Protokoll:
14066

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 66

  • date_rangeDatum: 4. November 1999

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:34 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/66 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 66. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 I n h a l t : Eintritt des Abgeordneten Albrecht Feibel in den Deutschen Bundestag................................ 5829 A Bestimmung des Abgeordneten Gert Weiss- kirchen (Wiesloch) als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 63 a des Grundgesetzes............................. 5829 B Entsendung des Abgeordneten Dr. Ditmar Staffelt als Mitglied im Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank .............................. 5829 B Wahl des Abgeordneten Gustav-Adolf Schur zum Schriftführer............................................. 5829 B Erweiterung der Tagesordnung........................ 5829 C Tagesordnungspunkt 3: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetz- lichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreform 2000) (Drucksachen 14/1245, 14/1721, 14/1977) 5829 D Andrea Fischer, Bundesministerin BMG......... 5830 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU ................................................................. 5835 A Rudolf Dreßler SPD......................................... 5838 B Dr. Dieter Thomae F.D.P. ............................... 5843 C Dr. Ruth Fuchs SPD......................................... 5846 A Peter Dreßen SPD ........................................ 5846 B Dr. Ruth Fuchs SPD......................................... 5846 C Gudrun Schaich-Walch SPD............................ 5849 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 5851 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 5853 B Barbara Stamm, Staatsministerin (Bayern)...... 5855 B Detlef Parr F.D.P. ........................................... 5858 B Klaus Kirschner SPD....................................... 5860 B Dr. Martin Pfaff SPD....................................... 5860 C Dr. Dieter Thomae F.D.P. ........................... 5862 A Dr. Martin Pfaff SPD....................................... 5862 A Wolfgang Zöller CDU/CSU ............................ 5863 A Dr. Martin Pfaff SPD................................... 5863 B Wolfgang Zöller CDU/CSU ............................ 5863 C Andrea Fischer, Bundesministerin BMG......... 5864 D Walter Hirche F.D.P. ...................................... 5866 A Klaus Kirschner SPD....................................... 5866 B Wolfgang Zöller CDU/CSU ............................ 5866 D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU........................ 5867 A Rudolf Dreßler SPD......................................... 5867 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU ................................................................. 5867 C Dr. Dieter Thomae F.D.P. ............................... 5867 D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU........................ 5868 A Jörg van Essen F.D.P (zur GO) ....................... 5914 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD (zur GO) .. 5914 D Hans-Peter Repnik CDU/CSU (zur GO) ......... 5915 D Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (zur GO)........................................................... 5917 B II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 Roland Claus PDS (zur GO) ............................ 5918 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU (zur GO) ......... 5919 C Namentliche Abstimmungen ............... 5920 A, 5920 B Ergebnisse............................................ 5921 D, 5924 C Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Abgeordneten Erwin Marschewski, Wolfgang Zeitlmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Ausländerzentralregister und zur Einrichtung einer Warndatei (Druck- sache 14/1662).................................................. 5868 B Erwin Marschewski CDU/CSU ....................... 5868 C Eckhardt Barthel (Berlin) SPD ........................ 5869 D Erwin Marschewski CDU/CSU ................... 5871 A Eckhardt Barthel (Berlin) SPD ........................ 5871 A Dr. Max Stadler F.D.P. ................................... 5871 C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN......................................................... 5872 D Ulla Jelpke PDS............................................... 5874 C Otto Schily, Bundesminister BMI.................... 5875 C Erwin Marschewski CDU/CSU ....................... 5876 A Otto Schily, Bundesminister BMI.................... 5876 C Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU...................... 5876 D Dieter Wiefelspütz SPD............................... 5878 A Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU...................... 5878 B Rüdiger Veit SPD ............................................ 5879 A Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU...................... 5879 B Joachim Stünker SPD ...................................... 5879 C Tagesordnungspunkt 16: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Ände- rung der Bilanz- und der Konzernbilanz- richtlinie hinsichtlich ihres Anwendungs- bereichs (90/605/EWG), zur Verbesserung der Offenlegung von Jahresabschlüs- sen und zur Änderung anderer handels- rechtlicher Bestimmungen (Kapitalge- sellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz) (Drucksache 14/1806) ................................ 5881 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 25. Mai 1998 über Partnerschaft und Zusam- menarbeit zur Gründung einer Part- nerschaft zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitglied- staaten einerseits und der Republik Turkmenistan andererseits (Drucksache 14/1787 (neu))............................................ 5881 B c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 11. Dezember 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik El Sal- vador über die Förderung und den ge- genseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 14/1840) ................................ 5881 B d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 28. August 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 14/1842) ..................................................... 5881 C e) Erste Beratung des von der Bundesre- gie5881 Crung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. September 1996 zwischen der Re- gierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der mazedonischen Regierung über die Förderung und den gegenseiti- gen Schutz von Kapitalanlagen (Druck- sache 14/1843) ........................................... 5881 C f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 21. März 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Republik Kroatien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 14/1844) ..................................................... 5881 C g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Meliorations- anlagengesetzes (Drucksache 14/1832) .... 5881 D h) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung humanitärer Auslandsein- sätze (Drucksache 14/628)......................... 5881 D i) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verwaltungskostengeset- zes (Drucksache 14/639)............................ 5881 D j) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes (Drucksache 14/756) .................................. 5882 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 III k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidemarie Ehlert, Dr. Barbara Höll, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion PDS Bekämpfung der sinkenden Zahlungs- moral durch Änderung des Umsatz- steuerrechtes (Drucksache 14/1878) ................................ 5882 A l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, und der Fraktion PDS Überzählige Diesellokomotiven der DB AG nicht verschrotten, sondern weiter- verwenden (Drucksache 14/1930) ................................ 5882 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere Überweisung im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ände- rungsgesetzes zur Neuordnung des Be- rufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (Drucksache 14/1958)....... 5882 A Tagesordnungspunkt 17: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung wäh- rungsrechtlicher Vorschriften infolge der Einführung des Euro-Bargeldes (Drittes Euro-Einführungsgesetz) (Drucksachen 14/1673, 14/1962) ...................................... 5882 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umwandlung der Deutschen Siedlungs- und Landes- rentenbank in eine Aktiengesellschaft (DSL Bank-Umwandlungsgesetz) (Druck- sachen 14/1672, 14/1953)............................. 5882 C c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung insolvenz- rechtlicher und kreditwesenrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 14/1539, 14/1931, 14/1987) ...................................... 5882 D d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Über- einkommen vom 9. September 1998 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Französi- schen Republik, der Regierung der Italie- nischen Republik und der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritanniens und Nordirland zur Gründung der Ge- meinsamen Organisation für Rüstungs- kooperation (Organisation Conjointe de Cooperation en Matière d’Armement) OCCAR (OCCAR-Übereinkommen) (Drucksachen 14/1709,14/1943, 14/1945) . 5883 A e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verleihung der Rechts- und Geschäftsfähigkeit an die Internationale Kommission zum Schut- ze des Rheins (Drucksachen 14/1017, 14/1823) ..................................................... 5883 B f) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 5. November 1998 zwi- schen der Regierung der Bundesrepu- blik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über ihre gegenseitigen Seeschiffahrtsbezie- hungen (Drucksachen 14/1090, 14/1845) . 5883 D g) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1999 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02 Titel 683 06 – Zuweisung nach dem Gesetz über die Verbilligung von Gasöl durch Betriebe der Landwirt- schaft (Drucksachen 14/1345, 14/1577 Nr. 5, 14/1783)........................................... 5884 A h) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1999 Überplanmäßige Ausgabe im Einzel- plan 23 – Kapitel 23 02 Titel 836 03 – Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am Kapital der Asiati- schen Entwicklungsbank, am Asiati- schen Entwicklungsfonds sowie am Sonderfonds für Technische Hilfe (Drucksachen 14/1431, 14/1616 Nr. 1.7, 14/1785) ..................................................... 5884 B i) bis l) Beschlußempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersichten 88, 89, 90, 91 zu Petitionen (Drucksachen 14/1862, 14/1863, 14/1864, 14/1865) ..................................................... 5884 B Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE (Drucksache 14/1959) ................................ 5884 D IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 b) Antrag der Fraktion PDS Neue europäische Sicherheitsarchitektur (Drucksache 14/1771) ................................ 5884 D Uta Zapf SPD................................................... 5885 A Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU............. 5886 D Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN......................................................... 5888 B Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU............. 5888 B Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 5888 C Dr. Werner Hoyer F.D.P. ................................ 5890 A Wolfgang Gehrcke PDS................................... 5891 C Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD................. 5892 D Hans Raidel CDU/CSU ................................... 5894 B Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA ........... 5895 D Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU............. 5897 C Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA ........... 5898 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu den jüngsten Kritiken hinsichtlich der Wohnungsbauförde- rung des Bundes Christine Ostrowski PDS ................................. 5898 C Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW.......................................................... 5899 D Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU ................. 5901 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 5902 C Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. .................. 5903 C Gabriele Iwersen SPD...................................... 5904 D Gert Willner CDU/CSU................................... 5906 A Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 5907 A Dr. Uwe-Jens Rössel PDS................................ 5908 A Dieter Maaß (Herne) SPD................................ 5909 A Norbert Otto (Erfurt) CDU/CSU ..................... 5910 A Wolfgang Spanier SPD.................................... 5910 D Dr. Michael Meister CDU/CSU....................... 5912 A Angelika Mertens SPD .................................... 5913 A Tagesordnungspunkt 6: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu der Verordnung der Bundes- regierung Zustimmungsbedürftige Post-Universal- dienstleistungsverordnung (PUDLV) (Drucksachen 14/1696, 14/1775 Nr. 2.1, 14/1971) ..................................................... 5920 C Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi. 5920 D Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU............. 5927 A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 5929 B Rainer Funke F.D.P. ....................................... 5930 D Gerhard Jüttemann PDS .................................. 5931 C Klaus Barthel (Starnberg) SPD........................ 5932 B Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Hannelore Rönsch (Wiesbaden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU Sicherung der Volksfeste und des Schaustellergewerbes in der Bundes- republik Deutschland (Drucksache 14/1312) ................................ 5935 B Klaus Brähmig CDU/CSU............................... 5935 C Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi. 5937 A Ernst Burgbacher F.D.P. ................................. 5938 B Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 5939 B Rosel Neuhäuser PDS...................................... 5940 C Jann-Peter Janssen SPD................................... 5941 C Ernst Hinsken CDU/CSU ................................ 5942 D Brunhilde Irber SPD .................................... 5944 D Ernst Hinsken CDU/CSU ................................ 5944 D Marianne Klappert SPD................................... 5945 A Ernst Hinsken CDU/CSU ............................ 5945 B Marianne Klappert SPD................................... 5945 C Klaus Brähmig CDU/CSU........................... 5946 B Marianne Klappert SPD................................... 5946 D Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur strafverfahrensrechtlichen Ver- ankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs (Drucksache 14/1928) ................................ 5947 A Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ ................................................................. 5947 B Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU..................... 5948 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 5949 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 V Rainer Funke F.D.P. ....................................... 5951 B Sabine Jünger PDS........................................... 5952 A Hedi Wegener SPD.......................................... 5952 D Norbert Geis CDU/CSU .............................. 5954 B Hedi Wegener SPD.......................................... 5954 B Eckart von Klaeden CDU/CSU ....................... 5955 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN..................................................... 5956 A Eckart von Klaeden CDU/CSU ....................... 5956 B Tagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele, Gisela Frick, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. Abschreibungs-Tabellen nicht ändern (Drucksache 14/1887) ................................ 5956 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P. ............................. 5956 D Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF................................................................. 5958 A Carl-Ludwig Thiele F.D.P. ......................... 5958 D Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF................................................................. 5958 D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. ......................... 5959 A Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF................................................................. 5959 B Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU ............ 5959 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF................................................................. 5959 B Leo Dautzenberg CDU/CSU............................ 5960 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 5962 A Carl-Ludwig Thiele F.D.P. ......................... 5962 D Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 5962 D Heidemarie Ehlert PDS.................................... 5963 C Fritz Schösser SPD .......................................... 5964 B Leo Dautzenberg CDU/CSU........................ 5965 B Fritz Schösser SPD .......................................... 5965 B Georg Girisch CDU/CSU ............................ 5965 C Fritz Schösser SPD .......................................... 5965 C Georg Girisch CDU/CSU ............................ 5965 D Fritz Schösser SPD .......................................... 5965 D Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Einbürgerungsverfahren human gestal- ten – Einbürgerungshindernisse beseiti- gen (Drucksache 14/1757) ......................... 5966 B Lilo Friedrich (Mettmann) SPD....................... 5966 C Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Sabine Jünger, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur abschließenden Regelung offener Vermögensfragen in bezug auf Wohn- grundstücke im Beitrittsgebiet (Wohn- grundstücksregelungsgesetz) (Druck- sache 14/1693) ........................................... 5968 B Christine Ostrowski PDS................................. 5968 C Nächste Sitzung ............................................... 5970 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 5971 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Silvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Reform der gesetzlichen Kranken- versicherung ab dem Jahr 2000 – GKV- Gesundheitsreform 2000 (Tagesordnungs- punkt 3)............................................................ 5971 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Monika Heu- baum, Hans-Ulrich Klose und Lothar Mark (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 – GKV-Gesundheitsreform 2000 (Tagesord- nungspunkt 3) .................................................. 5972 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 – GKV-Gesundheitsreform 2000 (Tagesordnungspunkt 3) .................................. 5972 C Regina Schmidt-Zadel SPD ............................. 5972 D Dr. Hans Georg Faust CDU/CSU ................... 5974 A Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg) SPD. 5976 A Ulf Fink CDU/CSU.......................................... 5977 A VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einbürgerungsverfahren human gestalten – Einbürgerungshindernisse beseiti- gen (Tagesordnungspunkt 10).......................... 5978 A Meinrad Belle CDU/CSU ................................ 5978 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN .... 5979 B Dr. Max Stadler F.D.P. ................................... 5980 A Ulla Jelpke PDS............................................... 5980 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur abschließen- den Regelung offener Vermögensfragen in bezug auf Wohngrundstücke im Beitrittsge- biet (Tagesordnungspunkt 11) ......................... 5981 A Hans-Joachim Hacker SPD............................. 5981 A Andrea Voßhoff CDU/CSU.............................. 5982 C Rainer Funke F.D.P. ....................................... 5984 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5829 (A) (C) (B) (D) 66. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 Beginn: 9.00 Uhr
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    Vizepräsidentin Petra Bläss Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5971 (A) (C) (B) (D) Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Bartsch, Dietmar PDS 4.11.99 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4.11.99 Böttcher, Maritta PDS 4.11.99 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 4.11.99 ** Bury, Hans Martin SPD 4.11.99 Caesar, Cajus CDU/CSU 4.11.99 Fischer (Frankfurt), Joseph BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4.11.99 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 4.11.99 Gebhardt, Fred PDS 4.11.99 Goldmann, Hans-Michael F.D.P. 4.11.99 Haack (Extertal), Karl-Hermann SPD 4.11.99 Hartnagel, Anke SPD 4.11.99 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 4.11.99 * Hovermann, Eike SPD 4.11.99 Dr. Kenzler, Evelyn PDS 4.11.99 Knoche, Monika BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4.11.99 Kolbow, Walter SPD 4.11.99 Dr. Leonhard, Elke SPD 4.11.99 Ost, Friedhelm CDU/CSU 4.11.99 Dr. Paziorek, Peter SPD 4.11.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 4.11.99 Schily, Otto SPD 4.11.99 Schmitz (Baesweiler), Hans Peter CDU/CSU 4.11.99 Schreiner, Ottmar SPD 4.11.99 Schröder, Gerhard SPD 4.11.99 Schröter, Gisela SPD 4.11.99 Schüßler, Gerhard F.D.P. 4.11.99 Schwanhold, Ernst SPD 4.11.99 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 4.11.99 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4.11.99 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4.11.99 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 4.11.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. von Weizsäcker, Ernst Ulrich SPD 4.11.99 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 4.11.99 Zierer, Benno CDU/CSU 4.11.99 * ————— **) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates **) für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetz- lichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 – GKV-Gesundheitsreform 2000 – (Tagesord- nungspunkt 3) Wir verabschieden heute ein Gesetz, das aus meiner persönlichen Sicht als Ärztin Regelungen enthält, die ich in ihrem Ansatz und/oder den Methoden ihrer Durchfüh- rung für falsch halte. Dazu zähle ich die deutliche Ab- schwächung der Naturheilverfahren und die sogenannte Qualitätssicherung, die meines Erachtens gerade in ihrer Methodik das außer acht läßt, was Kern jedes ärztlichen Handelns sein sollte: individuelle Therapie für jeden Patienten. Dazu zähle ich weiterhin die Regelungen der Krankenhausfinanzierung und des Globalbudgets und die deutliche Einflußstärkung der Kassen. Für mich geht der vorliegende Gesetzestext in man- chen strukturellen Fragen dagegen nicht weit genug. Es ist ein medizinischer Grundsatz, dem Übel an die Wur- zel zu gehen und nicht nur an Symptomen zu kurieren. Wir behandeln aber nur die Symptome, wenn wir nicht verhindern, daß Bund und Länder sich immer mehr aus ihrer Verantwortung für ein solidarisches Gesundheits- wesen zurückziehen und den gesamten Gesundheitsbe- reich zunehmend zu einem einzig monetär geprägten Feld werden lassen. Da in einem demokratischen Entscheidungsprozeß Minderheiten – in diesem Fall die Grünen – Mehrheiten – hier der SPD – unterliegen, finden sich nur wenige der wirklich wichtigen, von mir gewünschten Anliegen in diesem Gesetz entsprechend wieder. Da diese wenigen aber enormes Gewicht haben, wie beispielsweise die Prävention als Standard, die Unterstützung der Selbsthil- fegruppen, die Stärkung einzelner bisher benachteiligter Fachgebiete und ganz besonders die Entschuldung der Ostkrankenkassen, habe ich meine bisherige Meinung, diesem Gesetz nicht zustimmen zu wollen, revidiert. Es ist wichtig, diese Anliegen schnell umzusetzen. Daher stimme ich trotz meiner ablehnenden Haltung gegen die 5972 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 (A) (C) (B) (D) im ersten Absatz genannten Punkte diesem Gesetz heute zu. Ich erwarte allerdings von Regierung und Koalition, daß die vorhandene fundierte Kritik Anlaß sein wird, noch in dieser Legislatur zu entsprechenden Änderungen des Gesetzes zu kommen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Monika Heubaum, Hans-Ulrich Klose und Lothar Mark (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der ge- setzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 – GKV-Gesundheitsreform 2000 – (Tages- ordnungspunkt 3) Bei der Abstimmung werden wir uns der Stimme ent- halten. Wir erkennen grundsätzlich die Notwendigkeit einer Reform der Gesundheitspolitik an, können dem vorliegenden Gesetzentwurf jedoch nicht zustimmen, weil die angestrebten Ziele in der Gesundheitspolitik – auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Budgetierung / den Richtgrößen im Jahr 1999 – so nicht erreicht werden. Wir werden aber nicht gegen das Ge- setz stimmen, da wir nicht gegen die Koalition stimmen wollen. Als äußerst problematisch sehen wir die Einführung eines Globalbudgets an. Vor dem Hintergrund sowohl der medizinischen Fortschritte als auch angesichts der demographischen Entwicklung ist ein erhöhter Aufwand im Gesundheitswesen zukünftig unabdingbar. Ein Glo- balbudget liefe damit zwangsläufig auf eine Rationie- rung medizinischer Leistungen hinaus; das ist unserer Meinung nach ethisch nicht vertretbar. Die geplanten gesetzlichen Regelungen führen zwangsläufig zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand, insbesondere durch die deutlich erweiterten Regelungs- befugnisse der Krankenkassen, durch die erhebliche Ausweitung der Zuständigkeit des Medizinischen Dienstes und durch die Einführung direkter Patienten- betreuungsstellen neben den bereits bestehenden Schieds- stellen. Diese verwaltungskostentreibenden Maßnahmen finden im Rahmen des Globalbudgets statt. Vermehrte Verwaltungskosten gehen damit zwangsläufig zu Lasten der medizinisch-therapeutischen Versorgung. Das mit dem Vorschaltgesetz zum 1. Januar 1999 eingeführte Verordnungsbudget trägt in keiner Weise der Tatsache Rechnung, daß die Arzneimittelausgaben die Summe von höchst individuellen Einzelverordnun- gen und damit nicht vorhersehbar oder durch Gesetz normierbar sind. Die kollektive Haftung der Ärzte bei Überschreitung erscheint verfassungsrechtlich in höch- stem Maße bedenklich. Zudem ist der Qualitätsverlust der Behandlung – insbesondere durch Rationierung – auch weiterhin zu befürchten, wie dies die Praxis nach Einführung der Budgetierung / den Richtgrößen im Jahr 1999 bereits eindrucksvoll gezeigt hat. Grundsätzlich erkennen wir die Notwendigkeit ent- sprechender Leistungskontrollen an. Für rechtlich pro- blematisch halten wir in diesem Zusammenhang aller- dings, daß der Medizinische Dienst als Teil der Kran- kenkassen für die Qualitätsprüfung zuständig sein soll. Im Klartext bedeutet dies, daß sich der Geldgeber, die Krankenkassen, selbst kontrolliert. Aus unserer Sicht sollten Qualitäts- und Finanzmanagement zwingend voneinander getrennt werden. Wir möchten an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, daß die im System vorhandenen Finanzreser- ven überhaupt nicht freigesetzt werden können, wenn das Problem des Chipkartenmißbrauchs nicht angegan- gen wird. Aus den genannten Gründen können wir dem vorlie- genden Gesetzentwurf nicht zustimmen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 – GKV-Gesundheitsreform 2000 – (Tagesordnungspunkt 3) Regina Schmidt-Zadel (SPD): Ich kann natürlich verstehen, daß Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die fehlerhafte Beschlußvorlage für ein ordent- liches Spektakel zu nutzen. Wer inhaltlich nichts zu bieten hat, greift besonders gerne zu, wenn sich Ge- schäftsordnungsdebatten und Diskussionen über techni- sche Details des Gesetzgebungsverfahrens anbieten. Sie sollten folgende Dinge aber nicht vergessen: Erstens. Es gibt einen eindeutigen Beschluß der Ko- alitionsfraktionen, die besagten Änderungsanträge zu- rückzuziehen. Das können Sie im Ausschußprotokoll nachlesen; dazu stehen wir auch. Tun Sie jetzt also nicht so, als wollten wir Ihnen etwas unterjubeln. Zweitens. Der Gesetzentwurf an sich wird durch die Panne mit den Änderungsanträgen ja nicht plötzlich ein anderer. Die Inhalte sind nach wie vor dieselben, und über die Inhalte sollten wir hier auch debattieren. Die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, mit wel- chen Konzepten Regierung und Opposition die not- wendige Reform des Gesundheitswesens angehen. Das ist bei den Menschen von Interesse, nicht die Frage, wer wann in welcher Ausschußsitzung welche Anträge gestellt und zurückgezogen hat. Also lassen Sie uns zur Tagesordnung zurückkehren und eine Sachdebatte über die Inhalte des vorliegenden Gesetzentwurfs füh- ren. Die Regierungskoalition hat mit der heute zur Ver- abschiedung anstehenden Gesundheitsreform 2000 ein Reformwerk vorgelegt, das unser bewährtes System der gesetzlichen Krankenversicherung besser für die Her- ausforderungen der Zukunft wappnet. Die Gesundheits- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5973 (A) (C) (B) (D) versorgung der gesetzlich Versicherten, also für weit über 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, soll damit auch in dem jetzt anbrechenden neuen Jahrhundert auf hohem Niveau garantiert und vor allem ihre Bezahlbar- keit gesichert werden. Hohe Versorgungsqualität und stabile Krankenversicherungsbeiträge sind die zentralen Punkte dieses Reformprojektes. Die notwendigen Maßnahmen zur Konsolidierung der Gesundheitsausgaben – auch das ist das Bemerkens- werte an dieser Reform – werden bei uns nicht zu Lasten der gesetzlich Versicherten gehen. Die notwendigen und längst überfälligen Veränderungen, um unser Gesund- heitssystem fit für die Zukunft zu machen, werden nicht den Patientinnen und Patienten durch erhöhte Zuzahlun- gen oder weitere Leistungsausgrenzungen zugemutet. Das war Ihr Rezept. Das unterscheidet diese Reform von den zahlreichen Reformversuchen, die unsere Vorgänger in den vergangenen 16 Jahren in diesem Haus verab- schiedet haben und die ja samt und sonders ohne große Wirkung verpufft sind. Die Hauptursache für die Wirkungslosigkeit beim Versuch, die Kosten innerhalb der gesetzlichen Kran- kenversicherung in den Griff zu bekommen, liegt in dem zweiten wesentlichen Unterschied zwischen unse- rer Reform und denen unserer Vorgänger begründet: Der vorliegende Gesetzentwurf stellt die Reform der stationären Versorgung in den Mittelpunkt. Denn wenn aus dem Scheitern der Reformbemühungen der Vor- gängerregierung eine Lehre zu ziehen ist, dann vor allem diese: Ohne die Einbeziehung der Krankenhäuser ist jede Gesundheitsreform sinnlos. Es gehört zu den großen Versäumnissen und Fehlern der Ära Blüm bis Seehofer, sich fahrlässig um die notwendigen struk- turellen Änderungen im Bereich der stationären Ver- sorgung herumgedrückt zu haben – trotz der Chancen, die der Konsens von Lahnstein geboten hat, der ja heute schon dauernd bemüht wurde. Hätten Sie seiner- zeit nicht alle Opfer den Versicherten – und dabei vor allem den Kranken – aufgebürdet, sondern auch die Leistungserbringer in die Pflicht genommen, dann wäre der Druck, der Ausgabenentwicklung auch bei der stationären Versorgung entgegensteuern zu müssen, heute längst nicht so groß. Sie haben damals keinen Mut und keine Konzepte gehabt. Heute haben Sie zwar den Mut zur Kritik, aber immer noch keine Konzepte, die Sie uns entgegenhalten könnten. Die Notwendigkeit, das Krankenhaus in den Mittel- punkt der Reformbemühungen zu stellen, ist unbestritten – übrigens auch bei Ihnen. Die gesetzliche Krankenver- sicherung muß ein Drittel ihrer Ausgaben für den statio- nären Bereich aufwenden. Allein von 1991 bis 1998 sind die Ausgaben der GKV für die Krankenhausbehandlung um 44 Prozent, von 59 Milliarden DM auf 85 Milliarden DM, gestiegen. Bezogen auf 1980 haben sich die Aus- gaben sogar verdreifacht. Die durchschnittliche Verweildauer in deutschen Krankenhäusern ist bei uns im Vergleich zu unseren eu- ropäischen Nachbarn außergewöhnlich hoch. 11,9 Tage verbringt der Versicherte im Durchschnitt in bundes- deutschen Klinikbetten, während es in den Niederlanden lediglich 9,9 und in Frankreich sogar nur 5,9 Tage sind. Wer die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversiche- rung stabil halten will, wer ein Ansteigen der Beiträge und eine Verteuerung der Lohnzusatzkosten vermeiden will, der kann einer solchen Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Der Ansatzpunkt des vorliegenden Gesetzent- wurfs ist es daher den Krankenhäusern Anreize zu bie- ten, wirtschaftlicher als bislang zu arbeiten. Dazu dienen im wesentlichen drei Elemente: erstens die Budgetie- rung der Ausgaben im Rahmen des Globalbudgets, zweitens eine grundlegende Reform des Vergütungssy- stems mit stufenweiser Einführung der Monistik, drit- tens eine bessere Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Die Erfahrung zeigt, daß Wirtschaftlichkeitsreserven nicht erschlossen werden können, daß Anreize zum Spa- ren nicht genutzt werden, Unsinniges und Überflüssiges nicht abgebaut wird, wenn der Gesetzgeber keinen kla- ren Kostenrahmen vorgibt. Die Krankenkassen verwal- ten die Gelder der gesetzlich Versicherten. Die Kran- kenhausversorgung im Rahmen der GKV kann sich im- mer nur danach richten, wieviel Geld im System GKV vorhanden ist. Mehr kann nicht ausgegeben werden. Die Lösung, die Beitragssätze anzuheben, um mehr Geld ins System zu pumpen, hat sich ebenso als Irrweg herausge- stellt wie eine weitere Belastung der Versicherten durch Anhebung der Zuzahlungen. Es wäre gesundheitspoli- tisch naiv zu glauben, eine Stabilisierung oder gar Redu- zierung der Ausgaben zu erreichen, ohne den Leistungs- erbringern klare Vorgaben zu machen. Insofern ist die Kritik der Union die sich ja im wesentlichen gegen die Budgetierung richtet, völlig unverständlich: Erstens kann ich mich an keine Reform von der rechten Seite dieses Hauses erinnern, die ohne Budget auskam. Zwei- tens ist doch die entscheidende Frage, wie ich eine Bud- getierung im einzelnen gestalte: mit dem bekannten, biederen Ansatz eines starren, sektoralen Budgets, wie wir ihn aus Ihrer Zeit kennen, oder eben als Globalbud- get, bei dem die starren Grenzen vor allem zwischen der ambulanten und stationären Versorgung endlich aufge- hoben sind und sich auch für Krankenhäuser zum Bei- spiel durch die Öffnung für die ambulante Versorgung ganz neue Perspektiven ergeben. Wir haben außerdem den BAT-Ausgleich der Jahre 1998 und 1999 noch in das Budget für 2000 genommen, um deutlich zu machen, daß die Reform zwar die Krankenhäuser in die Pflicht nimmt, aber nicht auf dem Rücken und zu Lasten der Beschäftigten. Die Gesundheitsreform 2000 bietet eine Fülle von neuen, innovativen Ansätzen – gerade im Bereich der stationären Versorgung. Sie bietet den Krankenhäusern eine Vielzahl von Möglichkeiten, wirtschaftliches Ar- beiten mit innovativen, pfiffigen Ideen zu verbinden. Häuser, die diese Reform als Chance begreifen, werden um ihre Zukunft nicht bangen müssen. Ich appelliere an die Opposition: Begreifen auch Sie diese Reform als Chance, unser bewährtes System der gesetzlichen Krankenversicherung weiterzuentwickeln, bezahlbar zu halten und auf die Zukunft auszurichten. Bislang haben Sie nur die Chance genutzt, notwendige Reformen zu blockieren, ohne den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen, wie Sie sich die Reform des Gesund- 5974 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 (A) (C) (B) (D) heitswesens eigentlich vorstellen. Außer ein paar alten Kamellen wie Zuzahlungserhöhungen und Leistungs- einschränkungen haben Sie sowohl in den Ausschuß- beratungen wie in der öffentlichen Debatte bislang aber auch gar nichts geboten. Kehren Sie zu einer sachlichen Zusammenarbeit zurück! Dr. Hans-Georg Faust (CDU/CSU): Die Patienten ahnen es, Ärzte und Schwestern in den Krankenhäusern, niedergelassene Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Physio- und Ergotherapeuten und alle anderen in Gruppe der so- genannten Leistungserbringer wissen es, und auch die Krankenkassen sprechen es zunehmend aus: Dieses Ge- setz verletzt die Interessen der Patienten, dieses Gesetz darf nicht kommen! Bis vor vier Wochen waren es noch vornehmlich die Inhalte des Gesetzes – Globalbudget mit der Drohung der Rationierung, Krankenhausplanung in der Hand der Krankenkassen, monistische Krankenhausfinanzierung ohne Geld zur Gegenfinanzierung, Positivliste mit Ein- schränkung der Therapiefreiheit und das neue Hausarzt- system –, die den Beteiligten Bauch- und Kopfschmer- zen und schlaflose Nächte bereiteten. Jetzt ist es auch noch die Hektik des Verfahrens, die uns Angst macht. Sie, Frau Ministerin, haben sich entgegen unseren Ratschlägen mit der Befristung des Solidaritätsstär- kungsgesetzes und dem unverantwortlichen Terminplan selbst, Ihr Ministerium und uns unter einen unverant- wortlichen Druck gesetzt, unter dem nichts Gutes zu- stande kommen kann. Und als wäre das noch nicht ge- nug, verstärken Sie den Druck durch die notfallmäßige Einbeziehung der Finanzprobleme der Krankenkassen in den neuen Ländern zusätzlich. Frau Ministerin, hinter den Zielen Ihrer jetzt in Scherben gehenden Gesetzgebung stehen wir auch. Hinter dem Ziel, eine qualitativ hochwertige, zweckmä- ßige und wirtschaftliche Gesundheitsversorgung inner- halb des solidarischen Krankenversicherungssystems zu sichern. Wir unterstützen auch das Ziel, einen effizien- ten Einsatz der Finanzmittel in der gesetzlichen Kran- kenversicherung zu gewährleisten. Entscheidender Feh- ler Ihres Gesetzes ist die Forderung nach einem weitge- hend starren Globalbudget. Wie soll vor dem Hinter- grund einer zunehmenden Zahl älterer Menschen, der steigenden Lebenserwartung unserer Bevölkerung, des gestiegenen Gesundheitsbewußtseins sowie als Hauptar- gument des exponentiell wachsenden medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritts dieses Gesund- heitssystem allein aus Rationalisierungsreserven finan- ziert werden? Ihre Methode ist: Deckel drauf und Druck auf das Sy- stem geben; der ausgepreßte Extrakt bietet schon Sub- stanz genug, die unabweisbare Weiterentwicklung zu speisen. Und das sagen Sie, obwohl Sie schon mit dem Solidaritätsstärkungsgesetz die Kosten für die Kranken- kassen erhöht haben. Obwohl Berechnungen selbst der AOK ergeben, daß es mit der Umsetzung des Gesund- heitsreformgesetzes erst mal teurer wird und obwohl Einsparungen aus dem Bereich, den Sie als besonders saftig angesehen haben, nämlich dem Krankenhausbe- reich, erst ab dem Jahr 2003 zu erwarten sind. Hier ist Ihre Presse entscheidend fehlkonstruiert. Sie ist auch deshalb entscheidend fehlkonstruiert, weil unter dem Gesamtdeckel viele kleine Pressen in den einzelnen Sektoren unseres Gesundheitssystems wirken sollen: im Sektor der niedergelassenen Ärzte, im Sektor der Arzneimittel und im Sektor der Krankenhäu- ser. Und allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, die Überlaufkanäle zwischen den einzelnen Töpfen sind nicht so ausgebildet, daß ein Austausch von Reserven stattfinden könnte. Um es gesetzestechnisch zu sagen, die Grenzen der sektoralen Budgets sind nicht durchläs- sig genug und da, wo neue Ansätze möglicherweise Ab- hilfe schaffen könnten, stehen wir erst an einem be- scheidenen Anfang. Nein, diese Mechanismen werden nicht funktionieren und bringen unser Gesundheits- system in eine gefährliche Situation! Auch die CDU/CSU bestreitet nicht, daß es Ratio- nalisierungsreserven in unserem Gesundheitssystem gibt und daß wettbewerbliche Anreize und intelligente Steuerungsmechanismen dazu führen können, diese Reserven zu mobilisieren. Betrachten wir zum Beispiel den Krankenhaussektor: Wichtige Eckpunkte waren die kommunale Verantwortung für die Sicherstellung einer flächendeckenden Krankenhausversorgung ver- bunden mit dem Anspruch auf Bürgernähe; weiterhin die Forderung nach einer zeitgemäßen medizinischen und pflegerischen Betreuung. Aus diesen Komponenten ergab sich die zweigeteilte finanzielle Verantwortung: die der Länder für die Finanzierung der Investitionen und die der Krankenkassen für den laufenden Kranken- hausbetrieb. Wenn das Gesetz Wirklichkeit wird, verändern sich die Rahmenbedingungen für die bundesdeutschen Kran- kenhäuser grundlegend: Erstens soll ein neues pauscha- lierendes Entgeltsystem dazu führen, daß unter einem landesweiten Gesamtbetrag für die Krankenhäuser ein- heitliche Preise für vergleichbare Diagnosen oder Ope- rationen und Eingriffe gezahlt werden. Auf den ersten Blick ein begrüßenswerter Schritt, stellt er doch die Vergleichbarkeit von Krankenhausleistungen her und erhöht damit die Transparenz. Die ersten Bedenken kommen bei einem Blick auf das Kleingedruckte: Das Budget, der Geldbetrag, mit dem Krankenhäuser gemäß ihrer jetzigen Struktur heute und in den nächsten drei Jahren rechnen können, wird danach schrittweise auf den Betrag aus dem neuen Entgeltsystem angeglichen – nach unten versteht sich, wenn das neu errechnete Bud- get niedriger liegt, nicht unbedingt nach oben, wenn das neue Budget höher liegt. Dann sind die neuen Beträge nämlich nur „Höchstpreise“. Und es zeigen sich einfache Ungerechtigkeiten und praktische Probleme, wie jeder weiß, der im Kranken- haus gearbeitet hat, zum Beispiel das Problem der soge- nannten Mindestbesetzung: Zur Besetzung einer Kran- kenhauspforte, häufig verbunden mit der Telefonzen- trale, sind rund um die Uhr fünf Mitarbeiter notwendig. Das ergibt sich aus Vertretungszeiten, Sonn- und Feier- tagsarbeit und Urlaub. Die Kosten dafür sind in einem 100-Betten-Krankenhaus im wesentlichen genau so hoch wie in einem 1 000-Betten-Krankenaus, auch wenn hier der Pförtner während seines Dienstes sicher mehr zu tun hat. Die anteiligen Kosten pro Fall oder pro Fall- pauschale sind aber in dem großen Krankenhaus nur ein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5975 (A) (C) (B) (D) zehntel, so daß sich hier für das große Krankenhaus deutlich bessere Wettbewerbsbedingungen zeigen. Das gleiche gilt für den Operationsbereich, das Labor oder die Röntgenabteilung. Zweitens soll die Finanzierung der pauschalen För- dermittel, das sind Mittel beispielsweise zur Anschaf- fung eines EKG- oder Beatmungsgerätes, die bisher vom Land gezahlt werden, in Zukunft schrittweise in die Zuständigkeit der Krankenkassen übergehen. Ich betone ausdrücklich Zuständigkeit, denn eine Möglichkeit der Gegenfinanzierung ist für die Krankenkassen bei dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität nicht gegeben. Und um die sogenannte monistische Krankenhausfinanzie- rung – das heißt alles aus einer Hand – komplett zu ma- chen, sollen die Krankenkassen ab dem Jahr 2008 auch für die Finanzierung der bisher vom Land bezahlten Einzelinvestitionen zuständig sein. Das sind im wesent- lichen große Maßnahmen wie Neubauten oder Ersatz- bauten. Die Frage stellt sich also, wo die Mittel im Inve- stitionsbereich der Krankenhäuser in Zukunft herkom- men sollen. Die Antwort ist, wenn auch etwas verschlüsselt, im Gesetz: Die Krankenhäuser sollen aus ihren Rationali- sierungsreserven das Geld selbst erwirtschaften, sich wie Münchhausen selbst am Zopf aus dem Sumpf herauszie- hen. Das geht nicht ohne Schließen von Krankenhaus- abteilugen und ganzen Krankenhäusern. Ein Rechenbei- spiel des Verbandes der Angestelltenkrankenkassen aus Niedersachsen weist aus, daß bei einer immer noch sehr niedrigen Investitionsquote von 7,6 Prozent des gegen- wärtigen Budgetvolumens dann 10 Prozent der Kran- kenhausbetten abgebaut werden müßten. Bei einer öko- nomisch wünschenswerten Quote von 15 Prozent somit fast das Doppelte. Damit ginge ein entsprechender Ab- bau von Arbeitsplätzen im Krankenhaus einher, und das dürfen wir nicht zulassen. Kein Wunder also, daß den Verantwortlichen und den Mitarbeitern in den bundesdeutschen Krankenhäusen angst und bange wird angesichts dieses Gesetzesvorha- bens, das hier auf einen kalten Verdrängungswettbewerb setzt. Denn um auch die planungsrechtlichen Vorausset- zungen dafür zu schaffen, sollen die Kompetenzen der Länder ausgehöhlt werden. Sie wären in Zukunft dann nur noch für die Rahmenplanung in einer Region ver- antwortlich. Weil aber die Letztverantwortung dann doch bei den Ländern bleiben soll, wird auch den Krankenkassen angst und bange. Aufgrund der unzulänglichen, mehr- fach korrigierten Ausgestaltung des Gesetzes befürchten sie, mit der finanziellen Gesamtverantwortung belastet zu werden, aber ohne ausreichende Steuerungsmöglich- keiten ohnmächtig zusehen zu müssen, wie die Kosten- entwicklung landesweit den in ihrer Verantwortung ste- henden Gesamtbetrag übersteigt. Hier zeigen sich die Webfehler eines Gesetzes, das Budgetverantwortung und Budgetsteuerung nicht zusammenführt. Probleme bekommen die kleinen Krankenhäuser, die bisher gerade in den Flächenländern entscheidend an der Versorgung beteiligt waren. Das sind die typischen klei- nen Krankenhäuser in kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft, die kleinen Krankenhäuser mit den Haupt- abteilungen Chirurgie und Innere, Gynäkologie und Ge- burtshilfe und einer HNO-Belegabteilung. Jeder hat sol- che Krankenhäuser in seinem Wahlkreis. Diesen Kran- kenhäusern droht das Aus, wenn sie ihre internen Strukturen, auch die Tarifstrukturen nicht grundlegend ändern und nicht in der Lage sind, sich in einer Region mit Schwerpunktbildung in einem größeren Verbund zu halten. Begünstigt werden durch diese Entwicklung die Pri- vatisierung von Krankenhäusern, was in einem gesunden Trägermix sicher nicht schädlich ist, die Entwicklung von Zentrenmedizin in Ballungsgebieten, die Entwick- lung von Fachkliniken und das insbesondere in Klinik- ketten. Ich sehe hier die Gefahr von Krankenhausver- sorgung weit ab vom Wohnort unserer Patienten, Rosi- nenpickerei und Patiententourismus. Wer das alles will, kann das mit den Gesetzen des Marktes und einer notwendigen Konkurrenz im Kran- kenhausbereich und im Gesundheitswesen allgemein begründen. Nur sind das ökonomische Ansätze, die das Wohl des Patienten außer acht lassen und die wie vieles andere einen Griff in eine Kiste darstellen, aus der auch amerikanische Kostendämpfungsökonomen ihre Instru- mente holen. Und wenn ich das Gesetz so betrachte, fallen mir viele Parallelen zu amerikanischen Gesund- heitssystemen auf. Der Hausarzt als Lotse, im amerika- nischen „managed-care“-System als „gatekeeper“, der den Patienten in nachgeordnete Versorgungssysteme einschleust, die Verpflichtung auf Leitlinien, die ne- ben einer medizinischen Hilfestellung in Amerika als „guidelines“ auch wirtschaftliche Gesichtspunkte be- inhalten, und der Einstieg in eine integrierte Versorgung, wo Kassen und Ärzte in direkte Vertragsbeziehungen treten und das bisherige System der Sicherstellung durch die kassenärztliche Vereinigung tendenziell im Sinne eines Einkaufsmodells verändert wird. Ich betrachte es als einen Treppenwitz der Medizin- geschichte, daß gerade eine SPD-geführte Bundes- regierung versucht, mit den Instrumenten eines gesund- heitsökonomischen Profitsystems wesensfremde Ele- mente einzuführen, ohne die Folgen auf unser soziales System abzuschätzen. Sicher sind wir dazu aufgeru- fen, die einzelnen Sektoren miteinander zu verzahnen, sicher muß es eine Diskussion um die Einnahmeseite in unserem Gesundheitssystem geben, sicher müssen wir auch noch mehr als bisher die Rationalisierungsreser- ven nutzen. Dennoch entbindet uns das alles nicht von der Pflicht, das bisherige bewährte System in seinen Grundgedanken zu bewahren und weiterzuent- wickeln. Der Ansatz in Ihrem Gesetz, Frau Ministerin, tut ge- nau das nicht. Das Globalbudget mit seinen katastro- phalen Auswirkungen, die sich wie klebriger Kleister in allen Spalten des Gesetzes finden lassen, führt zusam- men mit den ungeeigneten Instrumenten und den fal- schen Anreizsystemen zu einer Verschlechterung der Patientenversorgung und zu einer Demotivierung der Leistungserbringer. Vermeidung von Leistungen, Ratio- nierung und letztendlich eine Zweiklassenmedizin wer- den die Folgen sein. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sor- gen, daß dieses Gesetz nicht kommt. 5976 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 (A) (C) (B) (D) Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg) (SPD): Wir alle wissen, Abbau von Arbeitslosigkeit und Sicherung einer angemessenen Altersversorgung sind die Themen, denen die Bevölkerung eine überragende politische Be- deutung zumißt. Danach allerdings können bereits die Gewährleistung einer flächendeckenden, leistungsfähigen gesetzlichen Krankenversicherung oben anstehen. Das ist mögli- cherweise in West und Ost identisch. Wen kann es also verwundern, daß in den neuen Ländern die Sorge wächst, daß das Leistungsniveau der GKV in ihren Bun- desländern hinter dem Niveau der alten Bundesländer zurückbleibt? Tatsache ist, daß die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung je Versicherten im Osten deutlich unter den entsprechenden Aufwendungen in den alten Bundesländern liegen. Derartige Unterschiede nähren logischerweise Zweifel in bezug auf die Gewährung ei- nes gleichen Versorgungsniveaus. Zugleich kann nie- mand die Menschen in den neuen Bundesländern davon überzeugen, daß wachsende Ansprüche an das Gesund- heitssystem deshalb mit weniger Geld finanziert werden können, weil eine Grundlohnsumme von 1997 auf 1998 um rund 0,5 Prozent abgenommen hat, wenn zur glei- chen Zeit eine positive Grundlohnsumme im Westen zu einer Vergrößerung der finanziellen Spielräume in der GKV führt. Wer dies ändern will, muß etwas tun. Es kann und darf nicht gewartet werden, bis die ursprünglich festge- legte Zielmarke – 90prozentige Angleichung der Löhne und Gehälter – erreicht wird. In erster Linie muß den Menschen in den neuen Bundesländern in 10 Jahren nach der Wende die Gewißheit vermittelt werden, daß sämtliche auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenver- sicherung noch bestehenden Rechtsunterschiede im Ver- sicherten-, Beitrags-, Vertrags- und Leistungsrecht zu einem möglichst frühen Zeitpunkt beseitigt werden. Al- so keine billige Polemik, ob der Risikostrukturausgleich als ein Rechtsanspruch zu sehen sei oder als Almosen für die schwächeren Länder, vielmehr Beseitigung sämtlicher Rechtsunterschiede, was heißen soll: Rechts- angleichung! Meine persönliche Überzeugung ist: Nicht die schrittweise Einführung eines uneingeschränkten ge- samtdeutschen Risikostrukturausgleiches ist begrün- dungspflichtig, sondern vielmehr die Beibehaltung ge- trennter Rechtskreise Ost-West. Denn: Genauso wie der RSA als Ausgleich von Einkommensunterschieden zwi- schen München und dem Emsland Sinn macht, macht er Sinn zwischen West und Ost. Logischerweise wird der Abbau der Sozialmauer nicht zum Nulltarif zu haben sein. Natürlich kann ein vollständiger gesamtdeutscher RSA nur stufenweise verwirklicht werden, um Verwer- fungen zu Lasten der alten Bundesländer zu vermeiden. Dabei wird die Beseitigung der Unterschiede bei der Versicherungspflicht und der Beitragsbemessungsgrenze Menschen mit höheren Verdiensten zugunsten der Finanzkraft der Krankenkassen nicht unerheblich be- lasten. Das gleiche gilt für alle Versicherten, wenn die Unterschiede bei den Zuzahlungs- und Härtefallregelun- gen aufgehoben werden. Deswegen noch einmal in aller Deutlichkeit: Zum Nulltarif wird der Abbau der soge- nannten Sozialmauer nicht zu haben sein. Denn zu- sammen mit einer schrittweisen Herstellung eines voll- ständigen gesamtdeutschen RSA stellen die genannten Maßnahmen gleichwohl notwendige Bedingungen für die dauerhafte Gewährleistung eines in Ost und West gleichen Versorgungsniveaus dar. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir ein paar Gedanken zur Problematik der einmaligen Entschul- dungsaktion der Ostkassen, insbesondere der AOK-Ost. An anderen Stellen wurde heute bereits mehrfach über die entstandenen Schulden gesprochen. Diese Schulden können nicht insgesamt dem AOK-System angelastet werden. Sie sind auch keineswegs – wie von interes- sierter Seite behauptet wird – etwa aufgrund unterlasse- ner Beitragsanhebungen oder anderer Formen eines „Mißmanagements selbstverschuldet“. Die AOKen in den betreffenden Bundesländern liegen und lagen mit ih- ren Beitragssätzen ohnehin an der ungeliebten Spitze der Beitragssätze aller Krankenkassen. Eine „frühzeitige“ Anhebung dieser Beitragssätze hätte demzufolge das Ziel der Vermeidung von Defiziten nicht realisiert, son- dern einen beschleunigten Verlust von Mitgliedern be- wirkt und damit die Existenzfähigkeit dieser Kassen nachhaltig in Frage gestellt. Übrigens: Die Ausgangssi- tuation der AOK in meinem Bundesland – Mecklen- burg-Vorpommern – ist denkbar schlecht gewesen. Gleich nach der Wende mußte unsere AOK einen Bei- tragssatz von 14,9 Prozent erheben. Zur Situationsschilderung ein paar unwiderlegbare Zahlen aus meinem Bundesland: Die AOK Mecklen- burg-Vorpommern hat 25 Prozent ihrer Mitglieder ver- loren. Zugleich ist der Anteil der Härtefälle von 26 Pro- zent auf 34 Prozent der Versicherten gestiegen. 80 Pro- zent aller Diabetiker nehmen die Leistungen der AOK in Anspruch. Insgesamt kann bzw. muß festgestellt wer- den: Die Mitglieder der AOK weisen eindeutig ein er- höhtes Morbiditätsrisiko auf. Wer in dieser Situation einen Solidarbeitrag verweigern will, muß wissen, daß die Schließung auch nur einer einzigen AOK in den neuen Bundesländern den Ersatzkassen weit höhere Kosten verursachen würde. Man könnte auch die Frage stellen: Was passiert, wenn nichts passiert? Das muß uns allen klar sein: An- hebung der Beitragssätze, Exodus der Mitglieder, die Aufsicht schließt die Kasse, hin zu den Ersatzkassen. Das AOK-System allein schafft es nicht. Wichtig und notwendig ist ein Blick nach vorn. Mit der angeführten Hilfeleistung allein ist es freilich nicht getan. Wer die Folgen von Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis der Kassen untereinander vermeiden will, muß bereit sein, die Ursachen zu beheben, die zu diesen Verwerfungen führen. Weder die Armut noch die Morbidität der Ver- sicherten dürfen das Konkurrenzverhalten der Kranken- kassen beeinflussen, wenn die gesetzliche Kranken- versicherung in Deutschland auch in Zukunft auf dem Prinzip der Solidarität fußen soll. Dies gilt im übri- gen für den Westen nicht weniger als für den Osten, nur daß die Folgen von erfolgreichen Risikoselektio- nen zur Zeit im Osten deutlicher als im Westen hervor- treten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5977 (A) (C) (B) (D) Meine Bitte oder besser mein Appell – ich spreche alle Abgeordneten an, insbesondere die Mitglieder der Opposition aus den neuen Ländern –. Es muß uns gelin- gen, den Menschen in den neuen Bundesländern ein Si- gnal zu geben, eine Perspektive, daß wir ernsthafte und glaubwürdige Schritte unternehmen, noch bestehende Rechtsunterschiede auf dem so wichtigen Feld der Krankenversicherung und des Gesundheitswesens abzu- bauen – möglichst im breiten Konsens. Ulf Fink (CDU/CSU): Wenn diese Gesundheitsre- form scheitert – und sie wird scheitern –, bedeutet das kein Unglück für die Beitragssätze und die Qualität des deutschen Gesundheitswesens. Im Gegenteil. Mit Ausnahme der Hilfe für die notleidenden ostdeut- schen Krankenkassen besteht keinerlei unabweisbarer Gesetzgebungsbedarf. Trotzdem erweckt diese Bundes- regierung permanent den Eindruck als ob nur durch neue Gesetze und Verordnungen die Dinge geordnet werden könnten. Die Bundesregierung verwechselt das deutsche Ge- sundheitswesen mit dem in Großbritannien, wo alles vom Staat reguliert wird. Wir haben – Gott sei Dank – wichtige Teile den Vertragspartnern, also den Kranken- kassen und den Leistungserbringern, überantwortet. Die Vertragsbedingungen könnten besser sein, aber es gibt sie. Und um in diesem Zusammenhang mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Im § 70 SGB V steht: Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse ent- sprechende Versorgung der Versicherten zu gewährlei- sten. So weit, so gut. Doch finden wir im SGB V auch etwas zum wichti- gen Punkt der Beitragssatzstabilität. Im § 71 heißt es nämlich: Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben in den Vereinbarungen über die Vergütung der Leistun- gen den Grundsatz der Beitragsstabilität zu beachten. Die Forderung nach Beitragssatzstabilität ist also kei- ne Erfindung dieser Bundesregierung. Sie steht bereits im Gesetz. Diese beiden Forderungen, nämlich medizinischer Fortschritt für alle und Beitragssatzstabilität, können miteinander konkurrieren. Es sind die Schiedsämter, die im Zweifelsfall diesen Konflikt zu lösen haben. Wenn man der Meinung ist, es müßte etwas Ergänzendes getan werden, dann müßte man hier ansetzen. Diesen Konflikt aber durch ein bürokratisches Mon- strum wie ein Globalbudget, und durch eine ergänzende Kommission für den medizinischen Fortschritt lösen zu wollen, sollte allerdings dahin befördert werden, wo sie hingehörten: In den Papierkorb. Wie kann es nach dem Scheitern der Gesundheitsre- form weitergehen? Die CDU hat unter meinem Vorsitz eine Kommission eingesetzt, die sich mit der Weiterentwicklung des Ge- sundheitswesens beschäftigt. Wir werden unsere Vor- schläge im Laufe des nächsten Jahres vorlegen. Hierbei lassen wir uns von folgenden Überlegungen leiten: Erstens. Es gibt kein Gesundheitswesen in der Welt, das darauf verzichten kann, daß sich der einzelne Ver- sicherte auch selber um seine Gesundheit kümmert. Eigenverantwortung muß deshalb gestärkt und nicht abgebaut werden. Härte- und Überforderungsklauseln können für eine notwendige soziale Abfederung sorgen. Zweitens. Kein Gesundheitswesen in der Welt kann mit begrenzten Mitteln unbegrenzte Leistungen verspre- chen. Der der gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde liegende Gedanke der Solidarität heißt, daß auf der einen Seite die Krankenversicherung für die Ri- siken aufkommen muß, die der einzelne nicht selber tra- gen kann. Auf der anderen Seite jedoch muß der einzel- ne aber für die Risiken, die er selbst tragen kann, auch selber aufkommen. Es gilt deshalb eine Neudefinition zu wagen, was künftig kollektiv finanziert und was privat finanziert werden muß. Drittens. Es muß geprüft werden, ob man dem einzel- nen Versicherten nicht mehr Wahlmöglichkeiten eröff- nen sollte, er ein knappes Leistungspaket zu einem ge- ringerem Beitrag oder ein größeres Leistungspaket, dann aber mit einem höheren Beitrag wünscht. Wir schreiben ja auch sonst niemandem vor, sich zum Beispiel einen BMW oder Mercedes zu kaufen, wenn er mit einem VW zufrieden ist. Viertens. Das Leistungspaket muß ausreichen, zweckmäßig und wirtschaftlich erbracht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir nicht mehr staat- liche Regelungen und Vorgaben, sondern wir müssen die Rechte der Vertragspartner stärken. Ziel hierbei muß die Schaffung einer solidarischen Wettbewerbsordnung auf diesem Feld sein. Fünftens. Die Finanzierung des Krankenversiche- rungssystem erfolgt bisher über die Anbindung an den Lohn. Ich halte dies grundsätzlich für richtig. Mit der Lohnentwicklung allein werden wir aber den medizini- schen Fortschritt nicht finanzieren können. Wir müssen deshalb bereit sein, die Lohnanbindung zu modifizieren oder zumindest doch zu ergänzen. Das deutsche Gesundheitswesen zeichnet sich durch eine Mischung von Elementen aus Staat und Markt aus. Wir wollen nicht lediglich auf Markt setzen, denn die Gesundheit ist, da werden wir uns einig sein, ein beson- ders zu schützendes Gut. Das marktwirtschaftlich orientierte System der USA kann also mitnichten ein Vorbild sein, denn für große Teile der Bevölkerung dort gilt, daß man in den USA zwar alles werden kann, nur nicht krank. Die Entwick- lungen in den planwirtschaftlichen Systemen, in denen man ab einem bestimmten Alter wichtige medizinische 5978 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 (A) (C) (B) (D) Hilfestellung nicht mehr bekommt, sind so offensicht- lich inhuman, daß ich hierauf nicht weiter eingehen möchte. Wir brauchen also eine ausgewogene Balance zwi- schen diesen Polen, um unser Gesundheitswesen weiter- entwickeln zu können. Der vorliegende Gesetzentwurf dieser Bundesregierung läßt diese Balance jedoch schmerzlich vermissen. Er ist ein falscher Schritt in Richtung auf mehr Reglementierung, mehr Planwirt- schaft und daher hin zur Zwei-Klassen-Medizin. Wir wollen das nicht. Wir wollen etwas anderes: Wir wollen weniger Reglementierung, mehr Eigen- verantwortung, mehr Wettbewerb. Wenn die Regierungskoalition ihre falsche Richtung nicht ändert, kann sie unsere Zustimmung nicht bekom- men. Für eine Gesundheitsreform in der von mir aufge- zeigten Richtung kann sie jederzeit auf uns rechnen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einbürgerungsver- fahren human gestalten – Einbürgerungshin- dernisse beseitigen (Tagesordnungspunkt 10) Meinrad Belle (CDU/CSU): „Einbürgerungsverfah- ren human gestalten“, das ist toll, das hört sich gut an. Das ist eine Zielvorgabe, die wir alle unterschreiben können. Schwieriger wird es, wenn es an die Ausge- staltung im einzelnen geht. Trotzdem, wir waren gar nicht gänzlich abgeneigt, als uns im Juli die Initiative der SPD-Kollegen, damals be- schränkt auf den Iran, bekannt wurde. Einfach deshalb, weil der Iran auch in unseren Augen einen Sonderfall darstellt. Skeptischer wurden wir, als wir dann erfahren konnte, daß der Antrag auch auf die verschiedensten Ein- zelfälle bei jugoslawischen Staatsangehörigen ausge- weitet werden sollte. Ablehnen mußten wir aber den Ent- schließungsantrag, als uns der Arbeitsentwurf der Ver- waltungsvorschriften und das bisherige Abstimmungs- verfahren zwischen Bund und Ländern bekannt wurde. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien und die F.D.P. haben das neue Staatsangehörigkeitsge- setz mit all seinen problematischen Teilregelungen ge- gen unseren entschiedenen und ausführlich begründeten Widerstand durchgesetzt. Der vorgelegte Arbeitsentwurf von Verwaltungsvorschriften zu den staatsangehörig- keitsrechtlichen Regelungen vertieft in einer Reihe von Punkten die bedenkliche Tendenz dieses Gesetzes und erweitert beispielsweise die Ausnahmetatbestände der Hinnahme von Mehrstaatlichkeit noch darüber hinaus. Das Ziel Ihres heutigen Entschließungsantrags ist durch Einführung der länderspezifischen Regelungen für Iran und Jugoslawien letztlich die vermehrte Hinnahme von Mehrstaatlichkeit. Mit schönen Erklärungen verbrämt, täuschen Sie die Öffentlichkeit. Dieses Spiel spielen wir nicht mit. 1. Selbstverständlich ist natürlich auch für uns, daß das Einbürgerungsverfahren human zu gestalten ist. Die Verwaltungsvorschriften dürfen keine unnötigen Er- schwernisse, Schikanen usw. enthalten. Die bürokrati- schen Erfordernisse sind auf das geringste Maß zu redu- zieren. Die Vorschriften müssen bürgerfreundlich ge- staltet sein. Aber die gesetzlichen Grundlagen müssen auf jeden Fall umgesetzt werden; sie können und dürfen aus unserer Sicht nicht durch Verwaltungsvorschriften aufgeweicht werden. 2. Es ist systemwidrig, ja grundsätzlich falsch, län- derspezifische Regelungen, die dazu noch auf eine mo- mentane Ausnahmesituation bezogen sind, in allgemei- nen Verwaltungsvorschriften aufzunehmen, Verwal- tungsvorschriften, auch deren Änderungen, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Die notwendige Flexibi- lität ist nicht gegeben, denn es ist nicht möglich, derarti- ge Regelungswerke kurzfristig an aktuelle politische Entwicklungen, wie etwa den Kosovo-Konflikt, anzu- passen. Daher ist es sinnvoll – wie z.B. bisher bei der Absprache auf Bund-Länder-Ebene zur Einbürgerung jugoslawischer Staatsbürger – punktuelle Einzelabspra- chen zu treffen. Sie sind kurzfristig veränderbar. Dieses Verfahren trägt den Erfordernissen einer flexiblen Ver- fahrensweise in der Verwaltung in vollem Umfange Rechnung. 3. Betrachtet man den ursprünglichen Arbeitsentwurf der allgemeinen Verwaltungsvorschriften – der endgül- tige Kabinettsentwurf liegt uns ja noch nicht vor – so wird deutlich, daß Gesetzesbestimmungen abgeschwächt und unzulässig erweitert ausgelegt werden. Hier ist doch die Absicht förmlich zu greifen, die Zahl der Einbürge- rung unter Hinnahme von Mehrstaatlichkeit zu erweitern. – Die Ermessenseinbürgerung soll bereits nach 6 Jahren erfolgen, nachdem die Anspruchseinbürgerung min- destens 8 Jahre Aufenthalt in Deutschland erfordern. Die Unterbrechung dieses 8-jährigen Aufenthalts in Deutschland durch längeren Aufenthalt im Heimat- land soll unschädlich werden. – Die Möglichkeiten für die Hinnahme der Mehrstaat- lichkeit werden über den Gesetzestext hinaus ausge- dehnt. Mehrstaatlichkeit wird nicht nur geduldet, sondern z.B. durch eine weite Interpretation des Be- griffs „wirtschaftliche Nachteile“ geradezu gefördert. (Wenn der Heimatstaat die Veräußerung von Grund- besitz verlangt, auch wenn der Ausländer dafür den vollen Gegenwert erhält und transferieren kann.) Ein anerkannter Asylbewerber soll danach auch dann oh- ne Verzicht auf seine Staatsangehörigkeit Deutscher werden können, wenn der Asylgrund längst wegge- fallen ist. – Das Bekenntnis zur Verfassung wird zu einer Forma- lität herabgewürdigt. Eine Regelanfrage beim Verfas- sungsschutz ist nicht vorgesehen. Eine Prüfung, ob sich der Einbürgerungsbewerber verfassungsfeindlich betätigt hat, wird nicht verlangt. – Die Integrationsanforderungen werden beträchtlich eingeschränkt. Zum Nachweis deutscher Sprach- kenntnisse ist weder ein Zeugnis noch eine Prüfung vorgesehen; ausreichend soll sein, daß sich der Ein- bürgerungsbewerber „verständlich machen kann“. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5979 (A) (C) (B) (D) Mit solchen Zielsetzungen mißbrauchen Sie geradezu die Grundanforderungen an eine gesetzeskonforme Verwaltungsvorschrift. Verwaltungsvorschriften sollen unbestimmte Rechtsbegriffe erläutern, sollen Ermes- sensentscheidungen ausfüllen und eine bundesweit gleichmäßige Ausführung des Rechtes sicherstellen. Wir mußten zur Kenntnis nehmen, daß die bisherigen Bund/Länder-Gespräche, auch die Gespräche in der „offenen Arbeitsgruppe“ im Oktober, an denen unter anderem einzelne Städte und der Städtetag teilgenom- men haben, in keinem einzigen Punkt eine endgültige Festlegung und Einigung über Veränderungsvorschläge erbracht haben. Erwähnenswert ist, daß auf der Arbeits- ebene die Mehrheit aller Bundesländer und auch die Vertreter der Kommunen den Arbeitsentwurf für in hohem Maße verbesserungsbedürftig halten. In diesen Gesprächen hat sich das Bundesinnenministerium die Übernahme der Änderungsvorschläge jeweils vorbehal- ten bzw. von der Zustimmung der Leitung und sonstiger Entscheidungsträger abhängig gemacht. Zusammenfassend stelle ich fest: Sie gehen mit die- sem Arbeitsentwurf der Verwaltungsvorschriften und mit diesem Entschließungsantrag den falschen Weg. Wir lehnen daher den Entschließungsantrag heute ab. Abschließend appelliere ich an die Bundesregierung, ernsthaft die Einigung über die Verwaltungsvorschriften mit dem Bundesrat zu suchen. Auch aus unserer Sicht wäre es keineswegs wünschenswert, das neue Staats- angehörigkeitsrecht in den einzelnen Bundesländern nach unterschiedlichen Verwaltungsvorschriften zu voll- ziehen. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes haben wir im Frühjahr einen entscheidenden Schritt getan. Wir ha- ben dem Ius Sanguinis endlich ein würdiges Staatsbe- gräbnis bereitet und unsere Gesetzgebung dem europäi- schen Standart angepaßt. Ab dem 1. Januar 2000 werden Kinder ausländischer Herkunft, die in Deutschland ge- boren werden, nicht mehr grundsätzlich und automatisch Ausländer im eigenen Land sein. Ich freue mich über diese Reform. Ich gebe das hier in aller Offenheit zu. Denn ich habe selbst erfahren, was es bedeutet, die Hür- den zur deutschen Staatsangehörigkeit zu überspringen. Ich weiß, welche Klippen es zu umschiffen gibt, um den Paß des Landes in Händen zu halten, zu dem man sich zugehörig und mit dem man sich verbunden fühlt. Das neue Staatsangehörigkeitsrecht löst viele Pro- bleme. Ein besonderes Problem löst es jedoch nicht be- friedigend. Eines, das mit dem Schlagwort Doppelpaß bekannt geworden ist. Unsere ursprüngliche Intention bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes war nicht – wie die Union in ihrer beispiellosen Kampagne behauptet hat – die Einführung der doppelten Staatsan- gehörigkeit. Nein, das war sie nicht. Wir wollten und wollen den Doppelpaß vielmehr für diejenigen ermögli- chen, denen es durch ihre Ursprungsländer unendlich schwer gemacht wird, die alte Staatsangehörigkeit ab- zulegen. Länder wie der Iran, die Türkei oder Jugosla- wien bauen große Hürden auf. Man kann nicht einfach zum Konsulat gehen und seinen Paß abgeben – und schon stellt die deutsche Behörde den deutschen Paß aus. Ich selbst habe über zwei Jahre auf die Ausbürge- rung gewartet. Ich will Ihnen einige Beispiele aus meiner Arbeit nennen. Es vergeht kein Tag, an dem nicht ein iranischer Staatsangehöriger an meine Tür klopft und um Hilfe bittet. Der Iran weigert sich standhaft, seine Bürgerinnen und Bürger aus der Staatsangehörigkeit zu entlassen. Egal, wie lange diese Menschen schon in Deutschland sind: 10 Jahre, 20 Jahre, 30 Jahre. Egal, ob sie Arbeiter, Ärztinnen oder Studenten sind. Und die deutschen Be- hörden? Sie bürgern so lange nicht ein, bis der An- tragsteller oder die Antragstellerin den Nachweis er- bringt, die ursprüngliche Staatsangehörigkeit verloren zu haben. Das heißt, sie können in der Regel bis zum St. Nimmerleinstag warten – als Menschen, die ihre Wur- zeln schon lange in unserem Land geschlagen haben und die ihren Beitrag zur Kultur und zum Wohlstand dieses Landes leisten. Und noch ein Aspekt darf nicht verges- sen werden: In vielen Fällen ist es eigentlich unzumut- bar, daß Menschen, die in ihrer Heimat mißhandelt, ge- foltert oder verfolgt wurden, wieder und wieder zu den Konsulaten oder Botschaften gehen müssen, um um Ausbürgerung zu bitten. Anderes Beispiel: Jugoslawien. Auch hier weigert sich der Staat, seine Bürgerinnen und Bürger zu entlas- sen – jedoch nicht aus ideologischen Gründen wie der Iran. Hier spielt schlichtweg der schnöde Mammon die Hauptrolle: Jugoslawien entläßt aus der Staatsbürger- schaft, wenn man nur genug Gebühren bezahlt, mit einem Wort: sich freikauft. Hier erlauben Sie mir eine Bemerkung zum Innense- nator dieser schönen Stadt Berlin. Herr Werthebach ver- sucht offensichtlich, den Kollegen Beckstein rechts zu überholen. Ich wundere mich, daß der sich das gefallen läßt. Aber sei’s drum: Daß diese Gebühren gegen das Finanzembargo der EU verstoßen, ist klar. Um aber die doppelte Staatsangehörigkeit – und damit also die Ein- bürgerung – von Jugoslawen, Serben oder Montenegri- nern zu verhindern, greift Herr Werthebach zu einem miesen Trick. Er schöpft nicht die Mittel des Rechts aus, sondern weist seine Behörden an, Menschen aus Restju- goslawien nicht mehr einzubürgen. So einfach ist das. Ich nenne eine solche Politik schlichtweg skandalös und unmenschlich. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Gesetz (§ 87 AusländerG) festgelegt, daß bei unzu- mutbaren Bedingungen für die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit die Mehrstaatigkeit hingenommen werden kann. Dies sollte nun auch konsequent in die Verwaltungsvorschriften übernommen werden. Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, daß die Intention der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in den Verwaltungsvorschriften, die von Bund und Län- dern zur Zeit verhandelt werden, nicht verwässert wird. Die Bundesregierung kann dabei unseren Rückenwind gut brauchen. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu un- serem Antrag. Vielen Dank. 5980 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 (A) (C) (B) (D) Dr. Max Stadler (F.D.P.).: Bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts haben wir aus guten Gründen am Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit fest- gehalten. Aber: keine Regel ohne Ausnahme! Schon nach dem alten Staatsangehörigkeitsrecht gab es einige Fallgestaltungen, bei denen eine doppelte Staatsangehö- rigkeit hingenommen wurde. Insbesondere war dies schon immer so, wenn es in Einzelfällen Bewerbern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland einbürgern las- sen wollten, unzumutbar gewesen ist, ihre alte Staatsan- gehörigkeit aufzugeben. Im Gesetzgebungsverfahren war man sich quer über alle Fraktionen hinweg einig, daß vor allem Einbürge- rungsbewerber aus dem Iran große Probleme haben, die Voraussetzung der Aufgabe ihrer bisherigen Staatsange- hörigkeit zu erfüllen. Es war allgemeine Meinung, daß die Verwaltungsbehörden in diesen Fällen ausnahms- weise die doppelte Staatsangehörigkeit akzeptieren sollten. Auch die F.D.P. hat dies in ihren Stellungnah- men zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zum Ausdruck gebracht. Übrigens gibt es Analogprobleme auch in anderen Fällen, die bei der Reform des Staatsangehörigkeits- rechts nicht im Zentrum der Überlegungen standen. So haben Deutsche, die etwa als Geschäftsleute oder Wis- senschaftler in der Türkei tätig sind, große Schwierig- keiten, weil die deutsche – nicht die türkische! – Gesetz- gebung ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft verwehrt. Diese Probleme treffen insbesondere auch Frauen. Da es rechtstechnisch kaum möglich war, Ausnahme- fälle, die sich auf ein bestimmtes Herkunftsland bezie- hen, im Gesetz festzulegen, bleibt zunächst nur der Ap- pell an die Verwaltungsbehörden, das Einbürgerungs- recht in der Praxis vernünftig zu vollziehen. Dies gilt, wie sich zwischenzeitlich gezeigt hat, auch in bezug auf Einbürgerungsbewerber aus der Bundesrepublik Jugo- slawien. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion unterstützt da- her den Appell an die Verwaltungsbehörden, den die Regierungsfraktionen in dem vorliegenden Antrag for- muliert haben. Noch besser als ein Appell wäre freilich der Erlaß entsprechender Verwaltungsrichtlinien. Dem Verneh- men nach ist eine Einigung zwischen dem Bund und den Ländern hierüber jedoch nicht in Sicht. Im Gegenteil: Manche Bundesländer, wie etwa Bayern, versuchen auf dem Umweg über die Verwaltungsvorschriften den libe- ralen Geist des neuen Staatsangehörigkeitsrechts zu konterkarieren. Die F.D.P.-Fraktion nimmt daher die heutige Debatte zum Anlaß, diese Länder aufzufordern, in den Verwaltungsrichtlinien den Absichten des Ge- setzgebers voll zu entsprechen. Eine unterschiedliche Verwaltungspraxis in den verschiedenen Bundesländern kann aus naheliegenden Gründen niemand wollen. Die Länder müssen als Exekutive den Primat der Ge- setzgebung anerkennen. Wir wollen nicht die regelmä- ßige doppelte Staatsangehörigkeit gleichsam durch die Hintertüre, aber wir wollen die vernünftige und ange- messene Einzelfallentscheidung, bei der aus Zumutbar- keitserwägungen heraus als Ausnahme auch die Doppel- staatigkeit hingenommen wird. Ulla Jelpke (PDS): Es ist schon etwas eigenartig, wenn die beiden Regierungsparteien einen Antrag ein- bringen, in dem sie die von ihnen selbst gestellte Bun- desregierung um einen Gefallen bitten. Wie viele Anträ- ge sollen wir hier eigentlich noch behandeln, um Ihren eigenen Bundesinnenminister zu bändigen? Und wie oft wollen Sie Innenminister Schily noch bitten, ein von Ih- nen selbst erst in diesem Sommer verabschiedetes Ge- setz doch bitte großzügig auszulegen und anzuwenden? Sicher, da sind auch noch die Unionsparteien. Ganz offensichtlich sind nun auch die Verwaltungsrichtlinien zur Durchführung des demnächst in Kraft tretenden neu- en Staatsbürgerschaftsrechts umstritten. Die Unionspar- teien wollen ihre Kampagne gegen dieses Gesetz fort- setzen, indem sie nun auf dem Verwaltungsweg soviel wie nur irgend möglich zu blockieren versuchen. Und dem Bundesinnenminister – so verstehe ich jedenfalls ihren Antrag – ist offenbar mehr an einer Zusammen- arbeit mit CDU und CSU gelegen als an der mit den eigenen Regierungsparteien. Das ist schon eine bizarre Situation. Ich erinnere daran: Wir haben zu den hier angespro- chenen Problemen von Menschen aus dem Iran beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft bereits bei der Beratung Ihres Staatsangehörigkeitsgesetzes im Frühjahr eine Präzisierung des damaligen Gesetzentwurfes bean- tragt. Wir hatten beantragt, § 86 des Ausländergesetzes, der die Fälle von Hinnahme von Mehrstaatlichkeit re- gelt, so zu präzisieren, daß Menschen, die ohne eigenes Verschulden länger als ein Jahr auf die Entlassung aus ihrer alten Staatsbürgerschaft warten und bei denen sonst kein weiterer Grund gegen die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft besteht, diese dann notfalls eben auch ohne Aufgabe der alten Staatsangehörigkeit erhalten. Damals haben Sie unseren Antrag abgelehnt. Ich finde, die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit muß in Fällen wie den von Ihnen genannten Menschen eben- so wie bei den Menschen aus Jugoslawien eine Selbst- verständlichkeit sein. Ich finde es – das will ich hier auch sagen – einfach skandalös, wenn nun offenbar einzelne Landesregierungen darangehen, unter Hinweis auf das Finanz- und Wirtschaftsembargo der EU gegen Jugoslawien sämtliche Einbürgerungsanträge von Men- schen aus Jugoslawien zu blockieren. Sollen diese Menschen jetzt etwa dafür bestraft werden, daß sie aus Jugoslawien kommen? Wenn ihnen die deutsche Staats- bürgerschaft verweigert wird, weil sie zur Entlassung aus der jugoslawischen Staatsbürgerschaft Gebühren nach Belgrad zahlen müßten, diese Gebühren aber unter das EU-Wirtschaftsembargo fallen, ist das in meinen Augen rechtswidrig und inhuman. Das muß sofort auf- hören. Im übrigen will ich zum Schluß noch anmerken, daß die Probleme der Menschen im Zusammenhang mit dem weitgehenden Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft nach allem, was ich höre, sehr viel größer sind als die hier von SPD und Grünen angesprochenen Fälle von Menschen aus dem Iran und aus Jugoslawien. Die heuti- ge Debatte wird also ganz sicher nicht die letzte sein, auf der wir über die Probleme bei der Umsetzung des neuen Staatsbürgerschaftsrechts sprechen müssen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5981 (A) (C) (B) (D) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur abschließenden Regelung offener Vermögens- fragen in Bezug auf Wohngrundstücke im Bei- trittsgebiet (Tagesordnungspunkt 11) Hans-Joachim Hacker (SPD): Der vorliegende Ge- setzentwurf der PDS-Fraktion gehört zu mehreren par- lamentarischen Initiativen, die die PDS in den letzten Monaten auf den Weg gebracht hat und in denen sie Probleme in den neuen Ländern aufgreift. Es ist unver- kennbar, daß die im vorliegenden Gesetzentwurf ange- sprochenen Probleme zum Zeitpunkt der deutschen Ein- heit bestanden haben. Trotzdem muß bereits beim ersten Blick auf den Gesetzentwurf gesagt werden, daß die PDS-Fraktion keine Lösungen anbietet, die für die Be- troffenen mehr Rechtssicherheit bringen. Richtig ist die Kritik am Prinzip Rückgabe vor Ent- schädigung, das im Zuge der deutschen Einheit unter der konservativ-liberalen Koalition durchgesetzt wurde. Dieses Prinzip hat in seiner ideologischen Ausprägung zu Verunsicherungen bei Grundstücks- und Gebäude- nutzern in den neuen Ländern geführt. Es war zugleich eine riesige Investitionsblockade und hat die im Aufbau befindliche Verwaltung in den neuen Ländern massiv behindert. Wie bei anderen Gesetzentwürfen zu Problemen in den neuen Ländern setzt sich die PDS auch bei diesem Gesetzentwurf nicht mit den von ihrer Vorgängerpartei verschuldeten Ursachen auseinander. Die eigentümer- feindliche Politik in der DDR war es, die dem gesamt- deutschen Gesetzgeber einen Berg ungelöster Probleme hinterlassen hat. Diese konnten nicht im Wege einer populistischen Klientelpolitik gelöst werden, sondern nach den rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Bundesrepublik Deutschland. Ich wie- derhole an dieser Stelle die Kritik an der Politik der früheren Bundesregierung und der sie tragenden Frak- tionen, daß die Handlungsspielräume im Interesse des Schutzes der redlichen Erwerber und Nutzer von Grundstücken und Gebäuden in den neuen Ländern nicht optimal und auch nicht zügig ausgeschöpft wur- den. Dieses bleibt ein dauerhafter Minuspunkt auf dem Konto der früheren Bundesregierung. Zur Wahrheit gehört aber auch, daß, obwohl die PDS die Kritik gegen das Prinzip Rückgabe vor Entschädi- gung ausspricht, sie dabei verschweigt, daß der erste Re- stitutionsfall unter der damaligen Verantwortung ihres Ehrenvorsitzenden Modrow geschaffen wurde. Es han- delt sich hierbei um die Rückgabe der 1972 in Volksei- gentum überführten Betriebe mit staatlicher Beteiligung. Dieses muß der PDS ins Stammbuch geschrieben wer- den: Unter politischer Verantwortung, für die sie einzu- stehen hat, sind Rechtssachverhalte geschaffen worden, die heute nicht in der Weise gelöst werden können, wie das aus den Gesetzentwürfen und Anträgen der PDS- Fraktion zu entnehmen ist. Wunsch und Realität liegen also weit auseinander. Und weiterhin benutzt die PDS- Fraktion die Vermögensfragen als Spalterthema, wenn sie behauptet, dieses wäre der reine Konflikt zwischen Westeigentümern und Ostnutzern. Tatsächlich gibt es eine Dominanz bei den Restitutionsansprüchen von Bürgern aus den alten Ländern. Richtig ist aber auch, daß eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern aus den neuen Ländern, die von Eigentumseingriffen während der DDR-Zeit betroffen waren, Rückgabeansprüche ge- stellt haben. Ich möchte nun auf einige im Gesetzentwurf enthal- tene Vorschläge eingehen: Der Gesetzentwurf der PDS enthält in Art. 1 Vorschläge zur Veränderung des Ver- mögensgesetzes. Es geht hierbei um eine Neuregelung des redlichen Erwerbs im § 4 Absatz 2 Vermögensge- setz. Wer die Historie der Auseinandersetzung über die- sen Tatbestand kennt, weiß, daß die SPD-Bundestags- fraktion und insbesondere die Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt in den zurückliegenden Jahren bei jeder Gelegenheit eine Verbesserung des Rechtsschutzes der redlichen Erwerber eingefordert und konkrete Vorschlä- ge dazu vorgelegt haben. Der jetzige Wortlaut des § 4 Absatz 2 Vermögensgesetz ist das Ergebnis langwieriger und komplizierter Verhandlungen in den Gremien des Deutschen Bundestages und des Bundesrates sowie im Vermittlungsausschuß. Auch uns ging es immer darum, redliche Rechtsgeschäfte, die bis zum Tag der deutschen Einheit abgeschlossen worden sind, im Bestand zu schützen und damit den betroffenen Familien Rechts- schutz und soziale Sicherheit zu garantieren. Nicht zu leugnen ist, daß es nach dem Erlaß des so- genannten Modrow-Kauf-Gesetzes in Tausenden Fällen Anbahnungen im Grundstückserwerb gegeben hat. Die Rechtswirksamkeit dieser Handlungen mußte bei der Gesetzgebung jedoch an Kriterien gemessen werden, die einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten. Inso- fern ist die jetzige Regelung des § 4 Absatz 2 Vermö- gensgesetz der Versuch, die damaligen Verhältnisse in der DDR durch neues Recht zu gestalten und dabei auch die damaligen Lebensrealitäten zu berücksichtigen. Ich wiederhole mich, wenn ich sage, daß im Einigungsver- trag und in der Folgegesetzgebung ein weitergehender Rechtsschutz für die redlichen Erwerber und Nutzer in den neuen Ländern möglich gewesen wäre. CDU/CSU und F.D.P. haben das damals blockiert. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG, die sich auch auf Rückgabeansprüche nach dem Vermögensgesetz be- zieht, schließt es aus, heute noch einmal die Stunde Null zu proben. Dies ist jedoch die Absicht des Vorschlages im Art. 1 des PDS-Gesetzentwurfes, denn selbst Vor- verträge und Kaufvereinbarungen sollen als dem Ei- gentumserwerb gleichgestellt werden. Im Klartext be- deutet dies, daß nicht rechtswirksam zustande gekom- mene Grundstücks- und Gebäudekaufverträge nach nunmehr neun Jahren sanktioniert werden sollen. Ich frage die PDS, welche Antworten sie auf die sich daraus ergebenden Fragen gibt: Erstens: Wie wollen sie die auch nach mehreren Än- derungen des Vermögensgesetzes unangetasteten Rück- gaberechte von Alteigentümern behandeln? Zweitens: Wer soll die finanziellen Folgen tragen, wenn auf der einen Seite Alteigentümer in verfassungs- rechtlich fragwürdiger Weise aus Rückgaberechten ge- 5982 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 (A) (C) (B) (D) drängt werden und zugleich das Immobiliengeschäft nach den damals geltenden Bedingungen – gemeint sind damit in erster Linie die damals geltenden staatliche ge- regelten Preise – nachträglich genehmigt werden soll? Drittens: Wie bewertet die PDS die Tatsache, daß auf der Grundlage des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes in Zehntausenden Fällen einvernehmliche Lösungen erzielt wurden? Sollen die Grundstücksnutzer, die diesen Weg richtigerweise gegangen sind, schlechter gestellt werden als jene, bei denen die Zusammenführung von Grund- stück und Gebäude noch nicht erfolgt ist? Mir scheint, die PDS hat sich über die Komplexität des Sachverhaltes nicht genügend Gedanken gemacht. Zu einem weiteren Regelungskomplex im Gesetz- entwurf der PDS: Bei den Vorschlägen zu den Überlas- sungsverträgen ist eine ähnliche Bewertung vorzuneh- men. Es war sicherlich ein Fehler, daß beim Abschluß des Einigungsvertrages die Überlassungsverträge nicht als besonderer Vertragstyp der Eigentumsrechte im Sin- ne des BGB erfaßt wurden. Aber wir müssen heute da- von ausgehen, daß im Schuldrechtsanpassungsgesetz ab- schließende Regelungen zu den Überlassungsverträgen über Erholungsgrundstücke und Wohngrundstücke ge- troffen wurden. Diese Regelungen aus dem Jahr 1994 haben die Rechtspositionen des Überlassungsvertragsin- habers wie auch des Eigentümers des Grundstückes bzw. Gebäudes klar geregelt. Die Folge ist, daß sich der Eigentümer auf den Eigentumsschutz des Art. 14 GG berechtigterweise berufen kann. Auch hier stellt sich die Frage, ob die PDS allen Ernstes, in offensichtlich ver- fassungswidriger Form, eine Neuregelung der Rechte bei Überlassungsverträgen herbeiführen will und zwei- tens: Welche Antworten gibt sie auf die zwingenden Folgen bezüglich der Entschädigungsansprüche? Die PDS verdrängt diese Fragen völlig, sie erweckt den Ein- druck, perfekte Lösungen anbieten zu können. Es sind aber keine hilfreichen und befriedigenden Lösungsvor- schläge, sondern dieses ist eine Politik des Populismus, weil den Betroffenen so nicht zu helfen ist und ihnen bei Umsetzung der PDS-Vorschläge Steine statt Brot gege- ben würden. Für die SPD bleibt es dabei: Wir streben – wie in den zurückliegenden Jahren – nach Lösungen, die die Rechte der redlichen Erwerber und Nutzer in den neuen Län- dern auf verfassungskonformer Grundlage sichern und verbessern. Dazu sind im Zusammenwirken zwischen Bundesregierung und den neuen Ländern Schritte ein- geleitet worden. Nach Vorlage eines bereits in Arbeit befindlichen Gutachtens und unter Würdigung von kurz- fristig zu erwartenden Urteilen des Bundesverfassungs- gerichtes zu vermögensrechtlichen Fragen werden sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen kon- kret mit der Abschlußgesetzgebung zu den vermögens- rechtlichen Fragen in den neuen Ländern befassen. Wir wissen, daß wir nicht losgelöst von der Gesetz- gebung der zurückliegenden neun Jahre agieren können. Für uns bleibt der gerechte Interessenausgleich zwischen den beteiligten Eigentümern und Nutzern wichtiges Ziel. Wir verfolgen nicht die eigentumsideologische Politik der früheren Bundesregierung und werden uns auch nicht für Populismus im Stile der PDS hergeben. Rechtsstaatlichkeit und Verfassungskonformität auf der einen Seite und Schutz der Rechte der redlichen Er- werber und Nutzer in den neuen Ländern auf der ande- ren Seite sind für uns kein Widerspruch. Darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen. Andrea Voßhoff (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Antrag will die PDS wieder einmal Kernelemente des Wiedervereinigungsrechtes umgestalten. Teilweise in einzelnen Punkten, teilweise in völliger Umkehrung der bisher geltenden Rechtslage sollen Berechtigungen und Verpflichtungen an Wohngrundstücken neu geregelt werden. Einleitend ist dabei die Rede davon, die aus dem Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ resultieren- den Ungerechtigkeiten und Rechtsunsicherheiten für ehemalige Bürgerinnen und Bürger der DDR bestünden fort. Das vom gesamtdeutschen Gesetzgeber verfolgte Ziel, so heißt es weiter, die in der DDR entstandenen Eigentums- und Besitzverhältnisse an Wohngrund- stücken in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu überführen, sei in großer Zahl auf Kosten von Ostdeutschen und zu Gunsten westdeutscher „Alteigentümer“ verwirklicht worden. Nahezu in jedem Ihrer Anträge zum Eigentumsrecht, meine Damen und Herren von der PDS, intonieren Sie ihre Forderungen mit dieser Gegenüberstellung. Im Jah- re 10 nach dem Mauerfall sollten Sie endlich damit auf- hören, Ost und West mit solchen Bemerkungen gegen- einander auszuspielen. Keiner wird ernsthaft dem Einigungsrecht, seinen vielen Korrekturen und Ergänzungen das Ziel abspre- chen wollen und können, um einen Interessenausgleich der jeweils Betroffenen, im vorliegenden Fall von Eigen- tümer und Nutzer, immer wieder bemüht gewesen zu sein. Meine Damen und Herren von der PDS, ich werde nicht müde werden, Ihnen immer wieder ins Stammbuch zu schreiben, daß die Angleichung der Lebensverhält- nisse in Ost und West mit all den auch immer noch be- stehenden Problemen keine Folgen der Wiedervereini- gung sind, sondern immer noch die Folgen einer 40jährigen Teilung. Ich würde es daher als wesentlich zielführender anse- hen, wenn Sie diese Ausgangsbasis endlich einmal auch zur Maxime Ihres Handelns machen würden. 40 Jahre Willkür und Unrecht auch in den Eigentumsfragen wie- dergutzumachen war und ist nicht nur ein kaum lösbares Unterfangen, es wird leider auch immer mit Schicksalen einhergehen, die wir mit rechtlichen Instrumentarien, aber auch mit finanzieller Entschädigung nicht werden ausgleichen können. Schwerpunkt des vorliegenden PDS-Antrages ist es nunmehr, die sog. Stichtagsregelung in § 4 Abs. 2 des Vermögensgesetzes (VermG) zu ändern. Nach gelten- dem Recht hat bekanntlich der Restitutionsanspruch Vorrang vor dem Erwerbsinteresse eines Käufers, wenn der Vertrag erst nach dem 18. Oktober 1989 abgeschlos- sen wurde. Mit dem Entwurf soll diese Rechtsfolge komplett umgedreht werden; selbst Vorverträge und handschriftliche Vereinbarungen, die auch nach DDR- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 5983 (A) (C) (B) (D) Recht keine Verpflichtungen zur Übereignung begrün- deten, sollen jedenfalls dazu gut sein, den Restitutions- anspruch des früheren Eigentümers auszuschließen. Nach nunmehr neun Jahren Geltungsdauer des Ver- mögensgesetzes sind nahezu 90 % der Anträge auf Re- stitution beschieden worden. Einschließlich der umfangreichen Rechtsprechung dazu dürften viele Hauptstreitpunkte der offenen Ver- mögensfragen geklärt sein. Natürlich gibt es immer noch streitbefangene Fälle, natürlich gibt es auch einzelfallbe- zogene Folgewirkungen, die aus der subjektiven Sicht des Betroffenen ungerecht erscheinen, natürlich gibt es auch noch laufende Verfahren. Mit Ihrem Antrag, meine Damen und Herren der PDS, würden Sie jedoch ein seit fast 10 Jahren ange- wendetes Recht auch in den Folgen wieder in Frage stellen. Sie nehmen damit neue und immense Rechtsun- sicherheiten in Kauf. Insbesondere träfe dies auch für die von Ihnen geforderte Änderung des § 121 Sachen- rechtsbereinigungsgesetzes zu. Für die redlichen Käufer, die nach dem Stichtag sog. restitutionsbelastete Grundstücke oder Gebäude gekauft hatten, wurde in § 121 SachenRBerG eine Regelung zur Behebung von Härten gefunden, die selbst nach einer Restitution an den früheren Eigentümer eingreift. Diese Käufer haben, wenn der Vertrag vor der Gemeinsamen Erklärung zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 abgeschlossen wurde, einen gesetzlichen Anspruch zum Ankauf zum halben Bodenwert oder zur Bestellung eines zinsgünstigen Erbbaurechts erhalten. Diese Regelung soll – so der Antrag der PDS – wesent- lich zugunsten der Käufer und zum Nachteil der in ihre früheren Rechte wieder eingesetzten Eigentümer abge- ändert werden, indem alle bis zum 3. Oktober 1990 ab- geschlossenen Verträge solche Ansprüche begründen sollen. Schon hieraus wird ersichtlich, daß der Entwurf eine erhebliche Veränderung des geltenden Rechts zu Gun- sten der Käufer und zu Lasten der in ihre früheren Rechte wieder eingesetzten Eigentümer der Grundstücke enthalten würde. Die geltenden gesetzlichen Regelungen aus Art. 41 Einigungsvertrag mit VermG, dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz und dem SachenR- BerG wären Makulatur. Das Wiedervereinigungsrecht würde in einem wesentlichen Punkt – ohne Rücksicht auf seine Grundlagen aus dem Einigungsvertrag, die durch die fast zehnjährige Anwendung des geltenden Rechts entstandenen Rechtsverhältnisse und das daraus entstandene Vertrauen – rückwirkend neu geschrieben werden. Diese weitgehende Änderung wird allein damit be- gründet, daß es ein Rätsel des früheren Gesetzgebers bleibe, warum gerade der Tag des Rücktritts Honecker als Stichtag gewählt wurde. Diese Argumentation der PDS ist nicht ehrlich. Noch in der mündlichen Ver- handlung vor dem BVerfG zur Stichtagsregelung am 13. Mai dieses Jahres ist nach meinen Informationen aus- führlich dargelegt worden, daß der frühe Stichtag in Nummer 13 der Gemeinsamen Erklärung auf eine Anre- gung der DDR-Delegation zurückgegangen sei. Man wollte einen frühen Stichtag, um Forderungen aus dem Kreis des früheren Runden Tisches entgegenzukommen. Der frühe Stichtag sei deshalb gefordert worden, weil viele Vertreter im Staatsapparat, in der NVA und im MfS den Rücktritt Honeckers als den Beginn des Sinken des Schiffes der alten Gesellschaftsordnung erkannt und von da an mit dem als anstößig empfundenen Erwerb von volkseigenem Vermögen zu extrem günstigen Kon- ditionen für private Zwecke begonnen hätten. Ob diese Erwägung auch die Stichtagsregelung, deren Wirkungen später zum Teil durch das 2. VermRÄndG und das SachenRBerG abgemildert wurden, zu tragen vermag, mag streitig sein und der Diskussionsstand in der juristischen Literatur zeigt es ja auch. Die Behaup- tung jedoch daß es keine Begründung für den Stichtag gegeben habe, ist jedoch schlicht unrichtig und wohl nur damit zu erklären, daß diese Begründung für die Wahl des Stichtages der antragstellenden Fraktion nicht ge- nehm sein dürfte. Des weiteren fordert die PDS die Einbeziehung der sog. Überlassungsverträge in die Sachenrechtsbereini- gung. Obwohl diese Verträge ausschließlich schuld- rechtlicher Natur waren und der Eigentumswechsel nicht Gegenstand der Vereinbarung waren, sind sie gleich- wohl unter bestimmten Voraussetzungen bereits in die Sachenrechtsbereinigung aufgenommen worden. Die Aufnahme erfolgte in den Fällen, in denen der Nutzer durch Bebauung des Grundstücks eine schüt- zenswerte verdinglichte Rechtsposition erworben hatte. Der Gesetzgeber hat also durchaus auch im Bereich der Überlassungsverträge eine differenzierte Bewertung dieser Verträge vorgenommen. Die PDS ignoriert diese notwendige Differenzierung. Sie will Ungleiches gleich behandeln. Aus zwei Gründen möchte ich unsere ablehnende Haltung zu dem Gesetzentwurf begründen. Erstens: Der Entwurf läßt das verfassungsrechtliche Umfeld vollkommen außer acht. Es ist zumindest zwei- felhaft, ob sich die Vorschläge der PDS noch im Rah- men des verfassungsrechtlich Zulässigen bewegen. So- wohl die Stichtagsregelung als auch die Ausgleichsre- gelung in § 121 SachenRBerG sind vor das Bundesver- fassungsgericht gebracht worden: z Die Stichtagsregelung durch einen Normenkon- trollantrag der Landesregierung Brandenburgs und durch Verfassungsbeschwerden der Käufer, deren Erwerb nach geltendem Recht gescheitert ist, z die Regelung in § 121 SachenRBerG durch Ver- fassungsbeschwerden von Alteigentümern, die im Ver- kaufszwang einen Eingriff in das auf Grund des Eini- gungsvertrags zurückgegebene Eigentum sehen. Diese Entscheidungen sollten abgewartet werden. Es wäre für alle Betroffenen verheerend, wenn der Ge- setzgeber jetzt wesentliche Änderungen träfe, die nach den anstehenden Entscheidungen aus Karlsruhe dann völlig außerhalb des verfassungsrechtlich Zulässigen lägen. 5984 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. November 1999 (A) (C) (B) (D) Zweitens: Der Entwurf ist schließlich auch inhaltlich unangemessen. Das geltende Recht ist Ergebnis eines langen Abwägungsprozesses in mehreren Gesetzge- bungsverfahren der 12. Legislaturperiode. Dieses basiert auf einer einfachen Erwägung. Bei den Erwerbsge- schäften mit staatlichen Stellen über enteignetes Grund- vermögen in der Endzeit der DDR, die mit dem Rück- tritt Honeckers begannen, wäre es nicht gerecht, den Alteigentümer, dem ja beim Entzug seines Eigentums Unrecht angetan wurde, allein auf die geringe, aus öf- fentlichen Mitteln zu finanzierende Entschädigung zu verweisen. Es wäre selbstverständlich aber auch nicht gerecht, den Nutzer vollkommen leer ausgehen zu las- sen, der vor der Gemeinsamen Erklärung, die die Ver- einbarung der Regierungen über die Rückgabe solchen Grundvermögens enthielt, einen dem Recht der DDR entsprechenden Vertrag mit einer staatlichen Stelle über ein solches Grundstück abgeschlossen hatte. Das Ergebnis war schließlich ein von einer breiten Mehrheit in Bundestag und Bundesrat getragener Kom- promiß, der dem Käufer einen gesetzlichen Anspruch auch gegenüber dem Alteigentümer an die Hand gab, nach den allgemeinen Konditionen des SachenRBerG den Ankauf oder die Bestellung eines Erbbaurechts ver- langen zu können. Die allgemeinen Maßstäbe aus der Bebauung fremder Grundstücke oder aus dem Erwerb nur von Gebäuden auf in Privateigentum stehenden Grundstücken gelten mithin auch in Restitutionsfällen. Käufer und Alteigentümer sollten weder besser noch schlechter gestellt werden als Nutzer und Grundstücks- eigentümer in vergleichbaren Konfliktfällen. Diese Re- gelung war vom Gedanken der Anerkennung und des Ausgleichs der Belange beider Seiten getragen. Gründe, hiervon abzuweichen, zeigt der Entwurf nicht auf, und dem Erhalt von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden in einer der schwierigsten gesetzlichen Entscheidungen des Wiedervereinigungsrechts dient er auch nicht. Rainer Funke (F.D.P.): Der Entwurf eines Wohn- grundstücksregelungsgesetzes, der von der PDS vorge- legt wurde, kann von unserer Seite nicht unterstützt werden. Allzu pauschal sind die Vorwürfe der PDS, daß durch das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung, Unge- rechtigkeiten und Rechtsunsicherheiten für die Bürge- rinnen und Bürger der ehemaligen DDR bestehen wür- den. Das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung hängt nun einmal mit unseren bewährten Eigentumsbegriffen zusammen. Zu Unrecht entzogenes Eigentum von West- bürgern, aber genausogut von ostdeutschen Bürgern mußte zurückgegeben werden; dabei muß und wird es auch bleiben. Eine Neuregelung hinsichtlich der Mo- drow-Gesetze nach immerhin fast zehn Jahren, in der ja auch Ausschlußfristen gelten, kann schon wegen des in- zwischen eingetretenen Vertrauenstatbestandes nicht er- folgen. Insoweit lehnen wir eine Änderung des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen ab. Auch die Vorschläge hinsichtlich des Sachenrechtsbereinigungs- gesetzes, die von der PDS vorgesehen sind, sind derma- ßen an den Interessenslagen des Nutzers orientiert, daß hier eine erhebliche Entwertung des Eigentums des so- genannten Alteigentümers erfolgen wird, wenn man den Vorschlägen der PDS folgt. Natürlich verkennen wir nicht, daß es bei Nutzern be- rechtigt oder unberechtigt zu Verunsicherungen über ih- re eigene Zukunft gekommen ist. Dem haben die dama- lige Bundesregierung und der Bundestag durch ent- sprechende Novellierungen, insbesondere durch das Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz, entgegen- gewirkt. Dabei ist auch nicht zu verkennen, daß die in der damaligen DDR entstandenen Unrechtstatbestände bei der Entziehung des Eigentums und der Neuzuord- nung von Eigentums- und Besitzverhältnissen ungeheuer vielfältig gewesen sind. Wenn hier noch einzelne Tatbe- stände aufzuarbeiten sind und hier nachweisbar Hand- lungsbedarf besteht, wird sich meine Fraktion Ände- rungswünschen nicht verschließen, wobei auch zu be- rücksichtigen ist, daß zehn Jahre nach dem Fall der Mauer neue Vertrauenstatbestände entstanden sind. Wichtig scheint mir vor allem, daß offene Vermögens- fragen, soweit sie immer noch nicht von den Vermögens- ämtern entschieden sind, aufgelistet werden, damit auch dem Parlament deutlich gemacht wird, wo im einzelnen die Schwierigkeiten bei der Regelung offener Vermö- gensfragen bestehen. Wir erwarten daher, daß die Bundesregierung unver- züglich einen entsprechenden Bericht vorlegt. Dann sind wir gerne bereit, auf der Basis gesicherter Daten, an einer abschließenden Regelung der Vermögensfragen mitzuwirken.
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406600000
Guten Morgen, meine
Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.

Vor Eintritt in die Tagesordnung mache ich einige
Mitteilungen: Der Abgeordnete Peter Jacoby hat am
19. Oktober 1999 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat der Ab-
geordnete Albrecht Feibel am 29. Oktober 1999 die
Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich
begrüße den neuen Kollegen sehr herzlich.


(Beifall)

Sodann müssen einige Änderungen bei der Besetzung

von Gremien vorgenommen werden. Die Fraktion der
SPD teilt mit, daß der Kollege Dr. Christoph Zöpel aus
dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grund-
gesetzes als stellvertretendes Mitglied ausscheidet. Als
Nachfolger wird der Kollege Gert Weisskirchen

(Wiesloch) vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-

den? – Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kol-
lege Weisskirchen als stellvertretendes Mitglied im Ge-
meinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes
bestimmt.

Der Kollege Hans Martin Bury scheidet als Mitglied
aus dem Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank
aus. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger den
Kollegen Dr. Ditmar Staffelt vor. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist
der Kollege Dr. Staffelt als Mitglied im Verwaltungsrat
der Deutschen Ausgleichsbank entsandt.

Die Fraktion der PDS teilt mit, daß der Kollege
Dr. Uwe-Jens Rössel sein Amt als Schriftführer nieder-
gelegt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Gustav-
Adolf Schur vorgeschlagen.


(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Mit oder ohne Fahrrad? – Heiterkeit)


Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-
spruch. Damit ist der Kollege Schur als Schriftführer
gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um weitere Punkte, die Ihnen in einer
Zusatzpunktliste vorliegen, zu erweitern:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.:Steuermehreinnahmen zu größeren Steuersenkungen fürdie Bürger nutzen (siehe 65. Sitzung)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406600100
Erste Beratung des von den FraktionenSPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Änderungsgesetzes zur Neuordnung des Be-rufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte

– Drucksache 14/1958 –
3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Hal-tung der Bundesregierung zu den jüngsten Kritiken hin-sichtlich der Wohnungsbauförderung des Bundes
4. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz durch ökologische Moder-nisierung und Verbesserung der internationalen Zusam-menarbeit – Drucksache 14/1956 –
Sind Sie auch damit einverstanden? – Ich sehe, das ist
der Fall. Dann ist es so beschlossen.

Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesord-
nungspunkt 3 auf:

Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines
Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Kranken-

(GKV-Gesundheitsreform 2000)

– Drucksachen 14/1245, 14/1721 –

(Erste Beratung 49. Sitzung und 61. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuß)

– Drucksache 14/1977
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

Katrin Göring-Eckardt
Dr. Dieter Thomae
Dr. Ruth Fuchs

Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. und der Fraktion der PDS vor. Nach der Ausspra-
che werden wir über den Gesetzentwurf und den Ent-
schließungsantrag der F.D.P. namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Mehr als im Ausschuß!)







(B)



(A) (C)



(D)


Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bun-
desministerin für Gesundheit, Andrea Fischer.


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406600200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letz-
ten Monaten ist fast nichts ungesagt geblieben, was man
an polemischen Äußerungen zur Gesundheitspolitik ma-
chen kann.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Dummheiten! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es geht schon wieder los!)


Die Debatte ist in den letzten Wochen und Monaten
immer stärker eskaliert. Ich möchte deshalb an alle ap-
pellieren, eine weitere Eskalation zu verhindern, da wir
es hier mit einem sehr sensiblen Feld zu tun haben, auf
dem die Menschen schnell zu verunsichern sind. Selbst
wenn man der Auffassung ist, daß das, was wir vor-
schlagen, nicht richtig ist, kann man darüber auch kri-
tisch debattieren, ohne die Menschen in Angst und
Schrecken zu versetzen. Das sollte für uns alle das Ge-
bot der Stunde sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben – das ist unbestritten – ein gutes Gesund-
heitssystem und eine gute Gesundheitsversorgung. Un-
sere Aufgabe ist es, sie immer wieder für die Zukunft zu
stabilisieren und fit zu machen. Wir stehen vor großen
Herausforderungen: Der demographische Wandel, der
medizinische Fortschritt, aber auch eine andere Haltung
der Menschen zum Gesundheitssystem verlangen von
uns, daß wir Reformen durchführen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir wollen unseren Seehofer wiederhaben!)


Außerdem geht ein gewisser Druck davon aus, daß
trotz aller Kostendämpfungsmaßnahmen, die in den
letzten Jahren vorgenommen worden sind, die Beiträge
immer wieder gestiegen sind. 1991 lag der durchschnitt-
liche Beitragsatz der Krankenversicherung noch bei
12,2 Prozent; bis 1998 ist er auf 13,6 Prozent gestiegen.
Insgesamt gesehen, kann man nicht davon sprechen, daß
wir geordnete finanzielle Verhältnisse vorgefunden ha-
ben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Überschuß! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das haben Sie wieder auf den Kopf gehauen!)


Die Situation in Ostdeutschland ist schon seit Jahren be-
kannt gewesen; das Problem der Verschuldung der Ost-
kassen ist in den letzten Jahren zumindest nicht weitrei-
chend genug angegangen worden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Mit dem Solidaritätsstärkungsgesetz haben wir da-
für gesorgt, daß wir 1999 ein ausgeglichenes Ergebnis
haben werden – und das trotz der Ausgabenzuwächse im
Arzneimittelbereich, der beschlossenen Leistungsver-
besserungen und der Absenkung der Zuzahlungen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Warten wir es ab!)


