 2,5 Milliarden DM imBundeshaushalt, oder Sie sind ein ganzes Stück zurückhinter dem, was Minister Oswald Ihnen noch vor zweiJahren vorgeschlagen hat. Dann hätten wir schon eineWohngeldreform in diesem Land gehabt.
Dasselbe gilt für den sozialen Wohnungsbau. HerrStaatssekretär, Sie haben früher gesagt, Herr Kohl machtzu wenig, aber Sie haben die Mittel noch einmal hal-biert. Im frei finanzierten Wohnungsbau basteln Sie soviel am Steuerrecht herum, daß er einbricht. Die Eigen-heimförderung, die Sie so gelobt haben und bei der Siein Bundestag und Bundesrat zugestimmt haben, knab-bern Sie an allen Ecken an: vorne, was den Vorkosten-abzug betrifft, hinten, was die Eigentumsgrenzen be-trifft. Jetzt wird im Haus sogar schon diskutiert, ob mannicht eine Rückzahlungspflicht der Eigenheimzulage abeinem bestimmten Einkommen einführen sollte. Wersoll denn mit dieser politischen Grundlage in diesemLand überhaupt noch Wohnungen bauen, meine Damenund Herren?
Ich möchte auch in Richtung des Ministers sehrernsthaft sagen – daß er heute nicht dasein kann, akzep-tieren wir; der Terminkalender ist sehr ausgefüllt –: Siewerden alle anstehenden Reformvorhaben – sei es beimsozialen Wohnungsbau, sei es das angesprochene Alt-schuldenhilfe-Gesetz, sei es eine seriöse Wohngeldno-velle – nicht mehr in der arroganten Art machen können,in der Sie hier vor Jahr und Tag angetreten sind und ge-sagt haben: Was wollen Sie eigentlich? Wir brauchenSie nicht mehr. Sie brauchen uns dringender denn je, er-stens, weil Sie keine Mehrheiten mehr haben, undzweitens, damit Sie unsere Gedanken und unseren Fach-verstand endlich bitte wieder in Anspruch nehmen. Dazustehen wir bereit. Aber bisher ist Ihre Bilanz null.
Nun hat die KolleginFranziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen, dasWort.
Kollegen! Die PDS beantragt ohne Anlaß eine AktuelleStunde, hinter der mal wieder eine der üblichen PDS-Forderungen steht: Mehr Geld, mehr Geld, mehr Geld.So war auch Ihre Rede, Frau Kollegin Ostrowski. Auchzehn Jahre nach dem Mauerfall hat die PDS immer nochnicht begriffen, daß Geld ein begrenztes Gut ist und daßverantwortliche Politik auch mit den Leistungsgrenzenstaatlicher Finanzen umzugehen hat.
Das Ärgerliche daran ist – das möchte ich schon ein-mal deutlich sagen –: Ein wesentlicher Teil der Staats-verschuldung der letzten Jahre und der aktuellen Spar-zwänge ist nolens volens auch das Ergebnis des dramati-schen Herunterwirtschaftens der Städte, Wohnungenund Infrastruktur und der primitiven Bautechnik, die Sie40 Jahre lang in der DDR betrieben haben.
– Doch, das muß zehn Jahre nach dem Mauerfall nochmal deutlich gesagt werden.
Wir kritisieren die Politik und auch die Vereini-gungspolitik der alten Kohl-Regierung in den letztenzehn Jahren. Dabei wurden viele Schulden gemacht, dienicht nötig gewesen wären. Ich erinnere nur an die be-leuchteten Äcker im Osten und an die vielen Bürobau-ten, die jetzt leer herumstehen.Daher sollten wir die Fehler der Nachvereinigungs-politik der letzten zehn Jahre und die Fehler der 40 Jahrevorher, für die Sie stehen müssen, nicht einfach in einenTopf werfen. Sie können sich hier nicht unschuldig re-den und so tun, als könnte unsere Gesellschaft praktischDr.-Ing. Dietmar Kansy
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ständig Geld drucken und alles locker bezahlen. Hierstehen auch Sie mit in der Pflicht.
Es ist wahr, und wir haben keine Probleme, das zu-zugeben, daß wir einen starken Rückgang des sozialenWohnungsbaus haben. Das ist der Kern Ihrer Kritik. DerVerpflichtungsrahmen in Höhe von 3,4 Milliarden DMfür 1994 ist stark auf 1,3 Milliarden DM für 1998 – alsobereits unter dieser Regierung – gesunken. Und Sie ha-ben recht: Es gibt noch einen weiteren Abbau.Aber auf der anderen Seite – das hat StaatssekretärGroßmann eben sehr deutlich dargelegt – sind die Be-standspflege und die Bestandserhaltung sehr wohl vonallen Sparmaßnahmen ausgenommen worden. Das Pro-gramm „Soziale Stadt“ ist neu initiiert worden. DieStädtebauförderung ist erhalten geblieben. Die KfW-Kredite Ost sind wieder neu aufgelegt worden. Die CO2-Minderung ist erhalten geblieben, und wir haben – dasgeht in Richtung des Kollegen Kansy – die Wohngeldre-form geschafft, die Sie trotz Ihrer verbalen Forderungenauf Grund der finanziellen Situation nicht auf die Reihebekommen haben. Ich erinnere Sie nur an Ihren Antragund die fehlenden 250 Millionen DM, von denen Os-wald seinerzeit behauptet hat, er hätte sie. Er hat nie eineNovelle auf den Tisch legen können. Das sollten Sieendlich einmal zugeben. Daher appelliere ich gerade anIhre Verantwortung. Ich habe das hier schon mehrfachgetan. Ich finde es hochinteressant, daß Sie hier undauch neulich im Ausschuß deutlich ausgesprochen ha-ben, daß Sie die Wohngeldnovelle boykottieren wollen.Das müssen Sie vor der deutschen Bevölkerung und vorallen Wohngeldempfängern verantworten. Das ist IhreAufgabe. Wir werden noch sehen, wie Sie sich im Ver-mittlungsausschuß verhalten.
Ich möchte eines sagen. Wir brauchen im sozialenWohnungsbau nicht mehr so viel Geld wie früher, weiles nicht um Neubau geht. Wir brauchen aber sehr wohl –darum bemühen sich auch beide Koalitionsfraktionensehr intensiv – eine Reform des sozialen Wohnungs-baus. Wir brauchen dafür auch ein bestimmtes Mittel-kontingent als Basis. Aber die Aufgaben haben sich ver-ändert: Wir brauchen eine Bestandserneuerung. Wirbrauchen die Sicherung von Belegrechten, wir brauchendie Stabilisierung von Siedlungen und Stadtteilen, undwir brauchen mehr Wohnumfeldverbesserungen.Ich warne vor einer Wohnungspolitik, die – so, wieSie und die PDS das immer wieder sagen, was ange-sichts des Wohnungsleerstandes im Osten schon fastwitzig ist – immer nur auf mehr Bauen setzt, als ob dieNeubauzahlen etwas über die Qualität der Wohnungs-politik aussagen würden.
Daher geht es um veränderte Ziele. Dafür stehen wirauch in dieser Koalition.Lassen Sie mich ein Letztes kritisch sagen: Wir Bau-politiker von beiden Fraktionen der Koalition wissensehr wohl, daß die Kürzungen im Baubereich sehr vielgrößer waren als im Verkehrsbereich. Wir engagierenuns sehr, dieser Entwicklung ein Stück weit gegenzu-steuern. Ich erwarte von der Koalition und auch von derRegierung, daß sie dieses Bemühen unterstützt, dennohne eine wenigstens teilweise Stabilisierung der Mittelwird es uns nicht gelingen, die dringend notwendige Re-form im sozialen Wohnungsbau auf den Weg zu brin-gen. Dafür stehen wir gemeinsam in der Pflicht.
Das Wort hat der
Kollege Horst Friedrich, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!
Erhat von einer Eröffnungsbilanz mit einer gigantischenSchuldenlast gesprochen. Ich glaube, es ist mittlerweileunstrittig von allen verantwortlichen Institutionen fest-gestellt worden, daß rund 80 Prozent dieser Schuldenausschließlich Ergebnis der Finanzierung der deutschenEinheit sind. Ich finde es geradezu bezeichnend, daßHerr Großmann kurz vor dem zehnten Jahrestag desFalls der Mauer genau diese Tatsache mit Tränen in denAugen beklagt. Ich glaube, das wirft ein richtiges Bildauf diese Regierung.
Zum Thema: Diese Bundesregierung hat in ihrer bis-herigen einjährigen Amtszeit durchgehend Entscheidun-gen ausschließlich zu Lasten der Wohnungspolitik ge-troffen und weitere abschreckende Entscheidungen an-gekündigt.
Wenn Herr Großmann jetzt sagt, er würde das weiter-machen, kann ich nur sagen: Um Gottes willen! Dies giltvor allen Dingen für die Steuerpolitik. Stichworte hierzusind die Beschränkungen bei der Verlustverrechnungzwischen verschiedenen Einkunftsarten oder die Strei-chung des Vorkostenabzugs. Dies ist geradezu tödlichfür den Bestandskauf.
Zusätzlich verunsichert die permanente Diskussionüber Vermögensteuer, Vermögensabgabe oder Erb-schaftsteuererhöhung potentielle Investoren in denWohnungsbau aufs schärfste. Ich will nur hinzufügen:Die Erhöhung der Erbschaftsteuer im Rahmen der Strei-chung der Vermögensteuer hat diese Streichung mehrals überkompensiert. Der Wohnungsbau kann nicht an-dauernd der Steinbruch der Ausgleichsüberlegungen desFranziska Eichstädt-Bohlig
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Finanzministers sein. Um den Wahlbetrug komplett zumachen, wird die Wohngeldreform dadurch finanziert,daß man die Lasten auf die Kommunen verschiebt.Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, gerade Sie warendiejenige, die vor diesem Entschluß im Ausschuß undöffentlich getönt hat, Sie würden einer Verschiebung nurdann zustimmen, wenn Ihnen eine seriöse Gegenfinan-zierung präsentiert würde. Die seriöse Gegenfinanzie-rung besteht darin, daß man flapsig sagt: Die Kommu-nen mögen sich an der Differenz bedienen, die durch diegeringere Steigerung der Beamtengehälter in den Kom-munen aufgerechnet wird. Das war wahrscheinlich dergrößte Bauchklatscher in Ihrer Geschichte. Das ist eineLachnummer.
Damit zusätzlich zum privaten Wohnungsbau der öf-fentlich geförderte Wohnungsbau einbricht, kürzt dieseangeblich so soziale Regierung die Mittel für den sozia-len Wohnungsbau von 1,2 Milliarden DM auf 600 Mil-lionen DM.
Mich würde einmal interessieren, wie die Präsidentindes Deutschen Mieterbundes öffentlich reagiert hätte,wenn wir das in unserer Regierungszeit gemacht hätten– eine tolle Sache!
Es bleibt dabei: Die Bundesregierung Rotgrün arbei-tet aktiv an der zukünftigen Wohnungsnot. Die Proble-me werden uns sehr bald auf die Füße fallen. Rotgrünhat weder ein Konzept noch eine politische Zielvorstel-lung – es sei denn, man möchte, auf lange Sicht gesehen,Eigentumsbildung in Deutschland verhindern und alleMaßnahmen, die das fördern, beschließen.Wir brauchen in Deutschland eine neue Wohneigen-tumsoffensive. Das eigentlich Entscheidende, auch imHinblick auf die Rentendiskussion, ist doch eine Stär-kung des Wohneigentums und des Gedankens daran.
Sie machen mit allen Ihren Beschlüssen genau dasGegenteil. Niemand traut sich mehr, etwas zu entschei-den, weil zum Beispiel dieser berühmte § 2b, den Sieintelligenterweise beratungsresistent gegen allen Sach-verstand in Ihre Gesetzeswerke aufgenommen haben,jede Möglichkeit der Deutung offenläßt. Man kann vor-her wahrscheinlich nicht die eigentlich richtige Ent-scheidung schriftlich bestätigt bekommen. Das führtdann genau dazu, daß gar nichts entschieden und nichtinvestiert wird. Das, liebe Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, ist das Schlimmste, was uns passieren kann.
Noch ein Wort zur PDS. Ich kann die Krokodilsträ-nen im Zusammenhang mit der Altschuldenhilfe verste-hen. Aber so ganz ohne Verantwortung sind Sie dafürnicht. Ein Großteil der Wohnungsbaugenossenschaftenhat nämlich deswegen Probleme, weil jetzt auf Grundder verfehlten Industrie- und Siedlungspolitik der ehe-maligen DDR die Probleme massenhaften Leerstandesauf uns zukommen. Gegen jede Vernunft sind Unmen-gen von Wohnungen geschaffen worden, die jetzt über-haupt nicht mehr notwendig sind.
– Damals waren sie zwangsweise notwendig, weil mandie ganze DDR auf einige wenige Punkte konzentrierthat.Das ganze Thema ist in der Aktuellen Stunde viel-leicht nicht richtig angesiedelt. Aber die wohnungspoli-tische Katastrophenbilanz des vergangenen Jahres istimmer aktuell; deswegen kann man sie auch im Rahmeneiner Aktuellen Stunde diskutieren.Danke schön.
Das Wort hat die
Kollegin Gabriele Iwersen, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Das Thema dieser Aktuellen Stundelautet „Haltung der Bundesregierung zu den jüngstenKritiken hinsichtlich der Wohnungsbauförderung desBundes“. Das heißt, es geht nicht allgemein um Woh-nungsbaupolitik, sondern ganz speziell um die öffentlichgeäußerte Kritik an der Wohnungsbauförderung.Wohnungsbauförderung muß in jeder Periode andersbetrachtet werden. Sie hat andere Schwerpunkte, weilandere Probleme diese Gesellschaft belasten und be-drücken. In Zeiten großen Wohnraummangels hat dieSchaffung neuer Wohnungen eindeutig oberste Priorität.Zum Beispiel wird dem Kauf aus dem Bestand keinegroße Förderung zuteil, weil es zu keiner Schaffungneuer Wohneinheiten führt.
Dem steht manchmal ein Vorrang der Mieterprivati-sierung gegenüber, um zu verhindern, daß Mieter ausehemalig gemeinnützigen oder kommunalen Woh-nungsbeständen plötzlich in die Abhängigkeit von Spe-kulanten geraten.Auch der Gedanke der Altersvorsorge spielt durchauseine Rolle. Das heißt, es gilt, ständig aufs neue abzuwä-gen, wo Schwerpunkte zu setzen sind.An erster Stelle steht aber nach wie vor die Versorgungderjenigen, die sich aus eigener Kraft am Markt nicht ver-sorgen können. In den meisten Fällen sind das junge Fa-milien, die nicht nur finanzielle Probleme haben, sondernauch noch mit der sehr gering ausgeprägten Kinder-freundlichkeit bzw. der Intoleranz gegenüber Kindern zuHorst Friedrich
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kämpfen haben. Deshalb stehen die Familien mit Kindernim wahren Kindesalter in vorderster Reihe. Das wirdwahrscheinlich auch immer so bleiben, ganz gleich, wieunsere Gesellschaft finanziell ausgestattet ist.Es geht aber nicht darum, denjenigen, die eine schö-ne, ausreichend große Wohnung haben, nach dem Motto„Schöner Wohnen, und das immer wieder neu“ durchöffentliche Förderung zu noch schönerem Wohnraumoder zu zusätzlicher Vermögensbildung zu verhelfen.Das ist zwar auch ein wichtiges Ziel und wünschens-wert, aber dies muß nicht unbedingt die Aufgabe derWohnungsbaupolitik und kann nicht die Aufgabe eineshochverschuldeten Staates sein.Da hat die Wohngeldnovelle einen wesentlich höhe-ren Stellenwert. Denn die Stadtbevölkerung wird auch inZukunft zum großen Teil in Mietwohnungen leben, undsei es nur, um ihre Mobilität und Flexibilität zu bewah-ren; denn das wird von Arbeitgebern heutzutage mehrund mehr gefordert. Gerade wer in strukturschwachenRegionen lebt, macht häufig die Erfahrung, daß Wohn-eigentum ein wahrer Klotz am Bein sein kann. Da nutztauch die ideologische Untermauerung der Forderungnach mehr Wohneigentum nichts.
Die immer wieder geforderte Mobilität der Arbeitneh-mer steht dieser quasi erzwungenen Seßhaftigkeit, dieim wesentlichen durch Bausparkassen, aber auch durchpolitische Aussagen immer wieder untermauert wird,entgegen. Ich halte mich deshalb ganz stark zurück,wenn es um das allgemeine Lob steigender Eigentums-quoten geht. Denn auch diese Medaille hat zwei Seiten.
Der Bundesverband Freier Wohnungsunternehmenzweifelt die Begründung aus dem Haushaltssanierungs-gesetz an, wonach – ich zitiere – Haushalte, die auchohne staatliche Förderung in der Lage sind, ihr Wohnei-gentum zu finanzieren, auch weiterhin Wohneigentumerwerben werden.
– Die zitierte Bemerkung stammt aus der Begründungdes Haushaltssanierungsgesetzes. Der Zweifel kommtvom Bundesverband.
Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes wird vonallen gutgeheißen, quer durch die Bevölkerung, querdurch alle Schichten. Aber keiner kommt auf die Idee,zu überlegen, wer dazu einen Beitrag leisten könnte.Wo, bitte schön, soll denn gespart werden? Zu überlegenist, daß es doch viele Haushalte gibt, die gute, ausrei-chend ausgestattete Wohnungen, Auto, Urlaubsreisen,zwei- bis dreimal im Jahr, und dergleichen finanzierenkönnen. Das kann in Zeiten einer sehr angespanntenHaushaltslage nicht unbedingt die Zielgruppe der Woh-nungsbauförderung sein.
Der Staat muß zunächst da helfen, Herr Friedrich, wodie fehlende Leistungsfähigkeit gleichzeitig zu vermin-derten Chancen für die zukünftige Generation führt.Aber die kennen Sie ja gar nicht; denn F.D.P.-Wählerhaben ohnehin keine Kinder.
– Wenn Sie noch mehr Bemerkungen machen wollen,können Sie sich ja zu Wort melden. Es reicht langsam.
In den sozialen Brennpunkten unserer Städte muß dieHilfe ansetzen. Deshalb ist das Programm „SozialeStadt“ weitaus wichtiger als der Ausbau oder die Beibe-haltung der Wohneigentumsförderung in vollem Um-fange. Es war gut, daß man sie zeitweise hat leistenkönnen. Zur Zeit können wir dies leider nicht. Die Län-der arbeiten jetzt an den detaillierten Programmen zur„Sozialen Stadt“, und wir haben nun die Aufgabe, einestabile Finanzierung und ein gutes Instrument zu schaf-fen, um in den Brennpunkten unserer Städte Hilfe zu lei-sten, wo Menschen sonst versacken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluß kommen. Dies ist eine Aktu-
elle Stunde.
Ich habe noch eine Minute
gut, weil hauptsächlich Herr Friedrich gesprochen hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
So etwas gibt es hier
leider nicht. Sie müssen sich schon wie alle anderen an
die Spielregeln halten.
Zum Schluß noch eineeinzige Bemerkung: Wenn ich mir anschaue, welcheZielgruppen Kritik geäußert haben – die einen sagen, derZweipersonenhaushalt, vermutlich ohne Kinder, werdejetzt nicht mehr gefördert; dies sei ganz schrecklich;„Haus und Grund“ hat sogar die ledigen und geschiede-nen Facharbeiter als die Geplagten und Geprellten aus-gemacht –, dann habe ich den starken Verdacht, daß sichdie Kritik hauptsächlich auf die Interessen der Interes-senvertreter und nicht auf die Probleme derjenigen be-zieht, die gefördert werden sollen.Schönen Dank.
Gabriele Iwersen
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Gert Willner.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Erstens. Sozialer Wohnungsbauwird zur Mangelware. Die SPD bricht ihre Verspre-chen bezüglich des sozialen Wohnungsbaus: Im erstenSchröder-Jahr gab es 250 Millionen DM weniger Bun-desfördermittel. Im zweiten Schröder-Jahr gab es 750Millionen DM weniger. Im dritten Schröder-Jahr gabes 900 Millionen DM weniger. Die SPD kürzt binnenzweier Haushaltsjahre die Mittel radikal um 60 Pro-zent, obwohl Wohnungsbau ein Investitionsschwer-punkt ist. Gleichzeitig schrumpft der Bestand an Woh-nungen. Damit stehe der Wohnungsbau vor dem Aus,so Mieterbunddirektor Franz-Georg Rips, der weitergesagt hat: Preiswerte und bezahlbare Mietwohnungenwerden in den nächsten Jahren Mangelware sein.Zweitens. Rotgrün vernichtet Arbeitsplätze.
Der Bau von 10 000 neuen Wohnungen erzeugt Be-schäftigungseffekte von 20 000 Arbeitsplätzen je Woh-nungsbauprogramm. Durch Ihre Wohnungsbaupolitikverhindern Sie jeden Monat den Bau Tausender neuerWohnungen. Sie schließen die Augen vor der Tatsache,daß allein der Erneuerungsbedarf auf 350 000 bis400 000 Wohnungen geschätzt wird. Sie hatten vor derWahl noch vollmundig erklärt, in rotgrüner Verantwor-tung den Bau von Sozialwohnungen zu stärken. Dieüberzogenen Einschnitte in den Wohnungsbau sind zumißbilligen. Sie stellen eine Schwächung der Investiti-onskraft dar. Die Politik darf die Augen vor dem alar-mierenden Auftragsrückgang im Hochbau nicht ver-schließen.
Wer den Rückgang der Arbeitslosigkeit zu seinemHauptziel erklärt, kann dies nur mit dem arbeitsintensi-ven Baugewerbe und nicht gegen das Baugewerbeschaffen.
Wir brauchen eine Verstetigung in der Bauwirtschaftund keinen Zickzackkurs. Ihre Wohnungsbaupolitik imsozialen Wohnungsbau führt in die Sackgasse.Drittens. Die Begrenzung der Verlustverrechnung istebenfalls der falsche Weg. Dies ist der falsche An-satz in der Wohnungsbaupolitik und führt zur Verun-sicherung über die Behandlung von Investitionen imMietwohnungsbau. Die Begrenzung der Verrechen-barkeit von Verlusten aus Vermietung und Verpach-tung wird zu einem breiten Ausstieg aus dem frei fi-nanzierten Wohnungsbau führen. Aber es ist wichtig,daß auch weiterhin privates Kapital für den Woh-nungsbau mobilisiert wird. Der Mietwohnungsbau wirdschließlich zu rund zwei Dritteln frei finanziert undstellt bisher eine zentrale Stütze der Wohnungsver-sorgung dar.Viertens. Es war unsinnig, den Vorkostenabzug fürErhaltungsaufwendungen zu streichen. Auch hier gehenSie den falschen Weg. Damit ist auch die Mieterprivati-sierung – darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen –benachteiligt worden.Fünftens. Wir benötigen eine Einigung über die Re-form der rechtlichen Grundlagen des sozialen Woh-nungsbaus. Dies ist überfällig. Wir brauchen eine Be-standsförderung gleichrangig neben der Neubauförde-rung. Wir brauchen mehr vereinbarte Förderung. Wirbrauchen mehr kommunale Entscheidungsfreiheit. Wirbrauchen eine stärkere Durchmischung der Bestände.Aber dies setzt eine angemessene Bereitstellung vonMitteln für den sozialen Wohnungsbau voraus. Der jet-zige Verpflichtungsrahmen ist dafür keine geeigneteGrundlage.
Sechstens. Rotgrün erhöht die Wohnnebenkosten.Dies ist ebenfalls der falsche Weg. Wir alle wissen, daßsich inzwischen die Wohnnebenkosten praktisch zu ei-ner zweiten Miete entwickelt haben. Die privaten Haus-halte – Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger –werden in besonderer Weise durch die Ökosteuer bela-stet. Dieser Personenkreis hat keine Chance, sich Entla-stung zu verschaffen. Dies ist der falsche Weg.Es drohen Kürzungen der Bauinvestitionen bei denkommunalen Wohnungsunternehmen. Wenn die vonRotgrün geplante Nachversteuerung der abschreibungs-bedingten Verluste als verdeckte GewinnausschüttungWirklichkeit wird, dann führt dies zu Steuernachforde-rungen in dreistelliger Millionenhöhe. Die betroffenenUnternehmen werden vor unlösbare Probleme gestellt.Es drohen Investitionskürzungen bei der Modernisie-rung, der Instandhaltung und dem Neubau. Das könnenSie doch nicht wollen. Auch hier gehen Sie den falschenWeg.Achtens. Eine Nullquote des Bundes bei der Mitfi-nanzierung der Wohngeldnovelle ist inakzeptabel. Das,was Sie mit der Wohngeldreform vorhaben, ist eineplumpe Verschiebung auf Länder und Gemeinden. Dasist schon diskutiert worden.Neuntens. Sozialhilfeempfänger können die Verliererder Wohngeldreform sein. Es ist nämlich nicht auszu-schließen, daß die Gemeinden faktisch gezwungen sind,die Sozialhilfeempfänger in für die Gemeinden dann fi-nanzierbarem Wohnraum unterzubringen – und dasheißt doch: möglichst einfach, möglichst billig und mei-stens schlecht –, wobei nicht ausgeschlossen ist, daßdann auch neue Containerbauten oder Wohnheime ent-stehen. Auch dies kann doch, bitte sehr, nicht Ihr Zielsein.
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort: Eigen-heimförderung ist Altersvorsorge. Die private Altersvor-sorge muß künftig einen höheren Stellenwert einneh-men. Wer an der Eigenheimförderung herumschnippelt,leistet einen schlechten Dienst für die Konjunktur und
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5907
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für die private Altersvorsorge. Dem selbstgenutztenWohnungseigentum kommt eine herausragende Bedeu-tung zu.
Wohnungseigentum stellt neben der Rentenversicherungdie zweite Säule der Versorgung dar. Wir müssen Ei-genheimförderung konsequent erhöhen und dürfen sienicht abbauen.Meine Damen und Herren, all dies zeigt: Sie sindnicht auf dem richtigen, sondern auf dem falschen Weg.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Hel-mut Wilhelm.Helmut Wilhelm (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-men und Herren! Der Anlaß dieser Aktuellen Stunde zurjüngsten Kritik hinsichtlich der Wohnungsbauförderungdes Bundes ist geeignet, die überaus wichtigen Fragenund Erfordernisse einer modernen und sozialen Woh-nungsmarktwirtschaft nochmals für die Öffentlichkeit zudebattieren. Allerdings meine ich, aus dieser Debattewerden weder die PDS noch die OppositionsparteienKapital schlagen können, wie sie es sich sicherlich er-hofft haben. Denn wir alle wissen doch ganz genau, daßes nicht verantwortet werden kann, die öffentliche Handin eine Verschuldung zu treiben und damit strukturellhandlungsunfähig zu machen, seien die Motive auchnoch so edel.
„Der von der Bundesregierung eingeschlagene Wegder Haushaltskonsolidierung ist vom Prinzip her rich-tig“, sagt auch der GdW-Bundesverband deutscherWohnungsunternehmen. Darum stehen bei Rotgrün dieStaatsverschuldung und die damit verbundene Reduzie-rung der Kreditaufnahme und der Zinslast ganz obenauf der politischen Tagesordnung. Neue Mittel lockerzu machen ist nicht möglich. Wer dies fordert, handeltohne politisches Verantwortungsgefühl, rein populi-stisch, und weckt in der Öffentlichkeit falsche Hoff-nungen, die aus den bekannten Gründen unerfüllbarbleiben müssen.
Damit wird aber die Wohnungspolitik vor ganz neueHerausforderungen gestellt.Wachsende Aufgaben müssen mit sinkenden Etatsbewältigt werden. Das heißt, wir müssen die vorhande-nen Mittel auf vordringliche Aufgaben konzentrieren.Wohnungspolitik und Wohnungsbauförderung nach demGießkannenprinzip sind nicht mehr bezahlbar. Wer unterdiesen Umständen aber den Mut zu Reformen nicht auf-bringt, statt dessen aus populistischen Gründen lediglichForderungskataloge einreicht und prompte Erfüllungverlangt, verspielt den sozialen Auftrag der Wohnungs-politik.„Mehr Staat ist in der Regel nicht gleichbedeutendmit mehr Gerechtigkeit oder sozialer Kompetenz“, wirdzu Recht auch vom GdW bemerkt. Statt dessen müssendie eigenverantwortlichen Handlungsspielräume derbeteiligten Akteure gestärkt werden. Darum hat dieBundesregierung das Programm „Soziale Stadt“ aufge-legt, ein Programm mit „konzeptioneller Vorbildfunkti-on“, wie ebenfalls der GdW urteilt.Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf sollendurch eine Kombination des Einsatzes investiver Bun-desmittel und nichtinvestiver Landes- und Gemeinde-mittel vor dem Umkippen bewahrt werden. 100 Millio-nen DM jährlich, 300 Millionen DM insgesamt werdendafür vom Bund bereitgestellt. Daneben werden dasCO2-Minderungsprogramm sowie das Wohnungsbau-modernisierungsprogramm in vollem Umfang weiterge-führt. Ebenso wird die Städtebauförderung auf dem bis-herigen Niveau fortgesetzt. Die Schaffung eines neuenMietrechts ist in die Wege geleitet. Dies, meine Damenund Herren, ist angesichts der Haushaltsproblematik eingroßer Erfolg. Das ist verantwortliche Wohnungspolitik,
nicht aber, Wohnungseigentumsförderung ohne Ein-kommensobergrenze – sprich: für Millionäre – zu for-dern, wie das die F.D.P. in der letzten Ausschußsitzunggetan hat.
Wir können und werden uns jetzt natürlich nicht zu-frieden zurücklehnen und die Probleme als gelöst be-trachten. Wir alle in diesem Haus müssen stärker alsbisher lernen, die soziale und räumliche Dimension derWohnungspolitik zu verstehen, um geeignete Steue-rungsinstrumente zu entwickeln. Das Programm „So-ziale Stadt“ war nur der Anfang; darum engagieren wirGrüne uns besonders für Konzepte zum Abbau vonLeerständen, insbesondere im östlichen Teil Deutsch-lands.Bestandserneuerung und Stabilisierung von Nachbar-schaften und Quartieren sind Ziele unserer Wohnungs-politik.
Wir brauchen Wohnungsbaugesellschaften und Träger,die nicht nur auf den Neubau spezialisiert sind, sondernauch auf die Stabilisierung und Verbesserung von Nach-barschaften. Diese Aufgaben brauchen einen rechtlichenRahmen und werden diesen auch erhalten. KonstruktiveBeiträge der Opposition werden dabei gern aufgenom-men.Gert Willner
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5908 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Ich meine, die Wohnungsbauförderung der Bundes-regierung befindet sich auf einem guten Weg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der
Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Lie-be Kolleginnen und Kollegen! Die Wohnungsbaupolitikder Bundesregierung, besonders die, die Ostdeutschlandbetrifft, gleicht der Situation auf der Kommandobrückeder Titanic. Aus lauter Freude und Eitelkeit über dasschmucke Aussehen des Dampfers werden gefährlicheEisberge ringsum zuhauf kaum zur Kenntnis genommen.
Auf der Regierungsbank, Herr Staatssekretär Groß-mann, herrscht offenbar viel Zufriedenheit. Aber die vonKollegin Ostrowski aufgeworfenen Fragen aus dem Le-ben der Bürgerinnen und Bürger haben Sie leider nichtoder nur unzureichend beantwortet. Derweil aber sindostdeutsche Wohnungsunternehmen an vielen Standor-ten kurz vor dem Absaufen mit Auswirkungen auf Mie-terinnen und Mieter. Das, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, wird die PDS nicht hinnehmen.
Allein in Sachsen-Anhalt stehen – um ein Problemherauszugreifen – derzeit 150 000 Wohnungen leer. Dassind etwa 15 Prozent aller verfügbaren Wohnungen. Inder Berg- und Rosenstadt Sangerhausen, in Wolfen imChemiedreieck oder in Stendal in der Altmark liegt dieLeerstandsquote bei annähernd 25 Prozent. Im Rathausder Großstadt Halle an der Saale sind derzeit von insge-samt 150 000 Wohnungen 17 000 als leerstehend be-kannt. Die Leerstandsquote in Ostdeutschland wächstund wächst.
Kollege Staatssekretär Großmann, dazu haben Sie leiderwenig ausgeführt.Der Hauptgrund für den Leerstand in vielen Städtenist der Wegbruch von Arbeitsplätzen und die daraus re-sultierende massenhafte Bevölkerungsabwanderung.Ganze Ballungsgebiete wurden plattgemacht. Ein Bei-spiel: Mit der Schließung der Schächte im MansfelderRevier in Sachsen-Anhalt sind 1990 mit einem Schlag18 000 Menschen arbeitslos geworden. Das hatte natür-lich Auswirkungen auf die Bevölkerungsbewegung.Wohnungsmarktbedingte Abwanderung ins Umlandverschärft dieses Problem noch. Wer über ein sicheresEinkommen oder ein entsprechendes Guthaben verfügt,zieht oft aus der Stadt ins Grüne. Ein anderer Teil wie-derum, der zunehmend wächst, muß aber dableiben,kann seine Miete, vor allem die ausufernden Betriebsko-sten, kaum noch oder bereits nicht mehr bezahlen.Mit fehlenden Mieteinnahmen wegen Leerstands inMillionenhöhe und Millionenverlusten wegen Miet-schulden aber kann kein Wohnungsunternehmen beste-hen, vor allem dann nicht, wenn es zusätzlich noch vonirrationalen Privatisierungsauflagen – ich wiederhole: ir-rationalen Privatisierungsauflagen – aus dem Altschul-denhilfe-Gesetz geknechtet wird.
Wohnungsunternehmen in Sachsen-Anhalt sind von die-sem Zustand ganz besonders betroffen.Es wird für die Bundesregierung allerhöchste Zeit,endlich einen auf die Veränderung der Lage abzielen-den Kurs einzuschlagen. Notwendig sind sofort koor-dinierte Maßnahmen von Bund und ostdeutschen Län-dern, für die die PDS konkrete Vorschläge und Finan-zierungsalternativen unterbreitet hat. Ich nenne diewichtigsten:Erstens. Notwendig ist die sofortige Streichung derAltschulden nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz.
Wir erwarten, Herr Staatssekretär, daß Sie Ihren vielenAnkündigungen nunmehr Taten folgen lassen. Auchheute gab es wieder nur vage Ankündigungen. Noch indiesem Jahr gehört ein Gesetzentwurf auf den Tisch desBerliner Reichstages.Zweitens. Dringend geboten ist die Mitfinanzierungdes Bundes bei städtebaulichen und infrastrukturellenMaßnahmen in den betreffenden Neubaugebieten, ein-schließlich dem Rückbau vorhandener Wohngebäude.Drittens. Rasch erforderlich ist die Bereitstellung vonBundes- und von Landesbürgschaften für Wohnungs-unternehmen, die wegen Leerstand in Not geraten sind.Darüber sollte noch während der laufenden Beratungenzum Bundeshaushalt 2000 entschieden werden.Viertens. Notwendig ist die Verankerung einer Mo-dellstadtinitiative für betreffende Neubaugebiete imBundeshaushalt, analog dem Programm zur Sanierungostdeutscher Innenstädte.Und auch die Finanzierung dieser und weitererMaßnahmen im Bundeshaushalt kann gesichert wer-den. Es ist nicht so, daß das Geld nicht vorhandenwäre. Ein ganz wichtiger Weg zur Mobilisierungder Finanzen ist: Die Bundesregierung soll endlichnachweisbar und anhaltend auf die Finanzierung derverkehrspolitisch fragwürdigen MagnetschwebebahnTransrapid verzichten.
Allein mit diesem Projekt soll im nächsten Jahr rund1 Milliarde DM sprichwörtlich in den märkischen Sandgesetzt werden – und dies in einer Situation, in dergleichzeitig die Wohnungsunternehmen in Ostdeutsch-land vielerorts vor dem Zusammenbruch stehen.Herr Staatssekretär Großmann, es gibt viel zu tun.Packen Sie es in der Bundesregierung endlich an, undsteuern Sie einen neuen, einen bürgerfreundlichen Kursauch in der Wohnungsbaupolitik an! Das Geld hierfür istHelmut Wilhelm
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da. Sie müssen aber politische Entscheidungen dazutreffen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der
Kollege Dieter Maaß, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Eine der Oppositionsparteien in
diesem Hause, die PDS, fordert eine Aktuelle Stunde
unter dem Titel „Haltung der Bundesregierung zu den
jüngsten Kritiken hinsichtlich der Wohnungsbauförde-
rung des Bundes“.
Man müßte noch hinzufügen, daß einiges dieser Kri-
tik ursprünglich von einem Verband geäußert wurde und
nun im Bundestag diskutiert werden soll. So etwas
bringt der antragstellenden Partei natürlich Aufmerk-
samkeit, ohne daß sie selbst ihre Position eindeutig for-
mulieren muß.
Gleichwohl enthält die Entschließung auf dem Ver-
bandstag des Gesamtverbandes deutscher Wohnungs-
unternehmen, GdW, positive und kritische Bewertungs-
merkmale unserer Wohnungspolitik. Ich möchte einige
dieser Bewertungen aufgreifen.
Ebenso wie wir ist der GdW der Meinung, daß der
soziale Wohnungsbau beibehalten werden muß. Er ist
ein wichtiger Bestandteil einer sozial gerechten Gesell-
schaft, und er ist eine ständige Aufgabe jeder verant-
wortlichen Bundesregierung.
Zustimmung bekommen wir vom GdW auch zu unse-
rem Projekt „Soziale Stadt“. Stadtteile mit besonderem
Entwicklungsbedarf vor dem Umkippen zu bewahren,
nennt auch der Gesamtverband deutscher Wohnungsun-
ternehmen zukunftsweisend.
Eine weitere Forderung des GdW-Verbandstages,
nämlich die Vereinheitlichung und Erhöhung des Ta-
bellenwohngeldes, haben wir bereits im Ausschuß für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen beschlossen.
Die von uns getragene Bundesregierung steht vor der
großen Aufgabe, den Bundeshaushalt zu sanieren. 1 500
Milliarden DM Schulden müssen wir abbauen, weil die
Handlungsfähigkeit des Staates wiederzugewinnen und
zu erhalten ist. 81 Milliarden DM Zinsleistungen pro
Jahr können nicht hingenommen werden. Unter dieser
Prämisse sind die aktuellen wohnungspolitischen Pro-
bleme aufzugreifen und zu lösen.
Darum ist eine Reform des sozialen Wohnungsbaus
notwendig. Ziel dieser Reform muß es sein, die vorhan-
denen Mittel effizient und zielgerichtet für bedürftige
Haushalte und in Gebieten mit besonderen sozialen Pro-
blemen einzusetzen. Angesichts auslaufender Belegbin-
dungen muß die Förderung verstärkt zum Erhalt von
Bindungen, zur Bestandserneuerung und zur Stabilisie-
rung der vorhandenen Wohnquartiere eingesetzt werden.
Ich füge hinzu: Wir müssen für Frauen und Männer,
die eine Familie gründen wollen, die Wohnberechtigung
im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus neu gestalten.
Auf Grund der geltenden Einkommensgrenzen haben sie
praktisch keinen Zugang zum sozialen Wohnungsbau.
Wie in Zukunft die Fehlbelegerabgabe angewandt wird,
hängt natürlich davon ab, ob sie den Erhalt von durch-
mischten Wohngebieten steuern kann. Zustimmung er-
halten wir auch zu der Fortsetzung des KfW-
Modernisierungsprogramms. Im Haushalt 2000 tragen
wir dem Rechnung.
