Gesamtes Protokol
Guten Morgen, mei-ne lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist er-öffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tagen heute ineiner ernsten Situation. Seit gestern Abend finden Luft-schläge der NATO gegen jugoslawische militärischeZiele statt. Diese Aktion ist ein ernster Einschnitt auchin der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.Aber wir Europäer können und dürfen nicht weiter zu-sehen, wie im Kosovo eine Mehrheit der Bürger vertrie-ben, wie dort gemordet wird. Diese Aktion richtet sichnicht gegen das serbische Volk. Wir hoffen und wün-schen, daß der jugoslawische Staatspräsident Miloseviczu der Vernunft kommt, zu der ihm die langen diploma-tischen Verhandlungen und das Abkommen von Ram-bouillet Gelegenheit gegeben hatten.Der Deutsche Bundestag steht zu den Soldaten, dieim Einsatz sind – in einem Einsatz, der durch unserGrundgesetz und durch Beschlüsse unseres Parlamentsgedeckt ist. Wir hoffen sehr, daß die militärische Aktionvon kürzestmöglicher Dauer ist und daß es endlich ge-lingt, die humanitäre Katastrophe im Kosovo zu been-den.Meine Damen und Herren, wir kommen zu den Be-merkungen vor Eintritt in die Tagesordnung.
Zunächst möchte ich dem Kollegen Benno Zierer, dergestern seinen 65. Geburtstag feierte, nachträglich imNamen des Hauses gratulieren.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktlistevorliegenden Punkte zu erweitern: ZP1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Hal-tung der Bundesregierung auf die jüngste Kritik aus derBfA zur Praktikabilität der Neuregelungen der Schein-selbständigkeit ZP2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSUzu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 23bis 29 in Drucksache 14/576
ZP3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren(Ergänzung zu TOP 16)Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zu dem Notenwechsel vom29. April 1998 über die Rechtsstellung der dänischen,griechischen, italienischen, luxemburgischen, norwegi-schen, portugiesischen, spanischen und türkischen Streit-kräfte in der Bundesrepublik Deutschland – Drucksache14/584 – ZP4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache(Ergänzung zu TOP 17)a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschus-ses Sammelübersicht 34 zu Petitionen– Drucksache 14/647 –b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschus-ses Sammelübersicht 35 zu Petitionen– Drucksache 14/648 –c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschus-ses Sammelübersicht 36 zu Petitionen– Drucksache 14/649 –d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschus-ses Sammelübersicht 37 zu Petitionen– Drucksache 14/650 – ZP5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, PaulBreuer, Georg Janovsky, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU Öffentliche feierliche Gelöbnisseder Bundeswehr – Drucksache 14/641 –b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidi Lippmann,Dr. Winfried Wolf, Fred Gebhardt, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der PDS Keine feierlichen Gelöbnisseder Bundeswehr in der Öffentlichkeit – Drucksache14/642 – ZP6 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD,CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes über die allgemeine und die reprä-sentative Wahlstatistik bei der Wahl zum Deutschen Bun-destag und bei der Wahl der Abgeordneten des Europäi-schen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland– Drucksachen 14/401, 14/635 –Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.Weiterhin ist vereinbart worden, den Tagesordnungs-punkt 11 – es handelt sich um die Beschlußempfehlungzu den Akten der HVA – bereits nach der Aktuellen
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Stunde aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Des weiteren möchte ich Sie schon jetzt darauf hin-weisen, daß sich der Ablauf der Plenarsitzung morgen,Freitag, ändern und erheblich verlängern kann, falls dieBeratungen des EU-Gipfels heute weit über Mitternachthinaus andauern werden. Die Einzelheiten hierzu wer-den Ihnen zu gegebener Zeit mitgeteilt.
Die Fraktion der PDS hat einen Antrag auf Änderungder Tagesordnung gemäß § 20 der Geschäftsordnung desBundestages gestellt. Sie beantragt eine Debatte über dieerste Beteiligung der Bundeswehr an einem bewaff-neten Angriff in ihrer Geschichte.Ich erteile hierzu dem Kollegen Gregor Gysi dasWort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich bitte Sie, dem Antrag der PDS-
Fraktion zu einer sofortigen Debatte zur ersten Beteili-
gung der Bundeswehr in ihrer Geschichte an einem
Krieg zuzustimmen.
Ursprünglich war für diese Woche eine solche De-
batte überhaupt nicht vorgesehen. Bei der Beratung des
Bundeskanzlers mit den Fraktionsvorsitzenden am ver-
gangenen Dienstag wurde auf Frage und Anregung des
Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion und auf meine
Frage hin die Notwendigkeit einer solchen Debatte ak-
zeptiert. Wegen der Termine des Bundeskanzlers und
des Bundesaußenministers beim EU-Gipfel in Berlin
wurde vorgeschlagen, diese Debatte am Freitag, das
heißt morgen, zu führen. Damit waren alle Anwesenden
auch einverstanden, mich eingeschlossen. Das Problem
ist aber, daß zu diesem Zeitpunkt niemand wußte, wann
der Krieg beginnt, der gestern abend bereits begonnen
hat. Ich meine, daß auf dieser Grundlage die Zeitschiene
einfach nicht mehr stimmt und daß es deshalb dringend
erforderlich ist, auch heute wenigstens kurz darüber zu
debattieren. Wir können morgen noch eine ausführliche
Debatte abhalten.
Natürlich verstehe ich, daß sowohl der Bundeskanzler
als auch der Bundesaußenminister an einer solchen De-
batte teilnehmen wollen. Ich weiß nicht, ob es nicht
möglich gewesen wäre, dies noch zu organisieren; das
will ich auch gar nicht beurteilen.
– Moment, lassen Sie mich fortfahren. – Aber hier geht
es nicht um den Bundeskanzler und auch nicht um den
Bundesaußenminister, sondern es geht um das Selbst-
verständnis des Deutschen Bundestages.
Es ist undenkbar, meine Damen und Herren, daß die
NATO gestern das erste Mal in der Geschichte nach
1945 einen Angriff auf einen souveränen Staat gestartet
hat – über die Gründe müssen wir selbstverständlich
auch diskutieren –, daß Deutschland erstmalig in seiner
Geschichte daran beteiligt ist, was eine Vielzahl völker-
rechtlicher, verfassungsrechtlicher, politischer und mo-
ralischer Probleme aufwirft, und daß der Deutsche Bun-
destag am nächsten Tag mit einer BAföG-Debatte be-
ginnt und nicht bereit ist, hier wenigstens kurz über die-
se Situation zu debattieren.
Das muß einfach sein, auch wenn der Bundeskanzler
und der Bundesaußenminister nicht anwesend sind. Die
können morgen dazu sprechen. Wir können morgen
weiter darüber debattieren.
Aber wortlos – außer drei Sätzen des Bundestagsprä-
sidenten – darüber hinwegzugehen – das heißt, der Bun-
destag selbst äußert sich dazu nicht –, das ist meines Er-
achtens der Situation in keiner Hinsicht angemessen,
und zwar weder gegenüber der Bevölkerung der Bun-
desrepublik Jugoslawien noch gegenüber der Bevölke-
rung der Bundesrepublik Deutschland, noch gegenüber
den Soldaten, die in diesen Krieg verwickelt sind.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Im Namen aller übrigen Fraktionen des Hauses
widerspreche ich dem Aufsetzungsantrag der PDS. Wirkönnten es uns leichtmachen, meine Damen und Herren,und auf die formalen Hintergründe verweisen; das willich ausdrücklich nicht.
Ich will an dieser Stelle allerdings sehr nachdrücklichauf die Verabredungen des Bundeskanzlers mit denFraktionsvorsitzenden aufmerksam machen, in die auchSie, Herr Gysi, persönlich eingebunden gewesen sind.
Ich will auch sagen, daß es überhaupt kein Argument füreine Debatte ist, so zu tun, als würde uns der Beginn derkriegerischen Auseinandersetzungen in Jugoslawienzeitlich überraschen.
Präsident Wolfgang Thierse
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Es war schon am Anfang dieser Woche klar, daß es je-derzeit losgehen könnte und wir in der Situation stehenwürden, daß die Auseinandersetzungen dort beginnen.Von daher sehe ich sehr deutlich, daß Sie sich aus derVerabredung, die der Kanzler mit den Fraktionsvorsit-zenden getroffen hat, herausziehen wollen. Dies lassenwir nicht zu.Wir sagen Ihnen gleichzeitig: Gerade dieses Themaund der Anlaß dafür sind nicht geeignet, sich in partei-politische Auseinandersetzungen zu begeben, die vor-dergründig sind.
Ich will darauf hinweisen, meine Damen und Herren,daß wir uns mitten in einem operativen Einsatz, in einerlaufenden Operation befinden,
deren Ausgang noch nicht klar ist. Ich will auch daraufhinweisen, daß in Berlin derzeit der EU-Gipfel stattfin-det – das erklärt, Herr Gysi, die Ihnen bekannte Abwe-senheit von Kanzler, Außenminister und anderen Ver-tretern der Bundesregierung –, auf dem der Kosovo-Einsatz ein ganz wichtiger Teil der Beratungen sein wirdund auch schon gewesen ist. Wir wollen und müssen dieErgebnisse dieses Gipfels von Berlin in dieser Hinsichtabwarten und sie, wie wir es verabredet haben, zurGrundlage weiterer Beratungen in diesem Hause ma-chen. Von daher ist es richtig, daß wir heute morgendurch den Präsidenten einen kurzen Hinweis auf die Si-tuation erhalten haben.Wir gehen nicht einfach zur Tagesordnung über. Dasist Ihnen bekannt, weil wir das gestern abend und heutemorgen so besprochen haben. Wir wollen aber jetzt kei-ne ausführliche Debatte, weil sie nichts bringt, weil wirzum jetzigen Zeitpunkt nicht alle Informationen haben.Allerdings wollen und sollen der Bundeskanzler, derAußenminister, der Verteidigungsminister und wir allegemeinsam morgen hier über dieses Thema debattieren.Ich kann Ihnen im übrigen im Namen aller Fraktionensagen – das ist nichts Neues; aber ich will das bekräfti-gen –, daß wir uns an der Seite der deutschen Soldatenfühlen. Wir hoffen, daß derjenige, der dafür verantwort-lich ist, daß es zu diesem Einsatz gekommen ist, nämlichder jugoslawische Staatspräsident, in diesen Minuten, inden nächsten Stunden oder auch in den nächsten Tageneinlenkt, damit die Gefahr für die Menschen im Kosovo,für die Menschen in Jugoslawien und für unsere Solda-ten und ihre Partner aus den NATO-Staaten ein Endehat. Er allein, Milosevic, trägt die Verantwortung fürden jetzigen Einsatz.
Ich glaube, es ist angemessen, an dieser Stelle und zudieser Stunde nicht mehr zu sagen. Ich sage Ihnen jeden-falls zu, daß wir morgen eine ausführliche Debatte zudiesem Thema führen werden, mit allen Informationen,die dann zur Verfügung stehen.
Liegen noch weitereWortmeldungen zur Geschäftsordnungsdebatte vor? –Kollege Ströbele, ich weise Sie darauf hin, daß wir unsin einer Geschäftsordnungsdebatte befinden und nicht ineiner Sachdebatte.
Kollegen! Auch der Kollege, der vor mir gesprochenhat, hat sich durchaus zur Sache geäußert.Es ist unwürdig für dieses Haus, daß Deutschlandnach 54 Jahren seit gestern abend wieder Krieg führtund daß sich dieser Bundestag weigert, darüber zu redenund auch nur seine Meinung zu äußern. Das ist unge-heuerlich.
Ich verstehe meine Fraktion nicht, die für mehr Frie-den in der Welt angetreten ist, die eine Friedenspolitikmachen will. Sie setzt sich hierhin und ist damit einver-standen, daß, wenn von deutschem Boden nach 54 Jah-ren wieder Krieg ausgeht, darüber hier nicht einmal ge-redet wird.
Von deutschem Boden sind die Tornados gestartet, diejetzt gerade Belgrad bombardieren. Ich halte das fürvöllig unwürdig für dieses Haus.Fragen Sie sich einmal, was es für einen Eindruckmacht, wenn wir uns jetzt mit der Veränderung des Sa-chenrechts oder des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzesbeschäftigen, während deutsche Soldaten im Kosovo, inBelgrad, in Montenegro Bomben abwerfen.Ich appelliere an Sie: Ändern Sie die Tagesordnung!Lassen Sie uns darüber sprechen! Ich bin bereit, darübersachlich zu reden. Ich bin auch bereit, die Argumentesachlich abzuwägen, die die eine oder andere Seite hiervorbringt. Aber das ist doch völlig unmöglich: UnserLand beschäftigt sich heute mit diesem Krieg, und derDeutsche Bundestag schweigt dazu und beschäftigt sichmit der Änderung des Sachenrechts. Das kann und darfnicht wahr sein. Ich schäme mich für mein Land, dasjetzt wieder im Kosovo Krieg führt und das wiederBomben auf Belgrad wirft.
Wilhelm Schmidt
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Ich erteile das Wortdem Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Schar-ping.Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-gung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ichverstehe, daß man im Rahmen einer Geschäftsordnungs-debatte versucht einzuhalten, was zwischen dem Bun-deskanzler und allen Fraktionsvorsitzenden vereinbartworden ist. Allerdings gibt es auch Geschäftsordnungs-debatten, die es dann erforderlich machen, auf einigeDinge hinzuweisen, von denen ich denke, daß sie klar-bleiben sollten.Die militärischen Aktionen der NATO
sind Ergebnis und Endpunkt langer Bemühungen vielerMonate, auf friedlichem Wege zu einem Abkommen zukommen, das den Menschen im Kosovo ein friedlichesLeben ermöglichen sollte.
Ich muß Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, daß dasErgebnis des brutalen Vorgehens der jugoslawischenArmee gegen die Bevölkerung im Kosovo darin besteht,daß über 400 000 Menschen auf der Flucht sind, daß al-lein im Kosovo 250 000 Menschen auf der Flucht sind,daß viele Dörfer brennen und daß immer mehr Men-schen die Grenze überschreiten. Diese Brutalität mußbeendet werden.
Es ist eine Verpflichtung auf Grund der Erfahrungen ausder ersten Hälfte dieses Jahrhunderts,
und es ist eine Verpflichtung auf Grund unserer eigenenIdeale, nicht zuzulassen, daß in Europa die Fratze derKriege der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts und derVergangenheit die Zukunft bestimmt.
Es ist also unser Ziel, eine humanitäre Katastrophe zubeenden, die Einhaltung schon vereinbarter Abkommenzu gewährleisten und die Resolution des Weltsicher-heitsrates Nr. 11/99 mit ihren Forderungen durchzuset-zen – auf der Grundlage der Beschlüsse des DeutschenBundestages vom 16. Oktober 1998. Es ist auch unserZiel, ein Abkommen zu ermöglichen, das den Menschenim Kosovo die Verwaltung ihrer eigenen Angelegen-heiten erlaubt. Es bleibt unser Ziel, die Tragödie zu be-enden, die sich dort abspielt – nicht gegen das serbischeVolk, wohl aber gegen eine Diktatur, die schändlich undverächtlich mit der Würde, der Freiheit und dem Lebenvon Menschen umgeht.
In diesem Handeln stecken weitere Verpflichtungen:Wir sind verpflichtet, den Flüchtlingen zu helfen, die dieGrenze des Kosovo und der Bundesrepublik Jugoslawi-en überschreiten. Wir sind verpflichtet, für die Stabilitätder umliegenden Staaten zu sorgen und ihnen zu helfen.Wir sind verpflichtet, dem ganzen Balkan eine europäi-sche Perspektive zu geben – einer Region in Europa, diein ihrer ganzen Geschichte sehr viele Erfahrungen mitTerror, Unterdrückung und Gewalt sammeln mußte,aber keine Erfahrung mit dem zivilen Austragen vonKonflikten, mit Rechtsstaatlichkeit und mit Demokratiesammeln konnte.Wir haben uns die Entscheidungen, die wir gemein-sam innerhalb der NATO und der Europäischen Uniongetroffen haben, nicht leichtgemacht. Ich möchte an die-ser Stelle sagen, daß besonderer Respekt jenen Men-schen zu schulden ist, die sich als Soldaten – nicht alleinim Auftrag Deutschlands, sondern der NATO insgesamt– einer erheblichen Gefahr aussetzen, um anderen Men-schen helfen zu können.
Deshalb hoffe ich, daß nicht nur die Mehrheit des Deut-schen Bundestages, sondern daß auch die Bürgerinnenund Bürger in Deutschland und wir alle gemeinsam ver-stehen, daß unsere Soldaten in dieser schwierigen Situa-tion den Rückhalt und die Fürsorge derjenigen brauchen,die die Entscheidung für ihren Einsatz verantwortenmüssen.Vor diesem Hintergrund appelliere ich nicht nur anunsere Vernunft und unsere Klugheit; ich appelliere vorallen Dingen an die Regierung in Belgrad. Niemand gibtdieser Regierung das Recht, das Morden im Kosovofortzusetzen.
Niemand gibt dieser Regierung das Recht, die Lebens-interessen einer ganzen Bevölkerung zu mißachten, nurweil sie anderen Ursprungs ist.
Niemand gibt dieser Regierung das Recht, nicht nurdie Selbstbestimmung einer ganzen Bevölkerung mitWaffen zu behindern, sondern sogar systematisch zumorden.Ich appelliere an die Regierung in Belgrad, im Koso-vo die Waffen sofort schweigen zu lassen, damit auchwir die Möglichkeit haben, die Waffen schweigen zulassen, damit auch wir die Möglichkeit haben, die Waf-fen schweigen zu lassen und auf andere, nämlich fried-
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liche Weise den Menschen im Kosovo zu helfen. DerSchlüssel zur Beendigung aller militärischen Maßnah-men liegt in Belgrad, nirgendwo sonst. Es ist die Ver-pflichtung der dortigen Regierung, den Menschen imKosovo weiteres Leid zu ersparen.
Wenn die Bundesrepublik Jugoslawien und ihre Re-gierung klar erklärt, daß sie zu einem Waffenstillstandim Kosovo und zur Unterzeichnung eines Abkommens,das einen friedlichen Weg eröffnet, bereit ist, dann ha-ben auch wir die Möglichkeit, die militärischen Maß-nahmen zu beenden und auf den Weg zurückzukehren,den wir über Monate hinweg versucht haben zu gehen.Unser friedliches Bemühen – auch das muß man sehrdeutlich sagen – ist mißbraucht worden, weil währendlaufender Verhandlungen immer mehr Menschen syste-matisch um ihr Recht auf Leben, auf Unversehrtheit undGesundheit gebracht wurden. Es ist unsere Verpflich-tung, diesen Weg zu beenden und dafür zu sorgen, daßdie Menschen im Kosovo eine Perspektive für ein fried-liches Leben erhalten.
Werte Kolleginnen
und Kollegen, da die Debatte einen anderen Verlauf als
geplant genommen hat, schlage ich vor, daß jede Frakti-
on Gelegenheit zu einer kurzen Erklärung erhält, damit
wir dieses Thema in angemessener Weise behandeln.
Danach kehren wir zur ursprünglich geplanten Tages-
ordnung zurück.
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Schäuble,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsi-
dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die
CDU/CSU-Fraktion stimmt dem, was der Bundesvertei-
digungsminister soeben für die Bundesregierung ausge-
führt hat, zu.
Wir haben im Oktober letzten Jahres dem Antrag der
Bundesregierung zugestimmt. Es gibt in Deutschland
richtigerweise eine ungewöhnliche Verfassungslage, die
eine vorherige Zustimmung des Parlaments zu Entschei-
dungen, wie sie bezüglich des Kosovo-Einsatzes getrof-
fen wurden, erfordert. Den meisten von uns war schon
bei der Debatte im Bundestag im Oktober letzten Jahres
klar – ich hoffe, daß es uns allen klar war –, daß wir da-
mals eine Entscheidung von ungewöhnlich großer Ver-
antwortung und Tragweite getroffen haben. Wir haben
im Januar und im Februar dieses Jahres erneut über den
Einsatz im Kosovo diskutiert und haben keinen Zweifel
daran gelassen, daß wir zu der Entscheidung stehen, die
wir im Oktober letzten Jahres getroffen haben, und daß
sie richtig und notwendig war. Ich füge hinzu: Wir sind
durch die Bundesregierung in den zurückliegenden Wo-
chen zu jedem Zeitpunkt korrekt unterrichtet worden.
Deswegen gibt es in dieser Frage zwischen der großen
Oppositionsfraktion und der Bundesregierung keinen
Dissens. Sie können sich auf die Unterstützung der
CDU/CSU-Fraktion verlassen.
Auf die Unterstützung des – ich hoffe – ganzen Par-
laments können sich vor allen Dingen die Soldaten der
Bundeswehr und die Soldaten der Streitkräfte unserer
Verbündeten im atlantischen Bündnis verlassen. Das
sind wir ihnen in einer solchen Situation schuldig.
Wir gehen davon aus, daß eine menschenmögliche
Vorsorge getroffen worden ist, um die Risiken für alle
so klein wie möglich zu halten. Wir gehen auch da-
von aus, daß alles Menschenmögliche im Rahmen der
atlantischen Allianz getan wird, um die Risiken für die
unschuldigen Menschen in Jugoslawien so gering wie
möglich zu halten.
Der Bundesverteidigungsminister hat soeben zu
Recht gesagt: Vielleicht hat man eher zu lang als zu kurz
versucht, das zu verhindern, was jetzt durch die Unein-
sichtigkeit der Regierung in Belgrad unvermeidlich
notwendig geworden ist – so bitter das auch ist. Ich habe
gestern darauf hingewiesen: Niemand hat dem, was un-
vermeidlich geworden ist, mit Freude zugestimmt. Das
ist nach meiner Erinnerung eine der bittersten Stunden
in meiner auch nicht mehr ganz jungen Laufbahn als
Mitglied dieses Hauses.
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir
unsere Verantwortung für Frieden, für Freiheit und für
Menschenrechte ernst nehmen, haben wir keine Alter-
native. Deswegen muß unser geschlossener Appell an
den Aggressor lauten: Das Morden in Europa muß auf-
hören!
Die Gemeinschaft der Demokraten dieser Erde und der
Europäer muß die Kraft haben, das Ende des Mordens
durchzusetzen.
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen erteile ich das Wort der Kolle-
gin Angelika Beer.
HerrPräsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ichglaube, für alle Mitglieder meiner Fraktion sagen zuBundesminister Rodolf Scharping
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können, daß die Entscheidungen der letzten Stunden füruns schwierig waren, daß aber die Mehrheit meinerFraktion nach vielen Diskussionen dem Bundeskanzler,seiner gestrigen Erklärung und der Erklärung des Bun-desverteidigungsministers heute die volle Unterstützunggewährt. Damit positionieren wir uns in voller Verant-wortung in dieser Regierungskoalition.
Ich will eine gewisse Hilflosigkeit gerade bei denGrünen, die aus der Friedens- und Menschenrechtsbe-wegung kommen, nicht verhehlen. Ich glaube aber, daßwir uns in Wahrnehmung der Verantwortung – damalsin der Diskussion über das Vorgehen in Bosnien und inden letzten Wochen und Monaten über das Vorgehen imKosovo – bewußt vor die Alternative haben stellen las-sen und darüber entschieden haben. Die Alternative war,ob eine grüne Partei sagen kann: „Zehn Jahre lang wur-de alles versäumt, und daraus leiten wir das Recht ab,der sich zuspitzenden humanitären Katastrophe im Ko-sovo einfach zuzusehen“, oder aber, ob man versucht –wie es insbesondere unser Außenminister getan hat –,die diplomatischen Möglichkeiten bis zur letzten Sekun-de auszunutzen, um Milosevic klarzumachen, daß erderjenige ist, der als einziger den Knoten der Gewalt lö-sen kann, indem er ein Friedensabkommen unterschreibtund die Angriffe auf die Zivilbevölkerung unterläßt;oder daß, wenn er dies nicht tut – so wie gestern –, dieKonsequenz lautet, dem Vorgehen der NATO zuzu-stimmen, mit dem Ziel, eine sich anbahnende humanitä-re Tragödie im Kosovo zu verhindern. Vor dieser Alter-native haben wir uns klar positioniert. Ich hoffe, daßdiejenigen, die uns oder mich persönlich, wie in denletzten Tagen geschehen, als Kriegstreiber bezeichnen,endlich die Antwort auf die Frage geben, was denn dieAlternative zu dieser schwierigen Entscheidung gewesenwäre.