Wir können jetzt zwar von einem ausgeglichenen Er-
gebnis ausgehen. Wenn wir die Zustimmung der Versi-
cherten und Patienten zu diesem System auf Dauer er-
halten wollen, dann kommen wir um Reformen nicht
herum, die zwei Anforderungen miteinander vereinba-
ren, nämlich einerseits die Beitragsstabilität, das heißt
die Kostenentwicklung, immer wieder im Blick zu be-
halten und andererseits eine Modernisierung der inneren
Verhältnisse des Gesundheitswesens anzustreben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist der Grund, warum wir auf strukturelle Refor-
men setzen, die die Effizienz steigern und neue Versor-
gungsformen ermöglichen sollen. Ich bin mir sicher:
Auch heute wird jemand – viele unserer Gegner haben
das immer wieder getan – sagen, wir brauchen einen
längeren Diskussionsprozeß. Auch was das Verfahren
anlangt, werden Sie dieses Argument vermutlich wieder
anbringen. Ich will nur noch einmal sagen: Wir haben
hier ein fast einjähriges geordnetes Gesetzgebungsver-
fahren hinter uns.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das heißt, es gibt überhaupt keine Veranlassung, so zu
tun, als müsse man noch einmal von vorn anfangen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da lacht sogar die SPD!)


Ich meine grundsätzlich, daß sich niemand auf das Ter-
rain von formalen Einwänden begeben sollte, wenn es in
Wirklichkeit um politische Differenzen geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Uns ist immer wieder, auch jetzt, vorgeworfen wor-
den, wir würden nur Kostensenkung oder Kostendämp-
fung machen. Ich meine, daß dieser Vorwurf auf seine
Urheber zurückfällt.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sollen Herrn Klose nicht beleidigen!)


Denn in diesem Gesetz geht es wie bei noch keinem zu-
vor darum, inhaltliche Verbesserungen zu machen. Die
Stichworte dazu sind: mehr Patientennähe, mehr Quali-
tät, mehr Kooperation zwischen den Leistungserbrin-
gern. Das sind die Zukunftsthemen der Gesundheits-
politik. Wer mit uns darüber nicht redet, muß sich fragen
lassen, warum er über diese inhaltlichen, strukturellen
Veränderungen nicht spricht, sondern immer nur aus-
schließlich über die Frage: Was ist der gesamte finanzi-
elle Rahmen für das Gesundheitssystem?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen will ich jetzt noch einmal die wichtigsten
Punkte festhalten und Argumente dafür bringen, warum
wir sie gemacht haben.

Die mangelnde Kooperation zwischen ambulantem
und stationärem Bereich wird seit langem beklagt – und
zwar auch von denjenigen, die dort arbeiten, nicht nur
von den Beobachtern des Systems und den Patientinnen
und Patienten. Das wirkt kostentreibend und führt zu

Präsident Wolfgang Thierse






(A) (C)



(B) (D)


einer schlechteren Versorgung, wovon insbesondere
auch chronisch Kranke zu berichten wissen. Das ist der
Grund, warum wir sagen: Wir wollen die integrierte
Versorgung, mit der wir in den letzten Jahren gute Er-
fahrung gemacht haben, zu einem Bestandteil der Re-
gelversorgung machen. Wir wollen die Rolle des Haus-
arztes als Lotsen durch dieses immer komplexer wer-
dende System stärken. Ferner haben wir ein weiteres
Bündel von Maßnahmen zur besseren Verzahnung der
beiden Bereiche vorgesehen.

Ich meine, daß diese konkreten Vorschläge auch eine
konkrete Debatte verdienen und nicht in dieser allge-
meinen Aufgeregtheit untergehen sollten. Ich finde sie
wirklich bemerkenswert. Wir haben dort ja Sachen auf-
gegriffen, die seit langem in der Debatte sind und seit
langem gefordert werden.

Deshalb frage ich die Opposition im Parlament heute:
Unterstützen Sie das nicht? Wollen Sie nicht, daß wir
neue Versorgungsformen einführen und möglich machen?
Wollen Sie tatsächlich, daß in diesem Bereich alles beim
alten bleibt, daß Patienten und Patientinnen hin und her
geschoben werden und das Problem von Doppel- und
Mehrfachuntersuchungen nicht angegangen wird?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Dünner Beifall!)


Ein weiterer Punkt: mehr Qualität in der Versorgung
durch die Orientierung an anerkannten Leitlinien und die
Einführung verbindlicher Verfahren des Qualitätsma-
nagements. Auch hier hat das deutsche Gesundheitswe-
sen erheblichen Nachholbedarf.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Was ist mit dem Medizinischen Dienst?)


Aber: Nur eine qualitätsgesicherte Versorgung ist auch
eine wirtschaftliche Versorgung. Alle reden gern über die
verschiedenen ökonomischen Instrumente, die uns zur
Steuerung im Gesundheitswesen zur Verfügung stehen.
Dabei gerät aber meines Erachtens völlig aus dem Blick,
welche große Bedeutung Qualitätssicherung auch als ein
Steuerungsinstrument in der Gesundheitspolitik hat.

Zu dieser besseren Steuerung gehört auch eine Verbes-
serung der Daten. Um das direkt vorwegzunehmen: Wir
haben im Laufe der Beratung mit den Datenschützern
aus Bund und Ländern eine Verständigung über die Ver-
änderungen, die wir vornehmen, erreicht. Von Daten-
schützerseite wird die Auffassung vertreten, daß die Re-
gelungen zum Patienten- und Datenschutz, die wir jetzt
vereinbart haben, besser sind als das, was vorher galt.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Jetzt!)

Gleichwohl bieten sie uns verbesserte Datentransparenz,
die wir brauchen, wenn wir wissen wollen, was im Ge-
sundheitswesen los ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch die größere Patientenorientierung ist im deut-
schen Gesundheitswesen seit langem überfällig. In der
Praxis ist das paternalistische Verhältnis zwischen Arzt

und Patient ohnehin Vergangenheit. Die Menschen en-
gagieren sich für ihre Gesundheit. Sie wollen einbezo-
gen werden. Sie wollen informiert werden. Sie wollen
wissen, was warum geschieht. Dem, was sich in der
Praxis vollzieht, müssen die Strukturen des Gesund-
heitswesens Rechnung tragen.

Dazu gehört auch, daß wir der Eigenverantwortung
der Gesundheitspolitik eine andere Rolle zuweisen. Das
ist einer der Gründe dafür, warum wir die Prävention
und die Gesundheitsförderung in diesem Gesetz gestärkt
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wollen mit diesem Gesetz dem Grundsatz „am-
bulant vor stationär“ zum Durchbruch verhelfen. Zudem
wollen wir die Kosten für den Klinikbereich begrenzen.
Die Maßnahmen dazu sind: Änderungen bei der Kran-
kenhausplanung und Einführung eines neuen Preissy-
stems im Krankenhausbereich sowie eines Stufenplans
für eine monistische Krankenhausfinanzierung.
Letzteres ist einer der umstrittensten Punkte. Ich habe in
diesem Zusammenhang mit Interesse zur Kenntnis ge-
nommen, daß der Bundesrat mit sehr großer Mehrheit
beschlossen hat, daß das Verfahren der monistischen Fi-
nanzierung, wie es in unserem Gesetzentwurf vorgese-
hen ist, auch auf die Hochschulkliniken anzuwenden ist.
Offenkundig ist die Skepsis gegenüber der Monistik
doch nicht ganz so groß, wie es manche öffentliche De-
batte erscheinen ließ. In diesem Sinne bin ich wirklich
sehr gespannt auf die Diskussion mit den Ländern über
diesen Bereich.

In dieser ganzen Debatte gerät die geplante Verände-
rung des Preissystems häufig aus dem Blick. Ich halte
das für einen Fehler, weil ich glaube, daß wir in diesem
Punkt an der richtigen Stelle ansetzen, um die Wirt-
schaftlichkeit der Krankenhäuser zu fördern. Wir haben
auch in den Diskussionen gemerkt, daß die Kranken-
hausseite diesen Teil durchaus begrüßt. Ich kann mir
nicht vorstellen, daß es im Sinne der CDU-Opposition
hier im Haus und der CDU-geführten Länder ist, die
Krankenhausentwicklung nicht zu steuern und der zu-
nehmenden Verschiebung der Kosten hin in den Kran-
kenhausbereich der letzten Jahre einfach zuzusehen. Ich
denke, daß es gute Gründe gibt, gemeinsam nach einem
Weg zu suchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein Thema, das in den letzten Wochen eine eigene
Dynamik entwickelt hat, betrifft die Sozialmauer zwi-
schen Ost und West im Gesundheitsbereich. In den
letzten Jahren ist zum Abbau dieser Mauer zu wenig
getan worden. Wir als neue Bundesregierung haben mit
dem Solidaritätsstärkungsgesetz schon einen wichtigen
Schritt getan.

In den letzten Monaten hat sich die Problematik
noch einmal deutlich verschärft. Die Schulden der be-
troffenen Kassen sind weiter gestiegen, und gleichzei-
tig hat es deutliche Mitgliederwanderungen gegeben,
die bei ihnen noch einmal zu einer Verschlechterung

Bundesministerin Andrea Fischer






(B)



(A) (C)



(D)


der Mitgliederstruktur und damit der Finanzsituation
geführt haben. Wir haben seit Monaten in einer Viel-
zahl von Gesprächen – es handelt sich hier um einen
langen Prozeß – nach einer einvernehmlichen Lösung
gesucht.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Mit wem haben Sie denn gesprochen?)


Dabei hat sich gezeigt, daß die sehr unterschiedlichen
Interessen der Beteiligten einer Lösung nicht ganz zu-
träglich waren.

Ich weiß, daß der Vorschlag, den wir jetzt gemacht
haben, umstritten ist. Aber ich vertrete ihn mit voller
Überzeugung. Wir haben für die kurzfristig unerläßliche
Entschuldung Bedingungen gestellt, die dazu führen,
daß wirklich nur die Kassen, die nicht auf Grund eige-
nen Versagens, sondern auf Grund der Besonderheiten
Ostdeutschlands in den zehn Jahren seit der Vereinigung
Schulden aufgehäuft haben, in den Genuß der Entschul-
dung kommen – und dies auch nur teilweise – und das
System immer noch dazu verpflichtet ist, sich intern
auszuhelfen. Wir haben außerdem dafür gesorgt, daß
diese Mittel wirklich nur zur Entlastung bei den Alt-
schulden herangezogen werden und nicht dazu verwen-
det werden dürfen, sich damit ungerechtfertigte Wett-
bewerbsvorteile zu verschaffen. Ich halte das Vorgehen
unter diesen Bedingungen für vertretbar.

Wir haben darüber hinaus dieses kurzfristige Pro-
gramm mit einer langfristigen Perspektive verknüpft. Ich
finde, daß die Beschwerden aus Ostdeutschland berech-
tigt sind, daß es nach 10 Jahren deutscher Einheit wirk-
lich höchste Zeit ist, zu einer Angleichung der Regel-
kreise zu kommen. Wir haben deswegen die Schritte
dorthin aufgezeigt. Wir wissen, daß das ein schwieriger
Prozeß ist, aber ich glaube, daß wir alle miteinander gute
Gründe haben, diesen Prozeß endlich anzugehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Eines möchte ich hier ganz deutlich sagen: Ich weise
entschieden den Vorwurf zurück, es handele sich hier
um irgendeine Art von Trick, mit dem wir Zustimmung
erkaufen oder gar erpressen wollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Wir haben das in die laufende Gesetzgebung einbezo-
gen, weil die Zeit für die betroffenen ostdeutschen Kas-
sen wirklich drängt.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Dann hätten Sie es früher machen müssen!)


Sie sind hier gefordert. Sie müssen sich der Frage stel-
len, ob Sie wirklich zuschauen wollen, wie in Ost-
deutschland einige Kassen in den Ruin getrieben wer-
den. Das wird weitreichende Folgen haben, weit über
die betroffenen Kassen hinaus, auch für das Vertrauen
der Menschen in unser Sozialversicherungssystem.

Deswegen sage ich noch einmal: Ich finde, auch Sie
haben eine Verpflichtung als Opposition, daß wir hier
einen gemeinsamen Weg finden. Ich meine, daß es keine

Veranlassung gibt, diese Frage in die polemische Aus-
einandersetzung so einzubeziehen, wie Sie es tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406600300
Kollegin Fischer, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thomae?


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406600400

Nein, ich würde gerne fortfahren.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat es auch noch nicht gegeben, daß der Fachminister keine Fachfrage zuläßt!)


In den vergangenen Monaten wurde kein Bestandteil
des Gesetzes so engagiert diskutiert wie die Maßgabe,
daß Beitragssatzstabilität auch in Zukunft das Maß der
Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung bilden soll.

Mich hat gestern jemand gefragt, wer eigentlich das
Gebot der Beitragssatzstabilität erfunden habe. Das ist
eine gute Frage, auf die es eine einfache Antwort gibt:
Es sind die Versicherten, die der Meinung sind, daß ihre
Belastung mit den Sozialversicherungsbeiträgen in den
vergangenen Jahren ein Maß erreicht hat, das sie über-
strapaziert hat und überfordert hat. Ganz zu schweigen
von den sonstigen Auswirkungen. Ich will uns aber alle
ökonomischen Diskurse über die Bedeutung der Lohn-
nebenkosten für die Arbeitsmarktentwicklung ersparen.

Ich meine, daß Beitragssatzstabilität ein wichtiges
Gebot ist, bei dem wir darauf achten müssen, daß wir
diese starke Forderung der Mitglieder dieses Sozialsy-
stems auch erfüllen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Deswegen entziehen wir ihnen Leistungen!)


Deswegen bin ich der Auffassung, daß die Debatten, die
wir darüber in den letzten Monaten zu führen hatten,
häufig wirklich an dem Problem vorbeigingen und auch
an der politischen Aufgabe vorbeigingen, daß man soli-
darische Systeme nicht überstrapazieren darf, weil
einem sonst die Menschen einfach die Gefolgschaft auf-
kündigen.

Wir erleben es jetzt schon, daß zum Wechseltermin
bei den Krankenkassen eine wachsende Anzahl der jun-
gen Gesunden sich die billigsten Kassen sucht. Es han-
delt sich dabei um so etwas wie eine Abstimmung mit
den Füßen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Mit dem Kopf in diesem Fall! – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Gegen die Abstimmung mit den Füßen hat man früher eine Mauer gebaut!)


Wenn wir das vermeiden wollen, müssen wir die Bei-
tragssatzstabilität für das gesamte System zu einem
wichtigen Leitpunkt für die Gesundheitspolitik machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bundesministerin Andrea Fischer






(A) (C)



(B) (D)


Ich habe von der Union immer gehört, daß sie das im
Grund auch nicht in Frage stellen will.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Beitragssatzstabilität nicht!)


Aber so richtig hat sich mir das alles noch nicht er-
schlossen.


(Lachen und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das Gefühl habe ich auch!)


Ich kann bisher nur erkennen, daß man gegen unsere
Vorschläge zur Steigerung von Qualität und Effizienz
ist. Dagegen zu sein ist ja nicht so schwer, aber selbst
meine aufmerksame Lektüre aller einschlägigen Reden
und Vorschläge hat meine Verwirrung eher gesteigert,
als daß sie zur Klarheit geführt hat. Einmal ist da die
Rede von 20 DM pro Arztbesuch.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wer sagt das denn?)


Dann wird eine Erhöhung von Zuzahlungen allgemein
ins Spiel gebracht. Dann geht es darum, einen Selbstbe-
halt von 300 DM pro Versichertem oder auch Wahltarife
für angebliche zusätzliche Leistungen einzuführen, wor-
unter sogar Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitati-
on fallen.

Wenn ich die vielen Vorschläge, die ich gelesen und
gehört habe, richtig verstehe,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheidt] [CDU/ CSU]: Das sind keine Vorschläge!)


läuft alles darauf hinaus, daß von seiten der Union die
Beitragssatzstabilität dadurch gesichert werden soll, daß
zu Lasten von Versicherten und Patienten mehr Geld ins
System kommt. Dies ist Voraussetzung.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Also lieber die Leistungen wegnehmen?)


Das Argument dafür, daß man mehr Geld braucht, lau-
tet: Das, was wir haben, reicht nicht aus, und auch die
vorgesehenen Steigerungen sind nicht ausreichend.

Nach Maßgabe des Gesetzentwurfes, der heute hier
zur Debatte und Abstimmung steht, würde eine Steige-
rung der Grundlohnsumme um 2 Prozent bedeuten, daß
im kommenden Jahr 5 Milliarden DM mehr ins System
fließen. Jetzt stellt sich die Frage: Reicht das nicht? Was
braucht man mehr? Sie sagen, wir könnten die Zuzah-
lungsabsenkung vom letzten Jahr zurücknehmen. Dies
würde 1 Milliarde DM bringen. Reicht das dann, um den
medizinischen Fortschritt zu finanzieren? Oder meinen
Sie, es muß eine erheblich größere Summe sein? Dann
müßten Sie schon richtig zulangen. Jetzt haben wir Zu-
zahlungen der Patienten für diverse Leistungen in Höhe
von rund 12 Milliarden DM. Wenn Sie mehr Geld in
einer nennenswerten Größenordnung in das System flie-
ßen lassen wollen, müssen Sie vermutlich die bestehen-
den Zuzahlungen verdoppeln. Sie müßten schon sagen,
um welche Größenordnung und um welche Mittel es Ih-
nen geht. Dann sollten Sie darüber die Auseinanderset-

zung mit Patientinnen, Patienten und Versicherten su-
chen.

Teil des Problems der Union 1998 war auch – wenn
ich die Debatte richtig verfolgt habe –, daß die Men-
schen den Eindruck hatten, ihre Belastung durch Zu-
zahlungen sei definitiv an eine Grenze gekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich glaube, daß man dem Problem nicht ausweichen
kann, indem man irgendeine neue Geldquelle auftut.
Man muß sich wirklich den strukturellen Reformen
stellen und sehen, was man innerhalb dieses Systems
ändern muß. Ich finde, deswegen sind Sie in der Pflicht,
sich mit den strukturellen Vorschlägen stärker auseinan-
derzusetzen, als das bislang geschehen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist völlig klar, daß in einem solidarischen Versi-
cherungssystem nicht alles, was man sich vorstellt, fi-
nanziert werden kann, sondern eben – das ist eine schon
lange bestehende Regel – nur das, was notwendig und
zweckmäßig ist. Die Entscheidung darüber ist nicht ein-
fach. Sie mußte immer schon getroffen werden und wird
auch in Zukunft zu treffen sein. Die Mittel werden im-
mer begrenzt sein. Das ist völlig klar. Deswegen müssen
auch wir als Politiker uns dazu bekennen, daß dieses Sy-
stem Grenzen bezüglich dessen hat, was es finanzieren
kann.

Aber – das ist der Punkt, wo ich behaupte, daß meine
Gegner eine bewußte polemische Zuspitzung vorneh-
men, die mit der Sache nichts zu tun hat –


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die sitzen zum Teil auch auf der linken Seite!)


diese Erklärung hat mit Rationierung nichts zu tun.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Warten wir es ab!)

Denn Rationierung würde bedeuten, daß den Menschen
das Notwendige vorenthalten wird. Das wird und soll es
nicht geben. Deswegen machen wir genau diese Reform.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das haben wir doch schon!)


Für die schwierige Entscheidung darüber, welche Ko-
sten die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt
und welche nicht, brauchen wir rationale Kriterien, die
sich an der medizinischen Notwendigkeit orientieren.
Deswegen schreiben wir in dieses Gesetz Maßnahmen
zur Qualitätssicherung. Diese, eine unabhängige Tech-
nologiebewertung und auch die Positivliste sollen ge-
nau dazu dienen. Auch im Wissen darum, wie schwierig
diese Entscheidung ist – übrigens auch als Konsequenz
aus einer Debatte, die in den letzten Monaten geführt
wurde, in deren Rahmen viele Behauptungen in die Welt
gesetzt wurden –, erscheint es uns sinnvoll, daß wir den
Sachverständigenrat mit einem regelmäßigen Bericht
zum notwendigen Bedarf und den finanziellen Mitteln

Bundesministerin Andrea Fischer






(B)



(A) (C)



(D)


beauftragen. Vielleicht können wir dann eine gemein-
same Gesprächsgrundlage darüber, was in unserem Sy-
stem notwendig ist, finden und diese Debatte mehr auf
den Punkt bringen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406600500
Kollegin Fischer, ge-
statten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Tho-
mae?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der kann doch gleich reden! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kann es nicht erwarten!)



Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406600600

Nein, ich möchte immer noch meine Ausführungen zu
Ende bringen.

Wer der Meinung ist, daß das, was wir hier in diesem
Gesetzentwurf vorgelegt haben, so nicht richtig ist, der
muß wirklich Alternativen auf den Tisch legen. Wir dis-
kutieren jetzt seit fast einem Jahr über den Gesetzent-
wurf und haben von Ihnen keine wirklichen Alternativen
gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Wir wissen ganz genau, daß wir für diesen Gesetz-
entwurf die Zustimmung der Länder brauchen. Ich wer-
be für diese Zustimmung, weil ich glaube, daß dieser
Gesetzentwurf sie verdient hat. Verständigung zwischen
Bund und Ländern setzt Kompromiß- und Verände-
rungsbereitschaft voraus. Ich glaube, daß wir das immer
deutlich gemacht haben.

Die Union muß sich entscheiden. Wenn Sie Ihre Be-
hauptung ernst meinen, daß eine Blockadepolitik das
Schlechteste ist, was diesem Land passieren kann, dann
blockieren Sie diesen Gesetzentwurf nicht einfach nur,
sondern diskutieren Sie mit uns über Veränderungen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Waren Sie einmal im Ausschuß? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Trotz der Art und Weise, wie Sie mich hier anbrüllen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


werde ich mich nicht davon abbringen lassen, Sie zu
einem Gespräch über mögliche Gemeinsamkeiten ein-
zuladen. Ich lade für den kommenden Donnerstag die
Oppositionsfraktion der CDU/CSU, die B-Länder und
die A-Länder zu einem Gespräch bei mir ein. Zusammen
mit den Koalitionsfraktionen können wir über Ihre Än-
derungsvorschläge reden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie beschließen heute das Gesetz! Das hätten Sie vorher machen sollen!)


– Herr Zöller, wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt,
der in einem ausführlichen Beratungsverfahren – das ist
die Geschäftsgrundlage für Gespräche – zustande ge-

kommen ist. Ohne ein solches Beratungsverfahren wür-
den Sie uns wahrscheinlich den Vorwurf machen – da
bin ich sicher –, wir wüßten nicht, was wir wollten. Von
daher glaube ich, daß wir über den dann verabschiedeten
Gesetzentwurf miteinander reden können.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann beschließt es heute nicht!)


Meines Erachtens können wir aber nicht so tun, als
könnten wir jetzt „zurück auf Los“. Die Lage duldet
keinen Aufschub. Wenn wir die Dinge jetzt auf die lan-
ge Bank schieben,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheidt] [CDU/ CSU]: Dann haben wir Unheil vermieden!)


dann ergeben sich zwei, wie ich finde, durchaus uner-
quickliche Alternativen, die ich deutlich machen will:

Die eine Alternative wäre eine unkontrollierte Aus-
gabenentwicklung. Diese Befürchtung hat auch der
Bundesrat in seiner Stellungnahme geäußert, weswegen
er diese Alternative nicht will.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Der weiß gar nicht, was los ist mit dem Gesetz!)


Wir hätten Defizite und Beitragssatzerhöhungen. Das
kann keiner wollen. Die andere Alternative wäre, daß
wir zu neuen Zwischenlösungen gezwungen wären. Ich
glaube, auch das ist keine gute Alternative. Beide Alter-
nativen wären keine Lösung der vor uns stehenden Pro-
bleme.

Gerade vor dem Hintergrund, mit welcher Emphase
Sie in den letzten Monaten die Auffassung vertreten ha-
ben, daß die Menschen ein anderes Gesundheitswesen
verdient haben, haben Sie wirklich die Verantwortung,
Ihre Position und unsere Position zu einer gemeinsamen
zu machen und die Verabschiedung dieses Gesetzent-
wurfs nicht einfach zu blockieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Menschen sind durch die Debatten in den letzten
Monaten gründlich verunsichert. Sowohl die Patientin-
nen und Patienten als auch die im Gesundheitswesen
Beschäftigten haben es verdient, daß wir zu einem ge-
meinsamen Weg finden und aus dem von der Bundesre-
gierung vorgelegten Gesetzentwurf, den der Bundestag
heute mit Mehrheit verabschieden wird, eine erfolgrei-
che Reform machen. Wir befinden uns in einem demo-
kratischen Vorgang. – Ich wundere mich darüber, wel-
che Aufregung er bei Ihnen hervorruft. – Das zu akzep-
tieren ist die Grundlage für gemeinsame Gespräche. Sie
sollten Ihrer Verantwortung gerecht werden!

Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406600700
Ich erteile dem Kol-
legen Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.

Bundesministerin Andrea Fischer






(A) (C)



(B) (D)



Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1406600800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie merken: Ich
bin verschnupft.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Deswegen komme ich auch gleich auf das Verfahren zu
sprechen.

Frau Ministerin, Sie hielten es gerade für richtig, den
Ablauf dieser sogenannten Gesundheitsreform als ein
geordnetes Verfahren zu bezeichnen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hat sie ja noch nie erlebt!)


Wenn Sie das behaupten, muß ich sagen, dann wissen
Sie nicht mehr, was überhaupt in dem Gesetz steht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Darauf, was uns hier zugemutet wird, komme ich

noch zu sprechen. Vorweg nur noch eines: Verbesserung
der Patientenrechte. Na, bravo! Großartig! Daß man den
Patienten künftig Leistungen vorenthält, an die sie ge-
wöhnt waren, das sind die Verbesserungen der Patien-
tenrechte. – Aber ich will, weil ich auch Berichterstatter
bin, in der Chronologie bleiben.

Meine Damen und Herren, Ihre löblichen Zielvorstel-
lungen, die Überschriften haben wir heute wieder gehört.
Aber man kann sagen: Durch die Änderungsanträge ist
außer diesen Zielvorstellungen und Überschriften nichts
in diesem Gesetzentwurf unverändert geblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dabei müssen wir einmal auf das sogenannte Solidari-

tätsstärkungs- oder Vorschaltgesetz zurückblenden, Herr
Dreßler. Damals hieß es, dies sei dringend notwendig, um
die ständigen Beitragssatzsteigerungen zu vermeiden und
um die Ruhe zu gewinnen, eine wirkliche Gesundheits-
reform zu konzipieren und zu entwickeln. Bei dieser Ge-
legenheit haben Sie, Frau Schaich-Walch, und andere sich
– nicht nur privat, sondern auch öffentlich; deshalb sage
ich es hier auch – bei uns bedankt und sich teilweise we-
gen dieses weiß Gott chaotischen Verfahrens sogar ent-
schuldigt. – Sie nicken. Ich danke Ihnen dafür.

Ich wäre danach jede Wette eingegangen, daß Sie et-
was auch nur annähernd Ähnliches nicht wieder tun
würden. Aber weit gefehlt, meine Damen und Herren.
Wir lasen im ersten Halbjahr dieses Jahres in den Zei-
tungen zunächst von Streit in der Koalition: Dreßler ge-
gen Fischer; der Kanzler unterstützt wiederum Frau Fi-
scher. Er hat mit Sicherheit diesen späteren Entwurf
nicht gelesen; aber hierbei geht es ja auch um andere
Dinge. Dann hörte man, es liege nunmehr ein Referen-
tenentwurf vor. Aber dieser durfte bei der Veröffentli-
chung nur „Arbeitsentwurf“ genannt werden, weil die
SPD – und vor allen Dingen Herr Dreßler – noch erheb-
liche Bedenken hatte.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Zu Recht!)

Schließlich fand am 30. Juni die erste Lesung hier im

Hause statt, und ab 8. September dieses Jahres wurde
der Gesetzentwurf beraten.

Eine Anhörung mußte stattfinden. An vier Tagen, und
zwar am 9. und 10. September und am 21. und 22. Sep-
tember, fand diese statt. Natürlich können die Protokolle
nicht fertig sein. Uns wurde zugesagt, wir würden die
Protokolle über diese viertägige Anhörung am 18. Okto-
ber erhalten. Nichts geschah. Inzwischen liegen die
Protokolle von zwei Tagen bzw. seit gestern von drei
Tagen vor, nicht aber vom vierten Tag.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Unzumutbar!)

Aber das ist noch längst nicht alles. – Ich lasse jetzt

einige Zwischenstationen weg. – Nachdem Sie uns bis
einschließlich gestern mit insgesamt 345 Seiten Ände-
rungsanträgen – –


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wieviel?)


– Insgesamt 345 Seiten Änderungsanträge,

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: 345?)


davon alleine rund 60 Seiten am letzten Beratungstag, an
dem die Entscheidung fallen sollte. Was daran seriös
sein soll, kann ich beim besten Willen nicht erkennen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun haben Sie ja in letzter Minute, in einer Sonder-

sitzung am 29. des vergangenen Monats, noch erkannt,
daß die Frage der Ostkassen, vor allem die der AOK,
dringend einer Lösung bedarf.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Das hätten Sie schon längst lösen können!)


Wir haben monatelang auf eine Vorlage in Form eines
eigenen Gesetzes gewartet. Wir haben es bedauert, daß
Sie als eine der ersten Amtshandlungen den Auftrag, den
der Sachverständigenrat vom früheren Gesundheitsmi-
nister Seehofer bekommen hatte, nämlich genau zu die-
ser Frage Stellung zu nehmen und eine seriöse Bera-
tungsgrundlage zu erarbeiten, zurückgenommen haben.
– Als erste Amtshandlung haben Sie übrigens den Sach-
verständigenrat entlassen. – Und nun wird, wie Sie sa-
gen, in monatelanger Diskussion – ich füge hinzu: hinter
verschlossenen Türen –, mit wem auch immer, darüber
gesprochen, und dann kommt, wie gesagt, in der Son-
dersitzung eine Vorlage, die dringend der Anknüpfung
an dieses Gesetz bedarf.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist ein ganz neues Thema!)


Ich gehöre zu denjenigen – Sie werden das bestätigen
–, die bisher immer gesagt haben: Ich spekuliere nicht,
was der Hintergrund dessen ist, obwohl es in allen Zei-
tungen stand. Aber wenn Sie jetzt die Stirn haben, zu
behaupten, daß das Ganze nichts mit dem Versuch zu
tun hat, die Ostländer zur Zustimmung zu bewegen


(Zuruf des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.])

– nein, im Moment nicht, Dieter Thomae; ich weiß
schon, was ich sagen möchte –,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

dann muß ich – leider – Sie selber unmittelbar ins Visier
nehmen.






(B)



(A) (C)



(D)


Mir liegt ein Aktenvermerk vor, in dem es heißt: Das
Entschuldungsprogramm sollte allerdings nicht, wie von
Ihnen – vom Ministerium – intendiert, in einem speziel-
len Gesetz, Finanzhilfegesetz, geregelt werden. – Dieser
Meinung waren wir auch. – Es drängt sich angesichts
der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat vielmehr gera-
dezu auf, diese Materie in der Gesundheitsreform 2000
zu behandeln, um den Bundesländern Thüringen und
Sachsen Sachgründe an die Hand zu geben, dem Ge-
samtpaket zuzustimmen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das darf nicht wahr sein!)


Soviel dazu. Ich möchte daraus nicht weiter zitieren.
Ich möchte nur auf die heutigen Überschriften „Me-

tamorphose einer Gesundheitsreform“, „Die Frau mit
den leeren Händen“ aus der „Süddeutschen Zeitung“
sowie „Fischers Gesundheitsreform ist nicht zu retten“,
„Gesundheitsreform vor dem Aus“ und „Auch Ersatz-
kassen fordern Neuanfang“ hinweisen. Nein, Ihr Bera-
tungsverfahren war nicht seriös.

Ein Letztes zu der gestrigen Sitzung: Wir haben den
Antrag gestellt, das Problem mit den Ostkassen abzu-
trennen und möglichst – wenn Sie es wollen – sofort
wieder in einem eigenen Gesetz einzubringen, über das
wir reden können. Dies haben Sie abgelehnt. Nachdem
die Anhörung über die Änderungsanträge – 345 Seiten
umfassend – endlich beendet war, haben wir gefragt:
Wie soll jetzt seriös weiterberaten werden? Kein
Mensch – auch Sie nicht – blickt noch durch, was mit
dem Gesetz im einzelnen geschehen soll. Auf unsere
Frage hin wurde uns von Herrn Dreßler gestern gnädi-
gerweise zugestanden, man könne ja noch zwei Stunden
darüber reden. Nachdem wir bereits zig Stunden


(Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Zwei Stunden!)


– zwei Stunden – beraten hatten, sollte noch weiter über
den Gesetzentwurf geredet werden, um dann erklären zu
können: Sieh doch, Öffentlichkeit! Wir haben doch seriös
beraten. – Aber wir wären in zwei Stunden möglicher-
weise erst bis Antrag C gekommen; denn die Zeit war
kurz, weil bis gestern 24.00 Uhr die Beschlußvorlage des
Ausschusses in den Fächern sein mußte. Wenn man dies
nicht geschafft hätte, dann wäre der Zeitplan zum Teufel
gewesen. Nein, dies war keine seriöse Beratung.

Nun möchte ich noch einige Bemerkungen zu dem
Reformentwurf selbst machen, damit Sie nicht sagen
können, wir wüßten nicht, worum es eigentlich geht. Ei-
nige von uns wissen tatsächlich nicht, worum es geht. In
der gestrigen Beratung hat unser Kollege Zöller – ich
sage gelegentlich: „Z“ in Zöller steht für Zahlen und
Zähne – Ihnen nachgewiesen, daß allein 30 Seiten in den
Änderungsanträgen doppelt waren. Diese Seiten mußten
wieder herausgenommen werden. Es war also chaotisch.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Danach wurden neue Anträge gestellt. Wir haben darauf
hingewiesen – dies ist eines der wenigen Minderheiten-
rechte, die wir noch haben –, daß darüber beraten wer-

den muß. Daraufhin gab es eine Unterbrechung. Einige
riefen: Wir setzen das aus! Andere riefen: Nein, wir set-
zen das ab. Wir haben abgewartet. Als wir in den Aus-
schuß zurückkehrten, hieß es: Wir ziehen den Antrag zu-
rück. So lief die gestrige Sitzung ab.

Zur Bewertung. Diese sogenannte Gesundheitsre-
form richtet sich nach unserer Auffassung in ihrer Wir-
kung gegen die Kranken, gegen die Versicherten, gegen
die Arbeitnehmer,


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das ist Unsinn!)


gegen die Gesundheitsberufe und letztlich auch gegen
die Länder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Mit diesem Entwurf werden dem Gesundheitswesen er-
forderliche Mittel entzogen und wird die Entscheidungs-
freiheit der Patientinnen und Patienten, der Ärztinnen
und der Ärzte sowie der Beschäftigten in anderen Ge-
sundheitsberufen beeinträchtigt. Durch ihn wird in zu-
nehmendem Maße die Entwicklung hin zu einem Kas-
senstaat vorangetrieben. Der Gesetzentwurf hat ein
Übermaß an Bürokratie zur Folge. Durch ihn werden die
bedarfsorientierten Plankontingente durch Bürokratie er-
setzt. Durch ihn werden Selbständigkeit und Neugrün-
dungen erschwert und Beschäftigungschancen verhin-
dert. Die Selbstverwaltung und die Tarifautonomie im
Gesundheitswesen werden nicht beachtet. Sie enthalten
den Versicherten, die sich keine private Vorsorge leisten
können, eine optimale medizinische Versorgung vor,
obwohl Sie eben erklärt haben, Sie wollten die Rechte
der Patienten verbessern.

Mit dem Globalbudget wird der Weg zur Rationie-
rung der Gesundheitsleistungen bereitet. Dies ist unbe-
streitbar.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Im Grunde genommen bestätigt jeder: Ein Globalbudget
mit einem Unterbau sektoraler Budgets, das ganz unab-
hängig von der medizinisch-technischen Entwicklung,
von der Überalterung der Bevölkerung und von dem
notwendigen Bedarf in den einzelnen Bereichen ist, muß
dazu führen, daß den Menschen Leistungen vorenthalten
werden. Das wird nicht mehr bestritten. Wir lehnen jede
Budgetierung ab,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

weil wir, Herr Dreßler, dazugelernt haben.


(Lachen und Zurufe von der SPD: Oh!)

– Das ist gar keine Frage.

Wahrscheinlich werden Sie sich ja noch an Lahnstein
und Ihre Sternstunden erinnern. Seitdem ist viel Zeit
vergangen, und wir haben gemeinsam dazugelernt, daß
die frühere Politik der immer weitergehenden Kosten-
dämpfung nicht fortgesetzt werden kann. Das ist in den
Reformgesetzen der letzten Legislaturperiode schon
überdeutlich geworden. Es fehlt in diesem Gesetz jede
Auseinandersetzung mit der nicht ausreichenden Ein-

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)







(A) (C)



(B) (D)


nahmeentwicklung der Krankenkassen auf Grund der
anhaltend hohen Arbeitslosigkeit, auf Grund unstetiger
Beschäftigungsverhältnisse und der dadurch sinkenden
Lohnquote.

Herr Dreßler, da ja jetzt, wie gesagt, über Einnahmen
nicht gesprochen wird, versucht die Frau Ministerin ir-
gendwelche Unterstellungen. Wenn ich alles zitieren
würde, wer von Ihnen bei verschiedenen Gelegenheiten
mit welchen Vorschlägen gekommen ist, dann würde ja
der Rest von Durchsicht verlorengehen. Diese oder jene
Bemerkung von diesem oder jenem Kollegen ist doch
kein Vorschlag, ist doch kein Antrag, sondern es kommt
auf das an, was Sie hier vorgelegt haben. Herr Dreßler,
ich zitiere einmal, weil auch Sie ja nicht über Einnah-
men sprechen wollen:

Die gesetzliche Krankenversicherung braucht mehr
Einnahmen. Dies war das Fazit eines von der kas-
senärztlichen Bundesvereinigung veranstalteten
Symposiums.

Da heißt es wörtlich:
Das Gesundheitssystem braucht mehr Einnahmen.
Die finanziellen Probleme lassen sich langfristig
nicht durch Einsparungen lösen. Denn Kürzungen
führen zu einem Kellertreppeneffekt. Stufe um Stu-
fe gerät man auf ein niedrigeres Leistungsniveau,
bis es nicht mehr weitergeht, weil man unten ange-
kommen ist. Eine dauerhafte Lösung sieht der So-
zialdemokrat nur in einer Verbreiterung der Bemes-
sungsgrundlage.

Dieser „Sozialdemokrat“ war aber nicht irgendwer, son-
dern es war Rudolf Dreßler. Die Einnahmen also sind
problematisch, und die Ausübung von Druck über bud-
getierte Ausgaben führt zum Kellertreppeneffekt. Darin
stimmen wir mit Ihnen voll überein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Entwurf gibt auch keine Antwort auf die Heraus-

forderungen der demographischen Entwicklung – ich
sagte es bereits: von Eigenverantwortung der Versi-
cherten kann natürlich nicht mehr geredet werden –,
sondern er ist im Gegenteil getragen von einem tiefen
Mißtrauen gegenüber den Leistungserbringern und den
Versicherten. Er ignoriert völlig die Frage, ob der Lei-
stungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung an-
gesichts der veränderten Rahmenbedingungen noch
zeitgemäß ist, ob er mit den vorhandenen, begrenzten
Mitteln weiter finanziert werden kann. Alles das findet
nicht statt. Und dann kommt dieses Gesetzeswerk, bür-
det der Selbstverwaltung unlösbare Aufgaben auf. Sie ist
schlicht überfordert. Der Vertreter der Ersatzkassen hat
ja nicht zu dem Ostkassenproblem, sondern gerade zu
diesem Problem in der öffentlichen Anhörung gesagt,
das sei schlicht nicht umsetzbar.

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um von vorn-
herein der Legendenbildung vorzubeugen. Sie tun jetzt
so, als wäre wegen der Ablehnung dieses Gesetzent-
wurfs – ich tue mich immer wieder schwer, dazu „Ge-
setzentwurf“ zu sagen – gleichzeitig die Verantwortung
für Beitragssatzerhöhungen spätestens ab Mitte näch-
sten Jahres bei uns abzuladen. Meine Damen und Her-

ren, seit Monaten sagen diejenigen, denen Sie immer
große Glaubwürdigkeit beimessen, nämlich die Kran-
kenkassen, daß völlig unabhängig von diesem Gesetz
erhebliche Beitragssatzsteigerungen kommen werden,
weil Sie durch Ihr Vorschaltgesetz ja nicht nur auf Zu-
zahlungen verzichtet haben, nicht nur auf die Finanzie-
rung im Krankenhausbereich, das sogenannte Notopfer,
verzichtet haben. Nein, Sie haben ja auch Leistungen
ausgeweitet und die entsprechende Gegenfinanzierung
dafür nicht erbracht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Man spricht allein in diesem Bereich – die einen sa-

gen: 1 Milliarde DM, die anderen: 3,5 Milliarden DM;
nehmen wir die Mitte – von 2 Milliarden DM Unterfi-
nanzierung dieses alten Gesetzes. Das haben wir für un-
nötig gehalten, daran darf man erinnern. Damals haben
wir gesagt, das müßte zur Abbremsung der ständigen
Beitragssatzerhöhung stattfinden. Wir hatten sechs Jahre
lang Beitragssatzstabilität; denn kleine Schwankungen
zwischen 13,4 Prozent und 13,5 Prozent kann man ja
wohl als Stabilität bezeichnen. Wir hatten 1997 und
1998 erfreulicherweise erstmals einen Überschuß in der
gesetzlichen Krankenversicherung.

Sie selbst sagen jetzt sogar, daß das Defizit aus dem
ersten Halbjahr dieses Jahres möglicherweise bis zum
Ende dieses Jahres noch ausgeglichen werden kann.
Diese Möglichkeiten sind die Folgen unserer Gesetzge-
bung,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


so daß man sagen kann: Trotz dieses unmöglichen Vor-
schaltgesetzes, trotz der damit verbundenen erhöhten
Kosten und trotz der mangelnden Gegenfinanzierung
haben Sie möglicherweise das Glück, auf der Basis un-
serer Gesetze wenigstens dieses Jahr ohne Beitragssatz-
erhöhungen zu bestehen. Dafür hätte man vielleicht
einmal ein Wort des Dankes erwarten können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es reicht doch, wenn Sie sich unverdientermaßen selber loben!)


Jetzt möchte ich noch etwas zu den Hauptpunkten sa-
gen, weil das für viele die einzigen Punkte sind, die un-
verrückbar bleiben und zu denen man bemerken kann,
daß Sie davon auf keinen Fall abrücken werden. Das
Globalbudget habe ich genannt. Der zweite Punkt ist die
Positivliste, sie führt dazu, daß den Menschen Arznei-
mittel vorenthalten werden.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Nichts kapiert! – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist umstritten!)


– Ach, Frau Schmidt-Zadel, „umstritten“. Wissen Sie
nicht, daß in Deutschland ein Arzneimittel als umstritten
gilt, wenn zwei Professoren unterschiedlicher Meinung
über seine Wirksamkeit sind? Wissen Sie, was alles um-
stritten ist? Sie können Gutachten von Professoren zu
jeder Frage so bekommen, wie Sie sie erwarten. Insofern
ist das doch kein Kriterium.

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)







(B)



(A) (C)



(D)


Patienten und Ärzte haben keine Therapiefreiheit und
Therapievielfalt mehr. Wenn ein Arzneimittel trotzdem
verordnet werden soll, dann muß der Patient das zu 100
Prozent selbst bezahlen. Ist das noch Solidarität?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Was unnütz ist, muß auch nicht bezahlt werden!)


Sie nicken. Gut. Ich hoffe, die Patienten erkennen, was
damit wirklich gemeint ist.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wer hat hier genickt?)


– Frau Schmidt-Zadel hat unter anderem genickt.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das muß man wissen!)

Dieser Gesetzentwurf, der durch ein chaotisches und

durch nichts mehr zu übertreffendes sogenanntes Bera-
tungsverfahren bis zur Unkenntlichkeit verschlimmbes-
sert oder sogar zerstört worden ist, kann nur mit klarer
Haltung abgelehnt werden.

[Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! – Horst
Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Wo ist die
Alternative?)

Es wäre vernünftiger gewesen, wenn Sie Ihr Gesprächs-
angebot gemacht hätten, bevor dies alles zu Papier ge-
bracht und anschließend dreimal geändert worden ist.

Ich bin ganz sicher, daß dieser Gesetzentwurf im
Bundesrat nicht das Licht der Welt erblicken wird; denn
die Mehrheit im Bundesrat wird wissen, was man dem
deutschen Gesundheitswesen noch zumuten kann, was
man den Patienten noch zumuten darf und was man an
Arbeitsplatzzerstörung damit bewirken wird. Er wird Ih-
nen eine klare Antwort zu diesem Gesetz geben.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406600900
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Rudolf Dreßler, SPD-Fraktion.


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1406601000
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Gestatten Sie mir einleitend eine Be-
merkung zur Verdrängung von parlamentarischen Ab-
läufen, und zwar von parlamentarischen Abläufen wäh-
rend der Regierungszeit von CDU/CSU und F.D.P.
Selbst 1992, als mit meiner Fraktion eine Gesundheits-
strukturreform auf den Weg gebracht werden sollte, also
eine breite parlamentarische Basis für dieses Gesetz be-
stand, waren die Verhandlungen für die Abgeordneten in
den federführenden Ausschüssen und im Plenum des
Deutschen Bundestages, um es höflich zu sagen, brutal.
Es hat, so weit ich zurückblicken kann – und das sind
schon einige Jahre –, keinen Entstehungsprozeß von
maßgebenden Gesetzen gegeben, bei denen nicht den
Abgeordneten in den Ausschüssen und im Plenum des
Bundestages Erhebliches zugemutet wurde. Das war in
diesem Fall zweifellos genauso. Daraus aber zu kon-

struieren, man habe in 16 Jahren Regierung Kohl nur
einwandfreie und seriöse Parlamentsabläufe, die den
Abgeordneten dienlich waren, organisiert, ist geradezu
absurd.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Lohmann, die einzige These, die richtig wäre
und die ich auch unterstreichen könnte, ist die: Egal, wer
regiert, den Abgeordneten wird immer sehr viel zuge-
mutet. Das ist die Wahrheit.


(Heiterkeit bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber wir haben das im Einvernehmen gemacht! Das ist der Unterschied! – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Sehen Sie, das ist der Punkt. Sie haben den Abge-
ordneten im Einvernehmen etwas zugemutet, und jetzt
haben die SPD und Bündnis 90/Die Grünen ohne Ein-
vernehmen mit der CDU/CSU uns allen etwas zuge-
mutet.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: In arroganter Selbstüberschätzung haben sie es alleine gemacht!)


In der Substanz bleibt das gleich: Egal, wer regiert, den
Abgeordneten wird immer brutal viel zugemutet. Das
nun zum Dollpunkt zu erklären, Herr Lohmann, wird
den Tatbeständen, die Sie 16 Jahre mit zu verantworten
haben, nicht gerecht.

[Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gesundheitspolitische Entscheidungen berühren die
Menschen unmittelbar und existentiell. Nicht zuletzt
deshalb rangiert die Gesundheitspolitik im Bewußtsein
der Bürgerinnen und Bürger im Gesamtkomplex der Ge-
sellschaftspolitik stets vornan. Die Sicherung einer lei-
stungsfähigen und bezahlbaren Gesundheitsversorgung
in hoher Qualität gehört daher zu den politischen Auf-
gaben ersten Ranges.

Diese drei Attribute – Leistungsfähigkeit, Bezahlbar-
keit und Qualität – muten manchmal wie die Quadratur
des Kreises an. Daß es gleichwohl möglich ist, dies alles
zu gewährleisten, soll der heute zur Verabschiedung an-
stehende Reformentwurf für die nächsten Jahre bein-
halten.

Die akuten Finanznöte der unterschiedlichsten Ge-
sundheitssysteme in den Industriestaaten sind auch an
Deutschland nicht vorbeigegangen. Allerdings enthält
der heute zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf
– im Unterschied zu allen Gesundheitsgesetzen der
letzten 20 Jahre – keine einzige Zuzahlungserhöhung,
keine einzige Leistungskürzung und auch sonst keine
einzige Belastung für die Versicherten oder die Kran-
ken. Das ist die Wirklichkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist ja gerade die Verunsicherung!)


Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)







(A) (C)



(B) (D)


Unser Ziel ist klar: Es geht nicht zuallererst darum,
mehr Geld ins System zu pumpen, sondern es geht dar-
um, mit dem vorhandenen Geld wirtschaftlicher und ef-
fektiver umzugehen. Es geht nicht darum, Leistungen
des Systems zu streichen oder auszudünnen und in die
private Zusatzfinanzierung zu verlagern, sondern es geht
darum, die Leistungsdichte beizubehalten.

Der Gesetzentwurf stellt unter Beweis: Diese Regie-
rung geht den exakt gegenteiligen Weg der Regierung
Kohl. Eine Privatisierung gesundheitlicher Risiken fin-
det mit uns nicht statt. Wir rationieren nicht, wir ratio-
nalisieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der vorliegende Gesetzentwurf hat ein vielfältiges
Echo gefunden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ja, das ist wahr!)


Auch mit Kritik ist wahrlich nicht gespart worden. Da-
zu ist unter Berücksichtigung aller vorangegangenen
Gesundheitsgesetze zunächst einmal festzuhalten: Das
war immer so, das war nie anders.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Nein, so anders wie diesmal war es nie!)


Kritik geübt hat sogar die Opposition in diesem Haus.
Das ist nicht nur deren Recht, sondern das ist sogar de-
ren parlamentarische Pflicht. Aber die Opposition hat
noch eine andere Pflicht: ihrer Kritik an der Politik der
Regierung die Alternative der Opposition anzufügen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Ja, wo ist sie denn? – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wir haben genug damit zu tun, zu verstehen, was Sie wollen!)


Von einer Alternative der Opposition ist nichts, aber
auch gar nichts zu sehen. Es gibt keinen einzigen noch
so klitzekleinen Alternativantrag der CDU/CSU, weder
im Gesundheitsausschuß noch hier im Plenum.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Es gibt zwei Entschließungsanträge! Das ist auch Opposition!)


Konzeptionell kommt diese Opposition nicht vor.
CDU/CSU und F.D.P. sind gesundheitspolitisch nicht
existent.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur wer zwischen den Zeilen liest, was die heimliche
Alternative der Opposition wäre, der kommt vielleicht
zu einem Ergebnis: Sie will an der Zuzahlungsschraube
drehen und den Leistungskatalog ausdünnen. Kurz ge-
sagt, die Opposition will eine höhere Selbstbeteiligung
der Patienten, und sie will Leistungskürzungen. Aber sie
traut sich nicht, das laut zu sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das sind doch alles falsche Behauptungen!)


Die Menschen in Deutschland sollten deshalb wissen:
Der Begrenzung der Einkommenssteigerungen bei Ärz-
ten und Pharmaindustrie setzen CDU und CSU neue
Selbstbeteiligungen der Patienten gegenüber.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Alles nur sozialistische Behauptungen!)


Dem Abbau von überflüssigen Kapazitäten im Kranken-
haus und bei Arzneimitteln setzen CDU und CSU Lei-
stungskürzungen für Kranke gegenüber.


(Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn?)

Das alles ist nicht verfassungswidrig. Das kann man
politisch wollen. Aber wer das verheimlicht, weil es ihm
unangenehm ist, der führt die Menschen hinters Licht
und täuscht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Sie träumen ja!)


Ich fordere Sie deshalb auf: Hören Sie mit Ihrer
Heimlichtuerei auf! Hören Sie mit Ihrer Täuschung auf!


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Wer täuscht denn hier?)

Sagen Sie endlich offen, was Sie vorhaben, wenn man
Sie denn ließe oder Sie durchsetzen könnten, was Sie
wollen. Sagen Sie, was Sie anders machen würden. Wir
haben das Recht, das von Ihnen zu verlangen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Zentrum der Kritik der Interessengruppen sowie

außerhalb des Parlaments und der Opposition steht die
Absicht der Koalition, die Steigerung der Gesamtaus-
gaben im Gesundheitswesen zukünftig an der Steige-
rung der Gesamteinnahmen zu orientieren. Kurz ge-
sagt, wir wollen, daß zukünftig nicht mehr ausgegeben
wird, als eingenommen wurde. Globalbudget nennen
wir das. Über den Namen kann man streiten, über das
Instrument nicht. Was soll eigentlich unvernünftig dar-
an sein, sich beim Geldausgeben an den Einkünften zu
orientieren?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer diesen Grundsatz nicht beherzigen will, wer in
Kauf nehmen will, daß mehr ausgegeben als eingenom-
men wird, der hat nur zwei Möglichkeiten, auf andere
Weise für ausgeglichene Konten bei den Krankenkassen
zu sorgen:


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie meinen, die Krankheiten richten sich nach den Einnahmen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie verbieten Erkrankungen!)


Möglichkeit eins, Herr Zöller, wäre, den Kranken Lei-
stungen zu streichen, damit sie sie zukünftig selbst be-
zahlen. Möglichkeit zwei, Herr Lohmann, wäre, die
Krankenversicherungsbeiträge zu erhöhen. Etwas ande-
res gibt es nicht.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist Ihre Behauptung!)


Rudolf Dreßler






(B)



(A) (C)



(D)


– Lottospielen, das können Sie tun. Nur, damit retten Sie
die deutsche Krankenversicherung bzw. das deutsche
Gesundheitswesen nicht. – Wir wollen weder das eine
noch das andere.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ich habe Sie soeben zitiert!)


Ebenso wollen wir nicht, daß versteckt der Patient
bzw. der Kranke wiederum derjenige ist, der Defizite zu
begleichen hat. Wir wollen ein vernünftiges Leistungs-
angebot bei stabilen Beitragssätzen. All denjenigen, die
behaupten, mit der als Globalbudget bezeichneten Ober-
grenze würden im Gesundheitswesen die Ausgaben für
Leistungen zusammengestrichen, muß entgegengehalten
werden, daß sie die Unwahrheit behaupten. Wir strei-
chen nicht; wir begrenzen die Zuwächse. Wenn die
Krankenkassen in diesem Jahr – Herr Lohmann, ein
kleiner Ausflug in das kleine Einmaleins; das große will
ich Ihnen heute morgen noch nicht zumuten –


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Warum ist denn ein Aktionsprogramm entwickelt worden?)


260 Milliarden DM für Gesundheit ausgeben werden,
dann dürfen sie im Jahre 2000, also nächstes Jahr, eine
Steigerung der Grundlohnsumme um 2 Prozent voraus-
gesetzt, 265 Milliarden DM ausgeben und im Jahre 2001
unter den gleichen Bedingungen 271 Milliarden DM.
Wo wird da zusammengestrichen? Jahr für Jahr kann
mehr ausgegeben werden, und zwar so viel mehr, wie
auch mehr eingenommen wurde.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich vermute, daß in den Unternehmen, in denen Sie tätig
waren oder sind, das gleiche Prinzip gilt. Denn andern-
falls würde der Amtsrichter kommen. Wir wollen den
Anteil der Gesundheitsausgaben am Volkseinkommen
stabil halten. Das heißt, daß der Grundsatz gilt: Wächst
das Volkseinkommen, kann man auch mehr für Gesund-
heit ausgeben.

Ich gebe ja zu, daß während der Vorgängerregierung
das alles anders gelaufen ist. Da wurden Leistungen ge-
strichen, was bei der gesetzlichen Krankenversicherung
zu Milliardeneinsparungen geführt hat. Das haben Sie
dann gefeiert. Sie feiern dies ja heute noch. Daß gleich-
zeitig die Versicherten die gestrichenen Leistungen
selbst bezahlten oder außerhalb der gesetzlichen Kran-
kenversicherung abdeckten, in der Gesamtrechnung also
nicht gespart wurde, das haben Sie den Menschen ver-
schwiegen. Solche Buchhaltertricks hat sich die jetzige
Koalition nicht einfallen lassen.


(Beifall bei der SPD)

Wir sichern diese Ausgabenobergrenze zusätzlich

strukturell ab: In dem vorliegenden Gesetzentwurf be-
grenzen wir die Zahl der Neuniederlassungen von Ver-
tragsärzten. Wir führen über das Mitbestimmungsrecht
der Kassen bei der Krankenhausbedarfsplanung die Zahl

der Krankenhausbetten zurück, und wir bereinigen über
die Positivliste die Zahl der abrechnungsfähigen Arz-
neimittel. Alles das sind zusätzliche Instrumente, um das
Globalbudget einzuhalten.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Knebelung und Bürokratie!)


Nun höre ich von seiten der Medizingerätehersteller,
von Siemens bis General Electric, und von seiten der
Pharmaindustrie, von Hoechst bis Novartis, heftige
Proteste gegen die von uns vorgesehene Ausgabenober-
grenze. Ich finde das gelinde gesagt eigentümlich. Kann
man einerseits als Elektrokonzern stabile Lohnnebenko-
sten einfordern und andererseits zulassen, daß die eigene
Medizingerätetochter alles dagegen tut, daß dieses Ziel
tatsächlich erreicht wird?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sie kriegen doch Beitragssatzerhöhungen!)


Kann man einerseits als Chemiekonzern stabile Kran-
kenversicherungsbeiträge fordern und andererseits die
eigene Pharmatochter eine Geschäftspolitik betreiben
lassen, die diese Beiträge steigen läßt? Wie sieht es da
mit der Glaubwürdigkeit aus, meine Damen und Herren?


(Beifall bei der SPD)

Es ist richtig, daß der Gesundheitsbereich ein Wachs-

tumsmarkt ist. Wer aber dieses Wachstum reklamiert,
der muß auch ehrlich sein: Wachstum nur auf der Aus-
gabenseite, dem nicht ein entsprechendes Wachstum auf
der Einnahmenseite, sprich der Beitragsseite, gegenü-
bersteht, darf es nicht geben. Das führt im Gesundheits-
wesen wie anderswo auf direktem Wege zum Konkurs-
richter. Wer keine Ausgabenobergrenze für die Kran-
kenversicherung will, der sollte sicherheitshalber den
Begriff „stabile Lohnnebenkosten“ nicht mehr in den
Mund nehmen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein!)


Einige Kritiker halten uns vor, mit ökonomisch ori-
entierten Ausgabefonds sei der medizinische Fortschritt
nicht zu finanzieren. Dem halte ich entgegen, daß nicht
jede fortschrittliche Weiterentwicklung so gewaltig und
finanziell so schwerwiegend ist, als daß sie nicht durch
die Mehreinnahmen im Rahmen des üblichen Wachs-
tums abgedeckt werden könnte.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist Ihre Behauptung!)


Sollte es Entwicklungen geben, Herr Lohmann, wie zum
Beispiel eine bahnbrechende und kostspielige Neuorien-
tierung bei der Krebsbekämpfung, dann muß diese ein-
geführt werden können, und zwar außerhalb des vorge-
sehenen Budgets. Aber das wird die Politik von Fall zu
Fall zu entscheiden haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die Politik?)

Auch der Gesetzentwurf sieht diese Sonderfälle vor. Der
Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion wird
dazu regelmäßig dem Deutschen Bundestag und damit

Rudolf Dreßler






(A) (C)



(B) (D)


der Öffentlichkeit verläßliche Vorschläge unterbreiten.
Auch das ist geklärt.

Meine Damen und Herren von der Opposition ohne
eigenen Lösungsvorschlag, was bleibt jetzt noch an sub-
stantieller Kritik an der Ausgabenbeschränkung?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Jede Menge!)


Nichts, gar nichts bleibt!

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist Ihre Behauptung!)

– Es bleibt nichts, Herr Lohmann. Sonst müßten Sie
einmal substantielle Kritik im Deutschen Bundestag ar-
tikulieren.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie haben uns ja nicht beraten lassen!)


Wenden wir uns einem zweiten Kritikpunkt der Op-
position ohne eigenen Lösungsvorschlag zu. Er richtet
sich gegen die von der Koalition in der Arzneimittelver-
sorgung vorgesehene „Liste verordnungsfähiger Arz-
neimittel“; so heißt es im Gesetzestext, wir nennen das
„Positivliste“. Die Kritik von CDU/CSU und F.D.P. an
der Positivliste ist zunächst einmal schon vom politi-
schen Ansatz her unglaubwürdig.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na, na, na!)

Was führen Sie in diesem Zusammenhang nicht alles
für Vokabeln im Mund? „Fortschrittsfeindlichkeit“,
„Reglementierungswut“ und anderes, was Ihnen dazu
eingefallen ist. Um Ihr Gedächtnis etwas aufzuhellen:
Die Positivliste ist exakt jenes Instrument, das
CDU/CSU, SPD und F.D.P. für so wirksam zur ver-
nünftigen Neuordnung des Arzneimittelmarktes gehalten
haben, daß wir deren Einführung 1992 gemeinsam ins
Gesetzblatt geschrieben haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: War ein Fehler!)

Sie wollten diese Positivliste bis zu jenem Zeitpunkt, als
man Ihnen höheren Ortes verbot, sie länger zu wollen.
Das ist aber auch alles.

Die Koalition will sie heute noch.
Wir wollen ein qualitätsorientiertes Instrument zur Si-
cherung einer ebenso hochwertigen wie preisgünstigen
Arzneimittelversorgung der Versicherten. Wir brauchen
therapeutisch sinnvolle, wirksame und über jeden quali-
tativen Zweifel erhabene Arzneimittel. Was wir in den
Arzneimittelschränken der Krankenversicherten nicht
brauchen, sind therapeutischer Schrott und Mittel von
therapeutischer Zweifelhaftigkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das wollen Sie dann entscheiden?)


Genau jene zweifelhaften Mittel und jenen Schrott wird
die Positivliste aus dem Leistungskatalog der Kranken-
kassen entfernen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Diese Fehlbehauptung ist uralt!)


Im übrigen wollen, Herr Lohmann, die Krankenkassen
und die Vertragsärzte die Liste; die Krankenhäuser ha-
ben bereits eine je nach Haus individuelle Liste. Das
zeigt, daß das Gemosere der Opposition ohne eigenen
Lösungsvorschlag abwegig ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


CDU/CSU und F.D.P. müßten es eigentlich besser
wissen. In einer Antwort auf eine entsprechende Kleine
Anfrage nach Positivlisten in anderen EU-Staaten in der
zweiten Hälfte dieses Jahres – nicht vor 20 Jahren, mei-
ne Damen und Herren –, also vor wenigen Wochen,
wurde Ihnen von der Bundesregierung mitgeteilt, auf
wie viele Präparate die zugelassenen Arzneimittel in den
EU-Staaten begrenzt sind. Ich will das noch einmal fest-
halten: Belgien 4 900, Dänemark 4 000, Frankreich
7 700, Griechenland 5 800, Italien 9 100, Niederlande
9 900, Österreich 10 900, Portugal 4 500, Schweden
3 500 und Spanien 8 000. In der Regel gehen diese Posi-
tivlisten in den EU-Staaten mit einer Staffelung der Er-
stattungsfähigkeit einher. Damit wird in diesen Ländern
ein flächendeckendes therapeutisches Angebot zur Ver-
fügung gestellt.

Die Gegner der Positivliste wollen uns aber einreden,
es müsse alles so bleiben, wie es ist, und es müsse also
weiterhin – je nach Zählweise – zwischen 28 000 und
53 000 Arzneimittel geben, um das gleiche Ziel in
Deutschland zu erreichen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wir sind Forschungsstandort! All diese Länder aber nicht!)


Wer den Menschen das einredet, ist nichts anderes als
ein politischer Scharlatan, dem es nur um Interessen und
nicht um das Wohl der Menschen geht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Vielen Dank!)


Fortschrittsfeindlich und innovationshemmend soll
die Liste sein. Daß ich nicht lache: Das Gegenteil ist
richtig; denn auch für Arzneimittel stehen nur begrenzte
finanzielle Mittel zur Verfügung. Wenn aber innerhalb
des begrenzten finanziellen Arzneimittelrahmens thera-
peutische Zweifelhaftigkeiten mit therapeutisch Hoch-
wertigem um Marktanteile konkurrieren, dann ist das
von Nachteil für Fortschritt und Innovation.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]: Dann lassen Sie doch frei wählen! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach!)


– Das stimmt doch wohl! Es ist von Nachteil in diesem
Wettbewerb.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Eben nicht!)

Nur wo Fortschritt und Innovation vor derart zweifel-
hafter Konkurrenz geschützt sind, lohnen sich neue For-
schung und Innovation. Genau dieses pharma- und
standortpolitische Ziel lohnt sich zusätzlich anzustreben,
um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Genau
das tut diese Koalition. Sie setzt nämlich mit der Posi-
tivliste auf beide Ziele: Die Positivliste schadet nicht

Rudolf Dreßler






(B)



(A) (C)



(D)


dem Pharmastandort Deutschland; sie nützt und fördert
ihn, weil sie auf Innovation setzt, statt Zweifelhaftes zu
begünstigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der dritte Schwerpunkt unserer Reformvorhaben liegt
im Bereich der Krankenhausversorgung. Wir alle wis-
sen: Das ist der politisch schwierigste Teil jeder Ge-
sundheitsreform.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie haben sogar gesagt, der wichtigste!)


Die Koalitionsfraktionen haben – jedenfalls da, wo sie
über politischen Einfluß verfügen – von Anfang an gro-
ßen Wert darauf gelegt, daß der Krankenhausteil des
Gesetzentwurfes besonders intensiv mit den Bundeslän-
dern abgesprochen wird. Bei der ersten Lesung des Ge-
setzes habe ich darauf hingewiesen, daß unsere Reform-
bemühungen im Gesundheitswesen ein Torso blieben,
würde es abermals nicht zu durchgreifenden Verände-
rungen in der Krankenhausversorgung reichen. Das
bleibt aus meiner Sicht unverändert.

Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs steht die Einfüh-
rung einer zukünftig gemeinsam von Krankenkassen
und Bundesländern durchgeführten und verantworteten
Krankenhausbedarfsplanung. Wir wollen, daß in der
Krankenhausversorgung endlich das Platz greift, was in
jedem Wirtschaftsbetrieb existentiell für dessen Lei-
stungsfähigkeit ist. Die Verantwortung für die Investiti-
onsplanung einerseits und die Verantwortung für die fi-
nanziellen Folgen dieser Investitionsplanung anderer-
seits sollen zusammengeführt werden. Das hat mit der
verfassungsgrechtlich garantierten Planungshoheit der
Länder nichts zu tun; sie bleibt selbstverständlich unbe-
rührt. Es darf nicht länger so bleiben, daß die eine Seite
Investitionen planen kann, ohne die finanziellen Lang-
zeitfolgen dieser Planung zu berücksichtigen, weil sie
diese sozusagen an der Garderobe anderer politisch ab-
geben kann. Deshalb gilt: Die Krankenkassen gehören in
die Mitentscheidung für die Krankenhausbedarfspla-
nung.

Es ist kein Zufall, daß die Bettendichte und übrigens
auch die Krankenhausverweildauer in Deutschland be-
deutend höher sind als in allen vergleichbaren europäi-
schen Ländern. Über die Neuordnung der Planungsver-
antwortung wollen wir den Bettenüberhang in Deutsch-
land abbauen helfen. Mit einiger Verwunderung muß ich
dabei zur Kenntnis nehmen, daß die Deutsche Kranken-
hausgesellschaft dadurch die Krankenhausversorgung
gefährdet sieht. Mit Verlaub: Das ist absurd. Die Kran-
kenhausversorgung gefährdet nicht der, der die Zahl der
Krankenhausbetten auf ein normales und vertretbares
Maß zurückführt, sondern der, der an überflüssigen Ka-
pazitäten festhält und so über kurz oder lang den Fi-
nanzinfarkt des Gesamtsystems heraufbeschwört.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn die Deutsche Krankenhausgesellschaft darauf
hinweist, schon in vergangenen Jahren seien fast

100 000 Betten abgebaut worden, dann antworte ich:
Mag sein, aber auch diese 100 000 Betten sind gegen
den Willen der Deutschen Krankenhausgesellschaft ab-
gebaut worden, die damals ebenfalls den Zusammen-
bruch der Krankenhausversorgung prophezeit hat.
Nichts davon ist eingetreten.

Das im Zusammenhang mit dem Bettenabbau geäu-
ßerte Arbeitsplatzargument nehme ich hingegen ernst,
sehr ernst sogar. Dieses Argument gilt übrigens nicht
nur für den Krankenhausbereich, sondern überall da, wo
Kapazitäten abgebaut werden.

Wir beklagen in Deutschland überhöhte Lohnneben-
kosten. Wir wollen das Niveau zunächst stabilisieren
und dann zurückführen. Es entspricht der ökonomischen
Logik, daß überhöhte Lohnnebenkosten zu Arbeitsplatz-
verlusten führen. Überhöhte Kapazitäten, die zu über-
höhten Lohnnebenkosten führen, mögen kurzfristig zur
Aufrechterhaltung von Arbeitsplätzen beitragen, an an-
derer Stelle unserer Volkswirtschaft aber führen sie zu
Arbeitsplatzverlusten. Kurzfristig handelt es sich ar-
beitsplatzpolitisch also um ein Nullsummenspiel; länger-
fristig wird sogar eine Negativbilanz daraus. Längerfri-
stig bezahlen wir gesamtwirtschaftlich durch Arbeits-
platzverluste, heraufbeschworen durch die sinkende
Wettbewerbsfähigkeit. Das Arbeitsplatzargument gegen
dieses Gesetz führt also in die Irre. Wir bleiben bei der
Neuordnung der Planungsverantwortung für die Kran-
kenhäuser.

Die Investitionskosten, die durch die Krankenkassen
zu übernehmen sind, betragen fast 7 Milliarden DM.
Diese Summe – sie entspräche fast einem halben Bei-
tragspunkt – kann nicht auf einem Schlag aufgebracht
werden, zumindest nicht unter Beachtung des Gebots
der Beitragssatzstabilität. Deshalb muß die Überführung
der Finanzlast der Krankenhausinvestitionen auf die
Krankenkassen zeitlich gestreckt werden und schrittwei-
se erfolgen.

Wir wollen letztlich echte Preise im Krankenhausbe-
reich erreichen. Sie werden unabhängig von der Dauer
des Krankenhausaufenthalts nur auf den jeweiligen Fall
und die jeweilige Diagnose bezogen sein. Das schafft
Kostentransparenz und macht unwirtschaftliches Ver-
halten bei den einzelnen Krankenhäusern sichtbar. Ich
bin mir ganz sicher: Die Neuordnung der Krankenhaus-
entgelte, die mancher Wirtschaftsabteilung in den Kran-
kenhäusern als Revolution erscheinen mag, wird weit-
reichende Folgen für das Erreichen von mehr Effizienz
haben, und zwar ohne daß die Qualität der medizini-
schen Versorgung beeinträchtigt wird.

Bleibt abschließend zu fragen: Wie hält es die Oppo-
sition in diesem Hause mit dem Reformteil „Kranken-
haus“ im heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf? Sie
bleibt eine Opposition ohne eigenen Lösungsvorschlag.
Es gibt nicht den Hauch einer eigenen Konzeption. Es
ist schon bemerkenswert: Die zweitgrößte Fraktion im
Parlament legt sich bei einer der wichtigsten gesell-
schaftspolitischen Aufgaben dieser Wahlperiode einfach
auf Grund und spielt U-Boot.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Rudolf Dreßler






(A) (C)



(B) (D)


Vom Kartell der politischen Schweiger konnte man
mehrfach erfahren, man lehne die Gesundheitsstruktur-
reform ab.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die ist doch nicht mehr zu verbessern!)


Meine Güte, habe ich gedacht, wie originell, wie aufre-
gend ist das! – Sie von der CDU/CSU müssen sagen,
was Sie an die Stelle des von Ihnen Abgelehnten setzen
wollen. Sie wollen kein Globalbudget, also keine Aus-
gabenbeschränkung. Was wollen Sie statt dessen? Wol-
len Sie einfach alles laufen lassen, höhere Zuzahlungen
oder Leistungskürzungen?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wir wollen keine Monistik! Wir wollen keine Positivliste!)


Sie wollen keine Positivliste. Das bedeutet: Sie wollen
keine Qualitätsverbesserung, keine Neuordnung auf dem
Arzneimittelmarkt. Was aber wollen Sie statt dessen?
Was setzen Sie an deren Stelle? Sie wollen keine Kran-
kenhausreform, keine monistische Finanzierung, keine
Neuordnung der Krankenhausvergütungen. Was will die
CDU/CSU? Es bleibt uns allen ein Rätsel.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie haben uns doch gar nicht gefragt!)


Sie werden die Stunde der Wahrheit auf sich zukom-
men sehen. Sie werden dem Konzept der Koalition et-
was entgegensetzen müssen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wurden Sie für das Regieren gewählt oder wir?)


U-Boot-Spielen kann man immer nur eine begrenzte
Zeit. Irgendwann – das wissen wir – muß jedes U-Boot
auftauchen. Wir sind gespannt, was für ein Bötchen aus
dem Meer des politischen Schweigens auftauchen wird.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nun geben Sie mal nicht so an!)


– Herr Lohmann, ich will Ihnen an dieser Stelle sagen:
Abgetakelte Fregatten können manchmal zwar noch
schwimmen, aber als Fortbewegungsmittel sind sie un-
geeignet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber alte Scheunen brennen gut!)


Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen
SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die für unser Gesund-
heitswesen Verantwortung Tragenden, können und wer-
den nicht auf die CDU/CSU warten. Wir setzen uns
heute für die notwendigen Strukturveränderungen ein,
damit unser Gesundheitswesen seine Qualität auch
weltweit sichern kann.

Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406601100
Ich erteile nun dem
Kollegen Dieter Thomae, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1406601200
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ihre Philosophie ist,
man könne das Gesundheitswesen über Globalbudgets
organisieren. Auch wir haben 1992 mit Ihnen zusammen
geglaubt, wir könnten es so organisieren. Leider hat sich
in den Folgejahren gezeigt, daß das ein absoluter Fehl-
schlag war; denn es waren bereits 1994 Rationierungs-
tendenzen im Lande zu erkennen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich frage Sie: Wenn wir diese praktischen Erfahrungen
mit Globalbudgets in Deutschland gemacht haben und
noch mehr praktische Erfahrungen dieser Art in England
und Schweden gemacht worden sind, warum gehen Sie
dann diesen Weg? Warum sorgen Sie dafür, daß die Pa-
tienten Probleme bekommen?

Im Vorschaltgesetz haben Sie die Zuzahlungen zwar
abgesenkt; aber Sie haben dabei verschwiegen, daß Sie
gleichzeitig das Budget reduziert haben. Meine Damen
und Herren, was bedeutet das für den Patienten? Er muß
in der Tat weniger zuzahlen, aber der Arzt kann ihm
wegen des Budgets die Arzneimittel und Heilmittel nicht
mehr verschreiben. Das hat zur Folge, daß der Patient
diese Mittel hundertprozentig selbst bezahlen muß. Ist
das Ihre Sozialpolitik?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wie sieht das heute in der Praxis aus? Als Beispiel

nehme ich die Physiotherapie: Patienten brauchen
dringend Behandlungen, der Arzt verschreibt heute je-
doch nur noch zwei Behandlungen, auch wenn der Pati-
ent dringend mehr Behandlungen braucht. Es gibt zwar
keine Zuzahlungserhöhung, aber eine nennenswerte Lei-
stungsreduzierung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Das ist der Betrug am Patienten, der von Ihrer Seite ganz
bewußt betrieben wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, das Problem besteht nicht

nur darin, daß lediglich zwei Behandlungen verschrieben
werden. Weil der Patient weitere Behandlungen dringend
benötigt, wechselt er den Arzt. Er geht zu mehreren Ärz-
ten, und jeder Arzt schreibt ein oder zwei weitere Rezepte
aus. Damit sind Kostensteigerungen vorprogrammiert,
und eine vernünftige therapeutische Behandlung ist bei
diesen Arztwechseln natürlich nicht gegeben.


(Beifall bei der F.D.P. – Walter Hirche [F.D.P.]: Zum Schaden der Patienten!)


Ich nenne Ihnen ein zweites praktisches Beispiel: In
den neuen Bundesländern sind die Budgets auf Grund
des Vorschaltgesetzes schon weitgehend erschöpft. Nun
ist Ihr neues Paket keinen Deut besser, sondern verstärkt
diese Tendenz noch. Gehen Sie einmal zu Rheumapati-
enten gerade in den neuen Bundesländern! Ein Arzt
fragte mich, was er angesichts der Tatsache tun solle,

Rudolf Dreßler






(B)



(A) (C)



(D)


daß sein Budget erschöpft sei. Er erzählte, daß er zu-
meist Arzneimittel verschreibe, die mehr als 100 DM
kosteten, und solche hochinnovativen Arzneimittel ver-
schreiben müsse, da es wenig Zweck habe, auf Generi-
kaprodukte auszuweichen.

Was soll er tun? Er hat drei Möglichkeiten: Er ver-
schreibt wie bisher, dann wird er in Regreß genommen
und muß selber zahlen. Die zweite Möglichkeit: Er re-
duziert seine Verschreibungen und nutzt Generika; aber
dann sind die Therapieerfolge erheblich reduziert. Die
letzte Möglichkeit ist, daß er den Patienten an ein Kran-
kenhaus überweist. Das ist Ihre Gesundheitspolitik, von
der Sie behaupten, es werde nichts reduziert. In der Pra-
xis wird massiv reduziert. Der Patient merkt es manch-
mal heute schon, und er wird es in den nächsten Wochen
noch mehr merken.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Sie müssen doch ehrlich

bekennen, daß Budgets zu Lasten der Patienten und der
Leistungserbringer gehen. Ihr Parteikollege Professor
Hankel hat das im „Handelsblatt“ eindeutig definiert.
Die Patienten erfahren indirekt eine Leistungskürzung.
Auf der anderen Seite werden die Leistungserbringer im
Honorarteil schlechtergestellt. Was bedeutet das? Unser
freiberufliches Gesundheitswesen wird angegriffen. Die
Ärzte werden auf Dauer nicht mehr in der Lage sein, in
ihre Praxen zu investieren, weil ihre Honorare herunter-
gehen. Sie wissen doch, wie es in den neuen Bundeslän-
dern im freiberuflichen ärztlichen Bereich aussieht.
Sprechen Sie mit diesen Ärzten, dann erkennen Sie die
Situation der Freiberufer in den neuen Bundesländern!
Gehen Sie darüber einfach hinweg? Sie sollten Ihre Po-
litik wirklich überdenken!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist Absicht!)

Dann fallen Ihnen noch weitere Schlagworte ein. Man

muß sich ja fragen, wie Sie darauf kommen. Ich nenne
hier das „Globalbudget“. Ja, wie soll das denn mit zehn
sektoralen Budgets organisiert werden? Das kann Ihnen
keiner sagen. Kein Vertreter einer gesetzlichen Kranken-
kasse kann Ihnen sagen, wie dies in der Praxis organisiert
werden soll. Das wird ein Chaos, sage ich Ihnen. Die
Bürger und die Patienten werden es ertragen müssen.

Daneben fallen Stichworte aus der Industrie wie
„Benchmarking“. Man sagt, man solle sich an der Regi-
on orientieren, die die niedrigsten Arzneimittelausgaben
hat. Aber dabei werden beispielsweise überhaupt nicht
die Pro-Kopf-Ausgaben in der Region, die Befreiungs-
quoten, die Härtefallregelung, die Fälle der chronisch
Kranken und auch nicht die Morbiditätsentwicklung in
der betreffenden Region berücksichtigt. Ich verweise
jetzt noch einmal auf die neuen Bundesländer. Da ist die
Situation völlig anders. Sie wollen eine Politik für die
neuen Bundesländer machen? Ich sage Ihnen: Sie ma-
chen genau das Gegenteil, und darum sind die Wahler-
gebnisse so, wie sie sind; verdammt noch mal!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Zurufe von der SPD: Für die F.D.P.!)


– Ich würde nicht so spucken.

(Dr. Martin Pfaff [SPD]: Nein, für die F.D.P.!)


Ihre Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern kön-
nen sich auch nicht sehen lassen.


(Dr. Martin Pfaff [SPD]: Die für die F.D.P. können sich auch nicht sehen lassen!)


Zweites Stichwort: Positivliste. Herr Dreßler bejubelt
die Positivliste, und dabei weiß er, daß er nur die Hälfte
der Wahrheit gesagt hat.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Nicht einmal die Hälfte! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Keine Schmeicheleien, Herr Thomae! Das war zuviel!)


Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland 42 000
Arzneimittel. Wir haben auch eine besondere Zählweise.
Denn jede Darreichungsform wird extra gerechnet.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das weiß er genau!)


Es gibt fünf Darreichungsformen. Wenn wir die von mir
genannte Zahl durch fünf dividieren, dann kommt man
zu dem Ergebnis, daß wir im europäischen Durchschnitt
liegen. Das muß man wissen. Was Sie behaupten, ist
völlig falsch.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Das weiß er!)


Jetzt, Herr Dreßler, zu Ihrer großen Innovation Posi-
tivliste. Sie glauben doch wohl nicht, daß Unternehmen in
der Bundesrepublik Deutschland zunächst forschen, dafür
den Antrag beim zuständigen Institut für Arzneimittel und
Medizinprodukte stellen und dann einen zweiten Antrag
bei dem neu zu gründenden Institut stellen werden. Glau-
ben Sie, das wäre ein sinnvoller Weg?


(Zuruf von der SPD: Ja!)

Ferner behindert die Positivliste die Therapiefreiheit und
die Erfüllung von Patientenwünschen. Sie haben es doch
eingesehen. Warum hätten Sie denn sonst einen Anhang
zugestanden? Sie vernichten mit diesem Vorhaben die
gesamte Therapie im Bereich der Naturheilmittel, und
dies wollen wir nicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie, Frau Ministerin, bejubeln die integrierte Ver-

sorgung. Über integrierte Versorgung kann man wirk-
lich reden. Aber man kann es nicht so machen wie Sie,
nämlich sofort als Pflicht. Sie bringen ein ganz neues
Modell auf den Weg. Sie behaupten, daß die integrierte
Versorgung in der Stadt und auf dem Land gleich zu or-
ganisieren ist. Eine solche Verantwortung, wie Sie sie
jetzt im Gesetz pauschal formulieren, kann man nicht
übernehmen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies kann man nur machen, wenn es vorher entspre-
chende Modellversuche gegeben hat. Wir haben in der
Vergangenheit ausgesprochen interessante und gute

Dr. Dieter Thomae






(A) (C)



(B) (D)


Konzepte im Rahmen von Modellversuchen auf den
Weg gebracht. Ich will Ihnen das einmal an einem Bei-
spiel aufzeigen. Das soll Ihnen klar machen, daß Sie so
etwas nicht mit Budgetierung und pauschal machen
können. Vielmehr müssen Sie es mit intelligenten Lö-
sungen vor Ort organisieren. Ich nenne einmal die Dia-
betiker-Betreuung. Wir haben in meiner Region ein Mo-
dell auf den Weg gebracht: Niedergelassene Ärzte sollen
Zuckerkranke betreuen. Wenn dies nicht mehr möglich
ist, sollen sie in eine spezielle Rehabilitationsklinik und
nicht in das Krankenhaus. Es ist nämlich medizinisch
günstiger, das so zu organisieren. Die betreffende Kran-
kenkasse hat bundesweit 840 Millionen DM durch ver-
nünftige organisatorische und medizinische Maßnahmen
eingespart.


(Zuruf von der SPD: Durch Zuzahlungen!)

Wenn Sie glauben, Sie könnten so etwas bundesweit
zentral organisieren, dann sage ich Ihnen: Das geht
daneben.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist der Glaube an den Plan!)


Nur durch intelligente Lösungen können Sie das machen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU)

Als weiteren Punkt nenne ich die Krankenhausfi-

nanzierung. Auch wir sind für die monistische Finan-
zierung; auch wir sind dafür, daß die laufenden Be-
triebskosten und die Investitionskosten monistisch fi-
nanziert werden. Aber sich das Leben so einfach machen
zu wollen, wie Sie es vorhaben, geht nicht: Glauben Sie
nicht, Sie bekämen die Zustimmung der Bundesländer
dafür, im Krankenhausbereich über Einsparungen 7 bis
9 Milliarden DM herauszupressen, um diese Investitio-
nen zu tätigen! Das ist der völlig falsche Weg


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

und zerstört die guten Ansätze der Neuorganisation der
Krankenhauslandschaft, die wir in den letzten Jahren
durchgesetzt haben. Man muß hier ehrlich sagen, Herr
Dreßler: Wir haben im Krankenhausbereich in den letz-
ten Jahren sehr viel verändert. Die Zuwachsraten im
Krankenhausbereich sind in den letzten Jahren gleich
Null gewesen. Das war schon ein großer Erfolg.

Ich will nicht auf den europäischen Kontext eingehen
– ein großes Thema, das die Bundesregierung völlig aus
dem Blick läßt. Europa wächst immer enger zusammen,
und sicherlich werden auch die Gesundheitsleistungen in
Zukunft stärker grenzüberschreitend in Anspruch ge-
nommen.

Wir stellen heute einen Entschließungsantrag zur
Abstimmung. Die Positionen der F.D.P. sind genau for-
muliert und eindeutig festgelegt. Die wichtigsten möchte
ich hier nennen: Die Finanzierung ist so zu gestalten,
daß keine negativen Auswirkungen auf die Beschäfti-
gungslage ausgehen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Das Wie ist entscheidend!)


– Moment, ich sage es Ihnen. – Wie kann man das ma-
chen? Wir sind der Auffassung, daß der heutige Lei-
stungskatalog, verglichen mit anderen Staaten dieser
Welt, sehr umfangreich ist. Das ist sicherlich mehr als
eine Grundversorgung. Wir möchten jetzt den Arbeitge-
berbeitrag festschreiben.


(Zurufe von der SPD: Aha!)

Wenn der Leistungskatalog erweitert wird – was nicht
sein muß –, soll der Arbeitnehmer die entstehenden
Beitragserhöhungen tragen.


(Lachen und Zurufe von der SPD)

– Hören Sie genau zu! – Das geht nur im Zusam-
menhang mit einer Steuerreform, die den Bürgern mehr
Geld in der Tasche beläßt, damit sie sich das leisten
können.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


– Daß eine Steuerreform Auswirkungen auch auf diesen
Bereich haben kann, ist Ihnen wohl fremd. –


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir werden also auch die Thematik Leistungskatalog
besprechen müssen.

Ein weiterer Punkt wird in Ihrem System überhaupt
nicht organisiert. Wir denken, daß dann, wenn Anreize
sowohl für die Patienten als auch für die Leistungs-
erbringer geschaffen werden, mehr Wettbewerb in das
System hineinkommt. Beitragsrückgewähr, Bonusrege-
lungen, Selbstbehalt, Wahlmöglichkeiten – all dies sind
für uns wichtige Überlegungen.


(Rudolf Dreßler [SPD]: Alles PKV-Elemente!)

– Das schadet gar nichts.

Wir wollen auch weg vom Sachleistungssystem. Die-
ses alte Prinzip wird in der Bundesrepublik nicht zu
halten sein. Die europäische Ebene wird auf das Sachlei-
stungssystem einen solchen Druck ausüben, daß Sie sich
schon heute Gedanken machen sollten, wie man unser
Gesundheitswesen über die Kostenerstattung organisie-
ren kann.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie Versicherten und Leistungserbringern mehr
Freiheit geben würden, dann würden Sie manche plan-
wirtschaftlichen Elemente, die Budgetierung, manch fal-
sche Organisation – Detlef Parr wird noch auf den Me-
dizinischen Dienst zu sprechen kommen – und manche
Superbehörde nicht benötigen.

Ich sage sehr deutlich: Die sozial Schwachen müssen
über eine vernünftige Härtefallregelung und über eine
Überforderungsregelung geschützt werden. Eine solch
gute Härtefallregelung und Überforderungsregelung, wie
wir sie gemeinsam mit der CDU/CSU in der letzten
Wahlperiode verabschiedet haben, können Sie lange su-
chen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Dieter Thomae






(B)



(A) (C)



(D)


Wenn bei der Budgetierung das Budget erschöpft ist,
dann bekommt der sozial Schwache nichts mehr, dann
muß er alles selbst bezahlen. Das aber kann er nicht. Das
ist der Betrug am Bürger, am Patienten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406601300
Das Wort hat nun
Kollegin Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1406601400
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit zwei
Vorbemerkungen beginnen. Werte Frau Ministerin Fi-
scher, es ist richtig, daß die Polemik zu dieser Gesund-
heitsreform in der letzten Zeit wirklich unerträglich war.
Aber Sie vergessen, daß durch die Art und Weise Ihres
Vorgehens, nämlich daß diese Gesundheitsreform nicht
von einem ordentlichen Verfahren begleitet wurde, Ihr
Eigenanteil an dieser Entwicklung nicht ganz unwesent-
lich ist.


(Beifall bei der PDS)

Aus meiner Sicht war es ein Chaos, und da interessiert
es mich überhaupt nicht, ob in der Zeit vorher, als ich
noch nicht dabei war, das genauso gelaufen ist. Ich habe
es als schlimm empfunden. Was ich ganz schlimm finde,
ist: Das Öffentlichkeitsimage dieser Reform, die gute
Ansätze hat, wurde im Prinzip beschädigt, und die Pati-
enten wurden verunsichert.

Lieber Herr Dreßler – ich weiß gar nicht, ob ich „Lie-
ber“ sagen darf –,


(Rudolf Dreßler [SPD]: Ich bitte darum!)

daß für Sie die Opposition nur aus der CDU/CSU be-
steht, kann ich nachvollziehen, denn mit ihr müssen Sie
sich im Bundesrat auseinandersetzen. Aber ob es Ihnen
paßt oder nicht: Es liegen außerdem Entschließungsan-
träge von der F.D.P. und von uns vor. Bei der F.D.P.
passen mir die Inhalte nicht, und unsere Anträge mögen
Ihnen nicht passen.


(Rudolf Dreßler [SPD]: Ich habe Sie auch nicht gemeint! Ich habe die gemeint!)


– Eben. Sie haben „die Opposition“ gesagt, aber damit
immer nur die CDU/CSU gemeint. Ich finde, das ist
nicht gerecht.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406601500
Kollegin Fuchs, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßler?


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1406601600
Ja, wenn es nicht von der
Zeit abgeht.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406601700
Das wissen Sie doch.


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1406601800
Frau Kollegin Fuchs, ich le-
ge wegen des parlamentarischen Ablaufs auf folgendes
sehr großen Wert: Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu

nehmen, daß ich immer von der „Opposition ohne eige-
nen Lösungsvorschlag“ gesprochen habe?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Ich nehme an, daß Sie sich deshalb auch nicht angespro-
chen fühlen dürfen.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1406601900
Herr Dreßler, ich heiße
Fuchs, aber Sie sind ein Fuchs!


(Heiterkeit bei der PDS, der SPD und der CDU/CSU)


Ich akzeptiere das.
Nun zum Thema. Was das Reformvorhaben selbst

betrifft, so unterstützen wir ausdrücklich, daß dabei an
einer solidarischen Absicherung des Krankheitsrisi-
kos festgehalten werden soll. Damit besteht die Aus-
sicht, daß die entscheidenden Grundlagen der gesetzli-
chen Krankenversicherung und ihre Fähigkeit zum Soli-
darausgleich erhalten bleiben.

Natürlich begrüßen wir die Absicht der Koalition, den
Weg der Zuzahlungserhöhungen nicht weiter zu be-
schreiten, obwohl ich ehrlich sagen muß: Ich hatte er-
wartet, daß Sie Ihr Wahlversprechen einlösen und hier
mehr zurücknehmen.

Das mit dem Gesetz verfolgte Ziel, bestehende Un-
wirtschaftlichkeiten durch Strukturreformen zu beseiti-
gen, wird von uns grundsätzlich befürwortet. Es kann
kein ernsthafter Streitpunkt sein, daß es im Gesund-
heitswesen gravierende Strukturfehler gibt. Man denke
nur an die vielfältige Aufteilung der medizinischen Ver-
sorgung in voneinander getrennte Einzelbereiche oder
an die schwache Stellung der Hausärzte.

Bekannt ist auch, daß falsche Stimuli, noch dazu vor
dem Hintergrund einer fast unkontrollierten Machtstel-
lung und einer kaum gebremsten Profitorientierung der
Medizinindustrie, das ärztliche Handeln teilweise in eine
medizinisch nicht begründete Mengen- und Ausgaben-
dynamik treiben. Deshalb sind echte Strukturreformen
im Gesundheitswesen dringend erforderlich.

Aber lassen Sie mich auch folgendes sagen: Ent-
scheidend ist die richtige Ausgestaltung solcher Ab-
sichten im Sinne überzeugender Lösungen, und zwar
solcher Lösungen, die sich in der Praxis auch als funk-
tionstüchtig erweisen. In dieser Hinsicht lassen die im
Gesetz enthaltenen Vorstellungen nach wie vor viele
Fragen offen. Natürlich ist zum Beispiel eine Positiv-
liste wirksamer und unverzichtbarer Arzneimittel ein
sinnvolles Einzelelement, vor allem wenn man zu einer
qualitativ besseren und rationelleren Arzneimittelver-
sorgung kommen will.

Aber davon allein sind die notwendigen Veränderun-
gen kaum zu erwarten. Eine rationelle Arzneimittelver-
sorgung verlangt auch die Zurückdrängung der gegen-
wärtigen Abhängigkeit des Verordnungsverhaltens der
Ärztinnen und Ärzte von den Herstellern. Es verlangt
außerdem die Gewährleistung einer gezielten und vor
allem industrieunabhängigen fachlichen Information und

Dr. Dieter Thomae






(A) (C)



(B) (D)


Fortbildung der Leistungserbringer und letztendlich den
Vorrang definierter Versorgungsaufgaben vor den Pro-
fitinteressen der Pharmaindustrie.


(Beifall bei der PDS)

Doch der entscheidende Fehler dieser Gesundheitsre-

form besteht nach unserer Auffassung darin, daß die
elementare Tatsache ignoriert wird, daß auch in der ge-
setzlichen Krankenversicherung die allein lohnbezoge-
ne Beitragsfinanzierung an ihre Grenzen gestoßen ist.
Damit wird das wichtigste Problem des Gesundheitswe-
sens in der vorgelegten Reform völlig ausgeblendet.

Aber Tatsachen halten sich hartnäckig: Das Gesund-
heitswesen hat nicht nur ein Ausgabenproblem, sondern
auch ein zunehmendes Einnahmenproblem. Die Finan-
zierungsschwierigkeiten in der gesetzlichen Kranken-
versicherung sind keineswegs in einer vermeintlichen
Kostenexplosion begründet. Sie gehen in erster Linie auf
die relativ zurückbleibenden Einnahmen in Folge der ein-
schneidenden Veränderungen im Erwerbsleben zurück.
Die bekannten Verschiebebahnhöfe zugunsten des Bun-
deshaushaltes haben diese Situation zusätzlich verschärft.

Andererseits darf man die Augen nicht davor ver-
schließen, daß die demographische Entwicklung und
der medizinische Fortschritt den Bedarf nach gesund-
heitlicher Versorgung objektiv weiter erhöhen. Damit
bleibt unabweisbar, daß sowohl die Zahl der Beschäf-
tigten im Gesundheitswesen als auch die finanziellen
Aufwendungen für diesen Bereich weiter zunehmen
müssen. Reformansätze in der GKV und im Gesund-
heitswesen, die sich dieser Ausgangssituation nicht
stellen, laufen Gefahr, in der Praxis zu scheitern.

Will man dem begegnen, sind sowohl Strukturrefor-
men als auch eine systematische Konsolidierung der Fi-
nanzgrundlagen unabdingbar. Allerdings sind wir – im
Gegensatz zu bekannten gesundheitspolitischen Grund-
philosophien von CDU/CSU und F.D.P. – nicht der
Meinung, man solle die Einnahmenprobleme durch
ständig steigende Belastungen der Patientinnen und Pa-
tienten lösen.


(Beifall bei der PDS)

Im Gegenteil: Wir halten eine Stärkung und Erneue-

rung des Solidargedankens für notwendig und möglich,
die auch unter den veränderten wirtschaftlichen Rah-
menbedingungen den Grundsätzen solidarischer Ge-
rechtigkeit klar verpflichtet bleiben.


(Beifall bei der PDS)

Dabei ist es erforderlich, dem Gesundheitswesen

Entwicklungsspielräume im Rahmen der Steigerung des
Bruttoinlandprodukts zu ermöglichen. Beitragssatzsta-
bilität ist auch unter solchen Bedingungen zu gewähr-
leisten. Notwendig ist nur der politische Wille – und der
scheint zu fehlen –, die Möglichkeiten des bestehenden
lohnbezogenen Finanzierungssystems voll auszuschöp-
fen. So ist es beispielsweise immer weniger vertretbar,
daß sich ausgerechnet der besserverdienende Teil der
Bevölkerung aus der solidarischen Übernahme von Ge-
meinschaftslasten verabschieden kann.


(Beifall bei der PDS)


Wir halten es nach wie vor für richtig – was übrigens
vor der Bundestagswahl auch von SPD und Grünen
noch zu hören war –, die Versicherungspflichtgrenze
in der gesetzlichen Krankenversicherung auf das Niveau
der Rentenversicherung zu heben. Auch die Auffassung,
weitere Bevölkerungsschichten auf der Grundlage einer
allgemeinen Versicherungspflicht in die gesetzliche
Krankenversicherung einzubeziehen, finden wir richtig.

Nach unserer Überzeugung gilt für das Gesundheits-
wesen und die gesetzliche Krankenversicherung ebenso
wie für die anderen Sozialversicherungssysteme: Wer
ihren solidarischen Charakter bewahren will, muß auch
die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen.


(Beifall bei der PDS)

Darüber hinaus muß man in diesem Zusammenhang

eine gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reich-
tums einfordern. Mittel- und längerfristig halten wir es
für notwendig, daß auf der Grundlage einer anderen
Steuer- und Finanzpolitik Bund, Länder und Gemeinden
in die Lage versetzt werden, gesundheitliche Leistungen
stärker als bisher aus Steuermitteln mitzufinanzieren.
Darüber hinaus sollte bedacht werden, künftig den Ar-
beitgeberanteil der Unternehmen nach ihrer Leistungs-
fähigkeit zu berechnen, das heißt, nach ihrer Brutto-
wertschöpfung, die – im Unterschied zu den entspre-
chenden Lohnkosten – regelmäßig durchschnittlich
steigt. Genau dies würde mehr Verteilungsgerechtigkeit
bedeuten.


(Beifall bei der PDS)

Die Tatsache, daß die Regierung eine Erweiterung

der Finanzierungsbasis der GKV ausschließt – daran
kann auch die kleine Veränderung, die Sie dort inzwi-
schen bezüglich der Einnahmen von geringfügig Be-
schäftigten vorgenommen haben, nichts ändern –, wird
schwerwiegende Folgen haben. In der zentralen Frage
der Reform zwingt dies zum Abschied von der Realität.
Denn nichts anderes ist es, wenn die Regierungskoaliti-
on an die Strukturveränderungen die Erwartung knüpft,
sofort mit geringstmöglichen Finanzzuwächsen auszu-
kommen, oder glaubt, Mittel direkt freisetzen zu kön-
nen.

Aber weder durch die Stärkung der Hausärzte noch
durch Formen der integrierten Versorgung, noch durch
die Positivliste können kurzfristig entsprechende Einspa-
rungen erwartet werden; denn bei solchen Strukturver-
änderungen handelt es sich um tief in bestehende Denk-
und Handlungsmuster eingreifende soziale Lernprozes-
se. Das benötigt Zeit und muß von den Betroffenen mit-
getragen und vor allen Dingen auch mitgestaltet werden.
Hinzu kommt, daß das Gesundheitswesen nicht nur
Überkapazitäten und Wirtschaftlichkeitsreserven besitzt.
Es hat auch große Felder mit Unterversorgung und
Nachholbedarf.

Erfreulicherweise hat das inzwischen auch die Regie-
rung zur Kenntnis genommen. Dennoch zieht sie es vor,
nur das Ausgabenproblem des Gesundheitswesens
wahrzunehmen und ab sofort ein hart begrenztes Glo-
balbudget zu verordnen. Damit dient das richtige Ziel,
Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen, nicht primär
der Verbesserung in der medizinischen Versorgung. Es

Dr. Ruth Fuchs






(B)



(A) (C)



(D)


muß letztendlich als Begründung für eine rigorose Spar-
politik herhalten. Eine Gesundheitspolitik, die den
Wachstumsbereich Gesundheitswesen von der Ent-
wicklung der wirtschaftlichen Leistungskraft abkoppelt,
kann nur als Teil eines neoliberalen Gesamtkonzeptes
verstanden werden.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Darüber hinaus wird deutlich, daß diese Reform pri-

mär von wirtschaftspolitisch determinierten Vorgaben
und nicht von den eigentlichen gesundheitspolitischen
Notwendigkeiten geprägt ist. Ein solcher Sparkurs kann
nicht ohne Auswirkungen auf die Patientenversorgung
bleiben. Auch wenn man annimmt, daß von einer Stär-
kung der hausärztlichen Tätigkeit oder von Formen der
integrierten Versorgung günstige Wirkungen ausgehen
können, bleibt die Gefahr für die medizinische Arbeit
vorherrschend.

Ihnen allen ist bekannt, daß ein bloßer Einspardruck
nicht nur fragwürdige, sondern in gleichem Maße auch
medizinisch notwendige Leistungen verhindert. Hinzu
kommt: Die Verlierer solcher Art von Reformen sind die
sozial Schwächeren und insgesamt all jene, die sich am
wenigsten wehren können. Soziale Gerechtigkeit und
Chancengleichheit in der gesundheitlichen Versorgung
werden auch auf solche Weise in Frage gestellt.


(Beifall bei der PDS)

Es kann deshalb kaum verwundern, wenn ein so we-

nig durchdachtes Herangehen an Reformen von den
Ärztinnen und Ärzten und den anderen im Gesundheits-
wesen Beschäftigten als Druck in Richtung Qualitäts-
minderung und Rationierung empfunden wird. Darüber
hinaus weiß man, daß Anbieter medizinischer Leistun-
gen, die bei prospektiven Preissystemen im wirtschaftli-
chen Wettbewerb stehen, tendenziell zu Unterversor-
gung stimuliert werden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Gysi hört wieder gar nicht zu!)


Unter anderem deshalb halten wir es für eine grund-
sätzlich falsche Weichenstellung, daß die Bundesregie-
rung gewillt ist, ökonomischen Wettbewerb jetzt auch
auf Krankenhäuser und andere Leistungserbringer im
Gesundheitswesen auszudehnen.


(Beifall bei der PDS)

Ob man es wahrhaben will oder nicht: Marktprinzipien
und wirtschaftlicher Wettbewerb haben in der ge-
sundheitlichen Versorgung höchst verhängnisvolle Wir-
kungen. Sie machen chronisch Kranke und damit auf-
wendige Patienten zu unerwünschten Risiken, und sie
diskriminieren die sozial Schwächsten.

Im übrigen sind die negativen Folgen der Sparpolitik
der Regierung schon im laufenden Jahr sichtbar gewor-
den. Vor allem in Ostdeutschland ist es als Folge von
grundlohnorientierten Budgetierungen bereits zu massi-
ven Androhungen von Personalabbau, zu Abstrichen bei
der medizinischen Leistungsfähigkeit sowie zu ver-
schlechterten Arbeitsbedingungen gekommen. Es ist äu-
ßerst dringlich, die besonderen Finanzierungsprobleme

in Ostdeutschland aufzugreifen und den Transfer zwi-
schen West und Ost neu zu regeln.

Deshalb wird es von uns außerordentlich begrüßt, daß
sich die Regierung jetzt zu konkreten Maßnahmen ent-
schlossen hat, um die Finanzsituation verschuldeter Kas-
sen in den neuen Bundesländern substantiell zu verbes-
sern. Die vorgesehene Kombination von Soforthilfen für
eine weitgehende Entschuldung mit einem stufenweisen
Übergang zum gesamtdeutschen Risikostrukturaus-
gleich bietet eine tragfähige Lösung. Allerdings hätte
die erforderliche Hilfe für unverschuldet in Not geratene
ostdeutsche Krankenkassen schon früher eine eigene ge-
setzliche Regelung gerechtfertigt.


(Dr. Martin Pfaff [SPD]: Schon bei der vorigen Regierung!)


– Ja, Herr Professor Pfaff, keine Frage: schon bei der
vorigen Regierung. Die entsprechenden Herrschaften
müssen sich das an den eigenen Hut stecken. Der größte
Fehler war, daß man diese Kreditaufnahme überhaupt
garantiert hat.

Ich sage trotzdem: besser später als gar nicht. Ich
vermute und befürchte, daß Sie durch die Verknüpfung
dieses Problems mit der Gesundheitsstrukturreform ver-
suchen – in Ihren Reden tun Sie es laufend –, die CDU-
regierten Länder ins Boot zu bekommen. Ich sage Ihnen
im Interesse des eigentlich parteiübergreifend zu klären-
den Problems ganz ehrlich und offen: Ich befürchte, daß
das der Sache leider nicht dienen wird und daß es weit-
aus später zu einer Lösung kommen wird.


(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])


– Das ist nicht zum Klatschen, lieber Herr Kollege Zöl-
ler. Das ist traurig!

Dieses Problem muß unbedingt gelöst werden. Ich
glaube zwar nicht an Wunder, aber wir wollen einmal
sehen, Frau Ministerin, was Ihr Treffen bringen wird
und was es bringen wird, wenn Sie versuchen, Ihren
Charme auszuspielen und die Herrschaften noch umzu-
stimmen.

Abschließend möchte ich aus unserer Sicht sagen:
Die gegenwärtige Gesundheitsreform unterscheidet sich
im Hinblick auf den Erhalt des Solidarsystems durchaus
positiv von den Reformansätzen der Vorgängerregie-
rung, aber insgesamt stellt auch sie keine adäquate Ant-
wort auf die entscheidenden gesundheitspolitischen Her-
ausforderungen dar.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406602000
Bevor ich der näch-
sten Rednerin das Wort erteile, möchte ich Ihnen mit-
teilen, daß die Fraktion der PDS um eine Sitzungsunter-
brechung von 30 Minuten nach der Aussprache und vor
der Abstimmung gebeten hat.

Nun erteile ich der Kollegin Gudrun Schaich-Walch,
SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. Ruth Fuchs






(A) (C)



(B) (D)



Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1406602100
Herr Präsident!
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben von Herrn Tho-
mae erfahren, welche Freiheiten er sich für die Versi-
cherten vorstellt,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

nämlich daß sie die Zeche zu bezahlen haben, weil Sie
nicht den Willen und die Kraft haben, im System das zu
verändern, was notwendig ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie haben nicht zugehört!)


Sie wollen die Beitragssätze der Arbeitgeber fest-
schreiben, obwohl Sie die Kosten explodieren lassen
wollen. Zu zahlen hat der Versicherte, indem er zum
einen die Beitragssätze bezahlen muß. Zum anderen
rufen Sie ihn mit Ihrer sogenannten Selbstbeteiligung
oder unter dem Stichwort Eigenverantwortung dazu auf,
den Rest über den Bereich zu tragen, den man Zuzah-
lung nennt. Das heißt, Sie greifen den Leuten letztend-
lich zweimal in die Tasche.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Vergessen Sie nicht die Härtefallregelung! Sie betrügen doch die Patienten! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie geben Ihnen überhaupt keine Leistung mehr!)


