Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnenund Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Vor dem Hinter-grund, daß wir in kleiner Runde sind, darf ich unsereGäste besonders herzlich begrüßen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Themen der heutigenKabinettssitzung mitgeteilt: Fortschrittsbericht der Bun-desregierung, „Das Jahr-2000-Problem in der Informati-onstechnik“, und Bericht des Arbeitsstabes EuropäischeWirtschafts- und Währungsunion, „Die Einführung desEuro in Gesetzgebung und öffentlicher Verwaltung“.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,Dr. Werner Müller.Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Die Bundesregierung beschäftigt sich seit Mitte 1997intensiv mit dem Jahr-2000-Problem in der Informa-tionstechnik. Ein erster Bericht der Bundesregierungvom Juli 1998 faßte die Ausgangssituation bezüglich desProblems in Deutschland zusammen und diente vor allemdazu, die breite Öffentlichkeit für das Thema zu sensibili-sieren und alle betroffenen gesellschaftlichen Gruppen zuraschem Handeln aufzufordern. Die jetzige Bundesregie-rung hat die seitdem eingeleiteten Maßnahmen und Akti-vitäten zur Sensibilisierung, Information und Koordina-tion im privaten und öffentlichen Sektor unverzüglichnach Amtsantritt verstärkt und weiter ausgebaut.Der jetzt vorgelegte Fortschrittsbericht beruht auf denArbeiten der zentralen Koordinierungsgremien, die dieBundesregierung für das Jahr-2000-Problem eingesetzthat. Dabei handelt es sich erstens um die interministeri-elle Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Wirtschaftsministe-riums – ich darf bei dieser Gelegenheit den Kolleginnenund Kollegen der beteiligten Häuser herzlich danken fürdie effektive und konstruktive Zusammenarbeit auch aufder Beamtenebene –, zweitens um den BMWi-Sach-verständigenkreis, dem rund 70 hochrangige Expertenaus allen Bereichen der Wirtschaft sowie aus den Ge-bietskörperschaften angehören, und drittens um die vomHause des Kollegen Schily eingesetzten Arbeitsgruppenfür die Bundesverwaltung und die Koordination mit denLändern und Gemeinden.Der Fortschrittsbericht stellt das Grunddilemma desJahr-2000-Problemes deutlich heraus, nämlich denschmalen Grat zwischen der Suche nach sachlich not-wendigen Lösungen für ein komplexes technisches undorganisatorisches Problem einerseits und dem Verfallenin die letztlich wenig hilfreiche Beschreibung von theo-retischen Katastrophenszenarien andererseits. Hierkommt den Medien eine wichtige Mitverantwortung zu.Sie müssen durch objektive Berichterstattung mit dazubeitragen, daß es in der Bevölkerung nicht zu panikhaf-ten Reaktionen kommt. Denn dafür besteht nach unserenKenntnissen überhaupt kein Anlaß.Bezüglich der Verantwortung für das Problem wirdklargestellt, daß die eigentliche Problemlösung nur beiden Anwendern in Wirtschaft und Verwaltung liegenkann. Die Rolle der Bundesregierung besteht demgemäßdarin, die Betroffenen zu sensibilisieren und ihnen In-formationen und Beratung als Hilfe zur Selbsthilfe an-zubieten. Zusätzlich ist Koordinierung in den Sektorenerforderlich, wo private Aktivitäten hierzu alleine nichtausreichen. Außerdem müssen wir in den kommendenMonaten unsere Aktivitäten zur Sammlung und Ver-breitung vertrauenswürdiger Informationen weiter aus-bauen, damit die Unternehmen und Verbände im In- undAusland möglichst verläßliche Grundlagen für ihre Dis-positionen zum Jahrtausendwechsel haben.Die Ergebnisse des Fortschrittsberichts zum Vorbe-reitungsstand und den Aktivitäten einschließlich der In-frastrukturen, für die das Wirtschaftsministerium ver-antwortlich ist, lassen sich in drei wesentlichen Punktenzusammenfassen:Erstens. Insgesamt sind im privaten Sektor keine grö-ßeren Störungen zu erwarten. Die meisten Betriebe wer-den es schaffen; sie sind vorbereitet.Zweitens. Die wirtschaftsnahen Infrastrukturen,Energie, Telekommunikation, Verkehr, sowie Bankenund Versicherungen sind sehr ordentlich vorbereitet.
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Drittens. Handlungsbedarf besteht vor allem bei klei-nen und mittleren Unternehmen, insbesondere bei denKleinstunternehmen, für die es – das sei ausdrücklichgesagt – heute noch nicht zu spät ist.Insgesamt können wir für den privaten Bereich zu-versichtlich sein, daß die Wirtschaft den Übergang aufdas Jahr 2000 ohne wesentliche Beeinträchtigungen be-wältigen wird. Auf Grund der noch verbleibendenSchwachstellen gibt es allerdings keinen Grund, deswe-gen die Bemühungen jetzt schon einzustellen.Von unserer Seite aus werden wir die Maßnahmenzur Information und Koordinierung fortführen. So wirdes unter anderem weitere Spitzengespräche mit derWirtschaft, eine Anzeigenkampagne und zwei weitereFachkonferenzen geben. Außerdem werden wir eine In-foline der Bundesregierung einrichten und weitereMöglichkeiten des Fax-Abrufs schaffen.Ein wichtiges Thema für die zweite Jahreshälfte istdie Vorsorgeplanung, nicht nur national, in den Betrie-ben, sondern auch übergreifend, vor allem im Hinblickauf die grenzüberschreitenden Basisinfrastrukturen imeuropäischen und internationalen Kontext. Die Bundes-regierung nutzt sowohl die EU-Präsidentschaft als auchden G-8-Vorsitz sehr intensiv für diese Fragen. DasJahrtausendproblem wird Thema des Europäischen Ra-tes und des Weltwirtschaftsgipfels in Köln sein. Die EU-Telekommunikationsminister werden sich mit diesemThema beschäftigen. Darüber hinaus gibt es intensiveBeratungen der G-8-Jahr-2000-Koordinatoren, in die diemittel- und osteuropäischen Staaten bewußt einbezogenwerden. Das nächste Treffen dieser wichtigen Gruppewird Anfang Mai in Berlin stattfinden. Außerdem pla-nen wir im G-8-Rahmen für den Sommer dieses Jahreseine internationale Tagung zum Thema Vorsorge. – So-weit meine Ausführungen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr
Bundesminister. Ich frage, ob es zu diesem Themenbe-
reich, über den berichtet wurde, Fragen gibt. – Herr
Kollege Mayer.
In-
wieweit gibt es eine Zusammenarbeit mit den USA, die
ja bekanntermaßen in dieser Frage eine führende Rolle
in der Welt einnehmen?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Einerseits gibt es eine Koordination
im Rahmen der G-8-Gespräche; andererseits profitieren
wir mittelbar durch Gespräche mit amerikanischen Fir-
men, die deutsche Unternehmen mit ihnen führen.
Frau Kollegin
Homburger.
Herr Minister, es gibt ja
auf diesem Feld eine Reihe von Spezialproblemen, die
beispielsweise die Kernenergie, die Wasserversorgung,
aber auch den Bereich der Verteidigung oder das Ge-
sundheitswesen betreffen. Gibt es einen ausführlicheren
schriftlichen Bericht, in dem man auch auf diese Spezi-
alfälle eingeht? Ich frage das, weil mir im Moment noch
nicht klar ist, ob es da und dort in diesen speziellen Be-
reichen noch zusätzlichen Koordinierungsbedarf gibt.
Der zweite Teil meiner Frage. Sie haben drei Berei-
che genannt. Privater Sektor: keine großen Probleme;
wirtschaftsnahe Infrastruktur: gut vorbereitet; kleine und
mittlere Unternehmen: noch Bedarf vorhanden. Sie ha-
ben den öffentlichen Bereich ausgespart. Wie sieht es
nach Ihren Erkenntnissen bei den Kommunen, bei den
regionalen Rechenzentren aus? Sind sie genügend vor-
bereitet? Gibt es da Hinweise von seiten der Bundesre-
gierung und auch die Möglichkeit der Zusammenarbeit?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Wir sind ja hier ein Duo, die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Sonntag-Wolgast und
ich. Was den öffentlichen Bereich angeht, könnte ich
das Wort an die Kollegin weitergeben. Ich will sie fra-
gen, ob sie auch zum Thema Kernenergie etwas sagen
will. Ansonsten könnte ich dazu etwas sagen. – Ich
überlasse es Ihnen.
Frau Staatssekretä-
rin Sonntag-Wolgast.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will zunächst,Frau Kollegin Homburger, auf Ihre Frage nach der Si-cherheit von Kernkraftwerken oder der medizinischenVersorgung eingehen. Diese Fragenkomplexe werdenbei unseren Hotlines und den anderen Möglichkeiten,sich zu informieren, immer wieder zur Sprache gebracht.Sie können daraus entnehmen, daß sich das Bundesin-nenministerium schon erheblicher Mühen unterzogenhat, um Informationen an die Bürger weiterzugeben.Zum Thema medizinische Versorgung: Dieser Kom-plex wird durch die Jahr-2000-Problematik nach Anga-ben der Deutschen Krankenhausgesellschaft nicht ge-fährdet. Einzelne Fehlfunktionen der „embedded sy-stems“ – diese sind ja der wunde Punkt; das wissen dieFachleute sicherlich auch – sind nicht auszuschließen,jedoch ist für Ausweichlösungen gesorgt. Im übrigensind für den gesamten Krankenhausbereich die Länderzuständig. Ich komme gleich noch einmal auf die Koor-dination im öffentlichen Bereich, die Sie ja auch nachge-fragt haben, zurück.Zunächst einmal zum Thema Kernkraftwerke: DieKernkraftwerke sind nach unseren Erkundungen sicher.Es hat Ende 1998 seitens der Betreiber der Kernkraft-werke einen Anforderungskatalog gegeben, der zum Zielhat, den gesamten Anpassungsprozeß aller rechnerge-stützten Systeme und Anlagen, die Einfluß auf den si-cheren Betrieb haben könnten, nach einheitlichen Krite-rien und Prüfvorgaben nachvollziehbar und bewertbarzu gestalten. Das Bundesumweltministerium kommt aufBundesminister Dr. Werner Müller
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Grund der bisher durchgeführten und berichteten Maß-nahmen zu einer positiven Einschätzung.Nun aber noch einige Anmerkungen zur Frage der öf-fentlichen Verwaltungen und deren Vorbereitungen aufdiese Vorgänge. Die öffentliche Verwaltung ist von sei-ten des Bundes unserer Auffassung nach ausreichend aufdiesen Datumswechsel und seine Folgen vorbereitet. Beiden Kommunen gibt es noch ein bißchen zu tun. In we-sentlichen Bereichen, die der Bund zu verantworten hat,sind die Vorbereitungen recht gut fortgeschritten. Da,wo es noch Nachholbedarf gibt – der übrigens seitensder jetzigen Bundesregierung mit Nachdruck angegan-gen worden ist, nachdem er von der vorherigen eher mitlangem Atem angegangen worden war –, ist man sehrgut vorbereitet.Dann gibt es noch den Bereich der kritischen Infra-strukturen – auch diesen will ich nicht verschweigen –:Das sind die Strom-, Gas- und Wasserversorgung, dieTelekommunikation und das Verkehrswesen. Auchwenn der Bund vielleicht nicht immer unmittelbar füreventuell auftretende Pannen zuständig ist, so hat erdoch eine Aufsichtspflicht und eine Verantwortung da-für, daß der Bereich der inneren Sicherheit gewahrtbleibt. Deswegen prüfen die staatlichen Stellen die Ein-haltung der Sicherheitsvorschriften, die zur Gewährlei-stung der Sicherheit nötig sind. Der Bundesinnenmi-nister hat in den letzten Tagen die Innenminister und In-nensenatoren der Bundesländer und die Spitzenverbändeder Kommunen noch einmal angeschrieben, um sie aufdie Probleme hinzuweisen und sie zu bitten, in den Be-reichen, in denen noch Lücken vorhanden sind, mög-lichst zügig zu einer Lösung zu kommen.Es gibt verstärkte Informationsaktivitäten. Diese lau-fen schon seit November, werden aber noch verstärkt.Wir haben Broschüren, Faltblätter und Leitfäden ausge-geben und werden auch über das Internet noch entspre-chende Ausführungen machen. Sollte sich nun tatsäch-lich etwas Krisenhaftes ereignen, sind natürlich die gän-gigen Hilfsorganisationen wie das Technische Hilfs-werk, die Polizeien der Länder usw. auf die besonderskritischen Daten, einschließlich des Jahreswechsels1999 zu 2000, vorbereitet.
Vielen Dank. Eine
weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Mayer.
Hat
sich die Bundesregierung darauf eingestellt, daß erste
Erscheinungen bereits vor dem Jahrtausendwechsel,
nämlich zum 9. September 1999 auftreten können, und
ist sich die Bundesregierung auch bewußt, daß das, was
in privatwirtschaftlichen Unternehmen möglicherweise
insgesamt an Gefahren auftritt, ungeheure Rückwirkun-
gen auf den Staat haben kann? Ich denke dabei nur ein-
mal an das Bankenwesen und die gesamte Finanzwirt-
schaft.
Herr Bundesmi-
nister.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Die Bundesregierung hat das Datum
des 9. Septembers 1999 ebenso im Auge wie übrigens
auch – wenn Sie noch ein weiteres Datum beachten –
den 29. Februar im Jahre 2000, der ebenfalls in etlichen
Programmen tatsachenwidrig nicht vorgesehen ist. Bei-
des, also auch der Überlauf der 2-hoch-10-Potenz zum
9. September, der im Zählwesen auftreten kann, ist be-
rücksichtigt.
Gerade der Banken- und Versicherungssektor ist be-
sonders gut vorbereitet – nicht nur im deutschen Rah-
men, sondern auch im europäischen Rahmen. Das ist
auch Gegenstand von Beratungen des Ecofin-Rates ge-
wesen, den zu leiten ich einmal die Ehre hatte. Auch
dort – das ist in Dresden weiter besprochen worden –
sind alle Maßnahmen vorbereitender Art getroffen, um
dieses Thema in jeder Form zu bewältigen.
Zu dem Themenbe-
reich, über den der Bundesminister berichtet hat, gibt es
keine weiteren Fragen. Es besteht aber die Möglichkeit,
anderweitige Fragen an die Bundesregierung zu stellen.
– Herr Kollege Koppelin.
Ich hätte gern von der
Bundesregierung gewußt, ob sie sich in ihrer Sitzung mit
der Anzeige in der „Frankfurter Rundschau“ vom
19. April auseinandergesetzt hat? Dort heißt es:
Am 24.3.1999 hat die Nato Luftangriffe gegen ...
Jugoslawien und damit einen Angriffskrieg gegen
einen souveränen Staat begonnen.
Diese Anzeige ist unter anderem von einem Mitglied
der Bundesregierung unterschrieben worden, nämlich
von der Parlamentarischen Staatssekretärin Gila
Altmann.
Hat sich die Bundesregierung insofern mit der Aus-
sage von Frau Altmann beschäftigt, als sie behauptet, es
handele sich um einen Angriffskrieg? In § 80 StGB aber
steht:
Wer einen Angriffskrieg …, an dem die Bundesre-
publik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet
und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bun-
desrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit le-
benslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe
nicht unter zehn Jahren bestraft.
In § 80a StGB heißt es weiter:
Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Geset-
zes öffentlich, in einer Versammlung oder durch
Verbreiten von Schriften … zum Angriffskrieg …
aufstachelt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Mo-
naten bis zu fünf Jahren bestraft.
Hat sich die Bundesregierung damit auseinanderge-
setzt?
Aus alter Erfahrungals Chef des Kanzleramtes weiß ich, daß zur Zufrieden-heit der anderen Regierungsmitglieder solche Fragenimmer an das Kanzleramt gerichtet werden. Ich denkeParl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
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also, Herr Staatssekretär Steinmeier, es bleibt Ihnennicht erspart, dazu Stellung zu nehmen.D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf Ihnen sagen, daß dies in der
Tat in der heutigen Kabinettssitzung eine Rolle gespielt
hat. Es hat unterschiedliche Bewertungen gegeben; es
sind aber keine Sanktionen, wie sie als Erwartung in Ih-
rer Frage zugrunde gelegt werden, ausgesprochen wor-
den.
Zu einer weiteren
Frage der Abgeordnete Koppelin.
Kann ich nach Ihrer
Antwort davon ausgehen, daß der Bundeskanzler diese
Anzeige, die von einem Mitglied der Regierung unter-
schrieben worden ist, verhältnismäßig kritiklos zur
Kenntnis genommen hat?
In der Anzeige ist ein massiver Vorwurf enthalten.
Ich habe Ihnen auch die entsprechenden Passagen des
Strafgesetzbuches vorgelesen. Wird es der Bundes-
kanzler dabei bewenden lassen, obwohl der Regierungs-
sprecher gesagt hat, daß er Frau Altmann den Rücktritt
nahelege, und Frau Altmann erklärt hat, sie trete nicht
zurück? Oder – darf ich direkt fragen? – hat der Bun-
deskanzler angekündigt, daß er Frau Altmann entlassen
wird?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies hat der Bundeskanzler nicht
angekündigt.
Ansonsten dürfen Sie meiner Antwort nicht entneh-
men, daß er das kritiklos hingenommen hat. Ich habe in
meiner Antwort zum Ausdruck gebracht, daß es dazu
unterschiedliche Auffassungen gegeben hat. Der Bun-
deskanzler hat seine Auffassung dazu dargelegt. Ich bin
aber nicht bereit, Zuordnungen einzelner Meinungen zu
Kabinettsmitgliedern vorzunehmen.
Eine weitere Zu-
satzfrage? – Bitte schön.
Wie werten Sie nach Ihrer bis-
herigen Antwort die Aussage des Regierungssprechers,
der Frau Altmann zum Rücktritt aufgefordert hat, und
die Nichtentlassung? Andersherum gefragt: Wenn der
Regierungssprecher ein Regierungsmitglied zum Rück-
tritt auffordert und selbiges dieser Aufforderung nicht
nachkommt, wie sollte Ihrer Meinung nach ein Bundes-
kanzler damit umgehen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das entscheidet der Bundeskanzler
selbst.
Ich habe eben in meiner Antwort zum Ausdruck ge-
bracht, wie die Entscheidung gefallen ist. Ein Rücktritts-
schreiben ist bei uns nicht eingegangen; weitere Auffor-
derungen zum Rücktritt wird es nicht geben.
Herr Kollege Mi-
chelbach.
Herr Bundes-
finanzminister Eichel, ist nun ein Gesamtkonzept von
Steuergesetzen im Bereich Familien- und Unterneh-
mensbesteuerung mit einer echten Nettoentlastung ge-
plant, ohne neue Steuererhöhungen und ohne Auflösung
des Ehegattensplittings, was ja wiederum eine Steuerer-
höhung bedeuten würde? Sind weitere Verbrauchsteuer-
erhöhungen vorgesehen?
Herr Bundes-
finanzminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr
Abgeordneter, ein Gesamtkonzept der steuerpolitischen
Maßnahmen, die die Bundesregierung in diesem Jahr
auf den Weg bringen wird, wird im Zusammenhang mit
dem Entwurf des Haushalts 2000 und der mittelfristigen
Finanzplanung bis zum Jahr 2003 vorgelegt werden. In
dem Zusammenhang werden alle Ihre Fragen beant-
wortet.
Ich weise Sie darauf hin, daß schon mein Vorgänger
im Amt, Herr Kollege Lafontaine, deutlich gemacht hat,
daß wir mit einem strukturellen Haushaltsdefizit in Höhe
von 20 Milliarden DM, das aus Ihrer Regierungszeit
stammt, rechnen müssen. Wenn das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts zur Entlastung der Familien in der
Form wirksam würde, wie es das Bundesverfassungsge-
richt für den Fall des Nichthandelns des Gesetzgebers
vorgesehen hat, dann läge das strukturelle Defizit im
Bundeshaushalt sogar bei 30 Milliarden DM. Ich bitte
Sie, sich mit dieser Frage wie auch mit den anderen
Rahmenbedingungen, zum Beispiel mit Art. 115 des
Grundgesetzes und mit dem europäischen Stabili-
tätspakt, auseinanderzusetzen und sich vor diesem Hin-
tergrund vorläufige Antworten auf Ihre Frage selber zu
geben.
Die Bundesregierung wird im Sommer dieses Jahres
mit ihrem Gesamtkonzept Antworten auf diese Fragen
geben, keinen Tag früher, weil es keinen Sinn macht,
einzelne Elemente vorzuziehen und aus dem Zusam-
menhang herauszubrechen. Nur im Rahmen eines Ge-
samtkonzepts macht es Sinn.
Eine weitere Frage,
Herr Abgeordneter Michelbach.
Herr Bundes-finanzminister, geben Sie mir recht, daß die konjunktu-relle Lage für die Unternehmen im Moment sehrschwierig ist und dies auf die große Verunsicherungdurch die umfassenden Diskussionen über Realsplitting,Abschaffung des Ehegattensplitting, Mehrwertsteuer-Vizepräsident Rudolf Seiters
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erhöhungen und die Tatsache, daß es keine Nettoentla-stungen gibt, zurückzuführen ist? Sind Sie, Herr Bun-desfinanzminister, nicht der Auffassung, daß man mög-lichst schnell eine Reform aller Tarife der einzelnenSteuerarten durchführen müßte, um Entlastungen zugun-sten von Investitionen und Arbeitsplätzen zu schaffen?Hier erscheinen Nettoentlastungen sinnvoll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr
Abgeordneter, in der Steuerpolitik geht Gründlichkeit
vor Schnelligkeit.
Im übrigen gehört zur Gründlichkeit die Solidität. Die
Solidität macht es erforderlich, sich vor einzelnen Ver-
sprechungen die gesamte Situation des Haushaltes anzu-
sehen. Ich habe den Eindruck, daß Sie das nicht hinrei-
chend berücksichtigen.
Noch eine Zusatz-
frage.
Herr Bundes-
finanzminister, können Sie sich vorstellen – auch wenn
Sie sich bezüglich der Nettoentlastung nicht festlegen
wollen –, daß die einzelnen Korrekturen an den Steuer-
gesetzen, die am 1. April 1999 vorgenommen wurden,
zu einer Scheinbesteuerung insbesondere der mittelstän-
dischen Betriebe führen? Ich denke dabei an die Be-
steuerung der Gewinne bei Betriebsaufgaben oder an die
sogenannte Teilwertabschreibung, wo es weit über die
Berechnungen Ihres Vorgängers hinaus zu einer steuer-
lichen Mehrbelastung des Mittelstandes kommen wird.
Hier gibt es eine Scheingewinnbesteuerung. Können Sie
sich vorstellen, daß hier ähnlich wie bei den 630-Mark-
Jobs auch noch nachträglich steuerliche Veränderungen
vorgenommen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr
Abgeordneter, ich rate dazu, ehe man über Veränderun-
gen von Gesetzen redet, zunächst einmal ihre Wirkung
abzuwarten. Ich halte es für relativ unwahrscheinlich,
daß man sie nach drei Wochen schon beurteilen kann.
Ich sage das jedenfalls für meinen Zuständigkeitsbe-
reich.
Eine Frage der
Kollegin Ostrowski.
Am Montag hat der
Deutsche Bundestag sein neues Domizil in Berlin in Be-
sitz genommen. Ich möchte Sie gern fragen: Wieviel hat
die Vorbereitung und die Durchführung dieser Sitzung
insgesamt gekostet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fra-
ge kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich bin – da bitte
ich um Verständnis – noch zu neu im Amt, um entschei-
den zu können, ob Ihre Frage nicht die Bundestagsver-
waltung beantworten muß. Sollte ich sie beantworten
müssen, dann werde ich sie schriftlich beantworten.
Da hier keine Fra-
gen an den Bundestagspräsidenten gerichtet werden
können, werden wir dies nicht jetzt beantworten. Aber
ich denke, wir finden einen Weg, um das Informations-
bedürfnis der Kollegin Ostrowski gemeinsam zu befrie-
digen.
Es gibt noch eine Frage des Kollegen Michelbach.
Ich habe eine Frage
an den Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Müller.
Herr Bundesminister Müller, Sie haben von der Not-
wendigkeit der Subventionsbegrenzung gesprochen. Wie
sehen Sie die Entwicklung beim Subventionsabbau?
Können Sie sich vorstellen, daß, bevor Wirtschaftssub-
ventionen zurückgenommen werden, zunächst einmal
die umfassenden staatlichen Subventionen im Bereich
der Kohle und anderer Einrichtungen abgebaut werden?
Können Sie einen detaillierten Regierungsvorschlag für
den Subventionsabbau vorlegen?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich habe die Notwendigkeit des Sub-
ventionsabbaus in der letzten Zeit aus zwei Gründen
betont: Erstens hat die Wirtschaft immer wieder sehr
pauschale Forderungen erhoben, man möge die Hilfen
für die Wirtschaft abbauen. Zweitens habe ich jedenfalls
in den vier Wochen, in denen ich dafür zuständig war,
die ererbte Kassenlage gesehen.
Man kann das, was Herr Kollege Eichel Ihnen eben
sagte, auch etwas drastischer sagen: Wir haben ein
strukturelles Defizit von 80 bis 90 Milliarden DM über-
nommen; denn es hat sich bei Ihnen eingebürgert, sich
stets 60 Milliarden DM von der Zukunft zu leihen. Das
ist schon kein normaler Zustand. Das heißt, der Staat
muß insgesamt sparsamer werden. Das ist die Erkennt-
nis, die ich gewonnen habe.
Wenn die Wirtschaft selber Subventionsabbau for-
dert, dann ergibt sich insgesamt ein Konzept, das man
durchaus weiterverfolgen sollte. Sie wissen, ich versu-
che, so gut es geht, das im Einvernehmen mit der Wirt-
schaft zu tun. Die Wirtschaft hat mir erklärt, das Thema
sei für sie nicht überaus wichtig; sie meine eigentlich
sowieso, daß Subventionen an die Wirtschaft nicht sein
sollten. Das erleichtert die Aufgabe, vor der ich stehe,
enorm.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Herr Bundesmi-nister, Sie haben die Sachlage in der Wirtschaft ange-Hans Michelbach
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sprochen. Wissen Sie, daß die Wirtschaft bei der Steuer-reform durch die Gegenfinanzierung erhebliche Zusatz-belastungen hinnehmen mußte? Können Sie sich bei denSubventionen einen generellen Beschluß vorstellen, wo-nach die Subventionen fünf Jahre lang um 5 Prozentjährlich abgebaut werden? Wäre das ein Vorschlag, dendie Regierung in dem hier von Ihnen bekundeten Spar-willen einbringen könnte?Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Ich darf Ihnen versichern, daß meinVorstellungsvermögen ziemlich groß ist. Was schluß-endlich in welchen Bereichen realisiert wird, bedarf derinternen Beratung. Ich sagte Ihnen: Ich versuche, im Ge-spräch mit der Wirtschaft eine Lösung zu finden. DasErgebnis wird zur gegebenen Zeit vorgelegt werden.
Herr Kollege Mayer.
Nachdem sich in der Bundesregierung, wie aus den
Äußerungen der letzten Tage zu vernehmen war, die Er-
kenntnis durchgesetzt hat, daß die gesetzliche Regelung
zur sogenannten Scheinselbständigkeit vom vergange-
nen Jahr insbesondere in den Wachstumsbranchen der
modernen Informations- und Kommunikationsdienste
arbeitsplatzvernichtend wirkt und neue Unternehmen in
besonderer Weise behindert, frage ich die Bundesregie-
rung, ob sie sich mittlerweile intensiv mit dem Thema
beschäftigt hat und ob sie bereit ist, die unseligen Be-
schlüsse vom letzten Jahr im Wege eines Gesetzentwur-
fes zurückzunehmen.
Wer von der Bun-
desregierung fühlt sich imstande, darauf zu antworten?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich darf Ihnen versichern, daß wir die
Kritik an diesem Gesetz ernst nehmen. Das Gesetz, das
Sie insbesondere ansprechen, ist übrigens schon vier
Monate in Kraft. Wenn sich herausstellen sollte, daß die
Wirkungen über eine längere Zeit so sind, wie jetzt im
allgemeinen befürchtet, wird man sich das genauer an-
sehen. Ich bitte aber zu bedenken, was Herr Kollege
Eichel gerade schon sagte. Die Gesetze sind just in Kraft
getreten und sollen generell einen Mißstand beseitigen,
der sich eingeschlichen hat. Für das Einschleichen des
Mißstandes ist die Bundesregierung nicht verantwort-
lich, sondern das hat sich in der Wirtschaft abgespielt.
Für die Beseitigung dieses Mißstandes mußte gesorgt
werden. Wenn es tatsächlich anhaltend negative Konse-
quenzen gibt, wird das natürlich gewürdigt.
Eine letzte Zusatz-
frage.
Darf
ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung
die verheerenden Folgen dieses Gesetzes vom vorigen
Jahr insbesondere für die neuen Medien bisher nicht
erkannt hat und daß sie offensichtlich auch im Bereich
anderer Gesetze, wie bei den geringfügig Beschäftigten,
den 630-DM-Jobs, mit der gleichen Blindheit vorgeht?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: So herum betrachtet kann ich diese
Frage nur zurückweisen. Das Gesetz gegen die Schein-
selbständigkeit hat bisher keine verheerenden Folgen.
Sie dürfen sicher sein, daß die Bundesregierung verhee-
rende Folgen auch nicht eintreten lassen wird.
Was das Thema 630-DM-Jobs anbelangt, so ist das
Gesetz just in Kraft. Dieses Gesetz können wir aus mei-
ner Sicht in einer überschaubaren Zeit ohnehin etwas
gelassener betrachten, weil es genug Arbeitskräfte gibt.
Auch hier ist deutlicher Mißbrauch zu bekämpfen gewe-
sen. Daß das für manchen unbequem ist und zu mancher
Kritik führt, ist nachvollziehbar, gleichwohl aber nicht
immer verständlich.
Ich will eine aller-
letzte Frage zulassen. Dann müssen wir aber zur Frage-
stunde kommen. Herr Kollege Koppelin.
Herr Bundesminister,
habe ich Ihre Antwort eben so richtig verstanden, daß
die Bundesregierung Gesetze an den Betroffenen erst
einmal austestet, statt vorher schon vernünftige Gesetze
zu machen?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Wenn Sie das so herum formulieren
wollen, ist das Ihre Sache. Wir betrachten die Wirtschaft
und die Bürgerinnen und Bürger nicht als Testobjekte.
Damit ist die heuti-ge Regierungsbefragung beendet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:Fragestunde– Drucksache 14/774 –Die beiden Fragen 1 und 2 der Kollegin Störr-Ritteraus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums fürVerkehr, Bau und Wohnungswesen werden schriftlichbeantwortet.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.Zur Beantwortung war die Parlamentarische Staatsse-kretärin Gila Altmann angemeldet. – Sie ist gerade ge-kommen.Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. PaulLaufs, CDU/CSU-Fraktion, auf:Welche Gutachter hat das Bundesministerium für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit mit der erneuten Prü-fung der Sach- und Rechtslage für den Betrieb des Kernkraft-werkes Biblis A beauftragt, bevor zehn frühere bundesaufsicht-liche Weisungen zurückgezogen wurden?Ich gebe das Wort der Parlamentarischen Staatsse-kretärin Altmann.Hans Michelbach
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2703
(C)
(D)
Gi
Herr Kollege, die Antwort auf Frage 3 lautet: Das
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit hat das Erfordernis der Aufrechterhal-
tung der angesprochenen Weisungen geprüft. In einem
bundesaufsichtlichen Fachgespräch vom 25. Februar
1999 hat das BMU unter Einbeziehung seines Beraters
Lothar Hahn vom Öko-Institut und der Gesellschaft für
Reaktorsicherheit, der GRS, wesentliche Themenberei-
che seiner Weisungen zum Atomkraftwerk Biblis mit
der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde des Landes Hes-
sen im einzelnen erörtert.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Laufs.