Überlegenswert finde ich auch die Anregung, eine
Neufassung der Genossenschaftsförderung vorzuneh-
men. Als damalige Opposition mußten wir im Eigen-
heimzulagengesetz die Einschränkung auf neu gegrün-
dete, einkommensorientierte Genossenschaften akzeptie-
ren, um überhaupt eine steuerliche Förderung für Ge-
nossenschaftsmitglieder durchzusetzen. Eine entspre-
chende Neuregelung bleibt einer Reform des sozialen
Wohnungsbaus vorbehalten.
In seiner Entschließung macht der Gesamtverband
deutscher Wohnungsunternehmen weitere Vorschläge
zu dieser notwendigen Reform. Beispiele sind die Teil-
marktorientierung der Förderpolitik und die Ver-
gleichsmiete an Stelle der Kostenmiete. Selbst der
größte Kritiker unserer Politik wird nicht erwarten, daß
wir nach einem Jahr Regierungsverantwortung auch die-
se Reform schon auf den Weg gebracht haben. Wenn
wir diese Reform einleiten, wird es Gespräche und An-
hörungen geben. Was von den in diesem Zusammen-
hang gemachten Vorschlägen sinnvoll und machbar ist,
wird dann Berücksichtigung finden. Für eine wirkliche
Reform des sozialen Wohnungsbaus müßten allerdings
die in der Finanzplanung des Bundes für diesen Zweck
vorgesehenen Mittel angehoben werden.
Meine Schlußfolgerungen zu diesem Thema lauten:
Insgesamt gesehen können wir mit der Kritik, wie sie
der Gesamtverband deutscher Wohnungsunternehmen
vorbringt, gut leben. Denn auch der GdW bescheinigt
der Bundesregierung, mit dem eingeschlagenen Weg –
vom Prinzip her – richtig zu liegen. Die SPD-geführte
Bundesregierung hat angesichts der vorgefundenen
Haushaltssituation die Weichen richtig gestellt, einen
undifferenzierten Kahlschlag im sozialen Wohnungsbau
vermieden und die notwendigen Reformen auf den Weg
gebracht.
Natürlich sind wir noch nicht am Ziel; aber die
Richtung stimmt. Das noch einmal vor dem Bundestag
erklären zu können, hat diese Aktuelle Stunde immerhin
ermöglicht.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Norbert Otto.Dr. Uwe-Jens Rössel
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5910 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Mitglieder der Regie-
rungsfraktionen, mit wachsender Verwunderung können
wir beobachten, wie Sie es seit einem Jahr kontinuierlich
schaffen, sozialdemokratische Grundsätze über Bord zu
werfen. Daß Sie dabei ein großes Stück Ihrer Identität
aufgeben und eine große Masse von Stammwählern ver-
prellen und verlieren, kann uns als CDU/CSU nur recht
sein. Relativ egal könnte uns auch sein, daß Sie mit Ihrer
Politik schamlos die eigenen Wahlzusagen brechen. Be-
dauerlich und vor allen Dingen ärgerlich ist es aber, daß
Sie mit Ihrer Wohnungspolitik einem nicht unerhebli-
chen Teil der Bevölkerung und vor allem der deutschen
Wirtschaft massiv schaden.
Die jüngst beschlossenen Kürzungen im Bereich des
sozialen Wohnungsbaus sind ein gutes Beispiel dafür.
Einst stand doch der soziale Wohnungsbau im Mit-
telpunkt Ihrer Wohnungspolitik. Die Fakten sehen in-
zwischen so aus: Kürzungen um 250 Millionen DM im
ersten rotgrünen Jahr, 750 Millionen DM weniger im
zweiten Jahr und im dritten rotgrünen Jahr sogar
900 Millionen DM weniger Fördermittel, sofern Sie die-
ses Jahr als Koalition überhaupt noch erreichen. Summa
summarum kürzen Sie die Mittel für den sozialen Woh-
nungsbau also innerhalb von drei Jahren um knapp
2 Milliarden DM. Statt der versprochenen Erhöhung der
Mittel bedeutet dies eine Halbierung der Mittel gegen-
über dem letzten Haushaltsplan der Regierung Kohl. Sie
würgen mit diesen Kürzungen ebenso wie mit der Redu-
zierung der Eigenheimförderung nicht nur die Baukon-
junktur ab, Sie verringern damit langfristig auch den Be-
stand an bezahlbarem Wohnraum für einkommens-
schwache Personen und Familien. Ist das sozialdemo-
kratische Politik?
Sie wissen genauso gut wie wir, daß die aktuellen
wohnungspolitischen Probleme in den Wohnungsbe-
ständen und im Auftreten sozialer Erosion in den Wohn-
siedlungen liegen. Durch das Auslaufen der Bindungs-
fristen sinkt der Bestand an Sozialwohnungen jährlich
um 100 000 Einheiten. Preiswerte und bezahlbare Miet-
wohnungen werden in den nächsten Jahren Mangelware.
Weil das so ist, ist Ihr Instrument der drastischen För-
dermittelkürzung insbesondere in den neuen Bundeslän-
dern ein vollkommen falscher Ansatz.
Hören Sie doch auf die Stimmen der Experten der Bau-
und Wohnungsbranche. Der GdW, der heute schon
mehrfach angesprochen wurde, hat vor wenigen Tagen
mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, in
der die Bundesregierung dringend davor gewarnt wird,
den sozialen Wohnungsbau Schritt für Schritt zurückzu-
fahren oder gar ganz auf ihn zu verzichten. Der Direktor
des Deutschen Mieterbundes spricht angesichts Ihrer
Pläne sogar von einem Aus des sozialen Wohnungsbaus.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in den nächsten
Tagen werden wir, die CDU/CSU-Fraktion, einen An-
trag zur Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes
einbringen. Staatssekretär Großmann hat schon darauf
hingewiesen, daß wir mit diesem Antrag eine Entlastung
der Wohnungsunternehmen in den neuen Ländern errei-
chen wollen. Die verhaltene Wirtschaftsentwicklung und
ein teilweise spürbarer Bevölkerungsrückgang haben
dazu geführt, daß insbesondere in strukturschwachen
Regionen ein erheblicher Wohnungsleerstand zu ver-
zeichnen ist. Leerstandsquoten von deutlich über
10 Prozent sind inzwischen keine Seltenheit. In nicht
wenigen Fällen stehen sogar 20 Prozent des Wohnungs-
bestandes leer. Viele der betroffenen Unternehmen ha-
ben daher große Probleme, ihre Altschulden zu bedie-
nen. Das bedeutet auch, daß die Unternehmen im Mo-
ment noch auf zum Teil dringende Sanierungs- und Mo-
dernisierungsmaßnahmen verzichten müssen. Anstatt
diese schwierige Umorientierungsphase durch weitere
Kürzung der Fördermittel unnötig zu verlängern, erwar-
ten wir von der Bundesregierung, daß den Unternehmen
eine weiterer Teilerlaß bei den Altschulden gewährt
wird. Dadurch wird sowohl den Unternehmen als auch
den potentiellen Wohnungskäufern geholfen.
Natürlich wollen wir keine Rückabwicklung des Alt-
schuldenhilfe-Gesetzes, wie von der PDS schon vor ei-
niger Zeit und jetzt wieder in einem zweiten Antrag et-
was moderater gefordert wurde. Nein, das geht nicht,
das würden unsere Wohnungsunternehmen in dieser Art
auch gar nicht wollen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungs-
koalition, Mitglieder der Bundesregierung haben wie-
derholt die Umsetzung entsprechender Zusagen in der
Koalitionsvereinbarung in Aussicht gestellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Otto, auch
Sie müssen zum Schluß kommen.
Ja, ich komme
zum Schluß. – Geschehen ist bisher noch nicht viel. Statt
mit der Axt zu einem Kahlschlag bei der Wohnungsbau-
förderung anzusetzen, sollte die Bundesregierung lieber
die vorhandenen Mittel zielgerichteter und sinnvoller
einsetzen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Spanier.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich michzum einen bei der PDS für die Beantragung der heutigenAktuellen Stunde, zum anderen aber auch bei dem ge-mischten Chor der Kritiker unserer Wohnungspolitik –von Herrn Dr. Kansy bis zu Frau Ostrowski – bedanken,weil ich die Gelegenheit habe, im Deutschen Bundestagöffentlich darauf aufmerksam zu machen, daß wir imBereich der sozialen Wohnungspolitik in diesen Tageneinen ganz entscheidenden Reformschritt nach vorne
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5911
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machen. Der GdW hat nämlich recht, wenn er sagt: DasWohngeld ist und bleibt das zentrale Steuerungsinstru-ment in der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft. – Ge-nau an diesem Punkt setzen wir an; genau dieses Instru-ment wollen wir wieder treffsicher und wirksam ma-chen.
Wir haben eine Wohngeldnovelle vorgelegt, die nichtnur mehr Geld, nämlich 1,4 Milliarden DM, bereitstellt,was in diesen Zeiten – das ist allen in diesem Parlamentklar – ein finanzieller Kraftakt ist. Daß dies der PDSzuwenig ist, ist völlig klar. Sie verfahren ja grundsätz-lich nach dem Prinzip: Wir wollen alles und von allemnoch ein bißchen mehr. Diesen Weg können wir natür-lich nicht gehen.
Wir haben, wie gesagt, nicht nur mehr Geld bereitge-stellt, sondern wir haben auch die qualitativen Reform-schritte endlich durchgesetzt, die wir gemeinsam – überalle Fraktionsgrenzen hinweg – seit Jahren gefordert ha-ben. Wir haben jetzt endlich ein einheitliches Wohngeld.Wir haben die Einkommensgrenzen und die Miet-höchstbeträge angehoben. Wir haben eine deutlich stär-kere Familienkomponente eingeführt. Wir haben es so-gar geschafft, eventuelle Minderungen des Wohngeldesin den neuen Bundesländern – dort gab es im Vergleichzu den alten Bundesländern bislang ein deutlich höheresWohngeld – durch eine Härtefallregelung auszuglei-chen.
Dies müßte geradezu das Entzücken der F.D.P. her-vorrufen: Wir haben es endlich geschafft, das Wohn-geldgesetz deutlich zu vereinfachen. Wir haben die teil-weise Gleichstellung von Wohn- und Wirtschaftsge-meinschaften mit Familien erreicht. Folgender Punktfindet neben vielen anderen Punkten die Zustimmungdes GdW: Wir haben nämlich das pauschalierte Wohn-geld den Ländern und Kommunen zugeordnet. DerGdW sagt dazu – ich möchte ihn ausdrücklich zitieren –:„Dies ist ordnungspolitisch vom System her wün-schenswert.“
Wichtig ist natürlich der finanzielle Ausgleich. Ichbitte Sie, schlicht und einfach in unser Haushaltskonso-lidierungsgesetz hineinzuschauen. Gerade Sie von derCDU/CSU und der F.D.P. haben hier eine große politi-sche Mitverantwortung im Bundesrat, auf die Sie derGdW hinweist. Auf Ihre Unterstützung kommt es an,daß nach 1991 endlich wieder eine Wohngeldnovellewirksam wird.
Sie sollten sich in diesem Zusammenhang einmal ge-fälligst an Ihre Wahlversprechen erinnern.
Sie haben es gerade den einkommensschwachen Miete-rinnen und Mietern klar in die Hand versprochen, daß eseine Wohngeldverbesserung geben wird. Inhaltlich lie-gen wir also überhaupt nicht auseinander. Ich habe inder Ausschußberatung von Ihrer Seite kein entsprechen-des Gegenargument gehört.
Ich sage nun: Butter bei die Fische und im Bundesratkeine Blockade und keinen Boykott, sondern ein ge-meinsames Auf-den-Weg-Bringen dieser Wohngeldre-form!
Sie ist nämlich auch im Hinblick auf die Sozialleistun-gen ein ganz wichtiger Schritt. Es wird oft kritisiert, daßSozialleistungen nicht treffsicher, nicht zielgerichtet sei-en. Beim Wohngeld gibt es wohl keine Zweifel.
Damit können wir denjenigen helfen, und zwar treffsi-cher, die es am nötigsten haben.Heute war von der Wohnungsbauförderung die Rede.Hier sollten Sie die Objektförderung und die Subjektför-derung – das ist doch sonst Ihr Steckenpferd – in einemZusammenhang sehen. Man kann diese beiden Dingenicht voneinander trennen. Es handelt sich hier um einenwirklichen Fortschritt, und ich bitte Sie ganz dringend,diesen Fortschritt nicht zu behindern.
Ich will Ihnen an Beispielen deutlich machen, wasSie den Mieterinnen und Mietern vorenthalten würden.Der Rentner oder die Rentnerin, alleinstehend, mit1 400 DM Rente und 518 DM Mietbelastung, Mietstu-fe 3 – ich will keine weitere Einzelheiten ansprechen –hat in den alten Bundesländern bisher ein Wohngeld –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Spa-
nier, auch Sie muß ich an die Redezeit erinnern.
– sofort – von 19 Mark
bekommen. Dies steigt nun auf 80 DM an. Eine Familie
mit zwei Kindern und einem Alleinverdiener mit rund
4 000 DM Bruttoeinkommen und 1 055 DM Mietbela-
stung bekam in den neuen Bundesländern bisher ein
Wohngeld von 41 DM. Nach dieser Novelle bekommt
sie ein Wohngeld von 166,25 DM. Wenn Sie dies den
Mieterinnen und Mietern vorenthalten wollen, dann
wünsche ich Ihnen auf Ihrem Weg kein Glück. Sie wer-
den aber sicherlich die Konsequenzen zu spüren be-
kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr.Michael Meister, Sie haben das Wort für die Fraktionder CDU/CSU.Wolfgang Spanier
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5912 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächsteinmal möchte ich feststellen, daß wir heute über denrichtigen Weg in der Wohnungspolitik streiten können.Das war in den 40 Jahren ehemaliger DDR nicht mög-lich. Es ist ein Riesenvorteil, heute die Möglichkeit zuhaben, über den richtigen Weg zu diskutieren.
Die größte Herausforderung für die Wohnungspoliti-ker der Gegenwart ist die Überwindung der 40 Jahre so-zialistischer Mißwirtschaft, die Sie als Antragsteller die-ser Aktuellen Stunde zu verantworten haben. Sie stellenuns vor diese großen Herausforderungen. Deshalb strei-ten wir heute über die Frage, was wir leisten können undwas nicht.Sehr geehrter Herr Staatssekretär Großmann, Siehaben hier gesagt, das Thema Energieeinsparverord-nung stünde ganz oben auf Ihrer Agenda und Sie wür-den dies voranbringen. Ich möchte Ihnen hier entge-genhalten, daß das, was Sie hier leisten, der Offen-barungseid rotgrüner Umweltpolitik ist. Seit zwölfMonaten gibt es nichts als Ankündigungen und kei-nerlei Vorlage. Von einer rotgrünen Bundesregierunghätten wir in diesem zentralen Feld der Umweltpolitikendlich Aktivitäten und Handlungen erwartet, nicht nurAnkündigungen.
Es war schon entlarvend, hier die Sprecher der SPD,Herrn Großmann, Herrn Maaß und Herrn Spanier, ge-hört zu haben. Diese haben sich nämlich nicht mit denInhalten der Wohnungsbaupolitik auseinandergesetzt,sondern nur über allgemeine haushaltspolitische Ziel-vorgaben diskutiert. Zukunftsweisende, gestalterischeElemente blieben Mangelware. Seit einem Jahr wartenwir auf die Reformen, die Herr Wilhelm von der Frakti-on Bündnis 90/Die Grünen gefordert hat. Keine Re-formmaßnahme ist in dieser Zeit von Ihnen auf denTisch gelegt worden. Das ist ein Offenbarungseid IhrerWohnungsbaupolitik.
Wir hören immer: Wir müssen sparen. Selbstver-ständlich müssen wir sparen. Aber man muß sich natür-lich die Frage stellen, wie. Herr Wilhelm hat zu Rechtdarauf hingewiesen, daß nicht mit dem Rasenmäher ge-spart werden solle. Sie aber gehen leider nicht die Kon-sumausgaben an, sondern die Investitionen. Deshalb er-reichen Sie möglicherweise unter rein fiskalpolitischenKriterien Erfolge. Sie werden aber einen riesigen Scha-den in unserem Land anrichten, und zwar für die Bau-wirtschaft und die Volkswirtschaft insgesamt. Die Wirt-schaft verlangt nämlich nicht nur niedrige Zinsen undgute Rahmenbedingungen, die noch auf unsere Verdien-ste in der Wirtschaftspolitik zurückgehen, sondern aucheine verläßliche Politik und verläßliche Rahmenbedin-gungen. Wenn man Ihr Treiben in den letzten zwölfMonaten beobachtet hat, dann kann man von vielem re-den, aber mit Sicherheit nicht von verläßlichen Rah-menbedingungen für die deutsche Wirtschaft. Deshalbist Ihnen vorzuhalten, daß Sie Attentismus in der Bau-wirtschaft erzeugt haben.
Sie haben sich in der Koalitionsvereinbarung dafürausgesprochen, das dritte Standbein, die private Alters-vorsorge, stärken zu wollen. Was haben Sie im Frühjahrgetan? Sie haben den Vorkostenabzug aus dem Steuer-gesetz gestrichen. Jetzt haben Sie vor, die Einkommens-grenzen für die Eigenheimzulage abzusenken. Was Siedamit tun, ist das genaue Gegenteil: Sie schwächen dieprivate Altersvorsorge.
Entlarvend ist auch das, was von Frau Ostrowskinicht gesagt worden ist. Es geht hier auch um die Woh-nungsbauförderung. Von ihr fiel kein Wort zur Eigen-heimzulage. Was bedeutet das? Das zeigt uns ihr Ver-ständnis von Wohneigentum. Auch das sollten wir denMenschen in diesem Land sagen: Sie wollen keinWohneigentum in diesem Land. Das sollten Sie dannaber auch offen sagen.
– Nein, das ist doch Ihre klare Aussage.
Eine zweite Aussage möchte ich machen: Ich fand essehr interessant, was Frau Kollegin Iwersen hier vorge-tragen hat. Als Herr Großmann noch Sprecher der SPDim Bauausschuß war, war ich immer davon ausgegan-gen, daß auch die SPD-Fraktion diese Form der Eigen-tumsförderung und damit die Erhöhung der Wohnei-gentumsquote anstrebt. Die Rede der Frau KolleginIwersen stellte aber eine Distanzierung von diesem Zieldar; es war eine Abkehr von dem, was Sie in den ver-gangenen Wahlperioden mitgetragen haben. Vielleichtsollten Sie das einmal in Ihren eigenen Reihen ausdis-kutieren. Sie sollten Ihr Verhältnis zur Förderung priva-ten Wohneigentums wieder in Ordnung bringen.
In das Ganze paßt auch hinein, was Sie aktuell disku-tieren. Bei Ihnen wird über eine Vermögensabgabe, eineErbschaftsteuererhöhung und eine Vermögensteuer dis-kutiert. Ihr Fraktionsvorsitzender, Kollege Struck, sagt,man müsse die Erbschaftsteuer erhöhen. Aus derselbenFraktion kommt von Herrn von Larcher der Vorschlag,die Freigrenze für privates Wohneigentum bei300 000 DM zu ziehen. Meine Damen und Herren, ma-chen Sie sich einmal klar, was das bedeutet! Wen wollenSie damit eigentlich noch dazu bekommen, privatesWohneigentum zu bilden?Dann kommt in diesem wunderbaren Zusammenhangder weitere Vorschlag, darüber nachzudenken, ob mannicht die Eigenheimzulage in einigen Jahren zurück-zahlen solle. Meine Damen und Herren, wen wollen Siemit solchen Aussagen dazu ermutigen, Wohneigentum
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5913
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zu bilden? Wer soll unter solchen Umständen noch Geldin die Hand nehmen und investieren? Das habe ich mitAttentismus gemeint. Sie sollten endlich begreifen, wasSie hier anrichten, und Schaden von diesem Land ab-wenden.Danke sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Rednerin in
dieser Aktuellen Stunde ist die Kollegin Angelika Mer-
tens, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Es ist schon sehr erstaunlich, daßPDS, CDU/CSU und F.D.P. hier gemeinsam als RobinHood verkleidet auftreten. Alle drei Parteien haben in denletzten Jahren – jede auf ihre Weise – Verantwortung ge-tragen. Es wäre letztlich ehrlicher, hier nicht als RobinHood, sondern Sheriff von Nottingham aufzutreten.
Ich möchte zur Einordnung die Frage aufwerfen, werwarum kritisiert. Ich habe mir nämlich angewöhnt, Kri-tik danach zu beurteilen, ob sie sich erstens im Bereichder Weltuntergangsszenarien bewegt. Ein Szenario ist,daß Hunderttausende von Arbeitsplätzen gefährdet sind.Rechnet man einmal zusammen, welche Zahlen unsbeim Steuerentlastungsgesetz 1999 begleitet haben,dann müßten wir uns heute in einem Zustand kurz nachdem Untergang der „Titanic“ befinden. Das Gegenteilist aber der Fall. Die Prognosen für das nächste Jahr sindübereinstimmend gut, und in diesem Jahr war es soschlecht auch nicht. Mit unserem Mix aus Angebots-und Nachfragepolitik sind wir auf dem richtigen Weg.
Eine zweite Variante der Kritik ist, daß man als Ver-bandsvertreter oder Lobbyist die Aufgabe hat und in derRegel auch dafür bezahlt wird, möglichst viele der eige-nen Vorstellungen durchzusetzen. Je nach Tempera-ment, Muskeln und eigenem Status kann man das alsangenehm oder weniger angenehm empfinden. Damithaben wir in 50 Jahren Bundesrepublik umzugehen ge-lernt.Drittens stelle ich die Frage, ob partikular kritisiertwird oder ob der Kritiker bzw. die Kritikerin bereit ist,auch andere Bereiche als nur den eigenen einzubezie-hen. Eine Kritik, die gleichzeitig die gesellschaftlichenund finanziellen Verhältnisse berücksichtigt, nehme ichsehr wohl ernst. Die Gesellschaft differenziert sich im-mer mehr; man könnte vielleicht auch sagen, daß sieimmer ausdifferenzierter wird. Dieser Zustand bringtuns nicht nur Probleme, sondern auch eine Menge anMöglichkeiten, das Leben zu gestalten. Als Politiker undPolitikerinnen müssen wir, wenn wir wollen, daß dieMenschen in dieser Gesellschaft miteinander und nichtgegeneinander leben, die Ausdifferenzierungen aufneh-men, nicht aber die Partikularinteressen. Um das umzu-setzen, müssen wir Konzepte für die verschiedenen Pro-blemlagen anbieten. Das letzte Jahr hat mir jedenfallsgezeigt, daß es bei den geäußerten Kritiken und neuenForderungen ratsam ist, eine Art Diskrepanzanalyse vor-zunehmen.Wir haben einige Grundsatzentscheidungen getroffen,die wir für richtig halten, weil sie gesellschaftspolitischwichtig sind und die Verteilung von unten nach obenkorrigieren. Wir haben zum Beispiel die Spekulations-fristen verlängert, weil es nicht vertretbar ist, de factokeine Besteuerung realisierter Wertzuwächse im Privat-vermögen vorzunehmen.
Wir haben die vollständige Verrechnung von Einkünftenaus Vermietung und Verpachung mit den Einkünftenanderer Art beschnitten, weil es nicht gerechtfertigt ist,in dieser Höhe alle Steuerzahler an der Vermögensbil-dung einzelner zu beteiligen. Und wer hätte das gedacht:Die Welt ist nicht untergegangen. Der Rückgang beimWohnungsbau hat sehr, sehr wenig mit dem Steuerentla-stungsgesetz, aber sehr viel mit der Marktlage und mitder individuellen Kaufkraft zu tun.
Wohnungspolitik muß im übrigen in erster Linie derVersorgung in quantitativer und qualitativer Hinsichtdienen, nicht aber der individuellen Vermögensbildung.Was die individuelle Vermögensbildung angeht, so ist esdurchaus vertretbar, selbstgenutztem Eigentum Vorrangvor dem Immobilieneigentum zu geben. Der Anteil desImmobilieneigentums liegt im übrigen sehr viel höherals der Anteil des selbstgenutzten Eigentums, nämlichbei ungefähr 53 Prozent im Westen und bei immerhin36 Prozent im Osten.Es ist vielfach auf den Entschließungsantrag desGdW Bezug genommen worden, der anläßlich des Ver-bandstages am 27. Oktober in München verabschiedetworden ist. Ich möchte zum Schluß an Hand des Antra-ges durchgehen, was dieser Verband eigentlich fordert.Er fordert eine Anpassung und eine Reform in fast allengesellschaftlichen Bereichen. Da kann ich nur sagen:D'accord; da sind wir auf dem Weg. Er sagt: Subventi-onsabbau ist kein Selbstzweck. – Auch wir sagen das.Aber wir sind übrigens auch nicht diejenige Partei, diesagt: Nur eine nicht vorhandene Subvention ist eine guteSubvention. – Ferner fordert er, überforderte Nachbar-schaften als Herausforderung für Wohnungsunterneh-men und die Wohnungspolitik zu begreifen. Wir sindmit dem Programm „Soziale Stadt“ auf dem richtigenWeg.
Wir verfolgen dabei einen neuen Politikansatz, der inte-grativ ist und der uns in diesem Bereich auch wirklichweiterbringt. Er fordert außerdem, daß die soziale Stadtmit Priorität weiter ausgebaut werden soll. Das könnenwir demnächst alle gemeinsam beschließen. Dann for-dert er eine Wohngelderhöhung. Wir sagen dazu: Das istzwingend erforderlich.Ich will Ihnen, Dr. Kansy, einmal etwas sagen: Ichglaube, Ihre Verbitterung kommt daher, daß Sie das inzehn Jahren nicht geschafft haben. Ich habe Ihr VerhaltenDr. Michael Meister
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5914 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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im Ausschuß mitbekommen. Es war auch ein bißchenschwierig für Sie. Sie haben sich jedesmal die Zähne aus-gebissen, und dann kommen drei Mädels, Gleicke, Eich-städt-Bohlig, Mertens, und machen zusammen mit Groß-mann, Heyer, Mittler und mit Vesper eine Wohngeldre-form. Das muß bitter für Sie sein. Aber ich denke, die Re-gelungen beim Tabellenwohngeld, die wir jetzt hinbe-kommen haben, können auch Sie unterstützen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Mer-
tens, Sie müssen zum Schluß kommen.
Gut.
Wir könnten jetzt auch die weiteren Punkte durchge-
hen. 95 Prozent sind es vielleicht nicht, aber 90 Prozent
dessen, was der GdW fordert, können auch wir fordern.
Die PDS sollte mit ihren Forderungen nach mehr
Geld aufhören. Geld allein macht nicht glücklich; das
erzählen Sie uns ebenfalls immer. Ich erwarte von Ihnen
auch mehr Konzepte, soweit Sie das bei Ihrer Scheu-
klappenpolitik überhaupt leisten können.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zu der heute morgen unterbrochenen Beratung des Ent-
wurfs des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Kran-
kenversicherung ab dem Jahr 2000 zurück. Es ist ein
Antrag der Fraktionen der F.D.P. und der CDU/CSU auf
Vertagung der Beratung auf morgen angekündigt wor-
den.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege Jörg
van Essen, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir haben vorhin im Ältestenrat
den Antrag gestellt, heute abend nicht wieder in die De-
batte zur Krankenversicherung einzutreten
und statt dessen morgen früh zu Beginn der Tagesord-
nung die namentliche Abstimmung durchzuführen.
Warum haben wir diesen Vorschlag gemacht, der lei-
der von den Koalitionsfraktionen abgelehnt worden ist?
Sie haben heute morgen mitbekommen, daß sich im
Laufe der Beratung herausgestellt hat, daß in der Bera-
tungsunterlage Fehler sind.
Wir haben deshalb auch die Sondersitzung des Ältesten-
rates gehabt. In dieser Sitzung habe ich vorgeschlagen,
daß die Vorlage noch einmal durchgegangen wird,
weil es nämlich Indizien dafür gab, daß sich noch wei-
tere Fehler finden würden. Wir alle kennen die Gründe,
nämlich die schnelle Beratung, die ständigen Ände-
rungsanträge, die in die Ausschüsse gegangen sind.
Wie berechtigt dieser Verdacht war, hat sich gezeigt,
als auf Vorschlag des Bundestagspräsidenten eine Son-
dersitzung des Gesundheitsausschusses stattfand, in der
ein weiterer Fehler, nämlich betreffend die Knapp-
schafts- und Seeschiffahrtsversicherung, entdeckt wur-
de, der beseitigt werden kann.
Nachdem schon bei dieser kursorischen Beratung ein
weiterer Fehler festgestellt wurde, haben wir das Gefühl,
daß es Sinn macht, daß das Ausschußsekretariat in Zu-
sammenarbeit mit den Mitarbeitern des Gesundheitsmi-
nisteriums – denn immerhin handelt es sich um einen
Gesetzesvorschlag der Bundesregierung – noch heute
abend sorgfältig prüft, ob weitere Fehler vorliegen.
So hätte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses
morgen früh die Möglichkeit, auf die redaktionellen
Fehler hinzuweisen. Wir sind durchaus offen dafür, daß
Sie, Herr Kirschner, diese Gelegenheit ergreifen. Das
macht deutlich, daß wir nicht Tricks anwenden,
daß uns nicht an einer Verzögerung gelegen ist, sondern
daran, daß wir eine klare und eindeutige Beratungs-
grundlage haben.
Ich bedauere sehr, daß die Koalitionsfraktionen die-
sem vernünftigen Kompromißvorschlag nicht folgen.
Wenn Sie dagegen stimmen, hat das im übrigen eine
klare Konsequenz: Sie tragen die Verantwortung, daß
die Beratungsgrundlage, über die wir abstimmen, tat-
sächlich in Ordnung ist. Wir werden Sie da in die Ver-
antwortung nehmen.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Wilhelm
Schmidt, Sie haben das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsi-dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich ha-be mir gerade das Protokoll der Debatte von heute mor-gen geben lassen und will noch einmal auf folgendeshinweisen: Der Ausschußvorsitzende Herr Kirschner hatvor diesem Hause vorgetragen, daß sich die Fehler aufAngelika Mertens
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5915
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den Seiten 152 sowie 394/395 – einschließlich der In-krafttretensvorschrift – der Beschlußempfehlung alsFehler der Übermittlung zwischen Ausschußsekretariatund Druck darstellen.
Die Fehler sind – das hat sich heute nachmittag in derSondersitzung des Gesundheitsausschusses eindeutiggezeigt – nur technischer und redaktioneller Art. Sie än-dern am Charakter, am Inhalt des Gesetzes nicht im ent-ferntesten etwas.
Darum ist all das, was die Opposition hier gerade ver-sucht, nur als Geschäftsordnungstrick zu bezeichnen.
Wir werden uns das nicht bieten lassen.
Wenn Herr van Essen, der sich als Handlanger für dieganze Geschichte hergegeben hat
– wir können das genauso wie Sie –, so tut, als habe erVerantwortung für dieses Gesetz zu übernehmen,
dann ist das heuchlerisch. Das hat die F.D.P. niemalsvorgehabt.
Wir haben heute nachmittag in der Sondersitzung desGesundheitsausschusses und in der Sitzung des Älte-stenrates – das kann ich ganz leidenschaftslos berichten– festgehalten, daß nicht eine einzige Vorschrift der Ge-schäftsordnung eine Grundlage dafür bieten würde, denGesetzgebungsgang aufzuhalten.
Weder § 122 unserer Geschäftsordnung noch § 86 unse-rer Geschäftsordnung können herangezogen werden,weil es sich eben nur um einen redaktionellen, einentechnischen Fehler handelt
und weil wir nicht im entferntesten Gefahr laufen, demWillen, den die Ausschußmehrheit im Gesundheitsaus-schuß zum Ausdruck gebracht hat – und der ansonsteneindeutig aus der Beschlußempfehlung, die hier vorliegt,hervorgeht –, nicht zu entsprechen.
Es ist klar, meine Damen und Herren, liebe Kollegin-nen und Kollegen, daß, wie Herr Kirschner heute mor-gen gesagt hat, in der Ausschußberatung zwei Anträgezurückgezogen worden sind.
– Nein, nein, das andere ist die Inkrafttretensvorschrift.Sie gehört zum zweiten Punkt. Sie müßten eben wissen,worum es geht. Dann können Sie sich auch Ihre Zwi-schenrufe sparen.
Insofern ist klar gewesen, daß diese Vorschriften he-rausgenommen werden sollten. Wir wollten damit übri-gens allen am Verfahren Beteiligten, auch Ihnen, einenSchritt entgegenkommen. So ist auch klar, daß damit derWille zumindest der Mehrheit des Hauses dargestelltworden ist.Daher sehen wir überhaupt keine Möglichkeit, in die-ser Frage heute noch einmal den von Ihnen, wie ich finde,vordergründig vorgetragenen Argumenten Rechnung zutragen. Wir wollen auch nach außen hin überhaupt nichtden Eindruck entstehen lassen, wie Sie ihn offensichtlichzu erwecken versuchen, als sei hier schlampig gearbeitetworden. Hier ist nicht schlampig gearbeitet worden.
Dabei bleibt es. Das ist festgestellt worden. Darumwollen wir, daß noch heute abend namentlich abge-stimmt wird.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der
Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind aufdem besten Weg, uns als Parlament bis auf die Knochenzu blamieren.
Noch hat die Koalition es in der Hand, dies zu verhin-dern. Wir haben dazu ein Angebot gemacht.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,mein Fraktionsvorsitzender Wolfgang Schäuble hatheute früh in seiner Rede deutlich gemacht, daß es sichWilhelm Schmidt
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5916 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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bei diesem Thema um ein außerordentlich sensiblesThema handelt.
Wo, wenn nicht bei der Gesundheit, sind die Menschenganz unmittelbar, existentiell berührt? Weil dem so ist,hat jeder, der politische Verantwortung trägt, dafür zusorgen, daß gerade auf diesem Gebiet mit allergrößterSorgfalt gearbeitet wird. An dieser Sorgfalt mangelt es.
Verehrter Kollege Schmidt, Sie haben soeben gesagt,wir wollten nur den Gang des Verfahrens aufhalten.
Wir haben im Laufe dieser Woche, obgleich es uns sehrschwergefallen ist, erklärt, daß wir auf eine Fristeinredeverzichten, damit heute dieses Gesetz gelesen werdenkann, weil dies Ihr Wunsch war.
Wir haben also niemandem Steine in den Weg gelegt.
Aber was ist das Ergebnis? Das Ergebnis ist,
daß wir seit letzter Woche bis zum gestrigen Tag – ge-stern noch einmal 60 Seiten Änderungsanträge – 510Seiten Änderungsanträge zu diesem Gesetz bekommenhaben, die der Beratung zugeführt werden mußten. Dar-über hinaus haben wir eine Beschlußempfehlung undden Bericht von zusammen immerhin auch über500 Seiten bekommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Ko-alition, der Bericht und die Beschlußempfehlung sindheute früh den Berichterstattern der CDU/CSU- und derF.D.P.-Fraktion zugestellt worden. Kollege Kirschner hatim Ältestenrat selbst eingeräumt, daß auch er sehr kurzfri-stig, nämlich erst heute, diesen Bericht bekommen habe.
– Das ist bis heute von den beiden Berichterstatternnicht unterschrieben worden.Während der Beratung heute vormittag haben Kolle-gen aus meiner Fraktion und aus der F.D.P.-Fraktionzwei Fehler festgestellt. Wir haben mit Ihnen darübergesprochen. Wir wären sogar bereit gewesen, dieseFehler zu heilen. Dazu gibt es geschäftsordnungsmäßigeMöglichkeiten. Plötzlich haben wir aber gemerkt, daß esin diesem Zusammenhang noch andere Unsicherheitengibt. Deshalb haben wir dann den Ältestenrat angerufen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir habenim Ältestenrat auf Vorschlag des Herrn Bundestagsprä-sidenten, weil wir alle der Meinung waren, daß es hierKlärungsbedarf gebe, beschlossen, diesen Bericht nocheinmal an den Gesundheitsausschuß zurückzuverweisen,um mögliche Unstimmigkeiten, Ungereimtheiten aus-zumerzen.Der Sachverhalt war wie folgt: Als unsere Kollegenim Gesundheitsausschuß in die Diskussion eintreten undim Auftrag des Ältestenrates eine kursorische Durch-sicht vornehmen wollten, kam ein Geschäftsordnungs-antrag der SPD, der lautete: Schluß der Debatte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie habendamit nicht nur dem Vorschlag des Bundestagspräsi-denten, sondern auch dem Vorschlag und der Bitte desÄltestenrates eklatant widersprochen.
Im Laufe des Verfahrens sind zwei weitere Mängeloffenkundig geworden, die ebenfalls noch nicht ausge-räumt sind. Verehrte Frau Präsidentin, bei einem sowichtigen Thema muß das Hohe Haus doch wissen,worüber es abstimmt! Hier haben wir Klärungsbedarf.
Wir haben deshalb ein weiteres Angebot gemacht.Das lege ich jetzt auch hier auf den Tisch, um keinerleiLegendenbildung zuzulassen.
Der Präsident war der Meinung, wir sollten die Beratungin der nächsten Woche fortführen. Das war der Vor-schlag des Präsidenten.
Mein Vorschlag war: Wir nehmen trotz bestimmterBedenken § 122 der Geschäftsordnung zur Hand undsorgen noch heute abend für eine Klärung, indem sichder Ausschußvorsitzende, Vertreter des Ministeriumsund unsere Obleute noch einmal zusammensetzen undfür Rechtsklarheit sorgen. Dann sind wir bereit, morgendie zweite und dritte Lesung durchzuführen. Dies ent-spräche einer Heilung gemäß § 122 der Geschäftsord-nung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Repnik,
ich muß Sie leider an Ihre Redezeit erinnern.
Nach einigen we-nigen Anmerkungen, Frau Präsidentin, bin ich amSchluß.
Hans-Peter Repnik
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5917
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Meine Damen und Herren, der eigentliche Grund,weshalb heute abgestimmt werden muß und nicht mor-gen abgestimmt werden soll, ist der, daß Sie sich mor-gen Ihrer Mehrheit nicht sicher sind. Deshalb zwingenSie uns in dieses Verfahren.
Abschließend möchte ich nur sagen: Sie haben miteiner unglaublichen Arroganz der Mehrheit einmal mehrversucht, Ihre Unfähigkeit zu vertuschen.
Sie reihen dieses Gesundheitsgesetz in eine Fülle vonPeinlichkeiten ein: 630-Mark-Gesetz, Scheinselbstän-digkeit, Renten- und Steuerreform.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Rep-
nik!
Dazu kommt jetzt
noch die Gesundheitsreform.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Repnik,
das ist eine Geschäftsordnungsdebatte, in der – das wis-
sen Sie am besten – die Redezeit fünf Minuten beträgt.
Wir unterstützen
den Antrag und bitten Sie darum,
unser Angebot anzunehmen,
morgen zu beraten und abzustimmen. Wir stehen zu die-
sem Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Parlamentari-
sche Geschäftsführerin, Frau Kollegin Kristin Heyne.
FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber KollegeRepnik, lieber Kollege van Essen, ich bin sehr beruhigt,feststellen zu können, daß Sie die Geschäftsordnung ge-nauso auslegen wie wir, daß Sie beide bestätigen, daßdas Verfahren, das hier stattfindet, in keiner Weise ge-gen die Geschäftsordnung verstößt. Darüber bin ich sehrberuhigt.