Ich möchte für meine Fraktion unterstreichen, daß wirnatürlich die Hoffnung haben, daß Milosevic spätestensjetzt einlenkt. Es gibt keine Alternative zu der Unter-schrift unter den Friedensvertrag.
Es gibt keine neuen Verhandlungen, sondern nur dieAbkehr von Krieg und Mord im Kosovo. Wir hoffen inder gleichen Verantwortung, daß die deutschen Soldatenmit ihren Tornados, die im Rahmen des NATO-Einsatzes eingesetzt werden, und jene Soldaten, die imMoment in einer sehr schwierigen Situation in Tetovostationiert sind, um die Umsetzung eines Friedensver-trags und ein politisches Konzept auf dem Balkan zugewährleisten, die Solidarität für ihre schwere Aufgabefinden; denn auch dann wird es schwieriger sein, als esvor wenigen Jahren in Bosnien war. Ich wünsche inso-fern den Soldaten, die heute diese schwere Aufgabe zutragen haben, daß sie gesund zurückkommen.Ich hoffe, daß sich unsere Partei in dem Dialog, demwir uns auch nachträglich noch stellen werden, in Fra-gen des Völkerrechts wie auch der Glaubwürdigkeit deszukünftigen Handelns, wenn es darum geht, frühzeitignichtmilitärisch zu intervenieren, wenn Menschenrechteverletzt werden, der Verantwortung stellt. Ich hoffe, daßwir auch danach noch sagen können, daß es das Richtigewar, dem wir gestern und heute zugestimmt haben.Vielen Dank.
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat Kollege Wolfgang Gerhardt.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zuerst fürmeine gesamte Fraktion betonen, daß wir den Entschei-dungen des Verteidigungsministers, die wir alle mit ge-troffen haben, sowie seinen heutigen Ausführungen zu-stimmen.
– Ich spreche für meine Fraktion.Die Debatte zeigt auch heute morgen wieder dieSkrupel, die freiheitliche Demokratien immer haben,wenn es auf ein letztes Mittel zugeht. Diese Debatte füh-ren wir schon seit einigen Jahren, nicht erst seit heute.Wir haben mehrere Bundestagsdebatten geführt, diedeutlich widergespiegelt haben, welche Schwierigkeitenfreiheitlich verfaßte Gesellschaften haben, zur Ultimaratio zu greifen. Aber es gibt auch für freiheitlich ver-faßte Gesellschaften eine Grenze: Niemals dürfen sieDespoten erlauben, sie lächerlich zu machen, weil siediese Skrupel haben.
Diese Grenze ist zweifellos erreicht: nicht nur nachden Verhandlungen in Rambouillet und den vielen Ge-sprächen im Kosovo, sondern auch nach den vielen ein-zelnen Zusagen der serbischen Führung, von denen siesich im nachhinein wieder distanziert hat. FreiheitlicheGesellschaften müssen wissen, daß das Völkerrechtnicht selbst trägt, sondern daß sie es tragen müssen. Siemüssen es auch tragen wollen. Im Kosovo geht es nichtum ein Kriegsziel der NATO, sondern um die Frage anfreiheitlich verfaßte Gesellschaften, ob sie wegschauenwollen, wenn Menschen vertrieben werden, wenn dasLeben von Menschen in Gefahr gebracht wird und wennVernichtung über sie gebracht wird.
Dann tritt die Kernfrage nach dem politischen Zielauf, die wir beantworten müssen. Ich weigere mich ein-fach, nur in einen Dialog über Luftoperationen einzu-Angelika Beer
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treten, wenn nicht auch gesagt wird, welches politischeZiel wir haben. Unser Ziel ist doch kein aggressives,kein feindseliges. Wir wollen dort internationale Garan-tien, wir wollen Minderheitenrechte, wir wollen schlicht,daß das, was die europäische Kulturgeschichte für dieMenschen gebracht hat, alle Menschen genießen kön-nen. Alle Menschen im Kosovo haben einen Anspruchdarauf, menschlich behandelt zu werden. Darum geht esim Kern.
Wir setzen nicht Soldaten ein, um einen Staat zu be-schädigen und Menschen in Not zu bringen, sondern wirsetzen sie für zutiefst humanitäre Zwecke ein. Nichtsanderes legitimiert überhaupt diesen Einsatz als unsereAbsicht, Menschen zu helfen und zu schützen.Die serbische Führung zeigt nahezu jeden Tag, daßsie ein menschenverachtendes Regime repräsentiert.Nach allen Erfahrungen in der Geschichte dieses Jahr-hunderts kann es für freiheitliche Demokratien am Endekeine Alternative dazu geben, einem Aggressor auch mitSoldaten entgegenzutreten.Die deutschen Soldaten und ihre Familien habeneinen Anspruch auf unsere Solidarität, unsere Unterstüt-zung und unseren Respekt. Sie stehen im Dienst einerguten Sache. Sie sind zu dem Einsatz legitimiert. Siekämpfen für Menschenrechte, die vor unserer Tür mit Fü-ßen getreten werden. Sie sollen wissen, daß die Fraktionder F.D.P. – das sage ich auch für die Kolleginnen undKollegen aus der CDU/CSU sowie die Mehrheit der Grü-nen und der SPD – zu ihnen steht. Wir wünschen ihnenErfolg und hoffen, daß sie alle gesund zurückkommen.
Ich erteile dem Kol-
legen Gregor Gysi für die PDS-Fraktion das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Ich möchte zunächst meinen ganz ehr-lichen Respekt dafür zum Ausdruck bringen, daß sichder Bundestag in eigener Souveränität doch noch ganzkurzfristig zu dieser Debatte entschieden hat.
Ich finde, es ist dieses Hauses würdig, das nicht imRahmen einer GO-Debatte verhindert zu haben. Deshalbnehmen wir unseren Antrag selbstverständlich zurück.Ich kann die hier genannten Argumente zu einemGroßteil nicht teilen. Vor allen Dingen sind viele Fragengar nicht angesprochen worden, zum Beispiel die nachder rechtlichen Grundlage für den Krieg, der gestern be-gonnen hat.
– Ich komme darauf zurück. – Sie alle wissen, daß dieUN-Charta nur zwei Fälle des berechtigten militärischenEingreifens kennt: den Fall der individuellen Selbstver-teidigung oder kollektiven Selbstverteidigung im Rah-men eines Bündnisses und den Fall, daß der UN-Sicherheitsrat – kein anderer; nur er besitzt das Gewalt-monopol, was aus guten Gründen nach 1945 so festge-legt worden ist – anordnet, zur Herstellung des Friedensmilitärische Maßnahmen einzusetzen.
Beide Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Bundesre-publik Jugoslawien – wie auch immer die inneren Zuständezu beurteilen sind – hat kein anderes Land angegriffen;deshalb liegt der Fall einer individuellen Selbstverteidigungoder kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta nicht vor. Sie wissen genauso gut wie ich, daß derUN-Sicherheitsrat keine militärischen Maßnahmen nachKap. VII der UN-Charta – der anderen Möglichkeit, diemilitärisches Eingreifen erlaubt – beschlossen hat und daßer sich sogar ausdrücklich vorbehalten hat, über die weitereSituation zu beraten und zu entscheiden. Die NATO hatihm diese Entscheidung aus der Hand genommen; sie hatsich damit von der UNO abgekoppelt.
Ich sage Ihnen: Das zerstört eine Weltordnung; aberes schafft keine neue. Auch ich kann mir eine bessereWeltordnung als die gegenwärtige vorstellen.
Die jetzige aber zu beseitigen, ohne eine neue zu haben,wird Europa und die Welt sehr grundsätzlich verändern.Was glauben Sie denn, wie wenig Rücksicht andereStaaten in Zukunft auf die UN-Charta nehmen werden,wenn die NATO und auch die BundesrepublikDeutschland erst einmal bewiesen haben, daß sie bereitsind, die UN-Charta zu ignorieren und dennoch militä-risch aktiv zu werden, und zwar in Form eines Krieges!
Juristisch gilt – auch wenn es Sie sehr ärgert –: Wennman einen Krieg führt, ohne selbst angegriffen wordenzu sein, dann ist das ein Angriffskrieg und kein Vertei-digungskrieg. Genau diesen verbietet das Grundgesetzder Bundesrepublik Deutschland. Auch dagegen habenSie verstoßen.
Sie sprechen von der Sicherheit unserer Soldaten. Ichfinde, die größte Unsicherheit besteht darin, sie in einenKrieg zu schicken, der weder völkerrechtlich noch durchdas Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland legi-timiert ist.
– Dazu kann ich gerne etwas sagen.Dr. Wolfgang Gerhardt
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2428 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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Ich spreche jetzt über die selektive Wahrnehmunghumanitärer Katastrophen. Die Situation ist doch inWirklichkeit nicht neu. Es gab schon ganz häufig be-waffnete Bewegungen von Bevölkerungsgruppen, dieaus einem Staatenverband ausscheiden wollten. DieBundesrepublik Deutschland hat sich in solchen Fällen,wie andere Staaten auch, sehr unterschiedlich verhalten.Ich erinnere Sie an ein noch viel verbrecherischeresRegime, an das Pol-Pot-Regime. Damals griff Vietnamein. Das wurde international mit dem Hinweis daraufverurteilt, daß sich das kambodschanische Volk selbstbefreien müsse, solange Kambodscha keinen anderenStaat angegriffen habe. Ein Angriff durch Vietnam aufKambodscha sei nicht gerechtfertigt. So lautete damalsdie Argumentation.Als der US-Präsident vor kurzem im Senat seineseigenen Landes gefragt worden ist, warum die NATOnicht in Kaschmir oder in Burundi militärisch eingreife,sondern gerade im Kosovo in Jugoslawien, hat er ge-antwortet: Dort haben wir andere Interessen. – Das isteine Begründung, die mit Moral nichts zu tun hat.
Wenn Menschenrechte gelten sollen, dann müssen sieuniversal gelten.Südafrika hat über Jahrzehnte die große Mehrheit derBevölkerung nicht nur unterdrückt, nicht nur der ein-fachsten Menschenrechte beraubt, sondern hat Men-schen auch massakriert. Nicht einmal zu einem Wirt-schaftsboykott konnte sich die Bundesrepublik Deutsch-land entschließen. Die Deutsche Bank und andere habendort weiter große Geschäfte gemacht.
Was passiert denn seit Jahrzehnten und Jahren in derTürkei? Sie wissen, daß die Rechte der Kurdinnen undKurden erheblich beeinträchtigt werden. Sie wissen, daßsie nicht einmal das Recht auf eigene Sprache undeigene Kultur haben. Sie wissen, daß auch dort Militärund Polizei massakrieren, daß es auch militärische Ge-genbewegungen gibt. Auch ich kritisiere die PKK; dasist nicht die Frage. Aber entstanden ist sie aus der Un-terdrückung des kurdischen Volkes. Auch das ist eineTatsache.Die Türkei ist Partner im Bündnis, Partner derNATO, die jetzt sagt, aus humanitären Gründen müssesie gegen Jugoslawien einen Angriffskrieg starten.
Wie selektiv wollen wir denn diese Probleme in derWelt wahrnehmen? Damit ich hier nicht mißverstandenwerde: Wenn Sie eines Tages auf die Idee kommensollten, deshalb in die Türkei einzumarschieren, wäreich auch dagegen – um das ganz klar zu sagen. Aber ichwill Sie darauf aufmerksam machen, wie selektiv dieWahrnehmung ist.Sie sagen immer, der Krieg richtet sich gegen Milo-sevic und nicht gegen das serbische Volk. Das sagt sichso leicht. Aber die Tatsachen sind doch andere. Wasglauben Sie denn, wer kein Wasser hat, weil die Bombergestern das Wasserwerk in Belgrad zerstört haben, dieserbische Bevölkerung oder Milosevic? Ich kann Ihnengarantieren: Milosevic wird noch lange Wasser haben.
Wer werden die Toten sein? Das werden Frauen undKinder sowie Soldaten sein, darunter sehr viele Wehr-pflichtige in Jugoslawien, die gar keine Chance haben,nicht zur Armee zu gehen, und es wird nicht Milosevicsein. Nein, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: Einsolcher Krieg richtet sich immer gegen die Bevölkerungund nicht gegen einen einzelnen Diktator. Einen Krieggegen einen einzelnen Diktator hat es noch nicht gege-ben, auch im Irak nicht, und es wird ihn auch nicht inJugoslawien geben. – Das macht mir alles größte Sor-gen, muß ich Ihnen sagen.Lassen Sie mich, weil die Redezeit um ist, nur nocheines sagen. Ich verstehe auch folgendes nicht: Hierwird immer gesagt: Milosevic ist völlig irrational, erkalkuliert den Krieg mit ein. Er trägt die alleinige Ver-antwortung. – Was aber ist das politische Ziel? Da wirdmir gesagt: Nach zwei, drei Bombenangriffen wird derMann rational. Dann denkt er plötzlich an sein Volk undunterschreibt, und damit ist der Krieg beendet.Eine von beiden Thesen kann doch nur stimmen.Wenn er ein so irrationaler Diktator ist, wenn er seineigenes Volk opfert, wie es mir die Regierung und dieVertreter der Fraktionen sagen, wie kommen Sie denndann darauf, daß der nach zwei, drei Tagen unterschrei-ben würde? Und was ist, wenn er es nicht macht? Wasist denn dann die politische Lösung?
Das haben Sie noch nie gesagt. Sie haben nur gesagt,daß Sie auf eine Unterschrift von Milosevic hoffen. Icherwarte sie nicht; das muß ich Ihnen ganz ernsthaftsagen.Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Mit Bom-ben verhindert man keine humanitären Katastrophen,man verschärft sie nur.
Deutschland hat in diesem Jahrhundert überhaupt keinRecht mehr, Bomben auf Belgrad zu werfen.
Für die SPD-Frak-tion hat der Kollege Peter Zumkley das Wort.Dr. Gregor Gysi
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Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die letzten Worte des Herrn Gysi
haben mich insofern nachdenklich gemacht, als ich die
Gegenfrage stelle: Wenn man heute nicht eingreift, wer-
den denn dann die Menschenrechtsverletzungen im Ko-
sovo beendet? Das ist doch die Frage.
Diese Frage beantworte ich für mich mit Nein, leider
Nein.
Zu den Luftoperationen gibt es nur eine Alternative,
nämlich das Einlenken der serbischen Führung.
Monatelang ist vergeblich versucht worden, mit gro-
ßer Geduld eine Friedensregelung im Sinne der ge-
schundenen Bevölkerung des Kosovo zu implementie-
ren. Jetzt mußte die NATO entschlossen handeln, um
die Ziele zu erreichen, nämlich die Gewalt im Kosovo
zu beenden, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern
und vor allem die Voraussetzungen dafür zu schaffen,
daß endlich den vielen tausend Flüchtlingen geholfen
wird, die unter schlimmsten Witterungsbedingungen in
den Wäldern hausen müssen, weil Unfriede herrscht,
weil sie aus ihren Dörfern vertrieben worden sind, weil
die Dörfer verbrannt worden sind. Diese Voraussetzun-
gen müssen doch endlich geschaffen werden. Dazu muß
die serbische Regierung leider gezwungen werden.
Es ging darüber hinaus um die Beilegung eines Kon-
flikts, der sich auch ausweiten kann: Wenn dort nicht
etwas geschieht, was geschieht denn dann möglicher-
weise mit den Nachbarstaaten?
Das ist doch ein Risiko, das man in Europa nicht einge-
hen kann. Insofern haben wir auch eine Verantwortung
für die Nachbarstaaten in diesem Gebiet. Die diplomati-
schen Kanäle sind doch weiterhin offen. Die Serben
müssen doch nur endlich dazu übergehen, diese zu nut-
zen und auch entsprechend zu handeln.
Belgrad kann jederzeit dazu beitragen, daß diese Luft-
operationen beendet werden.
Einen Gedanken zu unseren deutschen Soldaten und
den Soldaten der Alliierten, die dort eine schwierige
Aufgabe erfüllen müssen, möchte ich noch mitteilen:
Wir müssen an sie denken, unsere Fürsorge muß ihnen
und auch ihren Familien gelten. Dazu gehört auch, daß
wir ihnen ganz deutlich sagen, daß sie einen rechtmäßi-
gen Einsatz in unserem Sinne wahrnehmen. Das gehört
dazu, Herr Gysi.
Ich möchte mit zwei Sätzen aus der Erklärung des
EU-Gipfels schließen: Die Aggression darf sich nicht
lohnen; das ist die Lehre des 20. Jahrhunderts.
Ich danke Ihnen.
Da die PDS-Fraktionihren Geschäftsordnungsantrag zurückgezogen hat,brauchen wir darüber nicht abzustimmen. Ich beendedamit diesen Punkt unserer Debatte.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Zwanzig-sten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbil-dungsförderungsgesetzes
– Drucksachen 14/371, 14/460 –
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Bildung, Forschung und Tech-nikfolgenabschätzung
– Drucksache 14/581 –Berichterstattung:Abgeordnete Brigitte Wimmer
Angelika VolquartzMatthias BerningerCornelia PieperMaritta Böttcher
– Drucksache 14/582 –Berichterstattung:Abgeordnete Steffen KampeterSiegrun KlemmerMatthias BerningerDr. Günter RexrodtDr. Christa Luft b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung
– zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen W.Möllemann, Cornelia Pieper, Horst Friedrich
, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.Reform des Bundesausbildungsförderungs-gesetzes
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– zu dem Antrag der Abgeordneten MarittaBöttcher und der Fraktion der PDSUmsetzung der Reform der Ausbildungs-förderung– Drucksachen 14/358, 14/398 , 14/581 –Berichterstattung:Abgeordnete Brigitte Wimmer
Angelika VolquartzMatthias BerningerCornelia PieperMaritta BöttcherZum Gesetzentwurf liegt ein Änderungsantrag derFraktion der F.D.P. vor.Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an dieAussprache zwei namentliche Abstimmungen durchfüh-ren werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Brigitte Wimmer, SPD.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist sicher kein
Tag wie jeder andere. Es fällt mir als neuem Mitglied
dieses Hohen Hauses sicherlich nicht leicht, jetzt zur
Tagesordnung zu reden.
Liebe Kollegin, darf
ich Sie einen Moment unterbrechen? Da es Ihre erste
Rede ist, möchte ich doch für ein wenig Aufmerksam-
keit sorgen.
Die Kolleginnen und Kollegen, die den Saal verlassen
möchten, bitte ich, das schnell zu tun. Wir warten noch
ein paar Sekunden, damit die anderen, die hierbleiben,
Ihnen ungestört folgen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie doch
Platz, oder gehen Sie schnell ins Foyer.
Vielen Dank,Herr Präsident. – Mir ist bei dem Redebeitrag von HerrnGysi schlecht geworden. Ich ziehe für uns daraus dieKonsequenz, daß wir noch mehr zur Unterstützung vonFriedens- und Konfliktforschung tun müssen, um sol-che Vorgänge, wie wir sie derzeit erleben, nicht mehrerleben zu müssen.
Ich freue mich, daß unsere beiden die Regierung tragen-den Fraktionen zum erstenmal überhaupt im HaushaltMittel für die Friedens- und Konfliktforschung einge-stellt haben.
Es passiert nicht oft, daß wir für Entscheidungengelobt werden. Wie schön, daß wir für die 20. BAföG-Novelle Zustimmung erhalten. Selbst der RCDS begrüßtunseren Gesetzentwurf.
Unser Gesetzentwurf wird aus zwei Gründen begrüßt:Wir halten, was wir versprochen haben, auch beimBAföG. Die Erhöhung der Bedarfssätze um 2 Prozentund der Beiträge um 6 Prozent führt dazu, daß die Zahlder Geförderten nicht weiter absinkt, sondern nachlanger Zeit, wenn auch nur leicht, wieder steigt.
Es werden 23 000 zusätzliche Studierende gefördertwerden.Aber nicht nur das: Wir nehmen auch die schlimm-sten und unsinnigsten Teile der 18. Novelle zurück. DieWiedereinführung des § 5a beseitigt den krassen Fehler,ein Auslandsstudium zu bestrafen.
In Zukunft bleibt ein Auslandsaufenthalt bis zu einemJahr bei der Förderungshöchstdauer unberücksichtigt. Esgeht nicht – wie Sie es getan haben, liebe Kolleginnenund Kollegen von der Union und von der F.D.P. –, dieangebliche Immobilität der jungen Menschen zu bekla-gen und die finanzielle Grundlage für ein Auslands-studium zu zerstören.
Wir billigen jungen Auszubildenden künftig eineangemessene Orientierungszeit zu. Ein Ausbildungs-abbruch oder Fachrichtungswechsel aus wichtigemGrund wird bis zum Beginn des vierten Fachsemesterszugelassen. Es gibt eben Fälle – dies hat der Beirat fürAusbildungsförderung nachdrücklich bestätigt –, indenen der Studienaufbau die Anerkennung eines Fach-richtungswechsels aus wichtigen Gründen noch amEnde des dritten Fachsemesters rechtfertigt.Wer die Förderungshöchstdauer aus gesellschafts-politisch erwünschten Gründen, zum Beispiel Engage-ment in Gremien der studentischen Selbstverwaltung,überschreitet oder sonstige schwerwiegende Verlänge-rungsgründe angeben kann, wird nicht länger mit derFörderungsart Bankdarlehen bestraft.Die befristet eingeführte Studienabschlußförderungwird um weitere zwei Jahre verlängert in der Hoffnung,daß zu diesem Zeitpunkt weitere Erfolge der Hoch-schulstrukturreform sichtbar werden.
Dieses Worthalten war außerdem außerordentlichwichtig, weil die frühere Regierung das BAföG in seinerWirkung für Chancengleichheit beinahe zerstört hat.1982, als CDU/CSU und F.D.P. an die Regierungkamen, gab es noch 37 Prozent geförderte Studierende.1997 und 1998, am Ende Ihrer Regierungszeit, waren esnoch 17 Prozent der Studierenden. In den neuen Bun-desländern erhielten 1994 54 Prozent der StudierendenBAföG, 1997 waren es nur noch 30 Prozent. MeineDamen und Herren der früheren Regierung, Sie habenbeim BAföG einen Kahlschlag betrieben.Präsident Wolfgang Thierse
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Das sieht man auch bei den Ausgaben. 1992 waren esnoch 2,5 Milliarden DM, 1996 nur noch ganze 1,5 Mil-liarden DM. Sie haben die Familien im Stich gelassen,Sie haben die Studierenden im Stich gelassen, und Siehaben eine riesige Staatsverschuldung hinterlassen, mitder wir jetzt umgehen müssen. Das ist eine Bankrotter-klärung in diesem Bereich.
Für uns ist die 20. BAföG-Novelle gleichzeitig einenotwendige Vorbereitung auf eine umfassende Reformder Ausbildungsförderung, wie sie im Koalitionsver-trag zwischen SPD und Grünen vorgesehen ist. Danachwerden zukünftig alle ausbildungsbezogenen staatlichenLeistungen in einem einheitlichen Modell der Ausbil-dungsförderung zusammengefaßt.Diese Fragen können durch die vorgeschaltete No-velle ohne übermäßigen Zeitdruck, der zu Lasten derQualität gehen würde, gelöst werden. In die Debatte umdie Strukturreform gehören auch die Anträge der PDSund der F.D.P., Stichworte: Angleichung Ost und West,Bankdarlehen. Es würde der Sache nicht dienen, wennwir hier Schauanträge à la F.D.P. vorlegen würden, beiallem Verständnis für eine kleine Oppositionsfraktion.Gründlichkeit und Seriosität gehen vor Schnelligkeit.
Schauanträge helfen den Studierenden nicht.Wir, Parlament, Regierung und die Bundesländer,sollten die Strukturreform zum Ende dieses Jahresgemeinsam auf den Weg bringen. Die grundlegendeStrukturreform ist ein wichtiger Beitrag zur Ausbil-dungsförderung. Sie stellt die Ausbildung auf die An-forderungen des 21. Jahrhunderts ein. Die Verbesserungder materiellen Rahmenbedingungen für Studentinnenund Studenten trägt dazu bei, einen effizienten und einenqualitativ verbesserten Studienablauf zu ermöglichen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Sozialdemo-kraten lassen uns dabei vom Prinzip der Chancen-gleichheit leiten. Chancengleichheit zu gewährleistenheißt, alle Begabungen zu fördern – unabhängig von derwirtschaftlichen und sozialen Lage der Auszubildendenund ihrer Familien. Die SPD hält an dieser zentralen bil-dungspolitischen Forderung fest. Wir handeln dement-sprechend. Dies gilt vor allem für die Ministerin, die fürdiese Forderung einsteht, und auch für diese Regierung,die erkannt hat, daß der Ausbau von Bildung und For-schung ein wichtiger Standortfaktor für unser Land ist.Auf uns können sich die jungen Menschen verlassen.Wir halten unser Versprechen.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, das war – wie vorhin schon gesagt – die
erste Rede der Kollegin Wimmer. Unsere herzliche
Gratulation!