Frau Staatssekretärin,
ist bei dieser Erörterung sichtbar geworden, daß die Er-
kenntnisse aus der Sicherheitsanalyse von 1991 überholt
sind?
Gi
Das Ergebnis dieses Fachgesprächs ist gewesen,
daß die Bewertungsgrundlagen, die bisher zugrunde ge-
legt wurden, so nicht mehr haltbar sind und daß daher
das Aufrechterhalten der Weisungen nicht mehr gerecht-
fertigt ist. Somit ist die Sachkompetenz und die inhaltli-
che Verantwortung jetzt wieder auf das Land Hessen
und auf das hessische Umweltministerium übergegan-
gen.
Eine weitere Zu-
satzfrage, bitte schön.
Wenn die Sicherheits-
defizite heute neu und sehr viel gravierender einge-
schätzt werden, als das bisher der Fall war, warum ha-
ben dann die rotgrüne Landesregierung und die rotgrüne
Bundesregierung die sofortige Stillegung des Kern-
kraftwerkes Biblis A nicht schon im Zeitraum von Ok-
tober 1998 bis April 1999 verfügt?
Gi
Die verschiedenen Stillegungsentwürfe, die in der
Vergangenheit vom hessischen Umweltministerium an
das BMU gesandt worden sind, sind per Weisung abge-
lehnt worden. Nachdem das hessische Umweltministeri-
um im Dezember 1998 noch einmal um ein Fachge-
spräch zu diesem Thema gebeten hat, hat dieses dann
am 25. Februar 1999 auch stattgefunden. Daß dazwi-
schen dieser längere Zeitraum lag, hing unter anderem
damit zusammen, daß die GRS noch Unterlagen bei-
bringen wollte. Nach diesem Fachgespräch hat es am 31.
März die Rücknahme der Weisungen seitens des Bun-
desumweltministeriums gegeben. Das hessische Um-
weltministerium hat dann an der Fertigstellung einer
neuen Stillegungsverfügung gearbeitet, wobei es darum
ging – so möchte ich das aus Bundessicht interpretieren;
weitere Informationen müssen Sie sich vom hessischen
Umweltministerium holen –, sorgfältig zu arbeiten. Da-
durch kommt dieser Zeitrahmen zustande.
Herr Kollege Kop-
pelin, eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, hat
es, nachdem Sie die Bundesregierung am Montag in ei-
ner Anzeige scharf angegriffen haben, in Ihrem Hause
eine Diskussion darüber gegeben, ob Sie diese Fragen in
der heutigen Fragestunde beantworten?
Gi
Auch wenn diese Frage nicht zu diesem Themenbe-
reich gehört, kann ich sagen: nein.
Ich rufe die Frage 4
des Abgeordneten Laufs auf:
Welche neuen sicherheitstechnischen Erkenntnisse dieserÜberprüfung veranlaßten das BMU, von seiner bisherigen Auf-fassung abzuweichen, die von umfangreichen Gutachten u.a. derGesellschaft für Reaktorsicherheit sowie den Entscheidungendes Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. März 1997gestützt wurde?
Gi
Die Gründe, die zur Aufhebung von Weisungen
führten, sind in der Begründung der Weisung vom 31.
März 1999 dargelegt. Danach bieten die von der Bun-
desaufsicht im wesentlichen durch die Stellungnahmen
ihrer Sachverständigenorganisation, der Gesellschaft für
Anlagen- und Reaktorsicherheit, GRS, hierzu ermittelten
Sachverhalte sowie deren gutachterliche Bewertung kei-
ne ausreichende Grundlage für den Fortbestand der er-
teilten Weisungen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
da die Kritik der Bundesregierung am GRS-Gutachten
hinsichtlich der Methodik im Grundsätzlichen verbleibt
und sich auf die Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen be-
zieht, möchte ich Sie nochmals fragen: Hat die Bundes-
regierung neue, tatsächliche Erkenntnisse, die über die-
jenigen der Sicherheitsanalyse von 1991 hinausgehen?
Gi
Ich muß Ihnen noch einmal sagen, daß sich dieBewertungsgrundlage und die Gewichtung der Aussagender Gesellschaft für Reaktorsicherheit verändert haben.Die Gründe kann ich Ihnen in einigen Details kurz vor-tragen: Es geht darum, daß nicht alle für die Beurteilungerforderlichen Tatsachen, wie anlagenspezifische Be-
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2704 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
sonderheiten des Zustandes von Komponenten und An-lagenteilen, ermittelt wurden. Die GRS hat im wesentli-chen ihr verfügbare nicht anlagenbezogene statistischeDaten zugrunde gelegt. Die Übertragbarkeit von Ergeb-nissen anlagenfremder Experimente auf Anlagenteileund Komponenten des Reaktors Biblis wurde nicht dar-gelegt. Die Daten waren zum Teil veraltet – sie beziehensich auf eine Untersuchung des TÜV Bayern von 1991 –,und die Sachverhaltsermittlungen wurden nicht ausrei-chend dokumentiert.Das alles hat dazu geführt, daß das Bundesumwelt-ministerium der rechtlichen Auffassung des hessischenUmweltministeriums folgen kann.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
lassen Sie es mich noch einmal auf den Punkt bringen.
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß beim
Kernkraftwerk Biblis A die erforderliche Schadensvor-
sorge nicht getroffen worden und damit ein konkreter
Gefahrensverdacht begründet ist?
Gi
Bereits der frühere hessische CDU-Umweltminister
Weimar hat 1991 55 Mängel festgestellt, die bis heute
nicht in Gänze behoben worden sind. Die Stillegungen,
die vom hessischen Umweltministerium verfügt werden
sollten, sind durch Weisungen verhindert worden. Die
Bewertungsgrundlage hat sich dahingehend verändert –
ich kann das nur wiederholen –, daß die Analysen, die
durch die GRS erarbeitet worden sind und zu den Wei-
sungen geführt haben, so nicht mehr haltbar sind bzw.
das Aufrechterhalten der Weisungen nicht mehr recht-
fertigen.
Keine weiteren Zu-
satzfragen. Dann danke ich Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte
Schulte zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 5 des Abgeordneten Werner
Siemann:
Reichen die im Verteidigungsausschuß interfraktionell be-schlossenen zusätzlichen Dienstposten für den Haushalt 1999 fürOffiziere des Truppendienstes, des militärfachlichen Dienstesund für die Laufbahn der Unteroffiziere aus, damit diese Solda-ten nicht nur den für ihre Laufbahn vorgesehenen Enddienst-grad, sondern auch die Zwischendienstgrade in angemessenenZeitabständen erreichen?
B
Herzlichen Dank, HerrPräsident. – Sehr geehrter Herr Kollege Siemann, durchdie strukturellen Veränderungen in den vergangenenJahren und durch den Abbau der Bundeswehr seit 1991auf zunächst 370 000 Mann und dann auf 340 000 MannUmfang ist es zu einem Verwendungs- und Beförde-rungsstau vorrangig bei Berufssoldaten in allen Lauf-bahngruppen gekommen.Auch die alte Bundesregierung – das muß man hierzugeben – hat versucht, durch unterstützende Maßnah-men beim Personalabbau und mit personalwirtschaftli-chen Mitteln das überhöhte durchschnittliche Beförde-rungsalter zu senken bzw. auf ein für die Soldatenakzeptables Niveau zu bringen. Allerdings muß man sa-gen, daß auch die im Haushaltsentwurf der jetzigenBundesregierung ausgebrachten und im Rahmen derVorarbeit der CDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung vor-bereiteten Planstellen nur mithelfen können, Berufssol-daten, die eignungs- und leistungsgerecht auf entspre-chenden Dienstposten verwendet werden sollen, eineentsprechende Laufbahnperspektive zu geben.Wir haben bei den Berufssoldaten eine unausgewo-gene Altersstruktur vorgefunden und würden den Ver-wendungs- und Beförderungsstau in den nächsten Jahrensogar noch verstärken und die Wartezeit bei Beförde-rungen verlängern, wenn keine einschneidenden Maß-nahmen ergriffen würden.Um es den anderen Kolleginnen und Kollegen zu sa-gen: Bei den Offizieren des Truppendienstes haben wirim Dienstverhältnis eines Berufssoldaten eine Alters-schichtung mit einem Überhang von 2 900 Offizieren inden Dienstgraden Leutnant bis Oberstleutnant. Ende1998 waren mehr als 30 Prozent aller Berufssoldaten imDienstgrad Hauptmann im Beförderungs- oder Verwen-dungsstau. Das durchschnittliche Alter bei der Beförde-rung zum Major liegt inzwischen zweieinhalb Jahre überdem im Personalstärkemodell vorgesehenen Soll. DieTendenz ist steigend.Dieser Effekt wirkt sich in gleicher Weise auf Ober-leutnants aus, die dann entsprechend lange auf die Be-förderung zum Hauptmann warten müssen. Damit sindwiederum besondere Probleme bei der Beförderung vonOffizieren mit einer Verpflichtungszeit von 12 Jahren zuerwarten, wenn sie, weil es zu wenig Hauptmannstellengibt, keine Chance haben, rechtzeitig zum Oberleutnantbefördert zu werden. Durch das Ansteigen der durch-schnittlichen Zeiten der Beförderung zum Hauptmannvon über zwölf Jahren, wie wir es jetzt vorgefunden ha-ben, wird es zumindest zeitweise nicht möglich sein, daßOffiziere, die bei einer Verpflichtungszeit von zwölfJahren eigentlich einen Anspruch darauf haben, tatsäch-lich den Dienstgrad Hauptmann erreichen.Das gleiche gilt leider bei den Offizieren des militär-fachlichen Dienstes. Hier gibt es 1 400 Offiziere, dieanalog zu den Offizieren des Truppendienstes aus ver-schiedenen Gründen nicht zeitgemäß befördert werdenkönnen. Die Wartezeiten bei der Beförderung zumHauptmann werden im Durchschnitt um jetzt bis zu fünfJahre militärfachlicher Dienst über die Zielgröße desPersonalstärkemodells hinausgehen. Das heißt, daß dieBeförderung durchschnittlich erst nach 17 Offiziers-dienstjahren erfolgen könnte.Bei den Berufsunteroffizieren beläuft sich der struk-turelle Überhang auf rund 2 700 Unteroffiziere. Folgensind, wie bei den Offizieren, Auswirkungen auf die Be-förderungszeiten, wenn auch in etwas geringerem Maße.Parl. Staatssekretärin Gila Altmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2705
(C)
(D)
Die durchschnittliche Wartezeit bei der Beförderungzum Stabsfeldwebel wird geringfügig ansteigen. Aller-dings wird sich auf Grund der unausgewogenen Alters-struktur die Zahl der Hauptfeldwebel erhöhen, die erstzum spätestmöglichen Zeitpunkt ruhegehaltswirksamzum Stabsfeldwebel befördert werden können.Die jetzige Bundesregierung hat daraus ihre Konse-quenzen gezogen. Sie wird – natürlich abhängig von denHaushalten der Folgejahre, aber vor allen Dingen auchvon dem Ergebnis der Kommission „Zukunft der Bun-deswehr“ – zu entscheiden haben, welche einschneiden-den Maßnahmen ergriffen werden müssen. Ich bin zu-versichtlich, daß uns ein Teil der Opposition dabei un-terstützen wird, diese negativen Trends zu verändern.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie haben eben detailliert die Stellensituation ge-
schildert. Warum müssen Sie erst noch die Arbeit der
Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ abwarten? Jetzt
ist Not am Mann, im wahrsten Sinne des Wortes.
B
Herr Kollege Siemann,
ich kann dies gut nachempfinden. Wir haben auch heute
morgen im Verteidigungsausschuß darüber diskutiert.
Wir müssen zunächst einmal wissen, welchen Umfang
die Bundeswehr der Zukunft haben wird. Auch die Kol-
legen, die nicht im Verteidigungsausschuß tätig sind,
werden Anfang Mai die Bestandsaufnahme der Bun-
deswehr erhalten. Wenn das geschehen ist, haben wir
die Gelegenheit, miteinander kontrovers und offensiv zu
diskutieren.
Wir wollen uns wirklich die Zeit nehmen, mit Fach-
leuten und anderen interessierten Leuten eine moderne
Struktur aufzubauen. Ich glaube, ich habe Ihnen schon
einmal gesagt: Wir werden uns ausdrücklich auch des
Rates von Fachleuten der Oppositionsparteien bedienen.
Die Zeit müssen wir uns einfach nehmen.
Wir kommen zu Ih-
rer zweiten Zusatzfrage.
Anläßlich einer Ta-
gung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes „Offiziere
im Stau“ in Bad Neuenahr haben Sie am 3. März dieses
Jahres gesagt, die Bundeswehr brauche ein neues Perso-
nalstärkegesetz. Wann gedenkt die Bundesregierung,
diesen Gesetzentwurf vorzulegen?
B
Ich betone noch einmal
ausdrücklich – zumal wir auch vorher in der Opposition
darüber diskutiert haben –, was ich den Kolleginnen und
Kollegen, die nicht dem Verteidigungsausschuß angehö-
ren, und den Zuhörern eindringlich gesagt habe: Wir ha-
ben im Moment eine unausgewogene und unzeitgemäße
Struktur im Offiziers- und Unteroffiziersbereich. Wenn
wir für die Zukunft qualifizierte Leute haben wollen,
dann müssen wir das verändern. Dies alles gehört zum
Umfang der Streitkräfte und zu den Aufgaben der
Streitkräfte. Ich glaube, heute morgen hat der Verteidi-
gungsminister angedeutet, daß auch bei den Krisenreak-
tionskräften noch einmal eine Veränderung stattfinden
muß.
All das zusammen wird dazu führen, daß wir Ihnen
hoffentlich Modelle vorstellen können, die auch Ihre
Zustimmung finden.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, anläßlich
der eben vom Kollegen Siemann angesprochenen Ver-
anstaltung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes zum
Thema „Offiziere im Stau“ hat Ihr SPD-Kollege Pfan-
nenstein zugestimmt, daß der von der F.D.P. einge-
brachte Änderungsantrag zum Haushalt zur Wiederein-
führung eines Personalstärkegesetzes bis zum Abschluß
der Kommission „Zukunft der Bundeswehr“, also als
Überbrückung, eine sehr gute Idee sei. Er hat ebenfalls
gesagt, die SPD werde dies unterstützen.
Nachdem Sie nun die Zahlen über die tatsächlich im
Stau befindlichen Soldaten sehr detailliert festgeschrie-
ben haben, können Sie mir erklären, weshalb die Bun-
desregierung von der Einsicht Ihres Fraktionskollegen
abgegangen ist, im Endeffekt diesen Antrag doch abge-
lehnt hat und zwischenzeitlich kein Personalstärkegesetz
beschlossen hat?
B
Also, Herr Kollege, wirwollen fein differenzieren. Ich habe hier das vorgetra-gen, was wir vorgefunden haben, als wir Ende Oktoberdie Regierung übernommen hatten. Natürlich wußtendas einige von uns, insbesondere die, die im Verteidi-gungsausschuß gearbeitet haben.Das zweite ist: Wir haben gemeinsam, auch mit denStimmen Ihrer Partei und denen der Union, eine leichteVerbesserung vorgenommen. Das war ein gemeinsamesAnliegen von uns. Jetzt aber ein neues Personalstruk-turmodell zu entwickeln, obwohl wir uns vorgenommenhaben, uns ganz nüchtern zu überlegen, wie die Bun-deswehr der Zukunft konkret aussehen soll, wäre falsch.Wir würden möglicherweise eine falsche Richtung ein-schlagen und müßten das dann wieder korrigieren.Ich bitte Sie herzlich mitzuhelfen, auch der Öffent-lichkeit klarzumachen, daß Soldaten auf Grund der heu-tigen Besoldungsstruktur im Vergleich mit anderen Be-reichen des öffentlichen Dienstes nicht mehr zeitgemäßbezahlt werden. Ich bitte Sie auch, bei einer Verbesse-rung mitzuhelfen. Aber das wäre im Moment nur einTrostpflaster, dessen Wirkung erfahrungsgemäß nichtausreicht, um eine Wunde zu heilen.Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
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2706 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
Vielen Dank. – Ich
rufe die Frage 6 der Abgeordneten Ostrowski auf:
In welchem Zusammenhang steht nach Auffassung der Bun-desregierung die Zerstörung von Donaubrücken und Heizkraft-werken mit dem erklärten Ziel der NATO, eine humanitäre Ka-tastrophe über die Zerstörung der militärischen Infrastruktur derBundesrepublik Jugoslawien abzuwenden?
B
Frau Kollegin Ostrowski,
die NATO hat sich im Rahmen der Luftoperationen be-
wußt Restriktionen aufgelegt, um Schäden und unnötige
Leiden von der jugoslawischen Bevölkerung abzuwen-
den. Die Luftoperationen dienen dem Zweck, die Fähig-
keit der Bundesrepublik Jugoslawien zu zerstören, wei-
ter gewaltsam gegen die Bevölkerung des Kosovo vor-
zugehen. Die Auswahl der Ziele erfolgt unter Anlegung
strenger Maßstäbe. Es gilt vor allen Dingen, das militä-
rische Potential, die Sicherheitskräfte und die paramilitä-
rischen Kräfte, die für die humanitäre Katastrophe im
Kosovo verantwortlich sind, zu reduzieren. Zu den Zie-
len zählt in dem einen oder anderen Fall auch die Infra-
struktur, wenn sie der Unterstützung des militärischen
Apparates dient. Von Bedeutung sind hier Verkehrsver-
bindungen, Schienenwege, Straßen, Brücken oder auch
Flugplätze, auf denen Reserven und Nachschub trans-
portiert bzw. organisiert werden können.
Objekte, die auch für die Zivilbevölkerung von Be-
deutung sind, werden nur dann angegriffen, wenn sie
von erheblicher militärischer Bedeutung sind oder wenn
sich dort militärische Dinge verbergen. Das gilt zum
Beispiel für Postämter, die natürlich gleichzeitig auch
einen Teil der militärischen Kommunikationsinfra-
struktur darstellen.
Eine Zusatzfrage?
Frau Staatssekretärin,
ich habe Ihre Antwort gehört und hätte in diesem Zu-
sammenhang folgende Zusatzfrage: Sie haben ja nicht
bestritten, daß die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft
gezogen wird, weil manches sowohl zivil wie auch mi-
litärisch genutzt wird. Nun hat die Bundesregierung öf-
fentlich erklärt, daß der Krieg nicht gegen das serbische
Volk, sondern gegen Milosevic gerichtet ist. Wir merken
aber nunmehr, daß die Zivilbevölkerung durch die Zer-
störung von Donaubrücken, Heizkraftwerken, Eisen-
bahnlinien und auch Fabriken Schaden nimmt. Objektiv
betrachtet ist das so und nicht anders. Ist die Bundesre-
gierung unter diesem Gesichtspunkt bereit, ihre Aussa-
ge, daß sich der Krieg nicht gegen das serbische Volk,
sondern nur gegen Milosevic richtet, zumindest zu rela-
tivieren?
B
Sie haben sicherlich ge-
hört, daß ich den Begriff „serbisches Volk“ sorgfältig
vermieden habe; denn in der Bundesrepublik Jugosla-
wien leben auch heute noch verschiedene Gruppen, üb-
rigens auch in Belgrad. Ich rede deswegen ausdrücklich
davon, daß die jugoslawische Bevölkerung betroffen ist.
Nun besteht leider das Problem, daß Ursache und
Wirkung nicht auseinandergehalten werden. An erster
Stelle steht die Tatsache, daß Gewaltübergriffe gegen
die albanische Minderheit im Kosovo durch paramilitä-
rische und militärische Einheiten geschehen und daß sie
auch Vertreibungen durchführen. Um diese Vorgänge
endlich zu beenden – das ist ja dringend notwendig –, ist
es bedauerlicherweise erforderlich, Maßnahmen zu er-
greifen, durch die auch die Zivilbevölkerung – ich unter-
scheide da nicht, wer davon in Belgrad oder an anderer
Stelle betroffen ist – in Mitleidenschaft gezogen wird.
Wir versuchen allerdings, Frau Kollegin, das soweit wie
möglich zu verhindern. Es ist auch den Zeitungen zu
entnehmen, daß fast die Hälfte der Einsätze, um Schä-
den – ich mag das Wort „Kollateralschäden“ nicht – an
zivilen Objekten und Verluste in der Zivilbevölkerung
so gering wie möglich zu halten, abgebrochen worden
ist, weil die Sichtverhältnisse es nicht erlaubten, genau
zu zielen. Es kann aber von uns nicht geleugnet werden,
daß auch schon unschuldige Menschen zu Schaden ge-
kommen sind.
Eine weitere Zu-
satzfrage?
Nein.
Ich rufe dann die
Frage 7 der Kollegin Ostrowski auf:
Nach welchen Kriterien lassen sich nach Auffassung derBundesregierung militärische und zivile Angriffsziele bei denNATO-Luftoperationen unterscheiden?
B
Frau Kollegin, ich möchte
auf die Beantwortung Ihrer ersten Frage verweisen und
Ihnen noch einmal sagen: Zivile Ziele werden nur dann
angegriffen, wenn sie auch von erheblicher militärischer
Bedeutung sind oder wenn sich dort militärische Ein-
richtungen verbergen oder solche dort hineinverlegt
worden sind.
Eine Zusatzfrage.
Es ging in meiner
zweiten Frage um die Unterscheidung zwischen militäri-
schen und zivilen Angriffszielen. Ich habe folgende
Nachfrage: Warum ist eine Tabakfabrik ein militärisches
Angriffsziel? Geben Sie mir recht – da nachgewiese-
nermaßen ein Flüchtlingstreck bombardiert wurde –, daß
es schwierig ist, zivile und militärische Ziele zu unter-
scheiden?
B
Das ist eine wichtige
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2707
(C)
(D)
Frage. Bei einigen der zivilen Ziele muß man sehen –das ist natürlich geheim –, daß wir auch militärischeAufklärung haben. In der Geschichte des Deutschenbzw. Dritten Reiches, in den Kriegen von 1914 bis 1918und von 1939 bis 1945, gibt es Beispiele dafür, daß Fa-brikanlagen in militärische Einrichtungen umgewidmetwerden können. Aber es stellt sich natürlich die Frage,welche militärische Einrichtung es in einer Tabakfabrikgibt. Ich kann Ihnen diese Frage deshalb nicht mit gutemGewissen beantworten, weil hinsichtlich der Fabrik of-fensichtlich militärische Aufklärung stattgefunden hatund das deshalb geheim ist. Aber ich stelle mir, genauwie Sie, die Frage, warum Heizkraftwerke getroffenwerden müssen, wenn nicht der Hinweis erfolgt, daßdort militärische Einrichtungen untergebracht sind. Da-für gibt es leider Beispiele. Es gibt auch Beispiele ausdem Dritten Reich dafür, daß aus einer bis dahin zivilenFabrik eine militärische Beschaffungsmaßnahme ent-wickelt worden ist.Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten. Ich willmich aber bezüglich der Tabakfabrik ausdrücklich er-kundigen und werde Ihnen, wenn ich kann, die Antwortgerne zukommen lassen.
Eine weitere Zu-
satzfrage der Kollegin Ostrowski.
Habe ich Sie jetzt
richtig verstanden – auch Herr Verteidigungsminister
Scharping hat die Informationspolitik der NATO öffent-
lich beklagt –: Sie haben als Bundesregierung nicht in
jedem Falle den Nachweis, daß es, wenn strittige Ziele
angegriffen worden sind, dort tatsächlich eine militäri-
sche Einrichtung gab?
B
Doch, wir haben natürlich
die Möglichkeit des Nachweises, weil unsere Soldaten
in der NATO tätig sind und weil wir ein politisches Pri-
mat haben. Wir haben selbstverständlich auch zivile
Mitarbeiter. Wir haben einen eigenen Botschafter bei
der NATO, und wir haben jederzeit die Möglichkeit,
Auskünfte zu erhalten, wenn sich hinter einer zivilen
Einrichtung eine militärische verbergen sollte. Aber es
gibt zum jetzigen Zeitpunkt keinen Hinweis darauf, daß
es ein Unglück war, dieses Ziel zu treffen. Das heißt, Sie
können davon ausgehen, daß es einen militärischen
Hintergrund gab. Ich kann Ihnen hier leider nicht mehr
dazu sagen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Manfred Opel.
Frau Staatssekretärin, stim-
men Sie mir zu, daß Herr Milosevic ausschließlich Zi-
vilbevölkerung, die unbewaffnet war, vertrieben hat, daß
er seit vielen Monaten ausschließlich gegen sie Krieg
geführt hat und noch heute die Flüchtlingstrecks tage-
lang, bis zu 20 Tage, ohne Nahrung und Getränke durch
die Straßen des Kosovo treibt? Können Sie mir zustim-
men, Frau Staatssekretärin, daß Herr Milosevic einen
unerklärten Krieg gegen seine eigene Zivilbevölkerung
führt und daß das der Auslöser für die humanitäre Hilfs-
aktion der NATO-Streitkräfte war?
B
Herr Kollege Opel, ich
muß Ihnen nach allem, was wir wissen, leider zustim-
men. Es ist bedauerlich und schlimm, daß so etwas am
Ende dieses Jahrhunderts passiert. Ich bin Ihnen dank-
bar, daß Sie erwähnt haben, daß er auch jetzt Zivilperso-
nen nutzt, um militärische Einrichtungen von ihnen be-
setzen zu lassen. Wir haben die schlechte Erfahrung ge-
macht, daß er Zivilpersonen auf Brücken und auf Stra-
ßen oder auch vor Fabriken, die militärische Infrastruk-
tur schaffen, bewegt. Das ist schlimm und sehr bedauer-
lich, und ich glaube, das wird auch vom ganzen Haus
bedauert.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Lippmann.
Frau Staatssekretärin, Sie
werden mir recht geben, daß niemand in diesem Haus
bestreitet – das haben auch Sie soeben gesagt –, daß es
in der Bundesrepublik Jugoslawien zu Menschenrechts-
verletzungen kommt und daß dort eine Vertreibungs-
politik betrieben wird. Dies alles haben wir hier schon
mehrfach gemeinsam festgestellt. Aber angesichts der
Wortwahl des Kollegen Opel soeben, nämlich daß es
sich bei dem Einsatz der NATO um eine humanitäre
Hilfsaktion handele, möchte ich darauf hinweisen, daß
Bombardierungen von militärischer und auch ziviler In-
frastruktur nicht gerade als eine humanitäre Hilfsaktion
bezeichnet werden können.
Zu meiner Frage: Sie sagten soeben, daß Aufklärung
betrieben werde und daß der Regierung bezüglich der
angesprochenen Tabakfabrik sogar Erkenntnisse darüber
vorliegen, daß sich hinter dieser Fabrik Militärisches
verstecken könnte. Können Sie Meldungen aus der Pres-
se bzw. den Medien bestätigen, daß sich kleine Spe-
zialeinheiten, und zwar deutsche, französische und briti-
sche Militärangehörige, in der Bundesrepublik Jugosla-
wien befinden, um diese Aufklärung voranzutreiben?
B
Nein, das kann ich wirk-lich nicht bestätigen. Es gibt natürlich ganz bestimmteArten der Aufklärung, über die ich hier nicht genauersprechen kann. Aber selbstverständlich gibt es keinedeutschen militärischen Einheiten, die sich in Form vonKleingruppen in der Bundesrepublik Jugoslawien auf-halten. Ich bin wie Sie der Meinung, daß der Einsatz vonFlugzeugen und Marschflugkörpern natürlich keine hu-manitäre Aktion ist. Aber er geschieht, um weitere Ver-treibungen von Menschen zu unterbinden. Das hat Kol-lege Opel gemeint. Ich weiß sehr wohl, daß auch Sie dasnicht billigen und ausdrücklich kritisieren.Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
Metadaten/Kopzeile:
2708 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Ulrike Merten.
Frau Staatssekretärin, die
Kollegin Ostrowski hat soeben nach der Fähigkeit, zwi-
schen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden,
gefragt. Haben Sie nähere Auskünfte darüber, inwieweit
Milosevic mögliche militärische Ziele oder auch militä-
risches Gerät durch menschliche Schutzschilde tarnen
läßt?
B
Darüber haben wir mehr
als genug Kenntnisse. Frau Kollegin Merten, wir haben
leider die Erfahrung gemacht, daß er militärisches Gerät,
wie zum Beispiel Panzer, ganz bevorzugt in Wohnge-
bieten untergebracht hat. Wir hören fast Tag für Tag,
daß sich auf Brücken Menschen versammeln, die be-
stimmt nicht freiwillig dort hingegangen sind, um auf
diese Weise ein Schutzschild zu bilden. Das ist eine der
schlimmen Situationen, die derzeit auf dem Balkan herr-
schen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Bartsch.
Frau Staatssekretärin,
stimmen Sie zu, daß eine Trennung zwischen zivilen
und militärischen Angriffszielen letztlich nicht möglich
ist? Natürlich gibt es das in Einzelfällen.
– Ich habe jetzt nicht die Ursache gemeint. – Ich habe
die Frage gestellt, ob diese Ziele letztlich trennbar sind
oder nicht.
B
Ich will Ihnen Ihre Frage
gerne beantworten. Diese Ziele sind sehr gut trennbar.
Deswegen haben wir uns ja der Mühe unterzogen, eine
sehr umfangreiche Aufklärung zu betreiben. Deswegen
haben wir beim Einsatz von militärischen Mitteln aus-
drücklich auf Präzisionswaffen zurückgegriffen – es fällt
mir schwer, dies sagen zu müssen; wahrscheinlich wür-
de dies jedem Kollegen, der an dieser Stelle stehen
müßte, schwerfallen –, damit wir bei der Zivilbevölke-
rung keine Schäden verursachen. Daß dies doch passie-
ren kann, haben Sie ja erlebt.
Aber man kann sehr gut aufklären, ob ein vermeint-
lich ziviles Ziel militärischen Zwecken dient. Das kann
zum Beispiel eine Brücke oder eine Straße sein, von der
man weiß, daß sie von größeren militärischen Einheiten
benutzt werden wird, so daß durch deren Zerstörung der
Weg in das Kosovo, nach Bosnien-Herzegowina oder
nach Montenegro unterbrochen wird. Die von Ihnen an-
gesprochene Unterscheidung kann man also treffen.
Diese nimmt man auch ausdrücklich vor.
Herr Kollege, Sie erleben ja selbst, welche Kritik mit
Recht von den Regierungen des westlichen Bündnisses
erhoben wird, wenn aus Versehen menschliche bzw. zi-
vile Ziele, die nicht in einem militärischen Zusammen-
hang gestanden haben, getroffen werden. Man kann
zwar nicht ganz vermeiden, daß es zu Schäden kommt.
Aber eine Vermeidung sollte so sorgfältig wie möglich
erfolgen.
Ich rufe Frage 8 des
Abgeordneten Dr. Rössel auf:
Wie hoch sind bisher die Belastungen des Bundeshaushaltsaus der deutschen Beteiligung an der militärischen Umsetzungeines Rambouillet-Abkommens für den Kosovo sowie anNATO-Operationen im Rahmen der Notfalltruppe „ExtractionForce“?