Es hat in diesem Bericht einige kleine Übertragungs-fehler gegeben. Alle diese Übertragungsfehler haben mitwenigen Änderungen zu tun, die gestern im Ausschußvorgenommen wurden. Übrigens ist es ein Zeichen fürdie Ernsthaftigkeit des Verfahrens, daß wir diskutierenund auch ändern. Diese Fehler haben alle mit diesemkleinen engen Bereich der Änderungen von gestern zutun. Das heißt, es gibt jetzt überhaupt keinen Anlaß, alleSeiten zu wälzen und zu hoffen und zu glauben, es mögesich noch ein weiterer Fehler finden. Das ist Ihnen seitheute morgen nicht gelungen.
Bitte, seien Sie doch nicht so vergeßlich. Sie kennendas Regierungsgeschäft. Denken Sie an das Verkehrs-wegeplanungsgesetz in der letzten Legislaturperiode.Wie viele Änderungen daran haben Sie hier noch münd-lich vorgetragen!Es ist ein ganz normaler Prozeß: Es gibt bei 500 Sei-ten starken Berichten Übertragungsfehler. Die Ge-schäftsordnung sieht vor, wie man damit umgeht undwie man das korrigiert. Das ist ein völlig normales Ver-fahren. Wir hätten, so wie es in der Geschäftsordnungvorgesehen ist, die Änderungen ganz normal vortragenlassen können, und wir hätten beschließen können. DaßSie den Ältestenrat an so einer Stelle einberufen, ist, wiewenn man mit Kanonen auf Spatzen schießt.
Kollege Repnik, Sie haben gut und eindrücklich vor-geführt, worum es Ihnen geht, wenn Sie über die Be-deutung dieses Gesetzes sprechen. Es ist richtig: DiesesGesetz ist wichtig. Aber hier ging es um eine rein tech-nische Frage, um keine politische und um keine inhaltli-che. Die Inszenierung, die wir heute erlebt haben, dientdazu, zu verunsichern und den Eindruck zu erwecken,daß mit diesem Gesetz irgend etwas problematisch ist.Das ist nicht der Fall. Das wissen Sie ganz genau.
Wir haben in der Runde der Parlamentarischen Ge-schäftsführer sehr einvernehmlich beschlossen, daß wirgerne morgen hochaktuell – daran sind die Oppositionund wir interessiert – über die Klimakonferenz disku-tieren werden. Uns wird ein ganz aktueller Bericht überdie dortigen Geschehnisse vorgetragen. Deswegen wa-ren wir gemeinsam der Meinung, daß es gut ist, nichtmorgen bis in den späten Abend zu tagen, sondern dieHans-Peter Repnik
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5918 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Themen aufzuteilen und morgen über die Klimakon-ferenz, die erst heute beendet wird, zu diskutieren. Ichfinde es gut, daß wir uns in dieser Runde einigenkonnten. Ich denke, das sollten wir auch weiterhin sohandhaben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ichkann Ihnen einen Verdacht nicht ersparen: Wenn Sie so-viel Wert auf die Geschäftsordnung legen, dann soll dasdoch nur überdecken, daß Sie in der ganzen Debatteheute keinerlei Alternativen zu diesem Gesetzentwurfaufgezeigt haben.
Wir haben heute einen guten Gesetzentwurf vorge-legt,
der durch Integration und durch Vorsorge das Angebotverbessert. Dieses Gesetz wird es ermöglichen – das istauch Ihr erklärtes Ziel –, die Kostensteigerungen zu be-grenzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Hey-
ne, das ist eine Geschäftsordnungsdebatte.
Ich
werde Ihnen klarmachen, warum ich das sagen muß.
Schließlich – das ist das Wichtigste –: Dieses Gesetz
stärkt die Patienten. Deswegen empfehle ich Ihnen: Las-
sen Sie uns jetzt abstimmen! Stimmen Sie diesem Ge-
setz zu! Es ist ein gutes Gesetz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat der Kollege Roland Claus.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Wie alle Fraktionen hat es sich auchunsere Fraktion bei dieser Entscheidung nicht leichtge-macht. Sie werden bei der Abstimmung merken, daß wirnicht den für uns leichtesten Weg gehen wollen. Inso-fern ist es schwierig, daß jetzt noch eine solche Verfah-renskomplizierung eintritt.Ich will Ihnen eines sagen: Aus unserer Sicht handeltes sich nicht um ein Zeitproblem. Die Frage ist nichtmehr, ob man diesen Gesetzentwurf heute abend oder –nach einiger Einsicht – morgen früh abschließend be-handelt. Es schmerzt mich ein wenig, sagen zu müssen:Das eigentliche Problem besteht im mangelnden Grund-vertrauen in den Umgang miteinander. Zu diesem Pro-blem haben insbesondere die großen Fraktionen einigesbeigetragen.
Ich will deutlich sagen: Nicht nur die Opposition,sondern auch die Koalition und die Bundesregierung ha-ben uns in dieser Debatte wirklich einiges zugemutet.Sie, die Mitglieder von Koalition und Bundesregierung,haben sich auch selbst einiges zugemutet. Ich meine, Siewissen das auch. Sie müssen nicht mit den Muskeln undmit den Mehrheiten spielen.
Wenn Ihnen die CDU/CSU vorwirft, Sie kämen mitsolchen Paketen immer so kurzfristig, dann sagen Sieständig: Das haben Sie früher auch so gemacht! Sie den-ken, Sie haben damit ein Argument. Ich finde, das machtes aber nicht besser. Sie kritisieren doch, daß das früherso gemacht wurde.
Über die Situation ist hier schon geredet worden.Man hätte einen Korrekturversuch unternehmen können.Die Koalition hat sich jetzt einer Interpretation zuge-wandt, die besagt: Wir gehen über § 122 der Geschäfts-ordnung. Ich finde, das ist ein ziemlich dünnes Eis; denndieser Paragraph ist eindeutig mit „Übersendung be-schlossener Gesetze“ überschrieben und verweist darauf,daß Druckfehler oder offenbare Unrichtigkeiten korri-giert werden können. Wenn ich mir anschaue, worum eshierbei geht, ist es nicht so offensichtlich, daß er zutrifft.Ich hatte im Ältestenrat einen anderen Weg vorge-schlagen, nämlich den Weg über § 84 der Geschäftsord-nung. Wenn sich im Ausschuß alle darüber einig sind,daß es sich nur um einen Übermittlungsfehler handelt,stellt man eben einen Änderungsantrag, so wie dies üb-lich ist. Daraufhin sagt mir natürlich die Koalition: Aberdann haben wir ein Problem, weil unsere Geschäftsord-nung vorsieht, daß die dritte Lesung erst zwei Tage da-nach stattfinden kann.
Auch dafür bietet die Geschäftsordnung eine Lösung.Wir können mit Zweidrittelmehrheit beschließen, daßdies ausgesetzt wird. Ich fand, es gab Signale aus derOpposition, daß wir so verfahren können.
Aber Sie haben natürlich auch einiges dafür getan, die-ses Grundvertrauen gegenüber der Opposition zu stören.Und die Interpretation der Geschäftsordnung, die Kolle-ge Schmidt vorhin gegeben hat, finde ich in der Tatabenteuerlich.
Sie gehen immer von dem hohen Gut der Geschäfts-ordnung aus – das ist völlig in Ordnung – und betonendas Recht. Aber wenn Ihnen Recht und Geschäftsord-nung einmal im Wege stehen, dann qualifizieren SieKristin Heyne
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5919
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Einwände als formalrechtlich ab. Das finde ich aus-drücklich nicht in Ordnung.
Auch bei uns sind Zweifel geblieben, ob sich weitereFehler in der Vorlage verstecken. Dennoch sehen wirkeinen Sinn mehr darin, zu fragen, ob wir jetzt odermorgen darüber abstimmen sollen. Wir werden uns des-halb bei dieser Geschäftsordnungsabstimmung enthal-ten. Sie müssen es dann verantworten, mit dem Ergebnisumzugehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen jetzt
zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der
F.D.P. sowie der CDU/CSU auf Vertagung der Beratung
auf morgen. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Vertagungsan-
trag ist gegen die Stimmen der F.D.P.- und CDU/CSU-
Fraktion bei Enthaltung – –
– Der Vertagungsantrag ist gegen die Stimmen der
F.D.P.- und der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der
PDS-Fraktion abgelehnt.
– Wenn es Zweifel an diesem Ergebnis gibt, müssen
dies die Schriftführerinnen und Schriftführer signalisie-
ren. – Aus unserer Sicht ist das Mehrheitsverhältnis ein-
deutig.
Aber wir können die Abstimmung gerne wiederholen.
– Alles klar. Ich entschuldige mich. Ich habe angesichts
des Abstimmungsmarathons, der uns bevorsteht, den
Text verwechselt.
Da die Abstimmung eindeutig war, wiederhole ich
das Ergebnis in aller Ruhe: Der Vertagungsantrag ist
abgelehnt worden.
– Natürlich stimmt das. Es gab den Antrag, die jetzige
Abstimmung zu vertagen. Dieser Antrag ist abgelehnt
worden.
Für den Antrag, die Abstimmung zu vertagen, haben le-
diglich die Fraktionen der F.D.P. und der CDU/CSU ge-
stimmt, und die PDS-Fraktion hat sich enthalten. Ich
glaube, wir haben es alle verstanden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vereinbart
worden, die heute morgen kurz vor ihrem Ende unter-
brochene Aussprache zur Gesundheitsreform nicht fort-
zusetzen, sondern die Abstimmungen gleich fortzufüh-
ren. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen
Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 auf den Druck-
sachen 14/1245 und 14/1977.
– Darf ich bitte wenigstens einen Satz zu Ende reden?
Dies ist das Recht einer Bundestagspräsidentin. Ich bitte
Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen.
Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Hans-Peter
Repnik zur Geschäftsordnung.
In Respekt vor Ih-
rem Amt, Frau Präsidentin: Ich hatte gar nicht die Ab-
sicht, Sie zu unterbrechen. Ich habe mich nur zu Wort
gemeldet. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß
es im Hinblick auf die Beendigung der Debatte keine
interfraktionelle Vereinbarung gibt. Die Mehrheit hat
bestimmt, daß die Debatte beendet wird. Dies müssen
wir hinnehmen. Das heißt, es muß darüber abgestimmt
werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnenund Kollegen, ich lasse der Form halber über das Endeder Debatte abstimmen.
Ich bin im Präsidium darüber in Kenntnis gesetzt wor-den, daß es eine interfraktionelle Vereinbarung gebe.
– Wenn ich weiterhin solche Töne aus den Reihen derGeschäftsführung der Fraktionen höre, dann unterbrecheich die Sitzung.
Ich bitte Sie deshalb, den Anweisungen des Präsidiumszu folgen.Ich stelle jetzt den Antrag zur Abstimmung, nachdem die Debatte des heutigen Vormittags nicht fortge-Roland Claus
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5920 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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führt werden soll und nach dem sofort über den vorge-legten Gesetzentwurf abgestimmt werden soll. Wer fürdiesen Antrag stimmen möchte, den bitte ich jetzt umdas Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion undder F.D.P.-Fraktion ist bestätigt worden, daß die Debattenicht fortgeführt wird.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-entwurf. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschußfassung – ich füge bewußt hinzu: mit derheute morgen vom Vorsitzenden des Gesundheitsaus-schusses, dem Kollegen Klaus Kirschner, vorgetragenenBerichtigung; wir wissen also worüber abgestimmt wird– zustimmen möchten, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen bei Enthaltung der PDS-Fraktionund gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und derF.D.P.-Fraktion angenommen worden.
– Mir ist bisher offiziell nicht mitgeteilt worden, daß esein abweichendes Abstimmungsverhalten innerhalb derFraktionen gibt.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Es ist namentliche Abstimmungverlangt und auch interfraktionell vereinbart worden. Ichbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-sehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt?– Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie dar-auf aufmerksam machen, daß es im Anschluß an diesenamentliche Abstimmung eine weitere über den Ent-schließungsantrag der F.D.P.-Fraktion geben wird.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist offensicht-lich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ichbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmungwird Ihnen später bekanntgegeben.1)Wir setzen jetzt die Beratungen fort. Ich möchte zuProtokoll geben, daß von der Kollegin Sylvia Voß2) so-wie von den Kollegen Lothar Binding ,Monika Heubaum, Hans-Ulrich Klose und LotharMark3) jeweils eine Erklärung gemäß § 31 der Ge-schäftsordnung zu Protokoll gegeben wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetztzur Abstimmung über den Entschließungsantrag derFraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/1978. Die Frak-tion der F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung. Ichbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer erneut, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnenbesetzt? – Ich eröffne die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich––––––––––––1) Seite 5921 D2) Anlage 23) Anlage 3nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bittedie Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmungwird Ihnen später bekanntgegeben. 4)Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, IhrePlätze wieder einzunehmen.Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die Redenderjenigen, die sie heute vormittag nicht mehr haltenkonnten, zu Protokoll gegeben werden.5) Ich setze dasEinverständnis des Hauses voraus.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache14/1979. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –Wer stimmt gegen den Antrag der PDS? – Enthaltun-gen? – Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmender PDS-Fraktion abgelehnt.Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-schlußempfehlung auf Drucksache 14/1977 außerdem,den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Gesund-heitsreform auf Drucksache 14/1721 für erledigt zu er-klären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Diese Beschlußemp-fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenund der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus den Rei-hen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie zu der Verordnung derBundesregierungZustimmungsbedürftige Post-Universaldienstlei-stungsverordnung
– Drucksachen 14/1696, 14/1775 Nr. 2.1,14/1971 –Berichterstattung:Abgeordneter Klaus Barthel
Es liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktionder SPD und der Fraktion der PDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö-re keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-mentarische Staatssekretär im Bundesministerium fürWirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.S
Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verände-rung, die wir im Bereich der Telekommunikation erle-ben, ist ein fundamentaler Strukturwandel, der die Frageaufwirft, wie wir in der Informations- und Kommunika-tionsgesellschaft von morgen eine Art von Grundver-sorgung, eine Art Grundsicherung für alle Menschen si-––––––––––––4) Seite 5924 C5) Anlage 4Vizepräsidentin Petra Bläss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5921
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cherstellen können, damit wir nicht eine neue Spaltungder Gesellschaft zwischen denjenigen bekommen, diedie neuen Techniken nutzen können, und denjenigen, diesie nicht nutzen können. Deshalb ist es sehr wichtig, daßwir heute mit der Post-Universaldienstleistungsverord-nung, auch gemeinsam mit den Länderrn, einen wichti-gen rechtlichen Rahmen für eine flächendeckende undfür jedermann erschwingliche Versorgung der Bevölke-rung mit Postdienstleistungen schaffen.
Die Verordnung setzt damit eines der wesentlichenZiele des im Januar 1998 in Kraft getretenen Postgeset-zes um. Wir schaffen damit einen bundesweiten Univer-saldienst und stellen sicher, daß auch diejenigen, die instrukturschwachen Gebieten leben und arbeiten, unddiejenigen, die es sich nicht leisten können, online ver-bunden zu sein, eine flächendeckende Versorgung ha-ben. Deswegen ist das auch eine gesellschaftspolitischwichtige Verordnung.Regelungsgegenstand der Verordnung sind die ein-zelnen als unabdingbare Grundversorgung vorgesehenenUniversaldienstleistungen, deren Umfang, Mindestqua-litätsmerkmale und Preis in der Verordnung festgelegtwerden. Die infrastrukturelle Sicherung einer bundes-weiten postalischen Grundversorgung hat für die Bun-desregierung herausragende Bedeutung. Die Bundesre-gierung hat sich daher bei der Ausgestaltung der Ver-ordnung im Interesse der Verbraucher nachdrücklichfür eine qualitativ und quantitativ ausgewogene Verord-nung eingesetzt. So konnte die Verordnung auch imVergleich zum ursprünglichen Entwurf deutlich ver-bessert werden,
und zwar auch gemeinsam mit den Ländern.Zu den Universaldienstleistungen zählen nunmehrdie Beförderung von Briefsendungen bis 2 000 Grammeinschließlich der Infopost, von Paketen bis 20 Kilo-gramm und von Zeitungen und Zeitschriften. Zusätzlichwird in der Verordnung festgeschrieben, daß mindestens12 000 stationäre Einrichtungen vorzuhalten sind, vondenen bis 2002 mindestens 5 000 Einrichtungen mit un-ternehmenseigenem Personal betrieben werden müssen.Dabei muß in jeder Gemeinde der Bundesrepublik mitmindestens 4 000 Einwohnern eine stationäre Einrich-tung vorhanden sein. Die Regelentfernung bis zur näch-sten Filiale beträgt in zusammenhängend bebauten Ge-bieten 2 000 Meter. Der nächste Briefkasten soll grund-sätzlich nach höchstens 1 000 Metern erreicht werdenkönnen. Auch das ist eine wichtige Frage der Grundver-sorgung.Zugleich enthält die Verordnung Vorgaben für dieLaufzeiten der beförderten Sendungen, legt die Lee-rungszeiten von Briefkästen fest und schreibt eine min-destens einmal werktäglich zu erfolgende Zustellungvor.Die Einbeziehung der Presseerzeugnisse in den Ka-talog der postalischen Pflichtleistungen ist eine besonde-re Entscheidung. Darum haben wir gekämpft, weil wirwollten, daß die Presse- und Meinungsvielfalt inDeutschland gesichert wird.
Das kann man nur erreichen, wenn man diese in diePflichtversorgung einbezieht. Das ist in dieser neuenVerordnung gelungen.Hervorgehoben wurde auch das Beschwerderechteines jeden Bürgers. Wir haben mit der Einführung desBeschwerderechts eine bürgernahe Regelung gefunden.Im Falle des Auftretens einer Versorgungslücke kön-nen entsprechende Maßnahmen direkt ergriffen wer-den, und bei der Regulierungsbehörde können Anre-gungen und Beschwerden zur Beseitigung der Ver-sorgungslücke eingereicht werden. Das ist ein neuerbürgernaher Ansatz, den wir mit dieser Verordnungsuchen.Des weiteren wurde sichergestellt, daß für Post-dienstleistungen, für die nach dem Postgesetz eine Ex-klusivlizenz besteht, ein Einheitstarif anzuwenden ist,um so eine gleichwertige Versorgung in Stadt und Landzu gewähren.Mit der PUDL-Verordnung ist es nach schwierigenAbstimmungsgesprächen gelungen, die unterschied-liche Interessenlage der für die Versorgung zustän-digen Unternehmen sowie der Kunden und Nachfra-ger, das heißt der Verbraucher, in angemessener Wei-se zu berücksichtigen und damit eine Dienstleistungsicherzustellen. Auch die Anliegen der Länder konn-ten umgesetzt werden, so daß der Bundesrat am24. September seine Zustimmung zur Verordnungerteilt hat.Deshalb – das kann man rückblickend sagen, auchhinsichtlich der Liberalisierungspolitik der letzten Jahre– ist dies eine wichtige flankierende Maßnahme. Dennwir wollen, daß auch in einer liberalisierten Telekom-munikationswirtschaft, die leistungsfähig und wettbe-werbsfähig ist, der Zusammenhalt der Gesellschaft gesi-chert wird. Deshalb ist eine solche Universalverordnungnotwendig geworden.Wir bitten Sie um Zustimmung zu dieser Verordnung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnenund Kollegen, bevor ich dem Kollegen Elmar Müllerdas Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schrift-führern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis dernamentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurfder Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/DieGrünen bekanntgeben – es handelt sich um den Ent-wurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichenKrankenversicherung ab dem Jahr 2000 auf Druck-sache 14/1245 –: Abgegebene Stimmen 592. Mit Jahaben gestimmt 325, mit Nein haben gestimmt 241. Esgab 26 Enthaltungen.Parl. Staatssekretär Sigmar Mosdorf
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5922 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 591;davon:ja: 324nein: 241enthalten: 26ungültig: 0JaSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterPeter Friedrich
Lilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Gerhard RübenkönigMarlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ilse SchumannEwald SchurerDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Vizepräsidentin Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5923
(C)
(D)
Hans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekHelmut Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert Clemens WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Katrin Dagmar Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstClaudia Roth
Christine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinLudger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
NeinCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Maria BöhmerJochen BorchertWolfgang Börnsen
Dr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberHartmut Büttner
Dankward BuwittManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornIlse FalkDr. Hans Georg FaustUlf FinkIngrid Fischbach
Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisGeorg GirischDr. Reinhard GöhnerDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundHorst Günther
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlSteffen KampeterDr. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertManfred KolbeNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyDr. Martina KrogmannDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Hans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt RossmanithAdolf Roth
Norbert RöttgenDr. Christian RuckDr. Jürgen RüttgersAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteGerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Michael von SchmudeBirgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtClemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm-Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertRudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerErika SteinbachAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Michael StübgenDr. Rita SüssmuthDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallVizepräsidentin Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
5924 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
(C)
Arnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Gert WillnerKlaus-Peter WillschWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerF.D.P.Hildebrecht Braun
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenGisela FrickHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtDr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichBirgit HomburgerDr. Werner HoyerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich NoltingDetlef ParrCornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Max StadlerCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Guido WesterwellePDSDr. Heinrich FinkCarsten HübnerSabine JüngerAngela MarquardtChristina SchenkEnthaltenSPDLothar Binding
Monika HeubaumHans-Ulrich KloseLothar MarkPDSMonika BaltPetra BlässRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Ruth FuchsWolfgang Gehrcke-ReymannDr. Klaus GrehnUwe HikschDr. Barbara HöllUlla JelpkeGerhard JüttemannDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidemarie LüthManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiPetra PauDr. Uwe-Jens RösselDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen desEuroparates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Bühler , Klaus, CDU/CSU Freitag, Dagmar, SPD Dr. Hornhues, Karl-Heinz, CDU/CSUDr. Leonhard, Elke, SPD Zierer, Benno, CDU/CSUDamit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Ich gebe Ihnen jetzt auch das von den Schriftführernund Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der na-mentlichen Abstimmung über den Entschließungsan-trag der Fraktion der F.D.P. zu dem Entwurf eines Ge-setzes der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-nen zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherungab dem Jahr 2000, Drucksachen 14/1245, 14/1977 und14/1978 bekannt: Abgegebene Stimmen 591. Mit Ja ha-ben gestimmt 34. Mit Nein haben gestimmt 355. Ent-haltungen 202.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 590;davon:ja: 34nein: 355enthalten: 201JaCDU/CSUOtto BernhardtJulius LouvenF.D.P.Hildebrecht Braun
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenGisela FrickHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtDr. KarlheinzGuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichBirgit HomburgerDr. Werner HoyerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünter Friedrich NoltingDetlef ParrCornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Max StadlerCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Guido WesterwelleNeinSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm JuliusBeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-MichaelCatenhusenDr. Peter WilhelmDanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannVizepräsidentin Petra Bläss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5925
(C)
(D)
Karl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterPeter Friedrich
Lilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst DieterRossmannMichael Roth
Birgit Roth
Gerhard RübenkönigMarlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ilse SchumannDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Hans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekHelmut Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightVizepräsidentin Petra Bläss
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5926 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
(C)
Uta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyCDU/CSUWolfgang Börnsen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstClaudia Roth
Christine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinLudger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
PDSMonika BaltPetra BlässRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsWolfgang Gehrcke-ReymannDr. Klaus GrehnUwe HikschDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidemarie LüthAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiPetra PauDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfEnthaltenCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlHans-Dirk BierlingDr. Joseph-TheodorBlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Maria BöhmerJochen BorchertDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberHartmut Büttner
Dankward BuwittManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornIlse FalkDr. Hans Georg FaustUlf FinkIngrid FischbachHerbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisGeorg GirischDr. Reinhard GöhnerDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundHorst Günther
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlSteffen KampeterDr. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertManfred KolbeNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyDr. Martina KrogmannDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Dr. Michael LutherErich Maaß
Erwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerPeter RauenChrista Reichard
Hans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-WilhelmRonsöhrDr. Klaus RoseKurt RossmanithAdolf Roth
Norbert RöttgenDr. Christian RuckDr. Jürgen RüttgersAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteGerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. JoachimSchmidt
Andreas Schmidt
Michael von SchmudeBirgit Schnieber-JastramVizepräsidentin Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5927
(C)
(D)
Dr. AndreasSchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtClemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm-Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertRudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerErika SteinbachAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Michael StübgenDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Gert WillnerKlaus-Peter WillschWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungendes Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO; der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Bühler , Klaus, CDU/CSU Freitag, Dagmar, SPD Dr. Hornhues, Karl-Heinz, CDU/CSUDr. Leonhard, Elke, SPD Zierer, Benno, CDU/CSUDer Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.Ich erteile jetzt für die CDU/CSU-Fraktion dem Kol-legen Elmar Müller das Wort.
Frau Präsi-dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolle-gen! Eine offensichtlich unvermeidliche – wenn auchzweifelhafte – Tradition haben wir von Bonn nach Berlingerettet. Es ist jene Tradition, die der frühere Postmini-ster, unser Kollege Wolfgang Bötsch, einmal so be-zeichnet hat: Die Postdebatten werden generell imSchutze der Dunkelheit im Deutschen Bundestag ge-führt. Diese Tradition führen wir heute fort. Bei allemVerständnis, Herr Kollege Barthel, hoffe ich, daß Sieanläßlich weiterer Debatten zu diesem Bereich trotzdemversuchen, irgendwann einmal einen Tagestermin zu er-halten.
Die PUDLV, die Post-Universaldienstleistungsver-ordnung, hat eine lange Geschichte. Mit ihr wird eineRichtlinie des Europäischen Parlaments und des Euro-päischen Rates umgesetzt. Die Umsetzungsfrist ist be-reits im Februar dieses Jahres abgelaufen. Die Bundesre-gierung hat sich ein ganzes Jahr für die Umsetzung Zeitgenommen. Die in diesem Zusammenhang erforderli-chen Gespräche waren sicherlich nicht einfach, HerrStaatssekretär Mosdorf. Allerdings muß auch gesagtwerden: Der Vorgang, der zu dieser Verzögerung geführthat, spricht in dieser Hinsicht Bände.Die Bundesregierung hat sich mit dieser Umsetzungdeshalb so schwer getan und so viel Zeit gebraucht, weilsie geglaubt hatte, sie könne die Post AG zwingen, mitder Postgewerkschaft vorweg einen Vertrag abzuschlie-ßen, der die Zahl der eigenbetriebenen Postfilialen ineiner möglichst hohen Zahl festschreibt. Die Post hatverständlicherweise zu diesen Forderungen und demdiesbezüglichen Druck seitens der Regierung nein ge-sagt. Deshalb hat die Regierung in dieser Verordnungeine bestimmte Filialzahl festgelegt. Da Postgesetz undEU-Richtlinie lediglich Vorgaben zu Mindestqualitäts-merkmalen einschließlich Beförderungsbedingungensowie die Festlegung des erschwinglichen Preises ver-langen, die Zahl der Postfilialen also mit der PUDLVüberhaupt nichts zu tun hat, kann es sich nur um dieEinlösung eines Versprechens gegenüber der Postge-werkschaft handeln, die offensichtlich für ihre Leistungwährend des Wahlkampfes im vergangenen Jahr eineGegenleistung erwartet.
Das Schlimme ist nun aber, daß die Bundesregierungmit dieser Auflage zum einen die Börsenfähigkeit derPost erheblich schwächt und daß sie dies zum anderenauf Kosten der Verbraucherpreise tut. Denn 5 000eigenbetriebene Postfilialen sind so teuer wie 10 000Postagenturen. Hier sind Gewerkschaftsforderungen ineine Rechtsverordnung geschrieben worden, die darinüberhaupt nichts zu suchen haben. Der Verbraucher zahltnun die Zeche in Form von Posttarifen, die höher sind,als sie sein müßten.Für wie dumm hält eigentlich die Bundesregierungdie Öffentlichkeit, wenn sie in der Begründung dieserRechtsverordnung schreibt, sie erwarte positive Auswir-kungen auf das Verbraucherpreisniveau, gleichzeitigaber Post AG und der Wirtschaftsminister erklären, daßdas Briefporto in den kommenden Jahren stabil bleibe?In der Begründung der PUDLV wird sogar von mögli-chen Tarifsenkungen durch den eintretenden Wettbe-werb gesprochenen. Meine Damen und Herren, das istgenau die Formel, nach der diese Bundesregierung seiteinem Jahr die Bürger abzockt. Wenn die Regierungsagt, der Bürger soll entlastet werden, dann weiß derBürger inzwischen, sie will ihn um sein Geld erleichtern.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
5928 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
(C)
Die Wahrheit ist doch: Der Post wurde im September1997 durch den damaligen Regulierer, den Postminister,eine 10prozentige Erhöhung des Portos für Briefe,Postkarten und adressierte Briefsendungen, die über5,50 DM liegen, genehmigt, weil sie, wie sie damalssagte, unter anderem zur Aufrechterhaltung ihres Filial-netzes 2 Milliarden DM wegen Abmangel aus den Mo-nopoleinnahmen zuschießen müsse. Sie hatte nach ihreneigenen Angaben auch deswegen diesen Abmangel, weildie Postbank am Schalter mehr Kosten verursache, alssie der Post für ihre Leistungen abgelte.Die Portoerhöhung für Briefe ab September 1997 –das war eine gute Entscheidung – ist vom damaligenPostminister bis zum 31. August nächsten Jahres be-grenzt worden. Danach, meine Damen und Herren vonder Regierungskoalition, erwarten wir von Ihnen, daßSie uns dabei unterstützen, daß die Kunden endlich anden Produktionsfortschritten der Post – etwa durch denAufbau der 83 Briefzentren – in Form von Portosenkun-gen beteiligt werden, wir also nach diesem Termin füreine Portosenkung sorgen.
Der Abbau von mehr als 60 000 Arbeitsplätzen, dendie Post inzwischen vollzogen hat, wurde doch immermit Produktionsfortschritten begründet und nicht damit,daß man milliardenschwere Unternehmenszukäufefinanzieren wolle. Die Rechtslage stellt sich folgender-maßen dar: Wenn die Post an der heutigen Höhe desPortos für Standardbriefe festhalten will, muß sie einenneuen Antrag bei der Regulierungsbehörde stellen.
Wenn nichts geschieht, wird das Porto im reserviertenBereich ab September 2000 gesenkt.Anstatt aber die Interessen der Endverbraucher zuvertreten, setzt Rotgrün noch eins drauf, indem das zartePflänzlein des Wettbewerbs durch § 6 dieser PUDLVgefährdet wird. Man tritt zwar für einen Einheitstarifein, aber gleichzeitig will man individuelle Preisab-sprachen mit Großkunden zulassen. Den Monopoli-sten, der fünf Jahre nach der Privatisierung immer nochmehr als 99 Prozent Marktanteil im reservierten Bereichhat, jetzt auch noch zu ermächtigen, Preisabsprachen imRahmen der Exklusivlizenz treffen zu dürfen, führt zurunerträglichen Ungleichbehandlung der Kunden, die aufLeistungen der Post AG angewiesen sind. Der Privat-kunde hat eben keine Ausweichmöglichkeit.
Preisliche Sondervereinbarungen sind heute bereits Ge-genstand von Beschwerden bei der Regulierungsbehördeund haben offensichtlich nur das Ziel, den Kunden langfri-stig an den Monopolisten zu binden. Der Wettbewerb, derlaut Begründung durch die PUDLV herbeigeführt werdensoll, wird in Wirklichkeit vielmehr unterbunden. Man mußsich einmal konkrete Fälle der Praxis vorstellen: So finan-ziert Tante Frieda mit dem von ihr zu bezahlenden über-höhten Briefporto den Großkundenrabatt von Beate Uhse.Das ist moralisch zumindest zweifelhaft.
Im Zusammenhang mit der überfälligen Portosen-kung, die Sie vermutlich mit der Annahme dieser zu-stimmungspflichtigen Rechtsverordnung verhindernwollen, möchte ich Ihren Blick noch auf einen besonde-ren Vorgang richten, der im Amtsblatt der EU vor weni-gen Tagen – am 23. Oktober 1999 – veröffentlicht wur-de. Wie Sie wissen, gibt es ein Verfahren vor der Kom-mission gegen die Post wegen des Vorwurfs der Quer-subvention vom Monopol- in den Wettbewerbsbereich.In diesem Amtsblatt nimmt die Kommission wie folgtStellung – ich zitiere –:Tatsächlich sind sie– die Einnahmen im reservierten Bereich –höher, als es für diesen Zweck notwendig ist.Jede Überkompensierung des Universaldienstes istjedoch weder durch die Postrichtlinie noch durchArt. 86 Abs. 2 EG-Vertrag zu rechtfertigen, da sienicht dazu dient, Dienstleistungen von allgemeinemwirtschaftlichen Interesse sicherzustellen.Herr Staatssekretär, meine verehrten Kollegen vonder Koalition, ich denke, daß dieses Signal von Ihnenvernommen wurde. Deshalb gehe ich davon aus, daß Siemit uns gemeinsam im nächsten Jahr für die Senkungdes Portos im reservierten Bereich eintreten werden.
Mir fehlt die Zeit, um auf die leidvollen Erfahrungender Kommunen bei der Schließung von Postfilialeneinzugehen. Jeder Kollege hat in seinem Wahlkreis aus-reichend Erfahrungen mit der Post und ihrem Vorgehengemacht.
Im übrigen lief das in der Vergangenheit immer so ab,Herr Kollege Barthel: Wenn irgendwo eine Postfilialegeschlossen werden sollte, dann sind Postgewerkschaftund SPD vor Ort in eine Kampagne mit der Behauptungeingetreten, die Regierung Kohl nimmt euch eure Post-filiale weg.
Mit Annahme der PUDLV beginnt aber ab sofort eineWelle von mehr als 2 000 ersatzlosen Filialschließun-gen. Damit es da keinen Zweifel gibt, meine Damen undHerren von Rotgrün: Weil Sie bis zur Bundestagswahlbehauptet haben, das seien unsere Schließungen – alsoSchließungen der CDU/CSU –, will ich sagen: Die mehrals 2 000 Filialschließungen, die ab morgen über dasLand rollen werden, sind Ihre Filialschließungen.
Die Regelung in § 2 der Verordnung, wonach beiVeränderung stationärer Einrichtungen das Benehmenmit den zuständigen Gemeinden mindestens 10 Wochenvorher herzustellen ist, entspricht der jetzigen freiwilli-gen Vereinbarung. Wir hoffen, daß sich die Post mehrals in der Vergangenheit an diese Zehnwochenfrist hält.Elmar Müller
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5929
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Eine Bemerkung zur Pressepost. Herr Staatssekretär,es ist richtig, daß wir in der früheren Koalition insoweiteinen Dissens hatten. Es war der Wunsch sowohl desfrüheren Postministers als auch der Fraktion, daß wirdiesen Teil mit aufnehmen. Die SPD hat mit gutemRecht eine andere Position vertreten; mit gutem Rechtdeshalb, weil bis heute die Pressepost ohne Zweifel vonjedermann bestellt und von jedermann empfangen wer-den kann, ohne daß es dazu eine Universaldienstver-pflichtung gibt. Dieses Universaldienstgebot in derPUDLV wird im übrigen insofern keinerlei Konsequen-zen nach sich ziehen, als der Bund für eine eventuelleSubventionierung einer solchen Pressepost – das wäreallerdings ein anderer Fall – keinerlei Ansprüche gegensich akzeptiert.Als letzten Punkt will ich das Beförderungsverbotvon Briefsendungen mit rassendiskriminierendem Ge-dankengut auf der Außenseite ansprechen. Solcherassendiskriminierenden Sendungen waren bisher schon,durch das Strafgesetzbuch gestützt, von der Beförderungzurückzuweisen. Es bestand also überhaupt keine Not-wendigkeit, dies jetzt in die Post-Universaldienst-leistungsverordnung aufzunehmen.Jetzt verlagern Sie nämlich die Entscheidung darüberauf die Briefträger. Weil Sie selbst offensichtlich nichtin der Lage sind, eine entsprechende Definition vorzule-gen, erwarten Sie, daß die Post dazu eine betriebsinterneRichtlinie für ihre Briefträger erläßt. Das ist genau dieBürokratie und die handwerkliche Schludrigkeit, mit derSie Gesetze machen. Wir haben es ja erst heute wiedererlebt.
Als braver Erfüllungsgehilfe von Gewerkschaftsbe-schlüssen, deren Folgen man in diesem Fall wirklich nurvermuten kann und die Sie noch gar nicht übersehenkönnen, schieben Sie die Verantwortung auf die Brief-träger ab. Sie werden dadurch das Vertrauen der Post-kunden in die Post nicht fördern. Ganz im Gegenteil: Siewerden das Vertrauen beschädigen. Wenn Sie nämlichdie Briefträger als Briefschnüffler verpflichten, dannwird das den Postkunden nicht gefallen.
Abschließend, meine Damen und Herren: Der Bun-destag kann bei einer Rechtsverordnung, die von derBundesregierung formuliert worden ist, keinerlei Ände-rungen beschließen, sondern darf nur ja oder nein sagen.Unserer Meinung nach überwiegt trotz einiger unterstüt-zenswerter Passagen – das darf gesagt werden – das Man-gelhafte an dieser PUDLV. Wir lehnen sie deshalb ab.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die
Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlichwollte ich sagen, daß ich froh bin, daß sich nach denTurbulenzen dieses Tages endlich wieder eine sachlicheDebatte einstellt. Ich muß aber leider sagen, daß ich dasnach dem Beitrag von Elmar Müller nicht mehr sagenkann. Er hat doch sehr polemisch und vor allen Dingenam Thema vorbei geredet.
Ich möchte mich dennoch an die Vorgabe halten, hiersachlich über die PUDLV zu sprechen. Dies ist im übri-gen ein ungeheuer symphatischer Name.Auch im Postbereich bekommen wir nun Schritt fürSchritt wie im Strom- und TelekommunikationsbereichWettbewerb. Das bedeutet eine große Transformation,die politisch auch gewollt ist. Eines aber muß verhindertwerden – daran sollten wir gemeinsam arbeiten –: DieUnternehmen einschließlich der Deutschen Post AGsollten sich nicht nur die Rosinen herauspicken. Daswürde nämlich in der Konsequenz dazu führen, daß be-stimmte Kundengruppen insbesondere im ländlichenRaum keinen ausreichenden Zugang mehr zu Post-dienstleistungen haben.
Das ist nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Müller, eineInteressenvertretung der Gewerkschaften, sondern in derTat eine Interessenvertretung des Endverbrauchers.
Es liegt nämlich im Interesse des Endverbrauchers, daßjeder Zugang zu Postdienstleistungen hat.
Diese Verordnung ist richtig, wichtig und überfällig.Sie setzt Mindeststandards, die künftig im Postbereichgelten sollen. Beispielsweise garantiert sie ein ausrei-chendes Netz von Postfilialen im ganzen Land – dasfinde ich sehr wichtig –, mindestens 12 000. Sie ermög-licht der Deutschen Post AG aber gleichzeitig – dashalte ich für ausgewogen – ein ausreichendes Maß anFlexibilität bei der Umsetzung dieser Vorgabe. So wur-de in der Verordnung geregelt, daß die Poststellen auchals Postagenturen betrieben werden können. Das machtSinn; denn das Postamt ist nicht in jedem Ort tatsächlichvoll ausgelastet. Es ist deswegen richtig, die Post ent-scheiden zu lassen, in kleinen Ortschaften nicht einendäumchendrehenden Postbeamten zu finanzieren, son-dern in diesem Fall beispielsweise den Tante-Emma-Laden um die Ecke diese Zusatzdienste übernehmen zulassen – natürlich nach entsprechender Schulung derMitarbeiter.
– Ich habe nicht dagegen protestiert.
Elmar Müller
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5930 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Zum Verkauf von Briefmarken und zur Entgegen-nahme von Päckchen bedarf es nicht immer der Postan-gestellten. Hinzu kommt, daß der Tante-Emma-Ladenmeist länger geöffnet hat als das Postamt und sich dieKunden außerdem einen Weg sparen.