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Angelika Vol-
quartz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Wir diskutieren heute über die 20. BAföG-Novelle. Wenn man sich die lange Serie dieser Novellenansieht, dann kann man erkennen, daß es hier um einenbildungspolitischen Baustein mit einer langen Ge-schichte geht. Dieser Baustein war allen Regierungenaußerordentlich wichtig; denn Ausbildungsförderung istein Beitrag dazu, für den einzelnen das Recht auf Bil-dung – unabhängig von der finanziellen Lage desElternhauses – zu gewährleisten und damit zugleich un-sere Chancen im weltweiten Wettbewerb zu behaupten.
Im Zeitalter der Globalisierung und des Wandels vonder Industrie- zur Wissensgesellschaft ist Bildung derSchlüssel zur Chancengerechtigkeit. Eine entscheiden-de Voraussetzung dafür ist die Vermittlung von Allge-meinwissen und Grundwissen. Auch die Medienkom-petenz ist ein unverzichtbares Element.Wir brauchen in unserem Land dringender als je zu-vor eine Kultur des lebenslangen Lernens. Der Bundes-präsident hat recht, wenn er sagt, ein Ruck müsse durchunser Land gehen. Wir brauchen eine neue bildungs-politische Offensive.
Für uns gilt deshalb wie bisher, liebe Kolleginnen undKollegen von der SPD, daß jeder, der das Zeug und denWillen – unabhängig von seiner sozialen Herkunft –dazu hat, studieren soll.Es gilt aber auch, daß ein Studium nicht der alleinigeKönigsweg ist. Berufliche und akademische Bildunghaben für uns den gleichen Stellenwert.
Insoweit ist es nicht nachvollziehbar, daß beim Meister-BAföG jetzt gespart werden soll. Meine Kollegen wer-den auf diesen Punkt in der anschließenden Debattenoch eingehen.
Es gilt der Grundsatz, daß alle Begabungen gleicherma-ßen gefördert und gefordert werden sollen.
Wir müssen die Chance zur Leistung eröffnen, so-ziales Lernen ermöglichen, Schlüsselqualifikationenvermitteln und damit die so dringend notwendigeEntwicklung der Persönlichkeit ebenso fördern wie dieBefähigung, sich auf dem Arbeitsmarkt zurechtzufinden,der hohe Flexibilität verlangt.Wir treten für Leistung ein. Sie ist die einzige Chan-ce, unser Land zukunftsorientiert weiterzuentwickeln.Dazu gehört auch eine Eliteförderung. Ich finde es in-teressant, daß die Ministerin diesen ZusammenhangBrigitte Wimmer
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endlich begriffen hat und sich nun für die Eliteförderungeinsetzt.
Bisher haben die Sozialdemokraten Leistung als eineSekundärtugend bezeichnet und in den Ländern in derVergangenheit verhindert, daß eine Förderung derHochbegabten durchgeführt werden konnte.
Endlich haben wir in diesem Punkt eine gemeinsameLinie.
Endlich haben wir da eine gemeinsame Linie: Gleich-macherei und Nivellierung sind der falsche Weg. Wireröffnen die Chance zum Wettbewerb, zur Bewährung,zur Selbstfindung und zur Selbstbestätigung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gilt, unser Bil-dungssystem für die Zukunft fit zu machen. Dabei spieltauch die Ausbildungsförderung eine wesentliche Rolle.Deshalb ist es zu bedauern, daß die Gefördertenquotebeim BAföG in den letzten Jahren gesunken ist. Aller-dings ist die Zahl, die Sie genannt haben, Frau Wimmer,falsch. Es geht nämlich nicht um alle Studierenden, son-dern nur um diejenigen, die tatsächlich förderungswür-dig sind. Und das sind 22,6 Prozent. Das bedeutet also,verglichen mit dem vergangenen Jahr, einen Anstieg indiesem Jahr. Das dürfen Sie natürlich nicht vergessen.
Die Auswirkung der Entwicklung, daß die Geförder-tenquote zu gering ist – darin sind wir uns einig –, istaber nicht allein auf den Schultern der ehemaligen Re-gierung abzuladen, sondern auf Bund und Länder; denndie Länder haben verhindert, daß wir hier eine verbes-serte Situation erhalten.
Dies ist abgelehnt worden; das muß man einmal nüch-tern feststellen. Nutzen wir jetzt also die Chance! Zeigenwir Einigkeit, daß die Bildung in Deutschland einenhohen Stellenwert hat!Was wir heute als 20. BAföG-Novelle verabschiedenwerden, verdient allerdings nicht, mit dem Prädikat„Zukunft“ in Verbindung gebracht zu werden. Die Er-höhung der Bedarfssätze um 2 Prozent und die Erhö-hung der Freibeträge um 6 Prozent bedeuten für die Stu-dierenden lediglich die schon viel zitierte eine Pizzamehr im Monat. Wenn wir der Novelle trotzdemzustimmen – und die Zustimmung der CDU/CSU findetauch der F.D.P.-Antrag zur Angleichung der Finanzie-rung von Unterkünften in den neuen Ländern; es inter-essiert mich übrigens, warum Sie diesem Antrag nichtzustimmen –, erfolgt dies allein, um die Studierendenwenigstens in den Genuß dieser kleinen Vergünstigungkommen zu lassen. Vielleicht entschließen Sie sich abernoch am Ende der Debatte, dem Antrag der F.D.P. dochzuzustimmen. Dann wären Sie ein Stück glaubwürdigerals jetzt.
Aber erinnern wir uns: Als die CDU/CSU-F.D.P.-Regierung 1994 eine solche Erhöhung unter dem Ein-druck der finanziellen Belastungen durch die deutscheEinheit durchführte, hat die damalige Sprecherin derSPD, Doris Odendahl, dies in einer Pressemitteilung sokommentiert:Bundesregierung erteilt bedürftigen Studierendeneine erneute krasse Abfuhr.
So Doris Odendahl zur gleichen Erhöhung, die Sie heutevornehmen. Sagen Sie doch einmal ein Wort dazu: HatFrau Odendahl damals recht gehabt? Dann aber müssenSie sagen, daß das, was Sie mit Ihrer Gesetzesvorlagemachen, eine krasse Abfuhr gegenüber den Studierendenbedeutet.
Frau Wimmer, Sie haben davon gesprochen, daß Siedie Wahlversprechen halten. Das meinen Sie sichernicht ernst.
Das kann nicht ernstgemeint sein, weil Sie in IhremWahlversprechen – das haben wir schon in der letztenDebatte hier diskutiert – in Aussicht gestellt haben, dieAusgaben im Bildungsbereich in den nächsten fünf Jah-ren zu verdoppeln. Das ist bis jetzt nicht erkennbar. ImGegenteil: Im Haushaltsausschuß wurde durch die rot-grüne Mehrheit der Etat um 75 Millionen DM für Tech-nologieförderung gekürzt.
Weitere 80 Millionen DM Technologieförderungsmittelmußte der Wirtschaftsminister opfern. Statt Steigerungist schlicht Kürzung angesagt. Das sind die Realitäten.
Von Ihren BAföG-Erhöhungen können die Studie-renden nicht einmal mehr eine Kinokarte bezahlen, weildie Mehrwertsteuererhöhung so gut wie beschlossenist.
So wird aus der 20. BAföG-Novelle eine Mehrwertsteu-ererhöhungskompensationsnovelle. Das ist nun wirklichdas letzte, was wir gebrauchen können – ganz zuschweigen von der verabschiedeten Steuerreform, dienatürlich auch die Studierenden betrifft; denn deröffentliche Personennahverkehr wird gravierend teurer.Und das betrifft die Studierenden ebenfalls.
Angelika Volquartz
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Das, Frau Ministerin Bulmahn, nenne ich neue Unge-rechtigkeit.Sie sprachen in der Debatte am 26. Februar diesesJahres in Richtung der ehemaligen Regierungsfraktionenvon „Scheinheiligkeit in Potenz“.
Schauen Sie sich einmal an, was Sie heute in bezug aufdie Mehrwertsteuer planen, was Ihr ParteifreundOppermann in Niedersachsen bezüglich der Studienge-bühren beabsichtigt und wie Sie selbst dazu stehen.Dazu würden wir gerne einmal ein Wort von Ihnenhören. Sie, Frau Ministerin Bulmahn, sind doch dieLandesvorsitzende der SPD in Niedersachsen.
Meine Damen und Herren, es kommt jetzt darauf an,das Bildungssystem zukunftsfähig zu machen. Daranarbeiten wir.
Es gilt, Strukturen zu schaffen, die qualifizierte Bil-dungsabschlüsse garantieren und die internationale Ver-gleichbarkeit von Ausbildungsgängen und -abschlüssenvoranbringen. Das ist bisher in vielen sozialdemokra-tisch regierten Ländern schlicht verhindert worden.
Über landeseinheitliche Leistungen bei Abschlußprü-fungen soll die Qualität in allen Bundesländern gesichertund eine höhere Transparenz ermöglicht werden. DurchEvaluation sowohl auf der Angebots- als auch auf derNachfrageseite müssen wir eine Effizienzsteigerung inSchule und Hochschule erreichen. In diesem Kontextbrauchen wir ein zukunftsorientiertes und bestandsfähi-ges System der Ausbildungsförderung.
Dazu hört man bislang von Rotgrün außer vagen An-kündigungen nichts. Sie behandeln vielmehr die drin-gend notwendige BAföG-Strukturreform nach unsererEinschätzung wie ein Staatsgeheimnis. Wir erwartenvon Ihnen die schnelle Vorlage diskussionsfähiger Eck-punkte. Dabei wollen wir von Ihnen wissen, wie Sie sichzukünftig die Stellung der Studierenden in Gesellschaftund Familie vorstellen. Wir wollen außerdem wissen,welche Schlußfolgerungen Sie aus den beiden Urteilendes Bundesverfassungsgerichtes zum Familienlasten-ausgleich und zur Vermögensanrechnung der Auszubil-denden ziehen.
Wie halten Sie es mit der familiären Anbindung der Stu-dierenden beim sogenannten Ausbildungsgeld bzw. mitdem Prinzip der Subsidiarität? Wie stehen Sie zu ein-kommensunabhängigen Kindergeldzahlungen?Wir fordern Sie auf, eine breite gesellschaftliche undparlamentarische Diskussion zu ermöglichen.
Eine solche Diskussion haben die Studierenden verdient.Sie ist notwendig, wenn wir am Ende zu einer konsens-fähigen Lösung kommen wollen, auf die Sie, FrauMinisterin, vernünftigerweise Wert legen.Bildung und Erziehung, Ausbildung und Weiterbil-dung bestimmen ganz wesentlich die Modernität unsererGesellschaft im 21. Jahrhundert. Für uns ist die Bildungder Schlüssel zu individuellen Lebenschancen, interna-tionaler Konkurrenzfähigkeit und Wohlstand.
Deshalb müssen auch unsere Hochschulen wieder inter-national Spitze werden.Ich danke.
Liebe Kolleginnenund Kollegen, damit Sie sich darauf einstellen können,möchte ich Ihnen mitteilen, daß die Fraktion derCDU/CSU zum Zwecke einer Fraktionssitzung eineUnterbrechung der Sitzung im Anschluß an die nament-lichen Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunktbeantragt hat. Diese Unterbrechung dürfte in etwa zwi-schen 12 und 13 Uhr sein.Nun erteile ich dem Kollegen Matthias Berninger,Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
war hier sowohl als Redner als auch als Zuhörer schonan einigen Debatten zum Thema BAföG beteiligt. Ichbin zwar jemand, der sehr entschieden für die Reformdes BAföG eintritt und der dafür kämpft, daß wir eineStrukturreform des BAföG hinbekommen. Ich mußIhnen aber sagen, daß ich heute meinen Vortrag in derSache etwas weniger kämpferisch gestalten werde, damir in Anbetracht der gegenwärtigen internationalenSituation die Lust vergeht, hier eine fachpolitische Dis-kussion klassischer Prägung zu führen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand in der Ko-alition bestreitet, daß die jetzige Reform des BAföGbzw. das 20. BAföG-Änderungsgesetz noch nicht aus-reichend ist. Wir selbst sprechen von einer Reparatur-novelle, die das Notdürftigste macht; wir sagen: Wirwollen den Trend stoppen, daß immer weniger PersonenBAföG-Leistungen in Anspruch nehmen können, daßdas BAföG einen schleichenden Tod stirbt. Das habenwir erreicht, wenn auch nicht – auch das sage ich Ihnen– in dem Maße, wie wir uns alle das gewünscht hätten.Immerhin werden etwa 23 000 Studierende im Vergleichzum letzten Jahr zusätzlich Förderung erhalten. Das istein kleiner, überhaupt nicht ausreichender Schritt. Diegrundsätzliche Reform, die wir vorhaben, wird dadurch,daß wir diese 20. Novelle heute wahrscheinlich verab-schieden werden – auch die CDU/CSU wird ihr ja zu-Angelika Volquartz
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2434 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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stimmen –, überhaupt nicht erreicht. Ein großer BergArbeit steht uns bevor. Das sehen wir alle so. Ich denke,daß wir im Bildungsausschuß sehr viel diskutieren müs-sen. Ich glaube aber auch, daß die Grundlagen, die dieseKoalition für eine solche BAföG-Reform gelegt hat,durchaus tragfähig sind.Wir wollen diese Strukturreform, aber sie soll sorg-fältig vorbereitet sein, und wir wollen sie nicht übersKnie brechen. Viele Vorwürfe, die dieser Regierung inden letzten Monaten gemacht wurden, beziehen sichdarauf, daß sie zu hastig vorgegangen sei, daß sieunausgegorene Reformen dem Parlament vorgelegt habeund entsprechend in Schwierigkeiten gekommen sei. Ichbrauche Ihnen die verschiedenen Reformwerke nichtaufzuzählen. Wir haben das bei der BAföG-Reformnicht vor. Vielmehr wollen wir eine Reform machen, diebreite Zustimmung erhalten kann. Sie wissen, der Bun-desrat muß dieser Reform zustimmen. Wir wollen schonvorher mit den Ländern reden. Wir wollen einen Kon-sens hinbekommen, weil diese Reform den Grundsteinfür die zweite Bildungsreform bilden muß. So wie dieerste Bildungsreform mit Veränderungen beim BAföGausgestaltet wurde, wird auch die zweite Bildungsreformdann gelingen, wenn wir den Menschen am Start wiedergleiche Chancen geben und wenn wir unterschiedlicheBiographien berücksichtigen, etwa die von Menschen,die ein Teilzeitstudium machen wollen. Wir wollen auchstärker das Studieren mit Kind oder etwa das Auslands-studium ermöglichen, das ja derzeit vor allem von jenenaufgenommen wird, deren Eltern sehr viel Geld haben,während diejenigen, die aus weniger wohlhabenden Fa-milien kommen, in aller Regel im Inland studieren müs-sen. Auch das ist ein großes Anliegen, nämlich daß wirin dieser Beziehung eine Korrektur hinbekommen.Diese grundsätzliche Strukturreform, so forderneinige, müsse schneller, als wir das in der Koalitionsver-einbarung festgelegt haben, möglichst noch vor derSommerpause, auf den Weg gebracht werden. Ich habein der letzten Legislaturperiode – da war ich in derOpposition – über ein Jahr in den Fraktionsgremien dar-über diskutiert, wie eine solche Strukturreform aussehenkönnte. Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf dazugemacht. Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein sehr, sehraufwendiges Reformwerk, und das aus drei Gründen.Der erste Grund. Wir wollen uns im Bereich desFamilienleistungsausgleichs daranmachen, daß alle Stu-dierenden die gleiche Grundförderung erhalten. DieseFörderung wollen wir Ausbildungsgeld nennen. Dasbringt sehr weitreichende Veränderungen mit sich, dieetwa mit Familienpolitikerinnen und -politikern zu be-sprechen sind. Sie alle wissen, daß es im Unterhaltsrechterhebliche Schwierigkeiten gibt, die wir ausräumenmüssen, Schwierigkeiten, die durch die Rechtsprechungdes Bundesverfassungsgerichts verschärft wurden. Ichfreue mich darüber, daß sie verschärft worden sind. DieKonsequenz der Rechtsprechung ist nämlich, daß Fami-lien noch stärker entlastet werden und daß diese nochstärkere Entlastung der Familien sich positiv auf das Ge-samtvolumen der BAföG-Reform auswirken wird.Damit bin ich bei dem zweiten Problem. Es bestehtdarin, daß wir diese Reform finanzierbar gestalten müs-sen. Es ist von den Kolleginnen ja schon angesprochenworden, daß wir im Bildungsbereich mehr Geld ausge-ben. Wir alle sind uns darin einig, daß man noch mehrGeld ausgeben könnte. Aber ich finde, es muß anerkanntwerden, daß diese Bundesregierung im Vergleich zuihren Vorgängerinnen in der Bildung tatsächlich einFeld sieht, für das mehr Geld ausgegeben werden soll.
Wir werden ein großes Problem mit den Finanzpoliti-kern bei der Frage bekommen: Wie finanziert man einesolche Reform? Auch das macht es nötig, daß wir andiese Reform behutsam herangehen. Ich glaube aber,daß es Möglichkeiten gibt, das zu lösen.Der dritte Punkt. Diese Bundesregierung wird Ver-änderungen beim Wohngeld auf den Weg bringen. Wirwollen, daß zumindest geprüft wird, inwieweit Studie-rende auch von diesen Veränderungen profitieren kön-nen.Wir werden einige politische Bereiche, die von derBildungspolitik weit weg sind, tangieren müssen, umeine gute Reform auf den Weg zu bringen. Frau Kolle-gin Pieper, Sie haben ja den Antrag gestellt, in dem esheißt, daß man das schneller machen muß. Ich bitte Sieum Verständnis dafür, daß wir, so wie wir es in der Ko-alitionsvereinbarung festgelegt haben, diese Reform bisEnde 1999 vorlegen wollen. Sollten wir mit diesem, wieich finde, ehrgeizigen Terminplan scheitern, haben Siejedes Recht, uns vorzuwerfen, daß uns das nicht wichtiggenug sei oder aber daß wir es nicht auf die Reihebekämen. Ich bitte Sie aber, dieser Regierung – so wiewir Ihnen auch drei Jahre geduldig die Chance gegebenhaben, eine Strukturreform vorzulegen – die nötige Zeiteinzuräumen, die sie braucht, um eine vernünftigeBAföG-Reform zu machen.Ich freue mich – dies zum Abschluß –, daß es eine-breite Mehrheit dafür gibt, sehr viele Fehler, die in derletzten Legislaturperiode gemacht wurden, zu bereini-gen. Allerdings kam es zu dieser Mehrheit durch einenKompromiß, an dessen Ende stand, daß noch in derletzten Legislaturperiode vereinbart wurde, eine Struk-turreform auf den Weg zu bringen.Es wurden viele Fehler gemacht: Die Gremientätig-keit der Studierenden wurde bei der BAföG-Reform derletzten Wahlperiode nicht genügend beachtet. Man hates nicht geschafft, das Auslandsstudium positiv zu be-rücksichtigen. Die Ost-West-Angleichung ist nicht vor-angekommen. Diese, so räume ich ein, hätte ich mirauch schon bei dieser Reform gewünscht. Das haben wiraber nicht durchbekommen. Die Frage, wieviel Geldman für eine solche Reform mobilisieren kann, wird inder Diskussion um eine Strukturreform ein wichtigesThema sein. Nicht zuletzt geht es um die Frage, wie manes schafft, durch die BAföG-Strukturreform die Zahl derGeförderten so zu erhöhen, daß der Trend des Bergabgebremst wird.In all diesen Fragen haben wir in diesem Parlament inder letzten Legislaturperiode Fehler gemacht. Manchehaben das lauter, manche haben das leiser kritisiert. IchMatthias Berninger
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2435
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denke, es ist ein guter Weg, daß das Parlament jetzt ge-schlossen sagt: Wir wollen Gremientätigkeit anerken-nen. Wir wollen das Studieren im Ausland stärker alsvorher fördern. Zweierlei muß zusätzlich hineingenom-men werden: Das Studieren mit Kind muß stärker alsbisher beachtet werden – ich habe zugestanden, daßauch diese Regelung unzureichend ist –, und eine Ost-West-Angleichung wollen wir Ende des Jahres in unserReformpaket aufnehmen.Ich hoffe, daß uns das gelingt. Es wird uns um sobesser gelingen, je konstruktiver die Opposition daranmitarbeitet. Dazu muß ich Sie nicht einladen, weil SieIhre Bereitschaft dazu bereits erklärt haben. Wir werdensehr spannende Diskussionen führen. Ich hoffe, daß dieBundesregierung insgesamt hinter einem Reformwerksteht, das jungen Menschen unabhängig vom elterlichenEinkommen gleiche Chancen beim Start gewährt. Dasist mein Wunsch. Ich glaube, daß wir das schaffen kön-nen. Aber wir müssen es mit der nötigen Ruhe machen.Dafür bitte ich um Verständnis.
Für die F.D.P.-
Fraktion hat nun Kollegin Cornelia Pieper das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte deutlichmachen, daß es mir heute nicht leicht fällt, zur Tages-ordnung überzugehen. Wo andere junge Menschen umihr Leben fürchten, diskutieren wir jetzt über die Bun-desausbildungsförderung, die für die jungen Leute hierim Land wichtig ist. – Ich wollte diese Bemerkung vor-wegschicken. Wir sollten die Debatte deswegen nichtkämpferisch führen. Ich glaube, das ist der Sache heutenicht angemessen. Trotzdem stehen wir in der Sache zuunserem Antrag, zu unserer Position.Die F.D.P.-Fraktion ist vehement der Auffassung,daß die Bundesregierung mit dem vorliegenden Ge-setzentwurf eine einmalige Chance für eine rechtzeitigeBAföG-Reform verpaßt hat. Die Chance, die Reformder Bundesausbildungsförderung mit einer großenMehrheit im Bundestag zu beschließen, war noch nieso groß, und damit der Forderung der Länder und Ver-bände nachzukommen, die Bundesausbildungsförde-rung von einem verzinsten auf ein zinsloses Darlehenumzustellen.Die 20. BAföG-Novelle bleibt im alten Trott. Einelediglich 2prozentige Anhebung der Bedarfssätze –sprich: für den Höchstbetrag sind das 20 DM mehr –und eine 6prozentige Steigerung der Freibeträge bringenkeine Chancengerechtigkeit für die Studierenden.BAföG beziehen weiterhin nur 17 Prozent von 1,8 Mil-lionen Studierenden in Deutschland, liebe KolleginWimmer.
Der Antrag der F.D.P. ist auch kein Schauantrag. Ichmöchte Sie daran erinnern, daß auch Sie in der letztenLegislaturperiode Anträge gestellt haben,
mit denen Sie das Drei-Körbe-Modell vorgeschlagenund von der damaligen Bundesregierung eine entspre-chende BAföG-Reform verlangt haben.
Die F.D.P.-Fraktion hat – dies wollte ich hier nocheinmal deutlich sagen – diese Debatte in der alten Regie-rung vorangetrieben.
– Das liegt an den Mehrheiten, lieber Herr Kollege. Siewissen, daß wir innerhalb der Fraktion ständig zulegen.Uns geht es um die Sache, meine Damen und Herren.
Die F.D.P. will für die Studierenden endlich eineBAföG-Reform. Wir wollen diese nicht auf die langeBank schieben. Das Ziel muß es also sein, daß die Stu-dierenden recht bald – das heißt, wenn wir diesen An-trag stellen, sollte die Bundesregierung einen Gesetz-entwurf zur Reform der Bundesausbildungsförderungvorlegen –, spätestens mit dem Frühjahrssemester, ingrößerer Anzahl BAföG beziehen können; jetzt sind dasnur 19 Prozent.