B
Herr Kollege Dr. Rössel,über die Belastungen des Bundeshaushalts durch diedeutsche Beteiligung an der militärischen Unterstüt-zung der Umsetzung eines möglichen Rambouillet-Abkommens für den Kosovo wurde, wie Sie sich alsMitglied des Haushaltsausschusses sicherlich erinnern,nach dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom25. Februar 1999 entschieden. Diese Belastungen soll-ten für einen bestimmten Zeitraum – die entsprechendeZahl an Soldaten sowie der entsprechende Umfang anGerät, Logistik und Infrastruktur vorausgesetzt – etwa620 Millionen DM betragen.Wir haben eine Stärke von zirka 5 000 Soldaten fürdie Absicherung eines Friedensabkommens für das Ko-sovo geplant und eine vorübergehende Stationierung inMazedonien vorgesehen. Durch die aktuellen Ereignisseund den Beginn der Luftoperationen der NATO sind zurZeit zirka 3 000 Soldaten in Mazedonien. Die Zahl kannallerdings wegen der großen humanitären Einsätze, diewir dort leisten, steigen. Das heißt, die Kostenschätzung,die wir damals ab April für den Kosovo-Einsatz vorge-sehen haben, lag mit der Logistik bei etwa 441 Millio-nen DM für das Jahr 1999. Diese Mittel werden voraus-sichtlich auch gebraucht, und zwar nicht in erster Liniefür militärisches Personal, sondern für die Beschaffungvon Gerät, für die Versorgung der Bevölkerung und fürdie Errichtung von zivilen Lagern.Sie hatten außerdem nach den Kosten der Notfall-truppe oder der, wie es so schön heißt, ExtractionForce gefragt. Diese Extraction Force umfaßt 250 Sol-daten. Der Deutsche Bundestag hat ihre Entsendung inseinem zweiten Beschluß am 19. November 1998 ver-abschiedet. Die Kosten werden den Bundeshaushaltmit zusätzlich zirka 20 Millionen DM im Laufe desJahres belasten.Sie hatten dann danach gefragt, wie die finanziellenMittel ausfallen. Der Quartalsbericht des ersten Quartals1999 liegt noch nicht vor. Sie werden ihn aber als Haus-hälter in den nächsten Wochen bekommen. Daran kannaufgeschlüsselt werden, was wir bis zum 31. März 1999an Ausgaben für die verschiedenen Einsätze – es gibtnoch den SFOR-Einsatz und andere Einsätze – ausgege-ben haben. Ich gehe davon aus, daß Sie als Berichter-statter den Bericht vorrangig bekommen werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2709
(C)
(D)
Eine Zusatzfrage.
Ich habe eine Zusatz-
frage an die Parlamentarische Staatssekretärin Kollegin
Schulte. Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung
bei dem von ihr angeregten „Marshallplan“ für den
Wiederaufbau auf dem Balkan? Wie soll dieser Plan
aussehen, und wie soll er finanziert werden, vor allem
mit welchen Wirkungen auf den Bundeshaushalt?
B
Dafür ist zunächst das Fi-
nanzministerium verantwortlich. Herr Dr. Rössel, Sie
wissen noch sehr genau, wie wir darum gekämpft haben,
damit wir den Kosovo-Einsatz nicht aus dem Verteidi-
gungshaushalt, sondern zunächst als neue Aufgabe aus
dem Einzelplan 60 des Bundesfinanzministers, der die-
sen verwaltet, finanzieren. Das gleiche gilt natürlich für
den „Marshallplan“, in dem verschiedene Funktionen
wie die Wirtschaftspolitik, die Entwicklungspolitik und
natürlich die Bildung der Bevölkerung, die Wiederher-
richtung von Gebäuden, der Wohnungsbau und die Stra-
ßeninfrastruktur enthalten sein werden. Ich kann Ihnen
die Zahl nicht sagen. Ich hoffe, wir werden gemeinsam
relativ viel Geld zur Verfügung stellen können.
Da der Kollege
Rössel diese Frage als Frage 62 an den Finanzminister
gerichtet hat, wird er noch von dort aus eine Antwort
bekommen. Sie haben aber noch das Recht zu einer
zweiten Zusatzfrage.
Ich habe noch eine Zu-
satzfrage an die Parlamentarische Staatssekretärin Kolle-
gin Schulte. Treffen Hinweise zu, wonach die jetzt für
den besagten Einsatz vorgesehenen und auch eingesetzten
Mittel aus dem Bundesetat, die ursprünglich zur Absiche-
rung der Tariferhöhung im öffentlichen Dienst auf Bun-
desebene vorgesehen waren, genommen werden?
B
Ich war lange genug Mit-
glied des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundes-
tages. Und auch in dieser Runde sind ein paar erfahrene
Leute, die wissen, daß der Wunsch für tarifliche Verbes-
serungen immer im Einzelplan 60 vorgesehen war, und
was in der Realität geschehen ist. Ich mußte nur regi-
strieren, daß für den Haushalt des Jahres 1998 die alte
Bundesregierung immerhin Tariferhöhungen in Höhe
von 280 Millionen DM abzudecken gehabt hätte, für die
sie keine Vorsorge getroffen hatte. Sie hat leider auch
nichts aus dem Einzelplan 60 bekommen.
Wieviel wir am Ende aus dem Einzelplan 60 bekom-
men werden, wird ein bißchen davon abhängen, Herr
Kollege Dr. Rössel, was an Steuereinnahmen da ist und
was in anderen Bereichen gebraucht wird. Ich gehe da-
von aus, daß wir mehr als die Mittel, die jetzt für die Ta-
riferhöhung vorgesehen waren – es waren ursprünglich
über 770 Millionen DM im Einzelplan 60 angesetzt –,
brauchen, um den Wiederaufbau im ehemaligen Jugo-
slawien und ganz besonders im Kosovo voranzubringen.
Eine Zusatzfrage,
Frau Lippmann.
Frau Staatssekretärin, Sie
werden mir zustimmen, daß der Bedarf im Fall von
weiteren Stationierungen von Bundeswehrsoldaten im
Rahmen eines NATO-Einsatzes zum Beispiel in Alba-
nien oder im Fall von weiteren Kontingenten in Maze-
donien oder später vielleicht sogar im Fall von Boden-
truppen im Kosova selbst natürlich weit höher ausfallen
wird. Er ist nicht in diesen 441 Millionen DM enthalten.
Können Sie darüber hinaus bestätigen, daß sich be-
reits jetzt Beamte, Bedienstete des Bundesgrenzschutzes
in Mazedonien in der Flüchtlingsversorgung im Einsatz
befinden? Falls dies zutrifft: Wie viele sind es? Mit wel-
chem Auftrag sind sie dort? Wie hoch sind die durch
diesen Einsatz entstandenen Kosten? Von welchem
Haushalt sind sie abgedeckt?
B
Gott sei Dank gibt es eine
strikte Trennung in diesem Land: Der Bundesgrenz-
schutz gehört zum Innenminister. Ich werde mich hüten,
zu Ihrer Frage Position zu beziehen. Ich könnte Ihnen
die Frage auch nicht beantworten.
Ich rufe jetzt die
Frage 9 der Abgeordneten Dr. Barbara Höll auf:
Auf welcher Grundlage erfolgte die bisherigeAnsetzung der Kosten für den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr?
Frau Staatssekretärin.
B
Frau Dr. Höll, Grundlagedes Kostenansatzes für den Einsatz der Bundeswehr imKosovo sind die entsprechenden Beschlüsse des Deut-schen Bundestages: der Beschluß über die begrenztenund in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zurAbwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt, mit großer Mehrheit noch vom alten Deut-schen Bundestag am 16. Oktober 1998 gefaßt; der am13. November gefaßte Beschluß über Luftüberwa-chungsoperationen über dem Kosovo im Rahmen der„NATO Kosovo Air Verification Mission“ und damitauch über den drohenden Einsatz in Mazedonien; der am19. November 1998 gefaßte Beschluß über die Operati-on zum Schutz und zur Herausziehung von OSZE-Beobachtern aus dem Kosovo in einer Notfallsituation;der am 25. Februar 1999 gefaßte Beschluß über die mi-litärische Umsetzung des Rambouillet-Abkommens fürden Kosovo sowie über den Einsatz bei NATO-Operationen im Rahmen der Notfalltruppe.In diesen Beschlüssen des Deutschen Bundestagessind die jeweilige Personalstärke der Einsätze sowieEckpunkte der Ausrüstung festgelegt worden. Diese An-
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gaben dienen als Basis, um die Kosten der Einsätze füreinen Zeitraum von zwölf Monaten zu bestimmen. Be-rechnet werden hierbei nur die Zusatzkosten, das heißtKosten, die ohne den Einsatz nicht entstehen würden.Entsprechend werden bei Personalausgaben zum Bei-spiel nur die Auslandsverwendungszuschläge und dieAuslandsentschädigungen berechnet, nicht jedoch dieInlandsgehälter der Soldaten.Hinsichtlich des eingesetzten Materials werden dieKosten der Materialerhaltung durch Erfahrungswerteüber einen zusätzlichen Materialverschleiß sowie dieKosten des Betriebsstoffs ermittelt.In die Kostenschätzung fließen weiter die zusätzli-chen Kosten für einsatzbedingte Beschaffung, einsatz-bedingte Infrastrukturmaßnahmen sowie die Transport-kosten für die Hin- und Rückverlegung ein, wobei eben-falls die Aufwendungen für die Transporte zur Versor-gung und anläßlich der Kontingentwechsel zu berück-sichtigen sind.
Eine Zusatzfrage.
Nachdem Sie diese
Grundlage ausführlich erläutert haben, möchte ich gerne
wissen, wie hoch die Belastungen für den Bundeshaus-
halt bisher sind.
B
Frau Dr. Höll, wir haben
bislang Kosten für den Einsatz der SFOR, zum Beispiel
die Kosten für die Verlegung der Verbände in Tetovo
und in anderen Bereichen von Mazedonien, für den
Aufbau entsprechender Unterkünfte, für den Transport
von Gerät. Die Summe, die dabei zustande kommt, ist
schon ganz beachtlich. Selbstverständlich bekommen
die Soldaten für diese schwierige Aufgabe auch eine
Auslandsentschädigung. Die genauen Kosten werden
wir Ihnen, wie ich es dem Kollegen Dr. Rössel gesagt
habe – auch Sie sind Haushälterin, Frau Dr. Höll –,
schon mit der Quartalsabrechnung sagen können.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Frau Staatssekretärin, da
gleichzeitig in der Bundesrepublik Jugoslawien unwahr-
scheinlich viel zerstört wird und laufend Spendenaufrufe
auch an die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutsch-
land ergehen, die zum Teil sehr großen Widerhall haben,
stellt sich für viele Bürgerinnen und Bürger natürlich die
Frage, wieviel Geld jeden Tag ausgegeben wird, um zu
zerstören, und wieviel Geld für den Wiederaufbau be-
nötigt wird, wobei es schwierig ist, Geld für den Wie-
deraufbau beizubringen. Ich denke, daß man, da Sie da-
von ausgehen, daß die Summe bisher schon beträchtlich
ist, versuchen sollte, nicht erst zum Quartalsende, son-
dern ziemlich zeitnah Auskünfte an die Bevölkerung
und an das Parlament zu geben.
B
Liebe Frau Kollegin Dr.
Höll, überlegen Sie sich bitte einmal, warum wir das al-
les tun müssen! Sie können sich doch wohl vorstellen,
daß der Deutsche Bundestag nicht mit mehr als 90 Pro-
zent einem solchen Einsatz zugestimmt hätte, wenn es
dafür nicht Ursachen gäbe.
Eine solche Frage hier zu stellen ist angesichts des Leids
und der viel größeren Kosten, die die Flüchtlinge im
Kosovo jetzt zu tragen haben – um es neutral auszu-
drücken und mein Amt zu beachten –, erstaunlich.
Im übrigen wünschte ich mir, daß es viel mehr Län-
der in der Welt – auch parlamentarische Demokratien –
gäbe, die eine solch sorgfältige Haushaltskontrolle und
Haushaltsklarheit haben wie der Deutsche Bundestag.
Das ist eines der Rechte, die in der Tradition des
Reichstages von 1914 stehen. Ich kann mich nur erin-
nern, daß es in der ehemaligen DDR so etwas nicht gab.
Damals wußten Sie nicht, was die Dinge kosteten und
was für Militär ausgegeben wurde. Die Behauptung, die
mit Ihrer Frage verbunden war, finde ich schon kühn.
Eine Zusatzfrage
des Abgeordneten Dr. Winfried Wolf.
Frau Staatssekretärin, es
geht immer noch um die Grundlagen für die Berechnung
der Kosten. Von CDU-Fachwissen gestützte Berech-
nungen gehen davon aus, daß die Kosten doppelt so
hoch liegen. Ich frage Sie: War inzwischen bekannt, was
Verteidigungsminister Scharping heute im Verteidi-
gungsausschuß gesagt hat, nämlich daß eine Harm-
Rakete nicht, wie bisher veröffentlicht, 400 000 DM,
sondern 1,2 Millionen DM kostet, weil die damaligen
Anschaffungskosten mit den Wiederbeschaffungskosten
verwechselt wurden?
B
Wenn Sie genau zugehörthätten, wüßten Sie, daß eine jetzt verschossene Harmzwischen 600 000 und 700 000 DM gekostet hat – dennman muß ja immer die Anpassung an das Gerät einbe-ziehen – und daß das Folgemodell der Harm-Rakete, diewir beschaffen wollen, eine andere Fähigkeit hat, näm-lich auch abgestellte Luftverteidigungssysteme aufzu-klären. Im Moment ist es so, Herr Kollege, daß wir un-sere Harm-Raketen nicht verschießen, wenn vorher dasLuftabwehrsystem abgestellt wurde, weil ansonsten dieGefahr besteht, daß sie abgelenkt werden. Die neue Ra-kete hat in der Tat eine solche Genauigkeit, daß dannauch die Radaranlagen getroffen werden können, dienicht in Betrieb sind; denn auch diese können natürlichSchaden anrichten. Deswegen stimmt es, daß eineParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
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Harm-Rakete nach dem jetzigen Stand 1,2 MillionenDM – ich hoffe, es bleibt dabei – kostet.
Eine Zusatzfrage
der Abgeordneten Lippmann.
Frau Staatssekretärin, vor
einer Woche wurde uns mitgeteilt, daß zu dem damali-
gen Zeitpunkt von deutschen Tornados 90 bis 100
Harm-Raketen verschossen worden seien. Können Sie
uns sagen, wie der aktuelle Stand ist, also wie viele dar-
über hinaus abgeschossen wurden, und inwieweit die
Kosten für die Neuanschaffung auf Grund des „Ver-
brauchs“ der Harm-Raketen über den bisherigen Haus-
haltsansatz hinausgehen?
B
Das wird eine Entschei-
dung des Parlamentes sein. Das Parlament wird nach
Beendigung der schlimmen kriegerischen Auseinander-
setzung auf dem Balkan auswerten müssen, was wir
verbraucht haben. Bis jetzt sind es etwa 100. Die maka-
bre Logik moderner Waffentechnologie hat es nun ein-
mal so an sich, daß man sich die Frage stellen muß, ob
wir, wie bisher, mehr als 1 000 solcher Raketen benöti-
gen oder ob wir für die Zukunft nicht möglicherweise
weniger beschaffen – unter dem Gesichtspunkt, daß ihr
Einsatz noch präziser ist, auch wenn wir natürlich hof-
fen, daß wir sie nie einsetzen müssen.
Ausrechnen können Sie das alles. Zur Zeit haben wir
noch 900.
Ich rufe die
Frage 10 der Abgeordneten Dr. Höll auf:
Wie hoch liegen die Gesamtausgaben für diesen Militärein-satz gegenwärtig pro Tag?
B
Frau Dr. Höll, wegen der
unterschiedlichen Aktivitäten und der unterschiedlichen
deutschen Beteiligung an den NATO-Operationen ver-
laufen die Ausgaben nicht kontinuierlich; schon gar
nicht sind sie pro Tag zu berechnen. Man erhielte eine
solche Angabe natürlich, wenn man die Gesamtausga-
ben des Quartals durch die Anzahl der Tage teilte; aber
auch das ist schief, weil Sie bedenken müssen, daß Be-
schaffung von Material oder Gerät nicht auf den Tag
umzurechnen ist. Die Angabe der Gesamtausgaben habe
ich Ihnen ja zugesagt, und das werden Sie dann auch be-
kommen.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, da,
wie Sie wissen, ab heute die Bereinigungssitzung im
Haushaltsausschuß läuft, würde mich interessieren – ge-
rade unter den von Ihnen noch einmal unterstrichenen
Voraussetzungen von Haushaltsklarheit und -wahrheit –,
ob es nicht möglich und notwendig wäre, diese Zahlen
vor der abschließenden zweiten und dritten Lesung des
Haushaltes 1999 einzuarbeiten.
B
Wir haben sie eingear-
beitet. Noch gibt es keinen Grund, anzunehmen, daß die
Summen, die wir zum Beispiel für den Kosovo-Einsatz,
für das Warten in Mazedonien oder die Flüchtlinge vor-
gesehen haben, höher sein werden, als sie von uns ge-
schätzt wurden. Es gibt allerdings zwei Unwägbarkeiten,
Frau Dr. Höll: Wir wissen nicht, ob wir nicht bald in die
Situation kommen, daß es zu einer Beendigung der Luft-
schläge und der kämpferischen Auseinandersetzung
kommt und dann der Wiederaufbau erfolgen muß, und
wir müssen eine zweite Frage beantworten, nämlich die,
wie viele Soldaten wir im Kosovo benötigen, um dort
die Rückkehr der Flüchtlinge zu organisieren. Ich kann
mir ja auch vorstellen, daß die Bevölkerung Jugoslawi-
ens – wenn sie die Möglichkeit erhält, vielleicht eine
andere politische Führung zu bekommen – bei diesem
Aufbau sehr viel aktiver mithelfen wird und die Not-
wendigkeit, dort mit mehreren zehntausend Soldaten
hineinzugehen – so wird das jetzt geschätzt –, dann nicht
gegeben ist. Das hängt sehr stark davon ab, was in den
nächsten Wochen passiert. Hoffentlich dauert es nicht
noch Monate.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Frau Staatssekretärin, diese
Unwägbarkeiten sind auf alle Fälle vorhanden. Inwie-
weit haben Sie aber Vorsorge dahin gehend getroffen,
wenn der Einsatz, der jetzt stattfindet, nicht so schnell
beendet werden kann, wie Sie sich das wahrscheinlich
wünschen und wie auch wir uns das wünschen, nämlich
am besten sofort, heute? Wir haben dafür allerdings eine
andere politische Begründung; wir denken, man kann
den Frieden nicht herbeibomben. Wenn sich dieser Ein-
satz zeitlich in die Länge zieht: Von welchen Bedingun-
gen der Finanzierung eines längeren Einsatzes sind Sie
ausgegangen?
B
Frau Kollegin, wir habenja, wie ich in meiner Antwort vorhin gesagt habe, ersteinmal die Überlegung gehabt, das Rambouillet-Abkommen umzusetzen. Dafür hätte die BundesrepublikDeutschland einen entsprechenden Beitrag leisten müs-sen. Es gibt im deutschen Haushaltsrecht ein gutes In-strument; das ist die überplanmäßige Ausgabe. Dasmacht man dann, wenn man es von vornherein nichtweiß. Es wäre auch nicht zu leisten, die Ausgaben fürdas ganze Jahr, in dem sich ja die politische und damitauch militärische Lage ändern kann, von vornherein zuberechnen.Ich habe heute morgen mit Freuden gehört, daß derObmann der SPD-Fraktion im entsprechenden Ausschußim Frühstücksfernsehen erklärt hat, daß überplanmäßigeParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
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Ausgaben befürwortet werden, wenn sie sich als wichtigund richtig herausstellen sollten. Dann werden auch Sieentsprechende Informationen bekommen.
Zusatzfrage des
Abgeordneten Dr. Küster.
Frau Staatssekretärin
Schulte, können Sie mir erklären, warum die PDS weder
nach den Kosten, die durch die Vertreibung und den fa-
schistischen Terror im Kosovo entstanden sind, noch
nach den Kosten, die bei der Wiederherstellung einer
Zivilgesellschaft im Kosovo entstehen, gefragt hat?
B
Herr Kollege Küster, ich
vermute, daß sich die Kollegen das im stillen schon fra-
gen werden. Sie haben möglicherweise eine Rolle über-
nommen, die es ihnen jetzt nicht erlaubt, solche Fragen
zu stellen. Ich muß in dieser Beziehung hoffen. Ich ken-
ne eine Reihe von Leuten bei ihnen, die wissen: Natür-
lich ist es eine Katastrophe, daß dieser Mann nicht nur
die Vertreibung von über 1 Million Menschen, sondern
auch die Zerstörung der Infrastruktur fertiggebracht hat.
Wer von uns das ehemalige Jugoslawien kennt – darin
sind wir Westdeutsche Ihnen gegenüber im Vorteil;
denn wir sind ja als Urlaubsgäste gern in dieses Land
gefahren –, der kann sich nur mit Fassungslosigkeit vor-
stellen, wie viele Milliarden am Ende gebraucht werden,
um das alles wieder aufzubauen. Die Ursache ist Milo-
sevic; er ist es seit 1988.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, die nachdenk-
lichen Kollegen unter den PDS-Mitgliedern zu bitten,
auch dies in die Diskussion hineinzutragen.
Ich danke Ihnen für die Frage.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Johannes Kahrs.
Frau Staatssekretärin,
stimmen Sie mir zu, daß die Fragen der PDS zu dem
Elend und dem Leid im Kosovo, die wir nun täglich
erleben, in keinem Verhältnis stehen, daß der billige
Versuch, hier innenpolitische Punkte zu machen, jen-
seits all dessen ist, was eigentlich diesem Hohen Hause
zumutbar ist, und daß man vielleicht auch danach fragen
sollte, warum alle diese Fragen von den zuständigen
Abgeordneten eigentlich nicht im Verteidigungsaus-
schuß gestellt werden?
B
Herr Kollege Kahrs, da
ich mich daran erinnere, daß man in der Opposition
manchmal eine andere Rolle einnimmt und dies mit-
unter bereut, wenn man sich hinterher, ein paar Monate
später, noch einmal mit der gleichen Frage auseinan-
dersetzt, habe ich die große Hoffnung – ich sage das
jetzt nicht ironisch –, daß viele Mitglieder der PDS, die
einen solchen Mann vermeintlich in Schutz nehmen –
ich glaube, das wollen die meisten gar nicht –, darüber
nachdenken und erkennen, welchen Schaden dieser
Mann anrichtet.
– Daß es dazu keine Äußerung gibt, stimmt nicht. Ich
lese ab und zu auch einmal das „Neue Deutschland“, ich
lese die „Junge Welt“. Frau Dr. Höll, Sie haben wahr-
scheinlich nur die westdeutschen Zeitungen gelesen. Ich
muß Ihnen aber wirklich sagen: Was man von Ihren
Vertretern in den neuen Bundesländern teilweise an Fra-
gen gestellt bekommt, ist schon toll.
Herr Kahrs, ich kann nur empfehlen, den Dialog mit
den Kollegen – und zwar von jeder Seite – zu führen,
damit diese sehen, daß sie sich in eine Position verrannt
haben, die falsch ist.
Eine Zusatzfrage
der Abgeordneten Ostrowski.
Zurück zum Fach-
lichen und zum Sachlichen; denn wir sind ja im Bun-
destag. Wir stellen die Fragen, für deren Beantwortung
die deutsche Bundesregierung zuständig ist.
Frau Staatssekretärin, wir hätten die Frage vielleicht
so formulieren sollen – da gebe ich Ihnen recht –, daß
von den durchschnittlichen Kosten pro Tag die Rede ist.
Das wäre exakter gewesen. Trotzdem wundere ich mich:
Sie müssen doch wissen, wieviel bisher ausgegeben
worden ist. Ich verstehe nicht, warum Sie uns immer
darauf verweisen, daß am 31. März. das Quartal beendet
ist. Sie können mir doch nicht erzählen, daß Sie im
Verteidigungsministerium nicht wissen, was bisher aus-
gegeben worden ist.
B
Frau Kollegin Ostrowski,ich kann Ihnen schon sagen – das ist bereits für die Be-reinigungssitzung vorbereitet –, daß wir in diesem Jahrbereits gut 25 Prozent der Mittel vom Haushaltsansatz –wir befinden uns ja in einer vorläufigen Haushaltsaus-führung – ausgegeben haben. Ich kann Ihnen sogar sa-gen, warum das so ist. Wir dürften eigentlich gar nichtso viel ausgeben. Die Beamtengehälter werden aber be-kanntlich schon am Ende des Monats für den darauffol-genden Monat gezahlt; deswegen sind die Beamtenge-hälter für den April in der Quartalsrechnung enthalten.Die Einzelheiten – es geht um differenzierte Titel, diesich zwischen einigen tausend D-Mark und einigen hun-derttausend D-Mark befinden – kann auch die besteParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
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(D)
Verwaltung – das Bundesministerium der Verteidigungist ja kein kleines Ministerium, es hat immerhin diestattliche Anzahl von über 3 000 Mitarbeitern – zu die-sem Zeitpunkt noch nicht exakt vorlegen. Sie könnensich aber gewiß sein, daß nicht in erster Linie die PDS,sondern natürlich die Kollegen von der Union und vonder F.D.P., die solche tollen Berechnungen in die Weltgesetzt haben, alles tun werden, um Einzelheiten zu er-fahren. Als ich vom Kollegen Austermann – ich glaubejedenfalls, daß er es war – gelesen habe, daß er von1 Milliarde DM sprach, habe ich mich gefragt: Na, werhat da im Ministerium wieder irgend etwas aufgeschrie-ben? Es könnte ja sein, daß das schneller an die Opposi-tion als an die Regierung geraten ist. Das war aber nichtder Fall. Vielmehr hatte sorgfältige Berechnung, wasalles sein könnte – Einsatz von SFOR-Truppen imKosovo und andere Dinge –, dazu geführt.Ich würde Ihnen hier eine falsche Zahl nennen. Dasmöchte ich einfach nicht. Deswegen sollten Sie Ver-ständnis für die Aussagen haben, die Sie bekommen.Wir führen schon ordentlich Buch. Es ist allerdings erstder 21. April.
Eine letzte Zusatz-
frage zu diesem Kapitel, Frau Lippmann.
Frau Staatssekretärin, hier
ist schon mehrfach der Irrtum aufgekommen, daß die
Kritik der PDS am NATO-Einsatz mit einer einseitigen
Unterstützung Milosevics, mit einer Duldung der huma-
nitären Katastrophe, die dort stattfindet, gleichzusetzen
sei.
Dies weise ich erneut zurück. Aber in einem pluralisti-
schen, demokratischen System wie der Bundesrepublik
Deutschland muß es gerechtfertigt sein, daß die Opposi-
tion auch unliebsame Fragen stellt.
Deswegen frage ich jetzt noch einmal ganz konkret zu
Ihren wiederholten Äußerungen – –
– Lassen Sie mich bitte ausreden, dann frage ich auch. –
Ich frage ganz konkret zu Ihren wiederholten Äußerun-
gen, inwieweit der Auftrag oder die politische Zielset-
zung des NATO-Einsatzes, nämlich die Verhinderung
einer humanitären Katastrophe, die Flucht und Vertrei-
bung von Menschen aus dem Kosovo tatsächlich ver-
hindert hat. Vielleicht können Sie es auch zahlenmäßig
benennen: Wie viele Flüchtlinge wurden durch den
NATO-Einsatz nicht vertrieben?
B
Frau Kollegin Lippmann,
das finde ich fast zynisch. Das hätte ich von Ihnen nicht
erwartet.
Das ist aber genauso zy-
nisch wie Ihre Argumentation!
Einen Moment bit-
te! Das Wort hat die Staatssekretärin.
B
Sie sind mit mir und an-
deren zusammen in Mazedonien gewesen. Wir haben
uns das angeschaut. Ich denke immer an Leute wie Sie
oder auch an andere, deswegen unterstelle ich Ihnen
nichts. Ich weiß, daß man Fragen stellen kann, die unter-
schiedlicher Art sind. Aber diese Frage ist nun ganz be-
sonders makaber.
Was hätten wir denn tun sollen? Wir wußten, daß
Milosevic schon mit der Vertreibung begonnen hatte,
daß sich die Menschen bereits in den Wäldern befanden,
daß sie zum Teil auch interniert waren. Wäre die richti-
ge Antwort gewesen, nichts zu tun? Ich gestehe Ihnen zu
– das treibt doch jeden von uns um –: Nicht zu handeln
hätte uns schuldig gemacht; zu handeln bedeutet, auch
Risiken einzugehen. Natürlich sind wir Risiken einge-
gangen, sogar in großem Maße. – Aber ich begreife
nicht, wie Sie uns so etwas unterstellen können. Ich
kann das nicht nachvollziehen.
Ich rufe die
Frage 11 des Abgeordneten Gehrcke auf:
Trifft es zu, daß die UCK seit dem März 1999 logistischdurch die NATO unterstützt wird?
B
Herr Kollege, ich sage Ih-
nen ganz deutlich: Nein, es trifft nicht zu, daß die UCK
logistisch durch die NATO unterstützt wird.
Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin,
ich weiß nicht, ob es gestattet ist, aber ich möchte mich
zunächst einmal für Ihre Aufforderung an die Kollegen
des Hauses bedanken, politische Differenzen im Dialog
auszutragen.
Ich halte es für ausgesprochen wichtig, daß dies gewahrt
bleibt.
Meine Zusatzfrage: Heute informierte uns im Aus-
wärtigen Ausschuß ein Kollege der Unionsfraktion – um
ihn wörtlich zu zitieren –: Amerika ist dabei, UCK-
Leute auszubilden, an verschiedenen Orten: in den USA,
in Kanada und Albanien. Gehen Sie mit mir davon aus,
daß die Kollegen der Unionsfraktion ihre Aussagen sehr
gründlich überprüfen? Liegen solche Erkenntnisse mög-
licherweise auch der Bundesregierung vor?
B
Ich lese und höre vieleParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
Metadaten/Kopzeile:
2714 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
Dinge, Herr Kollege Gehrcke. Ich muß Ihnen sagen: AlsIhre Frage in unserem Haus einging, habe ich den Sach-verhalt sorgfältig prüfen lassen. Sie wissen es nicht, aberich war immerhin 12 Jahre NATO-Parlamentarierin.Ich kann Ihnen sagen: Die NATO – danach haben Siegefragt – unterstützt die UCK logistisch und militärischnicht. Was einzelne Staaten machen, weiß ich nicht. Ichhöre vieles darüber, habe aber aus dem Munde des ame-rikanischen Verteidigungsministers oder des Oberbe-fehlshabers der NATO noch keine Bestätigung für einesolche Behauptung bekommen.Ich weiß natürlich – das sage ich hier sehr deutlich –,daß selbst in Deutschland lebende UCK-Kämpfer vonihresgleichen aufgefordert werden, in ihr Land zurück-zukehren. – Wir hatten übrigens die gleiche Situation,als die Auseinandersetzungen in Bosnien-Herzegowinabegannen, als die Krajina besetzt wurde. Auch damalssind die jungen Männer – noch als jugoslawische Staats-angehörige – aufgefordert worden, in ihr Heimatland zu-rückzukehren.Ich kann Ihnen aber mit gutem Gewissen sagen: DieNATO unterstützt die UCK nicht.
Dann rufe ich die
Frage 12 des Abgeordneten Gehrcke auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Rekrutierung neuerUCK-Kämpfer in den von der NATO organisierten Flüchtlings-lagern?
B
Ich habe Ihnen gesagt,
daß die Bundesregierung keinerlei Aktivitäten der UCK-
Kämpfer unterstützt. Sie ist auch in den internationalen
Flüchtlingslagern nicht an solchen Aktivitäten beteiligt.
Daran merken Sie schon, daß ich die Frage offenhal-
te, ob nicht doch ohne Wissen von uns, unseren Soldaten
und auch den Non-governmental organizations so etwas
geschieht. Es wäre vermessen, wenn ich dies nicht täte.
Wir aber unterstützen die UCK-Kämpfer nicht, weder
die Bundesregierung noch das Parlament.
Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin,
ich lerne, daß ich meine Fragen präziser stellen muß. Ich
danke für diese Belehrung.
Wäre die Bundesregierung in der Lage, sich sachkun-
dig zu machen, ob sich einzelne NATO-Staaten an der
logistischen Ausbildung der UCK beteiligen?