Die Garantie, daß jeder Zugang zur Post hat, ist durchdie der Post gegebene Möglichkeit der flexiblen Gestal-tung in der PUDLV gut umgesetzt.Daneben ist in der Verordnung geregelt, daß es min-destens 5 000 Poststellen gibt, die von posteigenem Per-sonal betrieben werden. Auch dies erfolgt in abgewoge-ner Weise: Einerseits besteht ein flächendeckendes Netz,andererseits werden nicht unnötig Arbeitsplätze bei derDeutschen Post AG abgebaut.Die Verordnung regelt darüber hinaus, daß grund-sätzlich in zusammenhängend bebauten Gebieten füralle in maximal 2 000 Metern ein Postamt erreichbarist. Dieses Recht ist natürlich nicht individuell einklag-bar, zum einen aus verfassungsrechtlichen Gründen –das wissen Sie –, zum anderen, weil eine solche Rege-lung einen sehr starren Charakter hätte. Als Ziel aber istdies in der Verordnung formuliert.Wir wissen von einigen Fällen – dies wurde schonangesprochen –, daß Postämter von der Deutschen PostAG geschlossen wurden, obwohl eine rege Nachfrageder Postkunden bestand. In Waldheim beispielsweisegeschah dies 1993. Seitdem betreibt eine Bürgerinitiati-ve ein Bürgerpostbüro. Die Post wird dort gesammeltund von freiwilligen Helfern zur nächsten Postfiliale ge-bracht. Das Engagement der Waldheimer in allen Ehren,ich frage mich aber doch, warum die Deutsche Post AGin diesem Fall bei ihrer Haltung bleibt und nicht wenig-stens eine Postagentur in Waldheim eröffnet.Ich fordere deswegen die Post AG auf, die Spielräu-me, die wir ihr mit dieser Verordnung gegeben haben,zu nutzen, zugleich aber so kundenfreundlich zu bleiben,daß tatsächlich das Ziel erreicht wird, jedem den Zugangzu den Dienstleistungen der Post zu ermöglichen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hatsich mit der vorliegenden Verordnung bemüht, eine aus-gewogene Regelung unter Abwägung der wirtschaftli-chen Interessen der Post auf der einen Seite und derKunden- und Infrastrukturinteressen auf der anderenSeite zu finden. Die PUDLV schafft endlich Klarheit beider Ausgestaltung des Postgesetzes, was ja auch not-wendig ist.Man kann sich im Blick auf den Antrag der PDS nundarüber streiten, ob ein Briefkasten alle 1 000 Meteroder alle 500 Meter vorgeschrieben wird. Ich zweifeleaber daran, ob der Sachverstand der PDS in diesem Fallgrößer als der des Wirtschaftsministeriums ist.
Man muß nämlich folgendes sehen: Wenn man zu vieleBriefkästen vorschreibt, dann erhöht man dadurch denfinanziellen Aufwand der Post. Dies erhöht wiederumdie Kosten, die an den Bürger weitergegeben werdenmüssen. Erhöhte Portokosten sind aber nicht im Sinneder sozialen Gerechtigkeit. Deswegen muß man zwi-schen zwei Bedingungen abwägen: Die Briefkästenmüssen möglichst jedem zugänglich sein; die räumli-chen Anforderungen dürfen zugleich nicht zu hoch sein.Ich glaube, daß das in dieser Verordnung gut gelungenist. Darüber hinaus steht es dem Unternehmen Post AGfrei, bei Bedarf mehr Briefkästen aufzustellen; denn hierwerden lediglich Mindeststandards formuliert.Die Post ist gut beraten, ihren Standortvorteil, daß sieim Gegensatz zu allen Alternativanbietern in der Flächepräsent ist, in Zukunft auf keinen Fall aus der Hand zugeben. Wenn nun Wettbewerb kommt, kann man einemUnternehmen die Entscheidung nicht komplett per Ver-ordnung abnehmen. Insofern handelt es sich hier umeinen ausgewogenen Entwurf, in dem beides berück-sichtigt wird.Danke.
Das Wort hat der
Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Die Post-Universaldienstleistungs-verordnung ist nicht nur ein Wortungetüm. Der Entwurfatmet auch inhaltlich den Mief der alten Postbürokratieund des Dirigismus.
Beides sollte eigentlich mit der Öffnung des Postmark-tes für Wettbewerb der Vergangenheit angehören. Ge-rade beim Postgesetz haben wir uns – auch im Vermitt-lungsausschuß, im übrigen zusammen mit der SPD –große Mühe gegeben. Wir alle – auch die SPD, damalsdurch Herrn Bury vertreten – wollten damals die Uni-versaldienstleistung für den Zeitungsdienst und die Info-Post nicht.
Bürger und Wirtschaft haben ein großes Interesse anPostdienstleistungen, die besser auf ihre Bedürfnisseeingehen und die preisgünstig und innovativ sind. Nurim Wettbewerb mit vielen Anbietern ist dieses Ziel er-reichbar. Dies sieht man am mutig liberalisierten Tele-kommunikationsmarkt. Wir haben heute Hunderte vonAnbietern, und das dient dem Verbraucher.
Die Bundesregierung vertraut jedoch im Postbereichnicht auf den Markt. Dies wird aus der Post-Universaldienstleistungsverordnung einmal mehr deut-lich. Nicht umsonst hat die Bundesregierung fast einJahr gebraucht, um diese Verordnung vorzulegen, galt esdoch, die unterschiedlichen Interessen der Post AG, derMichaele Hustedt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5931
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Gewerkschaften und der Verbraucher möglichst untereinen Hut zu bringen. Dies ist, Herr Staatssekretär, er-kennbar nicht gelungen. Vielmehr haben sich die Inter-essen der Besitzstandswahrer von der Post AG und vorallen Dingen der Gewerkschaften durchgesetzt. DieVerbraucher, die an preiswerten und qualitiativ gutenDienstleistungen interessiert sind, sind vollends unterdie Räder gekommen.Nun mag man argumentieren, daß die Post AG fürden Börsengang gerüstet und deswegen vor Wettbewer-bern geschützt werden müsse. Um dieses Ziel zu errei-chen, sollte sie möglichst viel Geld vereinnahmen undeine schöne Gewinn- und Verlustrechnung vorlegenkönnen. Die Monopolrente soll also dem Anleger dieZeichnung der Aktien versüßen, so scheinen Sie zu den-ken. Dabei unterschätzen Gewerkschaften und auch dieBundesregierung die Weitsicht der Kapitalanleger undverkennen letztlich auch die Interessenlage der Post AG.
Nachhaltigen Erfolg an der Börse haben aber nur Unter-nehmen, die sich dem Wettbewerb stellen, modernstrukturiert sind, effizient arbeiten und dabei von man-cher liebgewonnenen Gewohnheit Abschied nehmen,die im Monopol einfach entstanden ist.
In diesem Sinne regelt die Post-Universaldienst-leistungsverordnung einfach zuviel. Schon nach demdamaligen Willen aller Beteiligten sind – das habe ichausgeführt – der Post-Zeitungsdienst und die Info-Postnicht in den Universaldienst mit aufzunehmen, weil dasja überhaupt keinen Sinn macht. Denn auf diesen Ge-bieten soll ja Wettbewerb herrschen. Ob es zweckmäßigist, der Post AG im einzelnen vorzuschreiben, wie vielestationäre Einrichtungen – und zwar Poststellen undTante-Emma-Läden – vorhanden sein müssen, kanntunlichst bezweifelt werden.Die Verfasser der Universaldienstleistungsverord-nung, die Bundesregierung und die sie tragenden Frak-tionen haben offensichtlich wenig Vertrauen in denMarkt. Bei der Telekommunikation können Sie sehen,wie der Markt funktioniert. Damals haben Sie uns ja da-vor gewarnt. Ich kann nur sagen: Diese Warnung habenwir in den Wind geschlagen; auch Sie sollten jetzt denMarkt für Post-Dienstleistungen öffnen.
Nachdem die Post AG und die Bundesregierung er-klärt haben, daß sie noch spätestens im Jahr 2000 denBörsengang wagen wollen, hätte man erwarten können,daß man sich für eine Marktöffnung ausgesprochen hätte– denn Börsengang und Marktregulierung widerspre-chen einander –, also auch kleineren Wettbewerbern dieMöglichkeit gegeben hätte, Post-Dienstleistungen zuerbringen, und nicht versucht hätte, diese Post-Dienstleister mit Prozessen vom Markt wegzubeißen,wie das zur Zeit von der Post AG gemacht wird.Ich halte es auch für höchst problematisch, daß diePost AG ihr überhöhtes Briefporto von 1,10 DM überden August nächsten Jahres hinaus aufrechterhalten will.Dies dient nur der Quersubventionierung des Paketdien-stes, wodurch kleineren Wettbewerbern der Einstieg inden Paketdienst erschwert wird. Im Bereich der Brief-post stehen auch nach der Verordnung zahlreiche Hin-tertüren für die Post offen, so daß sie den Wettbewerbaushebeln kann. Auch das verurteilen wir.
Durch die dirigistischen Vorschriften werden diePreise insgesamt – das hat der Kollege Müller ja richtigausgeführt – für die Verbraucher höher sein, als das beiMarktkonditionen der Fall wäre. Wir lehnen daher die-ses Ungetüm von Verordnung ab. Weniger Regulierung,Herr Kollege Mosdorf, wäre mehr gewesen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Gerhard Jüttemann, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Mei-ne sehr verehrten Damen und Herren! Um es vorweg zusagen: Die PDS wird der vorliegenden Post-Universal-dienstleistungsverordnung nicht zustimmen. Dabei wol-len wir nicht verkennen, daß gegenüber den vorherge-henden Entwürfen vor allem dank der beharrlichen Be-mühungen der Deutschen Postgewerkschaft eine Reihevon Verbesserungen erstritten worden sind. Wir haltendies dennoch nicht für ausreichend.Wofür wird die Verordnung benötigt? Laut Postge-setz soll sie Inhalt und Umfang der Universaldienste, al-so der allgemein als unabdingbar angesehenen postali-schen Dienstleistungen, festlegen – Dienstleistungen, dienicht für die Regierung erbracht werden, sondern für dieKunden. Und da sind wir beim ersten großen Ärgernisdieser Verordnung: Die Kunden, in deren Interesse esdie Post überhaupt gibt, in deren Interesse das Grundge-setz den Bund verpflichtet, angemessene und ausrei-chende Post-Dienstleistungen zu gewährleisten, habenkeine Möglichkeit, ihre im Gesetz und in der Verord-nung festgelegten Rechte tatsächlich durchzusetzen. Dasist ein eindeutiger und durch nichts zu rechtfertigenderRückschritt gegenüber der alten Post-Kundenschutz-verordnung, die immerhin die Möglichkeit eröffnete,eine öffentliche mündliche Verhandlung zur Durchset-zung von Kundeninteressen zu erzwingen. Das heißt, aufdem Weg von der Post-Kundenschutzverordnung zurPost-Universaldienstleistungsverordnung haben SieDemokratie abgebaut, statt Demokratie zu stärken.
Um das ein wenig zu vertuschen, fordern Sie nun in Ih-rem Entschließungsantrag, in der nächsten Verordnungdie Rechte der Kunden zu stärken. Warum denn nichtgleich?
Rainer Funke
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5932 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Die Post baut unterdessen ihre Leistungen ab. Von1983 bis heute ist die Zahl der Filialen halbiert worden.Von den heute noch vorhandenen 14 000 Filialen sindknapp 7 000 nur Agenturen mit eingeschränktem Lei-stungsangebot und ohne Fachpersonal. 2 000 von ihnendroht demnächst das Aus. Und nach 2002 wird das gro-ße Filialsterben weitergehen, weil die Politik dem nichtsentgegensetzt.Der zweite kritische Punkt der sogenannten PUDLVist das verordnete Ende des Einheitstarifs für Brief-sendungen bis 200 Gramm ab dem Jahre 2003, alsonach dem Ende der Exklusivlizenz. Die Regierung ar-gumentiert, daß danach die Preise fallen werden. Für ei-nen bestimmten Zeitraum mag das auch so sein, jeden-falls in Ballungsgebieten, wo sich anfangs die verschie-denen Anbieter gegenseitig auf den Füßen stehen wer-den, um mit geringstem Aufwand und möglichst billi-gem Personal höchstmögliche Gewinne herauszuschla-gen. In dünnbesiedelten ländlichen Gebieten sieht dieSache dann allerdings ganz anders aus. Man darf ge-spannt sein, wieviel der Brief von der Nordseeinsel insAlpendorf dann kosten wird.Eines muß man den wechselnden Regierungen in die-sem Land bestätigen: Kontinuität. Mit der von der gro-ßen Koalition beschlossenen Privatisierung wurde 1994das Ziel flächendeckender Postversorgung dem Profit-prinzip geopfert,
obwohl die SPD noch 1990 mit dem Versprechen in denWahlkampf gezogen war, die Postreform I rückgängigzu machen. Alles vergessen, jetzt ist Liberalisierung an-gesagt, und alle machen mit. Das Problem ist, daß nurwenige in diesem Land etwas davon haben werden unddie vielen anderen es bezahlen müssen.Frau Hustedt, vielleicht wäre es gut gewesen, Siehätten auch ein paar andere Punkte unseres Antrags zi-tiert. Denn wir wollen – das ist ganz wichtig – mehrBürgerinteressen und ein wirkungsvolleres Einspruchs-und Klagerecht durchsetzen. In dieser Richtung hattendie Bürger bei Ihrem Gesetz bislang kaum eine Chance.Wir finden es ganz wichtig, daß die Exklusivlizenz fürdie Deutsche Post nicht 2002 ausläuft, sondern weitergilt. Das würde Sicherheit für Postbeschäftigte undPostkunden bedeuten.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt hat das Wort
der Kollege Klaus Barthel, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Die Universal-dienstleistungsverordnung für die Post definiert jetztendlich, nachdem dies die alte Regierung trotz entspre-chender Ankündigungen seit 1997 nicht geschafft hat,welche Dienstleistungen in welcher Qualität zu welchemerschwinglichen Preis – insofern, Herr Jüttemann: diePreise sind nach oben hin gedeckelt, auch bei Briefenvon der Hallig auf die Alm – flächendeckend für jedeund jeden zukünftig erwartet werden können.Wir bekennen uns in der Tat dazu, daß wir im Sinneeiner modernen Dienstleistungsgesellschaft ein umfas-senderes und höherwertiges Angebot an Postdiensten fürerforderlich halten, als dies die Konservativen und dieLiberalen tun.
Wir wollen zum Beispiel die Flächendeckung und denerschwinglichen Preis auch für die Beförderung vonZeitungen und Zeitschriften sowie für Pakete bis20 Kilogramm. Wir wollen dauerhaft 12 000 Filialenbundesweit. An dieser Stelle darf ich daran erinnern:Stand unter der alten Regierung waren 10 000 Filialen,bis 2002 begrenzt. Wir öffnen diese Begrenzung nachoben und sichern 20 Prozent mehr Filialen, auch in derFläche, in jeder Stadt und in jedem Landkreis.
Wenn dann Herr Müller einwendet, 10 000 Agenturenentsprächen 5 000 posteigenen Filialen, ist doch die Fra-ge: Warum hat die alte Bundesregierung nicht durchge-setzt, daß es 20 000 Postfilialen gibt, was finanziell dannja überhaupt kein Problem gewesen wäre?
Wir wollen – es ist bereits gesagt worden – klarereKriterien für die Aufrechterhaltung von Filialen: Bei-behaltung der 2 000-Meter-Regelung und – aus Gründender Qualitäts- und Beschäftigungssicherung – 5 000posteigene Filialen bis Ende 2002. Ich darf daran erin-nern: Nach von der alten Bundesregierung gebilligtenPlänen wollte die Post AG nach 2002 überhaupt keineoder nur noch in ganz wenigen Ballungszentren postei-gene Filialen unterhalten. Wir sichern jetzt bis 2002 einbreites Rückgrat von posteigenen Filialen in der Fläche,das diesen Namen auch verdient. Das bedeutet nebenbeiauch Perspektiven für über 25 000 Beschäftigte unddient der Zukunftssicherung von Post und Postbank.
Wir haben endlich eine Grundlage dafür geschaffen,daß die Post AG jetzt ein Filialkonzept vorlegen kann,das sie vertraglich mit dem Sozialpartner vereinbarenkann und das mit den Kommunen und Ländern abge-stimmt werden kann. Wie lange haben wir denn daraufgewartet?
Universaldienstleistung bedeutet Pflichtleistung zuerschwinglichem Preis. Von dieser Pflichtleistung undvon dieser Preisgrenze dürfen aber nicht jene profitieren,die meinen, sie müßten Haß und Rassismus unter dasVolk streuen. Kein Postunternehmen, weder die PostAG noch irgendwelche anderen, und kein Beschäftigterdieser Unternehmen darf gezwungen werden, Sendun-gen zu bearbeiten, deren äußere Gestaltung schon er-Gerhard Jüttemann
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kennen läßt, daß sie gegen die Prinzipien der GenferAntirassismuskonvention verstoßen.
Dort findet sich eine entsprechende klare Regelung, unddieser Konvention ist die Bundesrepublik vor knapp30 Jahren beigetreten. Wir vollziehen hier also nur das, wo-zu wir sowieso verpflichtet sind. Die Union hat dies bisheute abgelehnt; für uns ist das eine Selbstverständlichkeit.
Verbraucherverbände und Bürgerinitiativen haben dierechtlich abgesicherte Überprüfbarkeit der Vorgabendieser Verordnung gefordert. Wir sind dieser Forderungim neuen § 5 in Form der Möglichkeit einer Bürgerein-gabe teilweise gefolgt. Die Bundesregierung ist der Auf-fassung, daß für weitergehende Vorstellungen an dieserStelle keine Rechtsgrundlage besteht.Die SPD-Fraktion hält die Bürgereingabe für einenunübersehbaren Fortschritt. Wir werden aber auch ganzgenau beobachten, ob die Regulierungsbehörde alsKontrollinstanz diese Eingaben sachgerecht behandelt.Wir wollen auch, daß – dann eben auf anderen rechtli-chen Wegen – die Rechte der Kundinnen und Kunden indieser Frage gestützt werden.
An dieser Stelle möchte ich auf die entsprechende Pas-sage in unserem Entschließungsantrag hinweisen, indem wir dieses berechtigte Anliegen mit aufgreifen.Jetzt komme ich zu den Äußerungen, die wir heutegehört haben und die schon seit ein paar Tagen in derPresse herumgeistern. Deshalb haben wir auch die Frageder Finanzierung des Universaldienstes und des fairenWettbewerbs in die Entschließung aufgenommen. Kol-lege Elmar Müller hat gegenüber der „FAZ“ am 27.Oktober 1999 erklärt, der Post AG sei die Exklusivli-zenz beim Brief und die Portoerhöhung zugestandenworden, um sie in die Lage zu versetzen, „die Infra-strukturauflagen zu tragen“.Wir begrüßen, daß sich Elmar Müller in diesemPunkt unserer Auffassung anschließt. Das heißt nämlich,wir haben einen reservierten Bereich in einem be-stimmten Preis- und Mengenvolumen zur Finanzierungdes Universaldienstes. Damit dies logisch und europa-tauglich sowie wettbewerbsrechtlich sauber ist, mußbeides, der Universaldienst – das liefern wir jetzt nach –und der reservierte Bereich, klar definiert sein.Damit machen wir gemeinsam auch gegenüber derEU-Kommission, der Regulierungsbehörde und gegen-über gewissen Gerichten, die offensichtlich andererMeinung sind, klar, was der Postgesetzgeber an diesemPunkt gemeint hat. Deswegen freue ich mich über das,was Elmar Müller gesagt hat.Wir sagen ganz klar: Der Universaldienstleister Deut-sche Post AG braucht zur Erfüllung seiner Pflichten be-rechenbare Rahmenbedingungen. Dazu gehört der reser-vierte Bereich mit auf absehbare Zeit stabilen Entgelten,aber dazu gehören auch faire Chancen im internationa-len Wettbewerb.Da kann es eben nicht sein, daß sich in der EU dieLiberalisierung so vollzieht, daß ausländische Postun-ternehmen sich frei auf dem deutschen Markt, der zuzwei Dritteln schon im Wettbewerb ist, tummeln könnenoder ihre Töchter sich dort tummeln lassen, während inden Herkunftsländern dieser Unternehmen quasi mono-polistische Verhältnisse herrschen.
Das ungleiche Niveau der Liberalisierung in Europa –aber nicht nur da – hat bekanntlich schon dazu geführt,daß der Ministerrat der EU die bereits für vergangenenHerbst vorgesehene Vereinbarung weiterer Liberalisie-rungsschritte vertagt hat – mit Recht.Es macht in dieser Situation überhaupt keinen Sinn, sichvon einzelnen EU-Staaten im Verbund mit Union undF.D.P. zur Vereinbarung weiterer Liberalisierungsschrittetreiben zu lassen oder für Deutschland schon heute überfeste Fristen des Auslaufens der Exklusivlizenz zu ent-scheiden, während in den meisten europäischen Mitglied-staaten noch nicht einmal die für Anfang vergangenen Jah-res vereinbarten Marktöffnungen vollzogen sind.
Dann möchte ich an dieser Stelle einmal anmerken,daß sich aus meiner Sicht die Anzeichen dafür mehren,daß die derzeitige deutsche Regulierungspraxis beiTelekommunikation und Post die eigenen nationalenCarrier dadurch benachteiligt, daß in deren deutschenHauptmarkt alle fast alles tun können, während dieDeutsche Telekom und die Deutsche Post AG in vielenLändern mit Hürden zu kämpfen haben. Ich will nur einBeispiel nennen: Postmarkt Niederlande. Der Delegationunseres Unterausschusses haben sie dort frank und frei,ganz liberal, erklärt, daß im dortigen, ohnehin verspäte-ten Postgesetz an so etwas wie einen freien Netzzugangüberhaupt nicht gedacht sei, den es bei uns seit Jahren inextensiver Form gibt und von dem die niederländischenPostunternehmen in der Bundesrepublik massiven Ge-brauch machen.An dieser Stelle wundere ich mich schon über denKollegen Müller, wenn er in demselben „FAZ“-Gespräch beklagt,die Post habe die Mehreinnahmen aus dem reser-vierten Bereich aber auch für Großeinkäufe von10 Milliarden DM verwendet.Er leitet daraus die Forderung nach Gebührensenkungenund einem baldigen Ende der Exklusivlizenz ab, um sichdann aber wieder zu beklagen, daß die Post AG Rabattean Großkunden geben darf. Also was denn jetzt? Wett-bewerb ja, Gebührensenkungen ja, Rabatte nein? Wirwissen doch alle, daß 85 Prozent des Postgeschäfts mitGroßkunden gemacht werden.Vor diesem Hintergrund laufen die Forderungen vonUnion und F.D.P. darauf hinaus zu sagen: Die Post AGmuß erstens in dem Umfang Universaldienst leisten, denwir heute beschließen, übrigens auch auf Drängen undmit Unterstützung aller unionsgeführten Länder imKlaus Barthel
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5934 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Bundesrat. Vielleicht könnte sich die Union hier imHaus mit den Landesregierungen koordinieren.
Weiter mit den Forderungen der Union und F.D.P.: DiePost AG muß zweitens ihre Tarife senken. Sie darf drit-tens ihren Großkunden keine Rabatte anbieten und mußviertens ihren reservierten Bereich ganz schnell verlie-ren. Das heißt, die Post AG muß alle Lasten tragen undist gleichzeitig im Wettbewerb gefesselt. Das ist für dieKonkurrenz eine komfortable Lage. Auf diesem Wegentsteht alles mögliche, aber kein fairer Wettbewerb.Es war immer der Einwand der Liberalisierungsgeg-ner, daß die Großkunden von der Liberalisierung mehrprofitieren, egal, ob bei der Telekommunikation, beimStrom oder bei der Post. So kommt es natürlich jetzt.Daß die Krokodilstränen über diese Tatsache jetzt aus-gerechnet von den Propagandisten der Liberalisierungkommen, ist doch ein Schmierentheater sondergleichen.
Wenn ich mich recht erinnere, war es doch die alteBundesregierung, die die Liberalisierung der Postmärktemit der internationalen Entwicklung und Globalisierungsowie damit begründet hat, daß die Deutsche Post AGinternational wettbewerbsfähig gemacht werden müsse.Die Post mußte ja deswegen auch von einer Einrichtungdes öffentlichen Dienstes zu einer Aktiengesellschaftwerden. Deswegen soll sie auch an die Börse gebrachtwerden. Dafür braucht sie gesicherte Bedingungen– auch einen reservierten Bereich – für die Übergangszeit.
Wir wissen doch alle, daß im Zuge der vielstrapa-zierten Globalisierung auch ein Unternehmen wie dieDeutsche Post AG im Wettbewerb nur überleben kann,wenn sie sich international aufstellt. Es waren doch Uni-on und F.D.P., die das für die Postmärkte immer gefor-dert haben. Jetzt folgt die Deutsche Post AG diesen Vor-schlägen der Liberalisierer Union und F.D.P. Wenn siedas tut, schreien dieselben Zeter und Mordio. Da stimmtdoch etwas nicht.
Anstatt gemeinsam mit der Bundesregierung, ElmarMüller, gegenüber den Institutionen der EuropäischenUnion und gegenüber gewissen überforderten Verwal-tungsrichtern deutlich zu machen, daß wir in der Bundes-republik nicht nur eine der liberalsten Gesetzgebungen,sondern den faktisch am weitesten geöffneten Postmarkthaben, während in anderen Ländern zwar liberalistischdahergeredet wird, aber monopolistische Fakten bestehen,während andere Länder – übrigens durchaus nicht völligabwegig – die Postliberalisierung überhaupt für Unfughalten, liefern jetzt die Vertreter von Union und F.D.P.Argumente gegen die Kunden und gegen die Arbeitsplät-ze in Deutschland, indem sie von Beihilfen, Quersubven-tionierung und überdimensionalen Einnahmen aus demreservierten Bereich faseln.
Sie bauen diese ganze gegen die Marktbedingungen,gegen die Unternehmen und gegen die Arbeitsplätze inDeutschland gerichtete Argumentation mit auf und er-klären dann ganz treuherzig, wegen all dieser Widrig-keiten sei nun der Börsengang der Deutschen Post AGgefährdet. Ich darf Sie daran erinnern: Es war doch dievon Ihnen getragene Bundesregierung, die den Börsen-gang geplant und terminiert hat. Da beißt sich doch derHund selbst in den Schwanz und jault, weil es weh tut.
Wir warnen an dieser Stelle vor einer populistischenGebührensenkungsdebatte. Für Entgelte gibt es Verfah-ren, die außerhalb dieses Gebäudes stattfinden. Wir ha-ben mit der Post-Universaldienstleistungsverordnungmehr Klarheit in die Rechnungs- und Begründungszu-sammenhänge gebracht, auch hinsichtlich der Gebühren-frage. Wer ohne diese Rechnungen und Erwägungenjetzt zu laut schreit, der setzt sich der Gefahr aus, wegendes billigen Effekts und wegen ein paar Pfennigen Portoerstens die Erbringung des Universaldienstes zu gefähr-den, zweitens die Wettbewerbsfähigkeit des deutschenCarriers zu beeinträchtigen und drittens Zigtausende vonArbeitsplätzen aufs Spiel zu setzen.Zu deutsch: Was nützt es dem Handwerker, wenn dasBriefporto um 10 Pfennig billiger wird, aber wenn er nurnoch jeden zweiten Tag die Post zugestellt bekommtund wenn er seine Sendungen am Heimatort nicht mehraufgeben kann, weil es keinen Universaldienst mehrgibt? Mit den paar Pfennigen Ersparnis kann er denMehraufwand, den er aufbringen muß, um in die Kreis-stadt zu fahren, bestimmt nicht finanzieren.
Unsere klare Linie ist: Den Universaldienst brauchendie Postkundinnen und -kunden im ganzen Land. Zu-verlässige Mindestbedingungen brauchen auch die Un-ternehmen, vor allen Dingen auch die kleinen und mitt-leren. Das ist ein Standortfaktor. Die Bundesländer unddie Kommunen haben das längst begriffen. Diese Infra-struktur kommt nicht von allein und auch nicht durchden Wettbewerb allein. Das ist eine historische und be-triebswirtschaftlich logische Tatsache.
An sich ist Ihre Re-
dezeit zu Ende, Herr Kollege.
Der Gesetzgeberwar und ist gefordert. An dieser Stelle liegt der zentraleUnterschied zwischen Ihrer und unserer Auffassung vonPolitik. Wir gehen von den Bedürfnissen der Menschenaus. Uns geht es um Arbeitsplätze. Von daher bestim-men wir die Wettbewerbs- und Marktbedingungen.
Sie von konservativer und liberaler Seite sehen denschrankenlosen Wettbewerb als Selbstzweck. Sie kon-struieren ökonomische Sachzwänge und wollen dieMenschen in diese Zwänge hineinpressen. Mit unsererKlaus Barthel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5935
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Post-Universaldienstleistungsverordnung haben wireinen wesentlichen Schritt in Richtung Klarheit auf demPostmarkt getan.
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluß kommen.
Die Kernbotschaft
des heutigen Tages lautet: Unsere neue PUDLV beendet
den Filialabbau. Keine Postmoderne ohne moderne Post!
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie zu der zustimmungsbedürftigen Post-Universal-
dienstleistungsverordnung, Drucksache 14/1696. Der
Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 14/1971, der
Verordnung zuzustimmen. Wer stimmt dieser Beschluß-
empfehlung zu? – Die Gegenprobe! – Stimmenthaltun-
gen? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und
PDS ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen, Drucksache 14/1972. Wer stimmt diesem
Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Bei Gegenstimmen von CDU/CSU, F.D.P.
und PDS ist der Entschließungsantrag angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS, Drucksache 14/1973.
– Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die
PDS-Fraktion. – Wer stimmt dagegen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen aller anderen Fraktio-
nen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Hannelore Rönsch , Ernst
Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Sicherung der Volksfeste und des Schaustel-
lergewerbes in der Bundesrepublik Deutsch-
land
– Drucksache 14/1312 –
Überweisungsvorschlag:
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5936 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5937
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– Ja.Wenn man dann bei den Amerikanern noch hinzu-fügt, daß Deutschland auch für Volksfeste steht, dannwird das bei ihnen sehr genau registriert – übrigens auchbei den Asiaten. Deutsches Brauchtum und deutscheKultur sind also ein Stück Identität, die hier gepflegtwird. Ich finde es gut, wenn das erhalten bleibt. Deshalbsollten wir alles tun, um die Probleme, die objektiv be-stehen, anzugehen.Volksfeste sind auch ein wichtiger Faktor für denTourismus. Und weil das so ist, sind wir darum bemüht,gerade bei der Deutschen Zentrale für Tourismus umVerständnis dafür zu werben. Sie wissen – auch das willich hier sagen –, daß sich gerade die Bundesregierungum die Deutsche Zentrale für Tourismus bemüht hat,daß sie sich bemüht hat, die Mittel nicht nur aufzustok-ken, sondern sie auch stabil zu halten – trotz der Spar-maßnahmen, die anstehen.
Das ist eine wichtige Sache.Herr Brähmig, wir beide wissen, wovon wir reden,weil wir beide Ihre mittelfristige Finanzplanung kennen.Dort war eine Absenkung vorgesehen. Wir haben dasmiteinander vermieden, und wir sind uns darin einig,daß das wichtig war.
– Ja, das ist wichtig, aber das können wir möglicherwei-se nicht übersehen. Herr Brähmig weiß, wovon er redet.Die Deutsche Zentrale für Tourismus ist eine der wich-tigsten Multiplikatoren-Institutionen, die wir im Prozeßder Globalisierung haben. Deshalb haben wir darum ge-kämpft, daß die Mittel entsprechend ausgestattet werden
und die Institution erhalten bleibt. Das ist wichtig. Wennwir dann auch noch etwas für Volksfeste im internatio-nalen Marketing tun können, wäre das, glaube ich, einwichtiger Fortschritt.Es gibt einen Punkt, meine Damen und Herren, liebeKolleginnen und Kollegen, der, glaube ich, besonderswichtig ist und bei dem wir schon einen Fortschritt er-zielt haben: Wir haben uns dafür eingesetzt, daß dieSchaustellerfahrzeuge nicht mehr schematisch zu ei-nem Termin, der mitten in der Saison liegt, geprüft wer-den, sondern dies kann, zeitlich passend, außerhalb derbetrieblichen Spitzenzeiten erfolgen. Ich weiß, daß dasSchaustellergewerbe das sehr begrüßt hat. Wir habendas gemeinsam gemacht. Es ist, glaube ich, ein wichti-ger Schritt. Ich will jetzt nicht übertreiben, aber es ist einwichtiges Zeichen, ein Signal, daß wir pragmatisch andie Lösung dieser Fragen herangehen. Diese Regelungerfolgte im Einvernehmen mit den Schaustellerverbän-den und den obersten Landesbehörden.Auch bei den Fahrverboten nach der Straßenver-kehrsordnung verfahren die Länder inzwischen mitAusnahmegenehmigungen für die Schausteller großzü-giger. Ich habe die herzliche Bitte, daß Sie sich, wenn esdort Probleme gibt, direkt an uns wenden, damit wir der
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Sache nachgehen können. Wir wollen nämlich, daß daeine flexible Handhabung stattfindet.Die ebenfalls aufgeworfene Frage, ob wir eine gast-stättenrechtliche Dauererlaubnis für reisende Zelt-gaststätten und Imbißbetriebe einführen können, wirdunser Haus bei der nächsten Sitzung des Bund-Länder-Ausschusses „Gewerberecht“ erörtern. Wir streben einekonstruktive Zusammenarbeit mit den Ländern an, umhier eine unbürokratische Lösung zu finden, möglichstviele flexible Formen zu gestatten und damit vielleichtauch eine Form von Regelung zu ermöglichen, die nichtpausenlose Behördengänge verlangt. Das ist, glaube ich,einer der wichtigsten Punkte, um die es überhaupt geht.Wir müssen möglichst bürgernahe Strukturen schaffen.Wir müssen möglichst flexible Einheiten schaffen, damitdieses Gewerbe als wichtiges mittelständisches Gewerbeerfolgreich ist. Wir wollen, daß es Erfolg hat, auch öko-nomischen Erfolg, weil das die Voraussetzung dafür ist,daß das Schaustellergewerbe manchmal ein bißchenLicht in den grauen Alltag bringen kann.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das ist der Beifall
des ganzen Hauses. Nun hat das Wort der Kollege Ernst
Burgbacher, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es heutetatsächlich mit Produzenten eines ganz besonderen Pro-dukts zu tun, nämlich mit Produzenten der ProdukteFreude, Frohsinn und Geselligkeit.
Kollege Brähmig hat schon auf die wirtschaftliche Be-deutung dieser kleinen und mittelständischen Produzen-ten hingewiesen. Wir alle haben ihre Produkte sicher inder einen oder anderen Form immer wieder genossen.Diese Produzenten müssen allerdings auf dem äußersthart umkämpften Markt der Freizeitdienstleistungen ar-beiten. Sie kämpfen mit immer verhaltener werdendenEinkommensentwicklungen.Herr Staatssekretär Mosdorf, nachdem Sie es sichversagt haben, gewisse Dinge auszusprechen, will ich esmir nicht versagen, zu sagen, daß dieses Gewerbe natür-lich unter dem 630-Mark-Gesetz und unter den beidenStufen der Ökosteuer leidet.
Nach allen Informationen, die mir vorliegen, ist dasEnergiesparpotential weitgehend ausgereizt – es seidenn, die Lichter gehen aus; aber dann gehen wir nichtmehr auf den Jahrmarkt. Nach all meinen Informationenist es für dieses Gewerbe relativ uninteressant, was anRentenbeiträgen eingespart wird, weil hier eine andereBeschäftigtenstruktur vorhanden ist.Es gibt ganz andere Probleme, vor denen das Schau-stellergewerbe steht. Zum einen beschreiten die Kom-munen in ihrer Finanznot, die wir kennen, Wege, die un-serer Ansicht nach nicht die richtigen sind. Es werdenzum Beispiel Gebühren für verschiedene Dinge erhoben,die die Branche vor große Probleme stellen. Zum ande-ren gehen die Kommunen mehr und mehr dazu über,solche Fest an private Organisationen zu vergeben. Bei-des ist sicherlich sehr kritisch zu sehen. Deshalb wird indem Antrag von der CDU/CSU zu Recht darauf hinge-wiesen, daß die Gefahr besteht, daß Traditionen verlo-rengehen und solche Märkte absterben. Ich will daraufhinweisen, wie stark die örtliche Gastronomie und derörtliche Einzelhandel von solchen Volksfesten undMärkten abhängen.Ich komme aus einer Stadt, die einen Markt hat, derüber 150 Jahre alt ist. Ich weiß, wie wichtig dieserMarkt für die ganze Stadt ist. Für den Einzelhandel istdieser eine Markttag fast wichtiger als das Weihnachts-geschäft. Das muß man sehen. Deshalb müssen wir dar-an interessiert sein, vernünftige Bedingungen zu schaf-fen.
Meine Damen und Herren, eines ist ganz klar – unddas werden Sie von Liberalen erwarten –: Wir bekennenuns auch hier zur Konkurrenz, zum Wettbewerb. Aller-dings müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Eskann nicht sein, daß wir den Schaustellern alle mögli-chen Auflagen machen und alle möglichen anderen Ge-schäfte zulassen, die viel weniger belastende arbeits-rechtliche, hygienische und andere Vorschriften beach-ten müssen. Hier müssen wir angehen und dafür sorgen,daß tatsächlich alle unter den gleichen Voraussetzungenarbeiten.
Ich sage an dieser Stelle kritisch: Wir haben hier vorzwei, drei Wochen eine Vereinsdebatte geführt. Wirkönnen nicht an einem Donnerstag sagen, jetzt gebenwir den Vereinen alle Vergünstigungen, und an einemanderen Donnerstag, heute, die Vereine sollen keine be-kommen. Hier müssen wir ein ganzes Stück ehrlicherargumentieren.
Wir stimmen vielen Punkten in ihrem Antrag zu. Wirwerden uns auch in die Ausschußberatungen einklinkenund versuchen, zu einem gemeinsamen Antrag zu kom-men. Lassen Sie mich aber zwei Dinge ein wenig kriti-scher darlegen: Im Antrag wird immer wieder dazu auf-gerufen, wir sollten auf die Kommunen einwirken. Daskönnte kontraproduktiv sein. Ich halte sehr viel von derkommunalen Selbstverwaltung. Kommunen müssenwissen, was sie tun. Sie müssen in Zusammenarbeit mitden Schaustellern entscheiden. Dafür, daß sie das tun,gibt es genügend gute Beispiele.
Das zweite: In einigen Bereichen werden neue Re-gelungen gefordert. Da sage ich: Vorsicht! Ich bin, wiegesagt, dafür, die bestehenden Regelungen auf alle an-zuwenden, aber ich bin bei neuen Regelungen skeptisch.Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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Ich fahre bis heute liebend gern Autoscooter, aber ichmöchte dabei nicht auch noch die Straßenverkehrsord-nung beachten müssen. Damit verschonen Sie uns bitte!
Noch ein ganz konkreter Punkt: Sie werben für Er-leichterungen bei der Vermittlung von ausländischenArbeitskräften. Ich bitte Sie wirklich herzlich: Überle-gen Sie sich einmal, ob nicht der bessere Weg wäre,dem F.D.P.-Antrag auf Abschaffung der Arbeitserlaub-nispflicht für legal hier lebende Ausländer zuzustimmen.
Dann hätten Sie einen großen Teil der Probleme heuteschon gelöst.Ich möchte zum Schluß kommen. Ich habe vor einerStunde, bevor ich hierhergekommen bin, vom DTV eineBroschüre mit einem Gedicht bekommen, das genau zuunserem Thema paßt. Dort heißt es am Schluß:Die Städte sollen‘s Volksfest schätzen,Es lassen auf den alten Plätzen,Gebühren halten stets im Rahmen,Für alle Zeiten, ewig. Amen.