Sie, Herr Thomae, haben allerdings – das muß man
sagen – einen Sachverhalt ordentlich beschrieben, näm-
lich die Tatsache, daß unser System in den letzten 20
Jahren von Debatten über Kostenexplosion, Kosten-
dämpfung und Kostensenkung geprägt war und daß wir
einen Verteilungskampf unter den Leistungserbringern
in diesem Gesundheitssystem haben, der letztendlich
immer auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten
ausgetragen wird. Das erleben wir in der Praxis derzeit
wiederum.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aufgrund Ihres Solidartitätsstärkungsgesetzes!)


Insoweit haben Sie die Situation trefflich beschrieben.
Aber was passiert jedesmal, wenn die Politik sagt:

Wir wollen Hand an die finanziellen Besitzstände der
Leistungserbringer legen, wir wollen sehen, daß die
Mittel ordentlich eingesetzt werden? – Dann werden die
Patientinnen und Patienten gegen die Politik in Stellung
gebracht. Das ist zwar in bezug auf die Besitzstände de-
rer, die dort arbeiten, verständlich, aber meiner Meinung
nach absolut schädlich für das Allgemeinwohl.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei all diesen Auseinandersetzungen, die wir in den
letzten Jahren und auch in diesem Jahr erlebt haben,
bleibt meiner Meinung nach eine ganz zentrale Frage
des Gesundheitswesens auf der Strecke, nämlich die
nach seiner Wirksamkeit, seiner Qualität und nach der
Notwendigkeit der erbrachten Leistungen. Wir wissen

zwar, was unser Gesundheitssystem kostet, wir wissen
aber letztendlich nicht, was es leistet.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Doch!)

Es wird allerhöchste Zeit, daß wir diese Frage stellen,
und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Finan-
zierbarkeit, sondern insbesondere auch unter dem Ge-
sichtspunkt der Qualität.

Wir wissen inzwischen von unserem Gesundheitssy-
stem, daß das Problem massiver Über-, Unter- und
Fehlversorgung besteht. Das wollen Sie unter dem
Oberbegriff der Therapiefreiheit festschreiben. Ich
möchte Ihnen an einigen Beispielen deutlich machen,
um welche Brisanz es sich dabei handelt.

Untersuchungen im Bereich der Fehlversorgung ha-
ben ergeben, daß jede fünfte Behandlung, die im Kran-
kenhaus durchgeführt wird, ebensogut – bei gleicher
Qualität – auch ambulant durchzuführen wäre. Ich frage
Sie: Wer geht schon gerne ins Krankenhaus?

Dies ist allerdings noch die harmlose Form. Katastro-
phal wird es, wenn in einem noch von Minister Seehofer
in Auftrag gegebenen Bericht festgestellt werden muß,
daß 25 Prozent aller Eileiterentfernungen und 50 Prozent
aller Gebärmutteroperationen unnötig waren. Damit
müssen wir uns auseinandersetzen. Angesichts dieser
Zahlen müssen doch auch Sie zu der Erkenntnis gelan-
gen: Den Schaden hat der Patient; den Nutzen hatte al-
lein derjenige, der die Leistung erbracht hat. Dies müs-
sen wir beenden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch die Überversorgung ist ein Problem. In der
Bundesrepublik werden jährlich 5,5 Milliarden DM für
Ultraschalluntersuchungen ausgegeben. Aber in Ge-
samteuropa werden lediglich 4,5 Milliarden ausgegeben!


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist eine Entwicklung der Diagnostik!)


Man könnte sagen: Vielleicht ist unsere Bevölkerung
deshalb total gesund. Aber das Gegenteil ist der Fall:
Wir geben in Europa das meiste Geld für die medizini-
sche Versorgung aus. Trotzdem sind wir hinsichtlich der
Qualität der Versorgung nicht die Nummer eins.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na, na! Wollen Sie uns mit England vergleichen?)


Ich möchte Ihnen auch Stück für Stück die Bereiche
auflisten, in denen Unterversorgung herrscht. Es gibt
im Bereich der chronischen Erkrankungen Unterversor-
gungen. Diese führen oftmals nicht nur zu einer Verlän-
gerung des Leidens, sondern auch zu gravierenden ge-
sundheitlichen Schäden, wie zum Beispiel zu Amputa-
tionen, die bei schlecht versorgten Diabetikern durch ge-
führt werden müssen, die aber letztlich durch eine qua-
litativ gute Versorgung hätten vermieden werden kön-
nen.






(B)



(A) (C)



(D)


Wir müssen uns noch mit einem weiteren Bereich des
Gesundheitswesens beschäftigen; denn wir müssen auch
zur Kenntnis nehmen, daß schlecht versorgte Kranke
weitere Kosten produzieren und daß schlecht versorgte
Patienten vermeidbare Einbußen ihrer Lebensqualität in
unserem Land hinnehmen müssen. Sie persönlich müs-
sen den Preis dafür bezahlen, daß sie nicht so wirksam
behandelt werden, wie es möglich wäre. Diesem wollen
wir endlich und endgültig mit dem Gesetz einen Riegel
vorschieben.

Wir werden Maßnahmen ergreifen, auf deren Grund-
lage die Akteure des Gesundheitswesens gemeinsam
vereinbaren können, nach welchen Qualitätskriterien
und nach welchen Standards in der Bundesrepublik be-
handelt werden soll. Es ist selbstverständlich, daß dazu
eine gewisse Bandbreite notwendig ist. Aber es kann
nicht sein, daß das, was qualitativ gut gemacht werden
könnte, den Menschen letztendlich vorenthalten wird.
Auf diese Weise kann auch nicht das geleistet werden,
was notwendigerweise in unserem Gesundheitssystem
geleistet werden muß. Wir müssen endlich dafür sorgen,
daß das Geld dorthin gelangt, wo es gebraucht wird, daß
der Patient dann behandelt wird, wenn es notwendig ist,
und daß der Patient dort behandelt wird, wo es sinnvoll
ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das alles beklagen Sie, Herr Thomae, unter dem Ge-
sichtspunkt „Einbuße an Therapiefreiheit“. Ich sage Ih-
nen: Auch die Freiheit der Therapie muß dort Grenzen
haben, wo sie sich auf Patientinnen und Patienten nega-
tiv auswirkt und etwas nicht so positiv durchgeführt
wird, wie es möglich wäre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das entscheidet nicht die SPD! Das entscheidet der Arzt!)


Wir haben die anstehenden Aufgaben einem Koordi-
nierungsausschuß übertragen,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Schon wieder einer!)


an dem Ärzte und Patienten im Rahmen des Bundesaus-
schusses beteiligt sind.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sankt Bürokratius!)

Sie sollen zusammen mit den Fachleuten der einzelnen
Arztgruppen und mit den anderen am Gesundheitswesen
Beteiligten Leitlinien entwickeln und Standards festle-
gen. Wir haben uns auch deshalb für diesen Weg ent-
schieden, weil wir glauben, daß es in diesem Ausschuß
ganz persönliche wirtschaftliche Interessenskonflikte
nicht geben wird und deshalb sachgerechtere Entschei-
dungen über die Qualitätssicherung getroffen werden.

Vor dem von mir beschriebenen Hintergrund der
Zielsetzung des Gesetzes, mehr Qualität zu vernünftigen
Bedingungen durchzusetzen, muß ich ehrlich zugeben,
daß ich die Opposition nicht verstehen kann. Ich kann
nicht nachvollziehen, wo Sie Probleme sehen.

Die Regelungen für den Qualitätsstandard zielen
vor allen Dingen darauf ab, daß jeder weiterhin das be-
kommt, was er braucht, um seine Krankheit zu heilen,
oder daß dem Patienten, wenn seine Krankheit nicht
mehr heilbar ist, das zur Verfügung gestellt wird, was
notwendig ist, um die Auswirkungen dieser Krankheit
möglichst gering zu halten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin der festen Überzeugung, das ist zu erreichen –
nicht, indem man mehr Geld durch Zuzahlungen in das
System pumpt. Das ist nicht eine Frage des Geldes, die
wir hiermit zu entscheiden haben. Geld ist meiner Mei-
nung nach genügend im System. Es muß an der richti-
gen Stelle eingesetzt werden. Solange in unserem Ge-
sundheitswesen zu viel und unnötig geröntgt, operiert
wird und solange immer noch Medikamente verschrie-
ben werden, deren Wirkung nicht nachgewiesen ist, die
aber ihrerseits durchaus Gesundheitsschäden verursa-
chen können, solange in unseren Krankenhäusern aus
Gründen der Kapazitätsauslastung Patienten unterge-
bracht werden, obwohl sie ebensogut ambulant operiert
und behandelt werden können, so lange ist in unserem
Gesundheitssystem etwas nicht in Ordnung und so lange
müssen wir unser Hauptaugenmerk darauf richten, die
Mittel, die wir haben, vernünftig einzusetzen


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber nicht über Budgetierung!)


und das durch vernünftige Verwendung eingesparte
Geld dorthin zu lenken, wo es gebraucht wird und zur
Verbesserung der Versorgung beitragen kann.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das steht leider nicht so im Gesetz!)


Diesen Weg sollten wir gehen, nicht den Weg: Ein-
frierung der Arbeitgeberbeiträge, Erhöhung für die Ar-
beitnehmer. Bei guter Qualität auf die Kosten zu achten
sind wir meiner Überzeugung nach denjenigen schuldig,
die jeden Monat mit vielen hundert Mark ihren Beitrag
für das Gesundheitssystem leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Menschen sorgen auch dafür, daß im nächsten
Jahr 5 Milliarden DM mehr für die Versorgung der
kranken Menschen in diesem Lande zur Verfügung ste-
hen. Sie aber stellen sich regelmäßig hier hin und tun so,
als gäbe es immer weniger.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Fragen Sie mal die Rheumapatienten!)


Es gibt aber beständig immer mehr Geld: 5 Milliarden DM
mehr aus den Beiträgen, und wir werden zirka 1 Mil-
liarde DM mehr allein aus den 630-DM-Arbeitsver-
hältnissen zur Verfügung haben, die endlich sozialver-
sicherungspflichtig geworden sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das fehlte noch!)


Gudrun Schaich-Walch






(A) (C)



(B) (D)


Ich frage Sie auch noch einmal: Wie sieht es denn mit
Ihren Alternativen aus? Sie sagen uns, wir sollten zu den
Regelungen der Vorgängerregierung zurückkehren, die
die Patientinnen und Patienten in Milliardenhöhe bela-
stet haben,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie haben aber ihre Leistungen bekommen!)


die im Bereich Kuren und Rehabilitation eine Tabula-
rasa-Politik betrieben haben, an der alle Bundesländer,
auch Bayern, immer noch leiden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Fuchs, es wäre schön gewesen, wir hätten mehr
Zuzahlungen zurücknehmen können. Aber auch für uns
gilt in diesem Bereich: Wir können nicht mehr ausge-
ben, als wir in der gesetzlichen Krankenversicherung
einnehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Was haben Sie denn vor den Wahlen versprochen? – Weitere Zurufe von der F.D.P.)


– Wir haben vor den Wahlen Beitragssatzstabilität ver-
sprochen


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und Zuzahlungsrücknahme! Sie haben die Patienten belogen!)


und in diesem Rahmen Rücknahme von Zuzahlungen.
Das haben wir auch durchgeführt, Herr Thomae.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das, was Sie uns hier im Augenblick vorschlagen, ist
nichts anderes als eine zusätzliche Belastung von Pati-
entinnen und Patienten in Milliardenhöhe.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Stimmt doch gar nicht! Sie haben es nicht verstanden!)


Das führt zur Zweiklassenmedizin. Sie wollen damit
das erreichen, was Sie beim Zahnersatz schon vor einem
Jahr erreicht haben: daß die Menschen es sich nicht
mehr leisten können, die ärztliche Versorgung in An-
spruch zu nehmen. Das werden Sie mit uns nicht
hinkriegen.

Wir sind an einem Kompromiß mit Ihnen im Bundes-
rat interessiert.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Seit wann denn?)


Aber wenn Sie bei der Haltung bleiben, die Sie seit Mo-
naten haben, nämlich sich zu verweigern und keinen
einzigen inhaltlichen Vorschlag auf den Tisch zu legen,
dann werden wir prüfen, was alles zustimmungsfrei
möglich ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Dann tun Sie das doch! – Wolfgang Lohmann ein Jahr!)


(Lüdenscheid) [CDU/CSU]: Das dauert aber



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406602200
Nun erteile ich dem
Kollegen Wolfgang Schäuble, Vorsitzender der CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1406602300
Herr Präsi-
dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegen
Gesundheitspolitiker, die Fachleute in diesem Haus,
mögen mir verzeihen, wenn ich als Nichtexperte die
Empfindung äußere, daß in dieser Debatte, in der es um
sehr viele komplizierte technische Fragen geht, ein biß-
chen zu viel von Leistungserbringern und Kosten und all
diesen Dingen die Rede ist. Deswegen lautet mein erster
Satz: Aus der Sicht der Patienten haben wir in erster Li-
nie immer wieder daran zu erinnern, daß wir in
Deutschland ein gutes System und ein hohes Niveau ge-
sundheitlicher Versorgung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich glaube, gerade wenn man über so schwierige Fra-

gen redet und sie regeln muß, ist es richtig, in der De-
batte ein Wort des Dankes an die sogenannten Lei-
stungserbringer, also an die Ärzte, an die Kranken-
schwestern und Krankenpfleger, an die Physiotherapeu-
ten, an die Krankengymnasten und an alle medizini-
schen Hilfsberufe zu richten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir sollten darauf achten, daß die Debatte nicht so
verstanden wird, als würden wir eine Art Kriminalitäts-
bekämpfungsgesetz beraten. Nein, es geht darum, das
hohe Niveau gesundheitlicher Versorgung in Deutsch-
land zu erhalten und für die Zukunft zu sichern,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und das unter sich verändernden Rahmenbedingungen.
Es gibt Veränderungen im Altersaufbau und beim medi-
zinischen Fortschritt, der ungeheuerlich ist – ein Segen
für die Menschen –, ein stärker werdendes Bewußtsein
der Menschen für die Notwendigkeit der Gesundheit und
dergleichen mehr. Deswegen ist es überhaupt keine Fra-
ge, daß unser System der gesetzlichen Krankenversiche-
rung reformbedürftig ist. Das ist völlig außer Streit,
deswegen sage ich das als zweiten Satz.


(V o r s i t z : Vizepräsident Rudolf Seiters)

Als dritten Satz will ich ausführen, Frau Minister Fi-

scher, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koaliti-
onsfraktionen: Das Gesetz, das Sie heute verabschieden
wollen, ist keine Grundlage für eine verantwortbare Re-
form unserer gesetzlichen Krankenversicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Kollege Lohmann hat das Verfahren ganz ruhig

und nüchtern, wie er ist, geschildert. Es hat doch wirk-
lich keinen Sinn, das Verfahren zu behindern. Das haben
wir auch nicht getan, sondern zugestimmt, daß heute die
zweite und dritte Lesung stattfinden kann, obwohl es
von den Fristen her nicht möglich wäre. Wir hatten da-
bei aber nicht im Traum die Vorstellung, daß Sie in den
letzten Tagen der Ausschußberatungen 345 Seiten Än-

Gudrun Schaich-Walch






(B)



(A) (C)



(D)


derungsanträge einbringen würden, davon gestern, wie
ich gehört habe, noch einmal an die 50 Seiten.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das war 1992 genauso! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Nein, das ist doch nicht wahr! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Da warst du gar nicht dabei!)


– Ich will Ihnen sagen: Ich höre im Moment von den
Kollegen, daß in der Beschlußempfehlung des Aus-
schusses ein Punkt zur Beschlußfassung vorgeschlagen
ist – ich kann das gar nicht prüfen, kein Mensch kann
das im einzelnen übersehen –


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist aber so!)

den Sie gestern als Antrag eingebracht und dann wieder
zurückgezogen haben, weil Sie ein neues Anhörungsver-
fahren ausgelöst hätten.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! Jetzt steht er wieder drin! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Skandalös!)


Jetzt liegt er wieder der Beschlußempfehlung zugrunde.
Nun mag es sein, daß das ein Versehen ist.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Die Bundesregierung macht keine Fehler!)


Man muß aber ein wenig darauf achten, denn der Ver-
dacht liegt nahe, daß Sie sagen: Probieren wir es so,
wenn es anders nicht geht. Ich will das aber nicht un-
terstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Rückfrage, die ein Fraktionsvorsitzender an seine

Kollegen im Ausschuß stellen muß, lautet: Könnt Ihr
denn garantieren, daß ansonsten alles dem entspricht,
was der Ausschuß beschlossen hat? Die Antwort ist:
Kein Mensch kann das garantieren. Wie wollen wir als
Gesetzgeber verantworten, daß wir etwas beschließen,
Frau Minister, obwohl im Zweifel nicht einmal Sie wis-
sen, was in der Beschlußempfehlung genau steht?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich mache eine weitere Bemerkung. Der Bundesrat

muß diesem Gesetz zustimmen, sonst kommt es nicht
zustande. Gibt es nicht von vornherein eine Überein-
stimmung, kann es zu einem Vermittlungsverfahren
kommen. Das ist alles geregelt. Es ist unvorstellbar, daß
man ein solches Gesetz, das im Bundestag mit so wenig
Sorgfalt beraten worden ist, nun im Vermittlungsaus-
schuß in irgendwelchen Arbeitsgruppen – die Vermitt-
lungsausschußmitglieder sind an keine Weisung gebun-
den – quasi vollständig neu beraten muß, wobei die
Rolle der Regierung nur eine beratende ist. Der Ver-
mittlungsausschuß ist ein Organ, mit Hilfe dessen am
Schluß eines Gesetzgebungsverfahrens bestehende Dif-
ferenzen zwischen Bundestag und Bundesrat aus der
Welt geschaffen und vielleicht eine Einigung gefunden
werden soll. Aber es soll nicht dazu dienen, ein Gesetz
von Anfang an neu zu beraten. Das wäre eine Perversion
des Vermittlungsverfahrens.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Frau Minister Fischer, es war für Menschen, die nicht
jeden Tag mit den Auseinandersetzungen zu tun haben,
schon ein bißchen bezeichnend, daß Sie anläßlich der
zweiten und dritten Lesung des Gesetzes, also anläßlich
der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag, die
Fraktionen des Bundestages zu einem Gespräch in der
nächsten Woche einladen, bei dem darüber diskutiert
werden soll, wie man das Gesetz gemeinsam verab-
schieden kann. Das ist schon ein bißchen absurd.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist auch ziemlich peinlich, wenn Sie die Lösung

der Probleme der ostdeutschen Krankenkassen – ohne
jede Not und ohne jede sachliche Begründung – in die-
sem Gesetz regeln wollen, nach dem Motto: Wollen wir
einmal schauen, ob sich nicht der eine oder andere auf
diesem Wege für die Zustimmung zu diesem Gesetz, das
er eigentlich ablehnen möchte, gewinnen oder – wie ich
salopp sagen möchte – kaufen läßt. Sie lassen sich nicht
kaufen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn schon der brandenburgische Ministerpräsident
Stolpe, der nicht der CDU/CSU angehört,


(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

gestern nach einer Konferenz der ostdeutschen Mini-
sterpräsidenten gesagt hat, dieses Junktim werde von
den ostdeutschen Ländern nicht unterstützt, sollten Sie
doch merken: Solche Versuche sollten Sie bleiben las-
sen, wenn es Ihnen darum geht, eine verantwortungs-
volle Reform zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn das Gesundheitswesen, etwa das Kranken-

hauswesen und die gesetzliche Krankenversicherung,
gesetzlich reformiert werden muß, dann muß man sich
klarmachen: Die veränderten Rahmenbedingungen, die
ich angedeutet habe – ich will keine lange Rede zur Sa-
che halten –, sprechen wohl dafür, daß wir einen wach-
senden Bedarf an Leistungen unseres Gesundheitssy-
stems haben. Ich glaube nicht, Herr Dreßler – darüber
werden wir beide uns wahrscheinlich nie verständigen –,
daß man einen dynamisch wachsenden Bedarf – Bedarf
heißt auch wachsende Nachfrage der Menschen – mit
bürokratischen Systemen regeln kann. Das ist ein grund-
sätzlich falscher Ansatz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen wird der Ansatz der Budgetierung nicht tra-
gen.

Im übrigen, Herr Dreßler, sollten Sie uns nicht vor-
werfen, wir würden mehr Geld ausgeben. Sie haben be-
schlossene und in Kraft gesetzte Maßnahmen, die Sie im
Wahlkampf bekämpft haben – das ist ja in Ordnung; wir
haben das Wahlergebnis akzeptiert –, in diesem Jahr zu-
rückgenommen, damit der gesetzlichen Krankenversi-
cherung Einnahmen entzogen und zugleich die Ausga-
ben der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeweitet.


(Rudolf Dreßler [SPD]: Und Einnahmen zugeführt!)


Dr. Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)


Die Methode „Haltet den Dieb“ funktioniert also nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie können jetzt ganz spitzfindig sagen, Zuzahlungen
seien keine Einnahmen für die Krankenkassen. Aber an-
gesichts des wachsenden Bedarfs an gesundheitlichen
Leistungen haben Sie die Einnahmen verringert.

Deswegen will ich Ihnen sagen: Wenn Sie diesen dy-
namisch wachsenden Bedarf – die Bevölkerung will ja
mehr an Gesundheitsleistungen haben; sie will die Seg-
nungen behalten – deckeln wollen, wird es besser sein,
daß wir uns darüber verständigen, was solidarisch und
sozial an Grundsicherung gewährleistet werden muß,
inwieweit die Eigenbeteiligung von Versicherten und
Patienten möglich sind und welche Steuerungselemente
sich daraus ergeben.

Bei der Debatte um die Budgetierung hat man das
Gefühl, daß Sie ein furchtbares Mißtrauen gegen Ärzte
und Patienten haben, Frau Ministerin. Ich finde, Sie
sollten das nicht haben, sondern den Menschen mehr
zutrauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nützen Sie die Elemente der Wahlfreiheit bei Lei-

stungserbringern – so lautet ja der technische Begriff –
und Versicherten sowie die eines verstärkten Wettbe-
werbs und einer größeren Transparenz. Mit diesen vier
Elementen werden wir – wenn Sie wollen, gemeinsam –
eine verantwortliche und dem Interesse der Menschen
dienende Reform unserer gesetzlichen Krankenversiche-
rung zustande bringen. Dies kann aber nicht auf der Ba-
sis des vorliegenden Gesetzentwurfes erfolgen. Wenn
Sie ihn zurücknehmen und nächste Woche mit Gesprä-
chen beginnen wollen, sind wir dazu bereit.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406602400
Ich gebe das Wort
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollegin
Katrin Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alle diejenigen, mit denen wir im vergangenen Jahr über
das Gesundheitssystem gesprochen haben, sind sich dar-
über einig – auch Herr Schäuble hat das soeben betont –:
Wir haben zum einen trotz Unterversorgung in einigen
Bereichen eines der besten Gesundheitssysteme der
Welt. Dieses Gesundheitssystem – auch das haben Sie
soeben zugestanden – ist zum anderen dringend reform-
bedürftig, damit es überhaupt erhalten werden und
überleben kann.

Herr Kollege Schäuble, jetzt zu sagen, dieses System
sei zwar reformbedürftig, aber da, wo Sie die Verant-
wortung für die Patientinnen und Patienten mittragen,
nämlich in den Ländern, sei man nicht zu Gesprächen
bereit, das halte ich für eine Form der Auseinanderset-
zung, für die wir nicht zur Verfügung stehen. Das verun-
sichert die Menschen draußen nach all den Kampagnen
der letzten Wochen und Monate noch mehr. Ich glaube,

Sie nehmen hier Ihre Verantwortung nicht wahr, son-
dern betreiben weiterhin Verunsicherung auf eine Wei-
se, die zu Lasten gerade der Schwachen in unserer Ge-
sellschaft geht. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Natürlich wissen wir, daß jede Reform im Gesund-
heitsbereich von großer Aufregung begleitet wird. Herr
Seehofer weiß das. Manche im Haus erinnern sich noch
daran, daß Herr Blüm – Spaßvogel, der er nun einmal ist
– irgendwann einmal Sozialhilfeanträge an demonstrie-
rende Ärzte verteilt hat. Ich sage das ohne Häme, aber
auch ohne Leichtfertigkeit nach dem Motto: „Kritik in-
teressiert uns nicht“. Im Gegenteil: Sie interessiert uns.
Ein derart offener Umgang mit Kritik, aber auch mit Be-
stärkung, wie er dieses Gesetzesvorhaben begleitet hat,
hat es noch in keiner Regierung bei keiner Gesundheits-
reform gegeben. Deswegen kann man hier nach einem
derartig offenen Prozeß die über Monate hinweg ge-
machten Vorwürfe, was das Verfahren im Parlament an-
geht, mit aller Deutlichkeit zurückweisen. Das tue ich
hier für meine Fraktion.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Entweder Sie haben geschlurt, oder Sie betrügen! – Weitere Zurufe von der F.D.P.)


Warum ist dieses Thema so sensibel? Auf der einen
Seite geht es um Besitzstände, die sicherlich keiner ger-
ne aufgibt. Auf der anderen Seite geht es um das Intim-
ste, was man sich vorstellen kann, nämlich um die eige-
ne Gesundheit, um den eigenen Körper, im Zweifel um
Leben und Tod. Deswegen ist es unzulässig, die Ängste
der Menschen zu instrumentalisieren, wie das in den
letzten Wochen geschehen ist und wie Sie es heute auf
die Spitze getrieben haben. Ich habe keine Lust darauf,
daß, wenn wir im Bundesrat über die Umsetzung des
vorliegenden Gesetzentwurfes sprechen und darüber
diskutieren, welche Möglichkeiten am besten zu dem
Ziel führen, das bestehende System zu erhalten, dies auf
Kosten derjenigen ausgetragen wird, die sowieso schon
verängstigt sind.

Wenn Sie unsere Vorschläge rundweg ablehnen, dann
gibt es einige Fragen, die Sie den Patientinnen und Pati-
enten sowie den Versicherten zu beantworten haben.
Alle Welt beklagt sich über die Sektorierung im Ge-
sundheitswesen: hier die niedergelassenen Ärzte, dort
die Krankenhäuser, die Reha-Einrichtungen und die
physiotherapeutische Praxis.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr führt sektorale Budgets ein!)


Wenn ein Mensch all diese Sektoren durchläuft, ist nicht
sichergestellt, daß irgendeiner derjenigen, der an der
einen Stelle behandelt, etwas von dem anderen weiß, der
auch schon behandelt hat.

Wenn Sie meinen, daß es weiter verantwortbar ist,
innovative Elemente wie Modernität und Teamarbeit im
Gesundheitswesen außen vor zu lassen und den Patien-
ten nicht zu gewähren, statt dessen aber ein System, bei

Dr. Wolfgang Schäuble






(B)



(A) (C)



(D)


dem die eine Abteilung dieses und die andere jenes
macht, ohne daß je darüber geredet würde, und das in
jedem Wirtschaftsunternehmen nicht mehr tragbar wäre,
zu befürworten, dann lehnen Sie diesen Gesetzentwurf
ab. Diese Haltung müssen Sie den Patientinnen und Pa-
tienten dann aber auch erklären.

Zweitens. Man könnte wahrscheinlich – wir alle ha-
ben vermutlich nicht genügend Zeit dafür – jeden Abend
auf einem anderen Sender im Fernsehen einen Film se-
hen, der von einem Landarzt handelt, der die Kinder und
die Eltern kennt, von den Großeltern und vom Liebes-
kummer weiß und im Zweifelsfall auch eine warme
Suppe bereithält. Natürlich geht es bei der Stärkung des
Hausarztsystems nicht um diese Umsetzung eines sol-
chen Klischees von einer heilen Welt. Es geht aber
schon um das Gute daran: Es soll nämlich derjenige ge-
stärkt werden, der im Sinne der Patientinnen und Pati-
enten den ganzen Menschen in seinem Umfeld, in seiner
Geschichte und im konkreten Leben im Auge hat. Es
sollen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden,
damit er diese Arbeit gut leisten kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben dazu ganz konkrete Vorschläge gemacht;
über die wurde ja heute auch geredet. Durch dieses Ge-
setz soll die Rolle der Hausärzte in der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung gestärkt und die sprechende Medizin
aufgewertet werden. All das wird dazu führen, daß
Hausärztinnen und Hausärzte ihre eigentliche Aufgabe
wahrnehmen und kompetente Partnerinnen und Partner
für die Patientinnen und Patienten werden können.
Wenn Sie verhindern wollen, daß Patientinnen und Pati-
enten solche Partner zur Verfügung stehen, dann müssen
Sie gegen dieses Gesetz stimmen.

Drittens. Alle hier wissen, daß Vorbeugung immer
die beste Medizin ist. Das Gesetz sieht vor, daß an Hand
von klaren Kriterien und mit einem sich jährlich dyna-
misierenden Betrag Prävention und qualitativ hochwer-
tige Vorsorgemaßnahmen zum Standardprogramm
werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vorsorgemaßnahmen setzen beispielsweise im zahn-
ärztlichen Bereich bei denen an, die sie tatsächlich brau-
chen, nämlich bei besonders gefährdeten Kindern und
Jugendlichen. Das ist eine ganz konkrete Antwort auf
die von Ihnen eingeführte Streichung von Zahnersatzlei-
stungen für nach 1978 Geborene, die wir bereits zurück-
genommen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie dahin zurückwollen, müssen Sie es sagen und
gegen das Gesetz stimmen.

Viertens. Sie wissen, daß es die beste Möglichkeit für
den Umgang mit einer Krankheit ist und auch der Ge-
sundungsprozeß am besten dadurch unterstützt wird,
wenn Patientinnen und Patienten selbst einbezogen wer-
den und ihre Kompetenz einbringen können. Die Selbst-
hilfebewegung in Deutschland leistet in Verbänden, in
kleinen und großen Gruppen hier richtige, gute und un-

verzichtbare Arbeit. Selbsthilfe braucht aber auch Un-
terstützung. Deswegen geben wir das klare Signal, daß
Selbsthilfeeinrichtungen künftig auch finanziell von den
Krankenkassen unterstützt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das wird natürlich auch Rückwirkungen auf das Ge-
sundheitssystem haben. Wenn nämlich solche Kompe-
tenz klarer organisiert ist, kann sie auch in die weitere
Entwicklung des Systems zurückfließen. Wenn Sie da-
gegen sind, müssen Sie eben gegen dieses Gesetz stim-
men.

Fünftens. Jede Illustrierte macht heute Patientenbe-
ratung. Ärztinnen und Ärzte beklagen zu Recht, daß
derart „aufgeklärte“ Patienten mit teilweise schwierigen
eigenen Vorstellungen zu ihnen kommen. Weil wir das
Vertrauensverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten auf
der einen und Patientinnen und Patienten auf der ande-
ren Seite stärken wollen, sehen wir in Form von Mo-
dellversuchen unabhängige Patientenberatung, die
kompetent beraten kann, in unserem Gesetz vor. Auch
davon erwarten wir uns natürlich Rückwirkungen auf
die weitere Entwicklung des Systems. Patientenberatung
dient zur Stärkung von Eigenverantwortung und von
Selbstbestimmung.

Sechstens. Es bestreitet niemand, daß angesichts von
mehr als 40 000 Arzneimitteln eine große Unübersicht-
lichkeit auf dem Markt herrscht und es notwendig ist,
neben der Zulassung auch noch für Qualitätssicherung
zu sorgen. Patientinnen und Patienten wollen genau wis-
sen, daß ein Medikament für ihren Fall wirksam ist. Zur
Qualitätssicherung und nicht auf Grund irgendwelcher
Einsparmaßnahmen wollen wir eine Positivliste für die
Schulmedizin auf der einen und für Medikamente mit
besonderen Therapierichtungen auf der anderen Seite
einführen. Wenn Sie dieses Gesetz ablehnen, werden Sie
begründen müssen, warum Sie nicht für eine solche zu-
sätzliche Qualitätsprüfung im Sinne der Patientinnen
und Patienten sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Über die Situation in Ostdeutschland ist heute schon
viel gesagt worden. Wenn Sie die Regelung bezüglich
der Krankenkassen in Ostdeutschland nur als strategi-
sches Element hinstellen wollen, dann verkennen Sie ge-
rade die Lage derjenigen, die in den Allgemeinen Orts-
krankenkassen in Ostdeutschland versichert sind. Dazu
gehören nämlich diejenigen, die nicht zu den Gewinne-
rinnen und Gewinnern der deutschen Einheit gehören,
sondern diejenigen, die unsere Unterstützung und das
ganz klare Signal brauchen, daß die beiden getrennten
Rechtskreise, die wir im Gesundheitswesen in Ost und
West immer noch haben, endlich aufgehoben werden.
Diese Maßnahme ist nicht strategisch, sondern längst
überfällig. Wir packen sie mit diesem Gesetzentwurf an.
Darum werbe ich an dieser Stelle eindringlich um Ihre
Zustimmung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406602500
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte am Ende meiner Rede auf Ihre Alternati-
ven verweisen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ihre Redezeit ist zu Ende! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sind auch politisch am Ende!)


Was bei uns Prävention, Selbsthilfe, Eigenkompetenz
und Selbstbestimmung heißt, heißt bei Ihnen neue Zu-
zahlungen. Was bei uns Stärkung der hausärztlichen
Versorgung und integrierte Versorgung heißt, heißt bei
einem Teil von Ihnen, Eintrittsgeld beim Arzt zu bezah-
len.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Völliger Blödsinn!)


Man kann nur feststellen, daß Sie keine weiteren An-
gebote haben. Darüber haben wir heute nichts gehört.
Wir haben von Ihnen nur gehört, daß Sie nicht darüber
reden wollen, wie das Gesundheitswesen gesichert wer-
den kann und wie wir für die Patientinnen und Patienten
mehr Vertrauen, mehr Sicherheit und mehr Selbstbe-
stimmung schaffen können. Ich finde diese Haltung sehr
schade und fordere Sie auf, diese Haltung zu überden-
ken.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Märchenstunde!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406602600
Ich gebe nunmehr
der Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Fa-
milie, Frauen und Gesundheit des Freistaates Bayern,
Barbara Stamm, das Wort.

Barbara Stamm, Staatsministerin (Bayern) (von
Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn man sich die heutige Debatte vergegenwärtigt und
wenn man Ihre Argumente, Frau Bundesgesundheitsmi-
nisterin Fischer, und die der Kolleginnen und Kollegen
der Regierungsfraktionen hört, in denen immer wieder
Ihre Kritik gegenüber der Opposition in diesem Hause
und gegenüber der Union im Bundesrat – wir seien kon-
zeptlos – zum Ausdruck kommt, dann kann ich nur fest-
stellen: Sie waren es doch – das kann man Ihnen gar
nicht oft genug sagen –, die mit dem hohen Anspruch
die Regierungsverantwortung übernommen haben: Wir
machen nicht alles anders, aber wir machen alles besser.


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Ja, ja!)


Alle waren begeistert von dem, was Sie besser machen
wollten. Aber nun können Sie es nicht besser machen;
Sie bessern nur nach. Sie sind wirklich die Nachbesse-

rungsregierung: Was heute morgen gilt, ist am Abend
schon nicht mehr gültig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jetzt beschweren Sie sich bei der Opposition in die-

sem Hohen Hause und demnächst bei den von der Union
regierten Ländern im Bundesrat, daß wir nicht bereit
sind, Konzepte zu liefern und den Dialog mit Ihnen zu
führen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
kann Ihnen dazu schlicht und einfach sagen: Sie hätten
kein sogenanntes Solidaritätsstärkungsgesetz zum 1.
Januar 1999 in Angriff nehmen müssen. Sie hatten ge-
ordnete Verhältnisse in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung, Frau Bundesgesundheitsministerin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


– Natürlich hatten Sie geordnete Verhältnisse.

(Klaus Kirschner [SPD]: Immer höhere Zu zahlungen!)

Es gab einen Überschuß von 1 Milliarde DM im Jahre
1998.

Was ist aber dann passiert? Mit Ihrem sogenannten
Solidaritätsstärkungsgesetz haben Sie diesen Überschuß
im Grunde genommen für die Zukunft aufgebraucht.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Verbraten!)

Wir haben mittlerweile ein Defizit von 3,3 Milliarden
DM, was Sie zu verantworten haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist Rotgrün!)


Frau Bundesgesundheitsministerin, ich habe wirklich
gedacht, mir verschlägt es den Atem, als Sie gesagt ha-
ben, Sie wollten geordnete Verhältnisse schaffen. Sie
hatten geordnete Verhältnisse in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ein weiterer Punkt. Frau Bundesgesundheitsministe-

rin, es muß endlich einmal mit den Märchenstunden
Schluß sein. Sie sagen, daß wir den Dialog verweigern.
Was haben Sie denn in den zurückliegenden Monaten
mit den von der Union regierten Länder gemacht? Wie
oft haben wir – auch ich persönlich – Sie gebeten, vor
Ihrem ersten Arbeitsentwurf Gespräche nicht nur mit
den A-Ländern, sondern auch mit den B-Ländern aufzu-
nehmen. Sie aber haben gesagt: Das nimmt nun alles
seinen Lauf, wir machen das schon. Dabei haben Sie
immer die Verhältnisse im Bundesrat im Auge gehabt.
Sie haben uns doch nicht gebraucht, Frau Bundesge-
sundheitsministerin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun aber stehen Sie vor der Tatsache, daß es Ihnen

mißglückt ist, bestimmte Ostländer einzukaufen, und
zwar wegen der Krankenkassenhilfe Ost.


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Pfui! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)







(B)



(A) (C)



(D)


Ich muß schon sagen: Dies geschah auf unappetitliche
Art und Weise. Ihr Staatssekretär Jordan ist doch in den
vergangenen Wochen auf Reisen gegangen, um sein
Einkaufsmodell, betreffend bestimmte von der Union
regierte Länder, im Osten auf den Weg zu bringen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Mafia!)

Nein, so können wir nicht miteinander reden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frau Bundesgesundheitsministerin, es sind noch eini-

ge Wochen bis zur Bundesratssitzung. Ich kann Ihnen
heute sagen: Es wird Ihnen nicht gelingen, die Unions-
seite in diesem Punkt auseinanderzubringen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sehr gut!)

Es wird Ihnen auch nicht gelingen, im Vorfeld mit uns
Konzepte zu erarbeiten. Wir sind nur dann bereit, mit
Ihnen ein Konzept zu entwickeln, das den Namen Ge-
sundheitsreform 2000 auch wirklich verdient,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

wenn Sie Ihr Gesetz in Gänze zurücknehmen und mit
uns gemeinsam die Weichen neu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben in den Ländern noch so viel Verantwortung
und Selbstbewußtsein, daß wir die Gesundheitspolitik
auch in Zukunft mitgestalten wollen.

Herr Kollege Dreßler, nicht nur Sie erinnern sich an
Lahnstein. Es gibt noch andere Kolleginnen und Kolle-
gen, die dort waren. Was geschah denn in Lahnstein?
Was wollten Sie damals mit dem Kompromiß erreichen,
Herr Kollege Dreßler? Sie wollten das Globalbudget;
das war im Jahre 1992.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Positivliste!)

Herr Dreßler ist stehengeblieben; er hat sich nicht wei-
terentwickelt. Er fordert noch immer das Globalbudget.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dabei hatten wir mittlerweile ganz andere Herausforde-
rungen im Gesundheitswesen zu bewältigen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Eine rückwärtsgewandte Politik!)


Was wollten Sie noch? Sie wollten die Monistik.
Lieber Herr Kollege Dreßler, mich wundert es schon:

Anscheinend haben bayerische Kolleginnen und Kolle-
gen aus der SPD in diesem Hohen Haus und auch in der
Regierung überhaupt nichts mehr zu sagen. Im Bayeri-
schen Landtag nämlich gibt es diesbezüglich einen An-
trag nach dem anderen. Wo immer Kolleginnen und
Kollegen aus der SPD bei Krankenhauseinweihungen
zugegen sind, sagen sie: Wir sind gegen die Monistik.
Wir wollen die Letztverantwortung bei der Kranken-
hausplanung haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das kann doch wohl nicht wahr sein!)


Sie sprechen hier doch nicht mit einer Stimme. Für was
sind Sie denn nun?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer sich an Lahnstein erinnert, der weiß: Herr Dreß-

ler forderte das Globalbudget, die Monistik – damit kam
er aber nicht durch – und die Positivliste.


(Klaus Kirschner [SPD]: Die haben Sie in Lahnstein doch mitbeschlossen!)


Wir alle wissen: Mitten in der Nacht und in den frühen
Morgenstunden kam es nach mehreren Auftritten – es
wurde gerufen: wir sind dagegen, wir machen nicht
mit! – zu Sitzungsunterbrechungen. Zu sehr später Stun-
de, fast in letzter Minute haben wir uns auf die Positiv-
liste geeinigt, um einen Kompromiß zu erzielen.

Verehrter, lieber Herr Kollege Dreßler, ich persönlich
und die Union stehen dazu: Wir haben in Lahnstein ge-
meinsam – mit Seehofer – zu dem Kompromiß „Posi-
tivliste“ gefunden; das ist richtig. Es war aber nicht die
Idee der Union, auch nicht die der F.D.P. Sie wollten die
Positivliste, und im Kompromiß haben Sie sich durchge-
setzt.

Wir haben aus guten, vertretbaren Gründen von die-
ser Positivliste Abschied genommen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Dei gratia!)


und zwar deshalb, weil wir uns weiterentwickelt haben.
Wir haben gesehen, daß die Therapiefreiheit des Arztes
mit einer Positivliste nicht mehr gegeben ist. Verehrter
Herr Kollege Dreßler, wenn Sie sich mit SPD-
Ministerpräsidenten unterhalten, werden Sie sehr schnell
feststellen, daß auch einige von denen


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die meisten!)

die Positivliste, was den Pharmastandort Bundesrepublik
Deutschland anbelangt, als sehr negativ ansehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Clement!)


Das war letztlich der Grund, warum wir davon Abschied
genommen haben.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406602700
Frau Staatsministe-
rin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Irber?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406602800
Nein,
ich muß mich leider an die Zeit halten. Ich habe ein sehr
strenges Zeitbudget.


(Klaus Kirschner [SPD]: Das wird doch nicht angerechnet!)


Herr Kollege Dreßler, eines hat mich heute sehr er-
schüttert,


(Zuruf von der CDU/CSU: Fast alles!)

aber das wird wohl Ihre Botschaft an viele alte, chro-
nisch kranke Menschen sein. Sie haben gesagt, Sie seien

Staatsministerin Barbara Stamm (Bayern)







(A) (C)



(B) (D)


deshalb für die Positivliste, weil sie von therapeuti-
schem Schrott bereinigt werden müsse.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Man muß sich einmal diese Sprache vorstellen! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ja, das muß man sich einmal vorstellen!)


Das ist Ihre Botschaft an viele Kranke und Ältere, vor
allen Dingen an chronisch Kranke, die in Zukunft Arz-
neimittel nicht mehr durch die gesetzliche Krankenver-
sicherung finanziert bekommen, weil die von der Liste
gestrichen worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Klaus Kirschner [SPD]: Weil die therapeutische Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist!)


Angesichts dessen werfen wir Ihnen die soziale Kälte
und die soziale Ungerechtigkeit vor, die Sie uns bei der
Zuzahlung unterstellt haben.


(Klaus Kirschner [SPD]: Das ist doch Humbug, was Sie hier erzählen, Frau Ministerin!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß man
sich mit einer so angelegten, in Bürokratismus ver-
strickten Reform ins Jahr 2000 aufmacht, ist völlig un-
verständlich.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Furchtbar!)

Man muß sich nur einmal vorstellen, was allein der Me-
dizinische Dienst regeln soll,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wahnsinn!)

was nicht mehr in die Verantwortung des einzelnen
Arztes und der einzelnen Krankenhäuser gehören soll!

Lassen Sie mich noch einmal kurz auf die Kranken-
häuser zu sprechen kommen. Herr Kollege Dreßler, wir
nehmen für uns als Länder und vor allen Dingen für uns
in Bayern in Anspruch, daß wir unsere Hausaufgaben in
der Krankenhauspolitik immer gemacht haben. 1,2 Mil-
liarden DM gibt der Freistaat Bayern jährlich für die
Förderung seiner Kliniken aus. Sie führen eine Monistik
ein, sind aber nicht bereit, die Gegenfinanzierung zu lie-
fern, Frau Kollegin Fischer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Jahre 2008 wird es 4 Milliarden DM weniger an In-
vestitionsmitteln für unsere Krankenhäuser in Deutsch-
land geben. Das ist Ihre Antwort.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Betrug!)

Wie wollen Sie denn den kranken Menschen gerecht

werden? Wenn in der heutigen Debatte gesagt wird, Sie
nähmen den Menschen nichts weg, dann frage ich Sie,
wo Sie leben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das kann man wohl sagen!)


Wir brauchen ja gar nicht mehr die Frage zu stellen, ob
wir schon eine Zweiklassenmedizin haben. Wir haben
sie schon, meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Zuruf von der SPD: Durch euch! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Durch das Vorschaltgesetz!)


– Ja, durch das Vorschaltgesetz und die Budgetierungen
in diesem Jahr.

Dann sagen Sie hier, es gebe keine Wartelisten in
Krankenhäusern.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Lüge!)

Es gibt sie, und sie führen dazu, daß ältere Menschen
auf notwendige Operationen warten müssen,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Vorschaltgesetz!)


obwohl es für sie medizinisch wichtig wäre, umgehend
operiert zu werden. Gehen Sie doch einmal in Sozialsta-
tionen und unterhalten sich dort mit den Menschen.
Dann werden Sie erfahren, daß heute bei schwerstpfle-
gebedürftigen Menschen, die zu Hause leben, die Kran-
kenversicherung nicht mehr für Leistungen eintritt, die
noch im vergangenen Jahr selbstverständlich gewesen
sind.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Schon heute werden in Arztpraxen keine neuen Patien-
ten aufgenommen, weil das Budget ausgeschöpft ist.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Wissen Sie denn überhaupt, wohin Ihr Gesetz mit die-
sem Globalbudget führen wird?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im übrigen frage ich mich, wo es in Deutschland

überhaupt noch eine Krankenkasse gibt, die mit diesem
Globalbudget zurechtkommt. Die Krankenkassen haben
Sie doch verlassen. Sie brauchen nur einmal nachzule-
sen, was Herr Rebscher vor einigen Tagen von sich ge-
geben hat, und Sie brauchen nur die Protokolle der
Sachverständigenanhörung nachzulesen. Dann werden
Sie feststellen, daß selbst der Koalition nahestehende
Wissenschaftler ganz deutlich gemacht haben, daß das
Globalbudget mit dem medizinischen Fortschritt einfach
nicht in Übereinstimmung zu bringen ist, wenn Sie es so
eng an die Grundlohnsumme binden.

Nun sagen Sie, Sie hätten es gelockert, und es komme
nun ein bißchen mehr Geld in das System hinein. Dazu
verweise ich ganz schlicht und einfach darauf, daß Sie
das, was Sie an Lockerungen im Budget vorgenommen
haben, in Ihrem Gesetzentwurf zum Teil schon wieder
verfrühstückt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Insofern glaube ich schon – es ist hier die Polemik

bedauert worden –, es war nicht gut, wie in den zurück-
liegenden Wochen und Monaten auch Ärzte in die Kritik
gekommen sind.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

– Natürlich! – Ich lege Wert auf die Feststellung, daß in
einem modernen Gesundheitswesen, das vor allen Din-
gen auch unseren älteren Menschen gerecht werden soll,
der Leistung auch das Geld folgen muß.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)


Staatsministerin Barbara Stamm (Bayern)







(B)



(A) (C)



(D)


Das muß auch in dieser Debatte deutlich werden. Ich
stehe auch dafür, daß in das Gesundheitswesen in
Deutschland mehr Markt hineinkommen muß,


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Richtig!)

mehr Wettbewerb hineinkommen muß. Ich will hier
aber nicht ausschließlich dem Markt das Wort reden.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das will keiner! Das wollen auch wir nicht!)


Im Gegensatz zu dem von Ihnen vorgesehenen Bürokra-
tismus mit dem Medizinischen Dienst und dem Global-
budget müssen der Markt, der Wettbewerb und die Ver-
antwortung derjenigen, die in der Selbstverwaltung sind,
gestärkt werden.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das führt zu sozialer Gerechtigkeit!)


Wir verstehen Selbstverwaltung nicht so, daß es dabei
um ein Diktat der Krankenkassen geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Was haben Sie denn in Bayern gemacht?)


Für mich war ja interessant, daß Sie, Frau Kollegin
Schaich-Walch, gesagt haben – ich formuliere das jetzt
einmal vom Standpunkt der Länderseite –: Entweder
machen Sie jetzt mit,


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Frechheit!)

oder wir werden das Gesetz sozusagen auseinanderneh-
men und werden das Paket trennen in das, was zustim-
mungspflichtig ist, und das, was zustimmungsfrei ist.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei. Machen Sie es! Frau
Kollegin Fischer, gehen Sie es an! Machen Sie das Ge-
setz zustimmungsfrei; Sie werden dann schon sehen,
was dabei übrigbleibt. Zu Strukturveränderungen wer-
den Sie so nicht kommen. Aber wir haben dann keine
Verantwortung dafür.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie gerne!)


Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406602900
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht der Kollege Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1406603000
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Mit dieser Debatte sind wir am vorläufigen
Ende einer Odyssee angelangt, einer Irrfahrt, die mit der
Verweigerung eines ehrlichen Dialogs mit den Betroffe-
nen begann – Terminanfragen, Frau Ministerin, sind of-
fensichtlich bei Ihnen auf dem Stapel mit den Glückwün-
schen zum Amtsantritt gelandet –, die sich nach den An-
hörungen mit der verpaßten Chance von grundlegenden
Änderungen und grundlegenden Korrekturen fortsetzte
und die im Wirrwarr der Änderungsanträge im Ausschuß
endete. Für mich ist das eine Politik nach Gutsherrenart.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jüngstes und eklatantestes Beispiel ist die hand-
streichartige Einführung eines bundesweiten Risiko-
strukturausgleiches, gekrönt von einer kräftigen Fi-
nanzspritze für die überschuldeten Ortskrankenkassen in
den neuen Ländern. Wer die überaus komplizierten Fra-
gen des Ausgleichs der unterschiedlichen Risikostruktu-
ren der Kassen, die schon zahlreichen Experten seit Jah-
ren Kopfzerbrechen bereiten, im Vorbeigehen erledigen
will, ist an Verantwortungslosigkeit nicht zu übertreffen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ihr Herz mag links schlagen; mit der linken Hand lösen
können Sie solche Probleme nicht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die alte Koalition war sich der Komplexität des The-
mas völlig bewußt; sie hatte ein Gutachten des Sachver-
ständigenrates angefordert. Das würde in Kürze vorliegen,
wenn Sie, Frau Ministerin, als eine Ihrer ersten Amts-
handlungen nicht diesen Auftrag storniert hätten.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! Traurig! Traurig! So geht man mit Sachverstand um!)


In der Anhörung war das Echo der von Ihrer Entschul-
dungsaktion betroffenen Krankenkassen erwartungsge-
mäß verheerend, natürlich mit der Ausnahme der AOK,
die gegen das großzügige Geschenk der Ministerin
nichts einzuwenden hatte. Aber der Chef der Barmer Er-
satzkasse, Ekkehard Fiedler, hat Ihren Raubzug bei den
gut wirtschaftenden Kassen im Westen völlig zu Recht
als – ich zitiere – schallende Ohrfeige für all jene, die
schon seit langem Solidarität üben, bezeichnet. Mit ihren
bundeseinheitlichen Beitragssätzen, mit den kassenin-
ternen Transfers haben sich die Betriebs-, Ersatz- und
Innungskrankenkassen dem Problem längst gestellt. Sie
haben gute Ergebnisse erzielt. Sie wollen sie jetzt dafür
bestrafen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sicherlich ist es richtig, daß die Allgemeinen Orts-
krankenkassen im Osten nach der deutschen Einheit
schlechte Ausgangsbedingungen hatten und ihre Mit-
gliederstruktur nach wie vor problematischer ist als die
im Westen. Aber – auch das darf nicht verschwiegen
werden – diese Faktoren wurden weitestgehend ausge-
glichen bzw., wenn man den Zahlen Glauben schenken
darf, teilweise sogar überkompensiert.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406603100
Herr Kollege Parr,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kirsch-
ner?


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1406603200
Wenn Sie mich als Neuling nett
fragen, Herr Kirschner, gerne.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bei einem Neuling sollte man das nie machen! Das ist ein ungeschriebenes Gesetz! – Klaus Kirschner [SPD]: Gut, dann ziehe ich meine Frage zurück!)


– Herzlichen Dank, Herr Kirschner.

Staatsministerin Barbara Stamm (Bayern)







(A) (C)



(B) (D)


Es gibt zudem hausgemachte Probleme bei den
AOKs im Osten, und es wird zum Teil ineffizient ge-
wirtschaftet. Deshalb löst diese einseitige und willkürli-
che Finanzspritze das Problem nur oberflächlich und
kurzfristig. Was wir brauchen, ist eine Strukturanalyse
als Grundlage eines schlüssigen Gesamtkonzeptes für
die ostdeutsche Kassenlandschaft. Wir wollen vermei-
den, daß die nächste Notlage kommt, die wieder auf Ko-
sten der Versicherten mit Beitragssatzerhöhungen abge-
wendet werden muß. Die Bereitschaft, Solidarität zu
üben – das hat auch Frau Ministerin Fischer heute in ih-
rer Eingangsrede gesagt –, ist eben nicht unendlich und
darf nicht überstrapaziert werden.

Festzustellen bleibt: Ein gesamtdeutscher Risiko-
strukturausgleich ist zehn Jahre nach Öffnung der Gren-
zen grundsätzlich richtig. Aber solange es unterschiedli-
che Tarife in Ost und West gibt, kann er nicht vollstän-
dig sein. Zudem muß man die besonderen Strukturen in
Ost und West insgesamt auf den Prüfstand stellen, um
beurteilen zu können, wie schnell und umfassend die
Angleichung sein muß.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Verwerfungen in der bundesdeutschen Kassenland-
schaft werden sich mit rein dirigistischen Eingriffen
nicht glätten lassen. Willkürliche Beschränkungen des
Wettbewerbs und der Konkurrenz unter den gesetzlichen
Krankenkassen verkleistern lediglich das Problem.

Jetzt komme ich zu dem Errichtungs- und Öff-
nungsverbot gegen BKK und IKK. Dieses Verbot
zeigt, wie Sie dem Wettbewerb gegenüber eingestellt
sind. Es richtet sich gegen den Wunsch der deutlichen
Mehrheit der Verbraucher, die kein Kasseneinerlei wol-
len, sondern die Wettbewerb und Wahlmöglichkeiten
wollen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es ist erfreulich, daß Sie kurz vor Toresschluß das Öff-
nungsmoratorium wieder zurückgenommen haben und
damit wenigstens in diesem Teilbereich unseren Forde-
rungen nachgekommen sind. Aber heute morgen haben
Sie, Frau Ministerin, von einem „geordneten Verfahren“
gesprochen. Wir haben heute um 10 Uhr zufällig festge-
stellt – hier habe ich die 512 Seiten der Beschlußemp-
fehlung und des Berichts des Ausschusses zum Gesetz-
entwurf –, daß der § 8 der Überleitungsvorschriften im
Gesetzentwurf immer noch überschrieben ist mit: „Mo-
ratorium für die Errichtung und Öffnung von Betriebs-
und Innungskrankenkassen“. Gestern dagegen ist der
Antrag zum Öffnungsverbot zurückgezogen worden. Ich
stelle mir die Frage: Ist das Chaos oder eine bewußte Ir-
reführung?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Beides!)


Herr Dreßler ist nicht mehr da. Ich hätte ihn jetzt ge-
fragt, ob man mit uns Abgeordneten jemals so in diesem
Hause umgegangen ist.

Ich möchte noch ein paar Bemerkungen im Hinblick
auf den Datenschutz machen. Der vielstimmige Protest

gegen die geplante Erweiterung der Befugnisse der
Krankenkassen, persönliche Daten zu erheben und zu
sammeln, hat Sie in Teilen umgestimmt, und das ist gut
so. Was ich aber schlimm finde, ist, daß es überhaupt
der nachdrücklichen Proteste der F.D.P. und der Daten-
schutzbeauftragten gegen die von Ihnen geplante Über-
wachung und Beschnüffelung von Patienten und Ärzten
bedurfte. Diese Änderungsvorschläge hätten überhaupt
nicht Eingang in diesen Entwurf finden dürfen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Walter Hirche [F.D.P.]: Das war der Versuch einer Rasterfahndung! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und das von den Grünen!)


Das ist ein weiterer Beweis dafür, wie weit sich die
Grünen von ihren Prinzipien entfernt haben. Sie vertrau-
en eben dem Staat und den Institutionen mehr als dem
Individuum. Uns trennen hier Welten. Wir wissen jetzt:
Wir müssen gerade im Bereich des Datenschutzes weiter
unser Wächteramt erfüllen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch die weitgehenden Eingriffe in die ärztliche und
zahnärztliche Selbstverwaltung und der Ausbau des
Medizinischen Dienstes zu einem gewaltigen Kontroll-
organ


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wahnsinn!)

zeugen von Ihrem Glauben an die Allzuständigkeit des
Staates. Für uns bedeutet das Wort „Selbstverwaltung“,
daß Ärzte und Zahnärzte ihre Angelegenheiten so weit
wie möglich selbst regeln. Das hat sich in Jahrzehnten
bewährt


(Beifall des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])

und viel zur Kreativität und Leistungsfähigkeit des
Gesundheitssystems beigetragen. Bei Ihnen liegt die
Betonung offenbar auf dem Wort „Verwaltung“, näm-
lich im Sinne von Behörde. Denn bei dem, was Sie
mit den Gremien der Ärzte und Zahnärzte vorhaben,
haben offenbar behördenähnliche Strukturen Pate ge-
standen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU])


Es ist keine Frage, daß es auch in den Kassenärztli-
chen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen so man-
chen Wildwuchs gibt, der behoben werden muß, aber
wir möchten das im Konsens mit den Betroffenen tun
und nicht gegen sie. Nur so macht das Prinzip der
Freiberuflichkeit Sinn. Ansonsten könnten wir auch
gleich alle Ärzte zu Angestellten der Krankenkassen
machen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist möglicherweise die Absicht!)


Ich komme zum Schluß. Nach Wilhelm Röpke, ei-
nem der großen Liberalen und Väter der Sozialen
Marktwirtschaft, ruht diese auf drei Säulen: Freiheit,
Verantwortung und sozialer Ausgleich. Diese Werte
sollen nach unserer Ansicht auch für das Gesundheits-
wesen gelten. Daran richten sich unsere Vorstellungen

Detlef Parr






(B)



(A) (C)



(D)


in dem Entschließungsantrag, der Ihnen heute vorliegt,
aus.

Wir brauchen Freiheit im Sinne von Wahlmöglich-
keiten für die Versicherten, Sicherung der Freiberuflich-
keit, freie Arztwahl, Therapiefreiheit; Verantwortung
auch als Verantwortung für die eigene Gesundheit, bei
der sich die Inanspruchnahme der Krankenkassen auf
das gesundheitlich Notwendige beschränkt; sozialer
Ausgleich, der sich unter anderem in Härtefallregelun-
gen und Überforderungsklauseln ausdrückt. In diese
Richtung muß die Gesundheitsreform gehen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sehr gut!)

Wir werden im Bundesrat diesem Gesetzentwurf ne-

gativ gegenüberstehen, ihn in aller Konsequenz ableh-
nen und hoffen auf neue Gespräche und einen neuen
Dialog, der offen und ehrlich geführt wird und ein bes-
seres Ergebnis zeitigen muß als das, was auf diesen 512
Seiten vorliegt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406603300
Zu einer Kurzinter-
vention gebe ich dem Kollegen Kirschner, SPD-
Fraktion, das Wort.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt verschießt er seine ganze Munition!)



Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1406603400
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Nachdem gerade Kollege
Parr und vorher Kollege Lohmann das Verfahren im
Ausschuß als einmalig oder chaotisch bezeichnet haben,
möchte ich darauf hinweisen, daß bei der Beratung des
2. GKV-Neuordnungsgesetzes, das bekanntermaßen von
der damaligen Koalition und Bundesregierung einge-
bracht wurde, ein Verfahren mit folgendem Zeitablauf
im Ausschuß stattgefunden hat: Am 12. März 1997 wur-
den Änderungsanträge eingebracht. Am 14. März 1997
wurde um 13.30 Uhr eine Anhörung zu diesen Ände-
rungsanträgen durchgeführt. Dann fand am 17. März
1997, also drei Tage später, eine Sondersitzung statt.
Abgeschlossen wurden die Beratungen im Ausschuß am
19. März, und die zweite und dritte Lesung fand am 20.
März 1997 statt.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Alles sauber!)

Ein solches Verfahren gab es also nicht zum ersten Mal
bei diesem Gesetz.

Ich will daran erinnern, daß in der letzten Ausschuß-
sitzungswoche der 13. Legislaturperiode am 17. Juni
1998 im Ausschuß Änderungsanträge beraten wurden,
mit denen Regelungen an das Erste Medizinprodukteän-
derungsgesetz angehängt wurden, die völlig andere Be-
reiche betrafen, nämlich das Beitragsrecht des Sozialge-
setzbuchs V, das Bundessozialhilfegesetz und das SGB
X. In der gleichen Sitzung wurden die Ausschußbera-
tungen abgeschlossen. Am nächsten Tag fand die zweite
und dritte Lesung im Plenum statt.

Dies wollte ich der Korrektheit halber darstellen. Man
kann hier also nicht so tun, als ob wir im Gesundheits-
ausschuß zum ersten Mal unter diesem Zeitdruck gear-
beitet hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rudolf Dreßler [SPD]: Sehr richtig! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie sind allzumal Sünder!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406603500
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Martin Pfaff.


Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1406603600
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Viele der Vorrednerinnen und
Vorredner, vor allem aber Herr Dr. Schäuble und Frau
Staatsministerin Stamm, haben hier vieles gesagt,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Was richtig ist!)


aber ehrlich in der Konsequenz waren sie nicht.

(Beifall bei der SPD)


Denn wir wissen, daß es eigentlich nur drei Wege gibt,
steigenden Ausgaben zu begegnen. Entweder müssen
die Beiträge steigen, oder es müssen die Zuzahlungen
steigen, oder man muß rationalisieren.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Es gibt intelligentere Lösungen!)


Dann sagen Sie doch offen, verehrte Frau Stamm, daß
Sie die Beiträge anheben wollen,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


oder sagen Sie offen, daß Sie die Zuzahlungen in noch
weitere Höhen, als es Ihnen in Ihrer Verantwortungszeit
gelungen ist, anheben wollen. Das haben Sie nicht ge-
sagt, aber die deutschen Bürgerinnen und Bürger haben
ein Recht, dies zu erfahren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben sich außerdem gebrüstet, Sie hätten geord-

nete Verhältnisse hinterlassen, weil Sie noch 1 Milliarde
DM in den Kassen – –


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Zwei Jahre hintereinander! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Korrekt 2,2 Milliarden DM!)


– Ja, aber Sie haben nicht gesagt, daß die Zuzahlungen
vorher um mehrere Milliarden angehoben wurden.


(Beifall des Abg. Rudolf Dreßler [SPD])

Die Ausgaben über immer mehr Zuzahlungen zu

finanzieren ist die Kunst der Primitiven. Das kann jeder.
Sie haben keine Einsparungen realisiert. Wir haben es
getan.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Budgetierung der Geistlosen!)


Detlef Parr






(A) (C)



(B) (D)


– Budgetierung, das ist das nächste Stichwort. Es ist
eigenartig, liebe Kolleginnen und Kollegen, von wie
vielen sektoralen Budgets wir von der anderen Regie-
rung hören mußten. Das Landeskrankenhausbudget war
Teil Ihres Konzepts. Jetzt, wo diese Regierung das
macht und es auch im Rahmen des Globalbudgets noch
flexibler macht, soll das Teufelszeug sein. Wer mit so
gespaltener Zunge spricht, kann die deutsche Öffent-
lichkeit sicher nicht davon überzeugen, daß er ein besse-
res Konzept hat als wir.


(Beifall bei der SPD)

Zur Positivliste: Wollen Sie wirklich, daß die

Zwangsbeiträge der Versicherten verwendet werden, um
Arzneimittelramsch zu finanzieren? Können Sie das
wirklich sagen?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Können Sie das noch einmal wiederholen? – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wie war das: „Ramsch“?)


Wollen Sie wirklich, daß die Zwangsbeiträge der Versi-
cherten oder die Zuzahlungen verwendet werden, damit
Überkapazitäten – auch im Krankenhaus – finanziert
werden? Nein, die knappen Mittel müssen für das ver-
wendet werden, was wirklich notwendig ist. Nichts an-
deres will dieser Gesetzentwurf, den wir heute zu verab-
schieden haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht nicht an, zu sagen, man wolle Einsparungen
auch im Krankenhausbereich, ohne zu sagen, wie das
geschehen soll. Die Monistik ist nur ein Instrument unter
vielen. Daß Investitionskosten und laufende Kosten zu-
sammengehören, hat selbst die F.D.P. heute wieder be-
kräftigt.

Frau Staatsministerin Stamm, Sie haben Lahnstein
erwähnt. Ich frage mich wirklich, mit welchem Maß Sie
die jetzige Regierungskoalition messen. Wir haben uns
in Lahnstein nicht verweigert. Wir haben uns beim
GKV-Finanzstärkungsgesetz nicht verweigert. Jetzt, wo
Sie verantwortungsvolle Oppositionsarbeit machen sol-
len, sagt Herr Dr. Schäuble oder deutet es zumindest an,
daß selbst ein Vermittlungsausschußergebnis nicht
denkbar ist. Dann frage ich Sie: Wie können Sie dies
den deutschen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber ver-
treten? Wir würden uns schämen, mit solchen Positionen
vor die deutsche Öffentlichkeit zu treten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist doch kein Gesetz, das ist ein ChaosKonzept!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
können Sie wirklich dagegen sein, daß die Position der
Hausärzte gestärkt wird, daß die integrierte Versorgung,
also die Kooperation, verbessert wird?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Alles Überschriften!)


Können Sie wirklich bestreiten, daß wir die Kranken-
hausfinanzierung reformieren müssen, daß wir die Pati-
entenrechte stärken müssen und vieles mehr?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ja!)


– Sie sagen: Ja, das wollen wir. Aber Sie zeigen nicht
auf, wie Sie es anders oder besser als das machen könn-
ten, was wir Ihnen vorgelegt haben. Auch das ist nicht
konsequent. Diese Art der Opposition ist billig und wird
auch nicht die Zustimmung der Deutschen finden kön-
nen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das werden wir sehen!)


Davon sind wir fest überzeugt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Punkt, der be-
sonders angesprochen wird und den auch ich ansprechen
will, ist der: Es geht noch immer eine Sozialmauer im
Gesundheitswesen quer durch Deutschland. Es gibt noch
immer getrennte Rechtskreise: West und Ost.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist wahr!)


Es sind große Breschen geschlagen worden, aber die Re-
ste der Mauer stehen noch.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer hat denn das Gutachten abbestellt?)


Es ist höchste Zeit, daß die Reste der Mauer auch im
Gesundheitswesen systematisch abgetragen werden. Es
ist Zeit für einen gesamtdeutschen Risikostrukturaus-
gleich, denn die Probleme der Ostkassen gehen nicht nur
die Bürgerinnen und Bürger im Osten Deutschlands,
sondern uns alle an.

Es geht nicht nur um Geld, sondern es geht um viel
mehr. Wir wollen nicht irgendwann in der Zukunft ein
Volk von gleichen Brüdern und Schwestern in Ost und
West sein.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Beim F.D.P.Antrag war es kein Thema! Jetzt wird es plötzlich ein Thema!)


Wir müssen etwas dafür tun. Wie es in einem Land kei-
ne Regionen unterschiedlicher Freiheit ohne Schaden für
das Ganze geben kann, können wir auf Dauer keine Re-
gionen unterschiedlicher Solidarität akzeptieren.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das sagen Sie, ohne rot zu werden!)


Wie die Freiheit ist die Solidarität in einem Gemeinwe-
sen unteilbar. Das müßte eigentlich auch für alle hier
gelten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406603700
Herr Kollege Pfaff,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Martin Pfaff






(B)



(A) (C)



(D)



Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1406603800
Jederzeit.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1406603900
Herr Kollege Professor
Pfaff, können Sie sich daran erinnern, daß ich Anfang
Mai dieses Jahres einen Antrag zum West-Ost-
Ausgleich eingebracht habe und daß von Mai bis jetzt in
der Regierungskoalition nichts passiert ist, bis vor zwei
Tagen Ihr Konzept auf den Tisch kam?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Änderungsantrag!)


Halten Sie das für verantwortungsvoll gegenüber den
neuen Bundesländern, die das besonders betrifft? Ich
finde das unverantwortlich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1406604000
Herr Kollege Dr. Thomae,
natürlich erinnere ich mich an Ihren Schaufenster- und
Trostpflästerchenantrag.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Er hätte die Probleme der neuen Länder in keiner Weise
geändert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Seit Mai dieses Jahres und noch länger arbeiten wir an
Konzepten, um die strukturellen Verwerfungen, die zu
den Finanzproblemen geführt haben, zu beseitigen. Das
ist die Antwort auf Ihre Frage. Auch das, lieber ge-
schätzter Herr Dr. Thomae, sollten Sie wissen.

Wir brauchen einen gesamtdeutschen Risikostruk-
turausgleich. Wir brauchen aber noch viel mehr. Wir
wissen, daß wir ihn nur schrittweise einführen können.
Wir müssen auch die Altschulden beseitigen; so
schwierig dies ist. Wir wissen, daß dies Schulden sind,
die weder von den ostdeutschen Ländern selbst zu ver-
antworten sind noch mit eigener Kraft abgebaut wer-
den können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Was ist mit Sachsen?)


Diese Schulden laufen seit 1994 an.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406604100
Es waren

Bayern und Baden-Württemberg, die sich selbst dem
damaligen Gesundheitsminister Seehofer verweigert ha-
ben, als wir die Probleme in den neuen Bundesländern
anders angehen wollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Stimmt doch gar nicht!)


– Ja, natürlich. – Es war die SPD, die sich bei der Lö-
sung der Probleme beteiligt hat: die hohe Arbeitslosig-
keit, der hohe Rentneranteil, die steigenden Kosten im
Osten – die Schere zwischen Osten und Westen geht
weiter auseinander.

Ich darf daran erinnern, daß wir in Lahnstein die
Aufhebung der Trennung der Rechtskreise gemeinsam
beschlossen haben. Nur die Bedingungen – 90 Prozent
der Lebens- und Einkommensverhältnisse – sind nicht
realisiert worden. Zwar öffnet sich die Schere weiter,
aber die politische Absicht sollten Sie eigentlich nicht in
Frage stellen.

Wir wissen, daß bestimmte Kassenarten besonders
betroffen sind. Die Beiträge im Osten sind sehr viel hö-
her als im Westen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Und was ist mit der AOK in Sachsen?)


Die jüngeren AKV-Versicherten gehen von diesen Kas-
sen weg, und immer mehr Schulden werden auf immer
weniger und schwächere Schultern verlagert. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wollen
wir diese Probleme im Osten dadurch lösen, daß die
Schwachen die Schwächeren finanzieren? Oder sind die
Stärkeren in Gesamtdeutschland ebenfalls gefordert?
Wir meinen: Solidarität ist eine Veranstaltung, die nicht
nur unter den Schwachen stattfindet; Solidarität ist viel-
mehr eine Veranstaltung, die uns alle angeht.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber zuerst intern!)


Dafür haben wir in diesem Gesetzentwurf Vorkehrungen
getroffen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zur Entschuldung von 1,3 Milliarden DM sage ich
ganz offen: Dies ist eine sehr schwierige Frage. Wir
wissen, daß die Situation nicht voll unverschuldet ist.
Die Entschuldung erfolgt ja auch nicht vollständig; aber
sie erfolgt so, daß zum Beispiel die AOKen im Westen
an dieser Finanzierung in großem Umfang beteiligt sind,
nachdem sie 400 Millionen DM von 3 Milliarden DM in
den Osten transferiert haben.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nachdem sie niedrigere Beiträge haben als die Ersatzkassen!)


Wir wissen, daß diese Beteiligung schwierig ist.
Wir müssen die Kriterien so legen, daß das Geld auch
wirklich dort ankommt, wo es gebraucht wird.

Polemik und Streit gehören in ein Parlament.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Dafür haben Sie ein Beispiel gebracht!)

Die schönsten Stunden des Parlaments, die ich erleben
durfte, waren aber solche, in denen die Gemeinsamkeit
der Demokraten gefordert und auch praktiziert wurde.
Die Probleme der ostdeutschen Kassen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, sind keine Spielwiese für parteipoliti-
sche Auseinandersetzungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten und der PDS – Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Die Probleme gehen uns alle an, ob wir es wollen
oder nicht. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Lande dürfen erwarten, daß Sie – jetzt spreche ich die
Opposition an – nicht weniger Verantwortung für das
Ganze zeigen, als wir in Lahnstein oder beim Finanz-
stärkungsgesetz gezeigt haben. Damals haben wir par-
teipolitische Bedenken zurückgestellt. Wir haben Herrn
Seehofer unterstützt, weil es der Sache und den Men-
schen diente. Nicht weniger, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, erwarten wir von Ihnen
am besten heute oder spätestens, wenn es gar nicht an-
ders geht, im Vermittlungsausschuß.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406604200
Ich gebe dem Kol-
legen Wolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1406604300
Herr Präsident! Mei-
ne sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen,
Herr Kollege Pfaff: Zu behaupten, Ministerin Stamm
und Minister Seehofer hätten nicht gemeinsam an einem
Ost-West-Problemfall gearbeitet, ist einfach unwahr.
Beide haben sogar einen Auftrag an den Sachverständi-
genrat erteilt, bis zum Dezember dieses Jahres diese dif-
fizile Aufgabe ordnungsgemäß zu erledigen und uns
Vorschläge zu unterbreiten. Die Ministerin hatte nichts
anderes zu tun, als diesen Sachverständigenrat zu entlas-
sen und das Gutachten zu streichen. Vor diesem Hinter-
grund kann man sich nicht hier hinstellen und behaup-
ten: Da ist nichts passiert. – Das ist unredlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist ebenfalls unredlich, sich hier hinzustellen und

zu sagen: Unser Gesetz ist erstmals ein Gesetz, das die
Versicherten nicht zusätzlich belastet.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406604400
Herr Kollege Zöller,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Pfaff?


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1406604500
Selbstverständlich. –
Entschuldigung, hier läuft die Uhr weiter. Ich bitte, daß
sie angehalten wird. – Danke.


Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1406604600
Ihre Uhr wird auch noch
ablaufen, Herr Kollege Zöller, keine Sorge.

Herr Kollege Zöller, denken wir doch zurück an die
Situation, die zu diesem Gesetz geführt hat. Sie konnten
sich in Ihrer eigenen Regierungskoalition nicht mit Bay-
ern und Baden-Württemberg einigen. Die Bayern und
die Baden-Württemberger wollten den Wettbewerbsfö-
deralismus, das heißt, sie wollten die Solidarität unter
den Starken einer Region, aber nicht insgesamt. Sie ha-
ben dann einen Kompromiß gefunden, um Zeit zu ge-
winnen. Stichwort: Laßt doch den Sachverständigenrat

diese Frage beantworten. Ich sage: Die wesentlichen
Punkte, um die es kurz- und mittelfristig geht, sind hin-
länglich bekannt. Langfristig muß natürlich der Risiko-
strukturausgleich auf seine Kriterien hin überprüft wer-
den. – Das ist die Wahrheit, und die sollten Sie bitte zur
Kenntnis nehmen.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1406604700
Herr Professor Pfaff,
Sie werden sich wundern: Ich war bei diesen Gesprä-
chen im Bundeskanzleramt anwesend und kann mich
daran recht gut erinnern. Damals ist diskutiert worden,
wie jemandem, dessen Krankenkassenbeitrag 13,9 Pro-
zent beträgt, zu erklären ist, daß er zusätzlich eine Kran-
kenkasse, die ihren Beitrag künstlich auf 12,2 Prozent
gesenkt hat, subventionieren soll. Mir konnte niemand
erklären, was daran logisch ist. Deshalb sollte in dem
Gutachten auch geklärt werden, wie man dies gerecht
verteilen kann.

Herr Kollege Dreßler, Sie haben vorhin gesagt, die
Leute bekämen mehr, und haben versucht, dem Kolle-
gen Lohmann das kleine Einmaleins zu erklären. Tut mir
leid: Bei einer Grundlohnsummensteigerung von 1,66
Prozent bei gleichzeitigen Ausgabensteigerungen im Ta-
rifbereich von 3,1 Prozent bleibt für die Versicherten
weniger und nicht mehr übrig. Um dies zu begreifen,
reicht schon die Mengenlehre aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich sage Ihnen: Mit Ihrem Gesetzentwurf wird der Pati-
ent die Zeche bezahlen.

Auch bin ich verwundert, wie Sie die Patienten ver-
unsichern. Ich darf zitieren, was die Staatssekretärin
letzte Woche von diesem Pult aus zur Entlastung chro-
nisch Kranker gesagt hat – ich zitiere wortwörtlich: –

Das ist für alle Alten und Kranken, die nur eine
kleine Rente haben, eine ganz erhebliche Verbesse-
rung.

Das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle: Beifall beim
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der
PDS. – Entschuldigung, Sie sagen die Unwahrheit!
Leute mit kleiner Rente waren bei unserer Regelung von
der Zuzahlung ganz befreit. Sie haben die Leute verun-
sichert und so getan, als müßten sie Zuzahlungen leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nur zu Ihrer Information: Ein Rentner oder eine Rentne-
rin mit einem monatlichen Einkommen von 1 764 DM
ist von der Zuzahlung ganz befreit. Eine Familie mit
zwei Kindern und einem Einkommen von 3 307 DM
monatlich ist ebenfalls von der Zuzahlung ganz befreit.


(Zuruf von der SPD: Sie müssen erst einmal zahlen!)


Mit Ihrer Teilrücknahme der Zuzahlung haben Sie die
Besserverdienenden und nicht die Kleinen entlastet.
Denn die Kleinen haben bisher nichts bezahlt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Leider sind Sie nicht bereit, die verschiedenen sozia-

len Schieflagen in Ihrem Gesetz zu korrigieren oder – in

Dr. Martin Pfaff






(B)



(A) (C)



(D)


Ihrem Jargon – nachzubessern. Sonst hätten Sie längst
unsere Anregung aus der ersten Lesung aufgreifen müs-
sen. Nach Ihrem Gesetzentwurf müssen nämlich Famili-
en mit chronisch Kranken künftig das Doppelte dessen
bezahlen, was sie nach unserer Regelung zu zahlen hat-
ten.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist die neue soziale Ungerechtigkeit!)


Wenn Sie das Entlastung für chronisch Kranke nennen,
tut es mir leid. Das kann ich nicht nachvollziehen. Wenn
Ihr Gesetz nicht in Kraft tritt und Ihr befristetes soge-
nanntes Solidaritätsstärkungsgesetz außer Kraft ist, wird
das für chronisch Kranke sogar besser sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im übrigen werden
chronisch Kranke von der Positivliste in negativer Wei-
se besonders betroffen, da sie künftig die benötigten
schwachwirksamen Arzneimittel zu 100 Prozent selbst
zahlen müssen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das muß man sich vorstellen!)


Hier von medizinischem Ramsch zu sprechen, ist völlig
unangebracht.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!)


Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ärzte ihren Patienten
Ramsch verschreiben. Für so unverantwortlich halte ich
unsere Ärzte nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Kokolores!)


Wenn sie den Versicherten jetzt nur hochwirksame Arz-
neimittel zukommen lassen, wird folgendes passieren:
Diese hochwirksamen Arzneimittel wird die gesetzliche
Krankenversicherung bezahlen


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Teurer!)

– ja, wesentlich teurer –, und die Nebenwirkungen der
Arzneimittel werden wesentlich größer sein. Dies ist
medizinisch nicht notwendig und zum Nachteil für die
Patienten.

Nun zum nächsten Punkt, mit dem Sie die Patienten
benachteiligen. Ob Sie es wollen oder nicht: Behandlung
nach Kassenlage führt zu Rationierung und zu Warte-
listen für Kassenpatienten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ihre Krankenhausplanung ist ein weiteres Beispiel

für eine Benachteiligung der Patienten. Nach rein fiska-
lischen Gesichtspunkten wird eine flächendeckende
Versorgung durch Krankenhäuser auf dem Lande ver-
hindert. Sie muten Patienten zu, daß sie nicht 15 Kilo-
meter, sondern 30, 50 oder mehr Kilometer zur nächsten
stationären Versorgungseinheit fahren müssen. Wenn
Sie dies wollen, dann sagen Sie dies dem Patienten und
schreiben Sie nicht über Ihr Gesetz „patientenfreundli-
che Regelung“.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ein weiterer Punkt: Wir haben dem Patienten die
Möglichkeit eingeräumt, seine privatärztliche Versor-
gung selber zu wählen. Des weiteren haben wir dem
Kassenpatienten endlich das Recht auf eine Rechnung
für ärztliche Leistung gegeben. Beide Regelungen haben
Sie ersatzlos gestrichen. Es wäre wirklich eine Stärkung
der Patientrechte gewesen, endlich eine Rechnung ein-
fordern zu können.

Durch Ihren neuen Gesetzentwurf wird zum Teil auch
die freie Arztwahl eingeschränkt und die Therapiefrei-
heit entscheidend beschnitten. Die Auswirkungen Ihres
sogenannten Aktionsprogramms gehen ebenfalls zu La-
sten der Patienten. Wenn am Ende des Quartals das
Budget ausgeschöpft ist, dann wird kein Arzt mehr eine
Großpackung verordnen. Das Ergebnis ist: Der Patient
bezahlt für eine Kleinpackung sowohl am Ende des
Quartals als auch für eine Kleinpackung am Anfang des
nächsten Quartals. Er zahlt also zweimal 8 DM zu statt
einmal 9 DM für eine Großpackung. Nach Ihrer Rege-
lung wird dem Patienten fast doppelt soviel abgezockt
wie nach unserer Regelung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Lassen Sie mich noch eines sagen: Ihre überzogene

Überwachungs- und Reglementierungswut führt zu
deutlich höheren Verwaltungskosten.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! Das wollen die auch!)


Wo soll das Geld dafür hergenommen werden? Das
Geld, das für Verwaltungskosten ausgegeben werden
soll, wird dort gespart, wo es für die Patienten medizi-
nisch notwendig wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das Schlimmste an dem Gesetz ist für mich: Sie blähen
die Bürokratie auf. Dadurch fehlen uns die Mittel dort,
wo sie für die Patienten benötigt werden. Deshalb kann
man nur zu dem Schluß kommen: Wer für die Patienten
ist, muß gegen dieses Gesetz sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406604800
Ich gebe das Wort
der Bundesministerin für Gesundheit, Andrea Fischer.


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406604900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich reizt
es mich, auf etliches, was hier gesagt worden ist, inhalt-
lich einzugehen. Aber dies ist nicht der Punkt. Es geht
vielmehr darum, wie der Vorsitzende der CDU/CSU-
Fraktion mit dem Gesprächsangebot umgegangen ist,
das ich heute gemacht habe. Ich halte es für ein eigenwil-
liges Demokratieverständnis, wenn Sie mir sagen, ich
solle den Gesetzentwurf, über den der Bundestag heute
befinden wird, zurücknehmen. So funktionieren die Ge-
setzgebungsverfahren in unserer Demokratie nicht, daß
Minister hier handstreicherartig vorgehen und dem Bun-
destag vorschreiben könnten: Beendet jetzt eure Beratun-
gen! Entscheidet euch in meinem Sinne!


(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wolfgang Zöller






(A) (C)



(B) (D)


Auch etwas anderes ist nicht richtig: Mit dem Hin-
weis auf Verfahrensfragen sagen Sie, man könne über
den vorliegenden Gesetzentwurf nicht sprechen. Zwar
ist heute schon einiges klargestellt worden, ich möchte
aber darauf hinweisen, daß nicht alle Änderungsanträge
erst seit gestern im Ausschuß vorgelegen haben. Dies
haben Sie falsch dargestellt. Unabhängig davon, wie es
tatsächlich gewesen ist, möchte ich darauf aufmerksam
machen, daß der Bundestag dieses Gesetz verabschieden
wird. Erst dann stellt sich die Frage, wie das weitere
Verfahren aussehen wird.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es ist das Recht des Deutschen Bundestages, Gesetze zu
verabschieden. Es ist falsch, wenn Sie das Gesetzge-
bungsverfahren zwischen Länderkammer und Bundestag
mißbrauchen wollen, um eine Totalopposition aufrecht-
erhalten zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406605000
Frau Bundesmini-
sterin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Ramsauer?


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406605100

Nein, ich möchte meinen Gedanken fortsetzen.


(Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Schlechtes Gewissen!)


Der Gesetzentwurf ist die Geschäftsgrundlage für die
weiteren Beratungen. Mit Verlaub, wir brauchen für un-
sere Beratungen auch eine Grundlage; denn von Ihrer
Seite gibt es nichts, über das wir reden könnten, außer
Zeitungsinterviews und Äußerungen, die Sie irgendwo
gemacht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Was ist mit der Ausschußvorlage?)


Ich will noch etwas dazu sagen, daß die Kollegin
Stamm gesagt hat, wir würden erst jetzt zu den Ländern
kommen, weil wir sie erst jetzt bräuchten. Liebe Kolle-
gin Stamm, das ist einfach die Unwahrheit. Wir haben
auf der Gesundheitsministerkonferenz, die meiner Erin-
nerung nach im Mai oder Juni in Trier gewesen ist, dar-
über gesprochen, daß es Sinn machen würde, wenn es
zwischen den A- und B-Ländern und der Bundesseite
Gespräche gäbe. Dazu hat es sogar eine Verabredung
gegeben. Sie ist von Bayern aufgekündigt worden


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


mit dem Argument, daß sich die Verhältnisse im Bun-
desrat, was die Mehrheiten anbelangt, vermutlich ändern
würden, und deswegen sei es sinnlos, im Spätsommer –
zu diesem Zeitpunkt waren wir eigentlich verabredet –
miteinander zu sprechen. Ich finde es ungeheuerlich,
wenn Sie heute behaupten, wir hätten diese Gespräche
verweigert.

Ich weise auch entschieden zurück, daß Sie hier die
Gespräche meines Staatssekretärs mit den Staatssekretä-
ren der B-Länder als Einkaufstouren denunzieren.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Genau so war es!)

Er ist nur deswegen bei diesen Gesprächen gewesen,
weil er den Kontakt und das Gespräch mit den
B-Ländern gesucht hat. Das war seine Aufgabe, damit
hatte ich ihn beauftragt. Es ging um die Vorbereitung
solcher Gespräche.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist ja noch schlimmer!)


Und jetzt reden wir doch einmal über den Sinn des
Vermittlungsverfahrens:


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie machen ja den dritten Schritt vor dem ersten!)


Der Vermittlungsausschuß hat einen verfassungsrechtli-
chen Auftrag.


(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Wir können jetzt noch eine Weile ausprobieren, wer
von uns lauter brüllen kann, aber ich glaube nicht, daß
es dadurch besser wird.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie haben mir ja eine Zwischenfrage verweigert!)


Sollten Sie damit weitermachen, würde ich den Präsi-
denten bitten, mir Unterstützung zu geben, damit ich zu
diesem Punkt etwas sagen kann.

Was ist der Sinn eines Vermittlungsverfahrens?

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wir kennen uns da aus!)

Es geht darum, Länderinteressen mit Bundespolitik in
Einklang zu bringen. Das ist der verfassungsrechtliche
Auftrag des Vermittlungsausschusses. Es ist nicht seine
Aufgabe, parteipolitisch instrumentalisiert zu werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist ja unwahrscheinlich!)


Sie sagen, daß Sie ein Interesse an konstruktiver Mit-
arbeit haben. Sie haben auch gesagt, Sie wollten keine
Blockadepolitik machen. Dann aber ist es der Sache
überhaupt nicht dienlich, wenn hier mit Vorbedingungen
gearbeitet wird, die sozusagen das Verfahren als solches
bereits unmöglich machen – übrigens auch mit einer fal-
schen Unterstellung. Denn es ist allen Seiten bekannt,
daß Vermittlungsverfahren auch auf Fachebene vorbe-
reitet werden. Das wird jedoch nur funktionieren, wenn
sozusagen – und dafür plädiere ich – abgerüstet wird,
wenn man ohne Vorbedingungen in die Gespräche geht
und respektiert, daß der Deutsche Bundestag eine Ent-
scheidung trifft, die Gesprächsgrundlage ist, auf der
dann über die drängenden Probleme geredet werden
kann.

Bundesministerin Andrea Fischer






(B)



(A) (C)



(D)


Hier ist heute sowohl von mir persönlich als auch von
seiten der Koalitionsfraktionen deutlich erkennbar ge-
worden, daß wir gesprächs- und auch kompromißbereit
sind. Wenn Sie dieses Angebot ausschlagen, dann
spricht das nicht für Ihr Verantwortungsbewußtsein und
auch nicht für Ihre Bereitschaft, wirklich zum Wohle der
Gesundheitspolitik zu wirken. Jetzt sind Sie am Zug!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Gekniffen! – Abg. Walter Hirche [F.D.P.] meldet sich zu Wort)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406605200
Wie darf ich das
verstehen, Herr Kollege Hirche? Möchten Sie eine
Kurzintervention machen? Dann bitte ich darum, das
rechtzeitig anzumelden. – Sie haben das Wort zu einer
Kurzintervention.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1406605300
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich habe mit meiner Wortmeldung
gewartet, weil ich dachte, die Frau Ministerin geht noch
auf den – von mir jetzt anzusprechenden – Sachverhalt
ein. Deswegen kann ich das erst jetzt machen.

Es ist in der Debatte von mehreren Rednern ange-
sprochen worden, daß die Seite 394 der Drucksache ei-
nen Text enthält, der gestern im Ausschuß ausdrücklich
anders beschlossen worden ist. Heute aber wird uns der
Text so vorgelegt, wie er im Ministerium erarbeitet wor-
den ist. Ich möchte von der Ministerin wissen – ich
glaube, daß sie, da das im Ministerium miterarbeitet
worden ist, der richtige Ansprechpartner ist; ansonsten
richte ich diese Frage an den Präsidenten –, ob wir jetzt
über die Ausschußvorlage – die hier nicht vorliegt – ab-
stimmen sollen oder ob wir eine Korrektur dieser Seite
bekommen, damit über den Text abgestimmt wird, der
im Ausschuß beschlossen worden ist. Handelt es sich
hier um eine falsche Drucksache, ja oder nein? Ist das
Ministerium bereit, heute offiziell von seiner gestrigen
Stellungnahme abzurücken?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Frau Ministerin, bitte!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406605400
Da es dazu keine
Wortmeldung gibt, fahren wir in der Aussprache fort.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Ich kann es nicht ändern. Aber der Kollege Hirche hat
eine Frage gestellt, die natürlich zu klären ist. Mögli-
cherweise kann sie in der Unterbrechung, die heute mit-
tag vor der Abstimmung stattfinden wird – darauf hat
Präsident Thierse ja schon hingewiesen –, geklärt wer-
den. – Eine Kurzintervention, eine Antwort des Kolle-
gen Kirschner.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1406605500
Herr Präsident! Ich will auf
die relativ späte Verabschiedung eingehen, Herr Hirche.


(Zuruf von der CDU)


– Ich brauche nicht zu wiederholen, was ich schon ge-
sagt habe.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Was denn nun?)


– Wenn Sie mich ausreden lassen, glaube ich, bekom-
men wir alles hin.

Es ist völlig klar, daß es nicht korrekt übermittelt
worden ist. Es handelt sich um einen Übermittlungsfeh-
ler. Ich erkläre hiermit, daß der Ausschußbericht geän-
dert werden muß. Auf Seite 152 steht in Art. 1 Nr. 82

(§ 140 b Abs. 4):



(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da ist noch ein Fehler!)


Soweit die Verträge die vertragsärztliche Versor-
gung einschließen, müssen sie Vorkehrungen dazu
treffen, daß der Anteil der an der integrierten Ver-
sorgung teilnehmenden Versicherten höchstens 70
vom Hundert der Zahl der von dem einzelnen Ver-
tragsarzt versorgten Versicherten umfaßt.

Dieses ist zu streichen, weil dieser Antrag zurückgezo-
gen wurde.

Auf den Seiten 394 und 395 – Sie sehen, wir passen
auf, Sie haben es noch nicht einmal bemerkt – sind in
Art. 23 § 8 in der Überschrift die Worte „und Öffnung“ zu
streichen. Darüber hinaus ist § 8 Abs. 2 einschließlich
Inkrafttretungsvorschrift zu streichen. Das heißt, die Seite
18 der Ausschußdrucksache 14/274 ist zurückgezogen
worden. Dies will ich der Korrektheit wegen sagen.

Ich stelle hiermit den Antrag, daß diese Ausschuß-
drucksache so geändert wird, daß sie die vom Ausschuß
beschlossene Fassung enthält.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406605600
Zu einer weiteren
Kurzintervention, zu einer Erwiderung der Kollege Zöl-
ler.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1406605700
Herr Präsident, ich
habe jetzt ein ganz großes Problem. Bisher haben wir
nur von der Änderung, die nicht in diesen Entwurf auf-
genommen wurde – von der Betriebskrankenkassenre-
gelung –, gesprochen. Daher verwundert es mich, daß
jetzt noch eine Änderung kommt. Ich muß also davon
ausgehen, daß man diesen Bericht erst einmal durchle-
sen muß, um zu prüfen, ob in ihm das steht, was wir ge-
stern beschlossen haben. Es kann ja nicht angehen, daß
wir im Ausschuß etwas beschließen und heute während
der Beratung ständig Änderungen kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Walter Hirche [F.D.P.]: Das hat schon mit dem Verständnis von Parlamentarismus zu tun, was sich hier abspielt!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406605800
Wenn Ihre Wort-
meldung, Herr Kollege Ramsauer, eine Wortmeldung
zur Geschäftsordnung ist, dann haben Sie das Wort.

Bundesministerin Andrea Fischer






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1406605900
Herr Präsident!
Nach dem, was uns jetzt hier von fachlicher Seite vor-
getragen worden ist, bitte ich Sie für die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Für uns auch!)

– ich höre gerade, daß ich das auch für die Fraktion der
F.D.P. tun kann –, zu prüfen, ob vor diesem Hintergrund
im Einklang mit der Geschäftsordnung unseres Hauses
eine Fortführung der Beratung dieses Gesetzes über-
haupt möglich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Hinblick auf diese Prüfung beantrage ich vorsorglich
für meine Fraktion – ich nehme an, auch für die F.D.P.-
Fraktion – eine sofortige Unterbrechung der Sitzung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Chaos!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406606000
Ich habe diese
Wortmeldung so verstanden, daß die Fraktionen von
CDU/CSU und F.D.P. die sofortige Unterbrechung der
Beratung erbitten. Können wir darüber eine Verständi-
gung unter den Fraktionen erzielen?


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1406606100
Herr Präsident! Unabhängig
von der Tatsache, daß es das Recht jeder Fraktion ist,
eine Unterbrechung der Sitzung zu verlangen – das ver-
steht sich von selbst –, kommt es mir auf folgendes an:
Der Ausschußvorsitzende, der Abgeordnete Kirschner,
hat gerade den Sachverhalt vor dem Deutschen Bundes-
tag dargestellt. Er hat dargestellt, daß auf Antrag der
CDU/CSU und der F.D.P. die Koalitionsfraktionen ge-
stern im Ausschuß die beiden Anträge, die er gerade zi-
tiert hat, zurückgezogen haben.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! – Gegenruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie ihn doch ausreden! Dieser Voralpentyp! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406606200
Das Wort hat der
Kollege Dreßler!


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1406606300
Herr Präsident, ich darf in
eigener Sache feststellen, daß die Empörung bei der
CDU/CSU nicht meiner Intervention gilt.

Nun hat der Abgeordnete Kirschner in seiner Eigen-
schaft als Vorsitzender des Gesundheitsausschusses dem
Hause mitgeteilt, daß diese beiden Anträge – aus einem
Grunde, den ich nicht kenne – gleichwohl auf merkwür-
dige Weise in der Ausschußdrucksache aufgetaucht sind.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Das heißt, bei der Beschlußfassung des Ausschusses

waren diese beiden Anträge nicht mehr existent. Damit
kann auch hier nicht über Inhalte gestritten werden, denn
diese beiden Passagen sind vom Ausschuß nicht be-

schlossen worden. Ich lege Wert darauf, daß zur Kennt-
nis genommen wird: Es geht nicht um strittige Texte,
sondern nur darum, daß ein Antrag, der gar nicht zur
Abstimmung stand, in diese Ausschußdrucksache einge-
fügt worden ist – auf welche Art und Weise auch immer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406606400
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir sind nun in einer etwas eigenartigen
Situation. Es wurde der Geschäftsordnungsantrag auf
Unterbrechung der Sitzung gestellt. Aber da der Kollege
Dreßler, nachdem ich ihm das Wort erteilt habe, den
Sachverhalt aus seiner Sicht dargestellt hat, möchte ich
diese Möglichkeit nun auch den beiden Kollegen der
Oppositionsfraktionen geben. Ich bitte Sie, sich kurz zu
fassen. Dann werde ich die Sitzung unterbrechen.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1406606500

Ich habe den Eindruck, Herr Präsident, auch der Kollege
Dreßler hat jetzt den Überblick verloren. Es war nicht
so, wie Sie sagen, daß die Anträge auf Antrag der
CDU/CSU und der F.D.P. zurückgezogen worden sind.
Wir haben bei der Erläuterung der Anträge festgestellt,
daß mit diesen Anträgen neue Tatbestände ins Verfahren
eingeführt werden. Deshalb – das ist ein Minderheiten-
recht – haben wir gesagt: Da muß wohl eine öffentliche
Anhörung stattfinden. Daraufhin wurden diese Anträge
zunächst beiseite geschoben und ausgesetzt. Dann gab
es eine Sitzungsunterbrechung. Als wir in die Sitzung
zurückkehrten – ohne jeden Antrag –, hatten die An-
tragsteller ihre Anträge zurückgezogen.


(Rudolf Dreßler [SPD]: Also doch!)

– Sie haben eben von unseren Anträgen gesprochen,
aber wir haben überhaupt keine Anträge dazu gestellt,
und zwar deswegen nicht, weil man befürchtet hat, daß
durch eine öffentliche Anhörung der zeitliche Ablauf
behindert werden würde.

Noch ein Satz: Herr Kollege Kirschner, die Worte
„und Öffnung“ sagen Sie so leicht dahin. Es ging bei
den Worten „und Öffnung“ darum, daß Sie den beste-
henden Betriebskrankenkassen untersagen wollten, sich
im Rahmen der Wahlfreiheit für alle Versicherten zu
öffnen, die den Wunsch haben, diesen Betriebskranken-
kassen beizutreten.


(Rudolf Dreßler [SPD]: Für ein Jahr!)

Darum ging es!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406606600
Herr Kollege, bitte
schön.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1406606700
Es war in der Tat so,
wie Herr Lohmann es geschildert hat. Aber ich denke,
nachdem wir jetzt in Windeseile diese zwei Tatbestände
gefunden haben, wäre es sehr sinnvoll, wenn wir Zeit
bekämen, das Paket insgesamt daraufhin durchzusehen,






(B)



(A) (C)



(D)


ob hier nicht noch weitere Fehler vorhanden sind. Daher
beantrage ich Sitzungsunterbrechung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406606800
Wir haben in diesem
Hause klare Regeln. – Jetzt kommt der Antrag des Kolle-
gen Ramsauer. Darüber werde ich dann entscheiden.


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1406606900
Herr Präsident!
Ich möchte meinen Geschäftsordnungsantrag von vorhin
wie folgt ergänzen: Da die Verfahrenslage immer ver-
worrener wird und von seiten der Koalitionsfraktionen
nicht für Aufklärung gesorgt werden kann, sehe ich die
einzig gangbare Möglichkeit darin, daß der Ältestenrat
zusammentritt


(Lachen des Abg. Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und die weiteren Möglichkeiten des Verfahrens prüft.
Ich beantrage deswegen die sofortige Unterbrechung der
Sitzung, verbunden mit der Bitte, daß der Ältestenrat so-
fort zusammentreten möge.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406607000
Verehrte Kolleginnen
und Kollegen, nach diesem Antrag der CDU/CSU-
Fraktion und der F.D.P.-Fraktion wird die Sitzung unter-
brochen. Die Sitzung des Ältestenrates wird in Abstim-
mung mit dem Präsidenten einberufen. Dieser Zeitpunkt
und der Zeitpunkt, wann die Sitzung des Deutschen Bun-
destages fortgesetzt wird, werden noch bekanntgegeben.

Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 12.26 bis 13.45 Uhr)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406607100
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz zu
nehmen. Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich weise noch einmal darauf hin, daß der Ältesten-
rat beschlossen hat, daß wir jetzt mit der Beratung der
weiteren Tagesordnungspunkte fortfahren und die Ent-
scheidung des Ältestenrates und des Gesundheitsaus-
schusses bezüglich des Gesundheitsreformgesetzes ab-
warten.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Erwin
Marschewski, Wolfgang Zeitlmann, Wolfgang
Bosbach, weiteren Abgeordneten und der Frakti-
on der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das
Ausländerzentralregister und zur Einrichtung
einer Warndatei
– Drucksache 14/1662 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als ersten Redner rufe ich den Kollegen Erwin Marschewski von der CDU/CSU-Fraktion auf. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Schleusertum ist ein menschenverachtendes Geschäft und ein schweres Verbrechen. Schlepper, Schleuser und Menschenhändler versprechen den Menschen den Himmel auf Erden – natürlich gegen Geld. Eine einzige Schleusung kann bis zu 40 000 DM kosten. Der illegale Zutritt ins gelobte Land in der Mitte Europas mit seinem attraktiven Sozialsystem wird aus blanker Profitgier angeboten. So kommen der Taxifahrer aus Sri Lanka, die junge Thailänderin oder der frustrierte, gefährdete junge Mann aus dem Balkan sehr oft illegal nach Deutschland. Diese Menschen finden wir dann leider allzuoft in erzwungener Prostitution und in Kriminalität wieder, denn sie müssen ja weitere Raten für ihre Schlepper zahlen. Im übrigen machen sie dann politische Verfolgung geltend. Das haben ihnen die Schlepper so beigebracht. Da die meisten aber keine Asylgründe haben, müssen sie am Ende in ihre Heimat zurückkehren. Sie sind dann entwurzelt und gesellschaftlich wie wirtschaftlich ruiniert, denn für den Schleuserlohn haben sie sehr oft alles Hab und Gut veräußern müssen. Allein im vorletzten Jahr hat der Bundesgrenzschutz 12 000 Geschleuste festgestellt. Dies ist die offizielle Zahl. Die Zahl ist im Steigen begriffen. Die Dunkelziffer – meine Kolleginnen und Kollegen Fachleute wissen dies – ist natürlich um ein Vielfaches höher. All dies macht deutlich: Die eingeschleusten Menschen sind Opfer ihrer Schlepper. Aber auch die deutsche Gesellschaft wird durch das verbrecherische Tun dieser Gangster geschädigt. Sie hat nämlich letzten Endes die finanziellen Aufwendungen für die Opfer der Schleuser zu tragen. Daher gilt, meine Damen und Herren: Die Bekämpfung der illegalen Einwanderung und insbesondere der Schleuserkriminalität muß wieder zum Schwerpunkt deutscher Innenpolitik werden. Nur einfach zu sagen, Herr Mini ster Schily, die Grenze der Belastbarkeit sei überschritten, ohne hieraus die nötigen Konsequenzen zu ziehen, das reicht einfach nicht. Es ist dringend vonnöten, diesen richtigen Worten endlich Taten folgen zu lassen, Herr Innenminister. Wir wissen, meine Damen und Herren, daß die Schlepper, wenn sie mit ihren Opfern erst einmal die Grenze überschritten haben, gewonnen haben und unser Land den Kampf gegen diese Verbrecher verloren hat. Deswegen wollen wir im Vorfeld eingreifen, was durch unseren Gesetzentwurf ermöglicht wird. Wir erfassen bereits – das wissen Sie – gewisse Daten im Ausländerzentralregister. Doch hier sind Verbesserungen nötig: Dr. Dieter Thomae Erstens. Man muß nicht nur wissen, ob ein Ausländer einen Visumsantrag gestellt hat, man muß auch wissen, wie über diesen Antrag entschieden worden ist; denn nur so läßt es sich leichter feststellen, ob ein Ausländer versucht, mit einem gefälschten Visum seine Einreise nach Deutschland zu erreichen. Zweitens. Es reicht nicht aus, daß nur das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter Zugriff auf die Daten des Ausländerzentralregisters haben. Die Kontrollen sind meines Erachtens nur dann effektiv, wenn auch sonstige Polizeivollzugsbehörden Zugriff erhalten. Drittens. Wenn sich jemand verpflichtet – das ist nach dem Ausländerrecht möglich –, die Kosten des Aufenthaltes eines Ausländers in Deutschland zu übernehmen, diese Verpflichtung aber nicht einhält, so geht dies zu Lasten der Solidargemeinschaft. Diese Situation darf nicht so bleiben. Die Träger von Sozialhilfe und von Asylbewerberleistungsgeld müssen die fälligen Erstattungsansprüche, so meinen wir, auch durchsetzen können. Last, not least. Mit der Warndatei, die wir ebenfalls vorschlagen, wollen wir Visabetrügereien verhindern. Es kann nicht sein, daß zum Beispiel ein in Bombay konsulatsbekannter Visabetrüger nach Neu-Delhi geht, dort ein Visum verlangt und dieses Visum bekommt, weil er dort nicht bekannt ist. Deswegen sollten alle Auslandsvertretungen und alle Grenzbehörden in die Lage versetzt werden, auf diese Warndatei zuzugreifen und Auskunft aus ihr zu erhalten. Dies sind einige der Folgerungen, die zumindest wir aus fünf Jahren Erfahrung mit dem novellierten Gesetz über das Ausländerzentralregister gezogen haben. Mit dem Gesetzentwurf schaffen wir die Voraussetzungen dafür, daß eben die Schleuserkriminalität besser bekämpft wird, daß Visaerschleichungen besser verfolgt werden und daß Leistungsbetrug begrenzt wird. Der Vorsitzende des Innenausschusses, der SPDKollege Penner, hat dies bereits begrüßt. Er hat jedenfalls gesagt, so habe ich gelesen, ihm seien alle Gesetzentwürfe willkommen, die beklagenswerte Mißbräuche bekämpfen. Das haben auch andere SPD-Kollegen auf Informationsbesuchen neulich in Ghana und im Senegal gesagt. Ich werte dies als Aufforderung und als Signal, daß wir im Ausschuß eine offene Debatte über unseren Gesetzentwurf führen können. Was nun die Bundesregierung anbelangt, Herr Bundesinnenminister, habe ich den Eindruck, daß Sie das Problem erst erkannt haben, nachdem wir unseren Gesetzentwurf vorgelegt haben. In der letzten Woche gab es ein Symposium des Bundesnachrichtendienstes. Frau Kollegin Staatssekretärin, dort haben Sie gesagt, Sie wollten ein sogenanntes Frühwarnsystem einrichten. Sie haben außerdem gesagt, der gesetzliche Spielraum sei noch nicht ausgeschöpft. Herr Minister Schily, wenn man wie Sie in der Regierung ist, dann darf man ruhig ein wenig konkreter sein. (Ludwig Stiegler [SPD]: Wie lange habt ihr regiert? Ihr habt 16 Jahre geschlafen!)