B
In dem Bemühen, sich
sachkundig zu machen, wird die Bundesregierung noch
immer vom Parlament übertroffen. Das hoffe ich zu-
mindest; denn das ist es, was dem Bürger bei einer Wie-
derwahl wichtig ist.
Wir versprechen Ihnen, daß wir, wenn wir etwas dar-
über erfahren, dies Ihnen mitteilen. Das ist auch in unse-
rem gemeinsamen Interesse.
Natürlich haben Sie recht. Ich habe mir Ihre Frage
sehr sorgfältig angeguckt und dann eine Antwort darauf
formuliert. Nach gutem Wissen und Gewissen kann ich
Ihnen sagen: Das ist so.
Eine Zusatzfrage
des Abgeordneten Opel.
Frau Staatssekretärin, ich be-
grüße es, daß der Kollege Gehrcke sagt, man solle sich
politisch auseinandersetzen.
Nun verstehe ich seine Frage so, daß der NATO quasi
als Soupçon unterstellt wird, sie würde Flüchtlingslager
organisieren, unter anderem um dort UCK-Kämpfer
auszubilden, zu deutsch: sich an einer subversiven mili-
tärischen Aktion im Kosovo unter NATO-Mandat zu
beteiligen.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Meinung,
daß angesichts der begrenzten Mittel der Hohen Kom-
missarin der UN für das Flüchtlingswesen und ange-
sichts der begrenzten Möglichkeiten der Nichtregie-
rungsorganisationen und der Hilfsorganisationen, die in
den Randgebieten zum Kosovo wirklich Unmenschli-
ches leisten – sieben Tage die Woche, 24 Stunden am
Tag –, die zusätzliche Hilfe, die unsere Soldaten leisten
können, weil sie noch dort sind und hoch motiviert sind,
nicht so mißinterpretiert werden darf, daß die NATO die
Flüchtlingslager mißbraucht, um dort den militärischen
Widerstand gegen Milosevic zu organisieren und zu un-
terstützen? Durch eine solche Interpretation würden die
Flüchtlingslager diskreditiert.
B
Das kann ich eigentlichnur mit einem schlichten Ja beantworten. Ich bin Ihnenfür Ihre Frage dankbar – auch wenn sie von der Beant-wortung der Frage von Herrn Gehrcke etwas wegführt –,weil sie mir die Gelegenheit gibt, die Leistungen derBundeswehr zu würdigen. Frau Kollegin Lippmann undandere Abgeordnete wissen, was wir im Kosovo erlebthaben, als der Konflikt vor Ostern begann, und was dieSoldaten und die Vertreter der Non-governmental orga-nizations, die natürlich Leute brauchten, die ihnen helfensollten, geleistet haben. Die Soldaten der Transportge-schwader und der anderen Bereiche haben, abgesehenvon denjenigen, die sowieso als Bereitschaft da waren,sofort ihren Urlaub storniert und auch alle sonstigen pri-vaten Pläne zurückgestellt, um Hilfe zu leisten. Auf dieLeistung der Bundeswehr, die sie dort unter humanitärenGesichtspunkten erbringt, können wir alle gemeinsamstolz sein.Ich möchte in diesem Zusammenhang auch meinenKollegen Walter Kolbow erwähnen. Was er im Momentin Mazedonien unter humanitären Gesichtspunkten lei-stet und wie er das Ganze organisiert, ist schon bewun-derungswürdig. Es ist vor diesem Hintergrund schlimm,Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2715
(C)
(D)
Herr Kollege Opel, daß wir es bisher nicht geschafft ha-ben, den Konsens in diesem Haus darüber zu vergrö-ßern, daß die Vertreibungen eine Katastrophe sind unddaß sie ein Verbrechen an der Menschheit darstellen.Umgekehrt zeigen die Beispiele, daß es auch Mensch-lichkeit gibt.
Ich rufe Frage 13
der Abgeordneten Lippmann auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die alliiertenStreitkräfte bei ihren Kampfeinsätzen im Kosovo auch Geschos-se bzw. Marschflugkörper mit angereichertem Uran verwenden?
B
Frau Kollegin Lippmann
hat gefragt, ob die alliierten Streitkräfte bei ihren
Kampfeinsätzen im Kosovo auch Geschosse bzw.
Marschflugkörper mit angereichertem Uran verwenden.
Das Wort „angereichert“ in Ihrer Frage haben wir durch
„abgereichert“ ersetzt, weil wir uns den Einsatz von
Munition mit angereichertem Uran nicht vorstellen kön-
nen.
Ich kann Ihnen, Frau Kollegin, sagen, die Bundesre-
gierung kann nicht bestätigen, daß Geschosse bzw.
Marschflugkörper mit angereichertem Uran bei Kampf-
einsätzen im Kosovo verwendet werden. Da Sie wahr-
scheinlich auch nach Munition mit abgereichertem Uran
fragen werden – Sie beschäftigen sich ja mit dieser
Thematik –, kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt nur ame-
rikanische Maschinen, die bei diesem Einsatz Munition
mit abgereichertem Uran verwenden können. Es handelt
sich hier um eine panzerbrechende Munition. Den mit
dieser Thematik nicht so vertrauten Kollegen sollte man
sagen, daß diese Munition nur durch ihre Durchschlags-
kraft wirkungsvoll ist und nichts mit strahlender Muni-
tion zu tun hat.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin
Schulte, vor ungefähr zwei Stunden ist eine Meldung
über den Ticker gekommen, die besagt, daß das ARD-
Magazin „Monitor“ am kommenden Donnerstag einen
entsprechenden Bericht senden wird, in dem bestätigt
und wissenschaftlich nachgewiesen wird, daß die ameri-
kanischen Flugzeuge vom Typ A 10 und auch die gerade
jetzt in Albanien eintreffenden Apache-Hubschrauber
mit uranabgereicherter Munition bestückt sind. Stimmen
Sie der in dieser Tickermeldung enthaltenen Aussage zu,
daß nach dem Aufschlag der Munition eine durch Rei-
bung ausgelöste strahlende Wolke entsteht, die im
Golfkrieg sehr große Schäden verursacht hat? Diese
strahlende Wolke – –
Das war jetzt Ihre
Frage, Frau Kollegin. Ich glaube, sie ist verstanden wor-
den. – Frau Staatssekretärin.
B
Frau Lippmann, ich kann
das nicht bestätigen. Ich weiß nur, daß die Munition mit
abgereichertem Uran eine große Durchschlagskraft hat.
Ich kann mich erinnern, daß wir darüber eine Diskussion
im Parlament – da waren Sie nicht anwesend – geführt
haben.
Bei „Monitor“ würde ich von vornherein nicht glau-
ben, daß alles stimmt. Wichtig war mir hier, daß der
Unterschied zwischen abgereicherter Munition und an-
gereicherter Munition klargestellt wird. Im übrigen kann
ich bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen, daß die-
se Munition eingesetzt worden ist; denn wir haben na-
türlich auch andere panzerbrechende Munition. Aber der
Hinweis ist richtig: Die beiden Waffenträger – das Flug-
zeug und auch der Hubschrauber – besitzen solche Mu-
nition.
Dann rufe ich die
Frage 14 der Abgeordneten Lippmann auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über dieSchäden vor, die durch diese radioaktive Munition unmittelbarund mittelbar angerichtet werden?
B
Frau Kollegin, da diese
Munition nach unserem Wissen nicht verwendet wird,
können keine Schäden angerichtet werden. Aber das be-
zieht sich natürlich auf die Munition mit angereichertem
Uran. Ich will der Korrektheit halber sagen: Sie hatten
nach angereichertem Uran gefragt.
Die Strahlungsfähigkeit von abgereichertem Uran
liegt übrigens nicht höher als bei vielen anderen Mate-
rialien. Das habe auch ich erst lernen müssen.
– Da ist ja ein Fachmann.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wie
erklären Sie die Äußerung der UN-Menschenrechts-
organisation aus dem Jahre 1996, die derartige Munition
mit abgereichertem Uran als menschenverachtend ge-
ächtet hat, und die nachgewiesenen Schäden, die es ins-
besondere im Golfkrieg gegeben hat?
B
Ich kann mich sehr gutdaran erinnern, daß im Golfkrieg über vieles spekuliertworden ist, was aber nicht bestätigt worden ist. Wir wis-sen auch, daß chemische Kampfstoffe freigesetzt wor-den sind, wahrscheinlich durch Angriffe des Bündnisses,weil Herr Saddam Hussein offensichtlich hinter denReihen chemische Munition hatte. Aber ich kann Ihnennicht bestätigen, daß solche Schäden durch abgerei-cherte Munition entstanden sind.Frau Kollegin, wir können das Thema gern im Ver-teidigungsausschuß aufnehmen. Wir können noch ein-Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
Metadaten/Kopzeile:
2716 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
mal darüber reden und uns noch sachkundiger machen.Wir haben ja Wissenschaftler in unseren Reihen, die Ih-nen dazu mehr sagen können. Der Kollege Opel nebenIhnen versteht viel davon, der Kollege Küster auch.
Die letzte Zusatz-
frage hat der Kollege Reinhold Robbe.
Frau Staatssekretärin, teilt
die Bundesregierung meine grundsätzliche Auffassung,
daß sämtliche Fragen, die hier von der PDS gestellt
wurden, dazu geeignet sind, die PDS nicht zuletzt zum
Sprachrohr von Herrn Milosevic zu machen?
B
Herr Kollege Robbe, ich
hoffe das nicht, weil ich immer noch an die Lernfähig-
keit einzelner gewählter Parlamentarier glaube – nicht
insgesamt an die Lernfähigkeit der PDS; da bin ich ge-
nauso skeptisch wie Sie. Da ich einen Teil dieser Parla-
mentarier gut kenne – nicht nur Frau Lippmann aus Nie-
dersachsen, sondern auch Herrn Rössel aus seiner ande-
ren Tätigkeit –, will ich das immer noch nicht anneh-
men. Ich will nur annehmen, daß sie sich auf die falsche
Seite geschlagen haben.
Ich rufe die Frage
15 der Kollegin Annette Widmann-Mauz auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus dervon der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, ClaireMarienfeld, in ihrem jüngsten Jahresbericht festgestellten man-gelnden politischen Bildung der Soldaten ziehen?
B
Frau Kollegin, die Frau
Wehrbeauftragte hat festgestellt, daß bei jungen Solda-
ten die Unkenntnis über politische und geschichtliche
Zusammenhänge ausgeprägt ist.
– Manchmal trifft das auch auf Abgeordnete zu; ich ha-
be gerade an andere gedacht, die den Zwischenruf ge-
macht haben. Den jungen Soldaten sind politische und
geschichtliche Zusammenhänge zum Teil nur mangel-
haft bewußt.
Die Feststellungen im Jahresbericht 1998 der Frau
Wehrbeauftragten werden im Bundesministerium der
Verteidigung natürlich sehr ernst genommen. Sie sind
übrigens auch in der Vergangenheit ernst genommen
worden. Wir versuchen wirklich, daß der politischen
Bildung in den Streitkräften große Aufmerksamkeit ge-
widmet wird. Der vorangegangene Generalinspekteur
und noch mehr der jetzige Generalinspekteur von Kirch-
bach haben sich dieser Frage besonders angenommen.
Ich hoffe, wir werden sehen, daß das Erfolg hat.
Lassen Sie mich als ehemalige Lehrerin sagen, daß
mangelhaftes politisches und geschichtliches Wissen
nicht nur in der Bundeswehr zu erkennen ist. Vielmehr
mangelt es auch in großen Teilen unserer Gesamtbevöl-
kerung an politischem Wissen und Geschichtsbewußt-
sein.
Zusatzfrage.
Frau Staats-
sekretärin, können Sie dann meine Einschätzung teilen,
daß es dringend notwendig ist, in Maßnahmen der politi-
schen Bildung speziell für Soldaten verstärkt zu inve-
stieren?
B
Wir tun das, Frau Kolle-
gin. Sie haben nicht miterlebt, wie sehr wir uns bemüht
haben, als die rechtsextremen Vorfälle und die Gewalt-
vorfälle in der letzten Wahlperiode aufgetreten sind.
Unabhängig von parteipolitischer Bewertung hat sich
der Verteidigungsausschuß als lange dauernder Untersu-
chungsausschuß mit großer Sorgfalt darum bemüht, Ur-
sachen zu untersuchen, keine Schuldzuweisungen vor-
zunehmen. Es wird viel getan. Wenn Sie die Gelegen-
heit haben, die Bundeswehr aufzusuchen, wird sie Ihnen
darstellen, was sie macht. Ich lade Sie gerne ein. Bei
Gelegenheit zeigen wir Ihnen gern, was alles geschieht.
Daran liegt es nicht. Man bekommt ab und zu den Hin-
weis von Soldaten: Ach, schon wieder, nur weil wieder
ein rechtsextremer Vorfall passiert ist! – Wir machen es
mit großer Sorgfalt. Dabei geht es nicht nur um Links-
oder Rechtsextreme – wir haben beides –, sondern es
geht natürlich auch um die Gewaltpotentiale und die
Gewaltschwelle.
Ich kann Ihnen das bei Gelegenheit gern einmal zei-
gen. Ich lade Sie ein, einmal die Bundeswehr zu besu-
chen.
Keine weitere Zu-
satzfrage. Dann rufe ich Frage 16 der Kollegin Wid-
mann-Mauz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhangdie politische Bildungsarbeit der „Arbeitsgemeinschaft Staat undGesellschaft“ ?
B
Ich war ganz überrascht,weil ich zu denjenigen gehörte, Frau Kollegin, die garnicht wußten, was die „Arbeitsgemeinschaft Staat undGesellschaft“ eigentlich ist. Das ist wahrscheinlich vonLandsmannschaft zu Landsmannschaft verschieden. Ichhabe mich inzwischen erkundigt und habe gehört, daßsie sich besonders um den Bereich der Bildung bemühthat und daß die Bundeswehr z. B. im Jahre 1996 240mehrtägige Seminare und 254 Tagesseminare mit der„Arbeitsgemeinschaft Staat und Gesellschaft“ durchge-führt hat.Aber wie das so ist, die finanzielle Knappheit stehtschon länger an. Es war die Kollegin Ina Albowitz, dieim Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages imNovember 1993, natürlich mit Zustimmung der übrigenParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2717
(C)
(D)
Kollegen im Haushaltsausschuß, gefordert hat, eine Um-stellung der institutionellen Förderung auf projektbezo-gene Bereiche vorzunehmen. Einzelplan 06 – das ist derEinzelplan des Innenministers – ist dort eigentlich ange-sprochen. Das heißt, Sie müßten weitere Dinge mit denKollegen beraten. Wir haben gute Erfahrungen gemacht.Das Verteidigungsministerium bezahlt nur die entspre-chenden Bildungsveranstaltungen, die es auch wahr-nimmt.
Zusatzfrage.
Frau Staats-
sekretärin, Sie haben richtig festgestellt, daß die ASG
seit Jahren aus dem Bundeshaushalt gefördert wird, und
haben jetzt auch deren Arbeit gewürdigt. Vor dem Hin-
tergrund meiner vorangegangenen Frage nach der Be-
deutung der politischen Bildung innerhalb der Bundes-
wehr frage ich Sie: Denkt die Bundesregierung darüber
nach, die Förderung der politischen Bildungsarbeit der
ASG im Rahmen der Bundeszentrale für politische Bil-
dung weiterzuführen bzw. wieder aufzunehmen oder zu-
künftig als eigenständigen Titel im Bundeshaushaltsplan
zu führen?
B
Ich denke, daß diese Ar-
beitsgemeinschaft genauso wie andere die Chance hat,
für die Bundeswehr, aber auch in anderen Bereichen des
öffentlichen Dienstes in der Weiterbildung tätig zu wer-
den. Sie wird nur keine institutionelle Zuwendung be-
kommen. Dafür haben wir, Frau Kollegin, natürlich die
politischen Stiftungen, die aus dem Haushalt des Innen-
ministeriums und darüber hinaus, je nachdem, welche
Arbeit sie machen, aus dem Entwicklungshilfeministeri-
um und dem Auswärtigen Amt bezuschußt werden.
Eine Bezuschussung aus dem Verteidigungsministe-
rium erfolgt nicht. Beim Verteidigungsministerium ist
nur möglich, daß Veranstaltungen angeboten werden
und daran teilgenommen wird. Es ist der Wille des Par-
laments gewesen, daß nur die jeweiligen Lehrgänge be-
zuschußt werden. Je nach Landsmannschaft sind ver-
schiedene Einrichtungen tätig. Bei uns in Niedersachsen
zum Beispiel ist es eher die ländliche Erwachsenenbil-
dung oder die von den Gewerkschaften getragene Ein-
richtung „Arbeit und Leben“. Wenn diese Einrichtungen
oder die Arbeitsgemeinschaft gute Arbeit geleistet ha-
ben, bekommen sie die jeweiligen Lehrgänge bezahlt.
Da ich Gutes gehört habe, müßte die ASG eigentlich
weiter gefördert werden. Ich weiß aber, nachdem ich ge-
forscht habe, daß diese Einrichtung natürlich Sorgen be-
züglich ihrer Existenz in der Zukunft hat.
Frau Staats-
sekretärin, habe ich Sie also richtig verstanden, daß Sie
dem Bundesinnenminister empfehlen würden, die Arbeit
der Arbeitsgemeinschaft weiter zu fördern und ihr als
einer Einrichtung, die ganz gezielt und ganz spezifisch
die Interessen der Soldaten in bezug auf politische Bil-
dung befriedigt und diese nach Ihrer eigenen Aussage
auch erfolgreich befriedigt hat, die Möglichkeit zu ge-
ben, ihre Arbeit fortzusetzen?
B
Von CDU/CSU und
F.D.P. – ich denke, die anderen haben mitgemacht – ist
beschlossen, daß die Förderung aus dem Bundeshaushalt
in Form einer institutionellen Förderung bis zum
31. Dezember 2002 beendet ist. Das ist fast ein Gesetz.
Ich glaube nicht, daß der Innenminister – aber da müß-
ten Sie die Fragen an das Innenministerium richten –
neue Vorschläge entwickeln wird. Das ändert aber
nichts daran, daß auch diese Einrichtung und andere ent-
sprechende Einrichtungen wie „Arbeit und Leben“ Bil-
dungsangebote an die Bundeswehr richten können, aber
sie bekommen dann nur das jeweilige Seminar finan-
ziert.
Damit sind wir am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Frau
Staatssekretärin.
Die Fragen 17, 18 und 19 der Abgeordneten Ulrike
Flach und Ulrich Heinrich aus dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael
Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Bärbel Sothmann
auf:
Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung – ange-sichts der gravierenden Unterrepräsentanz von Frauen in Füh-rungspositionen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen– die Frauenförderung nach dem Auslaufen des Hochschulson-derprogramms III weiterführen?
W
Frau
Kollegin Sothmann, wenn Sie einverstanden sind, be-
antworte ich Ihre Fragen 20 und 21 im Zusammenhang.
Wie ich sehe, sind
die Kolleginnen und Kollegen einverstanden. Dann rufe
ich jetzt zugleich die Frage 21 auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus derFeststellung der Bund-Länder-Konferenz ziehen, daß die Förde-rung von Frauen integraler Bestandteil aller hochschul- und for-schungspolitischen Maßnahmen sein muß und nicht in begrenzteSonderprogramme abgedrängt werden darf?
W
DieBundesregierung setzt in ihrer Arbeit einen besonderenSchwerpunkt bei der Stärkung der Gleichberechtigungvon Frauen. Die Verbesserung der Chancen von Frauenan Hochschulen und Forschungseinrichtungen und ins-besondere die Steigerung der Frauenanteile an Füh-Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
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2718 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
rungspositionen an Hochschulen und Forschungsein-richtungen haben dabei einen zentralen Stellenwert. Siewissen, daß die bisherige Ausgangslage mit einem Frau-enanteil von 9 Prozent an den Professuren – Stichjahr1997 – und 3,7 Prozent an Führungspositionen der außer-universitären Forschungseinrichtungen – Stichjahr 1998– absolut unbefriedigend ist.Das unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf,um das Defizit an Frauen in verantwortungsvollen Posi-tionen in Wissenschaft und Forschung schnellstmöglichabzubauen. Es gilt deshalb vor allem, den an den Hoch-schulen und Forschungseinrichtungen absehbaren Gene-rationswechsel zu nutzen, um eine schnelle und deutli-che Verbesserung der Frauenanteile an den Führungs-positionen zu erzielen und Frauen gleichberechtigt anForschung und Lehre zu beteiligen.Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es sichbei der Herstellung von Chancengleichheit für Frauen anHochschulen und Forschungseinrichtungen nicht umeine kurzfristige Sonderaufgabe handelt, die etwa durchein befristetes Sonderprogramm bewältigt werden könnte.Vielmehr sehen wir darin – leider noch für längere Zeit –eine Daueraufgabe. Die Verbesserung der Chancen fürFrauen ist aus unserer Sicht ein Beitrag zur Qualitäts-sicherung, Leistungssteigerung und Stärkung der Wett-bewerbsfähigkeit. Mit einer solchen Politik schöpfen wirzusätzliche Ressourcen für Forschung und Lehre aus.Deshalb ist es erforderlich, Chancengleichheit als durch-gängiges Leitprinzip in alle bildungs- und forschungspo-litischen Maßnahmen unseres Hauses zu integrieren.Im Bundesministerium für Bildung und Forschunghaben wir bereits wesentliche Schritte eingeleitet, dieich nennen möchte: Zur Wahrnehmung dieser zentralenAufgabe ist das Referat „Frauen in Bildung und For-schung“ Teil der Unterabteilung „Strategie“ der Zentral-abteilung für Grundsatzfragen und wirkt auf die strategi-sche Ausrichtung aller Maßnahmen und Programme desBMBF ein. Zudem wird im Haushalt 1999 ein neuerHaushaltstitel „Strategien zur Durchsetzung der Chan-cengleichheit für Frauen in Bildung und Forschung“ ge-schaffen, der dazu dient, die notwendigen Verände-rungsprozesse zu forcieren. Weiter ist in dem nächsteWoche zu verabschiedenden Haushalt 1999 in der gene-rellen Vorbemerkung zum Einzelplan 30 und zu deneinzelnen Kapiteln vorgesehen, daß bei allen Maßnah-men verstärkt auf die Gleichstellung von Frauen in Bil-dung und Forschung hinzuwirken ist. Künftig soll einFortschrittsbericht Auskunft über Umsetzung und Aus-wirkungen geben.Durch die Veränderung der rahmen- und förderrecht-lichen Bestimmungen sollen die Eigenverantwortungund das Engagement der Einrichtungen für die Durch-setzung der Chancengleichheit gestärkt werden. Beson-derer Handlungsbedarf besteht für die Forschungsein-richtungen, für die hinsichtlich der Steigerung der Frau-enanteile an Führungspositionen das HSP III nur – sokann man im Rückblick sagen – begrenzte Wirkungenhatte. Mit dem Haushalt 1999 wird die Bundesregierungfür die Forschungszentren der Hermann-von-Helmholtz-Gemeinschaft die Voraussetzungen dafür schaffen, daßhochqualifizierte Forscherinnen verstärkt Führungsver-antwortung übernehmen können. Vorgesehen sind Er-mächtigungen, die 100 Beschäftigungsmöglichkeitenmit unbefristeten Verträgen erlauben. Diese Stellen sol-len vorrangig genutzt werden, um den Frauenanteil anFührungspositionen in den nächsten Jahren wirkungsvollzu steigern.Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen insbe-sondere für Forscherinnen mit Kindern ist für die ausdem Einzelplan 30 institutionell geförderten For-schungseinrichtungen ab 1999 die Ermächtigung vorge-sehen, ihnen zufließende Zuwendungen haushaltsneutralzur Erschließung und Sicherung von Kinderbetreuungs-angeboten für ihre Beschäftigten zu verausgaben. Damitkommen wir einem schon sehr lange geäußertenWunsch gerade aus den Reihen derjenigen, die sich fürGleichstellung einsetzen, nach.Auch an den Hochschulen sind strukturelle Verände-rungen erforderlich, um eine wirkungsvolle Erhöhungdes Anteils von Frauen vor allem an den Professuren zuerreichen. Die mit der Novellierung des HRG im August1998 wirksam gewordenen Änderungen bedürfen nun-mehr der Umsetzung von seiten der Länder und Hoch-schulen.Dies gilt vor allem für die Umsetzung der §§ 5 und 6,Finanzierung und Bewertung. Mit Sorge sieht die Bundes-regierung, daß sich beim aktuellen Berufungsgeschehen1998 die Berücksichtigung von Frauen gegenüber 1997leicht verschlechtert hat. Die Bund-Länder-Kommissionwird sich deshalb im Juni wieder mit der aktuellen Lage derFrauen in Führungspositionen befassen.Notwendig ist es vor allem auch, für Frauen neueQualifizierungsmöglichkeiten auf dem Weg zu einerProfessur zu eröffnen, die die Belange der Wissen-schaftlerinnen besser berücksichtigen. Mit dem Emmy-Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemein-schaft ist ein wichtiger Schritt zur Neugestaltung derPostdoktorandenphase eingeleitet worden. Wir habendafür gesorgt, daß dieses Programm unmittelbar wirk-sam werden kann.Notwendig ist des weiteren die Einführung von Assi-stenzprofessuren, die die Möglichkeit eröffnen, sich un-abhängig im Bereich der Lehre und Forschung zu quali-fizieren und damit Berufungsvoraussetzungen zu erlan-gen.Für die nächsten Jahre sind unserer Ansicht nachweitere Maßnahmen erforderlich, um den hochqualifi-zierten weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs effi-zienter zu fördern und damit die Voraussetzungen füreine stärkere Beteiligung von Frauen an Berufungen zuschaffen. Wir beabsichtigen, gemeinsam mit den Län-dern ein gezieltes Programm für Wissenschaftlerinnenaufzulegen, das erfolgreiche Elemente des Hochschul-sonderprogramms III auch über das Jahr 2000 hinausfortsetzt. Eine Arbeitsgruppe auf Staatssekretärsebenewird in Kürze die Beratungen zwischen Bund und Län-dern aufnehmen.
Sie können jetzt biszu vier Zusatzfragen stellen, Frau Kollegin Sothmann.Falls Sie dies wünschen, bitte sehr.Parl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2719
(C)
(D)
Herr Staatssekretär,
schönen Dank für diese Ausführungen. Das klingt alles
sehr gut. Ich hoffe, daß das in der Zukunft tatsächlich
seinen Niederschlag finden wird.
Ich möchte, bevor ich meine kurze Zusatzfrage stelle,
einen kleinen Hinweis geben. Sie haben mich – ich weiß
nicht, wer es war; wahrscheinlich jemand aus der Verwal-
tung – der Fraktion der SPD zugeordnet. Ich möchte hier
klarstellen, daß ich nach wie vor Mitglied der CDU/CSU-
Fraktion bin und dieses auch zu bleiben gedenke.
Meine kurze Frage lautet wie folgt: Wie steht Ihr Haus,
Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang zu dem
Antrag der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstel-
lungsbeauftragten an Hochschulen, die Einrichtung einer
ständigen Geschäftsstelle für die Bundeskonferenz in
Bonn zu finanzieren? Denn das wäre meiner Ansicht nach
eine wichtige Maßnahme, damit die Erfahrungen der
Frauen- und Hochschulbeauftragten für frauenpolitische
Maßnahmen an Hochschulen künftig kontinuierlich und
unabhängig von befristeten Projektförderungen ausge-
wertet und koordiniert werden können.
W
Uns
ist dieses Anliegen bekannt. Wir stehen mit der von Ih-
nen erwähnten Bundeskonferenz im Gespräch. Sie wis-
sen – vielleicht auch aus leidvoller Erfahrung in der
letzten Legislaturperiode –, daß es immer schwierige
Diskussionen mit dem Bundesfinanzministerium über
die Frage der Installierung neuer institutioneller Förde-
rungen gibt. Wir suchen gemeinsam mit der Bundeskon-
ferenz nach einem Weg, um de facto eine stabilere
finanzielle Basis für die Fortsetzung ihrer Arbeit zu fin-
den. Aber die Gespräche haben noch nicht zu einem Er-
gebnis geführt.
Keine weiteren Zu-
satzfragen. – Der Fragesteller zu Frage 22, der Kollege
Hinsken, ist nicht anwesend. Die Fragen 23 und 24 des
Kollegen Dr. Martin Mayer werden aufgrund von Nr. 2
Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Damit
sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers
und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht
Staatssekretär Dr. Frank-Walter Steinmeier zur Verfügung.
Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Börnsen
werden schriftlich beantwortet.
Der Abgeordnete Geis ist nicht im Saal.
– Wenn der Vertreter des Bundeskanzleramtes damit
einverstanden ist, dann stellen wir diese Fragen einen
Augenblick zurück.
Dann sind wir jetzt bei den Fragen 29 und 30 des
Kollegen Volker Kauder. Sie werden schriftlich beant-
wortet.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Ralf
Brauksiepe auf.
Ist Bundeskanzler Gerhard Schröder über das Gutachten derWirtschaftsprüfungsgesellschaft C & L Deutsche Revision AGvom März 1999 betreffend den Hausbau von BundesministerBodo Hombach informiert worden, und wenn ja, wann?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Brauksiepe, Sie
haben gefragt, ob Bundeskanzler Gerhard Schröder über
das Ergebnis des zweiten Gutachtens von C & L Deut-
sche Revision informiert worden ist. Ich antworte Ihnen
darauf wie folgt: Der Bundeskanzler ist nach Fertigstel-
lung des zweiten Gutachtens ebenso über die Inhalte in-
formiert worden wie die Fraktionsvorsitzenden und die
anfragenden Pressevertreter.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsse-
kretär, ist dem Bundeskanzler auch bekannt, wer die
Kosten für dieses Gutachten getragen hat?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich Ihnen aus eigenem
Wissen nicht beantworten.
Eine weitere Zusatz-
frage, Herr Kollege, bitte.
Ist denn der Bun-
desregierung bekannt, aus welchem Anlaß und warum
dieses Gutachten im März 1999 auf Ersuchen der nord-
rhein-westfälischen Landesregierung überhaupt erstellt
worden ist?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn ich Sie richtig verstehe, dann
zielt Ihre Frage im Kern darauf, wer das zweite Gutachten
bezahlt. Dieses zweite Gutachten wird von Herrn Hom-
bach bezahlt. An ihn ist auch die Rechnung gegangen.
Ich rufe die Frage 32
des Kollegen Brauksiepe auf:
Trifft die im „Stern“ vom 11. März 1999 bezüglich des Bun-deskanzlers aufgestellte Behauptung zu, „bevor Schröder Hom-bach holte, fragte er ihn, ob mit dem Hausbau alles in Ordnungsei“, und falls ja, wie hat Bundesminister Bodo Hombach daraufreagiert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre zweite Frage zielt darauf ab, obder Bundeskanzler Bundesminister Hombach gefragt
Metadaten/Kopzeile:
2720 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
habe, ob mit dem Hausbau alles in Ordnung sei. Ich willIhnen darauf antworten: Diese Frage wurde so nicht ge-stellt, weil sie so nicht gestellt werden mußte. Vor derErnennung von Herrn Hombach zum Bundesminister fürbesondere Aufgaben und zum Chef des Bundeskanzler-amtes war dem Bundeskanzler das Ergebnis der Über-prüfung durch die C & L Deutsche Revision – erstesGutachten – bekannt.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Brauksiepe.
Sind dem Bun-
deskanzler auch die in dem „Stern“-Artikel vom
11. März 1999 erhobenen Vorwürfe bekannt?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gehe davon aus, daß der Bun-
deskanzler mindestens beiläufig auch den „Stern“-
Artikel zur Kenntnis genommen hat.
Eine weitere Zusatz-
frage des Kollegen Brauksiepe, bitte sehr.