Lassen Sie mich im Hinblick auf unsere Gäste nochhinzufügen: Wir helfen unseren heutigen Gästen, auchwir woll‘n schließlich weiterfesten.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Sylvia Voß, Bündnis 90/Die Grünen.
Ja, Herr
Burgbacher, wir haben ein „Herz für bunte Feste“,
könnte man gleich anfügen. – Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Nachdem sich die CDU/CSU vor
nicht allzu langer Zeit mit dem bösen Wort vom „Frei-
zeitpark Deutschland“ hervorgetan hat, fällt es mir aller-
dings ein wenig schwer, heute hier nachzuvollziehen,
daß diese hübsche Übersicht über ihre 16jährigen Ver-
säumnisse ein Antrag zur Sicherung der Volksfeste und
des Schaustellergewerbes sein soll. Auf dem parlamen-
tarischen Abend des Schaustellerbundes am 23. Juni
dieses Jahres in Bonn hat der Schaustellerbund zu Recht
darauf verwiesen, daß er seit Jahren Initiativen ergreife,
Volksfeste besser abzusichern. Sehr erfolgreich ist man
damit in der vorigen Regierung offensichtlich nicht ge-
wesen.
Es hätte den christdemokratischen Kolleginnen und
Kollegen, die uns heute ihre 17 Forderungen hier prä-
sentieren, ganz gut angestanden, die vom Deutschen
Schaustellerbund schriftlich an uns herangetragenen
Forderungen nicht einfach abzuschreiben.
Frau Kollegin Voß,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bräh-
mig?
Ach,Herr Brähmig, wir sehen uns im Ausschuß so oft. Las-sen Sie mich jetzt ausreden.Sicherlich ist es erfreulich für den Deutschen Schau-stellerbund, daß die CDU/CSU in der Opposition end-lich den Mut faßt, der sich in der Regierung partoutnicht hatte einstellen wollen. Aber ich denke, wir solltendabei wirklich gemeinsam vorgehen.Ich möchte allerdings anmerken, daß es in Ihremvorliegenden Antrag reichlich viel Unverbindlichkeitgibt. Bei vielen Forderungen wird gänzlich darauf ver-zichtet, Problemlösungen auch nur anzudeuten. HerrBrähmig hat vorhin ein paar genannt. Ich hielte esgrundsätzlich für fatal, wenn sich die Opposition diesesHauses nur als Stichwortgeber der neuen Regierung ver-stände.Es bleibt beispielsweise völlig im Nebel, welche Vor-stellungen Sie mit Ihrer Forderung verbinden, die Bun-desregierung möge auf die Kommunen einwirken,Volksfeste in eigener Trägerschaft zu veranstalten.Schweben Ihnen hier Fördermodelle des Bundes oderlediglich gute Worte bei mehr oder weniger passendemAnlaß vor?Dann lesen wir: Der Bund – wohlgemerkt: der Bund –möge darauf hinwirken, daß die Vergnügungsteuer unddie Schankerlaubnissteuer durch die Gemeinden nichterhöht werden. – Wie das? Für beide Steuern besitzt derBund keine Gesetzgebungskompetenz. Die Vergnü-gungsteuer ist eine örtliche Steuer auf Grundlage einesLandesgesetzes. Die Schankerlaubnissteuer ist es nichtminder. Letztere wird obendrein nur in einer HandvollLänder überhaupt erhoben. In Rheinland-Pfalz und Hes-sen liegt die Ertragshoheit der Schankerlaubnissteuer beiden Landkreisen und kreisfreien Städten. Das könnenund wollen wir auch nicht ändern.Bei einigen Forderungen kann man sich auch nichtdes Eindrucks erwehren, daß für die Opposition mit derErlangung des Status der Opposition eine neue Zeitrech-nung begonnen hat.
Oder wollen Sie dieses Hohe Haus wirklich glaubenmachen, es hätte bis zum Herbst 1998 den jetzt von Ih-nen, Herr Brähmig, konstatierten Regelungsbedarf in derStraßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung nicht gege-ben? Hat es der von Ihnen jetzt angemahnten besserenFörderung der Schulausbildung von Schaustellerkin-dern, die völlig richtig ist, unter einerCDU/CSU/F.D.P.-Regierung nicht bedurft?Mit diesen Forderungen stellen Sie sich doch selberein Armutszeugnis für Ihre Regierungsarbeit aus. Es istzu hoffen – ich glaube, daß wir das hinbekommen –, daßsich die Antragsteller in den Ausschußberatungen bereit-finden werden, sich den einen oder anderen GedankenErnst Burgbacher
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darüber zu machen, wie wir diese berechtigten Forde-rungen des Schaustellerbundes umsetzen. Bis dahinbleibt Ihr Antrag leider nur ein großes Potpourri schönerForderungen, das besser zu der Sendung „Wünsch Dirwas“ passen würde.Unsere Fraktion nimmt die spezifischen Probleme desSchaustellergewerbes sehr ernst.
Wir sind bereit, gemeinsam mit den anderen Fraktionenüber Problemlösungen zu diskutieren, gefundene Lö-sungen – unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips –durchzusetzen und so wirklich zu Verbesserungen zugelangen. Immerhin gibt es in Deutschland 10 000Volksfeste und 5 000 Schaustellerbetriebe, die 1997 ei-nen Umsatz von 1,6 Milliarden DM hatten. 200 Millio-nen Besucher kamen 1998 auf die Volksfeste. Wirmöchten, daß dies so bleibt. Sie sollen tanzen, feiern,fröhlich und zufrieden sein mit dem, was unsere Schau-steller bieten. Wir werden alles dafür tun, daß denSchaustellern viele Dinge ermöglicht werden, die siehier zu Recht einklagen.Aber klar muß auch sein: Es kann keinen besonderenSchutzstatus für das Schaustellergewerbe geben. Dasheißt, es wird mit uns keine fragwürdigen Ausnahmere-gelungen geben, wie sie von der CDU/CSU beispiels-weise für das Bundes-Immissionsschutzgesetz oder diegeplante Schwerverkehrsabgabe gefordert werden. Nichtum Ausnahmen soll es uns gehen, sondern darum, of-fensichtliche Benachteiligungen zu beseitigen, damit wirgemeinsam mit den Schaustellern weiter feiern undfröhlich sein können.Konkurrenz, wie sie beispielsweise von den 20 000Brauchtums- und Traditionsvereinen ausgehen mag,können und wollen wir nicht eliminieren. Wir wollenebenso nicht jene Konkurrenz eliminieren, die sich zumTeil aus gravierenden Veränderungen im Freizeitver-halten ergibt, für die Begriffe wie Erlebnisgastronomie,Spaß- und Erlebnismessen, Freizeitparks, Diskotheken,Shopping, Entertainment, Fitneß, Kultur und auch Naturstehen.Abschließend möchte ich meine Freude darüber zumAusdruck bringen, daß im Tourismusausschuß offenbargroße Übereinstimmung darüber besteht, die Beseiti-gung der Versäumnisse der früheren Bundesregierungim Hinblick auf das Schaustellergewerbe engagiert an-zugehen und zu Verbesserungen zu kommen.
Hoffen wir alle, daß dann auch in unseren Ausschußbe-ratungen gilt:Der Jahrmarkt raubt uns den Verstand,Für kurze Zeit nur, Gott sei Dank.
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Rosel Neuhäuser, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Auch ich möchte die Gäste auf derTribüne, die unsere Debatte heute mitverfolgen, herzlichbegrüßen. Ich denke, daß sie viele gute Ideen und si-cherlich auch einige Positionen, die hier zum Ausdruckgebracht werden, in ihre Vereine und Verbände mit-nehmen werden.Ob es das Volksfest, die Kirmes, Stadt- oder Vereins-feste sind, sie alle haben eine Signalwirkung, nämlichdie, endlich wieder einmal einen Tag der Gemeinsam-keit in Freude und Tanz zu genießen. Wie war und ist esaber um diejenigen bestellt, die dafür Sorge tragen, daßdie Feste im wahrsten Sinne des Wortes Volksfeste wer-den und sich zunehmender Beliebtheit erfreuen? Nichtzum erstenmal artikuliert das Schaustellergewerbe mitNachdruck seine Wünsche an die Politik.Wenn auch zu begrüßen ist, daß durch den Antrag derCDU/CSU die aktuellen Probleme des Schaustellerge-werbes auf die Tagesordnung gesetzt werden, kann ichmir eine Bemerkung nicht verkneifen – darauf ist heuteschon öfter hingewiesen worden –: Ein paar Tage wäh-rend Ihrer Regierungszeit hätten Sie schon übrig habensollen, um den Fragen des Schaustellergewerbes ent-sprechende Aufmerksamkeit zu schenken.
Ihr Antrag wäre darüber hinaus vollständiger gewesen,wenn zum Beispiel das europaweit größte Frühlingsfest,der „Sommergewinn“ in Eisenach, erwähnt worden wä-re.
Von Ihnen, meine Damen und Herren von der Regie-rung, erhoffe ich mir baldige Lösungen. Herr Mosdorfhat hier ja schon einige Vorschläge gemacht. Ich denke,daß das auch richtige Schritte in die richtige Richtungsind.Aus der Sicht meiner Fraktion ist unter anderem nochfür Abhilfe bei der Ungleichbehandlung von Schaustel-lergewerbe und stationärem Gewerbe zu sorgen. Im ein-zelnen heißt das:Es sind gesetzliche Regelungen für das Beantra-gungsverfahren zu schaffen. Herr Burgbacher hat ebenschon ein Beispiel bezüglich der Arbeitskräfte gegeben.Weiterhin sind gesetzliche Regelungen im Steuer-recht zu verändern. Es ist zum Beispiel nicht einzuse-hen, daß Schausteller keine Schwierigkeiten dabei ha-ben, die Kosten für Hotelzimmer abzusetzen, demge-genüber aber die Kosten, die für Übernachtungen imWohnwagen notwendig sind, nicht abgesetzt werdenkönnen.Es wurde auch schon angesprochen, daß es Regelun-gen bezüglich der Gebührenordnungen geben muß,damit Wettbewerbsverzerrungen von vornherein ausge-schlossen werde. Im Handwerkergewerbe sind zum Bei-Sylvia Voß
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spiel die Schutzgesetze in einer Stammrolle festge-schrieben. Warum sollte das für das Schaustellergewer-be nicht möglich sein?Es gilt auch, darüber nachzudenken, ob es Regelun-gen zum Schutze der Volksfeste geben sollte. In andereneuropäischen Ländern, zum Beispiel in Italien, gibt essolche „Volksfestschutzgesetze“. Wir sollten darübernachdenken, damit dieses Gewerbe nicht schutzlos derWillkür kommunaler Verwaltungen ausgesetzt ist.Durch fehlende Regelungen bezüglich des Erhalts vonVolksfesten wird nämlich der Privatisierung und damiteinhergehenden Bebauungsabsichten Tür und Tor geöff-net. Das beste Beispiel liegt eigentlich vor der Tür: DerWeihnachtsmarkt in Berlin findet in diesem Jahr letzt-malig auf dem Platz an der Jannowitzbrücke statt. Fürdiesen Platz ist eine Bebauung geplant. Wie lange willman noch zulassen, daß die Kommunen zentral gelegenePlätze immer weiter zubauen und kulturelle Veranstal-tungen aus den Stadtzentren vertrieben werden? In denHerzen der Städte muß Kultur pulsieren. Dazu gehörenauch diese Volksfeste.Es sei mir erlaubt, nochmals zu betonen, daß in derheutigen schnellebigen Zeit die sinnvolle Pflege vonTraditionen und volkstümlichem Brauchtum, zu denenauch die Volksfeste zählen, außerordentlich wichtig ist.In einer Gesellschaft, die auf der einen Seite immer mo-biler wird und andererseits auf Grund von Isolation deseinzelnen und gegenseitiger Entfremdung nach neuenFormen des Zusammenkommens sucht, gewinnenzwanglose, gemeinsame Feiern immer mehr Zuspruch.Das zeigen die Statistiken; entsprechende Zahlen wur-den ja auch heute schon genannt.Es gäbe sicherlich noch eine Vielzahl von Problemenzu benennen, aber ich möchte nur noch auf eine Frageeingehen: Die CDU/CSU fordert in ihrem Antrag unteranderem die Einrichtung von Stützpunktschulen in denBundesländern. Diese gibt es eigentlich schon. Ich frageSie, meine Damen und Herren, ob es nicht eher an derZeit ist, über ein modernes bundesweites Schulsystemnachzudenken, um allen Kindern und Jugendlichen glei-che Entwicklungschancen zu ermöglichen. Wenn wirüber mehr Effizienz reden, dann müssen wir auch dasBildungswesen einbeziehen. Erleichterungen im Ein-schulungs- und Umschulungswesen, in der Aus- undWeiterbildung sind längst überfällig.
Frau Kollegin, kom-
men Sie bitte zum Schluß. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ja, noch einen letzten
Satz. – Im Hinblick auf einen attraktiven Inlandstouris-
mus halte ich einen Dialog zwischen Kommunen, Kul-
tureinrichtungen und der Tourismusbranche für sehr er-
strebenswert. Die Kommunen und die Tourismusinstitu-
tionen vor Ort sollten stärker als bisher die Möglichkeit
wahrnehmen, an lokalen Kulturveranstaltungen zu parti-
zipieren. So wächst auch das Verständnis füreinander.
Vielen Dank.
Jetzt hat das Wort
der Kollege Jann-Peter Janssen, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehrgeehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Bundesregierung hat die Bedeutung derVolksfeste und des Schaustellergewerbes erkannt. Tref-fender als unser Bundeskanzler Gerhard Schröder kannman die Leistungen des Schaustellergewerbes nicht dar-stellen. Er sagte – nachzulesen auf der Internet-Seite desDeutschen Schaustellerbundes –:Die Schausteller in Deutschland leisten einen un-schätzbaren Beitrag für ein menschliches Miteinan-der in unserer Gesellschaft.
Die großen Volksfeste und die vielen kleinen Dorf-und Stadtteilfeste bieten Jung und Alt Woche fürWoche unbeschwerte Stunden der Geselligkeit unddes Frohsinns.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem bedeut-samen sozialen Aspekt der Volksfeste ist aber noch et-was anderes ganz wichtig – der Parlamentarische Staats-sekretär hat es schon angedeutet –, nämlich die Wahrungder Tradition und der vielfältigen Kultur in diesem Be-reich durch die Schaustellerinnen und Schausteller. Dieshat naturgemäß eine insgesamt nicht zu unterschätzendepositive Auswirkung auf den Tourismussektor inDeutschland.Die Bedeutung des Schaustellergewerbes läßt sichunabhängig von den doch eher soziologischen Begriffen„soziales Miteinander“ und „Traditionspflege“ auch innüchternen Wirtschaftsdaten und Zahlen ausdrücken.Das wirtschaftliche Gewicht des Gewebes wird um sodeutlicher, wenn man sich vor Augen führt, daß in unse-rem Land etwa 10 000 Volksfeste, Weihnachts- oder an-dere Jahrmärkte veranstaltet werden, die von 200 Mil-lionen Menschen besucht werden, wie schon mein Kol-lege Brähmig eingangs ausführte. 1998 wurden 1,3 Mil-liarden DM Umsatz erwirtschaftet. Im Reisegewerbeinsgesamt – um neben dem Schaustellergewerbe auchnoch den Markt- und Straßenhandel hinzunehmen –sprechen wir nach Angaben des Bundesverbandes Deut-scher Schausteller und Marktkaufleute von einem Ge-samtumsatz von 22 Milliarden DM.Ich will an dieser Stelle auch einmal die Oppositionloben.
Denn es ist schön, daß sich die CDU/CSU-Fraktion mitihrem vorliegenden Antrag diesem wichtigen Thema,nämlich der Unterstützung des Schaustellergewerbesund der Sicherung der Volksfeste, annimmt. Wir Sozial-Rosel Neuhäuser
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demokraten haben auch keine Probleme damit, auf demWeg der Gemeinsamkeit zum Ziel zu schreiten; dennder Antrag könnte ja in weiten Teilen auch von uns sein.
Die Union war diesmal schneller. Aber in der Oppositi-on hat man ja auch mehr Zeit als früher.
Ja, es ändert sich schon einiges, Herr Brähmig, wennman sich auf einmal in der Opposition befindet; dennder Unterschied von diesem Antrag zu ihren früherenAnträgen in der letzten Wahlperiode ist offensichtlich:Gab es früher nur ein „Weiter so“ für Sie, wollen Sieheute auch Veränderungen erreichen. Wenn es sich umpositive Veränderungen für den Fremdenverkehr han-delt, können Sie auch auf unsere Mithilfe rechnen.
Im Schaustellergewerbe existieren Probleme, vor de-nen man nicht die Augen verschließen darf. Hier müssenwir uns im Rahmen unserer bundespolitischen Möglich-keiten einschalten. Eines dieser Probleme, das mich alsGewerkschafter besonders angeht, ist die Situation derBeschäftigten. Im Schaustellergewerbe allein – ein-schließlich der mitarbeitenden Familienmitglieder – sind34 000 Menschen tätig; im Reisegewerbe, wieder inklu-sive der Betroffenen im Markt- und Straßenhandel, sindes unter Einbeziehung der Familienangehörigen insge-samt 1,2 Millionen Menschen. Diese Arbeitsplätze müs-sen wir zukunftssicher machen. Der Haken dabei ist: Eshandelt sich um keine festen Arbeitsstellen an einem fe-sten Ort, was die Sache nicht leichter macht.Nach mir vorliegenden Informationen wird derzeit imBundesarbeitsministerium die Problematik des „Wie-derkehrrechts“ geprüft. Ziel dabei soll es sein, daßausländische Arbeitskräfte, die in einem Jahr mehr alssechs Monate beschäftigt waren, auch im Folgejahr wie-der beschäftigt werden können. Derzeit ist dieses nichtder Fall. Ein Rückgriff auf erfahrene Mitarbeiter ist so-mit also kaum möglich. Eine Änderung der entspre-chenden Verordnung wäre wünschenswert.
Herr Burgbacher hat eben die 630-Mark-Jobs ange-sprochen. Ich möchte hier ganz deutlich für die SPD-Fraktion und für meinen Ausschuß sagen: Ich freuemich, feststellen zu können, daß die Diskussion um die630-Mark-Jobs im Schaustellergewerbe sehr an Heftig-keit verloren hat. Auch der hier und heute zur ersten Le-sung anstehende Antrag der Union sieht bei der Rege-lung der geringfügigen Beschäftigung keinen dringen-den Handlungsbedarf.Zu einer zukunftssicheren Beschäftigungssituation imSchaustellergewerbe gehört auch ein gut geschulter undausgebildeter Nachwuchs. Teilweise muß man die schu-lische Ausbildung für Kinder im Schaustellergewerbeals katastrophal bezeichnen. Deshalb ist die Einführungeines Schulbegleittagebuches für Schaustellerkinder zubegrüßen. Somit kann eine kontinuierliche und damitbessere Unterrichtung der Kinder an unterschiedlichenSchulen gewährleistet werden.Ebenso zu begrüßen ist die Einigung der Kulturmini-sterkonferenz, nach Wiedereinführung des Vollzugesder Berufsschulpflicht für Schaustellerjugendliche dieJugendlichen nicht in die üblichen Berufsschulklasseneinzugliedern, sondern in den Wintermonaten Sonder-lehrgänge und Blockunterricht vorzusehen. Das habenwir auch des öfteren im Ausschuß diskutiert.
Ein kleiner und begrüßenswerter Fortschritt – hier seieinmal auf die Initiative meiner Fraktionskollegin An-nette Faße hingewiesen – ist auch die Empfehlung derKultusministerkonferenz vom 30. Juli des Jahres, nachder für Kinder von Binnenschiffern, Schaustellern undZirkusangehörigen, die in einem Heim untergebrachtsind, bundesweit einheitlich 10 DM pro Kind und Taggezahlt werden soll.
Zum Abschluß: Sie wissen, daß ich Ostfriese bin.Dem Vorsitzenden unseres Schaustellerverbandes,Herrn Langenscheidt, möchte ich hier auf ostfriesischsagen: Leev Damen, leev Herren, leev Kolleginnen undKollegen, lat uns miteinander ahl de Schaustellers hel-pen und ahl dat doon, wat wi doon können, ohne linksund rechts to kieken. In dissem Sinne solln wi´t anpak-ken.Das heißt auf hochdeutsch:
– Du hast nämlich gar nichts verstanden, mein lieberKollege. –
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, lassen Sie uns das, was wir für das Schaustel-lergewerbe tun können, auf den Weg bringen, ohne nachlinks und rechts zu schauen, und zwar gemeinsam. Indiesem Sinne: Packen wir es an!Ich danke für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Nun endlich hat der
Kollege Ernst Hinsken, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Verehrte Frau Präsi-dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habeanscheinend einige Fans. Ich bedanke mich dafür, daßsie noch hier und sich bewußt sind, über was wir heuteJann-Peter Janssen
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debattieren. Es handelt sich nämlich nicht nur um einetodernste Debatte. Wir reden auch über etwas Schönes,an dem sich jeder in unserem Lande, sofern ein Feststattfindet, erfreuen kann. – Der Kollege Götzer hat so-gar seinen Sohn mitgebracht, einen Nutzer von Volksfe-sten, damit er sieht, wie dieses Thema hier behandeltwird.
Es gab noch nie im Deutschen Bundestag eine De-batte zu diesem Thema. Deshalb begrüße auch ich, daßdie führenden Repräsentanten des Schaustellergewerbesheute zugegen sind.
Meine Damen und Herren, fast jede Gemeinde hateine Kirchweih, eine Kirmes, einen Markt
– oder ein Schützenfest. Es ist ein Vergnügen für Jungund Alt zugleich. Volksfeste gehören zu den schönstenEreignissen des Jahres.
Es müßte in unser aller Sinn sein, Maßnahmen zu ergrei-fen, damit die Volksfestkultur in Gänze so erhaltenbleibt, wie wir sie momentan erleben können.Wer kennt sie denn nicht, die großen Feste, die wirhaben: das Münchener Oktoberfest, den Wurstmarkt inBad Dürkheim, den Striezelmarkt in Dresden, denNürnberger Christkindlmarkt, das Gäuboden-Volksfestin Straubing, Frau Kollegin Irber, oder das CannstadterVolksfest in Stuttgart? Es ist wert, daß man all diese Fe-ste einmal anspricht. Lassen Sie mich nur das größteVolksfest in Deutschland herausgreifen, nämlich dasOktoberfest in München. Dies allein lockte beim letztenMal über 6,5 Millionen Besucher an, die für einen Um-satz von 450 Millionen DM sorgten. Darüber hinaus be-trug der Wirtschaftswert für die Stadt München, alsoÜbernachtungen, Souvenirs usw. 1,4 Milliarden DM.Diese Zahlen können sich durchaus sehen lassen.Meine Damen und Herren, ein Volksfest ist des Vol-kes Fest, das Fest des kleinen Mannes, zu dem jeder ge-hen kann und an dem sich jeder erfreuen kann. Ich bitte,gerade im Goethe-Jahr Goethe zitieren zu dürfen, dereinmal schrieb:Hier ist des Volkes wahrer Himmel! Zufriedenjauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hierdarf ich's sein!
Ich mache denjenigen ein großes Kompliment, diedafür Verantwortung tragen, daß das Schaustellerwesenfunktioniert und Volksfeste durchgeführt werden kön-nen.
Die Schausteller haben es nicht leicht, sich gegenüberdem Fernsehen und vielen anderen Angeboten zu be-haupten. Aber sie haben es geschafft, weiterhin am Ballzu bleiben und sich so zu geben, wie es erforderlich ist,damit junge und ältere Menschen zu den Volksfestenkommen.Meine Damen und Herren, vielen Menschen in dieserRepublik ist nicht bewußt, um welchen bedeutendenWirtschaftsfaktor es sich hier überhaupt handelt:
90 000 Markttage pro Jahr in ganz Deutschland, 10 000Volksfeste und Jahrmärkte mit über 200 Millionen Be-suchern und einem geschätzten Umsatz von rund25 Milliarden DM. Zählt man die Zulieferer dazu, wer-den hier Hunderttausende von Arbeitsplätzen vorgehal-ten.Machen wir uns alle nichts vor: Um wieviel ärmerwäre unser Land ohne Volksfeste!
Diese Meinung wird von über zwei Dritteln, nämlich67 Prozent, der Bevölkerung geteilt.
– Ja, bundesweit, Herr Kollege Müller. Sie gehen näm-lich gerne zu den Festen.Damit dies so bleibt, müssen wir, die Politiker, fürvernünftige Rahmenbedingungen sorgen. Dazu wurdeheute viel gesagt. Herr Mosdorf hat etwas versprochen,der von mir hochgeschätzte Kollege Janssen hat auchder Unterstützung der Schausteller das Wort geredet.Aber wenn es darum geht, was konkret getan wird, dannsieht es nicht so goldig aus, wie es an und für sich seinsollte.
Meine Damen und Herren, schließlich geht es darum,daß auch bei den Schaustellern gesehen werden muß,daß nur an 120 Tagen im Jahr Geld erwirtschaftet wer-den kann. Außerdem wird nicht nur von den FahrgästenGeld eingenommen, sondern es muß auch Geld für neueFahrgeschäfte ausgegeben werden. Ein Riesenrad odereine Autoscooteranlage kosten 2 bis 5 Millionen DM.Deshalb ist es erforderlich, vernünftige Rahmenbedin-gungen zu schaffen, damit die Schausteller weiterhinexistieren können.
Dabei ist der Kurs der Bundesregierung von ent-scheidender Bedeutung. Verehrte Kolleginnen und Kol-legen von der SPD und den Grünen, was hat denn dieBundesregierung den Schaustellern ebenso wie allenWählern versprochen? Hat es nicht wie oft auf demJahrmarkt geheißen: „Jedes Los ein Treffer“?
Ernst Hinsken
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5944 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Was haben die Wähler und die Schausteller in der Zwi-schenzeit gezogen? Nieten, Nieten, Nieten!
Die erste Niete war die Ökosteuer. Sie macht denStrom um zwei Pfennige pro Kilowatt teurer. Von denStromkosten hängt natürlich der wirtschaftliche Erfolgeines modernen Fahrbetriebes entscheidend ab.Die zweite Niete war die Mineralölsteuererhöhung.Die Erhöhung um 24 Pfennige in den nächsten vier Jah-ren plus Mehrwertsteuer macht zusammen fast30 Pfennige aus.
Die dritte Niete war das 630-DM-Chaos. Es wurde vomKollegen Burgbacher und anderen Vorrednern aus unse-ren Reihen schon angesprochen.Angesichts dessen meine ich für die CDU/CSU-Fraktion sagen zu dürfen: Wir dürfen es nicht bei Wor-ten bewenden lassen – darum bitte ich Sie alle –, son-dern haben dem auch Taten folgen zu lassen. Die Bun-desregierung sollte vom Parlament aufgefordert werden– ich nenne dafür zehn Punkte –: erstens in der Gewer-beordnung einen einheitlichen Begriff für Schaustellereinzuführen, um einheitliche Regelungen für das ge-samte Schaustellergewerbe zu erreichen,
zweitens beim Lärmschutz auf die Länder und Kom-munen einzuwirken, damit die traditionellen Feste nichtdurch überzogenen Immissions- und Nachbarschafts-schutz in ihrem Bestand gefährdet werden,
drittens auf die Kommunen einzuwirken, einen rechtli-chen Schutz traditioneller Volksfeste hinsichtlich derFestplätze zu schaffen, viertens die Eigentransporte vonSchaustellerbetrieben zu und von Volksfesten nicht mitzusätzlichen Auflagen zu versehen, insbesondere dieSchausteller von der geplanten streckenbezogenen Au-tobahngebühr freizustellen
– ich setze auf Sie, Herr Schmidt, daß Sie mich unter-stützen, wenn ich nächstes Jahr einen diesbezüglichenAntrag einbringe –,
fünftens die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung sozu ändern, daß Sicherheitsprüfungen zu für die Branchemöglichen Terminen durchgeführt werden können,sechstens die Marketingaktivitäten für deutsche Volks-feste durch die Deutsche Zentrale für Tourismus im In-und Ausland zu intensivieren und dabei insbesondereden Bahn- und Bustourismus zu fördern, siebtens wegender beruflich bedingten hohen Schulausbildungskostenvon Schaustellerfamilien eine höhere steuerliche Ab-zugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten sicherzu-stellen – Herr Kollege Janssen, da haben Sie mich vollund ganz auf Ihrer Seite –, achtens auf eine Verkürzungder Bearbeitungszeit bei der Vermittlung von Nicht-EU-Ausländern hinzuwirken, neuntens auf das 630-DM-Gesetz zu verzichten und es zurückzunehmen – dasbraucht unser Schaustellergewerbe;
hier haben sie es geprügelt und geknebelt; das ist einezusätzliche Belastung vor allen Dingen für den einzel-nen Betrieb, der Formulare über Formulare ausfüllenmuß; das ist ein Abkassieren von Menschen, die sich einpaar Mark hinzuverdienen wollen – und zehntens –
Herr Kollege, Sie
müssen an Ihre Zeit denken.
– auf weitere Erhöhun-
gen der Mineralölsteuer zu verzichten.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich. Ich möchte aber
gern die Frage der Kollegin zulassen.
Das kommt jetzt.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich,
bitte.
Bitte sehr, Frau
Kollegin.
Herr Kollege Hinsken, wol-
len Sie zur Kenntnis nehmen, daß bereits sechs von den
zehn Forderungen durch die Bundesregierung erfüllt
worden sind, und würden Sie überdies zur Kenntnis
nehmen, daß es beim Gesetz zur geringfügigen Be-
schäftigung für das Schaustellergewerbe möglich ist, ei-
ne 50-Tage-Regelung in Anspruch zu nehmen?
Frau Kollegin Irber,wenn das Schaustellergewerbe an über 120 Markttagenunterwegs ist, dann ist ihnen mit einer Regelung für50 Tage nicht gedient.
Wenn Sie der Meinung sind, daß bereits sechs vondiesen zehn Forderungen erfüllt sind, dann möchte ichentgegnen: Es sind noch nicht einmal viereinhalb. Siemüssen sich anstrengen, wenigstens die sechs zu errei-chen. Dann wäre ein vernünftiger Schritt in die richtigeRichtung getan. Das Schaustellergewerbe, ein mittel-Ernst Hinsken
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ständisches Gewerbe, ein wichtiger Wirtschaftszweig,braucht das.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Nun hat das Wort
die Kollegin Marianne Klappert, SPD-Fraktion.
– Ihr habt alle den Hamburger Dom nicht erwähnt. Das
finde ich nicht in Ordnung.
Frau Präsidentin! Liebe
Kollegen! Liebe Kolleginnen! Lieber Ernst Hinsken, ich
habe eben während deiner Rede ab und zu Bedenken
gehabt, daß du dich so sehr ereifern könntest, daß du
deine Gesundheit gefährdest.
Ich denke, das sollten wir doch bei diesem Thema nicht
machen.
Wir freuen uns alle darüber, daß wir Volksfeste ha-
ben, daß wir Kirmesse und Schützenfeste haben, und wir
wollen diese alle gemeinsam erhalten. Ich wollte die
CDU/CSU-Fraktion heute abend loben, daß sie einen
sachlichen Antrag eingebracht hat.
– Das mache ich auch noch.
– Ja, es war ein Fehler von dir, daß du mich gelobt hast.
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Jawohl.
Bitte sehr.
Frau Kollegin Klap-
pert, ich meine, daß Sie sich um meine Gesundheit keine
Sorgen zu machen brauchen.
Vielmehr hätte ich mir gewünscht, daß Sie heute nach-
mittag bei der Abstimmung über die Gesundheitsreform
richtig abgestimmt hätten. Dann wäre vielleicht nicht
soviel Blödsinn gemacht worden, wie es dann heute
mehrheitlich beschlossen worden ist. Sind Sie bereit,
dies zur Kenntnis zu nehmen?
Herr Kollege Hinsken,
ich nehme zur Kenntnis, daß ich richtig abgestimmt ha-
be.
Ich möchte zu unserem eigentlichen Thema zurück-
kommen. Es geht uns um den Erhalt von Traditionsfe-
sten, von Schützenfesten, von Kirmessen und von gro-
ßen Volksfesten, die, denke ich, für unsere Städte und
Gemeinden von unglaublicher Wichtigkeit sind. Diese
Feste sind für die Städte ein wichtiger wirtschaftlicher
Faktor. Sie sind eine Tourismusattraktion. Ich denke, es
hilft ganz besonders auch dem Städtetourismus.
Es ist nicht nur ein besonderes Museum in München,
sondern es ist das Oktoberfest, das die Menschen an-
zieht. Darauf freut man sich, da geht man gemeinsam
hin.
Auf unseren großen Volksfesten treffen sich alle Per-
sonengruppen – nicht nur der kleine Mann, den Ernst
Hinsken eben angesprochen hat.
Vielmehr treffen sich hier sehr viele unterschiedliche
Mentalitäten und viele Volksgruppen. Alle freuen sich,
daß wir Gelegenheit haben, dort für einige Stunden un-
sere Sorgen zu vergessen.
Kollege Hinsken hat unter all den vielen Punkten die
630-DM-Regelung angesprochen. Wir müßten es ge-
meinsam schaffen, daß Langzeitarbeitslose wieder Ge-
legenheit haben, dort Arbeitsstellen anzunehmen, daß
sie wieder mit den Fahrgeschäften unterwegs sind. Die-
ses muß man verstärken.
Ich habe in Ihrem Antrag gelesen, und der Parlamen-
t
Wir haben nicht nur darüber geredet, sondern dieseBundesregierung hat angefangen zu handeln. Das isteigentlich das Wichtige.
Kollege Burgbacher, daß sich die Schausteller ab dem1. Dezember 1999 über die TÜV-Abnahme verständi-gen können, ist nicht die falsche Richtung, es ist dierichtige.
Ernst Hinsken
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5946 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Wenn in der Bund-Länder-Kommission heute ge-meinsam verhandelt wird, daß es im Gaststättengesetzneue Regelungen gibt, daß eine Dauergenehmigung er-teilt wird, ist auch das die richtige Richtung. Sie dürfennicht immer nur sagen, wie Herr Hinsken das gesagt hat,diese Bundesregierung zieht Lose und verspricht dannalles mögliche. Das macht uns die gemeinsame Arbeitein bißchen schwer.Die Kollegen des Bündnisses 90/Die Grünen undmein Kollege Jann-Peter Janssen sowie der Parlamenta-rische Staatssekretär Mosdorf haben deutlich gemacht –ich wiederhole es jetzt –, daß wir bei den Ausschußbe-ratungen diese von Ihnen vorgeschlagenen Punkte auchintensiv beraten werden. Wir haben die Hoffnung, nachden Ausschußberatungen einen gemeinsamen Antragvorlegen zu können. Wir müssen den Schaustellern ge-meinsam deutlich machen, wie ernst wir ihre Problemenehmen.Ich will noch etwas zur Kommunalpolitik sagen. DerDeutsche Städte- und Gemeindebund hat sich 1998 in-tensiv mit diesem Thema beschäftigt. Wir alle wissenaber, daß wir eine kommunale Selbstverwaltung ha-ben. Wir wissen alle, daß in den Räten teilweise dieKämmerer – nach 16 Jahren CDU/CSU- und F.D.P.-Regierung – das Sagen haben.Man muß einmal überlegen, was wir aus Sicht desBundes gemeinsam mit den Kommunen erreichen. DieSPD hat eine Sozialdemokratische Gemeinschaft fürKommunalpolitik. Die CDU hat die Kommunalpoliti-sche Vereinigung. Ich denke, wir sind alle gefordert, mitunseren Kollegen und Kolleginnen vor Ort zu reden.Wir müssen diese Verbindung von oben nach unten indieser Frage stärker in Anspruch nehmen. Wir müssendie Leute dafür sensibilisieren, daß sich die Kommunenteilweise auch selber durch ständig erhöhte Gebührenund Abgaben Einnahmen wegnehmen.Ich glaube, wir können leisten, in unsere Gremien zugehen und zu sagen: Wir wollen uns gemeinsam derProbleme annehmen. Wenn wir das schaffen, könnenwir anschließend gemeinsam einen Antrag formulieren.Ich glaube, damit tun wir den Schaustellern einen vielgrößeren Gefallen, und es ist viel wichtiger für sie, alswenn hier gegenseitig Polemik gemacht wird.
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klaus
Brähmig?
Selbstverständlich, Frau
Präsidentin.
Bitte sehr, Herr
Kollege Brähmig.
Frau Kollegin Klap-
pert, stimmen Sie mit mir darin überein, daß dieser An-
trag keine Polemik enthält, sondern durchaus eine sach-
liche Grundlage für die Diskussion im Ausschuß bereit-
hält?
Ich möchte noch auf die Problematik der 16 Jahre
eingehen, die Sie und verschiedene andere Redner ange-
sprochen haben. Es geht hier um ein Problem, das zwi-
schen Bund, Ländern und Gemeinden gelöst wird. Sie
wissen genauso gut wie ich – deswegen habe ich dies
sachlich dargestellt –,
daß natürlich auch in den Ländern und Kommunen ver-
schiedene Regierungsformen vorhanden sind und es
überhaupt keinen Sinn macht, daß wir uns hier in der
Debatte gegenseitig Vorwürfe machen. Das Problem ist
nicht, Herr Kollege Schmidt,
daß wir in 16 Jahren hier nichts auf die Reihe gebracht
hätten, sondern daß der Föderalismus in einzelnen Be-
reichen bei der Lösung der Probleme durchaus Schwie-
rigkeiten bereitet.
Jetzt müssen Sie
noch die Kurve zur Frage kriegen.
Frau Präsidentin, er hatja am Anfang gefragt, ob ich ihn unterstützen könnte.Herr Brähmig, alles, was Sie jetzt gesagt haben, ist inOrdnung. Das wollen wir auch. Wir haben das auch vor-geschlagen. Aber es ist unser gutes Recht, auch einmaldeutlich zu machen, daß Sie 16 Jahre Regierungsver-antwortung hatten
und daß Sie nicht früher mit einem solch ausführlichenAntrag gekommen sind.Jann-Peter Janssen hat eben gesagt, Sie hätten in derOpposition jetzt mehr Zeit. Nutzen Sie sie! Lassen Sieuns bestimmte Dinge gemeinsam machen! Es ist wich-tig, daß deutlich wird, daß das, was die jetzige Bundes-regierung schon angestoßen hat, Erleichterungen bringtund daß wir auf dem richtigen Weg sind und nicht nurimmer darüber reden, sondern auch handeln.Ich bedanke mich bei Ihnen.
Marianne Klappert
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Ich schließe dieAussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/1312 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sieeinverstanden. Dann sind die Überweisungen so be-schlossen.Wir wünschen den Beratungen zu diesem Thema, beidem es so viel Übereinstimmung gibt, einen guten Ver-lauf und schnelle Ergebnisse für die Menschen, die indiesen Bereichen beschäftigt sind und uns so viel Freudemachen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur straf-verfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs– Drucksache 14/1928 –
Die Koalition hat bereits in ihrer Koalitionsvereinbarungfestgelegt – es lohnt sich übrigens wirklich, sie nachzu-lesen, meine verehrten Herren Zwischenrufer –, daß wirmit einem umfassenden Bündnis gegen Gewalt zumeinen die Wurzeln der Gewalt in unserer Gesellschaftbekämpfen und zum anderen die Rechte der Opfer wie-der in den Mittelpunkt stellen müssen.