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1406607200

(Beifall bei der CDU/CSU)





(A) (C)


(B) (D)


Sie haben jetzt den Auftrag zum Regieren, der zum
Handeln verpflichtet. Dieser Auftrag heißt, Herr Kollege
Stiegler: Nicht mehr Zuwanderung, sondern Zuwande-
rungsbegrenzung und vor allen Dingen eine wirksame
Bekämpfung von Schleppern und Schleusern sind das
Gebot der Stunde.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Wie lange habt ihr regiert?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406607300
Herr
Kollege Marschewski, kommen Sie bitte zum Schluß.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1406607400
Ich komme zum
Schluß.

Beschränken Sie sich nicht darauf, Herr Bundesin-
nenminister, uns wie in Tampere ein wortreiches Sollte-
Müßte-Dürfte vorzuschlagen! Nehmen Sie mit uns ge-
meinsam den Kampf gegen das organisierte Schlepper-
tum auf! Ich verspreche Ihnen: Wenn es im Bundestag
wegen der Grünen etwas schwieriger werden sollte,
dann werden wir dies, so glaube ich, gemeinsam im
Vermittlungsausschuß schon richten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Eine solche Dampfplauderei ist wirklich unglaublich!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406607500
Als
nächster Redner hat der Kollege Eckhardt Barthel von
der SPD-Fraktion das Wort.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1406607600
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Nach dem Beitrag von Herrn
Marschewski habe ich ein bißchen Angst bekommen: In
welchem Land lebe ich denn? Wodurch bin ich bedroht?
Es macht mir Sorge, wenn ich eine solch einseitige Be-
schreibung der Situation höre. Ich frage mich: Hat die
Verbreitung von Angst Methode? Was ist das Ziel? All
das, was Sie angeführt haben, in Verbindung mit dem
AZR zu bringen, halte ich für ein wenig übertrieben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich sieht man sich ein Gesetz, das bereits seit
fünf Jahren in Kraft ist, auf Verbesserungs- und Verän-
derungsbedarf hin an. Das gilt allgemein und nicht nur
für dieses Gesetz. Ich wundere mich aber manchmal,
daß, wenn von der CDU/CSU eine Änderung in Sachen
Ausländerrecht gewünscht wird, dies immer mit Ver-
schärfung einhergeht. Vielleicht sollte man einmal in
eine andere Richtung sehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nur so, oder wie?)

– Nein, nicht „nur so“.

Meine Damen und Herren, wenn man Änderungen
will – das schlagen Sie hier vor –, so genügt es meines
Erachtens nicht, nur zu sagen, was man ändern will und
welches Ziel man damit verfolgt. Ich glaube, es ist not-
wendig, vor einer Gesetzesänderung, vor allem in einem

Erwin Marschewski






(B)



(A) (C)



(D)


so sensiblen Bereich, zu fragen, ob die bisherigen In-
strumente wirklich nicht ausreichen. Man sollte erst
einmal überprüfen: Was liegt vor? Wird es genutzt?
Reicht es aus, oder ist eine Ergänzung – in welcher
Form auch immer – notwendig? Erst dann läßt sich mei-
ner Ansicht nach eine Gesetzesänderung begründen.

Ich sagte, daß es hier um einen sensiblen Bereich
geht. Man darf ihn nicht so leicht zur Seite schieben. Ihr
Vorschlag bedeutet eine Einschränkung des Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung von Ausländern, die
in Deutschland leben. Gerade hier ist es notwendig, ganz
stark den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu be-
achten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine Frage, die sich anschließt, auch angesichts der
Tatsache, daß Sie viele durch Ihr Gesetzeswerk mögli-
cherweise zu lösende Probleme angeführt haben, ist: Be-
steht Handlungsbedarf? Sie wollen mit diesem Gesetz-
entwurf – das wurde durch Ihre Rede sehr deutlich – den
Mißbrauch und das Schlepperwesen bekämpfen. Wer
will dies nicht? Ich glaube, da besteht überhaupt kein
Dissens; das ist Ziel aller in diesem Haus vertretenen
Parteien. Das Traurige aber ist, daß es Mißbrauch leider
Gottes überall und fast immer gibt.

Wenn man diesen Mißbrauch aber bekämpfen will,
dann muß man über Einzelfälle hinaus darlegen und den
Beweis dafür erbringen, daß das bisherige Instrumenta-
rium dafür nicht ausreicht. Zudem muß klar sein, ob
durch die Vorschläge zur Beseitigung des Mißbrauchs –
Herr Marschewski, das meine ich sehr ernst – auch ne-
gative Folgen erzeugt werden können.

Wenn ich überhaupt Handlungsbedarf sehe, dann
nur auf Grund der notwendigen Anpassung, die sich aus
EU-Datenschutz-Richtlinien ergibt. Deutschland ist
verpflichtet, diese Richtlinien umzusetzen. Zudem müs-
sen wir zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem
Dubliner Übereinkommen eine einwandfreie Rechts-
grundlage schaffen.

Meine Damen und Herren, beim Sammeln, Speichern
und Weitergeben von Daten einer Minderheitengruppe, al-
so der Ausländer, besteht immer die Gefahr der Diskri-
minierung. Schon deshalb kann man meines Erachtens
nicht locker der Datensucht frönen, wie Sie es mit Ihrem
Antrag tun. Es muß auch die Frage gestattet sein, welche
Wirkung das, was wir hier tun und worüber wir reden – vor
allem, wie wir darüber reden –, auf die Betroffenen und
diejenigen, die sich betroffen fühlen, hat. Werden so leicht
eine Verpflichtungserklärung und der Besuch eines Ver-
wandten unterbunden? Wird er aus Angst, erfaßt zu wer-
den, darauf verzichten? Diese Angst mag unbegründet sein
– vielleicht ist sie es auch –, aber sie ist da. Das Gefühl
vieler Ausländer in dieser Gesellschaft, als Problem, als
Gefährdung definiert zu werden, ist vorhanden. Unsere
Aufgabe muß es sein, dem entgegenzuwirken. Nur, mit Ih-
rem Gesetzentwurf verstärken Sie die Angst und diese
Selbstdefinition von vielen in unserem Lande.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Ich glaube auch, daß Zurückhaltung geboten ist, weil
beim Bundesverfassungsgericht zwei Klagen in diesem
Bereich anhängig sind. Darin geht es unter anderem dar-
um, ob das bestehende Ausländerzentralregistergesetz
gegen das Diskriminierungsverbot verstößt. Schon des-
halb bitte ich um etwas Zurückhaltung. Wir sollten auf
jeden Fall im Auge behalten, welches Urteil gefällt wird.

Eines ist sicher: Liberaler wird das AZR-Gesetz
durch Ihren Vorschlag bestimmt nicht.


(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das soll es auch nicht! Es geht um Verbrecherbanden!)


– Sie sagen selbst, daß es das auch nicht werden soll.
Zumindest besteht jetzt also Klarheit über die bei Ihnen
vorhandene Zielsetzung.

Ich betone noch einmal: Es geht auch uns um die Be-
kämpfung des Mißbrauchs und des Schlepperwesens. Da
sind wir uns sicherlich einig. Allerdings ist das Instru-
ment, das Sie einsetzen wollen, zu überprüfen.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Was schlagen Sie denn vor?)


Meine Damen und Herren, wir sehen in dem von Ih-
nen eingebrachten Gesetzentwurf eine Verschärfung des
derzeitigen AZR-Gesetzes in einer Form, die wir nicht
akzeptieren können. Das gilt besonders für den zweiten
Teil des Gesetzentwurfes, die Einrichtung einer Warn-
datei. Ich habe bisher noch keinen Beleg dafür bekom-
men, daß die Notwendigkeit zur Errichtung einer sol-
chen Warndatei gegeben sei. Auch hier geht es wieder
um die psychologische Wirkung, die mit einer Warnda-
tei verbunden wäre. Worauf läuft das denn hinaus?
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, daß es auf
Bürger zweiter Klasse hinausläuft. Bei diesen Bürgern
aber handelt es sich zum großen Teil um Menschen, die
wir als Arbeitnehmer hierhergeholt hatten. Jetzt dürfen
wir mit ihnen so nicht umgehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Blödsinn!)

– Ob das Blödsinn ist, bezweifle ich. Sie sollten sich
einmal fragen, welche Wirkung auf die Gesamtgesell-
schaft und das Zusammenleben von Mehrheiten und
Minderheiten von Ihren Gesetzentwürfen und Beiträgen
ausgeht. Das vermisse ich bei Ihnen sehr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, mit
dieser Politik betreiben Sie Populismus. Sie engagieren
sich vorgeblich für die innere Sicherheit, tun es aber auf
Kosten von Menschen, die zu unserer Gesellschaft gehö-
ren. Das darf nicht sein.

Auch im ersten Teil Ihres Gesetzentwurfes sind For-
derungen enthalten, die wir nicht übernehmen können.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406607700
Herr
Kollege Barthel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Marschewski?


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1406607800
Ja.

Eckhardt Barthel (Berlin)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406607900
Bitte
schön, Herr Marschewski.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1406608000
Herr Kollege
Barthel, wenn Sie das „Populismus“ nennen, wie beur-
teilen Sie dann die Aussage des Bundesinnenministers,
die ich zitiert habe und in der es heißt, die Grenze der
Belastbarkeit sei überschritten, und wie beurteilen Sie
seinen neuerlichen Vorschlag, sogar das subjektive
Asylrecht abzuschaffen?


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1406608100
Aus Ihrer Zwi-
schenfrage wird mir deutlich, daß Sie über ganz andere
Dinge als das reden, was Sie uns hier vorlegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In Ihrem Antrag finde ich nichts, was mit dem Asylrecht
zu tun hätte. Ich empfehle Ihnen, daß Sie einmal Ihren
eigenen Entwurf lesen. Dann kämen Sie vielleicht zu
dem Ergebnis, daß wir hier über ganz andere Dinge re-
den.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Aber dann polemisiert es sich so schlecht!)


Wie immer man diese Aussage bewertet, es gibt keine
Verbindung mit dem, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf
vorhaben und was Sie vorhin hier selbst vorgetragen ha-
ben.

Meine Damen und Herren, ich wiederhole, auch im
ersten Teil Ihres Gesetzentwurfs sind noch einige Re-
gelungen vorgesehen, die nicht den Vorstellungen der
Sozialdemokraten entsprechen.

Lassen Sie mich abschließend eines sagen: Ich bin
neu in diesem Hause und habe deshalb nachgeguckt,
was in der vorigen Legislaturperiode war.


(Dr. Willfried Penner [SPD]: Ja, das lohnt!)

In der vorigen Legislaturperiode haben Sie dasselbe
schon einmal versucht, wenn ich richtig informiert bin.
Damals hatten Sie mit der F.D.P. jedoch einen Koaliti-
onspartner


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und eine Ausländerbeauftragte!)


– und eine Ausländerbeauftragte; sie gehörte ja auch der
F.D.P. an –, der verhindert hat, daß Sie Ihr Vorhaben
umsetzen konnten. Dazu beglückwünsche ich die F.D.P.
noch nachträglich.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, glau-

ben Sie doch nicht, daß Sie das, was Sie mit der F.D.P.
nicht durchbekommen haben, mit den Sozialdemokraten
durchbekämen. Das wäre ein Irrglaube.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406608200
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Max Stadler von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1406608300
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es heute in
der Tat mit einem Fall von Gesetzesrecycling zu tun.
Genauer gesagt, betreibt die CDU/CSU-Fraktion die
Wiederverwertung eines Gesetzentwurfes, mit dem sie
in der letzten Legislaturperiode am Widerstand der
F.D.P. und insbesondere am Veto der Ausländerbeauf-
tragten Cornelia Schmalz-Jacobsen gescheitert ist. Sie
war eine wirkungsvolle Ausländerbeauftragte, wie sich
an diesem Beispiel zeigt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Einen solchen Gesetzentwurf erneut einzubringen ist

freilich das gute Recht der Union. Es ist im Interesse der
Klarheit der politischen Positionen sogar zu begrüßen.
Uns gibt es Gelegenheit, daran zu erinnern, daß die
F.D.P. ihre traditionelle Rolle als Hüterin der Rechts-
staatlichkeit und der inneren Liberalität


(Lachen bei der CDU/CSU)

in der alten Politik sehr wohl wirkungsvoll wahrge-
nommen hat.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man darf aber aus Anlaß der Einbringung dieses Ge-
setzentwurfs vorweg noch eine weitere Feststellung tref-
fen: Jeder weiß ja, daß es in der früheren Koalition Mei-
nungsunterschiede im Bereich der Innenpolitik gegeben
hat. In der neuen rotgrünen Koalition erscheinen mir al-
lerdings die Meinungsunterschiede gerade in Fragen des
Ausländer- und Asylrechts eher noch gravierender. Das,
was Otto Schily im Interview in der „Zeit“ zur Asylpo-
litik gesagt hat, läßt sich doch nicht mit Ihren Vorstel-
lungen, Frau Beck, als Ausländerbeauftragte vereinba-
ren.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich bin ja auch nicht in seiner Partei! – Gegenruf von der CDU/CSU: Sie sagen aber nichts dazu!)


Kein Wunder, daß allenthalben Stillstand in der rotgrü-
nen Innenpolitik festzustellen ist.

Bemerkenswert ist aber vor allem auch die Art der
Auseinandersetzung in der neuen Koalition. Bündnis
90/Die Grünen haben in letzter Zeit so viele Demüti-
gungen und Provokationen hingenommen, daß an der
Basis die Mitglieder reihenweise austreten, wie zum
Beispiel kürzlich, Herr Uhl, die grüne Stadträtin Angeli-
ka Lex aus München, die noch vor einem halben Jahr als
Oberbürgermeisterkandidatin der Grünen im Gespräch
war.


(Dr. Willfried Penner [SPD]: Wie ist es denn bei der F.D.P.?)


Demgegenüber – das will ich durchaus konzedieren –
kann man im Rückblick zur Arbeit der alten Koalition






(B)



(A) (C)



(D)


sagen, daß die Minister Kanther und Schmidt-Jortzig
und die Innen- und Rechtspolitiker der alten Koalition
immerhin fair und respektvoll miteinander umgegangen
sind.


(Dr. Willfried Penner [SPD]: Die Liebe von Marschewski zu Hirsch war ja allgemein bekannt, ein inniges Liebesverhältnis!)


Das ändert nichts daran, daß die F.D.P. den Vorschlägen
zur Veränderung des Ausländerzentralregisters und zur
Einführung einer Warndatei seinerzeit eine klare Absage
erteilt hat. Die dafür maßgeblichen drei Gründe gelten
heute noch unverändert fort.

Erstens. Wer eine Gesetzesänderung vorschlägt, trägt
die Beweislast dafür, daß die Neuregelung wirklich
notwendig ist. Dieser Nachweis kann von den Initiatoren
des Gesetzentwurfes nicht geführt werden.

Klar ist zunächst nur – das ist aber ein Nebenpunkt,
wie ich ausdrücklich betonen möchte –: Ein solches Ge-
setz würde hohe Ausführungskosten verursachen. Ex-
perten veranschlagen allein die Beträge für notwendige
Software-Änderungen auf zirka 6 Millionen DM und die
Zusatzkosten bei den Auslandsvertretungen auf 10 Mil-
lionen DM. Zudem würde bei der Realisierung der
Warndatei ein erheblicher Personalaufwand notwendig
sein.

Zweitens. Das alles wäre aber hinnehmbar, wenn die
Neuregelung wirklich erforderlich wäre. Was wollen Sie
denn? Sie wollen umfangreiche Datenspeicherungen
vornehmen, und das ist ein erheblicher Eingriff in das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schreibt
vor, daß in einem solchen Fall besonders sorgfältig ge-
prüft und dargelegt werden muß, daß solche Eingriffe
zwingend notwendig sind. Die Praxis kommt aber doch
mit der geltenden Rechtslage durchaus zurecht.

Es war die Rede davon, daß es Mitteilungspflichten
geben soll, so daß man Sozialbetrug verhindern kann.
Solche Unterrichtungsverpflichtungen gegenüber den
Ausländerbehörden kennt auch das geltende Ausländer-
recht zur Durchsetzung von Erstattungsansprüchen. Eine
Änderung ist hier gar nicht notwendig.

Drittens – das ist der gewichtigste, weil politische
Einwand –: Dieser Gesetzentwurf enthält eine allgemei-
ne Tendenz zur Erschwerung von Auslandskontakten.
Es ist ja so, daß in bestimmten Fällen bei der Einladung
von Ausländern die Verpflichtung übernommen werden
muß, für sämtliche Folgekosten aufzukommen. Das ist
geltendes Recht. Nach dem Gesetzentwurf der Union
sollen nun Daten von Privatpersonen, aber auch Organi-
sationen wie Firmen und Vereinen zum Beispiel dann in
der Warndatei gespeichert werden, wenn sie eine solche
Verpflichtungserklärung abgegeben haben und der Gast
etwa später einen Asylantrag stellt. Das halten wir für
äußerst bedenklich. Sie werden dann in einer Warndatei
gespeichert – der Name spricht ja für sich –, das heißt,
derjenige, dessen Daten dort gespeichert werden, wird
mit dem Makel versehen, daß er unzuverlässig sei oder
etwas Gefährliches mache. Diese Speicherung wollen
Sie vorsehen, obwohl derjenige, der die Einladung aus-

gesprochen hat, mit dem Verhalten des Eingeladenen
gar nichts zu tun hat, also auch nichts damit, daß dieser
vielleicht einen Asylantrag stellt. Jedenfalls verlangen
Sie nicht, daß etwa nachgewiesen werden müßte, daß es
hier ein rechtswidriges Zusammenwirken zwischen dem
Einladenden und dem späteren Asylbewerber gebe. Ich
kann nicht akzeptieren, daß auf diese Weise Privatper-
sonen, aber auch Unternehmen der deutschen Wirtschaft
diskriminiert werden, Herr Kollege Barthel, indem ihre
Daten wegen eines Verhaltens in einer Warndatei ge-
speichert werden, zu dem sie gesetzlich verpflichtet
sind. Sie müssen nämlich solche Folgekosten überneh-
men. Mit den eventuellen Weiterungen, die sich daraus
ergeben könnten, haben sie aber nichts zu tun.

Im Zeitalter der Globalisierung und im Zuge vielfäl-
tiger internationaler wirtschaftlicher, wissenschaftlicher
und kultureller Kontakte erscheint uns Liberalen die
Warndatei für ein weltoffenes Land wie die Bundesre-
publik Deutschland als ein falsches politisches Signal.
Die Speicherung des Umstandes, daß eine Verpflich-
tungserklärung vorliegt, die Speicherung der Daten von
Personen, die solche Kostenübernahmen erklären, wür-
den doch – das ist der erklärte Zweck – von der Abgabe
von Verpflichtungserklärungen abschrecken. Will man
wirklich die damit verbundene Konsequenz, nämlich
weniger Besuchs- und Auslandskontakte? Das kann
doch nicht richtig sein.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Zu den Einzelheiten könnte man noch zahlreiche
Anmerkungen machen. Dies ist in erster Lesung im Ple-
num nicht erforderlich. Das können wir in den Aus-
schußberatungen nachholen. Die F.D.P.-Bundestags-
fraktion jedenfalls wird aus den dargelegten grundsätzli-
chen Erwägungen die Linie von Cornelia Schmalz-
Jacobsen weiterverfolgen und den Gesetzentwurf in die-
ser Form nicht unterstützen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406608400
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Marieluise
Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Herr Dr. Stadler, ich muß fest-
stellen, daß ich Ihnen in jedem Punkt zustimme. Inso-
fern gibt es Kontinuität in der Politik.

In der Tat handelt es sich um einen Gesetzentwurf,
der in der letzten Legislaturperiode im Hause Kanther
verfaßt worden ist. Ihnen, meine Damen und Herren von
der Union, ist es nicht gelungen, damit zu Ende zu
kommen,


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Sonst könnte man heute schon danach vorgehen!)


Dr. Max Stadler






(A) (C)



(B) (D)


weil innerhalb der Koalition doch schwerwiegende Dif-
ferenzen in dieser Frage bestanden haben. Die Gegenar-
gumente sind überwiegend aus dem Bundesjustizmi-
nisterium, vom Bundesdatenschutzbeauftragten


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wer ist denn das!)


und von meiner Amtsvorgängerin vorgetragen worden.
Nun also versuchen Sie es ein zweites Mal; das sei

Ihnen zugestanden. Allerdings werden wir einer Verän-
derung des AZR in dieser Form nicht zustimmen, weil
wir ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken haben.
Allein die Tatsache, daß schon gegen das bestehende
Gesetz mehrere Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe
anhängig sind, verpflichtet den Gesetzgeber, weil diese
Verfahren noch laufen, zu außerordentlicher Zurück-
haltung. Das AZR greift bereits jetzt massiv in das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 in seinem
grundlegenden Urteil zum Recht auf informationelle
Selbstbestimmung folgendes ausgeführt – ich zitiere mit
Erlaubnis des Präsidenten –:

Unter den Bedingungen der modernen Datenverar-
beitung wird der Schutz des einzelnen gegen unbe-
grenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und
Weitergabe seiner persönlichen Daten von dem all-
gemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes
umfaßt.

Weiter sagt das Bundesverfassungsgericht, daß der
Gesetzgeber den Verwendungszweck von Daten be-
reichsspezifisch und präzise bestimmen muß und daß, so
wörtlich, „die Sammlung nicht anonymisierter Daten auf
Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren
Zwecken“ nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das hat Ihnen jemand aufgeschrieben! Aber verstehen tun Sie es nicht!)


Deshalb möchte ich bereits den ersten Satz der Be-
gründung Ihres Gesetzentwurfs in Frage stellen. Daß das
Ausländerzentralregister den Anforderungen des Daten-
schutzes genügt, ist für uns in der Tat zweifelhaft.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Wieso?)

Dieses Register dient nämlich nicht nur ausländerrecht-
lichen Zwecken. Bereits jetzt kann eine Vielzahl von Be-
hörden – vom Zollkriminalamt über die Bundesanstalt für
Arbeit bis zum Bundesnachrichtendienst – auf diese Daten
zugreifen. Ist das noch die bereichsspezifische und präzise
Regelung, die das Bundesverfassungsgericht fordert? Ich
glaube, das kann man mit Recht in Zweifel ziehen.

Vieles spricht aus meiner Sicht für das, was die SPD-
Fraktion im ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren
zum AZR-Gesetz zu Protokoll gegeben hat – ich zitiere
noch einmal –:

Mit der vorgesehenen Vernetzung der polizei- und
nachrichtendienstlichen Informationssysteme via
AZR werden Ausländer anders behandelt als Deut-
sche.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist vom Gesetz auch gewollt!)


Aus dem Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung
für diese Sonderbehandlung dürfte sich eine verfas-
sungsrechtliche Diskriminierung ergeben. Es sei
denn, dieses Modell sollte Vorreiter für eine ent-
sprechende Kontrolle auch von Inländern sein.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das kann ja wohl nicht sein!)

Diese grundsätzlichen Zweifel am AZR machen aus

meiner Sicht den Versuch, eine Erweiterung des Regi-
sters vorzunehmen – und das, bevor das Bundesverfas-
sungsgericht über die anhängige Verfassungsbeschwer-
de entschieden hat –, mehr als fragwürdig. Wir sollten
uns da tatsächlich in Zurückhaltung üben.

Aber selbst wenn es die verfassungsrechtlichen Be-
denken gegen das AZR nicht gäbe, würden wir Ihrem
Gesetzentwurf kaum zustimmen, was Sie nicht verwun-
dern wird.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Jetzt kommt’s!)


Denn ich würde davon ausgehen, daß viele der von Ih-
nen vorgeschlagenen Regelungen einfach nicht erfor-
derlich sind. Sie berufen sich auf den massiven Miß-
brauch von Sozialleistungen durch Ausländer. Aber
bisher ist, obwohl es immer wieder behauptet wird, der
Nachweis über das Ausmaß dieses Mißbrauchs nicht ge-
führt worden. Auch eine Umfrage über den Deutschen
Städtetag bei verschiedenen Großstädten konnte die von
Ihnen behaupteten „massenhaften Mißbrauchsfälle“
nicht belegen. Da plädiere ich für große Zurückhaltung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Stimmt nicht! Wir haben es in München belegt!)


Zudem hat man mir bis heute auch nicht verständlich
machen können, weshalb das bestehende rechtliche In-
strumentarium nicht ausreicht, um Mißbrauchsfälle auf-
zudecken.

Es gibt noch weitere Kritikpunkte an dem Gesetzent-
wurf. Zu den Kosten – auch das hat Kollege Stadler
eben angeführt – sagt Ihr Entwurf, vermutlich aus guten
Gründen, so gut wie nichts. Wir als Gesetzgeber sind
aber verpflichtet, auch über die Kosten eines Gesetzes
nachzudenken. In der letzten Legislaturperiode wurden
allein die Kosten für neue Software beim Bundesver-
waltungsamt auf etwa 5,8 Millionen DM geschätzt. Da-
zu kommen Kosten bei den Auslandsvertretungen allein
für zwei Jahre in Höhe von etwa 10 Millionen DM.
Schließlich wäre da noch ein erheblicher Stellen- und
Personalbedarf beim Bundesverwaltungsamt – alles in
allem also durchaus ein teurer Spaß.

Die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen sind aber
nicht nur teuer, sondern sie sind auch weitgehend über-
flüssig. Warum sollte die Abgabe einer Verpflichtungs-
erklärung, mit der sich ein Deutscher verpflichtet, für
den Lebensunterhalt eines Ausländers aufzukommen,
der ihn in Deutschland besuchen möchte, in einer zen-
tralen Datei gespeichert werden?


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: So naiv kann man doch gar nicht sein, daß man eine solche Frage stellt!)


Marieluise Beck (Bremen)







(B)



(A) (C)



(D)


Wer gelegentlich ins Ausländergesetz schaut, weiß, daß
die Ausländerbehörde das Sozialamt ohnehin über das
Vorliegen von Verpflichtungserklärungen informieren
muß. Eines zentralen Registers bedarf es da nicht. Es ist
gerade eine der positiven Erfahrungen mit dem deut-
schen Föderalismus, daß vieles vor Ort besser angegan-
gen werden kann als durch ein zentralisiertes System.

Zum dritten wollen Sie, meine Damen und Herren
von der Union, nun auch die wenigen positiven Rege-
lungen, die das AZR-Gesetz enthält, noch beseitigen. So
hatte meine Amtsvorgängerin durchgesetzt, daß das In-
strument der Gruppenauskunft nicht auf Ausländer an-
gewandt werden darf, die schon lange und dauerhaft in
Deutschland leben. Denn bei diesen Menschen gibt es
keinerlei Rechtfertigung für den Einsatz besonderer
Fahndungsinstrumente. Das interessiert Sie aber nicht.
Was Sie wollen, ist die Nutzung vorhandener Daten für
eine polizeistaatlich orientierte Überwachung von Men-
schen in unserem Land, die mit dazugehören und
gleichberechtigt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Polizeistaatlich! So ein Quatsch!)


Aber damit nicht genug. Sie wollen das Register mit
der sogenannten Warndatei – nomen est omen – nun-
mehr auch auf deutsche Staatsangehörige ausdehnen.
Gespeichert werden sollen auch diejenigen, die eine
Verpflichtungserklärung für einen Ausländer abgegeben
haben, wenn der im Visumsverfahren etwa falsche Do-
kumente vorlegt oder nach der Einreise einen Asylantrag
stellt.

Daß ein Gastgeber vielleicht in gutem Glauben ge-
handelt haben könnte, ist für Sie offensichtlich belang-
los. Die Unschuldsvermutung soll hier einfach außer
Kraft gesetzt werden, und das wäre in der Tat einmalig
in der deutschen Rechtsordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Er wird doch nicht bestraft! Er wird nur in eine Datei aufgenommen!)


Eine solche Datei, meine Damen und Herren, würde
die Bereitschaft deutscher Staatsangehöriger, Bekannte
aus dem Ausland einzuladen, sicherlich nicht erhöhen,


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Na! Soviel Unsachlichkeit!)


und das wäre schade in einer Zeit, in der nationale Gren-
zen immer unwichtiger werden, immer mehr Menschen
Bindungen und Kontakte ins Ausland haben und über
die Grenzen hinweg zueinander Verbindung aufnehmen.

Dabei gilt schon jetzt, daß die deutschen Auslands-
vertretungen im Visumsverfahren überaus gründlich auf
potentielle Asylbewerber hin prüfen. In diesen Fällen
wird kein Visum erteilt, wovon Sie sich in jedem Kon-
sulat vor Ort überzeugen können.

Schon Herrn Kanther ist es nie gelungen, einen zah-
lenmäßig wirklich relevanten Mißbrauch des Visums-

verfahrens in bezug zu gestellten Asylanträgen nachzu-
weisen. Gleichwohl und immer wieder fordern Sie wei-
tere zentrale Dateien. Sie wollen immer mehr Menschen
erfassen und überwachen. Offenbar haben Sie keine
Sorge, daß wir zu einem Staat von zunehmend starker
Kontrolle gegenüber dem Bürger werden. Dies ist nicht
das Bild, das ich mir von dieser Gesellschaft mache. Es
entspricht mit Sicherheit auch nicht dem Menschenbild
unseres Grundgesetzes.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406608500
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke von der
PDS-Fraktion das Wort.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406608600
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Herr Marschewski, ich habe mich schon ge-
fragt, was für ein unverfrorenes Bild von der Wirklich-
keit Sie hier zu malen versuchen. Ich stimme der Kritik,
die bisher an Ihrem Antrag geübt worden ist, voll zu.

Sehen wir uns Ihren Antrag einmal sachlich an. Ich
zitiere:

Illegale Einreise und Schleuserkriminalität stellen
zunehmend eine Bedrohung für die innere Sicher-
heit Deutschlands dar.

Das haben Sie auch heute wieder als einen Schwerpunkt
hier in den Raum gestellt. Wer sich die Fakten ansieht,
wird sich fragen, wie Sie eigentlich zu so einer Ein-
schätzung kommen.

Ich habe mir die Daten des Bundesinnenministeriums
des vergangenen Jahres dazu einmal genauer angesehen.
Das Bundesinnenministerium hat im vergangenen Jahr
drei Tage lang bei einer internationalen Aktion von
Polizei- und Grenzschutzeinheiten aller Schengen-
Staaten gegen illegale Zuwanderung und Schleuserban-
den mitgewirkt. Daran waren laut BMI alle Schengener
Vertragsstaaten entlang der Hauptschleusungsrouten
beteiligt. Es gab koordinierte Grenz- und Inlandskon-
trollen an sogenannten Luft-, See- und Landrouten. Auf
deutscher Seite waren das Bundeskriminalamt, der Bun-
desgrenzschutz und die Polizeien der Länder beteiligt.
Ergebnis: Ganze 706 Personen ohne Aufenthaltspapiere
wurden bei dieser großangelegten Aktion gefunden,
ganze 26 Schleuser festgenommen. Die meisten der
Festgenommenen waren – man höre und staune – Koso-
vo-Albaner, rumänische Flüchtlinge und Flüchtlinge aus
Afghanistan. Ich sage Ihnen hier: Vorsicht, es handelt
sich hierbei um Menschen, die aus krisengeschüttelten
Staaten kommen.

Ein weiteres Beispiel. Das Bundeskriminalamt zeigt
in seiner polizeilichen Kriminalstatistik in der Tat einen
Anstieg der Schleuserkriminalität auf. Aber, Herr Mar-
schewski, auch Sie haben heute wieder falsche Daten
genannt. Es gab nicht allein im vergangenen Jahr
12 000, sondern in den vergangenen drei Jahren zusam-

Marieluise Beck (Bremen)







(A) (C)



(B) (D)


men – ohne das verharmlosen zu wollen – 14 400 Fälle
von Schleuserkriminalität. Gleichzeitig – ich denke, das
sollte man wirklich einmal gemeinsam diskutieren – re-
gistrierte das BKA allein für das Jahr 1998 rund 15 100
Fälle von Betrug und Untreue im Zusammenhang mit
Beteiligungen und Kapitalanlagen und rund 18 500 Fälle
von Wirtschaftskriminalität im Anlage- und Finanzie-
rungsbereich. Dies sind die Zahlen für ein Jahr. Mit an-
deren Worten: Die Zahl der Straftaten in diesen Berei-
chen der Wirtschaftskriminalität ist mehr als dreimal
so hoch wie die bei der Schleuserkriminalität. Trotzdem
werden von den Unionsparteien nur für Flüchtlinge
Ausländerzentralregister bzw. weitere Dateien gefordert.
Somit werden Flüchtlinge als Sicherheitsrisiko und
potentielle Kriminelle – wie wir heute schon gehört ha-
ben – diffamiert.

Ich will mit der BKA-Statistik fortfahren, denn diese
Statistik nennt auch Schadenssummen zum Beispiel im
Bereich der von Ihnen als Begründung genannten Er-
schleichung von Sozialhilfe sowie in den obengenannten
anderen Bereichen von Wirtschaftskriminalität. Im ein-
zelnen nennt das BKA für 1998 Schäden in Höhe von
2,5 Milliarden DM auf Grund von Betrugsdelikten,
Schäden in Höhe von 2,9 Milliarden DM durch Kon-
kursbetrug und Schäden in Höhe von 1,1 Milliarden DM
durch Betrug bei Kapitalanlagen.

Delikte im Bereich der Erschleichung von Sozialhilfe
sind verglichen damit so unbedeutend, daß sie beim
BKA nur als Untergruppe in der Rubrik „Wirtschafts-
kriminalität im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnis-
sen“ erfaßt werden. Für diese gesamte Schadensgruppe,
die also auch andere Kriminalitätsformen erfaßt, nennt
das BKA allein für 1998 Schäden in Höhe von 191 Mil-
lionen DM.

Mit anderen Worten: Die finanziellen Schäden, die
jedes Jahr durch Betrug entstehen, sind 13mal so groß
wie alle Schäden durch Erschleichung von Sozialhilfe.
Die finanziellen Schäden durch Konkursbetrug sind
15mal so groß, und die Schäden durch Kapitalanlagebe-
trug sind sechsmal so groß. Und Sie erzählen uns hier
diese Gruselgeschichten über illegale Einreise und über
Sozialhilfebetrug!

Um nicht falsch verstanden zu werden – ich habe es
eben schon einmal gesagt –: Kriminalitätsbekämpfung
und Verhinderung von Leistungsmißbrauch bei der
Sozialhilfe sind selbstverständlich legitim. Aber vor die-
sem Hintergrund und mit dieser Zielsetzung werden
immer mehr Überwachungsmechanismen eingerichtet –
meine Kollegin Beck hat es eben vorgetragen –, die in
keinem Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen.
Opfer sind immer die Bevölkerungsgruppen, die über
keine oder nur über eine schwache Lobby verfügen:
Arme, Ausländer und andere Minderheiten. Das muß
man Ihnen einfach einmal ins Stammbuch schreiben.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Schleuser haben keine Lobby! Nur die PDS!)


Kein anderes Thema in diesem Land wurde in den
vergangenen Jahren von der CDU/CSU so hochgespielt
wie die sogenannte Ausländerkriminalität. Allein die Art
und Weise, wie Sie dieses Thema anpacken, ist auslän-
derfeindlich und rassismusfördernd.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406608700
Frau
Kollegin Jelpke, kommen Sie bitte zum Schluß.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406608800
Im Grunde genommen habe ich
damit alles gesagt. Wir werden diesem Gesetzentwurf
auf gar keinen Fall zustimmen.


(Beifall bei der PDS – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: PDS – Partei der Schleuser!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406608900
Als
nächster Redner hat der Bundesinnenminister Otto
Schily das Wort.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1406609000
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich gar
nicht vor, mich in dieser Debatte zu Wort zu melden;
denn heute findet erst die erste Lesung dieses Gesetz-
entwurfs statt, und er wird noch im Ausschuß beraten
werden.

Wenn es darum geht, Schleuserkriminalität und Sozial-
hilfemißbrauch zu bekämpfen, dann gibt es niemanden
in diesem Plenarsaal, der diesen Zielen widerspricht.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Na, nach der letzten Rede?)


Entscheidend ist die Frage nach dem richtigen Instru-
ment. Sie müssen die Einwände, die von dem Kollegen
Barthel, von der Kollegin Beck und von dem Kollegen
Stadler vorgetragen worden sind, ernsthaft diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt nicht, daß man nicht über andere Informa-
tionsmöglichkeiten für die Polizei oder für die Sozialhil-
feämter nachdenken darf. Auch das muß man vorurteils-
frei diskutieren dürfen. Wir handeln nicht richtig, wenn
wir alle diese Fragen mit Denkverboten belegen; viel-
mehr sollten wir an die Probleme vorurteilsfrei herange-
hen. Wenn das geschieht, dann werden wir entdecken,
was die beste Lösung sein könnte.

Ich habe mich wegen eines einzigen Satzes des
Kollegen Marschewski zu Wort gemeldet. Er hat wie-
der die These aufgestellt, in Tampere sei außer schö-
nen Wortgirlanden nichts passiert. Herr Marschewski,
obwohl es nach den Usancen nicht möglich ist, hätte
ich Sie gern einmal als Zuhörer zur Luxemburger Kon-
ferenz der EU-Innen- und -Justizminister eingeladen.
Dort haben die Justiz- und die Innenminister aller EU-
Mitgliedstaaten – alle – gesagt, daß das Ergebnis von
Tampere sehr gut ist und daß es in wichtige Hand-
lungsfelder hineinführt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was sollen sie sonst sagen? – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Sie waren ja alle dabei!)


Wir haben von der Kommission einen Kalender, einen
sogenannten „score board“, in dem wir sehen, nach wel-
chen Abläufen und unter welcher Verantwortung etwas
auf der Grundlage von Tampere in Gang kommt. Herr

Ulla Jelpke






(B)



(A) (C)



(D)


Marschewski, ich kann nur sagen: Sie sind europapoli-
tisch total vereinsamt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es tut mir um Sie herzlich leid. Ich bin so fair, anzu-
erkennen, daß die CDU/CSU früher durchaus eine be-
achtliche europapolitische Kompetenz hatte. Seit Sie
aber in der Opposition sind, haben Sie sie im Handum-
drehen abgegeben. Das ist traurig. Dieser Trauer wollte
ich Ausdruck verleihen.

Vielen Dank meine Damen und Herren.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406609100
Herr
Marschewski, möchten Sie das Wort zu einer Kurzinter-
vention?


(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ja!)

– Bitte sehr.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1406609200
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz so ein-
sam bin ich nun doch nicht, wie Sie an der Reaktion
meiner werten Kolleginnen und Kollegen festgestellt
haben dürften.

Herr Minister, für mich war Tampere zum Beispiel
hinsichtlich der Asylgesetzgebung kein Erfolg. Inwie-
weit ist denn bei sicheren Herkunftsstaaten, bei Dritt-
staaten eine Angleichung erfolgt, Herr Minister Schily?


(Ludwig Stiegler [SPD]: Die Debatte haben wir schon geführt! Zur Sache, Schätzchen!)


Was haben Sie in bezug auf Burden-sharing erreicht?
– Nichts. Oder was haben Sie in der ganz wichtigen Fra-
ge der Angleichung der Asylbewerbergelder erreicht?
Die Leute kommen doch zu uns, weil ein Nord-Süd-
Gefälle besteht.

Ich weiß, daß das alles sehr schwierig ist, und bedan-
ke mich dafür, daß Sie gesagt haben, daß die Kompetenz
für Europa bei der Union liegt; keine Frage.


(Bundesminister Otto Schily: Nein! Das war einmal!)


Nur, in diesen Fragen haben Sie, Herr Kollege Schily,
nichts erreicht. Gleiches gilt für die Verbrechensbe-
kämpfung. Europol haben Sie in Kraft gesetzt. Wir ha-
ben die Vorleistung dazu erbracht.


(Dr. Willfried Penner [SPD]: Wie ist es denn mit Nordkorea?)


Aber wie sieht es im Bereich der Angleichung des mate-
riellen Rechts, im Bereich der europäischen Staatsan-
waltschaften, im Bereich gemeinsamer Visapolitik, um
nur einiges zu nennen, aus? Tampere war für die Innen-
politik und für die Sicherheitspolitik ein schwarzes, kein
gutes Europa. Das darf ich Ihnen sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Herr Schily, das ist die wahre Trauer, die wir tragen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406609300
Herr
Bundesminister, wollen Sie erwidern?


(Zurufe von der SPD: Bitte nicht!)

– Bitte schön.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1406609400
Lieber
Kollege Marschewski, ich kann Ihnen nur zugute halten,
daß Sie es einfach nicht besser wissen. Das kann ja ein-
mal passieren.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ist der Mann arrogant!)


Aber Sie können noch nicht einmal anerkennen, daß
es eine große Leistung der deutschen EU-Präsident-
schaft war, Europol arbeitsfähig gemacht zu haben, die
von allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union hochgelobt und anerkannt worden ist. Sie haben
vier Jahre Zeit gehabt, und es ist Ihnen nicht gelungen.
Ich kann die Vorarbeiten durchaus würdigen; aber ich
finde, wir haben den großen Erfolg, den Durchbruch er-
rungen.

Sie haben über Schleuserkriminalität geredet. Wir
haben Eurodac zu Ende geführt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das verwechselt er mit Donald Duck! – Heiterkeit bei der SPD)


Ich glaube, Herr Marschewski, Sie sollten ein wenig
mehr Sachlichkeit in die Debatte bringen, damit Sie Ihre
europapolitische Kompetenz vielleicht zurückgewinnen.
Das würde Ihnen guttun. Deshalb empfehle ich Ihnen
auch, einmal die Bilanz zu lesen.

Ich kann Ihnen übrigens auch etwas über die Zusam-
menarbeit sagen, soweit es die Flüchtlinge angeht.
Auch dort haben wir eine Lastenteilung erreicht, im Ge-
gensatz zu Ihnen, die Sie dies hinsichtlich der bosni-
schen Flüchtlinge nicht erreicht haben. Seinerzeit hatten
wir 320 000 Flüchtlinge im Lande. Jetzt beträgt das
Verhältnis alles in allem 15 000 : 94 000.

Sie müssen sich wirklich daran gewöhnen, die Tatsa-
chen zur Kenntnis zu nehmen. Sie sollten sich nicht in
ideologischen Gefängnissen aufhalten. Das führt in der
Politik nicht weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Es polemisiert sich dann so schlecht! Das schafft der Erwin nicht!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406609500
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1406609600
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!


(Dr. Willfried Penner [SPD]: Wolfgang, das Mikrophon ist nicht an! Schalte es bitte ein, sonst müssen wir unser Hörrohr einschalten!)


Bundesminister Otto Schily






(A) (C)



(B) (D)


– Ich habe bislang nicht gewußt, daß der Redner das
Mikrophon selbst einschalten muß.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Lederhose und High-Tech“ heißt das bei uns!)


– Herr Özdemir, die Vorstellung, Sie kämen einmal in
der Lederhose, genieße ich allerdings.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mir eine versprochen! Sie haben das Versprechen nicht gehalten!)


– Ich habe Ihnen gar nichts versprochen!

(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, Sie haben mir eine Lederhose versprochen!)


Aber jetzt komme ich zum AZR. Wer die bisherige
Debatte in diesem Hause mitbekommen hat – ich habe
sie von Anfang an verfolgt –, der stellt sich die Frage,
Herr Minister – darüber kann man streiten –, ob im
Rahmen einer solchen Debatte auf Europa eingegangen
werden muß und ob man sich durch einen Nebensatz des
Kollegen Marschewski veranlaßt sehen muß, am Thema
vorbeizudiskutieren. Der Schwerpunkt Ihres Redebei-
trags hat das Thema verfehlt. Aber ich konzediere Ihnen
sofort: Sie haben zumindest – im Gegensatz zu den Vor-
rednern Ihrer Koalition – klar betont, daß Sie auch für
die Verhinderung von Mißbrauch eintreten. Darin bin
ich mit Ihnen d'accord. Ich habe zumindest erwartet, daß
jemand in dieser Debatte eine Prüfung des vorgelegten
Gesetzes unter diesem Gesichtspunkt im Ausschuß vor-
schlägt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das hat er auch gesagt!)


– Nein, ich habe gehört, wie jemand von polizeistaatli-
chen Methoden gesprochen hat, und zwar jemand, der
einen Text abgelesen hat, den ihm andere anscheinend
aufgeschrieben haben. Dies ist alles in Ordnung; dage-
gen habe ich nichts. Aber denjenigen, der den Begriff
„polizeistaatliche Regelung“ im Zusammenhang mit un-
serem freien Land verwendet, schnappe ich mir und ma-
che ihn darauf aufmerksam, welche Denkweise dieser
Begriff offenbart.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ich war es nicht!)

– Nein, Sie waren es nicht. Frau Beck hat davon gespro-
chen. Ich bitte darum, deutlich zu machen – gerade auch
mit Rücksicht auf diejenigen, die draußen ihren Dienst
tun –, was polizeistaatlich ist und was nicht. Es ist eine
Dummheit, von so etwas in diesem Haus zu sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen dies, auch wenn Sie ein Amt haben.

Ich gehe jetzt auf den Kern des AZR-Entwurfs ein.
Dieser Entwurf ist auf der Grundlage einer großen Um-
frage entstanden, die der damalige Innenminister Kanther
unter Fachleuten, Profis vor Ort und Leitern der Auslän-
derbehörden – es war jede politische Couleur vertreten –
durchführen ließ. Es wurde gefragt: Was stört euch? Wo
drückt der Schuh? Wo läßt sich etwas verbessern? Was

wird in der Praxis benötigt? Auf diese Fragen hin wur-
den genau die Vorschläge unterbreitet, die in unserem
jetzigen Antrag enthalten sind. Man kann über diese
Vorschläge streiten.

Sie können dem deutschen Volk lautstark erklären,
daß die Einhaltung des Datenschutzes wichtiger ist als
die Strafverfolgung desjenigen, der zu uns kommt und
sich Leistungen erschleicht. Sie können auch erklären,
daß solche Leute Priorität genießen, weil man auf Grund
von Verfassungsbeschwerden, über die Sie sich bis jetzt
inhaltlich gar nicht geäußert haben, nichts gegen sie tun
könne.

Ich sitze jetzt ein Jahr auf der Oppositionsbank und
habe erlebt, daß dieser Innenminister außer dem Staats-
angehörigkeitsrecht keine anderen Gesetzesinitiativen
auf den Weg gebracht hat. Wer es besser weiß, der möge
sich jetzt melden.


(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das Wahlstatistikgesetz! Eine Meisterleistung!)


– Richtig, das Wahlstatistikgesetz; Entschuldigung, Herr
Minister. Dieses Gesetz – das muß ich fairerweise ein-
räumen – war notwendig, weil sich die F.D.P. damals
quergelegt hat.


(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Aus guten Gründen!)


Aber Sie müssen sich jetzt auch mit einem Koalitions-
partner auseinandersetzen, der im Zusammenhang mit
unserem freien Land unsinnigerweise von „Polizeistaat“
redet.

Die Zahl der illegal Zugewanderten ist im ersten
Halbjahr 1999 gestiegen. Sie hat etwa um die Hälfte zu-
genommen. Die Zahl der aufgegriffenen unerlaubt ein-
gereisten Ausländer ist auf 18 754 gestiegen. Im ersten
Halbjahr gab es mehr als 1 500 Einschleusungen. Ich
habe leider nicht mehr die Zahl in Erinnerung – Herr
Kanther hatte sie immer parat –, wie viele Visa eine
durchschnittlich große Botschaft normalerweise erteilt.
Wer davon redet, daß die Zahl der illegal Zugewander-
ten überhaupt kein Thema sei und daß der Mißbrauch
von uns belegt werden müsse, dem muß ich entgegnen:
Entschuldigung, Sie sind weit weg von der Realität. Sie
müssen vielleicht innerhalb des nächsten Jahres selber
eine Praktikerkonferenz einberufen und diejenigen fra-
gen, die draußen die Arbeit machen. Der Landrat in
meinem Wahlkreis berichtet mir, daß er keine Mitarbei-
ter mehr für das Ausländeramt bekommt, weil niemand
die dort anfallende Dreckarbeit machen möchte.

Erkundigen auch Sie sich einmal bei den Praktikern!
Sehr viele – ich möchte nicht generalisieren; es sind be-
stimmt nicht alle – betreiben Mißbrauch. Sie können
zwar hier die Augen davor verschließen, aber draußen
kennt man die Realität. Machen Sie nur so weiter wie
bisher und sagen Sie: Der Datenschutz ist ganz wichtig!
Behaupten Sie ruhig, wir würden die Ausländer diskri-
minieren.

In meiner Familie gibt es Ausländer, ich habe viele
Gäste aus dem Ausland. Ich habe mich auch schon ver-
pflichtet, zu zahlen, wenn der Gast nicht zurückkehrt.

Wolfgang Zeitlmann






(B)



(A) (C)



(D)


Aber sagen Sie diesen Leuten einmal, daß es schlimm
ist, wenn sie registriert werden! Ich habe überhaupt
nichts dagegen. Wenn ich morgen Herrn X einlade, dann
habe ich gar nichts dagegen, wenn das registriert wird,
weil ich weiß, daß es auch Schleuser gibt, die in Serie
Verpflichtungserklärungen abgeben, daß es aber auch
praktische Fälle gibt, daß jemand auf Grund einer sol-
chen Verpflichtungserklärung einreist, aber ganz woan-
ders hingeht und dort dann Anträge stellt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406609700
Herr
Kollege Zeitlmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wiefelspütz?


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1406609800
Bei Wiefelspütz
immer.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1406609900
Herr Kollege Zeitlmann,
weil ich Sie für einen prinzipiell anständigen Kollegen
halte, –


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1406610000
Wenn Sie einen
solchen Vorspann machen, ist Gefahr im Verzug.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1406610100
– würde ich Sie herzlich
bitten, sich das Wort „Drecksarbeit“ im Zusammenhang
mit der Tätigkeit in Ausländerbehörden noch einmal zu
überlegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will jetzt eine Frage an Sie richten: Ich habe ja ein
gewisses kollegiales Verständnis dafür, daß es Ihnen
Probleme bereitet, daß der Bundesinnenminister Ihnen
so wenig Angriffsfläche bietet. Sind Sie denn wirklich
ernstlich der Auffassung, daß die Leistung eines Bun-
desinnenministers daran zu messen ist, wie viele Geset-
ze er auftürmt?


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1406610200
Herr Wie-
felspütz, zum einen: Ich habe mit dem Begriff „Drecks-
arbeit“ natürlich nur den Teil der Arbeit gemeint, bei
dem die Mitarbeiter in Ausländerbehörden pausenlos
belogen werden, pausenlos Mißbrauch erleben.


(Marieluise Beck DIE GRÜNEN)

noch schlimmer! Es wird immer schlimmer,
was Sie sagen! – Gegenruf von der CDU/CSU:
Nein, nein, gehen Sie einmal da hin!)

– Gehen Sie doch einmal vor Ort und fragen Sie, ob das
eine schöne Tätigkeit ist, das zu erleben, was diese Herr-
schaften erleben. Das ist zu erheblichen Teilen eine
ganz, ganz schwierige Tätigkeit.

Natürlich, wenn Herr Wiefelspütz einen ausländi-
schen Gast einlädt oder eine Verpflichtungserklärung
abgibt, ist das mit Sicherheit eine höchst unterhaltsame
Beschäftigung, weil er sich mit diesen Menschen
freundlich befassen kann. Sie wissen genau, was ich

meine. Wir muten den Ausländerbehörden eine schwie-
rige Arbeit zu, die kaum ein anderer zu erbringen bereit
ist. Und das ist für einen solchen Mitarbeiter im Ver-
hältnis zu dem, der soziale Leistungen austeilt, eine
Drecksarbeit. Damit meine ich doch nicht die Menschen,
die etwas beantragen. Ich habe viel Verständnis, auch
für den, der wegen einer drohenden Abschiebung viel-
leicht falsche Angaben macht. Verständnis habe ich da-
für durchaus. Aber ich muß auch sehen, daß der Prakti-
ker vor Ort vor der pausenlosen Inanspruchnahme dieses
Staates geschützt werden muß, daß der, der diese Tätig-
keit zu erbringen hat, auch einen gewissen Anspruch
darauf hat, daß dieser Staat für ihn einsteht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Wiefelspütz, ich habe den Minister nicht an der

Zahl der eingereichten Gesetze gemessen, sondern ich
habe nur gesagt: In diesem einen Jahr habe ich außer
dem Staatsangehörigkeitsrecht – ich weiß gar nicht, wie
viele Entwürfe es waren – nichts gesehen. Ich bin dann
durch den Hinweis auf die Wahlstatistik verbessert wor-
den. Aber abgesehen davon haben Sie nichts Wesent-
liches gebracht. Der Minister hätte in diesem einen Jahr
Zeit gehabt, seine Praktiker zu befragen, ob es nicht
doch ein Defizit gibt. Dann wäre er vermutlich zu ähnli-
chen Ergebnissen gekommen wie ich.

Meine Damen und Herren, eines möchte ich noch er-
wähnen. Herr Kollege Barthel, Sie haben hier erklärt,
die Union würde immer nur Gesetzentwürfe einreichen,
die zu einer – wie haben Sie es ausgedrückt? – Ver-
schärfung des Ausländerrechts oder der Situation der
Ausländer führten. Ich habe Ihnen gerade die Zahl der
illegalen Zuwanderer genannt. Dieses Ihr Argument,
man müsse endlich etwas zur Erleichterung tun, müssen
Sie draußen einmal vorbringen!


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das habe ich doch gar nicht gesagt! Das ist doch Rabulistik!)


– Doch, Sie haben wörtlich gesagt, man sollte jetzt eher
umgekehrt in Richtung Erleichterung gehen. Das müs-
sen Sie auch mit Ihrem Innenminister absprechen. Er
war ja hier, und ich habe ihn gelobt. Er hat ja ganz offen
zugegeben, daß auch er Mißbrauch bekämpfen will.
Natürlich muß man sich in Ruhe anschauen, ob damit
womöglich eine Verbesserung der Bekämpfung von
Mißbrauch verbunden ist.

Meine Damen und Herren, nur einen Satz möchte ich
bitte noch sagen dürfen, damit wir klar sehen, um was es
geht. Schauen Sie, wir wollen mit dieser Möglichkeit des
AZR den Kreis der Nutzer eines Registers erweitern. Er-
stens soll künftig die Sozialbehörde, die eine Leistung
gewährt, direkt und nicht über Umwege hineinschauen
können. Wir meinen zweitens, daß die visaerteilenden
Stellen – sprich Ausländervertretungen – durchaus Über-
prüfungen vornehmen sollten, wenn einer zehnmal einlädt
und zehn Asylbewerber die Folge sind. Drittens. Wenn
die Polizei Identitätsprüfungen vor Ort vornimmt und
die Menschen keine Pässe, keine Ausweise oder Paßer-
satzpapiere dabei haben müssen, dann kann doch niemand
etwas dagegen haben, wenn der Polizeibeamte effektiver
und schneller zu der Feststellung kommen kann, daß der

Wolfgang Zeitlmann






(A) (C)



(B) (D)


Überprüfte legal hier ist und alles seine Ordnung hat.
Nach jetzigem Recht erschweren wir den vor Ort arbei-
tenden Polizeibeamten die Tätigkeit.

Nicht mehr und nicht weniger ist das, was wir vor-
schlagen. Demjenigen, der sich dagegen so heftig und
mit solchen Argumenten wehrt, als würde sich der Staat
in Richtung Polizeistaat verändern, kann ich nur sagen:
Gute Nacht, Deutschland! Aber diese Diskussion setzen
wir im Innenausschuß fort.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406610300
Der Herr
Kollege Veit wollte eine Zwischenfrage stellen. Ich habe
das nicht erkannt. Ich bitte diejenigen, die eine Zwi-
schenfrage stellen wollen, aufzustehen, damit man sie
deutlich sieht. Jetzt ist das mit der Zwischenfrage etwas
schwierig, aber Sie können noch eine Kurzintervention
machen.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1406610400
Ich mache eine wirkliche
Kurzintervention. Ich wollte als Praktiker, der zwölf
Jahre lang in der Sache engagiert einer Ausländerbehör-
de als Landrat vorgestanden hat, der, wenn auch nur für
sieben Jahre, die Verantwortung für die Abschiebebe-
hörde in ganz Mittelhessen hatte, sagen: Ihre Qualifizie-
rung der Arbeit von in der Ausländerbehörde tätigen
Menschen ist genauso unwürdig wie die Qualifizierung
von deren „Kundschaft“. Ich will Ihnen auch sagen,
worin ein wirkliches Problem unserer Mitarbeiter dort
bestand und immer noch besteht: Das sind zum Teil
schlechte und zu stringente Gesetze und im übrigen
Verwaltungsvorschriften auf Hunderten von Seiten, die
kein Mensch mehr übersieht. Deswegen kann dort ein
Beamter kaum noch seine Arbeit erledigen. Dafür tragen
in erster Linie Sie die Verantwortung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: So ein Quatsch!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406610500
Herr
Kollege Zeitlmann, wollen Sie erwidern? – Bitte schön.


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1406610600
Lieber Kollege

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: „Lieb“ nicht!)

– „lieb“ nicht, sagt mir gerade ein Zwischenrufer, aber
ich wollte es höflich machen –,


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)

ich konzediere Ihnen sofort, daß es viele Verwaltungs-
vorschriften gibt. Das ist sicher ein Übel. Die Tatsache,
daß Sie hier so tun, als wäre dies das alleinige Übel für
die Beamten und Angestellten in den Ausländerbehör-
den, beweist mir, daß Sie zwar Vorgesetzter waren, aber
keine Ahnung haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406610700
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Joachim Stünker, SPD-Fraktion.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1406610800
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Bis vor einem Jahr,
bevor ich die Ehre hatte, als Bundestagsabgeordneter in
dieses Hohe Haus gewählt zu werden, war ich Richter in
diesem Land, und zwar fast drei Jahrzehnte lang. Ich
muß Ihnen sagen: Mich erschreckt es langsam, mit wel-
chen Platitüden umfangreiche Gesetzesänderungen und
neue Gesetze begründet werden,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie meinen sicher die Gesundheitsreform!)


wie mit Fremdenhaß und Fremdenfeindlichkeit und mit
Vokabeln wie Drecksarbeit, die die Beamten vor Ort
machen, argumentiert wird. Das beweist im Grunde nur
eines: Sie schüren Angst, aber Sie beschäftigen sich
nicht im Detail mit den Dingen, die es zu regeln gilt.
Das ist eigentlich nicht die Aufgabe dieses Hohen Hau-
ses.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Sie sind der einzige Gute und Gescheite hier!)


– Nein, ich bin nicht der einzige Gescheite hier,

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: So führen Sie sich auf!)

aber ich bin offensichtlich der einzige – zumindest habe
ich nach dem, was von Ihrer Seite bisher dazu gesagt
worden ist, den Eindruck –, der sich mit dem Gesetz be-
schäftigt hat. Dazu habe ich von Ihrer Seite in den bishe-
rigen Redebeiträgen so gut wie nichts gehört.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Hochmut kommt vor dem Fall!)


Lassen Sie mich von daher eines einleitend sagen:
Für uns Sozialdemokraten war schon immer Grund-
überzeugung, den einzelnen vor Verbrechen zu schüt-
zen. Das ist eine Kernaufgabe des Staates, zu der wir
uns bekennen. Freiheit und Sicherheit sind eine un-
trennbare Einheit; daran geht in der Demokratie kein
Weg vorbei. Für uns Sozialdemokraten ist es selbstver-
ständlich, daß der Rechtsstaat die Freiheitsrechte seiner
Bürger achtet. Aber wir sehen auch, daß heute in De-
mokratien nicht in erster Linie die Gefahr einer Über-
macht des Staates, sondern eher die einer Ohnmacht
des Staates droht und dem entgegengewirkt werden
muß. Das ist keine Frage. Deshalb sind wir auch bereit,
mit Ihnen zu diskutieren und dort Lösungen zu finden,
wo es in der Tat beklagenswerte Mißbräuche gibt. Sol-
che Mißbräuche müssen jedoch auch rechtstatsächlich
verifizierbar sein.

Von daher machen Sie sich vielleicht am Ende dieser
Debatte noch für ein paar Minuten die Mühe, mit mir
gemeinsam in das geltende Ausländerzentralregister hi-
neinzusehen und zu schauen, was dort gegenwärtig ge-
regelt ist.

Wolfgang Zeitlmann






(B)



(A) (C)



(D)


Dieses Ausländerzentralregister hat drei Funktionen:
Erstens: die Identifizierungsfunktion. Das heißt, es

ermöglicht die Identifizierung von Ausländern an Hand
der gespeicherten Daten.

Zweitens: die Nachweisfunktion. Es weist Behörden
nach, die zu bestimmten Sachverhalten über nähere In-
formationen über Ausländer verfügen.

Drittens: die Substitutionsfunktion. Es hält selbst
wichtige Informationen über Ausländer bereit, die bei
Entscheidungen zugrunde gelegt werden können, wenn
eine Anfrage bei der aktenführenden Behörde zu lange
Zeit in Anspruch nehmen würde.

Somit deckt das Register die Informationsbedürfnisse
verschiedener öffentlicher Stellen ab und dient letztlich
einer Vielzahl von Zwecken. Es dient der Zusammenar-
beit und der Aufgabenerfüllung von Behörden im Be-
reich des Ausländer- und Asylrechts, der polizeilichen
Gefahrenabwehr, der Strafverfolgung, der Bekämpfung
der illegalen Beschäftigung, des Verfassungsschutzes,
der Nachrichtendienste sowie der Staatsangehörigkeits-
und Vertriebenenbehörden.

Für die Aufgabenerfüllung werden in dem Register
die zu unterschiedlichen Zwecken gesammelten Daten
verknüpft, die dann einem sehr weit gefaßten Kreis von
Nutzern und Anwendern, zum Teil im On-line-
Verfahren, zur Verfügung gestellt werden. Das ist gel-
tendes Recht. Damit stehen die Aufgaben dieses Aus-
länderzentralregisters wie bei jedem Register, das Per-
sonendaten sammelt, immer zugleich auch im Span-
nungsverhältnis zu dem Grundrecht auf Datenschutz.

Lassen Sie mich hierzu noch einmal die vier Essenti-
als – Frau Beck hat es vorhin teilweise bereits getan –,
die das Bundesverfassungsgericht in seinem grundle-
genden Urteil zu dem Grundrecht auf Datenschutz be-
reits im Jahre 1983 festgestellt hat, nennen. Wir können
hier doch nicht so tun, als würden wir in einem Raum
außerhalb unserer Verfassung argumentieren.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die CDU/CSU kann das offensichtlich!)


Das Bundesverfassungsgericht stellt erstens fest: Das
allgemeine Persönlichkeitsrecht beinhaltet unter den Be-
dingungen der modernen Datenverarbeitung auch den
Schutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung,
Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner per-
sönlichen Daten.

Zweitens. In dieses Recht darf nur im überwiegenden
Allgemeininteresse eingegriffen werden.

Drittens. Hierzu ist eine gesetzliche Grundlage erfor-
derlich, aus der sich Art und Umfang des Rechtseingriffs
normenklar ergeben müssen.

Viertens. Bereits der Gesetzgeber hat organisatori-
sche und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen,
welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeits-
rechts entgegenwirken.

Zu diesen klassischen vier Grundsätzen steht in Ihrem
Entwurf nicht ein Wort.

Da das Grundrecht auf Datenschutz aus dem Schutz
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Verbindung mit
dem Schutz der Menschenwürde abgeleitet wird, kann es
jedermann, ob er Deutscher oder Ausländer ist, in An-
spruch nehmen. Das ist dabei zu berücksichtigen. Wir
werden deshalb in der jetzt beginnenden Ausschußbera-
tung Teile der Vorschläge, die Sie zum AZR hier gemacht
haben, genau unter Berücksichtigung dieses genannten
Spannungsverhältnisses beraten. Wir werden uns die
rechtstatsächlichen Voraussetzungen und Untersuchungen
dazu ansehen. Danach werden wir gemeinsam zu prüfen
haben, wo tatsächliche Mißbrauchsbereiche gegeben sind
und letzten Endes Änderungsbedarf besteht. Wir treten
somit mit Ihnen in eine sachliche Diskussion ein, jedoch
nicht auf dem Niveau, auf dem sie heute nachmittag von
Ihnen teilweise begonnen worden ist.


(Beifall bei der SPD)

Ein letzter Satz – ich hoffe, ich habe die Zeit dazu

noch, weil mir dieser Punkt wichtig ist – zu Ihrem Vor-
schlag der Einrichtung einer Warndatei. Dazu werden
Sie uns im Ergebnis nicht bewegen können; denn mit
diesem Vorschlag ist beabsichtigt, die vorhin von mir
genannten Funktionen zur Identifizierung, zum Nach-
weis und zur Substitution des Ausländerregisters zu er-
weitern, hin zu Mitteln zur Abwehr und zur Bekämp-
fung von Ausländern. Ein sachlicher Grund zur Ein-
richtung einer derartigen Warndatei besteht nicht und
wird auch in Ihrem Entwurf nicht genannt. Es ist nicht
ersichtlich und auch nicht näher begründet, aus welchen
Gründen die Sammlung derartiger Daten im Hinblick
auf die Bekämpfung von illegaler Einreise oder Schleu-
serkriminalität notwendig wäre. Letztendlich macht die
Wortwahl „Warndatei“ die programmatische Zielset-
zung deutlich: Es soll vor denjenigen gewarnt werden,
deren Daten in dieser Kartei verzeichnet sind. Damit
wird der fatale Eindruck erweckt, als ob es sich hierbei
um Schwerverbrecher oder, allgemein bezeichnet, um
Kriminelle handele.

Betrachtet man Ihren Vorschlag genauer, ist festzu-
stellen, daß Daten von Ausländern und übrigens auch
Deutschen gesammelt und zugänglich gemacht werden
sollen auf Grund von Handlungen und Verhaltenswei-
sen, die lediglich einen Anfangsverdacht, also keinen
gerichtlich festgestellten Schuldnachweis, begründen.
Bei einem Anfangsverdacht also sollen Daten gesam-
melt werden, die über einen gewissen Zeitraum doku-
mentiert bleiben und auf die ein freier Zugriff der von
mir genannten Nutzer möglich ist.

Teilweise ist nicht einmal ein derartiger Anfangsver-
dacht Voraussetzung für die Eintragung. Vielmehr sol-
len quasi in Verantwortung für ein möglicherweise straf-
rechtlich relevantes Verhalten Dritter Daten von Perso-
nen registriert werden. Als zehn Jahre lang tätig gewe-
sener Strafrichter kann ich nur sagen: Dies ist ein absur-
der Vorschlag.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Im Ergebnis wird im vorliegenden Gesetzentwurf die
Sammlung von Verdachtstaten gefordert. Das ist rechts-

Joachim Stünker






(A) (C)



(B) (D)


staatlich unmöglich und nicht hinnehmbar. Von daher
kann Ihr Entwurf zur Schaffung einer Warndatei auch
nach den nun anstehenden Beratungen mit Sicherheit
nicht unsere Zustimmung finden.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406610900
Nach der Rede des
Kollegen Stünker schließe ich die Aussprache. Weitere
Wortmeldungen liegen nicht vor.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 14/1662 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 l und
Zusatzpunkt 2 auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Richtlinie des Rates der Europäi-
schen Union zur Änderung der Bilanz- und der
Konzernbilanzrichtlinie hinsichtlich ihres An-
wendungsbereichs (90/605/EWG), zur Verbesse-
rung der Offenlegung von Jahresabschlüssen und
zur Änderung anderer handelsrechtlicher Be-

(Kapitalgesellschaftenund CoRichtlinie-Gesetz – Kap-CoRiLiG)

– Drucksache 14/1806 –

(federführend b)

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 25. Mai 1998 über Partnerschaft
und Zusammenarbeit zur Gründung einer
Partnerschaft zwischen den Europäischen
Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten ei-
nerseits und der Republik Turkmenistan an-
dererseits
– Drucksache 14/1787 (neu)

(federführend c)

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 11. Dezember 1997 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Repu-
blik El Salvador über die Förderung und den
gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
– Drucksache 14/1840 –

(federführend d)

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 28. August 1997 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und Turkmeni-
stan über die Förderung und den gegenseiti-
gen Schutz von Kapitalanlagen
– Drucksache 14/1842 –

(federführend e)

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 10. September 1996 zwischen
der Regierung der Bundesrepublik Deutsch-
land und der mazedonischen Regierung über
die Förderung und den gegenseitigen Schutz
von Kapitalanlagen
– Drucksache 14/1843 –

(federführend f)

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 21. März 1997 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Repu-
blik Kroatien über die Förderung und den ge-
genseitigen Schutz von Kapitalanlagen
– Drucksache 14/1844 –

(federführend g)

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Meliorationsanlagengesetzes

(MeAnlÄndG)

– Drucksache 14/1832 –

(feder-führend h)

Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung huma-
nitärer Auslandseinsätze (FHAG)

– Drucksache 14/628 –

(feder-führend i)

Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Verwaltungskostengesetzes
– Drucksache 14/639 –

(federführend Joachim Stünker j)





(B)


(A) (C)


(D)

Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Apothekengesetzes
– Drucksache 14/756 –

(federführend k)

marie Ehlert, Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Bekämpfung der sinkenden Zahlungsmoral
durch Änderung des Umsatzsteuerrechtes

(§ 20 UStG)

– Drucksache 14/1878 –

(federführend l)

fried Wolf, Christine Ostrowski, Dr. Gregor Gysi
und der Fraktion der PDS
Überzählige Diesellokomotiven der DB AG
nicht verschrotten, sondern weiterverwenden
– Drucksache 14/1930 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

ZP 2 Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Änderungsgesetzes zur Neu-
ordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte
und der Patentanwälte
– Drucksache 14/1958 –

(federführend Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Antrag der PDS zum Umsatzsteuerrecht auf Drucksache 14/1878 soll zusätzlich an den Ausschuß für Verkehr, Bauund Wohnungswesen überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 l auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 17 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung währungsrechtlicher Vorschriften infolge der Einführung des EuroBargeldes (Drittes Euro-Einführungsgesetz – Drittes EuroEG)

– Drucksache 14/1673 –

(Erste Beratung 61. Sitzung)


Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuß)

– Drucksache 14/1962 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Otto Bernhardt

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Bei
Enthaltung der PDS-Fraktion ist der Gesetzentwurf da-
mit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist bei Enthaltung der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Umwandlung der Deutschen Sied-
lungs- und Landesrentenbank in eine Aktien-

(DSL Bank-Umwandlungsgesetz – DSLBUmwG)

– Drucksache 14/1672 –

(Erste Beratung 61. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuß)

– Drucksache 14/1953 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Bernhardt
Klaus Lennartz

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Ge-
gen die Stimmen der PDS ist der Entwurf in zweiter Be-
ratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist gegen die
Stimmen der PDS angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 17 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung insolvenzrechtlicher und kre-
ditwesenrechtlicher Vorschriften
– Drucksachen 14/1539, 14/1931 –

(Erste Beratung 53. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuß)

– Drucksache 14/1987 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Wolfgang Götzer
Rainer Funke

Vizepräsidentin Anke Fuchs






(A) (C)



(B) (D)


Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei
Enthaltung der PDS ist der Gesetzentwurf damit in
zweiter Beratung angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthal-
tung der Fraktion der PDS ist der Gesetzentwurf ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 17 d:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von

der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
9. September 1998 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der
Französischen Republik, der Regierung der Ita-
lienischen Republik und der Regierung des Ver-
einigten Königreichs Großbritannien und Nord-
irland zur Gründung der Gemeinsamen Organi-

(Organisation Conjointe de Cooperation en Matière d’Armement)

– Drucksache 14/1709 –

(Erste Beratung 61. Sitzung)

aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ver-

teidigungsausschusses (12. Ausschuß)

– Drucksache 14/1943 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Opel
Kurt J. Rossmanith


(8. Ausschuß)

– Drucksache 14/1945 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Volker Kröning
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

Wir kommen zur
zweiten Beratung

und Schlußabstimmung. Der Verteidigungsausschuß
empfiehlt auf Drucksache 14/1943, den Gesetzentwurf
unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer dagegen ist, möge sich jetzt erheben. – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist bei Ablehnung durch die
PDS-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verleihung der Rechts- und Geschäfts-

fähigkeit an die Internationale Kommission
zum Schutze des Rheins (IKSRRechtsG)

– Drucksache 14/1017 –

(Erste Beratung 47. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuß)

– Drucksache 14/1823 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Deichmann
Kurt-Dieter Grill
Winfried Hermann
Ulrike Flach
Eva-Maria Bulling-Schröter

Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/1823, den Ge-
setzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenproben und Enthaltungen sehe ich keine. Der Ge-
setzentwurf ist damit einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 f:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des

von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
5. November 1998 zwischen der Regierung
der Bundesrepublik Deutschland und der
Regierung der Arabischen Republik Ägypten
über ihre gegenseitigen Seeschiffahrtsbezie-
hungen
– Drucksache 14/1090 –

(Erste Beratung 47. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuß)

– Drucksache 14/1845 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Konrad Kunick

Wir kommen zur
zweiten Beratung

und Schlußabstimmung. Der Ausschuß für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache
14/1845, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Ich sehe keine Enthaltungen
und Gegenstimmen. Der Gesetzentwurf ist damit ein-
stimmig angenommen.

Vizepräsidentin Anke Fuchs






(B)



(A) (C)



(D)


Tagesordnungspunkt 17 g:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haus-

haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1999
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02
Titel 683 06 – Zuweisung nach dem Gesetz
über die Verbilligung von Gasöl durch Betrie-
be der Landwirtschaft (LwGVG)
– Drucksachen 14/1345, 14/1577 Nr. 5, 14/1783 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel
Iris Hoffmann (Wismar)

Josef Hollerith
Matthias Berninger
Dr. Günter Rexrodt

Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 14/1783,
von der Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt
für diese Beschlußempfehlung?


(Dr. Willfried Penner [SPD]: Ist ja unvermeidlich!)


– Sie können ja die Kenntnisnahme verweigern, Herr
Kollege. – Alle stimmen dafür. Damit ist diese Be-
schlußempfehlung angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 h:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haus-

haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1999
Überplanmäßige Ausgabe im Einzelplan 23 –
Kapitel 23 02 Titel 836 03 – Beteiligung der
Bundesrepublik Deutschland am Kapital der
Asiatischen Entwicklungsbank, am Asiati-
schen Entwicklungsfonds sowie am Sonder-
fonds für Technische Hilfe
– Drucksachen 14/1431, 14/1616 Nr. 1.7,
14/1785 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Hermenau
Dr. Emil Schnell
Michael von Schmude
Jürgen Koppelin
Dr. Barbara Höll

Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 14/1785, von
der Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für
diese Beschlußempfehlung? Gegenprobe! – Enthaltungen?
– Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.

Wir kommen nun zu Beschlußempfehlungen des Pe-
titionsausschusses. Als erstes rufe ich Tagesordnungs-
punkt 17 i auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 88 zu Petitionen
– Drucksache 14/1862 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Bei Stimmenthaltung der Fraktion der
PDS ist die Sammelübersicht 88 angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 j:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 89 zu Petitionen
– Drucksache 14/1863 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion der PDS ist
die Sammelübersicht 89 angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 k:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 90 zu Petitionen
– Drucksache 14/1864 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? –
Einige Mitglieder der PDS-Fraktion haben sich enthalten.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Wir haben dafür gestimmt! Das war ein Irrtum!)


– Die PDS hat also zugestimmt. – Gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. ist die Sammelübersicht 90
damit angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 l:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 91 zu Petitionen
– Drucksache 14/1865 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Bei Enthaltung der PDS-Fraktion ist die
Sammelübersicht 91 angenommen.

Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,

CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P.
OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stärkung
der Handlungsfähigkeit der OSZE
– Drucksache 14/1959 –

(federführend b)

Neue europäische Sicherheitsarchitektur
– Drucksache 14/1771 –

(federführend Vizepräsidentin Anke Fuchs Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Uta Zapf. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine gute Tradition, daß wir vor diesen Gipfeln gemeinsam beschließen, welche politische Botschaft das Parlament an den Gipfel senden möchte. Insbesondere in dem Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle haben wir es immer geschafft, daß ein gemeinsamer Antrag bei allen Fraktionen eine breite Zustimmung gefunden hat. Dies zeigt, wie sehr wir die Arbeit der OSZE schätzen, wie sehr wir sie gemeinsam unterstützen wollen und wie wichtig sie uns ist. Die OSZE ist uns deshalb wichtig, weil sie eine Organisation ist, die für Demokratie, für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, für Minderheitenschutz sowie für Abrüstung und Vertrauensbildung in Gesamteuropa – in dem Raum, in dem wir gemeinsam leben – eintritt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





(A) (C)


(B) (D)

Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1406611000

Die OSZE ist eine Organisation gemeinsamer Sicher-
heit, die sich über den Raum von Vancouver bis Wladi-
wostok erstreckt. Wie wichtig gemeinsame Sicherheit
ist, wissen wir ganz besonders in unserer Zeit zu schät-
zen, in der wir immer wieder mit Krisen konfrontiert
werden, von denen wir eigentlich gedacht hatten, daß es
sie nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation in Euro-
pa nicht mehr geben würde.

Dieser Gipfel hat eine besondere Bedeutung, weil er
in den Bereichen Abrüstung, Rüstungskontrolle, Trans-
parenz- und Vertrauensbildung – die Krisenprävention
ist in unserer Zeit ganz wichtig geworden – sowie der
Stärkung der OSZE hinsichtlich ihrer Missionen zur
Friedenserhaltung wichtige Beschlüsse zu fassen hat.

Wir wollen alle gemeinsam die OSZE stärken. Ich
möchte in diesem Zusammenhang auch daran erinnern,
daß wir mit unserer Delegation bei der OSZE-
Parlamentarierversammlung in diesem Jahr einen Antrag
eingebracht haben, der eine sehr breite Akzeptanz ge-
funden hat. In diesem Antrag haben wir die verschiede-
nen Maßnahmen aufgezählt, die wir uns zur Stärkung
der OSZE wünschen. Es sieht aber nicht so aus, als
wenn der Gipfel in Istanbul all unsere Wünsche erfüllen
würde. Aber wenn er ein Erfolg wird – was wir uns alle
wünschen –, wird er uns ein gutes Stück weiterbringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [F.D.P.])


Wir wollen auf der Grundlage der Erfahrungen aus
dem Bosnien- und dem Kosovo-Konflikt die OSZE in
ihrer Handlungsfähigkeit stärken. Wir wollen auch, daß
sie auf Krisen schneller reagiert, damit sie eingreifen
kann, bevor Blut geflossen ist, und damit sie in die Lage
versetzt wird, Konflikte zu verhindern.

Der Erfolg des Gipfels liegt also in unser aller Inter-
esse. Ein ganz wichtiger Punkt auf der Agenda ist eine
Neufassung des KSE-Vertrages, die beschlossen werden
soll. Weitere wichtige Punkte sind das Wiener Doku-
ment – ich komme gleich darauf zurück – und eine neue
Sicherheitscharta für Europa, die festlegen soll, unter
welchen Bedingungen gemeinsame Sicherheit in Europa
fortgeschrieben werden kann, und die die gemeinsame
Sicherheitsarchitektur stärken soll, die wir uns wün-
schen. Die Rahmenbedingungen dafür sollen in dieser
Charta niedergelegt werden.

Meine Damen und Herren, es zeichnet sich ab, daß
dieser OSZE-Gipfel ganz wichtig ist und daß uns allen an
einem Fortschritt gelegen sein muß. Ein Scheitern hätte
für uns unter Umständen ganz fatale Folgen. Das wäre
nämlich ein fatales Signal für die Rüstungskontrolle nicht
nur in Europa, sondern weltweit. Nach dem, was wir
letzte Woche diskutiert haben, nämlich die Nichtratifika-
tion des Atomteststopabkommens durch die USA, wäre
dies ein weiteres Signal dafür, daß Abrüstung, Rüstungs-
kontrolle und Vertrauensbildung nicht mehr gefragt sind
und wir zu einer Politik zurückkehren, die wir überwun-
den zu haben glaubten. Deshalb, so glaube ich, liegt uns
allen am Herzen, daß dieser Gipfel ein Erfolg wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [F.D.P.])


Nach all dem, was im OSZE-Raum aktuell abläuft und
bisher abgelaufen ist, wissen wir, daß dies gar nicht so
einfach sein wird. Mein Kollege Weisskirchen wird
nachher noch auf das Thema Tschetschenien eingehen.

Der neue KSE-Vertrag ist deshalb so wichtig, weil er
den KSE-Vertrag ablöst, der noch ganz deutlich das Si-
gnum der Blockkonfrontation trägt, und weil durch ihn
die Stabilität in Europa gefestigt werden kann, dies insbe-
sondere in einer Situation, in der die Kooperation mit
Rußland nach der NATO-Osterweiterung schwieriger
geworden ist. Wir alle sehen dies im täglichen politischen
Geschehen. Die Kooperation mit Rußland kann durch
diesen neuen KSE-Vertrag wesentlich verbessert werden.
Rußland kann in das System der Vertrauensbildung, Ab-
rüstung und Zusammenarbeit eingebunden werden. Die
sicherheitspolitische Zusammenarbeit wird daher auch in
Zukunft eine der wesentlichen Leistungen der OSZE sein.

Ein weiteres Instrument, über das auf der Konferenz
in Istanbul gesprochen werden wird, ist das Wiener Do-
kument. Dies ist ein zentrales Dokument, um im militä-
rischen Bereich Vertrauen zu bilden und Transparenz zu
schaffen. Ich denke, wir wissen, wie wichtig das ist.

Auch die Sicherheitscharta – diese Charta ist neu;
sie wurde 1994 in Budapest gemeinsam verabredet –
soll auf dem Gipfel in Istanbul beschlossen werden. Dies
ist zwar kein völkerrechtlich bindender Vertrag, aber ein
politisch bindendes Dokument. Dieses Dokument soll
sozusagen die Plazierung der OSZE im Verhältnis zu
den anderen Sicherheitsorganisationen, also der NATO,
der WEU, der UNO usw. genau beschreiben. Es soll
aber auch die Möglichkeiten der OSZE verbessern –
auch dies wieder unter dem Gesichtspunkt der NATO-
Osterweiterung und der gegenwärtigen Konflikte –, weil

Vizepräsidentin Anke Fuchs






(B)



(A) (C)



(D)


die sicherheitspolitischen Interessen aller beteiligten
Staaten berücksichtigt werden.

Wir alle sind angesichts der Erfahrungen aus den
Konflikten in Bosnien und dem Kosovo zu dem Ergeb-
nis gekommen, daß es dringend notwendig ist, die
Handlungsfähigkeit der OSZE zu stärken. Thema auf
dieser Konferenz wird daher auch sein: Wie stärken wir
die Handlungsfähigkeit der OSZE insbesondere in Kri-
sensituationen? Natürlich wünschen wir uns mehr, als
auf dem Gipfel beschlossen werden kann. Die OSZE
wird aber zu einer Organisation werden, die in der Tat
all die Konflikte, die anstehen, bewältigen kann. Gerade
die momentanen Ereignisse in Tschetschenien sind ein
wichtiger Hinweis darauf, daß wir in diesem Bereich
dringend eine Stärkung brauchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [F.D.P.])


Es ist aber von zentraler Wichtigkeit, die Instrumente
der Krisenprävention zu stärken, um auch so die Hand-
lungsfähigkeit der OSZE zu verbessern. Die Vorgänge
in Bosnien und im Kosovo haben das gezeigt. Wir ver-
suchen, aus dem zu lernen, was dort möglicherweise
schiefgelaufen ist oder mühsam war. Ich erinnere nur
daran, wie schwierig es war, das große Kontingent der
Kosovo Verification Mission aufzustellen, und wie gut
es gewesen wäre, wenn wir uns sehr viel früher daran-
gemacht hätten, für so etwas Vorsorge zu treffen.

Dies ist jetzt geschehen. Ein Bestandteil dessen ist
das, was die Bundesrepublik eingeleitet hat: eine Aus-
bildung für solche Emissionäre, für Fachleute – ich mag
das Wort „Friedensfachkräfte“ nicht; aber es wird in
diesem Fall angewandt –, die dann für das schon gerü-
stet sind, was sie in einer Konfliktsituation erwartet.
Man kann die Menschen ja nicht einfach unvorbereitet
in solche Situationen schicken. Deshalb ist es ganz
wichtig, einen großen Personenkreis auszubilden und
auf solche Missionen vorzubereiten, der schnell einsetz-
bar ist, wenn es „zu brennen“ beginnt.

Möglicherweise wird dieser Gipfel auch einen Schritt
hin zu sogenannten zivilen Stand-by-Forces – das ist
auch kein sonderlich schöner Ausdruck, weil er so mili-
tärisch klingt – machen. Ein wichtiger Ansatz ist dabei
der Vorschlag der USA, eine REACT-Truppe, also Ra-
pid Expert Assistant and Cooperation Teams, als Stand-
by-Truppe vorzuhalten, die mit Konflikten umgehen und
sehr schnell dorthin geschickt werden kann.

Darüber hinaus muß uns auch klar sein, daß wir im
Bereich der Polizei mehr tun müssen, als bisher geplant
und angedacht worden ist.


(Dr. Werner Hoyer [F.D.P.]: Sehr wahr!)

Ein Schwerpunkt der nächsten Jahre muß sein, zu re-
geln, daß Polizeikräfte sehr schnell in Krisengebiete ent-
sandt werden können. Wir müssen ja nicht immer Sol-
daten schicken, sondern es geht auch auf einer zivilen
Ebene. Aber es muß eben ein Ordnungsfaktor sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [F.D.P.])


Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich
noch einmal darauf zurückkommen, wie wichtig es sein
wird, daß diese Konferenz Erfolg hat; denn sie wird
auch Auswirkungen darauf haben, ob der Stabilitätspakt,
wie wir ihn jetzt geplant haben und angegangen sind, zu
einem Erfolg geführt werden kann. Scheitert dieser Pakt
ausgerechnet in der Organisation, die eigentlich dafür
geschaffen ist, solche Projekte durchzuführen, hätte dies
erhebliche Auswirkungen zum Beispiel auf den Sicher-
heitstisch des Stabilitätspaktes, der ja nach dem Muster
der bisherigen OSZE-Vorschläge zur Abrüstung, zur
Rüstungskontrolle und zur regionalen Vertrauensbildung
enthalten soll. Auch von daher haben wir ein großes In-
teresse daran, daß dieser Gipfel ein Erfolg wird.

Er stellt aber keinen Endpunkt dar. Vielmehr geht es
um den Start in eine neue Dimension. Am Ende steht
das Ziel, daß auch von der OSZE Krisenbewältigung
ausgeht. Statt immer auf militärische Organisation zu-
rückzugreifen, sollten wir den zivilen Teil der Konflikt-
prävention stärken. Das ist uns allen enorm wichtig.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Werner Hoyer [F.D.P.])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406611100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff, CDU/CSU-
Fraktion.


Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1406611200
Frau Prä-
sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der OSZE-
Gipfel in Istanbul dient dem Ziel, die Handlungsfähig-
keit der OSZE zu stärken, eine europäische Sicherheits-
charta zu verabschieden, das Konzept eines gesamteuro-
päischen Sicherheitsraumes ohne neue Trennlinien zu
bekräftigen und die Verpflichtung aller Teilnehmerstaa-
ten zur Förderung von Menschenrechten, Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit hervorzuheben.

Der brutale Krieg in Tschetschenien steht im Wider-
spruch zu jeder dieser Zielvorgaben und gefährdet den
OSZE-Gipfel insgesamt.
Deshalb richte ich für die CDU/CSU-Fraktion zuerst ei-
nen eindringlichen Appell an die russische Regierung,
den unangemessenen und unverhältnismäßigen Krieg
gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung unverzüg-
lich zu beenden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Wir als CDU/CSU-Fraktion können das in dieser
Deutlichkeit sagen, weil wir nicht im Verdacht stehen,
allein eine antirussische Politik zu verfolgen. Im Ge-
genteil, die heutigen Regierungsfraktionen haben uns
in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, der
russischen Regierung zu weit entgegenzukommen und
falsche Rücksichten auf die russische Innenpolitik zu
nehmen.

Uta Zapf






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben den schwierigen Weg der Russischen
Föderation zu Demokratie, Rechtstaatlichkeit und
Marktwirtschaft immer sehr realistisch und kritisch ver-
folgt. Wir haben nüchtern abgewägt, wie wir diese Ent-
wicklung fördern können, soweit wir von außen über-
haupt Einfluß haben. Unsere Haltung ist klar und gilt
unverändert: Wir wollen, daß Rußland zu Europa gehört.
Aber solange die russische Regierung die Menschen-
rechte ihrer eigenen Bevölkerung so massiv verletzt,
steht sie außerhalb des Fundamentes, auf dem das Haus
Europa gebaut wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Karl Lamers [CDU/ CSU]: Das ist leider wahr! – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das hättet ihr auch im Zusammenhang mit dem Kosovo sagen können!)


Der Krieg in Tschetschenien schadet den eigenen rus-
sischen Interessen. Er macht die innere Entwicklung
nicht stabiler, sondern im Gegenteil unkalkulierbar.
Selbstverständlich hat jeder Staat das Recht, sich gegen
Terroranschläge zur Wehr zu setzen. Die russische
Kriegführung in Tschetschenien aber ist völlig unange-
messen. Sie geht rücksichtslos gegen die Bewohner vor
und nimmt hohe Verluste bei der Zivilbevölkerung in
Kauf. Das ist ein krasser Verstoß gegen den OSZE-
Verhaltenskodex, der verlangt, daß im Falle eines Streit-
kräfteeinsatzes innerhalb eines Mitgliedstaates keine un-
verhältnismäßige Gewalt angewendet werden darf und
Beeinträchtigungen von Zivilpersonen zu vermeiden
sind. Gerade Rußland hat immer darauf gedrängt, eine
gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur auf der OSZE
aufzubauen, damit Rußland und die neuen Staaten im
Kaukasus und in Ost- und Südosteuropa eingebunden
sind. Mit dem Krieg in Tschetschenien zerstört Rußland
die Autorität der Organisation, von der es sich selbst
mehr Einfluß auf die Sicherheitspolitik in Europa er-
hofft.

Es ist bezeichnend, daß wir als Opposition im Deut-
schen Bundestag diesen Appell an die russische Regie-
rung richten müssen. Von der Bundesregierung haben
wir dazu bisher leider kein öffentliches Wort gehört.


(Beifall bei der PDS)

Das steht im Gegensatz zu der überzogenen außenpoliti-
schen Rhetorik, die die Koalition ansonsten untereinan-
der und in der Öffentlichkeit pflegt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Sie wissen es doch besser, Herr Kollege!)


Dabei haben doch Sozialdemokraten und Sie von der
grünen Fraktion in der Vergangenheit immer soviel
Wert auf die Krisenbewältigung im Rahmen der OSZE
gelegt, weil Sie der NATO mißtraut haben. Sie, Herr
Staatsminister, waren einer der Wortführer gegen die
NATO-Osterweiterung. Sie haben sie als Militarisierung
der Außenpolitik diffamiert.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wie recht hatte er!)


Ferner haben Sie behauptet, wir könnten die Sicherheit
in Europa besser gewährleisten, wenn wir ausschließlich
auf die OSZE setzen.


(Staatsminister Dr. Ludger Volmer: Hauptsächlich!)


Wir, die CDU/CSU, waren immer realistischer. Wir
setzen uns für die Stärkung der OSZE ein, weil sie die
einzige Sicherheitsinstitution in Europa ist, die alle
NATO-Mitglieder und alle europäischen und zentral-
asiatischen Staaten, die nicht der NATO angehören, um-
faßt. Wir unterstützen die Forderung, daß die OSZE
direkt den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anrufen
kann, notfalls auch ohne Zustimmung der an einem
Konflikt beteiligten Staaten. Wir sind ja auch für den
Vorschlag, der OSZE eigene friedenserhaltende Maß-
nahmen zu ermöglichen, darunter auch den Einsatz von
Streitkräften. Aber wir haben berechtigte Zweifel daran,
ob die OSZE ohne die NATO und deren Instrumente im
Ernstfall wirklich handlungsfähig ist. Das gilt hinsicht-
lich der Krisenprävention wie hinsichtlich der Krisen-
reaktion.

Leider haben sich unsere Zweifel einmal mehr bestä-
tigt, weil der Krieg in Tschetschenien die OSZE und ih-
re Prinzipien desavouiert. Welchen Wert hat ein Vertrag,
dessen Bestimmungen schon bei der Unterschrift nicht
eingehalten werden? Auf dem Istanbuler Gipfel soll der
KSE-Vertrag an die neuen Sicherheitsgegebenheiten in
Europa angepaßt werden. Aber die Truppenstärke der
russischen Streitkräfte im Kaukasus liegt schon heute
erheblich über den vertraglich festgelegten Werten.
Glauben Sie im Ernst, daß es etwa in Armenien, wo
nach dem Terroranschlag im Parlament die Armee die
politische Kontrolle übernommen hat, eine Zustimmung
für eine Reduzierung der konventionellen Streitkräfte
geben wird?

Die Vorstellung von der OSZE, die der Außenmi-
nister und seine Partei während der Debatte um die
NATO-Osterweiterung vertreten haben, war Wunsch-
denken. Wir empfinden darüber keine Schadenfreude,
im Gegenteil: Wir alle haben Anlaß zu großer Sorge.
Wenn Sie Ihre Haltung jetzt an die Realitäten anpassen,
ist dagegen nichts einzuwenden. Aber die Bundesregie-
rung kann zum Krieg in Tschetschenien nicht einfach
schweigen. Das ist falsch gegenüber unserem Partner
Rußland, und das ist falsch gegenüber der OSZE. Wenn
während des Gipfels in Istanbul die Ziele, die sich die
OSZE dort setzt und die wir gemeinsam unterstützen,
durch einen unverhältnismäßigen Krieg und durch mas-
sive Menschenrechtsverletzungen ad absurdum geführt
werden, ist die Erfolglosigkeit des Gipfels vorprogram-
miert.

Der Herr Außenminister hält es nicht für nötig, dazu
vor dem Parlament Stellung zu nehmen. Er hat zuneh-
mend ein Problem mit seiner moralisierenden Rhetorik,
die ethische Grundsätze der deutschen Außenpolitik je
nach Opportunität für die eigene Position in Sachfragen
in Anspruch nimmt oder nicht. Keiner von denen, die
sich in der vergangenen Woche in der öffentlichen De-
batte um die Lieferung eines Testpanzers an die Türkei
beinahe inflationär auf die Menschenrechte berufen ha-

Dr. Andreas Schockenhoff






(B)



(A) (C)



(D)


ben – der Außenminister, seine Partei, viele Sozialde-
mokraten –, hat sich bisher in auch nur annähernd ver-
gleichbarer Weise zu den eklatanten Menschenrechts-
verletzungen in Tschetschenien geäußert.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt irren Sie, mein Lieber! Sie müssen mehr lesen!)


– Das paßt nicht zusammen, Herr Lippelt. Ihr Wertrela-
tivismus ist unglaubwürdig. Moral ist nicht beliebig.
Richten Sie das bitte dem Herrn Außenminister aus!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Während des Kosovo-Krieges hat Joschka Fischer

zum Vorgehen der Serben gegen die Kosovo-Albaner
gesagt, Auschwitz dürfe sich nicht wiederholen. Das hat
er natürlich getan, um die Pazifisten in Ihren Reihen zu
ködern, weil er sich der Zustimmung seiner Fraktion für
die Politik der Bundesregierung nicht sicher sein konnte.
Wir fanden diese Rhetorik unangemessen. Im Kosovo
sind schreckliche Verbrechen passiert, aber Auschwitz
ist einzigartig und darf durch keinen Vergleich relati-
viert werden.


(Beifall bei der PDS)

Zum Krieg in Tschetschenien hat sich der Außenmi-
nister öffentlich überhaupt nicht geäußert. Totschweigen
ist das andere Extrem. Auch das finden wir unangemes-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406611300
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Lippelt?


Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1406611400
Bitte.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406611500
Bitte sehr.


Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406611600

Herr Kollege, mit Respekt: Sind Ihnen etwa zwei Pres-
seerklärungen, die der Außenminister selber gemacht
hat, und darüber hinaus eine Erklärung, die er zusam-
men mit dem italienischen und dem französischen
Außenminister abgegeben hat, völlig entgangen?


Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1406611700
Herr Lip-
pelt, angesichts der moralisierenden Töne und der star-
ken Sprüche, die vom Bundesaußenminister in der letz-
ten Woche im Zusammenhang mit der Türkeifrage zu
hören waren, ist ein Kommuniqué des Außenministeri-
ums in dieser Frage zu wenig. Das ist genau der Relati-
vismus, den ich Ihnen vorwerfe.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also Sie bestätigen, was ich behauptet habe: daß es Erklärungen gibt!)


– Nein, der Außenminister hat sich öffentlich nicht er-
klärt. Es gab lediglich ein Kommuniqué, das schriftlich
verbreitet wurde. Ich sage es noch einmal: Im Verhältnis

zu dem Auftreten, was er sonst pflegt, ist das der massi-
ven Verletzung von Menschenrechten in Tschetschenien
nicht angemessen.

Eine verläßliche, berechenbare Außen- und Sicher-
heitspolitik verträgt diesen Wertrelativismus nicht. Des-
halb sagt die CDU/CSU in aller Klarheit: Die Raketen
auf dem Marktplatz von Sarajevo waren ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit. Die Raketen auf dem Markt-
platz von Grosny waren ebenfalls ein Verbrechen gegen
die Menschlichkeit.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig richtig!)


Es wird höchste Zeit, daß jemand von der Bundesregie-
rung dazu in derselben Klarheit Stellung bezieht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406611800
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Rita Grießhaber, Bündnis 90/Die
Grünen.


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406611900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
richtig – wie Herr Schockenhoff gesagt hat –, daß die
Ereignisse in Tschetschenien den OSZE-Gipfel in
Istanbul überschatten. Das Vorhaben, nach dem kalten
Krieg eine substantielle europäische Sicherheitscharta
zu verabschieden, ist gefährdet. Dieses Vorhaben allein
ist schon schwierig genug; denn es ist keine einfache
Aufgabe, die künftige Rolle der OSZE zwischen Ver-
einten Nationen, NATO, WEU und Europäischer Uni-
on zu gestalten. Ähnlich wie die UN ist die OSZE eine
Organisation von höchst heterogenen Staaten. Die Ein-
haltung der Menschenrechte – das ist die aktuelle Er-
fahrung und die traurige Wahrheit – kann leider nicht
vorausgesetzt werden.

Dennoch haben KSZE und OSZE ganz entscheidend
dazu beigetragen, die Prinzipien von Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Frieden po-
pulär zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)


Meilensteine auf diesem weiten Weg waren die Schluß-
akte in Helsinki, die Charta von Paris und die Erklärung
von Lissabon. Trotzdem – das ist richtig – müssen wir
realistisch sein. Das Hauptverdienst der OSZE lag bisher
in ihrer dialogischen Struktur, ihrer Hilfe für junge De-
mokratien, Wahlbeobachtung und Wahlbegleitung. Es
bleibt eine Herkulesaufgabe, die Rolle der OSZE im
Prozeß hin zu einer gesamteuropäischen Friedensord-
nung zu definieren und zu stärken.

Aber die OSZE hat eine hervorragende Rolle bei der
Bewältigung des Transformationsprozesses nach Been-
digung der Blockkonfrontation gespielt. Sie hat nicht
nur Wahlen organisiert und sich bei der Wahlbeobach-
tung Verdienste erworben. Sie hat auch in sehr schwie-

Dr. Andreas Schockenhoff






(A) (C)



(B) (D)


rigen Konflikten vermittelt. Ich erinnere hier nur an
Moldawien und Georgien.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Durch die Mitgliedschaft sämtlicher Nachfolgestaaten
der UdSSR in der OSZE ist sie eine transatlantisch-
eurasische Veranstaltung mit höchst unterschiedlichem
Entwicklungsstand in den demokratischen Standards.
Auch wenn sich alle verpflichtet haben, die Menschen-,
Minderheiten- und demokratischen Rechte zu wahren,
ist es sehr schwer, dies einheitlich hinzubekommen.

In Istanbul erwartet die Teilnehmer wirklich kein
Feiertagsprogramm – Herr Schockenhoff, das haben Sie
ganz richtig gesehen –, sondern eine schwierige Missi-
on. Vor allem sind wir tief besorgt über die Entwicklung
in Tschetschenien. Auf dem OSZE-Gipfel muß nach
Lösungen gesucht werden, wie der grausame Krieg dort
beendet werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im ersten Tschetschenien-Krieg hat die OSZE eine
wichtige Vermittlerrolle innegehabt, und es ist offen, ob
es jetzt zu einer politischen Lösung kommen kann.

Rußland hat in Tschetschenien, wie Sie richtig be-
merkt haben, den OSZE-Verhaltenskodex massiv ver-
letzt. Der Krieg ist offensichtlich ein Krieg gegen die
Zivilbevölkerung. Minister Fischer hat das in einem
Brief an Iwanow auch entsprechend zum Ausdruck ge-
bracht.

Selbstverständlich hat jeder Staat das Recht, gegen
Terroristen vorzugehen, und wir wissen, daß es auch auf
tschetschenischer Seite Geiselnahmen gab. Doch dies ist
keine militärische, sondern eine polizeiliche Aufgabe.
Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung dürfen
selbstverständlich nicht die Lebensgrundlagen eines
ganzen Volkes zerstört werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Rußland hat als Mitglied der OSZE alle Möglichkei-
ten, die Organisation um Vermittlung anzurufen. Die
Zulassung einer OSZE-Beobachtermission ist ein aller-
erster Schritt in diese Richtung. Er genügt aber natürlich
nicht. Wir erwarten von Rußland auch, daß eine öffent-
liche und objektive Berichterstattung aus Tschetschenien
wieder möglich wird. Mit der Abschottung muß Schluß
sein. Wir brauchen mehr Transparenz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch Rußland hat die Einsetzung des OSZE-
Medienbeauftragten unterstützt. Ihn jetzt ins Land zu
lassen wäre eine richtige Geste. Daß Hilfsorganisationen
wie dem Internationalen Roten Kreuz und Cap Anamur
endlich die Einreise gestattet wird, ist wichtig, aber an-
gesichts der humanitären Katastrophe längst nicht aus-
reichend.

Wir dürfen bei dieser Debatte auch nicht außen vor
lassen, liebe Kollegen und Kolleginnen, daß dieser
Krieg in Rußland bis jetzt auf breite Zustimmung stößt.
Auch das ist ein Grund, warum eine schnelle Lösung
nicht in Sicht ist. Es ist gut, wenn es jetzt in Moskau
zumindest einzelne Stimmen gibt, die für Verhandlun-
gen plädieren. Wir ermutigen alle Kräfte, die sich gegen
diesen Krieg einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Lassen Sie mich zum Gipfel zurückkommen: Die
Unterzeichnung des KSE-Änderungsvertrags in Istanbul
soll ein neues Kapitel der konventionellen Abrüstung
in Europa eröffnen. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu
einer europäischen Sicherheitsarchitektur.

Herr Schockenhoff, natürlich kann man sich fragen:
Was ist ein Vertrag mit Vertragspartnern wert, die das
Papier mit Füßen treten? Wir wissen auch, daß Papier
geduldig ist. Aber der mühsame Aushandlungsprozeß
zeigt doch auch, wie bedeutend völkerrechtliche Verträ-
ge sind, wie notwendig die Einbeziehung aller Akteure
ist und welche Verpflichtung für alle daraus erwächst,
für ihre Einhaltung zu sorgen. Die Menschen sind darauf
angewiesen, daß dies so ist. Haben Sie denn dazu eine
Alternative?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir müssen alles tun, um die Bemühungen für Abrü-
stung und Rüstungskontrolle voranzubringen. Sie wissen
genau, daß der Außenminister deswegen jetzt auch in
den USA ist, denn all das ist nach der Weigerung des
Senats, den Atomteststoppvertrag zu ratifizieren, nicht
einfacher geworden.

Meine Damen und Herren, die Rahmenbedingungen
des Istanbuler Gipfels sind ungleich schwieriger, als
wir das bei der Vorbereitung erwartet haben. Es gibt
aber keinerlei Anlaß, danach zu fragen, was die OSZE
überhaupt noch machen kann. Ihre Erfolge sind oft
nicht spektakulär, aber gerade ihr zähes Wirken ist
notwendig. Die Ankündigung des weißrussischen Prä-
sidenten Lukaschenko, in seinem Land endlich freie
Wahlen durchführen zu lassen, und die Freilassungen
von Oppositionellen sind Erfolge des beharrlichen
Wirkens vor Ort, weil sich die OSZE-Vertreter nicht
haben beirren lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Gipfel in Istanbul kann nicht business as usual
sein. Noch gibt es Chancen, im Rahmen der OSZE auf
Rußland einzuwirken. Jede Einflußmöglichkeit muß ge-
nutzt werden, um den grausamen Krieg gegen die Be-
völkerung in Tschetschenien zu beenden und die Abrü-
stung voranzubringen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Rita Grießhaber






(B)



(A) (C)



(D)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406612000
Das Wort hat nun
der Kollege Dr. Werner Hoyer, F.D.P.-Fraktion.


Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1406612100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Grießhaber
hat zu Recht auf die langfristigen Entwicklungslinien
der internationalen Politik und der Außenpolitik hinge-
wiesen. Der zehnte Jahrestag des Falls der Mauer, den
wir in der nächsten Woche feiern – ein überaus glückli-
ches Ereignis in der deutschen Geschichte –, hat natür-
lich etwas mit dem Gegenstand unserer heutigen Debatte
zu tun, nämlich mit dem Prozeß, der, von Walter Scheel
und Willy Brandt angelegt, in Helsinki seinen ersten
großen Höhepunkt fand und der heute einer Fortent-
wicklung der Organisation, in die dieser Prozeß mittler-
weile eingebettet ist, bedarf.

Deshalb ist es schon bedrückend, daß dieser Gipfel in
Istanbul offensichtlich unter einem eher ungünstigen
Stern steht, und zwar aus zwei Gründen: Erstens lastet
die Katastrophe in Tschetschenien wie Blei auf den
Vorbereitungen dieser Tagung. Auch die – wie ich
fand – eindrucksvollen und bedrückenden Erörterungen
gestern im Auswärtigen Ausschuß haben uns, was die
Einschätzung der Vorgänge im Kaukasus angeht, letzt-
endlich nicht entscheidend weitergebracht. Ich bin allen-
falls noch vorsichtiger in der Bewertung und der Analy-
se der Vorgänge dort geworden.

Zweitens haben wir nach Meinung der Freien Demo-
kraten die notwendige kritische Bilanz des Kosovo-
Krieges noch längst nicht gezogen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Erleichterung darüber, daß wir – wenn man das so
sagen darf – wohl noch mit einem blauen Auge davon-
gekommen sind, sollte nicht darüber hinwegtäuschen,
daß gerade im Hinblick auf die Interdependenz zwi-
schen den großen internationalen Organisationen die
erforderlichen Schlußfolgerungen noch nicht gezogen
sind.