Sofern der Bun-
deskanzler das zur Kenntnis genommen hat, würde das
alleine nicht sehr viel weiterhelfen. Gehen Sie davon
aus, daß er aus der Kenntnisnahme die Konsequenz ge-
zogen hat, diese Vorwürfe einer weiteren Untersuchung
zu unterziehen? Werden diese Vorwürfe auf seine Ver-
anlassung hin untersucht?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Durch die Frage wird unterstellt, daß
sich über die beiden bisher vorliegenden Gutachten hin-
aus, die die Kosten vor und nach dem Einzug in das Pri-
vathaus von Herrn Hombach behandeln, weitere Fragen
ergeben haben. Das ist offensichtlich nicht der Fall;
sonst wäre Herr Hombach selbst daran interessiert ge-
wesen, weitere Fragen zu untersuchen.
Wir kommen zur
Frage 27 des Kollegen Norbert Geis:
In welchem Umfang hat Bundesminister Bodo Hombachwährend seiner Zeit als Bundesminister Bezüge auf Grund seinesLandtagsmandats und seines Amtes als Landesminister erhalten?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Geis, Sie haben
nach den Einkünften von Herrn Minister Hombach als
Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen gefragt.
Herr Bundesminister Hombach hat wegen seiner Zeit
als Landesminister Ansprüche auf Übergangsgelder er-
worben. Diese wurden jedoch vollständig mit den neuen
Bezügen verrechnet, so daß es zu keiner Auszahlung
kam.
Herr Bundesminister Hombach hat am 17. De-
zember 1998 die Aufgabe seines Mandates im nord-
rhein-westfälischen Landtag erklärt und bis Dezember
1998 die übliche Abgeordnetenentschädigung – nach
dem geltenden nordrhein-westfälischen Landesrecht die
halbierte Diät – erhalten. Den Nettobeitrag seiner von
November bis Dezember erhaltenen Landtagsdiäten hat
er im Dezember 1998 einem gemeinnützigen Verein in
Duisburg-Rheinhausen gespendet. Eine ihm irrtümlich
für Januar 1999 überwiesene Abgeordnetenentschädi-
gung hat Bundesminister Hombach unaufgefordert an
die Landeskasse zurücküberwiesen.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte.
Herr Minister Hombach
hat erklärt, er wolle die ihm für November zugeleiteten
Diäten spenden, um irgendwelche Mißdeutungen zu
vermeiden. Was hat er damit gemeint? Können Sie mir
darüber Auskunft geben?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vermutlich hat er solche Fragen, wie
sie heute im Parlament gestellt werden, erwartet
und hat deshalb versucht, in der Öffentlichkeit erzeugten
Mißverständnissen, daß hier unzulässige Doppelzahlun-
gen stattfinden, von vornherein entgegenzuwirken.
Eine weitere Zusatz-
frage, bitte sehr.
Können Sie mir sagen,
inwieweit ich mit meiner Frage Anlaß dazu gegeben ha-
be, Mißdeutungen des Verhaltens von Herrn Hombach
zu initiieren, und ihn im nachhinein veranlaßt habe – Sie
haben das ja verglichen –, die Gelder zu spenden, damit
solche Dinge erst gar nicht aufkommen? Inwieweit füh-
ren Sie das auf meine Frage zurück? Von Mißdeutungen
hat er doch selber gesprochen.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, diese Frage habe icheben ausreichend beantwortet. Diese Frage wird ja auchhier im Parlament nicht zum erstenmal gestellt, sondernsie ist vorher bereits in Veröffentlichungen diskutiertworden. Dabei ist dieser Eindruck entstanden. Was dazuzu sagen ist, habe ich eben ausgeführt.Staatssekretär Dr. Frank-Walter Steinmeier
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2721
(C)
(D)
Nun kommen wir
zur Frage 28 des Kollegen Geis:
In welchem Umfang finden insoweit Verrechnungen oderAnrechnungen im Hinblick auf seine Bezüge als Bundesministerstatt?
Bitte sehr.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben nach Verrechnungen und
Anrechnungen gefragt. Auch diese Frage hat der Bun-
desminister Hombach damals rechtlich klären lassen.
Danach findet eine Verrechnung der Bezüge eines Bun-
desministers mit einer Abgeordnetenentschädigung auf
Grund eines Landtagsmandates nach den entsprechen-
den rechtlichen Regelungen nicht statt. Ich gehe davon
aus, daß er wegen der rechtlich nicht bestehenden An-
rechnungspflicht selbst die Initiative ergriffen und den
Teilbetrag, der ihm aus der Abgeordnetenentschädigung
zustand – wie ich eben ausgeführt habe –, gespendet hat,
um allen Mißdeutungen von vornherein entgegenzutre-
ten.
Eine Zusatzfrage zu
dem spannenden Thema, bitte sehr.
Können Sie uns den
Empfänger dieser Spenden nennen? Sie haben ihn vor-
hin nur allgemein genannt.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will es nicht weiter konkretisie-
ren, als ich es eben ausgeführt habe. Es handelt sich um
einen gemeinnützigen Verein in Duisburg-Rheinhausen.
Nun kommen wir
zur Frage 33 der Abgeordneten Andrea Voßhoff:
Wie erklärt Bundesminister Bodo Hombach, daß im März1999 ein erneutes Gutachten der PwC Deutsche Revision AGbezüglich seines Hausbaus erstellt werden mußte, obwohl er daszu seinem Hausbau von der C & L Deutsche Revision AG imJuni 1998 erstattete Gutachten als „Freispruch erster Klasse“ bewertet hat?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Kern geht es in Ihrer Frage dar-
um, warum zwei Gutachten eingeholt wurden. Dazu un-
sere Antwort: Auf Grund von Presseanfragen Anfang
des Jahres 1999 wurden die Fragestellungen auf Sach-
verhalte und Zeiträume ausgeweitet, die vom ersten
Gutachten nicht erfaßt worden waren. Im zweiten Gut-
achten sind auch solche Ausbauleistungen und techni-
schen Anlagen enthalten, die erst nach dem Einzug
durchgeführt bzw. geliefert wurden. Im übrigen wird das
erste Gutachten durch das zweite Gutachten voll bestä-
tigt. Bezogen auf den gleichen Untersuchungszeitraum,
also bis zur Fertigstellung des Gebäudes, ergeben sich
nur geringfügige Unterschiede in einer Größenordnung
von 99 DM.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
inwieweit war der Bundesminister Hombach an der
Vergabe des Auftrags für diese Gutachten an PwC und
C & L beteiligt? Ist Ihnen davon etwas bekannt?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Inwieweit er bei der Auftragsverga-
be selbst beteiligt war?
Inwieweit er an der
Vergabe der Gutachten beteiligt war, Kenntnis davon
hatte oder Einfluß genommen hat.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich Ihnen nicht sagen.
Eine Antwort auf die Frage, ob er selbst die entspre-
chende Gutachterfirma ausgesucht hat, kann ich Ihnen
nicht geben.
Nun kommt die
Frage 34 der Kollegin Andrea Voßhoff:
Inwieweit schließen die Gutachten vom Juni 1998 und vomMärz 1999 aus, daß Kosten für Leistungen für den Hausbau vonBundesminister Bodo Hombach, als er noch nicht Bundesmi-nister war, auf zum Veba-Konzern gehörende Unternehmenbzw. deren Projekte verlagert worden sind?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die vereidigten sachverständigenBaugutachter haben für alle wesentlichen Kostenposi-tionen durch Vergleich mit einschlägigen anerkanntenBaupreiskatalogen die Angemessenheit festgestellt. Eineergänzende Abfrage der seinerzeitigen Baupreise bei re-nommierten Unternehmen hat die Feststellungen abgesi-chert und ergeben, daß die berechneten Preise in jedemFalle über den abgefragten Preisen lagen. Insgesamthalten die Gutachter die für die Errichtung des Gebäudesabgerechneten Kosten für angemessen und plausibel.Die Kostensätze liegen deutlich über den Vergleichs-werten für den stark gehobenen Standard.Die Gutachter haben sich bei allen wesentlichenKostenpositionen zudem davon überzeugt, daß die be-treffenden Rechnungen von Herrn Hombach bezahltwurden. Schon beim ersten Gutachten waren die Fremd-und Eigenmittel in die Prüfung einbezogen worden. Ichdarf dazu einige Sätze aus dem Ergebnis des Gutachtenszitieren:Insgesamt halten wir die für die Errichtung des Ge-bäudes abgerechneten Kosten für angemessen; dieermittelten Kostensätze von rd. DM 6.300 je qmWohnfläche bzw. rd. DM 1.000 je cbm BRI liegen
Metadaten/Kopzeile:
2722 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
deutlich über den Vergleichswerten von DM 5.000je qm Wohnfläche und DM 650 bis DM 750 je cbmBRI für stark gehobenen Standard. Weder die Ak-teneinsicht noch die Ortsbesichtigung des Wohn-grundstücks haben Anhaltspunkte dafür ergeben,daß andere als die durch die vorgenannten Unterla-gen belegten Arbeiten zur Errichtung des Gebäudesgeleistet wurden. Soweit darüber hinaus weitereLeistungen denkbar sind, können ihre Kosten allen-falls von vernachlässigbarer Größenordnung seinund würden damit ohne Einfluß auf unsere Ge-samtbeurteilung bleiben.Sie schließen mit dem Satz:Wir haben uns für alle wesentlichen Kostenpositio-nen anhand der vorgelegten Unterlagen außerdemdavon überzeugt, daß die betreffenden Rechnungenvon Herrn Hombach bezahlt worden sind. Soweit inEinzelfällen Preisnachlässe gewährt wurden, sindsie jeweils offen ausgewiesen und liegen unter demin der Baubranche Üblichen.
Eine weitere Frage,
Frau Kollegin, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
wenn Sie das Gutachten schon vorliegen haben, habe ich
noch eine Nachfrage: Ist den Gutachtern bei der Erstel-
lung des Gutachtens Einsicht in die internen Unterlagen
der an dem Hombachschen Hausbau beteiligten Bau-
und Handwerkerfirmen gewährt worden? Wenn nein: Ist
diese Einsicht verlangt worden?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage kann ich Ihnen vermut-
lich nicht zu Ihrer Zufriedenheit beantworten. Ich kann
Ihnen positiv sagen, daß alle bei Herrn Hombach ver-
fügbaren Unterlagen und die Unterlagen bei der Veba
den Gutachtern zur Verfügung gestellt worden sind.
Ihre zweite Zusatz-
frage, bitte.
Wäre es möglich, das
zu recherchieren und mir die Antwort zukommen zu las-
sen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber gerne.
Danke schön.
Jetzt kommen wir
zur Frage 35 des Kollegen Ronald Pofalla:
Womit belegt die Bundesregierung die vom Pressesprecherdes Bundesministers Bodo Hombach unter dem 9. März 1999aufgestellten Behauptungen, hinsichtlich der Hausbauangele-genheit versuche die CDU jetzt auch offen, die Verdachtsbe-richterstattung zu instrumentalisieren, und CDU-Abgeordnetehätten immer wieder versucht, falsche Beschuldigungen zu lan-cieren, die nur dem Ziel dienten, Bundesminister Bodo Hom-bach persönlich zu verunglimpfen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Aussage bezieht sich auf ver-
schiedene Presseberichte aus der „Frankfurter Allgemei-
nen Zeitung“ vom 2. Februar 1999 und aus der „West-
deutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 2. Februar 1999,
in denen nach Vorlage der Gutachten, die, wie gesagt,
auch den Fraktionsvorsitzenden der hier im Parlament
vertretenen Parteien zugegangen sind, unter Berufung
auf die bekannten Vorwürfe weitere Rücktrittsforderun-
gen erhoben worden sind.
Ich schließe persönlich an, Herr Pofalla, daß auch
Presseberichte wie der in einer Personalienspalte in der
„Neuen Ruhr Zeitung“ vom 10. April über Sie persön-
lich, über den „Mann für besondere Fälle“, wenig Freu-
de machen. Ich darf zitieren:
Ronald Pofalla, CDU-Abgeordneter aus dem Kreis
Kleve, ist ab sofort ein Mann für besondere Fälle.
Seine Aufgabe, mit der er von der CDU-
Fraktionsführung betraut wurde, heißt Bodo Hom-
bach. Der Auftrag: Fragen, fragen, noch einmal
fragen. Denn vielleicht kann ja der SPD-
Kanzleramtschef doch die eine oder andere Frage
nicht ganz genau beantworten. Mit einer Art per-
manenten Störfeuer, im Landtag und im Bundestag,
will die CDU den Kanzleramtschef nerven.
Ich begreife das nicht als den Kern parlamentarischer
Arbeit. Aber dazu steht mir eine Bewertung nicht zu.
Herr Kollege, Ihre
erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
wie ist die Behauptung des Pressesprechers von Bun-
desminister Hombach unter dem 9. März 1999 zu erklä-
ren, auf die ich in der Ausgangsfrage Bezug genommen
habe:
Nach dem Ergebnis der Prüfung der Wirtschafts-
prüfungsgesellschaft PwC Deutsche Revision vom
5. März 1999 liege in allen Gewerken der von Bun-
desminister Hombach „bezahlte Preis im oberen
Preissegment, oft sogar darüber“, obwohl in dem
Gutachten vom 5. März 1999 ein entsprechender
Hinweis fehlt, vielmehr zum Beispiel darauf hin-
gewiesen wird, die Kosten für die Fassadenarbeiten
hätten üblichen Marktpreisen entsprochen.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin kein Bausachverständi-ger und sage Ihnen deshalb dazu, daß ich in meinerAntwort nichts über die Ergebnisse der Gutachter hin-aus, die sich sachverständig mit allen in diesem Zusam-menhang entstandenen Fragen beschäftigt haben, fest-stellen kann.Staatssekretär Dr. Frank-Walter Steinmeier
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2723
(C)
(D)
Eine weitere Zusatz-
frage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
wie ist die angesprochene Behauptung des Pressespre-
chers mit der Aussage von Bundesminister Hombach zu
vereinbaren, teure Sonderwünsche habe er nie geäußert,
weil er im Gegenteil daran interessiert gewesen sei, die
Baukosten möglichst gering zu halten?
Herr Staatssekretär,
bitte.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
War das schon die Frage?
Ja, das war schon die
Frage.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben eine öffentliche Äußerung
von Herrn Hombach zu seinem Bestellverhalten im
Rahmen seines Hausbaus zitiert. Die habe ich nicht zu
kommentieren.
Damit kommen wir
zur Frage 36 des Kollegen Ronald Pofalla:
Wer sind die vom Pressesprecher erwähnten Zeugen, welcheVorwürfe in der Hausbauangelegenheit von BundesministerBodo Hombach zweifelsfrei widerlegen können?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zeugen für die korrekte Abwicklung
des Bauvorhabens sind neben dem Architekten, der am
gesamten Bauprozeß beteiligt war, der Steuerberater, der
die Finanzierung und Zahlungsabwicklung während des
Baus begleitet hat. Auch Handwerker und Geschäftsfüh-
rer jener Firmen, die den Bau tatsächlich durchgeführt
haben und für ihre Leistungen in voller Höhe von Herrn
Hombach bezahlt worden sind, stehen als Zeugen zur
Verfügung.
Sowohl schriftlich als auch mündlich haben sich Fir-
menvertreter gemeldet, die über die Vorwürfe gegen
Herrn Hombach empört sind. Auch für die Beantwor-
tung von Detailfragen gibt es wichtige Zeugen. So wird
für die Korrektheit des Grundstückserwerbs der frühere
CDU-Landtagsabgeordnete Franz Püll öffentlich zitiert.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Pofalla, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
warum wurde in der Antwort auf die in diesem Zusam-
menhang im „Stern“ gestellten 60 Fragen nicht auf die
Ergebnisse der Prüfung im Juni 1998 verwiesen, wenn
in dem Bericht – so die Darstellung des Pressesprechers
von Herrn Hombach – lediglich alte Vorwürfe wieder-
holt wurden?
Herr Staatssekretär.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich muß jetzt schlicht annehmen,
daß die in Ihrer Frage mitgeteilte Behauptung richtig ist,
daß nicht auf das erste Gutachten Bezug genommen
worden ist. Dies hat keine inhaltlichen Gründe. Denn ich
habe vorhin erläutert, daß in dem zweiten Gutachten
nicht vom ersten Gutachten abgewichen worden ist,
sondern daß ein anderer Untersuchungszeitraum erfaßt
worden ist.
Eine zweite Zusatz-
frage des Kollegen Pofalla.
Warum wurde die
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC Deutsche Revisi-
on gebeten, das gesamte Bauvorhaben neu zu untersu-
chen, obwohl es sich bei dem „Stern“-Bericht nach Äu-
ßerung des Pressesprechers von Bundesminister Hom-
bach um die Wiederholung alter Vorwürfe handele und
die Prüfung der C & L Deutsche Revision im Juni 1998
bestätigt habe, daß nichts an den gegen Hombach erho-
benen Vorwürfen richtig sei?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Besondere dieses „Stern“-
Berichts war ja, Herr Pofalla, daß Vorwürfe erhoben
wurden, die sich auf die Zeit nach dem Einzug bezogen.
Hierzu zitiere ich jetzt einen letzten Satz aus dem betref-
fenden Gutachten, in dem die Gutachter selbst den Gut-
achtenauftrag beschreiben:
Rechnungen für weitere Arbeiten über 180 000
DM,
– das war in etwa die Größenordnung, die im „Stern“
mitgeteilt worden war –
die in der Kostenschätzung nicht enthalten waren,
wie zum Beispiel Ausbauleistungen sowie techni-
sche Anlagen und Geräte, die teilweise erst nach
dem Einzug durchgeführt bzw. geliefert worden
sind, haben wir nunmehr in unsere ergänzende Prü-
fung einbezogen.
Ich glaube, das legt klar, wie die Aufgabenbeschrei-
bung für das zweite Gutachten war.
Nun kommen wirzur Frage 37 des Abgeordneten Eckart von Klaeden:Trifft es zu, daß in der Verantwortung von BundesministerBodo Hombach Bundeskanzler Gerhard Schröder ein Papiervorgelegt wurde, in dem von einer Steuerung des Bundesratesund von einer laufenden Information über die Aktivitäten derOpposition durch Beobachtung der Fraktionen die Rede ist?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
2724 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr von Klaeden, Sie haben nach
dem Inhalt des sogenannten Koordinierungspapiers ge-
fragt. Da Sie ausweislich Ihrer Frage das Papier offen-
sichtlich kennen, wissen Sie, daß es in dem diesbezügli-
chen Abschnitt des Papiers auch darum geht, Verfahren
zu finden, Konflikte zwischen dem Bund und den Län-
dern zu minimieren. Mit Blick auf die durch die Hessen-
Wahl veränderte Bundesratsmehrheit wird an dieser
Stelle – das betrifft jetzt die Passage, die Sie im Auge
haben – darauf hingewiesen, daß es nunmehr darauf an-
komme, über die A-Länder hinaus Kompromißmöglich-
keiten auch mit anderen Bundesländern auszuloten und
zu suchen. Es geht also in der Tat um eine inhaltliche
Koordinierung und terminliche Steuerung.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage nach den Aktivitä-
ten der Opposition betrifft, so betrachten wir es in der
Tat als unsere Pflicht, uns regelmäßig über die Aktivi-
täten, Wünsche und Absichten der Opposition zu infor-
mieren.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Interpretiere ich
Ihre Antwort, Herr Staatssekretär, richtig, daß es in die-
sem Abschnitt lediglich um die terminliche Steuerung
der Arbeit im Zusammenhang mit dem Bundesrat ge-
gangen ist, oder sind auch andere Bereiche unter dem
Begriff der Steuerung zu fassen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte Ihnen das Papier nicht in
Gänze vorstellen, aber wenn Sie die Seite vor Augen
haben, sehen Sie die Zwischenüberschrift „Koordinie-
rung/Steuerung“. Damit sind beide Fragen angespro-
chen.
Wir kommen jetzt
zur Frage 38 des Kollegen Eckart von Klaeden:
In welcher Weise geschahen ggf. die Steuerung des Bundes-rates und die Beobachtung der Opposition?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was das Verhältnis zu den Ländern
und dem Bundesrat angeht, darf ich Ihnen antworten:
Für die Koordinierung mit den Ländern steht eine Viel-
zahl von Gremien zur Verfügung: die Ministerpräsiden-
tenkonferenz, die Konferenz der Chefs der Staats- und
Senatskanzleien, der Ständige Beirat und viele andere
mehr. Diese Möglichkeiten nutzen wir soweit wie mög-
lich ebenso wie die öffentlich zugänglichen Erkenntnis-
quellen über die politischen Diskussionen in den Partei-
en und Fraktionen.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Staatsse-
kretär, können Sie mir sagen, wie viele Mitarbeiter im
Bundeskanzleramt mit dieser Aufgabe betraut sind?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was heißt „mit dieser Aufgabe“?
Mit der Aufgabe,
die in der Fragestellung beschrieben ist: mit der Steuerung
des Bundesrats und der Beobachtung der Opposition.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was die Koordinierung der Bundes-
politik mit den Ländern angeht, so haben wir dazu im
Bundeskanzleramt ein Referat mit einem Referatsleiter,
einem Referenten und einer mir im Augenblick nicht
genau bekannten Zahl von Sachbearbeitern.
Damit ist der Be-
reich des Bundeskanzlers erledigt. Ich bedanke mich bei
Herrn Staatssekretär Steinmeier für die Beantwortung
der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staats-
minister Günter Verheugen zur Verfügung.
Die Frage 39 wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Rolf Kutzmutz
auf:
Welche Folgen haben die Luftangriffe der NATO nach denErkenntnissen der Bundesregierung auf die Lage der Menschenin der Bundesrepublik Jugoslawien kurzfristig, mittelfristig undlangfristig?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
G
Herr Kollege, die Wirtschaft in der Bundesrepu-blik Jugoslawien, vor allem in Serbien, erlebt einen seitJahren kontinuierlichen Niedergang. Hierfür sind ausSicht der Bundesregierung die politischen Rahmenbe-dingungen, insbesondere das Festhalten an dirigistischerWirtschaftspolitik, völlig unzureichende Transformati-onsanstrengungen und der Verzicht auf Reformpolitikverantwortlich.Die Bundesregierung ist außerstande, im Detail ab-zuleiten, in welchem Maße der Verfallsprozeß der so-zialen und wirtschaftlichen Situation in der RepublikSerbien durch die direkten und indirekten Auswirkungender NATO-Luftschläge auf militärische Ziele und stra-tegisch wichtige Infrastrukturobjekte beschleunigt wird,zumal gesicherte Erkenntnisse über das tatsächlicheAusmaß der Zerstörungen, auch angesichts der Auswei-sung internationaler Medienvertreter aus der RepublikSerbien, bislang fehlen.Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß der imZuge der wirtschaftlichen Reformen eingeleitete Struk-turwandel in der Republik Montenegro mittel- und lang-fristig einen weiteren Aufschwung der montenegrini-schen Wirtschaft begründen wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2725
(C)
(D)
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege?
Wir kommen zur Frage 41 des Kollegen Rolf Kutz-
mutz:
Wie viele Arbeitsplätze sind nach Schätzung der Bundesre-gierung durch die Zerstörung von Fabriken in der Bundesrepu-blik Jugoslawien durch Raketen und Bomben der NATO bisherverlorengegangen?
Herr Staatssekretär, bitte.
G
Herr Kollege, die Bundesregierung verfügt, wie
ich bereits gesagt habe, über keinerlei gesicherte Er-
kenntnisse darüber, welche Auswirkungen im einzelnen
die Luftschläge der NATO auf militärische Ziele und
strategisch wichtige Infrastrukturobjekte auf den Ar-
beitsmarkt in der Bundesrepublik Jugoslawien haben.
Unabhängig von der Frage der grundsätzlichen
Glaubwürdigkeit der von jugoslawischen und serbischen
Medien in dieser Frage verbreiteten Zahlen ist bei einer
Bewertung der Daten zu berücksichtigen, daß ein großer
Teil der bisherigen Beschäftigungsverhältnisse in staat-
lichen Großbetrieben wie zum Beispiel „Zastava“ in
Kragujevac der verdeckten Arbeitslosigkeit zuzurechnen
war. Das heißt, die Arbeitsverhältnisse wurden nur for-
mal aufrechterhalten, wobei die „Beschäftigten“ aus
staatlichen Mitteln den gesetzlichen Mindestlohn von
230 jugoslawischen Dinaren – das sind zirka 38 DM
nach dem staatlich festgesetzten Umrechnungskurs –
monatlich erhielten.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte sehr.
Herr Staatsminister, es wird
davon gesprochen, daß in Jugoslawien eine Arbeitslo-
sigkeit zwischen 30 und 50 Prozent geherrscht hat. Ich
will eine Zusatzfrage stellen und schicke voraus, daß ich
dies mit aller Ernsthaftigkeit und Zurückhaltung tun
werde. Sie haben davon gesprochen, daß auch Infra-
struktur, also Betriebe und Einrichtungen, die durchaus
zivilen Charakter haben, getroffen worden ist. Sehen Sie
nicht auch die Gefahr, daß es nationalistischen Kräften,
paramilitärischen oder militärischen Kräften durch die
kurzfristig kriegsbedingte Arbeitslosigkeit in Jugosla-
wien leichter gemacht wird, Menschen für Armeedienst
oder Polizeidienst zu rekrutieren?
G
Ich habe nicht von zivilen, sondern von militäri-
schen Zielen und strategisch wichtigen Infrastrukturob-
jekten gesprochen. Ich lege Wert auf diese Unterschei-
dung, weil es für unsere Strategie in diesem Krieg ent-
scheidend ist, daß zivile Objekte und Zivilpersonen
nicht angegriffen werden. Wenn es doch geschieht, sind
das schreckliche Versehen, die jeden, der damit zu tun
hat, sehr belasten; das sollten Sie schon glauben.
Auswirkungen der Bombardierungen in zivilen Be-
reichen der Bundesrepublik Jugoslawien können wir
heute noch nicht sehen. Aber wir müssen selbstver-
ständlich davon ausgehen, daß es solche Auswirkungen
gibt. Sie sind tief zu bedauern. Niemand wünscht sie, so
wie auch niemand diese Bombardierungen und diesen
Krieg wünscht.
Aber ich muß auch hier sagen: Die Verantwortung für
alle Folgen der militärischen Auseinandersetzung, die
jetzt geführt wird, liegt einzig und allein beim jugosla-
wischen Präsidenten Milosevic und der Clique um ihn
herum, die die wirklich weitreichenden und vernünftigen
Angebote der internationalen Staatengemeinschaft, diese
Auseinandersetzung zu vermeiden, nicht akzeptiert ha-
ben. Statt dessen führen sie im Kosovo eine Vertrei-
bungspolitik durch, wie wir sie in Europa seit 1945 nicht
mehr erlebt haben. Es ist schlimm, das sagen zu müssen.
Aber wir müssen hier immer fragen: Was ist Ursache,
und was ist Wirkung? Die Ursache ist das schändliche
Verhalten von Milosevic und seiner Regierung.
Ich rufe nun die
Frage 42 des Kollegen Dr. Winfried Wolf auf:
Welche Begründung gibt es für die im Rambouillet-Abkommen, Appendix B, vorgesehene weitreichende Ein-schränkung von Souveränitätsrechten der Bundesrepublik Jugo-slawien über die Kosovo-Region hinaus, und war dieser Appen-dix B dem Deutschen Bundestag bekannt?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
G
Herr Kollege, der Rambouillet-Vertragsentwurfbeschränkt die Stationierung von NATO-Truppen geo-graphisch auf das Gebiet des Kosovo. Darüber hinauswaren spezielle Sicherungsregelungen für den Grenz-raum zwischen dem Kosovo und dem Rest der Bundes-republik Jugoslawien vorgesehen. Diese Sicherungsre-gelungen hätten allein der wirksamen Absicherung derImplementierung der im Vertragsentwurf vorgesehenenRegelungen für den Kosovo gedient.Kapitel 7 Ziffer 10 des Rambouillet-Vertrags-entwurfes sieht eine „mutual safety zone“ vor. Danachdürfen 25 Kilometer außerhalb des Kosovo Waffen-systeme der Luftverteidigung nur auf Antrag und mitGenehmigung stationiert werden. Kapitel 7 Ziffer 2Abs. 4 sieht vor, daß sich bewaffnete Kräfte in einer5 Kilometer breiten Zone außerhalb des Kosovo nurnach Notifizierung aufhalten dürfen. Stellen diese Kräfteeine Gefährdung der Implementierung dar, darf derKommandant der Friedenstruppe die Genehmigungverweigern bzw. deren Abzug verlangen. Im übrigenGebiet der Bundesrepublik Jugoslawien wären derNATO und dem NATO-Personal nur insoweit Vorrechteeingeräumt worden, als dieses Gebiet als TransitgebietRichtung Kosovo gedient hätte.Die Bundesregierung hat den Bundestag wie auch diedeutsche Öffentlichkeit im Verlaufe des Verhandlungs-prozesses von Rambouillet intensiv und umfassend un-terrichtet. Bundesminister Fischer hat den Text des Ver-tragsentwurfes mit allen Anlagen und Appendizes am24. Februar 1999 dem Vorsitzenden des Auswärtigen
Metadaten/Kopzeile:
2726 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
Ausschusses ausdrücklich zur Einsichtnahme durch alleMitglieder des Ausschusses persönlich übergeben.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte sehr.
Herr Staatsminister,
stimmen Sie mir zu, daß die in Appendix B vorgesehe-
nen Sonderrechte für die NATO-Truppen, die als Im-
plementierungskräfte geplant waren, sehr weitreichend
sind und dem Charakter eines Protektorats für ganz Ju-
goslawien gleichkämen? Können Sie sagen, warum Ap-
pendix B dem Ausschußvorsitzenden zur Einsichtnahme
zwar übergeben – wie Sie sagten –, den Medien und
damit der Öffentlichkeit bis Anfang April aber nicht be-
kanntgemacht wurde?
G
Zum ersten: Ich stimme Ihnen in dieser Bewertung
nicht zu. Die hier vorgesehenen Regelungen entsprechen
dem, was international üblich ist, wenn es um Durch-
marschrechte für militärische Einheiten geht.
Zum zweiten: Der Appendix B ist, wie Sie wissen, in
Rambouillet nicht verhandelt worden. Er ist zu keinem
Zeitpunkt Gegenstand der Verhandlungen gewesen.
Deshalb ist die Diskussion darüber auch eigentlich über-
flüssig; denn er entfaltet in jedem Fall keinerlei rechtli-
che Wirkung. Er hätte verhandelt werden sollen und
müssen, wenn die Regierung Milosevic dem Vertrags-
entwurf zugestimmt hätte. Das ist aber nicht geschehen.
Es handelt sich hier um einen Entwurf, den die NATO
vorgesehen hatte für Verhandlungen, die nicht stattge-
funden haben. Mehr ist das nicht. Sowohl der Vertrag
als auch der Appendix sind den Abgeordneten des Deut-
schen Bundestages zur Verfügung gestellt worden.
Eine Zusatzfrage? –
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, sind
Sie nicht der Auffassung, daß Ihre Formulierung, Ap-
pendix B sei nicht verhandelt worden, insofern eine selt-
same Auffassung von Diplomatie ist, als Appendix B
diskutiert und von der kosovo-albanischen Seite unter-
schrieben wurde und vorgesehen war, daß auch Milose-
vic' Seite ihn unterschreiben sollte, also eine Vertrags-
seite ihn als Bestandteil dieses gesamten Rambouillet-
Abkommens mitsamt Appendix A und B verstanden
hat?
G
Nein, ich bin nicht dieser Auffassung, daß das eine
seltsame Auffassung von Diplomatie sei. Das war in der
Verhandlungssituation, in der wir uns befanden, ganz
normal: Während sich die jugoslawische Seite geweigert
hat zu unterschreiben, hat die albanische Seite unter-
schrieben, und zwar auch das, was noch mit der serbi-
schen Seite hätte verhandelt werden müssen.