Das gilt ganz besonders für die Stellung des Opferseiner Straftat -im Strafverfahren gegen den Täter. Wereinmal Opfer einer Straftat und Beteiligter in einem an-schließenden Strafverfahren gegen den Täter gewesenist, weiß sehr gut, daß manchem Opfer im konkretenAblauf des Strafverfahrens häufig eher eine Nebenrollezuteil wird. Das kritisieren heute zu Recht immer mehrBetroffene.Es ist richtig – lassen Sie mich das betonen –, daß imVordergrund eines konkreten Strafprozesses der Be-schuldigte steht und stehen muß. Die Definition Rad-bruchs von der Strafprozeßordnung als der MagnaCharta des Beschuldigten, die Diskussion über dieschuldangemessene Strafe und die Resozialisierung –diese übrigens auch als Opferschutz – sowie über rechts-staatliche Garantien für den Beschuldigten gegenüberden Strafverfolgern bilden völlig zu Recht in unseremRechtsstaat Kernelemente des Strafverfahrensrechts.Das darf aber nicht dazu führen, daß sich gleichzeitigdas Opfer einer Straftat an den Rand des Verfahrens ge-rückt fühlt. Deshalb ist für das Bundesministerium derJustiz nach den langen Jahren, in denen man das nichternsthaft in Angriff genommen hat, die verstärkte Wah-rung der Interessen des Opfers im Strafverfahren vonganz entscheidender Bedeutung.
Wir unterstreichen das mit unserem Gesetzentwurfüber den Täter-Opfer-Ausgleich in vielfacher Weise.Erstens erfüllt er zwei Hauptanliegen der Opfer vonStrafverfahren, nämlich ihr Interesse, einen Ausgleichfür das erlittene Unrecht zu erhalten, und die Genug-tuung, zu erfahren, daß der Täter wirkungsvoll mit sei-ner Tat konfrontiert wird.Der Täter-Opfer-Ausgleich eröffnet zweitens eine auskriminalpolitischer Sicht sinnvolle Reaktionsmöglich-keit auf leichtere bis mittelschwere Kriminalität.Drittens – auch das wissen wir – muß sich der Tätermit der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs dendirekten Konsequenzen seines strafbaren Verhaltensstellen. Auch das ist wichtig.Viertens: Gleichzeitig bekommt der Straftäter in be-sonderer Weise die Möglichkeit, selbst Verantwortungzu übernehmen und Konsequenzen für seinen weiterenLebensweg in Richtung auf ein straffreies Leben zu zie-hen.Fünftens kann die Stärkung des Täter-Opfer-Ausgleichs bei den Opfern von Straftaten zu einer ver-besserten Akzeptanz der Arbeit der Justiz beitragen,weil das Opfer in einem Verfahren, in dem es um ihmangetanes Unrecht geht, selbst erlebt, daß die Justiz unddamit der Staat, unser Rechtsstaat, darum bemüht ist,Belastungen und Schäden aus einer Straftat unmittelbarzu beheben.Es verwundert aus all diesen Gründen nicht, meineDamen und Herren, daß der Täter-Opfer-Ausgleich, denes gibt, gerade im Jugendgerichtsverfahren in der Praxisgroßen Erfolg hat.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zieht aberdie Konsequenz aus der Tatsache, daß der Täter-Opfer-
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Ausgleich im Erwachsenenstrafrecht in der Praxiseher zögerlich angewandt wird. Bis heute sind sichStaatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte der Möglich-keiten des Täter-Opfer-Ausgleichs als sinnvoller Alter-native zu den bisherigen Sanktionsformen ganz offen-sichtlich noch nicht hinreichend bewußt. Sie ergreifendie Möglichkeiten zu wenig, die bereits mit der Einfüh-rung des § 46 a StGB durch das Verbrechensbekämp-fungsgesetz vom Oktober 1994 gerade für das Erwach-senenstrafrecht geschaffen wurden.Da runzelt jemand die Stirn,
aber ich will Ihnen sagen, warum das so ist und daß esso ist. Nicht nur die Wissenschaft weist darauf hin, daßdas Potential des Täter-Opfer-Ausgleichs, sehr verehrterHerr Kollege Funke, derzeit bei weitem nicht ausge-schöpft wird, sondern auch die Zahlen belegen dies. Dassind die Zahlen, die Professor Dölling und andere indem Ihnen ohne Zweifel bekannten, hervorragenden undgrundlegenden Gutachten von 1998 zur Bestandsauf-nahme und Perspektive des Täter-Opfer-Ausgleichs inDeutschland zusammengetragen haben. Diese sprechenfür sich.Danach betrug 1995 der Anteil des Täter-Opfer-Ausgleichs an den Einstellungen und Sanktionsentschei-dungen der Staatsanwaltschaften etwa 9 000 von insge-samt möglichen zirka 600 000 Fällen – lassen Sie michdie Zahlen wiederholen, sie überzeugen auch Zweifler:9 000 von möglichen 600 000 –, also 1,5 Prozent. Dasist zuwenig.
Dieses Ungleichgewicht wollen wir beseitigen. UnserEntwurf setzt dort an, wo heute Lücken sind, nämlichbei der strafprozessualen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs, und schafft das für die breitere Anwendungdieses Instrumentes erforderliche verfahrensrechtlicheGegenstück zu den materiell-rechtlichen Regelungen. Esgibt also zwei Pfeiler, die beide verankert werden.Zu den wichtigsten Punkten gehört einmal § 155 ader Strafprozeßordnung, die Kernnorm dieses Entwurfs,die Staatsanwaltschaften und Gerichte dazu veranlassensoll, in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeitzu prüfen und darauf hinzuwirken, einen Ausgleich zwi-schen Beschuldigtem und Verletztem zu erreichen. Dasstellt auf der einen Seite sicher, daß der Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenstrafrecht sehr viel breiterangewandt wird. Auf der anderen Seite können solcheFälle, die sich eben nicht für ein derartiges Verfahreneignen – die gibt es natürlich –, ohne übermäßige Bela-stungen der Justiz weiter verfolgt werden, und zwar imganz normalen Strafverfahren.§ 155 b StPO räumt die datenschutzrechtlichen Be-denken aus, die bis heute der effizienten Handhabungdes Täter-Opfer-Ausgleichs entgegengehalten werden.§ 87 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwältefördert – ganz pragmatisch, aber vernünftig – die Ak-zeptanz des Täter-Opfer-Ausgleichs auch in der Anwalt-schaft.Ich habe schon darauf hingewiesen: Dieser Gesetz-entwurf ist ein Schritt zur Verbesserung des strafrecht-lichen Sanktionensystems. Diesen Weg werden wirweiterhin verfolgen. Es ist wichtig, die staatlichenMöglichkeiten, in sinnvoller Weise auf Kriminalität zureagieren, zu erweitern und grundlegend zu verändern.Wir erwarten aus dem hoffentlich Anfang nächstenJahres vorliegenden Abschlußbericht der noch vonmeinem Vorgänger eingesetzten Kommission zur Ver-besserung des strafrechtlichen Sanktionensystemsweitere Impulse. Wir begleiten selbstverständlich dieArbeiten dieser Kommission mit unseren eigenenÜberlegungen.In all diesen Schritten geht es um rechtsstaatliche undwirksame Sanktionen und Reaktionen auf Straftaten.Lassen Sie mich nochmals betonen und damit den Bo-gen zum Beginn meiner Ausführungen schließen: Esgeht um die Wahrung der Interessen der Opfer vonStraftaten.
Ich bitte Sie deshalb, diesen Gesetzentwurf gerade imInteresse der Opfer und ihrer Belange zügig zu beraten,damit der Täter-Opfer-Ausgleich in der täglichen Praxisendlich aus dem Schatten der Strafjustiz heraustritt.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun
der Kollege Dr. Wolfgang Götzer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! DieserGesetzentwurf wird zwar nicht im Hauruckverfahrendurchgepeitscht, so wie wir es heute vormittag, heutenachmittag und leider auch gestern morgen imRechtsausschuß bei einem anderen Thema erlebenmußten. Das wirft für mich ein bezeichnendes Licht aufdas parlamentarische Verständnis dieser Regierungsko-alition. Aber auch wenn es bei diesem Entwurf etwaslangsamer zugeht, so ist er nicht viel besser und schongar nicht ausgereift.Der Deutsche Anwaltsverein kommt in einer Stel-lungnahme zu dem Ergebnis: Es handelt sich um keineverfahrensrechtliche Regelung des Täter-Opfer-Ausgleichs, nicht einmal um eine inhaltlich gesetzessy-stematische Verankerung im Prozeßrecht. Er spricht vonEtikettenschwindel.Ich glaube, wir sind uns alle einig, daß der Täter-Opfer-Ausgleich, wenn er richtig praktiziert ist, einegute Sache ist. Deswegen hat die Bayerische Staatsre-gierung schon in den 80er Jahren einiges in dieserRichtung erprobt. Auch die Regierung Kohl hat in die-sem Bereich wichtige Schritte unternommen. Ich möchtenur die Novelle des Jugendgerichtsgesetzes von 1990erwähnen.Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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Der heute vorliegende Gesetzentwurf geht davon aus,daß der Täter-Opfer-Ausgleich bislang nur in relativkleinen Zahlen praktiziert wird. Der Grund hierfür istfreilich nicht eine fehlende strafprozessuale Veranke-rung; denn ausreichende rechtliche Grundlagen für denTäter-Opfer-Ausgleich gibt es im StGB und in der StPO.Gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt es im Grundelediglich bezüglich einer Datenübermittlung der Strafju-stiz an diejenigen Stellen, die den Täter-Opfer-Ausgleich vermitteln. Der Grund, warum er bisher nichtin gewünschter Zahl praktiziert worden ist, liegt in denfehlenden Ressourcen.Darüber setzt sich der Entwurf großzügig hinweg, in-dem er die massenhafte Anwendung des Täter-Opfer-Ausgleichs geradezu propagiert. Wenn man nur davonausgeht, daß ein Sozialarbeiter maximal 100 bis 150Verfahren im Jahr schaffen kann, dann stellt sich dieFrage, woher die dafür erforderlichen bis zu 3 000 neuenSozialarbeiter kommen sollen und wie sie zu finanzierensind. Darüber schweigt sich der Entwurf aus. Die Kostenwerden ganz einfach den Ländern aufgedrückt.Aber es gibt noch einige andere grundlegende Pro-bleme des Entwurfs. Hier wird eine neue Generalnormins Gesetz geschrieben, die vorsieht, daß die Möglich-keit des Täter-Opfer-Ausgleichs in jedem Verfahrendurch Staatsanwaltschaft und Gerichte zu prüfen sind.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht jedes straf-rechtliche Verfahren und nicht jede Straftat eignet sichbekanntlich dazu.
Ein weiterer Gesichtspunkt. Staatsanwaltschaft undRichter sollen auf die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs hinwirken. Wie das zusätzlich zu der ohne-hin schon bestehenden Arbeitsbelastung der Staats-anwälte und Richter gehen soll, würde ich gerne er-fahren. Vor allem aber ist anzumerken, daß es hier zueiner grundlegenden Verschiebung der Aufgaben derStrafrechtspflege kommt. Die Kernaufgabe der Straf-rechtspflege ist die Verfolgung und Ahndung von Straf-taten, nicht eine ausgleichende Konfliktschlichtung.
Ein weiterer Punkt. Der Entwurf verlangt lediglich,daß sich der Beschuldigte um den Täter-Opfer-Ausgleich zu bemühen hat. In § 153 a StPO sind diedarin aufgeführten Auflagen und Weisungen bislang allean den Eintritt eines sicher feststellbaren Erfolgs ge-knüpft. Jetzt soll es plötzlich genügen, daß man sichbemüht. Ich glaube, daß aus Opfersicht kein Verständnisdafür besteht, wenn der Täter durch das bloße Bemühendie automatische, sanktionslose Beendigung des Straf-verfahrens erreichen kann.
Ich glaube, das Opfer muß sich zur Straflosstellung desTäters instrumentalisiert vorkommen.Der für mich wichtigste Punkt – sozusagen ein Ham-mer – ist der neue § 155 a StPO, der regelt, unter wel-chen Voraussetzungen sich ein Strafverfahren für denTäter-Opfer-Ausgleich eignet. Die Formulierung in§ 155 a lautet: „Gegen den ausdrücklichen Willen desVerletzten soll die Eignung nicht angenommen werden.“Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was heißt das? EinVerletzter muß sich also ausdrücklich gegen den Täter-Opfer-Ausgleich wehren, wenn er ihn nicht will. Undselbst wenn er ausdrücklich zu erkennen gibt, daß er ihnnicht will, kann dieser dennoch – gegen seinen aus-drücklichen erklärten Willen – durchgeführt werden.Das halte ich für völlig inakzeptabel.
Der Täter-Opfer-Ausgleich und seine Akzeptanz inder Rechtsgemeinschaft stehen und fallen mit der Wah-rung der Opferbelange. Einen Täter-Opfer-Ausgleichgegen den Willen des Opfers oder an ihm vorbei, kannund darf es nicht geben.
Ich möchte noch einmal betonen, verehrter HerrKollege Ströbele: Der Täter-Opfer-Ausgleich ist grund-sätzlich zu begrüßen.
– Nein, nein. Die Gewichte sind hier eindeutig verscho-ben. Bei einem Täter-Opfer-Ausgleich, Herr KollegeStröbele, müssen die Interessen des Opfers an der erstenStelle stehen, und zwar nicht nur verbal, so wie sie dieFrau Bundesministerin gerade betont hat, sondern auchtatsächlich.
Der vorliegende Entwurf trägt dem nicht Rechnung. ImGegenteil: Seine kriminalpolitische Tendenz geht genauin die andere Richtung. Diese Bundesregierung kümmertsich mehr um die Täter als um die Opfer, und das wer-den wir nicht mitmachen.
Jetzt hat der KollegeChristian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Kollegen! Irgendwie scheint in der Turbulenz des heuti-gen Nachmittages das richtige Lesen abhanden gekom-men zu sein. Ich will dies einmal versuchen, obwohlmeine Brille kaputtgegangen ist.
Dr. Wolfgang Götzer
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5950 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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In § 155 a StPO steht, in geeigneten Fällen solle dieStaatsanwaltschaft darauf hinwirken. Nun fragt sich dergeneigte Leser: Was sind „geeignete Fälle“? Dort stehtdann auch: „Gegen den ausdrücklichen Willen des Ver-letzten soll die Eignung nicht angenommen werden.“
– Na und?
Das bedeutet für Leute, die des Deutschen mächtig sind,
daß das Ganze dann nicht angewandt wird, wenn dasOpfer dies nicht will.
– Die Eignung soll nicht angenommen werden. Das be-schreibt ja noch eine vorherige Stufe. Die Staatsanwalt-schaft muß sich ja erst über den Fall klar werden. Auchhier haben Sie einfach unrecht. Dies wird nicht bei allenVerfahren gemacht. Wir befinden uns hier vielmehr imBereich der Vergehen. Das ergibt sich aus § 153 aStPO, in dem ausdrücklich steht, daß dies für Verge-henstatbestände, also für etwas leichtere Delikte, vorge-sehen ist.Die CDU hat uns heute wieder ein hervorragendesBeispiel gegeben: Es vergeht keine Veranstaltung oderPodiumsdiskussion, auf der die Vertreter der CDU unsnicht mit dem blöden Satz konfrontieren: Bei den Grü-nen – so heißt es, wenn ich an solchen Veranstaltungenteilnehme – oder bei der SPD – so heißt es, wenn einVertreter der SPD teilnimmt – stehen immer nur – diesgilt erst recht für Rechtsanwälte und Verteidiger – dieTäter – eigentlich muß man sagen: die Verdächtigten,die Beschuldigten – im Vordergrund. An die Opferdenkt keiner – außer Ihnen natürlich.Nun haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, indem ausdrücklich – dies steht schon in der Überschrift –die Interessen der Opfer berücksichtigt werden. Wirhaben in diesem Entwurf berücksichtigt, daß Opfer ineinem Strafprozeß in der Tat nur eine Randrolle spielen.Sie sind als Zeugen und manchmal auch – bei geeigne-ten Delikten – als Nebenkläger bzw. Nebenklägerin amVerfahren beteiligt. Ansonsten haben sie mit dem Ver-fahren nichts zu tun. Die Opfer stellen häufig fest, daßetwas mit ihnen passiert und daß sie kaum Möglichkei-ten haben, Einfluß zu nehmen. Dies wollen wir ändern.In Zukunft soll nach unserer Auffassung das Opfereiner Straftat entsprechend dem, was ihr – meistens istes eine Frau – oder ihm passiert ist, an dem Verfahrenbeteiligt werden. Es muß das, was viele in diesem Be-reich Tätige wie Richter, Staatsanwälte und vor allenDingen auch Rechtsanwälte immer wieder von denjeni-gen, die von einem Vergehen betroffen sind, hören, be-rücksichtigt und ernst genommen werden. Den Betroffe-nen geht es gar nicht so sehr darum geht – dies klingtimmer wieder in Ihren Reden durch –, Rache zu nehmenund Vergeltung zu üben; vielmehr geht es den Betroffe-nen darum, den Schaden ersetzt zu bekommen oder zuverstehen, warum gerade sie Opfer einer Straftat wur-den. Sie wollen erfahren, wie sie sich in Zukunft ver-halten sollen. Sie wollen wissen, wie sie in Zukunft ihreSicherheit in der Gesellschaft, zum Beispiel auf derStraße und in Parks, wiedergewinnen können. SolcheFragen stehen bei sehr vielen Opfern von Straftaten imMittelpunkt ihrer Überlegungen.Deshalb ist es richtig und wichtig, daß man die Täterin irgendeiner Weise dazu veranlaßt, sich mit den Op-fern auseinanderzusetzen. Es ist wichtig, daß die Tätermit dem Leid, dem Schaden und der Unsicherheit, diesie häufig bei den Opfern angerichtet haben, konfrontiertwerden und daß sie sich damit beschäftigen müssen.Dies ist nicht nur wichtig für die Opfer, sondern auch fürdie Täter. Sie sollen nicht nur im Rahmen einer Ge-richtsverhandlung nach einem abstrakten Gesetz abge-urteilt werden, sondern auch begreifen, was sie in derGesellschaft angerichtet haben und in welchem Maße siesich an der entstandenen Unsicherheit in der Gesell-schaft schuldig gemacht haben.Nach unserer Ansicht läßt sich dies am besten da-durch erreichen, daß sich der Täter – mehr als das in derVergangenheit der Fall war – mit dem Opfer beschäfti-gen muß. Der Täter soll in den geeigneten Fällen an dieOpfer herantreten. Wir wollen die Täter dazu veranlas-sen. Wir wollen den Täter verlocken, dies zu tun. Wirsagen den Tätern: Wenn ihr das macht, dann honorierenwir, der Staat oder die Staatsanwaltschaft, das. Wenn ihreuch mit dem Opfer in Verbindung setzt und zu erken-nen gebt, daß es euch nicht gleichgültig läßt, was ihrgetan habt, und wenn ihr bereit seid, im Rahmen derMöglichkeiten den entstandenen Schaden zu ersetzen,dann honorieren wir das. So etwas hilft.Wenn Sie, Herr Kollege, in den entsprechenden Ver-fahren tätig waren, dann wissen Sie, daß dies für jedesOpfer viel mehr bringt, als wenn es nachher im Ge-richtssaal oder aus der Zeitung erfährt, daß der Täter ei-ne Geld- oder eine Freiheitsstrafe mit Bewährung erhal-ten hat, und selber nicht weiß, wie es angesichts des an-gerichteten Schadens weitergeht. Darum geht es. DiesenAusgleich wollen wir fördern. Die Veränderung des §153a StPO und des § 155 StPO und in den weiterenVorschriften der Strafprozeßordnung ist ein Bemühen,den Täter-Opfer-Ausgleich weiter zu fördern. Dieswird noch nicht das Problem lösen. Wir müssen nochviel mehr tun.Sie haben völlig recht, daß es im wesentlichen Län-dersache ist, den Staatsanwaltschaften durch geeigneteHilfen wie Sozialarbeiter und Vereine, die auch heuteschon in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Berlin tätig sind – in Köln gibt es zumBeispiel eine berühmte Einrichtung –, zu ermöglichen,den Täter-Opfer-Ausgleich zu organisieren und zu för-dern. Die müssen wir natürlich jetzt fördern. Das mußauf Landesebene geschehen.Wenn Sie sich jetzt hier so ins Zeug legen und fragen,wie sie das finanzieren sollen, heißt das denn, daß Sie inZukunft den Strafvollzug, die Justiz nicht mehr Sacheder Länder sein lassen wollen, sondern daß das Bundes-aufgabe werden soll? Dann müßten Sie dazu einen An-Hans-Christian Ströbele
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5951
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trag stellen, und dann sollte man sich darüber unterhal-ten. Bisher war ich davon ausgegangen, daß das Länder-sache ist – das hat ja auch seinen guten Grund – und daßes auch Aufgabe der Länder ist, diese Prozesse zu orga-nisieren, Hilfestellung zu leisten, damit das immer mehrin Gang kommt. Wir können auf Bundesebene die ge-setzlichen Vorschriften so verändern, daß das im Inter-esse der Opfer besser ermöglicht wird, vor allen Dingendeswegen, weil wir die Interessen der Opfer ernst neh-men, nicht nur auf den Lippen führen und uns auf derZunge zergehen lassen, nicht Polemik damit treiben unduns in Boulevardzeitungen damit verbreiten, sondern inkleinen Schritten zu einer konfliktfreieren Gesellschaftkommen wollen oder wenigstens zu einer Gesellschaft,in der die an den Konflikten, an den Straftaten Beteilig-ten ein besseres Verständnis füreinander bekommen undsich in Zukunft vielleicht auch anders und besser ver-halten, in der die Opfer sich wieder sicherer fühlen unddie Täter sehen, was sie getan haben, und miterleben,was sie angerichtet haben, und damit vielleicht auch zueinem veränderten Verhalten in der Zukunft kommen.Dem dient dieser Gesetzentwurf, und ich denke, wirwerden in den Beratungen im Rechtsausschuß hoffent-lich auch den einen oder anderen von Ihnen davon über-zeugen, daß das ein wichtiger und richtiger Schritt ist.
Jetzt hat das Wort
der Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben meinenGesichtsausdruck völlig fehlinterpretiert,
denn wir teilen im Prinzip Ihre mit diesem Gesetz ver-folgten Bestrebungen.
Ich habe aber vielleicht etwas ernster geschaut – dieStirn gerunzelt habe ich wahrscheinlich nicht –, als Siedie Zahlen genannt haben. Wenn Sie sich zum Beispieldie Zahlen Ihres Heimatlandes Baden-Württemberg fürdas Jahr 1998 ansehen würden, könnten Sie nicht sagen,daß der Täter-Opfer-Ausgleich in Baden-Württembergnicht erfolgreich sei oder zu gering ausfalle. Denn im-merhin sind dort mehr als 1 000 Fälle im Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren durchgeführt worden. Das, findeich, ist ein großer Erfolg der baden-württembergischenRegierung, natürlich auch des liberalen Justizministers,Professor Goll.
Der Täter-Opfer-Ausgleich, der ja nicht ganz neuist, sondern ursprünglich im Jugendstrafrecht gegoltenhat und seit 1994 auch im Erwachsenenstrafrecht gilt,hat sich in den letzten Jahren durchaus bewährt beiStraftaten wie Beleidigung, Körperverletzung und Nöti-gung, Straftaten, bei denen sich Täter und Opfer in Kon-fliktsituationen häufig unmittelbar gegenüberstanden.Wir fordern diesen Täter-Opfer-Ausgleich, weil wir hof-fen, so den Rechtsfrieden in der Gesellschaft zu verbes-sern und zu sichern, aber auch, weil wir glauben, daßdurch die erforderlichen Gespräche zwischen Täter undOpfer unter Zuhilfenahme eines Dritten ebenfalls prä-ventive Wirkung erzielt wird.Wir sind uns bewußt, daß der Täter-Opfer-Ausgleichhäufig dazu führt, daß eine Verurteilung vermieden oderzumindest die Vollstreckung einer Strafe verhindertwerden kann. Fiskalische Gesichtspunkte dürften dabeieigentlich überhaupt keine Rolle spielen. Wir wissen,daß die Aburteilung durch ein Gericht wahrscheinlichviel billiger wäre und viel schneller ginge. Die Durch-führung von Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren ist vielaufwendiger, aber sie dient dem Rechtsfrieden. Deswe-gen wollen wir diese Verfahren gerade auch unter prä-ventiven Gesichtspunkten haben.
Der Entwurf der Bundesregierung zur strafverfah-rensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Aus-gleichs dient meines Erachtens – wenigstens noch – demZiel des Rechtsfriedens nur unvollkommen. Wir wer-den hierüber ja noch intensiv im Rechtsausschuß zu be-raten haben. Unklar ist in meinen Augen auch dieeigentliche Zielrichtung: Handelt es sich um den Ausbaueiner Justizentlastung oder Verfahrensbeschleunigung,oder soll die Stellung des Opfers im Strafverfahren ver-bessert und die Schaffung von neuen Möglichkeitenkonstruktiver Tatverarbeitung für Beschuldigte verbes-sert werden?
Ich gehe davon aus, daß das letztere zu gelten hat. Dannsind wir einer Meinung, aber dann muß das auch klargesagt werden; denn nur das kann dem Rechtsfriedendienen.Es bedarf einer klareren Regelung der Strafprozeß-ordnung, unter welchen Voraussetzungen der Täter-Opfer-Ausgleich nach § 153a erfolgen soll. Es muß sichmeines Erachtens in erster Linie um eine autonome Ent-scheidung von Beschuldigtem und Verletztem handeln.Lediglich das ernsthafte Bemühen des Täters wird wohlnicht reichen; denn schließlich muß auch das Interessedes Opfers hinreichend berücksichtigt werden, wenn esaus nachvollziehbaren Gründen einen Kontakt mit demTäter nicht wünscht. Zu Recht hat – das hat der KollegeDr. Götzer schon angesprochen – der Deutsche An-waltsverein in seiner Stellungnahme zum Referenten-entwurf für ein Gesetz zur strafrechtlichen Verankerungdes Täter-Opfer-Ausgleichs darauf hingewiesen, daß nurdann eine strafverfahrensrechtliche Verankerung desTäter-Opfer-Ausgleichs auch zu einem breiteren An-wendungsbereich führen kann.Es müssen wichtige verfahrensrechtliche Regelungenausdrücklich vorgenommen werden, wie zum BeispielHans-Christian Ströbele
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5952 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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über die rechtliche Stellung des Personals der Täter-Opfer-Ausgleich-Stelle, das rechtliche Gehör der Betrof-fenen vor der Einleitung des Täter-Opfer-Ausgleich-Verfahrens sowie die notwendigen Verfahrensschrittewährend des Täter-Opfer-Ausgleich-Verfahrens.Ich hoffe sehr, daß es gelingen wird, im Rechtsaus-schuß zu einer Verbesserung des Entwurfs der Bundes-regierung zu gelangen. Das ist die Voraussetzung dafür,daß sich der Täter-Opfer-Ausgleich, den ich gefördertsehen möchte – das will ich ausdrücklich sagen –, inZukunft weiter durchsetzt und wir unser Ziel, nämlichein höchstes Maß an Rechtsfrieden in der Gesellschaftzu erlangen, erreichen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Sabine Jünger.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Nach der gültigen Rechtslage –
§ 46 a des Strafgesetzbuches – kann es nur zu einem
Täter-Opfer-Ausgleich kommen, wenn die mögliche
Freiheitsstrafe ein Jahr oder die Geldstrafe 360 Tages-
sätze nicht übersteigt. Herr Götzer, das müßten auch Sie
wissen. Der Entwurf der Bundesregierung sieht jetzt vor,
§ 153 a der Strafprozeßordnung, Einstellung des Verfah-
rens bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen, um
den Täter-Opfer-Ausgleich zu erweitern und die §§ 155 a
und b einzuführen.
Im allgemeinen Strafrecht stellt der Täter-Opfer-
Ausgleich einen Gesichtspunkt der Strafzumessung dar.
Er kann im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung
angeordnet werden und bei nicht schweren Verfahren
zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens führen. Zur
Zeit gibt es im Bereich Täter-Opfer-Ausgleich nur ge-
ringe Fallzahlen, die allerdings stetig steigen.
Wir halten die Verankerung des Täter-Opfer-
Ausgleichs in der Strafprozeßordnung für ein rechtspo-
litisch bedeutsames Vorhaben, das wir nachdrücklich
unterstützen. Wir begrüßen es, daß diesem Instrument
ein breiter Anwendungsbereich geschaffen werden soll.
Gerichte und Staatsanwaltschaften sollen nun ausdrück-
lich die Möglichkeit eines Ausgleichs prüfen.
Ein Ausgleich soll nur zustande kommen, wenn der
Geschädigte damit einverstanden ist, und das ist auch
richtig so. Fast die Hälfte aller Opfer sind für den Täter-
Opfer-Ausgleich, und weitere 25 Prozent können sich
einen Ausgleich mit dem Täter vorstellen, wenn es zu
keinem Ausgleichstreffen kommt.
Zwei kritische Momente will ich jedoch nicht ver-
schweigen: Erstens. Der Vorschlag, zunächst die Zu-
stimmung des Gerichts und des Beschuldigten einzuho-
len, hat aus unserer Sicht den Nachteil, daß sich der
Staatsanwalt schon vor dem Verfahren darüber im kla-
ren sein muß, daß er einen Täter-Opfer-Ausgleich mit
dem Ziel der Verfahrenseinstellung durchführen will.
Das ist meines Erachtens schwer mit dem Ziel vereinbar,
daß sich der Täter aus freien Stücken um einen Aus-
gleich bemühen soll.
Zweitens. Diese Vorgabe kann auch bei den Tätern
zu einem falschen Rollenspiel führen. Es besteht zudem
die Gefahr, daß auf das Opfer Druck ausgeübt wird, so-
wohl von seiten des Täters als auch von seiten des Kon-
fliktschlichters, nach dem Motto: Nun schließe schon
endlich Frieden, sonst bist du für die Anklage verant-
wortlich! Ich sage es ganz deutlich: Die Interessen der
Opfer müssen vordringlich beachtet werden.
Wenn wir wirklich wollen, daß der Täter-Opfer-
Ausgleich in der Praxis verstärkt angewandt wird – das
wollen wir hier wohl alle –, muß für mehr Verständnis
und Akzeptanz bei Richtern, Rechts- und Staatsanwälten
geworben werden. Aus unserer Sicht ist es deshalb drin-
gend notwendig, diesen Punkt bereits in der juristischen
Ausbildung zu beachten. Der Täter-Opfer-Ausgleich
zwingt den Täter, über seine Tat und deren Konsequen-
zen für das Opfer nachzudenken und sich Gedanken
über eine mögliche Wiedergutmachung zu machen. Der
Resozialisierungs- und Erziehungsgedanke des Straf-
rechts kommt dadurch meiner Meinung nach besser zum
Tragen als durch die von außen bzw. von oben ausge-
sprochenen Strafen.
Durch die Ausweitung wird die Anzahl strafgerichtli-
cher Hauptverhandlungen und die der Zivilprozesse sin-
ken. Dadurch wird die Justiz entlastet. Auch das spricht
aus unserer Sicht für den Täter- Opfer-Ausgleich.
Ich hoffe – da schließe ich mich den Worten des
Kollegen Funke an –, daß wir vielleicht bei dem einen
oder anderen kleinen Punkt noch zu Nachbesserungen
kommen. Aber ansonsten stehen wir diesem Konzept
sehr aufgeschlossen gegenüber.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Hedi Wegener.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Chancen und Grenzen des Täter-Opfer-Ausgleichs einschließlich kritischer Betrachtungder berechtigten Anliegen der Opfer in das Strafrechteinzuführen, das ist das Bestreben des Gesetzentwurfes.Im übrigen befinden wir uns international in guter Ge-sellschaft; denn die 1985 von der Generalversammlungder Vereinten Nationen beschlossene Erklärung überRechtsprinzipien für Opfer von Kriminalität und Miß-brauch gilt als Erfolg einer kriminalpolitischen Bewe-gung.
Allerdings ist das bewußt einseitige Engagement für dieOpfer manchmal auch eine Lobby für eine konservativeKriminalpolitik und eine Legitimation für beliebte For-derungen nach Verschärfung des Strafrechts.Rainer Funke
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5953
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Das Vorhaben Täter- Opfer-Ausgleich ist jedoch sehrgut geeignet, einen parteiübergreifenden Konsens herzu-stellen.
Für einige Feinheiten besteht noch Beratungsbedarf. Wirwerden in den Ausschußsitzungen Gelegenheit haben,vielleicht gemeinsam mit einigen Kollegen aus derCDU/CSU, diese zu klären.
– Herr Geis, bei Ihnen wäre ich mir da allerdings nichtso sicher.
Es geht in diesem Gesetzentwurf um die Stärkung derKriminalitätsopfer im Strafverfahren, um die davon aus-gehenden kriminalpräventiven Maßnahmen und vor al-len Dingen um die Installierung in der Strafprozeßord-nung und im StGB.Gute Erfahrungen damit – die Frau Ministerin hatdarauf hingewiesen – gibt es bereits im Jugendstrafrecht.Der Täter- Opfer-Ausgleich für Erwachsene wird heutenach wie vor sehr selten angewandt. Staatsanwälte undGerichte haben Bedenken. Der neue § 155a StPO machtes den Staatsanwaltschaften und Gerichten ausdrücklichin jedem Stadium des Verfahrens möglich, den Aus-gleich zu prüfen. Kommt er zustande, so ist eine end-gültige Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPOmöglich. Dabei muß auch bei einem nicht endgültigenAbschluß oder Zustandekommen ein ernsthaftes Bemü-hen
– ernsthaftes – zu erkennen sein. Dies ist eine mögli-cherweise nicht einfach festzustellende Tatsache, jenachdem, wer sie anstellt: Opfer, Beklagter, oft viel-leicht auch Rechtsanwalt oder Gericht.Ich möchte Sie gerne auffordern, mit mir einige Be-trachtungen genereller Art über die Dynamik zwischenTäter und Opfer anzustellen. Auf den ersten Blickkönnte man meinen, der Gesetzentwurf diene aus-schließlich dem Täter, und der würde dadurch eine Be-vorzugung erhalten.
Bei näherem Hinsehen würde auch Ihnen die Tragweitedes Handelns, der Bemühungen, der Einschränkungenund der Zwänge, die dem Täter in diesem Prozeß, in dener sich einläßt, auferlegt werden, auffallen.Wenn ich im übrigen die ausschließlich männlicheSprachform benutze, dann deshalb, weil die Täter über-wiegend männlich sind. Es gibt natürlich auch Täterin-nen. Aber die Kriminalität ist männlich und die Gewaltallemal.Das heißt im übrigen im Umkehrschluß nicht, daß dieOpfer überwiegend weiblich sind. Wir wissen, daß gera-de 15- bis 30jährige junge Männer, die am gefährdetstensind, zu den Opfern gehören. Bei Körperverletzungenerfolgen die Taten häufig im eigenen Milieu und in dereigenen Altersklasse. Anders stellt es sich in den Opfer-beratungsstellen dar, die es ja auch jetzt schon gibt. DaTäter häufig Männer sind, Frauen aber eher Beratungs-stellen aufsuchen und sich als Opfer Hilfe holen, sinddrei Viertel der Ratsuchenden Frauen. Ebenso sind dreiViertel der Ratsuchenden jünger als 40 Jahre. 18 Prozentder Betroffenen sind Angehörige, die sich dort Rat undHilfe holen. Es kommen auch Opfer, die nicht immerunbedingt einen Strafantrag stellen wollen.Eigentlich müßte der Opferschutz schon vorher be-ginnen, nämlich im Strafverfahren selbst. Er bestehtdarin, daß die psychischen Verletzungen während desVerfahrens nicht noch verschlimmert werden. Dies be-trifft Anhörungen, Gutachter-, Zeugenbefragungen usw.Bei den Strafverfolgungsbehörden muß sich herumspre-chen, daß zum Beispiel Verletzte nicht bloß Auskunfts-personen zur Aufklärung strafrechtlich relevanter Sach-verhalte sind. Das bedeutet auch, daß die Interessen derGeschädigten während des Verfahrens ausreichend zurSprache kommen und die Opfer die Möglichkeit haben,ihre Erlebnisse zu bearbeiten und eine Entschädigungfür ihren erlittenen Schaden zu bekommen.Sicher werden Überlegungen angestellt – darüberwurde vorhin schon gesprochen –, welche Delikte beieinem Täter-Opfer-Ausgleich eigentlich eine Rollespielen können. Denken wir zum Beispiel an Bezie-hungsdelikte. Dies betrifft Krisen, Ereignisse innerhalbeiner Beziehung, die in mehreren Phasen ablaufen, sichzeitlich aufbauen und – oft in einer Körperverletzung –eskalieren. Wer Opfer und Täter ist,
läßt sich im nachhinein manchmal nur noch am Deliktfeststellen. Am Prozeß sind alle Konfliktparteien – obaktiv oder passiv – gleichermaßen beteiligt. Zu den Op-fern gehören Männer und Frauen im gleichen Maße. DerTäter- Opfer-Ausgleich ist gut für rivalisierende Grup-pen. Ein solcher erfolgt schon heute unter rivalisieren-den Jugendgruppen, ist aber auch im Erwachsenenbe-reich möglich.Kommen wir zu den Gewaltdelikten: Die Opfer ver-langen zum einen die Strafe. Sie wollen zum anderen, daßdie Tat nicht wiederholt wird, und sie fordern psychischeund finanzielle Unterstützung sowie Beratung. BeiEigentumsdelikten stehen die Schadensersatzforderungen– oftmals auch der Versicherungen – an oberster Stelle.Wie aber kann der Täter, der Staat oder die Gesell-schaft das wiedergutmachen, was dem Opfer widerfah-ren ist? Wiedergutmachung unter Einfluß des Opfer-interesses, gibt es das eigentlich? Schadenswiedergut-machung als eigenständige Rechtsfolge ist nicht neu. ImJugendstrafrecht gibt es das schon. Den entstandenenSchaden mußten die Täter im übrigen schon immer wie-dergutmachen.Schauen wir noch einmal auf die Opfer: Die Opferwollen, daß man sich mit ihren Anliegen beschäftigt. Siewollen soziale Gerechtigkeit. Sie wollen nicht noch ein-Hedi Wegener
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mal Opfer werden. Wenn man genauer hinschaut, was beiOpfern eigentlich verletzt worden ist, dann ist festzustel-len: Es wurde die Menschenwürde bzw. ihre Seele ver-letzt. Sie haben gegebenenfalls einen materiellen Schadengehabt, und ihre Gesundheit ist beschädigt worden. Des-halb wünschen sich die Opfer: Der Täter muß für seinHandeln Verantwortung übernehmen. Er muß die Konse-quenzen tragen, und das Opfer muß rehabilitiert werden.Schauen wir auf den Täter: Bei dem Täter bestehtdie Tendenz, den Opfern negative Eigenschaften zuzu-schreiben. Man nennt diese Umbewertung Neutralisie-rungstechnik. Das heißt, eigenes Verhalten wird gerecht-fertigt. Durch den Täter-Opfer-Ausgleich wird der Tätermit der Sichtweise des Opfers konfrontiert, und abwei-chende Beurteilungen werden offensichtlich. Verände-rungen seiner Perspektive sind dabei erwünscht. Per-spektivübernahme nennt man das. Erfaßt werden dieseim Prozeß des Täter-Opfer-Ausgleichs durch gezielteFragetechniken. Das ist im übrigen ein schwieriges Un-terfangen für Täter.Die Täter bewerten den entstandenen Schaden mei-stens auch subjektiv. Entweder sagen sich die Täter– das ist oftmals der Fall –, das Opfer kann den Schadeneigentlich verschmerzen oder macht den Schaden höher,als er eigentlich ist, oder sie kommen zu der Erkenntnis,daß der Schaden doch größer als gedacht ist, daß derGeschädigte ja richtige Angaben zu dem Schaden machtoder daß die Folgen der Tat für die Opfer schwerwie-gender sind, als sie sich das eigentlich gedacht haben.Eine weitere Möglichkeit des Täters, sich selber zurechtfertigen, besteht darin, sich selber keine Verant-wortung für das Leiden des Opfers zuzuschreiben. Erverdrängt die Tat und sagt, er sei es nicht gewesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Wege-
ner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Ja, bitte, Herr Geis.