Im übrigen muß klar sein, daß im Kosovo noch ge-
waltige Herausforderungen zu bewältigen sind, wenn
denn alles einen Sinn gehabt haben soll. Bei diesen Her-
ausforderungen dürfen wir diejenigen, die nach dem
Ende des Krieges mit der Bewältigung des Friedens
fertig werden müssen, nicht allein lassen. Das sind zum
großen Teil wieder deutsche Soldaten und Polizei-
beamte – qualitativ und quantitativ in ganz herausragen-
der Form – sowie viele internationale und nationale
Hilfsorganisationen.

Für die Rolle, die UNO und OSZE in diesem Kontext
in Zukunft spielen können und müssen, und für die
Rolle, die sich die NATO aufbürden kann, wird die
Bilanz, die wir noch ziehen müssen, von Bedeutung
sein.

Unser wichtiger Partner Rußland ist gegenwärtig
natürlich in einer ganz besonders heiklen Lage. Denn
während in Istanbul in feierlichen Erklärungen OSZE-
Prinzipien abgefeiert werden, muß sich Rußland im
Hinblick auf Tschetschenien bereits an diesen Prinzipien

messen lassen. Es kann dann auch wohl nicht wahr sein,
daß auf Grund ausdrücklichen russischen Wunsches in
Istanbul keine freie Debatte, sondern nur ein Herunter-
beten abgestimmter und austarierter Statements stattfin-
den soll. Hierauf sollte sich die Bundesregierung nicht
einlassen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In den letzten Tagen hat es interessante Bewegungen
gegeben. Es ist anzuerkennen, daß Ministerpräsident
Putin nunmehr anbietet, der Entsendung einer OSZE-
Beobachtermission zuzustimmen und auch Hilfsorgani-
sationen ins Land zu lassen. Das wird auch allerhöchste
Zeit. Daß das jetzt geschieht, zeigt, wie sehr Rußland an
Istanbul und dem OSZE-Prozeß sowie daran interessiert
ist, daß der OSZE mehr Verantwortung übertragen wird.
Das sollte die Bundesregierung nutzen, um Rußland zu
Bewegung zu veranlassen.

Erstens. Rußland sollte seine Blockadehaltung beim
Konsens-minus-eins-Prinzip aufgeben. Wer wie Ruß-
land die Übertragung von mehr Verantwortung auf die
OSZE wünscht, wird unglaubwürdig, wenn er am Ein-
stimmigkeitsprinzip festhält.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Hans-Dirk Bierling [CDU/CSU])


Die Zukunftsfähigkeit der OSZE wird weitgehend
davon abhängen, ob es in einer konkreten Situation
einem Völkerrechtsbrecher oder einem Menschen-
rechtsverletzer möglich sein wird, durch schlichten
Verweis auf nationale Souveränitätsrechte das Tätig-
werden der Völkergemeinschaft zu verhindern. Späte-
stens seit Kosovo müßte dieses Denken eigentlich über-
wunden sein.

Die aktuelle Debatte in der UNO-Generalversamm-
lung zeigt, daß erheblich mehr Dynamik in die Diskus-
sion gekommen ist. Das sollte die OSZE-Partner ermu-
tigen. Das Völkerrecht ist eben nicht statisch, sondern
bedarf im historischen Prozeß der behutsamen, aber
mutigen Fortentwicklung. Der Mensch rückt in den
Mittelpunkt des Völkerrechts. Für Liberale ist das ein
ganz gewaltiger Fortschritt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die humanitäre Intervention zum Schutz der Opfer
und das Statut von Rom zur Verfolgung der Täter mar-
kieren einen Epochenwandel, der nach unserer Auffas-
sung ein Fortschritt im Sinne der Menschlichkeit ist. In
Zukunft wird das alte Völkerrechtsverständnis mit seiner
starken Betonung staatlicher Souveränität nicht mehr als
Schutzschild für großformatige und systematische Men-
schenrechtsverletzungen herhalten können, und das ist
gut so.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406612200
Liebe Kolleginnen
und Kollegen im Saal, ich bitte darum, zuzuhören und
Gesprächsbedarf außerhalb des Raumes zu befriedigen.


(Beifall)

Herr Kollege, Sie haben das Wort.


Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1406612300
Ich bedanke mich, Frau
Präsidentin.

In diesen Kontext gehört die überfällige Reform der
Vereinten Nationen ebenso wie die beherzte Weiterent-
wicklung der OSZE. Rußland sollte dabei aktiver Part-
ner und nicht Bremser sein. Aber es muß eben auch
glaubwürdig sein.

Zweitens. Die Bundesregierung sollte Rußland ermu-
tigen, seine Haltung zum Verhältnis von NATO und
OSZE endlich über Bord zu werfen. Es war von vorn-
herein ein fundamentales Mißverständnis oder eine Ver-
suchung, der man offensichtlich nicht widerstehen
konnte, der OSZE die Rolle eines NATO-Nachfolgers
anzudichten. Diesem Irrtum war nicht nur Rußland auf-
gesessen, auf dieses Glatteis wollten uns nicht nur frühe-
re Kreml-Chefs ziehen; vielmehr konnte auch mancher,
der heute auf der Regierungsbank sitzt oder einer der
jetzigen Regierungsfraktionen angehört, in den letzten
Jahren der Versuchung nicht widerstehen, entsprechende
Wege aufzuzeigen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Wer war denn das?)

Es wird Zeit, daß wir Ordnung in unser Denken brin-

gen, einerseits im Hinblick auf die Systeme kooperativer
Sicherheit, wie UNO und OSZE, und andererseits im
Hinblick auf Systeme kollektiver Verteidigung, wie
NATO und WEU. Erst dann wird die überaus wertvolle
Rolle deutlich, die vor allem die NATO als System kol-
lektiver Verteidigung spielen kann, wenn sie sich mit ih-
rem Potential in den Dienst der Völkergemeinschaft und
in den Dienst der Systeme kooperativer Sicherheit stellt.
Deshalb müssen wir beides tun: NATO und UNO/OSZE
weiterentwickeln und den regionalen Charakter der
OSZE im System der Vereinten Nationen besser heraus-
arbeiten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn schon die UNO-Reform dieses Jahr keinen
Millimeter vorankommt, so könnte immerhin die OSZE
in Istanbul einen wichtigen Schritt nach vorne machen.
Mancher Beobachter hat natürlich recht, wenn er davor
warnt, daß vor dem Hintergrund der Tschetschenien-
Katastrophe und angesichts massiver Verletzungen von
OSZE-Prinzipien und, wie ich befürchte, auch von KSE-
Vereinbarungen der Gipfel über die europäische Sicher-
heitscharta zur Farce werden könnte und besser ver-
schoben werden sollte. Aber vielleicht steckt in dieser
bedrückenden Szenerie ja auch so etwas wie die Gunst
einer schwierigen Stunde.

Wenn auch zum Teil aus sehr unterschiedlichen Mo-
tiven: Alle – Amerikaner wie Russen, EU- wie Nicht-
EU-Länder, Türken wie Deutsche – haben ein enormes

Interesse daran, den KSE-Vertrag neu zu fassen und die
OSZE voranzubringen. Wir Freien Demokraten fordern
die Bundesregierung auf, ihren Beitrag zum Gelingen zu
leisten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406612400
Nun hat der Kollege
Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion, das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406612500
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu, daß es einem
schwerfällt, über europäische Sicherheitsarchitektur
nachzudenken und reden zu wollen, während in Tsche-
tschenien Krieg tobt, Bomben fallen, Menschen leiden
und wir tagtäglich das Drama von Tod, Flucht, Hunger
und Elend betrachten müssen.

Ich will, wie ich dies bereits während des Kosovo-
Krieges getan habe, heute deutlich sagen: Für mich gibt
es nur ein kategorisches Nein zum Krieg, mit welchen
Begründungen er auch immer geführt wird, und zu
Bomben und Raketen, mit welcher Begründung sie auch
immer abgeworfen werden.


(Beifall bei der PDS)

Es gibt kein Recht zum Krieg und auch keinen Krieg

aus politischer Vernunft. Das sage ich zu Rußland eben-
so, wie ich es zur NATO gesagt habe. Politische Lösun-
gen sind nötig, auch in Tschetschenien. Mit Krieg löst
man keine Probleme. Mit Bomben bekämpft man keinen
Terrorismus, und mit Bomben erreicht man keine Men-
schenrechte.


(Beifall bei der PDS)

Ich habe mich im Kosovo-Krieg immer gegen das

Argument gewandt, daß die Bomben nicht auf das serbi-
sche Volk, sondern nur auf die serbische Führung ge-
richtet seien, und ich wende mich ebenso gegen das Ar-
gument, daß Rußland in Tschetschenien Krieg gegen die
Terroristen führt und nicht gegen das tschetschenische
Volk. Am Ende leidet immer das einfache Volk. Damit
muß man endlich Schluß machen. Deswegen braucht
man eine andere Politik.


(Beifall bei der PDS)

Gerade weil ich möchte, daß sich Rußland auf die

Solidarität und Hilfe Europas beziehen kann, weil ich
immer vor der Demütigung Rußlands gewarnt habe,
weil ich glaube, daß Sicherheit in Europa Rußland nicht
ausschließen darf, sondern einschließen muß, nehme ich
mir auch das Recht, Kritik und Mahnung an die Adresse
Rußlands offen auszusprechen. Solidarität hat etwas mit
Partnerschaft zu tun, weder mit Bevormundung noch mit
Unterordnung; und Partnerschaft brauchen wir gegen-
über Rußland ebenso wie gegenüber den USA.

Aus meiner Sicht zeigt sich – deshalb sind die Töne
der Regierungskoalition hier gedämpfter als in anderen
Konflikten –: Wer gegenüber den USA Unterordnung
akzeptiert, ist nicht souverän im Umgang mit der ande-






(B)



(A) (C)



(D)


ren Weltmacht. Wer wie die Bundesregierung im Koso-
vo auf Bomben und Raketen gesetzt hat, ist wenig
glaubwürdig, wenn er ein Ende des Bombenkrieges in
Tschetschenien einfordert. Das ist das eigentliche Pro-
blem, und ich finde, dies zeigt sich im Agieren der Bun-
desregierung.

Diese Regierung schwankt nach meinem Geschmack
zu oft zwischen lautstarken, oft peinlichen Erklärungen
in der Öffentlichkeit, wo Selbstbeschränkung und stille-
re Töne angebracht wären, und einem Abtauchen, wo
Position und Handeln gefordert sind.

Die Töne des Bundeskanzlers zu Tschetschenien wa-
ren sehr verhalten. Da mußte man schon sehr genau hin-
hören, um sie überhaupt wahrnehmen zu können. Statt
dessen forderte er in Japan einen Sitz für Deutschland
im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ich finde es
nicht hilfreich, dies gerade jetzt einzufordern. Ich finde,
das sind Weltmachtallüren. Ein sinnvoller deutscher
Beitrag für die UNO ist es nicht, eine deutsche Füh-
rungsrolle einzufordern. Sinnvoll ist es vielmehr, die
UNO handlungsfähiger zu machen und zivile Strukturen
zu stärken. Dafür kann man einen Beitrag in Europa
durch die Stärkung der OSZE leisten.


(Beifall bei der PDS)

Der Gipfel der OSZE in Istanbul kann ein Erfolg

werden. Die OSZE leistet, wie ich mich in den letzten
Tagen in Wien überzeugen konnte, selbst Erhebliches
dafür. Es besteht die Chance, eine europäische Si-
cherheitscharta zu verabschieden, den KSE-Vertrag
an die neuen sicherheitspolitischen Bedingungen anzu-
passen und damit nationale wie territoriale Obergren-
zen der konventionellen Rüstung in Europa zu verein-
baren.

Entscheidend sind jedoch nicht hehre Deklarationen,
sondern konkrete Schritte. Ich muß wiederum sagen:
Liebe Kolleginnen und Kollegen aller anderen Parteien,
– dies muß ich wiederum so sagen, da sich die anderen
Parteien entschlossen haben, ihren Antrag separat und
ohne PDS zu gestalten – ich finde, in dem Antrag ist zu-
viel Folklore, zuviel Lyrik und zuwenig verbindliche
Festlegung von Inhalten. Deutschland sollte klarmachen,
daß für uns nicht gilt: NATO first. Zumindest für mich
heißt es – hierin liegt die Differenz –: OSZE first. Ich
sehe in der OSZE eine reale Alternative zu den militäri-
schen Blöcken. Das heißt, daß kooperative Sicherheit
in einem europäischen Sicherheitssystem unter Ein-
schluß Rußlands und der transatlantischen Komponente
so gut gewährleistet sein könnte, daß die NATO als Mi-
litärbündnis gegen potentielle Gegner überflüssig würde
und sich die Debatte um die WEU und ihre Integration
in die Europäische Union von selbst erledigte. Dazu be-
darf es einer Stärkung der zivilen Strukturen, der auch
eine Chance zum Abbau der militärischen Potentiale in-
newohnt.

Für viele hier im Hause buchstabiert sich Sicherheit
noch immer militärisch. Das, finde ich, ist Steinzeitden-
ken. Die OSZE bietet die Chance, einen zivilen Sicher-
heitsbegriff zu verankern. Diesen Prozeß sollten wir vo-
rantreiben und auch gegenüber unserer Bevölkerung
deutlich machen.

Deutschland hätte die Chance – damit komme ich
zum Schluß –, auf dem Gipfel im Sinne guter Beispiele
eigene Akzente zu setzen. Deutschland sollte deutlich
machen, daß wir die Sicherheitscharta für unser Land als
rechtsverbindlich akzeptieren wollen. Eine solche Erklä-
rung kann dazu beitragen, daß sich auch andere Länder
auf diesen Weg begeben. Wir sollten erklären, daß wir
die Obergrenze für konventionelle Rüstung im KSE-
Vertrag nicht durch eine qualitative Umrüstung konter-
karieren wollen. Wir sollten dafür eintreten, daß der
OSZE mehr Geld und Personal zur Verfügung gestellt
werden. Wichtig wären auch weitere Abrüstungsschritte,
auch wenn sie vorerst einseitig von unserem Land aus-
gehen.

Für mich war das gemeinsame Haus Europa immer
eine große Vision. Ich gebe zu, daß es schwer ist, über
das gemeinsame Haus nachzudenken, während in Euro-
pa Krieg geführt wird. Aber das gemeinsame Haus Eu-
ropa ist die einzige Chance, die die europäischen Völker
sinnvollerweise miteinander gestalten können. Ich bin
hinsichtlich des OSZE-Gipfels in Istanbul gar nicht so
pessimistisch, wenn dieses Parlament eindeutige Signale
im Vorfeld des Gipfels setzt.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406612600
Jetzt hat das Wort
der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1406612700
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Boris Jelzin
hat in einem Artikel, der am 17. Februar 1995 in der
„Rossiskaja gazeta“ erschienen ist, mit Blick auf das,
was damals in Tschetschenien geschah, geschrieben:

In den jüngsten Ereignissen in Tschetschenien
spiegelten sich alle Probleme des heutigen Ruß-
lands wider.

Im Herbst 1999 wiederholt sich genau diese Einschät-
zung. Alle Probleme des heutigen Rußlands spiegeln
sich in Tschetschenien wider: die tiefsitzende Angst vor
dem Terrorismus, die Furcht vor der Rückkehr des Krie-
ges und die Sorge vor dem Zerfall des Landes. Aber
warum – diese Frage sollten wir uns alle stellen; hof-
fentlich stellt sich diese Frage auch die russische Elite –
sind die Jahre nach dem ersten Tschetschenien-Krieg,
der ja – in welcher Form auch immer – entkrampft und
politisch auf eine andere Ebene gehoben worden war,
nicht genutzt worden? Warum hat Moskau die Chance
vertan, mit Aslan Maschadow eine enge Kooperation
einzugehen? Maschadow ist immerhin der gewählte
tschetschenische Präsident, der – wenn Sie so wollen –
von der OSZE bestätigt wurde und dessen Legitimation
durch die Wahl anerkannt wurde. Er wurde übrigens
auch von der russischen Elite anerkannt. Schließlich
wurden mit ihm sogar Verträge abgeschlossen, die dar-
auf hinauslaufen, daß im Jahr 2001 endgültig geklärt
wird, in welcher Form Tschetschenien innerhalb der
Russischen Föderation verbleibt. Warum hat die Russi-
sche Föderation diese Chance also nicht genutzt? Man

Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)


muß auch die russischen Kolleginnen und Kollegen aus
der Duma fragen, was sie in dieser Zeit getan haben.

Ich bin der Meinung, Rußland ist die Verträge aus
gutem Grund eingegangen. Alexander Lebed hat
schließlich mit Maschadow kooperiert und die Verträge
vorangetrieben. Der russische Präsident, die russische
Regierung und die Mehrheit der Staatsduma haben
Tschetschenien in dieser Zeit allerdings vollständig al-
lein gelassen. Man hat das Gefühl, daß diese Chance
nicht genutzt worden ist, weil man Tschetschenien sich
selbst überlassen wollte und weil man keine wirklichen
Kooperationsbeziehungen eingehen wollte. Wenn Sie
den Artikel von Sergej Kowalew in der heutigen Ausga-
be der „Welt“ lesen, dann können Sie sich die Fragen,
die ich gestellt habe, selbst beantworten. Manchmal
drängt sich mir der Eindruck auf, daß die russische Elite
nur darauf gewartet hat, bis sich terroristische Gruppie-
rungen innerhalb Tschetscheniens durchgesetzt haben.

Lieber Kollege Schockenhoff, wir sollten darüber
nachdenken, was wir tun können, damit die russische
Demokratie die Kraft aufbringt, sich auf der einen Seite
mit dem Terrorismus nach den Regeln der OSZE aus-
einanderzusetzen und auf der anderen Seite dafür zu
sorgen, daß die Russische Föderation ein integrales An-
gebot an alle noch so unterschiedlichen Bevölkerungs-
gruppen macht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die zentrale Frage, die wir uns selbst stellen müs-
sen, und ich bitte darum, lieber Kollege Schockenhoff,
daß wir nicht innenpolitische Auseinandersetzungen mit
dieser ungeheuer schwierigen Frage verbinden. Denn
der Bundesaußenminister – das wissen Sie sehr wohl;
wir waren ja gestern im Ausschuß zusammen – hat ge-
genüber der russischen Elite eine klare Sprache gespro-
chen, und ich bin dankbar dafür, daß der Außenminister
dies auch in Istanbul tun wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Nichts hat er gesagt! – Geschwiegen hat er doch! Er
ist doch ein Schweiger!

Damit ich nicht mißverstanden werde: Der Kampf
gegen den Terrorismus, der sich gegen die zivilen, ge-
gen die demokratischen Strukturen des Rechtsstaates
richtet, ist gerechtfertigt. Das sagt ja übrigens auch die
OSZE selbst, die Budapester Erklärung. Ich will nur
Punkt 5 der Erklärung zitieren:

Wir erkennen, daß die Gesellschaften in der OSZE-
Region immer stärker durch den Terrorismus be-
droht sind. Wir bekräftigen unsere uneinge-
schränkte Verurteilung aller Arten und Praktiken
des Terrorismus, die unter keinen Umständen zu
rechtfertigen sind. …

Im Code of Conduct schließlich, in Punkt 36, wird
sehr klar hinzugefügt – und das ist vorhin ja auch schon
angesprochen worden –: „In Fällen, in denen zur Erfül-
lung von Aufgaben der inneren Sicherheit ein Rückgriff
auf Gewalt“ geschieht, muß dieser Rückgriff auf Gewalt

„den Erfordernissen der Durchsetzung angemessen
sein“. Und weiter:

Die Streitkräfte werden es sorgsam vermeiden, Zi-
vilpersonen zu beeinträchtigen oder deren Hab und
Gut zu beschädigen.

Kaum hatte Boris Jelzin diesen Satz in Budapest un-
terschrieben, ihn politisch als verbindlich für sich und
sein Land erklärt, begann der erste Krieg gegen Tsche-
tschenien. Die Brutalität der russischen Armee hatte
1996 eine harte Kritik bei den russischen Demokraten
hervorgerufen. Im Moment, so muß man leider sagen,
sind die russischen Demokraten sehr stumm. Das ist
vielleicht mit dem Blick auf die Wahlen zur Duma zu
erklären, die im Dezember bevorstehen. Aber ich denke,
wir sollten unseren Kolleginnen und Kollegen in der
Staatsduma deutlich machen: Bitte seien Sie genauso
wie in den Jahren 1995/96 hart in der Kritik an der Bru-
talität der russischen Armee! Diese darf von uns in Eu-
ropa gemeinsam von keinem der Abgeordnetenfreunde
in frei gewählten Parlamenten akzeptiert werden. Das ist
die Bitte, die wir an die Staatsduma richten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Die terroristischen Bombenanschläge – man muß sie
sich einmal in der Fernsehlandschaft Rußlands genau
ansehen – haben vieles verändert, auch die psychische
Stimmung innerhalb des Landes selbst. Eine Konstante
großrussischen Denkens taucht hier wieder auf: Sind
nicht die Terroristen von heute die schwarzen – wie sie
dort genannt werden – Kaukasier des 19. Jahrhunderts,
gegen die das imperiale Reich 30 Jahre lang Krieg ge-
führt hat? Tausende von Menschen sind jetzt, rechts-
staatlich fragwürdig, kurzerhand festgesetzt worden.
Medien zeigen Bilder zerfetzter Bombenopfer und ge-
hen dann einfach zum Krieg gegen Tschetschenien über.
Was soll damit suggeriert werden? – Dies sei gerecht-
fertigt.

Mit einem Krieg allerdings – das haben wir gestern
im Ausschuß selber erkennen können –, mit militäri-
schen Mitteln, ist dieser Konflikt nicht zu lösen. Man
kann ihn nur mit zivilen Mitteln lösen. Die OSZE bietet
dafür eine Plattform. Diejenigen, die den Krieg befür-
worten, müssen sich doch wohl selber die Frage stellen:
Kann denn der politische Wille Tschetscheniens, nach
Rußland zurückkehren zu wollen, ein integraler Be-
standteil Rußlands zu bleiben, mit Bomben zurückgeholt
werden? Das kann doch wohl nicht der Fall sein.

Noch ist die Chance gegeben, daß das Treffen der
Staats- und Regierungschefs in Istanbul helfen wird, die
Probleme zu lösen, vor denen wir alle stehen. Allerdings
setzt dies voraus, daß die politische Elite in Moskau die-
se Lösung selbst will, daß sie dazu bereit ist. Wir alle je-
denfalls wollen, daß gemeinsam mit Rußland ein Europa
gebaut wird, das allen Platz bietet, die sich verpflichtet
haben, Freiheit und Demokratie zu sichern und die
Menschenrechte zu achten. Wir alle wollen, daß eine
Charta verabschiedet wird, die den Menschen in allen
Mitgliedstaaten der OSZE Sicherheit bietet, damit sie in
Frieden miteinander leben können, die den anderen – in

Gert Weisskirchen (Wiesloch)







(B)



(A) (C)



(D)


Respekt voreinander – in seiner Unverwechselbarkeit
anerkennt. Immerhin hat Moskau jetzt den ersten Schritt
getan, so daß eine humanitäre Mission in Tschetsche-
nien tätig werden kann.

Moskau sollte den politischen Dialog mit Aslan Ma-
schadow neu aufnehmen. Das hat der Bundesaußenmi-
nister im Gleichklang mit seinem italienischen und fran-
zösischen Kollegen gefordert. Wir unterstützen den Au-
ßenminister ausdrücklich darin, daß Moskau zum politi-
schen Dialog mit Maschadow zurückkehren muß.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt noch ein anderes Zerrbild, das sich an diesem
Punkt deutlich zeigt. Ich habe mir die Presse in Rußland
genau angesehen und will den ehemaligen Verteidi-
gungsminister des Jahres 1996 erwähnen, der behauptet,
hinter den Auseinandersetzungen stünden „Rußlands
strategische Feinde, um es zu spalten, einen Teil seines
Territoriums zu besetzen und vom Zugang zum Kaspi-
schen und Schwarzen Meer abzuschneiden“.

Was sind das für Einkreisungsängste? Was sind das
für Verschwörungstheorien? Es kommt darauf an,
Rußland deutlich zu machen, daß es einen Platz in Eu-
ropa hat. Wir wollen mit Rußland friedlich kooperieren.
Rußland muß aber auch die Ängste, die es hat, und die
Besorgnisse, die sich in diesem Konflikt zeigen, selbst
abbauen. Nur die inneren Kräfte der Demokratie werden
es möglich machen, daß Rußland bei einem solchen
Verständnis seinen Platz in Europa findet – genauso wie
alle anderen Europäer.

Istanbul kann eine Chance für ein neues Denken in-
nerhalb der russischen Elite werden. Ich wünschte mir,
daß die Staatsduma das, worüber wir heute debattiert
haben, aufnimmt und die russische politische Elite dar-
um bittet, von diesem furchtbaren Krieg Abstand zu
nehmen und in die europäische Gemeinsamkeit zurück-
zukehren. Frieden ist das, was wir in Europa gemeinsam
wollen. Dazu brauchen wir ein Rußland, das demokra-
tisch ist und den Tschetschenen die Chance gibt, inte-
graler Bestandteil Rußlands zu bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406612800
Das Wort hat jetzt
der Kollege Hans Raidel, CDU/CSU-Fraktion.


Hans Raidel (CSU):
Rede ID: ID1406612900
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist begrüßenswert,
daß Tschetschenien heute in so großer Ausführlichkeit
behandelt wird und wir uns in den Grundlinien alle einig
sind. Ich sage das vor dem Hintergrund einer Presseer-
klärung, die heute in Rußland erschienen ist. Dort wird
vermeldet: Der Westen will uns bestrafen, weil wir uns
ihm nicht beugen. Damit macht er sich nur lächerlich.

Wir hätten es begrüßt – da gebe ich dem Kollegen
Schockenhoff vollkommen recht –, wenn die Einwände
und Bedenken dieser Bundesregierung ein bißchen lau-

ter zu hören gewesen wären. Ich darf daran erinnern, wie
Bundeskanzler Kohl und Außenminister Kinkel früher
wegen einer angeblich zu laxen Haltung in der damali-
gen Situation in diesem Hause, damals noch in Bonn,
von der damaligen Opposition vorgeführt worden sind.
Aber nun!

Ich glaube, es hat keinen Sinn, wenn wir hier ledig-
lich mit beschwörenden Formeln agieren. Wir müssen
statt dessen sagen: Wenn sich Rußland hier nicht verän-
dert und nicht politische Lösungen angestrebt werden,
dann muß der Westen reagieren. Es kann nicht sein, daß
wir ständig mit Geldbeträgen in Milliardenhöhe aus
selbstverschuldeten Notlagen heraushelfen, ohne daß
dort Reformen in Gang kommen. Noch weniger kann es
sein, daß gleichzeitig 2 Milliarden US-Dollar pro Monat
für diesen unsinnigen Krieg ausgegeben werden. Auch
hier ist die Politik gefordert, entsprechend zu handeln.

Lassen Sie mich aber mit Blick auf Istanbul noch ein
paar andere Dinge sagen. Es ist aus meiner Sicht
schlimm – Kritik daran ist berechtigt –, daß die USA
den CTBT nicht ratifiziert haben. Ich sage ganz unge-
schminkt: Unsere amerikanischen Freunde müssen es
sich gefallen lassen, daß ihnen offen und ehrlich gesagt
wird, daß der, der auf vielen Feldern vordenken will, zu-
erst nachdenken muß, was er mit seiner Haltung in die-
sen Bereichen anrichten kann.

Ein weiterer Punkt betrifft die Türkei. Deswegen ist
es gut, daß Istanbul der Ort des nächsten Gipfels ist.
Wenn die Türkei ständig daran erinnert, daß sie auf dem
Wege nach Europa sei, dann muß sie die Chance wahr-
nehmen, in Istanbul ihre Position bezüglich Menschen-
rechten, Minderheitenschutz und Rechtsstaatlichkeit
darzulegen. Sie muß auch eine Zeitachse aufzeigen, auf
der ihre wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Vor-
stellungen diesem Ziel näher gebracht werden können.
Wir sollten den Türken ganz deutlich sagen, daß es an
ihnen liegt und daß sie ihren Reden nun Taten folgen
lassen müssen; sie bestimmen in einem gewissen Um-
fange Inhalt und Tempo dieses Fahrplanes.

Wir begrüßen den Gipfel in Istanbul; wir treten für
eine Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE ein.
Wir begrüßen die Unterzeichnung der Sicherheitschar-
ta, die eine Standortbestimmung der gesamteuropäisch
ausgerichteten OSZE vornimmt. Ich unterstreiche alles,
was hier in diesem Zusammenhang gesagt worden ist.
Sie dient der Verbesserung der Handlungsfähigkeit, ins-
besondere bei der Konfliktprävention und dem Krisen-
management, und sie führt natürlich zu einer verbesser-
ten Zusammenarbeit der Sicherheitsorganisationen all-
gemein. Dieses Vertragswerk ist ein überschaubares,
politisch verbindliches Dokument; auf die Völkerrechts-
problematik wurde hingewiesen. Es beinhaltet klare
Aussagen. Es sollte alles darangesetzt werden, daß diese
Grundsätze tatsächlich eingehalten und umgesetzt wer-
den.

Wir begrüßen auch die Unterzeichnung des neu ver-
handelten KSE-Vertrages, durch den die konventio-
nelle Rüstungskontrolle auf eine neue – auch hier betone
ich: von allen zu beachtende – Grundlage gestellt und
die Stabilität im gesamten Sicherheitsraum gestärkt
wird. Ergänzend hoffen wir – wie Frau Zapf es ausge-

Gert Weisskirchen (Wiesloch)







(A) (C)



(B) (D)


führt hat –, daß auch das sogenannte Wiener Dokument
als ein Kerndokument vertrauensbildender Maßnahmen
aktualisiert und gestärkt werden kann.

Ich glaube, daß diese Dokumente eine gute Grundla-
ge für ein Zukunftsmodell unserer gemeinsamen Sicher-
heit sein können. Sie wissen alle: Wenn wir in der OSZE
von „Security“ sprechen, ist das sehr umfassend ge-
meint. Dazu gehören wirtschaftliche Entwicklungen,
Umweltthemen, Pressefreiheit, Verhinderung von ethni-
schen Säuberungen, ein gemeinsames Wertesystem auf
der Basis von Freiheit und Demokratie sowie Menschen-
rechtsfragen und Menschenrechtsprobleme.

Ebenfalls abgedeckt werden die Rüstungskontrolle,
die Bekämpfung des illegalen Waffenhandels und die
Verringerung der atomaren Bedrohung. Die legitimen
Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten werden mit
Hilfe der festgelegten Obergrenzen bei Bewaffnung und
Personal in den Streitkräften der jeweiligen Mitglieds-
länder definiert. Das Ziel, das dabei über allem steht, ist
eben nicht nur regionale, sondern globale Sicherheit.

Nach meiner Auffassung – hier mag es vielleicht et-
was divergierende Meinungen geben – soll und kann die
OSZE die NATO als militärisches Instrument nicht er-
setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber sie kann sie ergänzen, wie man aktuell auf dem
Balkan sehen kann. Bei einer engen Zusammenarbeit
zwischen OSZE und NATO bräuchten die Länder, die
heute auf einen Beitritt zur NATO hoffen, keine Beden-
ken zu haben, daß die Mitgliedschaft in der OSZE allein
keinen wirklichen Schutz und letzten Endes keine Si-
cherheit garantieren könne.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie effektiv dieses Wechselspiel, diese Zusammenar-
beit zwischen NATO und OSZE sein könnte, hängt
maßgeblich vom politischen Willen der beteiligten
Staaten und davon ab, welche Handlungsinstrumente sie
letztlich zwischen EU, WEU, NATO und OSZE schaf-
fen. Wir befinden uns da auf einem guten Wege. Ich be-
grüße das, was hier ausgeführt worden ist. Aber wir ha-
ben diese Ziele noch nicht erreicht und mit den entspre-
chenden Handlungsinstrumenten unsere gemeinsamen
Interessen noch nicht durchgesetzt.

Drei Grundkriterien muß man bei der Entwicklung
einer zukünftigen Sicherheitsstruktur Europas für
jedes Modell immer vor Augen haben: Erstens. Die
legitimen Sicherheitsinteressen aller Staaten sind ab-
solut gleichwertig und gleichberechtigt. Zweitens. Die
Anbindung Europas an die USA ist überlebenswichtig.
Drittens. Ohne eine angemessene Einbeziehung Ruß-
lands und der Ukraine gibt es keine europäische Si-
cherheit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch über

Geld sprechen. Das ist genauso wichtig. Die Bundesre-
gierung ist beim NATO-Jubiläumsgipfel im April dieses
Jahres und beim Kölner EU-Ratstreffen im Juni dieses
Jahres verteidigungspolitische Verpflichtungen im Hin-

blick auf die EU, die NATO, die WEU und die OSZE
eingegangen. Desgleichen verpflichten uns die Aufga-
benerfüllung und die Neugestaltung der Bundeswehr.
Alle diese Maßnahmen erfordern eine Aufstockung und
keinesfalls eine Schrumpfung des Wehretats. Die mit-
telfristige Finanzplanung der Bundesregierung im Hin-
blick auf den Verteidigungsetat steht zu diesen Ver-
pflichtungen im offenen Widerspruch. An die Adresse
von Regierung und Koalition muß ebenso gerichtet wer-
den, daß die notwendigen Mittel zeitgerecht zur Verfü-
gung gestellt werden müssen. Ich bin gespannt, wie dies
mit Ihrer mittelfristigen Finanzplanung in Einklang zu
bringen ist.

Meine Damen und Herren, unsere Diplomaten haben
den Inhalt und die Gestaltung der Dokumente hervorra-
gend mit vorbereitet. Ich möchte den im Auswärtigen
Amt Beschäftigten – weniger der politischen Führung –
meinen herzlichen Dank dafür aussprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Unsere Aufgabe ist es, durch Parlamentsdiplomatie, wie
wir sie auch in der IPU pflegen, den OSZE-Gipfel in
Istanbul zu unterstützen. Mit dem vorliegenden gemein-
samen Antrag – ich betone noch einmal, daß wir uns alle
in den Zielsetzungen einig sind – leisten wir die not-
wendigen Schrittmacherdienste. Wir alle hoffen, daß
dieser Gipfel uns weiterbringt und ein Erfolg wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406613000
Jetzt erteile ich das
Wort Staatsminister Ludger Volmer.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406613100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie
kann die OSZE ein Gipfeltreffen vorbereiten, auf dem es
unter anderem um eine europäische Sicherheitscharta
und Menschenrechte geht, wenn gleichzeitig in Tsche-
tschenien ein Krieg geführt wird, der zahlreiche Opfer
unter der Zivilbevölkerung fordert? Diese Frage wurde
in den letzten Tagen immer wieder gestellt, sie ist auch
in dieser Debatte ein zentraler Punkt.

In der Tat überschattet der Tschetschenien-Konflikt
den Gipfel von Istanbul. Militärisch ist dieser Krieg für
keine Seite gewinnbar. Rußland verliert rapide an inter-
nationalem Ansehen, und die entsprechenden Berichte
deuten auf eine weitere Verschärfung der Lage der
Flüchtlinge hin.

Die Bundesregierung hat von Anfang an klare Worte
an die russische Seite gerichtet. Dabei wurde nicht der
öffentliche Weg gewählt, weil die Gefahr bestand – das
habe ich gestern im zuständigen Ausschuß dargestellt;
niemand hat mir widersprochen –, daß während des rus-
sischen Vorwahlkampfes eine politische Intervention
von den Wahlkämpfern als westliche Einmischung
funktionalisiert und dazu genutzt werden könnte, die

Hans Raidel






(B)



(A) (C)



(D)


nationalistische Karte zu spielen und damit die Fixie-
rung auf die Kriegsführung weiter zu verschärfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb hat der Bundesaußenminister in mehreren
Telefonaten mit seinem russischen Kollegen Iwanow
und im Konzert mit den europäischen Partnern vier For-
derungen an die russische Seite gerichtet: erstens den
Konflikt sofort zu deeskalieren, zweitens den Dialog mit
den verständigungsbereiten Kräften in Tschetschenien
zu pflegen, drittens rasch ausreichende humanitäre Hilfe
zu leisten und internationale Hilfe zuzulassen sowie
viertens in den Informationen über die Lage vor Ort
Transparenz durch die Zulassung von objektiven Be-
richterstattern zu gewährleisten.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406613200
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Schockenhoff?

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406613300
Ich möchte im Zusammenhang vortragen. –
Selbstverständlich erkennt die Bundesregierung dabei
die territoriale Integrität Rußlands und auch das in der
OSZE-Charta verbriefte Recht an, mit geeigneten Mit-
teln Terroristen entgegentreten zu dürfen.

Ich appelliere an dieser Stelle erneut eindringlich an
die russische Führung: Stellen Sie den unverhältnismä-
ßigen Einsatz von Gewalt ein, der das Leben so vieler
unschuldiger und unbeteiligter Zivilisten fordert und
militärisch und politisch in die Sackgasse führt, und
nehmen Sie den politischen Dialog wieder auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der politische Dialog mit den gemäßigten und legal ge-
wählten Kräften in Tschetschenien ist Voraussetzung
dafür, die terroristischen Kräfte isolieren zu können. Nur
so kann eine dauerhafte Lösung für den Regionalkon-
flikt gefunden werden.

Die OSZE ist bereit, ihr Potential hier einzubringen,
kurzfristig zur Erleichterung humanitärer Hilfe und zur
Beendigung der Gewalt, langfristig auch zum Aufbau
demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen beizutra-
gen. Die Tatsache, daß Mitte nächster Woche eine Beo-
bachterdelegation der OSZE in die Region reisen kann,
könnte ein erster Schritt zur Krisenbewältigung sein.

Die Bundesregierung wird auch weiterhin in Zusam-
menarbeit mit ihren Partnern alles tun, um zu einer Bei-
legung des Konfliktes in Tschetschenien zu kommen.
Außenminister Fischer weilt zur Zeit bei der UNO in
New York, um mit unseren europäischen und amerika-
nischen Partnern über das Vorgehen im Vorfeld des
Istanbuler Gipfels zu beraten, damit dieser Gipfel zu ei-
nem Erfolg werden kann. Die russische Regierung muß
wissen, daß die Staats- und Regierungschefs der in der
OSZE vertretenen Länder in Istanbul mit ihrer Autorität
nicht Rechte und Prinzipien bekräftigen können, die zur
gleichen Zeit im OSZE-Gebiet massiv verletzt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Gebote, in einem Konflikt keine übermäßige Gewalt
anzuwenden, humanitäre Hilfe zu erleichtern und alles
für eine friedliche Lösung zu tun, gehören zum Kernbe-
stand der Verpflichtungen, die Rußland im Rahmen des
Beitritts zur OSZE eingegangen ist. Daran wird Rußland
gemessen werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, der Tschetschenienkonflikt zeigt erneut, wie
wichtig die OSZE für Sicherheit und Zusammenarbeit
im gesamten Raum zwischen Vancouver und Wladiwo-
stok ist. Welche andere Organisation könnte sonst in ei-
ner so komplexen Lage als Ansprechpartner dienen, der
das Vertrauen aller Beteiligten hat? Nun kann man be-
dauern, daß die OSZE noch zu schwach ist. Das tun wir
auch. Hier wird es aber gefährlich für Sie, Herr Schok-
kenhoff. Ich verstehe ja, daß Sie in Ihrer Rede auch Op-
positionsrhetorik anwenden mußten; dabei beklagten Sie
– zu Recht – die Schwäche der OSZE. Aber was haben
Sie in den letzten zehn Jahren der Regierungszeit Ihrer
Partei gemacht? Sie hatten damals die Chance, die
OSZE zu stärken, haben das aber nicht getan.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Unverschämt! – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Was?)


Teile der ehemaligen Regierung haben eine Stärkung der
OSZE sogar hintertrieben.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Herr Weisskirchen hat sich nicht getraut, so etwas zu sagen!)


Ganz und gar gefährlich wird es, Herr Schockenhoff,
wenn Sie in diesem Zusammenhang nun plötzlich die
NATO ins Spiel bringen. Man kann ja über die NATO-
Osterweiterung diskutieren. Sie ist ein gegebenes Fak-
tum und für den Westen der Ausgangspunkt weiterge-
henderer Sicherheitspolitik. Aber durch die NATO-
Osterweiterung kann der Kaukasus-Konflikt nicht gelöst
werden. Ich möchte dringend davor warnen, die Begriffe
NATO und Kaukasus in einem Atemzug zu nennen bzw.
in einem Satz in den Mund zu nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Joachim Günther [Plauen] [F.D.P.]: Der einzige, der diese Vorstellung geäußert hat, waren Sie!)


Wenn man das zu Ende denkt, kommt man zu ganz und
gar gruseligen Vorstellungen. Ich kann nur hoffen, daß
Sie sich lediglich rhetorisch vergaloppiert haben.

Über dem Tschetschenien-Konflikt dürfen wir aber
auch nicht das Engagement der OSZE in anderen Re-
gionen vergessen. Ich nenne als Beispiele nur das Gebiet
des ehemaligen Jugoslawien und den Konflikt um Na-
gornyj Karabach.

Für uns gilt es darüber hinaus, den Gesamtzusam-
menhang von Stabilität und Sicherheit in Europa im
Auge zu behalten. Wir wollen konkrete Fortschritte im
Bereich von Rüstungskontrolle und Abrüstung erzielen.

Staatsminister Dr. Ludger Volmer






(A) (C)



(B) (D)


Unser Ziel sind ein erfolgreicher Abschluß der Ver-
handlungen zur Anpassung des Wiener Dokuments über
Vertrauensbildende Maßnahmen und die Anpassung des
KSE-Vertrages. Rußland überschreitet derzeit die zu-
künftig vorgesehenen KSE-Flankenobergrenzen.

Die Bundesregierung hat deshalb ein großes Interesse
daran, daß der Istanbuler Gipfel ein Erfolg wird; denn
für die europäische Sicherheit insgesamt und für das in-
ternationale Rüstungskontrollsystem steht vieles auf
dem Spiel. Sollte der KSE-Vertrag in der vorgesehenen
Form verabschiedet werden, gibt er uns sogar neue
Möglichkeiten, die russische Politik im Kaukasus und
die militärischen Operationen zu beobachten, zu beur-
teilen und völkerrechtlich zu bemessen. Deshalb haben
wir ein großes Interesse an einem Erfolg dieses Gipfels.

Ohne die Unterzeichnung des KSE-Änderungs-
vertrages in Istanbul, der die zukünftigen Flankenober-
grenzen bestätigt, hätten wir nach der Ablehnung des
Vertrages über den Atomwaffenteststopp durch den US-
Senat einen weiteren Rückschlag in den weltweiten Be-
mühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle zu ver-
zeichnen. Wir hoffen nicht, daß das passiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der neue KSE-Vertrag dagegen wird die konventio-
nelle Stabilität in ganz Europa durch eine historisch bei-
spiellose Begrenzungssystematik und durch erhöhte
Transparenz erheblich stärken. Ich möchte mich hier
dem Dank an die Beamten des Auswärtigen Amtes an-
schließen; denn es ist nicht zuletzt auf ihre Initiative und
ihre Kenntnis zurückzuführen, daß wir zu dieser neuen
Systematik im KSE-Bereich gefunden haben. Sie ist ein
gutes Beispiel dafür, wie sich die Bundesrepublik in der
Rüstungskontrolle nützlich gemacht hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wollen auf Krisen aber nicht nur reagieren, son-
dern Konflikten so frühzeitig begegnen, daß es nicht zu
einem gewalttätigen Ausbruch kommt. Für die Bundes-
regierung steht diesbezüglich die OSZE im Zentrum der
multilateralen Bemühungen um Konfliktprävention, Kri-
senmanagement und um die Wiederherstellung demo-
kratischer und ziviler Institutionen.

Die in Istanbul zu verabschiedende Sicherheitscharta
soll diese für uns zentrale Ortsbestimmung der OSZE in-
nerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur zu einem
gemeinsamen Anliegen machen. Die Bundesregierung hat
hier bereits einen deutlichen Akzent gesetzt. Unser Pro-
gramm zur Ausbildung von zivilem Friedenspersonal soll
eine Personalreserve schaffen, die der OSZE für ihre
Maßnahmen zur Krisenreaktion auf Mandatsbasis zur
Verfügung gestellt werden kann. Ich sehe mit großem In-
teresse, daß andere Länder ebenfalls in diese Richtung
gehen. Dieser Ansatz, der im übrigen von der deutschen
Parlamentarierdelegation bei der OSZE-Versammlung
1997 zum erstenmal zur Debatte gestellt wurde, wird nun
auf dem Istanbuler Gipfel offiziell behandelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Allgemein gilt es, die OSZE organisatorisch dazu in-
stand zu setzen, daß sie fähig ist, schnell die Lage zu
analysieren und auf geeignetes Personal zurückzugrei-
fen. Frühwarnsysteme existieren bereits. Nun kommt es
darauf an, die Kapazitäten für frühes Handeln zu stär-
ken. Wir haben seit dem Ende des kalten Krieges in die-
ser Hinsicht bereits viel erreicht. Aber der Tschetscheni-
en-Konflikt zeigt uns mit aller Deutlichkeit, daß wir
noch einen langen Weg vor uns haben. Trotz der Rheto-
rik, die in dieser Diskussion eine Rolle spielte, nehme
ich mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Fraktionen
des Deutschen Bundestages hier in den wesentlichen
Punkten an einem Strang ziehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406613400
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Schockenhoff das
Wort.


Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1406613500
Herr
Staatsminister, mit Ihrem letzten Satz haben Sie das zu-
rückgenommen, was Sie vorher gesagt haben. Wir haben
in der Tat eine gemeinsame Position, die sich in einem
gemeinsamen Antrag ausdrückt. Ich habe in meinem
Beitrag überhaupt keinen Gegensatz zwischen der
OSZE und der NATO hergestellt. Im Gegenteil: Wir
begrüßen die Stärkung der OSZE und auch die im An-
trag ausformulierte Forderung, der OSZE eigenständige
Maßnahmen zur Krisenbewältigung und zur Friedenssi-
cherung auch mit Hilfe des Einsatzes von Streitkräften
zu ermöglichen. Ich habe ergänzt: Wir haben aber be-
rechtigte Zweifel, ob die OSZE heute dazu ohne die
NATO und ohne den Rückgriff auf Instrumente der
NATO in der Lage ist. Leider bestätigen dies die Ereig-
nisse.

Zur früheren Bundesregierung haben Sie gesagt, sie
habe die OSZE sogar hintertrieben. Das ist absurd und
muß hier in aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wer hat denn nach dem Zusammenbruch der Sowjet-
union dafür gesorgt, daß die Staaten in Zentralasien, im
Kaukasus, auf dem Balkan von der OSZE aufgenommen
wurden. Sie ernten doch nur, was der frühere Außenmi-
nister gesät hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich bestätige Ihnen gerne, Herr Staatsminister, daß
Sie uns im Auswärtigen Ausschuß berichtet haben, der
Außenminister habe in einem Brief an die russische Re-
gierung auf den Konflikt in Tschetschenien reagiert.
Meine Position dazu ist – ich wiederhole sie hier –: Sie
haben dem NATO-Partner Türkei vor laufenden Kame-
ras, also öffentlich, Menschenrechtsverletzungen vor-
geworfen. Zu dem Morden in Tschetschenien haben Sie
in einem Brief Stellung genommen – ohne sich öffent-

Staatsminister Dr. Ludger Volmer






(B)



(A) (C)



(D)


lich zu äußern. Außenpolitisches Gespür hätte Ihnen den
anderen Weg nahegelegt: Sie hätten besser unserem
NATO-Partner Türkei einen Brief geschrieben und zu
den schrecklichen Kriegshandlungen in Tschetschenien
nicht geschwiegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406613600
Herr Staatsminister,
möchten Sie antworten? – Bitte sehr.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406613700
Herr Schockenhoff, ich denke, daß die Äußerungen
des Bundesministers des Auswärtigen gegenüber der rus-
sischen Seite an Klarheit nichts zu wünschen übriglassen.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Er hat nichts öffentlich gesagt!)


Er tut im Moment genau das, was er auch zu Zeiten des
Kosovo-Konfliktes getan hat: Er betreibt eine Diploma-
tie, die die reale Chance beinhaltet, zu einer Konfliktlö-
sung zu kommen. Das ist mehr, als sich nur öffentlicher
Rhetorik zu befleißigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Er muß sich auch öffentlich äußern!)


Nun komme ich auf das Verhältnis zwischen OSZE
und NATO zurück: Es gibt eine seit vielen Jahren an-
dauernde Diskussion darüber, in welchem Verhältnis die
Großorganisationen zueinander stehen. Man hat dafür
den pragmatischen Begriff – es gibt leider nur einen
englischen Ausdruck dafür – „interlocking institutions“
gefunden: Zusammenarbeit miteinander verschränkter
Organisationen, die ihre jeweiligen komparativen Vor-
teile nutzen. Dieses Modell an sich stellt heute niemand
mehr in Frage.

Sie haben in Ihrer Kurzintervention genauso wie in
Ihrer Rede angemerkt, daß die OSZE, bezogen auf den
Kaukasus-Konflikt, nicht durchschlagskräftig genug sei.
Sie haben gerade noch einmal betont, die OSZE sei gar
nicht richtig handlungsfähig ohne die Rückendeckung
der NATO. Ich frage Sie noch einmal: Was soll die
NATO im Zusammenhang mit dem Kaukasus-Konflikt?
Daß die NATO, daß die Osterweiterung der NATO
einen Sinn hat, ist doch überhaupt nicht umstritten. Im
Kaukasus-Konflikt kann aber, wenn überhaupt eine
Großorganisation eine Rolle spielen kann, nur die OSZE
die Probleme lösen helfen. Wenn wir Europäer und wir
Deutschen die Möglichkeit haben wollen, uns friedens-
politisch an der Lösung der Konflikte innerhalb des
Raumes, der früher zur Sowjetunion gehörte, zu beteili-
gen, dann können wir das nicht über die NATO, sondern
nur über die OSZE. Jenseits aller Diskussionen, was in
Zukunft mit der NATO passieren soll, müssen wir unser
Augenmerk darauf richten, wie wir die OSZE so stärken
können, daß sie in der Lage ist, Regionalkonflikte wie
die im Kaukasus bewältigen zu helfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gert Willner [CDU/CSU]: Das war richtig schön durcheinander!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406613800
Ich schließe die
Aussprache.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/1959 zur federführenden Beratung an
den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den
Verteidigungsausschuß und an den Ausschuß für Men-
schenrechte und humanitäre Hilfe zu überweisen. Der
Antrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/1771
soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüs-
se überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschlä-
ge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen

Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zu den jüngsten
Kritiken hinsichtlich der Wohnungsbauförde-
rung des Bundes

Ich weise darauf hin, daß in einer Aktuellen Stunde
die Redezeit für die Mitglieder des Parlaments fünf Mi-
nuten beträgt.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1406613900
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Der Wohnungsmarkt sei ent-
spannt, Wohnraum genügend vorhanden, Deutschland
ein wahres Mieterparadies. Mit fachlich so oberflächli-
chen Aussagen – es ist so, als hätten Sie den Begriff
„Schweinezyklus“ noch niemals gehört – begründen Sie
Ihren Rückzug aus der Wohnungsbauförderung.

Es ist um die langfristige Wohnungspolitik unter
Rotgrün schlecht bestellt. Man hat nämlich den Ein-
druck, daß Sie nicht zuerst fragen, wie man das existen-
tielle Gut Wohnen für alle sichern kann, und hinterher
überlegen, wie man das am sparsamsten und effiziente-
sten tun kann. Nein, Sie drehen den Spieß um. Ihr Ziel
in der Wohnungspolitik heißt Sparen, Sparen, Sparen.

Dann reden Sie den verbliebenen schmalen Rest auch
noch schön. Beispielsweise geht der neue Bauminister,
der sich im übrigen mit dem Bußgeld für Fußgänger und
Radfahrer einen Namen gemacht hat, mit folgendem
Begriff in die Öffentlichkeit: Er sagt, Sie stellten in der
Wohnungspolitik „zukunftsfähige Weichen“. Dabei
weiß er ganz genau, daß der soziale Wohnungsbau hal-
biert wird. Ein anderes Beispiel: Sie sagen, das Moder-
nisierungsprogramm werde mit 10 Milliarden DM fort-
gesetzt. Die Wahrheit ist, daß der Bund 300 Millionen
DM an Zinszuschüssen unter der Voraussetzung gibt,
daß sich die Länder beteiligen. Schließlich sagen Sie,
die Abwälzung des Pauschalwohngeldes in Höhe von 2
Milliarden DM gehe nicht zu Lasten der Kommunen.
Das ist ungefähr das Schärfste, was ich in letzter Zeit
gehört habe.

Meine Damen und Herren, die Direktförderung er-
fährt einen Absturz sondergleichen. Die Förderung des
Sozialwohnungsbaus sinkt von 1,1 Milliarden DM auf
600 Millionen DM im nächsten Jahr und auf 450 Millio-
nen DM im übernächsten Jahr. Zur Erinnerung: Es wa-

Dr. Andreas Schockenhoff






(A) (C)



(B) (D)


ren einmal 4 Milliarden DM. Einst hatten wir vier Mil-
lionen Sozialwohnungen bei zwei Millionen Arbeitslo-
sen. Heute haben wir vier Millionen Arbeitslose und
zwei Millionen Sozialwohnungen. Jährlich fallen
100 000 Wohnungen aus der Bindung. Der Verkauf
öffentlicher Wohnungen schreitet fort. Dabei geht die
Bundesregierung – siehe Bahnwohnungen – voran.

Reden wir nicht schön, reden wir Klartext: Sie beer-
digen den Sozialwohnungsbau. Sein Aus können Sie
auch nicht mit dem Programm „Soziale Stadt“ kaschie-
ren. Was nützt das wunderbarste Programm – das Pro-
gramm ist ja wirklich gut –, wenn Sie kein Geld dafür
zur Verfügung stellen?

Doch das Problem liegt in Wirklichkeit noch tiefer,
meine Damen und Herren. Sie köpfen ja nicht nur die di-
rekte Förderung. Mit dem Steuerentlastungsgesetz ist die
zweite, umfangreichere Fördersäule bereits geschrumpft.
Damit wir uns nicht mißverstehen: Wir sind immer da-
für eingetreten, Steuervergünstigungen abzuschaffen.
Aber wir wollen auch, daß die Mittel zielgerichteter in
der direkten Förderung eingesetzt werden. Wenn mich
nicht alles täuscht, waren das auch Ihre Überlegungen,
als Sie noch in der Opposition waren.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das stimmt!)


Das Streichen steuerlicher Vergünstigungen im
Wohnungswesen bringt allein 1999 und 2000 dem
Bund Mehreinnahmen in Höhe von 6 Milliarden DM.
Wer hoffte, daß diese Mehreinnahmen der Wohnungs-
förderung effizienter zugute kommen, der irrt. Der
satte Betrag löst sich beim Stopfen allgemeiner Haus-
haltslöcher in Wohlgefallen auf. Man wird doch aber
einmal fragen dürfen, warum Sie davon nicht das Pau-
schalwohngeld finanzieren, warum Sie nichts gegen
den strukturellen Leerstand in Ostdeutschland tun,
warum Sie keine weitere Mark für den Sozialwoh-
nungsbau erübrigen, sondern ihn statt dessen in den
Keller fahren, und warum Sie die Städtebauförderung
nicht aufstocken.

Es nützt alles nichts, auch unter Rotgrün muß eine
Wohnung nach 50, spätestens nach 100 Jahren reprodu-
ziert werden. Das ist ganz parteienunabhängig. Glauben
Sie mir, daß ich weiß, wovon ich rede. Ich komme näm-
lich aus der DDR. Um den steten Wohnungsbau, der
nicht nur wegen der einfachen Reproduktion, sondern
auch wegen einer Fülle anderer Faktoren sein muß, die
ich jetzt nicht alle aufzählen kann, kann man sich nicht
drücken.

Bauen kostet Geld, jährlich dreistellige Milliarden-
summen. Gab bisher der Staat 1 DM aus, so gaben Wirt-
schaft und Private 2 DM dafür aus. Mit Ihrem Total-
rückzug aus der steuerlichen wie der direkten Woh-
nungsbauförderung kürzen Sie, um in diesem Bilde zu
bleiben, diese 1 DM auf 50 Pfennig. Sie gefährden den
notwendigen Wohnungsbau damit aufs schärfste. Sie
leiten die nächste Wohnungskrise ein. Sie sind nicht be-
reit, die Mehreinnahmen aus der Streichung der Steuer-
subventionen zur Reform der Förderung einzusetzen. Sie
haben im Grunde nichts mehr, was Sie reformieren kön-
nen.

Meine Damen und Herren, Wohnen ist ein soziales
und ein wirtschaftliches Gut. Es ist immer wieder aufs
neue die Balance zwischen beiden notwendig. Versuche,
eine der beiden Seiten über- oder unterzubetonen, gin-
gen stets fehl


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau das ist die historische Erfahrung der DDR!)


und mußten im nachhinein ausgebessert werden. Daß
aber beide Seiten zugleich gefährdet sind, das ist nun
wirklich einmalig. Sie bedrohen die soziale und damit
auch die wirtschaftliche Seite des Wohnens. Sie setzen
die wirtschaftliche und damit auch die soziale aufs Spiel.
Sie ernten folgerichtig die Kritiken, die sowohl auf sei-
ten der Wohnungswirtschaft als auch der Mieter im
Kern übereinstimmen.

Daß dieser Schritt von einer sozialdemokratisch ge-
führten Bundesregierung gemacht wird, einer Bundesre-
gierung, die versprochen hat, zu prüfen, wie der Bestand
an Sozialwohnungen für die Sicherung der sozialen
Wohnungswirtschaft gewährleistet werden kann, das ist
leider kein schlechter Witz, sondern es ist traurige
Wahrheit. Glauben Sie mir: Wenn ich als PDS-
Politikerin, die im Wahlkampf 1998 ihr Möglichstes
heftig und engagiert getan hat, damit die Regierung
Kohl abgewählt wurde, heute manchmal in Versuchung
bin, zu sagen: „Mein Gott, das wäre vielleicht unter
Helmut Kohl nicht passiert“, dann stimmt hier etwas
nicht.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Beifall bei der F.D.P.)


Aber es ist nicht so, daß etwa mit mir etwas nicht
stimmt; vielmehr stimmt etwas nicht mit Ihrer Politik,
mit Ihrer Wohnungspolitik.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406614000
Nun erteile ich das
Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim
Großmann.

A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1406614100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! – Ich habe
acht Minuten Redezeit; die Uhr ist falsch eingestellt. –
So, danke schön.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406614200
Sie haben acht Mi-
nuten Redezeit; das werden wir sofort richtig einstellen.

A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1406614300

Wunderbar. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-
ren! Die alte Bundesregierung hat uns vor zwölf Mona-
ten einen dramatischen Reformstau im Wohnungs- und
Städtebaubereich hinterlassen.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wer hat denn blockiert im Bundesrat?)


Christine Ostrowski






(B)



(A) (C)



(D)


Parallel dazu haben CDU/CSU und F.D.P. die Staatsfi-
nanzen so ruiniert, daß wir nur mit großen Anstrengun-
gen die Handlungsfähigkeit des Staates zurückgewinnen
können.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihre Platte hat auch wohl einen Sprung!)


Schauen wir uns doch die Eröffnungsbilanz einmal an.
Seit zehn Jahren ist das Wohngeld nicht angepaßt wor-
den. In einem Jahr verlieren die Wohngeldbezieher in
den neuen Ländern 30 Prozent ihres Wohngeldes, wenn
wir nicht handeln. Der soziale Wohnungsbau hat bei
CDU/CSU und F.D.P. seine frühere Funktion völlig
verloren. Die Zahl der sozial gebundenen Wohnungen
ist von über 4 Millionen auf unter 2 Millionen Wohnun-
gen mehr als halbiert worden. Die finanziellen Mittel
sind unter der alten Regierung von zirka 4 Milliarden
DM auf etwas mehr als 1 Milliarde DM, also um 75
Prozent, heruntergesetzt worden. Die Reform des sozia-
len Wohnungsbaus haben Sie völlig vergeigt. Allen Ex-
perten war klar: Der neue soziale Wohnungsbau muß
anders aussehen als in der Vergangenheit; es muß vor
allen Dingen eine Wohngeldreform geben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie sollen einmal zur Sache reden!)


Die haben Sie mit vier Bauministern nicht geschafft.
Bei den Problemen der überforderten Nachbarschaf-

ten, der Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf,
der Großsiedlungen und der anderen Stadtteile haben Sie
statt Lösungen nur Konzeptlosigkeit hinterlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vor den Problemen des Altschuldenhilfe-Gesetzes ha-
ben Sie die Augen verschlossen. Die Baulandfrage ha-
ben Sie bei der Reform des Baugesetzbuchs außen vor
gelassen. Beim Mietrecht haben Sie sich gegenseitig
blockiert. Bei den steuerlichen Abschreibungen haben
Sie hingenommen, daß größtenteils nur noch in Steuer-
sparmodelle investiert wurde


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sind Sie Staatssekretär oder Oppositionspolitiker?)


und nicht in nachhaltigen Mietwohnungsbau mit langfri-
stiger wirtschaftlicher Ertragskraft. Die Energieeinspar-
verordnung haben Sie in die Schublade gelegt und
verstauben lassen. Nur in der Eigentumspolitik gab es
einen Fortschritt, aber erst nachdem Sie zehn Jahre lang
die guten Vorschläge der SPD blockiert haben.

Die Liste Ihrer Sünden und Fehler ließe sich fortset-
zen. Aber wichtiger ist mir, die finanzielle Katastro-
phe, die Sie uns hinterlassen haben, mit Beispielen aus
der Wohnungs- und Städtebaupolitik zu verdeutlichen.
Wir zahlen täglich 220 Millionen DM Zinsen an die
Banken. In nur drei Tagen liefert der Finanzminister
das Geld bei den Banken ab, das wir 1999 für den
Städtebau zur Verfügung haben. In nur fünf Tagen lie-
fert der Finanzminister das Geld für Zinsen bei den
Banken ab, das wir im Jahr 1999 für den sozialen
Wohnungsbau zur Verfügung haben.


(Iris Gleicke [SPD]: So ist das nämlich!)


Das ist die dramatische Ausgangsposition für die Woh-
nungs- und Städtebaupolitik dieser Regierung. Diese Er-
öffnungsbilanz müssen Sie hören; dieser Eröffnungsbi-
lanz müssen Sie sich stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nach nur einem Jahr legen wir nun eine erste Er-

folgsbilanz vor. In dem engen finanziellen Rahmen set-
zen wir neue Prioritäten, starten neue Konzepte und ar-
beiten Schritt für Schritt den Reformstau ab.

Erstens. Mit dem Programm „Soziale Stadt“ starten
wir eine neue Förderphilosophie. Wir bündeln verschie-
dene Fachpolitiken, statt nur einseitig Ressortpolitik zu
machen. Wir wählen erstmals einen integrierten, ver-
netzten Politikansatz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Mein lieber Mann!)


Der finanzielle Einsatz wird dadurch effektiver,

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Mein lieber Mann! – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Es ist alles vernetzt! Das ist alles durchdacht!)


und zusätzlich mobilisieren wir das unersetzliche Enga-
gement der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Kon-
zepte werden vor Ort, also von den Bewohnerinnen und
Bewohnern und von den Kommunen, entwickelt.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das Chaos von Rotgrün ist auch noch vernetzt!)


In fünf Jahren stehen mit den Mitteln der Länder und
Kommunen 1,5 Milliarden DM zur Verfügung; hinzu
kommen die Mittel der EU und die Mittel aus Program-
men anderer Ressorts.

Zweitens. Wir haben eine gesamtdeutsche Wohn-
geldnovelle vorgelegt. Damit heben wir das Tabellen-
wohngeld in den alten Ländern an. In den neuen Län-
dern verhindern wir den Absturz um 30 Prozent.


(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD])

All denen, die wegen der stark reduzierten Bestände von
sozial gebundenen Wohnungen keine Chance auf eine
Sozialwohnung haben, schaffen wir damit eine bessere
Wohnkaufkraft. Das ist ein riesiger Schritt hin zu Ge-
rechtigkeit unter den Mieterinnen und Mietern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens. Beim Altschuldenhilfe-Gesetz haben wir mit
untergesetzlichen Regelungen dazu beigetragen, daß von
den etwas mehr als 2 000 Unternehmen inzwischen etwa
1 000 den Schlußbescheid erhalten haben, davon die
weitaus meisten nach dem Regierungswechsel, bedingt
durch unsere Entscheidungen. Derzeit bereiten wir eine
Novelle des Altschuldenhilfe-Gesetzes vor, die weitere
Fehler dieses Gesetzes behebt.


(Iris Gleicke [SPD]: Sehr gut!)


Parl. Staatssekretär Achim Großmann






(A) (C)



(B) (D)


Inzwischen hat das auch die CDU gemerkt, die gestern
so etwas ähnliches beschlossen hat. Nachdem wir jetzt
monatelang darüber geredet haben, wie das aussehen
soll, hat auch sie es zu Papier bringen können.

Viertens. Unsere Eckwerte für die Reform des sozia-
len Wohnungsbaus sind fertig.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Dann sagt doch mal, warum ihr die Mittel kürzt!)


Wir hoffen, daß sich die Länder auf der Bauministerkon-
ferenz Anfang Dezember für eine Reform aussprechen.
Dann werden wir die Eckwerte zu dem Gesetzentwurf
entwickeln. Wir wissen alle: Die finanzielle Ausstattung
des sozialen Wohnungsbaus in der Zukunft hängt davon
ab, ob wir die Reform des sozialen Wohnungsbaus
schaffen. Das ist Fakt, und deshalb müssen wir das als
erstes abarbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Mein lieber Mann! Und das noch vernetzt!)


Fünftens. Die Auswüchse der Steuersparmodelle
beim freifinanzierten Mietwohnungsbau haben wir ge-
stoppt, die degressive Abschreibung aber erhalten. Mehr
Effizienz und mehr Gewicht auf nachhaltige, von guten
Marktaussichten unterfütterte Investitionen mit kosten-
bewußterer Planung sind die Folge.

Sechstens. Das KfW-Programm für die Modernisie-
rung und Instandsetzung von Wohnungen und Häusern
in den neuen Bundesländern haben wir von 70 auf 89
Milliarden DM aufgestockt.


(Christine Ostrowski [PDS]: Das ist eine Lüge!)


Siebtens. Das KfW-Programm „Eigentum für junge
Familien“ und das KfW-Programm „CO2-Minderungs-programm“ wurden ebenfalls aufgestockt.

Achtens. Wir forcieren die Energieeinsparverord-
nung. Wir sind im Gespräch mit den Ländern und den
Verbänden und werden bald einen überarbeiteten Ent-
wurf vorlegen. Zur Erinnerung: Die alte Regierung hat
über Monate hinweg die Energieeinsparverordnung ein-
fach liegengelassen, weil sie sich gescheut hat, diese
schwierigen Gespräche zu führen.

Neuntens. Zum Mietrecht wird die Regierung unter
Federführung des Bundesjustizministeriums – die Bun-
desjustizministerin hat dazu ja schon öffentlich Stellung
genommen – einen eigenständigen und ausgewogenen
Gesetzentwurf vorlegen. Die Abstimmungsgespräche
zwischen Justiz- und Bauministerium sind in großer
Übereinstimmung abgeschlossen worden.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Der Großmann redet kein Wort zur Sache!)


Zehntens. Mit einem Programm „Bauforschung und
Bautechnik“ – Federführung beim BMBF – unterstützen
wir innovative Ideen und Konzepte bei Baugewerbe und
Bauindustrie, um die Betriebe fit zu machen für den
Wettbewerb in Europa und darüber hinaus.

Elftens. Auch in die Bauland- und Bodenpolitik ist
Bewegung gekommen. Eine Kommission des Deutschen
Verbandes – damals eingesetzt nach einer Intervention
im Vermittlungsausschuß von Rotgrün zum Baugesetz-
buch –


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: So ein Quatsch!)


hat Vorschläge unterbreitet, die dazu beitragen können,
daß wieder mehr baureifes Land an den Markt kommt
und das Bodenmanagement besser funktioniert.

Zwölftens. Schließlich arbeiten wir verstärkt im eu-
ropäischen und internationalen Kontext. In Europa tau-
schen wir uns aus über Programme der „Sozialen Stadt“,
um letztlich auch europäische Entscheidungen stärker
beeinflussen zu können. Mit der hochrangigen Konfe-
renz „Urban 21“ im Juli 2000 in Berlin geben wir der
internationalen Diskussion über die Stadtentwicklung
der Zukunft neue Impulse.

All das ist die Bilanz von nur zwölf Monaten. Wir
haben schon vieles erreicht, aber wir haben noch vieles
vor.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Um Gottes Willen!)


Wir werden gezielt, solide, ohne Hast, aber zügig die
Wohnungs- und Städtebaupolitik in diesem Land wei-
terentwickeln: zu mehr Innovation, zu mehr Gerechtig-
keit, zu mehr Treffsicherheit und zu mehr Effizienz.

Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die ausreichend
Wohnraum brauchen – in Stadträumen und Städten, die
alltagsgerecht und zukunftsfähig zugleich sind und in
denen man sich wohl und zu Hause fühlt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406614400
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Dr. Kansy, CDU/CSU-Fraktion.


Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1406614500
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Staatssekretär Großmann, ich sage gleich noch etwas zu
Ihrer grandiosen Geschichtsklitterung der letzten Legis-
laturperiode. Manches von dem, was Frau Kollegin
Ostrowski gesagt hat, mag richtig sein. Nur, warum das
in einer Aktuellen Stunde diskutiert werden soll, ist mir
nicht ganz klar. Das wird ein Dauerbrenner sein, solange
es diese Bundesregierung gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich hätte dem neuen Mi-

nister gerne noch ein paar Wochen Zeit gegeben, damit
er hier ein bißchen Profil zeigen kann, aber eines ist
doch wohl richtig: Vom Mieterbund bis zum Gesamt-
verband der Wohnungswirtschaft, vom Bundesrat bis zu
den kommunalen Spitzenverbänden, von Fachzeitungen
bis zu Tageszeitungen ist das Urteil einmütig. Die
„Frankfurter Rundschau“, nicht gerade unionsnah, hat

Parl. Staatssekretär Achim Großmann






(B)



(A) (C)



(D)


dies bei dem Wechsel des Ministers Müntefering zu Mi-
nister Klimmt wie folgt betitelt: „Traurige Bilanz – ein
Konzept ist nicht zu erkennen.“ Das ist genau das, wor-
über wir heute reden.

Herr Kollege Großmann – inzwischen Herr Staatsse-
kretär –, wir waren weiter. Wir hatten eine völlig durch-
formulierte Reform des sozialen Wohnungsbaus.


(Gert Willner [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die haben Sie im Rahmen der Lafontaineschen Blocka-
depolitik mit Ihren Mehrheiten im Bundesrat zynisch
scheitern lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der vorherige Bauminister Oswald hat zwar im Be-

reich Wohngeld auch keine finanziellen Wunder voll-
bringen können, aber es war immerhin eine Novelle von
etlichen Millionen DM drin.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Novelle? – Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind sie denn geblieben?)


Sie haben 1,5 Milliarden DM versprochen, und statt des-
sen erscheint Wohngeld jetzt auf der Kürzungsliste die-
ser Regierung,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Unerhört!)

indem Sie 2,5 Milliarden DM zu den Ländern und Ge-
meinden schieben wollen. Meine Damen und Herren,
das ist die eigentliche Tragik beim Wohngeld. Ich sage
das, damit Sie sich nicht wieder einmal blamieren.


(Angelika Mertens [SPD]: Wir blamieren uns überhaupt nicht! Sie blamieren sich!)


Das ist der Super-GAU für diese virtuelle Wohngeld-
novelle, weil das natürlich im Bundesrat nicht durch-
geht. Deswegen hat sie Eichel aus dem Paket herausge-
nommen. Entweder fehlen jetzt 2,5 Milliarden DM im
Bundeshaushalt, oder Sie sind ein ganzes Stück zurück
hinter dem, was Minister Oswald Ihnen noch vor zwei
Jahren vorgeschlagen hat. Dann hätten wir schon eine
Wohngeldreform in diesem Land gehabt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dasselbe gilt für den sozialen Wohnungsbau. Herr

Staatssekretär, Sie haben früher gesagt, Herr Kohl macht
zu wenig, aber Sie haben die Mittel noch einmal hal-
biert. Im frei finanzierten Wohnungsbau basteln Sie so
viel am Steuerrecht herum, daß er einbricht. Die Eigen-
heimförderung, die Sie so gelobt haben und bei der Sie
in Bundestag und Bundesrat zugestimmt haben, knab-
bern Sie an allen Ecken an: vorne, was den Vorkosten-
abzug betrifft, hinten, was die Eigentumsgrenzen be-
trifft. Jetzt wird im Haus sogar schon diskutiert, ob man
nicht eine Rückzahlungspflicht der Eigenheimzulage ab
einem bestimmten Einkommen einführen sollte. Wer
soll denn mit dieser politischen Grundlage in diesem
Land überhaupt noch Wohnungen bauen, meine Damen
und Herren?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich möchte auch in Richtung des Ministers sehr
ernsthaft sagen – daß er heute nicht dasein kann, akzep-
tieren wir; der Terminkalender ist sehr ausgefüllt –: Sie
werden alle anstehenden Reformvorhaben – sei es beim
sozialen Wohnungsbau, sei es das angesprochene Alt-
schuldenhilfe-Gesetz, sei es eine seriöse Wohngeldno-
velle – nicht mehr in der arroganten Art machen können,
in der Sie hier vor Jahr und Tag angetreten sind und ge-
sagt haben: Was wollen Sie eigentlich? Wir brauchen
Sie nicht mehr. Sie brauchen uns dringender denn je, er-
stens, weil Sie keine Mehrheiten mehr haben, und
zweitens, damit Sie unsere Gedanken und unseren Fach-
verstand endlich bitte wieder in Anspruch nehmen. Dazu
stehen wir bereit. Aber bisher ist Ihre Bilanz null.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406614600
Nun hat die Kollegin
Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Die PDS beantragt ohne Anlaß eine Aktuelle
Stunde, hinter der mal wieder eine der üblichen PDS-
Forderungen steht: Mehr Geld, mehr Geld, mehr Geld.
So war auch Ihre Rede, Frau Kollegin Ostrowski. Auch
zehn Jahre nach dem Mauerfall hat die PDS immer noch
nicht begriffen, daß Geld ein begrenztes Gut ist und daß
verantwortliche Politik auch mit den Leistungsgrenzen
staatlicher Finanzen umzugehen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Ärgerliche daran ist – das möchte ich schon ein-
mal deutlich sagen –: Ein wesentlicher Teil der Staats-
verschuldung der letzten Jahre und der aktuellen Spar-
zwänge ist nolens volens auch das Ergebnis des dramati-
schen Herunterwirtschaftens der Städte, Wohnungen
und Infrastruktur und der primitiven Bautechnik, die Sie
40 Jahre lang in der DDR betrieben haben.


(Widerspruch bei der PDS)

– Doch, das muß zehn Jahre nach dem Mauerfall noch
mal deutlich gesagt werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.])


Wir kritisieren die Politik und auch die Vereini-
gungspolitik der alten Kohl-Regierung in den letzten
zehn Jahren. Dabei wurden viele Schulden gemacht, die
nicht nötig gewesen wären. Ich erinnere nur an die be-
leuchteten Äcker im Osten und an die vielen Bürobau-
ten, die jetzt leer herumstehen.

Daher sollten wir die Fehler der Nachvereinigungs-
politik der letzten zehn Jahre und die Fehler der 40 Jahre
vorher, für die Sie stehen müssen, nicht einfach in einen
Topf werfen. Sie können sich hier nicht unschuldig re-
den und so tun, als könnte unsere Gesellschaft praktisch

Dr.-Ing. Dietmar Kansy






(A) (C)



(B) (D)


ständig Geld drucken und alles locker bezahlen. Hier
stehen auch Sie mit in der Pflicht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Es ist wahr, und wir haben keine Probleme, das zu-
zugeben, daß wir einen starken Rückgang des sozialen
Wohnungsbaus haben. Das ist der Kern Ihrer Kritik. Der
Verpflichtungsrahmen in Höhe von 3,4 Milliarden DM
für 1994 ist stark auf 1,3 Milliarden DM für 1998 – also
bereits unter dieser Regierung – gesunken. Und Sie ha-
ben recht: Es gibt noch einen weiteren Abbau.

Aber auf der anderen Seite – das hat Staatssekretär
Großmann eben sehr deutlich dargelegt – sind die Be-
standspflege und die Bestandserhaltung sehr wohl von
allen Sparmaßnahmen ausgenommen worden. Das Pro-
gramm „Soziale Stadt“ ist neu initiiert worden. Die
Städtebauförderung ist erhalten geblieben. Die KfW-
Kredite Ost sind wieder neu aufgelegt worden. Die CO2-Minderung ist erhalten geblieben, und wir haben – das
geht in Richtung des Kollegen Kansy – die Wohngeldre-
form geschafft, die Sie trotz Ihrer verbalen Forderungen
auf Grund der finanziellen Situation nicht auf die Reihe
bekommen haben. Ich erinnere Sie nur an Ihren Antrag
und die fehlenden 250 Millionen DM, von denen Os-
wald seinerzeit behauptet hat, er hätte sie. Er hat nie eine
Novelle auf den Tisch legen können. Das sollten Sie
endlich einmal zugeben. Daher appelliere ich gerade an
Ihre Verantwortung. Ich habe das hier schon mehrfach
getan. Ich finde es hochinteressant, daß Sie hier und
auch neulich im Ausschuß deutlich ausgesprochen ha-
ben, daß Sie die Wohngeldnovelle boykottieren wollen.
Das müssen Sie vor der deutschen Bevölkerung und vor
allen Wohngeldempfängern verantworten. Das ist Ihre
Aufgabe. Wir werden noch sehen, wie Sie sich im Ver-
mittlungsausschuß verhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wir machen keine Gesetze zu Lasten Dritter, Frau Kollegin! – Gert Willner [CDU/CSU]: Diese Wohngeldnovelle bezahlen die Kommunen!)


Ich möchte eines sagen. Wir brauchen im sozialen
Wohnungsbau nicht mehr so viel Geld wie früher, weil
es nicht um Neubau geht. Wir brauchen aber sehr wohl –
darum bemühen sich auch beide Koalitionsfraktionen
sehr intensiv – eine Reform des sozialen Wohnungs-
baus. Wir brauchen dafür auch ein bestimmtes Mittel-
kontingent als Basis. Aber die Aufgaben haben sich ver-
ändert: Wir brauchen eine Bestandserneuerung. Wir
brauchen die Sicherung von Belegrechten, wir brauchen
die Stabilisierung von Siedlungen und Stadtteilen, und
wir brauchen mehr Wohnumfeldverbesserungen.

Ich warne vor einer Wohnungspolitik, die – so, wie
Sie und die PDS das immer wieder sagen, was ange-
sichts des Wohnungsleerstandes im Osten schon fast
witzig ist – immer nur auf mehr Bauen setzt, als ob die
Neubauzahlen etwas über die Qualität der Wohnungs-
politik aussagen würden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Daher geht es um veränderte Ziele. Dafür stehen wir
auch in dieser Koalition.

Lassen Sie mich ein Letztes kritisch sagen: Wir Bau-
politiker von beiden Fraktionen der Koalition wissen
sehr wohl, daß die Kürzungen im Baubereich sehr viel
größer waren als im Verkehrsbereich. Wir engagieren
uns sehr, dieser Entwicklung ein Stück weit gegenzu-
steuern. Ich erwarte von der Koalition und auch von der
Regierung, daß sie dieses Bemühen unterstützt, denn
ohne eine wenigstens teilweise Stabilisierung der Mittel
wird es uns nicht gelingen, die dringend notwendige Re-
form im sozialen Wohnungsbau auf den Weg zu brin-
gen. Dafür stehen wir gemeinsam in der Pflicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406614700
Das Wort hat der
Kollege Horst Friedrich, F.D.P.-Fraktion.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1406614800
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!

Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1406614900
Er
hat von einer Eröffnungsbilanz mit einer gigantischen
Schuldenlast gesprochen. Ich glaube, es ist mittlerweile
unstrittig von allen verantwortlichen Institutionen fest-
gestellt worden, daß rund 80 Prozent dieser Schulden
ausschließlich Ergebnis der Finanzierung der deutschen
Einheit sind. Ich finde es geradezu bezeichnend, daß
Herr Großmann kurz vor dem zehnten Jahrestag des
Falls der Mauer genau diese Tatsache mit Tränen in den
Augen beklagt. Ich glaube, das wirft ein richtiges Bild
auf diese Regierung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Null Geschichtsbewußtsein!)


Zum Thema: Diese Bundesregierung hat in ihrer bis-
herigen einjährigen Amtszeit durchgehend Entscheidun-
gen ausschließlich zu Lasten der Wohnungspolitik ge-
troffen und weitere abschreckende Entscheidungen an-
gekündigt.


(Gert Willner [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn Herr Großmann jetzt sagt, er würde das weiter-
machen, kann ich nur sagen: Um Gottes willen! Dies gilt
vor allen Dingen für die Steuerpolitik. Stichworte hierzu
sind die Beschränkungen bei der Verlustverrechnung
zwischen verschiedenen Einkunftsarten oder die Strei-
chung des Vorkostenabzugs. Dies ist geradezu tödlich
für den Bestandskauf.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zusätzlich verunsichert die permanente Diskussion
über Vermögensteuer, Vermögensabgabe oder Erb-
schaftsteuererhöhung potentielle Investoren in den
Wohnungsbau aufs schärfste. Ich will nur hinzufügen:
Die Erhöhung der Erbschaftsteuer im Rahmen der Strei-
chung der Vermögensteuer hat diese Streichung mehr
als überkompensiert. Der Wohnungsbau kann nicht an-
dauernd der Steinbruch der Ausgleichsüberlegungen des

Franziska Eichstädt-Bohlig






(B)



(A) (C)



(D)


Finanzministers sein. Um den Wahlbetrug komplett zu
machen, wird die Wohngeldreform dadurch finanziert,
daß man die Lasten auf die Kommunen verschiebt.

Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, gerade Sie waren
diejenige, die vor diesem Entschluß im Ausschuß und
öffentlich getönt hat, Sie würden einer Verschiebung nur
dann zustimmen, wenn Ihnen eine seriöse Gegenfinan-
zierung präsentiert würde. Die seriöse Gegenfinanzie-
rung besteht darin, daß man flapsig sagt: Die Kommu-
nen mögen sich an der Differenz bedienen, die durch die
geringere Steigerung der Beamtengehälter in den Kom-
munen aufgerechnet wird. Das war wahrscheinlich der
größte Bauchklatscher in Ihrer Geschichte. Das ist eine
Lachnummer.


(Beifall bei der F.D.P.)

Damit zusätzlich zum privaten Wohnungsbau der öf-

fentlich geförderte Wohnungsbau einbricht, kürzt diese
angeblich so soziale Regierung die Mittel für den sozia-
len Wohnungsbau von 1,2 Milliarden DM auf 600 Mil-
lionen DM.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das hätten wir einmal machen sollen! Der Mieterbund hätte mobilisiert ohne Ende!)


Mich würde einmal interessieren, wie die Präsidentin
des Deutschen Mieterbundes öffentlich reagiert hätte,
wenn wir das in unserer Regierungszeit gemacht hätten
– eine tolle Sache!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gert Willner [CDU/ CSU]: Eine sehr berechtigte Frage!)


Es bleibt dabei: Die Bundesregierung Rotgrün arbei-
tet aktiv an der zukünftigen Wohnungsnot. Die Proble-
me werden uns sehr bald auf die Füße fallen. Rotgrün
hat weder ein Konzept noch eine politische Zielvorstel-
lung – es sei denn, man möchte, auf lange Sicht gesehen,
Eigentumsbildung in Deutschland verhindern und alle
Maßnahmen, die das fördern, beschließen.

Wir brauchen in Deutschland eine neue Wohneigen-
tumsoffensive. Das eigentlich Entscheidende, auch im
Hinblick auf die Rentendiskussion, ist doch eine Stär-
kung des Wohneigentums und des Gedankens daran.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie machen mit allen Ihren Beschlüssen genau das
Gegenteil. Niemand traut sich mehr, etwas zu entschei-
den, weil zum Beispiel dieser berühmte § 2b, den Sie
intelligenterweise beratungsresistent gegen allen Sach-
verstand in Ihre Gesetzeswerke aufgenommen haben,
jede Möglichkeit der Deutung offenläßt. Man kann vor-
her wahrscheinlich nicht die eigentlich richtige Ent-
scheidung schriftlich bestätigt bekommen. Das führt
dann genau dazu, daß gar nichts entschieden und nicht
investiert wird. Das, liebe Frau Kollegin Eichstädt-
Bohlig, ist das Schlimmste, was uns passieren kann.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Aber das ist doch die Situation heute!)


Noch ein Wort zur PDS. Ich kann die Krokodilsträ-
nen im Zusammenhang mit der Altschuldenhilfe verste-
hen. Aber so ganz ohne Verantwortung sind Sie dafür
nicht. Ein Großteil der Wohnungsbaugenossenschaften
hat nämlich deswegen Probleme, weil jetzt auf Grund
der verfehlten Industrie- und Siedlungspolitik der ehe-
maligen DDR die Probleme massenhaften Leerstandes
auf uns zukommen. Gegen jede Vernunft sind Unmen-
gen von Wohnungen geschaffen worden, die jetzt über-
haupt nicht mehr notwendig sind.


(Zuruf von der Abg. Franziska EichstädtBohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Damals waren sie zwangsweise notwendig, weil man
die ganze DDR auf einige wenige Punkte konzentriert
hat.

Das ganze Thema ist in der Aktuellen Stunde viel-
leicht nicht richtig angesiedelt. Aber die wohnungspoli-
tische Katastrophenbilanz des vergangenen Jahres ist
immer aktuell; deswegen kann man sie auch im Rahmen
einer Aktuellen Stunde diskutieren.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406615000
Das Wort hat die
Kollegin Gabriele Iwersen, SPD-Fraktion.


Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1406615100
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das Thema dieser Aktuellen Stunde
lautet „Haltung der Bundesregierung zu den jüngsten
Kritiken hinsichtlich der Wohnungsbauförderung des
Bundes“. Das heißt, es geht nicht allgemein um Woh-
nungsbaupolitik, sondern ganz speziell um die öffentlich
geäußerte Kritik an der Wohnungsbauförderung.

Wohnungsbauförderung muß in jeder Periode anders
betrachtet werden. Sie hat andere Schwerpunkte, weil
andere Probleme diese Gesellschaft belasten und be-
drücken. In Zeiten großen Wohnraummangels hat die
Schaffung neuer Wohnungen eindeutig oberste Priorität.
Zum Beispiel wird dem Kauf aus dem Bestand keine
große Förderung zuteil, weil es zu keiner Schaffung
neuer Wohneinheiten führt.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Dem steht manchmal ein Vorrang der Mieterprivati-

sierung gegenüber, um zu verhindern, daß Mieter aus
ehemalig gemeinnützigen oder kommunalen Woh-
nungsbeständen plötzlich in die Abhängigkeit von Spe-
kulanten geraten.

Auch der Gedanke der Altersvorsorge spielt durchaus
eine Rolle. Das heißt, es gilt, ständig aufs neue abzuwä-
gen, wo Schwerpunkte zu setzen sind.

An erster Stelle steht aber nach wie vor die Versorgung
derjenigen, die sich aus eigener Kraft am Markt nicht ver-
sorgen können. In den meisten Fällen sind das junge Fa-
milien, die nicht nur finanzielle Probleme haben, sondern
auch noch mit der sehr gering ausgeprägten Kinder-
freundlichkeit bzw. der Intoleranz gegenüber Kindern zu

Horst Friedrich (Bayreuth)







(A) (C)



(B) (D)


kämpfen haben. Deshalb stehen die Familien mit Kindern
im wahren Kindesalter in vorderster Reihe. Das wird
wahrscheinlich auch immer so bleiben, ganz gleich, wie
unsere Gesellschaft finanziell ausgestattet ist.

Es geht aber nicht darum, denjenigen, die eine schö-
ne, ausreichend große Wohnung haben, nach dem Motto
„Schöner Wohnen, und das immer wieder neu“ durch
öffentliche Förderung zu noch schönerem Wohnraum
oder zu zusätzlicher Vermögensbildung zu verhelfen.
Das ist zwar auch ein wichtiges Ziel und wünschens-
wert, aber dies muß nicht unbedingt die Aufgabe der
Wohnungsbaupolitik und kann nicht die Aufgabe eines
hochverschuldeten Staates sein.

Da hat die Wohngeldnovelle einen wesentlich höhe-
ren Stellenwert. Denn die Stadtbevölkerung wird auch in
Zukunft zum großen Teil in Mietwohnungen leben, und
sei es nur, um ihre Mobilität und Flexibilität zu bewah-
ren; denn das wird von Arbeitgebern heutzutage mehr
und mehr gefordert. Gerade wer in strukturschwachen
Regionen lebt, macht häufig die Erfahrung, daß Wohn-
eigentum ein wahrer Klotz am Bein sein kann. Da nutzt
auch die ideologische Untermauerung der Forderung
nach mehr Wohneigentum nichts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die immer wieder geforderte Mobilität der Arbeitneh-
mer steht dieser quasi erzwungenen Seßhaftigkeit, die
im wesentlichen durch Bausparkassen, aber auch durch
politische Aussagen immer wieder untermauert wird,
entgegen. Ich halte mich deshalb ganz stark zurück,
wenn es um das allgemeine Lob steigender Eigentums-
quoten geht. Denn auch diese Medaille hat zwei Seiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bundesverband Freier Wohnungsunternehmen
zweifelt die Begründung aus dem Haushaltssanierungs-
gesetz an, wonach – ich zitiere – Haushalte, die auch
ohne staatliche Förderung in der Lage sind, ihr Wohnei-
gentum zu finanzieren, auch weiterhin Wohneigentum
erwerben werden.


(Gert Willner [CDU/CSU]: Er hat recht mit der Bemerkung!)


– Die zitierte Bemerkung stammt aus der Begründung
des Haushaltssanierungsgesetzes. Der Zweifel kommt
vom Bundesverband.


(Gert Willner [CDU/CSU]: Der Zweifel des Bundesverbandes ist berechtigt! – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Aber das stört Sie nicht, weil Sie beratungsresistent sind!)


Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes wird von
allen gutgeheißen, quer durch die Bevölkerung, quer
durch alle Schichten. Aber keiner kommt auf die Idee,
zu überlegen, wer dazu einen Beitrag leisten könnte.
Wo, bitte schön, soll denn gespart werden? Zu überlegen
ist, daß es doch viele Haushalte gibt, die gute, ausrei-
chend ausgestattete Wohnungen, Auto, Urlaubsreisen,
zwei- bis dreimal im Jahr, und dergleichen finanzieren
können. Das kann in Zeiten einer sehr angespannten

Haushaltslage nicht unbedingt die Zielgruppe der Woh-
nungsbauförderung sein.


(Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wenn das die Wertmaßstäbe sind, brauchen Sie gar keine Förderung mehr!)


Der Staat muß zunächst da helfen, Herr Friedrich, wo
die fehlende Leistungsfähigkeit gleichzeitig zu vermin-
derten Chancen für die zukünftige Generation führt.
Aber die kennen Sie ja gar nicht; denn F.D.P.-Wähler
haben ohnehin keine Kinder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Diese Vermutung ist mindestens so dumm, wie sie falsch ist!)


– Wenn Sie noch mehr Bemerkungen machen wollen,
können Sie sich ja zu Wort melden. Es reicht langsam.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist leider nicht möglich, Frau Kollegin! Es ist eine Aktuelle Stunde!)


In den sozialen Brennpunkten unserer Städte muß die
Hilfe ansetzen. Deshalb ist das Programm „Soziale
Stadt“ weitaus wichtiger als der Ausbau oder die Beibe-
haltung der Wohneigentumsförderung in vollem Um-
fange. Es war gut, daß man sie zeitweise hat leisten
können. Zur Zeit können wir dies leider nicht. Die Län-
der arbeiten jetzt an den detaillierten Programmen zur
„Sozialen Stadt“, und wir haben nun die Aufgabe, eine
stabile Finanzierung und ein gutes Instrument zu schaf-
fen, um in den Brennpunkten unserer Städte Hilfe zu lei-
sten, wo Menschen sonst versacken.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406615200
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluß kommen. Dies ist eine Aktu-
elle Stunde.


Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1406615300
Ich habe noch eine Minute
gut, weil hauptsächlich Herr Friedrich gesprochen hat.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406615400
So etwas gibt es hier
leider nicht. Sie müssen sich schon wie alle anderen an
die Spielregeln halten.


Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1406615500
Zum Schluß noch eine
einzige Bemerkung: Wenn ich mir anschaue, welche
Zielgruppen Kritik geäußert haben – die einen sagen, der
Zweipersonenhaushalt, vermutlich ohne Kinder, werde
jetzt nicht mehr gefördert; dies sei ganz schrecklich;
„Haus und Grund“ hat sogar die ledigen und geschiede-
nen Facharbeiter als die Geplagten und Geprellten aus-
gemacht –, dann habe ich den starken Verdacht, daß sich
die Kritik hauptsächlich auf die Interessen der Interes-
senvertreter und nicht auf die Probleme derjenigen be-
zieht, die gefördert werden sollen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gabriele Iwersen






(B)



(A) (C)



(D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406615600
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Gert Willner.


Gert Willner (CDU):
Rede ID: ID1406615700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Erstens. Sozialer Wohnungsbau
wird zur Mangelware. Die SPD bricht ihre Verspre-
chen bezüglich des sozialen Wohnungsbaus: Im ersten
Schröder-Jahr gab es 250 Millionen DM weniger Bun-
desfördermittel. Im zweiten Schröder-Jahr gab es 750
Millionen DM weniger. Im dritten Schröder-Jahr gab
es 900 Millionen DM weniger. Die SPD kürzt binnen
zweier Haushaltsjahre die Mittel radikal um 60 Pro-
zent, obwohl Wohnungsbau ein Investitionsschwer-
punkt ist. Gleichzeitig schrumpft der Bestand an Woh-
nungen. Damit stehe der Wohnungsbau vor dem Aus,
so Mieterbunddirektor Franz-Georg Rips, der weiter
gesagt hat: Preiswerte und bezahlbare Mietwohnungen
werden in den nächsten Jahren Mangelware sein.

Zweitens. Rotgrün vernichtet Arbeitsplätze.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Bau von 10 000 neuen Wohnungen erzeugt Be-
schäftigungseffekte von 20 000 Arbeitsplätzen je Woh-
nungsbauprogramm. Durch Ihre Wohnungsbaupolitik
verhindern Sie jeden Monat den Bau Tausender neuer
Wohnungen. Sie schließen die Augen vor der Tatsache,
daß allein der Erneuerungsbedarf auf 350 000 bis
400 000 Wohnungen geschätzt wird. Sie hatten vor der
Wahl noch vollmundig erklärt, in rotgrüner Verantwor-
tung den Bau von Sozialwohnungen zu stärken. Die
überzogenen Einschnitte in den Wohnungsbau sind zu
mißbilligen. Sie stellen eine Schwächung der Investiti-
onskraft dar. Die Politik darf die Augen vor dem alar-
mierenden Auftragsrückgang im Hochbau nicht ver-
schließen.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wer den Rückgang der Arbeitslosigkeit zu seinem
Hauptziel erklärt, kann dies nur mit dem arbeitsintensi-
ven Baugewerbe und nicht gegen das Baugewerbe
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Christine Ostrowski [PDS])


Wir brauchen eine Verstetigung in der Bauwirtschaft
und keinen Zickzackkurs. Ihre Wohnungsbaupolitik im
sozialen Wohnungsbau führt in die Sackgasse.

Drittens. Die Begrenzung der Verlustverrechnung ist
ebenfalls der falsche Weg. Dies ist der falsche An-
satz in der Wohnungsbaupolitik und führt zur Verun-
sicherung über die Behandlung von Investitionen im
Mietwohnungsbau. Die Begrenzung der Verrechen-
barkeit von Verlusten aus Vermietung und Verpach-
tung wird zu einem breiten Ausstieg aus dem frei fi-
nanzierten Wohnungsbau führen. Aber es ist wichtig,
daß auch weiterhin privates Kapital für den Woh-
nungsbau mobilisiert wird. Der Mietwohnungsbau wird
schließlich zu rund zwei Dritteln frei finanziert und
stellt bisher eine zentrale Stütze der Wohnungsver-
sorgung dar.

Viertens. Es war unsinnig, den Vorkostenabzug für
Erhaltungsaufwendungen zu streichen. Auch hier gehen
Sie den falschen Weg. Damit ist auch die Mieterprivati-
sierung – darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen –
benachteiligt worden.

Fünftens. Wir benötigen eine Einigung über die Re-
form der rechtlichen Grundlagen des sozialen Woh-
nungsbaus. Dies ist überfällig. Wir brauchen eine Be-
standsförderung gleichrangig neben der Neubauförde-
rung. Wir brauchen mehr vereinbarte Förderung. Wir
brauchen mehr kommunale Entscheidungsfreiheit. Wir
brauchen eine stärkere Durchmischung der Bestände.
Aber dies setzt eine angemessene Bereitstellung von
Mitteln für den sozialen Wohnungsbau voraus. Der jet-
zige Verpflichtungsrahmen ist dafür keine geeignete
Grundlage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Sechstens. Rotgrün erhöht die Wohnnebenkosten.
Dies ist ebenfalls der falsche Weg. Wir alle wissen, daß
sich inzwischen die Wohnnebenkosten praktisch zu ei-
ner zweiten Miete entwickelt haben. Die privaten Haus-
halte – Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger –
werden in besonderer Weise durch die Ökosteuer bela-
stet. Dieser Personenkreis hat keine Chance, sich Entla-
stung zu verschaffen. Dies ist der falsche Weg.

Es drohen Kürzungen der Bauinvestitionen bei den
kommunalen Wohnungsunternehmen. Wenn die von
Rotgrün geplante Nachversteuerung der abschreibungs-
bedingten Verluste als verdeckte Gewinnausschüttung
Wirklichkeit wird, dann führt dies zu Steuernachforde-
rungen in dreistelliger Millionenhöhe. Die betroffenen
Unternehmen werden vor unlösbare Probleme gestellt.
Es drohen Investitionskürzungen bei der Modernisie-
rung, der Instandhaltung und dem Neubau. Das können
Sie doch nicht wollen. Auch hier gehen Sie den falschen
Weg.

Achtens. Eine Nullquote des Bundes bei der Mitfi-
nanzierung der Wohngeldnovelle ist inakzeptabel. Das,
was Sie mit der Wohngeldreform vorhaben, ist eine
plumpe Verschiebung auf Länder und Gemeinden. Das
ist schon diskutiert worden.

Neuntens. Sozialhilfeempfänger können die Verlierer
der Wohngeldreform sein. Es ist nämlich nicht auszu-
schließen, daß die Gemeinden faktisch gezwungen sind,
die Sozialhilfeempfänger in für die Gemeinden dann fi-
nanzierbarem Wohnraum unterzubringen – und das
heißt doch: möglichst einfach, möglichst billig und mei-
stens schlecht –, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß
dann auch neue Containerbauten oder Wohnheime ent-
stehen. Auch dies kann doch, bitte sehr, nicht Ihr Ziel
sein.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ein letztes Wort: Eigen-
heimförderung ist Altersvorsorge. Die private Altersvor-
sorge muß künftig einen höheren Stellenwert einneh-
men. Wer an der Eigenheimförderung herumschnippelt,
leistet einen schlechten Dienst für die Konjunktur und






(A) (C)



(B) (D)


für die private Altersvorsorge. Dem selbstgenutzten
Wohnungseigentum kommt eine herausragende Bedeu-
tung zu.


(Iris Gleicke [SPD]: Für die Besserverdienenden! Und die armen Leute können ihre Miete nicht bezahlen! Sie haben eine verblüffende Logik!)


Wohnungseigentum stellt neben der Rentenversicherung
die zweite Säule der Versorgung dar. Wir müssen Ei-
genheimförderung konsequent erhöhen und dürfen sie
nicht abbauen.

Meine Damen und Herren, all dies zeigt: Sie sind
nicht auf dem richtigen, sondern auf dem falschen Weg.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406615800
Das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Hel-
mut Wilhelm.

Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Der Anlaß dieser Aktuellen Stunde zur
jüngsten Kritik hinsichtlich der Wohnungsbauförderung
des Bundes ist geeignet, die überaus wichtigen Fragen
und Erfordernisse einer modernen und sozialen Woh-
nungsmarktwirtschaft nochmals für die Öffentlichkeit zu
debattieren. Allerdings meine ich, aus dieser Debatte
werden weder die PDS noch die Oppositionsparteien
Kapital schlagen können, wie sie es sich sicherlich er-
hofft haben. Denn wir alle wissen doch ganz genau, daß
es nicht verantwortet werden kann, die öffentliche Hand
in eine Verschuldung zu treiben und damit strukturell
handlungsunfähig zu machen, seien die Motive auch
noch so edel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


„Der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg
der Haushaltskonsolidierung ist vom Prinzip her rich-
tig“, sagt auch der GdW-Bundesverband deutscher
Wohnungsunternehmen. Darum stehen bei Rotgrün die
Staatsverschuldung und die damit verbundene Reduzie-
rung der Kreditaufnahme und der Zinslast ganz oben
auf der politischen Tagesordnung. Neue Mittel locker
zu machen ist nicht möglich. Wer dies fordert, handelt
ohne politisches Verantwortungsgefühl, rein populi-
stisch, und weckt in der Öffentlichkeit falsche Hoff-
nungen, die aus den bekannten Gründen unerfüllbar
bleiben müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Damit wird aber die Wohnungspolitik vor ganz neue
Herausforderungen gestellt.

Wachsende Aufgaben müssen mit sinkenden Etats
bewältigt werden. Das heißt, wir müssen die vorhande-
nen Mittel auf vordringliche Aufgaben konzentrieren.

Wohnungspolitik und Wohnungsbauförderung nach dem
Gießkannenprinzip sind nicht mehr bezahlbar. Wer unter
diesen Umständen aber den Mut zu Reformen nicht auf-
bringt, statt dessen aus populistischen Gründen lediglich
Forderungskataloge einreicht und prompte Erfüllung
verlangt, verspielt den sozialen Auftrag der Wohnungs-
politik.

„Mehr Staat ist in der Regel nicht gleichbedeutend
mit mehr Gerechtigkeit oder sozialer Kompetenz“, wird
zu Recht auch vom GdW bemerkt. Statt dessen müssen
die eigenverantwortlichen Handlungsspielräume der
beteiligten Akteure gestärkt werden. Darum hat die
Bundesregierung das Programm „Soziale Stadt“ aufge-
legt, ein Programm mit „konzeptioneller Vorbildfunkti-
on“, wie ebenfalls der GdW urteilt.

Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf sollen
durch eine Kombination des Einsatzes investiver Bun-
desmittel und nichtinvestiver Landes- und Gemeinde-
mittel vor dem Umkippen bewahrt werden. 100 Millio-
nen DM jährlich, 300 Millionen DM insgesamt werden
dafür vom Bund bereitgestellt. Daneben werden das
CO2-Minderungsprogramm sowie das Wohnungsbau-modernisierungsprogramm in vollem Umfang weiterge-
führt. Ebenso wird die Städtebauförderung auf dem bis-
herigen Niveau fortgesetzt. Die Schaffung eines neuen
Mietrechts ist in die Wege geleitet. Dies, meine Damen
und Herren, ist angesichts der Haushaltsproblematik ein
großer Erfolg. Das ist verantwortliche Wohnungspolitik,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


nicht aber, Wohnungseigentumsförderung ohne Ein-
kommensobergrenze – sprich: für Millionäre – zu for-
dern, wie das die F.D.P. in der letzten Ausschußsitzung
getan hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir können und werden uns jetzt natürlich nicht zu-
frieden zurücklehnen und die Probleme als gelöst be-
trachten. Wir alle in diesem Haus müssen stärker als
bisher lernen, die soziale und räumliche Dimension der
Wohnungspolitik zu verstehen, um geeignete Steue-
rungsinstrumente zu entwickeln. Das Programm „So-
ziale Stadt“ war nur der Anfang; darum engagieren wir
Grüne uns besonders für Konzepte zum Abbau von
Leerständen, insbesondere im östlichen Teil Deutsch-
lands.

Bestandserneuerung und Stabilisierung von Nachbar-
schaften und Quartieren sind Ziele unserer Wohnungs-
politik.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir brauchen Wohnungsbaugesellschaften und Träger,
die nicht nur auf den Neubau spezialisiert sind, sondern
auch auf die Stabilisierung und Verbesserung von Nach-
barschaften. Diese Aufgaben brauchen einen rechtlichen
Rahmen und werden diesen auch erhalten. Konstruktive
Beiträge der Opposition werden dabei gern aufgenom-
men.

Gert Willner






(B)



(A) (C)



(D)


Ich meine, die Wohnungsbauförderung der Bundes-
regierung befindet sich auf einem guten Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Ach du meine Güte!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406615900
Das Wort hat der
Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS-Fraktion.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1406616000
Frau Präsidentin! Lie-
be Kolleginnen und Kollegen! Die Wohnungsbaupolitik
der Bundesregierung, besonders die, die Ostdeutschland
betrifft, gleicht der Situation auf der Kommandobrücke
der Titanic. Aus lauter Freude und Eitelkeit über das
schmucke Aussehen des Dampfers werden gefährliche
Eisberge ringsum zuhauf kaum zur Kenntnis genommen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Auf der Regierungsbank, Herr Staatssekretär Groß-

mann, herrscht offenbar viel Zufriedenheit. Aber die von
Kollegin Ostrowski aufgeworfenen Fragen aus dem Le-
ben der Bürgerinnen und Bürger haben Sie leider nicht
oder nur unzureichend beantwortet. Derweil aber sind
ostdeutsche Wohnungsunternehmen an vielen Standor-
ten kurz vor dem Absaufen mit Auswirkungen auf Mie-
terinnen und Mieter. Das, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, wird die PDS nicht hinnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Allein in Sachsen-Anhalt stehen – um ein Problem

herauszugreifen – derzeit 150 000 Wohnungen leer. Das
sind etwa 15 Prozent aller verfügbaren Wohnungen. In
der Berg- und Rosenstadt Sangerhausen, in Wolfen im
Chemiedreieck oder in Stendal in der Altmark liegt die
Leerstandsquote bei annähernd 25 Prozent. Im Rathaus
der Großstadt Halle an der Saale sind derzeit von insge-
samt 150 000 Wohnungen 17 000 als leerstehend be-
kannt. Die Leerstandsquote in Ostdeutschland wächst
und wächst.


(Zuruf von der SPD: Wozu brauchen Sie das viele Geld denn, das Sie immer fordern?)


Kollege Staatssekretär Großmann, dazu haben Sie leider
wenig ausgeführt.

Der Hauptgrund für den Leerstand in vielen Städten
ist der Wegbruch von Arbeitsplätzen und die daraus re-
sultierende massenhafte Bevölkerungsabwanderung.
Ganze Ballungsgebiete wurden plattgemacht. Ein Bei-
spiel: Mit der Schließung der Schächte im Mansfelder
Revier in Sachsen-Anhalt sind 1990 mit einem Schlag
18 000 Menschen arbeitslos geworden. Das hatte natür-
lich Auswirkungen auf die Bevölkerungsbewegung.