Wir kommen zur
Frage 43 des Kollegen Dr. Winfried Wolf:
Bedeutet der von der Bundesregierung bemühte Vergleichzum Dayton-Abkommen, daß die Kosovo Implementation Forceeine den SFOR-Truppen in Bosnien-Herzegowina vergleichbareRolle in ganz Jugoslawien hätte spielen sollen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
G
Herr Kollege, der Vergleich zum Dayton-
Abkommen stellt allein darauf ab, aufzuzeigen, daß die
Bundesrepublik Jugoslawien schon 1995 einmal Privile-
gien für NATO und NATO-Personal zugestimmt hat,
die sich zu Transitzwecken – ich wiederhole: nur zu
Transitzwecken – auf dem Gebiet der Bundesrepublik
Jugoslawien befinden. Sie sind weitestgehend auch in
Appendix B des Vertragsentwurfs von Rambouillet vor-
gesehen. Insofern wäre im Appendix B des Rambouillet-
Vertragsentwurfs im wesentlichen nichts von der Bun-
desrepublik Jugoslawien verlangt worden, was sie nicht
bereits 1995 im Hinblick auf das Gebiet der Bundesre-
publik Jugoslawien zwecks Umsetzung des Dayton-
Vertrages für Bosnien-Herzegowina akzeptiert hatte. In
beiden Fällen – Dayton und Rambouillet – geht es le-
diglich darum bzw. wäre es lediglich darum gegangen,
daß die Bundesrepublik Jugoslawien ihr Gebiet den Im-
plementierungstruppen zu Transitzwecken zur Verfü-
gung stellt.
Die in der Frage aufgeworfene Schlußfolgerung, daß
die Kosovo Implementation Force eine den SFOR-
Truppen in Bosnien-Herzegowina vergleichbare Rolle in
ganz Jugoslawien hätte spielen sollen, entbehrt demnach
jeder Grundlage. Ich weise eine diesbezügliche Unter-
stellung auch auf das entschiedenste zurück. Das war
nicht geplant, und das plant auch heute niemand.
Im übrigen orientieren sich die im Dayton-Ab-
kommen wie auch die im Rambouillet-Vertragsentwurf
vorgesehenen Truppenstatutsregelungen eng am „Model
status-of-forces agreement for peace-keeping opera-
tions“ der Vereinten Nationen, das der Generalsekretär
der Vereinten Nationen der Generalversammlung am
9. Oktober 1990 vorgelegt hat und das seitens der Gene-
ralversammlung mit Resolution 45/75 vom 11. Dezem-
ber 1990 im Konsens angenommen wurde.
Dieses Modell-SOFA, das als Grundgerüst für „Status-
of-forces“-Abkommen zwischen den Vereinten Nationen
und dem jeweiligen Gastland dient, versteht sich ferner
als Grundlage für Abkommen, bei denen die Vereinten
Nationen selbst kein Vertragspartner sind. Indem die
Bundesrepublik Jugoslawien der Annahme des Berichtes
in der Generalversammlung am 11. Dezember 1990 zuge-
stimmt hat, hat sie signalisiert, das Modell-SOFA, also
„Status-of-forces agreement“, als Grundlage für Abkom-
men wie Dayton und Rambouillet zu akzeptieren.
Zusatzfrage, Herr
Kollege.
Herr Staatsminister, trotzder überwältigenden Informationsfülle Ihrer Antwort –Staatsminister Günter Verheugen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2727
(C)
(D)
mit vielen Detailangaben, die ich in der mündlichen De-batte nicht genau kontrollieren und nachvollziehen kann– eine Nachfrage: Stimmen Sie mir zu, daß der Appen-dix B, vereinfacht gesagt, unter anderem beinhaltet, daßTransitaktionen der NATO, zum Beispiel der Transitdurch Jugoslawien von Ungarn in den Kosovo, möglichgewesen wären,
daß das aber nicht mit dem Dayton-Abkommen vergli-chen werden kann, weil es sich im Falle Bosniens umein geschlossenes Gebiet mit verschiedenen Aufteilun-gen gehandelt hat – innerhalb eines solchen Gebieteswaren Transite natürlich möglich –, während das Gebietim Falle Kosovo von den Sicherheitskräften getrennt zuverwalten gewesen wäre und damit nicht auch ein Tran-sit durch den Rest Jugoslawiens möglich gewesen wäre?
Herr Staatsminister.
G
Nein, ich kann Ihre Argumentation in überhaupt
keiner Weise nachvollziehen; ich verstehe sie überhaupt
nicht. Der Transit von SFOR-Kräften nach Bosnien-
Herzegowina, das im Gegensatz zum Kosovo ein unab-
hängiger Staat ist, muß teilweise durch die Bundesrepu-
blik Jugoslawien erfolgen; ein entsprechendes Abkom-
men ist im Zusammenhang mit Dayton abgeschlossen
worden. Der Transit einer internationalen Friedenstrup-
pe für das Kosovo, der ja nur auf der Grundlage der Zu-
stimmung der Bundesrepublik Jugoslawien erfolgen
kann, müßte ebenfalls auf der Basis eines solchen Ab-
kommens erfolgen. Um nichts anderes geht es; das ist
absolut vergleichbar. Der einzige Unterschied ist, daß
die Gebiete, in die die Truppen einrücken sollen, Bosni-
en-Herzegowina oder Kosovo, einen rechtlich unter-
schiedlichen Status haben: Bosnien-Herzegowina ist ein
unabhängiger Staat, und das Kosovo ist es nicht. Aber es
geht in beiden Fällen um den Transit durch das Gebiet
der Bundesrepublik Jugoslawien. Ich sage noch einmal:
Es ist ein völlig normaler Fall. Ich glaube auch nicht,
daß dieser Appendix B im Falle einer politischen Zu-
stimmung zu dem Abkommen von Rambouillet noch ein
Problem gewesen wäre.
Zweite Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte.
Meine letzte offensicht-
lich. – Herr Staatsminister, ich möchte es noch einfacher
formulieren. Wenn das alles so einfach ist, können Sie
mir eine überzeugende Erklärung dafür geben, warum
dieser Appendix B nicht in die Öffentlichkeit gebracht
wurde, warum er nicht, wie Sie fälschlich behauptet ha-
ben, allen Abgeordneten zugänglich war, sondern nur
zur Einsichtnahme beim Vorsitzenden des Auswärtigen
Ausschusses vorlag?
G
Ich habe gesagt: den Abgeordneten des Deutschen
Bundestages. Selbstverständlich wären Sie in der Lage
gewesen, das auch für Ihre Fraktionskollegen zu tun. Ich
kann Ihnen nicht beantworten, warum die Gastgeber der
Konferenz von Rambouillet diesen Text nicht veröffent-
licht haben. Die Bundesrepublik Deutschland war be-
kanntlich nicht der Veranstalter und der Gastgeber.
Ich rufe als letzte
Frage die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Heinrich Fink
auf.
Wurden vor dem Hintergrund der Behauptung der Bundesre-gierung, alle Möglichkeiten der Verhandlungen mit der Bundes-republik Jugoslawien ausgeschöpft zu haben, in diese Verhand-lungen auch die jugoslawische Friedensbewegung, die verschie-denen Kirchen Jugoslawiens, der Obermufti Jugoslawiens, derPapst, der ökumenische Rat der Kirchen und das europäischeBürgerforum in Jugoslawien einbezogen?
Herr Staatsminister, bitte.
G
Herr Kollege, bei den Bemühungen um eine fried-
liche Lösung des Kosovo-Konflikts hat die Bundesregie-
rung mit ihren Partnern zahlreiche Anstrengungen un-
ternommen. Die Pläne für eine weitgehende Selbstver-
waltung des Kosovo, die die Verhandler der Kontakt-
gruppe und der Europäischen Union, die Botschafter
Hill und Petritsch, nach monatelanger Vorarbeit in meh-
reren Versionen den Parteien seit August 1998 vorgelegt
haben, wurden von den Verhandlern, aber auch durch
unsere Botschaften in Jugoslawien mit allen Mitgliedern
des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik Jugosla-
wien diskutiert. Hierbei wurde intensiv das Gespräch
mit den verschiedenen Kirchen Jugoslawiens gesucht,
aber auch sonstige Vertreter nicht-regimenaher Institu-
tionen wurden beteiligt.
Zusatzfrage, Herr
Kollege, bitte.
Die nationale Befangen-
heit der Kirchen in Jugoslawien ist uns ja in der letzten
Zeit bekanntgeworden. Wäre es angesichts dessen nicht
gerade wichtig gewesen, über den ökumenischen Rat der
Kirchen und den Papst Einfluß auf die Kirchen zum Bei-
spiel in Jugoslawien oder in Serbien oder im Kosovo zu
gewinnen?
G
Ich habe Ihnen ja gesagt, daß selbstverständlichdieser Versuch unternommen worden ist. Ich weiß ausder Berichterstattung unserer Botschaft zum Beispiel,daß sie diese Kontakte regelmäßig gepflegt hat und ent-sprechende Diskussionen geführt hat; ich weiß das aberauch von den beiden Sonderbeauftragten Hill und Pe-tritsch. Was ich im Augenblick nicht weiß, ist, ob auchdie Diplomatie des Vatikans in besonderer Weise einge-schaltet worden ist. Es liegt eigentlich nahe. Ich möchteIhnen hier aber nichts Falsches sagen. Zum Thema derEinschaltung der Diplomatie des Vatikans gebe ich Ih-nen, wenn Sie damit einverstanden sind, noch eine er-gänzende schriftliche Information.Dr. Winfried Wolf
Metadaten/Kopzeile:
2728 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
Noch eine Zusatz-
frage, Herr Kollege?
Ja.
Bitte sehr.
Ich teile Ihre gegen Milo-
sevic gerichtete Überzeugung. Das ist gar keine Frage.
Aber wäre es nicht doch wichtig gewesen, das Angebot
eines Stopps des Bombardements über Ostern für die
Gläubigen in Jugoslawien zu machen?
G
Das ist selbstverständlich erörtert worden. Das Er-
gebnis war, daß wir es nicht für richtig halten konnten,
die militärischen Maßnahmen für die Gläubigen zu un-
terbrechen, während die – in Anführungszeichen – Un-
gläubigen, nämlich die Muslime, im Kosovo weiter ge-
schlachtet werden.
Damit sind wir am
Ende der Fragestunde. Ich danke Herrn Staatsminister
Günter Verheugen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zur sogenann-
ten Scheinselbständigkeit und zum 630-Mark-
Gesetz nach dem jüngsten Briefwechsel mit
Bundesminister Riester
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Dr.
Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion. Bitte sehr.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Knapp sechs Monatenach ihrem Amtsantritt steht die rotgrüne Bundesregie-rung in der Sozialpolitik vor einem Desaster.
Fast möchte man sich ja wünschen, Sie hätten sich daraufbeschränkt, nur zurückzunehmen, was die alte Koalitiongemacht hat; denn dort, wo Sie angefangen haben, selberzu gestalten, haben Sie wirklich nur noch Chaos produ-ziert und eine zerstörerische Kraft bewiesen.
Das zeigen am besten die Regelungen zu den 630-Mark-Jobs und zur Scheinselbständigkeit. Die Finanz-ämter werden mit Anträgen auf Freistellung von derSteuerpflicht überschwemmt, statt sich darum zu bemü-hen, Anträge auf Rückzahlungen zu bearbeiten. Sozial-versicherungsträger bereiten engmaschige Kontrollender Betriebe vor,
um auch noch die letzte Sozialversicherungsmark ein-zutreiben. Arbeitnehmer kündigen zu Tausenden ihregeringfügige Nebenbeschäftigung und werden in dieSchwarzarbeit abgedrängt. Wenigstens das müßte Siedoch veranlassen, einmal ernsthaft mit uns darüber zudiskutieren, was Sie mit Ihren überstürzten Regelungenangerichtet haben. Statt dessen hören und lesen wir nur– ich fürchte, wir hören es heute auch wieder –, daß Siezum Nachdenken nicht bereit und auch nicht in der Lagesind.
Ich prophezeie Ihnen: Die Wirklichkeit wird Sie ein-holen. Wenn Sie jetzt wieder sagen: „Wir machen garnichts, wir warten nur zu“, dann zerstören Sie noch mehrSelbständigkeit und Kreativität in Deutschland, als dasin den letzten Wochen eh schon der Fall gewesen ist.
Bundeswirtschaftsminister Müller hat genau das ganzklar gesagt. Ich bin einmal gespannt, wer sich heuteabend im Gespräch beim Bundeskanzler durchsetzt. –Herr Schlauch schaut mich schon ein bißchen nach-denklicher an.
Das waren ja auch die Signale, die aus der Fraktion derGrünen gekommen sind, in der es nämlich ebenfallsKolleginnen und Kollegen gibt, die sagen, daß dieRealität eben nicht ist, daß wir eine Angestelltengesell-schaft bilden, sondern daß wir Selbständigkeit fördernmüssen. Ihre Regelungen aber machen Selbständigkeitkaputt.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Der Prä-sident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandelsschätzt, daß mindestens 30 Prozent der 500 000 gering-fügigen Beschäftigungsverhältnisse im Einzelhandeldurch die Neuregelung wegfallen. Wegfallen! Da fälltArbeit weg, da fällt Verdienst für Familien weg. Sie sinddaran schuld.
Nach einer Umfrage des Gebäudereinigerhandwerkshaben bereits 45 Prozent der geringfügig Beschäftigtenim Nebenjob gekündigt. Auch da fällt Arbeit weg, auchda fällt Verdienst weg.
90 Prozent der Betriebe geben an, sie hätten enormeSchwierigkeiten, überhaupt wieder Mitarbeiter zu fin-den.Der niedersächsische Wirtschaftsminister Fischer, derja zu Ihrer Partei gehört, beklagt, bei Zeitungsverlagenund Gastronomie rolle eine Kündigungswelle wegen derNeuregelung der 630-Mark-Jobs heran. Wenn Sie nichteinmal das zum Nachdenken bringt, dann kann ich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2729
(C)
(D)
wirklich nur sagen: Ihre ideologische Verbohrtheit soll-ten Sie bald ablegen.
Manche Verlage verzeichnen in der Zwischenzeit einenAusfall von 30 Prozent der Zusteller. UnabhängigeSchätzungen gehen davon aus, daß rund 50 000 Ein-Personen-Unternehmen wegen Ihrer Neuregelungen zurScheinselbständigkeit in diesem Jahr aufgeben müssen.
Das ist der rotgrüne Beitrag zur Förderung der Selbstän-digkeit.
Nun streitet die Koalition in sich. Da streiten Sozial-demokraten und Grüne. Man kann wirklich nur erstauntgucken, daß der finanzpolitische Sprecher der Grünenerst jetzt gemerkt hat, was Sie da angerichtet haben.Wenn er in der Anhörung, die wir durchgeführt haben,zugehört hätte, hätte er es besser wissen müssen.
Es streiten Sozialpolitiker mit Wirtschaftspolitikern. Wirsind gespannt auf das Machtwort des Kanzlers.
Das, meine Damen und Herren, ist Dilettantismuspur. Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie diese Regelungenzurück! Wenn Sie versuchen, nachzubessern, wird allesnur noch schlimmer.
Lassen Sie mich aber auch ein Wort in Richtung derCDU/CSU-Fraktion sagen. Es ist schon etwas merkwür-dig, mit welcher Vehemenz Sie plötzlich für den Erhaltder 630-Mark-Jobs kämpfen.
Es war immerhin Ihr Bundesarbeitsminister Blüm – erhat nicht ohne Ihre Rückendeckung gehandelt –, der al-lein in der letzten Wahlperiode mindestens drei Anläufegenommen hat, um die geringfügige Nebenbeschäfti-gung abzuschaffen.
Das erste Mal hat sich die von ihm geleitete Kommis-sion „Fortentwicklung der Rentenversicherung“ am27. Januar 1997 hierfür ausgesprochen –
Frau Kollegin, den-
ken Sie an die Redezeit?
– ich höre sofort
auf –, gegen das Minderheitenvotum von Julius Cronen-
berg. Das zweite Mal wären fast die Koalitionsver-
handlungen zur Rentenreform 1999 am 13. April 1997
an dieser Frage gescheitert. Das dritte Mal, Herr Sing-
hammer, war Ihre Sozialministerin Stamm von der CSU
daran beteiligt, die die Verhandlungen zur Rentenreform
1999 nicht ohne eine Abschaffung der geringfügigen
Nebenbeschäftigung beenden wollte. – Nur weil die
F.D.P. standhaft geblieben ist,
ist es nicht dazu gekommen. Deswegen, meine Damen
und Herren, seien Sie ehrlich und haben Sie in der Op-
position kein so kurzes Gedächtnis.
Ich erteile der Par-
lamentarischen Staatssekretärin Ulrike Mascher das
Wort.
U
Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Was wirheute unter spektakulärer Begleitmusik erleben, ist eineweitere Etappe in der Irreführungsoffensive der neuenOpposition.
Erst ist die Parlamentsmehrheit verloren, und dann ge-winnt die Opposition der außerparlamentarischen Aktionganz neue Reize ab.Ihr Rezept ist erschreckend einfach: Zuerst werdendie Menschen falsch informiert und verunsichert,
dann wird der Protest öffentlichkeitswirksam organi-siert. Das war bei Ihrer Unterschriftenaktion gegen dieReform des Staatsbürgerschaftsrechtes so,
und das setzen Sie fort mit Ihrer Postkartenaktion gegenunsere Initiativen, die Erosion der Sozialversicherung zustoppen.
Sie schüren Ängste und veranlassen Menschen, aufGrund Ihrer Verbreitung von falschen Informationenfalsche Entscheidungen zu treffen.
So zum Beispiel kündigen Rentner ihre geringfügigenBeschäftigungsverhältnisse, weil sie fälschlicherweiseglauben, dies würde zu hohen Steuerbelastungen führen.
Dr. Irmgard Schwaetzer
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2730 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
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Unsere Neuregelung hat eine lange Geschichte. FrauDr. Schwaetzer hat schon darauf hingewiesen. Sie habenallerdings eine Etappe vergessen. 1981 hat die sozial-liberale Koalition schon einmal eine Regelung versucht;damals ist sie an der CDU/CSU gescheitert. 1996/97 gabes die Initiativen von Norbert Blüm und der CDU, ge-meinsam mit der SPD im Vermittlungsausschuß. Das istan der F.D.P. gescheitert.Heute aber regen Sie sich auf. Sie waren es doch, diedurch 16 Jahre Wegschauen eine solche Entwicklungder Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse –es gibt über 5 Millionen solcher Beschäftigungsverhält-nisse – haben geschehen lassen. Das haben Sie ange-richtet!
Ich verweise nur auf den Präsidenten der Bundesan-stalt für Arbeit, Herrn Jagoda, der einer regierungsamtli-chen Parteilichkeit nicht verdächtig ist. Er hat davor ge-warnt, eine vorschnelle und falsche Kritik an der Neure-gelung der 630-Mark-Jobs zu üben.Gegen Ihre Desinformationskampagne können wirnur Aufklärung setzen. Deshalb wiederhole ich hier: Er-stens. Nicht alle geringfügig Beschäftigten sind von demGesetz gleichermaßen betroffen. Wer nur zwei Monateoder bis zu 50 Tage im Jahr geringfügig arbeitet, mußnach wie vor keine Sozialversicherungsbeiträge leisten.Dies betrifft die Saisonbeschäftigten, zum Beispiel imGaststättengewerbe. Herr Dr. Ramsauer, das sollten Siesich merken.
Zweitens. Für Personen, die dauerhaft geringfügigbeschäftigt sind, also insgesamt nur 630 DM im Monatverdienen, bringt die Neuregelung echte Verbesserun-gen. Das ist die große Mehrheit der geringfügig Be-schäftigten; von den 5,6 Millionen geringfügig Beschäf-tigten fallen 75 Prozent, also 4,2 Millionen Personen, indiese Gruppe. Für sie entfällt die Lohnsteuerpflicht,
falls sie keine weiteren steuerpflichtigen Einkünfte er-zielen.
Der Arbeitgeber zahlt einen Pauschalbeitrag in Höhevon 10 Prozent zur Krankenversicherung und von 12Prozent zur Rentenversicherung.Das ist eine Maßnahme gegen Schwarzarbeit, FrauDr. Schwaetzer, weil der Anreiz für Schwarzarbeit da-durch sinkt.
Die erweiterte Meldepflicht bei den Sozialversiche-rungsträgern verhindert ebenfalls Schwarzarbeit. Eswird unmöglich – Frau Dr. Schwaetzer, ich würde Ihnenempfehlen zuzuhören –, mehrere geringfügige Beschäf-tigungen zu haben und trotzdem keine Sozialabgaben zuzahlen.
Änderungen gibt es in der Tat für eine Minderheit derArbeitnehmer, die neben ihrer Haupttätigkeit einen ge-ringfügigen Nebenjob haben. Wenn Sie unsere Regelungablehnen, dann müssen Sie den Arbeitnehmern, diedurch Überstunden mehr verdienen, auch erklären, war-um ihre Überstunden sozialversicherungs- und steuer-pflichtig sind, aber das nicht für Nebenbeschäftigungengilt.Die CDU/CSU wäre in der letzten Legislaturperiodegut beraten gewesen, diese Gerechtigkeitslücke zuschließen. Es ist ihr dank der F.D.P. nicht gelungen. Unsist es jetzt gelungen. Ich denke, es ist richtig, was wirgemacht haben.
– Nein, das stimmt einfach nicht.Bezüglich der Beseitigung des Mißbrauchs bei derSelbständigkeit, also bei der Bekämpfung der Schein-selbständigkeit, kann ich mir nicht vorstellen, daß es inIhrem Interesse ist, wenn die Betriebe, die ordnungsge-mäß Sozialversicherungsbeiträge zahlen, Nachteile imWettbewerb gegenüber denjenigen erleiden, die sichdieser Pflicht entziehen.
Die sogenannten scheinselbständigen Arbeitnehmer wa-ren bereits nach altem Recht sozialversicherungspflich-tig.
Aber es sind zum großen Teil widerrechtlich keine Bei-träge gezahlt worden. Ich weiß nicht, warum Sie sich soaufregen, wenn wir auf der materiellrechtlichen Seitenichts geändert haben, sondern nur eine Regelung be-schlossen haben, mit der die entsprechenden Betriebedazu gebracht werden können, ihre Sozialversiche-rungsbeiträge zu zahlen, und die den Arbeitnehmern undden Betriebsräten sowie den Sozialversicherungsträgernbessere Möglichkeiten bietet, das – ich wiederhole –geltende Recht durchzusetzen und den Mißbrauch end-lich zu bekämpfen.
Die Unruhe, die hier in der Öffentlichkeit erzeugt wirdund die auch von einigen Interessenverbänden geschürtwird, zeigt nur, wie gut sich einige Branchen inzwischenmit diesem Mißbrauch eingerichtet haben.
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2731
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Der Behauptung, wir würden damit Existenzen ver-nichten und Existenzgründungen behindern, muß ich mitder Frage entgegnen: Haben Sie wirklich das Gesetzgelesen? Den Existenzgründern ermöglichen wir in denersten drei Jahren, wenn sie wenig verdienen, wasdurchaus wahrscheinlich ist, ihren Rentenversicherungs-beitrag bis auf einen Mindestbeitrag von derzeit 122,85DM zu senken. Sie können mir nicht weismachen, daßein Existenzgründer nicht in der Lage sein soll, 122,85DM als Sozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Wenn erdas nicht zahlen kann, dann muß ich befürchten, daßseine Existenzgründung auf sehr wackligen Füßen steht.
Außerdem ist Ihnen vielleicht auch bekannt, daß durchdiesen Rentenversicherungsbeitrag ein Anspruch aufErwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente aufrechterhaltenwird. Das ist ein ganz elementarer Schutz, der auch fürSelbständige wichtig ist.
Ein weiteres Argument: Vielleicht ist Ihnen entgan-gen, daß Regelungen für arbeitnehmerähnliche Selb-ständige in anderen Ländern der Europäischen Unionschon lange existieren. Deutschland hatte hier einenNachholbedarf. Es ist also überhaupt nicht richtig, zubehaupten, Deutschland würde hier einen Sonderwegeinschlagen; vielmehr holen wir hier endlich etwas nach.Wir schaffen
eine soziale Absicherung für Existenzgründer, die euro-päischem Standard entspricht. Im übrigen kommen wirdamit – das ist vielleicht für die CDU/CSU interessant –einer Forderung nach, die die CDU in ihrer Präsidiums-kommission „Zukunft der sozialen Sicherungssysteme“exakt so erhoben hat. Ich kann also die Scheinheiligkeitund die Aufregung auf seiten der CDU nicht verstehen,wenn sie selber diese Regelung noch 1997 für richtiggehalten hat.
Natürlich wird in der Regierungskoalition offen dar-über diskutiert. Manchmal findet diese Diskussion inForm von Briefen statt. Es gab zum Beispiel einenBriefwechsel zwischen Walter Riester und RezzoSchlauch. Ich finde es völlig korrekt und normal, daßheute im Kanzleramt darüber diskutiert wird, wie manden Ängsten und Sorgen, die in der Öffentlichkeit lautgeworden sind, begegnen kann.
Angesichts der Sorgen der Bundesländer und anläß-lich der Beschlüsse über die geringfügigen Beschäfti-gungsverhältnisse hat der Bundesarbeitsminister imBundesrat angekündigt – es ist im Gesetz schon festge-schrieben, aber er hat es dort noch einmal deutlich arti-kuliert –, daß er sehr sorgfältig die Entwicklung nachden Anlaufschwierigkeiten bei den Finanzämtern undbei den Sozialversicherungsträgern beobachten werde.Sollte sich dann tatsächlich herausstellen, daß Existenz-gründungen behindert werden,
was ich nach den realen Grundlagen nicht nachvollzie-hen kann,
dann werden wir selbstverständlich auch Korrekturenvornehmen. Aber wir korrigieren kein Gesetz, das nochnicht einmal drei Monate in Kraft ist. Wir haben dafürüberhaupt keine Grundlagen.
– Herr Niebel, es wird auch durch Lautstärke nicht bes-ser, wenn Sie hier immer behaupten, das Gesetz seiMurks.
Heute abend findet im Kanzleramt ein Gedankenaus-tausch statt.
Der ist in der Koalition ganz normal. Ich denke, HerrSchlauch, Walter Riester und der Kanzler werden daihre Erfahrungen, ihre Einschätzungen austauschen. Ichbin ganz sicher, daß wir da zu einem guten Ergebniskommen.Danke.
Nun hat der Kollege
Julius Louven, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Mei-ne sehr verehrten Damen und Herren! Bei der ersten Le-sung dieses unsäglichen Gesetzes,
Frau Mascher, habe ich hier Ihrem Minister, HerrnRiester, zugerufen: „Ziehen Sie diesen Murks zurück!“
Als dann viele Zeitungen dieses Zitat brachten, hatte ichdie Sorge, ich hätte vielleicht überzogen.
Heute weiß ich, daß Sie wirklich Murks verabschiedethaben.
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
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2732 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
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Sie, Frau Mascher, beneide ich nicht dafür, daß Sie die-sen Murks hier verteidigen müssen,
nicht wissend, ob nicht heute abend oder morgen früh indieser Frage eine völlig neue Situation besteht.
Wie sieht nun dieser Murks aus? Bei den Gebäude-reinigern – Frau Schwaetzer hat dies gesagt – gibt esüber 46 Prozent Kündigungen. Hier bestrafen Sie einenWirtschaftszweig, der immer gefordert hat, die 630-DM-Arbeitsverhältnisse in normale Arbeitsverhältnisse um-zuwandeln. Dieser Handwerkszweig ist jetzt nicht mehrin der Lage, Verträge zu erfüllen, weil Arbeitskräftenicht zur Verfügung stehen. Dies haben Sie zu verant-worten.In der Gastronomie hat es bislang über 200 000 Kün-digungen gegeben. Nach Auskunft des Präsidenten desDehoga ist dies erst die Spitze des Eisberges. Man weißnicht, wie man dies kompensieren soll.Die Privathaushalte sind verunsichert. Gemeinnützigeund Sportvereine wissen nicht, wie sie ihre Lückenschließen sollen.Meine Damen und Herren, wir von der CDU/CSUstimmten auch in der letzten Legislaturperiode darinüberein, daß in dieser Frage Handlungsbedarf besteht.Wir stimmten mit der F.D.P. darin überein, FrauSchwaetzer, daß für schutzwürdige Personen ein ausrei-chender Versicherungsschutz gewährleistet sein muß.
Dies haben wir in einer gemeinsamen Erklärung hier imBundestag Ende 1997 beschlossen.
Ich habe hier am 19. November in Erwiderung aufden Bundeskanzler fünf Punkte genannt, die für uns beieiner Lösung dieses Problems wichtig sind. Der wichtig-ste war, daß wir den Einstieg in sozialversicherte Ar-beitsverhältnisse erleichtern und die 630-DM-Mauerüberwinden. Dieses Ziel haben Sie verpaßt –
statt dessen zusätzliche Schwarzarbeit en masse.Sie wollten Geld für die Sozialversicherungen undhaben nicht an den wirklichen sozialen Schutz der Be-troffenen gedacht. Dank Ihrer mangelnden Einsicht ste-hen Sie jetzt vor einem Trümmerhaufen. Am 17. Aprilberichtet die „Westdeutsche Zeitung“, daß die LänderNiedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit diesem Ge-setz unzufrieden sind. Ich darf den Artikel einmalzeigen: „Arbeitgeber hoffen bei 630-Mark-Jobs auf Ei-chel“. Es heißt in diesem Bericht, der neue Finanzmi-nister kenne die Probleme insbesondere der Zeitungs-verlage. Man vertraut darauf, daß er eine bessere Lösungfinden wird.Wenn Sie einmal die persönliche Erklärung von FrauBuntenbach bei der Verabschiedung des Gesetzesdurchlesen, dann stellen Sie fest, daß sie schon damalsihre Bedenken genannt hat.Auch der Kanzler, der hier am 19. November mit ge-tragenen Worten eine Regelung vorschlug, die dann abernicht Wirklichkeit wurde,
zeigt sich beim Gespräch mit Zeitungsverlegern „er-staunt“ – so die „Westdeutsche Zeitung“ – über negativeAuswirkungen. Das wäre, meine Damen und Herren, dernächste Flop.Herr Schlauch – er wird uns nachher etwas dazu sa-gen – sieht Änderungsbedarf. Die SPD-Fraktion hat ge-stern abend beschlossen, zunächst einmal abzuwarten.Von Herrn Struck, dem Vorsitzenden der Fraktion, liestman heute im „Handelsblatt“: Neuregelungen nicht aus-geschlossen. Er kritisiert insbesondere die Finanzämterund die Sozialversicherungsträger, die mit Übereifer andiese Sache herangegangen sind.
Meine Damen und Herren, diese Behörden setzen die48 Seiten Ihrer Erläuterungen um. Da kann man dochnicht von „Übereifer“ sprechen.Dann heißt es: Scheinselbständigkeit und vielleichtauch 630-Mark-Arbeitsverhältnisse sind zur Chefsachegemacht worden.
Nachdem die Chefs Schröder und Riester mit ihren Be-mühungen gescheitert sind, habe ich diesmal die Hoff-nung, daß die Herren Wirtschaftsminister Müller mit derChefsache beauftragen. Er hat, so habe ich den Ein-druck, wenigstens mehr Ahnung von den wirtschaftli-chen Verhältnissen als die beiden zuerst Genannten.Noch besser, meine Damen und Herren von den Koaliti-onsfraktionen, wäre, Sie setzten diesen Murks aus.Wenn Sie selbst nicht den Mut dazu haben, geben wirIhnen in der nächsten Sitzungswoche die Möglichkeitdazu. Wir werden nämlich einen Antrag einbringen, die-ses Gesetz auszusetzen.