Es ist, Frau Kollegin,
gewiß ein richtiger Gedanke, daß ein Ausgleich zwi-
schen Täter und Opfer stattzufinden hat. Das bejahen
wir durchaus. Sehen Sie aber auch – das ist meine Frage
– das dritte Opfer, das mit im Spiel ist, nämlich die ver-
letzte Rechtsordnung? Wie kann durch den Täter-Opfer-
Ausgleich die Verletzung der Rechtsordnung wiedergut-
gemacht werden? Sehen Sie dazu eine Möglichkeit? Ich
bitte Sie, uns dazu noch etwas zu sagen.
Wir stellen die Interessen desOpfers und die Behandlung seiner Verletzungen an dieoberste Stelle. Dieser Prozeß zwischen Täter und Opfer,auf den ich gleich noch näher eingehe, befriedigt dasOpfer eigentlich schon. Es bleibt natürlich immer nochdie Alternative der strafrechtlichen Sanktion oder derEinstellung des Verfahrens, wenn der Täter-Opfer-Ausgleich zu einem Abschluß gekommen ist, dem beide,auch das Opfer, zustimmen.
– Ja, dann wird eingestellt.
Wir waren gerade dabei, wie der Täter seine Tat unddie Sichtweise des Opfers betrachtet. Wenn er die nega-tiven Konsequenzen der Tat für das Opfer wahrnimmt,kommt es auch beim Täter zu einer Umbewertung derTat. Nach dem Täter-Opfer-Ausgleich soll diese stattge-funden haben. Dem Täter soll klar sein, daß er gegen dasGesetz verstoßen und eine Person geschädigt hat, daßauf die Tat eine Sanktion folgt und daß er für die Folgenverantwortlich ist.Welche Inhalte hat der Täter-Opfer-Ausgleich? EineBeratung des Konfliktes, eine Vereinbarung über dieWiedergutmachung, eine Leistung des Täters zur Wie-dergutmachung und die Berücksichtigung der Täterbe-mühungen im Strafprozeß. Im praktischen Ablauf heißtdas, daß Konfliktschlichtungsstellen eine Beratung – ander beide Seiten freiwillig teilnehmen müssen – in ei-nem strukturierten Prozeß mit Kommunikationsregelndurchführen.Meine Ausführungen zeigen, daß ein Täter-Opfer-Ausgleich nur im Dialog zwischen Täter, Opfer und ei-ner dritten schlichtenden Person erfolgen kann. Es ent-wickelt sich also ein Prozeßgeschehen, das begleitetwerden muß; das geht aber nur professionell. Den Län-dern wird die Durchführung aufgegeben. Die Verant-wortung dafür wird sinnvollerweise in erster Linie beider Justiz selber liegen, aber auch freie Verbände, dieschon jetzt in die Bewältigung von justiznahen Aufga-ben einbezogen sind, können diese Aufgaben wahrneh-men. Dazu dienen die im Gesetzentwurf vorgeschlage-nen datenschutzrechtlichen Maßnahmen, die ein weite-res Gesetz überflüssig machen.Der Täter-Opfer-Ausgleich unterscheidet sich aller-dings noch von dem weitergehenden Prozeß der Kon-fliktschlichtung. In beiden Fällen ist es ein laufenderProzeß, dem sich die Konfliktparteien unterziehen. Ausdiesem Grunde spricht alles dafür, ihn zu jedem Zeit-punkt des Verfahrens zuzulassen und strafmildernd zuberücksichtigen. Die Gespräche sind in jedem Fallefreiwillig und laufen in verschiedenen Phasen ab unterBerücksichtigung der Emotionen, der Annäherung, derAblehnung und der Unterschiede.Eine gute Sache ist also der Täter-Opfer-Ausgleich,wenn die Länder, die für die Durchführung zuständigsind, und wenn die Richter und Staatsanwälte die Ein-führung nicht nur als neue gesetzliche Grundlage,sondern als eine dem Frieden dienende Initiative an-sehen.Schönen Dank.
Hedi Wegener
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5955
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(D)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin We-
gener, das war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen
Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
beglückwünsche ich Sie auf das herzlichste dazu.
Allerdings muß ich Ihnen sagen, daß ich ansonsten mit
der Redezeit nicht so großzügig sein kann. Aber bei der
ersten Rede ist das schon einmal möglich.
Als letzter Redner dieser Debatte hat der Kollege
Eckart von Klaeden von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin!Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Auch ichdarf zunächst der Kollegin Wegener herzlich zu ihrer er-sten Rede gratulieren und gleichzeitig ankündigen – dasist sozusagen ein kleines Präsent für ihre erste Rede –,daß ich meine Redezeit nicht voll ausschöpfen werde.Ich möchte mich zunächst entschuldigen und miteiner protokollarischen Richtigstellung beginnen. Ichhatte nämlich bei unserer letzten rechtspolitischen DebatteHerrn Professor Meyer mit einem Zitat der KolleginAntje Vollmer konfrontiert, mit dem ich ihn widerlegenwollte. Das Zitat stammt zwar aus der Koalition. Aber esbleibt festzustellen, daß das Zitat nicht von ihm stammte.
– Herr Kollege Ströbele, ich habe sie nicht optisch ver-wechselt. Da Sie technisch interessiert sind – Sie habendas gezeigt, indem Sie mit Ihrer einbügeligen Brilleganz gut balanciert haben –, will ich Ihnen sagen: DieseVerwechselung ist dadurch geschehen, daß beim Aus-druck der letzten Debatte zu dem Thema im Jahre 1996der Absatz mit dem neuen Rednerkopf nicht ausgedrucktworden ist. So gingen die beiden Reden ineinander über,und so kam es, daß ich Herrn Professor Meyer miteinem falschen Zitat konfrontiert habe.Zur Sache selber. Ich bin, wie schon die KolleginWegener in ihrer ersten Rede, der Ansicht, daß wir ge-nug Anlaß haben, miteinander zu streiten. Wir solltenaber nicht übermäßig über die Punkte streiten, in denenzwischen uns Konsens besteht. Deswegen ist festzuhal-ten: Einen gelungenen Täter-Opfer-Ausgleich begrüßenwir alle. Wir freuen uns, wenn sich die Regierungsko-alition bemüht – wenn auch nur in wenigen Fällen –,ihre Rechtspolitik in die Tradition der Koalitionspolitikder letzen beiden Legislaturperioden zu stellen.In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen– der Kollege Dr. Götzer und der Kollege Funke habendies schon getan –, daß wir bereits in den 80er Jahren inder Jugendgerichtsnovelle von 1990 und schließlich imVerbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 den Täter-Opfer-Ausgleich verankert haben. Insofern spricht ausmeiner Sicht prinzipiell nichts dagegen, diese rechts-politische Initiative in der Strafprozeßordnung fortzuset-zen.Um deutlich zu machen, wo die Kritik unserer Frak-tion insbesondere an dem von Ihnen vorgeschlagenen§ 155 a StPO ansetzt, will ich aus dem vom Justizmi-nisterium des Landes Baden-Würtemberg und auch vonder Bundesjustizministerin zitierten Gutachten vorlesen,in dem der Zweck des Täter-Opfer-Ausgleichs beschrie-ben wird. Dort heißt es:Der Täter soll Einsicht in die Verwerflichkeit sei-nes Verhaltens nehmen. Dabei darf allerdings nichtübersehen werden, daß der Täter-Opfer-Ausgleichauch eine Belastung für das Opfer darstellen kann.Denn das Opfer muß dem Täter gegen-übertreten. Es wäre eine Fehlvorstellung und letzt-lich eine Überforderung des Opfers, wenn man sei-ne Position in dieser alternativen Schlichtungsformper se positiver beurteilen würde als im förmlichenStrafverfahren.Es besteht jetzt die Frage, ob der neue § 155a StPOdieser Interessenlage als Generalnorm ausreichendRechnung trägt. Ich will in diesem Zusammenhang ein-mal den Blick nach Österreich wenden. Eine ähnlicheGeneralnorm wie im geplanten § 155a StPO spielt in§ 42 des österreichischen Strafgesetzbuches eine Rolle.Es heißt dann in § 90i der österreichischen Strafprozeß-ordnung, daß bei solchen Maßnahmen die Interessen desVerletzten zu berücksichtigen und, soweit sie berechtigtsind, im größtmöglichen Umfang zu fördern sind. UnterBeachtung dieser österreichischen Regelung wäre esdoch sinnvoll, eine entsprechende Ergänzung in § 155aStPO vorzunehmen. Schon die Debatte im Bundesrat hatgezeigt, daß man bei der Formulierung „Gegen den aus-drücklichen Willen des Verletzten soll die Eignung nichtangenommen werden“, die vom Kollegen Dr. Götzer zuRecht kritisiert wurde, vielleicht erstens den Begriff derAusdrücklichkeit streichen und zweitens dazu übergehenkönnte, zu sagen: „Gegen den Willen des Verletzten darfder Täter-Opfer-Ausgleich nicht durchgeführt werden.“
Das könnte durchaus die Möglichkeit mit sich brin-gen, die auch im Gutachten beschriebene Interessenlagezu berücksichtigen und das, was Sie selber in bezug auf§ 155 a und die anderen Regelungen im Rahmen derStrafprozeßordnung vorgegeben haben, zu erreichen,nämlich die Stellung des Opfers zu verbessern. Ich habezunächst einmal keinen Grund, an Ihrem Willen zuzweifeln. Aber das könnten Sie mit einer solchen Klar-stellung in § 155 a StPO besser bewerkstelligen als mitder derzeit vorliegenden Formulierungsempfehlung.Auf die finanziellen Belastungen hat der KollegeFunke schon hingewiesen. Ich will nur noch sagen, daßuns hier immer wieder wie tönend Erz vorgetragen wur-de, daß derjenige, der die Musik bestellt, sie auch be-zahlen soll. Hier bestellen Sie mit den über 3 000 not-wendigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern einganz prächtiges Orchester im Rahmen unserer Rechts-pflege.
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5956 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
(C)
– Ich sage nichts dagegen, ich will nur darauf hinweisen,Herr Ströbele. Ich finde aber schon, daß die Argumente,die Sie als damalige Opposition vorgetragen haben, auchbei dieser Frage eine Rolle spielen sollten. Wenn wirHaushaltspolitik betreiben und feststellen, daß ein nichtunerheblicher Teil des Sparpakets dazu führt, daß eineMenge Kosten auf die Länder und Kommunen verlagertwird, ist es angemessen, hier einmal zu sagen: Ja, wirstehen zu dieser Regelung!, gleichzeitig aber dafür zusorgen, daß die Länder dafür eine gewisse finanzielleEntlastung erfahren.
– Herr Kollege Ströbele.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege von
Klaeden, Sie gestatten die Zwischenfrage?
Gerne.
ich sage, daß Sie, wenn Sie zusätzliche Straftatbestände
oder zusätzliche Sanktionen ins Strafgesetzbuch auf-
nehmen, immer auch die Länder belasten, daß jeder, ge-
gen den Sie eine Freiheitsstrafe verhängen, bei den Län-
dern zusätzliche Kosten verursacht, nämlich mindestens
200 DM pro Haftplatz pro Tag, und daß auch Sie wäh-
rend Ihrer Regierungszeit, wenn Sie Strafverschärfungen
vorgenommen haben, nie auf die Idee gekommen sind,
zu sagen: „Jetzt müssen die Länder einen finanziellen
Ausgleich erhalten, damit sie die Strafgefangenen unter-
bringen und versorgen können“? Das hängt nun einmal
damit zusammen, daß, jedenfalls in aller Regel, die
Strafvollstreckung in der Zuständigkeit der Länder an-
gesiedelt ist und deshalb auch den Finanztopf der Län-
der belastet.
Herr Kollege
Ströbele, was Sie gesagt haben, ist mir bekannt. Mich
beeindruckt durchaus, daß es auch Ihnen bekannt ist.
Ich darf doch einmal verlesen, was Sie unter Punkt D in
Ihrem Gesetzentwurf geschrieben haben:
Durch die verstärkte Inanspruchnahme der mit der
Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs betrau-
ten Ausgleichsstellen ist mit bei den Ländern an-
fallenden Mehrkosten zu rechnen, die sich derzeit
nicht quantifizieren lassen.
Wenn ich also nur auf das hinweise, was am Anfang
Ihres Gesetzentwurfes steht, bedarf es doch keiner Zwi-
schenfrage. Es handelt sich schlicht um eine Tatsache.
Ich habe lediglich darauf hingewiesen, daß dies in einem
gewissen Spannungsverhältnis zu dem steht, was Sie
zuvor als Opposition immer wieder gefordert haben, ob-
gleich ich Ihnen, Herr Kollege Ströbele, gern zugestehen
will, daß die Situation der Länderhaushalte Ihnen viel-
leicht nicht so sehr am Herzen lag wie anderen Kolle-
ginnen und Kollegen der vormaligen Opposition.
Meine Damen und Herren, da ich hier nicht nach dem
alten Satz vorgehen will, es ist schon alles gesagt, aber
noch nicht von allen, schließe ich meine Ausführungen
und wünsche allen Rechtspolitikern einen angenehmen
Abend.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke Ihnen für
den Zeitgewinn, Herr Kollege von Klaeden.
Ich schließe die Aussprache. Es wird Überweisung
des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/1928 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der F.D.P.
Abschreibungs-Tabellen nicht ändern
– Drucksachen 14/1887 –
Überweisungsvorschlag:
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5957
(C)
(D)
Jetzt haben Sie gerade einmal beschlossen, am 5. Januar2000 solle der Referentenentwurf eingebracht werden.Es scheint aber noch Diskussionsbedarf im Hinblick aufKollegin Scheel zu geben, die in der Öffentlichkeit er-klärt hat, dieses Konzept der Regierung trage sie über-haupt nicht mit, obwohl auch dieses Konzept vom Kabi-nett verabschiedet wurde. Ihm gehört die Frau KolleginScheel zwar noch nicht an; aber es gibt ja den einen undanderen grünen Minister, der bereits den Vorstellungender Regierung zugestimmt hat. Das nur zum StichwortGlaubwürdigkeit!In diesem Zusammenhang möchte ich Wirtschaftsmi-nister Müller zitieren, der einen Brief an FinanzministerEichel geschrieben hat – ich zitiere aus der „FAZ“ vom15. Oktober 1999 –:Müller erinnerte seine Kollegen an den Kabinetts-beschluß vom Februar zur steuerlichen Regelungvon Rückstellungen auf der Grundlage einer Vorla-ge des Bundesfinanzministeriums, der völlig falschgewesen war und die Wirtschaft erheblich mehrbelastet hätte. Damals sei gesagt worden, daß sichsolche Fehleinschätzungen nicht wiederholen dürf-ten.Ich finde, Wirtschaftsminister Müller hat an dieser Stellerecht.
Wenn das Finanzministerium unter FinanzministerLafontaine nicht rechnen konnte, dann scheint es unterFinanzminister Eichel ebensowenig rechnen zu können.Denn die Belastung, die sich aus dieser Absicht derBundesregierung ergibt, beträgt pro Jahr 14 bis20 Milliarden DM – das geht zu Lasten von deutschenArbeitsplätzen –, und in das Finanztableau wurden nur2,2 Milliarden eingestellt.
Ich möchte jetzt aus der Rede des Bundeskanzlers zi-tieren, die er vor dem Hauptverband des Deutschen Ein-zelhandels gehalten hat:Denn Sie haben recht, insbesondere was da überlegtworden ist bei den Abschreibungen von Computer-Hardware, ist sowas neben der Sache, daß man diesnicht lange erläutern muß. Es ist, wie das gelegent-lich so ist, ein Entwurf im Finanzministerium ge-wesen, fiskalisch begründet, dies müssen die auch,aber nicht alles, was da, ohne daß die Hausspitze esgesehen hat, aufgeschrieben und gedacht wurde,muß gleich Gegenstand öffentlicher kritischer Er-örterungen werden. Ist er aber, und ich mache eshier sehr deutlich: Diese Tabellen, die dort versandtworden sind, sind keine Tabellen, die rechtlicheGeltung erlangen werden. „Gesetz“ darf ich nichtsagen, weil es, glaube ich, Erlasse sind.Soweit Bundeskanzler Schröder.Deshalb kann ich dieser Regierung nur sagen: ZiehenSie diese Änderung zurück!
Denn ich glaube Ihnen nicht, daß diese Abschreibungsli-sten nicht Quasi-Gesetzeskraft erhalten sollen. Wir wer-den Sie mit diesem Thema treiben.
– Das werden wir. Das geschieht jetzt schon.
Carl-Ludwig Thiele
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5958 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
(C)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Thiele,
ich muß Sie leider angesichts Ihrer Redezeit auch etwas
treiben.
Frau Kollegin Bläss,
ich lasse mich hier auch treiben.
Abschließend möchte ich sagen: Die Glaubwürdig-
keit von Rotgrün ist sowieso schon dahin. Aber wenn
die Neue Mitte Ihre Zielgruppe sein soll, dann machen
Sie sie nicht mit diesen Abschreibungsregelungen zur
Zielscheibe. Das haben die Unternehmer, die Unterneh-
men und die Arbeitnehmer in unserem Lande nicht ver-
dient.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die
Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministeri-
um der Finanzen, Barbara Hendricks.
D
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zur Beurteilung Ihrer Rede, ge-
schätzter Herr Kollege Thiele, fallen mir nur zwei Mög-
lichkeiten ein: Entweder haben Sie keine Ahnung, oder
Sie sprechen wider besseres Wissen. Ich nehme das
letztere zu Ihren Gunsten an.
Im übrigen kann ich sogleich erklären, daß die Aus-
sage des Bundeskanzlers, die Sie hier zitiert haben, voll-
ständig mit dem in Einklang steht, was ich Ihnen schon
vor mindestens zwei Wochen, als wir uns zum erstenmal
darüber im Finanzausschuß unterhalten haben, genau so
für die Bundesregierung gesagt habe. Es gibt also kei-
nerlei Dissens zwischen dem Bundesfinanzministerium
und dem Bundeskanzler.
Das könnten Sie sogar dem Protokoll entnehmen, wenn
das Protokoll der Sitzung des Finanzausschusses von vor
zwei, drei Wochen vorliegt.
Der Antrag der F.D.P.-Fraktion zielt ja darauf, die
Überarbeitung der AfA-Tabellen einzustellen und es bei
den bisherigen AfA-Tabellen zu belassen.
Diese Forderung haben schon einige Wirtschaftsverbän-
de erhoben. Das ist natürlich auch ihr gutes Recht. Ich
will aber eines klar sagen: Dieser Forderung kann die
Finanzverwaltung im Hinblick auf das auch Ihnen be-
kannte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. Novem-
ber 1997 zur Ermittlung der betriebsgewöhnlichen Nut-
zungsdauer eines Wirtschaftsgutes einfach nicht nach-
kommen.
Nach diesem Urteil ist als maßgebliches Kriterium
für die Bemessung der betriebsgewöhnlichen Nutzungs-
dauer im Sinne des § 7 Einkommensteuergesetz die
technische Abnutzung eines Wirtschaftsgutes anzuse-
hen. Eine von der technischen Nutzungsdauer abwei-
chende, kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer ist nach
der BFH-Rechtsprechung nur noch in den Fällen zuläs-
sig, in denen unter Berücksichtigung der typischen Nut-
zung im Betrieb des einzelnen Steuerpflichtigen die
Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen, auch an-
derweitigen Nutzung oder Verwertung objektiv endgül-
tig entfallen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Hen-
dricks, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Thiele?
D
Ja. Bitte, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin,
Sie beziehen sich auf das Urteil des BFH vom
19. November 1997. Ist Ihnen bekannt, daß dieses Urteil
des Bundesfinanzhofes einen Einzelfall betrifft, in dem
ein Steuerpflichtiger trotz der damals geltenden Nut-
zungsdauer von vier Jahren bei der Abschreibung von
Pkws der Auffassung war, sein Pkw müßte in drei Jah-
ren abgeschrieben sein, und daß der BFH in diesem Ein-
zelfall erklärt hat, daß eine Abschreibung in drei Jahren
nicht zulässig sei, sondern daß der Steuerpflichtige die
damals geltende Nutzungsdauer von vier Jahren anzu-
wenden habe?
Ich muß jedoch bemerken, inzwischen ist es auf fünf
Jahre verlängert. Aber aufgrund dieses Einzelfalls zu
Lasten des Steuerpflichtigen sind die AfA-Tabellen
nicht geändert worden und läßt sich aus meiner Sicht
nicht ein Auftrag an die Finanzverwaltung herleiten.
Vielmehr ist es reines Wunschdenken, um einen Auf-
trag von Dritten zu bekommen, um die Steuer zu er-
höhen.
D
Herr Kollege Thiele, die-ses Urteil ist mir bekannt. Ich kenne natürlich auch denInhalt des Urteils. Zu diesem Urteil hat die alte Bundes-regierung keinen Anlaß gesehen, einen Nichtanwen-dungserlaß zu erlassen. Daraufhin ist das Urteil durchdie Verwaltung anzuwenden. Jetzt sind wir verpflichtet,es umzusetzen. Sie hätten zumindest versuchen können,einen Nichtanwendungserlaß herauszugeben. Die Fi-nanzverwaltung hat es damals versäumt. Nehmen Siedas bitte zur Kenntnis.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5959
(C)
(D)
Bisher wurden bei der Aufstellung und bei der Ände-rung von Abschreibungstabellen auch betriebswirtschaft-liche Aspekte berücksichtigt, die in der Regel zum Ansatzeiner verkürzten Nutzungsdauer führen. Nach dem BFH-Urteil ist dies nicht mehr zulässig, aber, wie erwähnt,natürlich in jedem Einzelfall gleichwohl möglich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Hen-
dricks, es gibt eine zweite Zwischenfrage.
D
Bitte schön, Herr Kollege
Thiele.
Frau Staatssekretärin,
könnten Sie mir erläutern, wie auf ein Urteil hin, wel-
ches keine rechtliche Bindung für den Gesetzgeber er-
langt oder auch nur feststellt, ein Nichtanwendungserlaß
überhaupt ergehen muß? Denn ein Nichtanwendungser-
laß setzt nach meinem Rechtsverständnis voraus, daß
der BFH eine strittige Frage so klargestellt hat, daß eine
Anwendung erfolgen muß, über den Einzelfall hinaus.
Das enthält das Urteil in keiner Form. Insofern bedarf es
auch keines Nichtanwendungserlasses.
D
Herr Kollege Thiele, wir
können uns hier jetzt natürlich rechtlich darüber streiten.
Es hat jedenfalls diesen Nichtanwendungserlaß nicht
gegeben. Nach Auffassung der obersten Finanzbehörden
des Bundes und aller Länder enthält dieses BFH-Urteil
rechtlich bindende Aussagen. Sie können anderer recht-
licher Auffassung sein. Ich kann nur sagen, es ist zu
Zeiten der alten Bundesregierung versäumt worden,
einen Nichtanwendungserlaß herauszugeben. Hätte es
ihn geben können, hätten wir keine rechtlichen Zwei-
felsfragen. Sie vertreten da eine andere Position als die
obersten Finanzbeörden des Bundes und aller Länder.
Wir können uns weiter darüber streiten.
Bitte schön, Herr Kollege Fromme.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben die Regie
schon übernommen. Bitte, Herr Kollege Fromme, Ihre
Frage.
Frau Staats-
sekretärin, können Sie mir vielleicht einmal erklären, wo
es eine Rechtsgrundlage gibt, die Sie daran hindert, jetzt
einen Nichtanwendungserlaß herauszugeben?
D
Herr Kollege Fromme,Sie wissen, daß ich keine Juristin bin. Ich werde Ihnendiese Frage gerne schriftlich beantworten, aber ich binsicher und davon überzeugt, daß es bestimmte Regelngibt, innerhalb deren ein solcher Nichtanwendungserlaßergehen muß. Das ist eben nicht erfolgt. Aber wir kön-nen das noch klären.Zum Verfahren: Die obersten Finanzbehörden desBundes und der Länder sind an diese Auslegung des § 7des Einkommensteuergesetzes durch den BFH gebun-den. Sie beschlossen deshalb bereits Anfang 1998, alsonoch zu Zeiten der alten Bundesregierung, eine Arbeits-gruppe mit dem Auftrag einzusetzen, alle AfA-Tabellenzu überarbeiten. Diese Arbeiten sind noch im Gange.Fertiggestellt ist bislang lediglich ein Arbeitsentwurf derAfA-Tabelle für allgemein verwendbare Anlagegüter;ein Arbeitsentwurf, das darf ich noch einmal betonen.Dieser beruht auf den Ergebnissen aktueller Betriebs-prüfungen im gesamten Bundesgebiet, die etwa im Zeit-raum von Mitte 1998 bis Mitte 1999 vonstatten gegan-gen sind. Diese Ergebnisse führen generell zur Verlän-gerung der Nutzungsdauern unter technischen Aspekten.Die Stellungnahme der Spitzenverbände der Wirt-schaft zu diesem Arbeitsentwurf werden Anfang De-zember 1999 durch die Vertreter der obersten Finanzbe-hörden des Bundes und der Länder ausgewertet. Solltesich dabei herausstellen, daß die von den Fachleuten derFinanzverwaltung unter Beachtung der Rechtsprechungdes BFH ermittelten Nutzungsdauern einzelner Wirt-schaftsgüter im Arbeitsentwurf zu lang angesetzt wur-den, was zu erwarten ist, werden diese Ansätze natürlichkorrigiert. Dies entspricht dem üblichen Verfahren beider Anpassung der AfA-Tabellen. Erst nach Abschlußdieser Arbeiten wird die endgültige Tabelle im Bundes-steuerblatt veröffentlicht.Auch die übrigen rund 100 branchenspezifischenAfA-Tabellen werden zur Zeit überarbeitet und voraus-sichtlich im Laufe des Jahres 2000 als Entwurf ebenfallsden betroffenen Spitzenverbänden zugeleitet. Die AfA-Tabellen sind im übrigen nicht, wie hier und da geäu-ßert, Gegenstand einer Rechtsverordnung. Sie sind ein-deutig eine Verwaltungsvorschrift und deshalb für denSteuerpflichtigen unverbindlich.Die Erfahrung zeigt zwar, daß sich die Steuerpflichti-gen selber an diesen AfA-Tabellen orientieren, gleich-wohl kann aber jeder Unternehmer der Abschreibung fürein Wirtschaftsgut eine kürzere Nutzungsdauer als in derAfA-Tabelle zugrunde legen, wenn dies hinsichtlich dertechnischen Abnutzung des Wirtschaftsguts in seinemUnternehmen schlüssig begründet ist. Es hat also keineBindungswirkung für den Steuerpflichtigen.Die Überarbeitung der AfA-Tabellen steht nicht imsteuerpolitischen Kontext der Reform der Unterneh-mensbesteuerung oder anderer zentraler steuerpoliti-scher Vorhaben der Bundesregierung.
Es handelt sich, wie ich Ihnen schon sagte, um ein be-reits unter der Vorgängerregierung im Einvernehmenmit allen Ländern begonnenes Vorhaben auf Verwal-tungsebene.Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
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5960 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
(C)
Es geht hier allein um die Auslegung und Anwen-dung des geltenden Rechts. Der zeitliche Zusammen-hang mit der beabsichtigten Unternehmenssteuerreformist also zufällig. Die Anpassung der AfA-Tabellen an diegeänderte Rechtsprechung hätte auch ohne eine Unter-nehmensteuerreform vollzogen werden müssen.Es trifft aber zu, daß im Finanztableau für den Kabi-nettsbeschluß vom 23. Juni 1999 die überarbeitetenAfA-Tabellen im Entstehungsjahr mit Mehreinnahmenvon 2,2 Milliarden DM ausgewiesen waren, im Rech-nungsjahr 2000 übrigens mit rund 800 Millionen DM –anders, als Sie es eben gesagt haben, Herr KollegeThiele. Diese Schätzung der Bundesregierung erfolgteallerdings vor Kenntnis eines Zwischenergebnisses derBund/Länder-Arbeitsgruppe und beschränkte sich aufeinen vorsichtigen pauschalen Ansatz.Ich denke, daran wird auch deutlich, daß die Bundes-regierung nicht beabsichtigt hat, mit der Verlängerungvon Abschreibungsfristen zwischen 14 und 20 Milliar-den DM im Jahr an zusätzlichem Steueraufkommen zuerzielen. Andererseits konnte natürlich die Bundesregie-rung auch nicht die Augen davor verschließen, daß dieseArbeiten im Gange waren. Deswegen ist ein vorsichtigerpauschaler Ansatz geschätzt worden. Das muß im Sinneeiner seriösen Finanz- und Haushaltsplanung auch so sein.
Dies ist also mit rund 800 Millionen DM in den Steuer-einnahmeansatz des Jahres 2000 eingegangen.Sie sehen an der Differenz zwischen 2,2 MilliardenDM im Entstehungsjahr bzw. rund 800 Millionen DMim ersten Rechnungsjahr und einer geschätzten Mehr-belastung, die auch von Ihnen hier vorgetragen wordenist, zwischen 15 und 20 Milliarden DM, daß wir keines-falls beabsichtigen, die Verlängerung der Nutzungsdau-ern in einem Umfang herbeizuführen, daß tatsächlich ei-ne solche steuerliche Mehrbelastung eintreten würde.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion der
CDU/CSU hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg das
Wort.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen!Die F.D.P.-Fraktion fordert mit ihrem Antrag die Bun-desregierung auf, von der „geplanten Verschlechterung“der AfA-Tabellen Abstand zu nehmen.Die CDU/CSU-Fraktion hatte mit Drucksa-che 14/1746 vom 6. Oktober dieses Jahres bereits eineKleine Anfrage an die Bundesregierung bezüglich derNeufassung der AfA-Tabellen gestellt. Heute nachmit-tag ist die Antwort eingegangen. Frist für die Beant-wortung war der 21. Oktober. Benötigt das Finanzmi-nisterium, Frau Staatssekretärin, wirklich so lange, umeinfache Fragen zu beantworten?Der Entwurf einer überarbeiteten AfA-Tabelle „AV“ist vom Finanzministerium den Wirtschaftsverbändenzur Stellungnahme übersandt worden. Hintergrund dergeplanten Neufassung der AfA-Tabellen ist ein Urteildes Bundesfinanzhofes vom 17. November 1997.Die Behauptung des Finanzministeriums und auchheute wiederum der Staatssekretärin, daß die Entschei-dung des BFH zwangsläufig zu einer grundlegendenÜberarbeitung der AfA-Tabellen führen muß, istschlichtweg falsch.
Die AfA, Abschreibung für Abnutzung, ist die Ver-teilung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten aufdie betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer. Die Nut-zungsdauer von Wirtschaftsgütern, die der techni-schen oder wirtschaftlichen Abnutzung unterliegen, iststets begrenzt. Das Ende der Nutzung wird durch techni-sche und wirtschaftliche Gründe bestimmt. Daran hatsich die Schätzung der betrieblichen Nutzungsdauer zuorientieren. Darauf beruht die ständige Rechtsprechungdes Bundesfinanzhofes, die sich auch durch das obengenannte Urteil nicht geändert hat.Der Bundesfinanzhof wendet sich im Ergebnis nurdagegen, die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer nochweiter auf eine sogenannte Behaltefrist im eigenen Be-trieb zu reduzieren. Der BFH hat in einem branchenspe-zifischen Fall der Pkw-Vermietung entschieden, daß ei-ne kürzere als die amtliche AfA-Nutzungsdauer nichtgewährt werden kann – das hat Herr Thiele schon betont–, wenn an Hand der Bilanzen nachgewiesen werdenkann, daß der Unternehmer die Wirtschaftsgüter nachAblauf des Nutzungszeitraums in jedem Fall mit hohemRestwert, nämlich 30 bis 40 Prozent der Anschaffungs-kosten, veräußert.
Dieser Einzelfall kann aber nicht zum Anlaß genom-men werden, für fast alle anderen Wirtschaftsgüter desAnlagevermögens die betriebsgewöhnliche Nutzungs-dauer drastisch zu verlängern.
Bei Pkws haben wir zudem einen funktionierenden Se-kundärmarkt, den wir beim überwiegenden Teil deranderen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens ebennicht haben. Für den typischen Investitionsgütermarktgibt es keinen etablierten Gebrauchtmarkt.Festzuhalten ist weiterhin, daß die derzeit gültigeAfA-Tabelle „AV“ erst zwei Jahre alt ist. Dem Aspektder längeren technischen Nutzung war bereits bei derAufstellung dieser Tabelle Rechnung getragen worden.Deshalb ist es eben nicht nachvollziehbar, wenn in demEntwurf die Nutzungsdauer für Wirtschaftsgüter wiezum Beispiel für EDV-Anlagen, Großrechner, von fünfauf acht Jahre, für PCs von vier auf sechs Jahre, für Pe-ripheriegeräte von vier auf sieben Jahre, für Büromöbelvon 10 auf 15 Jahre, für Pkw von fünf auf acht Jahre, fürLkw von sieben auf elf Jahre und für Maschinen desAnlagevermögens teilweise von 10 auf 20 Jahre erhöhtwird. Das sind nur wenige Beispiele.Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5961
(C)
(D)
Man muß fragen: Welche empirischen Untersuchun-gen von welchen Behörden liegen den überarbeitetenAfA-Tabellen eigentlich zugrunde? Wir haben mit derneuen AfA-Tabelle somit eine Verlängerung der Nut-zungszeiträume mit einer Spannbreite von 50 bis zu150 Prozent. Das ist nicht hinnehmbar, meine Damenund Herren.
Wenn durch die neuen AfA-Tabellen erreicht werdensoll, daß die Unternehmen ihre Anlagen länger nutzenund nicht durch neue, auf dem Stand der Technik be-findliche Anlagen ersetzen, kann dies als volkswirt-schaftliche und betriebswirtschaftliche Fehlleistung be-zeichnet werden.
Ein Unternehmen kann nur dann mit niedrigen Kostenproduzieren, wenn es hierfür die modernsten und lei-stungsfähigsten Anlagen einsetzt.Verlängert man die AfA-Zeiten, kommt es zu einemstaatlich verordneten Desinvestitionsprogramm. ImErgebnis ist dies ein staatlich verordnetes Investitions-drosselungsprogramm und damit kontraproduktiv hin-sichtlich der Zielsetzung, Arbeitsplätze zu schaffen.
Gegenüber den Wettbewerbern im Ausland, diewesentlich kürzere AfA-Laufzeiten haben, wäre dieseine weitere Benachteiligung für den Standort Deutsch-land. Dies hat für in- und ausländische Investoren er-hebliche Auswirkungen, da die AfA-Sätze neben denSteuersätzen oft als einzige steuerliche Berechnungsgrö-ße Eingang in betriebswirtschaftliche Investitionsrech-nungen finden. Es kommt hinzu, daß im Zuge der beab-sichtigten Unternehmensteuerreform die degressive AfAvon 30 auf 20 Prozent gesenkt werden soll.Die Verlängerung der Abschreibungsdauer – so dieBehauptung der Finanzverwaltung – ist nicht lediglich einPeriodisierungsproblem. Nein, die durch eine Verlänge-rung der Nutzungsdauer eintretenden geringeren Ab-schreibungsbeträge können nicht mehr aufgeholt werden.Denn das für Investitionen bedeutsame Innenfinanzie-rungsvolumen durch Abschreibungen wird über einenZeitraum vermindert, der in etwa der Verlängerung derjeweiligen Nutzungsdauer entspricht. Halten die Unter-nehmen an ihrer geplanten Investitionspolitik fest, müssensie zur Finanzierung neuer Investitionen Kredite in Höheder verordneten zusätzlichen Steuern aufnehmen. Liqui-dität und Cash-flow der Unternehmen werden gefährdet.Das Instrument der Selbstfinanzierung gerät damit in Ge-fahr, und dies, meine Damen und Herren, trifft insbeson-dere unsere mittelständischen Unternehmen.
In mittelständischen Unternehmen werden häufig diedünne Eigenkapitaldecke und die unausgewogene Fi-nanzierungsstruktur beklagt. Um so weniger ist es des-halb verständlich und einzusehen, daß der Staat die In-nenfinanzierung erschwert.Vielleicht sind noch viel näher liegende Gründe fürdie vorliegende AfA-Tabelle ausschlaggebend. In einerKabinettsitzung der rotgrünen Regierung Ende Juni –aus ihr wurde schon zitiert – wurde das Steueraufkom-men mit der neuen AfA-Tabelle auf rund 2,5 Milliar-den DM geschätzt. Die Wirtschaftsverbände bezifferndie steuerlichen Mehrbelastungen auf 13 bis 15 Milliar-den DM. Bereits das sogenannte Steuerentlastungsge-setz 1999/2000/2001 hat zunächst die Unternehmen mitÄnderungen der Bemessungsgrundlagen und mit Hin-weis auf eine grundlegende Unternehmensteuerreformmit Milliarden D-Mark mehrbelastet.Mit dem Schritt der neuen AfA-Tabellen wird eineweitere Vorwegfinanzierung einer noch immer unbe-stimmten Unternehmensteuerreform vollzogen. AnStelle einer in Aussicht genommenen Steuerentlastungführt dies in den betroffenen Unternehmen zu erheblichsteigenden Steuerbelastungen mit noch hohen Steuersät-zen, da es infolge des sinkenden AfA-Volumens bereitsab dem Jahr 2000 zu deutlichen Erhöhungen derBuchgewinne kommt.Ein weiterer Gesichtspunkt kann für die Aktualitätder neuen AfA-Tabelle ausschlaggebend sein. Wennseitens des Bundesfinanzministeriums erklärt wurde, dervorliegende Entwurf sei mit den Ländern abgestimmt,so trifft dies nur zum Teil zu. Länder wie Baden-Württemberg und Bayern haben sich frühzeitig verab-schiedet. Sollten hier die Länder eine mögliche Kom-pensation für die Belastungen aus dem sogenanntenSparpaket erhalten?
Die Investitionskraft unserer Volkswirtschaft darf nichtdurch solche vordergründigen Ränkespiele gefährdetwerden.Die Reaktionen aus den Wirtschaftsverbänden zeigen,daß diese im Interesse der Unternehmen und der Ar-beitsplätze nicht bereit sind, die neuen AfA-Tabellen zuakzeptieren. Von seiten des Finanzministeriums wirddann wiederum betont, es handele sich lediglich umeinen Referentenentwurf. Finanzminister Eichel läßtausschließlich aus fiskalischem Interesse die Beamtenagieren.Laut „Handelsblatt“ vom 20. Oktober 1999 – HerrThiele hat es schon zitiert – hat Bundeskanzler Schrödervor dem Hauptverband des Deutschen Einzelhandels er-klärt, die neuen Tabellen erhielten keine Geltung. Manmuß fragen, welches Verfallsdatum diese Zusagen ha-ben.
Wir haben zwar keine Gesetzgebungskompetenz hin-sichtlich der AfA-Tabellen. Wir sollten uns aber in einerAnhörung oder in einem Fachgespräch/Expertenge-spräch mit dieser Sachlage im Finanzausschuß befassen.In der vorliegenden Form kann die AfA-Tabelle aus dendargelegten Gründen nicht akzeptiert werden.