Wohnungsmarktbedingte Abwanderung ins Umland
verschärft dieses Problem noch. Wer über ein sicheres
Einkommen oder ein entsprechendes Guthaben verfügt,
zieht oft aus der Stadt ins Grüne. Ein anderer Teil wie-
derum, der zunehmend wächst, muß aber dableiben,
kann seine Miete, vor allem die ausufernden Betriebsko-
sten, kaum noch oder bereits nicht mehr bezahlen.

Mit fehlenden Mieteinnahmen wegen Leerstands in
Millionenhöhe und Millionenverlusten wegen Miet-
schulden aber kann kein Wohnungsunternehmen beste-
hen, vor allem dann nicht, wenn es zusätzlich noch von
irrationalen Privatisierungsauflagen – ich wiederhole: ir-
rationalen Privatisierungsauflagen – aus dem Altschul-
denhilfe-Gesetz geknechtet wird.


(Beifall bei der PDS)

Wohnungsunternehmen in Sachsen-Anhalt sind von die-
sem Zustand ganz besonders betroffen.

Es wird für die Bundesregierung allerhöchste Zeit,
endlich einen auf die Veränderung der Lage abzielen-
den Kurs einzuschlagen. Notwendig sind sofort koor-
dinierte Maßnahmen von Bund und ostdeutschen Län-
dern, für die die PDS konkrete Vorschläge und Finan-
zierungsalternativen unterbreitet hat. Ich nenne die
wichtigsten:

Erstens. Notwendig ist die sofortige Streichung der
Altschulden nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz.


(Beifall bei der PDS)

Wir erwarten, Herr Staatssekretär, daß Sie Ihren vielen
Ankündigungen nunmehr Taten folgen lassen. Auch
heute gab es wieder nur vage Ankündigungen. Noch in
diesem Jahr gehört ein Gesetzentwurf auf den Tisch des
Berliner Reichstages.

Zweitens. Dringend geboten ist die Mitfinanzierung
des Bundes bei städtebaulichen und infrastrukturellen
Maßnahmen in den betreffenden Neubaugebieten, ein-
schließlich dem Rückbau vorhandener Wohngebäude.

Drittens. Rasch erforderlich ist die Bereitstellung von
Bundes- und von Landesbürgschaften für Wohnungs-
unternehmen, die wegen Leerstand in Not geraten sind.
Darüber sollte noch während der laufenden Beratungen
zum Bundeshaushalt 2000 entschieden werden.

Viertens. Notwendig ist die Verankerung einer Mo-
dellstadtinitiative für betreffende Neubaugebiete im
Bundeshaushalt, analog dem Programm zur Sanierung
ostdeutscher Innenstädte.

Und auch die Finanzierung dieser und weiterer
Maßnahmen im Bundeshaushalt kann gesichert wer-
den. Es ist nicht so, daß das Geld nicht vorhanden
wäre. Ein ganz wichtiger Weg zur Mobilisierung
der Finanzen ist: Die Bundesregierung soll endlich
nachweisbar und anhaltend auf die Finanzierung der
verkehrspolitisch fragwürdigen Magnetschwebebahn
Transrapid verzichten.


(Beifall bei der PDS)

Allein mit diesem Projekt soll im nächsten Jahr rund
1 Milliarde DM sprichwörtlich in den märkischen Sand
gesetzt werden – und dies in einer Situation, in der
gleichzeitig die Wohnungsunternehmen in Ostdeutsch-
land vielerorts vor dem Zusammenbruch stehen.

Herr Staatssekretär Großmann, es gibt viel zu tun.
Packen Sie es in der Bundesregierung endlich an, und
steuern Sie einen neuen, einen bürgerfreundlichen Kurs
auch in der Wohnungsbaupolitik an! Das Geld hierfür ist

Helmut Wilhelm (Amberg)







(A) (C)



(B) (D)


da. Sie müssen aber politische Entscheidungen dazu
treffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406616100
Das Wort hat der
Kollege Dieter Maaß, SPD-Fraktion.


Dieter Maaß (SPD):
Rede ID: ID1406616200
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Eine der Oppositionsparteien in
diesem Hause, die PDS, fordert eine Aktuelle Stunde
unter dem Titel „Haltung der Bundesregierung zu den
jüngsten Kritiken hinsichtlich der Wohnungsbauförde-
rung des Bundes“.

Man müßte noch hinzufügen, daß einiges dieser Kri-
tik ursprünglich von einem Verband geäußert wurde und
nun im Bundestag diskutiert werden soll. So etwas
bringt der antragstellenden Partei natürlich Aufmerk-
samkeit, ohne daß sie selbst ihre Position eindeutig for-
mulieren muß.

Gleichwohl enthält die Entschließung auf dem Ver-
bandstag des Gesamtverbandes deutscher Wohnungs-
unternehmen, GdW, positive und kritische Bewertungs-
merkmale unserer Wohnungspolitik. Ich möchte einige
dieser Bewertungen aufgreifen.

Ebenso wie wir ist der GdW der Meinung, daß der
soziale Wohnungsbau beibehalten werden muß. Er ist
ein wichtiger Bestandteil einer sozial gerechten Gesell-
schaft, und er ist eine ständige Aufgabe jeder verant-
wortlichen Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD)

Zustimmung bekommen wir vom GdW auch zu unse-

rem Projekt „Soziale Stadt“. Stadtteile mit besonderem
Entwicklungsbedarf vor dem Umkippen zu bewahren,
nennt auch der Gesamtverband deutscher Wohnungsun-
ternehmen zukunftsweisend.

Eine weitere Forderung des GdW-Verbandstages,
nämlich die Vereinheitlichung und Erhöhung des Ta-
bellenwohngeldes, haben wir bereits im Ausschuß für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen beschlossen.

Die von uns getragene Bundesregierung steht vor der
großen Aufgabe, den Bundeshaushalt zu sanieren. 1 500
Milliarden DM Schulden müssen wir abbauen, weil die
Handlungsfähigkeit des Staates wiederzugewinnen und
zu erhalten ist. 81 Milliarden DM Zinsleistungen pro
Jahr können nicht hingenommen werden. Unter dieser
Prämisse sind die aktuellen wohnungspolitischen Pro-
bleme aufzugreifen und zu lösen.

Darum ist eine Reform des sozialen Wohnungsbaus
notwendig. Ziel dieser Reform muß es sein, die vorhan-
denen Mittel effizient und zielgerichtet für bedürftige
Haushalte und in Gebieten mit besonderen sozialen Pro-
blemen einzusetzen. Angesichts auslaufender Belegbin-
dungen muß die Förderung verstärkt zum Erhalt von
Bindungen, zur Bestandserneuerung und zur Stabilisie-
rung der vorhandenen Wohnquartiere eingesetzt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich füge hinzu: Wir müssen für Frauen und Männer,
die eine Familie gründen wollen, die Wohnberechtigung
im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus neu gestalten.
Auf Grund der geltenden Einkommensgrenzen haben sie
praktisch keinen Zugang zum sozialen Wohnungsbau.
Wie in Zukunft die Fehlbelegerabgabe angewandt wird,
hängt natürlich davon ab, ob sie den Erhalt von durch-
mischten Wohngebieten steuern kann. Zustimmung er-
halten wir auch zu der Fortsetzung des KfW-
Modernisierungsprogramms. Im Haushalt 2000 tragen
wir dem Rechnung.

Überlegenswert finde ich auch die Anregung, eine
Neufassung der Genossenschaftsförderung vorzuneh-
men. Als damalige Opposition mußten wir im Eigen-
heimzulagengesetz die Einschränkung auf neu gegrün-
dete, einkommensorientierte Genossenschaften akzeptie-
ren, um überhaupt eine steuerliche Förderung für Ge-
nossenschaftsmitglieder durchzusetzen. Eine entspre-
chende Neuregelung bleibt einer Reform des sozialen
Wohnungsbaus vorbehalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In seiner Entschließung macht der Gesamtverband

deutscher Wohnungsunternehmen weitere Vorschläge
zu dieser notwendigen Reform. Beispiele sind die Teil-
marktorientierung der Förderpolitik und die Ver-
gleichsmiete an Stelle der Kostenmiete. Selbst der
größte Kritiker unserer Politik wird nicht erwarten, daß
wir nach einem Jahr Regierungsverantwortung auch die-
se Reform schon auf den Weg gebracht haben. Wenn
wir diese Reform einleiten, wird es Gespräche und An-
hörungen geben. Was von den in diesem Zusammen-
hang gemachten Vorschlägen sinnvoll und machbar ist,
wird dann Berücksichtigung finden. Für eine wirkliche
Reform des sozialen Wohnungsbaus müßten allerdings
die in der Finanzplanung des Bundes für diesen Zweck
vorgesehenen Mittel angehoben werden.

Meine Schlußfolgerungen zu diesem Thema lauten:
Insgesamt gesehen können wir mit der Kritik, wie sie
der Gesamtverband deutscher Wohnungsunternehmen
vorbringt, gut leben. Denn auch der GdW bescheinigt
der Bundesregierung, mit dem eingeschlagenen Weg –
vom Prinzip her – richtig zu liegen. Die SPD-geführte
Bundesregierung hat angesichts der vorgefundenen
Haushaltssituation die Weichen richtig gestellt, einen
undifferenzierten Kahlschlag im sozialen Wohnungsbau
vermieden und die notwendigen Reformen auf den Weg
gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich sind wir noch nicht am Ziel; aber die

Richtung stimmt. Das noch einmal vor dem Bundestag
erklären zu können, hat diese Aktuelle Stunde immerhin
ermöglicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406616300
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Norbert Otto.

Dr. Uwe-Jens Rössel






(B)



(A) (C)



(D)



Norbert Otto (CDU):
Rede ID: ID1406616400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Mitglieder der Regie-
rungsfraktionen, mit wachsender Verwunderung können
wir beobachten, wie Sie es seit einem Jahr kontinuierlich
schaffen, sozialdemokratische Grundsätze über Bord zu
werfen. Daß Sie dabei ein großes Stück Ihrer Identität
aufgeben und eine große Masse von Stammwählern ver-
prellen und verlieren, kann uns als CDU/CSU nur recht
sein. Relativ egal könnte uns auch sein, daß Sie mit Ihrer
Politik schamlos die eigenen Wahlzusagen brechen. Be-
dauerlich und vor allen Dingen ärgerlich ist es aber, daß
Sie mit Ihrer Wohnungspolitik einem nicht unerhebli-
chen Teil der Bevölkerung und vor allem der deutschen
Wirtschaft massiv schaden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die jüngst beschlossenen Kürzungen im Bereich des
sozialen Wohnungsbaus sind ein gutes Beispiel dafür.

Einst stand doch der soziale Wohnungsbau im Mit-
telpunkt Ihrer Wohnungspolitik. Die Fakten sehen in-
zwischen so aus: Kürzungen um 250 Millionen DM im
ersten rotgrünen Jahr, 750 Millionen DM weniger im
zweiten Jahr und im dritten rotgrünen Jahr sogar
900 Millionen DM weniger Fördermittel, sofern Sie die-
ses Jahr als Koalition überhaupt noch erreichen. Summa
summarum kürzen Sie die Mittel für den sozialen Woh-
nungsbau also innerhalb von drei Jahren um knapp
2 Milliarden DM. Statt der versprochenen Erhöhung der
Mittel bedeutet dies eine Halbierung der Mittel gegen-
über dem letzten Haushaltsplan der Regierung Kohl. Sie
würgen mit diesen Kürzungen ebenso wie mit der Redu-
zierung der Eigenheimförderung nicht nur die Baukon-
junktur ab, Sie verringern damit langfristig auch den Be-
stand an bezahlbarem Wohnraum für einkommens-
schwache Personen und Familien. Ist das sozialdemo-
kratische Politik?

Sie wissen genauso gut wie wir, daß die aktuellen
wohnungspolitischen Probleme in den Wohnungsbe-
ständen und im Auftreten sozialer Erosion in den Wohn-
siedlungen liegen. Durch das Auslaufen der Bindungs-
fristen sinkt der Bestand an Sozialwohnungen jährlich
um 100 000 Einheiten. Preiswerte und bezahlbare Miet-
wohnungen werden in den nächsten Jahren Mangelware.
Weil das so ist, ist Ihr Instrument der drastischen För-
dermittelkürzung insbesondere in den neuen Bundeslän-
dern ein vollkommen falscher Ansatz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Hören Sie doch auf die Stimmen der Experten der Bau-
und Wohnungsbranche. Der GdW, der heute schon
mehrfach angesprochen wurde, hat vor wenigen Tagen
mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, in
der die Bundesregierung dringend davor gewarnt wird,
den sozialen Wohnungsbau Schritt für Schritt zurückzu-
fahren oder gar ganz auf ihn zu verzichten. Der Direktor
des Deutschen Mieterbundes spricht angesichts Ihrer
Pläne sogar von einem Aus des sozialen Wohnungsbaus.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in den nächsten
Tagen werden wir, die CDU/CSU-Fraktion, einen An-
trag zur Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes

einbringen. Staatssekretär Großmann hat schon darauf
hingewiesen, daß wir mit diesem Antrag eine Entlastung
der Wohnungsunternehmen in den neuen Ländern errei-
chen wollen. Die verhaltene Wirtschaftsentwicklung und
ein teilweise spürbarer Bevölkerungsrückgang haben
dazu geführt, daß insbesondere in strukturschwachen
Regionen ein erheblicher Wohnungsleerstand zu ver-
zeichnen ist. Leerstandsquoten von deutlich über
10 Prozent sind inzwischen keine Seltenheit. In nicht
wenigen Fällen stehen sogar 20 Prozent des Wohnungs-
bestandes leer. Viele der betroffenen Unternehmen ha-
ben daher große Probleme, ihre Altschulden zu bedie-
nen. Das bedeutet auch, daß die Unternehmen im Mo-
ment noch auf zum Teil dringende Sanierungs- und Mo-
dernisierungsmaßnahmen verzichten müssen. Anstatt
diese schwierige Umorientierungsphase durch weitere
Kürzung der Fördermittel unnötig zu verlängern, erwar-
ten wir von der Bundesregierung, daß den Unternehmen
eine weiterer Teilerlaß bei den Altschulden gewährt
wird. Dadurch wird sowohl den Unternehmen als auch
den potentiellen Wohnungskäufern geholfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich wollen wir keine Rückabwicklung des Alt-
schuldenhilfe-Gesetzes, wie von der PDS schon vor ei-
niger Zeit und jetzt wieder in einem zweiten Antrag et-
was moderater gefordert wurde. Nein, das geht nicht,
das würden unsere Wohnungsunternehmen in dieser Art
auch gar nicht wollen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungs-
koalition, Mitglieder der Bundesregierung haben wie-
derholt die Umsetzung entsprechender Zusagen in der
Koalitionsvereinbarung in Aussicht gestellt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406616500
Kollege Otto, auch
Sie müssen zum Schluß kommen.


Norbert Otto (CDU):
Rede ID: ID1406616600
Ja, ich komme
zum Schluß. – Geschehen ist bisher noch nicht viel. Statt
mit der Axt zu einem Kahlschlag bei der Wohnungsbau-
förderung anzusetzen, sollte die Bundesregierung lieber
die vorhandenen Mittel zielgerichteter und sinnvoller
einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406616700
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Spanier.


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1406616800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich
zum einen bei der PDS für die Beantragung der heutigen
Aktuellen Stunde, zum anderen aber auch bei dem ge-
mischten Chor der Kritiker unserer Wohnungspolitik –
von Herrn Dr. Kansy bis zu Frau Ostrowski – bedanken,
weil ich die Gelegenheit habe, im Deutschen Bundestag
öffentlich darauf aufmerksam zu machen, daß wir im
Bereich der sozialen Wohnungspolitik in diesen Tagen
einen ganz entscheidenden Reformschritt nach vorne






(A) (C)



(B) (D)


machen. Der GdW hat nämlich recht, wenn er sagt: Das
Wohngeld ist und bleibt das zentrale Steuerungsinstru-
ment in der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft. – Ge-
nau an diesem Punkt setzen wir an; genau dieses Instru-
ment wollen wir wieder treffsicher und wirksam ma-
chen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben eine Wohngeldnovelle vorgelegt, die nicht

nur mehr Geld, nämlich 1,4 Milliarden DM, bereitstellt,
was in diesen Zeiten – das ist allen in diesem Parlament
klar – ein finanzieller Kraftakt ist. Daß dies der PDS
zuwenig ist, ist völlig klar. Sie verfahren ja grundsätz-
lich nach dem Prinzip: Wir wollen alles und von allem
noch ein bißchen mehr. Diesen Weg können wir natür-
lich nicht gehen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben, wie gesagt, nicht nur mehr Geld bereitge-

stellt, sondern wir haben auch die qualitativen Reform-
schritte endlich durchgesetzt, die wir gemeinsam – über
alle Fraktionsgrenzen hinweg – seit Jahren gefordert ha-
ben. Wir haben jetzt endlich ein einheitliches Wohngeld.
Wir haben die Einkommensgrenzen und die Miet-
höchstbeträge angehoben. Wir haben eine deutlich stär-
kere Familienkomponente eingeführt. Wir haben es so-
gar geschafft, eventuelle Minderungen des Wohngeldes
in den neuen Bundesländern – dort gab es im Vergleich
zu den alten Bundesländern bislang ein deutlich höheres
Wohngeld – durch eine Härtefallregelung auszuglei-
chen.


(Beifall bei der SPD)

Dies müßte geradezu das Entzücken der F.D.P. her-

vorrufen: Wir haben es endlich geschafft, das Wohn-
geldgesetz deutlich zu vereinfachen. Wir haben die teil-
weise Gleichstellung von Wohn- und Wirtschaftsge-
meinschaften mit Familien erreicht. Folgender Punkt
findet neben vielen anderen Punkten die Zustimmung
des GdW: Wir haben nämlich das pauschalierte Wohn-
geld den Ländern und Kommunen zugeordnet. Der
GdW sagt dazu – ich möchte ihn ausdrücklich zitieren –:
„Dies ist ordnungspolitisch vom System her wün-
schenswert.“


(Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Aber nur mit Gegenfinanzierung!)


Wichtig ist natürlich der finanzielle Ausgleich. Ich
bitte Sie, schlicht und einfach in unser Haushaltskonso-
lidierungsgesetz hineinzuschauen. Gerade Sie von der
CDU/CSU und der F.D.P. haben hier eine große politi-
sche Mitverantwortung im Bundesrat, auf die Sie der
GdW hinweist. Auf Ihre Unterstützung kommt es an,
daß nach 1991 endlich wieder eine Wohngeldnovelle
wirksam wird.


(Beifall bei der SPD)

Sie sollten sich in diesem Zusammenhang einmal ge-

fälligst an Ihre Wahlversprechen erinnern.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Aber nicht zu Lasten der Gemeinden!)


Sie haben es gerade den einkommensschwachen Miete-
rinnen und Mietern klar in die Hand versprochen, daß es
eine Wohngeldverbesserung geben wird. Inhaltlich lie-
gen wir also überhaupt nicht auseinander. Ich habe in
der Ausschußberatung von Ihrer Seite kein entsprechen-
des Gegenargument gehört.


(Beifall bei der SPD)

Ich sage nun: Butter bei die Fische und im Bundesrat

keine Blockade und keinen Boykott, sondern ein ge-
meinsames Auf-den-Weg-Bringen dieser Wohngeldre-
form!


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Fragen Sie doch einmal Ihre Ministerpräsidenten, solange Sie sie noch haben!)


Sie ist nämlich auch im Hinblick auf die Sozialleistun-
gen ein ganz wichtiger Schritt. Es wird oft kritisiert, daß
Sozialleistungen nicht treffsicher, nicht zielgerichtet sei-
en. Beim Wohngeld gibt es wohl keine Zweifel.


(Beifall bei der SPD)

Damit können wir denjenigen helfen, und zwar treffsi-
cher, die es am nötigsten haben.

Heute war von der Wohnungsbauförderung die Rede.
Hier sollten Sie die Objektförderung und die Subjektför-
derung – das ist doch sonst Ihr Steckenpferd – in einem
Zusammenhang sehen. Man kann diese beiden Dinge
nicht voneinander trennen. Es handelt sich hier um einen
wirklichen Fortschritt, und ich bitte Sie ganz dringend,
diesen Fortschritt nicht zu behindern.


(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen an Beispielen deutlich machen, was

Sie den Mieterinnen und Mietern vorenthalten würden.
Der Rentner oder die Rentnerin, alleinstehend, mit
1 400 DM Rente und 518 DM Mietbelastung, Mietstu-
fe 3 – ich will keine weitere Einzelheiten ansprechen –
hat in den alten Bundesländern bisher ein Wohngeld –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406616900
Herr Kollege Spa-
nier, auch Sie muß ich an die Redezeit erinnern.


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1406617000
– sofort – von 19 Mark
bekommen. Dies steigt nun auf 80 DM an. Eine Familie
mit zwei Kindern und einem Alleinverdiener mit rund
4 000 DM Bruttoeinkommen und 1 055 DM Mietbela-
stung bekam in den neuen Bundesländern bisher ein
Wohngeld von 41 DM. Nach dieser Novelle bekommt
sie ein Wohngeld von 166,25 DM. Wenn Sie dies den
Mieterinnen und Mietern vorenthalten wollen, dann
wünsche ich Ihnen auf Ihrem Weg kein Glück. Sie wer-
den aber sicherlich die Konsequenzen zu spüren be-
kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406617100
Herr Kollege Dr.
Michael Meister, Sie haben das Wort für die Fraktion
der CDU/CSU.

Wolfgang Spanier






(B)



(A) (C)



(D)



Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1406617200
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst
einmal möchte ich feststellen, daß wir heute über den
richtigen Weg in der Wohnungspolitik streiten können.
Das war in den 40 Jahren ehemaliger DDR nicht mög-
lich. Es ist ein Riesenvorteil, heute die Möglichkeit zu
haben, über den richtigen Weg zu diskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die größte Herausforderung für die Wohnungspoliti-

ker der Gegenwart ist die Überwindung der 40 Jahre so-
zialistischer Mißwirtschaft, die Sie als Antragsteller die-
ser Aktuellen Stunde zu verantworten haben. Sie stellen
uns vor diese großen Herausforderungen. Deshalb strei-
ten wir heute über die Frage, was wir leisten können und
was nicht.

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Großmann, Sie
haben hier gesagt, das Thema Energieeinsparverord-
nung stünde ganz oben auf Ihrer Agenda und Sie wür-
den dies voranbringen. Ich möchte Ihnen hier entge-
genhalten, daß das, was Sie hier leisten, der Offen-
barungseid rotgrüner Umweltpolitik ist. Seit zwölf
Monaten gibt es nichts als Ankündigungen und kei-
nerlei Vorlage. Von einer rotgrünen Bundesregierung
hätten wir in diesem zentralen Feld der Umweltpolitik
endlich Aktivitäten und Handlungen erwartet, nicht nur
Ankündigungen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Angelika Mertens [SPD]: Sie haben 16 Jahre regiert!)


Es war schon entlarvend, hier die Sprecher der SPD,
Herrn Großmann, Herrn Maaß und Herrn Spanier, ge-
hört zu haben. Diese haben sich nämlich nicht mit den
Inhalten der Wohnungsbaupolitik auseinandergesetzt,
sondern nur über allgemeine haushaltspolitische Ziel-
vorgaben diskutiert. Zukunftsweisende, gestalterische
Elemente blieben Mangelware. Seit einem Jahr warten
wir auf die Reformen, die Herr Wilhelm von der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen gefordert hat. Keine Re-
formmaßnahme ist in dieser Zeit von Ihnen auf den
Tisch gelegt worden. Das ist ein Offenbarungseid Ihrer
Wohnungsbaupolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir hören immer: Wir müssen sparen. Selbstver-

ständlich müssen wir sparen. Aber man muß sich natür-
lich die Frage stellen, wie. Herr Wilhelm hat zu Recht
darauf hingewiesen, daß nicht mit dem Rasenmäher ge-
spart werden solle. Sie aber gehen leider nicht die Kon-
sumausgaben an, sondern die Investitionen. Deshalb er-
reichen Sie möglicherweise unter rein fiskalpolitischen
Kriterien Erfolge. Sie werden aber einen riesigen Scha-
den in unserem Land anrichten, und zwar für die Bau-
wirtschaft und die Volkswirtschaft insgesamt. Die Wirt-
schaft verlangt nämlich nicht nur niedrige Zinsen und
gute Rahmenbedingungen, die noch auf unsere Verdien-
ste in der Wirtschaftspolitik zurückgehen, sondern auch
eine verläßliche Politik und verläßliche Rahmenbedin-
gungen. Wenn man Ihr Treiben in den letzten zwölf
Monaten beobachtet hat, dann kann man von vielem re-
den, aber mit Sicherheit nicht von verläßlichen Rah-
menbedingungen für die deutsche Wirtschaft. Deshalb

ist Ihnen vorzuhalten, daß Sie Attentismus in der Bau-
wirtschaft erzeugt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie haben sich in der Koalitionsvereinbarung dafür
ausgesprochen, das dritte Standbein, die private Alters-
vorsorge, stärken zu wollen. Was haben Sie im Frühjahr
getan? Sie haben den Vorkostenabzug aus dem Steuer-
gesetz gestrichen. Jetzt haben Sie vor, die Einkommens-
grenzen für die Eigenheimzulage abzusenken. Was Sie
damit tun, ist das genaue Gegenteil: Sie schwächen die
private Altersvorsorge.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Entlarvend ist auch das, was von Frau Ostrowski
nicht gesagt worden ist. Es geht hier auch um die Woh-
nungsbauförderung. Von ihr fiel kein Wort zur Eigen-
heimzulage. Was bedeutet das? Das zeigt uns ihr Ver-
ständnis von Wohneigentum. Auch das sollten wir den
Menschen in diesem Land sagen: Sie wollen kein
Wohneigentum in diesem Land. Das sollten Sie dann
aber auch offen sagen.


(Christine Ostrowski [PDS]: Sie sind ja so primitiv!)


– Nein, das ist doch Ihre klare Aussage.

(Christine Ostrowski [PDS]: Ich habe selber Wohneigentum, verdammt noch mal!)

Eine zweite Aussage möchte ich machen: Ich fand es

sehr interessant, was Frau Kollegin Iwersen hier vorge-
tragen hat. Als Herr Großmann noch Sprecher der SPD
im Bauausschuß war, war ich immer davon ausgegan-
gen, daß auch die SPD-Fraktion diese Form der Eigen-
tumsförderung und damit die Erhöhung der Wohnei-
gentumsquote anstrebt. Die Rede der Frau Kollegin
Iwersen stellte aber eine Distanzierung von diesem Ziel
dar; es war eine Abkehr von dem, was Sie in den ver-
gangenen Wahlperioden mitgetragen haben. Vielleicht
sollten Sie das einmal in Ihren eigenen Reihen ausdis-
kutieren. Sie sollten Ihr Verhältnis zur Förderung priva-
ten Wohneigentums wieder in Ordnung bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In das Ganze paßt auch hinein, was Sie aktuell disku-

tieren. Bei Ihnen wird über eine Vermögensabgabe, eine
Erbschaftsteuererhöhung und eine Vermögensteuer dis-
kutiert. Ihr Fraktionsvorsitzender, Kollege Struck, sagt,
man müsse die Erbschaftsteuer erhöhen. Aus derselben
Fraktion kommt von Herrn von Larcher der Vorschlag,
die Freigrenze für privates Wohneigentum bei
300 000 DM zu ziehen. Meine Damen und Herren, ma-
chen Sie sich einmal klar, was das bedeutet! Wen wollen
Sie damit eigentlich noch dazu bekommen, privates
Wohneigentum zu bilden?

Dann kommt in diesem wunderbaren Zusammenhang
der weitere Vorschlag, darüber nachzudenken, ob man
nicht die Eigenheimzulage in einigen Jahren zurück-
zahlen solle. Meine Damen und Herren, wen wollen Sie
mit solchen Aussagen dazu ermutigen, Wohneigentum






(A) (C)



(B) (D)


zu bilden? Wer soll unter solchen Umständen noch Geld
in die Hand nehmen und investieren? Das habe ich mit
Attentismus gemeint. Sie sollten endlich begreifen, was
Sie hier anrichten, und Schaden von diesem Land ab-
wenden.

Danke sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406617300
Letzte Rednerin in
dieser Aktuellen Stunde ist die Kollegin Angelika Mer-
tens, SPD-Fraktion.


Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1406617400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Es ist schon sehr erstaunlich, daß
PDS, CDU/CSU und F.D.P. hier gemeinsam als Robin
Hood verkleidet auftreten. Alle drei Parteien haben in den
letzten Jahren – jede auf ihre Weise – Verantwortung ge-
tragen. Es wäre letztlich ehrlicher, hier nicht als Robin
Hood, sondern Sheriff von Nottingham aufzutreten.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte zur Einordnung die Frage aufwerfen, wer

warum kritisiert. Ich habe mir nämlich angewöhnt, Kri-
tik danach zu beurteilen, ob sie sich erstens im Bereich
der Weltuntergangsszenarien bewegt. Ein Szenario ist,
daß Hunderttausende von Arbeitsplätzen gefährdet sind.
Rechnet man einmal zusammen, welche Zahlen uns
beim Steuerentlastungsgesetz 1999 begleitet haben,
dann müßten wir uns heute in einem Zustand kurz nach
dem Untergang der „Titanic“ befinden. Das Gegenteil
ist aber der Fall. Die Prognosen für das nächste Jahr sind
übereinstimmend gut, und in diesem Jahr war es so
schlecht auch nicht. Mit unserem Mix aus Angebots-
und Nachfragepolitik sind wir auf dem richtigen Weg.


(Beifall bei der SPD)

Eine zweite Variante der Kritik ist, daß man als Ver-

bandsvertreter oder Lobbyist die Aufgabe hat und in der
Regel auch dafür bezahlt wird, möglichst viele der eige-
nen Vorstellungen durchzusetzen. Je nach Tempera-
ment, Muskeln und eigenem Status kann man das als
angenehm oder weniger angenehm empfinden. Damit
haben wir in 50 Jahren Bundesrepublik umzugehen ge-
lernt.

Drittens stelle ich die Frage, ob partikular kritisiert
wird oder ob der Kritiker bzw. die Kritikerin bereit ist,
auch andere Bereiche als nur den eigenen einzubezie-
hen. Eine Kritik, die gleichzeitig die gesellschaftlichen
und finanziellen Verhältnisse berücksichtigt, nehme ich
sehr wohl ernst. Die Gesellschaft differenziert sich im-
mer mehr; man könnte vielleicht auch sagen, daß sie
immer ausdifferenzierter wird. Dieser Zustand bringt
uns nicht nur Probleme, sondern auch eine Menge an
Möglichkeiten, das Leben zu gestalten. Als Politiker und
Politikerinnen müssen wir, wenn wir wollen, daß die
Menschen in dieser Gesellschaft miteinander und nicht
gegeneinander leben, die Ausdifferenzierungen aufneh-
men, nicht aber die Partikularinteressen. Um das umzu-
setzen, müssen wir Konzepte für die verschiedenen Pro-
blemlagen anbieten. Das letzte Jahr hat mir jedenfalls

gezeigt, daß es bei den geäußerten Kritiken und neuen
Forderungen ratsam ist, eine Art Diskrepanzanalyse vor-
zunehmen.

Wir haben einige Grundsatzentscheidungen getroffen,
die wir für richtig halten, weil sie gesellschaftspolitisch
wichtig sind und die Verteilung von unten nach oben
korrigieren. Wir haben zum Beispiel die Spekulations-
fristen verlängert, weil es nicht vertretbar ist, de facto
keine Besteuerung realisierter Wertzuwächse im Privat-
vermögen vorzunehmen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben die vollständige Verrechnung von Einkünften
aus Vermietung und Verpachung mit den Einkünften
anderer Art beschnitten, weil es nicht gerechtfertigt ist,
in dieser Höhe alle Steuerzahler an der Vermögensbil-
dung einzelner zu beteiligen. Und wer hätte das gedacht:
Die Welt ist nicht untergegangen. Der Rückgang beim
Wohnungsbau hat sehr, sehr wenig mit dem Steuerentla-
stungsgesetz, aber sehr viel mit der Marktlage und mit
der individuellen Kaufkraft zu tun.


(Iris Gleicke [SPD]: Ja, so ist das!)

Wohnungspolitik muß im übrigen in erster Linie der

Versorgung in quantitativer und qualitativer Hinsicht
dienen, nicht aber der individuellen Vermögensbildung.
Was die individuelle Vermögensbildung angeht, so ist es
durchaus vertretbar, selbstgenutztem Eigentum Vorrang
vor dem Immobilieneigentum zu geben. Der Anteil des
Immobilieneigentums liegt im übrigen sehr viel höher
als der Anteil des selbstgenutzten Eigentums, nämlich
bei ungefähr 53 Prozent im Westen und bei immerhin
36 Prozent im Osten.

Es ist vielfach auf den Entschließungsantrag des
GdW Bezug genommen worden, der anläßlich des Ver-
bandstages am 27. Oktober in München verabschiedet
worden ist. Ich möchte zum Schluß an Hand des Antra-
ges durchgehen, was dieser Verband eigentlich fordert.
Er fordert eine Anpassung und eine Reform in fast allen
gesellschaftlichen Bereichen. Da kann ich nur sagen:
D'accord; da sind wir auf dem Weg. Er sagt: Subventi-
onsabbau ist kein Selbstzweck. – Auch wir sagen das.
Aber wir sind übrigens auch nicht diejenige Partei, die
sagt: Nur eine nicht vorhandene Subvention ist eine gute
Subvention. – Ferner fordert er, überforderte Nachbar-
schaften als Herausforderung für Wohnungsunterneh-
men und die Wohnungspolitik zu begreifen. Wir sind
mit dem Programm „Soziale Stadt“ auf dem richtigen
Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir verfolgen dabei einen neuen Politikansatz, der inte-
grativ ist und der uns in diesem Bereich auch wirklich
weiterbringt. Er fordert außerdem, daß die soziale Stadt
mit Priorität weiter ausgebaut werden soll. Das können
wir demnächst alle gemeinsam beschließen. Dann for-
dert er eine Wohngelderhöhung. Wir sagen dazu: Das ist
zwingend erforderlich.

Ich will Ihnen, Dr. Kansy, einmal etwas sagen: Ich
glaube, Ihre Verbitterung kommt daher, daß Sie das in
zehn Jahren nicht geschafft haben. Ich habe Ihr Verhalten

Dr. Michael Meister






(B)



(A) (C)



(D)


im Ausschuß mitbekommen. Es war auch ein bißchen
schwierig für Sie. Sie haben sich jedesmal die Zähne aus-
gebissen, und dann kommen drei Mädels, Gleicke, Eich-
städt-Bohlig, Mertens, und machen zusammen mit Groß-
mann, Heyer, Mittler und mit Vesper eine Wohngeldre-
form. Das muß bitter für Sie sein. Aber ich denke, die Re-
gelungen beim Tabellenwohngeld, die wir jetzt hinbe-
kommen haben, können auch Sie unterstützen.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406617500
Frau Kollegin Mer-
tens, Sie müssen zum Schluß kommen.


Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1406617600
Gut.

Wir könnten jetzt auch die weiteren Punkte durchge-
hen. 95 Prozent sind es vielleicht nicht, aber 90 Prozent
dessen, was der GdW fordert, können auch wir fordern.

Die PDS sollte mit ihren Forderungen nach mehr
Geld aufhören. Geld allein macht nicht glücklich; das
erzählen Sie uns ebenfalls immer. Ich erwarte von Ihnen
auch mehr Konzepte, soweit Sie das bei Ihrer Scheu-
klappenpolitik überhaupt leisten können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406617700
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zu der heute morgen unterbrochenen Beratung des Ent-
wurfs des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Kran-
kenversicherung ab dem Jahr 2000 zurück. Es ist ein
Antrag der Fraktionen der F.D.P. und der CDU/CSU auf
Vertagung der Beratung auf morgen angekündigt wor-
den.

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege Jörg
van Essen, F.D.P.-Fraktion.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1406617800
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir haben vorhin im Ältestenrat
den Antrag gestellt, heute abend nicht wieder in die De-
batte zur Krankenversicherung einzutreten


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

und statt dessen morgen früh zu Beginn der Tagesord-
nung die namentliche Abstimmung durchzuführen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Lächerlich!)

Warum haben wir diesen Vorschlag gemacht, der lei-
der von den Koalitionsfraktionen abgelehnt worden ist?


(Dr. Peter Struck [SPD]: Zu Recht!)

Sie haben heute morgen mitbekommen, daß sich im
Laufe der Beratung herausgestellt hat, daß in der Bera-
tungsunterlage Fehler sind.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Pfusch am Bau!)


Wir haben deshalb auch die Sondersitzung des Ältesten-
rates gehabt. In dieser Sitzung habe ich vorgeschlagen,
daß die Vorlage noch einmal durchgegangen wird,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wenigstens das!)


weil es nämlich Indizien dafür gab, daß sich noch wei-
tere Fehler finden würden. Wir alle kennen die Gründe,
nämlich die schnelle Beratung, die ständigen Ände-
rungsanträge, die in die Ausschüsse gegangen sind.

Wie berechtigt dieser Verdacht war, hat sich gezeigt,
als auf Vorschlag des Bundestagspräsidenten eine Son-
dersitzung des Gesundheitsausschusses stattfand, in der
ein weiterer Fehler, nämlich betreffend die Knapp-
schafts- und Seeschiffahrtsversicherung, entdeckt wur-
de, der beseitigt werden kann.

Nachdem schon bei dieser kursorischen Beratung ein
weiterer Fehler festgestellt wurde, haben wir das Gefühl,
daß es Sinn macht, daß das Ausschußsekretariat in Zu-
sammenarbeit mit den Mitarbeitern des Gesundheitsmi-
nisteriums – denn immerhin handelt es sich um einen
Gesetzesvorschlag der Bundesregierung – noch heute
abend sorgfältig prüft, ob weitere Fehler vorliegen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

So hätte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses
morgen früh die Möglichkeit, auf die redaktionellen
Fehler hinzuweisen. Wir sind durchaus offen dafür, daß
Sie, Herr Kirschner, diese Gelegenheit ergreifen. Das
macht deutlich, daß wir nicht Tricks anwenden,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir heute morgen gesehen!)


daß uns nicht an einer Verzögerung gelegen ist, sondern
daran, daß wir eine klare und eindeutige Beratungs-
grundlage haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich bedauere sehr, daß die Koalitionsfraktionen die-

sem vernünftigen Kompromißvorschlag nicht folgen.
Wenn Sie dagegen stimmen, hat das im übrigen eine
klare Konsequenz: Sie tragen die Verantwortung, daß
die Beratungsgrundlage, über die wir abstimmen, tat-
sächlich in Ordnung ist. Wir werden Sie da in die Ver-
antwortung nehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406617900
Kollege Wilhelm
Schmidt, Sie haben das Wort für die SPD-Fraktion.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das Gesetz ist Beweis für rotgrünes Chaos!)



Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1406618000
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich ha-
be mir gerade das Protokoll der Debatte von heute mor-
gen geben lassen und will noch einmal auf folgendes
hinweisen: Der Ausschußvorsitzende Herr Kirschner hat
vor diesem Hause vorgetragen, daß sich die Fehler auf

Angelika Mertens






(A) (C)



(B) (D)


den Seiten 152 sowie 394/395 – einschließlich der In-
krafttretensvorschrift – der Beschlußempfehlung als
Fehler der Übermittlung zwischen Ausschußsekretariat
und Druck darstellen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Fehler sind – das hat sich heute nachmittag in der
Sondersitzung des Gesundheitsausschusses eindeutig
gezeigt – nur technischer und redaktioneller Art. Sie än-
dern am Charakter, am Inhalt des Gesetzes nicht im ent-
ferntesten etwas.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie haben uns doch gehindert, überhaupt zu fragen!)


Darum ist all das, was die Opposition hier gerade ver-
sucht, nur als Geschäftsordnungstrick zu bezeichnen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Von wegen!)


Wir werden uns das nicht bieten lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ist doch lächerlich!)


Wenn Herr van Essen, der sich als Handlanger für die
ganze Geschichte hergegeben hat


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


– wir können das genauso wie Sie –, so tut, als habe er
Verantwortung für dieses Gesetz zu übernehmen,


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das würde ich nie wollen! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er wurde getäuscht! Dabei hat er selber getäuscht!)


dann ist das heuchlerisch. Das hat die F.D.P. niemals
vorgehabt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben heute nachmittag in der Sondersitzung des
Gesundheitsausschusses und in der Sitzung des Älte-
stenrates – das kann ich ganz leidenschaftslos berichten
– festgehalten, daß nicht eine einzige Vorschrift der Ge-
schäftsordnung eine Grundlage dafür bieten würde, den
Gesetzgebungsgang aufzuhalten.


(Rudolf Dreßler [SPD]: Sehr richtig!)

Weder § 122 unserer Geschäftsordnung noch § 86 unse-
rer Geschäftsordnung können herangezogen werden,
weil es sich eben nur um einen redaktionellen, einen
technischen Fehler handelt


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie wissen doch gar nicht, wie viele!)


und weil wir nicht im entferntesten Gefahr laufen, dem
Willen, den die Ausschußmehrheit im Gesundheitsaus-

schuß zum Ausdruck gebracht hat – und der ansonsten
eindeutig aus der Beschlußempfehlung, die hier vorliegt,
hervorgeht –, nicht zu entsprechen.


(Rudolf Dreßler [SPD]: Sehr wahr!)

Es ist klar, meine Damen und Herren, liebe Kollegin-

nen und Kollegen, daß, wie Herr Kirschner heute mor-
gen gesagt hat, in der Ausschußberatung zwei Anträge
zurückgezogen worden sind.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Inzwischen drei!)

– Nein, nein, das andere ist die Inkrafttretensvorschrift.
Sie gehört zum zweiten Punkt. Sie müßten eben wissen,
worum es geht. Dann können Sie sich auch Ihre Zwi-
schenrufe sparen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Insofern ist klar gewesen, daß diese Vorschriften he-
rausgenommen werden sollten. Wir wollten damit übri-
gens allen am Verfahren Beteiligten, auch Ihnen, einen
Schritt entgegenkommen. So ist auch klar, daß damit der
Wille zumindest der Mehrheit des Hauses dargestellt
worden ist.

Daher sehen wir überhaupt keine Möglichkeit, in die-
ser Frage heute noch einmal den von Ihnen, wie ich finde,
vordergründig vorgetragenen Argumenten Rechnung zu
tragen. Wir wollen auch nach außen hin überhaupt nicht
den Eindruck entstehen lassen, wie Sie ihn offensichtlich
zu erwecken versuchen, als sei hier schlampig gearbeitet
worden. Hier ist nicht schlampig gearbeitet worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Dabei bleibt es. Das ist festgestellt worden. Darum
wollen wir, daß noch heute abend namentlich abge-
stimmt wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406618100
Das Wort hat der
Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1406618200
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind auf
dem besten Weg, uns als Parlament bis auf die Knochen
zu blamieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wegen Ihrer Anträge!)


Noch hat die Koalition es in der Hand, dies zu verhin-
dern. Wir haben dazu ein Angebot gemacht.


(Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,

mein Fraktionsvorsitzender Wolfgang Schäuble hat
heute früh in seiner Rede deutlich gemacht, daß es sich

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)







(B)



(A) (C)



(D)


bei diesem Thema um ein außerordentlich sensibles
Thema handelt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sollten Sie mal beherzigen!)


Wo, wenn nicht bei der Gesundheit, sind die Menschen
ganz unmittelbar, existentiell berührt? Weil dem so ist,
hat jeder, der politische Verantwortung trägt, dafür zu
sorgen, daß gerade auf diesem Gebiet mit allergrößter
Sorgfalt gearbeitet wird. An dieser Sorgfalt mangelt es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Verehrter Kollege Schmidt, Sie haben soeben gesagt,

wir wollten nur den Gang des Verfahrens aufhalten.

(Zurufe von der SPD: So ist es!)


Wir haben im Laufe dieser Woche, obgleich es uns sehr
schwergefallen ist, erklärt, daß wir auf eine Fristeinrede
verzichten, damit heute dieses Gesetz gelesen werden
kann, weil dies Ihr Wunsch war.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: So ist es!)


Wir haben also niemandem Steine in den Weg gelegt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Aber was ist das Ergebnis? Das Ergebnis ist,

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Pfusch!)

daß wir seit letzter Woche bis zum gestrigen Tag – ge-
stern noch einmal 60 Seiten Änderungsanträge – 510
Seiten Änderungsanträge zu diesem Gesetz bekommen
haben, die der Beratung zugeführt werden mußten. Dar-
über hinaus haben wir eine Beschlußempfehlung und
den Bericht von zusammen immerhin auch über
500 Seiten bekommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Ko-
alition, der Bericht und die Beschlußempfehlung sind
heute früh den Berichterstattern der CDU/CSU- und der
F.D.P.-Fraktion zugestellt worden. Kollege Kirschner hat
im Ältestenrat selbst eingeräumt, daß auch er sehr kurzfri-
stig, nämlich erst heute, diesen Bericht bekommen habe.


(Zuruf des Abg. Klaus Kirschner [SPD])

– Das ist bis heute von den beiden Berichterstattern
nicht unterschrieben worden.

Während der Beratung heute vormittag haben Kolle-
gen aus meiner Fraktion und aus der F.D.P.-Fraktion
zwei Fehler festgestellt. Wir haben mit Ihnen darüber
gesprochen. Wir wären sogar bereit gewesen, diese
Fehler zu heilen. Dazu gibt es geschäftsordnungsmäßige
Möglichkeiten. Plötzlich haben wir aber gemerkt, daß es
in diesem Zusammenhang noch andere Unsicherheiten
gibt. Deshalb haben wir dann den Ältestenrat angerufen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir haben
im Ältestenrat auf Vorschlag des Herrn Bundestagsprä-
sidenten, weil wir alle der Meinung waren, daß es hier
Klärungsbedarf gebe, beschlossen, diesen Bericht noch
einmal an den Gesundheitsausschuß zurückzuverweisen,

um mögliche Unstimmigkeiten, Ungereimtheiten aus-
zumerzen.

Der Sachverhalt war wie folgt: Als unsere Kollegen
im Gesundheitsausschuß in die Diskussion eintreten und
im Auftrag des Ältestenrates eine kursorische Durch-
sicht vornehmen wollten, kam ein Geschäftsordnungs-
antrag der SPD, der lautete: Schluß der Debatte.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Mißbrauch des Ältestenrates! – Klaus Kirschner [SPD]: Das ist Filibustern!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben
damit nicht nur dem Vorschlag des Bundestagspräsi-
denten, sondern auch dem Vorschlag und der Bitte des
Ältestenrates eklatant widersprochen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Klaus Kirschner [SPD]: So ein Quatsch! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)


Im Laufe des Verfahrens sind zwei weitere Mängel
offenkundig geworden, die ebenfalls noch nicht ausge-
räumt sind. Verehrte Frau Präsidentin, bei einem so
wichtigen Thema muß das Hohe Haus doch wissen,
worüber es abstimmt! Hier haben wir Klärungsbedarf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie wollen das nur nicht wahrhaben!)


Wir haben deshalb ein weiteres Angebot gemacht.
Das lege ich jetzt auch hier auf den Tisch, um keinerlei
Legendenbildung zuzulassen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr vordergründig!)


Der Präsident war der Meinung, wir sollten die Beratung
in der nächsten Woche fortführen. Das war der Vor-
schlag des Präsidenten.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Mein Vorschlag war: Wir nehmen trotz bestimmter
Bedenken § 122 der Geschäftsordnung zur Hand und
sorgen noch heute abend für eine Klärung, indem sich
der Ausschußvorsitzende, Vertreter des Ministeriums
und unsere Obleute noch einmal zusammensetzen und
für Rechtsklarheit sorgen. Dann sind wir bereit, morgen
die zweite und dritte Lesung durchzuführen. Dies ent-
spräche einer Heilung gemäß § 122 der Geschäftsord-
nung.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist gar nicht nötig, wie Sie wissen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406618300
Herr Kollege Repnik,
ich muß Sie leider an Ihre Redezeit erinnern.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1406618400
Nach einigen we-
nigen Anmerkungen, Frau Präsidentin, bin ich am
Schluß.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir haben hier eine Geschäftsordnung!)


Hans-Peter Repnik






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, der eigentliche Grund,
weshalb heute abgestimmt werden muß und nicht mor-
gen abgestimmt werden soll, ist der, daß Sie sich mor-
gen Ihrer Mehrheit nicht sicher sind. Deshalb zwingen
Sie uns in dieses Verfahren.


(Lachen bei der SPD – Beifall bei der CDU/ CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach du lieber Gott!)


Abschließend möchte ich nur sagen: Sie haben mit
einer unglaublichen Arroganz der Mehrheit einmal mehr
versucht, Ihre Unfähigkeit zu vertuschen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie reihen dieses Gesundheitsgesetz in eine Fülle von
Peinlichkeiten ein: 630-Mark-Gesetz, Scheinselbstän-
digkeit, Renten- und Steuerreform.


(Zurufe von der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406618500
Herr Kollege Rep-
nik!


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1406618600
Dazu kommt jetzt
noch die Gesundheitsreform.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geschäftsordnung!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406618700
Herr Kollege Repnik,
das ist eine Geschäftsordnungsdebatte, in der – das wis-
sen Sie am besten – die Redezeit fünf Minuten beträgt.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1406618800
Wir unterstützen
den Antrag und bitten Sie darum,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unverschämt! Eine blanke Heuchelei, was Sie da machen!)


unser Angebot anzunehmen,

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zieht nicht mehr! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ein heuchlerisches Angebot!)


morgen zu beraten und abzustimmen. Wir stehen zu die-
sem Wort.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach hören Sie doch auf!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406618900
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Parlamentari-
sche Geschäftsführerin, Frau Kollegin Kristin Heyne.


Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406619000
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege
Repnik, lieber Kollege van Essen, ich bin sehr beruhigt,

feststellen zu können, daß Sie die Geschäftsordnung ge-
nauso auslegen wie wir, daß Sie beide bestätigen, daß
das Verfahren, das hier stattfindet, in keiner Weise ge-
gen die Geschäftsordnung verstößt. Darüber bin ich sehr
beruhigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es hat in diesem Bericht einige kleine Übertragungs-
fehler gegeben. Alle diese Übertragungsfehler haben mit
wenigen Änderungen zu tun, die gestern im Ausschuß
vorgenommen wurden. Übrigens ist es ein Zeichen für
die Ernsthaftigkeit des Verfahrens, daß wir diskutieren
und auch ändern. Diese Fehler haben alle mit diesem
kleinen engen Bereich der Änderungen von gestern zu
tun. Das heißt, es gibt jetzt überhaupt keinen Anlaß, alle
Seiten zu wälzen und zu hoffen und zu glauben, es möge
sich noch ein weiterer Fehler finden. Das ist Ihnen seit
heute morgen nicht gelungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Doch!)


Bitte, seien Sie doch nicht so vergeßlich. Sie kennen
das Regierungsgeschäft. Denken Sie an das Verkehrs-
wegeplanungsgesetz in der letzten Legislaturperiode.
Wie viele Änderungen daran haben Sie hier noch münd-
lich vorgetragen!

Es ist ein ganz normaler Prozeß: Es gibt bei 500 Sei-
ten starken Berichten Übertragungsfehler. Die Ge-
schäftsordnung sieht vor, wie man damit umgeht und
wie man das korrigiert. Das ist ein völlig normales Ver-
fahren. Wir hätten, so wie es in der Geschäftsordnung
vorgesehen ist, die Änderungen ganz normal vortragen
lassen können, und wir hätten beschließen können. Daß
Sie den Ältestenrat an so einer Stelle einberufen, ist, wie
wenn man mit Kanonen auf Spatzen schießt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Ihnen wäre es ohne Ältestenrat lieber, das weiß ich!)


Kollege Repnik, Sie haben gut und eindrücklich vor-
geführt, worum es Ihnen geht, wenn Sie über die Be-
deutung dieses Gesetzes sprechen. Es ist richtig: Dieses
Gesetz ist wichtig. Aber hier ging es um eine rein tech-
nische Frage, um keine politische und um keine inhaltli-
che. Die Inszenierung, die wir heute erlebt haben, dient
dazu, zu verunsichern und den Eindruck zu erwecken,
daß mit diesem Gesetz irgend etwas problematisch ist.
Das ist nicht der Fall. Das wissen Sie ganz genau.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben in der Runde der Parlamentarischen Ge-
schäftsführer sehr einvernehmlich beschlossen, daß wir
gerne morgen hochaktuell – daran sind die Opposition
und wir interessiert – über die Klimakonferenz disku-
tieren werden. Uns wird ein ganz aktueller Bericht über
die dortigen Geschehnisse vorgetragen. Deswegen wa-
ren wir gemeinsam der Meinung, daß es gut ist, nicht
morgen bis in den späten Abend zu tagen, sondern die

Hans-Peter Repnik






(B)



(A) (C)



(D)


Themen aufzuteilen und morgen über die Klimakon-
ferenz, die erst heute beendet wird, zu diskutieren. Ich
finde es gut, daß wir uns in dieser Runde einigen
konnten. Ich denke, das sollten wir auch weiterhin so
handhaben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
kann Ihnen einen Verdacht nicht ersparen: Wenn Sie so-
viel Wert auf die Geschäftsordnung legen, dann soll das
doch nur überdecken, daß Sie in der ganzen Debatte
heute keinerlei Alternativen zu diesem Gesetzentwurf
aufgezeigt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben heute einen guten Gesetzentwurf vorge-
legt,


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


der durch Integration und durch Vorsorge das Angebot
verbessert. Dieses Gesetz wird es ermöglichen – das ist
auch Ihr erklärtes Ziel –, die Kostensteigerungen zu be-
grenzen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406619100
Frau Kollegin Hey-
ne, das ist eine Geschäftsordnungsdebatte.


Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406619200
Ich
werde Ihnen klarmachen, warum ich das sagen muß.

Schließlich – das ist das Wichtigste –: Dieses Gesetz
stärkt die Patienten. Deswegen empfehle ich Ihnen: Las-
sen Sie uns jetzt abstimmen! Stimmen Sie diesem Ge-
setz zu! Es ist ein gutes Gesetz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406619300
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat der Kollege Roland Claus.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406619400
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Wie alle Fraktionen hat es sich auch
unsere Fraktion bei dieser Entscheidung nicht leichtge-
macht. Sie werden bei der Abstimmung merken, daß wir
nicht den für uns leichtesten Weg gehen wollen. Inso-
fern ist es schwierig, daß jetzt noch eine solche Verfah-
renskomplizierung eintritt.

Ich will Ihnen eines sagen: Aus unserer Sicht handelt
es sich nicht um ein Zeitproblem. Die Frage ist nicht
mehr, ob man diesen Gesetzentwurf heute abend oder –
nach einiger Einsicht – morgen früh abschließend be-
handelt. Es schmerzt mich ein wenig, sagen zu müssen:
Das eigentliche Problem besteht im mangelnden Grund-
vertrauen in den Umgang miteinander. Zu diesem Pro-

blem haben insbesondere die großen Fraktionen einiges
beigetragen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich will deutlich sagen: Nicht nur die Opposition,

sondern auch die Koalition und die Bundesregierung ha-
ben uns in dieser Debatte wirklich einiges zugemutet.
Sie, die Mitglieder von Koalition und Bundesregierung,
haben sich auch selbst einiges zugemutet. Ich meine, Sie
wissen das auch. Sie müssen nicht mit den Muskeln und
mit den Mehrheiten spielen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wenn Ihnen die CDU/CSU vorwirft, Sie kämen mit

solchen Paketen immer so kurzfristig, dann sagen Sie
ständig: Das haben Sie früher auch so gemacht! Sie den-
ken, Sie haben damit ein Argument. Ich finde, das macht
es aber nicht besser. Sie kritisieren doch, daß das früher
so gemacht wurde.


(Beifall bei der PDS)

Über die Situation ist hier schon geredet worden.

Man hätte einen Korrekturversuch unternehmen können.
Die Koalition hat sich jetzt einer Interpretation zuge-
wandt, die besagt: Wir gehen über § 122 der Geschäfts-
ordnung. Ich finde, das ist ein ziemlich dünnes Eis; denn
dieser Paragraph ist eindeutig mit „Übersendung be-
schlossener Gesetze“ überschrieben und verweist darauf,
daß Druckfehler oder offenbare Unrichtigkeiten korri-
giert werden können. Wenn ich mir anschaue, worum es
hierbei geht, ist es nicht so offensichtlich, daß er zutrifft.

Ich hatte im Ältestenrat einen anderen Weg vorge-
schlagen, nämlich den Weg über § 84 der Geschäftsord-
nung. Wenn sich im Ausschuß alle darüber einig sind,
daß es sich nur um einen Übermittlungsfehler handelt,
stellt man eben einen Änderungsantrag, so wie dies üb-
lich ist. Daraufhin sagt mir natürlich die Koalition: Aber
dann haben wir ein Problem, weil unsere Geschäftsord-
nung vorsieht, daß die dritte Lesung erst zwei Tage da-
nach stattfinden kann.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist genau das Problem!)


Auch dafür bietet die Geschäftsordnung eine Lösung.
Wir können mit Zweidrittelmehrheit beschließen, daß
dies ausgesetzt wird. Ich fand, es gab Signale aus der
Opposition, daß wir so verfahren können.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das wüßte ich aber!)

Aber Sie haben natürlich auch einiges dafür getan, die-
ses Grundvertrauen gegenüber der Opposition zu stören.
Und die Interpretation der Geschäftsordnung, die Kolle-
ge Schmidt vorhin gegeben hat, finde ich in der Tat
abenteuerlich.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch im Ausschuß ausreichend begründet worden!)


Sie gehen immer von dem hohen Gut der Geschäfts-
ordnung aus – das ist völlig in Ordnung – und betonen
das Recht. Aber wenn Ihnen Recht und Geschäftsord-
nung einmal im Wege stehen, dann qualifizieren Sie

Kristin Heyne






(A) (C)



(B) (D)


Einwände als formalrechtlich ab. Das finde ich aus-
drücklich nicht in Ordnung.


(Beifall bei der PDS und des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])


Auch bei uns sind Zweifel geblieben, ob sich weitere
Fehler in der Vorlage verstecken. Dennoch sehen wir
keinen Sinn mehr darin, zu fragen, ob wir jetzt oder
morgen darüber abstimmen sollen. Wir werden uns des-
halb bei dieser Geschäftsordnungsabstimmung enthal-
ten. Sie müssen es dann verantworten, mit dem Ergebnis
umzugehen.


(Beifall bei der PDS – Unruhe)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406619500
Wir kommen jetzt
zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der
F.D.P. sowie der CDU/CSU auf Vertagung der Beratung
auf morgen. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Vertagungsan-
trag ist gegen die Stimmen der F.D.P.- und CDU/CSU-
Fraktion bei Enthaltung – –


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

– Der Vertagungsantrag ist gegen die Stimmen der
F.D.P.- und der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der
PDS-Fraktion abgelehnt.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Hören Sie einmal auf Ihren Schriftführer, Frau Präsidentin!)


– Wenn es Zweifel an diesem Ergebnis gibt, müssen
dies die Schriftführerinnen und Schriftführer signalisie-
ren. – Aus unserer Sicht ist das Mehrheitsverhältnis ein-
deutig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber wir können die Abstimmung gerne wiederholen.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Der Schrift führer widerspricht!)

– Alles klar. Ich entschuldige mich. Ich habe angesichts
des Abstimmungsmarathons, der uns bevorsteht, den
Text verwechselt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das auch noch!)

Da die Abstimmung eindeutig war, wiederhole ich

das Ergebnis in aller Ruhe: Der Vertagungsantrag ist
abgelehnt worden.


(Zurufe von der F.D.P.: Nein! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Doch!)


– Natürlich stimmt das. Es gab den Antrag, die jetzige
Abstimmung zu vertagen. Dieser Antrag ist abgelehnt
worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für den Antrag, die Abstimmung zu vertagen, haben le-
diglich die Fraktionen der F.D.P. und der CDU/CSU ge-

stimmt, und die PDS-Fraktion hat sich enthalten. Ich
glaube, wir haben es alle verstanden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vereinbart
worden, die heute morgen kurz vor ihrem Ende unter-
brochene Aussprache zur Gesundheitsreform nicht fort-
zusetzen, sondern die Abstimmungen gleich fortzufüh-
ren. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nein! Nein! – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Nein! Halt!)


Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen
Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 auf den Druck-
sachen 14/1245 und 14/1977.


(Unruhe bei der CDU/CSU)

– Darf ich bitte wenigstens einen Satz zu Ende reden?
Dies ist das Recht einer Bundestagspräsidentin. Ich bitte
Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Hans-Peter
Repnik zur Geschäftsordnung.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1406619600
In Respekt vor Ih-
rem Amt, Frau Präsidentin: Ich hatte gar nicht die Ab-
sicht, Sie zu unterbrechen. Ich habe mich nur zu Wort
gemeldet. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß
es im Hinblick auf die Beendigung der Debatte keine
interfraktionelle Vereinbarung gibt. Die Mehrheit hat
bestimmt, daß die Debatte beendet wird. Dies müssen
wir hinnehmen. Das heißt, es muß darüber abgestimmt
werden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406619700
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich lasse der Form halber über das Ende
der Debatte abstimmen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ich bin im Präsidium darüber in Kenntnis gesetzt wor-
den, daß es eine interfraktionelle Vereinbarung gebe.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie haben schon wieder etwas verwechselt!)


– Wenn ich weiterhin solche Töne aus den Reihen der
Geschäftsführung der Fraktionen höre, dann unterbreche
ich die Sitzung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Zurufe von der CDU/CSU)


Ich bitte Sie deshalb, den Anweisungen des Präsidiums
zu folgen.

Ich stelle jetzt den Antrag zur Abstimmung, nach
dem die Debatte des heutigen Vormittags nicht fortge-

Roland Claus






(B)



(A) (C)



(D)


führt werden soll und nach dem sofort über den vorge-
legten Gesetzentwurf abgestimmt werden soll. Wer für
diesen Antrag stimmen möchte, den bitte ich jetzt um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der F.D.P.-Fraktion ist bestätigt worden, daß die Debatte
nicht fortgeführt wird.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschußfassung – ich füge bewußt hinzu: mit der
heute morgen vom Vorsitzenden des Gesundheitsaus-
schusses, dem Kollegen Klaus Kirschner, vorgetragenen
Berichtigung; wir wissen also worüber abgestimmt wird
– zustimmen möchten, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der PDS-Fraktion
und gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
F.D.P.-Fraktion angenommen worden.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Mir ist bisher offiziell nicht mitgeteilt worden, daß es
ein abweichendes Abstimmungsverhalten innerhalb der
Fraktionen gibt.

Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Es ist namentliche Abstimmung
verlangt und auch interfraktionell vereinbart worden. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt?
– Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie dar-
auf aufmerksam machen, daß es im Anschluß an diese
namentliche Abstimmung eine weitere über den Ent-
schließungsantrag der F.D.P.-Fraktion geben wird.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist offensicht-
lich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekanntgegeben.1)

Wir setzen jetzt die Beratungen fort. Ich möchte zu
Protokoll geben, daß von der Kollegin Sylvia Voß2) so-
wie von den Kollegen Lothar Binding (Heidelberg),
Monika Heubaum, Hans-Ulrich Klose und Lothar
Mark3) jeweils eine Erklärung gemäß § 31 der Ge-
schäftsordnung zu Protokoll gegeben wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/1978. Die Frak-
tion der F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer erneut, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen
besetzt? – Ich eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich
––––––––––––
1) Seite 5921 D2) Anlage 23) Anlage 3

nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekanntgegeben. 4)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Ihre
Plätze wieder einzunehmen.

Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die Reden
derjenigen, die sie heute vormittag nicht mehr halten
konnten, zu Protokoll gegeben werden.5) Ich setze das
Einverständnis des Hauses voraus.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/1979. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt gegen den Antrag der PDS? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion abgelehnt.

Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlußempfehlung auf Drucksache 14/1977 außerdem,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Gesund-
heitsreform auf Drucksache 14/1721 für erledigt zu er-
klären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Diese Beschlußemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus den Rei-
hen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuß) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Zustimmungsbedürftige Post-Universaldienstlei-
stungsverordnung (PUDLV)

– Drucksachen 14/1696, 14/1775 Nr. 2.1,
14/1971 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel (Starnberg)


Es liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD und der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö-
re keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär im Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1406619800
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verände-
rung, die wir im Bereich der Telekommunikation erle-
ben, ist ein fundamentaler Strukturwandel, der die Frage
aufwirft, wie wir in der Informations- und Kommunika-
tionsgesellschaft von morgen eine Art von Grundver-
sorgung, eine Art Grundsicherung für alle Menschen si-
––––––––––––
4) Seite 5924 C5) Anlage 4

Vizepräsidentin Petra Bläss






(A) (C)



(B) (D)


cherstellen können, damit wir nicht eine neue Spaltung
der Gesellschaft zwischen denjenigen bekommen, die
die neuen Techniken nutzen können, und denjenigen, die
sie nicht nutzen können. Deshalb ist es sehr wichtig, daß
wir heute mit der Post-Universaldienstleistungsverord-
nung, auch gemeinsam mit den Länderrn, einen wichti-
gen rechtlichen Rahmen für eine flächendeckende und
für jedermann erschwingliche Versorgung der Bevölke-
rung mit Postdienstleistungen schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Verordnung setzt damit eines der wesentlichen

Ziele des im Januar 1998 in Kraft getretenen Postgeset-
zes um. Wir schaffen damit einen bundesweiten Univer-
saldienst und stellen sicher, daß auch diejenigen, die in
strukturschwachen Gebieten leben und arbeiten, und
diejenigen, die es sich nicht leisten können, online ver-
bunden zu sein, eine flächendeckende Versorgung ha-
ben. Deswegen ist das auch eine gesellschaftspolitisch
wichtige Verordnung.

Regelungsgegenstand der Verordnung sind die ein-
zelnen als unabdingbare Grundversorgung vorgesehenen
Universaldienstleistungen, deren Umfang, Mindestqua-
litätsmerkmale und Preis in der Verordnung festgelegt
werden. Die infrastrukturelle Sicherung einer bundes-
weiten postalischen Grundversorgung hat für die Bun-
desregierung herausragende Bedeutung. Die Bundesre-
gierung hat sich daher bei der Ausgestaltung der Ver-
ordnung im Interesse der Verbraucher nachdrücklich
für eine qualitativ und quantitativ ausgewogene Verord-
nung eingesetzt. So konnte die Verordnung auch im
Vergleich zum ursprünglichen Entwurf deutlich ver-
bessert werden,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Na!)


und zwar auch gemeinsam mit den Ländern.
Zu den Universaldienstleistungen zählen nunmehr

die Beförderung von Briefsendungen bis 2 000 Gramm
einschließlich der Infopost, von Paketen bis 20 Kilo-
gramm und von Zeitungen und Zeitschriften. Zusätzlich
wird in der Verordnung festgeschrieben, daß mindestens
12 000 stationäre Einrichtungen vorzuhalten sind, von
denen bis 2002 mindestens 5 000 Einrichtungen mit un-
ternehmenseigenem Personal betrieben werden müssen.
Dabei muß in jeder Gemeinde der Bundesrepublik mit
mindestens 4 000 Einwohnern eine stationäre Einrich-
tung vorhanden sein. Die Regelentfernung bis zur näch-
sten Filiale beträgt in zusammenhängend bebauten Ge-
bieten 2 000 Meter. Der nächste Briefkasten soll grund-
sätzlich nach höchstens 1 000 Metern erreicht werden
können. Auch das ist eine wichtige Frage der Grundver-
sorgung.

Zugleich enthält die Verordnung Vorgaben für die
Laufzeiten der beförderten Sendungen, legt die Lee-
rungszeiten von Briefkästen fest und schreibt eine min-
destens einmal werktäglich zu erfolgende Zustellung
vor.

Die Einbeziehung der Presseerzeugnisse in den Ka-
talog der postalischen Pflichtleistungen ist eine besonde-

re Entscheidung. Darum haben wir gekämpft, weil wir
wollten, daß die Presse- und Meinungsvielfalt in
Deutschland gesichert wird.


(Beifall bei der SPD)

Das kann man nur erreichen, wenn man diese in die
Pflichtversorgung einbezieht. Das ist in dieser neuen
Verordnung gelungen.

Hervorgehoben wurde auch das Beschwerderecht
eines jeden Bürgers. Wir haben mit der Einführung des
Beschwerderechts eine bürgernahe Regelung gefunden.
Im Falle des Auftretens einer Versorgungslücke kön-
nen entsprechende Maßnahmen direkt ergriffen wer-
den, und bei der Regulierungsbehörde können Anre-
gungen und Beschwerden zur Beseitigung der Ver-
sorgungslücke eingereicht werden. Das ist ein neuer
bürgernaher Ansatz, den wir mit dieser Verordnung
suchen.

Des weiteren wurde sichergestellt, daß für Post-
dienstleistungen, für die nach dem Postgesetz eine Ex-
klusivlizenz besteht, ein Einheitstarif anzuwenden ist,
um so eine gleichwertige Versorgung in Stadt und Land
zu gewähren.

Mit der PUDL-Verordnung ist es nach schwierigen
Abstimmungsgesprächen gelungen, die unterschied-
liche Interessenlage der für die Versorgung zustän-
digen Unternehmen sowie der Kunden und Nachfra-
ger, das heißt der Verbraucher, in angemessener Wei-
se zu berücksichtigen und damit eine Dienstleistung
sicherzustellen. Auch die Anliegen der Länder konn-
ten umgesetzt werden, so daß der Bundesrat am
24. September seine Zustimmung zur Verordnung
erteilt hat.

Deshalb – das kann man rückblickend sagen, auch
hinsichtlich der Liberalisierungspolitik der letzten Jahre
– ist dies eine wichtige flankierende Maßnahme. Denn
wir wollen, daß auch in einer liberalisierten Telekom-
munikationswirtschaft, die leistungsfähig und wettbe-
werbsfähig ist, der Zusammenhalt der Gesellschaft gesi-
chert wird. Deshalb ist eine solche Universalverordnung
notwendig geworden.

Wir bitten Sie um Zustimmung zu dieser Verordnung.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406619900
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, bevor ich dem Kollegen Elmar Müller
das Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schrift-
führern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen bekanntgeben – es handelt sich um den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen
Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 auf Druck-
sache 14/1245 –: Abgegebene Stimmen 592. Mit Ja
haben gestimmt 325, mit Nein haben gestimmt 241. Es
gab 26 Enthaltungen.

Parl. Staatssekretär Sigmar Mosdorf






(B)



(A) (C)



(D)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 591;
davon:

ja: 324
nein: 241
enthalten: 26
ungültig: 0

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese

Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster

Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer

Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Vizepräsidentin Petra Bläss






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Leipzig)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Clemens Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Dagmar Göring-
Eckardt

Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin

Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach

(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Naila)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer

Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke

Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mühlheim)

Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall

Vizepräsidentin Petra Bläss






(B)



(A) (C)



(D)


Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle

Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig

Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Heinrich Fink
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Angela Marquardt
Christina Schenk

Enthalten
SPD
Lothar Binding (Heidelberg)

Monika Heubaum
Hans-Ulrich Klose
Lothar Mark

PDS
Monika Balt
Petra Bläss
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidemarie Lüth
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Bühler (Bruchsal), Klaus, CDU/CSU Freitag, Dagmar, SPD Dr. Hornhues, Karl-Heinz, CDU/CSU
Dr. Leonhard, Elke, SPD Zierer, Benno, CDU/CSU

Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich gebe Ihnen jetzt auch das von den Schriftführern

und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung über den Entschließungsan-

trag der Fraktion der F.D.P. zu dem Entwurf eines Ge-
setzes der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung
ab dem Jahr 2000, Drucksachen 14/1245, 14/1977 und
14/1978 bekannt: Abgegebene Stimmen 591. Mit Ja ha-
ben gestimmt 34. Mit Nein haben gestimmt 355. Ent-
haltungen 202.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 590;
davon:

ja: 34
nein: 355
enthalten: 201

Ja
CDU/CSU
Otto Bernhardt
Julius Louven
F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick
Horst Friedrich

(Bayreuth)


Rainer Funke

Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz
Guttmacher

Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günter Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig

Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae

Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel

(Berlin)


Klaus Barthel

(Starnberg)


Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius
Beucher

Petra Bierwirth

Rudolf Bindig
Lothar Binding

(Heidelberg)


Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann

(Detmold)


Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner

(Ingolstadt)


Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael
Catenhusen

Dr. Peter Wilhelm
Danckert

Dr. Herta Däubler-
Gmelin

Christel Deichmann

Vizepräsidentin Petra Bläss






(A) (C)



(B) (D)


Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer

(Homburg)


Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Peter Friedrich

(Altenburg)


Lilo Friedrich

(Mettmann)


Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf

(Rosenheim)


Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller

(Lübeck)


Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann

(Chemnitz)


Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann

(Volkach)


Ingrid Holzhüter
Christel Humme

Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung

(Düsseldorf)


Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-
Leißner

Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange

(Backnang)


Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller

(Düsseldorf)


Jutta Müller

(Völklingen)


Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles

Volker Neumann

(Bramsche)


Gerhard Neumann

(Gotha)


Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter
Rossmann

Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt

(Eisleben)


Dagmar Schmidt

(Meschede)


Wilhelm Schmidt

(Salzgitter)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte

(Hameln)


Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann

Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz

(Oldenburg)


Dr. Angelica Schwall-
Düren

Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-
Sperk

Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl

(Amberg)


Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek

(Leipzig)


Heidemarie Wieczorek-
Zeul

Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer

(Karlsruhe)


Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright

Vizepräsidentin Petra Bläss






(B)



(A) (C)



(D)


Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)



(KarlsruheLand)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck

(Bremen)


Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-
Bohlig

Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-
Loßack

Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth

(Augsburg)


Christine Scheel
Irmingard Schewe-
Gerigk

Rezzo Schlauch
Albert Schmidt

(Hitzhofen)


Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm

(Amberg)


Margareta Wolf

(Frankfurt)


PDS
Monika Balt
Petra Bläss

Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke-
Reymann

Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Enthalten
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-
Pohl

Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor
Blank

Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Manfred Carstens

(Emstek)


Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger

Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Naila)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther

(Duisburg)


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz

Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß

(Wilhemshaven)


Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller

(Kirchheim)


Bernd Neumann

(Bremen)


Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard

(Dresden)


Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr

Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt

(Fürth)


Dr.-Ing. Joachim
Schmidt (Halsbrücke)


Andreas Schmidt

(Mühlheim)


Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram

Vizepräsidentin Petra Bläss






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas
Schockenhoff

Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters

Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl

(Heilbronn)


Michael Stübgen

Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß

(Emmendingen)



(GroßGerau)


Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)


Hans-Otto Wilhelm

(Mainz)


Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO; der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Bühler (Bruchsal), Klaus, CDU/CSU Freitag, Dagmar, SPD Dr. Hornhues, Karl-Heinz, CDU/CSU
Dr. Leonhard, Elke, SPD Zierer, Benno, CDU/CSU

Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.
Ich erteile jetzt für die CDU/CSU-Fraktion dem Kol-

legen Elmar Müller das Wort.


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1406620000
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolle-
gen! Eine offensichtlich unvermeidliche – wenn auch
zweifelhafte – Tradition haben wir von Bonn nach Berlin
gerettet. Es ist jene Tradition, die der frühere Postmini-
ster, unser Kollege Wolfgang Bötsch, einmal so be-
zeichnet hat: Die Postdebatten werden generell im
Schutze der Dunkelheit im Deutschen Bundestag ge-
führt. Diese Tradition führen wir heute fort. Bei allem
Verständnis, Herr Kollege Barthel, hoffe ich, daß Sie
anläßlich weiterer Debatten zu diesem Bereich trotzdem
versuchen, irgendwann einmal einen Tagestermin zu er-
halten.


(Zuruf von der SPD: Im Sommer wäre es noch hell!)


Die PUDLV, die Post-Universaldienstleistungsver-
ordnung, hat eine lange Geschichte. Mit ihr wird eine
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Euro-
päischen Rates umgesetzt. Die Umsetzungsfrist ist be-
reits im Februar dieses Jahres abgelaufen. Die Bundesre-
gierung hat sich ein ganzes Jahr für die Umsetzung Zeit
genommen. Die in diesem Zusammenhang erforderli-
chen Gespräche waren sicherlich nicht einfach, Herr
Staatssekretär Mosdorf. Allerdings muß auch gesagt
werden: Der Vorgang, der zu dieser Verzögerung geführt
hat, spricht in dieser Hinsicht Bände.

Die Bundesregierung hat sich mit dieser Umsetzung
deshalb so schwer getan und so viel Zeit gebraucht, weil
sie geglaubt hatte, sie könne die Post AG zwingen, mit
der Postgewerkschaft vorweg einen Vertrag abzuschlie-
ßen, der die Zahl der eigenbetriebenen Postfilialen in
einer möglichst hohen Zahl festschreibt. Die Post hat
verständlicherweise zu diesen Forderungen und dem
diesbezüglichen Druck seitens der Regierung nein ge-

sagt. Deshalb hat die Regierung in dieser Verordnung
eine bestimmte Filialzahl festgelegt. Da Postgesetz und
EU-Richtlinie lediglich Vorgaben zu Mindestqualitäts-
merkmalen einschließlich Beförderungsbedingungen
sowie die Festlegung des erschwinglichen Preises ver-
langen, die Zahl der Postfilialen also mit der PUDLV
überhaupt nichts zu tun hat, kann es sich nur um die
Einlösung eines Versprechens gegenüber der Postge-
werkschaft handeln, die offensichtlich für ihre Leistung
während des Wahlkampfes im vergangenen Jahr eine
Gegenleistung erwartet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: So ein saudummes Geschwätz!)


Das Schlimme ist nun aber, daß die Bundesregierung
mit dieser Auflage zum einen die Börsenfähigkeit der
Post erheblich schwächt und daß sie dies zum anderen
auf Kosten der Verbraucherpreise tut. Denn 5 000
eigenbetriebene Postfilialen sind so teuer wie 10 000
Postagenturen. Hier sind Gewerkschaftsforderungen in
eine Rechtsverordnung geschrieben worden, die darin
überhaupt nichts zu suchen haben. Der Verbraucher zahlt
nun die Zeche in Form von Posttarifen, die höher sind,
als sie sein müßten.

Für wie dumm hält eigentlich die Bundesregierung
die Öffentlichkeit, wenn sie in der Begründung dieser
Rechtsverordnung schreibt, sie erwarte positive Auswir-
kungen auf das Verbraucherpreisniveau, gleichzeitig
aber Post AG und der Wirtschaftsminister erklären, daß
das Briefporto in den kommenden Jahren stabil bleibe?
In der Begründung der PUDLV wird sogar von mögli-
chen Tarifsenkungen durch den eintretenden Wettbe-
werb gesprochenen. Meine Damen und Herren, das ist
genau die Formel, nach der diese Bundesregierung seit
einem Jahr die Bürger abzockt. Wenn die Regierung
sagt, der Bürger soll entlastet werden, dann weiß der
Bürger inzwischen, sie will ihn um sein Geld erleichtern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Sie wollen wieder Geschäfte fördern!)


Vizepräsidentin Petra Bläss






(B)



(A) (C)



(D)


Die Wahrheit ist doch: Der Post wurde im September
1997 durch den damaligen Regulierer, den Postminister,
eine 10prozentige Erhöhung des Portos für Briefe,
Postkarten und adressierte Briefsendungen, die über
5,50 DM liegen, genehmigt, weil sie, wie sie damals
sagte, unter anderem zur Aufrechterhaltung ihres Filial-
netzes 2 Milliarden DM wegen Abmangel aus den Mo-
nopoleinnahmen zuschießen müsse. Sie hatte nach ihren
eigenen Angaben auch deswegen diesen Abmangel, weil
die Postbank am Schalter mehr Kosten verursache, als
sie der Post für ihre Leistungen abgelte.

Die Portoerhöhung für Briefe ab September 1997 –
das war eine gute Entscheidung – ist vom damaligen
Postminister bis zum 31. August nächsten Jahres be-
grenzt worden. Danach, meine Damen und Herren von
der Regierungskoalition, erwarten wir von Ihnen, daß
Sie uns dabei unterstützen, daß die Kunden endlich an
den Produktionsfortschritten der Post – etwa durch den
Aufbau der 83 Briefzentren – in Form von Portosenkun-
gen beteiligt werden, wir also nach diesem Termin für
eine Portosenkung sorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Abbau von mehr als 60 000 Arbeitsplätzen, den

die Post inzwischen vollzogen hat, wurde doch immer
mit Produktionsfortschritten begründet und nicht damit,
daß man milliardenschwere Unternehmenszukäufe
finanzieren wolle. Die Rechtslage stellt sich folgender-
maßen dar: Wenn die Post an der heutigen Höhe des
Portos für Standardbriefe festhalten will, muß sie einen
neuen Antrag bei der Regulierungsbehörde stellen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Du hast Probleme!)

Wenn nichts geschieht, wird das Porto im reservierten
Bereich ab September 2000 gesenkt.

Anstatt aber die Interessen der Endverbraucher zu
vertreten, setzt Rotgrün noch eins drauf, indem das zarte
Pflänzlein des Wettbewerbs durch § 6 dieser PUDLV
gefährdet wird. Man tritt zwar für einen Einheitstarif
ein, aber gleichzeitig will man individuelle Preisab-
sprachen mit Großkunden zulassen. Den Monopoli-
sten, der fünf Jahre nach der Privatisierung immer noch
mehr als 99 Prozent Marktanteil im reservierten Bereich
hat, jetzt auch noch zu ermächtigen, Preisabsprachen im
Rahmen der Exklusivlizenz treffen zu dürfen, führt zur
unerträglichen Ungleichbehandlung der Kunden, die auf
Leistungen der Post AG angewiesen sind. Der Privat-
kunde hat eben keine Ausweichmöglichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Preisliche Sondervereinbarungen sind heute bereits Ge-
genstand von Beschwerden bei der Regulierungsbehörde
und haben offensichtlich nur das Ziel, den Kunden langfri-
stig an den Monopolisten zu binden. Der Wettbewerb, der
laut Begründung durch die PUDLV herbeigeführt werden
soll, wird in Wirklichkeit vielmehr unterbunden. Man muß
sich einmal konkrete Fälle der Praxis vorstellen: So finan-
ziert Tante Frieda mit dem von ihr zu bezahlenden über-
höhten Briefporto den Großkundenrabatt von Beate Uhse.
Das ist moralisch zumindest zweifelhaft.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Im Zusammenhang mit der überfälligen Portosen-
kung, die Sie vermutlich mit der Annahme dieser zu-
stimmungspflichtigen Rechtsverordnung verhindern
wollen, möchte ich Ihren Blick noch auf einen besonde-
ren Vorgang richten, der im Amtsblatt der EU vor weni-
gen Tagen – am 23. Oktober 1999 – veröffentlicht wur-
de. Wie Sie wissen, gibt es ein Verfahren vor der Kom-
mission gegen die Post wegen des Vorwurfs der Quer-
subvention vom Monopol- in den Wettbewerbsbereich.
In diesem Amtsblatt nimmt die Kommission wie folgt
Stellung – ich zitiere –:

Tatsächlich sind sie
– die Einnahmen im reservierten Bereich –

höher, als es für diesen Zweck notwendig ist.
Jede Überkompensierung des Universaldienstes ist
jedoch weder durch die Postrichtlinie noch durch
Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag zu rechtfertigen, da sie
nicht dazu dient, Dienstleistungen von allgemeinem
wirtschaftlichen Interesse sicherzustellen.

Herr Staatssekretär, meine verehrten Kollegen von
der Koalition, ich denke, daß dieses Signal von Ihnen
vernommen wurde. Deshalb gehe ich davon aus, daß Sie
mit uns gemeinsam im nächsten Jahr für die Senkung
des Portos im reservierten Bereich eintreten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Mir fehlt die Zeit, um auf die leidvollen Erfahrungen
der Kommunen bei der Schließung von Postfilialen
einzugehen. Jeder Kollege hat in seinem Wahlkreis aus-
reichend Erfahrungen mit der Post und ihrem Vorgehen
gemacht.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Sie haben dem tatenlos zugesehen!)


Im übrigen lief das in der Vergangenheit immer so ab,
Herr Kollege Barthel: Wenn irgendwo eine Postfiliale
geschlossen werden sollte, dann sind Postgewerkschaft
und SPD vor Ort in eine Kampagne mit der Behauptung
eingetreten, die Regierung Kohl nimmt euch eure Post-
filiale weg.


(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!)

Mit Annahme der PUDLV beginnt aber ab sofort eine

Welle von mehr als 2 000 ersatzlosen Filialschließun-
gen. Damit es da keinen Zweifel gibt, meine Damen und
Herren von Rotgrün: Weil Sie bis zur Bundestagswahl
behauptet haben, das seien unsere Schließungen – also
Schließungen der CDU/CSU –, will ich sagen: Die mehr
als 2 000 Filialschließungen, die ab morgen über das
Land rollen werden, sind Ihre Filialschließungen.


(Lachen des Abg. Klaus Barthel [Starnberg] [SPD])


Die Regelung in § 2 der Verordnung, wonach bei
Veränderung stationärer Einrichtungen das Benehmen
mit den zuständigen Gemeinden mindestens 10 Wochen
vorher herzustellen ist, entspricht der jetzigen freiwilli-
gen Vereinbarung. Wir hoffen, daß sich die Post mehr
als in der Vergangenheit an diese Zehnwochenfrist hält.

Elmar Müller (Kirchheim)







(A) (C)



(B) (D)


Eine Bemerkung zur Pressepost. Herr Staatssekretär,
es ist richtig, daß wir in der früheren Koalition insoweit
einen Dissens hatten. Es war der Wunsch sowohl des
früheren Postministers als auch der Fraktion, daß wir
diesen Teil mit aufnehmen. Die SPD hat mit gutem
Recht eine andere Position vertreten; mit gutem Recht
deshalb, weil bis heute die Pressepost ohne Zweifel von
jedermann bestellt und von jedermann empfangen wer-
den kann, ohne daß es dazu eine Universaldienstver-
pflichtung gibt. Dieses Universaldienstgebot in der
PUDLV wird im übrigen insofern keinerlei Konsequen-
zen nach sich ziehen, als der Bund für eine eventuelle
Subventionierung einer solchen Pressepost – das wäre
allerdings ein anderer Fall – keinerlei Ansprüche gegen
sich akzeptiert.

Als letzten Punkt will ich das Beförderungsverbot
von Briefsendungen mit rassendiskriminierendem Ge-
dankengut auf der Außenseite ansprechen. Solche
rassendiskriminierenden Sendungen waren bisher schon,
durch das Strafgesetzbuch gestützt, von der Beförderung
zurückzuweisen. Es bestand also überhaupt keine Not-
wendigkeit, dies jetzt in die Post-Universaldienst-
leistungsverordnung aufzunehmen.

Jetzt verlagern Sie nämlich die Entscheidung darüber
auf die Briefträger. Weil Sie selbst offensichtlich nicht
in der Lage sind, eine entsprechende Definition vorzule-
gen, erwarten Sie, daß die Post dazu eine betriebsinterne
Richtlinie für ihre Briefträger erläßt. Das ist genau die
Bürokratie und die handwerkliche Schludrigkeit, mit der
Sie Gesetze machen. Wir haben es ja erst heute wieder
erlebt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Als braver Erfüllungsgehilfe von Gewerkschaftsbe-

schlüssen, deren Folgen man in diesem Fall wirklich nur
vermuten kann und die Sie noch gar nicht übersehen
können, schieben Sie die Verantwortung auf die Brief-
träger ab. Sie werden dadurch das Vertrauen der Post-
kunden in die Post nicht fördern. Ganz im Gegenteil: Sie
werden das Vertrauen beschädigen. Wenn Sie nämlich
die Briefträger als Briefschnüffler verpflichten, dann
wird das den Postkunden nicht gefallen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: So ein Schmarren!)


Abschließend, meine Damen und Herren: Der Bun-
destag kann bei einer Rechtsverordnung, die von der
Bundesregierung formuliert worden ist, keinerlei Ände-
rungen beschließen, sondern darf nur ja oder nein sagen.
Unserer Meinung nach überwiegt trotz einiger unterstüt-
zenswerter Passagen – das darf gesagt werden – das Man-
gelhafte an dieser PUDLV. Wir lehnen sie deshalb ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406620100
Das Wort hat die
Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406620200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich

wollte ich sagen, daß ich froh bin, daß sich nach den
Turbulenzen dieses Tages endlich wieder eine sachliche
Debatte einstellt. Ich muß aber leider sagen, daß ich das
nach dem Beitrag von Elmar Müller nicht mehr sagen
kann. Er hat doch sehr polemisch und vor allen Dingen
am Thema vorbei geredet.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Was? Das nehmen Sie sofort zurück!)


Ich möchte mich dennoch an die Vorgabe halten, hier
sachlich über die PUDLV zu sprechen. Dies ist im übri-
gen ein ungeheuer symphatischer Name.

Auch im Postbereich bekommen wir nun Schritt für
Schritt wie im Strom- und Telekommunikationsbereich
Wettbewerb. Das bedeutet eine große Transformation,
die politisch auch gewollt ist. Eines aber muß verhindert
werden – daran sollten wir gemeinsam arbeiten –: Die
Unternehmen einschließlich der Deutschen Post AG
sollten sich nicht nur die Rosinen herauspicken. Das
würde nämlich in der Konsequenz dazu führen, daß be-
stimmte Kundengruppen insbesondere im ländlichen
Raum keinen ausreichenden Zugang mehr zu Post-
dienstleistungen haben.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Das haben Sie schon bei der Telekommunikation behauptet!)


Das ist nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Müller, eine
Interessenvertretung der Gewerkschaften, sondern in der
Tat eine Interessenvertretung des Endverbrauchers.


(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Diese Prophezeiungen waren schon vor zehn Jahren falsch!)


Es liegt nämlich im Interesse des Endverbrauchers, daß
jeder Zugang zu Postdienstleistungen hat.


(Beifall bei der SPD)

Diese Verordnung ist richtig, wichtig und überfällig.

Sie setzt Mindeststandards, die künftig im Postbereich
gelten sollen. Beispielsweise garantiert sie ein ausrei-
chendes Netz von Postfilialen im ganzen Land – das
finde ich sehr wichtig –, mindestens 12 000. Sie ermög-
licht der Deutschen Post AG aber gleichzeitig – das
halte ich für ausgewogen – ein ausreichendes Maß an
Flexibilität bei der Umsetzung dieser Vorgabe. So wur-
de in der Verordnung geregelt, daß die Poststellen auch
als Postagenturen betrieben werden können. Das macht
Sinn; denn das Postamt ist nicht in jedem Ort tatsächlich
voll ausgelastet. Es ist deswegen richtig, die Post ent-
scheiden zu lassen, in kleinen Ortschaften nicht einen
däumchendrehenden Postbeamten zu finanzieren, son-
dern in diesem Fall beispielsweise den Tante-Emma-
Laden um die Ecke diese Zusatzdienste übernehmen zu
lassen – natürlich nach entsprechender Schulung der
Mitarbeiter.


(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Dagegen habt ihr noch vor fünf Jahren mit Transparenten protestiert!)


– Ich habe nicht dagegen protestiert.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ja, Sie nicht!)


Elmar Müller (Kirchheim)







(B)



(A) (C)



(D)


Zum Verkauf von Briefmarken und zur Entgegen-
nahme von Päckchen bedarf es nicht immer der Postan-
gestellten. Hinzu kommt, daß der Tante-Emma-Laden
meist länger geöffnet hat als das Postamt und sich die
Kunden außerdem einen Weg sparen.


(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Sie haben meine Rede von früher abgeschrieben!)


Die Garantie, daß jeder Zugang zur Post hat, ist durch
die der Post gegebene Möglichkeit der flexiblen Gestal-
tung in der PUDLV gut umgesetzt.

Daneben ist in der Verordnung geregelt, daß es min-
destens 5 000 Poststellen gibt, die von posteigenem Per-
sonal betrieben werden. Auch dies erfolgt in abgewoge-
ner Weise: Einerseits besteht ein flächendeckendes Netz,
andererseits werden nicht unnötig Arbeitsplätze bei der
Deutschen Post AG abgebaut.

Die Verordnung regelt darüber hinaus, daß grund-
sätzlich in zusammenhängend bebauten Gebieten für
alle in maximal 2 000 Metern ein Postamt erreichbar
ist. Dieses Recht ist natürlich nicht individuell einklag-
bar, zum einen aus verfassungsrechtlichen Gründen –
das wissen Sie –, zum anderen, weil eine solche Rege-
lung einen sehr starren Charakter hätte. Als Ziel aber ist
dies in der Verordnung formuliert.

Wir wissen von einigen Fällen – dies wurde schon
angesprochen –, daß Postämter von der Deutschen Post
AG geschlossen wurden, obwohl eine rege Nachfrage
der Postkunden bestand. In Waldheim beispielsweise
geschah dies 1993. Seitdem betreibt eine Bürgerinitiati-
ve ein Bürgerpostbüro. Die Post wird dort gesammelt
und von freiwilligen Helfern zur nächsten Postfiliale ge-
bracht. Das Engagement der Waldheimer in allen Ehren,
ich frage mich aber doch, warum die Deutsche Post AG
in diesem Fall bei ihrer Haltung bleibt und nicht wenig-
stens eine Postagentur in Waldheim eröffnet.

Ich fordere deswegen die Post AG auf, die Spielräu-
me, die wir ihr mit dieser Verordnung gegeben haben,
zu nutzen, zugleich aber so kundenfreundlich zu bleiben,
daß tatsächlich das Ziel erreicht wird, jedem den Zugang
zu den Dienstleistungen der Post zu ermöglichen.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat

sich mit der vorliegenden Verordnung bemüht, eine aus-
gewogene Regelung unter Abwägung der wirtschaftli-
chen Interessen der Post auf der einen Seite und der
Kunden- und Infrastrukturinteressen auf der anderen
Seite zu finden. Die PUDLV schafft endlich Klarheit bei
der Ausgestaltung des Postgesetzes, was ja auch not-
wendig ist.

Man kann sich im Blick auf den Antrag der PDS nun
darüber streiten, ob ein Briefkasten alle 1 000 Meter
oder alle 500 Meter vorgeschrieben wird. Ich zweifele
aber daran, ob der Sachverstand der PDS in diesem Fall
größer als der des Wirtschaftsministeriums ist.


(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Kaum!)

Man muß nämlich folgendes sehen: Wenn man zu viele
Briefkästen vorschreibt, dann erhöht man dadurch den
finanziellen Aufwand der Post. Dies erhöht wiederum

die Kosten, die an den Bürger weitergegeben werden
müssen. Erhöhte Portokosten sind aber nicht im Sinne
der sozialen Gerechtigkeit. Deswegen muß man zwi-
schen zwei Bedingungen abwägen: Die Briefkästen
müssen möglichst jedem zugänglich sein; die räumli-
chen Anforderungen dürfen zugleich nicht zu hoch sein.
Ich glaube, daß das in dieser Verordnung gut gelungen
ist. Darüber hinaus steht es dem Unternehmen Post AG
frei, bei Bedarf mehr Briefkästen aufzustellen; denn hier
werden lediglich Mindeststandards formuliert.

Die Post ist gut beraten, ihren Standortvorteil, daß sie
im Gegensatz zu allen Alternativanbietern in der Fläche
präsent ist, in Zukunft auf keinen Fall aus der Hand zu
geben. Wenn nun Wettbewerb kommt, kann man einem
Unternehmen die Entscheidung nicht komplett per Ver-
ordnung abnehmen. Insofern handelt es sich hier um
einen ausgewogenen Entwurf, in dem beides berück-
sichtigt wird.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406620300
Das Wort hat der
Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt kommt wieder der Wettbewerb!)



Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1406620400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Post-Universaldienstleistungs-
verordnung ist nicht nur ein Wortungetüm. Der Entwurf
atmet auch inhaltlich den Mief der alten Postbürokratie
und des Dirigismus.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Beides sollte eigentlich mit der Öffnung des Postmark-
tes für Wettbewerb der Vergangenheit angehören. Ge-
rade beim Postgesetz haben wir uns – auch im Vermitt-
lungsausschuß, im übrigen zusammen mit der SPD –
große Mühe gegeben. Wir alle – auch die SPD, damals
durch Herrn Bury vertreten – wollten damals die Uni-
versaldienstleistung für den Zeitungsdienst und die Info-
Post nicht.


(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Richtig!)

Bürger und Wirtschaft haben ein großes Interesse an

Postdienstleistungen, die besser auf ihre Bedürfnisse
eingehen und die preisgünstig und innovativ sind. Nur
im Wettbewerb mit vielen Anbietern ist dieses Ziel er-
reichbar. Dies sieht man am mutig liberalisierten Tele-
kommunikationsmarkt. Wir haben heute Hunderte von
Anbietern, und das dient dem Verbraucher.


(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Die Bundesregierung vertraut jedoch im Postbereich
nicht auf den Markt. Dies wird aus der Post-
Universaldienstleistungsverordnung einmal mehr deut-
lich. Nicht umsonst hat die Bundesregierung fast ein
Jahr gebraucht, um diese Verordnung vorzulegen, galt es
doch, die unterschiedlichen Interessen der Post AG, der

Michaele Hustedt






(A) (C)



(B) (D)


Gewerkschaften und der Verbraucher möglichst unter
einen Hut zu bringen. Dies ist, Herr Staatssekretär, er-
kennbar nicht gelungen. Vielmehr haben sich die Inter-
essen der Besitzstandswahrer von der Post AG und vor
allen Dingen der Gewerkschaften durchgesetzt. Die
Verbraucher, die an preiswerten und qualitiativ guten
Dienstleistungen interessiert sind, sind vollends unter
die Räder gekommen.

Nun mag man argumentieren, daß die Post AG für
den Börsengang gerüstet und deswegen vor Wettbewer-
bern geschützt werden müsse. Um dieses Ziel zu errei-
chen, sollte sie möglichst viel Geld vereinnahmen und
eine schöne Gewinn- und Verlustrechnung vorlegen
können. Die Monopolrente soll also dem Anleger die
Zeichnung der Aktien versüßen, so scheinen Sie zu den-
ken. Dabei unterschätzen Gewerkschaften und auch die
Bundesregierung die Weitsicht der Kapitalanleger und
verkennen letztlich auch die Interessenlage der Post AG.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nachhaltigen Erfolg an der Börse haben aber nur Unter-
nehmen, die sich dem Wettbewerb stellen, modern
strukturiert sind, effizient arbeiten und dabei von man-
cher liebgewonnenen Gewohnheit Abschied nehmen,
die im Monopol einfach entstanden ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

In diesem Sinne regelt die Post-Universaldienst-

leistungsverordnung einfach zuviel. Schon nach dem
damaligen Willen aller Beteiligten sind – das habe ich
ausgeführt – der Post-Zeitungsdienst und die Info-Post
nicht in den Universaldienst mit aufzunehmen, weil das
ja überhaupt keinen Sinn macht. Denn auf diesen Ge-
bieten soll ja Wettbewerb herrschen. Ob es zweckmäßig
ist, der Post AG im einzelnen vorzuschreiben, wie viele
stationäre Einrichtungen – und zwar Poststellen und
Tante-Emma-Läden – vorhanden sein müssen, kann
tunlichst bezweifelt werden.

Die Verfasser der Universaldienstleistungsverord-
nung, die Bundesregierung und die sie tragenden Frak-
tionen haben offensichtlich wenig Vertrauen in den
Markt. Bei der Telekommunikation können Sie sehen,
wie der Markt funktioniert. Damals haben Sie uns ja da-
vor gewarnt. Ich kann nur sagen: Diese Warnung haben
wir in den Wind geschlagen; auch Sie sollten jetzt den
Markt für Post-Dienstleistungen öffnen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Nachdem die Post AG und die Bundesregierung er-

klärt haben, daß sie noch spätestens im Jahr 2000 den
Börsengang wagen wollen, hätte man erwarten können,
daß man sich für eine Marktöffnung ausgesprochen hätte
– denn Börsengang und Marktregulierung widerspre-
chen einander –, also auch kleineren Wettbewerbern die
Möglichkeit gegeben hätte, Post-Dienstleistungen zu
erbringen, und nicht versucht hätte, diese Post-
Dienstleister mit Prozessen vom Markt wegzubeißen,
wie das zur Zeit von der Post AG gemacht wird.

Ich halte es auch für höchst problematisch, daß die
Post AG ihr überhöhtes Briefporto von 1,10 DM über

den August nächsten Jahres hinaus aufrechterhalten will.
Dies dient nur der Quersubventionierung des Paketdien-
stes, wodurch kleineren Wettbewerbern der Einstieg in
den Paketdienst erschwert wird. Im Bereich der Brief-
post stehen auch nach der Verordnung zahlreiche Hin-
tertüren für die Post offen, so daß sie den Wettbewerb
aushebeln kann. Auch das verurteilen wir.


(Beifall bei der F.D.P.)

Durch die dirigistischen Vorschriften werden die

Preise insgesamt – das hat der Kollege Müller ja richtig
ausgeführt – für die Verbraucher höher sein, als das bei
Marktkonditionen der Fall wäre. Wir lehnen daher die-
ses Ungetüm von Verordnung ab. Weniger Regulierung,
Herr Kollege Mosdorf, wäre mehr gewesen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406620500
Das Wort hat jetzt
der Kollege Gerhard Jüttemann, PDS-Fraktion.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1406620600
Frau Präsidentin! Mei-
ne sehr verehrten Damen und Herren! Um es vorweg zu
sagen: Die PDS wird der vorliegenden Post-Universal-
dienstleistungsverordnung nicht zustimmen. Dabei wol-
len wir nicht verkennen, daß gegenüber den vorherge-
henden Entwürfen vor allem dank der beharrlichen Be-
mühungen der Deutschen Postgewerkschaft eine Reihe
von Verbesserungen erstritten worden sind. Wir halten
dies dennoch nicht für ausreichend.

Wofür wird die Verordnung benötigt? Laut Postge-
setz soll sie Inhalt und Umfang der Universaldienste, al-
so der allgemein als unabdingbar angesehenen postali-
schen Dienstleistungen, festlegen – Dienstleistungen, die
nicht für die Regierung erbracht werden, sondern für die
Kunden. Und da sind wir beim ersten großen Ärgernis
dieser Verordnung: Die Kunden, in deren Interesse es
die Post überhaupt gibt, in deren Interesse das Grundge-
setz den Bund verpflichtet, angemessene und ausrei-
chende Post-Dienstleistungen zu gewährleisten, haben
keine Möglichkeit, ihre im Gesetz und in der Verord-
nung festgelegten Rechte tatsächlich durchzusetzen. Das
ist ein eindeutiger und durch nichts zu rechtfertigender
Rückschritt gegenüber der alten Post-Kundenschutz-
verordnung, die immerhin die Möglichkeit eröffnete,
eine öffentliche mündliche Verhandlung zur Durchset-
zung von Kundeninteressen zu erzwingen. Das heißt, auf
dem Weg von der Post-Kundenschutzverordnung zur
Post-Universaldienstleistungsverordnung haben Sie
Demokratie abgebaut, statt Demokratie zu stärken.


(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: So sind sie halt!)


Um das ein wenig zu vertuschen, fordern Sie nun in Ih-
rem Entschließungsantrag, in der nächsten Verordnung
die Rechte der Kunden zu stärken. Warum denn nicht
gleich?


(Beifall bei der PDS)


Rainer Funke






(B)



(A) (C)



(D)


Die Post baut unterdessen ihre Leistungen ab. Von
1983 bis heute ist die Zahl der Filialen halbiert worden.
Von den heute noch vorhandenen 14 000 Filialen sind
knapp 7 000 nur Agenturen mit eingeschränktem Lei-
stungsangebot und ohne Fachpersonal. 2 000 von ihnen
droht demnächst das Aus. Und nach 2002 wird das gro-
ße Filialsterben weitergehen, weil die Politik dem nichts
entgegensetzt.

Der zweite kritische Punkt der sogenannten PUDLV
ist das verordnete Ende des Einheitstarifs für Brief-
sendungen bis 200 Gramm ab dem Jahre 2003, also
nach dem Ende der Exklusivlizenz. Die Regierung ar-
gumentiert, daß danach die Preise fallen werden. Für ei-
nen bestimmten Zeitraum mag das auch so sein, jeden-
falls in Ballungsgebieten, wo sich anfangs die verschie-
denen Anbieter gegenseitig auf den Füßen stehen wer-
den, um mit geringstem Aufwand und möglichst billi-
gem Personal höchstmögliche Gewinne herauszuschla-
gen. In dünnbesiedelten ländlichen Gebieten sieht die
Sache dann allerdings ganz anders aus. Man darf ge-
spannt sein, wieviel der Brief von der Nordseeinsel ins
Alpendorf dann kosten wird.

Eines muß man den wechselnden Regierungen in die-
sem Land bestätigen: Kontinuität. Mit der von der gro-
ßen Koalition beschlossenen Privatisierung wurde 1994
das Ziel flächendeckender Postversorgung dem Profit-
prinzip geopfert,


(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Dummes Zeug!)


obwohl die SPD noch 1990 mit dem Versprechen in den
Wahlkampf gezogen war, die Postreform I rückgängig
zu machen. Alles vergessen, jetzt ist Liberalisierung an-
gesagt, und alle machen mit. Das Problem ist, daß nur
wenige in diesem Land etwas davon haben werden und
die vielen anderen es bezahlen müssen.

Frau Hustedt, vielleicht wäre es gut gewesen, Sie
hätten auch ein paar andere Punkte unseres Antrags zi-
tiert. Denn wir wollen – das ist ganz wichtig – mehr
Bürgerinteressen und ein wirkungsvolleres Einspruchs-
und Klagerecht durchsetzen. In dieser Richtung hatten
die Bürger bei Ihrem Gesetz bislang kaum eine Chance.
Wir finden es ganz wichtig, daß die Exklusivlizenz für
die Deutsche Post nicht 2002 ausläuft, sondern weiter
gilt. Das würde Sicherheit für Postbeschäftigte und
Postkunden bedeuten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406620700
Jetzt hat das Wort
der Kollege Klaus Barthel, SPD-Fraktion.


(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Bauchredner der Postgewerkschaft!)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1406620800
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Universal-
dienstleistungsverordnung für die Post definiert jetzt
endlich, nachdem dies die alte Regierung trotz entspre-
chender Ankündigungen seit 1997 nicht geschafft hat,

welche Dienstleistungen in welcher Qualität zu welchem
erschwinglichen Preis – insofern, Herr Jüttemann: die
Preise sind nach oben hin gedeckelt, auch bei Briefen
von der Hallig auf die Alm – flächendeckend für jede
und jeden zukünftig erwartet werden können.

Wir bekennen uns in der Tat dazu, daß wir im Sinne
einer modernen Dienstleistungsgesellschaft ein umfas-
senderes und höherwertiges Angebot an Postdiensten für
erforderlich halten, als dies die Konservativen und die
Liberalen tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen zum Beispiel die Flächendeckung und den
erschwinglichen Preis auch für die Beförderung von
Zeitungen und Zeitschriften sowie für Pakete bis
20 Kilogramm. Wir wollen dauerhaft 12 000 Filialen
bundesweit. An dieser Stelle darf ich daran erinnern:
Stand unter der alten Regierung waren 10 000 Filialen,
bis 2002 begrenzt. Wir öffnen diese Begrenzung nach
oben und sichern 20 Prozent mehr Filialen, auch in der
Fläche, in jeder Stadt und in jedem Landkreis.