Nun erteile ich dem
Abgeordneten Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich findees schon toll, wie die Opposition hier in die Bütt steigt.Sie hat offensichtlich gemerkt, daß sie 16 Jahre lang andiesem Punkt einen Wandel verschlafen hat,
Julius Louven
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2733
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und zwar einen Wandel des Arbeitsmarktes und der Be-dürfnisse der Menschen, die in diesem Arbeitsmarkt ar-beiten. Trotz Regelungsbedarfs – die CDU hat manch-mal Anlauf genommen, ist aber immer zu kurz gesprun-gen – haben Sie nichts getan. Die Menschen sind flexi-bler geworden und wollen individuellere Lösungen. Fle-xibilität, meine Kolleginnen und Kollegen von derF.D.P., ist aber nicht der einzige Maßstab. Bei einer mo-dernen Wirtschafts- und Sozialpolitik müssen auch dieFreiheitsinteressen und die Sicherheitsinteressen der Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem angemes-senen Verhältnis zueinander stehen. Sie haben denWandel und die Entwicklung beliebig laufen lassen,ohne einzugreifen.
Das war der Grund dafür, daß wir gehandelt haben.
Sie haben es nämlich zugelassen, daß unsere Sozialkas-sen geplündert und ausgetrocknet werden,
und Sie haben zugelassen, daß millionenfach nichtSteuerhinterziehung, sondern – das ist mindestens ge-nauso schwerwiegend – Sozialabgabenhinterziehungbegangen wurde.
Sie werden mir nicht erzählen wollen, daß einScheinselbständiger sozusagen ein freier Unternehmerist. Er ist es nicht – weder in der Gestaltungsmöglichkeitseiner Arbeit noch bei seiner Sicherheit für das Alter.Von Freiheit und Sicherheit kann beim Scheinselbstän-digen überhaupt nicht die Rede sein.
– Jetzt hören Sie doch einmal auf zu blöken!
Wir wollen die unternehmerische Freiheit dort för-dern, wo es sich tatsächlich um Selbständige handelt,und die soziale Sicherheit dort bewahren, wo es umScheinselbständige geht, die in Wirklicheit abhängigBeschäftigte sind. Wir wissen, daß es Praxisproblemegibt. Wir bedauern auch, daß es hier zu Verunsicherunggekommen ist. Wir wissen, daß die Neuregelung Büro-kratieprobleme aufwirft.
Wir wissen aber auch, daß viele Betroffene fürchten,daß ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überfordertwird. Meine Fraktion hat sich in den letzten Monatenvor allen Dingen für Änderungen beim Status der ar-beitnehmerähnlichen Selbständigen – die bereits erfolgtsind – eingesetzt. Damit konnten wir erreichen, daß dievorgesehene vierjährige Rückwirkung bei der Sozialver-sicherungspflicht aufgehoben worden ist,
und damit haben wir schon viele Befürchtungen vonUnternehmen und Betroffenen ausgeräumt.Wir sehen allerdings – selbstverständlich gibt es dazuunterschiedliche Meinungen – weiteren Änderungsbe-darf.
Wir streben zum Beispiel Wahlfreiheit bei den Formender Altersvorsorge an und wollen gerade jungen Exi-stenzgründern den Weg in die Selbständigkeit erleich-tern.
– Ja, das muß man einfach wissen: Ich kann dabei auseigener Erfahrung sprechen.
Meine berufliche Biographie wäre mit diesem Gesetz sonicht möglich gewesen.
So geht es vielen selbständigen Anwälten; so geht esvielen Architekten und Menschen in anderen selbständi-gen Berufen.
Deshalb sehen wir an diesem Punkt Änderungsbedarf.
– Das ist so. Darüber werden wir uns heute abend offenunterhalten. Auch bei Ihnen gibt es dazu ja, wenn ich esrecht sehe, unterschiedliche Auffassungen. Herr Burywird nachher seine Position darstellen.
– Meine Damen und Herren von der F.D.P., wissen Sie,wer 16 Jahre lang den Karren laufen läßt, ohne einzu-greifen,
der hat jegliche Legitimation verloren, aufs Blech zuhauen.
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an Ihre Zeit!
Ich komme zum Schluß.Soziale Sicherheit – dabei können wir auf eine Er-kenntnis von Max Weber zurückgreifen, dem Sie ja auchRezzo Schlauch
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2734 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
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nahestehen – ist gleichzeitig die Voraussetzung für er-folgreiches Unternehmertum. Eine Gesellschaft, die kei-ne soziale Sicherheit bietet – nach ihrem Muster: Rechtdes Stärkeren –,
verspielt ihre Innovationschancen, weil die unternehme-rischen Risiken untragbar scheinen.Danke schön.
Meine Damen und
Herren, ich habe bei dem Wort „blöken“ Zweifel, ob es
in einer Parlamentsdebatte am Platze ist, will es aber
einmal so stehen lassen, denn es klang wirklich ein biß-
chen so.
Gleichwohl glaube ich, daß wir uns einig sind, daß das
eigentlich kein parlamentarischer Ausdruck ist.
In diesem Sinne hat jetzt die Kollegin Dr. Heidi
Knake-Werner das Wort.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es war fürSie alle damit zu rechnen, daß soziale Reformen derSPD-geführten Regierung auf scharfen Gegenwind vonrechts stoßen würden. Aber was heute abgeht, ist wirk-lich beeindruckend. Es steht sicherlich auch dafür, daßdie Bundesregierung mit den Gesetzen zur Eindämmungder Scheinselbständigkeit und zu den 630-Mark-Jobs of-fensichtlich diejenigen, die in den letzten Jahren vor al-len Dingen auf Sozialabbau und Deregulierung gesetzthaben, an einem ihrer empfindlichsten Nerven getroffenhat.
Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, jedenfalls nachmeiner Einschätzung ein wichtiger Grund für Ihren mas-siven Protest,
für die Empörung, die Sie an den Tag legen, und für die– mehr oder weniger massiven – Kampagnen, die Sie inGang gesetzt haben. Daraus entsteht natürlich ein enor-mer Druck auf diese Regierung; das ist wohl so. Aberdarauf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPDund von den Bündnisgrünen, hätten Sie sich einstellenkönnen. Deshalb finde ich das Gewackel in Ihren Reihenbesonders ärgerlich.
Insbesondere der Kollege Schlauch, der gerade so en-gagiert geredet hat, rudert in dieser Frage kräftig zurück.
– Mit der Feststellung „Wir sind über das Ziel hinausge-schossen“ sehr wohl. Wieso eigentlich, lieber Kollege?War es nicht das erklärte Ziel dieser Koalition, sozialenSchutz für diejenigen zu schaffen, die am meisten daraufangewiesen sind, zum Beispiel die vielen Frauen undMänner, die in versicherungsfreie und scheinselbständi-ge Tätigkeiten abgedrängt werden? War es nicht auchdas Ziel Ihrer Regierung, die Flucht der Arbeitgeber ausdem Solidarsystem zu stoppen und die Solidargemein-schaften zu entlasten? Ging es schließlich nicht auchdarum, der Erosion der sozialversicherungspflichtigenArbeitsverhältnisse entgegenzuwirken? Das scheint auchein bißchen zu klappen, wenn ich die Aussage, die FrauMönig-Raane von der HBV in einem Interview gemachthat, richtig verstanden habe. Es ist wohl auch ein wich-tiges Ziel gewesen, den Umfang der prekären Beschäfti-gungsverhältnisse einzudämmen.Daß das alles auf organisierten Widerstand, insbe-sondere aus dem Arbeitgeberlager, stoßen würde, wardoch völlig klar.
Aber das müssen Sie aushalten. Wenigstens an der Stelledürfen Sie guten Gewissens von der Vorgängerregierunglernen. Sie mobilisiert zwar jetzt alles, damit Druck vonden Straßen und Plätzen kommt. Aber früher hat sie ihmerfolgreich widerstanden.
Wenn Sie heute schon vor ein paar Konzernetagen ka-pitulieren, so erschüttert das nicht nur Ihre politischeHandlungsfähigkeit, sondern auch – dies ist schlimmer –Ihre Glaubwürdigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann natürlichsein, daß vieles in dem Gesetz, insbesondere was dieEindämmung der Scheinselbständigkeit angeht, mit hei-ßer Nadel gestrickt worden ist und noch nicht für alleBetroffenen ausreichend durchdacht war. Richtig ärger-lich bei der gegenwärtigen Debatte ist aber, daß ebennicht mehr über diejenigen gesprochen wird, die in denvergangenen Jahren im Handel, in der Gastronomie undim Transport in die Scheinselbständigkeit gezwungenwurden. Viele von ihnen haben das doch nicht freiwilliggemacht, sondern sie haben diese Tätigkeit unter demDruck der drohenden Arbeitslosigkeit gewählt. Das wis-sen Sie ganz genau.Besonders wütend macht mich, daß die größten Kro-kodilstränen gerade die Unternehmen vergießen, die inden letzten Jahren am meisten von dieser Entwicklungprofitiert und keine Gelegenheit versäumt haben, sichden finanziellen Lasten für die Sozialversicherungsbei-Rezzo Schlauch
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2735
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träge zu entziehen, die kein Problem damit hatten, dieBeschäftigten einer Scheinselbständigkeit und damitdem Risiko fehlender sozialer Absicherung auszusetzen,und sich damit noch Wettbewerbsvorteile verschafft ha-ben.Natürlich bedeutet das alles nicht, daß man nichttrotzdem über diese Gesetze nachdenken muß, daß mannicht praktische Erfahrungen sammeln muß, die mangründlich auswerten muß, um vor allem im Grauzonen-bereich eine eindeutige Trennung zwischen echter undfalscher Selbständigkeit bzw. abhängiger Beschäftigungvornehmen zu können.Es wird auch immer damit argumentiert, daß so en-gagierte Leute wie Bill Gates mit dem jetzigen Gesetz inihrem Tatendrang aufgehalten worden wären.
Man kann Ihnen relativ gut vorrechnen, daß das derblanke Unsinn ist. Auch Bill Gates wäre bei den Beiträ-gen für die sozialen Sicherungssysteme nicht stärkerbelastet worden, als die meisten abhängig Beschäftigtenund Selbständigen es heute sind. Das wird man wohlnoch verlangen dürfen.
Denken Sie bitte an
Ihre Redezeit.
Ja. – Ich will zum
Schluß noch eine Bemerkung zu den 630-Mark-Jobs
machen. Ich habe stapelweise Protestbriefe bekommen,
wie viele andere von Ihnen vermutlich auch. Das ist
deshalb passiert, weil ich schlankweg dieser Bundesre-
gierung zugeordnet worden bin, obwohl ich ja nun
wirklich eine der ausgewiesenen Gegnerinnen dieses
Gesetzes war.
Ihre Redezeit ist
wirklich zu Ende. Es tut mir leid.
Gut. Dann kann
ich leider nicht mehr sagen, was man daraus lernen
kann. – Ich meine – das sage ich auch noch einmal in
Richtung der Bündnisgrünen –, es ist Vorsicht geboten
beim Zurückrudern, Kollege Schlauch. Man sollte, wenn
man der Auffassung ist, man sei über das Ziel hinausge-
schossen, gut überlegen, in wessen Interesse man eine
solche Feststellung trifft. Ich kann nur hoffen, daß die
Herrenrunde heute abend standfest bleibt. Ich glaube,
das hilft Ihnen mehr als dieses Geeiere.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Hans Martin Bury, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist eigentlichkeine Aktuelle Stunde,
sondern eher ein „jour fixe“ mit dem Titel: Einfallslo-sigkeit der Opposition.
– Schreien Sie nicht so! – Man könnte auch sagen: Ver-antwortungslosigkeit. Denn Sie haben jahrelang zuge-lassen, daß immer mehr Menschen in ungeschützte Be-schäftigungsverhältnisse gedrängt worden sind.
Ich erinnere mich gut daran, wie uns das Unterneh-men UPS vor vier Jahren gedrängt hat, endlich gegendie Ausbreitung von Scheinselbständigkeit vorzugehen.UPS hatte und wollte nämlich keine scheinselbständigenSubunternehmer; aber die Wettbewerber von UPS imhartumkämpften KEP-Markt haben den Kostenvorteilgenutzt und so einen Wettbewerb um schlechtere Ar-beitsbedingungen in Gang gesetzt. Ich darf auch daranerinnern, daß es die Gebäudereiniger waren, die sich füreine Neuregelung geringfügiger Beschäftigungsverhält-nisse ausgesprochen haben.
Die Erosion der sozialen Sicherungssysteme und dieAuswirkungen auf die Lohnnebenkosten waren ebensoAnlaß der Reform wie der Schutz der betroffenen Ar-beitnehmer. Die gesetzlichen Regelungen sind also hin-sichtlich des Zieles richtig, und sie waren, auch aus wirt-schaftspolitischer Sicht, dringend notwendig, um Wett-bewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Genauso richtig ist es aber leider, daß es bei der Umset-zung der Neuregelungen Probleme gibt. Vor allem gibtes ein erhebliches Informationsdefizit, gefüllt mit Desin-formation von interessierter Seite. Es gibt aber auch dieSchwierigkeit fehlender Übergangsfristen und damit er-schwerter Anpassungsmöglichkeiten.Die Neuregelungen sind seit wenigen Wochen inKraft. Wir werden die Auswirkungen im Auge behaltenund uns um Verbesserungen bei der Umsetzung bemü-hen; denn auch ein richtiges Gesetz ist nicht gut, wennes so schwer nachvollziehbar ist.
Aber vieles wird sich einpendeln.Wichtig erscheint mir vor allem, deutlich zu machen,daß wir nicht stehenbleiben. So kann die 630-Mark-Regelung nur ein Zwischenschritt sein.
Dr. Heidi Knake-Werner
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2736 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
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– Hören Sie doch auf, herumzuschreien! Die Liberalensind nun wirklich die Scheinselbständigen der deutschenPolitik.
Ich wiederhole: Die 630-Mark-Regelung kann nur einZwischenschritt sein. Ihr muß die Ermöglichung einesgleitenden Übergangs in Vollerwerbsarbeit folgen.Wenn Sie sich die strukturellen Probleme des Arbeits-marktes anschauen, dann erkennen Sie, daß zu ihrer Lö-sung, neben anderem, auch die Verbesserung der Chan-cen Geringqualifizierter gehört. Dafür zu sorgen, daßdiese Menschen von ihrem Arbeitseinkommen lebenkönnen und daß Arbeit mehr einbringt als das Leben vonTransfereinkommen, ist unsere Aufgabe.Unsere Politik zielt auf die Schaffung ordentlicherArbeitsplätze. Um dieses Ziel zu erreichen, muß auchunternehmerische Initiative erleichtert werden. Deshalbwerden wir selbstverständlich auch beim Thema Schein-selbständigkeit darauf achten, tatsächliche oder ver-meintliche Hürden für Existenzgründer und Selbständigezu überwinden.Wir nehmen die Kritik sehr ernst. Sie wissen, daßsich der Bundeskanzler des Themas annimmt. Wir müs-sen vor allem die unsägliche Bürokratie abbauen. Ichbitte den Bundesarbeitsminister, in diesem Sinne weitertätig zu sein. Sollte sich weiterer Handlungsbedarf erge-ben, werden wir selbstverständlich handeln.
In diesem Zusammenhang erscheint mir die Feststel-lung wichtig, daß nicht jeder aus der gesetzlichen Ren-tenversicherung hinausgedrängt wurde, der sich aus ihrverabschiedet hat. Manch einer hat sich verabschiedet,weil er kein Vertrauen mehr in die sozialen Sicherungs-systeme hat. Das ist ein dramatischer Vertrauensverlust,den Sie zu verantworten haben.
Hier müssen und werden wir im Rahmen der umfas-senden Reform der Altersvorsorge ansetzen. Letztlichgewinnen wir die Menschen nicht mit Zwang, sondernmit einem attraktiven Angebot. Dazu gehört nebender Reform der gesetzlichen Rentenversicherung dieStärkung der betrieblichen und der privaten Alters-vorsorge.In Deutschland wird wieder Politik gemacht. Dasbietet den Oppositionsparteien die Möglichkeit, entwe-der in einen Wettbewerb um die beste Lösung einzutre-ten oder regelmäßig in Aktuellen Stunden zu beklagen,daß wir das tun, wovon Sie jahrelang nur geredet haben.Ein konstruktiver Wettbewerb wäre besser für unserLand.
Jetzt hat der Kollege
Johannes Singhammer, CDU/CSU, das Wort.
Frau Präsi-dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DieVertreter von SPD und Grünen sind heute in einer be-sonders pikanten Situation. Sie müssen ein Gesetz ver-teidigen, von dem jedermann weiß, daß in vier StundenÄnderungen dieses Gesetzes in der Koalition beschlos-sen werden.
Das ist auch gerechtfertigt; denn in 50 Jahren Ge-schichte Bundesrepublik Deutschland hat es kaum der-artig schlampige und schlechte Gesetze wie diese beidengegeben.
Mit einer Kette von übereilten Schnellschüssen wurdenneue soziale Ungerechtigkeiten aufgetürmt, währendalte nicht beseitigt wurden.
Dem Chaos im Gesetz folgt das Chaos im Verfahren.Denken Sie nur einmal an die letzten Tage!
– Hören Sie doch einmal zu, Herr Dreßen.Auch vor drei Wochen haben wir hier über Schein-selbständigkeit diskutiert. Damals hatten Sie heftig be-stritten, Korrekturen zu planen oder vornehmen zu wol-len. Jetzt sieht selbst der Bundeskanzler Korrekturbe-darf, auch der Fraktionschef der Grünen, Herr Schlauch– Sie haben das ja heute noch einmal bestätigt –, und nurnoch der arme, allein gelassene Bundesarbeitsministerverteidigt seinen mißratenen Gesetzentwurf.
Im „Handelsblatt“ von heute schließt der Fraktionsvor-sitzende der SPD, Herr Struck, Neuregelungen bei den630-DM-Arbeitsverhältnissen nicht aus. Er sagt, Ände-rungen könne es für ehrenamtliche Tätigkeiten in Kir-chen und Vereinen geben. Einzig und allein der Ar-beitsminister hält weiterhin an seinem mißratenen Ge-setzentwurf fest.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die schlam-pige Regelung des 630-DM-Gesetzes hat sich als gi-gantisches Arbeitsplatzvernichtungsprogramm erwie-sen.
Hans Martin Bury
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2737
(C)
(D)
Ich nenne Ihnen jetzt einmal zwei Zahlen: Sie haben in-nerhalb von ganz kurzer Zeit diejenigen getroffen, aufdie Sie nicht gezielt haben; Sie haben die Arbeitnehmergetroffen.
Der Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Ein-zelhandels rechnet mit einem ersatzlosen Verlust von150 000 630-DM-Jobs.
Im Gastronomiebereich herrscht blankes Entsetzen überdie Regelungen. Eine ganz neue Umfrage der IHK fürMünchen und Oberbayern, die vor wenigen Tagen abge-schlossen wurde, besagt, daß 66 Prozent – also zweiDrittel – der 630-DM-Jobs ersatzlos wegfallen werden.Die Auswirkungen der gesetzlichen Neuregelungenschätzen 48 Prozent dieser Unternehmen als erheblichund 6 Prozent als existenzbedrohend ein. Das ist dasFaktum; das haben Sie erreicht. Zeitungsverleger, Ge-bäudereinigerhandwerk – ich könnte eine Legion vonBranchen aufzählen, die darunter zu leiden haben.Jetzt unternimmt es der Bundeskanzler erneut, dieseSache zur Chefangelegenheit zu machen.
Man möchte schon fast sagen, das ist eine Drohung.Wenn es heißt: „Hier kocht der Chef“, ist das mittler-weile als Drohung zu verstehen. Fünfmal hat er schonden Kochlöffel in die Hand genommen, und jedesmal istdie Suppe salziger geworden.
Da hilft nur eines: Schütten Sie die Suppe aus und fan-gen Sie neu zu kochen an.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir ratenIhnen wirklich dringend: Nehmen Sie beide Gesetze zu-rück! Eine Korrektur der Ausführungsbestimmungenund Verwaltungsanordnungen allein wird nicht genügen.Wenn Sie nur das tun, werden Sie in wenigen Monatenwieder hier vorne stehen, und wir werden die gleicheDiskussion führen.
Nehmen Sie beide Gesetze komplett zurück, beraten Siein Ruhe mit den Verbänden und Betroffenen. MachenSie nicht noch einmal einen Schnellschuß, lassen Siesich Zeit. Das ist vor allem für die Bevölkerung, dieBürger draußen wichtig, die wir alle gemeinsam vertre-ten und die unter der Unsicherheit zu leiden haben, weilmittlerweile keiner mehr weiß, was gilt und was morgennoch gelten wird.
Lassen Sie diese Unsicherheit hier nicht weiter gedei-hen.
Nun erteile ich dasWort der Kollegin Margareta Wolf, Bündnis 90/DieGrünen.Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenKolleginnen und Kollegen! Ich finde die Situation mit-nichten pikant, in der sich die Koalition befindet.
Ich finde es aber pikant, daß Sie als Vertreter der Oppo-sition sich hier hinstellen und keinen einzigen substan-tiellen Vorschlag machen.
Wir wissen – offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen –,daß sich dieses Land in einer strukturellen Umbruch-situation befindet. Wir befinden uns auf dem Weg voneiner Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft. Eswürde sehr für Sie sprechen, wenn Sie auch einmal zurKenntnis nehmen würden, daß es in einer solchen Situa-tion keine einfachen Lösungen gibt. Einfach zu sagen:„Weg damit!“, das ist keine Lösung. Das weiß ich ausmeiner eigenen Vergangenheit.Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen vonder F.D.P. und auch Sie, Herr Singhammer, Sie habenden Strukturwandel in diesem Land verschlafen. Siehaben in Ihrer Regierungszeit die höchsten Lohnneben-kosten und die größte Zahl von 630-Mark-Jobs produ-ziert. Außerdem haben Sie die Outsourcing-Welle unddie in der Folge dramatische Zunahme der Zahl derScheinselbständigen in diesem Land völlig unbeachtetgelassen.
Ich finde schon, daß sehr viel Outsourcing betriebenwurde, vor allem bei den Scheinselbständigen, und daßes viel über Ihr Politikverständnis aussagt, meine Damenund Herren von der F.D.P., wenn Sie zweimal hinterein-ander eine Aktuelle Stunde mit gleichem Thema bean-tragen, ohne diesem Haus irgendeine substantielle Ant-wort zu präsentieren. Das einzige, was Sie sagen, ist:Weg damit!
Noch eine Bemerkung: Die Selbständigenquote warunter Ihrer Regierung im europäischen Vergleich sehrhoch, Frau Schwaetzer. Ich möchte Sie bitten, sich dasin Erinnerung zu rufen.Wir haben mit unserem Gesetz versucht, im Interesseder Wiederherstellung der sozialen Marktwirtschaft dieKluft zwischen wirtschaftspolitischen und sozialpoliti-schen Interessen zu schließen. Sie wissen, daß wir inbeiden Fraktionen seit Wochen intensiv über die Über-windung der sogenannten Teilzeitmauer diskutieren, dieJohannes Singhammer
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2738 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
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Sie mit Ihren Regelungen zu den 630-Mark-Jobs aufge-baut haben. Wir haben ein Konzept vorgelegt, mit demwir Anreize für geringfügig Beschäftigte schaffen, einesozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung an-zunehmen. Wir wollen – zeitlich befristet – Sozialversi-cherungsbeiträge subventionieren und somit der Tat-sache Rechnung tragen, daß es erhebliche Beschäfti-gungspotentiale gerade im Dienstleistungssektor gibt,die Sie leider völlig außer acht gelassen haben.
Wir haben mit den Interessenvertretern diskutiert. Siewissen, daß es heute ein Gespräch zwischen dem Bun-deswirtschaftsminister, dem Arbeitsminister und demBundeskanzler gibt, in dem Fragen der Praxisanpassungfür Existenzgründer diskutiert werden sollen.
– Wir diskutieren seit Monaten; das wissen Sie. WennSie einen konzeptionellen Beitrag geleistet hätten, wäreer vielleicht in die Debatte mit eingeflossen.Auch die Frage der Wahlfreiheit bei der Form derAltersvorsorge wird im Zentrum dieses Gesprächs ste-hen, ebenso wie die Situation der Informatiker, die Si-tuation im EDV-Bereich. Sie wissen genau, daß dieserTermin seit einer Woche feststeht. So gesehen hat dieseAktuelle Stunde wirklich Happening-Charakter, wie esder Kollege Bury schon gesagt hat.Daß dieses Gesetz unter dem Stichwort „Struktur-wandel“ tatsächlich ständig auf seine Tauglichkeit in derPraxis überprüft werden muß, ist klar; das hat auch dieFrau Staatssekretärin vorhin gesagt. Daß Sie eine Über-prüfung auf Praxistauglichkeit als „nachbessern“ be-zeichnen, sagt viel über Ihr Politikverständnis aus; aberdas ist Ihr Problem. Die Menschen, die uns schreiben,erwarten, daß die neue, dialogorientierte Bundesregie-rung
ihre Argumente hört, sie prüft und politisch entspre-chend handelt.
– Wenn Ihre Zwischenrufe wenigstens Qualität hätten,dann könnten Sie ein bißchen weniger laut brüllen.Ich halte es für erforderlich, insbesondere im Bereichder arbeitnehmerähnlichen Selbständigen und im Exi-stenzgründungsbereich nachzubessern oder zu präzisie-ren. Ich denke, es ist wichtig, daß die Sozialversiche-rungsträger, die derzeit verstärkt Betriebe überprüfen,dort tatsächlich mit Augenmaß vorgehen.Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen:Ich halte es überhaupt nicht für ehrenrührig, wenn mandrei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes sehr genaubeobachtet, ob die getroffenen Regelungen den Zielengerecht werden.
Ich will Ihnen eines sagen: Es gab noch nie ein Gesetzvon Ihnen, das auf die Umbruchsituation reagiert hätte.Sich hier ausschließlich mit Häme hinzustellen, jedesGespräch mit Argusaugen zu beobachten und AktuelleStunden zu beantragen finde ich kindisch. Wir sind hierim deutschen Parlament und nicht im Kindergarten.
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat auseiner dpa-Meldung, die es vor kurzem gegeben hat, be-ginnen:Der saarländische Landtag verlangt einmütig Kor-rekturen an Gesetzen zu den 630-Mark-Jobs undzur Scheinselbständigkeit.Bekanntlich hat die SPD dort die absolute Mehrheit, unddie Grünen sind vertreten. Entweder haben Ihre Genos-sen in Saarbrücken oder Sie das nicht verstanden, denndas, was Sie hier vollführen, und das, was der saarländi-sche Landtag einmütig beschließt, kann nicht gleichzei-tig richtig sein.
Es sind auch Sozialdemokraten, zum Beispiel SPD-Ministerpräsident Clement von Nordrhein-Westfalen
– der ist SPD-Mitglied; er ist noch nicht ausgetreten, daskann ich Ihnen versichern –, die fordern, durch ein Un-ternehmensberatungsbüro zu überprüfen, ob das, wasSie verabschiedet haben, überhaupt praktikabel ist. DasGeld kann er sich sparen. Das ist nicht praxistauglich.
Herr Glogowski, SPD-Ministerpräsident von Nieder-sachsen, fordert eine Novellierung des Gesetzes. Er hatsich in seiner Begründung auf die Verleger konzentriert,damit er eine bessere regionale Presse hat. Aber wirwollen nicht nur im Hinblick auf Verleger, daß dieseeinseitigen Belastungen zurückgenommen werden, son-dern auch im Hinblick auf den Mittelstand und die klei-nen Leute, die auf den Nebenverdienst im Rahmen einergeringfügigen Beschäftigung angewiesen sind. Wirwollen nicht nur in Richtung Verleger buhlen. All dievon mir Genannten werden schlecht behandelt. Aber dasist Ihre Art.Herr Schlauch schreibt in einem Brief, daß über dasZiel hinausgeschossen worden ist. Hiermit macht er na-türlich einen Eiertanz. Nach den Äußerungen von Trittinund Altmann kann er die Koalition nicht noch weiterMargareta Wolf
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belasten. In Wahrheit weiß er natürlich, daß dieses Ge-setz Quatsch mit Soße ist und verändert werden muß.
Frau Wolf stellt sich hier hin, hält eine große Redeund fordert, wir sollten sagen, was wir wollen. Was wirwollen, sage ich Ihnen: Stampfen Sie diese Murksgeset-ze ein! Entschuldigen Sie sich bei den Betroffenen fürdas, was Sie angerichtet haben, und hören Sie mit dembisherigen Vorhaben auf! Das ist unser Vorschlag.
Übrigens, Sie, Frau Wolf, haben in Ihren Ausfüh-rungen keinen einzigen konkreten Vorschlag gemacht,sondern nur polemisch herumoperiert. Ich bin auch vonder zuständigen Staatssekretärin sehr enttäuscht. Statthier Verbesserungen vorzuschlagen, hat sie die beste-hende Konzeption – ich gehe mit Ihnen eine Wette umhervorragenden rheinland-pfälzischen Winzersekt ein,daß das Gesetz in seiner jetzigen Form nicht Bestandhaben wird – stur verteidigt. Selbst Sie halten solchenUnsinn nicht durch.Dabei spielt Bundeswirtschaftsminister Müller eineganz besondere Rolle. Er ist der wirtschaftspolitische„gute Onkel“, der zu dem von Ihnen hervorgebrachtenUnsinn immer etwas Freundliches sagt. Er soll die grün-rote Frankenstein-Politik in der Wirtschaft überdeckenund die Folterwerkzeuge ein bißchen relativieren. Aberer hat es immer schwer, sich in der Sache überhaupt Ge-hör zu verschaffen. Das gab es auch früher. Es gab dannimmer einen Bauchredner, um das eigene Tun etwas zurelativieren.
Sie werden das Gesetz wieder nachbessern müssen.Daß sie permanent ihre Politik nachbessert, ist dasHauptinstrument dieser Regierung. Durch die schreckli-chen Ereignisse im Kosovo ist dieses Thema derzeit einStück überdeckt. Sonst würde noch viel greller deutlichwerden, welchen Unfug Sie betreiben.All die Begründungen, die Sie im Zusammenhang mitder Notwendigkeit dieses Gesetzes vorgebracht haben,sind ja nicht umgesetzt worden.
Sie helfen den Frauen nicht bei ihrer Alterssicherung.Da muß eine Frau 42 Jahre arbeiten, um eine Rente von4,17 DM pro Beitragsjahr im Monat zu erhalten.
Das ist doch alles Quatsch. Sie haben Ihr Ziel überhauptnicht erreicht.Eines haben Sie fertiggebracht – ich zitiere den„Spiegel“ von dieser Woche, wahrlich keine Hauspo-stille der F.D.P. –: „In Deutschland rollt eine noch niedagewesene Kündigungswelle.“ Die haben Sie ausge-löst. Sie schaffen keine Arbeitsplätze; Sie verhindernsie.
Sie schaffen weiter Unruhe in der Wirtschaft. Sie strafenden Mittelstand ab und wollen dann noch so dastehen,als ob Sie etwas für ihn tun würden.Es kommt zu absurden Regelungen:
– Ihre Regelungen sind Blödsinn. – Da muß zum Bei-spiel ein geringfügig beschäftigter Rentner Beiträge zurRentenversicherung zahlen.
Davon sieht er niemals eine Mark wieder. Er ist schonRentner. Wieso muß er noch Beiträge zahlen?Zur Krankenversicherung müssen Beiträge gezahltwerden. Wenn der Betreffende gesetzlich versichert ist,hat er nichts davon.
– Wenn Sie weniger schreien, mehr zuhören und sichbessern würden, würden Sie etwas für dieses Land tun.
Wer schreit, hat meistens unrecht. Das ist auch bei Ihnenso.