Ich erinnere noch einmal an das, was wir vorgeschla-gen haben – auch für die vielen jungen Leute, die hierheute Gast sind.Der erste Korb beinhaltet einen Sockelbetrag inHöhe von 400 DM zur Deckung des Grundbedarfes, derjedem Studierenden unabhängig vom Einkommen derEltern zur Verfügung gestellt werden soll. DiesesGrundstipendium soll aus der Zusammenführung vonKindergeld und Kinderfreibeträgen finanziert werden.Der zweite Korb besteht aus einem rückzahlungs-pflichtigen, aber unverzinslichen Darlehen bis zu400 DM und ist vom Elterneinkommen abhängig.Der dritte Korb sieht einen Zuschuß von 350 DMvor, der den Studierenden abhängig von der Leistungs-fähigkeit der Eltern gezahlt wird.Die Ablehnung unseres Antrages mit der Umsetzungdes Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Familienla-stenausgleich zu begründen ist eine Ausrede der Regie-rungskoalition.
Wenn die Bundesregierung ihren Aussagen zufolge so-wieso bis zum Sommer die Umsetzung dieses Bundes-verfassungsgerichtsurteils vorhat, spricht absolut nichtsMatthias Berninger
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gegen unsere Forderung, ebenso einen Gesetzentwurfzur BAföG-Reform bis zur Sommerpause vorzulegen.
Ziel muß es sein, die Anzahl der Studierenden, dieBAföG beziehen, möglichst mit Beginn des neuen Jah-res zu erhöhen. Da geht es um Chancengerechtigkeit fürjunge Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das muß die Antwort auf die drängenden Probleme inder Bildungspolitik sein.Dabei erklärten Ihre Kollegen selbst – ich kenne esaus Ihren Pressemitteilungen vom 26. Februar 1999,Dr. Rossmann und Herr Hilsberg –:Die Reform der Ausbildungsförderung muß nun-mehr in die notwendige Reform des gesamten Fa-milienleistungsausgleichs eingebettet werden.
Das wollen wir auch. Aber warum bringen Sie Ihren Ge-setzentwurf dann nicht auf den Weg? Wir erwarten ihn.
Wenn Sie dies nicht tun, liebe Kolleginnen und Kol-legen: Wir werden handeln. Wir werden heute die Ab-lehnung unseres F.D.P.-Antrages zur BAföG-Reformnicht einfach so hinnehmen. Ich glaube, daß es dringendnotwendig ist, einen Gesetzentwurf hierzu vorzulegen,damit wir ihn im Ausschuß beraten – auch vor demHintergrund des entsprechenden Urteils von Karlsruhe –und noch im Herbst dieses Jahres beschließen können.Das muß das Ziel sein.Ich darf an dieser Stelle auch noch einmal an dieForderung des Bundesrates nach der ersten Lesung der20. BAföG-Novelle erinnern. Zitat aus einer Presseer-klärung:Bedauert wurde allerdings– vom Bundesrat –,daß eine wesentliche Verschlechterung, nämlich dieFörderung der Studienabschlußförderung durch dieFörderungsart „verzinsliches Bankdarlehen“, bei-behalten wird. Die Bundesregierung wurde gebe-ten, im Verlauf des GesetzgebungsverfahrensMöglichkeiten zu prüfen, auf die Förderungsart zuverzichten.Außerdem soll die Bundesregierung im weiterenVerlauf des Gesetzgebungsverfahrens prüfen, obdie Höhe der Beträge, welche für die Unterkunft anStudierende gezahlt werden, die bei den Elternwohnen, in den neuen Ländern an die in den altenLändern angeglichen werden kann.Meine Damen und Herren, genau in diesem Punkt ent-täuschen Sie die Studierenden in den neuen Ländern ammeisten.Die F.D.P. fordert mit der Verabschiedung der20. BAföG-Novelle eine Angleichung der Beträge, diefür Unterkunft gemäß § 13 Abs. 2 BAföG an die Studie-renden in den neuen Ländern gezahlt werden.
Die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die sich durchdie ökologische Steuerreform noch erhöhen, insbesonde-re für die Mieten, machen diese Veränderung mit derVerabschiedung der 20. BAföG-Novelle notwendig. DerVergleich der Ergebnisse der 14. und 15. Sozialerhe-bung des Deutschen Studentenwerkes haben das bewie-sen.
An diesem Punkt wird sich heute in der Abstimmungerweisen, ob die Bundesregierung tatsächlich die neuenLänder zur Chefsache macht. Deswegen fordere ich na-mens der F.D.P.-Bundestagsfraktion eine namentlicheAbstimmung zu unserem Änderungsantrag in dieser Sa-che.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die
Kollegin Maritta Böttcher, PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Meine Damen und Herren! Nun führen wir wiedereine Debatte, die wir schon häufig im Plenum und imAusschuß geführt haben, und sagen uns immer wiederfast dasselbe. Lassen Sie mich deshalb beim Grundsätz-lichen bleiben.Das BAföG wurde mit dem Argument eingeführt, dersoziale Rechtsstaat sei verpflichtet, durch Gewährungindividueller Ausbildungsförderung auf eine Gleichheitder beruflichen Chancen hinzuwirken und dem einzel-nen eine Ausbildung zu ermöglichen, die seiner Nei-gung, Eignung und Leistung entspricht.Diesem Ansinnen kam die Ausbildungsförderung inden ersten Jahren auch nach. Seit Anfang der 80er Jahreverzeichnen wir aber einen Rückgang. Dieses Ergebnisneoliberaler Bildungspolitik der alten Bundesregierung,Frau Volquartz,
soll jetzt korrigiert werden. Immerhin! Leider ist dieKorrektur dürftig. Eine Verdoppelung der Zahl der Ge-Cornelia Pieper
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förderten wird nicht erreicht. Auch erreichen Sie nicht,daß der Bedarf von Studierenden wirklich gedeckt wird.Vieles, was Sie jetzt nicht tun, soll mit der grundlegen-den BAföG-Reform im Herbst kommen. Ich sage nur:hoffentlich. Denn ich glaube, daß dabei nur ein mehroder weniger guter Kompromiß aus drei Körben undBAFF herauskommen wird. Mit dem Argument, dieModernisierungsgewinner sollen bezahlen, werden dieso Genannten weiter gewinnen und die anderen abge-schreckt werden.
Die von Ihnen so genannten Gewinner der Moderni-sierung sollen sich durchaus an den Kosten für dieHochschulen und die Studienfinanzierung beteiligen:über die Steuern, die sie zu bezahlen haben, über Ein-kommensteuer und vor allem über die Vermögensteuer.Hier liegt Ihre politische Verantwortung, umzuverteilen,damit der Staat seiner Aufgabe, Chancengleichheit her-zustellen, nachkommen kann.Machen Sie sich doch bitte einmal klar, in welcherSituation sich junge Menschen für oder gegen ein Studi-um entscheiden. Bereits vor dem Abitur, ein halbes Jahr,bevor sie die Lehre oder das Studium aufnehmen, ent-scheiden sich die meisten für eines von beidem. In die-ser Situation erfährt niemand, ob er oder sie wirklich be-rechtigt ist, BAföG zu erhalten. Erst recht erfährt mannicht, ob das BAföG zum Leben reicht und ob es biszum Studienabschluß reicht. Das sind viele Unsicher-heiten, wenn man aus einem Elternhaus kommt, dasnicht zusichern kann, in einer finanziellen Patsche aufjeden Fall helfen zu können.Die derzeitige BAföG-Regelung – daran ändert auchdie Novelle nichts – verstärkt soziale Ungleichheitenbei der Entscheidung, wie der Lebensweg fortgesetztwird. Das kann nur geändert werden, indem neue, ein-deutige Regelungen geschaffen werden, die das Studiumin jedem Fall ermöglichen.
Sie müssen so eindeutig sein, daß jedes Schulkind dasimmer im Bewußtsein hat. Es darf nicht an der finan-ziellen Situation der Eltern oder an deren Bereitschaftliegen, ein Studium zu finanzieren – jedenfalls dannnicht, wenn man den Auftrag, Chancengleichheit herzu-stellen, ernst nimmt.Eine eindeutige Regelung ist entweder eine sozialeGrundsicherung oder eine klare BAföG-Regelung, wiewir sie schon in der 13. Wahlperiode vorgeschlagen ha-ben. Beide Lösungen haben den Vorteil, daß sie den Le-bensunterhalt sicher abdecken.Den Vorschlag der PDS zur BAföG-Regelung kannman wirklich in einem Satz darstellen: Kinder von Ge-ringverdienern bekommen das Studium als Zuschuß fi-nanziert, Kinder von Besserverdienern nutzen entwederdas Vermögen ihrer Eltern oder erhalten ein zinslosesDarlehen, damit sie sich nicht mit den Eltern streitenmüssen.
Die Grenze zwischen den hier einfach Gering- undBesserverdienern Genannten ergibt sich aus dem durch-schnittlichen Einkommen und ist abhängig von der Fa-miliengröße. Diese Regel ist eindeutig und sichert ohneKlippen allen den freien Zugang zum Studium. DieseEindeutigkeit erreicht keiner der anderen Entwürfe, kei-ner der Körbe – egal, wie viele –, kein BAFF und keine20. Novelle. Unser Vorschlag ermöglicht es jedemSchüler und jeder Schülerin vor dem Abitur, sich frei zuentscheiden, was aus ihrem Leben werden soll – jeden-falls bezüglich des Studiums. Chancengleichheit hat vieldamit zu tun, daß finanzielle Voraussetzungen keine le-bensentscheidende Rolle spielen. Die Sicherheit, immergenug zum einfachen Leben zu haben, würde die Le-bensqualität vieler Menschen in diesem Land, die ihreExistenz an oder unter der Armutsgrenze wahren, deut-lich erhöhen. Zur Lebensqualität gehören zuerst Essen,Kleidung und Wohnung, darüber hinaus aber auch dieMöglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.Das kostet bekanntlich Geld, und zwar nicht wenig.Die PDS fordert die Einführung der sozialen Grund-sicherung für alle, also auch für Studierende. Damithätten viele, die – egal in welcher Lebenslage und inwelchem Alter – gerne studieren wollen und für diesonst immer Ausnahmeregelungen geschaffen werdenmüssen, die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten an einerHochschule zu bilden und weiterzubilden. Die sozialeGrundsicherung ist so angelegt, daß sie neben dem blo-ßen Leben auch den Kauf von Büchern und den Besuchvon Kulturveranstaltungen ermöglicht. Das ist in einermodernen Gesellschaft, in der Wissen immer wichtigerwird und in der lebenslang gelernt werden muß, uner-läßlich.Falls Sie es schon vergessen haben: Die sozialeGrundsicherung soll allen Menschen ein Einkommen inHöhe von derzeit 1 450 DM sichern. Reichen die eige-nen Einkommen – sei es geringer Lohn, sei es Rente, seies Sozialhilfe oder sei es wegen Studiums auch gar keinEinkommen – nicht, gewährleistet die soziale Grundsi-cherung die Mittel, die zu einem Leben befähigen, dasmehr ist, als genug zu essen und ein Dach über demKopf zu haben. Laut EU-Definition beträgt die derzeiti-ge Armutsgrenze 1 450 DM. Mit diesem Betrag sollnicht jedem ein Champagnerbad ermöglicht werden;dieser Betrag ist nötig, um am gesellschaftlichen Lebenteilzunehmen und um in der Wissensgesellschaft nichtvon den aktuellen Entwicklungen abgehängt zu werden.Die PDS-Fraktion wird dem Änderungsantrag der F.D.P.zur Ost-West-Angleichung – ich verkürze den Titeleinmal – auch aus diesem Grund die Zustimmung geben.
Eine weitere Anmerkung. Warum, glauben Sie, ent-scheiden sich inzwischen so viele junge Leute, erst eineLehre zu machen und dann zu studieren und damit inden Genuß zu kommen, elternunabhängiges BAföG zuerhalten? – Sie machen das, weil ihnen die Unsicherheitzu groß ist, bei den BAföG-Regelungen wirklich studie-ren zu können. Ich sagte bereits, zur Lebensqualität ge-hören zuerst Essen, Kleidung und Wohnung. Um aberam gesellschaftlichen Leben wirklich gestaltend teil-Maritta Böttcher
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nehmen zu können, müssen darüber hinausgehende Re-gelungen herbeigeführt werden.Damit ich nicht mißverstanden werde, möchte ich ab-schließend sagen, daß die Fraktion der PDS selbstver-ständlich weiter an einer umfassenden BAföG-Reformmitarbeiten und weiterhin Vorschläge machen wird.Was heute vorliegt, ist nur eine Reparaturnovelle.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch – die an-deren Rednerinnen und Redner haben das jeweils amAnfang ihrer Rede getan – eine Anmerkung machen, diemit dem jetzigen Thema nichts zu tun hat. Frau Wim-mer, so unterschiedlich reagieren Menschen: Mir istschlecht geworden, als heute nacht Bomben auf Jugo-slawien fielen.
Ich erteile nun Bun-desministerin Edelgard Bulmahn das Wort.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daßder Bundestag heute für die 20. BAföG-Novelle grünesLicht gibt,
weil wir mit dieser 20. BAföG-Novelle für die Studie-renden deutliche Verbesserungen erreichen. Mit dieser20. BAföG-Novelle stoppen wir endlich die jahrelangeTalfahrt des BAföG.
Diese Regierung will mehr Chancengleichheit fürjunge Menschen. Wir wollen nicht, daß Bildung, Aus-bildung und damit Lebenschancen von dem Geldbeutelder Eltern abhängig sind. Deshalb erreichen wir mit die-ser „Reparaturnovelle“ – das ist ein Begriff, den ich sel-ber geprägt habe –, daß zusätzlich 23 000 StudierendeBAföG erhalten. Ich sage Ihnen ganz klar: Es ist mirnicht egal, ob 23 000 Jugendliche das Recht auf eine in-dividuelle Ausbildungsförderung erhalten oder nicht.Deshalb war die Novelle notwendig.
Ich sage genauso klar: Das ist noch lange nicht genug.Deshalb werden wir insgesamt eine Trendwende ein-läuten, nicht nur bei der Ausbildungsförderung, sondernim gesamten Bildungsbereich.Frau Volquartz, von einer Parlamentarierin erwarteich zumindest einen Hauch von Vernunft.
Wenn Sie darauf hinweisen, daß das, was wir tun, beiweitem nicht ausreicht, dann antworte ich darauf:Stimmt, das reicht nicht aus. Aber wenn Sie gleichzeitigin dieser Debatte den Eindruck erwecken, daß eine Er-höhung des Haushaltes um rund 900 Millionen DM, dieIhnen in den vergangenen 16 Jahren nie, auch nicht an-satzweise, gelungen ist, kein Erfolg ist – auch wenn mandabei eine 0,5prozentige Kürzung hinnehmen muß –,dann muß ich Ihnen sagen, daß Ihre Aussage bar jederVernunft ist. Bei solchen Äußerungen fragen sich dieMenschen zu Recht, worüber im Deutschen Bundestageigentlich diskutiert wird.
Ich habe bereits in der ersten Lesung zur 20. BAföG-Novelle deutlich gemacht, daß wir nicht auf eine über-hastet zustandegekommene Symbolik setzen, sonderndaß wir ein Änderungsgesetz brauchen, das sehr sorg-fältig vorbereitet wird. Es wird eine Strukturnovellesein, die wir Ende des Jahres vorlegen werden. DerKollege Berninger hat auf die Einzelpunkte hingewie-sen, die geklärt werden müssen. Weil wir eine Struktur-reform wollen, die für die nächsten Jahre wirklich trägt,und nicht jedes Jahr erneut reparieren wollen, müssenwir uns Zeit dafür nehmen. Diese Zeit nehmen wir unsim Interesse der Jugendlichen. Deshalb fordere ich Sieauf: Seien Sie sachlich, so wie es ein Teil der Kollegen,auch von den Oppositionsfraktionen, in der letzten De-batte glücklicherweise war.
Ich habe in den Ausschußberatungen zu meiner Freu-de feststellen können, daß es für ein solches Verfahrender Vernunft einen fraktionsübergreifenden Konsensgibt. Der federführende Ausschuß hat ohne Gegenstim-men die Annahme des vorliegenden Gesetzentwurfsempfohlen, also auch mit den Stimmen der CDU/CSUwie auch der F.D.P. Herr Mayer und Herr Friedrich, dasbegrüße ich ausdrücklich.Mit der Anhebung der Bedarfssätze um 2 Prozentund der Freibeträge um 6 Prozent zum Herbst 1999verhindern wir, wie gesagt, zunächst einmal ein weiteresSinken der Gefördertenquote. Aber wir tun noch mehr:Wir korrigieren die ärgsten Fehlentwicklungen der 18.BAföG-Novelle.
Ich will die Korrekturen kurz in Erinnerung rufen:Erstens. Studierende, die zum Studieren ins Auslandgehen, werden für ihr Engagement nicht länger bestraft.
Künftig bleibt ein Auslandsaufenthalt bis zu einemJahr bei der Förderungshöchstdauer wieder unberück-sichtigt. Das halten wir für dringend notwendig, weil wires für richtig und wünschenswert halten, wenn auchStudierende, die BAföG beziehen, ins Ausland gehen.
Zweitens. Wenn ein wichtiger Grund vorliegt, kannbis zu Beginn des vierten Fachsemesters die Fachrich-Maritta Böttcher
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tung ohne finanzielle Nachteile gewechselt werden. Dasist nach allen vorliegenden empirischen Untersuchungeneine richtige Entscheidung, weil es besser ist, daß Stu-dierende nach dem vierten Fachsemester wechseln kön-nen, als wenn sie ein Studium zu Ende führen, das ihnenerkennbar keine Beschäftigungschance ermöglicht oderfür das sie erkennbar nicht geeignet sind.Drittens. Die Arbeit in Gremien und in der studenti-schen Selbstverwaltung wird nicht länger mit der För-derungsart „Bankdarlehen“ bestraft. Ich sage ganz klar:Ich möchte, daß sich Studierende politisch engagieren.
Ich möchte, daß Studierende in Fachschaftsbeiräten tätigsind und sich dort engagieren. Ich möchte, daß sie imAStA mitwirken.
Deshalb habe ich mich sehr darüber geärgert, daß Siedamals einen Beschluß gefaßt haben, mit dem genaudieses ehrenamtliche Engagement, von dem unsere Ge-sellschaft lebt, bestraft wurde. Deshalb korrigieren undverändern wir dies.
Viertens. Die befristet eingeführte Studienabschluß-förderung wird um zwei Jahre verlängert.
Kollegin Bulmahn,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mölle-
mann?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Gerne.
Frau Bundesmi-
nisterin, können Sie sich so wie ich auf Grund eigener
Erfahrungen nicht vorstellen, daß es sehr wohl möglich
ist, sich während seiner Studienzeit in einem AStA oder
in einer Fachschaft zu engagieren, ohne die Dauer des
Studiums und damit auch die der Förderung zwangsläu-
fig zu verlängern?
Können Sie sich vorstellen, daß die von Ihnen vorge-
nommene Gleichsetzung einer Veränderung des Förder-
passus mit einer Ablehnung des politischen Engage-
ments nicht auf die Zustimmung derer stoßen kann
– ich weiß, hier sind eine ganze Menge in allen Fraktio-
nen –, die sich im Studium politisch engagiert haben,
ohne deswegen eine längere Förderung bekommen zu
haben? Ich halte es für überzogen zu sagen, man braucht
eine längere BAföG-Förderung, wenn man sich in einem
Studentenparlament oder im AStA engagieren will. Ich
halte diese Gleichsetzung für nicht gerechtfertigt.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Herr Möllemann, wenn man sich sehr
stark engagiert – es gibt immer Phasen, in denen man
sehr viel Zeit aufwenden muß; das wissen Sie doch
auch, denn Sie haben im AStA an vorderster Front mit-
gearbeitet –, dann bringt das einen sehr hohen Zeitauf-
wand mit sich. Dann muß man die Rahmenbedingungen
so gestalten, daß sich das Engagement nicht zum Nach-
teil von Studenten auswirkt, die BAföG beziehen.
Ich möchte nicht, daß wir in eine Situation geraten, in
der sich diejenigen, die BAföG erhalten, entscheiden
müssen, solche Tätigkeiten und Aufgaben nicht mehr zu
übernehmen, weil sie Angst haben müssen, keine För-
derung mehr zu erhalten. Ich sage Ihnen ganz klar: Das
möchte ich nicht.
Ich möchte, daß sich Studierende, die BAföG erhalten,
nicht aus finanziellen Gründen gegen ein Engagement in
Fachschaftsbeiräten oder im AStA entscheiden, sondern
daß sie, wenn sie wollen, die gleichen Chancen haben.
Von daher halte ich die Entscheidung, die wir getroffen
haben, für genau richtig.
Der Kollege Mölle-
mann möchte nachfragen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Aber bitte, eine weitere Frage.
Der Unterschiedzwischen damals und heute ist an uns beiden sichtbar,Herr Kollege. Das weiß ich.
Ich wollte die Ministerin, da sie eine Bemerkunggemacht hat, die ich nicht anders als durch eine Frageaufklären kann, fragen: Sind Sie der Meinung, daß dieTatsache, im Studienjahr 1967/68 AStA-Vorsitzendergewesen zu sein, vielleicht doch belegt, daß es machbarwar, ohne zusätzliche Förderung zu bekommen? Daswar doch nun wirklich ein Jahr, in dem sehr viel Enga-gement angesagt war.
Ich bleibe dabei: Studentinnen und Studenten könnensich politisch engagieren, ohne dafür staatliche Mittelbekommen zu müssen.
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
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Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Herr Möllemann, da ich zu diesem Zeit-punkt noch nicht studierte, müssen Sie diese Diskussionmit dem Kollegen Wolf-Michael Catenhusen führen.
Er war, soweit ich weiß, mit Ihnen gemeinsam im AStA.
– Nein? Ich nehme alles zurück.Herr Kollege Möllemann, ich weiß, wovon ich rede,weil ich zu denjenigen gehöre, die BAföG erhaltenhaben. Deshalb weiß ich, daß man mit BAföG wahrlichkeine großen Sprünge machen kann und eigentlichimmer noch nebenbei arbeiten muß, zumindest in denSemesterferien. Ich erinnere, daß ich ein hohes Ar-beitspensum während des Semesters aufwenden mußteund daß es manchmal nicht ganz einfach war, beidesmiteinander zu kombinieren.Mein Ziel ist es daher, Studierende, die BaföGbeziehen, nicht davon auszuschließen, sich politisch zuengagieren. Ich will, daß sie sich in den studentischenVerwaltungsgremien und –organisationen engagieren;denn ich halte es für eine tragende Säule unsererGesellschaft, daß es Menschen gibt, die sich ehrenamt-lich betätigen. Deshalb – ich kann das nur wiederholen –ist das die richtige Entscheidung.
Mein nächster Punkt ist die Bitte des Bundesrats, zuprüfen, ob die Bankdarlehen insgesamt abgeschafft undWohnzuschläge für Studierende, die zu Hause wohnen,in den neuen und alten Ländern angeglichen werdensollen. Dazu möchte ich – auch Frau Pieper hat daraufhingewiesen – folgendes sagen: Für diejenigen Studie-renden, die in den neuen Bundesländern auswärtigwohnen und für die das ein Problem darstellen kann, istbereits für einen Ausgleich gesorgt. Diese Studierendenerhalten die Differenz über die sogenannte Härtefall-regelung. Für sie gibt es keine Schlechterstellunggegenüber den Studierenden in den alten Bundeslän-dern. Ich finde, das muß man einfach zur Kenntnisnehmen. Es ist nämlich falsch, was hier teilweise be-hauptet wird.Auch für die Jugendlichen, die zu Hause wohnen,gibt es einen Ausgleich, der über die Wohngelderstat-tung für die Eltern, also für die gesamte Familie, erfolgt.Es ist für beide Gruppen bereits ein Ausgleich geschaf-fen worden, und deshalb verstehe ich nicht – das sageich ganz offen –, was Sie machen. Das entbehrt wirklichjeder sachlichen Grundlage.Ich habe gesagt, daß wir mit der BAföG-Erhebungnach § 35 genau nachprüfen werden, ob die von mireben geschilderten Regelungen tatsächlich ausreichenoder ob es Einzelfälle gibt, in denen eine ungerechteSituation entsteht.