(Beifall bei der SPD)

Wenn dann Herr Müller einwendet, 10 000 Agenturen
entsprächen 5 000 posteigenen Filialen, ist doch die Fra-
ge: Warum hat die alte Bundesregierung nicht durchge-
setzt, daß es 20 000 Postfilialen gibt, was finanziell dann
ja überhaupt kein Problem gewesen wäre?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen – es ist bereits gesagt worden – klarere
Kriterien für die Aufrechterhaltung von Filialen: Bei-
behaltung der 2 000-Meter-Regelung und – aus Gründen
der Qualitäts- und Beschäftigungssicherung – 5 000
posteigene Filialen bis Ende 2002. Ich darf daran erin-
nern: Nach von der alten Bundesregierung gebilligten
Plänen wollte die Post AG nach 2002 überhaupt keine
oder nur noch in ganz wenigen Ballungszentren postei-
gene Filialen unterhalten. Wir sichern jetzt bis 2002 ein
breites Rückgrat von posteigenen Filialen in der Fläche,
das diesen Namen auch verdient. Das bedeutet nebenbei
auch Perspektiven für über 25 000 Beschäftigte und
dient der Zukunftssicherung von Post und Postbank.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben endlich eine Grundlage dafür geschaffen,

daß die Post AG jetzt ein Filialkonzept vorlegen kann,
das sie vertraglich mit dem Sozialpartner vereinbaren
kann und das mit den Kommunen und Ländern abge-
stimmt werden kann. Wie lange haben wir denn darauf
gewartet?


(Beifall bei der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!)


Universaldienstleistung bedeutet Pflichtleistung zu
erschwinglichem Preis. Von dieser Pflichtleistung und
von dieser Preisgrenze dürfen aber nicht jene profitieren,
die meinen, sie müßten Haß und Rassismus unter das
Volk streuen. Kein Postunternehmen, weder die Post
AG noch irgendwelche anderen, und kein Beschäftigter
dieser Unternehmen darf gezwungen werden, Sendun-
gen zu bearbeiten, deren äußere Gestaltung schon er-

Gerhard Jüttemann






(A) (C)



(B) (D)


kennen läßt, daß sie gegen die Prinzipien der Genfer
Antirassismuskonvention verstoßen.


(Beifall bei der SPD)

Dort findet sich eine entsprechende klare Regelung, und
dieser Konvention ist die Bundesrepublik vor knapp
30 Jahren beigetreten. Wir vollziehen hier also nur das, wo-
zu wir sowieso verpflichtet sind. Die Union hat dies bis
heute abgelehnt; für uns ist das eine Selbstverständlichkeit.


(Beifall bei der SPD)

Verbraucherverbände und Bürgerinitiativen haben die

rechtlich abgesicherte Überprüfbarkeit der Vorgaben
dieser Verordnung gefordert. Wir sind dieser Forderung
im neuen § 5 in Form der Möglichkeit einer Bürgerein-
gabe teilweise gefolgt. Die Bundesregierung ist der Auf-
fassung, daß für weitergehende Vorstellungen an dieser
Stelle keine Rechtsgrundlage besteht.

Die SPD-Fraktion hält die Bürgereingabe für einen
unübersehbaren Fortschritt. Wir werden aber auch ganz
genau beobachten, ob die Regulierungsbehörde als
Kontrollinstanz diese Eingaben sachgerecht behandelt.
Wir wollen auch, daß – dann eben auf anderen rechtli-
chen Wegen – die Rechte der Kundinnen und Kunden in
dieser Frage gestützt werden.


(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle möchte ich auf die entsprechende Pas-
sage in unserem Entschließungsantrag hinweisen, in
dem wir dieses berechtigte Anliegen mit aufgreifen.

Jetzt komme ich zu den Äußerungen, die wir heute
gehört haben und die schon seit ein paar Tagen in der
Presse herumgeistern. Deshalb haben wir auch die Frage
der Finanzierung des Universaldienstes und des fairen
Wettbewerbs in die Entschließung aufgenommen. Kol-
lege Elmar Müller hat gegenüber der „FAZ“ am 27.
Oktober 1999 erklärt, der Post AG sei die Exklusivli-
zenz beim Brief und die Portoerhöhung zugestanden
worden, um sie in die Lage zu versetzen, „die Infra-
strukturauflagen zu tragen“.

Wir begrüßen, daß sich Elmar Müller in diesem
Punkt unserer Auffassung anschließt. Das heißt nämlich,
wir haben einen reservierten Bereich in einem be-
stimmten Preis- und Mengenvolumen zur Finanzierung
des Universaldienstes. Damit dies logisch und europa-
tauglich sowie wettbewerbsrechtlich sauber ist, muß
beides, der Universaldienst – das liefern wir jetzt nach –
und der reservierte Bereich, klar definiert sein.

Damit machen wir gemeinsam auch gegenüber der
EU-Kommission, der Regulierungsbehörde und gegen-
über gewissen Gerichten, die offensichtlich anderer
Meinung sind, klar, was der Postgesetzgeber an diesem
Punkt gemeint hat. Deswegen freue ich mich über das,
was Elmar Müller gesagt hat.

Wir sagen ganz klar: Der Universaldienstleister Deut-
sche Post AG braucht zur Erfüllung seiner Pflichten be-
rechenbare Rahmenbedingungen. Dazu gehört der reser-
vierte Bereich mit auf absehbare Zeit stabilen Entgelten,
aber dazu gehören auch faire Chancen im internationa-
len Wettbewerb.

Da kann es eben nicht sein, daß sich in der EU die
Liberalisierung so vollzieht, daß ausländische Postun-
ternehmen sich frei auf dem deutschen Markt, der zu
zwei Dritteln schon im Wettbewerb ist, tummeln können
oder ihre Töchter sich dort tummeln lassen, während in
den Herkunftsländern dieser Unternehmen quasi mono-
polistische Verhältnisse herrschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ungleiche Niveau der Liberalisierung in Europa –

aber nicht nur da – hat bekanntlich schon dazu geführt,
daß der Ministerrat der EU die bereits für vergangenen
Herbst vorgesehene Vereinbarung weiterer Liberalisie-
rungsschritte vertagt hat – mit Recht.

Es macht in dieser Situation überhaupt keinen Sinn, sich
von einzelnen EU-Staaten im Verbund mit Union und
F.D.P. zur Vereinbarung weiterer Liberalisierungsschritte
treiben zu lassen oder für Deutschland schon heute über
feste Fristen des Auslaufens der Exklusivlizenz zu ent-
scheiden, während in den meisten europäischen Mitglied-
staaten noch nicht einmal die für Anfang vergangenen Jah-
res vereinbarten Marktöffnungen vollzogen sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dann möchte ich an dieser Stelle einmal anmerken,
daß sich aus meiner Sicht die Anzeichen dafür mehren,
daß die derzeitige deutsche Regulierungspraxis bei
Telekommunikation und Post die eigenen nationalen
Carrier dadurch benachteiligt, daß in deren deutschen
Hauptmarkt alle fast alles tun können, während die
Deutsche Telekom und die Deutsche Post AG in vielen
Ländern mit Hürden zu kämpfen haben. Ich will nur ein
Beispiel nennen: Postmarkt Niederlande. Der Delegation
unseres Unterausschusses haben sie dort frank und frei,
ganz liberal, erklärt, daß im dortigen, ohnehin verspäte-
ten Postgesetz an so etwas wie einen freien Netzzugang
überhaupt nicht gedacht sei, den es bei uns seit Jahren in
extensiver Form gibt und von dem die niederländischen
Postunternehmen in der Bundesrepublik massiven Ge-
brauch machen.

An dieser Stelle wundere ich mich schon über den
Kollegen Müller, wenn er in demselben „FAZ“-
Gespräch beklagt,

die Post habe die Mehreinnahmen aus dem reser-
vierten Bereich aber auch für Großeinkäufe von
10 Milliarden DM verwendet.

Er leitet daraus die Forderung nach Gebührensenkungen
und einem baldigen Ende der Exklusivlizenz ab, um sich
dann aber wieder zu beklagen, daß die Post AG Rabatte
an Großkunden geben darf. Also was denn jetzt? Wett-
bewerb ja, Gebührensenkungen ja, Rabatte nein? Wir
wissen doch alle, daß 85 Prozent des Postgeschäfts mit
Großkunden gemacht werden.

Vor diesem Hintergrund laufen die Forderungen von
Union und F.D.P. darauf hinaus zu sagen: Die Post AG
muß erstens in dem Umfang Universaldienst leisten, den
wir heute beschließen, übrigens auch auf Drängen und
mit Unterstützung aller unionsgeführten Länder im

Klaus Barthel (Starnberg)







(B)



(A) (C)



(D)


Bundesrat. Vielleicht könnte sich die Union hier im
Haus mit den Landesregierungen koordinieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Weiter mit den Forderungen der Union und F.D.P.: Die
Post AG muß zweitens ihre Tarife senken. Sie darf drit-
tens ihren Großkunden keine Rabatte anbieten und muß
viertens ihren reservierten Bereich ganz schnell verlie-
ren. Das heißt, die Post AG muß alle Lasten tragen und
ist gleichzeitig im Wettbewerb gefesselt. Das ist für die
Konkurrenz eine komfortable Lage. Auf diesem Weg
entsteht alles mögliche, aber kein fairer Wettbewerb.

Es war immer der Einwand der Liberalisierungsgeg-
ner, daß die Großkunden von der Liberalisierung mehr
profitieren, egal, ob bei der Telekommunikation, beim
Strom oder bei der Post. So kommt es natürlich jetzt.
Daß die Krokodilstränen über diese Tatsache jetzt aus-
gerechnet von den Propagandisten der Liberalisierung
kommen, ist doch ein Schmierentheater sondergleichen.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Wenn ich mich recht erinnere, war es doch die alte

Bundesregierung, die die Liberalisierung der Postmärkte
mit der internationalen Entwicklung und Globalisierung
sowie damit begründet hat, daß die Deutsche Post AG
international wettbewerbsfähig gemacht werden müsse.
Die Post mußte ja deswegen auch von einer Einrichtung
des öffentlichen Dienstes zu einer Aktiengesellschaft
werden. Deswegen soll sie auch an die Börse gebracht
werden. Dafür braucht sie gesicherte Bedingungen
– auch einen reservierten Bereich – für die Übergangszeit.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Sie hat doch schon fünf Jahre Übergangszeit!)


Wir wissen doch alle, daß im Zuge der vielstrapa-
zierten Globalisierung auch ein Unternehmen wie die
Deutsche Post AG im Wettbewerb nur überleben kann,
wenn sie sich international aufstellt. Es waren doch Uni-
on und F.D.P., die das für die Postmärkte immer gefor-
dert haben. Jetzt folgt die Deutsche Post AG diesen Vor-
schlägen der Liberalisierer Union und F.D.P. Wenn sie
das tut, schreien dieselben Zeter und Mordio. Da stimmt
doch etwas nicht.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Peter Dreßen [SPD]: Bei denen stimmt vieles nicht!)


Anstatt gemeinsam mit der Bundesregierung, Elmar
Müller, gegenüber den Institutionen der Europäischen
Union und gegenüber gewissen überforderten Verwal-
tungsrichtern deutlich zu machen, daß wir in der Bundes-
republik nicht nur eine der liberalsten Gesetzgebungen,
sondern den faktisch am weitesten geöffneten Postmarkt
haben, während in anderen Ländern zwar liberalistisch
dahergeredet wird, aber monopolistische Fakten bestehen,
während andere Länder – übrigens durchaus nicht völlig
abwegig – die Postliberalisierung überhaupt für Unfug
halten, liefern jetzt die Vertreter von Union und F.D.P.
Argumente gegen die Kunden und gegen die Arbeitsplät-
ze in Deutschland, indem sie von Beihilfen, Quersubven-
tionierung und überdimensionalen Einnahmen aus dem
reservierten Bereich faseln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie bauen diese ganze gegen die Marktbedingungen,
gegen die Unternehmen und gegen die Arbeitsplätze in
Deutschland gerichtete Argumentation mit auf und er-
klären dann ganz treuherzig, wegen all dieser Widrig-
keiten sei nun der Börsengang der Deutschen Post AG
gefährdet. Ich darf Sie daran erinnern: Es war doch die
von Ihnen getragene Bundesregierung, die den Börsen-
gang geplant und terminiert hat. Da beißt sich doch der
Hund selbst in den Schwanz und jault, weil es weh tut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir warnen an dieser Stelle vor einer populistischen
Gebührensenkungsdebatte. Für Entgelte gibt es Verfah-
ren, die außerhalb dieses Gebäudes stattfinden. Wir ha-
ben mit der Post-Universaldienstleistungsverordnung
mehr Klarheit in die Rechnungs- und Begründungszu-
sammenhänge gebracht, auch hinsichtlich der Gebühren-
frage. Wer ohne diese Rechnungen und Erwägungen
jetzt zu laut schreit, der setzt sich der Gefahr aus, wegen
des billigen Effekts und wegen ein paar Pfennigen Porto
erstens die Erbringung des Universaldienstes zu gefähr-
den, zweitens die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen
Carriers zu beeinträchtigen und drittens Zigtausende von
Arbeitsplätzen aufs Spiel zu setzen.

Zu deutsch: Was nützt es dem Handwerker, wenn das
Briefporto um 10 Pfennig billiger wird, aber wenn er nur
noch jeden zweiten Tag die Post zugestellt bekommt
und wenn er seine Sendungen am Heimatort nicht mehr
aufgeben kann, weil es keinen Universaldienst mehr
gibt? Mit den paar Pfennigen Ersparnis kann er den
Mehraufwand, den er aufbringen muß, um in die Kreis-
stadt zu fahren, bestimmt nicht finanzieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Unsere klare Linie ist: Den Universaldienst brauchen
die Postkundinnen und -kunden im ganzen Land. Zu-
verlässige Mindestbedingungen brauchen auch die Un-
ternehmen, vor allen Dingen auch die kleinen und mitt-
leren. Das ist ein Standortfaktor. Die Bundesländer und
die Kommunen haben das längst begriffen. Diese Infra-
struktur kommt nicht von allein und auch nicht durch
den Wettbewerb allein. Das ist eine historische und be-
triebswirtschaftlich logische Tatsache.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406620900
An sich ist Ihre Re-
dezeit zu Ende, Herr Kollege.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1406621000
Der Gesetzgeber
war und ist gefordert. An dieser Stelle liegt der zentrale
Unterschied zwischen Ihrer und unserer Auffassung von
Politik. Wir gehen von den Bedürfnissen der Menschen
aus. Uns geht es um Arbeitsplätze. Von daher bestim-
men wir die Wettbewerbs- und Marktbedingungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie von konservativer und liberaler Seite sehen den

schrankenlosen Wettbewerb als Selbstzweck. Sie kon-
struieren ökonomische Sachzwänge und wollen die
Menschen in diese Zwänge hineinpressen. Mit unserer

Klaus Barthel (Starnberg)







(A) (C)



(B) (D)


Post-Universaldienstleistungsverordnung haben wir
einen wesentlichen Schritt in Richtung Klarheit auf dem
Postmarkt getan.


(Zuruf von der F.D.P.: Das ist reiner Sozialismus!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406621100
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluß kommen.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1406621200
Die Kernbotschaft
des heutigen Tages lautet: Unsere neue PUDLV beendet
den Filialabbau. Keine Postmoderne ohne moderne Post!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406621300
Ich schließe die
Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie zu der zustimmungsbedürftigen Post-Universal-
dienstleistungsverordnung, Drucksache 14/1696. Der
Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 14/1971, der
Verordnung zuzustimmen. Wer stimmt dieser Beschluß-
empfehlung zu? – Die Gegenprobe! – Stimmenthaltun-
gen? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und
PDS ist die Beschlußempfehlung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen, Drucksache 14/1972. Wer stimmt diesem
Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Bei Gegenstimmen von CDU/CSU, F.D.P.
und PDS ist der Entschließungsantrag angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS, Drucksache 14/1973.
– Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die
PDS-Fraktion. – Wer stimmt dagegen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen aller anderen Fraktio-
nen abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Hannelore Rönsch (Wiesbaden), Ernst
Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Sicherung der Volksfeste und des Schaustel-
lergewerbes in der Bundesrepublik Deutsch-
land
– Drucksache 14/1312 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion. Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir über den von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eingebrachten Antrag zur Sicherung der Volksfeste und des Schaustellergewerbes in der Bundesrepublik Deutschland. Einleitend möchte ich auf die grundsätzliche Bedeutung deutscher Volksfeste für die deutsche Freizeitund Tourismuswirtschaft und auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des deutschen Schaustellergewerbes eingehen: Zirka 10 000 Volksund Schützenfeste, Weihnachtsmärkte und Kirmessen tragen zu einer großen Vielfalt des Angebots in der Freizeitund Tourismuswirtschaft bei und sind somit ein einzigartiger Wirtschaftsfaktor. Mit 67 Prozent der Gesamtbevölkerung als Besucher von Volksfesten und insgesamt über 200 Millionen Besuchern pro Jahr sind die Volksfeste nicht nur der mit Abstand größte Freizeitbereich in Deutschland, sondern sie tragen auch zur Attraktivität des Tourismusstandorts Deutschland und zum Wachstum des Städtetourismus als des nachfragestärksten Segments des Deutschlandtourismus bei. Allerdings wird das Kulturgut Volksfest – im Gegensatz zu anderen Kulturbereichen – nicht durch öffentliche Subventionen unterstützt. Die enorme wirtschaftliche Bedeutung, die die Volksfeste für einzelne Regionen besitzen, wird am Aushängeschild der deutschen Volksfeste, dem Münchener Oktoberfest, schnell deutlich. Die „Wies’n“, mit über 6,5 Millionen Besuchern das größte Volksfest der Welt, erbringt während ihrer 16tägigen Dauer einen Wirtschaftswert von rund 1,4 Milliarden DM. Auf der „Wies’n“ selbst werden dabei zirka 450 Millionen DM umgesetzt. Weitere 380 Millionen DM werden für Einkäufe, Taxifahrten, Verpflegung und Fahrten mit dem Münchener Verkehrsverbund ausgegeben. Annähernd 560 Millionen DM – und damit der Löwenanteil am Gesamtumsatz – resultieren aus Einnahmen aus Übernachtungen der auswärtigen „Wies’n“-Besucher, vor allem auch internationaler Gäste. Neben diesen direkt bezifferbaren Einnahmen darf man allerdings auch nicht den enormen immateriellen Imagegewinn vergessen, den Deutschland als Gastgeber des größten Volksfestes international erzielt. Die sympathischsten Exportschlager Deutschlands sind meines Erachtens die weltweit kopierten Volksfeste wie das Münchener Oktoberfest oder der Nürnberger Christkindlmarkt. Die ganze Welt beneidet uns um unsere Volksfeste. Sie gelten im Ausland als Synonym für deutsche Gemütlichkeit und Geselligkeit, aber auch für Gastfreundschaft und Weltoffenheit. Einen besonderen Beitrag zum Erfolg dieser teilweise Jahrhunderte alten Volksfeste leisten die Schaustellerunternehmen und Marktkaufleute, die sich im Deut Klaus Barthel schen Schaustellerbund bzw. im Bundesverband Deutscher Schausteller und Marktkaufleute zu Berufsorganisationen zusammengeschlossen haben. – An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich die Spitzenvertreter des Deutschen Schaustellerbundes, den Ehrenpräsidenten, Herrn Konsul Harry Wollenschläger, den Vizepräsidenten, Herrn Albert Ritter, und den Hauptgeschäftsführer, Herrn Dr. Norbert Weigang, begrüßen, die dieser Debatte beiwohnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das mittelständisch geprägte Schaustellergewerbe beschäftigt zur Zeit zirka 34 000 Mitarbeiter, einschließlich der mitarbeitenden Familienangehörigen, und erwirtschaftete 1998 einen Gesamtumsatz von zirka 1,3 Milliarden DM. Dies stellt im Vergleich zu 1997 einen Umsatzrückgang von 300 Millionen DM bzw. annähernd 20 Prozent dar. Dieser Einnahmerückgang wird sich durch die zusätzlichen Belastungen, die die neue Bundesregierung durch die Einführung der ersten und zweiten Stufe der Ökosteuer sowie durch die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in diesem Jahr geschaffen hat, deutlich verschärfen. Schätzungen zufolge ist die Mehrbelastung der Unternehmen des Schaustellergewerbes durch die Ökosteuer 10bis 20mal höher als die Entlastung durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge. Dies liegt zum einen an den hohen Energiekosten der aufwendigen Fahrgeschäfte sowie an den ständig anfallenden Beförderungskosten von Festplatz zu Festplatz und zum anderen an dem hohen Beschäftigungsanteil von Familienmitgliedern und ausländischen Hilfskräften, für die keine Rentenversicherungsbeiträge gezahlt werden. In Anbetracht der oben genannten Entwicklung sind wir als verantwortlich handelnde Politiker aufgerufen, die Rahmenbedingungen für den Erhalt unserer Volksfeste und des Schaustellergewerbes deutlich zu verbessern. Ein grundsätzlicher Ansatz wäre eine große Steuerreform, die den Namen auch wirklich verdient und zum einen dem Bürger für solche Freizeitvergnügen deutlich mehr Geld in der Tasche läßt und zum anderen den Unternehmen mehr Spielraum für dringend notwendige Zukunftsinvestitionen gibt. Gerade das Schaustellergewerbe muß mit immer neuen Attraktionen für Abwechslung sorgen und sich auf die schnellebigen Trendwechsel im Unterhaltungsbereich einstellen. Neben diesem allgemeinen fiskalischen Lösungsansatz macht die CDU/CSU-Fraktion in ihrem vorliegenden Antrag eine Reihe von Vorschlägen zur spezifischen Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen für die Schaustellerbranche. Exemplarisch möchte ich einige wichtige Lösungsansätze nennen: Im Gaststättengesetz sollte eine standortunabhängige Dauererlaubnis für den Betrieb von reisenden Zeltgaststätten, Imbißund Ausschankbetrieben ermöglicht werden. Damit würden Wettbewerbsverzerrungen gegenüber dem konkurrierenden stationären Gewerbe abgebaut. Weiterhin sollte der Bund gerade aus ökologischen Gründen darauf hinwirken, daß für den Bahntransport der Schaustellerbetriebe, zum Beispiel für Achterbahnen und für andere große Fahrgeschäfte, genügend Verladebahnhöfe, Strecken und Transportkapazitäten bereitgestellt werden. Die Bahn darf sich nicht aus der Fläche zurückziehen. Die Deutsche Zentrale für Tourismus sollte in ihre Marketingaktivitäten im Inund Ausland verstärkt deutsche Volksfeste einbeziehen. Auch hier könnte die DZT mit der von uns immer wieder geforderten Aufstockung der Bundeszuwendung sinnvolle Arbeit leisten. Weiterhin sollte der Bund seinen Einfluß auf Länder, Städte und Gemeinden geltend machen, die Durchführung von Volksfesten nicht zunehmend durch die Anwendung bzw. Erhöhung von Bagatellsteuern, zum Beispiel durch die Erhöhung etwa von Standgebühren, zu erschweren. Das Beispiel Oktoberfest zeigt eindrucksvoll, wie sehr Kommunen von dem Wirtschaftsfaktor Volksfest profitieren. In solchen Fällen liegt es doch im eigenen Interesse, Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Betriebe zu nehmen und bei der Erhebung von Steuern und Gebühren Augenmaß zu bewahren. Wir wollen, daß auf dem Volksfest und nicht am Volksfest verdient wird. Es ist schon unglaublich, wenn einem Schausteller vor Ort erklären, daß sie an die Kommunen 50 bis 60 verschiedene Abgaben und Gebühren zu entrichten haben. Nicht mehr Regulierung, sondern Deregulierung heißt das Gebot der Stunde. Ein positives Beispiel für den Interessenausgleich zwischen Kommunen und Schaustellergewerbe ist der Verzicht einiger ostdeutscher Kommunen auf die Gebühren für die Sondernutzung öffentlichen Straßengeländes wie etwa Fußgängerzonen. Dadurch wird das Schaustellergewerbe – im Vergleich zu westdeutschen Kommunen – pro Veranstaltung mit mehreren 10 000 DM entlastet. Um die ökonomische Bedeutung der Volksfeste und des Schaustellergewerbes für die Volkswirtschaft den Entscheidungsträgern auf Bundes-, Landesund kommunaler Ebene zu verdeutlichen, benötigen wir schnellstens eine eingehende Studie. Mit einer Fachstudie im Auftrag der Bundesregierung, um deren Unterstützung wir hier ausdrücklich bitten, lieber Kollege Mosdorf, könnten wir den Verantwortlichen auf allen politischen Ebenen eine wichtige Entscheidungshilfe für die sachgerechte Organisation und Durchführung der Volksfeste an die Hand geben. Gleichzeitig bitte ich die Bundesregierung, darauf Einfluß zu nehmen, daß keine wettbewerbsverzerrenden Investitionen mit Rundfunkgebühren – das Zweite Deutsche Fernsehen beabsichtigt dies möglicherweise mit seinem Freizeitpark – getätigt werden. Abschließend möchte ich Sie aufrufen, bei dieser Thematik parteipolitische Erwägungen zugunsten einer sachbezogenen Zusammenarbeit zurückzustellen. Gemeinsam sollten wir uns für die Förderung und den Erhalt deutscher Volksfeste in allen Teilen unseres Vaterlandes einsetzen und das Schaustellergewerbe tatkräftig unterstützen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Klaus Brähmig Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf. S Frau Präsidentin! Ich freue mich, zu diesem Thema zu reden, weil heute Gäste aus dem Schaustellergewerbe unter uns sind. Es ist nicht selbstverständlich, daß die Betroffenen selber den Entscheidungsprozeß verfolgen. Dies finde ich sehr angenehm. Ich freue mich sehr, daß Sie hier sind. Ich möchte gleich hinzufügen, daß es der Wunsch des Bundeswirtschaftsministeriums ist, mit Ihnen die Probleme, die es objektiv gibt, in Ruhe und Sachlichkeit zu erörtern. Ich möchte gern den Vorschlag aufgreifen, eine Studie über das Schaustellergewerbe erstellen zu lassen. Auf der Grundlage der in dieser Studie erhobenen Daten können wir gemeinsam versuchen, die Probleme anzugehen. Parteipolitische Polemik lohnt sich in der Tat nicht. Herr Brähmig hat völlig recht. Deshalb versage ich es mir auch, Herr Brähmig, darüber zu reden, warum wir nach 16 Jahren so viele Verordnungen, so viele Genehmigungen, so viele Gebühren haben. Wir wollen nach vorne schauen, wollen vernünftige Regelungen hinbekommen, Regelungen, die möglichst unbürokratisch sind. Wir glauben nämlich, daß dies ein mittelständisches Gewerbe ist, von dem man sehr viel Flexibilität verlangt. Und wenn man Flexibilität, Einsatzbereitschaft und auch Selbständigkeit verlangt, dann, finde ich, sollte man das unterstützen und auch mit Flexibilität beantworten. Das wäre ein wichtiges Signal an die Branche und an diejenigen, die sich dort engagieren. Ich freue mich sehr darüber, daß wir dieses Thema in diesem Hohen Haus auch einmal unter dem kulturpolitischen Aspekt erörtern. Denn es ist gar keine Frage: Es gibt eine jahrhundertelange Tradition von Kulturfesten, von Volksfesten, auch eine jahrhundertelange Tradition von kulturellen Einrichtungen. Das sind ja meistens Dinge, die jedes Jahr wieder gemacht werden. Städte haben teilweise sogar ihr eigenes Marketingkonzept darauf eingestellt. Viele Familien gehen mit ihren Kindern zu diesen Volksfesten. Ich glaube, es ist wichtig, zu erkennen, daß das eine besondere Tradition ist. Wenn man sich so im angelsächsischen Raum umhört, dann wird schnell klar: Natürlich, die Amerikaner kommen nach Heidelberg. Die Amerikaner kommen auch in andere wichtige Städte. – Heidelberg habe ich jetzt Ihnen zuliebe genannt, Herr Niebel. Heidelberg ist ja auch eine wichtige und stolze Stadt, eine der schönsten Städte in Deutschland. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist eine klasse Stadt!)

Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1406621400




(B)


(A) (C)


(D)


(Beifall im ganzen Hause)


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





(A) (C)


(B) (D)

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406621500
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1406621600

(Beifall im ganzen Hause)


(Beifall im ganzen Hause)


(Beifall bei der SPD)


– Ja.

Wenn man dann bei den Amerikanern noch hinzu-
fügt, daß Deutschland auch für Volksfeste steht, dann
wird das bei ihnen sehr genau registriert – übrigens auch
bei den Asiaten. Deutsches Brauchtum und deutsche
Kultur sind also ein Stück Identität, die hier gepflegt
wird. Ich finde es gut, wenn das erhalten bleibt. Deshalb
sollten wir alles tun, um die Probleme, die objektiv be-
stehen, anzugehen.

Volksfeste sind auch ein wichtiger Faktor für den
Tourismus. Und weil das so ist, sind wir darum bemüht,
gerade bei der Deutschen Zentrale für Tourismus um
Verständnis dafür zu werben. Sie wissen – auch das will
ich hier sagen –, daß sich gerade die Bundesregierung
um die Deutsche Zentrale für Tourismus bemüht hat,
daß sie sich bemüht hat, die Mittel nicht nur aufzustok-
ken, sondern sie auch stabil zu halten – trotz der Spar-
maßnahmen, die anstehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist eine wichtige Sache.
Herr Brähmig, wir beide wissen, wovon wir reden,

weil wir beide Ihre mittelfristige Finanzplanung kennen.
Dort war eine Absenkung vorgesehen. Wir haben das
miteinander vermieden, und wir sind uns darin einig,
daß das wichtig war.


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Ja, das ist wichtig, aber das können wir möglicherwei-
se nicht übersehen. Herr Brähmig weiß, wovon er redet.
Die Deutsche Zentrale für Tourismus ist eine der wich-
tigsten Multiplikatoren-Institutionen, die wir im Prozeß
der Globalisierung haben. Deshalb haben wir darum ge-
kämpft, daß die Mittel entsprechend ausgestattet werden


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Aber auch wieder gekürzt!)


und die Institution erhalten bleibt. Das ist wichtig. Wenn
wir dann auch noch etwas für Volksfeste im internatio-
nalen Marketing tun können, wäre das, glaube ich, ein
wichtiger Fortschritt.

Es gibt einen Punkt, meine Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen, der, glaube ich, besonders
wichtig ist und bei dem wir schon einen Fortschritt er-
zielt haben: Wir haben uns dafür eingesetzt, daß die
Schaustellerfahrzeuge nicht mehr schematisch zu ei-
nem Termin, der mitten in der Saison liegt, geprüft wer-
den, sondern dies kann, zeitlich passend, außerhalb der
betrieblichen Spitzenzeiten erfolgen. Ich weiß, daß das
Schaustellergewerbe das sehr begrüßt hat. Wir haben
das gemeinsam gemacht. Es ist, glaube ich, ein wichti-
ger Schritt. Ich will jetzt nicht übertreiben, aber es ist ein
wichtiges Zeichen, ein Signal, daß wir pragmatisch an
die Lösung dieser Fragen herangehen. Diese Regelung
erfolgte im Einvernehmen mit den Schaustellerverbän-
den und den obersten Landesbehörden.

Auch bei den Fahrverboten nach der Straßenver-
kehrsordnung verfahren die Länder inzwischen mit
Ausnahmegenehmigungen für die Schausteller großzü-
giger. Ich habe die herzliche Bitte, daß Sie sich, wenn es
dort Probleme gibt, direkt an uns wenden, damit wir der






(B)



(A) (C)



(D)


Sache nachgehen können. Wir wollen nämlich, daß da
eine flexible Handhabung stattfindet.

Die ebenfalls aufgeworfene Frage, ob wir eine gast-
stättenrechtliche Dauererlaubnis für reisende Zelt-
gaststätten und Imbißbetriebe einführen können, wird
unser Haus bei der nächsten Sitzung des Bund-Länder-
Ausschusses „Gewerberecht“ erörtern. Wir streben eine
konstruktive Zusammenarbeit mit den Ländern an, um
hier eine unbürokratische Lösung zu finden, möglichst
viele flexible Formen zu gestatten und damit vielleicht
auch eine Form von Regelung zu ermöglichen, die nicht
pausenlose Behördengänge verlangt. Das ist, glaube ich,
einer der wichtigsten Punkte, um die es überhaupt geht.
Wir müssen möglichst bürgernahe Strukturen schaffen.
Wir müssen möglichst flexible Einheiten schaffen, damit
dieses Gewerbe als wichtiges mittelständisches Gewerbe
erfolgreich ist. Wir wollen, daß es Erfolg hat, auch öko-
nomischen Erfolg, weil das die Voraussetzung dafür ist,
daß das Schaustellergewerbe manchmal ein bißchen
Licht in den grauen Alltag bringen kann.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406621700
Das ist der Beifall
des ganzen Hauses. Nun hat das Wort der Kollege Ernst
Burgbacher, F.D.P.-Fraktion.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1406621800
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es heute
tatsächlich mit Produzenten eines ganz besonderen Pro-
dukts zu tun, nämlich mit Produzenten der Produkte
Freude, Frohsinn und Geselligkeit.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kollege Brähmig hat schon auf die wirtschaftliche Be-
deutung dieser kleinen und mittelständischen Produzen-
ten hingewiesen. Wir alle haben ihre Produkte sicher in
der einen oder anderen Form immer wieder genossen.
Diese Produzenten müssen allerdings auf dem äußerst
hart umkämpften Markt der Freizeitdienstleistungen ar-
beiten. Sie kämpfen mit immer verhaltener werdenden
Einkommensentwicklungen.

Herr Staatssekretär Mosdorf, nachdem Sie es sich
versagt haben, gewisse Dinge auszusprechen, will ich es
mir nicht versagen, zu sagen, daß dieses Gewerbe natür-
lich unter dem 630-Mark-Gesetz und unter den beiden
Stufen der Ökosteuer leidet.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/ CSU)

Nach allen Informationen, die mir vorliegen, ist das
Energiesparpotential weitgehend ausgereizt – es sei
denn, die Lichter gehen aus; aber dann gehen wir nicht
mehr auf den Jahrmarkt. Nach all meinen Informationen
ist es für dieses Gewerbe relativ uninteressant, was an
Rentenbeiträgen eingespart wird, weil hier eine andere
Beschäftigtenstruktur vorhanden ist.

Es gibt ganz andere Probleme, vor denen das Schau-
stellergewerbe steht. Zum einen beschreiten die Kom-

munen in ihrer Finanznot, die wir kennen, Wege, die un-
serer Ansicht nach nicht die richtigen sind. Es werden
zum Beispiel Gebühren für verschiedene Dinge erhoben,
die die Branche vor große Probleme stellen. Zum ande-
ren gehen die Kommunen mehr und mehr dazu über,
solche Fest an private Organisationen zu vergeben. Bei-
des ist sicherlich sehr kritisch zu sehen. Deshalb wird in
dem Antrag von der CDU/CSU zu Recht darauf hinge-
wiesen, daß die Gefahr besteht, daß Traditionen verlo-
rengehen und solche Märkte absterben. Ich will darauf
hinweisen, wie stark die örtliche Gastronomie und der
örtliche Einzelhandel von solchen Volksfesten und
Märkten abhängen.

Ich komme aus einer Stadt, die einen Markt hat, der
über 150 Jahre alt ist. Ich weiß, wie wichtig dieser
Markt für die ganze Stadt ist. Für den Einzelhandel ist
dieser eine Markttag fast wichtiger als das Weihnachts-
geschäft. Das muß man sehen. Deshalb müssen wir dar-
an interessiert sein, vernünftige Bedingungen zu schaf-
fen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, eines ist ganz klar – und

das werden Sie von Liberalen erwarten –: Wir bekennen
uns auch hier zur Konkurrenz, zum Wettbewerb. Aller-
dings müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Es
kann nicht sein, daß wir den Schaustellern alle mögli-
chen Auflagen machen und alle möglichen anderen Ge-
schäfte zulassen, die viel weniger belastende arbeits-
rechtliche, hygienische und andere Vorschriften beach-
ten müssen. Hier müssen wir angehen und dafür sorgen,
daß tatsächlich alle unter den gleichen Voraussetzungen
arbeiten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich sage an dieser Stelle kritisch: Wir haben hier vor

zwei, drei Wochen eine Vereinsdebatte geführt. Wir
können nicht an einem Donnerstag sagen, jetzt geben
wir den Vereinen alle Vergünstigungen, und an einem
anderen Donnerstag, heute, die Vereine sollen keine be-
kommen. Hier müssen wir ein ganzes Stück ehrlicher
argumentieren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir stimmen vielen Punkten in ihrem Antrag zu. Wir

werden uns auch in die Ausschußberatungen einklinken
und versuchen, zu einem gemeinsamen Antrag zu kom-
men. Lassen Sie mich aber zwei Dinge ein wenig kriti-
scher darlegen: Im Antrag wird immer wieder dazu auf-
gerufen, wir sollten auf die Kommunen einwirken. Das
könnte kontraproduktiv sein. Ich halte sehr viel von der
kommunalen Selbstverwaltung. Kommunen müssen
wissen, was sie tun. Sie müssen in Zusammenarbeit mit
den Schaustellern entscheiden. Dafür, daß sie das tun,
gibt es genügend gute Beispiele.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das zweite: In einigen Bereichen werden neue Re-
gelungen gefordert. Da sage ich: Vorsicht! Ich bin, wie
gesagt, dafür, die bestehenden Regelungen auf alle an-
zuwenden, aber ich bin bei neuen Regelungen skeptisch.

Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf






(A) (C)



(B) (D)


Ich fahre bis heute liebend gern Autoscooter, aber ich
möchte dabei nicht auch noch die Straßenverkehrsord-
nung beachten müssen. Damit verschonen Sie uns bitte!


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Noch ein ganz konkreter Punkt: Sie werben für Er-

leichterungen bei der Vermittlung von ausländischen
Arbeitskräften. Ich bitte Sie wirklich herzlich: Überle-
gen Sie sich einmal, ob nicht der bessere Weg wäre,
dem F.D.P.-Antrag auf Abschaffung der Arbeitserlaub-
nispflicht für legal hier lebende Ausländer zuzustimmen.


(Beifall bei der F.D.P. – Dirk Niebel [F.D.P.]: Ein schöner Antrag!)


Dann hätten Sie einen großen Teil der Probleme heute
schon gelöst.

Ich möchte zum Schluß kommen. Ich habe vor einer
Stunde, bevor ich hierhergekommen bin, vom DTV eine
Broschüre mit einem Gedicht bekommen, das genau zu
unserem Thema paßt. Dort heißt es am Schluß:

Die Städte sollen‘s Volksfest schätzen,
Es lassen auf den alten Plätzen,
Gebühren halten stets im Rahmen,
Für alle Zeiten, ewig. Amen.

(Heiterkeit – Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)

Lassen Sie mich im Hinblick auf unsere Gäste noch

hinzufügen: Wir helfen unseren heutigen Gästen, auch
wir woll‘n schließlich weiterfesten.


(Beifall bei der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406621900
Ich erteile das Wort
der Kollegin Sylvia Voß, Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406622000
Ja, Herr
Burgbacher, wir haben ein „Herz für bunte Feste“,
könnte man gleich anfügen. – Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Nachdem sich die CDU/CSU vor
nicht allzu langer Zeit mit dem bösen Wort vom „Frei-
zeitpark Deutschland“ hervorgetan hat, fällt es mir aller-
dings ein wenig schwer, heute hier nachzuvollziehen,
daß diese hübsche Übersicht über ihre 16jährigen Ver-
säumnisse ein Antrag zur Sicherung der Volksfeste und
des Schaustellergewerbes sein soll. Auf dem parlamen-
tarischen Abend des Schaustellerbundes am 23. Juni
dieses Jahres in Bonn hat der Schaustellerbund zu Recht
darauf verwiesen, daß er seit Jahren Initiativen ergreife,
Volksfeste besser abzusichern. Sehr erfolgreich ist man
damit in der vorigen Regierung offensichtlich nicht ge-
wesen.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Es hätte den christdemokratischen Kolleginnen und
Kollegen, die uns heute ihre 17 Forderungen hier prä-
sentieren, ganz gut angestanden, die vom Deutschen
Schaustellerbund schriftlich an uns herangetragenen
Forderungen nicht einfach abzuschreiben.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406622100
Frau Kollegin Voß,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bräh-
mig?


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406622200
Ach,
Herr Brähmig, wir sehen uns im Ausschuß so oft. Las-
sen Sie mich jetzt ausreden.

Sicherlich ist es erfreulich für den Deutschen Schau-
stellerbund, daß die CDU/CSU in der Opposition end-
lich den Mut faßt, der sich in der Regierung partout
nicht hatte einstellen wollen. Aber ich denke, wir sollten
dabei wirklich gemeinsam vorgehen.

Ich möchte allerdings anmerken, daß es in Ihrem
vorliegenden Antrag reichlich viel Unverbindlichkeit
gibt. Bei vielen Forderungen wird gänzlich darauf ver-
zichtet, Problemlösungen auch nur anzudeuten. Herr
Brähmig hat vorhin ein paar genannt. Ich hielte es
grundsätzlich für fatal, wenn sich die Opposition dieses
Hauses nur als Stichwortgeber der neuen Regierung ver-
stände.

Es bleibt beispielsweise völlig im Nebel, welche Vor-
stellungen Sie mit Ihrer Forderung verbinden, die Bun-
desregierung möge auf die Kommunen einwirken,
Volksfeste in eigener Trägerschaft zu veranstalten.
Schweben Ihnen hier Fördermodelle des Bundes oder
lediglich gute Worte bei mehr oder weniger passendem
Anlaß vor?

Dann lesen wir: Der Bund – wohlgemerkt: der Bund –
möge darauf hinwirken, daß die Vergnügungsteuer und
die Schankerlaubnissteuer durch die Gemeinden nicht
erhöht werden. – Wie das? Für beide Steuern besitzt der
Bund keine Gesetzgebungskompetenz. Die Vergnü-
gungsteuer ist eine örtliche Steuer auf Grundlage eines
Landesgesetzes. Die Schankerlaubnissteuer ist es nicht
minder. Letztere wird obendrein nur in einer Handvoll
Länder überhaupt erhoben. In Rheinland-Pfalz und Hes-
sen liegt die Ertragshoheit der Schankerlaubnissteuer bei
den Landkreisen und kreisfreien Städten. Das können
und wollen wir auch nicht ändern.

Bei einigen Forderungen kann man sich auch nicht
des Eindrucks erwehren, daß für die Opposition mit der
Erlangung des Status der Opposition eine neue Zeitrech-
nung begonnen hat.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Oder wollen Sie dieses Hohe Haus wirklich glauben
machen, es hätte bis zum Herbst 1998 den jetzt von Ih-
nen, Herr Brähmig, konstatierten Regelungsbedarf in der
Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung nicht gege-
ben? Hat es der von Ihnen jetzt angemahnten besseren
Förderung der Schulausbildung von Schaustellerkin-
dern, die völlig richtig ist, unter einer
CDU/CSU/F.D.P.-Regierung nicht bedurft?

Mit diesen Forderungen stellen Sie sich doch selber
ein Armutszeugnis für Ihre Regierungsarbeit aus. Es ist
zu hoffen – ich glaube, daß wir das hinbekommen –, daß
sich die Antragsteller in den Ausschußberatungen bereit-
finden werden, sich den einen oder anderen Gedanken

Ernst Burgbacher






(B)



(A) (C)



(D)


darüber zu machen, wie wir diese berechtigten Forde-
rungen des Schaustellerbundes umsetzen. Bis dahin
bleibt Ihr Antrag leider nur ein großes Potpourri schöner
Forderungen, das besser zu der Sendung „Wünsch Dir
was“ passen würde.

Unsere Fraktion nimmt die spezifischen Probleme des
Schaustellergewerbes sehr ernst.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das glaube ich!)

Wir sind bereit, gemeinsam mit den anderen Fraktionen
über Problemlösungen zu diskutieren, gefundene Lö-
sungen – unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips –
durchzusetzen und so wirklich zu Verbesserungen zu
gelangen. Immerhin gibt es in Deutschland 10 000
Volksfeste und 5 000 Schaustellerbetriebe, die 1997 ei-
nen Umsatz von 1,6 Milliarden DM hatten. 200 Millio-
nen Besucher kamen 1998 auf die Volksfeste. Wir
möchten, daß dies so bleibt. Sie sollen tanzen, feiern,
fröhlich und zufrieden sein mit dem, was unsere Schau-
steller bieten. Wir werden alles dafür tun, daß den
Schaustellern viele Dinge ermöglicht werden, die sie
hier zu Recht einklagen.

Aber klar muß auch sein: Es kann keinen besonderen
Schutzstatus für das Schaustellergewerbe geben. Das
heißt, es wird mit uns keine fragwürdigen Ausnahmere-
gelungen geben, wie sie von der CDU/CSU beispiels-
weise für das Bundes-Immissionsschutzgesetz oder die
geplante Schwerverkehrsabgabe gefordert werden. Nicht
um Ausnahmen soll es uns gehen, sondern darum, of-
fensichtliche Benachteiligungen zu beseitigen, damit wir
gemeinsam mit den Schaustellern weiter feiern und
fröhlich sein können.

Konkurrenz, wie sie beispielsweise von den 20 000
Brauchtums- und Traditionsvereinen ausgehen mag,
können und wollen wir nicht eliminieren. Wir wollen
ebenso nicht jene Konkurrenz eliminieren, die sich zum
Teil aus gravierenden Veränderungen im Freizeitver-
halten ergibt, für die Begriffe wie Erlebnisgastronomie,
Spaß- und Erlebnismessen, Freizeitparks, Diskotheken,
Shopping, Entertainment, Fitneß, Kultur und auch Natur
stehen.

Abschließend möchte ich meine Freude darüber zum
Ausdruck bringen, daß im Tourismusausschuß offenbar
große Übereinstimmung darüber besteht, die Beseiti-
gung der Versäumnisse der früheren Bundesregierung
im Hinblick auf das Schaustellergewerbe engagiert an-
zugehen und zu Verbesserungen zu kommen.


(Beifall bei der SPD – Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Mit Öko, jawohl!)


Hoffen wir alle, daß dann auch in unseren Ausschußbe-
ratungen gilt:

Der Jahrmarkt raubt uns den Verstand,
Für kurze Zeit nur, Gott sei Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406622300
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Rosel Neuhäuser, PDS-Fraktion.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1406622400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Auch ich möchte die Gäste auf der
Tribüne, die unsere Debatte heute mitverfolgen, herzlich
begrüßen. Ich denke, daß sie viele gute Ideen und si-
cherlich auch einige Positionen, die hier zum Ausdruck
gebracht werden, in ihre Vereine und Verbände mit-
nehmen werden.

Ob es das Volksfest, die Kirmes, Stadt- oder Vereins-
feste sind, sie alle haben eine Signalwirkung, nämlich
die, endlich wieder einmal einen Tag der Gemeinsam-
keit in Freude und Tanz zu genießen. Wie war und ist es
aber um diejenigen bestellt, die dafür Sorge tragen, daß
die Feste im wahrsten Sinne des Wortes Volksfeste wer-
den und sich zunehmender Beliebtheit erfreuen? Nicht
zum erstenmal artikuliert das Schaustellergewerbe mit
Nachdruck seine Wünsche an die Politik.

Wenn auch zu begrüßen ist, daß durch den Antrag der
CDU/CSU die aktuellen Probleme des Schaustellerge-
werbes auf die Tagesordnung gesetzt werden, kann ich
mir eine Bemerkung nicht verkneifen – darauf ist heute
schon öfter hingewiesen worden –: Ein paar Tage wäh-
rend Ihrer Regierungszeit hätten Sie schon übrig haben
sollen, um den Fragen des Schaustellergewerbes ent-
sprechende Aufmerksamkeit zu schenken.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das haben wir doch ständig gemacht!)


Ihr Antrag wäre darüber hinaus vollständiger gewesen,
wenn zum Beispiel das europaweit größte Frühlingsfest,
der „Sommergewinn“ in Eisenach, erwähnt worden wä-
re.


(Beifall bei der PDS – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ich kann doch nicht alle Volksfeste aufzählen!)


Von Ihnen, meine Damen und Herren von der Regie-
rung, erhoffe ich mir baldige Lösungen. Herr Mosdorf
hat hier ja schon einige Vorschläge gemacht. Ich denke,
daß das auch richtige Schritte in die richtige Richtung
sind.

Aus der Sicht meiner Fraktion ist unter anderem noch
für Abhilfe bei der Ungleichbehandlung von Schaustel-
lergewerbe und stationärem Gewerbe zu sorgen. Im ein-
zelnen heißt das:

Es sind gesetzliche Regelungen für das Beantra-
gungsverfahren zu schaffen. Herr Burgbacher hat eben
schon ein Beispiel bezüglich der Arbeitskräfte gegeben.

Weiterhin sind gesetzliche Regelungen im Steuer-
recht zu verändern. Es ist zum Beispiel nicht einzuse-
hen, daß Schausteller keine Schwierigkeiten dabei ha-
ben, die Kosten für Hotelzimmer abzusetzen, demge-
genüber aber die Kosten, die für Übernachtungen im
Wohnwagen notwendig sind, nicht abgesetzt werden
können.

Es wurde auch schon angesprochen, daß es Regelun-
gen bezüglich der Gebührenordnungen geben muß,
damit Wettbewerbsverzerrungen von vornherein ausge-
schlossen werde. Im Handwerkergewerbe sind zum Bei-

Sylvia Voß






(A) (C)



(B) (D)


spiel die Schutzgesetze in einer Stammrolle festge-
schrieben. Warum sollte das für das Schaustellergewer-
be nicht möglich sein?

Es gilt auch, darüber nachzudenken, ob es Regelun-
gen zum Schutze der Volksfeste geben sollte. In anderen
europäischen Ländern, zum Beispiel in Italien, gibt es
solche „Volksfestschutzgesetze“. Wir sollten darüber
nachdenken, damit dieses Gewerbe nicht schutzlos der
Willkür kommunaler Verwaltungen ausgesetzt ist.
Durch fehlende Regelungen bezüglich des Erhalts von
Volksfesten wird nämlich der Privatisierung und damit
einhergehenden Bebauungsabsichten Tür und Tor geöff-
net. Das beste Beispiel liegt eigentlich vor der Tür: Der
Weihnachtsmarkt in Berlin findet in diesem Jahr letzt-
malig auf dem Platz an der Jannowitzbrücke statt. Für
diesen Platz ist eine Bebauung geplant. Wie lange will
man noch zulassen, daß die Kommunen zentral gelegene
Plätze immer weiter zubauen und kulturelle Veranstal-
tungen aus den Stadtzentren vertrieben werden? In den
Herzen der Städte muß Kultur pulsieren. Dazu gehören
auch diese Volksfeste.

Es sei mir erlaubt, nochmals zu betonen, daß in der
heutigen schnellebigen Zeit die sinnvolle Pflege von
Traditionen und volkstümlichem Brauchtum, zu denen
auch die Volksfeste zählen, außerordentlich wichtig ist.
In einer Gesellschaft, die auf der einen Seite immer mo-
biler wird und andererseits auf Grund von Isolation des
einzelnen und gegenseitiger Entfremdung nach neuen
Formen des Zusammenkommens sucht, gewinnen
zwanglose, gemeinsame Feiern immer mehr Zuspruch.
Das zeigen die Statistiken; entsprechende Zahlen wur-
den ja auch heute schon genannt.

Es gäbe sicherlich noch eine Vielzahl von Problemen
zu benennen, aber ich möchte nur noch auf eine Frage
eingehen: Die CDU/CSU fordert in ihrem Antrag unter
anderem die Einrichtung von Stützpunktschulen in den
Bundesländern. Diese gibt es eigentlich schon. Ich frage
Sie, meine Damen und Herren, ob es nicht eher an der
Zeit ist, über ein modernes bundesweites Schulsystem
nachzudenken, um allen Kindern und Jugendlichen glei-
che Entwicklungschancen zu ermöglichen. Wenn wir
über mehr Effizienz reden, dann müssen wir auch das
Bildungswesen einbeziehen. Erleichterungen im Ein-
schulungs- und Umschulungswesen, in der Aus- und
Weiterbildung sind längst überfällig.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406622500
Frau Kollegin, kom-
men Sie bitte zum Schluß. Ihre Redezeit ist abgelaufen.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1406622600
Ja, noch einen letzten
Satz. – Im Hinblick auf einen attraktiven Inlandstouris-
mus halte ich einen Dialog zwischen Kommunen, Kul-
tureinrichtungen und der Tourismusbranche für sehr er-
strebenswert. Die Kommunen und die Tourismusinstitu-
tionen vor Ort sollten stärker als bisher die Möglichkeit
wahrnehmen, an lokalen Kulturveranstaltungen zu parti-
zipieren. So wächst auch das Verständnis füreinander.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406622700
Jetzt hat das Wort
der Kollege Jann-Peter Janssen, SPD-Fraktion.


Jann-Peter Janssen (SPD):
Rede ID: ID1406622800
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bundesregierung hat die Bedeutung der
Volksfeste und des Schaustellergewerbes erkannt. Tref-
fender als unser Bundeskanzler Gerhard Schröder kann
man die Leistungen des Schaustellergewerbes nicht dar-
stellen. Er sagte – nachzulesen auf der Internet-Seite des
Deutschen Schaustellerbundes –:

Die Schausteller in Deutschland leisten einen un-
schätzbaren Beitrag für ein menschliches Miteinan-
der in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die großen Volksfeste und die vielen kleinen Dorf-
und Stadtteilfeste bieten Jung und Alt Woche für
Woche unbeschwerte Stunden der Geselligkeit und
des Frohsinns.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: So etwas Ordentliches sagt Schröder?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem bedeut-
samen sozialen Aspekt der Volksfeste ist aber noch et-
was anderes ganz wichtig – der Parlamentarische Staats-
sekretär hat es schon angedeutet –, nämlich die Wahrung
der Tradition und der vielfältigen Kultur in diesem Be-
reich durch die Schaustellerinnen und Schausteller. Dies
hat naturgemäß eine insgesamt nicht zu unterschätzende
positive Auswirkung auf den Tourismussektor in
Deutschland.

Die Bedeutung des Schaustellergewerbes läßt sich
unabhängig von den doch eher soziologischen Begriffen
„soziales Miteinander“ und „Traditionspflege“ auch in
nüchternen Wirtschaftsdaten und Zahlen ausdrücken.
Das wirtschaftliche Gewicht des Gewebes wird um so
deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, daß in unse-
rem Land etwa 10 000 Volksfeste, Weihnachts- oder an-
dere Jahrmärkte veranstaltet werden, die von 200 Mil-
lionen Menschen besucht werden, wie schon mein Kol-
lege Brähmig eingangs ausführte. 1998 wurden 1,3 Mil-
liarden DM Umsatz erwirtschaftet. Im Reisegewerbe
insgesamt – um neben dem Schaustellergewerbe auch
noch den Markt- und Straßenhandel hinzunehmen –
sprechen wir nach Angaben des Bundesverbandes Deut-
scher Schausteller und Marktkaufleute von einem Ge-
samtumsatz von 22 Milliarden DM.

Ich will an dieser Stelle auch einmal die Opposition
loben.


(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])


Denn es ist schön, daß sich die CDU/CSU-Fraktion mit
ihrem vorliegenden Antrag diesem wichtigen Thema,
nämlich der Unterstützung des Schaustellergewerbes
und der Sicherung der Volksfeste, annimmt. Wir Sozial-

Rosel Neuhäuser






(B)



(A) (C)



(D)


demokraten haben auch keine Probleme damit, auf dem
Weg der Gemeinsamkeit zum Ziel zu schreiten; denn
der Antrag könnte ja in weiten Teilen auch von uns sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Genau!)


Die Union war diesmal schneller. Aber in der Oppositi-
on hat man ja auch mehr Zeit als früher.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Ja, es ändert sich schon einiges, Herr Brähmig, wenn
man sich auf einmal in der Opposition befindet; denn
der Unterschied von diesem Antrag zu ihren früheren
Anträgen in der letzten Wahlperiode ist offensichtlich:
Gab es früher nur ein „Weiter so“ für Sie, wollen Sie
heute auch Veränderungen erreichen. Wenn es sich um
positive Veränderungen für den Fremdenverkehr han-
delt, können Sie auch auf unsere Mithilfe rechnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Schaustellergewerbe existieren Probleme, vor de-
nen man nicht die Augen verschließen darf. Hier müssen
wir uns im Rahmen unserer bundespolitischen Möglich-
keiten einschalten. Eines dieser Probleme, das mich als
Gewerkschafter besonders angeht, ist die Situation der
Beschäftigten. Im Schaustellergewerbe allein – ein-
schließlich der mitarbeitenden Familienmitglieder – sind
34 000 Menschen tätig; im Reisegewerbe, wieder inklu-
sive der Betroffenen im Markt- und Straßenhandel, sind
es unter Einbeziehung der Familienangehörigen insge-
samt 1,2 Millionen Menschen. Diese Arbeitsplätze müs-
sen wir zukunftssicher machen. Der Haken dabei ist: Es
handelt sich um keine festen Arbeitsstellen an einem fe-
sten Ort, was die Sache nicht leichter macht.

Nach mir vorliegenden Informationen wird derzeit im
Bundesarbeitsministerium die Problematik des „Wie-
derkehrrechts“ geprüft. Ziel dabei soll es sein, daß
ausländische Arbeitskräfte, die in einem Jahr mehr als
sechs Monate beschäftigt waren, auch im Folgejahr wie-
der beschäftigt werden können. Derzeit ist dieses nicht
der Fall. Ein Rückgriff auf erfahrene Mitarbeiter ist so-
mit also kaum möglich. Eine Änderung der entspre-
chenden Verordnung wäre wünschenswert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Burgbacher hat eben die 630-Mark-Jobs ange-
sprochen. Ich möchte hier ganz deutlich für die SPD-
Fraktion und für meinen Ausschuß sagen: Ich freue
mich, feststellen zu können, daß die Diskussion um die
630-Mark-Jobs im Schaustellergewerbe sehr an Heftig-
keit verloren hat. Auch der hier und heute zur ersten Le-
sung anstehende Antrag der Union sieht bei der Rege-
lung der geringfügigen Beschäftigung keinen dringen-
den Handlungsbedarf.

Zu einer zukunftssicheren Beschäftigungssituation im
Schaustellergewerbe gehört auch ein gut geschulter und
ausgebildeter Nachwuchs. Teilweise muß man die schu-
lische Ausbildung für Kinder im Schaustellergewerbe

als katastrophal bezeichnen. Deshalb ist die Einführung
eines Schulbegleittagebuches für Schaustellerkinder zu
begrüßen. Somit kann eine kontinuierliche und damit
bessere Unterrichtung der Kinder an unterschiedlichen
Schulen gewährleistet werden.

Ebenso zu begrüßen ist die Einigung der Kulturmini-
sterkonferenz, nach Wiedereinführung des Vollzuges
der Berufsschulpflicht für Schaustellerjugendliche die
Jugendlichen nicht in die üblichen Berufsschulklassen
einzugliedern, sondern in den Wintermonaten Sonder-
lehrgänge und Blockunterricht vorzusehen. Das haben
wir auch des öfteren im Ausschuß diskutiert.


(Beifall bei der SPD)

Ein kleiner und begrüßenswerter Fortschritt – hier sei

einmal auf die Initiative meiner Fraktionskollegin An-
nette Faße hingewiesen – ist auch die Empfehlung der
Kultusministerkonferenz vom 30. Juli des Jahres, nach
der für Kinder von Binnenschiffern, Schaustellern und
Zirkusangehörigen, die in einem Heim untergebracht
sind, bundesweit einheitlich 10 DM pro Kind und Tag
gezahlt werden soll.


(Beifall bei der SPD)

Zum Abschluß: Sie wissen, daß ich Ostfriese bin.

Dem Vorsitzenden unseres Schaustellerverbandes,
Herrn Langenscheidt, möchte ich hier auf ostfriesisch
sagen: Leev Damen, leev Herren, leev Kolleginnen und
Kollegen, lat uns miteinander ahl de Schaustellers hel-
pen und ahl dat doon, wat wi doon können, ohne links
und rechts to kieken. In dissem Sinne solln wi´t anpak-
ken.

Das heißt auf hochdeutsch:

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Jann-Peter, wir haben dich eben besser verstanden als vorher!)


– Du hast nämlich gar nichts verstanden, mein lieber
Kollege. –


(Heiterkeit)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, lassen Sie uns das, was wir für das Schaustel-
lergewerbe tun können, auf den Weg bringen, ohne nach
links und rechts zu schauen, und zwar gemeinsam. In
diesem Sinne: Packen wir es an!

Ich danke für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406622900
Nun endlich hat der
Kollege Ernst Hinsken, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1406623000
Verehrte Frau Präsi-
dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
anscheinend einige Fans. Ich bedanke mich dafür, daß
sie noch hier und sich bewußt sind, über was wir heute

Jann-Peter Janssen






(A) (C)



(B) (D)


debattieren. Es handelt sich nämlich nicht nur um eine
todernste Debatte. Wir reden auch über etwas Schönes,
an dem sich jeder in unserem Lande, sofern ein Fest
stattfindet, erfreuen kann. – Der Kollege Götzer hat so-
gar seinen Sohn mitgebracht, einen Nutzer von Volksfe-
sten, damit er sieht, wie dieses Thema hier behandelt
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Es gab noch nie im Deutschen Bundestag eine De-
batte zu diesem Thema. Deshalb begrüße auch ich, daß
die führenden Repräsentanten des Schaustellergewerbes
heute zugegen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, fast jede Gemeinde hat
eine Kirchweih, eine Kirmes, einen Markt


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ein Schützenfest!)


– oder ein Schützenfest. Es ist ein Vergnügen für Jung
und Alt zugleich. Volksfeste gehören zu den schönsten
Ereignissen des Jahres.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Naja, zu den feuchtesten!)


Es müßte in unser aller Sinn sein, Maßnahmen zu ergrei-
fen, damit die Volksfestkultur in Gänze so erhalten
bleibt, wie wir sie momentan erleben können.

Wer kennt sie denn nicht, die großen Feste, die wir
haben: das Münchener Oktoberfest, den Wurstmarkt in
Bad Dürkheim, den Striezelmarkt in Dresden, den
Nürnberger Christkindlmarkt, das Gäuboden-Volksfest
in Straubing, Frau Kollegin Irber, oder das Cannstadter
Volksfest in Stuttgart? Es ist wert, daß man all diese Fe-
ste einmal anspricht. Lassen Sie mich nur das größte
Volksfest in Deutschland herausgreifen, nämlich das
Oktoberfest in München. Dies allein lockte beim letzten
Mal über 6,5 Millionen Besucher an, die für einen Um-
satz von 450 Millionen DM sorgten. Darüber hinaus be-
trug der Wirtschaftswert für die Stadt München, also
Übernachtungen, Souvenirs usw. 1,4 Milliarden DM.
Diese Zahlen können sich durchaus sehen lassen.

Meine Damen und Herren, ein Volksfest ist des Vol-
kes Fest, das Fest des kleinen Mannes, zu dem jeder ge-
hen kann und an dem sich jeder erfreuen kann. Ich bitte,
gerade im Goethe-Jahr Goethe zitieren zu dürfen, der
einmal schrieb:

Hier ist des Volkes wahrer Himmel! Zufrieden
jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier
darf ich's sein!

(Horst Kubatschka [SPD]: Osterspaziergang!)


Ich mache denjenigen ein großes Kompliment, die
dafür Verantwortung tragen, daß das Schaustellerwesen
funktioniert und Volksfeste durchgeführt werden kön-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Schausteller haben es nicht leicht, sich gegenüber
dem Fernsehen und vielen anderen Angeboten zu be-
haupten. Aber sie haben es geschafft, weiterhin am Ball
zu bleiben und sich so zu geben, wie es erforderlich ist,
damit junge und ältere Menschen zu den Volksfesten
kommen.

Meine Damen und Herren, vielen Menschen in dieser
Republik ist nicht bewußt, um welchen bedeutenden
Wirtschaftsfaktor es sich hier überhaupt handelt:


(Beifall bei der CDU/CSU)

90 000 Markttage pro Jahr in ganz Deutschland, 10 000
Volksfeste und Jahrmärkte mit über 200 Millionen Be-
suchern und einem geschätzten Umsatz von rund
25 Milliarden DM. Zählt man die Zulieferer dazu, wer-
den hier Hunderttausende von Arbeitsplätzen vorgehal-
ten.

Machen wir uns alle nichts vor: Um wieviel ärmer
wäre unser Land ohne Volksfeste!


(Beifall im ganzen Hause)

Diese Meinung wird von über zwei Dritteln, nämlich
67 Prozent, der Bevölkerung geteilt.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bundesweit?)


– Ja, bundesweit, Herr Kollege Müller. Sie gehen näm-
lich gerne zu den Festen.

Damit dies so bleibt, müssen wir, die Politiker, für
vernünftige Rahmenbedingungen sorgen. Dazu wurde
heute viel gesagt. Herr Mosdorf hat etwas versprochen,
der von mir hochgeschätzte Kollege Janssen hat auch
der Unterstützung der Schausteller das Wort geredet.
Aber wenn es darum geht, was konkret getan wird, dann
sieht es nicht so goldig aus, wie es an und für sich sein
sollte.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was haben Sie denn 16 Jahre lang gemacht?)


Meine Damen und Herren, schließlich geht es darum,
daß auch bei den Schaustellern gesehen werden muß,
daß nur an 120 Tagen im Jahr Geld erwirtschaftet wer-
den kann. Außerdem wird nicht nur von den Fahrgästen
Geld eingenommen, sondern es muß auch Geld für neue
Fahrgeschäfte ausgegeben werden. Ein Riesenrad oder
eine Autoscooteranlage kosten 2 bis 5 Millionen DM.
Deshalb ist es erforderlich, vernünftige Rahmenbedin-
gungen zu schaffen, damit die Schausteller weiterhin
existieren können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.])


Dabei ist der Kurs der Bundesregierung von ent-
scheidender Bedeutung. Verehrte Kolleginnen und Kol-
legen von der SPD und den Grünen, was hat denn die
Bundesregierung den Schaustellern ebenso wie allen
Wählern versprochen? Hat es nicht wie oft auf dem
Jahrmarkt geheißen: „Jedes Los ein Treffer“?


(Horst Kubatschka [SPD]: Ja, das stimmt ja auch!)


Ernst Hinsken






(B)



(A) (C)



(D)


Was haben die Wähler und die Schausteller in der Zwi-
schenzeit gezogen? Nieten, Nieten, Nieten!


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die erste Niete war die Ökosteuer. Sie macht den
Strom um zwei Pfennige pro Kilowatt teurer. Von den
Stromkosten hängt natürlich der wirtschaftliche Erfolg
eines modernen Fahrbetriebes entscheidend ab.

Die zweite Niete war die Mineralölsteuererhöhung.
Die Erhöhung um 24 Pfennige in den nächsten vier Jah-
ren plus Mehrwertsteuer macht zusammen fast
30 Pfennige aus.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wettbewerbsverzerrung! – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen waren es 30 Pfennige!)


Die dritte Niete war das 630-DM-Chaos. Es wurde vom
Kollegen Burgbacher und anderen Vorrednern aus unse-
ren Reihen schon angesprochen.

Angesichts dessen meine ich für die CDU/CSU-
Fraktion sagen zu dürfen: Wir dürfen es nicht bei Wor-
ten bewenden lassen – darum bitte ich Sie alle –, son-
dern haben dem auch Taten folgen zu lassen. Die Bun-
desregierung sollte vom Parlament aufgefordert werden
– ich nenne dafür zehn Punkte –: erstens in der Gewer-
beordnung einen einheitlichen Begriff für Schausteller
einzuführen, um einheitliche Regelungen für das ge-
samte Schaustellergewerbe zu erreichen,


(Annette Faße [SPD]: Warum hast du es nicht gemacht?)


zweitens beim Lärmschutz auf die Länder und Kom-
munen einzuwirken, damit die traditionellen Feste nicht
durch überzogenen Immissions- und Nachbarschafts-
schutz in ihrem Bestand gefährdet werden,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

drittens auf die Kommunen einzuwirken, einen rechtli-
chen Schutz traditioneller Volksfeste hinsichtlich der
Festplätze zu schaffen, viertens die Eigentransporte von
Schaustellerbetrieben zu und von Volksfesten nicht mit
zusätzlichen Auflagen zu versehen, insbesondere die
Schausteller von der geplanten streckenbezogenen Au-
tobahngebühr freizustellen


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das steht doch alles im Antrag drin!)


– ich setze auf Sie, Herr Schmidt, daß Sie mich unter-
stützen, wenn ich nächstes Jahr einen diesbezüglichen
Antrag einbringe –,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hätten wir auch in den vergangenen 16 Jahren unterstützt!)


fünftens die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung so
zu ändern, daß Sicherheitsprüfungen zu für die Branche
möglichen Terminen durchgeführt werden können,
sechstens die Marketingaktivitäten für deutsche Volks-
feste durch die Deutsche Zentrale für Tourismus im In-
und Ausland zu intensivieren und dabei insbesondere

den Bahn- und Bustourismus zu fördern, siebtens wegen
der beruflich bedingten hohen Schulausbildungskosten
von Schaustellerfamilien eine höhere steuerliche Ab-
zugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten sicherzu-
stellen – Herr Kollege Janssen, da haben Sie mich voll
und ganz auf Ihrer Seite –, achtens auf eine Verkürzung
der Bearbeitungszeit bei der Vermittlung von Nicht-EU-
Ausländern hinzuwirken, neuntens auf das 630-DM-
Gesetz zu verzichten und es zurückzunehmen – das
braucht unser Schaustellergewerbe;


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

hier haben sie es geprügelt und geknebelt; das ist eine
zusätzliche Belastung vor allen Dingen für den einzel-
nen Betrieb, der Formulare über Formulare ausfüllen
muß; das ist ein Abkassieren von Menschen, die sich ein
paar Mark hinzuverdienen wollen – und zehntens –


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406623100
Herr Kollege, Sie
müssen an Ihre Zeit denken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1406623200
– auf weitere Erhöhun-
gen der Mineralölsteuer zu verzichten.

Frau Präsidentin, ich bedanke mich. Ich möchte aber
gern die Frage der Kollegin zulassen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406623300
Das kommt jetzt.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1406623400
Selbstverständlich,
bitte.


(Annette Faße [SPD]: Warum bist du heute ein HB-Männchen?)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406623500
Bitte sehr, Frau
Kollegin.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1406623600
Herr Kollege Hinsken, wol-
len Sie zur Kenntnis nehmen, daß bereits sechs von den
zehn Forderungen durch die Bundesregierung erfüllt
worden sind, und würden Sie überdies zur Kenntnis
nehmen, daß es beim Gesetz zur geringfügigen Be-
schäftigung für das Schaustellergewerbe möglich ist, ei-
ne 50-Tage-Regelung in Anspruch zu nehmen?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1406623700
Frau Kollegin Irber,
wenn das Schaustellergewerbe an über 120 Markttagen
unterwegs ist, dann ist ihnen mit einer Regelung für
50 Tage nicht gedient.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie der Meinung sind, daß bereits sechs von

diesen zehn Forderungen erfüllt sind, dann möchte ich
entgegnen: Es sind noch nicht einmal viereinhalb. Sie
müssen sich anstrengen, wenigstens die sechs zu errei-
chen. Dann wäre ein vernünftiger Schritt in die richtige
Richtung getan. Das Schaustellergewerbe, ein mittel-

Ernst Hinsken






(A) (C)



(B) (D)


ständisches Gewerbe, ein wichtiger Wirtschaftszweig,
braucht das.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406623800
Nun hat das Wort
die Kollegin Marianne Klappert, SPD-Fraktion.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Marianne, denke an die Schützenfeste von Rennau!)


– Ihr habt alle den Hamburger Dom nicht erwähnt. Das
finde ich nicht in Ordnung.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das Schützenfest von Rennau ist aber wichtiger!)



Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1406623900
Frau Präsidentin! Liebe
Kollegen! Liebe Kolleginnen! Lieber Ernst Hinsken, ich
habe eben während deiner Rede ab und zu Bedenken
gehabt, daß du dich so sehr ereifern könntest, daß du
deine Gesundheit gefährdest.


(Heiterkeit)

Ich denke, das sollten wir doch bei diesem Thema nicht
machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir freuen uns alle darüber, daß wir Volksfeste ha-
ben, daß wir Kirmesse und Schützenfeste haben, und wir
wollen diese alle gemeinsam erhalten. Ich wollte die
CDU/CSU-Fraktion heute abend loben, daß sie einen
sachlichen Antrag eingebracht hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie doch auch tun!)


– Das mache ich auch noch.

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Marianne, ich habe dich heute morgen auch gelobt!)


– Ja, es war ein Fehler von dir, daß du mich gelobt hast.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406624000
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie hat doch noch gar nichts gesagt!)



Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1406624100
Jawohl.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406624200
Bitte sehr.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1406624300
Frau Kollegin Klap-
pert, ich meine, daß Sie sich um meine Gesundheit keine
Sorgen zu machen brauchen.


(Heiterkeit)


Vielmehr hätte ich mir gewünscht, daß Sie heute nach-
mittag bei der Abstimmung über die Gesundheitsreform
richtig abgestimmt hätten. Dann wäre vielleicht nicht
soviel Blödsinn gemacht worden, wie es dann heute
mehrheitlich beschlossen worden ist. Sind Sie bereit,
dies zur Kenntnis zu nehmen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der bringt mal den richtigen Touch in die Debatte!)



Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1406624400
Herr Kollege Hinsken,
ich nehme zur Kenntnis, daß ich richtig abgestimmt ha-
be.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte zu unserem eigentlichen Thema zurück-

kommen. Es geht uns um den Erhalt von Traditionsfe-
sten, von Schützenfesten, von Kirmessen und von gro-
ßen Volksfesten, die, denke ich, für unsere Städte und
Gemeinden von unglaublicher Wichtigkeit sind. Diese
Feste sind für die Städte ein wichtiger wirtschaftlicher
Faktor. Sie sind eine Tourismusattraktion. Ich denke, es
hilft ganz besonders auch dem Städtetourismus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist nicht nur ein besonderes Museum in München,
sondern es ist das Oktoberfest, das die Menschen an-
zieht. Darauf freut man sich, da geht man gemeinsam
hin.

Auf unseren großen Volksfesten treffen sich alle Per-
sonengruppen – nicht nur der kleine Mann, den Ernst
Hinsken eben angesprochen hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und die kleine Frau!)


Vielmehr treffen sich hier sehr viele unterschiedliche
Mentalitäten und viele Volksgruppen. Alle freuen sich,
daß wir Gelegenheit haben, dort für einige Stunden un-
sere Sorgen zu vergessen.

Kollege Hinsken hat unter all den vielen Punkten die
630-DM-Regelung angesprochen. Wir müßten es ge-
meinsam schaffen, daß Langzeitarbeitslose wieder Ge-
legenheit haben, dort Arbeitsstellen anzunehmen, daß
sie wieder mit den Fahrgeschäften unterwegs sind. Die-
ses muß man verstärken.

Ich habe in Ihrem Antrag gelesen, und der Parlamen-
t
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1406624500
Wir haben nicht nur darüber geredet, sondern diese
Bundesregierung hat angefangen zu handeln. Das ist
eigentlich das Wichtige.


(Beifall bei der SPD – Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Aber die falsche Richtung!)


Kollege Burgbacher, daß sich die Schausteller ab dem
1. Dezember 1999 über die TÜV-Abnahme verständi-
gen können, ist nicht die falsche Richtung, es ist die
richtige.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ernst Hinsken






(B)



(A) (C)



(D)


Wenn in der Bund-Länder-Kommission heute ge-
meinsam verhandelt wird, daß es im Gaststättengesetz
neue Regelungen gibt, daß eine Dauergenehmigung er-
teilt wird, ist auch das die richtige Richtung. Sie dürfen
nicht immer nur sagen, wie Herr Hinsken das gesagt hat,
diese Bundesregierung zieht Lose und verspricht dann
alles mögliche. Das macht uns die gemeinsame Arbeit
ein bißchen schwer.

Die Kollegen des Bündnisses 90/Die Grünen und
mein Kollege Jann-Peter Janssen sowie der Parlamenta-
rische Staatssekretär Mosdorf haben deutlich gemacht –
ich wiederhole es jetzt –, daß wir bei den Ausschußbe-
ratungen diese von Ihnen vorgeschlagenen Punkte auch
intensiv beraten werden. Wir haben die Hoffnung, nach
den Ausschußberatungen einen gemeinsamen Antrag
vorlegen zu können. Wir müssen den Schaustellern ge-
meinsam deutlich machen, wie ernst wir ihre Probleme
nehmen.

Ich will noch etwas zur Kommunalpolitik sagen. Der
Deutsche Städte- und Gemeindebund hat sich 1998 in-
tensiv mit diesem Thema beschäftigt. Wir alle wissen
aber, daß wir eine kommunale Selbstverwaltung ha-
ben. Wir wissen alle, daß in den Räten teilweise die
Kämmerer – nach 16 Jahren CDU/CSU- und F.D.P.-
Regierung – das Sagen haben.

Man muß einmal überlegen, was wir aus Sicht des
Bundes gemeinsam mit den Kommunen erreichen. Die
SPD hat eine Sozialdemokratische Gemeinschaft für
Kommunalpolitik. Die CDU hat die Kommunalpoliti-
sche Vereinigung. Ich denke, wir sind alle gefordert, mit
unseren Kollegen und Kolleginnen vor Ort zu reden.
Wir müssen diese Verbindung von oben nach unten in
dieser Frage stärker in Anspruch nehmen. Wir müssen
die Leute dafür sensibilisieren, daß sich die Kommunen
teilweise auch selber durch ständig erhöhte Gebühren
und Abgaben Einnahmen wegnehmen.

Ich glaube, wir können leisten, in unsere Gremien zu
gehen und zu sagen: Wir wollen uns gemeinsam der
Probleme annehmen. Wenn wir das schaffen, können
wir anschließend gemeinsam einen Antrag formulieren.
Ich glaube, damit tun wir den Schaustellern einen viel
größeren Gefallen, und es ist viel wichtiger für sie, als
wenn hier gegenseitig Polemik gemacht wird.


(Beifall bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406624600
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klaus
Brähmig?


Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1406624700
Selbstverständlich, Frau
Präsidentin.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406624800
Bitte sehr, Herr
Kollege Brähmig.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1406624900
Frau Kollegin Klap-
pert, stimmen Sie mit mir darin überein, daß dieser An-
trag keine Polemik enthält, sondern durchaus eine sach-

liche Grundlage für die Diskussion im Ausschuß bereit-
hält?

Ich möchte noch auf die Problematik der 16 Jahre
eingehen, die Sie und verschiedene andere Redner ange-
sprochen haben. Es geht hier um ein Problem, das zwi-
schen Bund, Ländern und Gemeinden gelöst wird. Sie
wissen genauso gut wie ich – deswegen habe ich dies
sachlich dargestellt –,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Hinsken war so polemisch!)


daß natürlich auch in den Ländern und Kommunen ver-
schiedene Regierungsformen vorhanden sind und es
überhaupt keinen Sinn macht, daß wir uns hier in der
Debatte gegenseitig Vorwürfe machen. Das Problem ist
nicht, Herr Kollege Schmidt,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hinsken! Sprechen Sie mit ihm!)


daß wir in 16 Jahren hier nichts auf die Reihe gebracht
hätten, sondern daß der Föderalismus in einzelnen Be-
reichen bei der Lösung der Probleme durchaus Schwie-
rigkeiten bereitet.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406625000
Jetzt müssen Sie
noch die Kurve zur Frage kriegen.


(Heiterkeit)



Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1406625100
Frau Präsidentin, er hat
ja am Anfang gefragt, ob ich ihn unterstützen könnte.

Herr Brähmig, alles, was Sie jetzt gesagt haben, ist in
Ordnung. Das wollen wir auch. Wir haben das auch vor-
geschlagen. Aber es ist unser gutes Recht, auch einmal
deutlich zu machen, daß Sie 16 Jahre Regierungsver-
antwortung hatten


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Gerhard Jüttemann [PDS] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr habt doch die Ökosteuer eingeführt! Ihr habt doch den ganzen Blödsinn gemacht!)


und daß Sie nicht früher mit einem solch ausführlichen
Antrag gekommen sind.

Jann-Peter Janssen hat eben gesagt, Sie hätten in der
Opposition jetzt mehr Zeit. Nutzen Sie sie! Lassen Sie
uns bestimmte Dinge gemeinsam machen! Es ist wich-
tig, daß deutlich wird, daß das, was die jetzige Bundes-
regierung schon angestoßen hat, Erleichterungen bringt
und daß wir auf dem richtigen Weg sind und nicht nur
immer darüber reden, sondern auch handeln.

Ich bedanke mich bei Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die einzige Erleichterung wäre, wenn Rotgrün nicht mehr existent wäre!)


Marianne Klappert






(A) (C)



(B) (D)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406625200
Ich schließe die
Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/1312 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie
einverstanden. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Wir wünschen den Beratungen zu diesem Thema, bei
dem es so viel Übereinstimmung gibt, einen guten Ver-
lauf und schnelle Ergebnisse für die Menschen, die in
diesen Bereichen beschäftigt sind und uns so viel Freude
machen.

Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur straf-
verfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-
Opfer-Ausgleichs
– Drucksache 14/1928 –

(federführend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Bundesjustizministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin das Wort. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Von den Volksfesten und den Schaustellern zum Strafrecht und Strafprozeßrecht ist es in der Tat ein weiter Bogen. Dennoch: Was wir heute abend in erster Lesung debattieren, ist außerordentlich wichtig. Es bildet den ersten Schritt zur Erweiterung und Veränderung des Sanktionensystems, die wir uns für die kommende Legislaturperiode vorgenommen haben. Sie wissen, meine Damen und Herren, der Schutz der Schwachen durch das Recht ist einer der wesentlichen Schwerpunkte der Rechtspolitik der neuen Bundesregierung. (Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD] – Zurufe von der CDU/CSU)


Die Koalition hat bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung
festgelegt – es lohnt sich übrigens wirklich, sie nachzu-
lesen, meine verehrten Herren Zwischenrufer –, daß wir
mit einem umfassenden Bündnis gegen Gewalt zum
einen die Wurzeln der Gewalt in unserer Gesellschaft
bekämpfen und zum anderen die Rechte der Opfer wie-
der in den Mittelpunkt stellen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das gilt ganz besonders für die Stellung des Opfers
einer Straftat -im Strafverfahren gegen den Täter. Wer
einmal Opfer einer Straftat und Beteiligter in einem an-

schließenden Strafverfahren gegen den Täter gewesen
ist, weiß sehr gut, daß manchem Opfer im konkreten
Ablauf des Strafverfahrens häufig eher eine Nebenrolle
zuteil wird. Das kritisieren heute zu Recht immer mehr
Betroffene.

Es ist richtig – lassen Sie mich das betonen –, daß im
Vordergrund eines konkreten Strafprozesses der Be-
schuldigte steht und stehen muß. Die Definition Rad-
bruchs von der Strafprozeßordnung als der Magna
Charta des Beschuldigten, die Diskussion über die
schuldangemessene Strafe und die Resozialisierung –
diese übrigens auch als Opferschutz – sowie über rechts-
staatliche Garantien für den Beschuldigten gegenüber
den Strafverfolgern bilden völlig zu Recht in unserem
Rechtsstaat Kernelemente des Strafverfahrensrechts.

Das darf aber nicht dazu führen, daß sich gleichzeitig
das Opfer einer Straftat an den Rand des Verfahrens ge-
rückt fühlt. Deshalb ist für das Bundesministerium der
Justiz nach den langen Jahren, in denen man das nicht
ernsthaft in Angriff genommen hat, die verstärkte Wah-
rung der Interessen des Opfers im Strafverfahren von
ganz entscheidender Bedeutung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir unterstreichen das mit unserem Gesetzentwurf
über den Täter-Opfer-Ausgleich in vielfacher Weise.

Erstens erfüllt er zwei Hauptanliegen der Opfer von
Strafverfahren, nämlich ihr Interesse, einen Ausgleich
für das erlittene Unrecht zu erhalten, und die Genug-
tuung, zu erfahren, daß der Täter wirkungsvoll mit sei-
ner Tat konfrontiert wird.

Der Täter-Opfer-Ausgleich eröffnet zweitens eine aus
kriminalpolitischer Sicht sinnvolle Reaktionsmöglich-
keit auf leichtere bis mittelschwere Kriminalität.

Drittens – auch das wissen wir – muß sich der Täter
mit der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs den
direkten Konsequenzen seines strafbaren Verhaltens
stellen. Auch das ist wichtig.

Viertens: Gleichzeitig bekommt der Straftäter in be-
sonderer Weise die Möglichkeit, selbst Verantwortung
zu übernehmen und Konsequenzen für seinen weiteren
Lebensweg in Richtung auf ein straffreies Leben zu zie-
hen.

Fünftens kann die Stärkung des Täter-Opfer-
Ausgleichs bei den Opfern von Straftaten zu einer ver-
besserten Akzeptanz der Arbeit der Justiz beitragen,
weil das Opfer in einem Verfahren, in dem es um ihm
angetanes Unrecht geht, selbst erlebt, daß die Justiz und
damit der Staat, unser Rechtsstaat, darum bemüht ist,
Belastungen und Schäden aus einer Straftat unmittelbar
zu beheben.

Es verwundert aus all diesen Gründen nicht, meine
Damen und Herren, daß der Täter-Opfer-Ausgleich, den
es gibt, gerade im Jugendgerichtsverfahren in der Praxis
großen Erfolg hat.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zieht aber
die Konsequenz aus der Tatsache, daß der Täter-Opfer-






(B)



(A) (C)



(D)


Ausgleich im Erwachsenenstrafrecht in der Praxis
eher zögerlich angewandt wird. Bis heute sind sich
Staatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte der Möglich-
keiten des Täter-Opfer-Ausgleichs als sinnvoller Alter-
native zu den bisherigen Sanktionsformen ganz offen-
sichtlich noch nicht hinreichend bewußt. Sie ergreifen
die Möglichkeiten zu wenig, die bereits mit der Einfüh-
rung des § 46 a StGB durch das Verbrechensbekämp-
fungsgesetz vom Oktober 1994 gerade für das Erwach-
senenstrafrecht geschaffen wurden.

Da runzelt jemand die Stirn,

(Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Funke, Sie waren gemeint! – Rainer Funke [F.D.P.]: Ich?)

aber ich will Ihnen sagen, warum das so ist und daß es
so ist. Nicht nur die Wissenschaft weist darauf hin, daß
das Potential des Täter-Opfer-Ausgleichs, sehr verehrter
Herr Kollege Funke, derzeit bei weitem nicht ausge-
schöpft wird, sondern auch die Zahlen belegen dies. Das
sind die Zahlen, die Professor Dölling und andere in
dem Ihnen ohne Zweifel bekannten, hervorragenden und
grundlegenden Gutachten von 1998 zur Bestandsauf-
nahme und Perspektive des Täter-Opfer-Ausgleichs in
Deutschland zusammengetragen haben. Diese sprechen
für sich.

Danach betrug 1995 der Anteil des Täter-Opfer-
Ausgleichs an den Einstellungen und Sanktionsentschei-
dungen der Staatsanwaltschaften etwa 9 000 von insge-
samt möglichen zirka 600 000 Fällen – lassen Sie mich
die Zahlen wiederholen, sie überzeugen auch Zweifler:
9 000 von möglichen 600 000 –, also 1,5 Prozent. Das
ist zuwenig.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Ich habe gar keine Zweifel!)


Dieses Ungleichgewicht wollen wir beseitigen. Unser
Entwurf setzt dort an, wo heute Lücken sind, nämlich
bei der strafprozessualen Verankerung des Täter-Opfer-
Ausgleichs, und schafft das für die breitere Anwendung
dieses Instrumentes erforderliche verfahrensrechtliche
Gegenstück zu den materiell-rechtlichen Regelungen. Es
gibt also zwei Pfeiler, die beide verankert werden.

Zu den wichtigsten Punkten gehört einmal § 155 a
der Strafprozeßordnung, die Kernnorm dieses Entwurfs,
die Staatsanwaltschaften und Gerichte dazu veranlassen
soll, in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeit
zu prüfen und darauf hinzuwirken, einen Ausgleich zwi-
schen Beschuldigtem und Verletztem zu erreichen. Das
stellt auf der einen Seite sicher, daß der Täter-Opfer-
Ausgleich im Erwachsenenstrafrecht sehr viel breiter
angewandt wird. Auf der anderen Seite können solche
Fälle, die sich eben nicht für ein derartiges Verfahren
eignen – die gibt es natürlich –, ohne übermäßige Bela-
stungen der Justiz weiter verfolgt werden, und zwar im
ganz normalen Strafverfahren.

§ 155 b StPO räumt die datenschutzrechtlichen Be-
denken aus, die bis heute der effizienten Handhabung
des Täter-Opfer-Ausgleichs entgegengehalten werden.
§ 87 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte
fördert – ganz pragmatisch, aber vernünftig – die Ak-
zeptanz des Täter-Opfer-Ausgleichs auch in der Anwalt-
schaft.

Ich habe schon darauf hingewiesen: Dieser Gesetz-
entwurf ist ein Schritt zur Verbesserung des strafrecht-
lichen Sanktionensystems. Diesen Weg werden wir
weiterhin verfolgen. Es ist wichtig, die staatlichen
Möglichkeiten, in sinnvoller Weise auf Kriminalität zu
reagieren, zu erweitern und grundlegend zu verändern.
Wir erwarten aus dem hoffentlich Anfang nächsten
Jahres vorliegenden Abschlußbericht der noch von
meinem Vorgänger eingesetzten Kommission zur Ver-
besserung des strafrechtlichen Sanktionensystems
weitere Impulse. Wir begleiten selbstverständlich die
Arbeiten dieser Kommission mit unseren eigenen
Überlegungen.

In all diesen Schritten geht es um rechtsstaatliche und
wirksame Sanktionen und Reaktionen auf Straftaten.
Lassen Sie mich nochmals betonen und damit den Bo-
gen zum Beginn meiner Ausführungen schließen: Es
geht um die Wahrung der Interessen der Opfer von
Straftaten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bitte Sie deshalb, diesen Gesetzentwurf gerade im
Interesse der Opfer und ihrer Belange zügig zu beraten,
damit der Täter-Opfer-Ausgleich in der täglichen Praxis
endlich aus dem Schatten der Strafjustiz heraustritt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406625300
Das Wort hat nun
der Kollege Dr. Wolfgang Götzer, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1406625400
Frau Präsiden-
tin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dieser
Gesetzentwurf wird zwar nicht im Hauruckverfahren
durchgepeitscht, so wie wir es heute vormittag, heute
nachmittag und leider auch gestern morgen im
Rechtsausschuß bei einem anderen Thema erleben
mußten. Das wirft für mich ein bezeichnendes Licht auf
das parlamentarische Verständnis dieser Regierungsko-
alition. Aber auch wenn es bei diesem Entwurf etwas
langsamer zugeht, so ist er nicht viel besser und schon
gar nicht ausgereift.

Der Deutsche Anwaltsverein kommt in einer Stel-
lungnahme zu dem Ergebnis: Es handelt sich um keine
verfahrensrechtliche Regelung des Täter-Opfer-
Ausgleichs, nicht einmal um eine inhaltlich gesetzessy-
stematische Verankerung im Prozeßrecht. Er spricht von
Etikettenschwindel.

Ich glaube, wir sind uns alle einig, daß der Täter-
Opfer-Ausgleich, wenn er richtig praktiziert ist, eine
gute Sache ist. Deswegen hat die Bayerische Staatsre-
gierung schon in den 80er Jahren einiges in dieser
Richtung erprobt. Auch die Regierung Kohl hat in die-
sem Bereich wichtige Schritte unternommen. Ich möchte
nur die Novelle des Jugendgerichtsgesetzes von 1990
erwähnen.

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin






(A) (C)



(B) (D)


Der heute vorliegende Gesetzentwurf geht davon aus,
daß der Täter-Opfer-Ausgleich bislang nur in relativ
kleinen Zahlen praktiziert wird. Der Grund hierfür ist
freilich nicht eine fehlende strafprozessuale Veranke-
rung; denn ausreichende rechtliche Grundlagen für den
Täter-Opfer-Ausgleich gibt es im StGB und in der StPO.
Gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt es im Grunde
lediglich bezüglich einer Datenübermittlung der Strafju-
stiz an diejenigen Stellen, die den Täter-Opfer-
Ausgleich vermitteln. Der Grund, warum er bisher nicht
in gewünschter Zahl praktiziert worden ist, liegt in den
fehlenden Ressourcen.

Darüber setzt sich der Entwurf großzügig hinweg, in-
dem er die massenhafte Anwendung des Täter-Opfer-
Ausgleichs geradezu propagiert. Wenn man nur davon
ausgeht, daß ein Sozialarbeiter maximal 100 bis 150
Verfahren im Jahr schaffen kann, dann stellt sich die
Frage, woher die dafür erforderlichen bis zu 3 000 neuen
Sozialarbeiter kommen sollen und wie sie zu finanzieren
sind. Darüber schweigt sich der Entwurf aus. Die Kosten
werden ganz einfach den Ländern aufgedrückt.

Aber es gibt noch einige andere grundlegende Pro-
bleme des Entwurfs. Hier wird eine neue Generalnorm
ins Gesetz geschrieben, die vorsieht, daß die Möglich-
keit des Täter-Opfer-Ausgleichs in jedem Verfahren
durch Staatsanwaltschaft und Gerichte zu prüfen sind.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bei Vergehen!)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht jedes straf-
rechtliche Verfahren und nicht jede Straftat eignet sich
bekanntlich dazu.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Ein weiterer Gesichtspunkt. Staatsanwaltschaft und
Richter sollen auf die Durchführung des Täter-Opfer-
Ausgleichs hinwirken. Wie das zusätzlich zu der ohne-
hin schon bestehenden Arbeitsbelastung der Staats-
anwälte und Richter gehen soll, würde ich gerne er-
fahren. Vor allem aber ist anzumerken, daß es hier zu
einer grundlegenden Verschiebung der Aufgaben der
Strafrechtspflege kommt. Die Kernaufgabe der Straf-
rechtspflege ist die Verfolgung und Ahndung von Straf-
taten, nicht eine ausgleichende Konfliktschlichtung.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber wie?)


Ein weiterer Punkt. Der Entwurf verlangt lediglich,
daß sich der Beschuldigte um den Täter-Opfer-
Ausgleich zu bemühen hat. In § 153 a StPO sind die
darin aufgeführten Auflagen und Weisungen bislang alle
an den Eintritt eines sicher feststellbaren Erfolgs ge-
knüpft. Jetzt soll es plötzlich genügen, daß man sich
bemüht. Ich glaube, daß aus Opfersicht kein Verständnis
dafür besteht, wenn der Täter durch das bloße Bemühen
die automatische, sanktionslose Beendigung des Straf-
verfahrens erreichen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, das Opfer muß sich zur Straflosstellung des
Täters instrumentalisiert vorkommen.

Der für mich wichtigste Punkt – sozusagen ein Ham-
mer – ist der neue § 155 a StPO, der regelt, unter wel-
chen Voraussetzungen sich ein Strafverfahren für den
Täter-Opfer-Ausgleich eignet. Die Formulierung in
§ 155 a lautet: „Gegen den ausdrücklichen Willen des
Verletzten soll die Eignung nicht angenommen werden.“
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was heißt das? Ein
Verletzter muß sich also ausdrücklich gegen den Täter-
Opfer-Ausgleich wehren, wenn er ihn nicht will. Und
selbst wenn er ausdrücklich zu erkennen gibt, daß er ihn
nicht will, kann dieser dennoch – gegen seinen aus-
drücklichen erklärten Willen – durchgeführt werden.
Das halte ich für völlig inakzeptabel.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht doch: „Soll nicht“!)


Der Täter-Opfer-Ausgleich und seine Akzeptanz in
der Rechtsgemeinschaft stehen und fallen mit der Wah-
rung der Opferbelange. Einen Täter-Opfer-Ausgleich
gegen den Willen des Opfers oder an ihm vorbei, kann
und darf es nicht geben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das steht hier doch ausdrücklich! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Prüfung nicht bestanden, Herr Götzer!)


Ich möchte noch einmal betonen, verehrter Herr
Kollege Ströbele: Der Täter-Opfer-Ausgleich ist grund-
sätzlich zu begrüßen.


(Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Nein, nein. Die Gewichte sind hier eindeutig verscho-
ben. Bei einem Täter-Opfer-Ausgleich, Herr Kollege
Ströbele, müssen die Interessen des Opfers an der ersten
Stelle stehen, und zwar nicht nur verbal, so wie sie die
Frau Bundesministerin gerade betont hat, sondern auch
tatsächlich.


(Zuruf von der SPD: Gehen Sie einmal über den Weißwurst-Äquator hinüber!)


Der vorliegende Entwurf trägt dem nicht Rechnung. Im
Gegenteil: Seine kriminalpolitische Tendenz geht genau
in die andere Richtung. Diese Bundesregierung kümmert
sich mehr um die Täter als um die Opfer, und das wer-
den wir nicht mitmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Unsinn! Diese Ignoranz ist wirklich unglaublich!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406625500
Jetzt hat der Kollege
Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Irgendwie scheint in der Turbulenz des heuti-
gen Nachmittages das richtige Lesen abhanden gekom-
men zu sein. Ich will dies einmal versuchen, obwohl
meine Brille kaputtgegangen ist.


(Heiterkeit)


Dr. Wolfgang Götzer






(B)



(A) (C)



(D)


In § 155 a StPO steht, in geeigneten Fällen solle die
Staatsanwaltschaft darauf hinwirken. Nun fragt sich der
geneigte Leser: Was sind „geeignete Fälle“? Dort steht
dann auch: „Gegen den ausdrücklichen Willen des Ver-
letzten soll die Eignung nicht angenommen werden.“


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Soll!)

– Na und?


(Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin: Das ist nur in Bayern anders!)


Das bedeutet für Leute, die des Deutschen mächtig sind,

(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist nicht jeder!)

daß das Ganze dann nicht angewandt wird, wenn das
Opfer dies nicht will.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: „Soll“ heißt nicht „darf“!)


– Die Eignung soll nicht angenommen werden. Das be-
schreibt ja noch eine vorherige Stufe. Die Staatsanwalt-
schaft muß sich ja erst über den Fall klar werden. Auch
hier haben Sie einfach unrecht. Dies wird nicht bei allen
Verfahren gemacht. Wir befinden uns hier vielmehr im
Bereich der Vergehen. Das ergibt sich aus § 153 a
StPO, in dem ausdrücklich steht, daß dies für Verge-
henstatbestände, also für etwas leichtere Delikte, vorge-
sehen ist.

Die CDU hat uns heute wieder ein hervorragendes
Beispiel gegeben: Es vergeht keine Veranstaltung oder
Podiumsdiskussion, auf der die Vertreter der CDU uns
nicht mit dem blöden Satz konfrontieren: Bei den Grü-
nen – so heißt es, wenn ich an solchen Veranstaltungen
teilnehme – oder bei der SPD – so heißt es, wenn ein
Vertreter der SPD teilnimmt – stehen immer nur – dies
gilt erst recht für Rechtsanwälte und Verteidiger – die
Täter – eigentlich muß man sagen: die Verdächtigten,
die Beschuldigten – im Vordergrund. An die Opfer
denkt keiner – außer Ihnen natürlich.

Nun haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, in
dem ausdrücklich – dies steht schon in der Überschrift –
die Interessen der Opfer berücksichtigt werden. Wir
haben in diesem Entwurf berücksichtigt, daß Opfer in
einem Strafprozeß in der Tat nur eine Randrolle spielen.
Sie sind als Zeugen und manchmal auch – bei geeigne-
ten Delikten – als Nebenkläger bzw. Nebenklägerin am
Verfahren beteiligt. Ansonsten haben sie mit dem Ver-
fahren nichts zu tun. Die Opfer stellen häufig fest, daß
etwas mit ihnen passiert und daß sie kaum Möglichkei-
ten haben, Einfluß zu nehmen. Dies wollen wir ändern.

In Zukunft soll nach unserer Auffassung das Opfer
einer Straftat entsprechend dem, was ihr – meistens ist
es eine Frau – oder ihm passiert ist, an dem Verfahren
beteiligt werden. Es muß das, was viele in diesem Be-
reich Tätige wie Richter, Staatsanwälte und vor allen
Dingen auch Rechtsanwälte immer wieder von denjeni-
gen, die von einem Vergehen betroffen sind, hören, be-
rücksichtigt und ernst genommen werden. Den Betroffe-
nen geht es gar nicht so sehr darum geht – dies klingt
immer wieder in Ihren Reden durch –, Rache zu nehmen
und Vergeltung zu üben; vielmehr geht es den Betroffe-

nen darum, den Schaden ersetzt zu bekommen oder zu
verstehen, warum gerade sie Opfer einer Straftat wur-
den. Sie wollen erfahren, wie sie sich in Zukunft ver-
halten sollen. Sie wollen wissen, wie sie in Zukunft ihre
Sicherheit in der Gesellschaft, zum Beispiel auf der
Straße und in Parks, wiedergewinnen können. Solche
Fragen stehen bei sehr vielen Opfern von Straftaten im
Mittelpunkt ihrer Überlegungen.

Deshalb ist es richtig und wichtig, daß man die Täter
in irgendeiner Weise dazu veranlaßt, sich mit den Op-
fern auseinanderzusetzen. Es ist wichtig, daß die Täter
mit dem Leid, dem Schaden und der Unsicherheit, die
sie häufig bei den Opfern angerichtet haben, konfrontiert
werden und daß sie sich damit beschäftigen müssen.
Dies ist nicht nur wichtig für die Opfer, sondern auch für
die Täter. Sie sollen nicht nur im Rahmen einer Ge-
richtsverhandlung nach einem abstrakten Gesetz abge-
urteilt werden, sondern auch begreifen, was sie in der
Gesellschaft angerichtet haben und in welchem Maße sie
sich an der entstandenen Unsicherheit in der Gesell-
schaft schuldig gemacht haben.

Nach unserer Ansicht läßt sich dies am besten da-
durch erreichen, daß sich der Täter – mehr als das in der
Vergangenheit der Fall war – mit dem Opfer beschäfti-
gen muß. Der Täter soll in den geeigneten Fällen an die
Opfer herantreten. Wir wollen die Täter dazu veranlas-
sen. Wir wollen den Täter verlocken, dies zu tun. Wir
sagen den Tätern: Wenn ihr das macht, dann honorieren
wir, der Staat oder die Staatsanwaltschaft, das. Wenn ihr
euch mit dem Opfer in Verbindung setzt und zu erken-
nen gebt, daß es euch nicht gleichgültig läßt, was ihr
getan habt, und wenn ihr bereit seid, im Rahmen der
Möglichkeiten den entstandenen Schaden zu ersetzen,
dann honorieren wir das. So etwas hilft.

Wenn Sie, Herr Kollege, in den entsprechenden Ver-
fahren tätig waren, dann wissen Sie, daß dies für jedes
Opfer viel mehr bringt, als wenn es nachher im Ge-
richtssaal oder aus der Zeitung erfährt, daß der Täter ei-
ne Geld- oder eine Freiheitsstrafe mit Bewährung erhal-
ten hat, und selber nicht weiß, wie es angesichts des an-
gerichteten Schadens weitergeht. Darum geht es. Diesen
Ausgleich wollen wir fördern. Die Veränderung des §
153a StPO und des § 155 StPO und in den weiteren
Vorschriften der Strafprozeßordnung ist ein Bemühen,
den Täter-Opfer-Ausgleich weiter zu fördern. Dies
wird noch nicht das Problem lösen. Wir müssen noch
viel mehr tun.

Sie haben völlig recht, daß es im wesentlichen Län-
dersache ist, den Staatsanwaltschaften durch geeignete
Hilfen wie Sozialarbeiter und Vereine, die auch heute
schon in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-
Westfalen und Berlin tätig sind – in Köln gibt es zum
Beispiel eine berühmte Einrichtung –, zu ermöglichen,
den Täter-Opfer-Ausgleich zu organisieren und zu för-
dern. Die müssen wir natürlich jetzt fördern. Das muß
auf Landesebene geschehen.

Wenn Sie sich jetzt hier so ins Zeug legen und fragen,
wie sie das finanzieren sollen, heißt das denn, daß Sie in
Zukunft den Strafvollzug, die Justiz nicht mehr Sache
der Länder sein lassen wollen, sondern daß das Bundes-
aufgabe werden soll? Dann müßten Sie dazu einen An-

Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)


trag stellen, und dann sollte man sich darüber unterhal-
ten. Bisher war ich davon ausgegangen, daß das Länder-
sache ist – das hat ja auch seinen guten Grund – und daß
es auch Aufgabe der Länder ist, diese Prozesse zu orga-
nisieren, Hilfestellung zu leisten, damit das immer mehr
in Gang kommt. Wir können auf Bundesebene die ge-
setzlichen Vorschriften so verändern, daß das im Inter-
esse der Opfer besser ermöglicht wird, vor allen Dingen
deswegen, weil wir die Interessen der Opfer ernst neh-
men, nicht nur auf den Lippen führen und uns auf der
Zunge zergehen lassen, nicht Polemik damit treiben und
uns in Boulevardzeitungen damit verbreiten, sondern in
kleinen Schritten zu einer konfliktfreieren Gesellschaft
kommen wollen oder wenigstens zu einer Gesellschaft,
in der die an den Konflikten, an den Straftaten Beteilig-
ten ein besseres Verständnis füreinander bekommen und
sich in Zukunft vielleicht auch anders und besser ver-
halten, in der die Opfer sich wieder sicherer fühlen und
die Täter sehen, was sie getan haben, und miterleben,
was sie angerichtet haben, und damit vielleicht auch zu
einem veränderten Verhalten in der Zukunft kommen.

Dem dient dieser Gesetzentwurf, und ich denke, wir
werden in den Beratungen im Rechtsausschuß hoffent-
lich auch den einen oder anderen von Ihnen davon über-
zeugen, daß das ein wichtiger und richtiger Schritt ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406625600
Jetzt hat das Wort
der Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.


(Zurufe von der SPD: Nicht so die Stirn runzeln, Herr Funke!)



Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1406625700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben meinen
Gesichtsausdruck völlig fehlinterpretiert,


(Heiterkeit)

denn wir teilen im Prinzip Ihre mit diesem Gesetz ver-
folgten Bestrebungen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Ich habe aber vielleicht etwas ernster geschaut – die
Stirn gerunzelt habe ich wahrscheinlich nicht –, als Sie
die Zahlen genannt haben. Wenn Sie sich zum Beispiel
die Zahlen Ihres Heimatlandes Baden-Württemberg für
das Jahr 1998 ansehen würden, könnten Sie nicht sagen,
daß der Täter-Opfer-Ausgleich in Baden-Württemberg
nicht erfolgreich sei oder zu gering ausfalle. Denn im-
merhin sind dort mehr als 1 000 Fälle im Täter-Opfer-
Ausgleichsverfahren durchgeführt worden. Das, finde
ich, ist ein großer Erfolg der baden-württembergischen
Regierung, natürlich auch des liberalen Justizministers,
Professor Goll.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der Täter-Opfer-Ausgleich, der ja nicht ganz neu

ist, sondern ursprünglich im Jugendstrafrecht gegolten
hat und seit 1994 auch im Erwachsenenstrafrecht gilt,

hat sich in den letzten Jahren durchaus bewährt bei
Straftaten wie Beleidigung, Körperverletzung und Nöti-
gung, Straftaten, bei denen sich Täter und Opfer in Kon-
fliktsituationen häufig unmittelbar gegenüberstanden.
Wir fordern diesen Täter-Opfer-Ausgleich, weil wir hof-
fen, so den Rechtsfrieden in der Gesellschaft zu verbes-
sern und zu sichern, aber auch, weil wir glauben, daß
durch die erforderlichen Gespräche zwischen Täter und
Opfer unter Zuhilfenahme eines Dritten ebenfalls prä-
ventive Wirkung erzielt wird.