Leo Dautzenberg
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5962 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
(C)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Chri-
stine Scheel.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Thiele, wenn Sie die Auffassung vertreten, Sie müßten
die Regierung zu diesem Thema treiben, dann kann ich
nur sagen: Wir beschäftigen uns mit diesem Thema. Da-
zu bedarf es nicht der F.D.P.
Das BFH-Urteil vom 19. November 1997 wurde auf
der Verwaltungsebene – bereits zu den Zeiten der alten
Koalition – so interpretiert, daß sich im Regelfall die
Abschreibungstabellen an den technischen Nutzungs-
dauern zu orientieren haben. Das heißt, auch nach Auf-
fassung der in den Ministerien jeweils Zuständigen der
alten Regierung aus CDU/CSU und F.D.P. wurde es so
formuliert, daß es zwingend notwendig sei, hier eine
gewisse Anpassung – ich nenne das bewußt so – vorzu-
nehmen. Daraufhin haben Sie in Ihrer Verantwortung
1998 eine Arbeitsgruppe auf den Weg gebracht,
die letztendlich diesen Auftrag zu erfüllen hatte.
– Im Januar 1998.
Nach dem Regierungswechsel gab es einen Entwurf,
der am 31. August 1999 an die Wirtschaftsverbände zur
Stellungnahme weitergegeben wurde. Es ist vollkom-
men klar, daß unter Berücksichtigung der Stellungnah-
me der Wirtschaftsverbände Anpassungen vorgenom-
men werden, wenn sich Nutzungsdauern als zu lang an-
gesetzt herausstellen.
Es ist aber auch klar, daß der jetzt vorliegende Vor-
schlag in dieser Form absolut nicht akzeptabel ist. Es ist
logisch, daß sich Investitionen auf der einen Seite für die
Wirtschaft rechnen müssen, daß sich auch die Moderni-
sierungen der Betriebe im Konkurrenzgeschäft eines in-
ternationalen Marktes rechnen müssen und daß wir hier
nicht etwas tun dürfen, wodurch wir die mittelständische
Wirtschaft im Hinblick auf ihre Konkurrenzfähigkeit in
die Bredouille bringen.
Ich nenne noch einmal das Beispiel der Notebooks,
weil dies immer wieder angeführt worden ist. Dabei geht
es um die Verlängerung des Abschreibungszeitraums
von vier auf sechs Jahre. Dies ist wirklich realitätsfremd,
und es gibt viele andere Regelungen, die ebenfalls rea-
litätsfremd sind.
Ich sage es noch einmal deutlich: Niemand hat vor,
diese AfA-Tabellen des auf der Verwaltungsebene vor-
gelegten Vorentwurfes in ihrer ursprünglichen Ausge-
staltung Realität werden zu lassen. Das wissen alle in
diesem Haus.
Ich kann an dieser Stelle nur sagen – das gilt für die
gestrige Debatte in der Aktuellen Stunde genauso –,
daß die F.D.P. versucht, sich mit irgendwelchen unge-
legten Eier zu profilieren. Gestern versuchte sie es hin-
sichtlich der Steuerschätzung, obwohl überhaupt keine
Zahlen auf dem Tisch liegen. Heute versucht sie es mit
Tabellen, die niemals Realität werden, was sie genau
weiß.
Man versucht also, politisch Profit zu schlagen
und die Wirtschaft zu verunsichern.
Letztlich glaubt man, von irgendwelchen Leuten Unter-
stützung zu bekommen, die dies dementsprechend wei-
terleiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Scheel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Thiele?
Bitte sehr.
Frau Kollegin Scheel,
stimmen Sie mir darin zu, daß diese Regierung, anders
als jede andere Regierung, erstmalig ein Finanztableau
eingestellt hat – in der Größenordnung von 2,195 Milli-
arden DM im Entstehungsjahr –, was darauf schließen
läßt, daß diese Regierung eine finanzielle Mehrbelastung
der Unternehmen beabsichtigt, was eine Vorgängerre-
gierung nie getan hat, weil es keine politische Entschei-
dung dafür gab?
Herr Thiele, ich glaube, in diesem Punkt liegen Sie voll-kommen falsch.
Sie haben allerdings insofern recht, als in der Schätzungmit einer Summe gerechnet wird, die Sie eben angespro-chen haben, nämlich mit etwa 2,1 Milliarden DM. Ich
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5963
(C)
(D)
finde es übrigens gut, daß Sie diese Zahl endlich einmalgenannt haben.
Sie sprachen vorhin von 15 bis 17 Milliarden DM. Eshat eine andere Dimension, wenn man versucht, denEindruck zu erwecken, als würde die Wirtschaft im Jah-re 2000 plötzlich in dieser Größenordnung belastet. Siewissen genau, daß dies so nicht stimmt. Deswegen vie-len Dank, was diese Klarstellung angeht.Nun aber zu dem zweiten Teil Ihrer Frage. Sie habengesagt, die alte Regierung habe niemals eine Zahl inUmlauf gebracht. Das ist schlicht und ergreifend falsch.
Die alte Regierung ging in der Finanzplanung von 3Milliarden DM aus.
Diese Summe wurde in der Finanzplanung immer mit be-rücksichtigt, weil man wußte, daß man die Arbeitsgruppemit einem entsprechenden Auftrag versehen hatte. Natür-lich hat man auch Schätzungen vorgenommen. Die Schät-zung der alten Regierung liegt um fast 1 Milliarde überdem, was die neue Regierung jetzt in ihrer Schätzungvorgelegt hat. Das sind die Fakten. Sonst gar nichts.
Nun noch ein paar Überlegungen zu den Zahlen undauch zu den finanziellen Wirkungen. Eines habe ich be-reits angesprochen: Von den zweistelligen Milliarden-beträgen, die des öfteren genannt werden, kann nicht dieRede sein. Natürlich gibt es auch, was die Liquiditäts-überlegungen angeht, bestimmte Wirkungen. Das heißt,wenn man bestimmte Dinge anpaßt – ich will sie nichtim Detail nennen; das ist die Aufgabe, die diese Ar-beitsgruppe zu bewältigen hat –, führt dies zu Minder-einnahmen. Im Ergebnis, wenn verteilt wird, sieht es al-so für den Bund oder auch für die Länder ganz andersaus, als sie gedacht haben. Das heißt, dies führt im Saldonicht zu einer Mehrbelastung, sondern es entstehen ver-lagerte Effekte.
Ich sage auch ganz deutlich: Es ist ein zeitlicher Zu-fall, keine versteckte Gegenfinanzierung der geplantenUnternehmensteuerreform, wie das von Ihnen immerdargestellt wird. Wir haben uns vorgenommen, kleineund mittlere Unternehmen zu entlasten. So steht es imKoalitionsvertrag. Dies ist das politische Ziel und derpolitische Wille, sonst nichts.
Ich möchte abschließend – meine Redezeit ist leiderschon zu Ende – anmerken, daß man bei der Überarbei-tung der Tabellen auch über den Anwendungszeitpunktnachdenken sollte, damit die Opposition nicht wie jetztversuchen kann, Verbindungen zwischen Zahlen herzu-stellen. Deswegen werden wir in diesem Zusammenhangeine sehr weise Entscheidung treffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Heidemarie
Ehlert, Sie haben das Wort für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Aus Sicht der F.D.P.-Fraktion alsVertreterin der Wirtschaftslobby ist der vorliegendeAntrag natürlich verständlich. Ich frage nur, warum Sienicht 1997 – vor der letzten Änderung der AfA-Tabellen– einen solchen Antrag gestellt haben. Herr Waigelplante damals, 2,5 Milliarden DM Steuermehreinnah-men zu kassieren. Offensichtlich waren damals keineArbeitsplätze gefährdet.Herr Thiele, Sie wissen doch genauso gut wie ich,daß die amtliche AfA-Tabelle für die allgemein ver-wendbaren Anlagegüter nichts mit der tatsächlichen Ge-brauchswertabnutzung zu tun hat. Sie ist – man muß nurauf die letzte Legislaturperiode zurückschauen – einpolitisches, zwischen dem Finanzministerium und denFachverbänden der Wirtschaft ausgehandeltes Ergebnis,um unter Umgehung von Steuererhöhungen mehr Geldin die Staatskassen zu bekommen.Durch eine veränderte Abschreibung sollen diesmal 2Milliarden DM erzielt werden, mit denen das Sparpro-gramm mitfinanziert werden soll. Allerdings ist bishernoch nie so deutlich gekungelt worden wie in diesemJahr. Früher waren die AfA-Tabellen zunächst internesMaterial des Ministeriums. Aber diesmal wurde dieLobby durch das BMF rechtzeitig informiert und mobi-lisiert. Wir als Abgeordnete des Bundestages haben al-lerdings selbst keinen Einfluß auf diese Tabellen, es seidenn, unsere politische Heimat ist einer der Lobbyver-bände. Dies scheint bei Ihnen so zu sein.
Die AfA-Tabelle ist einer der aufkommensbedeut-samsten Bestandteile unseres Steuersystems. Ein Pro-zentpunkt an degressiver Abschreibung bedeutet steuer-liche Mehr- bzw. Mindereinnahmen von zirka 1 Milliar-de DM im Jahr. Es lohnt sich also sowohl für die Regie-rung wie auch für die Wirtschaft, über Abschreibungs-sätze nachzudenken.Die PDS-Fraktion ist für eine Anpassung der AfA-Tabellen und auch für eine Verlängerung der Nut-zungsdauer. Sie muß allerdings wesentlich zielgenauerals bisher sein. Im High-Tech-Bereich ist vor allem dermoralische Verschleiß gegenwärtig sehr hoch. Dieswurde zum Beispiel bei der AfA für Computer, Mobil-telefone und andere Elektronikgeräte offensichtlich völ-lig übersehen. Aber, werte Kolleginnen und KollegenChristine Scheel
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5964 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
(C)
von der F.D.P., Sie glauben doch wohl selbst nicht dar-an, daß die Wirtschaft mit den Einnahmen aus den Ab-schreibungen in erster Linie Arbeitsplätze schafft oderInvestitionen tätigt. Wenn dies so wäre, dann hätte es jain den Jahren vor 1997, also vor der letzten Änderungder AfA-Tabellen, fast ein Überangebot an Arbeitsplät-zen geben müssen.
Eine längere Nutzung der entsprechenden Wirt-schaftsgüter muß auch nicht automatisch zum Abbauvon Arbeitsplätzen führen. Es kann doch zum Beispielparallel ein Dienstleistungssektor aufgebaut werden, derService und Reparaturen anbietet. Neue Arbeitsplätzekönnen in arbeitsintensiven Dienstleistungsbereichenentstehen.Wir sind außerdem für eine verlängerte, zielgenaueAbschreibung, weil sie einfach ökologischer ist. Derentsprechend der künstlich festgelegten Abschreibungbeschleunigte Arbeitsmittelumschlag ist eine gewaltige,vermeidbare Rohstoffvergeudung und eine zusätzlicheUmweltbelastung.
Wie lange wollen und können wir uns das überhauptnoch leisten?
Auch über die Abschreibungen kann unseres Erachtensein Einstieg in den ökologischen Umbau erfolgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Fritz Schösser, SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!Der Antrag der F.D.P. „Abschreibungstabellen nicht än-dern“ vermittelt den Eindruck, als könne er kein Wäs-serchen trüben. Bei genauerem Hinsehen und vor allemvor dem Hintergrund der aufgeschreckten, aber sehrdurchsichtigen Kampagne, die zu diesem Thema bereitsöffentlich veranstaltet wurde, kommt man dann aberschnell zu einer anderen Betrachtungsweise.Wie immer, meine Damen und Herren von derF.D.P., schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. Dennmit Ihrer Kampagne verunsichern Sie die Wirtschaft underreichen genau das Gegenteil von dem, was Sie schein-heilig zu wollen vorgeben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie sich ein Beispielan der CDU/CSU; die haben, dem Problem angemessen,eine Kleine Anfrage gestellt und nicht einen Antrag ein-gebracht. Das hat auch seinen Sinn, wie ich später nochdarstellen werde. Es hat vielleicht auch seinen Sinn, daßheute niemand von der CSU dabei ist. Aber auch dazuspäter noch etwas.Es geht für Sie nicht darum, den InvestitionsstandortDeutschland wirklich attraktiv zu machen. Nein, HerrThiele, Sie regen sich künstlich auf, verspritzen verbalesGift, zeigen mit dem Finger auf die Regierung und hof-fen darauf, daß schon etwas hängenbleibt. Das ist dieArt, von der der Antrag geprägt ist.
Aus Mücken auf der Verwaltungsebene haben Sie einenregierungsamtlichen Elefanten gemacht. Aber was Siehier veranstalten, ist nichts anderes als ein Sturm imWasserglas.Bundeswirtschaftsminister Werner Müller hat sich jasehr frühzeitig klar und auch differenziert von dem Ma-terial der Steuerexperten auf der Beamtenebene vonBund und Ländern distanziert.
– Er hat sich davon distanziert. – Aber man höre undstaune: Herrn Thiele stört das gar nicht. Am nächstenTag nämlich wirft er dem Wirtschaftsminister vor, be-gleitet vom Konzert der Wirtschaftsverbände – in der„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ist es nachzulesen –:„Herr Müller weiß regelmäßig nicht, was er beschlossenhat.“
Wie kann er auch, Herr Thiele, wenn es noch gar keinenBeschluß über die neuen AfA-Tabellen gibt?
Herr Thiele, ich kenne Sie ja mittlerweile ein wenig.Wahrscheinlich waren Sie zu früheren Zeiten einmal einHubschrauber: Landen, viel Staub aufwirbeln und dannohne konstruktiven Vorschlag wieder abziehen.
Ich kann Ihnen nur versichern: Die jetzt vorliegendenTabellen werden so weder Verwaltungsvorschriftennoch Rechtsverordnungen, noch werden sie im Parla-ment beschlossen. Das vorliegende Material ist auchkein Skandal, schon gar keine beschlossene Neuordnungder AfA-Tabellen, sondern das ist schlicht und einfachdas Ergebnis einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe aufBeamtenebene, an der sich auch Baden-Württembergund Bayern beteiligt haben. Baden-Württemberg hatsich seit September, habe ich mir sagen lassen, zurück-gezogen. Bis dahin hat man aber jede Zahl mit unter-schrieben.
Es ist doch völlig selbstverständlich und unumstrit-ten: Nach Auswertung der Verbandsstellungnahmen ausdem Wirtschaftsbereich werden die von Fachleuten derHeidemarie Ehlert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5965
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Finanzverwaltung unter Beachtung der Rechtsprechungermittelten Nutzungsdauern überprüft und – dessen binich sicher – in den einschneidenden Fällen auch wiederkorrigiert. Deshalb haben die Beamten ihre Ausarbei-tung ja auch an die Verbände gesandt; sonst hätten siedas ja gar nicht tun müssen.Nun zu dem, was getan werden muß. Es ist klar er-läutert worden: Es gibt eine Vorgabe des Bundesfinanz-hofes, und – was noch sehr viel deutlicher ist – es gibtnatürlich auch einen klaren Auftrag, der von Finanzmi-nister Theo Waigel erteilt wurde. Das vergessen einigein dieser Runde. Es ist mehrmals richtig gesagt worden,daß die alte Regierung diesen Betrag bereits eingestellthat. Aber auch das, Herr Thiele, macht Sie gar nicht un-sicher. Man vergißt halt relativ schnell.Nun zu der Frage, warum die CSU heute nicht da ist.Überrascht bin ich schon über die Kleine Anfrage vom5. Oktober 1999 und über die Tatsache, daß jetzt nie-mand hier ist. Vielleicht kann sich die CSU nicht sorecht an das erinnern, was Kurt Faltlhauser als Finanz-minister vorgelegt hat. Das war vor wenigen Wochen.Es geht da um die „Steuerinitiative Bayern 2001“. Siekönnen da auf der Seite 17 gern nachlesen, wie bei-spielsweise die erste Stufe 2001 teilfinanziert werdensoll. In dieser Teilfinanzierung der ersten Stufe steht einTitel, der folgendermaßen lautet: „Anpassung der Ab-schreibungsdauer auf bewegliche Wirtschaftsgüter desAnlagevermögens an die tatsächliche Nutzungsdauer“.
Man höre und staune: 3 Milliarden DM, also exakt 805Millionen DM mehr, als im Tableau der Bundesregie-rung steht. Ist das vielleicht der Grund dafür, daß Sievon der CDU heute so einsam hier sitzen und von derCSU verlassen sind?
Ich frage mich, meine Herren von der CDU/CSU,warum Sie Ihre Anfrage nicht an Herrn Faltlhauser ge-richtet haben, der anscheinend ganz genau Bescheidweiß, wie die AfA-Tabelle aussehen soll. Er hat es kon-kret in sein Programm hineingeschrieben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?
Aber bitte.
Herr Kollege
Schösser, wären Sie so freundlich, der Vollständigkeit
halber anzugeben, wie hoch die Steuersätze sowohl bei
der Eingangs- als auch bei der Spitzenbesteuerung in
diesem Finanzkonzept sind?
Das kann ich Ihnen sagen. In
der Stufe eins auf der Ebene des Jahres 2001 liegt der Ein-
kommensteuersatz bei 20 Prozent im unteren Bereich und
bei 42 Prozent im oberen Bereich und die Körperschaft-
steuer bei den thesaurierten Gewinnen bei 35 Prozent.
– Ich sehe da nicht die großen Unterschiede zu anderen
Konzepten, die ausgearbeitet werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die zweite Zwi-
schenfrage bitte.
Herr Kollege Schösser,
wenn Sie die Kollegen von der CSU nicht kennen, wie
wollen Sie dann die Steuersätze der CSU kennen?
Hören Sie mal, die sind
nachzulesen. Aber ich sehe Sie so selten, daß man Sie
tatsächlich einmal übersehen kann.
Die Steuersätze habe ich dabei. Sie mögen sich dafür
schämen. Ich habe nichts dagegen.
Sie können sie auch zurückziehen; das würde uns auch
helfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich habe viel Zeit.
Herr Kollege Schösser,
ich bin deshalb ins Plenum gekommen, weil ich mich als
neuer Bundestagsabgeordneter über die Abschreibungs-
tabellen informiere; denn Ihr Kollege aus der Oberpfalz,
Ludwig Stiegler, hat gerade bei uns in der nördlichen
Oberpfalz viel Falsches verbreitet. Heute könnte er hier
sein und sich über diese Dinge informieren.
Das machen Sie mal morgenfrüh mit Ludwig Stiegler selber aus.Ich stelle noch einmal die Frage: Warum haben SieIhre Anfrage nicht an Herrn Faltlhauser gerichtet? Erweiß anscheinend sehr genau, wie die 3 Milliarden DMfür das Jahr 2001 zustande kommen sollen.Sie sehen also, meine Damen und Herren, im Ver-gleich mit dem Steuerkonzept der CSU nimmt sich dieerwartete Steuereinnahme im Finanztableau der Bundes-regierung für das Entstehungsjahr mit knapp 2,2 Milli-arden DM eher bescheiden aus.Meine Damen und Herren, Unternehmen investierennicht deshalb, weil sie günstig abschreiben können. Ichhabe das bisher in keinem Aufsichtsrat erlebt.
Der entscheidende Punkt ist, ob der Markt, die Qualifi-kation der Arbeitnehmer, das Produkt, der Absatz unddie Absatzerwartung stimmen. Das sind die entschei-Fritz Schösser
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5966 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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denden Faktoren. Die Abschreibungsfrage steht sehr imHintergrund.
Ich sage Ihnen: Sie führen im Grunde eine Auseinan-dersetzung gegen das Windmühlenrad. Selbst wenn ineinzelnen Bereichen die Abschreibungsjahre sozusagengestreckt werden, heißt das doch nicht, daß das für einUnternehmen eine Steuererhöhung bedeuten muß.
Das Unternehmen, das sich der Steuerzahlung ehrlichstellt, wird natürlich früher oder später Steuern bezahlenmüssen. Das verschweigen Sie leider. Wenn ich die Jahresozusagen strecke, ist das zum großen Teil nur eine vor-gezogene Steuereinnahme und keine dauerhafte, wie dierelativ hohen Kosten im Entstehungsjahr schon zeigen.Das heißt, einen Zusammenhang mit der Unternehmen-steuer herzustellen und zu sagen, wir nehmen den Unter-nehmern weg, was wir ihnen geben, ist so nicht haltbar.
Ich glaube, bei aller Unterschiedlichkeit im Parlamentist eines sehr wichtig: Wir sollten nichts tun, was dieWirtschaft verunsichert.
Herr Thiele, bei allem Geplänkel zwischen Parteien sageich Ihnen: Wenn man die Wirtschaft verunsichert – dastun Sie –, glaubt man am Ende vielleicht sogar, dieserStandort sei schlecht. Das ist aber nicht so. Die Faktenund Daten für das nächste Jahr weisen deutlich daraufhin, daß die Wirtschaft mit einem Aufschwung rechnetund dieser Aufschwung auch von mehr Arbeitsplätzengetragen sein wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/1887 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einbürgerungsverfahren human gestalten –
Einbürgerungshindernisse beseitigen
– Drucksache 14/1757 –
Überweisungsvorschlag:
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Fraktion der SPD die Kollegin Lilo Friedrich.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! In acht Wochen tritt das neue Staatsbürger-schaftsrecht in Kraft. Mit dieser Reform wird endlich eindeutliches Zeichen für die Weltoffenheit und Modernitätunseres Landes gesetzt, ein Land, das der Integrationunserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgereinen hohen Stellenwert einräumt.Die Kernpunkte sind hinlänglich bekannt: Die Ein-bürgerungsfristen werden verkürzt, und für Härtefällewird eine verbesserte Ausnahmeregelung bei der Hin-nahme von Mehrstaatigkeit geschaffen. Dies hat zumZiel, daß sich zwischen der in Deutschland lebendenausländischen Bevölkerung und dem deutschen Staats-volk nicht eine immer größer werdende Lücke bildet.Will man ein Haus bauen, so muß man mit dem Fun-dament beginnen. Baustein für Baustein wird das Hausdanach vollendet. Der vorliegende Antrag ist ein weite-rer Baustein. Nach vielen politischen Auseinanderset-zungen hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundes-rates das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeits-rechtes beschlossen. Nun gilt es, diese gesetzlichen Vor-gaben in eine praxiserleichternde Einbürgerung umzu-setzen. Aufgabe hierbei ist es, die Richtlinien für denVerwaltungsvollzug so zu gestalten, daß das neue Ge-setz seiner Aufgabe und Zielsetzung, insbesondere derIntegration, gerecht werden kann.Wichtig ist uns hinsichtlich der Verwaltungsvor-schriften – sozusagen der Gebrauchsanweisung für dasGesetzeswerk selbst –, daß das Einbürgerungsverfahrenhuman gestaltet und Einbürgerungshindernisse beseitigtwerden.
Deshalb bitten wir die Bundesregierung und die Bun-desländer, im Zuge des Erlasses der Allgemeinen Ver-waltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht denSchwierigkeiten ausländischer Staatsangehöriger, insbe-sondere aus dem Iran und der Bundesrepublik Jugosla-wien, im Entlassungsverfahren gezielt Rechnung zu tra-gen.
Zur Begründung: Mit dem neuen Staatsbürgerschafts-recht wird die Einbürgerung vieler Antragsteller er-––––––––––––*) Anlage 5Fritz Schösser
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leichtert, die Probleme mit den ausländischen Behördenbei ihren Entlassungsbemühungen erfahren. Für diedeutschen Einbürgerungsbehörden ist jedoch die Beur-teilung der Einbürgerungsvoraussetzungen, die eineHinnahme von Mehrstaatigkeit ermöglichen, in man-chen Fällen besonders schwierig. So ist die Verwal-tungspraxis einiger ausländischer Staaten, zum BeispielIran oder Bundesrepublik Jugoslawien, nicht immernachvollziehbar.Hierzu ein Beispiel. Die Einbürgerung iranischerStaatsbürger geschieht noch heute auf der Grundlagedes deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens ausdem Jahre 1929. In Abschnitt II des Schlußprotokollshaben sich die Vertragspartner verpflichtet, keinen An-gehörigen des anderen Staates ohne vorherige Zustim-mung seiner Regierung einzubürgern. Dieses Schluß-protokoll hat in der Vergangenheit manche Einbürge-rung von Iranern verzögert oder blockiert, weil die irani-sche Seite ihre Zustimmung zur Einbürgerung versagtbzw. Entlassungsanträge abschlägig beschieden odernicht bearbeitet hat.Mit der von uns eingeleiteten Reform des deutschenStaatsbürgerschaftsrechts wird die Bedeutung desSchlußprotokolls für die Einbürgerung von Iranern wei-ter abnehmen. Denn die Zeit des Inlandsaufenthaltes, diefür einen Einbürgerungsantrag erforderlich ist, unterliegtlaut mehreren Entscheidungen des Bundesverwaltungs-gerichtes nicht dem Schlußprotokoll. Sie wird durch dasneue Staatsbürgerschaftsrecht nahezu halbiert werden,das heißt auf künftig acht Jahre. – Das ist die eine be-deutende Verbesserung.Die zweite besteht darin, daß das neue Staatsbürger-schaftsrecht hinsichtlich des Grundsatzes der Vermei-dung von Mehrstaatigkeit eine erhebliche Erweiterungdes Ausnahmekatalogs vorsieht.
Das Festhalten am Grundsatz der Vermeidung vonMehrstaatigkeit bewirkt zwar weiterhin, daß der Ablaufder Einbürgerungsverfahren ausländischer Staatsangehö-riger in hohem Maße vom Recht und der Behördenpra-xis des jeweiligen Herkunftsstaates abhängt. Hier kön-nen jedoch zahlreiche Schwierigkeiten auftreten: zumBeispiel die faktische Unmöglichkeit, das Ausscheidenaus der ausländischen Staatsangehörigkeit herbeizufüh-ren, willkürhafte oder unangemessene Anforderungendes Herkunftsstaates im Entlassungsverfahren, eine vo-rangegangene diskriminierende oder entwürdigende Be-handlung des Einbürgerungsbewerbers, eine überlangeVerfahrensdauer, überhöhte Entlassungsgebühren, er-hebliche Nachteile als Folge des Ausscheidens aus derausländischen Staatsbürgerschaft oder eine vorangegan-gene politische Verfolgung.Die Entscheidung über eine Einbürgerung muß sichmeines Erachtens vorrangig an den Gesichtspunkten ori-entieren, die zwischen dem Einbürgerungsbewerber undder Bundesrepublik Deutschland als dem aufnehmendenStaat von Bedeutung sind. Daher ist es bei auftretendenSchwierigkeiten ausländsicher Staatsangehöriger insbe-sondere aus dem Iran und der Bundesrepublik Jugosla-wien im Entlassungsverfahren geboten, den Grundsatzder Vermeidung von Mehrstaatigkeit zurückzustellen,wenn diese Schwierigkeiten das im Einzelfall zumutbareMaß überschreiten. Somit kommt dem § 87 des neuenAusländergesetzes, der die Ausnahmefälle regelt, in de-nen Mehrstaatigkeit hingenommen wird, entscheidendeBedeutung zu.Die Erleichterungen für iranische Einbürgerungs-bewerber sollen künftig in folgender Hinsicht berück-sichtigt werden: Diejenigen, die im Sinne von § 51 desAusländergesetzes als politisch Verfolgte anerkanntsind, müssen keine vorherigen Bemühungen um eineEntlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeitnachweisen.
Außerdem wird die Einbürgerungsbehörde künftig erst-mals in die Lage versetzt, besondere Schwierigkeiten beiälteren Einbürgerungsbewerbern zu berücksichtigen.Des weiteren kann ein Einbürgerungsanspruch festge-stellt werden, wenn dem Ausländer bei der Aufgabe derausländischen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile– zum Beispiel vermögens- oder erbrechtlicher Art –entstehen. Ferner wird Mehrstaatigkeit hingenommen,wenn „der ausländische Staat die Entlassung aus derStaatsangehörigkeit aus Gründen versagt hat, die derAusländer nicht zu vertreten hat“. Dies ist häufig beiÄrzten oder sonstigen Fachkräften der Fall.Bei jugoslawischen Einbürgerungsbewerbern tre-ten besondere Schwierigkeiten bei Staatsangehörigender Bundesrepublik Jugoslawien, das heißt bei solchenaus Serbien und Montenegro, auf. Vielfach erfolgt dieEinbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit, weildie Entlassungsgebühren unzumutbar hoch sind.Daneben gibt es auch hier Fallgruppen, in denenweitere Entlassungsbemühungen als unzumutbar anzu-sehen sind und Mehrstaatigkeit hingenommen werdensollte. Dies gilt unter anderem bei Einbürgerungsbewer-bern, die bereits vor den Kriegsereignissen einen voll-ständigen und formgerechten Antrag auf Entlassung ausder jugoslawischen Staatsangehörigkeit gestellt habenund deren Entlassungsantrag aus von ihnen nicht zuvertretenden Gründen nach zweijährigen Entlassungs-bemühungen nicht weiter bearbeitet wird, sowie in sol-chen Fällen, in denen bereits die Entgegennahme desvollständigen und formgerechten Entlassungsantragsdurch den ausländischen Staat trotz mehrfacher ernst-hafter und nachhaltiger Bemühungen des Einbürge-rungsbewerbers über einen Zeitraum von sechs Monatenhinweg nicht erfolgt ist.Allerdings nicht jeder Fall wird detailliert im Rahmender allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsan-gehörigkeitsrecht geregelt werden können. Wir bittenjedoch darum, daß Bundesregierung und Bundesländerbei der Umsetzung des neuen Staatsbürgerschaftsrechtsdie genannten Entlassungsschwierigkeiten bestimmterausländischer Staatsangehöriger – insbesondere aus demIran und der Bundesrepublik Jugoslawien – in den Ver-waltungsvorschriften stärker berücksichtigen. Nur sokönnen das Einbürgerungsverfahren human gestaltet unddie Einbürgerungshindernisse wirkungsvoll beseitigtwerden.Lilo Friedrich
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5968 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Die Opposition hat in der Vergangenheit die Pro-bleme zwar erkannt, aber den Handlungsspielraum, dendie deutschen Regelungen und Verfahrensabsprachenbieten, nicht für eine wirkliche Erleichterung bei dengenannten Fallgruppen genutzt. Mit dem von uns ein-gebrachten Antrag soll jetzt endlich die Integration un-serer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgerauch in praktischer Hinsicht umgesetzt und erleichtertwerden.Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Fried-
rich, das war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen
Bundestages. Im Namen aller hier anwesenden Kolle-
ginnen und Kollegen gratuliere ich Ihnen ganz herzlich
dazu.
Obendrein bekommen Sie gleich noch ein präsidiales
Kompliment, denn Sie haben Ihre Redezeit, auch wenn
sie sehr üppig bemessen war, nicht voll ausgeschöpft.
Kompliment dafür!
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 14/1757
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den letzten Tagesordnungspunkt,
den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
Evelyn Kenzler, Sabine Jünger, Gerhard Jütte-
mann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur abschließenden Regelung offener Vermö-
gensfragen in Bezug auf Wohngrundstücke im
– Drucksache 14/1693 –
Überweisungsvorschlag:
SPD und Hans-Christian Ströbele, BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN2), haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.
Ich eröffne die Aussprache. Für die PDS-Fraktion hat
das Wort die Kollegin Christine Ostrowski.
––––––––––––
1) Anlage 62) Redebeiträge lagen bei Redaktionsschluß noch nicht vor.
Frau Präsidentin! Lie-be Hiergebliebenen! Es ist nun einmal so, daß wir im-mer an der letzten Stelle stehen. Vielleicht sorgen Siemit dafür, daß PDS-Anträge in Zukunft auch einmal et-was eher in der Tagesordnung abgehandelt werden.Dann müssen wir uns dies zu so später Stunde nichtmehr antun.
Es ist ja etwas aberwitzig, daß wir den zehnten Jah-restag des Mauerfalls feiern, vor der Jahrtausendwendestehen und nächstes Jahr schon zehn Jahre deutscheEinheit feiern können, aber gleichzeitig noch immerUngerechtigkeiten und Unsicherheiten für redliche Er-werber von Wohngrundstücken im Osten nicht beseitigtsind. Man hatte ja die Hoffnung, daß sich dabei etwasnach den Bundestagswahlen ändert. Die Kollegen Sozi-aldemokraten haben ja in der Opposition ganz mächtigdafür gekämpft. Es ist schade, daß Herr Hacker heutenicht hier ist. Wenn ich nämlich seine Aussagen aus derdamaligen Zeit heute noch einmal zitiere, läuft mir jetztnoch ein wohliger Schauer über den Rücken. Noch imJuni 1998 hat er gesagt:Seit über acht Jahren hat sich die SPD-Bundestagsfraktion mit einer Vielzahl parlamenta-rischer Initiativen dafür eingesetzt,
die offenen Vermögensfragen in den neuen Län-dern sozialverträglich zu lösen und die von der Re-gierungskoalition zugelassenen Regelungsdefizitezu beseitigen. Insbesondere traten und treten wirSozialdemokraten dafür ein, die über Jahre ge-wachsenen Lebensrealitäten in den neuen Ländernzu berücksichtigen und die berechtigten Interessender redlichen Nutzer und Erwerber zu schützen.Das ist wirklich ein wunderbares Zitat.Die Sache verhält sich nur so: Die Sozialdemokratenregieren schon ein ganzes Jahr. Wo aber sind die parla-mentarischen Initiativen geblieben?
Sie sind nicht zu sehen. Es herrscht Funkstille. Wie Siedamit klarkommen, ist natürlich nicht unsere Sorge. Wirjedenfalls halten unser Wahlversprechen und legen Ih-nen heute einen Gesetzentwurf vor.
– Wir haben durchaus auch etwas versprochen; zumBeispiel, daß wir ein solches Gesetz einbringen. Das tunwir jetzt auch.
Dieses Gesetz wird, wenn Sie es denn annehmen undvielleicht sogar noch verbessern, für Nutzer und Erwer-ber ostdeutscher Grundstücke mehr Rechtssicherheit undGerechtigkeit schaffen.Lilo Friedrich
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5969
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Es handelt sich dabei um ein Artikelgesetz. In Art. 1geht es um die Stichtagsregelung nach den sogenanntenModrow-Käufen. Sie wissen ja, daß der 18. Oktober1989 als Stichtag festgesetzt wurde und alle nach diesemTag geschlossenen Kaufverträge für unwirksam erklärtwurden.
– Mit einigen wenigen Ausnahmen. – Der Aberwitz derGeschichte ist, daß der Gesetzgeber durch die Stichtags-regelung gerade Erich Honecker in einer Art und Weiseein Denkmal setzt, die schon wirklich sehr merkwürdigist. Das hat er wirklich nicht verdient; denn Verträge„unter ihm“ sind wirksam und Verträge „nach ihm“ sindunwirksam.
Die vorgeschlagene Regelung will die willkürlicheStichtagsregelung beseitigen und eine Gleichstellungvon vollzogenen und angebahnten Verkäufen errei-chen. Wenn Sie sich die Realität in Ostdeutschland an-sehen, dann werden Sie feststellen, daß dies kein Zu-stand ist. Es gab Fälle, da konnte jemand vom Nutzerzum Eigentümer werden, sein linker Nachbar durfte we-nigstens nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz kau-fen, sein rechter Nachbar durfte nur noch Mieter seinund der übernächste Nachbar mußte vielleicht Haus undHof verlassen.
Daß solche Zufälligkeiten zutiefst ungerecht sind, istauch deshalb einsichtig, weil den Kaufverträgen dasformell und materiell korrekt zustande gekommene Ver-kaufsgesetz vom 7. März 1990, das sogenannte Mo-drow-Gesetz, zugrunde lag. Die frei gewählte Volks-kammer der DDR hat dieses Gesetz nicht aufgehoben –im Gegenteil. Die von ihr gewählte Regierung erließ da-zu noch im Juli und im August 1990 Verordnungen undAusführungsbestimmungen. Nein, die Stichtagsregelunggehört aufgehoben.
Art. 2 unseres Gesetzentwurfes will eine weitere Ab-surdität beseitigen. Hier geht es um die Überlassungs-verträge, die das bundesdeutsche Recht gar nicht kann-te, wohl aber das Recht der DDR. Wenn zum Beispielein Grundstückseigentümer die DDR verließ, wurde dasGrundstück zunächst von der kommunalen Wohnungs-wirtschaft verwaltet, die wiederum das Grundstück samtHaus oft einem anderen Nutzer überließ. Dieser Nutzermußte alle Lasten des Grundstückes tragen und war fürdie Instandhaltung, soweit dies unter DDR-Bedingungeneben ging, verantwortlich.Viele Nutzer handelten über Jahrzehnte wie Eigentü-mer. Sie hielten Grundstück und Gebäude instand, bes-serten den Wert auf, kümmerten und sorgten sich. Wasdas bedeutete, weiß eigentlich nur der, der in der DDRgelebt hat. Da gab es nämlich keine Baumärkte, in dieman einmal schnell fahren könnte, um Dachziegel oderZement zu holen. Da brauchte es lange Wartezeiten,manchmal die sprichwörtlich „blauen Fliesen“, Einfalls-reichtum, Nerven und Erfindergeist, um das Häuscheninstand zu halten.Nach geltendem Recht werden Nutzer mit Überlas-sungsverträgen jetzt aber in der Regel wieder wieMieter behandelt. Sie können das von ihnen unter Um-ständen seit Jahrzehnten bewohnte und instand gehal-tene Haus nur in den seltensten Fällen nach dem Sa-chenrechtsbereinigungsgesetz kaufen. Wir wollen, daßdieser Zustand beendet wird und daß Überlassungsver-träge in das Sachenrechtsbereinigungsgesetz aufge-nommen werden.In Art. 3 geht es uns schließlich um die nochmaligeVerlängerung der Fristen zum Eigentumserwerb.Hierbei geht es um Fälle, in denen private Eigentümer,aber auch öffentliche Wohnungsunternehmen und Ge-nossenschaften in den neuen Ländern Ansprüche aufErwerb eines Grundstückes gestellt haben, das ihnennoch nicht gehört, auf dem sie aber Wohngebäude er-richtet haben. Wenn nach geltendem Recht nicht biszum Ende dieses Jahres eine Grundbucheintragung er-folgt ist, besteht die Gefahr, daß die Besitzrechte an die-sen Häusern und die Nutzungsrechte an diesenGrundstücken verlorengehen.Die Frist, um die es hier geht, wurde schon einmalverlängert. In der Praxis hat sich gezeigt, daß dieseVerlängerung einfach nicht reicht. Wir schlagen deshalbvor, die Frist bis zum Ende des Jahres 2004 zu verlän-gern.Unsere drei Artikel könnten die Ungerechtigkeitenund die Rechtsunsicherheiten beseitigen. Da die SPDnoch nicht aktiv wurde, obwohl sie es versprochen hatte,gehe ich einfach davon aus, daß Sie unserem Gesetz-entwurf zustimmen. Sollten Sie mit dem einen oder an-deren Punkt nicht einverstanden sein, stehen wir jedemÄnderungsantrag, der unseren Entwurf verbessert, sehraufgeschlossen gegenüber.Ich bedanke mich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache und möchte noch darauf hinweisen, daß auchder Kollege Rainer Funke von der F.D.P.-Fraktion seineRede zu Protokoll gibt.*)Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-entwurfs auf Drucksache 14/1693 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ichsehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung sobeschlossen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amSchluß der heutigen Tagesordnung. Ich bedanke michausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen, die biszum Schluß ausgeharrt haben.––––––––––––*) Anlage 6Christine Ostrowski
Metadaten/Kopzeile:
5970 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999
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Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 5. November 1999,9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.