– Auf die Erhebung, mit der wir das überprüfen wollen,habe ich mich gerade bezogen. Wir werden mit derBAföG-Erhebung nach § 35 überprüfen, ob es nochEinzelfälle gibt, die durch die beiden Regelungen nichtberührt sind. Sollte das der Fall sein, werden wir dasaufgreifen und eine Änderung vornehmen. Ich habebereits in der letzten Debatte angekündigt, daß wir imRahmen der Strukturnovelle für ein einheitliches Systemin Ost- und Westdeutschland Sorge tragen werden.
Kollegin Bulmahn,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Jawohl. Ich bitte Sie aber, die Uhr nicht
wieder weiterlaufen zu lassen.
Frau Ministerin, abgese-
hen davon, daß es Wohngeld auch für Studierende in
den alten Bundesländern gibt, frage ich Sie, ob Sie es
nicht als befremdlich empfinden, daß im Bundesrat
selbst Kultusminister der SPD-geführten Länder das,
was wir heute im Hinblick auf die Angleichung der
Zuschüsse für Unterkünfte für die Studierenden in den
neuen Ländern fordern, ebenfalls gefordert haben.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sie wollen mit ihrer Forderung das Ver-
fahren erreichen, das ich mit der Strukturnovelle errei-
chen möchte.
Im Augenblick müssen die Studierenden in den neuen
Bundesländern auf die sogenannte Härtefallregelung zu-
rückgreifen, wenn sie auswärts wohnen. Darüber werden
sie auch von den BAföG-Ämtern informiert, so daß eine
Förderung nicht daran scheitern kann, daß sie diese
Regelung nicht kennen. Aber dies bedeutet einen
zusätzlichen Aufwand, den ich im Rahmen der Struktur-
novelle bereinigen möchte.
Auch die Kollegin
Pieper hat das Bedürfnis nach einer Nachfrage.
Tatsache ist, daß in Ostund West unterschiedliche Regelungen gelten. Mit ande-ren Worten, Sie beurteilen die Studierenden in den neu-en Ländern als Studierende zweiter Klasse.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Frau Pieper, es macht überhaupt keinenSinn, wenn man sich hier gegenseitig diffamiert. Auch
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wenn Sie einen solchen Versuch unternommen haben,werde ich mich zurückhalten;
denn dies dient weder der Sache noch dem politischenStil in diesem Haus. Deshalb gehe jetzt ich auf IhreBemerkung nicht weiter ein.Strukturelle Veränderungen, sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen, sind notwendig. Das wird überParteigrenzen hinweg inzwischen von keinem Bildungs-politiker mehr ernsthaft bestritten. Ich habe auch genauhingehört, als der Kollege Mayer anläßlich der erstenLesung Aufgeschlossenheit für neue Modelle undStrukturen der Ausbildungsförderung bekundet hat, zumBeispiel für unseren Vorschlag, den erwachsenen Stu-dierenden die finanziellen Leistungen des Kindergeldeskünftig direkt auszuzahlen.Solche Äußerungen – ich meine nicht die der Kolle-gin Pieper, die wirklich abseits jeder Wirklichkeit undWahrheit stehen –, wie Sie sie, Herr Mayer, gemachthaben – –
– Frau Pieper, ich habe zu den Studierenden in den neu-en Bundesländern eine deutliche Aussage gemacht. Aberich bin nicht bereit, mir hier Lügen oder besser Vor-würfe anzuhören, die jeder realistischen Grundlage undjedes Wahrheitsgehaltes entbehren.
Sorry, das muß sich eine Ministerin auch von einer Par-lamentarierin nicht bieten lassen.
Die Studierenden in Ost- und Westdeutschlanderhalten dieselben BAföG-Sätze. Das ist notwendig, undwir wollen das auch. Die Studierenden erhalten überdie Härtefallregelung einen Ausgleich, wenn sie mehrMiete bezahlen müssen. Wenn eine Parlamentarierindies nicht begreift, dann bitte ich sie, es nachzulesen.Wenn Sie es dann noch einmal und vielleicht auch eindrittes Mal nachlesen, dann werden Sie es wohl verstan-den haben.
Wir sollten hier wirklich darüber diskutieren, wie wirdie Ausbildungsförderung insgesamt verbessern, weildas der eigentliche Anspruch ist.Ich will noch eine andere Bemerkung machen. Es istsehr schwer zu ertragen, daß die Opposition in dieserDebatte jetzt so tut, als wenn sie an der Spitze der Re-formen stünde; schließlich war es die Vorgängerregie-rung, die 16 Jahre lang die Strukturreform nicht ange-packt und es in den vier Jahren der letzten Legislaturpe-riode nicht geschafft hat, eine Strukturreform zu be-schließen, obwohl es dafür im gesamten Parlament einebreite Unterstützung gab.
Jeder vernünftige Mensch fragt sich: Warum jetzt aufeinmal und warum nicht in den letzten vier Jahren?
Das von uns geplante neue System der Ausbildungs-förderung muß für die Auszubildenden, für ihre Elternund für die Gesellschaft insgesamt transparent, nach-vollziehbar und vor allen Dingen auch sozial gerechtsein. Es muß Verteilungsgerechtigkeit zugunsten untererund mittlerer Einkommensschichten schaffen. Wir wol-len gleichzeitig mit dieser Reform eine Vereinfachungder gesetzlichen Vorschriften, des Verwaltungsvollzugesund eine Stärkung der elternunabhängigen Förderung er-reichen.Mit der von uns angestrebten großen BAföG-Reformwollen wir folgende Ziele erreichen:Kindbezogene staatliche Leistungen sollen in Formeines Ausbildungsgeldes direkt an die Studierenden ge-zahlt werden.Vor allen Dingen diejenigen, die aus den einkom-mensschwächsten Familien kommen und eine einkom-mensabhängige Förderung erhalten, sollen in Zukunfteinen höheren Zuschuß und ein geringeres Darlehenerhalten. Das heißt, wir werden das Verhältnis von Zu-schuß zu Darlehen, das im Augenblick für alle 50 : 50beträgt, verändern. Nach unseren Vorstellungen wird inZukunft für die einkommensschwächsten Familien derZuschuß höher und das Darlehen geringer sein. Das istein Stück Herstellung von sozialer Gerechtigkeit.
Wir wollen die Einkommensgrenzen der Eltern für denAnspruch auf volle BAföG-Leistung heben.In diesem Zusammenhang möchte ich eine kurzeAnmerkung zum Thema Studiengebühren machen. Stu-diengebühren für ein Erststudium, das in angemessenerZeit abgeschlossen wird, sind mit unseren Grundvor-stellungen zur Öffnung der Hochschulen für alle Gesell-schaftsschichten nicht vereinbar.
Ich freue mich, daß mir die Kultusministerkonferenz indiesem Punkt zugestimmt hat und daß es eine breiteÜbereinstimmung gab, einen Staatsvertrag zu schließen,mit dem das Verbot der Erhebung von Studiengebührenfür das Grundstudium festgeschrieben wird. Im übrigen:Alle Länder haben diese Auffassung geteilt.
Frau Kollegin Bul-mahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der KolleginAigner?Bundesministerin Edelgard Bulmahn
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(C)
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Ja.
Frau Ministerin, könnenSie mir den Unterschied zwischen Verwaltungsgebührenan den niedersächsischen Universitäten und Studienge-bühren, insbesondere was die Auswirkungen auf dieStudierenden angeht, erklären?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Den Unterschied kann ich Ihnen erklä-ren: Verwaltungsgebühren kann man nicht beliebig er-höhen; vielmehr müssen sie den tatsächlichen Verwal-tungsaufwand ganz genau widerspiegeln.
Das heißt, man kann sie nicht einfach festlegen; viel-mehr müssen sie im Unterschied zu Studiengebührendem Kostenaufwand entsprechen. Sie wissen, daß dieKosten für einen Studienplatz zwischen 5 000 DM und50 000 DM pro Jahr variieren. Die Spannbreite ist alsosehr groß. Die Grundlagen für Studiengebühren müssennicht im Detail belegt werden, sie sind viel höher, habeneine studienabschreckende Wirkung und führen zu so-zialer Ungerechtigkeit. Das alles trifft auf Verwaltungs-gebühren nicht zu, weil ihre Höhe ganz klar begrenzt ist.
Ich habe selber gesagt, daß ich Verwaltungsgebührenzur Zeit für ein falsches Signal halte, weil sie die Dis-kussion um Studiengebühren in eine Richtung lenken,die wir alle in diesem Parlament nicht wollen. Wir wa-ren uns darin einig.
Das Land Niedersachsen wird einen Staatsvertrag un-terschreiben, nach dem das Erheben von Studiengebüh-ren für das Grundstudium ausgeschlossen werden wird.
– Auch das Land Niedersachsen wird sich dem Verbotder Erhebung von Studiengebühren in einem Staatsver-trag anschließen. Das habe ich sehr deutlich gesagt.
Unsere Gesellschaft befindet sich an einem Scheide-weg. Sie braucht Innovationen für Arbeit, Umwelt undeinen modernen Sozialstaat. Wer einen Reformaufbruchin der Gesellschaft will, der muß die Hochschulen dafürbegeistern und mobilisieren. Wer eine Erneuerung derHochschulen will, muß die Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler sowie die nachwachsende Akademiker-generation am gesellschaftlichen Diskurs, an Problemlö-sungen und der Gestaltung unserer Zukunft beteiligen.Reform unserer Gesellschaft und Erneuerung der Hoch-schulen sind gleichermaßen angewiesen auf die Qualifi-kation, Kreativität und Motivation dieser wichtigenMeinungs- und Leistungsträger.Die Hochschulen spielen eine Schlüsselrolle für dieAusbildung hochqualifizierter Arbeitskräfte, die in einerGesellschaft, in der Wissen eine immer größere Bedeu-tung hat, dringend benötigt werden. Die Forschung anden Hochschulen bildet das Fundament für unser For-schungssystem. Wenn wir die Leistungsfähigkeit derHochschulen verbessern wollen, dann muß den Hoch-schulen ein größtmögliches Maß an Autonomie einge-räumt werden, damit sie diese Aufgaben auch wirklichbewältigen können.
Das geht nicht ohne eine Reform der Personalstrukturund des Dienstrechts an den Hochschulen.
Wissenschaftler müssen mobil sein. Unser derzeitigesDienst- und Besoldungsrecht bestraft aber Mobilität.
Wir brauchen jedoch einen Wechsel zwischen Hoch-schulen in verschiedenen Ländern.
Wir brauchen einen Wechsel zwischen Wissenschaftund Wirtschaft.
Deshalb brauchen wir eine Reform des Dienstrechts unddes Besoldungsrechts sowie der Personalstruktur.
Exzellente Lehre und Forschung an der Hochschule mußunserer Meinung nach honoriert werden. Deshalb plä-diere ich dafür, daß ein Teil des Hochschullehrerge-halts künftig leistungsbezogen gezahlt wird.Die lange und mühsame Habilitationsphase, die wirin der Bundesrepublik haben, mindert zur Zeit ganzdeutlich die Attraktivität des Hochschullehrerberufs.Habilitierte sind in der Regel über 40 Jahre alt. Hoch-qualifizierter Nachwuchs kehrt deshalb der Hochschuleinzwischen häufig den Rücken, sobald sich eine interes-sante Stelle in der Wirtschaft oder an ausländischenHochschulen findet. Deshalb bin ich für die Einführungvon Assistenzprofessuren.Deutschland muß wieder zu einem attraktiven Stand-ort für internationale Forschungsinvestitionen wer-den. Mit einer stärkeren Internationalisierung der deut-schen Hochschulen wollen wir die besten Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler bei uns halten oderfür uns gewinnen. Neben der notwendigen Einführung
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internationaler Studiengänge und Abschlüsse werdendaher die Mittel zur Finanzierung von Stipendien fürAusländer in den nächsten Jahren aufgestockt.
Im Wettbewerb der Hochschulen müssen Qualitätin Lehre und Forschung, gute Betreuung der Studieren-den und eine moderne Ausstattung die wichtigsten Kri-terien sein. Lassen Sie uns die Chance, die wir aufGrund des bevorstehenden Generationenwechsels an denHochschulen haben, nutzen.Robert May, Wissenschaftsberater von Tony Blair,hat mit dem kritischen Blick von außen die Situation desdeutschen Wissenschaftssystems sehr treffend, wie ichmeine, analysiert. Er sagt:Das von strengen Hierarchien geprägte Systemnutzt die Energie junger Leute nicht. Es ist hochef-fektiv für etablierte Forscher in Spitzenpositionen,die auf die Sklavendienste Jüngerer zurückgreifenkönnen. Aber die deutsche Forschung insgesamtwäre vermutlich effektiver, wenn man den älterenWissenschaftlern das Leben weniger angenehmmachen und den jüngeren Leuten mehr Freiheit ge-ben würde.Ich halte diese Aussage von ihrer Tendenz her fürrichtig.
Deshalb werden wir bei der Nachwuchsförderung neueWege beschreiten. Eigenständigkeit und Selbständigkeitstehen dabei im Vordergrund. Nachwuchswissenschaft-ler und Nachwuchswissenschaftlerinnen müssen mehrMöglichkeiten haben, in eigenen Forschergruppen un-abhängig von althergebrachten Strukturen zu arbeiten.Mit dem in diesem Jahr beginnenden Emmy-Noether-Programm werden wir die Voraussetzungendafür schaffen, daß sich künftige Hochschullehrerinnenund Hochschullehrer wissenschaftlich qualifizieren kön-nen, ohne den Zwängen einer Habilitation unterworfenzu sein. 500 Nachwuchswissenschaftlerinnen undNachwuchswissenschaftler werden mit diesem Pro-gramm in den nächsten Jahren gefördert werden. Dar-über hinaus werden wir die Förderung der Graduierten-kollegs aufbauen bzw. fortsetzen.Dabei muß völlig klar sein, daß in allen Formen derFörderung des wissenschaftlichen Nachwuchses dieDurchsetzung von Chancengleichheit für Frauen undMänner ein leitender Grundsatz ist. Um dieses Ziel zuerreichen, halte ich eine gemeinsame Förderung vonspeziellen frauenspezifischen Maßnahmen durch Bundund Länder auch nach dem Auslaufen des Hochschul-sonderprogramms III für erforderlich.
Die Bundesregierung setzt die Förderung des wissen-schaftlichen Nachwuchses – ein Kernbereich des Hoch-schulsonderprogramms III – unter Ausweitung der Mit-tel fort. Wir werden uns nicht aus unserer Verantwor-tung für die Weiterentwicklung des Hochschulsystemsverabschieden. Wir werden Hochschulförderung alsDaueraufgabe und nicht länger als Sonderaufgabedurchführen.
Ich will noch einen Baustein hinzufügen: Ich bin derAuffassung, daß man, wenn man Kreativität und Eigen-verantwortung der Hochschule stärken will, den Wett-bewerb zwischen den Hochschulen fördern muß. Bei alldiesen Überlegungen ist bisher der Hochschulbau außenvor geblieben. Die Finanzierung des Hochschulbauswird bei uns aber in einem extrem finanzaufwendigenund zeitaufwendigen Verfahren durchgeführt. Deshalbhabe ich die Einführung von Investitionsgutscheinenvorgeschlagen. Mit Investitionsgutscheinen werden denLändern Mittel des Hochschulbaus zugewiesen, die vonbestimmten Studenten- und Studierendenzahlen abhän-gen sollen. Die Mittel werden dann von den Ländern andie jeweiligen Hochschulen für Investitionsmaßnahmenweitergeleitet.Bei der Gestaltung dieser Investitionsgutscheine gibtes noch eine Reihe von offenen Fragen, die wir in dennächsten Wochen und Monaten sehr sorgfältig behan-deln werden. Ich halte es aber für richtig, Überlegungenin diese Richtung anzustellen. Zukunftsorientierte Lö-sungen sind notwendig. Auch die Frage, wie wir bun-desweit relevante Gesichtspunkte berücksichtigen kön-nen, werden wir bei unseren Überlegungen aufgreifenund entsprechend berücksichtigen. Das gilt genauso fürdie Frage, wie wir die spezielle Situation in den neuenBundesländern, die in den nächsten Jahren noch deutlichmehr Mittel für den Hochschulbau benötigen, entspre-chend berücksichtigen können.
Meine Damen und Herren, zukunftsorientierte Lö-sungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich könnennur in gemeinsamer Anstrengung von allen im Bildungs-und Wissenschaftsbereich Verantwortlichen erreichtwerden. Eine Modernisierung unseres Bildungswesenskann nicht allein von oben verordnet werden, sondern esmüssen sich alle Betroffenen in Politik, Wirtschaft undWissenschaft dafür einsetzen. Ich hoffe, daß diese Re-formen am Ende dieser Legislaturperiode auch wirksamwerden und tatsächlich zu einer Verbesserung der Qua-lität von Lehre und Forschung in den Hochschulen bei-tragen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun
Kollege Norbert Hauser, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsi-dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Bulmahn,Sie haben in einer für mich etwas neuen Art und WeiseBundesministerin Edelgard Bulmahn
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an Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses Noten ver-teilt.
Ich weiß nicht, ob das hier üblich ist.
Eines weiß ich aber: Wenn Sie von Trendwende spre-chen, haben Sie hier keine Trendwende des guten Stilseingeleitet.
Was Sie mit der 20. BAföG-Novelle vorlegen,
ist unzureichend; es handelt sich um keine Strukturno-velle.
Damit Sie sehen, wie zutreffend diese Aussage ist,möchte ich einmal den Kollegen Berninger aus der letz-ten Sitzung am 26. Februar zitieren, als wir über dieseFrage diskutiert haben.Ich denke,– so der Kollege Berninger –das, was wir vorlegen, ist selbstverständlich unzu-reichend. Es ist noch keine Strukturnovelle. Waswir vorlegen, reicht überhaupt noch nicht aus. Wirhaben in der letzten Legislaturperiode im Vergleichzu dem, was wir heute vorlegen, viel mehr einge-fordert.So ist es. Deshalb können Sie sich, Frau Ministerin,auch nicht hier hinstellen und so tun, als hätten Sie der18. BAföG-Novelle nicht zugestimmt. Ein bißchen vondieser grünen Bescheidenheit hätte der heutigen Debatte,wie ich glaube, wesentlich besser getan,
als großspurig von Trendwende und vom Einhalten derVersprechen, die Sie im Wahlkampf gemacht haben, zusprechen.
Meine Damen und Herren, im Wahlkampf haben Siedavon gesprochen, die Investitionen in die Bildung zuverdoppeln.
Davon sind Sie meilenweit entfernt. Sie hatten zwareinen sehr guten Ansatz, Frau Ministerin; das wollen wirIhnen nicht absprechen.
– Ich hoffe, daß Sie diese Ausgewogenheit auch in einpaar Jahren, wenn Sie wieder in der Opposition sind, zu-stande bringen können.
Nur, Frau Ministerin, Sie haben doch schon 75 Mil-lionen DM wieder abgeben müssen. Herr Müller mußtevon diesen Mitteln 80 Millionen DM abgeben. Es ist Ih-nen bis heute nicht gelungen, eine Finanzplanung vor-zulegen. Deshalb können Sie sich heute auch noch nichthier hinstellen und behaupten, daß Sie eine dauerhafteFörderung im Hochschulbereich, im Studienbereich ga-rantieren können, denn Sie wissen noch nicht, was aufSie zukommt. Nicht umsonst diskutieren Sie über eineMehrwertsteuererhöhung, weil Sie nicht wissen, wo Siedie Gelder für die Geschenke herbekommen sollen, dieSie kurz vor Weihnachten in den Nikolausgesetzen ver-teilt haben.
Was haben Sie tatsächlich erreicht? Sie heben dieBedarfssätze um 2 Prozent und die Freibeträge um6 Prozent an. Dies ist eine Leistung, die Sie uns bei der19. Novelle als völlig ungenügend um die Ohren gehau-en haben. Deswegen haben Sie diese Novelle abgelehnt.Diese Anhebung bedeutet 5 DM bis 20 DM mehr;20 DM in der Höchstforderung – wahrlich eine großarti-ge soziale Leistung. Ein Student, der aus einer Familiemit zwei Kindern und einem Bruttolohn von 2 000 DMkommt, hat auch unter Berücksichtigung der Steuerge-setze, die Sie verabschiedet haben, unter dem Strichmonatlich 23 DM weniger in der Tasche.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage?
Ich wage es in
der Jungfernrede einfach einmal.
Ich bitte um Entschuldigung und
gratuliere Ihnen zumindest zum ersten Teil Ihrer Jung-
fernrede. Aber meine Frage ist: Wie kommt es eigent-
lich, daß Sie hier so tränenreich die unzureichende Er-
höhung für die Studenten beklagen, aber eine Erhöhung
des Kindergeldes in gleicher Form als „Nikolausge-
schenk“ diffamieren? Ich glaube, das paßt nicht zusam-
men.
Herr KollegeTauss, die Frage verstehe ich wohl. Nur, ich habe bereitsdarauf hingewiesen, daß Sie heute noch nicht wissen,wie Sie diese Dinge finanzieren sollen, und daß in IhrenReihen bereits heute darüber nachgedacht wird, dieMehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte anzuheben. Diesbedeutet, daß Sie 30 Milliarden DM von den Geschen-ken, die Sie verteilt haben, wieder einkassieren. In dielinke Tasche rein, aus der rechten Tasche raus – das,Herr Kollege Tauss, ist keine dauerhafte Leistung, son-dern das ist Betrug am Wähler.
Nicht einmal die zusätzliche Belastung der Studenten,die durch die Ökosteuer nur draufzahlen, weil sie beiNorbert Hauser
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den Sozialabgaben nicht entlastet werden, ist in diese23 DM, die sie mehr bezahlen müssen, einbezogen. Sokommt es nicht von ungefähr, daß diese Erhöhung auchvon den Studentenorganisationen nicht als ausreichendbetrachtet wird. Zu Recht weist der RCDS darauf hin,daß diese Erhöhung von 2 Prozent nicht einmal einen In-flationsausgleich für die Studenten darstellt, weil dieTeuerungsraten für Lernmittel höher liegen als die all-gemeinen Kostensteigerungen.
Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede am 26. Fe-bruar an dieser Stelle allen Ernstes erklärt, daß die Stei-gerung des BAföG-Höchstsatzes um 20 DM zu einerVerkürzung der Studienzeit führen könne. Sie habeneben einige Kolleginnen und Kollegen hier kritisiert undihnen vorgeworfen, ihrer Argumentation fehle derHauch von Vernunft. Ich gehe einmal davon aus, daßSie das nicht selber geglaubt oder es nicht ernst gemeinthaben. Ansonsten müßte ich Ihnen vorwerfen, daß dieserAussage der Hauch von Vernunft fehlt. Denn was ver-ändern Sie mit 20 DM im Blick auf eine Studienzeitver-kürzung? Sie ermöglichen einem hinzuverdienendenStudenten, wenn wir einmal von einem Stundensatz von15 DM ausgehen, eine Verkürzung seiner Arbeitszeitum eine Stunde und 20 Minuten im Monat.Eine Stunde und zwanzig Minuten – wohlgemerkt:im Monat – sind aufs Jahr gerechnet 16 Stunden.
Ihr auf diese Weise beglückter Student, Herr KollegeTauss, hat nach acht Semestern gerade einmal 64 Stun-den, also nicht einmal zwei Wochen, mehr Zeit zumStudieren erhalten.
Das ist ein wahrlich grandioser Beitrag, den Sie zur Stu-dienzeitverkürzung leisten.
– Herr Kollege Tauss, Ihre Frage ist berechtigt. Wir ha-ben aber nicht, so wie Sie das getan haben, von einerTrendwende und von einem neuen Zeitalter in der Stu-dienfinanzierung gesprochen.
Sie müssen sich an Ihren Ansprüchen und an Ihren Aus-sagen messen lassen.
Frau Bulmahn, wenn Sie wirklich eine Verkürzungder Studienzeit wollen, dann ist dies nur mit wirksamerUnterstützung der Hochschulen möglich. Damit helfenSie nicht nur den BAföG-Empfängern, sondern allenStudenten. Dies geht natürlich nur in Zusammenarbeitmit den Ländern.Einer der Hauptgründe für die langen Studienzeitenist die vielfach schlechte Ausstattung der Hochschulen.Volle Hörsäle, schlecht ausgestattete Bibliotheken undWartezeiten bei der Vergabe von Praktikumsplätzenkennzeichnen leider oft den Hochschulalltag. Hier liegendie Potentiale einer Studienzeitverkürzung. Frau Mi-nisterin, man könnte es ironisch folgendermaßen aus-drücken: Beseitigen Sie den Papierstau in den veraltetenKopiergeräten unserer Hochschulen, und Sie leisteneinen größeren Beitrag zur Studienzeitverkürzung, alsdies mit der 20. BAföG-Novelle der Fall ist.