Wir sind uns bewußt, daß der Täter-Opfer-Ausgleich
häufig dazu führt, daß eine Verurteilung vermieden oder
zumindest die Vollstreckung einer Strafe verhindert
werden kann. Fiskalische Gesichtspunkte dürften dabei
eigentlich überhaupt keine Rolle spielen. Wir wissen,
daß die Aburteilung durch ein Gericht wahrscheinlich
viel billiger wäre und viel schneller ginge. Die Durch-
führung von Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren ist viel
aufwendiger, aber sie dient dem Rechtsfrieden. Deswe-
gen wollen wir diese Verfahren gerade auch unter prä-
ventiven Gesichtspunkten haben.


(Zustimmung bei der F.D.P.)

Der Entwurf der Bundesregierung zur strafverfah-

rensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Aus-
gleichs dient meines Erachtens – wenigstens noch – dem
Ziel des Rechtsfriedens nur unvollkommen. Wir wer-
den hierüber ja noch intensiv im Rechtsausschuß zu be-
raten haben. Unklar ist in meinen Augen auch die
eigentliche Zielrichtung: Handelt es sich um den Ausbau
einer Justizentlastung oder Verfahrensbeschleunigung,
oder soll die Stellung des Opfers im Strafverfahren ver-
bessert und die Schaffung von neuen Möglichkeiten
konstruktiver Tatverarbeitung für Beschuldigte verbes-
sert werden?


(Alfred Hartenbach [SPD]: Letzteres, Herr Funke!)


Ich gehe davon aus, daß das letztere zu gelten hat. Dann
sind wir einer Meinung, aber dann muß das auch klar
gesagt werden; denn nur das kann dem Rechtsfrieden
dienen.

Es bedarf einer klareren Regelung der Strafprozeß-
ordnung, unter welchen Voraussetzungen der Täter-
Opfer-Ausgleich nach § 153a erfolgen soll. Es muß sich
meines Erachtens in erster Linie um eine autonome Ent-
scheidung von Beschuldigtem und Verletztem handeln.
Lediglich das ernsthafte Bemühen des Täters wird wohl
nicht reichen; denn schließlich muß auch das Interesse
des Opfers hinreichend berücksichtigt werden, wenn es
aus nachvollziehbaren Gründen einen Kontakt mit dem
Täter nicht wünscht. Zu Recht hat – das hat der Kollege
Dr. Götzer schon angesprochen – der Deutsche An-
waltsverein in seiner Stellungnahme zum Referenten-
entwurf für ein Gesetz zur strafrechtlichen Verankerung
des Täter-Opfer-Ausgleichs darauf hingewiesen, daß nur
dann eine strafverfahrensrechtliche Verankerung des
Täter-Opfer-Ausgleichs auch zu einem breiteren An-
wendungsbereich führen kann.

Es müssen wichtige verfahrensrechtliche Regelungen
ausdrücklich vorgenommen werden, wie zum Beispiel

Hans-Christian Ströbele






(B)



(A) (C)



(D)


über die rechtliche Stellung des Personals der Täter-
Opfer-Ausgleich-Stelle, das rechtliche Gehör der Betrof-
fenen vor der Einleitung des Täter-Opfer-Ausgleich-
Verfahrens sowie die notwendigen Verfahrensschritte
während des Täter-Opfer-Ausgleich-Verfahrens.

Ich hoffe sehr, daß es gelingen wird, im Rechtsaus-
schuß zu einer Verbesserung des Entwurfs der Bundes-
regierung zu gelangen. Das ist die Voraussetzung dafür,
daß sich der Täter-Opfer-Ausgleich, den ich gefördert
sehen möchte – das will ich ausdrücklich sagen –, in
Zukunft weiter durchsetzt und wir unser Ziel, nämlich
ein höchstes Maß an Rechtsfrieden in der Gesellschaft
zu erlangen, erreichen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406625800
Für die PDS-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Sabine Jünger.


Sabine Jünger (PDS):
Rede ID: ID1406625900
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Nach der gültigen Rechtslage –
§ 46 a des Strafgesetzbuches – kann es nur zu einem
Täter-Opfer-Ausgleich kommen, wenn die mögliche
Freiheitsstrafe ein Jahr oder die Geldstrafe 360 Tages-
sätze nicht übersteigt. Herr Götzer, das müßten auch Sie
wissen. Der Entwurf der Bundesregierung sieht jetzt vor,
§ 153 a der Strafprozeßordnung, Einstellung des Verfah-
rens bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen, um
den Täter-Opfer-Ausgleich zu erweitern und die §§ 155 a
und b einzuführen.

Im allgemeinen Strafrecht stellt der Täter-Opfer-
Ausgleich einen Gesichtspunkt der Strafzumessung dar.
Er kann im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung
angeordnet werden und bei nicht schweren Verfahren
zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens führen. Zur
Zeit gibt es im Bereich Täter-Opfer-Ausgleich nur ge-
ringe Fallzahlen, die allerdings stetig steigen.

Wir halten die Verankerung des Täter-Opfer-
Ausgleichs in der Strafprozeßordnung für ein rechtspo-
litisch bedeutsames Vorhaben, das wir nachdrücklich
unterstützen. Wir begrüßen es, daß diesem Instrument
ein breiter Anwendungsbereich geschaffen werden soll.
Gerichte und Staatsanwaltschaften sollen nun ausdrück-
lich die Möglichkeit eines Ausgleichs prüfen.

Ein Ausgleich soll nur zustande kommen, wenn der
Geschädigte damit einverstanden ist, und das ist auch
richtig so. Fast die Hälfte aller Opfer sind für den Täter-
Opfer-Ausgleich, und weitere 25 Prozent können sich
einen Ausgleich mit dem Täter vorstellen, wenn es zu
keinem Ausgleichstreffen kommt.

Zwei kritische Momente will ich jedoch nicht ver-
schweigen: Erstens. Der Vorschlag, zunächst die Zu-
stimmung des Gerichts und des Beschuldigten einzuho-
len, hat aus unserer Sicht den Nachteil, daß sich der
Staatsanwalt schon vor dem Verfahren darüber im kla-
ren sein muß, daß er einen Täter-Opfer-Ausgleich mit
dem Ziel der Verfahrenseinstellung durchführen will.
Das ist meines Erachtens schwer mit dem Ziel vereinbar,

daß sich der Täter aus freien Stücken um einen Aus-
gleich bemühen soll.

Zweitens. Diese Vorgabe kann auch bei den Tätern
zu einem falschen Rollenspiel führen. Es besteht zudem
die Gefahr, daß auf das Opfer Druck ausgeübt wird, so-
wohl von seiten des Täters als auch von seiten des Kon-
fliktschlichters, nach dem Motto: Nun schließe schon
endlich Frieden, sonst bist du für die Anklage verant-
wortlich! Ich sage es ganz deutlich: Die Interessen der
Opfer müssen vordringlich beachtet werden.

Wenn wir wirklich wollen, daß der Täter-Opfer-
Ausgleich in der Praxis verstärkt angewandt wird – das
wollen wir hier wohl alle –, muß für mehr Verständnis
und Akzeptanz bei Richtern, Rechts- und Staatsanwälten
geworben werden. Aus unserer Sicht ist es deshalb drin-
gend notwendig, diesen Punkt bereits in der juristischen
Ausbildung zu beachten. Der Täter-Opfer-Ausgleich
zwingt den Täter, über seine Tat und deren Konsequen-
zen für das Opfer nachzudenken und sich Gedanken
über eine mögliche Wiedergutmachung zu machen. Der
Resozialisierungs- und Erziehungsgedanke des Straf-
rechts kommt dadurch meiner Meinung nach besser zum
Tragen als durch die von außen bzw. von oben ausge-
sprochenen Strafen.

Durch die Ausweitung wird die Anzahl strafgerichtli-
cher Hauptverhandlungen und die der Zivilprozesse sin-
ken. Dadurch wird die Justiz entlastet. Auch das spricht
aus unserer Sicht für den Täter- Opfer-Ausgleich.

Ich hoffe – da schließe ich mich den Worten des
Kollegen Funke an –, daß wir vielleicht bei dem einen
oder anderen kleinen Punkt noch zu Nachbesserungen
kommen. Aber ansonsten stehen wir diesem Konzept
sehr aufgeschlossen gegenüber.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS sowie des Abg. HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406626000
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Hedi Wegener.


Hedi Wegener (SPD):
Rede ID: ID1406626100
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Chancen und Grenzen des Täter-
Opfer-Ausgleichs einschließlich kritischer Betrachtung
der berechtigten Anliegen der Opfer in das Strafrecht
einzuführen, das ist das Bestreben des Gesetzentwurfes.
Im übrigen befinden wir uns international in guter Ge-
sellschaft; denn die 1985 von der Generalversammlung
der Vereinten Nationen beschlossene Erklärung über
Rechtsprinzipien für Opfer von Kriminalität und Miß-
brauch gilt als Erfolg einer kriminalpolitischen Bewe-
gung.


(Beifall bei der SPD)

Allerdings ist das bewußt einseitige Engagement für die
Opfer manchmal auch eine Lobby für eine konservative
Kriminalpolitik und eine Legitimation für beliebte For-
derungen nach Verschärfung des Strafrechts.

Rainer Funke






(A) (C)



(B) (D)


Das Vorhaben Täter- Opfer-Ausgleich ist jedoch sehr
gut geeignet, einen parteiübergreifenden Konsens herzu-
stellen.


(Beifall bei der SPD)

Für einige Feinheiten besteht noch Beratungsbedarf. Wir
werden in den Ausschußsitzungen Gelegenheit haben,
vielleicht gemeinsam mit einigen Kollegen aus der
CDU/CSU, diese zu klären.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hören wir nicht immer, aber das hören wir gern!)


– Herr Geis, bei Ihnen wäre ich mir da allerdings nicht
so sicher.


(Heiterkeit bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt fängt es schon an! – Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung!)


Es geht in diesem Gesetzentwurf um die Stärkung der
Kriminalitätsopfer im Strafverfahren, um die davon aus-
gehenden kriminalpräventiven Maßnahmen und vor al-
len Dingen um die Installierung in der Strafprozeßord-
nung und im StGB.

Gute Erfahrungen damit – die Frau Ministerin hat
darauf hingewiesen – gibt es bereits im Jugendstrafrecht.
Der Täter- Opfer-Ausgleich für Erwachsene wird heute
nach wie vor sehr selten angewandt. Staatsanwälte und
Gerichte haben Bedenken. Der neue § 155a StPO macht
es den Staatsanwaltschaften und Gerichten ausdrücklich
in jedem Stadium des Verfahrens möglich, den Aus-
gleich zu prüfen. Kommt er zustande, so ist eine end-
gültige Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO
möglich. Dabei muß auch bei einem nicht endgültigen
Abschluß oder Zustandekommen ein ernsthaftes Bemü-
hen


(Albert Deß [CDU/CSU]: Ausreichendes!)

– ernsthaftes – zu erkennen sein. Dies ist eine mögli-
cherweise nicht einfach festzustellende Tatsache, je
nachdem, wer sie anstellt: Opfer, Beklagter, oft viel-
leicht auch Rechtsanwalt oder Gericht.

Ich möchte Sie gerne auffordern, mit mir einige Be-
trachtungen genereller Art über die Dynamik zwischen
Täter und Opfer anzustellen. Auf den ersten Blick
könnte man meinen, der Gesetzentwurf diene aus-
schließlich dem Täter, und der würde dadurch eine Be-
vorzugung erhalten.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: So ist es auch!)


Bei näherem Hinsehen würde auch Ihnen die Tragweite
des Handelns, der Bemühungen, der Einschränkungen
und der Zwänge, die dem Täter in diesem Prozeß, in den
er sich einläßt, auferlegt werden, auffallen.

Wenn ich im übrigen die ausschließlich männliche
Sprachform benutze, dann deshalb, weil die Täter über-
wiegend männlich sind. Es gibt natürlich auch Täterin-
nen. Aber die Kriminalität ist männlich und die Gewalt
allemal.

Das heißt im übrigen im Umkehrschluß nicht, daß die
Opfer überwiegend weiblich sind. Wir wissen, daß gera-

de 15- bis 30jährige junge Männer, die am gefährdetsten
sind, zu den Opfern gehören. Bei Körperverletzungen
erfolgen die Taten häufig im eigenen Milieu und in der
eigenen Altersklasse. Anders stellt es sich in den Opfer-
beratungsstellen dar, die es ja auch jetzt schon gibt. Da
Täter häufig Männer sind, Frauen aber eher Beratungs-
stellen aufsuchen und sich als Opfer Hilfe holen, sind
drei Viertel der Ratsuchenden Frauen. Ebenso sind drei
Viertel der Ratsuchenden jünger als 40 Jahre. 18 Prozent
der Betroffenen sind Angehörige, die sich dort Rat und
Hilfe holen. Es kommen auch Opfer, die nicht immer
unbedingt einen Strafantrag stellen wollen.

Eigentlich müßte der Opferschutz schon vorher be-
ginnen, nämlich im Strafverfahren selbst. Er besteht
darin, daß die psychischen Verletzungen während des
Verfahrens nicht noch verschlimmert werden. Dies be-
trifft Anhörungen, Gutachter-, Zeugenbefragungen usw.
Bei den Strafverfolgungsbehörden muß sich herumspre-
chen, daß zum Beispiel Verletzte nicht bloß Auskunfts-
personen zur Aufklärung strafrechtlich relevanter Sach-
verhalte sind. Das bedeutet auch, daß die Interessen der
Geschädigten während des Verfahrens ausreichend zur
Sprache kommen und die Opfer die Möglichkeit haben,
ihre Erlebnisse zu bearbeiten und eine Entschädigung
für ihren erlittenen Schaden zu bekommen.

Sicher werden Überlegungen angestellt – darüber
wurde vorhin schon gesprochen –, welche Delikte bei
einem Täter-Opfer-Ausgleich eigentlich eine Rolle
spielen können. Denken wir zum Beispiel an Bezie-
hungsdelikte. Dies betrifft Krisen, Ereignisse innerhalb
einer Beziehung, die in mehreren Phasen ablaufen, sich
zeitlich aufbauen und – oft in einer Körperverletzung –
eskalieren. Wer Opfer und Täter ist,


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Auf jeden Fall der Mann!)


läßt sich im nachhinein manchmal nur noch am Delikt
feststellen. Am Prozeß sind alle Konfliktparteien – ob
aktiv oder passiv – gleichermaßen beteiligt. Zu den Op-
fern gehören Männer und Frauen im gleichen Maße. Der
Täter- Opfer-Ausgleich ist gut für rivalisierende Grup-
pen. Ein solcher erfolgt schon heute unter rivalisieren-
den Jugendgruppen, ist aber auch im Erwachsenenbe-
reich möglich.

Kommen wir zu den Gewaltdelikten: Die Opfer ver-
langen zum einen die Strafe. Sie wollen zum anderen, daß
die Tat nicht wiederholt wird, und sie fordern psychische
und finanzielle Unterstützung sowie Beratung. Bei
Eigentumsdelikten stehen die Schadensersatzforderungen
– oftmals auch der Versicherungen – an oberster Stelle.

Wie aber kann der Täter, der Staat oder die Gesell-
schaft das wiedergutmachen, was dem Opfer widerfah-
ren ist? Wiedergutmachung unter Einfluß des Opfer-
interesses, gibt es das eigentlich? Schadenswiedergut-
machung als eigenständige Rechtsfolge ist nicht neu. Im
Jugendstrafrecht gibt es das schon. Den entstandenen
Schaden mußten die Täter im übrigen schon immer wie-
dergutmachen.

Schauen wir noch einmal auf die Opfer: Die Opfer
wollen, daß man sich mit ihren Anliegen beschäftigt. Sie
wollen soziale Gerechtigkeit. Sie wollen nicht noch ein-

Hedi Wegener






(B)



(A) (C)



(D)


mal Opfer werden. Wenn man genauer hinschaut, was bei
Opfern eigentlich verletzt worden ist, dann ist festzustel-
len: Es wurde die Menschenwürde bzw. ihre Seele ver-
letzt. Sie haben gegebenenfalls einen materiellen Schaden
gehabt, und ihre Gesundheit ist beschädigt worden. Des-
halb wünschen sich die Opfer: Der Täter muß für sein
Handeln Verantwortung übernehmen. Er muß die Konse-
quenzen tragen, und das Opfer muß rehabilitiert werden.

Schauen wir auf den Täter: Bei dem Täter besteht
die Tendenz, den Opfern negative Eigenschaften zuzu-
schreiben. Man nennt diese Umbewertung Neutralisie-
rungstechnik. Das heißt, eigenes Verhalten wird gerecht-
fertigt. Durch den Täter-Opfer-Ausgleich wird der Täter
mit der Sichtweise des Opfers konfrontiert, und abwei-
chende Beurteilungen werden offensichtlich. Verände-
rungen seiner Perspektive sind dabei erwünscht. Per-
spektivübernahme nennt man das. Erfaßt werden diese
im Prozeß des Täter-Opfer-Ausgleichs durch gezielte
Fragetechniken. Das ist im übrigen ein schwieriges Un-
terfangen für Täter.

Die Täter bewerten den entstandenen Schaden mei-
stens auch subjektiv. Entweder sagen sich die Täter
– das ist oftmals der Fall –, das Opfer kann den Schaden
eigentlich verschmerzen oder macht den Schaden höher,
als er eigentlich ist, oder sie kommen zu der Erkenntnis,
daß der Schaden doch größer als gedacht ist, daß der
Geschädigte ja richtige Angaben zu dem Schaden macht
oder daß die Folgen der Tat für die Opfer schwerwie-
gender sind, als sie sich das eigentlich gedacht haben.
Eine weitere Möglichkeit des Täters, sich selber zu
rechtfertigen, besteht darin, sich selber keine Verant-
wortung für das Leiden des Opfers zuzuschreiben. Er
verdrängt die Tat und sagt, er sei es nicht gewesen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406626200
Frau Kollegin Wege-
ner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?


Hedi Wegener (SPD):
Rede ID: ID1406626300
Ja, bitte, Herr Geis.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1406626400
Es ist, Frau Kollegin,
gewiß ein richtiger Gedanke, daß ein Ausgleich zwi-
schen Täter und Opfer stattzufinden hat. Das bejahen
wir durchaus. Sehen Sie aber auch – das ist meine Frage
– das dritte Opfer, das mit im Spiel ist, nämlich die ver-
letzte Rechtsordnung? Wie kann durch den Täter-Opfer-
Ausgleich die Verletzung der Rechtsordnung wiedergut-
gemacht werden? Sehen Sie dazu eine Möglichkeit? Ich
bitte Sie, uns dazu noch etwas zu sagen.


Hedi Wegener (SPD):
Rede ID: ID1406626500
Wir stellen die Interessen des
Opfers und die Behandlung seiner Verletzungen an die
oberste Stelle. Dieser Prozeß zwischen Täter und Opfer,
auf den ich gleich noch näher eingehe, befriedigt das
Opfer eigentlich schon. Es bleibt natürlich immer noch
die Alternative der strafrechtlichen Sanktion oder der
Einstellung des Verfahrens, wenn der Täter-Opfer-
Ausgleich zu einem Abschluß gekommen ist, dem beide,
auch das Opfer, zustimmen.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Wird es dann eingestellt? Gibt es dann keine Sanktion?)


– Ja, dann wird eingestellt.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Leute, das haben wir doch bisher auch schon! Ihr tut hier so, als wenn ihr von gestern seid! Dummes Zeug mag ich nicht! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann brauchen wir keine parlamentarische Debatte! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Oberlehrer!)


Wir waren gerade dabei, wie der Täter seine Tat und
die Sichtweise des Opfers betrachtet. Wenn er die nega-
tiven Konsequenzen der Tat für das Opfer wahrnimmt,
kommt es auch beim Täter zu einer Umbewertung der
Tat. Nach dem Täter-Opfer-Ausgleich soll diese stattge-
funden haben. Dem Täter soll klar sein, daß er gegen das
Gesetz verstoßen und eine Person geschädigt hat, daß
auf die Tat eine Sanktion folgt und daß er für die Folgen
verantwortlich ist.

Welche Inhalte hat der Täter-Opfer-Ausgleich? Eine
Beratung des Konfliktes, eine Vereinbarung über die
Wiedergutmachung, eine Leistung des Täters zur Wie-
dergutmachung und die Berücksichtigung der Täterbe-
mühungen im Strafprozeß. Im praktischen Ablauf heißt
das, daß Konfliktschlichtungsstellen eine Beratung – an
der beide Seiten freiwillig teilnehmen müssen – in ei-
nem strukturierten Prozeß mit Kommunikationsregeln
durchführen.

Meine Ausführungen zeigen, daß ein Täter-Opfer-
Ausgleich nur im Dialog zwischen Täter, Opfer und ei-
ner dritten schlichtenden Person erfolgen kann. Es ent-
wickelt sich also ein Prozeßgeschehen, das begleitet
werden muß; das geht aber nur professionell. Den Län-
dern wird die Durchführung aufgegeben. Die Verant-
wortung dafür wird sinnvollerweise in erster Linie bei
der Justiz selber liegen, aber auch freie Verbände, die
schon jetzt in die Bewältigung von justiznahen Aufga-
ben einbezogen sind, können diese Aufgaben wahrneh-
men. Dazu dienen die im Gesetzentwurf vorgeschlage-
nen datenschutzrechtlichen Maßnahmen, die ein weite-
res Gesetz überflüssig machen.

Der Täter-Opfer-Ausgleich unterscheidet sich aller-
dings noch von dem weitergehenden Prozeß der Kon-
fliktschlichtung. In beiden Fällen ist es ein laufender
Prozeß, dem sich die Konfliktparteien unterziehen. Aus
diesem Grunde spricht alles dafür, ihn zu jedem Zeit-
punkt des Verfahrens zuzulassen und strafmildernd zu
berücksichtigen. Die Gespräche sind in jedem Falle
freiwillig und laufen in verschiedenen Phasen ab unter
Berücksichtigung der Emotionen, der Annäherung, der
Ablehnung und der Unterschiede.

Eine gute Sache ist also der Täter-Opfer-Ausgleich,
wenn die Länder, die für die Durchführung zuständig
sind, und wenn die Richter und Staatsanwälte die Ein-
führung nicht nur als neue gesetzliche Grundlage,
sondern als eine dem Frieden dienende Initiative an-
sehen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Hedi Wegener






(A) (C)



(B) (D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406626600
Frau Kollegin We-
gener, das war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen
Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
beglückwünsche ich Sie auf das herzlichste dazu.


(Beifall)

Allerdings muß ich Ihnen sagen, daß ich ansonsten mit
der Redezeit nicht so großzügig sein kann. Aber bei der
ersten Rede ist das schon einmal möglich.


(Hedi Wegener [SPD]: Danke schön!)

Als letzter Redner dieser Debatte hat der Kollege

Eckart von Klaeden von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1406626700
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Auch ich
darf zunächst der Kollegin Wegener herzlich zu ihrer er-
sten Rede gratulieren und gleichzeitig ankündigen – das
ist sozusagen ein kleines Präsent für ihre erste Rede –,
daß ich meine Redezeit nicht voll ausschöpfen werde.

Ich möchte mich zunächst entschuldigen und mit
einer protokollarischen Richtigstellung beginnen. Ich
hatte nämlich bei unserer letzten rechtspolitischen Debatte
Herrn Professor Meyer mit einem Zitat der Kollegin
Antje Vollmer konfrontiert, mit dem ich ihn widerlegen
wollte. Das Zitat stammt zwar aus der Koalition. Aber es
bleibt festzustellen, daß das Zitat nicht von ihm stammte.


(Beifall bei der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die beiden haben Sie verwechselt? So ähnlich sehen sie nicht aus!)


– Herr Kollege Ströbele, ich habe sie nicht optisch ver-
wechselt. Da Sie technisch interessiert sind – Sie haben
das gezeigt, indem Sie mit Ihrer einbügeligen Brille
ganz gut balanciert haben –, will ich Ihnen sagen: Diese
Verwechselung ist dadurch geschehen, daß beim Aus-
druck der letzten Debatte zu dem Thema im Jahre 1996
der Absatz mit dem neuen Rednerkopf nicht ausgedruckt
worden ist. So gingen die beiden Reden ineinander über,
und so kam es, daß ich Herrn Professor Meyer mit
einem falschen Zitat konfrontiert habe.

Zur Sache selber. Ich bin, wie schon die Kollegin
Wegener in ihrer ersten Rede, der Ansicht, daß wir ge-
nug Anlaß haben, miteinander zu streiten. Wir sollten
aber nicht übermäßig über die Punkte streiten, in denen
zwischen uns Konsens besteht. Deswegen ist festzuhal-
ten: Einen gelungenen Täter-Opfer-Ausgleich begrüßen
wir alle. Wir freuen uns, wenn sich die Regierungsko-
alition bemüht – wenn auch nur in wenigen Fällen –,
ihre Rechtspolitik in die Tradition der Koalitionspolitik
der letzen beiden Legislaturperioden zu stellen.

In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen
– der Kollege Dr. Götzer und der Kollege Funke haben
dies schon getan –, daß wir bereits in den 80er Jahren in
der Jugendgerichtsnovelle von 1990 und schließlich im
Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 den Täter-
Opfer-Ausgleich verankert haben. Insofern spricht aus
meiner Sicht prinzipiell nichts dagegen, diese rechts-
politische Initiative in der Strafprozeßordnung fortzuset-
zen.

Um deutlich zu machen, wo die Kritik unserer Frak-
tion insbesondere an dem von Ihnen vorgeschlagenen
§ 155 a StPO ansetzt, will ich aus dem vom Justizmi-
nisterium des Landes Baden-Würtemberg und auch von
der Bundesjustizministerin zitierten Gutachten vorlesen,
in dem der Zweck des Täter-Opfer-Ausgleichs beschrie-
ben wird. Dort heißt es:

Der Täter soll Einsicht in die Verwerflichkeit sei-
nes Verhaltens nehmen. Dabei darf allerdings nicht
übersehen werden, daß der Täter-Opfer-Ausgleich
auch eine Belastung für das Opfer darstellen kann.
Denn das Opfer muß dem Täter (nochmals) gegen-
übertreten. Es wäre eine Fehlvorstellung und letzt-
lich eine Überforderung des Opfers, wenn man sei-
ne Position in dieser alternativen Schlichtungsform
per se positiver beurteilen würde als im förmlichen
Strafverfahren.

Es besteht jetzt die Frage, ob der neue § 155a StPO
dieser Interessenlage als Generalnorm ausreichend
Rechnung trägt. Ich will in diesem Zusammenhang ein-
mal den Blick nach Österreich wenden. Eine ähnliche
Generalnorm wie im geplanten § 155a StPO spielt in
§ 42 des österreichischen Strafgesetzbuches eine Rolle.
Es heißt dann in § 90i der österreichischen Strafprozeß-
ordnung, daß bei solchen Maßnahmen die Interessen des
Verletzten zu berücksichtigen und, soweit sie berechtigt
sind, im größtmöglichen Umfang zu fördern sind. Unter
Beachtung dieser österreichischen Regelung wäre es
doch sinnvoll, eine entsprechende Ergänzung in § 155a
StPO vorzunehmen. Schon die Debatte im Bundesrat hat
gezeigt, daß man bei der Formulierung „Gegen den aus-
drücklichen Willen des Verletzten soll die Eignung nicht
angenommen werden“, die vom Kollegen Dr. Götzer zu
Recht kritisiert wurde, vielleicht erstens den Begriff der
Ausdrücklichkeit streichen und zweitens dazu übergehen
könnte, zu sagen: „Gegen den Willen des Verletzten darf
der Täter-Opfer-Ausgleich nicht durchgeführt werden.“


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das könnte durchaus die Möglichkeit mit sich brin-

gen, die auch im Gutachten beschriebene Interessenlage
zu berücksichtigen und das, was Sie selber in bezug auf
§ 155 a und die anderen Regelungen im Rahmen der
Strafprozeßordnung vorgegeben haben, zu erreichen,
nämlich die Stellung des Opfers zu verbessern. Ich habe
zunächst einmal keinen Grund, an Ihrem Willen zu
zweifeln. Aber das könnten Sie mit einer solchen Klar-
stellung in § 155 a StPO besser bewerkstelligen als mit
der derzeit vorliegenden Formulierungsempfehlung.

Auf die finanziellen Belastungen hat der Kollege
Funke schon hingewiesen. Ich will nur noch sagen, daß
uns hier immer wieder wie tönend Erz vorgetragen wur-
de, daß derjenige, der die Musik bestellt, sie auch be-
zahlen soll. Hier bestellen Sie mit den über 3 000 not-
wendigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern ein
ganz prächtiges Orchester im Rahmen unserer Rechts-
pflege.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sonst bestellen Sie die Gefängniswächter! Die müssen auch die Länder bezahlen!)







(B)



(A) (C)



(D)


– Ich sage nichts dagegen, ich will nur darauf hinweisen,
Herr Ströbele. Ich finde aber schon, daß die Argumente,
die Sie als damalige Opposition vorgetragen haben, auch
bei dieser Frage eine Rolle spielen sollten. Wenn wir
Haushaltspolitik betreiben und feststellen, daß ein nicht
unerheblicher Teil des Sparpakets dazu führt, daß eine
Menge Kosten auf die Länder und Kommunen verlagert
wird, ist es angemessen, hier einmal zu sagen: Ja, wir
stehen zu dieser Regelung!, gleichzeitig aber dafür zu
sorgen, daß die Länder dafür eine gewisse finanzielle
Entlastung erfahren.


(Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Kollege Ströbele.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406626800
Herr Kollege von
Klaeden, Sie gestatten die Zwischenfrage?


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1406626900
Gerne.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ich sage, daß Sie, wenn Sie zusätzliche Straftatbestände
oder zusätzliche Sanktionen ins Strafgesetzbuch auf-
nehmen, immer auch die Länder belasten, daß jeder, ge-
gen den Sie eine Freiheitsstrafe verhängen, bei den Län-
dern zusätzliche Kosten verursacht, nämlich mindestens
200 DM pro Haftplatz pro Tag, und daß auch Sie wäh-
rend Ihrer Regierungszeit, wenn Sie Strafverschärfungen
vorgenommen haben, nie auf die Idee gekommen sind,
zu sagen: „Jetzt müssen die Länder einen finanziellen
Ausgleich erhalten, damit sie die Strafgefangenen unter-
bringen und versorgen können“? Das hängt nun einmal
damit zusammen, daß, jedenfalls in aller Regel, die
Strafvollstreckung in der Zuständigkeit der Länder an-
gesiedelt ist und deshalb auch den Finanztopf der Län-
der belastet.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1406627000
Herr Kollege
Ströbele, was Sie gesagt haben, ist mir bekannt. Mich
beeindruckt durchaus, daß es auch Ihnen bekannt ist.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ich darf doch einmal verlesen, was Sie unter Punkt D in
Ihrem Gesetzentwurf geschrieben haben:

Durch die verstärkte Inanspruchnahme der mit der
Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs betrau-
ten Ausgleichsstellen ist mit bei den Ländern an-
fallenden Mehrkosten zu rechnen, die sich derzeit
nicht quantifizieren lassen.

Wenn ich also nur auf das hinweise, was am Anfang
Ihres Gesetzentwurfes steht, bedarf es doch keiner Zwi-
schenfrage. Es handelt sich schlicht um eine Tatsache.
Ich habe lediglich darauf hingewiesen, daß dies in einem
gewissen Spannungsverhältnis zu dem steht, was Sie
zuvor als Opposition immer wieder gefordert haben, ob-
gleich ich Ihnen, Herr Kollege Ströbele, gern zugestehen

will, daß die Situation der Länderhaushalte Ihnen viel-
leicht nicht so sehr am Herzen lag wie anderen Kolle-
ginnen und Kollegen der vormaligen Opposition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, da ich hier nicht nach dem
alten Satz vorgehen will, es ist schon alles gesagt, aber
noch nicht von allen, schließe ich meine Ausführungen
und wünsche allen Rechtspolitikern einen angenehmen
Abend.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406627100
Ich danke Ihnen für
den Zeitgewinn, Herr Kollege von Klaeden.

Ich schließe die Aussprache. Es wird Überweisung
des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/1928 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der F.D.P.

Abschreibungs-Tabellen nicht ändern
– Drucksachen 14/1887 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die F.D.P.-Fraktion fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die F.D.P.Fraktion hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung beabsichtigt, die Abschreibungstabellen so zu verändern, daß die Abschreibungszeiten verlängert werden. Das bedeutet faktisch die Einführung einer neuen Investitionssteuer. Eine neue Investitionssteuer ist in der derzeitigen Situation, in der es darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen, vermutlich das Verheerendste, was man überhaupt machen kann. Deshalb ist es richtig, daß dieser Vorgang hier im Bundestag behandelt wird. Er wird heute in erster Lesung behandelt und im Finanzausschuß weiterbehandelt; denn ich vermute, daß die Bundesregierung heute nicht erklären wird, daß der Antrag zurückgezogen wird, obwohl sie es tun könnte. Sollte sie es nicht tun, werden Eckart von Klaeden wir sie bei diesem Thema treiben. Das sage ich hier ganz deutlich, und darauf werde ich noch im einzelnen zu sprechen kommen. Wenn es in der Vergangenheit konjunkturelle Probleme gab und Arbeitsplätze geschaffen werden sollten, haben alle Regierungen möglichst dazu gegriffen, Abschreibungsfristen zu verkürzen. Das haben sogar sozialdemokratische Wirtschaftsminister getan. Wenn hier unter der Ägide des Finanzministers, des Sparministers Eichel die Abschreibungsfristen verlängert werden, bedeutet das für die Betriebe in Deutschland eine Steuererhöhung auf kaltem Wege. Das ist das letzte, was wir gebrauchen können. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn man Abschreibungsfristen verlängert und die Steuersätze nicht ändert, ist das eine Steuererhöhung und nichts anderes. Ich wäre dankbar, wenn Sie, Frau Staatssekretärin, das für die Bundesregierung hier bestätigen könnten. Dies ist keine reine Verwaltungsvereinbarung. Vielmehr hat das Kabinett vor der Sommerpause beschlossen, daß aus dieser Maßnahme Steuermehreinnahmen in Höhe von 2,2 Milliarden DM im Jahr 2000 entstehen sollen. Daher möchte ich alle Beamten, die daran arbeiten, vor den Äußerungen der Regierung in Schutz nehmen, die besagen, damit habe die Regierung überhaupt nichts zu tun, da es eine reine Verwaltungsgeschichte sei. Das stimmt nicht. Wenn es reines Verwaltungshandeln wäre, hätte das Kabinett dies in der Sitzung vor der Sommerpause nicht beschließen dürfen. Das Kabinett hat es aber beschlossen. Wenn es das nicht wollte, hätte es diesen Beschluß förmlich zurückzunehmen. Das bezwecken wir mit unserem Antrag. Es ist auch absolut unglaubwürdig, wenn die Regie rung in Aussicht stellt, im Rahmen einer Unternehmensteuerreform sollten die Steuerbelastungen für die Unternehmen um 8 Milliarden DM gesenkt werden. Die Regierung hat in diesem Zusammenhang schon viel versprochen. Sie hat schon versprochen, daß es ab dem 1. Januar 2000 eine Unternehmensteuerreform geben soll. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Herr Thiele!)

Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1406627200

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





(A) (C)


(B) (D)


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


(Zustimmung bei der CDU/CSU)


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Jetzt haben Sie gerade einmal beschlossen, am 5. Januar
2000 solle der Referentenentwurf eingebracht werden.
Es scheint aber noch Diskussionsbedarf im Hinblick auf
Kollegin Scheel zu geben, die in der Öffentlichkeit er-
klärt hat, dieses Konzept der Regierung trage sie über-
haupt nicht mit, obwohl auch dieses Konzept vom Kabi-
nett verabschiedet wurde. Ihm gehört die Frau Kollegin
Scheel zwar noch nicht an; aber es gibt ja den einen und
anderen grünen Minister, der bereits den Vorstellungen
der Regierung zugestimmt hat. Das nur zum Stichwort
Glaubwürdigkeit!

In diesem Zusammenhang möchte ich Wirtschaftsmi-
nister Müller zitieren, der einen Brief an Finanzminister
Eichel geschrieben hat – ich zitiere aus der „FAZ“ vom
15. Oktober 1999 –:

Müller erinnerte seine Kollegen an den Kabinetts-
beschluß vom Februar zur steuerlichen Regelung
von Rückstellungen auf der Grundlage einer Vorla-
ge des Bundesfinanzministeriums, der völlig falsch
gewesen war und die Wirtschaft erheblich mehr
belastet hätte. Damals sei gesagt worden, daß sich
solche Fehleinschätzungen nicht wiederholen dürf-
ten.

Ich finde, Wirtschaftsminister Müller hat an dieser Stelle
recht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn das Finanzministerium unter Finanzminister
Lafontaine nicht rechnen konnte, dann scheint es unter
Finanzminister Eichel ebensowenig rechnen zu können.
Denn die Belastung, die sich aus dieser Absicht der
Bundesregierung ergibt, beträgt pro Jahr 14 bis
20 Milliarden DM – das geht zu Lasten von deutschen
Arbeitsplätzen –, und in das Finanztableau wurden nur
2,2 Milliarden eingestellt.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)


Ich möchte jetzt aus der Rede des Bundeskanzlers zi-
tieren, die er vor dem Hauptverband des Deutschen Ein-
zelhandels gehalten hat:

Denn Sie haben recht, insbesondere was da überlegt
worden ist bei den Abschreibungen von Computer-
Hardware, ist sowas neben der Sache, daß man dies
nicht lange erläutern muß. Es ist, wie das gelegent-
lich so ist, ein Entwurf im Finanzministerium ge-
wesen, fiskalisch begründet, dies müssen die auch,
aber nicht alles, was da, ohne daß die Hausspitze es
gesehen hat, aufgeschrieben und gedacht wurde,
muß gleich Gegenstand öffentlicher kritischer Er-
örterungen werden. Ist er aber, und ich mache es
hier sehr deutlich: Diese Tabellen, die dort versandt
worden sind, sind keine Tabellen, die rechtliche
Geltung erlangen werden. „Gesetz“ darf ich nicht
sagen, weil es, glaube ich, Erlasse sind.

Soweit Bundeskanzler Schröder.
Deshalb kann ich dieser Regierung nur sagen: Ziehen

Sie diese Änderung zurück!

(Rudolf Bindig [SPD]: Drohen Sie doch nicht so!)

Denn ich glaube Ihnen nicht, daß diese Abschreibungsli-
sten nicht Quasi-Gesetzeskraft erhalten sollen. Wir wer-
den Sie mit diesem Thema treiben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach, Herr Thiele!)


– Das werden wir. Das geschieht jetzt schon.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU)


Carl-Ludwig Thiele






(B)



(A) (C)



(D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406627300
Herr Kollege Thiele,
ich muß Sie leider angesichts Ihrer Redezeit auch etwas
treiben.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1406627400
Frau Kollegin Bläss,
ich lasse mich hier auch treiben.

Abschließend möchte ich sagen: Die Glaubwürdig-
keit von Rotgrün ist sowieso schon dahin. Aber wenn
die Neue Mitte Ihre Zielgruppe sein soll, dann machen
Sie sie nicht mit diesen Abschreibungsregelungen zur
Zielscheibe. Das haben die Unternehmer, die Unterneh-
men und die Arbeitnehmer in unserem Lande nicht ver-
dient.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rudolf Bindig [SPD]: Lobbyistenpartei F.D.P.!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406627500
Das Wort hat die
Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministeri-
um der Finanzen, Barbara Hendricks.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gib ihnen Saures!)


D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1406627600
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zur Beurteilung Ihrer Rede, ge-
schätzter Herr Kollege Thiele, fallen mir nur zwei Mög-
lichkeiten ein: Entweder haben Sie keine Ahnung, oder
Sie sprechen wider besseres Wissen. Ich nehme das
letztere zu Ihren Gunsten an.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sowohl als auch! – Rudolf Bindig [SPD]: Beides!)


Im übrigen kann ich sogleich erklären, daß die Aus-
sage des Bundeskanzlers, die Sie hier zitiert haben, voll-
ständig mit dem in Einklang steht, was ich Ihnen schon
vor mindestens zwei Wochen, als wir uns zum erstenmal
darüber im Finanzausschuß unterhalten haben, genau so
für die Bundesregierung gesagt habe. Es gibt also kei-
nerlei Dissens zwischen dem Bundesfinanzministerium
und dem Bundeskanzler.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kann aber nicht zuhören!)


Das könnten Sie sogar dem Protokoll entnehmen, wenn
das Protokoll der Sitzung des Finanzausschusses von vor
zwei, drei Wochen vorliegt.

Der Antrag der F.D.P.-Fraktion zielt ja darauf, die
Überarbeitung der AfA-Tabellen einzustellen und es bei
den bisherigen AfA-Tabellen zu belassen.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Richtig!)

Diese Forderung haben schon einige Wirtschaftsverbän-
de erhoben. Das ist natürlich auch ihr gutes Recht. Ich
will aber eines klar sagen: Dieser Forderung kann die

Finanzverwaltung im Hinblick auf das auch Ihnen be-
kannte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. Novem-
ber 1997 zur Ermittlung der betriebsgewöhnlichen Nut-
zungsdauer eines Wirtschaftsgutes einfach nicht nach-
kommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das gibt aber dieses Urteil nicht her!)


Nach diesem Urteil ist als maßgebliches Kriterium
für die Bemessung der betriebsgewöhnlichen Nutzungs-
dauer im Sinne des § 7 Einkommensteuergesetz die
technische Abnutzung eines Wirtschaftsgutes anzuse-
hen. Eine von der technischen Nutzungsdauer abwei-
chende, kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer ist nach
der BFH-Rechtsprechung nur noch in den Fällen zuläs-
sig, in denen unter Berücksichtigung der typischen Nut-
zung im Betrieb des einzelnen Steuerpflichtigen die
Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen, auch an-
derweitigen Nutzung oder Verwertung objektiv endgül-
tig entfallen ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406627700
Frau Kollegin Hen-
dricks, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Thiele?

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1406627800
Ja. Bitte, Herr Kollege.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1406627900
Frau Staatssekretärin,
Sie beziehen sich auf das Urteil des BFH vom
19. November 1997. Ist Ihnen bekannt, daß dieses Urteil
des Bundesfinanzhofes einen Einzelfall betrifft, in dem
ein Steuerpflichtiger trotz der damals geltenden Nut-
zungsdauer von vier Jahren bei der Abschreibung von
Pkws der Auffassung war, sein Pkw müßte in drei Jah-
ren abgeschrieben sein, und daß der BFH in diesem Ein-
zelfall erklärt hat, daß eine Abschreibung in drei Jahren
nicht zulässig sei, sondern daß der Steuerpflichtige die
damals geltende Nutzungsdauer von vier Jahren anzu-
wenden habe?

Ich muß jedoch bemerken, inzwischen ist es auf fünf
Jahre verlängert. Aber aufgrund dieses Einzelfalls zu
Lasten des Steuerpflichtigen sind die AfA-Tabellen
nicht geändert worden und läßt sich aus meiner Sicht
nicht ein Auftrag an die Finanzverwaltung herleiten.
Vielmehr ist es reines Wunschdenken, um einen Auf-
trag von Dritten zu bekommen, um die Steuer zu er-
höhen.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1406628000
Herr Kollege Thiele, die-
ses Urteil ist mir bekannt. Ich kenne natürlich auch den
Inhalt des Urteils. Zu diesem Urteil hat die alte Bundes-
regierung keinen Anlaß gesehen, einen Nichtanwen-
dungserlaß zu erlassen. Daraufhin ist das Urteil durch
die Verwaltung anzuwenden. Jetzt sind wir verpflichtet,
es umzusetzen. Sie hätten zumindest versuchen können,
einen Nichtanwendungserlaß herauszugeben. Die Fi-
nanzverwaltung hat es damals versäumt. Nehmen Sie
das bitte zur Kenntnis.






(A) (C)



(B) (D)


Bisher wurden bei der Aufstellung und bei der Ände-
rung von Abschreibungstabellen auch betriebswirtschaft-
liche Aspekte berücksichtigt, die in der Regel zum Ansatz
einer verkürzten Nutzungsdauer führen. Nach dem BFH-
Urteil ist dies nicht mehr zulässig, aber, wie erwähnt,
natürlich in jedem Einzelfall gleichwohl möglich.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406628100
Frau Kollegin Hen-
dricks, es gibt eine zweite Zwischenfrage.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist nur eine Verlängerung der Redezeit!)


D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1406628200
Bitte schön, Herr Kollege
Thiele.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1406628300
Frau Staatssekretärin,
könnten Sie mir erläutern, wie auf ein Urteil hin, wel-
ches keine rechtliche Bindung für den Gesetzgeber er-
langt oder auch nur feststellt, ein Nichtanwendungserlaß
überhaupt ergehen muß? Denn ein Nichtanwendungser-
laß setzt nach meinem Rechtsverständnis voraus, daß
der BFH eine strittige Frage so klargestellt hat, daß eine
Anwendung erfolgen muß, über den Einzelfall hinaus.
Das enthält das Urteil in keiner Form. Insofern bedarf es
auch keines Nichtanwendungserlasses.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1406628400
Herr Kollege Thiele, wir
können uns hier jetzt natürlich rechtlich darüber streiten.
Es hat jedenfalls diesen Nichtanwendungserlaß nicht
gegeben. Nach Auffassung der obersten Finanzbehörden
des Bundes und aller Länder enthält dieses BFH-Urteil
rechtlich bindende Aussagen. Sie können anderer recht-
licher Auffassung sein. Ich kann nur sagen, es ist zu
Zeiten der alten Bundesregierung versäumt worden,
einen Nichtanwendungserlaß herauszugeben. Hätte es
ihn geben können, hätten wir keine rechtlichen Zwei-
felsfragen. Sie vertreten da eine andere Position als die
obersten Finanzbeörden des Bundes und aller Länder.
Wir können uns weiter darüber streiten.

Bitte schön, Herr Kollege Fromme.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406628500
Sie haben die Regie
schon übernommen. Bitte, Herr Kollege Fromme, Ihre
Frage.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1406628600
Frau Staats-
sekretärin, können Sie mir vielleicht einmal erklären, wo
es eine Rechtsgrundlage gibt, die Sie daran hindert, jetzt
einen Nichtanwendungserlaß herauszugeben?


(Rudolf Bindig [SPD]: Darauf bin ich sehr gespannt! Hier ist das Plenum und nicht der Ausschuß! Besprechen Sie das im Ausschuß!)


D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1406628700
Herr Kollege Fromme,

Sie wissen, daß ich keine Juristin bin. Ich werde Ihnen
diese Frage gerne schriftlich beantworten, aber ich bin
sicher und davon überzeugt, daß es bestimmte Regeln
gibt, innerhalb deren ein solcher Nichtanwendungserlaß
ergehen muß. Das ist eben nicht erfolgt. Aber wir kön-
nen das noch klären.

Zum Verfahren: Die obersten Finanzbehörden des
Bundes und der Länder sind an diese Auslegung des § 7
des Einkommensteuergesetzes durch den BFH gebun-
den. Sie beschlossen deshalb bereits Anfang 1998, also
noch zu Zeiten der alten Bundesregierung, eine Arbeits-
gruppe mit dem Auftrag einzusetzen, alle AfA-Tabellen
zu überarbeiten. Diese Arbeiten sind noch im Gange.
Fertiggestellt ist bislang lediglich ein Arbeitsentwurf der
AfA-Tabelle für allgemein verwendbare Anlagegüter;
ein Arbeitsentwurf, das darf ich noch einmal betonen.

Dieser beruht auf den Ergebnissen aktueller Betriebs-
prüfungen im gesamten Bundesgebiet, die etwa im Zeit-
raum von Mitte 1998 bis Mitte 1999 vonstatten gegan-
gen sind. Diese Ergebnisse führen generell zur Verlän-
gerung der Nutzungsdauern unter technischen Aspekten.

Die Stellungnahme der Spitzenverbände der Wirt-
schaft zu diesem Arbeitsentwurf werden Anfang De-
zember 1999 durch die Vertreter der obersten Finanzbe-
hörden des Bundes und der Länder ausgewertet. Sollte
sich dabei herausstellen, daß die von den Fachleuten der
Finanzverwaltung unter Beachtung der Rechtsprechung
des BFH ermittelten Nutzungsdauern einzelner Wirt-
schaftsgüter im Arbeitsentwurf zu lang angesetzt wur-
den, was zu erwarten ist, werden diese Ansätze natürlich
korrigiert. Dies entspricht dem üblichen Verfahren bei
der Anpassung der AfA-Tabellen. Erst nach Abschluß
dieser Arbeiten wird die endgültige Tabelle im Bundes-
steuerblatt veröffentlicht.

Auch die übrigen rund 100 branchenspezifischen
AfA-Tabellen werden zur Zeit überarbeitet und voraus-
sichtlich im Laufe des Jahres 2000 als Entwurf ebenfalls
den betroffenen Spitzenverbänden zugeleitet. Die AfA-
Tabellen sind im übrigen nicht, wie hier und da geäu-
ßert, Gegenstand einer Rechtsverordnung. Sie sind ein-
deutig eine Verwaltungsvorschrift und deshalb für den
Steuerpflichtigen unverbindlich.

Die Erfahrung zeigt zwar, daß sich die Steuerpflichti-
gen selber an diesen AfA-Tabellen orientieren, gleich-
wohl kann aber jeder Unternehmer der Abschreibung für
ein Wirtschaftsgut eine kürzere Nutzungsdauer als in der
AfA-Tabelle zugrunde legen, wenn dies hinsichtlich der
technischen Abnutzung des Wirtschaftsguts in seinem
Unternehmen schlüssig begründet ist. Es hat also keine
Bindungswirkung für den Steuerpflichtigen.

Die Überarbeitung der AfA-Tabellen steht nicht im
steuerpolitischen Kontext der Reform der Unterneh-
mensbesteuerung oder anderer zentraler steuerpoliti-
scher Vorhaben der Bundesregierung.


(Gisela Frick [F.D.P.]: Genau dagegen!)

Es handelt sich, wie ich Ihnen schon sagte, um ein be-
reits unter der Vorgängerregierung im Einvernehmen
mit allen Ländern begonnenes Vorhaben auf Verwal-
tungsebene.

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks






(B)



(A) (C)



(D)


Es geht hier allein um die Auslegung und Anwen-
dung des geltenden Rechts. Der zeitliche Zusammen-
hang mit der beabsichtigten Unternehmenssteuerreform
ist also zufällig. Die Anpassung der AfA-Tabellen an die
geänderte Rechtsprechung hätte auch ohne eine Unter-
nehmensteuerreform vollzogen werden müssen.

Es trifft aber zu, daß im Finanztableau für den Kabi-
nettsbeschluß vom 23. Juni 1999 die überarbeiteten
AfA-Tabellen im Entstehungsjahr mit Mehreinnahmen
von 2,2 Milliarden DM ausgewiesen waren, im Rech-
nungsjahr 2000 übrigens mit rund 800 Millionen DM –
anders, als Sie es eben gesagt haben, Herr Kollege
Thiele. Diese Schätzung der Bundesregierung erfolgte
allerdings vor Kenntnis eines Zwischenergebnisses der
Bund/Länder-Arbeitsgruppe und beschränkte sich auf
einen vorsichtigen pauschalen Ansatz.

Ich denke, daran wird auch deutlich, daß die Bundes-
regierung nicht beabsichtigt hat, mit der Verlängerung
von Abschreibungsfristen zwischen 14 und 20 Milliar-
den DM im Jahr an zusätzlichem Steueraufkommen zu
erzielen. Andererseits konnte natürlich die Bundesregie-
rung auch nicht die Augen davor verschließen, daß diese
Arbeiten im Gange waren. Deswegen ist ein vorsichtiger
pauschaler Ansatz geschätzt worden. Das muß im Sinne
einer seriösen Finanz- und Haushaltsplanung auch so sein.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die alte Regierung auch schon gemacht!)


Dies ist also mit rund 800 Millionen DM in den Steuer-
einnahmeansatz des Jahres 2000 eingegangen.

Sie sehen an der Differenz zwischen 2,2 Milliarden
DM im Entstehungsjahr bzw. rund 800 Millionen DM
im ersten Rechnungsjahr und einer geschätzten Mehr-
belastung, die auch von Ihnen hier vorgetragen worden
ist, zwischen 15 und 20 Milliarden DM, daß wir keines-
falls beabsichtigen, die Verlängerung der Nutzungsdau-
ern in einem Umfang herbeizuführen, daß tatsächlich ei-
ne solche steuerliche Mehrbelastung eintreten würde.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406628800
Für die Fraktion der
CDU/CSU hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg das
Wort.


Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1406628900
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen!
Die F.D.P.-Fraktion fordert mit ihrem Antrag die Bun-
desregierung auf, von der „geplanten Verschlechterung“
der AfA-Tabellen Abstand zu nehmen.

Die CDU/CSU-Fraktion hatte mit Drucksa-
che 14/1746 vom 6. Oktober dieses Jahres bereits eine
Kleine Anfrage an die Bundesregierung bezüglich der
Neufassung der AfA-Tabellen gestellt. Heute nachmit-
tag ist die Antwort eingegangen. Frist für die Beant-
wortung war der 21. Oktober. Benötigt das Finanzmi-
nisterium, Frau Staatssekretärin, wirklich so lange, um
einfache Fragen zu beantworten?

Der Entwurf einer überarbeiteten AfA-Tabelle „AV“
ist vom Finanzministerium den Wirtschaftsverbänden
zur Stellungnahme übersandt worden. Hintergrund der
geplanten Neufassung der AfA-Tabellen ist ein Urteil
des Bundesfinanzhofes vom 17. November 1997.

Die Behauptung des Finanzministeriums und auch
heute wiederum der Staatssekretärin, daß die Entschei-
dung des BFH zwangsläufig zu einer grundlegenden
Überarbeitung der AfA-Tabellen führen muß, ist
schlichtweg falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die AfA, Abschreibung für Abnutzung, ist die Ver-

teilung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf
die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer. Die Nut-
zungsdauer von Wirtschaftsgütern, die der techni-
schen oder wirtschaftlichen Abnutzung unterliegen, ist
stets begrenzt. Das Ende der Nutzung wird durch techni-
sche und wirtschaftliche Gründe bestimmt. Daran hat
sich die Schätzung der betrieblichen Nutzungsdauer zu
orientieren. Darauf beruht die ständige Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofes, die sich auch durch das oben
genannte Urteil nicht geändert hat.

Der Bundesfinanzhof wendet sich im Ergebnis nur
dagegen, die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer noch
weiter auf eine sogenannte Behaltefrist im eigenen Be-
trieb zu reduzieren. Der BFH hat in einem branchenspe-
zifischen Fall der Pkw-Vermietung entschieden, daß ei-
ne kürzere als die amtliche AfA-Nutzungsdauer nicht
gewährt werden kann – das hat Herr Thiele schon betont
–, wenn an Hand der Bilanzen nachgewiesen werden
kann, daß der Unternehmer die Wirtschaftsgüter nach
Ablauf des Nutzungszeitraums in jedem Fall mit hohem
Restwert, nämlich 30 bis 40 Prozent der Anschaffungs-
kosten, veräußert.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Dieser Einzelfall kann aber nicht zum Anlaß genom-

men werden, für fast alle anderen Wirtschaftsgüter des
Anlagevermögens die betriebsgewöhnliche Nutzungs-
dauer drastisch zu verlängern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei Pkws haben wir zudem einen funktionierenden Se-
kundärmarkt, den wir beim überwiegenden Teil der
anderen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens eben
nicht haben. Für den typischen Investitionsgütermarkt
gibt es keinen etablierten Gebrauchtmarkt.

Festzuhalten ist weiterhin, daß die derzeit gültige
AfA-Tabelle „AV“ erst zwei Jahre alt ist. Dem Aspekt
der längeren technischen Nutzung war bereits bei der
Aufstellung dieser Tabelle Rechnung getragen worden.
Deshalb ist es eben nicht nachvollziehbar, wenn in dem
Entwurf die Nutzungsdauer für Wirtschaftsgüter wie
zum Beispiel für EDV-Anlagen, Großrechner, von fünf
auf acht Jahre, für PCs von vier auf sechs Jahre, für Pe-
ripheriegeräte von vier auf sieben Jahre, für Büromöbel
von 10 auf 15 Jahre, für Pkw von fünf auf acht Jahre, für
Lkw von sieben auf elf Jahre und für Maschinen des
Anlagevermögens teilweise von 10 auf 20 Jahre erhöht
wird. Das sind nur wenige Beispiele.

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


Man muß fragen: Welche empirischen Untersuchun-
gen von welchen Behörden liegen den überarbeiteten
AfA-Tabellen eigentlich zugrunde? Wir haben mit der
neuen AfA-Tabelle somit eine Verlängerung der Nut-
zungszeiträume mit einer Spannbreite von 50 bis zu
150 Prozent. Das ist nicht hinnehmbar, meine Damen
und Herren.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das ist ein Skandal!)


Wenn durch die neuen AfA-Tabellen erreicht werden
soll, daß die Unternehmen ihre Anlagen länger nutzen
und nicht durch neue, auf dem Stand der Technik be-
findliche Anlagen ersetzen, kann dies als volkswirt-
schaftliche und betriebswirtschaftliche Fehlleistung be-
zeichnet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ein Unternehmen kann nur dann mit niedrigen Kosten
produzieren, wenn es hierfür die modernsten und lei-
stungsfähigsten Anlagen einsetzt.

Verlängert man die AfA-Zeiten, kommt es zu einem
staatlich verordneten Desinvestitionsprogramm. Im
Ergebnis ist dies ein staatlich verordnetes Investitions-
drosselungsprogramm und damit kontraproduktiv hin-
sichtlich der Zielsetzung, Arbeitsplätze zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Gegenüber den Wettbewerbern im Ausland, die

wesentlich kürzere AfA-Laufzeiten haben, wäre dies
eine weitere Benachteiligung für den Standort Deutsch-
land. Dies hat für in- und ausländische Investoren er-
hebliche Auswirkungen, da die AfA-Sätze neben den
Steuersätzen oft als einzige steuerliche Berechnungsgrö-
ße Eingang in betriebswirtschaftliche Investitionsrech-
nungen finden. Es kommt hinzu, daß im Zuge der beab-
sichtigten Unternehmensteuerreform die degressive AfA
von 30 auf 20 Prozent gesenkt werden soll.

Die Verlängerung der Abschreibungsdauer – so die
Behauptung der Finanzverwaltung – ist nicht lediglich ein
Periodisierungsproblem. Nein, die durch eine Verlänge-
rung der Nutzungsdauer eintretenden geringeren Ab-
schreibungsbeträge können nicht mehr aufgeholt werden.
Denn das für Investitionen bedeutsame Innenfinanzie-
rungsvolumen durch Abschreibungen wird über einen
Zeitraum vermindert, der in etwa der Verlängerung der
jeweiligen Nutzungsdauer entspricht. Halten die Unter-
nehmen an ihrer geplanten Investitionspolitik fest, müssen
sie zur Finanzierung neuer Investitionen Kredite in Höhe
der verordneten zusätzlichen Steuern aufnehmen. Liqui-
dität und Cash-flow der Unternehmen werden gefährdet.
Das Instrument der Selbstfinanzierung gerät damit in Ge-
fahr, und dies, meine Damen und Herren, trifft insbeson-
dere unsere mittelständischen Unternehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Leider wahr!)


In mittelständischen Unternehmen werden häufig die
dünne Eigenkapitaldecke und die unausgewogene Fi-
nanzierungsstruktur beklagt. Um so weniger ist es des-
halb verständlich und einzusehen, daß der Staat die In-
nenfinanzierung erschwert.

Vielleicht sind noch viel näher liegende Gründe für
die vorliegende AfA-Tabelle ausschlaggebend. In einer
Kabinettsitzung der rotgrünen Regierung Ende Juni –
aus ihr wurde schon zitiert – wurde das Steueraufkom-
men mit der neuen AfA-Tabelle auf rund 2,5 Milliar-
den DM geschätzt. Die Wirtschaftsverbände beziffern
die steuerlichen Mehrbelastungen auf 13 bis 15 Milliar-
den DM. Bereits das sogenannte Steuerentlastungsge-
setz 1999/2000/2001 hat zunächst die Unternehmen mit
Änderungen der Bemessungsgrundlagen und mit Hin-
weis auf eine grundlegende Unternehmensteuerreform
mit Milliarden D-Mark mehrbelastet.

Mit dem Schritt der neuen AfA-Tabellen wird eine
weitere Vorwegfinanzierung einer noch immer unbe-
stimmten Unternehmensteuerreform vollzogen. An
Stelle einer in Aussicht genommenen Steuerentlastung
führt dies in den betroffenen Unternehmen zu erheblich
steigenden Steuerbelastungen mit noch hohen Steuersät-
zen, da es infolge des sinkenden AfA-Volumens bereits
ab dem Jahr 2000 zu deutlichen Erhöhungen der
Buchgewinne kommt.

Ein weiterer Gesichtspunkt kann für die Aktualität
der neuen AfA-Tabelle ausschlaggebend sein. Wenn
seitens des Bundesfinanzministeriums erklärt wurde, der
vorliegende Entwurf sei mit den Ländern abgestimmt,
so trifft dies nur zum Teil zu. Länder wie Baden-
Württemberg und Bayern haben sich frühzeitig verab-
schiedet. Sollten hier die Länder eine mögliche Kom-
pensation für die Belastungen aus dem sogenannten
Sparpaket erhalten?


(Erika Lotz [SPD]: Das ist ja Unfug!)

Die Investitionskraft unserer Volkswirtschaft darf nicht
durch solche vordergründigen Ränkespiele gefährdet
werden.

Die Reaktionen aus den Wirtschaftsverbänden zeigen,
daß diese im Interesse der Unternehmen und der Ar-
beitsplätze nicht bereit sind, die neuen AfA-Tabellen zu
akzeptieren. Von seiten des Finanzministeriums wird
dann wiederum betont, es handele sich lediglich um
einen Referentenentwurf. Finanzminister Eichel läßt
ausschließlich aus fiskalischem Interesse die Beamten
agieren.

Laut „Handelsblatt“ vom 20. Oktober 1999 – Herr
Thiele hat es schon zitiert – hat Bundeskanzler Schröder
vor dem Hauptverband des Deutschen Einzelhandels er-
klärt, die neuen Tabellen erhielten keine Geltung. Man
muß fragen, welches Verfallsdatum diese Zusagen ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Eine Schröder-Einheit!)


Wir haben zwar keine Gesetzgebungskompetenz hin-
sichtlich der AfA-Tabellen. Wir sollten uns aber in einer
Anhörung oder in einem Fachgespräch/Expertenge-
spräch mit dieser Sachlage im Finanzausschuß befassen.
In der vorliegenden Form kann die AfA-Tabelle aus den
dargelegten Gründen nicht akzeptiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Leo Dautzenberg






(B)



(A) (C)



(D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406629000
Es spricht jetzt für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Chri-
stine Scheel.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406629100

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Thiele, wenn Sie die Auffassung vertreten, Sie müßten
die Regierung zu diesem Thema treiben, dann kann ich
nur sagen: Wir beschäftigen uns mit diesem Thema. Da-
zu bedarf es nicht der F.D.P.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das Parlament hat doch nichts damit zu tun!)


Das BFH-Urteil vom 19. November 1997 wurde auf
der Verwaltungsebene – bereits zu den Zeiten der alten
Koalition – so interpretiert, daß sich im Regelfall die
Abschreibungstabellen an den technischen Nutzungs-
dauern zu orientieren haben. Das heißt, auch nach Auf-
fassung der in den Ministerien jeweils Zuständigen der
alten Regierung aus CDU/CSU und F.D.P. wurde es so
formuliert, daß es zwingend notwendig sei, hier eine
gewisse Anpassung – ich nenne das bewußt so – vorzu-
nehmen. Daraufhin haben Sie in Ihrer Verantwortung
1998 eine Arbeitsgruppe auf den Weg gebracht,


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ohne unsere Verantwortung!)


die letztendlich diesen Auftrag zu erfüllen hatte.

(Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks: Im Januar 1998)

– Im Januar 1998.

Nach dem Regierungswechsel gab es einen Entwurf,
der am 31. August 1999 an die Wirtschaftsverbände zur
Stellungnahme weitergegeben wurde. Es ist vollkom-
men klar, daß unter Berücksichtigung der Stellungnah-
me der Wirtschaftsverbände Anpassungen vorgenom-
men werden, wenn sich Nutzungsdauern als zu lang an-
gesetzt herausstellen.

Es ist aber auch klar, daß der jetzt vorliegende Vor-
schlag in dieser Form absolut nicht akzeptabel ist. Es ist
logisch, daß sich Investitionen auf der einen Seite für die
Wirtschaft rechnen müssen, daß sich auch die Moderni-
sierungen der Betriebe im Konkurrenzgeschäft eines in-
ternationalen Marktes rechnen müssen und daß wir hier
nicht etwas tun dürfen, wodurch wir die mittelständische
Wirtschaft im Hinblick auf ihre Konkurrenzfähigkeit in
die Bredouille bringen.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Dann stoppen Sie es!)


Ich nenne noch einmal das Beispiel der Notebooks,
weil dies immer wieder angeführt worden ist. Dabei geht
es um die Verlängerung des Abschreibungszeitraums
von vier auf sechs Jahre. Dies ist wirklich realitätsfremd,
und es gibt viele andere Regelungen, die ebenfalls rea-
litätsfremd sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage es noch einmal deutlich: Niemand hat vor,
diese AfA-Tabellen des auf der Verwaltungsebene vor-

gelegten Vorentwurfes in ihrer ursprünglichen Ausge-
staltung Realität werden zu lassen. Das wissen alle in
diesem Haus.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann Herr Thiele ja seinen Antrag zurückziehen! – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wehret den Anfängen, kann ich da nur sagen!)


Ich kann an dieser Stelle nur sagen – das gilt für die
gestrige Debatte in der Aktuellen Stunde genauso –,
daß die F.D.P. versucht, sich mit irgendwelchen unge-
legten Eier zu profilieren. Gestern versuchte sie es hin-
sichtlich der Steuerschätzung, obwohl überhaupt keine
Zahlen auf dem Tisch liegen. Heute versucht sie es mit
Tabellen, die niemals Realität werden, was sie genau
weiß.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man versucht also, politisch Profit zu schlagen


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist doch legitim!)


und die Wirtschaft zu verunsichern.

(Gisela Frick [F.D.P.]: Die ist verunsichert, die brauchen wir nicht zu verunsichern!)

Letztlich glaubt man, von irgendwelchen Leuten Unter-
stützung zu bekommen, die dies dementsprechend wei-
terleiten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406629200
Frau Kollegin
Scheel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Thiele?


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406629300

Bitte sehr.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1406629400
Frau Kollegin Scheel,
stimmen Sie mir darin zu, daß diese Regierung, anders
als jede andere Regierung, erstmalig ein Finanztableau
eingestellt hat – in der Größenordnung von 2,195 Milli-
arden DM im Entstehungsjahr –, was darauf schließen
läßt, daß diese Regierung eine finanzielle Mehrbelastung
der Unternehmen beabsichtigt, was eine Vorgängerre-
gierung nie getan hat, weil es keine politische Entschei-
dung dafür gab?


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, sie hat die Mehrwertsteuer erhöht!)



Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406629500

Herr Thiele, ich glaube, in diesem Punkt liegen Sie voll-
kommen falsch.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie immer!)


Sie haben allerdings insofern recht, als in der Schätzung
mit einer Summe gerechnet wird, die Sie eben angespro-
chen haben, nämlich mit etwa 2,1 Milliarden DM. Ich






(A) (C)



(B) (D)


finde es übrigens gut, daß Sie diese Zahl endlich einmal
genannt haben.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das habe ich in der Rede auch getan!)


Sie sprachen vorhin von 15 bis 17 Milliarden DM. Es
hat eine andere Dimension, wenn man versucht, den
Eindruck zu erwecken, als würde die Wirtschaft im Jah-
re 2000 plötzlich in dieser Größenordnung belastet. Sie
wissen genau, daß dies so nicht stimmt. Deswegen vie-
len Dank, was diese Klarstellung angeht.

Nun aber zu dem zweiten Teil Ihrer Frage. Sie haben
gesagt, die alte Regierung habe niemals eine Zahl in
Umlauf gebracht. Das ist schlicht und ergreifend falsch.


(Beifall des Abg. Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die alte Regierung ging in der Finanzplanung von 3
Milliarden DM aus.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Diese Summe wurde in der Finanzplanung immer mit be-
rücksichtigt, weil man wußte, daß man die Arbeitsgruppe
mit einem entsprechenden Auftrag versehen hatte. Natür-
lich hat man auch Schätzungen vorgenommen. Die Schät-
zung der alten Regierung liegt um fast 1 Milliarde über
dem, was die neue Regierung jetzt in ihrer Schätzung
vorgelegt hat. Das sind die Fakten. Sonst gar nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die F.D.P. ist die Steuererhöhungspartei! Hören Sie es? – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Alles Müller, oder was?)


Nun noch ein paar Überlegungen zu den Zahlen und
auch zu den finanziellen Wirkungen. Eines habe ich be-
reits angesprochen: Von den zweistelligen Milliarden-
beträgen, die des öfteren genannt werden, kann nicht die
Rede sein. Natürlich gibt es auch, was die Liquiditäts-
überlegungen angeht, bestimmte Wirkungen. Das heißt,
wenn man bestimmte Dinge anpaßt – ich will sie nicht
im Detail nennen; das ist die Aufgabe, die diese Ar-
beitsgruppe zu bewältigen hat –, führt dies zu Minder-
einnahmen. Im Ergebnis, wenn verteilt wird, sieht es al-
so für den Bund oder auch für die Länder ganz anders
aus, als sie gedacht haben. Das heißt, dies führt im Saldo
nicht zu einer Mehrbelastung, sondern es entstehen ver-
lagerte Effekte.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Was heißt das denn? – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Können Sie uns das noch einmal erklären?)


Ich sage auch ganz deutlich: Es ist ein zeitlicher Zu-
fall, keine versteckte Gegenfinanzierung der geplanten
Unternehmensteuerreform, wie das von Ihnen immer
dargestellt wird. Wir haben uns vorgenommen, kleine
und mittlere Unternehmen zu entlasten. So steht es im
Koalitionsvertrag. Dies ist das politische Ziel und der
politische Wille, sonst nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Tun Sie es doch!)


Ich möchte abschließend – meine Redezeit ist leider
schon zu Ende – anmerken, daß man bei der Überarbei-
tung der Tabellen auch über den Anwendungszeitpunkt
nachdenken sollte, damit die Opposition nicht wie jetzt
versuchen kann, Verbindungen zwischen Zahlen herzu-
stellen. Deswegen werden wir in diesem Zusammenhang
eine sehr weise Entscheidung treffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406629600
Frau Heidemarie
Ehlert, Sie haben das Wort für die PDS-Fraktion.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1406629700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Aus Sicht der F.D.P.-Fraktion als
Vertreterin der Wirtschaftslobby ist der vorliegende
Antrag natürlich verständlich. Ich frage nur, warum Sie
nicht 1997 – vor der letzten Änderung der AfA-Tabellen
– einen solchen Antrag gestellt haben. Herr Waigel
plante damals, 2,5 Milliarden DM Steuermehreinnah-
men zu kassieren. Offensichtlich waren damals keine
Arbeitsplätze gefährdet.

Herr Thiele, Sie wissen doch genauso gut wie ich,
daß die amtliche AfA-Tabelle für die allgemein ver-
wendbaren Anlagegüter nichts mit der tatsächlichen Ge-
brauchswertabnutzung zu tun hat. Sie ist – man muß nur
auf die letzte Legislaturperiode zurückschauen – ein
politisches, zwischen dem Finanzministerium und den
Fachverbänden der Wirtschaft ausgehandeltes Ergebnis,
um unter Umgehung von Steuererhöhungen mehr Geld
in die Staatskassen zu bekommen.

Durch eine veränderte Abschreibung sollen diesmal 2
Milliarden DM erzielt werden, mit denen das Sparpro-
gramm mitfinanziert werden soll. Allerdings ist bisher
noch nie so deutlich gekungelt worden wie in diesem
Jahr. Früher waren die AfA-Tabellen zunächst internes
Material des Ministeriums. Aber diesmal wurde die
Lobby durch das BMF rechtzeitig informiert und mobi-
lisiert. Wir als Abgeordnete des Bundestages haben al-
lerdings selbst keinen Einfluß auf diese Tabellen, es sei
denn, unsere politische Heimat ist einer der Lobbyver-
bände. Dies scheint bei Ihnen so zu sein.


(Zuruf von der CDU/CSU: Bei Ihnen haben wir den Verdacht nicht!)


Die AfA-Tabelle ist einer der aufkommensbedeut-
samsten Bestandteile unseres Steuersystems. Ein Pro-
zentpunkt an degressiver Abschreibung bedeutet steuer-
liche Mehr- bzw. Mindereinnahmen von zirka 1 Milliar-
de DM im Jahr. Es lohnt sich also sowohl für die Regie-
rung wie auch für die Wirtschaft, über Abschreibungs-
sätze nachzudenken.

Die PDS-Fraktion ist für eine Anpassung der AfA-
Tabellen und auch für eine Verlängerung der Nut-
zungsdauer. Sie muß allerdings wesentlich zielgenauer
als bisher sein. Im High-Tech-Bereich ist vor allem der
moralische Verschleiß gegenwärtig sehr hoch. Dies
wurde zum Beispiel bei der AfA für Computer, Mobil-
telefone und andere Elektronikgeräte offensichtlich völ-
lig übersehen. Aber, werte Kolleginnen und Kollegen

Christine Scheel






(B)



(A) (C)



(D)


von der F.D.P., Sie glauben doch wohl selbst nicht dar-
an, daß die Wirtschaft mit den Einnahmen aus den Ab-
schreibungen in erster Linie Arbeitsplätze schafft oder
Investitionen tätigt. Wenn dies so wäre, dann hätte es ja
in den Jahren vor 1997, also vor der letzten Änderung
der AfA-Tabellen, fast ein Überangebot an Arbeitsplät-
zen geben müssen.


(Beifall bei der PDS – Peter Rauen [CDU/ CSU]: Mein Gott noch mal! Das muß man sich anhören!)


Eine längere Nutzung der entsprechenden Wirt-
schaftsgüter muß auch nicht automatisch zum Abbau
von Arbeitsplätzen führen. Es kann doch zum Beispiel
parallel ein Dienstleistungssektor aufgebaut werden, der
Service und Reparaturen anbietet. Neue Arbeitsplätze
können in arbeitsintensiven Dienstleistungsbereichen
entstehen.

Wir sind außerdem für eine verlängerte, zielgenaue
Abschreibung, weil sie einfach ökologischer ist. Der
entsprechend der künstlich festgelegten Abschreibung
beschleunigte Arbeitsmittelumschlag ist eine gewaltige,
vermeidbare Rohstoffvergeudung und eine zusätzliche
Umweltbelastung.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Wie lange wollen und können wir uns das überhaupt
noch leisten?


(Beifall bei der PDS)

Auch über die Abschreibungen kann unseres Erachtens
ein Einstieg in den ökologischen Umbau erfolgen.


(Beifall bei der PDS – Peter Rauen [CDU/ CSU]: Jetzt wissen wir, wie ihr gedacht habt!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406629800
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Fritz Schösser, SPD-
Fraktion.


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1406629900
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Der Antrag der F.D.P. „Abschreibungstabellen nicht än-
dern“ vermittelt den Eindruck, als könne er kein Wäs-
serchen trüben. Bei genauerem Hinsehen und vor allem
vor dem Hintergrund der aufgeschreckten, aber sehr
durchsichtigen Kampagne, die zu diesem Thema bereits
öffentlich veranstaltet wurde, kommt man dann aber
schnell zu einer anderen Betrachtungsweise.

Wie immer, meine Damen und Herren von der
F.D.P., schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. Denn
mit Ihrer Kampagne verunsichern Sie die Wirtschaft und
erreichen genau das Gegenteil von dem, was Sie schein-
heilig zu wollen vorgeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie sich ein Beispiel
an der CDU/CSU; die haben, dem Problem angemessen,
eine Kleine Anfrage gestellt und nicht einen Antrag ein-
gebracht. Das hat auch seinen Sinn, wie ich später noch

darstellen werde. Es hat vielleicht auch seinen Sinn, daß
heute niemand von der CSU dabei ist. Aber auch dazu
später noch etwas.

Es geht für Sie nicht darum, den Investitionsstandort
Deutschland wirklich attraktiv zu machen. Nein, Herr
Thiele, Sie regen sich künstlich auf, verspritzen verbales
Gift, zeigen mit dem Finger auf die Regierung und hof-
fen darauf, daß schon etwas hängenbleibt. Das ist die
Art, von der der Antrag geprägt ist.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das haben Sie noch nie gemacht, Herr Schösser?)


Aus Mücken auf der Verwaltungsebene haben Sie einen
regierungsamtlichen Elefanten gemacht. Aber was Sie
hier veranstalten, ist nichts anderes als ein Sturm im
Wasserglas.

Bundeswirtschaftsminister Werner Müller hat sich ja
sehr frühzeitig klar und auch differenziert von dem Ma-
terial der Steuerexperten auf der Beamtenebene von
Bund und Ländern distanziert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Warum hat er das dann nicht zurückgezogen?)


– Er hat sich davon distanziert. – Aber man höre und
staune: Herrn Thiele stört das gar nicht. Am nächsten
Tag nämlich wirft er dem Wirtschaftsminister vor, be-
gleitet vom Konzert der Wirtschaftsverbände – in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ist es nachzulesen –:
„Herr Müller weiß regelmäßig nicht, was er beschlossen
hat.“


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Da ist etwas dran!)


Wie kann er auch, Herr Thiele, wenn es noch gar keinen
Beschluß über die neuen AfA-Tabellen gibt?


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ich dachte, das ist ein Kabinettsbeschluß!)


Herr Thiele, ich kenne Sie ja mittlerweile ein wenig.
Wahrscheinlich waren Sie zu früheren Zeiten einmal ein
Hubschrauber: Landen, viel Staub aufwirbeln und dann
ohne konstruktiven Vorschlag wieder abziehen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Ich kann Ihnen nur versichern: Die jetzt vorliegenden

Tabellen werden so weder Verwaltungsvorschriften
noch Rechtsverordnungen, noch werden sie im Parla-
ment beschlossen. Das vorliegende Material ist auch
kein Skandal, schon gar keine beschlossene Neuordnung
der AfA-Tabellen, sondern das ist schlicht und einfach
das Ergebnis einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf
Beamtenebene, an der sich auch Baden-Württemberg
und Bayern beteiligt haben. Baden-Württemberg hat
sich seit September, habe ich mir sagen lassen, zurück-
gezogen. Bis dahin hat man aber jede Zahl mit unter-
schrieben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir waren nie dabei!)


Es ist doch völlig selbstverständlich und unumstrit-
ten: Nach Auswertung der Verbandsstellungnahmen aus
dem Wirtschaftsbereich werden die von Fachleuten der

Heidemarie Ehlert






(A) (C)



(B) (D)


Finanzverwaltung unter Beachtung der Rechtsprechung
ermittelten Nutzungsdauern überprüft und – dessen bin
ich sicher – in den einschneidenden Fällen auch wieder
korrigiert. Deshalb haben die Beamten ihre Ausarbei-
tung ja auch an die Verbände gesandt; sonst hätten sie
das ja gar nicht tun müssen.

Nun zu dem, was getan werden muß. Es ist klar er-
läutert worden: Es gibt eine Vorgabe des Bundesfinanz-
hofes, und – was noch sehr viel deutlicher ist – es gibt
natürlich auch einen klaren Auftrag, der von Finanzmi-
nister Theo Waigel erteilt wurde. Das vergessen einige
in dieser Runde. Es ist mehrmals richtig gesagt worden,
daß die alte Regierung diesen Betrag bereits eingestellt
hat. Aber auch das, Herr Thiele, macht Sie gar nicht un-
sicher. Man vergißt halt relativ schnell.

Nun zu der Frage, warum die CSU heute nicht da ist.
Überrascht bin ich schon über die Kleine Anfrage vom
5. Oktober 1999 und über die Tatsache, daß jetzt nie-
mand hier ist. Vielleicht kann sich die CSU nicht so
recht an das erinnern, was Kurt Faltlhauser als Finanz-
minister vorgelegt hat. Das war vor wenigen Wochen.
Es geht da um die „Steuerinitiative Bayern 2001“. Sie
können da auf der Seite 17 gern nachlesen, wie bei-
spielsweise die erste Stufe 2001 teilfinanziert werden
soll. In dieser Teilfinanzierung der ersten Stufe steht ein
Titel, der folgendermaßen lautet: „Anpassung der Ab-
schreibungsdauer auf bewegliche Wirtschaftsgüter des
Anlagevermögens an die tatsächliche Nutzungsdauer“.


(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

Man höre und staune: 3 Milliarden DM, also exakt 805
Millionen DM mehr, als im Tableau der Bundesregie-
rung steht. Ist das vielleicht der Grund dafür, daß Sie
von der CDU heute so einsam hier sitzen und von der
CSU verlassen sind?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich frage mich, meine Herren von der CDU/CSU,
warum Sie Ihre Anfrage nicht an Herrn Faltlhauser ge-
richtet haben, der anscheinend ganz genau Bescheid
weiß, wie die AfA-Tabelle aussehen soll. Er hat es kon-
kret in sein Programm hineingeschrieben.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406630000
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1406630100
Aber bitte.

Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1406630200
Herr Kollege

Schösser, wären Sie so freundlich, der Vollständigkeit
halber anzugeben, wie hoch die Steuersätze sowohl bei
der Eingangs- als auch bei der Spitzenbesteuerung in
diesem Finanzkonzept sind?


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1406630300
Das kann ich Ihnen sagen. In
der Stufe eins auf der Ebene des Jahres 2001 liegt der Ein-
kommensteuersatz bei 20 Prozent im unteren Bereich und
bei 42 Prozent im oberen Bereich und die Körperschaft-
steuer bei den thesaurierten Gewinnen bei 35 Prozent.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, und?)


– Ich sehe da nicht die großen Unterschiede zu anderen
Konzepten, die ausgearbeitet werden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406630400
Die zweite Zwi-
schenfrage bitte.


Georg Girisch (CSU):
Rede ID: ID1406630500
Herr Kollege Schösser,
wenn Sie die Kollegen von der CSU nicht kennen, wie
wollen Sie dann die Steuersätze der CSU kennen?


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1406630600
Hören Sie mal, die sind
nachzulesen. Aber ich sehe Sie so selten, daß man Sie
tatsächlich einmal übersehen kann.


(Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD])


Die Steuersätze habe ich dabei. Sie mögen sich dafür
schämen. Ich habe nichts dagegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie können sie auch zurückziehen; das würde uns auch
helfen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406630700
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine weitere Zwischenfrage?


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1406630800
Ich habe viel Zeit.


Georg Girisch (CSU):
Rede ID: ID1406630900
Herr Kollege Schösser,
ich bin deshalb ins Plenum gekommen, weil ich mich als
neuer Bundestagsabgeordneter über die Abschreibungs-
tabellen informiere; denn Ihr Kollege aus der Oberpfalz,
Ludwig Stiegler, hat gerade bei uns in der nördlichen
Oberpfalz viel Falsches verbreitet. Heute könnte er hier
sein und sich über diese Dinge informieren.


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1406631000
Das machen Sie mal morgen
früh mit Ludwig Stiegler selber aus.

Ich stelle noch einmal die Frage: Warum haben Sie
Ihre Anfrage nicht an Herrn Faltlhauser gerichtet? Er
weiß anscheinend sehr genau, wie die 3 Milliarden DM
für das Jahr 2001 zustande kommen sollen.

Sie sehen also, meine Damen und Herren, im Ver-
gleich mit dem Steuerkonzept der CSU nimmt sich die
erwartete Steuereinnahme im Finanztableau der Bundes-
regierung für das Entstehungsjahr mit knapp 2,2 Milli-
arden DM eher bescheiden aus.

Meine Damen und Herren, Unternehmen investieren
nicht deshalb, weil sie günstig abschreiben können. Ich
habe das bisher in keinem Aufsichtsrat erlebt.


(Joachim Hörster [CDU/CSU]: In wie vielen sind Sie denn?)


Der entscheidende Punkt ist, ob der Markt, die Qualifi-
kation der Arbeitnehmer, das Produkt, der Absatz und
die Absatzerwartung stimmen. Das sind die entschei-

Fritz Schösser






(B)



(A) (C)



(D)


denden Faktoren. Die Abschreibungsfrage steht sehr im
Hintergrund.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Und die Investitionsrichtung muß stimmen!)


Ich sage Ihnen: Sie führen im Grunde eine Auseinan-
dersetzung gegen das Windmühlenrad. Selbst wenn in
einzelnen Bereichen die Abschreibungsjahre sozusagen
gestreckt werden, heißt das doch nicht, daß das für ein
Unternehmen eine Steuererhöhung bedeuten muß.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Selbstverständlich!)


Das Unternehmen, das sich der Steuerzahlung ehrlich
stellt, wird natürlich früher oder später Steuern bezahlen
müssen. Das verschweigen Sie leider. Wenn ich die Jahre
sozusagen strecke, ist das zum großen Teil nur eine vor-
gezogene Steuereinnahme und keine dauerhafte, wie die
relativ hohen Kosten im Entstehungsjahr schon zeigen.
Das heißt, einen Zusammenhang mit der Unternehmen-
steuer herzustellen und zu sagen, wir nehmen den Unter-
nehmern weg, was wir ihnen geben, ist so nicht haltbar.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie recht!)


Ich glaube, bei aller Unterschiedlichkeit im Parlament
ist eines sehr wichtig: Wir sollten nichts tun, was die
Wirtschaft verunsichert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie doch gemacht!)


Herr Thiele, bei allem Geplänkel zwischen Parteien sage
ich Ihnen: Wenn man die Wirtschaft verunsichert – das
tun Sie –, glaubt man am Ende vielleicht sogar, dieser
Standort sei schlecht. Das ist aber nicht so. Die Fakten
und Daten für das nächste Jahr weisen deutlich darauf
hin, daß die Wirtschaft mit einem Aufschwung rechnet
und dieser Aufschwung auch von mehr Arbeitsplätzen
getragen sein wird.


(Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und von der F.D.P. nicht kaputtgeredet werden kann!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406631100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/1887 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einbürgerungsverfahren human gestalten –
Einbürgerungshindernisse beseitigen
– Drucksache 14/1757 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kolleginnen und Kollegen Meinrad Belle, CDU/CSU-Fraktion, Dr. Max Stadler, F.D.P.-Fraktion, Cem Özdemir, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und Ulla Jelpke, PDS-Fraktion, geben ihre Reden zu Protokoll.*)


Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Fraktion der SPD die Kollegin Lilo Friedrich.


Lilo Friedrich (SPD):
Rede ID: ID1406631200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! In acht Wochen tritt das neue Staatsbürger-
schaftsrecht in Kraft. Mit dieser Reform wird endlich ein
deutliches Zeichen für die Weltoffenheit und Modernität
unseres Landes gesetzt, ein Land, das der Integration
unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger
einen hohen Stellenwert einräumt.

Die Kernpunkte sind hinlänglich bekannt: Die Ein-
bürgerungsfristen werden verkürzt, und für Härtefälle
wird eine verbesserte Ausnahmeregelung bei der Hin-
nahme von Mehrstaatigkeit geschaffen. Dies hat zum
Ziel, daß sich zwischen der in Deutschland lebenden
ausländischen Bevölkerung und dem deutschen Staats-
volk nicht eine immer größer werdende Lücke bildet.

Will man ein Haus bauen, so muß man mit dem Fun-
dament beginnen. Baustein für Baustein wird das Haus
danach vollendet. Der vorliegende Antrag ist ein weite-
rer Baustein. Nach vielen politischen Auseinanderset-
zungen hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundes-
rates das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeits-
rechtes beschlossen. Nun gilt es, diese gesetzlichen Vor-
gaben in eine praxiserleichternde Einbürgerung umzu-
setzen. Aufgabe hierbei ist es, die Richtlinien für den
Verwaltungsvollzug so zu gestalten, daß das neue Ge-
setz seiner Aufgabe und Zielsetzung, insbesondere der
Integration, gerecht werden kann.

Wichtig ist uns hinsichtlich der Verwaltungsvor-
schriften – sozusagen der Gebrauchsanweisung für das
Gesetzeswerk selbst –, daß das Einbürgerungsverfahren
human gestaltet und Einbürgerungshindernisse beseitigt
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb bitten wir die Bundesregierung und die Bun-
desländer, im Zuge des Erlasses der Allgemeinen Ver-
waltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht den
Schwierigkeiten ausländischer Staatsangehöriger, insbe-
sondere aus dem Iran und der Bundesrepublik Jugosla-
wien, im Entlassungsverfahren gezielt Rechnung zu tra-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur Begründung: Mit dem neuen Staatsbürgerschafts-
recht wird die Einbürgerung vieler Antragsteller er-
––––––––––––
*) Anlage 5

Fritz Schösser






(A) (C)



(B) (D)


leichtert, die Probleme mit den ausländischen Behörden
bei ihren Entlassungsbemühungen erfahren. Für die
deutschen Einbürgerungsbehörden ist jedoch die Beur-
teilung der Einbürgerungsvoraussetzungen, die eine
Hinnahme von Mehrstaatigkeit ermöglichen, in man-
chen Fällen besonders schwierig. So ist die Verwal-
tungspraxis einiger ausländischer Staaten, zum Beispiel
Iran oder Bundesrepublik Jugoslawien, nicht immer
nachvollziehbar.

Hierzu ein Beispiel. Die Einbürgerung iranischer
Staatsbürger geschieht noch heute auf der Grundlage
des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens aus
dem Jahre 1929. In Abschnitt II des Schlußprotokolls
haben sich die Vertragspartner verpflichtet, keinen An-
gehörigen des anderen Staates ohne vorherige Zustim-
mung seiner Regierung einzubürgern. Dieses Schluß-
protokoll hat in der Vergangenheit manche Einbürge-
rung von Iranern verzögert oder blockiert, weil die irani-
sche Seite ihre Zustimmung zur Einbürgerung versagt
bzw. Entlassungsanträge abschlägig beschieden oder
nicht bearbeitet hat.

Mit der von uns eingeleiteten Reform des deutschen
Staatsbürgerschaftsrechts wird die Bedeutung des
Schlußprotokolls für die Einbürgerung von Iranern wei-
ter abnehmen. Denn die Zeit des Inlandsaufenthaltes, die
für einen Einbürgerungsantrag erforderlich ist, unterliegt
laut mehreren Entscheidungen des Bundesverwaltungs-
gerichtes nicht dem Schlußprotokoll. Sie wird durch das
neue Staatsbürgerschaftsrecht nahezu halbiert werden,
das heißt auf künftig acht Jahre. – Das ist die eine be-
deutende Verbesserung.

Die zweite besteht darin, daß das neue Staatsbürger-
schaftsrecht hinsichtlich des Grundsatzes der Vermei-
dung von Mehrstaatigkeit eine erhebliche Erweiterung
des Ausnahmekatalogs vorsieht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Leider Gottes!)

Das Festhalten am Grundsatz der Vermeidung von
Mehrstaatigkeit bewirkt zwar weiterhin, daß der Ablauf
der Einbürgerungsverfahren ausländischer Staatsangehö-
riger in hohem Maße vom Recht und der Behördenpra-
xis des jeweiligen Herkunftsstaates abhängt. Hier kön-
nen jedoch zahlreiche Schwierigkeiten auftreten: zum
Beispiel die faktische Unmöglichkeit, das Ausscheiden
aus der ausländischen Staatsangehörigkeit herbeizufüh-
ren, willkürhafte oder unangemessene Anforderungen
des Herkunftsstaates im Entlassungsverfahren, eine vo-
rangegangene diskriminierende oder entwürdigende Be-
handlung des Einbürgerungsbewerbers, eine überlange
Verfahrensdauer, überhöhte Entlassungsgebühren, er-
hebliche Nachteile als Folge des Ausscheidens aus der
ausländischen Staatsbürgerschaft oder eine vorangegan-
gene politische Verfolgung.

Die Entscheidung über eine Einbürgerung muß sich
meines Erachtens vorrangig an den Gesichtspunkten ori-
entieren, die zwischen dem Einbürgerungsbewerber und
der Bundesrepublik Deutschland als dem aufnehmenden
Staat von Bedeutung sind. Daher ist es bei auftretenden
Schwierigkeiten ausländsicher Staatsangehöriger insbe-
sondere aus dem Iran und der Bundesrepublik Jugosla-
wien im Entlassungsverfahren geboten, den Grundsatz

der Vermeidung von Mehrstaatigkeit zurückzustellen,
wenn diese Schwierigkeiten das im Einzelfall zumutbare
Maß überschreiten. Somit kommt dem § 87 des neuen
Ausländergesetzes, der die Ausnahmefälle regelt, in de-
nen Mehrstaatigkeit hingenommen wird, entscheidende
Bedeutung zu.

Die Erleichterungen für iranische Einbürgerungs-
bewerber sollen künftig in folgender Hinsicht berück-
sichtigt werden: Diejenigen, die im Sinne von § 51 des
Ausländergesetzes als politisch Verfolgte anerkannt
sind, müssen keine vorherigen Bemühungen um eine
Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit
nachweisen.


(Beifall bei der SPD)

Außerdem wird die Einbürgerungsbehörde künftig erst-
mals in die Lage versetzt, besondere Schwierigkeiten bei
älteren Einbürgerungsbewerbern zu berücksichtigen.
Des weiteren kann ein Einbürgerungsanspruch festge-
stellt werden, wenn dem Ausländer bei der Aufgabe der
ausländischen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile
– zum Beispiel vermögens- oder erbrechtlicher Art –
entstehen. Ferner wird Mehrstaatigkeit hingenommen,
wenn „der ausländische Staat die Entlassung aus der
Staatsangehörigkeit aus Gründen versagt hat, die der
Ausländer nicht zu vertreten hat“. Dies ist häufig bei
Ärzten oder sonstigen Fachkräften der Fall.

Bei jugoslawischen Einbürgerungsbewerbern tre-
ten besondere Schwierigkeiten bei Staatsangehörigen
der Bundesrepublik Jugoslawien, das heißt bei solchen
aus Serbien und Montenegro, auf. Vielfach erfolgt die
Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit, weil
die Entlassungsgebühren unzumutbar hoch sind.

Daneben gibt es auch hier Fallgruppen, in denen
weitere Entlassungsbemühungen als unzumutbar anzu-
sehen sind und Mehrstaatigkeit hingenommen werden
sollte. Dies gilt unter anderem bei Einbürgerungsbewer-
bern, die bereits vor den Kriegsereignissen einen voll-
ständigen und formgerechten Antrag auf Entlassung aus
der jugoslawischen Staatsangehörigkeit gestellt haben
und deren Entlassungsantrag aus von ihnen nicht zu
vertretenden Gründen nach zweijährigen Entlassungs-
bemühungen nicht weiter bearbeitet wird, sowie in sol-
chen Fällen, in denen bereits die Entgegennahme des
vollständigen und formgerechten Entlassungsantrags
durch den ausländischen Staat trotz mehrfacher ernst-
hafter und nachhaltiger Bemühungen des Einbürge-
rungsbewerbers über einen Zeitraum von sechs Monaten
hinweg nicht erfolgt ist.

Allerdings nicht jeder Fall wird detailliert im Rahmen
der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsan-
gehörigkeitsrecht geregelt werden können. Wir bitten
jedoch darum, daß Bundesregierung und Bundesländer
bei der Umsetzung des neuen Staatsbürgerschaftsrechts
die genannten Entlassungsschwierigkeiten bestimmter
ausländischer Staatsangehöriger – insbesondere aus dem
Iran und der Bundesrepublik Jugoslawien – in den Ver-
waltungsvorschriften stärker berücksichtigen. Nur so
können das Einbürgerungsverfahren human gestaltet und
die Einbürgerungshindernisse wirkungsvoll beseitigt
werden.

Lilo Friedrich (Mettmann)







(B)



(A) (C)



(D)


Die Opposition hat in der Vergangenheit die Pro-
bleme zwar erkannt, aber den Handlungsspielraum, den
die deutschen Regelungen und Verfahrensabsprachen
bieten, nicht für eine wirkliche Erleichterung bei den
genannten Fallgruppen genutzt. Mit dem von uns ein-
gebrachten Antrag soll jetzt endlich die Integration un-
serer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger
auch in praktischer Hinsicht umgesetzt und erleichtert
werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406631300
Frau Kollegin Fried-
rich, das war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen
Bundestages. Im Namen aller hier anwesenden Kolle-
ginnen und Kollegen gratuliere ich Ihnen ganz herzlich
dazu.


(Beifall)

Obendrein bekommen Sie gleich noch ein präsidiales
Kompliment, denn Sie haben Ihre Redezeit, auch wenn
sie sehr üppig bemessen war, nicht voll ausgeschöpft.
Kompliment dafür!

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 14/1757
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nunmehr den letzten Tagesordnungspunkt,
den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
Evelyn Kenzler, Sabine Jünger, Gerhard Jütte-
mann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur abschließenden Regelung offener Vermö-
gensfragen in Bezug auf Wohngrundstücke im

(Wohngrundstücksregelungsgesetz – WoRegG)

– Drucksache 14/1693 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS fünf Minuten erhalten soll. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die Kolleginnen und Kollegen Hans-Joachim Hacker, SPD, Andrea Voßhoff, CDU/CSU1)

SPD und Hans-Christian Ströbele, BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN2), haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.
Ich eröffne die Aussprache. Für die PDS-Fraktion hat
das Wort die Kollegin Christine Ostrowski.
––––––––––––
1) Anlage 62) Redebeiträge lagen bei Redaktionsschluß noch nicht vor.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1406631400
Frau Präsidentin! Lie-
be Hiergebliebenen! Es ist nun einmal so, daß wir im-
mer an der letzten Stelle stehen. Vielleicht sorgen Sie
mit dafür, daß PDS-Anträge in Zukunft auch einmal et-
was eher in der Tagesordnung abgehandelt werden.
Dann müssen wir uns dies zu so später Stunde nicht
mehr antun.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann ist jemand anders hinten! Das macht auch nichts!)


Es ist ja etwas aberwitzig, daß wir den zehnten Jah-
restag des Mauerfalls feiern, vor der Jahrtausendwende
stehen und nächstes Jahr schon zehn Jahre deutsche
Einheit feiern können, aber gleichzeitig noch immer
Ungerechtigkeiten und Unsicherheiten für redliche Er-
werber von Wohngrundstücken im Osten nicht beseitigt
sind. Man hatte ja die Hoffnung, daß sich dabei etwas
nach den Bundestagswahlen ändert. Die Kollegen Sozi-
aldemokraten haben ja in der Opposition ganz mächtig
dafür gekämpft. Es ist schade, daß Herr Hacker heute
nicht hier ist. Wenn ich nämlich seine Aussagen aus der
damaligen Zeit heute noch einmal zitiere, läuft mir jetzt
noch ein wohliger Schauer über den Rücken. Noch im
Juni 1998 hat er gesagt:

Seit über acht Jahren hat sich die SPD-
Bundestagsfraktion mit einer Vielzahl parlamenta-
rischer Initiativen dafür eingesetzt,

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das stimmt! Herr Hacker hat wie immer recht!)


die offenen Vermögensfragen in den neuen Län-
dern sozialverträglich zu lösen und die von der Re-
gierungskoalition zugelassenen Regelungsdefizite
zu beseitigen. Insbesondere traten und treten wir
Sozialdemokraten dafür ein, die über Jahre ge-
wachsenen Lebensrealitäten in den neuen Ländern
zu berücksichtigen und die berechtigten Interessen
der redlichen Nutzer und Erwerber zu schützen.

Das ist wirklich ein wunderbares Zitat.
Die Sache verhält sich nur so: Die Sozialdemokraten

regieren schon ein ganzes Jahr. Wo aber sind die parla-
mentarischen Initiativen geblieben?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lesen Sie einmal die Rede von Herrn Hacker nach!)


Sie sind nicht zu sehen. Es herrscht Funkstille. Wie Sie
damit klarkommen, ist natürlich nicht unsere Sorge. Wir
jedenfalls halten unser Wahlversprechen und legen Ih-
nen heute einen Gesetzentwurf vor.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie können Sie denn Ihre Wahlversprechen halten? Sie sind doch in der Opposition!)


– Wir haben durchaus auch etwas versprochen; zum
Beispiel, daß wir ein solches Gesetz einbringen. Das tun
wir jetzt auch.


(Beifall bei der PDS)

Dieses Gesetz wird, wenn Sie es denn annehmen und
vielleicht sogar noch verbessern, für Nutzer und Erwer-
ber ostdeutscher Grundstücke mehr Rechtssicherheit und
Gerechtigkeit schaffen.

Lilo Friedrich (Mettmann)







(A) (C)



(B) (D)


Es handelt sich dabei um ein Artikelgesetz. In Art. 1
geht es um die Stichtagsregelung nach den sogenannten
Modrow-Käufen. Sie wissen ja, daß der 18. Oktober
1989 als Stichtag festgesetzt wurde und alle nach diesem
Tag geschlossenen Kaufverträge für unwirksam erklärt
wurden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


– Mit einigen wenigen Ausnahmen. – Der Aberwitz der
Geschichte ist, daß der Gesetzgeber durch die Stichtags-
regelung gerade Erich Honecker in einer Art und Weise
ein Denkmal setzt, die schon wirklich sehr merkwürdig
ist. Das hat er wirklich nicht verdient; denn Verträge
„unter ihm“ sind wirksam und Verträge „nach ihm“ sind
unwirksam.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Die vorgeschlagene Regelung will die willkürliche
Stichtagsregelung beseitigen und eine Gleichstellung
von vollzogenen und angebahnten Verkäufen errei-
chen. Wenn Sie sich die Realität in Ostdeutschland an-
sehen, dann werden Sie feststellen, daß dies kein Zu-
stand ist. Es gab Fälle, da konnte jemand vom Nutzer
zum Eigentümer werden, sein linker Nachbar durfte we-
nigstens nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz kau-
fen, sein rechter Nachbar durfte nur noch Mieter sein
und der übernächste Nachbar mußte vielleicht Haus und
Hof verlassen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Hatte aber einen anderen Grund!)


Daß solche Zufälligkeiten zutiefst ungerecht sind, ist
auch deshalb einsichtig, weil den Kaufverträgen das
formell und materiell korrekt zustande gekommene Ver-
kaufsgesetz vom 7. März 1990, das sogenannte Mo-
drow-Gesetz, zugrunde lag. Die frei gewählte Volks-
kammer der DDR hat dieses Gesetz nicht aufgehoben –
im Gegenteil. Die von ihr gewählte Regierung erließ da-
zu noch im Juli und im August 1990 Verordnungen und
Ausführungsbestimmungen. Nein, die Stichtagsregelung
gehört aufgehoben.


(Beifall bei der PDS)

Art. 2 unseres Gesetzentwurfes will eine weitere Ab-

surdität beseitigen. Hier geht es um die Überlassungs-
verträge, die das bundesdeutsche Recht gar nicht kann-
te, wohl aber das Recht der DDR. Wenn zum Beispiel
ein Grundstückseigentümer die DDR verließ, wurde das
Grundstück zunächst von der kommunalen Wohnungs-
wirtschaft verwaltet, die wiederum das Grundstück samt
Haus oft einem anderen Nutzer überließ. Dieser Nutzer
mußte alle Lasten des Grundstückes tragen und war für
die Instandhaltung, soweit dies unter DDR-Bedingungen
eben ging, verantwortlich.

Viele Nutzer handelten über Jahrzehnte wie Eigentü-
mer. Sie hielten Grundstück und Gebäude instand, bes-
serten den Wert auf, kümmerten und sorgten sich. Was
das bedeutete, weiß eigentlich nur der, der in der DDR
gelebt hat. Da gab es nämlich keine Baumärkte, in die

man einmal schnell fahren könnte, um Dachziegel oder
Zement zu holen. Da brauchte es lange Wartezeiten,
manchmal die sprichwörtlich „blauen Fliesen“, Einfalls-
reichtum, Nerven und Erfindergeist, um das Häuschen
instand zu halten.

Nach geltendem Recht werden Nutzer mit Überlas-
sungsverträgen jetzt aber in der Regel wieder wie
Mieter behandelt. Sie können das von ihnen unter Um-
ständen seit Jahrzehnten bewohnte und instand gehal-
tene Haus nur in den seltensten Fällen nach dem Sa-
chenrechtsbereinigungsgesetz kaufen. Wir wollen, daß
dieser Zustand beendet wird und daß Überlassungsver-
träge in das Sachenrechtsbereinigungsgesetz aufge-
nommen werden.

In Art. 3 geht es uns schließlich um die nochmalige
Verlängerung der Fristen zum Eigentumserwerb.
Hierbei geht es um Fälle, in denen private Eigentümer,
aber auch öffentliche Wohnungsunternehmen und Ge-
nossenschaften in den neuen Ländern Ansprüche auf
Erwerb eines Grundstückes gestellt haben, das ihnen
noch nicht gehört, auf dem sie aber Wohngebäude er-
richtet haben. Wenn nach geltendem Recht nicht bis
zum Ende dieses Jahres eine Grundbucheintragung er-
folgt ist, besteht die Gefahr, daß die Besitzrechte an die-
sen Häusern und die Nutzungsrechte an diesen
Grundstücken verlorengehen.

Die Frist, um die es hier geht, wurde schon einmal
verlängert. In der Praxis hat sich gezeigt, daß diese
Verlängerung einfach nicht reicht. Wir schlagen deshalb
vor, die Frist bis zum Ende des Jahres 2004 zu verlän-
gern.

Unsere drei Artikel könnten die Ungerechtigkeiten
und die Rechtsunsicherheiten beseitigen. Da die SPD
noch nicht aktiv wurde, obwohl sie es versprochen hatte,
gehe ich einfach davon aus, daß Sie unserem Gesetz-
entwurf zustimmen. Sollten Sie mit dem einen oder an-
deren Punkt nicht einverstanden sein, stehen wir jedem
Änderungsantrag, der unseren Entwurf verbessert, sehr
aufgeschlossen gegenüber.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406631500
Ich schließe die Aus-
sprache und möchte noch darauf hinweisen, daß auch
der Kollege Rainer Funke von der F.D.P.-Fraktion seine
Rede zu Protokoll gibt.*)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfs auf Drucksache 14/1693 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich
sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich bedanke mich
ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen, die bis
zum Schluß ausgeharrt haben.
––––––––––––
*) Anlage 6

Christine Ostrowski






(B)



(A) (C)



(D)


Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 5. November 1999,
9 Uhr ein.

Die Sitzung ist geschlossen.