Deswegen sollten Sie ein bißchen weniger schreien. –Privat Versicherte werden nach Ihrem Gesetz von derZahlung zur Krankenversicherung freigestellt. Gesetz-lich Versicherte müssen zahlen. Sie diskriminieren da-mit die Ehefrau eines Normalverdieners.So wird das bei Ihnen fortgesetzt. Was machen Sie imkirchlichen Bereich, bei Sozialeinrichtungen und imSportbereich? Der Deutsche Sportbund – wahrlich keineVorfeldorganisation der F.D.P. – hat einen Notruf ge-sandt.
– Wenn es so wäre, hätten wir schon fast die absoluteMehrheit.
– Auch bei Ihnen war schon manches besser. Sie habensich verschlechtert.Hier ist ein gigantisches Arbeitsplatzvernichtungs-programm entstanden. Die Hilfeschreie aus dem Mittel-stand zeigen dies ganz eindeutig. Hören Sie doch damitauf, etwas Falsches zu beschließen und die entstandeneMißgeburt dann wieder zu relativieren!
Rainer Brüderle
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2740 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
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Es wäre doch besser, wenn Sie gleich etwas Vernünfti-ges tun würden. Ihre Staatsgläubigkeit, die Philosophie,die hinter diesem Gesetz steckt, ist fast noch erschrek-kender als Ihre Murksgesetze. Sie haben damit diesemLand nichts Gutes erwiesen.
Denken Sie an Ihre
Redezeit!
Die anderen Redner ha-
ben aber viel länger gesprochen.
Nein, ich habe auf
die vorgeschriebenen fünf Minuten geachtet. Herr Kol-
lege, legen Sie sich nicht mit mir an; sonst ziehen Sie
den kürzeren.
Frau Präsidentin, Sie ha-
ben sicherlich recht. – Ich ende mit der Forderung: Bes-
sern Sie nicht nach, ziehen Sie Ihr Gesetz zurück, und
machen Sie etwas Vernünftiges!
Für diejenigen, die
es noch nicht wissen, sage ich noch einmal: In der Aktu-
ellen Stunde muß ich nach der Geschäftsordnung streng
sein, weil wir sonst ins Rutschen geraten.
Jetzt hat die Kollegin Leyla Onur das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.Ich werde mich bemühen, Ihre mahnenden Worte zurKenntnis zu nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Brüderle, FrauSchwaetzer, eines muß ich Ihnen lassen: Konsequentsind Sie. Sie haben in der letzten Legislaturperiode kon-sequent und erfolgreich jedwede Regelung zur Bekämp-fung des Mißbrauchs bei den geringfügigen Beschäfti-gungsverhältnissen verhindert.
Daß ich Ihnen dazu nicht gratulieren werde, werdenSie verstehen. Denn diese Konsequenz bedeutet, daß Siedie Wettbewerbsverzerrungen, die es nachweislich gibt,erhalten und erweitern wollen, daß Sie die Sozialkassenweiter ausbluten lassen wollen, daß Sie den beschäftigtenFrauen eine eigenständige Alterssicherung verweigernwollen und daß Sie letztendlich wollen, daß aus 6 Millio-nen geringfügig Beschäftigten 10, 15 oder 20 Millionenwerden. Das wollen Sie von der F.D.P., und darin warenSie bisher konsequent. Das muß man Ihnen lassen.
Herr Brüderle, eines sollten Sie nicht tun – vielleichtwissen Sie es nicht besser –: Sie sollten nicht den Deut-schen Bundestag belügen. Das haben wir nicht so gern.
Wir wissen nämlich ganz genau, daß heute morgen imSaarländischen Landtag eine Aktuelle Stunde stattge-funden hat, aber keine Beschlüsse gefaßt worden sind.Bleiben Sie also bitte bei der Wahrheit!Wir wissen auch genau, daß Glogowski und Clementden Neuregelungen zu den 630-Mark-Jobs zugestimmthaben. Auch das müßten Sie wissen. Bleiben Sie bei derWahrheit!
Nun kommen wir zur CDU/CSU. Meine Damen undHerren von der CDU/CSU, Sie haben sich in jüngsterZeit nun wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, im Ge-genteil: Ihre Beteiligung an dieser Veranstaltung ist anPeinlichkeit nicht mehr zu übertreffen.
Ihre öffentliche Kampagne, die nur der Stimmungs-mache dient, steht in krassem Gegensatz zu dem, wasSie in der letzten Legislaturperiode zwar nicht durchge-setzt, aber wenigstens doch gewollt haben. Für dieseWillensbekundung haben wir Ihnen Lob gezollt. Siewollten doch mit uns gemeinsam – Sie haben es natür-lich wieder einmal nicht im Kreuz gehabt – die gering-fügigen Nebenbeschäftigungsverhältnisse sozialversi-cherungspflichtig machen. Wir hätten Sie gern dabeiunterstützt, aber Sie haben nichts zustande gebracht.Sie wollten auch den Mißbrauch bekämpfen. Siewollten – Herr Blüm hat es immer wieder gesagt – dieFlucht aus der Sozialversicherung stoppen. All das hät-ten wir gern mit Ihnen gemeinsam gemacht, aber – ichsage es noch einmal –: große Worte und nichts getan.Die Quittung dafür haben Sie allerdings am 27. Septem-ber bekommen, und das ist gut so.
Was Sie jetzt tun, ist Wirbeln um des Wirbelns wil-len. Ich kann Ihnen nur sagen: Unser Gesetz ist gut.
Unser Gesetz ist sogar sehr gut; denn wir werden mitunserem Gesetz unsere wichtigsten Ziele erreichen.Wenn Sie hier behaupten, es fallen geringfügige Be-schäftigungsverhältnisse weg, dann sage ich Ihnen: Dasist gut so, denn aus geringfügigen Beschäftigungsver-hältnissen werden, genauso wie wir es wollen
Rainer Brüderle
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2741
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– das ist nämlich das Ziel unseres Gesetzes –, sozialver-sicherungspflichtige Teilzeit- bzw. Vollzeitarbeitsver-hältnisse.
Wenn Sie einmal aufmerksam die Stellenanzeigen inIhren Lokalblättern lesen, werden Sie feststellen, daß dieWirtschaft schon sehr intensiv auf die neue Regelungreagiert hat.
Eines will ich Ihnen mit auf den Weg geben: WennSie sagen, da fallen Arbeitsplätze ersatzlos weg, dann istdas Quatsch hoch zehn.
Denn Sie wissen doch auch: Der Chef wird garantiertnicht selbst hingehen und die Arbeit machen. InDeutschland werden nur dann Arbeitsplätze zur Verfü-gung gestellt, wenn es dafür Arbeit bzw. Aufträge gibt.Sie glauben doch wohl nicht oder wollen uns doch nichtweismachen, Arbeitgeber und Unternehmer seien wohl-tätig veranlagt und würden Arbeitsplätze zur Verfügungstellen, nur um des Zurverfügungstellens willen. Das tunsie nicht. Das verstehe ich übrigens. Das verstehe ichsehr wohl; denn die Unternehmer müssen Geld verdie-nen. Wenn sie Aufträge haben, dann beschäftigen sieMenschen. Sie beschäftigen sie nach Regeln, die ihnenVorteile bringen.Ich sage Ihnen: Wir bieten den Arbeitgebern mit un-seren Neuregelungen Vorteile. Gleichzeitig – das ist unswichtig – schützen wir die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer. Wir werden mit diesem guten Gesetz trotzgewisser anfänglicher Schwierigkeiten
in der Umsetzung unsere Ziele erreichen.Ich danke Ihnen.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Karl-Josef Laumann, CDU/CSU.
Frau Präsiden-tin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! DieseAktuelle Stunde
ist nicht zu überbieten. Ich mache dazu einige Bemer-kungen.Erster Punkt. Die PDS braucht sich zu dem Themagar nicht melden; denn hätte die in Deutschland zu sa-gen, gäbe es das Problem nicht, weil es keine Selbstän-digen gäbe.
Zweiter Punkt. Frau Onur, Sie sagen, das Gesetz seiin Ordnung. Frau Wolf sagt: Wir sind eine dialogfähigeBundesregierung und reden über das Gesetz. – Ich kannIhnen nur eines sagen: Was ich Ihnen, Regierung undKoalitionsfraktionen, wirklich übelnehme, ist, daß Siediesen Dialog und das Bedenken eines Gesetzes nichtvor der Verabschiedung gemacht haben.
Ihr Gesetz ist im Grunde unpraktikabel.Wenn das Arbeitsministerium für einen relativ einfa-chen Vorgang, nämlich die Sozialversicherungspflichtvon 630-Mark-Verträgen einzuführen, eine Erklärungmit 47 Seiten herausgeben muß, dann weiß man, wiekompliziert man das Gesetz gemacht hat.Im übrigen: Eine komplizierte Rentenreform hat beiNorbert Blüm nicht mehr Erklärung gebraucht als beiIhnen dieses Gesetz zu den 630-Mark-Jobs.
Ihr Gesetz ist deswegen so schlecht, weil Sie einenArbeitsminister haben, der sich die Gesetzgebung in die-sem Fall hat aus der Hand nehmen lassen. Am 19. Novem-ber hat der Kanzler dieses Gesetz hier im Bundestag ineiner Aktuellen Stunde diktiert. Er hat den ersten Sy-stembruch gemacht, indem er erklärt hat: Eine Hausfraukann grundsätzlich 630 DM steuerfrei verdienen.Mit diesem Systembruch, die besondere steuerlicheVeranlagung von Eheleuten außer Kraft zu setzen, ha-ben Sie einen großen Fehler gemacht. Wie wollen Sie eserklären, daß die Ehefrau eines Mannes, der im Monat10 000 DM verdient, 630 DM steuerfrei verdienen darf,während der Postbote, der 3 000 DM im Monat verdientund am Feierabend kellnern geht, alles voll versteuernmuß?
Da fragt der Postbote: Was ist eigentlich los?
Sie wollten eine Gerechtigkeitslücke schließen, habenaber der Ungerechtigkeit in Deutschland in diesem Be-reich Tür und Tor geöffnet. Das ist Ihr Problem.
Deswegen meine ich, daß Sie nicht umhinkommen,dieses Gesetz zurückzuziehen und eine praktikable Lö-sung zu finden, um kleine Beschäftigungsverhältnisse inDeutschland leichter handhaben zu können, um die so-ziale Absicherung zu gewährleisten und die Erosion derSozialversicherungspflicht im Griff zu behalten.Leyla Onur
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2742 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
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Zur Scheinselbständigkeit sage ich Ihnen das glei-che.
Auch da haben Sie einen Grundfehler gemacht. Sie ha-ben in der Tradition der Gewerkschaftsschule vonSprockhövel versucht, einen Arbeitnehmerbegriff zu de-finieren. Das geht heute nicht mehr.
Dafür ist die Welt zu bunt geworden.Deswegen mache ich Ihnen hier noch einmal denVorschlag: Schauen Sie, wie es in der Handwerkerord-nung geregelt ist. Regeln Sie es bei den Selbständigengenauso. Dann haben Sie das Problem gelöst, ohne et-was definieren zu müssen.Vielleicht kann man sogar so weit gehen, zu sagen:Das muß nicht unbedingt in der gesetzlichen Rentenver-sicherung stattfinden; das geht auch über eine Lebens-versicherung.
Denn die Rente wird damit auch nicht gestärkt. Wirmüssen für jede D-Mark Beitrag später Rente auszahlen.Auch damit kann man leben. Der sozialpolitische Ansatzmuß aber eine Absicherung für die Selbständigen sein,damit die später nicht in die Sozialhilfe fallen, nicht derArbeitnehmerbegriff.
Frau Onur, zum Schluß möchte ich etwas zu unsererUnterschriftenaktion und zu den Postkarten sagen. Nen-nen Sie es, wie Sie es wollen. Eines ist aber wahr: Wirbezahlen unsere Postkarten selber. Sie haben sich Ihre so-zialpolitische Hetzkampagne vom DGB bezahlen lassen.Schönen Dank.
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Adi Ostertag, SPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch eines zuHerrn Laumann, der gesagt hat, es habe vor dem Ge-setzgebungsverfahren keinen Dialog gegeben: Wir ha-ben 16 Jahre lang die Praxis Ihrer Politik erlebt, die Ka-tastrophe für Millionen von betroffenen Menschen, dienicht abgesichert waren. Herr Laumann, Sie sind wie ichseit acht Jahren im Parlament, im Ausschuß für Arbeitund Sozialordnung.
Wir haben jetzt den dritten Anlauf zu einer gesetzlichenRegelung unternommen; zweimal sind wir abgeschmiertworden. Jetzt haben wir endlich eine Regelung, nach derMillionen Menschen bessergestellt werden. Vorher ha-ben wir eine Anhörung durchgeführt, zu der die Verbän-de eingeladen wurden. Das wurde breit diskutiert – ichweiß, auch kritisch. Aber wir haben gehandelt. Sie da-gegen haben nichts eingebracht, Sie haben die letzten16 Jahre in diesem Politikbereich versagt.
Vielleicht sollten Sie auch das hören: Mich hat vorein paar Wochen im Zuge Ihrer Kampagne ein Betriebs-ratskollege aus einem der größten Einzelhandelsverbän-de angerufen. Er hat sich bitter darüber beklagt, daß in-zwischen 60 Prozent in diesem riesigen Bereich 630-Mark-Jobber sind, mit steigender Tendenz. Besonderswütend war er auf die ständige Politikbeeinflussung derWirtschaftsverbände. Da hat er eigentlich auch recht. Esist nämlich höchste Zeit, daß eine andere Politik ge-macht wird, die die Arbeitnehmerinteressen wieder stär-ker in den Mittelpunkt stellt. Das paßt Ihnen nicht.Ich verstehe vor allem die Sozialpolitiker in derCDU/CSU-Fraktion nicht. In der Opposition läßt sichnicht einmal ein Fünkchen Solidarität formulieren, umArbeitnehmerpolitik wieder stärker in den Mittelpunkt zustellen. Es ist eben höchste Zeit, daß die Herren Henkelund Co. einsehen: Politik in diesem Lande ist nicht mehrlänger die Durchsetzung wirtschaftlicher Zwänge mit Hil-fe der Gesetzgebung, wie das Tucholsky einmal formu-liert hat. Jetzt ist Schluß mit dem Gewohnheitsrecht derUnternehmerverbände aus den letzten 16 Jahren.Die rotgrüne Bundesregierung ist angetreten, wiedermehr Ordnung und mehr Gerechtigkeit auf dem Ar-beitsmarkt durchzusetzen. Es ist eben nicht gerecht,wenn Firmen in großem Stil Billigjobber beschäftigenund sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen. Es ist un-gerecht, wenn die Gesamtheit der Beitragszahler – aufArbeitnehmer- und Arbeitgeberseite – infolge des Miß-brauchs der geringfügigen Beschäftigung höhere Bela-stungen hat; das nämlich ist das Ergebnis. Es ist unge-recht, wenn jemand mit einem Nebenjob auf 630-Mark-Basis bessergestellt ist als jemand, der Überstundenmacht. Das wissen Sie genauso gut wie ich.
Wir müssen jetzt die sozialen Schutzrechte für Arbeit-nehmer verstärken. Vor allem die Tarifgestaltung mußgerecht sein. Deswegen wollen wir die 630-Mark-Trittbrettfahrer nicht haben.Es fängt schon damit an, daß sich die Union scheinheiligverhält. Sie haben ein hundsmiserables Kurzzeitgedächtnis.Noch im Dezember 1997 haben Sie im Vermittlungsaus-schuß einer Regelung auf 200-Mark-Basis zugestimmt.Von daher ist es unverständlich, daß Sie eine solche Kam-pagne starten, die die Leute draußen nur verunsichert.Sie wissen genauso gut wie wir, daß immer wenigerMenschen die Beiträge zahlen. Deswegen müssen wirdie solidarischen Sicherungssysteme stärken. Wenn wirdie Rentenversicherung stärken wollen – das wissen ins-besondere die Sozialpolitiker in der CDU –, dann müs-sen wir eine breite Finanzierungsbasis haben. Offen-sichtlich haben Sie diesen Weg aber verlassen. Sie soll-ten in Ihrer Fraktion für ein stärkeres solidarisches Den-ken eintreten, anstatt hier Nebelkerzen zu werfen.
Karl-Josef Laumann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2743
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Vor allem sollten Sie Ihre Politik umkehren, anstatt dieMillionen Menschen, die jetzt durch die Gesetze zur630-Mark-Regelung und zur Bekämpfung der Schein-selbständigkeit bessergestellt werden, zu verunsichern.
Daß die F.D.P. von Solidarität nichts versteht, wissenwir seit eh und je. Von daher wundert uns deren Aussa-ge nicht.
Vielleicht haben Sie in den letzten Wochen gemerkt,daß die Gesetze zu wirken beginnen.
Sie sollten wirklich mehr mit den betroffenen Menschenreden und nicht nur auf die Lobbyverbände hören.
Jeder der Verbände, zum Beispiel die Zeitungsverleger,haben in dieser Frage ureigene Interessen. Es gibt aucheine ganze Reihe Journalisten, die in dieser Kampagneeingespannt werden. Das sollten Sie als Politiker durch-schauen; das erwarten wir eigentlich von Ihnen.Von daher: Weniger Hektik! Wir haben keinenNachbesserungsbedarf.
– Wir haben im 630-Mark-Gesetz eine Rücknahmeklau-sel drin. Diese Überprüfungsklausel werden wir auchernst nehmen.
– Wir sind lernfähig, im Gegensatz zu Ihnen. Das solltenSie begreifen. – Wir werden also ohne Hektik prüfen,was hier eintritt.
Es gibt erste Anzeichen, gerade aus dem Einzelhan-delsverband, dafür, daß Umwandlungen erfolgen. Daswird sorgfältig, auch wissenschaftlich, begleitet, wie Siewissen, und wir werden daraus Konsequenzen dann zie-hen, wenn das nötig ist, und nicht vorher und auch nichtdrei oder vier Wochen oder drei Monate nach Inkrafttre-ten des Gesetzes. Ich glaube, es gibt gegenwärtig keinesachlichen Argumente und überhaupt keine empirischenBefunde. Es gibt nur Aufgeregtheiten bei Lobbyverbän-den und bei denjenigen, die bisher in der Tat am Randeder Legalität mit diesen Jobs gearbeitet haben.Vielen Dank.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Hartmut Schauerte, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat dieSPD einmal ein Stück weit ausgezeichnet, daß sie imGespräch mit den Menschen war. Aber wenn ich mir dieDebatte hier anschaue und mir vergegenwärtige, daßhier gesagt worden ist, daß das Gesetz gut ist und daß esnur Lobbyisten und mißbrauchte Journalisten gibt, dieSchlechtes darüber reden, dann muß ich sagen: DieserBezug zu den Menschen, diese Nähe ist Ihnen in derkurzen Zeit Ihrer Regierung mit unglaublicher Ge-schwindigkeit abhanden gekommen.
Über was reden wir denn? Das haben doch nicht wirerfunden, was hier passiert; vielmehr erleben wir das je-den Tag, jeder in seinem ganz persönlichen Umfeld.Niemand von uns kann sich doch der Anfragen erweh-ren, die sich ganz konkret aus dieser Problematik herausergeben.
– Natürlich ist das so.
Ich will Ihnen einmal folgende Geschichte erzählen,weil das, wovon sie handelt, in dieser ganzen Debattezu kurz gekommen ist: Ein Sportverein, Rot-WeißLüdenscheid, ein kleiner Provinzverein mit 1 700 Mit-gliedern, der 450 Kinder schult, hatte bisher Kosten inHöhe von 40 000 DM für seine Beschäftigten in diesemBereich des Ehrenamtes.
Auf Grund dieser Regelung hat er nun Kosten von75 000 DM; es sind 35 000 DM, fast das Doppelte,mehr. Das aufzubringen geht nur über Beitragserhöhun-gen oder über Kündigungen. Er kann natürlich nicht da-durch Jugendarbeit leisten, daß er Stellen für hauptbe-ruflich Tätige einrichtet. Vielmehr wird das wegfallen.Fehlanzeige! Ziel verfehlt! Eine schlimme Entwicklung.
Ich könnte Ihnen viele andere Bereiche nennen. Ichwill einen kleinen Handwerker herausgreifen. Es ist einKonditormeister, der neun Beschäftigte hat und überdrei kleine Filialen verfügt. In jeder Filiale sind zweihauptberuflich Tätige und einer, der im Rahmen eines630-Mark-Jobs hilft, beschäftigt.
Nun haben die 630-Mark-Beschäftigten gekündigt. Erkonnte aber nur aus dieser Kombination der Beschäfti-gung überleben. Das bekommt er nun nicht mehr hin.Das Ergebnis wird möglicherweise sein: Er schließt seinGeschäft, weil er die Freude daran verloren hat.
Wie soll er das neu organisieren? Er hat keine Lustmehr, das weiter zu betreiben.Adolf Ostertag
Metadaten/Kopzeile:
2744 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
Sie vernichten Arbeitsplätze; Sie vergrößern Schwarz-arbeit in Deutschland. Sie lösen kein Problem, Sie schaf-fen viele neue Probleme mit dieser unverantwortlichenRegelung.
Ich will auch noch auf einige andere Dinge, die in derDebatte angeklungen sind, zu sprechen kommen. Es solljetzt zur Chefsache werden, liest man in der Zeitung. Eswar – Karl-Josef Laumann hat darauf hingewiesen – vonAnfang an nichts anderes als Chefsache. Hier hat Schrö-der erklärt, was er allein für richtig und notwendig hält.Ich sehe noch Ihre betroffenen Gesichter. Sie waren jaförmlich erschrocken, als er das vom Stapel ließ, wasihm eingefallen war. Wie soll denn das, was der Chefvon Anfang an angerichtet hat, nun verbessert werden,wenn der Chef am Ende wieder hinzukommt? Ich habedie Hoffnung nicht, daß aus diesem Unsinn überhauptetwas Vernünftiges werden kann. Deswegen bleibt dieForderung: Nehmen Sie es zurück!
Clement und Glogowski haben zugestimmt, ja natür-lich. Aber das zeichnet die beiden aus: Sie haben zwarden Fehler mit beschlossen, aber sie sind bereit, zu er-kennen, daß das wohl ein Fehler war. Ihre Borniertheitist so groß, daß Sie heute nicht bereit sind, das zu ak-zeptieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben
es mit einem Gesetz zu tun, das 10 bis 12 Millionen
Menschen unmittelbar erfaßt und das keine Übergangs-
regelung hat. Ich kenne kein Gesetz, das eine solche
Wucht in seiner Auswirkung auf das Hier und Jetzt von
heute auf morgen hat.
Von der Regierung ist hier niemand da, nur eine einsame
Staatssekretärin. In den Gesichtern der wenigen Klugen,
die hier sind, sieht man Betroffenheit und Scham, und von
den Bornierten hat hier sogar einer gesagt: Dieses Gesetz
ist gut. – Ich kann es nicht verstehen.
Ich habe den Eindruck, die Regierung möchte mit
diesem unglaublichen Vorgang gar nicht mehr in Be-
rührung kommen und hält sich diesem Hause deswegen
fern. Nur, einer muß ja nun leider hierbleiben. Sonst
wäre auch Frau Mascher nicht mehr hier; denn mit
diesem Gesetz wird sich niemand wirklich identifi-
zieren können, der noch einigermaßen Vernunft im
Kopf hat.
Die Klugen schämen sich, und die Ideologen wollen
weiter mit dem Kopf durch die Wand.
Was haben Sie denn bei der sogenannten Scheinselb-
ständigkeit angerichtet? Das ist so ein überkommenes,
altes Denken. Ich kann es nicht begreifen, daß man
wirklich glaubt, diese moderne Frage von veränderten
Arbeitswelten mit diesem alten Kolonnendenken und die
alten Lieder singend – „wann wir schreiten Seit‘ an
Seit‘“ – zu beantworten. Sie haben von den modernen
Lebenswirklichkeiten nichts, aber auch leider gar nichts
begriffen.
Was machen Sie denn? – Sie machen aus einem Auf-
traggeber zwangsweise einen Auftragnehmer. Das will
der nicht, er wird eine Konsequenz ziehen. Er wird sich
nämlich einen Auftragnehmer suchen, bei dem er nicht
gezwungen wird, Arbeitgeber zu sein.
Denken Sie an die
Zeit, Herr Kollege.
Sie machen aus
einem Auftragnehmer zwangsweise einen Arbeitnehmer,
was der vielleicht auch nicht will. Aber selbst wenn er es
will, wird er nicht wieder Auftragnehmer; denn der Auf-
traggeber wird sich weigern, erneut Arbeitgeberfunktio-
nen zu übernehmen. Das heißt, Sie bieten den betroffenen
Menschen, die sich aus der Not heraus selbständig ge-
macht haben, Steine statt Brot, und denen, die nach vorne
wollen und sich selbständig machen wollen, werfen Sie
Knüppel zwischen die Beine. Das ist ein völlig untaug-
licher Vorgang, der schweren Schaden stiftet.
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an die Zeit.
Ja, ich möchte
aber noch ganz schnell einen Gedanken ausführen.
Das dürfen Sie nicht.
Gut, dann lasseich es sein. Ich will nur noch einmal in aller Eindring-lichkeit sagen: Es gibt Felder, wo gehandelt werdenmuß. Es gibt auch Felder, wo man nicht gehandelt hat.Es kann jemandem auch zum Vorwurf gemacht werden,wenn er nicht gehandelt hat. Aber auf vielen Feldern istNichthandeln deutlich besser, als so unvernünftig zuhandeln, wie Sie es getan haben.
Sie vergrößern den Schaden für unser Land und ver-nichten Arbeitsplätze. 3 Millionen neue Schwarzarbei-terinnen und Schwarzarbeiter werden das Ergebnis sein,wenn Sie an diesem Gesetz festhalten. Kehren Sie um,noch ist es Zeit!
Rufen Sie im Kanzleramt an und sagen Sie, sie mögendort vernünftig sein! Erteilen Sie als Mehrheitsfraktiongrünes Licht! Es ist dazu dringend an der Zeit.Herzlichen Dank.
Hartmut Schauerte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999 2745
(C)
(D)
Als letzter Redner in
dieser Aktuellen Stunde hat Peter Dreßen, SPD-
Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Herr Schauerte, Sie haben gerade wie-der die Geschichte mit dem Sportverein erwähnt. Ichmöchte einmal festhalten, daß es nach wie vor dieÜbungsleiterpauschale von 2 400 DM gibt und daß sichdaran nichts geändert hat.
Wenn jemand beim Verein 630 DM und mehr verdient,dann ist das wohl nicht mehr nur als Ehrenamt zu sehen.
Da muß man auch ein bißchen unterscheiden dürfen.Herr Kollege Laumann, Sie haben die Geschichte mitdem Postboten gebracht. Auch dazu will ich noch etwassagen. Es ist natürlich eine sehr unfaire Sache zu sagen,wenn jemand 10 000 DM verdient, könne seine Frauzusätzlich 630 DM steuer- und sozialversicherungsfreiverdienen. Dasselbe Recht hat natürlich die Frau desPostboten ebenfalls. Auch sie darf 630 DM steuer- undsozialversicherungsfrei verdienen.
Man kann hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Daswar ein sehr unfairer Vorwurf.Herr Kollege Laumann, wie wollen Sie jemandem,der 3 630 DM ganz ordentlich als Gehalt bekommt, er-klären, daß jemand, der 3 000 DM Gehalt bekommt,nebenbei 630 DM steuer- und sozialversicherungsfrei– wenn man Ihrem Vorschlag folgen würde – verdienenkann? Wie wollen Sie diese Ungerechtigkeit draußen er-klären?Genau da haben wir mit dem Gesetz angesetzt, ein-fach weil es da verschiedene Ungerechtigkeiten gab. Dahaben zum Beispiel Leute 4 000 DM verdient und habenÜberstunden gemacht. Dann gab es Firmen, die gemerkthaben: Aha, für die Überstunden müssen wir ja Steuernund Sozialversicherungsabgaben zahlen. Diese Firmenhaben dann eine Zweitfirma gegründet, haben die Leutedort beschäftigt und haben die Überstunden über 630-Mark-Jobs laufen lassen. Finden Sie so etwas denn inOrdnung? Finden Sie so etwas gerecht? Da muß mandoch mit der Zeit einschreiten. So kann es doch wohlnicht weitergehen.
– So war es in der Praxis. Wir bringen Ihnen die Bei-spiele in Hülle und Fülle.Ich will Ihnen ein Zweites sagen: Natürlich haben wirdas Problem, daß Verleger doppelt betroffen sind. Einer-seits sind sie am Morgen mit dem Austragen der Zeitun-gen betroffen. Dazu muß ich Ihnen erklären: Es gibtschon heute viele Zeitungsverleger, die dieses Problemganz legal gelöst haben. Die beschäftigen ihre Leute für700 oder 800 DM, so wie wir es eigentlich wollen, in ei-nem normalen Teilzeitarbeitsverhältnis. Es gibt natürlichauch einige, die 630-Mark-Jobs vergeben haben. Diemüssen sich nun überlegen, wie sie dies auch im Interes-se der Beschäftigten in Zukunft organisieren. Wenn sienicht darum herumkommen, haben sie die Möglichkeit,weiterhin eine Pauschalsteuer zu zahlen, so daß es dieArbeitnehmer nicht trifft.Man sollte einmal bedenken, wer in diesem Land dieGesetze macht. Ich finde es schon herrlich, wenn nie-dergeschrieben wird, was einem im eigenen Bereichnicht paßt, wie es bei den Zeitungsverlegern der Fall ist.Ich finde es nicht in Ordnung, daß hier nur Kritik geübtwird, ohne auch nur mit einem Wort die Vorteile, diedieses Gesetz bietet, zu erwähnen.
Das ist nicht richtig in einer Demokratie. Hier im Parla-ment werden Mehrheiten gestellt. Man kann draußenschreiben, was man will; aber das muß man akzeptieren.Einige von Ihnen haben hier die Gebäudereiniger er-wähnt. Ich will Ihnen nur ganz kurz eine Presseerklä-rung zur Kenntnis geben. Der Bundesarbeitsminister hatsich mit den Gebäudereinigern getroffen; denn diese ha-ben schon vorher gesagt, daß eine Änderung notwendigist, und waren jetzt diejenigen, die am meisten geschrienhaben. Das Treffen fand am 16. April statt; anschließendwurde eine gemeinsame Presseerklärung herausgegeben.Dort heißt es:Bei einem Treffen von Vertretern des Bundesin-nungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerksund des BMA, an dem unter anderem Bundesar-beitsminister Walter Riester, das Verbandsvor-standsmitglied Hans Berthold und der Hauptge-schäftsführer des Bundesinnungsverbandes, Johan-nes Bungart, teilnahmen, wurde in Bonn weitge-hend Konsens über die Bewertung der Neuregelungder geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse er-zielt.So weit dazu.Ich könnte Ihnen noch anderes vorlesen. Es wird nurPositives dazu geäußert.
– Vom 16. April. Ich kann Ihnen selbstverständlicheine Kopie geben. – Ich will nur sagen: Hier wird mitdoppelter Zunge gesprochen, und das ist nicht in Ord-nung.Wer wie die jetzige Opposition zugelassen hat, daßdie Zahl der Beitragszahler im Rahmen der Sozialver-sicherung von 1992 bis 1998 um über 2,5 Millionenzurückgegangen ist, dafür aber die Beitragssätze, ohnedie Pflegeversicherung, um über 3,5 Prozent erhöhthat, der hat nicht das Recht, dieses Gesetz zu kritisie-ren.
Metadaten/Kopzeile:
2746 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. April 1999
(C)
Hiermit wird zumindest der ernsthafte Versuch unter-nommen, die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederher-zustellen.
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, daß so-
zialpolitische Debatten sehr temperamentvoll geführt
werden. Vielleicht könnten Sie aber ein wenig darüber
nachdenken, ob „Quatsch“, „Quatsch hoch zehn“ und
„polemischer Eiertanz“ parlamentarische Ausdrücke
sind.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 22. April, 9.00
Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.