Wir dürfen aber nicht vergessen, daß es sich bei denGeförderten nur um einen Teil der Studierenden handelt.Durchgreifenden Erfolg werden Sie deshalb nur haben,wenn auch für die übrigen Hochschulabsolventen dieStudienbedingungen deutlich verbessert werden. Einrichtiger Vorschlag – wir räumen dies durchaus ein – istsicherlich die Neuregelung der Nichtberücksichtigungvon Ausbildungszeiten im Ausland. Aber in diesemZusammenhang möchte ich Sie daran erinnern, daß Siedamals der 18. Novelle zugestimmt haben, mit der dieentsprechende Änderung eingeführt wurde.
Die Bundesrepublik Deutschland braucht junge Men-schen mit Auslandserfahrung. Wissenschaft und Wirt-schaft und letztlich auch die Politik leben von interna-tionalen Kontakten.Wenn Sie Studierende als selbständige erwachseneMenschen ansehen wollen, dann behandeln Sie sie auchso. Beliebige Studienabbrüche und Selbstfindungspha-sen bis zum 4. Semester zu fördern, wie das durch diegeplante Regelung für Fachrichtungswechsel in § 7Abs. 3 vorgesehen ist, spricht nicht für großes Zutrauenin die Urteilsfähigkeit der Studierenden.Von unseren Auszubildenden verlangen wir eine Be-rufsentscheidung gegebenenfalls schon mit 16 Jahrennach dem 10. Schuljahr. Dieser 16jährige finanziert dreiJahre später als 19jähriger das Hochschulstudium einesStudenten mit seinen Steuern mit. Ihm müssen Sie erklä-ren, warum Sie den Studierenden eine dreisemestrigeOrientierungsphase einräumen wollen.In § 17 des BAföG wollen Sie die Berücksichtigungder Gremienarbeit wieder einführen. Darüber habenwir eben schon gesprochen. Frau Ministerin, Sie möch-ten, daß sich Studierende engagieren – dazu sage ichja –, daß sie sich auch in den Gremien der Hochschulenengagieren – dazu sage ich ja –, aber ich frage Sie: War-um werden eigentlich nur die Studenten berücksichtigt,die in Hochschulgremien arbeiten? Sind die in derKommunalpolitik tätigen Studenten weniger förde-rungswürdig, obwohl sie sich genauso für die Gesell-schaft wie ihre Kommilitonen in den Hochschulgremieneinsetzen?
Wir halten nichts von selektiver Chancengerechtig-keit. Wenn es Ihnen um mehr als um eine vermeintlicheKlientelpolitik geht, dann öffnen Sie die Förderung auchfür Gremientätigkeit außerhalb der Hochschulen, zumBeispiel in der Kommunalpolitik.
Norbert Hauser
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2446 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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Wenn man eine Strukturreform wirklich will, mußman davon abkommen, eine reine Finanzdiskussion zuführen. Wir sind auf dem Weg aus der Industriegesell-schaft in die Wissensgesellschaft. Unser RohstoffNummer eins ist das Wissen unserer Bürger und ihreFähigkeit, Innovationen einzuleiten. Wir leben nichtvom Öl, wir leben vom Grips.
Die Fähigkeit, Wissen zu erwerben und damit um-zugehen, bedeutet für unser rohstoffarmes Land diewichtigste Ressource. Eine international wettbewerbs-fähige Hochschullandschaft ist für uns überlebens-wichtig.
Die nächsten Monate müssen deshalb dazu genutzt wer-den, durch eine wirkliche Reformdiskussion Ergebnisseherbeizuführen. Wir brauchen ein deutliches Signal, daßdie Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb desWissens mit an der Spitze liegen will.Zu einigen wenigen Aspekten der Reformdiskussionnoch kurze Anmerkungen:Sowohl das Drei-Körbe-Modell, in welcher Fassungauch immer, als auch die Vorstellung von Bündnis 90/Die Grünen zum Bundesausbildungsförderungsfondsbasieren auf einer elternunabhängigen Förderung.Kann eine solche elternunabhängige Förderung tatsäch-lich in unserem Sinne sein? Wir beklagen allenthalbenden Verlust an gesellschaftlichen Strukturen und Bin-dungen. Gleichzeitig wissen wir, daß intakte Familiendie besten Garanten für ein erfolgreiches Erwachsenen-leben im besten Sinne des Wortes sind, für eine Ent-wicklung frei von Kriminalität und Drogen, für eineEntwicklung, die letztlich dazu befähigt, das eigene Le-ben soweit wie überhaupt möglich selbstbestimmt, mitErfolg in Ausbildung und Beruf zu gestalten. Hieransollten wir denken, wenn wir über eine elternunabhän-gige Förderung diskutieren. Wir sollten nicht leichtfertigein hohes Gut aufgeben.
Der Zugang zur Hochschule hängt nicht nur von derfinanziellen Förderung ab, sondern in sehr vielen Fällenauch vom familiären Umfeld während der Schulzeit.Hier erfolgen oft sehr frühzeitig Weichenstellungen, dieerst viel später korrigiert werden können. Die Förderungjunger Menschen in ihrer Schulzeit ist ein wesentlichesElement des späteren Erfolges. Wir sollten dies bei allunseren Überlegungen zur Reform der Studienfinanzie-rung nicht vergessen.Zu einem erwachsenen Menschen gehört auch, daßer für sich und seine Familie Vorsorge trifft. Vorsor-geelemente für Alter und Pflege halten wir mittlerweilefür selbstverständlich. Auch in einigen Überlegungenzur Studienfinanzierung spielen Vorsorgeelemente eineRolle. Wir sollten über diese vorurteils- und ideologie-frei diskutieren und prüfen, ob durch sie verbesserteStudienbedingungen für Studenten und Studentinnen er-reicht werden können.Einige Vorschläge, zum Beispiel das Drei-Körbe-Modell, sehen eine Verteilung von Leistungen an jedenvor, unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfä-higkeit, und tragen damit nicht zu einer größeren sozia-len Gerechtigkeit bei. In einem neuen Strukturmodelldarf diese Sozialkomponente nicht verwischt werden.Gleichzeitig sollten allen Studierenden, unabhängig vonihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, Prämien fürüberragende Studienergebnisse zukommen. Deutschlandkann sich im Wettbewerb des Wissens in der Welt nurdann behaupten, wenn bereits im Studium Spitzenlei-stungen entsprechend gefördert werden.Unabhängig davon, ob Studierende Leistungen nachdem BAföG erhalten oder nicht: Die Leistung, die dieSteuerzahler während der Studienzeit für ihn oder sieerbringen, ist enorm und keineswegs selbstverständlich.Eine Reform der Studienfinanzierung hat dieser staat-lichen Leistung, letztlich der Leistung aller Steuerzahler,Rechnung zu tragen. Die Studenten und Studentinnensind, wie wir wissen, in ihrer ganz überwiegenden Zahlauch bereit und in der Lage, durch zügige Abschlüsseund gute Leistungen diesen Anforderungen gerecht zuwerden und dadurch nicht zuletzt ihre Berufsaussichtenzu verbessern.Der vorgelegte Gesetzentwurf ist nur ein ersterSchritt. Es muß sich eine grundlegende Reformdiskus-sion über die reinen BAföG-Leistungen hinaus anschlie-ßen, die nicht durch ideologische Zwänge im vorauseingeengt werden darf.
Wie gesagt, die BAföG-Novelle ist nur ein ersterkleiner Schritt, der für die BAföG-Empfänger kaumVorteile bringt. Damit aber wenigstens diese kleineVerbesserung in die Tat umgesetzt wird, stimmt meineFraktion der Novelle zu. Die Zeit bis zur Vorlage IhresEntwurfes einer Strukturreform werden wir nutzen, ummit allen Beteiligten Vorschläge zu erarbeiten, wie wirunsere Studentinnen und Studenten und damit die Wis-senschaftslandschaft in Deutschland ein wesentlichesStück voranbringen können.Ich danke Ihnen für Ihr engagiertes Zuhören.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hauser,
dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bun-
destages. Im Namen des gesamten Hauses gratuliere ich
Ihnen dazu recht herzlich.
Als letzter Redner in dieser Debatte spricht nunmehr
der Kollege Ernst Dieter Rossmann. Ich bitte alle Kolle-
ginnen und Kollegen, auch dem letzten Redner vor der
namentlichen Abstimmung die entsprechende Aufmerk-
samkeit zu widmen.
Frau Präsiden-tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer – wie ich –gerade aus den Reihen der Abgeordneten kommt undNorbert Hauser
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2447
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gemerkt hat, daß die Mitglieder dieses Hauses nichtmehr sonderlich bereit sind, zu dem gegenwärtigenThema umfangreiche Debatten zu führen bzw. zu erlei-den, der muß sich selbst auch konzentrieren. Deshalbmöchte ich nur wenige Punkte an Sie von der CDU/CSUund der F.D.P. richten, da Sie mit Vorwürfen gegenüberder Regierung aufgetreten sind.Erstens. Sie mögen noch so häufig einfordern, eshätte zu weitreichenderen Verbesserungen kommenmüssen. Wir antworten Ihnen darauf dann immer gerne,daß 900 Millionen DM mehr für Bildung und Forschungzur Verfügung gestellt werden.
Das ist eine Qualitätsverbesserung speziell für den wis-senschaftlichen Nachwuchs, die es unter Ihrer Ägide niegegeben hat. Wenn Sie dieses Spiel so fortführen wol-len, dann machen wir das gerne mit. Es bestärkt unsimmer wieder darin, daß das, was geleistet worden ist,ein schöner Erfolg ist.
Zweitens. Sie haben angemahnt, daß die Steige-rungssätze deutlich höher hätten ausfallen sollen. Ange-sichts dessen erinnern wir uns an unseren Bezugspunkt.Bezugspunkt ist die letzte Legislaturperiode, in der esdurch Beschlüsse der CDU/CSU und der F.D.P. eineSteigerung der Elternfreibeträge um insgesamt 12 Pro-zent gegeben hat. Wir sagen: Wenn wir im ersten Schritteine Steigerung um 6 Prozent erreichen, dann ist das eingutes Ergebnis. Was haben Sie dagegen geleistet, undwas leiten wir damit ein?
Wir sagen Ihnen immer wieder: Sosehr Sie auch die Er-höhung der Bedarfssätze um 2 Prozent – das sind die2 Prozent von Rüttgers – kritisieren, entscheidend bleibtdie absolute Zahl der Studentinnen und Studenten, diejetzt den Anspruch auf BAföG erhalten.Drittens. Manchmal wundern wir uns, wie vieleWorte Sie hier machen, um Ihre Zustimmung zu unse-rem Änderungsgesetz kleinzureden. Wenn man demKollegen Hauser, der Kollegin Volquartz und dem Kol-legen Möllemann zugehört hat, dann wundert man sich,wie Sie im Ausschuß abgestimmt haben. Auch Sie ha-ben sich dort dafür ausgesprochen, daß die Tätigkeit vonStudenten in Gremien nicht zu Bestrafungen führt.
Sie haben zugestimmt, daß Auslandsstudien nicht mitBestrafungen versehen werden. Sie haben zugestimmt,daß wir, was die Studienabschlußförderung angeht,weitere Verbesserungen durchführen. Daher sollten Siehier nicht mit billiger Münze einen anderen Eindruckerwecken.
Wir meinen, daß sich das, was jetzt beschlossen wird,sehen lassen kann. Es ist besser, ehrlich miteinanderumzugehen, statt hier die Legende von 1997 zu pflegen,daß die Länder erwartungslos dem zugestimmt hätten,was wir jetzt reparieren. Die damalige Situation war eineandere. Sie war schlimmerweise von Erpressung unddem großen Versprechen, zu einer grundsätzlichen Ver-besserung im Hinblick auf das BAföG zu kommen, ge-prägt. Nichts von dem ist eingetreten.In bezug auf das Verhältnis zwischen den beidenKammern, zwischen Bundestag und Bundesrat, soll einneuer Stil eingeführt werden. Man sollte diesen Stil dannso pflegen – das ist speziell an die Adresse der KolleginPieper von der F.D.P. gerichtet –, daß man den Bundes-rat nicht für etwas in Anspruch nimmt, was er nichtwollte. Der Bundesrat hat ausdrücklich nicht gesagt, daßer eine grundsätzliche Anhebung des Wohngeldes will,sondern nur für einen kleinen Teil, nämlich für denjeni-gen Teil der Studierenden, die zu Hause wohnen.Diese erste kleine BAföG-Novelle unserer Regierungist so gut, daß wir sie abhaken können, wenn wir sienicht überhöhen, was wir nicht tun.Eine Bemerkung möchte ich noch machen; denn eswird hier immer eingefordert, die Regierungskoalitionsolle endlich das vorgesehene BAföG-Strukturkonzeptauf den Weg bringen. Dazu denke ich mir manchmal:Auch Sie von der CDU/CSU sollten einmal etwas aufden Weg bringen und Ihre Eckpunkte präsentieren.
Noch eine Bemerkung an die F.D.P.: Nehmen Sie Ih-re Eckpunkte, die Sie hier dargestellt haben, bitte soernst, daß man, wenn Sie mit wenigen Fragen konfron-tiert werden, nicht merkt: Neue Entwicklungen habenSie nicht aufgenommen. Gewiß, Sie sprechen davon,daß es als Grundsockel ein Ausbildungsgeld gebensolle. Das setzen Sie jetzt ziemlich freihändig mit400 DM an. Darf man Sie fragen, ob Sie den Beschlußdes Verfassungsgerichts zur Familienbesteuerung ei-gentlich gedanklich durchdrungen haben? Wenn manalle Freibeträge, die bei Spitzeneinkommen anfallenkönnen – einschließlich des abgesenkten Steuersatzes,den wir erwarten –, zusammennimmt, kommt man näm-lich als Äquivalent auf einen Kindergeldbetrag in Höhevon 514 DM. Wie wollen Sie daran eigentlich heran-kommen, wenn Sie einen Sockelbetrag von 400 DM, deralles einschließen soll – das entnehme ich Ihrer Druck-sache –, was jetzt in der Form von Kindergeld und Frei-beträgen Eltern ausgezahlt wird, vorsehen? Ihr Sockel-betrag beläuft sich auf 400 DM, aber nach dem Verfas-sungsgerichtsbeschluß müßten es 514 DM sein. DiesesProblem zeigt, daß es auch Ihnen gut anstehen würde,länger darüber nachzudenken.
Mein letzter Abschnitt: Wir teilen Überlegungen da-hin gehend, zu einem Ausbildungsgeld zu kommen, daselternunabhängig ist. Wir haben ja noch die Bemerkun-gen der Kollegen Friedrich, Mayer und weiterer Mit-glieder der CDU/CSU-Fraktion, die das eben gesagt ha-ben, im Ohr, die meinen: Dann nehmen wir doch diejungen Erwachsenen ernst. Sie ernst nehmen heißt ebenauch, ihnen eine Verfügung über diese Mittel zuzuge-stehen. Orientieren wir uns am nordischen Modell. Dennin den nordischen Ländern Europas, Dänemark, Schwe-Dr. Ernst Dieter Rossmann
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den, Finnland, gibt es eine elternunabhängige Förde-rung. Wir sollten das nicht kleinreden.Wir greifen aber auch den Gedanken auf – er ist jaauch von konservativer Seite angesprochen worden –,daß es dann keinen Unterschied mehr zwischen denjeni-gen, die bisher – elternabhängig – BAföG bekommenhaben, und denen, die Kindergeld und Freibeträge fürihre Familien bekommen haben, dahin gehend gebendarf, daß sich für sie aus diesen staatlichen TransfersVerpflichtungen ergeben. Dann haben beide, dieBAföG-Bezieher wie die Ausbildungsgeldbezieher,Nachweise darüber zu erbringen, daß sie ihr Studiumernsthaft betreiben. Diesen Gedanken von Ihnen über-nehmen wir gern.Der zweite Block bei Ihnen, die Ausbildungshilfe,ist auch bei uns fest verankert. Es bleibt ja das eigent-liche BAföG. Wir müssen ja einen Spielraum dafür ha-ben, in diesem Bereich die Freibeträge so festzusetzen,daß von der Ausbildungshilfe auch diejenigen erfaßtwerden, die ihrer in sozialer Hinsicht bedürfen, bis hinzu den Beziehern kleinerer und mittlerer Einkommenin den Mittelschichten. Wir wenden uns allerdings da-gegen, es so vorzusehen, wie es die F.D.P. jetzt will,die den Darlehensanteil erhöhen und den Zuschußanteilsenken will. Wir sind aber sehr wohl dafür – das hatdie Ministerin angesprochen –, die Lasten für diejeni-gen, die wegen der eventuellen Rückzahlung einesgroßen Darlehensanteils gegebenenfalls vor einemStudium zurückschrecken könnten, zu mindern, weil essich dabei um Personen handelt, die ohnehin aus finan-ziell schwächer gestellten Familien kommen. DieÜberlegung ist ja durchaus auch von den Grünen an-gestoßen worden – das ist bemerkenswert –, ob jemandnicht dann, wenn er Aufsteiger geworden ist – daswollen wir ihm gern gönnen –, später, bei der Ab-zahlung, einen entsprechend höheren Beitrag leistenkann.Die dritte Fördermöglichkeit ist bei uns weiterhin dieStudienabschlußförderung. Darf man die Kolleginnenund Kollegen von der F.D.P. fragen, ob sie das wirklichernst meinen, eine Studiendauer von neun Semester Re-gelstudienzeit plus zwei Prüfungssemester automatischin die Förderung einzubeziehen? Das steht in Ihrem An-trag. Liebe Frau Kollegin Pieper, diesen Vorschlag vonIhrer Seite, der eine Studienabschlußförderung als Re-gelförderung vorsieht – dazu kommen noch die zweiPrüfungssemester –, können wir nicht ganz ernst neh-men. Denn dann kommen Sie faktisch auf eine Regel-studienzeit von elf Semestern, eingeschlossen zwei Prü-fungssemester.Ich wollte das nur als Beispiel dafür anführen, daßman, wenn man sich mit Ihrem Antrag ernsthaft ausein-andersetzt, merkt: Er ist mit heißer Nadel gestrickt; er istnicht ausgewogen; er berücksichtigt nicht die grund-sätzlichen Urteile der Gerichte. Es werden auch nicht diegrundsätzlichen Fragen aufgegriffen, deren Beantwor-tung wir von einer BAföG-Reform erwarten. Ich nenneeinige: Wie können wir Teilzeitstudiengänge berück-sichtigen? Wie können wir dem modernen Studium ge-recht werden, das in seinem Ablauf die soziale Wirk-lichkeit vieler Studenten widerspiegelt? Wie kann mandem wachsendem Interesse am Auslandsstudium gerechtwerden? Wie können wir es schaffen, daß junge Men-schen, die nicht nur für kurze Zeit, sondern auch längerim Ausland studieren, von der Förderung erfaßt werden?Wie bekommen wir es hin, daß Kindererziehungszeitenund andere soziale Verpflichtungen vom BAföG erfaßtwerden?Mein Schlußsatz. Das Stöckchen, das die F.D.P. unshinhalten will in der Form einer namentlichen Ab-stimmung, ist ein schwaches Stöckchen; denn wir ha-ben ihm schon die Spitze gebrochen. Der Antrag, dendie F.D.P. uns hinsichtlich einer grundsätzlichenStrukturreform vorlegt, ist zum jetzigen Zeitpunkt ver-früht, weil uns allen zuvor grundsätzliches Nachdenkengut ansteht.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes,
Drucksachen 14/371 und 14/581 Buchstabe a. Ich weise
darauf hin, daß es dazu zwei namentliche Abstimmun-
gen gibt.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P.
vor, über den wir zunächst abstimmen. Die Fraktion der
F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist
der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sei-
ne Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses
der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sit-
zung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die unterbrocheneSitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-stimmung über den Änderungsantrag der Fraktionder F.D.P. zu dem Gesetzentwurf zur Änderung desBundesausbildungsförderungsgesetzes auf Drucksache14/651 bekannt. Abgegebene Stimmen 582. Mit Ja ha-ben gestimmt 280, mit Nein haben gestimmt 302, Ent-haltungen keine. Der Änderungsantrag ist damit abge-lehnt.Dr. Ernst Dieter Rossmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2449
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(D)
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 582;davonja: 280nein: 302JaCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Norbert BlümDr. Maria BöhmerSylvia BonitzWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Cajus CaesarPeter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßWilhelm DietzelThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke EymerIlse FalkDr. Hans Georg FaustUlf FinkIngrid FischbachDirk Fischer
Axel Fischer
Dr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Jürgen GehbNorbert GeisDr. Heiner GeißlerGeorg GirischMichael GlosDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlDr. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertDr. Helmut KohlNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt RossmanithDr. Christian RuckVolker RüheDr. Jürgen RüttgersAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenKarl-Heinz ScherhagGerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Hans Peter Schmitz
Birgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzDr. Erika SchuchardtWolfgang SchulhoffClemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm-Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertRudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteCarl-Dieter SprangerErika SteinbachDr. Wolfgang Freiherr vonStettenAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblMichael StübgenDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffDr. Theodor WaigelPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerF.D.P.Hildebrecht Braun
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachGisela FrickPaul K. FriedhoffHorst Friedrich
Rainer FunkeHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptDr. Helmut HaussmannUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerJürgen W. MöllemannDirk NiebelGünter Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Detlef ParrCornelia PieperDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeVizepräsidentin Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
2450 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
(C)
Jürgen TürkDr. Guido WesterwellePDSMonika BaltDr. Dietmar BartschPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsFred GebhardtWolfgang Gehrcke-ReymannDr. Klaus GrehnDr. Gregor GysiDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidi Lippmann-KastenUrsula LötzerHeidemarie LüthManfred Müller
Kersten NaumannChristine OstrowskiPetra PauChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfNeinSPDBrigitte AdlerGerd AndresRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter Wilhelm DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseArne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerChristel HanewinckelAlfred HartenbachNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumUwe HikschReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertHans-Ulrich KloseWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderRobert LeidingerDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdUlrike MascherChristoph MatschieIngrid Matthäus-MaierHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea Maria NahlesVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes Andreas PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Olaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGisela SchröterDr. Mathias SchubertBrigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ilse SchumannDr. R. Werner SchusterDr. Angelica Schwall-DürenErnst SchwanholdBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerLudwig StieglerRolf StöckelJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesAdelheid TröscherRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Vizepräsidentin Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2451
(C)
(D)
Hedi WegenerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerHans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Norbert WieczorekHelmut Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Klaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert Clemens WistubaBarbara WittigVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90 /DIE GRÜNENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstClaudia Roth
Christine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleDr. Antje VollmerLudger VolmerSylvia Ingeborg VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungendes Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPUAbgeordneteAdam, Ulrich, CDU/CSU Hempelmann, Rolf, SPD Dr. Wodarg, Wolfgang, SPDIch bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Da-mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-nommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Die Fraktionen von SPD undBündnis 90/Die Grünen verlangen namentliche Ab-stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sindalle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne dieAbstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sei-ne Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht derFall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wirdIhnen später bekanntgegeben. Wir setzen die Beratun-gen fort. Ich bitte Sie, dafür die Plätze wieder einzu-nehmen.Wir kommen zur Abstimmung über die Be-schlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wis-senschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgen-abschätzung zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. zurReform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes aufder Drucksache 14/581 Buchstabe b. Der Ausschußempfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/358 abzuleh-nen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? – Ge-genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlußempfehlungist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthal-tung der Fraktion der PDS angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über die Be-schlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wis-senschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgen-abschätzung zu dem Antrag der Fraktion der PDS zurUmsetzung der Reform der Ausbildungsförderung aufder Drucksache 14/581 Buchstabe c. Der Ausschußempfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/398 ab-zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlußempfeh-lung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ange-nommen.Ich unterbreche jetzt die Sitzung bis zur Bekanntgabedes Ergebnisses der namentlichen Abstimmung für eini-ge wenige Minuten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die unterbrocheneSitzung wird fortgesetzt.Ich gebe das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesre-gierung zur Änderung des Bundesausbildungsförde-rungsgesetzes auf den Drucksachen 14/371 und14/581 Buchstabe a bekannt. Abgegebene Stimmen584. Mit Ja haben gestimmt 553, mit Nein hat keinergestimmt, Enthaltungen 31. Der Gesetzentwurf ist an-genommen.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
2452 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
(C)
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 583;davonja: 552enthalten: 031JaCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Norbert BlümDr. Maria BöhmerSylvia BonitzWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Cajus CaesarPeter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßWilhelm DietzelThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke EymerIlse FalkDr. Hans Georg FaustUlf FinkIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Jürgen GehbNorbert GeisDr. Heiner GeißlerGeorg GirischMichael GlosDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlDr. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertDr. Helmut KohlNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt RossmanithDr. Christian RuckVolker RüheDr. Jürgen RüttgersAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenKarl-Heinz ScherhagGerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Hans Peter Schmitz
Birgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzDr. Erika SchuchardtWolfgang SchulhoffClemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm - Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertRudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteCarl-Dieter SprangerErika SteinbachDr. Wolfgang Freiherr vonStettenAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblMichael StübgenDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffDr. Theodor WaigelPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerSPDBrigitte AdlerGerd AndresRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter Wilhelm DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasVizepräsidentin Petra Bläss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2453
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Dr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseArne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerChristel HanewinckelAlfred HartenbachNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumUwe HikschReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertHans-Ulrich KloseWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderRobert LeidingerDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdUlrike MascherChristoph MatschieIngrid Matthäus-MaierHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes Andreas PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Olaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGisela SchröterDr. Mathias SchubertBrigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ilse SchumannDr. R. Werner SchusterDr. Angelica Schwall-DürenErnst SchwanholdBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerLudwig StieglerRolf StöckelJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesAdelheid TröscherRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hedi WegenerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerHans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Norbert WieczorekHelmut Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Klaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert Clemens WistubaBarbara WittigVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90 /DIE GRÜNENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstClaudia Roth
Christine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleDr. Antje VollmerLudger VolmerSylvia Ingeborg VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
Vizepräsidentin Petra Bläss
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2454 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
(C)
F.D.P.Hildebrecht Braun
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachGisela FrickPaul K. FriedhoffHorst Friedrich
Rainer FunkeHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptDr. Helmut HaussmannUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerJürgen W. MöllemannDirk NiebelGünter Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Detlef ParrCornelia PieperDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Guido WesterwelleEnthaltenPDSMonika BaltDr. Dietmar BartschPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsFred GebhardtWolfgang Gehrcke-ReymannDr. Klaus GrehnDr. Gregor GysiDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla Ursula JelpkeSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidi Lippmann-KastenUrsula LötzerHeidemarie LüthManfred Müller
Kersten NaumannChristine OstrowskiPetra PauChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungendes Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPUAbgeordneteAdam, Ulrich, CDU/CSU Hempelmann, Rolf, SPD Dr. Wodarg, Wolfgang, SPDFür die Fraktionssitzungen der CDU/CSU und derSPD unterbreche ich die Sitzung für zirka eine Stunde.Der voraussichtliche Wiederbeginn der Sitzung, der ge-gen 13 Uhr erfolgen soll, wird rechtzeitig durch dasKlingelsignal angekündigt. Die Sitzung ist unterbrochen.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder
eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
der CDU/CSU
Ausbau der Förderung der beruflichen Auf-
stiegsfortbildung
– Drucksache 14/541 –
Überweisungsvorschlag:
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2455
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– Man soll nicht meinen, daß Sie in einem Bildungsaus-schuß sind. Sie haben nicht einen einzigen neuen, inno-vativen Gedanken. Sie geben immer nur den Hinweisauf diesen einen Zeitraum. Das zeugt nicht einmal vonhistorischem Verständnis, meine sehr verehrte Kollegin.
Eine besonders beherzte Förderung der Gründertätig-keit müßte daher das besondere Anliegen einer jedenBundesregierung sein. Doch gerade hier hat die rotgrüneKoalition bekanntlich – wie auch schon in viel zu vielenanderen Bereichen –, bisher zumindest, auf der ganzenLinie versagt.
Denn die zusätzlichen Belastungen von Mittelstand undWirtschaft, zum Beispiel durch das jetzt verabschiedetesogenannte Steuerentlastungsgesetz, das diesen Namennicht einmal im Ansatz verdient, werden leider nicht zuvermehrten Existenzgründungen und damit auch nichtzur Schaffung neuer Beschäftigungsverhältnisse führenkönnen. Im Gegenteil, wir haben eine neue Rationalisie-rungswelle und einen weiteren Abbau von Arbeitsplät-zen zu befürchten.
Daher benötigen wir neben wirtschaftsfreundlichenRahmenbedingungen – das sage ich speziell dem HerrnTauss, der ja immer etwas länger braucht, um meineWorte zu verstehen – eine Vielzahl weiterer Anreize;auch das ist leider zum Teil noch nicht bis zur neuenBundesregierung durchgedrungen.Vor diesem Hintergrund hat die frühere Bundesregie-rung in der vergangenen 13. Legislaturperiode mit demsogenannten Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzein überaus effizientes Mittel geschaffen, um vor allenDingen jungen Menschen den Weg zu Betriebsgründun-gen zu erleichtern. Auch das ist ein Faktum.Mit besonderer Genugtuung nenne ich Ihnen dieerfreulichen Fakten. Seit Inkrafttreten des sogenanntenAFBG am 1. Januar 1996 wurden über 130 000 Förder-anträge gestellt.
In nahezu 100 000 Fällen wurden Leistungen nach die-sem Gesetz bewilligt. In den Jahren 1996 und 1997wurden bundesweit zirka 70 000 Personen gefördert. Indiesem Jahr dürfte der hunderttausendste angehendeMeister bzw. Techniker seinen Bewilligungsbescheiderhalten. Ist das denn gar nichts?
Bisher wurden mehr als 780 Millionen DM Fördermittelan angehende Meister, Techniker und an andere Auf-stiegswillige ausgezahlt. Es eröffnet also einem jedendie individuelle Chance, eine berufliche Weiterqualifi-kation mit begrenzten finanziellen Belastungen auchwährend der Fortbildungszeit zu erreichen.Die Opposition war seinerzeit alles andere als begei-stert. Wir können Ihnen das im einzelnen nachweisen.
– Ich bin Ihnen für das Stichwort Bundesrat unglaub-lich dankbar. Denn gerade die SPD hat permanent ver-sucht, diesen Gesetzentwurf im Bundesrat zu verhin-dern. Wir haben das Gesetz daraufhin so gestrickt –denn wir haben mehr als Sie an die Jugendlichen ge-dacht –, daß wir nicht mehr der Zustimmung des Bun-desrates bedurften. Deswegen können wir uns heuteüber dieses Gesetz überhaupt verständigen.Ich habe gesagt, es geht um Fakten. Ich habe gesagt,es geht um die Wahrheit.
– Angesichts der Fakten, die ich genannt habe, kannman da überhaupt keinen Zweifel haben. – Deswegensage ich auch, daß wir auf Grund der Erfahrungen in derVergangenheit mitbekommen haben, daß es hier und daeinen Veränderungs- bzw. Ergänzungsbedarf bei bisherschon guten, gültigen Regelungen gibt. Daher haben wirheute unseren Antrag eingebracht, für dessen QualitätSie uns beneiden, weil Sie nie auf die Idee gekommensind, dies in einer solchen Konzeption einzubringen.
Das Problem, das wir heute haben, ist beispielsweise,daß die damalige Opposition – sie ist heute die Regie-rung – immer wieder gesagt hat: Wir müssen dieses aus-bauen. Wenn man aber jetzt den ersten Haushalt sieht,den diese Regierung eingebracht hat, muß man feststel-len, daß die von unserer Regierung noch vorgesehenenMittel gerade für diesen Bereich um sage und schreibe40 Prozent gekürzt worden sind.
Hier wird uns ein verbessertes Aufstiegsfortbildungsför-derungsgesetz eher helfen, wenn es das berücksichtigt,was wir auch auf Anregung der Industrie- und Handels-kammern, der Handwerkskammern und der Vollzugsbe-hörden als Antrag eingebracht haben. Diesen Antragmöchte ich in wenigen Punkten vorstellen.Erstens. Wir möchten mit unserem Antrag erreichen,daß es eine wirkliche förderungsrechtliche Gleichstel-Werner Lensing
Metadaten/Kopzeile:
2456 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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lung von Studium und Aufstiegsfortbildung gibt, undwir wollen, wie beim allgemeinen BAföG auch, den Zu-schußanteil der Förderbeiträge beim AFBG von derzeitrund 35 Prozent auf 50 Prozent angehoben wissen. Da-mit wird die schon von Beginn an gewünschte förde-rungsrechtliche Gleichstellung realisiert.Zweitens. Die Förderungsdauer ist bis zum Zeit-punkt der letzten Prüfung auszudehnen. Nach der bishe-rigen Regelung wurde die Bewilligung der monatlichenUnterhaltszahlungen bei Tagesschülern auf die reinenKurszeiten beschränkt, und somit fiel eine Reihe vonSchülerinnen und Schülern in manchen Gewerken, etwadem des Tischlers, während der praktischen Prüfungs-phase automatisch aus der Förderung heraus. DieserUmstand wurde natürlich als negativ empfunden. Mitunserem Antrag wollen wir solche finanziell nicht abge-sicherten Zeiträume – und dies in einer kritischen Prü-fungsphase – für die Zukunft verhindern.
Drittens. Die Leistungen für Familien und für dieBetreuung von Kindern sind den gestiegenen Lebens-haltungskosten anzupassen. Ich verweise auf die ent-sprechenden Angaben in unserem Antrag. Über die mo-deraten Vorschläge unseres Antrages hinaus sollte aucheinmal darüber nachgedacht werden, ob und inwieweitder Erhaltung eines gewissen Lebensstandards für Fa-milien in Zukunft besser Rechnung getragen werdenkann und folgerichtig die Bedarfssätze des Meister-BAföG von den entsprechenden Sätzen des allgemeinenBAföG abgekoppelt werden könnten.Um Alleinerziehenden die Vereinbarkeit von Fortbil-dung und Kinderbetreuung weiter zu erleichtern, möch-ten wir zudem die Leistungen zu den Kosten der Kin-derbetreuung angemessen erhöhen. Wir regen hierzueine Aussprache in den zuständigen Ausschüssen an.Viertens. Die Inanspruchnahme des sogenanntenMeister-BAföG wird verfahrenstechnisch vereinfacht.Die bisherige Praxis der Bewilligungsbehörden, bei An-trägen für mehrjährige Fortbildungen schon nach einemJahr einen Folgeantrag zu verlangen, wird abgeschafft.Künftig soll vielmehr die Bewilligung für die gesamteFortbildung in einem Schritt erfolgen.Fünftens. Wir wünschen, die Anreize für anschlie-ßende Existenzgründungen deutlich zu verstärken. Be-kanntlich müssen nach dem derzeitigen AFBG Betriebs-gründer bereits im ersten Jahr ihrer Existenzgründungzwei Beschäftigte für die Dauer von mindestens vierMonaten einstellen, um einen Darlehenserlaß zu erhal-ten. Dies ist eine strenge Auflage, die nach Auskunft derfür die Abwicklung der Darlehen zuständigen DeutschenAusgleichsbank nur schwer zu verwirklichen ist. Um derschwierigen Anfangsphase eines jungen Unternehmensbesser gerecht zu werden, sollte folglich diese Frist voneinem halben Jahr auf zwei Jahre verlängert werden.Zudem sollte der Erlaßbetrag von derzeit 50 Prozent umeinen deutlichen Satz angehoben werden. Dies schafftmit Sicherheit zusätzlichen Investitionsspielraum.Sechstens. Die Regelungen zur Vermögensanrech-nung müssen mit dem Ziel überprüft werden, daß Exi-stenzgründer ihre Ersparnisse verstärkt da einsetzenkönnen, wo sie hingehören, nämlich bei der Betriebs-gründung. Eine Ansparung des notwendigen Eigenka-pitals innerhalb von zwei bis drei Jahren scheint nämlichfür den potentiellen Existenzgründer aus eigener Kraftkaum möglich.Nach den Vorstellungen der CDU/CSU-Fraktionsollten auch die Rückzahlungsbedingungen erleichtertund die Karenzzeit verlängert werden. Begründung: Be-kanntlich liegt der Kapitalbedarf für eine Existenzgrün-dung oder eine Betriebsübernahme bei einer Untergren-ze von zirka 150 000 DM. Je nach Branche kann diesersogar schnell in die Millionen gehen. Rückzahlungsver-pflichtungen und Investitionserfordernisse stehen des-halb gerade in der Anfangsphase der Existenzgründungim Widerspruch zueinander.Wenn wir hier eine Verlängerung der Karenzzeit er-reichen, werden wir, so glaube ich, mit diesem Maß-nahmenkatalog richtigliegen. Das derzeitig strukturelleUngleichgewicht zwischen der Förderung von Vollzeit-und Teilzeitmaßnahmen führt zu der bedauerlichen Tat-sache, daß die Aufstiegsfortbildungsförderung imHandwerksbereich mehr als dreimal so viel in Anspruchgenommen wird wie bei den Industrie- und Handels-kammern, obwohl die Teilnehmerzahlen in beiden In-stitutionen etwa in der gleichen Größenordnung liegendürften. Die Diskrepanz zeigt sich noch deutlicher in derjeweils abgerufenen Fördersumme. Ich will das jetztnicht im Detail erläutern; aber auf eine gerechtereGleichbehandlung müssen wir unser Augenmerk rich-ten.Ich habe auf diesen unseren Antragsentwurf selbst-verständlich viele positive Rückmeldungen von ver-schiedenen regionalen Handwerkskammern, vom BDA,vom ZDH, vom DIHT und – das freut mich natürlichbesonders – aus Teilen des DGB erhalten. Zudem stim-men die meisten Äußerungen darin überein, daß die vonder CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgebrachten Ände-rungswünsche den Kern des Problems treffen und einedurchgreifende Belebung der Nachfrage nach Förderungeinleiten werden.Meine Kolleginnen und Kollegen der Regierungsko-alition, in Ihrer Koalitionsvereinbarung finde ich einenSatz – es gibt ja nicht viele, die man zitieren kann, aberdieser hier stimmt mit meiner Überzeugung überein –,der da lautet: „Wir wollen den Generationswechsel beimittelständischen Betrieben erleichtern.“
Wenn Ihnen diese Worte ernst sind – Sie haben sie ja of-fensichtlich begriffen, Herr Hilsberg – und Ihnen derMittelstand wirklich am Herzen liegt,
so lade ich Sie ein, den vorliegenden Antrag zum Aus-bau der Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildungmitzutragen,
Werner Lensing
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2457
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ihn bei Bedarf in den kommenden Ausschußberatungengemeinsam mit uns zu erweitern, um ihn schließlichzum Wohle vieler junger und tatkräftiger Menschen Ge-setz werden zu lassen.Ich danke Ihnen allen für Ihre wohltuende, lebendigeund feurige Aufmerksamkeit.
Ich gebe das Wort
dem Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin für Bildung und Forschung, Wolf-Michael
Catenhusen.
Wolf-Michael Catenhusen Parl. Staatsekretär bei
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Kein Zweifel: Wir
brauchen in Deutschland, auch unter jungen Menschen,
Bereitschaft zur Leistung, Bereitschaft zur Weiterquali-
fizierung und zur Vorbereitung auf Selbständigkeit und
Existenzgründungen. Das ist auch eines der Grundanlie-
gen dieser Koalition.
Die Einführung einer Aufstiegsfortbildungsförderung
im Jahr 1996 war bildungspolitisch überfällig – von der
Wirtschaft, vom Bundesrat und der damaligen Oppositi-
on lange verlangt. Denn es ging ja im Kern darum, einen
alten Fehler von 1993 zu korrigieren,
mit dem die damalige Regierung das Meister-BAföG
aus dem Arbeitsförderungsgesetz herausbefördert hatte.
Es ist noch kein Jahr her, da verkündete Jürgen Rütt-
gers, damals verantwortlicher Ressortminister, großspu-
rig – ich zitiere –: „Meister-BAföG auf dem Erfolgs-
kurs“ und sprach von „Erfolgsstory“.
Wenn man den heute vorliegenden Antrag der
CDU/CSU liest, dann stellt man fest, daß der Opposition
dieser Anfall von Großspurigkeit und Schönfärberei of-
fenkundig zumindest partiell vergangen ist. Sie gehen in
Ihrem Antrag mit gespaltenem Bewußtsein vor, indem
Sie das Problem im ersten Teil schönreden und im An-
schluß daran überraschenderweise einen langen Katalog
von Mängeln, die Sie beheben wollen, vorlegen. Ange-
sichts dessen bekommt man eine Ahnung davon, daß Ih-
re kräftige Aussage, Herr Lensing, dieses Instrument ha-
be sich als – ich zitiere Sie – „überaus effizientes Mittel“
erwiesen, nicht ganz stimmen kann.
Ich knüpfe an die von Ihnen aufgestellten Anforde-
rungen an: Wie sind die Fakten? Was ist die Meßlatte
für den Erfolg des Gesetzes? Ich denke, das Fairste und
Objektivste ist, Herr Lensing, in den Antrag der damali-
gen Regierung hineinzuschauen und sich in Erinnerung
zu rufen, was die damalige Koalition 1996 selbst als
Meßlatte gewählt hat. Da heißt es, man habe sich zum
Ziel gesetzt, 90 000 förderungsfähige Teilnehmer an
Aufstiegsfortbildungen mit dem AFBG zu erreichen. In
diesem Sinne hatten Sie zunächst auch Ihre finanziellen
Dispositionen getroffen. Man muß nur sagen, daß diese
Erwartung in keiner Weise erfüllt worden ist.
Im Jahre 1996 wurden etwa 29 000, 1997 knapp unter
50 000 und 1998 etwa 60 000 Fortbildungswillige ge-
fördert. Wie Sie auf 70 000 für beide Jahre kommen,
weiß ich nicht. Vielleicht haben Sie die Zahlen in einer
etwas ungewöhnlichen Weise addiert. Die Zahl, die in
Ihrem Antrag steht, ist falsch.
Auch im dritten Jahr nach dem Inkrafttreten des
AFBG wurden also nur maximal zwei Drittel von dem
erreicht, was Sie sich in Regierungszeiten selbst als
Zielgröße vorgegeben hatten. Wenn ich Ihre damaligen
Erwartungen ernst nehme, dann kann ich nur sagen: un-
zureichend, Ziel verfehlt.
Ich möchte noch einen weiteren Gedanken vortragen.
Auch Ihre damaligen Schätzungen zum Finanzbedarf,
die Sie uns hier im Bundestag vorgelegt haben, waren
wohl grotesk überzogen; denn Sie erwarteten einen Be-
darf an Bundesmitteln von 127 Millionen DM im Jahr
1996 und von 185 Millionen DM im Jahr 1997 und wa-
ren davon ausgegangen, daß im abgelaufenen Jahr 234
Millionen DM vom Bund zu verausgaben seien. Wir wä-
ren übrigens froh gewesen, wenn das eingetreten wäre.
Tatsächlich abgeflossen sind 1996 aber nur fast 14 Mil-
lionen DM, 1997 nur 50 Millionen DM und im vergan-
genen Jahr nur knapp 56 Millionen. Das ist ein groteskes
Auseinanderklaffen: Sie hatten erwartet, daß 234 Mil-
lionen DM abfließen; tatsächlich waren es aber nur
56 Millionen DM. Das hat auch dazu geführt, Herr Len-
sing, daß Sie selbst schon für die Jahre 1997 und 1998
die Mittel, die im Haushalt eingestellt waren, abgesenkt
haben.
Herr Kollege, ge-
statten Sie dem Kollegen Lensing eine Zwischenfrage?
W
Ichführe den Gedanken noch zu Ende. – Daher müssen Siesich, glaube ich, anders mit der Tatsache auseinander-setzen, warum die Bundesregierung im Haushaltsan-satz für 1999 die Mittel auf 100 Millionen DM abge-senkt hat. Angesichts von verausgabten 56,2 MillionenDM war die Erwartung einer Verdoppelung der Mittelimmer noch sehr kühn. Daß der Haushaltsausschuß inseiner Weisheit gesagt hat, es könne davon ausgegangenwerden, daß schon ein 60prozentiger Zuwachs der Mit-tel in diesem Jahr ungewöhnlich wäre, ist die realeGrundlage für die von Ihnen beschworene Kürzungsak-tion. Der wahre Hintergrund ist, daß Ihre Erwartungenin keiner Weise eingetroffen sind. Wir sind natürlichüber jeden froh, der da mitgemacht hat. Aber die Meß-latte ist eine andere. – Kollege Lensing.
Werner Lensing
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2458 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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Herr Staatssekretär
Catenhusen, können wir uns zunächst einmal darauf ver-
ständigen, daß natürlich jeder seine eigenen Berech-
nungsdaten hat. Ich bin gern bereit, in der nächsten Aus-
schußsitzung die Daten, die ich genannt habe, im einzel-
nen zu verifizieren. Das hier ist, glaube ich, nicht der
richtige Raum dafür, zumal ich dann keine Frage stellen
kann.
Sind Sie mit mir der Auffassung – ich denke, Sie sind
es –,
daß Sie seinerzeit in keiner Weise das Meister-BAföG
gewünscht haben, weil Sie die Fortsetzung des von
Ihnen schon angesprochenen AFG favorisiert haben,
wobei der große Nachteil beim AFG darin liegt, daß es
sich hierbei nie um eine Maßnahme handelte, bei der der
Antragsteller einen gesetzlichen Anspruch hatte, berück-
sichtigt zu werden?
Können wir uns auch darauf verständigen, daß der
lange Anlauf für die Akzeptanz der Maßnahmen auch
darin begründet lag, daß es damals einige Regierungen
– nicht meiner Couleur – lange versäumt hatten, recht-
zeitig die entsprechenden Landesbehörden einzurichten,
so daß bei uns der Eindruck entstand, man wünschte die
ganze Sache nicht, die im übrigen ohnehin nur noch
durch Vermittlung von Herrn Schröder über die Bühne
gegangen ist?
W
Kol-
lege Lensing, ich glaube, der Sachverhalt, den ich gera-
de beschrieben habe, wird durch Ihre Zusatzfrage auch
nicht positiver, im Gegenteil.
Sie kennen die Geschichte des Gesetzes genau so gut
wie ich und wissen, daß es, als sich die damalige Regie-
rung entschieden hatte, den Weg über dieses Gesetz zu
gehen, ungeachtet der grundsätzlichen Frage, welchen
Weg man geht, zu einer sehr konstruktiven Zusammen-
arbeit gekommen ist.
Ich muß Sie auf eins hinweisen: Es hat damals eine
Stellungnahme des Bundesrates gegeben, mit der Er-
wartung, daß man ins Vermittlungsverfahren gehe.
Wenn Sie die Mängelliste und die Erweiterungsliste, die
der Bundesrat damals formuliert hat, einmal nachlesen,
dann werden Sie merken, daß das, was Sie nach der
Wahl als Mängel entdeckt haben, der Bundesrat schon
damals in großer Weitsicht vorhergesagt hat.
Ich will deutlich sagen, daß es hier eine bedauerliche
Entwicklung bei den Antragszahlen gibt, hinter der sich
strukturelle Schieflagen des jetzigen Gesetzes verber-
gen. Wir führen heute die Diskussion über die Frage:
Brauchen wir ein besseres Aufstiegsfortbildungsförde-
rungsgesetz? Es geht um nichts anderes.
Gestatten Sie noch
eine Zwischenfrage, Kollege Catenhusen?
W
Ich
weiß, daß Münsterländer hartnäckig sind. Auch ich
komme aus Münster. – Bitte, Kollege Lensing.
Dann werden Sie erst
recht Verständnis für meine Frage haben und mit einem
klaren Ja antworten. – Können Sie zugeben, daß wir die
Verbesserungsvorschläge, die wir heute eingebracht ha-
ben, schon zu der Zeit, als wir noch die Regierung stell-
ten, folgerichtig in der Form eingebracht haben, daß wir
in unserem Haushaltsansatz für 1999 eine deutliche
Verbesserung vorgenommen haben?
W
HerrLensing, jetzt werden wieder Legenden gestrickt. Ich binjetzt nicht wild entschlossen, mit Ihnen über Ihre Wahl-kampflegenden zu diskutieren, mit denen Sie bis zumWahltag versucht haben, die Blößen des Gesetzes zuverschleiern.
Vielmehr möchte ich mich mit den realen Verhältnissenauseinandersetzen. So hat im Jahre 1998, als Sie imWahlkampf durch das Land gezogen sind, das krasseMißverhältnis weiterbestanden. Vor allem ist es zwi-schen 1997 und 1998 zu keinem weiteren Anstieg derZahl der Geförderten gekommen. Das ist die Wahrheit,mit der wir uns auseinandersetzen müssen, aber nichtmit den Wahlkampfaussagen vergangener Regierungen.Entschuldigen Sie bitte!
Zur Schieflage: Es geht zum einen darum, daß dasGesetz auf alle Arten von Fortbildung abzielte, die einspezifisches Qualifikationsniveau als Voraussetzung füreinen beruflichen Aufstieg verbriefte. Die Konditionendes Gesetzes haben sich aber offenkundig auf einenganz bestimmten spezifischen Sektor konzentriert; dennmehr als zwei Drittel der Geförderten absolvierten 1997eine Fortbildung im Handwerksbereich, etwas mehr alsein Fünftel eine Fortbildung nach dem Berufsbildungs-gesetz und der Rest eine vergleichbare nach Bundes-oder Landesrecht.Natürlich ist das Handwerk mit seiner mittelständi-schen Struktur und seiner Ausbildungsleistung im Rah-men der beruflichen Erstausbildung und seinem starkenAnteil am deutschen Bruttoinlandsprodukt ein wesentli-ches Standbein unserer Wirtschaftsstruktur. Aber dieIntention muß sein, daß sich dieses Gesetz in seinerZielrichtung auf alle Bereiche unserer Wirtschaft er-streckt. Überall werden hochqualifizierte Fach- und Füh-rungskräfte benötigt. Diesen Zielsetzungen wird das Ge-setz bisher nur unzureichend gerecht.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2459
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Ich denke, es ist auch richtig – Sie weisen in einemAkt tätiger Reue darauf hin –, daß das Gesetz in seinergegenwärtigen Fassung offenkundig nicht familien-freundlich ist. Denn von denjenigen, die die Fortbil-dungskurse in Vollzeitform absolvierten, hatten 1997fast 14 Prozent Kinder, und sie waren vermutlich sehrhäufig überwiegend auf die Unterstützung im Rahmendes AFBG angewiesen.Das Statistische Bundesamt hat für das Jahr 1997einen durchschnittlichen Förderungsbeitrag bei diesenanspruchsberechtigten Fortbildungsteilnehmern pro Mo-nat von 286 DM Zuschuß zum Unterhalt, 741 DM Un-terhaltsdarlehen und 194 DM Kinderbetreuungszuschußerrechnet. Das könnte man vordergründig auf 1 221 DMpro Monat pro Familie zusammenrechnen. Dann wird,glaube ich, klar, wie bescheiden Familien während derFortbildungszeiten mit einer solchen Liquiditätshilfehaushalten müssen. Hier gibt es ein strukturelles Defizit;Sie haben das in dem Antrag offenkundig erkannt.Zu den Ungereimtheiten dieses Gesetzes gehört esauch, daß es ein schreiendes Mißverhältnis zwischenfolgenden Sachverhalten gibt: Zwei Drittel der Geför-derten, die ihre Aufstiegsfortbildung in der Vollzeitformabsolvieren, haben einen Anspruch auf die Finanzierungdes Lebensunterhalts, zum Teil als Zuschuß, zum Teilals Darlehen. Das Drittel der Geförderten, das seineAufstiegsfortbildung in der Teilzeitform neben dem Be-ruf organisiert, hat dagegen nur einen Anspruch aufDarlehen zur Finanzierung der Fortbildungsmaßnahme.Das benachteiligt vor allem Frauen, die in besondererWeise auf Teilzeitmöglichkeiten zur Fortbildung ange-wiesen sind.
Ich will nur kurz auf etwas eingehen, was der KollegeLange sicherlich noch vertiefen wird. Sie sagen heuteunverdrossen, daß das AFBG ein wirksames Mittel dar-stelle, um Menschen den Weg zur Betriebsgründung zuerleichtern. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir heutede facto an Hand der Erfahrungen des Gesetzes zu die-sem Ergebnis kommen würden.
Nur müssen wir uns doch damit auseinandersetzen, daßdie Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Mei-sterprüfungen seit 1993 ungeachtet dieses Gesetzesinsgesamt rückläufig ist. Ich denke, wir müssen an dieFragen, wie wir die Bedingungen für die Ablegung vonMeisterprüfungen und wie wir die Motivation dafür ver-bessern, sehr viel umfassender herangehen.Es gibt aber eine Förderrealität, die Sie – ich nennedas einmal so – nur sehr zart angedeutet haben: Durchdie Deutsche Ausgleichsbank wurden bis zum 30. Sep-tember 1998 insgesamt 58 600 Darlehensverträge imRahmen des AFBG abgeschlossen. Bis zum gleichenDatum sind aber auf Grund von Existenzgründungen nur98 Darlehenserlasse erfolgt. Sie können jetzt natürlichsagen, das komme alles noch; aber das Zahlenverhältnisfällt schon auf. Vor allem fällt auf, daß 60 Prozent dereingereichten Anträge abgelehnt worden sind. Die Rah-menbedingungen für Existenzgründer in diesem Gesetzstimmen offenkundig hinten und vorne nicht.
Demgegenüber kann man loben, daß der Gesetzes-vollzug gut funktioniert. Da Sie sich nun wieder in deraltbekannten Masche der früheren Regierung am Bund-Länder-Verhältnis abarbeiten wollen, sage ich Ihnen,daß wir anders vorgehen werden. Bei diesem Themamuß man einmal deutlich sagen, daß sich das Zusam-menwirken mit den Ländern und die Durchführung desGesetzes durch die Länder gut eingespielt haben unddaß auch die Zusammenarbeit zwischen den durchfüh-renden Stellen der Länder, der Deutschen Ausgleichs-bank, unserem Hause und dem Wirtschaftsministeriumweitgehend reibungslos und konstruktiv abläuft. Es istvöllig klar, daß wir dabei die Rolle der Kammern wür-digen müssen. Denn diese geben nach unseren Erfah-rungen den Interessenten sehr gute Hinweise und einegute Beratung bezüglich der Möglichkeiten zur Förde-rung nach dem AFBG. In Nordrhein-Westfalen sind siesogar vielfach bei dem Ausfüllen der Förderanträge be-hilflich, was von den Fortbildungswilligen als außeror-dentlich hilfreich geschätzt wird.
Zur Frage der unbürokratischen Verfahren und derbürokratischen Mängel. Es ist gut, daß Sie – wie IhrAntrag zeigt – zu begreifen beginnen, daß die Praxis inden letzten Jahren offenkundige Mängel aufwies, dieman übrigens ohne Gesetzgebung beheben kann. Des-halb werden wir jetzt schon die Vereinfachung derFormblätter, eine Bestimmung über die Ausreichung derDarlehensdokumente in einem Zug mit der Bewilli-gungsbescheinigung und etwas flexiblere Bewilligungs-zeiten in Angriff nehmen. Wir werden nicht das Gesetz-gebungsverfahren abwarten.
Die Tatsache, daß Sie das ganze Wahljahr damit ver-bracht haben, Ankündigungen zu machen, anstatt diepraktischen Dinge, die man aus dem Stand hätte regelnkönnen, anzupacken, spricht für sich.Kollege Hinsken.
Bitte schön.
– Es ist ja gut, wenn Sie mir ein bißchen Arbeit abneh-
men – also einverstanden. Es ist auch schwer, bei Ihnen
dazwischenzukommen. Das muß ich einmal sagen.
W
Daskann ja manchmal auch Absicht sein.Parl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
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2460 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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Herr Kollege Hins-
ken.
Ich glaube, es führt uns
nicht weiter, wenn wir darüber diskutieren, ob jemand
beim Ausfüllen der Formulare behilflich sein soll oder
nicht. Wir müssen uns doch gerade in dieser Debatte die
grundsätzliche Frage stellen, warum nicht mehr von dem
Angebot des Meister-BAföG Gebrauch machen.
Deshalb frage ich Sie: Finden Sie es richtig, wenn der
ursprünglich ausgewiesene Betrag nicht erhöht – womit
die Konditionen verbessert würden –, sondern um 20
Millionen DM gesenkt wird? Das paßt doch nicht zu-
sammen.
Machen wir uns doch im Sinne derjenigen, die das be-
nötigen, gemeinsam daran, das Programm attraktiver zu
gestalten, so daß die Gelder auf dem freien Kreditmarkt
nicht billiger als momentan über dieses Programm zu
bekommen sind! An dieser Stelle können Sie ansetzen.
Sind Sie bereit, in diese Richtung zu marschieren? Was
tun Sie dafür?
W
Kol-
lege Hinsken, es ist schön, daß Sie mir das Stichwort für
den letzten Teil meiner Rede geben. Zu den Zahlen
möchte ich aber schon noch einmal etwas sagen. Ich
schätze Sie als sehr sachkundigen Teilnehmer an der
Diskussion über die Zukunft der beruflichen Bildung,
aber verstehen Sie doch: Wenn im letzten Jahr 56 Mil-
lionen DM abgeflossen sind, dann ist es doch verständ-
lich, daß eine Bundesregierung sagt – immerhin handelt
es sich um ein Leistungsgesetz –, mit einer Verdoppe-
lung der Ausgaben zu rechnen sei unter den gegenwärti-
gen Bedingungen schon sehr kühn, und daß der Haus-
haltsausschuß sagt, 60 oder 55 Prozent Wachstum seien
auch sehr ordentlich. Als sehr erfahrener Parlamentarier
sage ich Ihnen: Sie beschließen erst die Veränderung der
Leistungsgesetze und passen dann den Haushalt an den
Reformbedarf an. Diesen Weg werden wir natürlich
auch gehen. Darüber werde ich in dem Restteil meiner
Rede sprechen.
Meine Damen und Herren, es ist Aufgabe und Ziel-
setzung der Bundesregierung und dieser Koalition, mit
einem erneuerten AFBG die Gleichwertigkeit von be-
ruflicher und allgemeiner Bildung zu stärken. Wir wol-
len die Gleichwertigkeit von beruflicher Bildung und
allgemeiner Bildung durch die Förderung der beruf-
lichen Aufstiegsförderung einen Schritt voranbringen.
Deshalb bereiten wir den vom Bundestag angeforderten
Bericht über die Erfahrungen mit dem AFBG vor.
Das wissen Sie alles. Der Entwurf dieses Berichtes wird
in den nächsten Wochen in den Ressorts der Bundesre-
gierung abgestimmt werden. Nach gründlicher Erörte-
rung des Erfahrungsberichtes im Kabinett werden wir
dem Parlament Veränderungen des Aufstiegsfortbil-
dungsrechts im sachlichen und zeitlichen Zusammen-
hang mit der Reform des BAföG und in genauerer
Kenntnis des Finanzbedarfs vorschlagen. Wir haben da-
bei durchaus den Ehrgeiz, Fehler und Pannen, die der
heutigen Opposition bei ihrer Arbeit am AFBG passiert
sind, im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens
nicht zu wiederholen.
Ihren Antrag, eine Notoperation an dem Gesetz aus
dem Stand politaktionistisch einzufordern, verstehe ich
als einen Versuch tätiger Reue. Sie wollen Ihrer Klientel
dokumentieren – wie das der amerikanische Präsident
Ford auch einmal getan hat –: Wir haben gelernt. – Das
ist in Ordnung. Wenn wir daraus Ihre Bereitschaft ab-
leiten können, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
am Ausbügeln der von Ihnen zu verantwortenden Fehler
konstruktiv mitzuwirken, dann werden wir auf das An-
gebot zurückkommen.
Ich möchte einige Stichworte nennen, von denen wir
uns bei der Novellierung des Gesetzes leiten lassen wer-
den: Wir werden uns natürlich auf eine Annäherung an
eine wirkliche Gleichwertigkeit von allgemeiner und be-
ruflicher Bildung auch in förderungsrechtlicher Hinsicht
konzentrieren. Die Familienkomponente des AFBG be-
darf einer Prüfung; denn die Lebenssituation der durch
dieses Gesetz Geförderten ist oft eine andere als die von
Studierenden. Wir wollen auch mehr Chancen auf eine
Aufstiegsfortbildung und auf die damit verbundene För-
derung einräumen. Wir werden den Verfahrens- und
Verwaltungsaufwand weiterhin reduzieren. Schließlich
werden wir auch darüber entscheiden, inwieweit man
Existenzgründern, die Arbeitsplätze wirklich schnell
schaffen wollen und die als Voraussetzung für ihre Exi-
stenzgründung eine förderungsfähige Aufstiegsfortbil-
dung absolvieren, verbesserte Konditionen einräumen
kann, insbesondere bei der Rückzahlung der gewährten
Mittel, nachdem sie den erhofften Schritt in die Selb-
ständigkeit getan haben.
Sie merken, Ihrer Anstrengung, mit Hilfe dieses Ge-
setzentwurfes eine Diskussion loszutreten, bedarf es
nicht. Wir werden in absehbarer Zeit den Erfahrungsbe-
richt über das AFBG im Bundestag vorliegen haben. Ich
erwarte dann von Ihnen, daß Sie die Chance nutzen,
Ihren Antrag in Kenntnis aller Fakten zu überarbeiten.
Schönen Dank.
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat die Kollegin Cornelia Pieper.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staats-sekretär Catenhusen, Sie sprachen in Ihrer Rede von derMotivation, die Sie jungen Menschen, die ein Handwerkausüben und eine Meisterprüfung ablegen wollen, ver-mitteln möchten. Aber ich habe, als ich Ihre Rede gehörthabe, den Eindruck gehabt, daß Ihre Begeisterung fürdieses Thema nicht sehr groß war. Deshalb kann ich mir
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2461
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schlecht vorstellen, wie Sie junge Menschen motivierenwollen, sich auf das Meister-BAföG einzulassen undeine Meisterprüfung abzulegen.
Unser Land braucht eine Kultur der Selbständig-keit. Nicht nur das Studium, sondern auch das Erlerneneines Berufes mit einem Meisterabschluß und mit demZiel, den Weg in die Selbständigkeit zu wagen, mußattraktiver gemacht werden.
Viel zu wenige junge Menschen erkennen heute dieChance, die sich mit einer selbständigen Existenz bietet.Frauen und Männer, die mit hohem persönlichen Enga-gement ein Unternehmen gründen, haben bei weitemnicht die gesellschaftliche Akzeptanz, die sie verdienen.
Die meisten jungen Menschen, die im Rahmen der mirbekannten Untersuchungen befragt wurden, halten eineberufliche Karriere im öffentlichen Dienst noch immerfür erstrebenswerter, als sich selbständig zu machen undein eigenes Unternehmen zu gründen.In der vergangenen Legislaturperiode hat die Bundes-regierung per Gesetz im Januar 1996 das Meister-BAföG für berufliche Aufstiegsfortbildung sowie füreinen Teil des Lebensunterhalts erfolgreich auf den Weggebracht. Ich möchte mich hier nicht über die Zahlenstreiten. Ich glaube, darum kann es in der Tat nicht ge-hen. Allein die Tatsache, daß durch den Ausbau derFörderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung Exi-stenzgründungen und damit Arbeits- und Ausbildungs-plätze auf den Weg gebracht werden, zwingt uns zumHandeln.
Deshalb unterstützt die F.D.P. das Vorhaben derUnion, die Aufstiegsfortbildung im Parlament und inden entsprechenden Ausschüssen überhaupt zum Themazu machen. Das ist immerhin besser als die vollmundi-gen Ankündigungen der rotgrünen Bundesregierung zurgrundlegenden Strukturreform der Bildungsförde-rung in Deutschland. Aber dem vorliegenden Antrag,dem wir durchaus unsere Zustimmung geben können,fehlt der zeitliche Horizont. Was für das BAföG gilt, giltauch für das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz. Wirbrauchen eine grundlegende Reform der Struktur derBildungsfinanzierung in Deutschland und damit eingrundlegend neustrukturiertes Bundesausbildungsförde-rungsgesetz, in dem die Gleichwertigkeit von allgemei-ner und beruflicher Bildung festgeschrieben wird.
Mit welchen Zielen sind wir damals angetreten? Wel-che Leitlinien zeigte die F.D.P. in einer Diskussion inder letzten Legislaturperiode auf? Die F.D.P. wollte da-mals schon einen Beitrag zur Gleichwertigkeit von be-ruflicher und allgemeiner Bildung unter förderungs-rechtlichen Aspekten leisten.
Sie können das leugnen, wie Sie wollen, die Erfolge, diedie alte Koalition erzielt hatte, können Sie nicht nieder-reden.
Die F.D.P. wollte damals schon eine Steigerung derAttraktivität der beruflichen Fortbildung und der Fort-bildungsmotivationen des Fachkräftenachwuchses. Wirwollten eine Sicherung des WirtschaftsstandortesDeutschland durch Förderung von Existenzgründungenund Betriebsübernahmen.
– Ich finde es langsam schon anmaßend, daß Sie sichsolche Zwischenrufe leisten, wenn es um Ausbildungs-und Arbeitsplätze für junge Menschen geht. Ich kanndas in den Debatten nicht nachvollziehen.
Wir wollten zusätzliche Arbeits- und Ausbildungs-plätze in neu gegründeten Unternehmen schaffen. Des-halb haben wir die Diskussion angestoßen. Ebensowollten wir die berufliche Aufstiegsfortbildung sozialflankieren. Das Meister-BAföG war ein guter Anfang,doch wenn wir es zu einer wirklichen Erfolgsstory wer-den lassen wollen, dann ist die Zeit reif, die Förderungweiterzuentwickeln.Im übrigen war es gerade Bundeskanzler Schröder,der damalige Ministerpräsident des Landes Niedersach-sen, der feststellte, daß die vorgesehenen Maßnahmendes Meister-BAföG deutlich hinter dem sachlichen Ge-bot zurückblieben.
War er es nicht, der im Bundesrat die verzinslichenBankdarlehen zur Finanzierung der Lehrgangs- und Prü-fungsgebühren für unangemessen hielt? War er es nicht,der die Bemessung der Unterhaltsbeiträge am Arbeits-förderungsgesetz orientieren wollte und darüber hinausjeweils zur Hälfte Zuschußzahlungen und zinsfreieDarlehen direkt aus öffentlichen Mitteln forderte?Von den anderen Forderungen möchte ich jetzt nichtsprechen, weil die Genossen sie sicherlich unter demDruck ihrer Regierungsverantwortung als nicht mehrzeitgemäß einstufen würden. Ja, meine Damen und Her-ren von der Regierungskoalition, wir kennen das: DasMachbare hängt immer von der Finanzierbarkeit ab.Wichtig ist, über dieses Thema zu diskutieren, unddieses Tor haben wir aufgestoßen. Bei der Förderung derAusbildung von qualifizierten Fach- und Führungs-kräften im mittleren Managementbereich zur Siche-rung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen WirtschaftCornelia Pieper
Metadaten/Kopzeile:
2462 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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sind wir uns einig. Sie ist sozusagen eine Zukunftsinve-stition und vor dem Hintergrund des „Bündnisses fürArbeit“ auch eine unabdingbare Voraussetzung dafür,daß der anstehende Generationswechsel im Handwerkund in vielen kleinen und mittleren Betrieben erfolgreichbewältigt werden kann. Somit ist es auch eine Zu-kunftsinvestition zur Sicherung vorhandener und zurSchaffung neuer Arbeitsplätze.Ich kenne auch die Kritik der Kolleginnen und Kolle-gen von den Grünen bezüglich der Streichung des Mei-ster-BAföG aus dem Arbeitsförderungsgesetz ebensowie ihre Kritik am bestehenden beruflichen Aufstiegs-fortbildungsförderungsgesetz. Aber auch Sie wollen– Sie haben das öffentlich kundgetan – angeblich imRahmen eines Bündnisses für Bildung eine umfassendeReform der Ausbildungsförderung in Angriff nehmen.Eine Diskussion zum Arbeitsförderungsgesetzmöchte ich hier nicht unbedingt neu beginnen, abereines möchte ich feststellen: Die AFG-Förderung wareine Leistung der Arbeitslosenversicherung und war andie Voraussetzung einer mindestens zweijährigen bei-tragspflichtigen Beschäftigungszeit geknüpft und hattesozusagen eine Art Lohnersatzfunktion.Die Finanzierung der AFG-Förderung hing stark vonkonjunkturellen Entwicklungen ab. In Zeiten hoher Ar-beitslosigkeit wurde die Förderung der beruflichen Fort-bildung, wenn es sich nicht gerade um Wiedereingliede-rungmaßnahmen von Arbeitslosen handelte, immer wie-der zusammengestrichen.Ein aus Steuermitteln finanziertes Aufstiegsfortbil-dungsgesetz, das einen Rechtsanspruch begründet, istmeines Erachtens der richtige Weg. Auch die Berech-nungsgrundlagen des Unterhaltsgeldes nach dem AFGwaren geeignet, die berufliche Aufstiegsfortbildung vordem Hintergrund der Gleichheit von beruflicher und all-gemeiner Bildung zu sehen.Das Herangehen der Kollegen von der Union bei derErarbeitung Ihres Antrags und der Formulierung IhrerForderungen läßt mich allerdings wieder zu der Fest-stellung kommen, daß bis zum Sommer der Entwurfeines einheitlichen Bundesausbildungsförderungsge-setzes auf den Tisch gelegt werden muß. Zu nahe stehenAufstiegsfortbildungsförderungsgesetz und Bundesaus-bildungsförderungsgesetz beieinander, als daß wir heutedie uns gegebene Chance wieder einmal verpassendürften.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Zentralverbanddes Deutschen Handwerks hat sich wie folgt geäußert:Im Hinblick auf rund 200 000 Handwerksbetriebe,die in den nächsten Jahren zur Übernahme anste-hen, muß insbesondere die Existenzgründungs-komponente des Gesetzes praxisnäher ausgestaltetwerden.Das wollen auch wir. Der Zentralverband forderte eben-falls, daß bei Existenzgründungen und Übernahmen ver-stärkt Darlehen erlassen und bei späteren Existenzgrün-dungsdarlehen Zinsvergünstigungen gewährt werden.Das ist unterstützungswürdig.Ferner sollte das Antrags- und Bewilligungsverfahrenauf das unbedingt notwendige Maß an Bürokratie be-schränkt werden. Dieses Thema treibt die F.D.P. ziem-lich stark um. Ich frage mich, warum man bei der Bean-tragung von Meister-BAföG 20 Seiten ausfüllen muß.Das halte ich für durchaus korrigierbar. Über diesesThema sollten wir uns verständigen.Herr Kollege Lensing von der Union, wir freuen unsmit Ihnen auf die Beratung im Ausschuß
und hoffen auf weitere interessante Gespräche.Vielen Dank.
Das Wort für Bünd-nis 90/Die Grünen hat die Kollegin Margareta Wolf.Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Frau Pieper, ich finde es gut,daß Sie für eine grundlegende Reform des Bildungssy-stems einstehen. Ich finde es auch gut, daß Sie, nachdemSie jetzt fünf Monate in der Opposition sind, sich füreine grundlegende Förderung von Existenzgründungenaussprechen.Ziel der Politik der Koalition ist es, Existenzgründun-gen zu erleichtern und die Innovationskraft des Hand-werks zu stärken,
um so mehr Arbeitsplätze beim Handwerk zu schaffen.Das ist eine wirtschaftspolitische, eine gesellschafts-politische und eine arbeitsmarktpolitische Herausforde-rung.
– Ich habe den Eindruck, daß Sie es zum System ma-chen, ständig dazwischenzuquatschen. Wenn Sie sichlangweilen, dann gehen Sie doch hinaus. Sie könnenauch eine Zwischenfrage stellen.
Meine Damen und Herren, uns geht es darum, dieVoraussetzung dafür zu schaffen, daß Menschen selb-ständig und eigenverantwortlich zentrale wirtschaftlicheAufgaben übernehmen. Es ist für uns eine Herausforde-rung, wenn die OECD festgestellt hat, daß es inDeutschland ein Defizit von 500 000 Existenzgründernund Selbständigen gibt. Geht man pro selbständigenUnternehmer von einer durchschnittlichen Beschäftig-Cornelia Pieper
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tenzahl von drei aus, so ist mehr Selbständigkeit auchdie Voraussetzung für mehr Beschäftigung in Deutsch-land.Besonders in bezug auf das von Ihnen, Herr Lensing,und auch vom ZDH angesprochene Problem des anste-henden Generationenwechsels – es ist die Rede von200 000 Betrieben – ist es dringend erforderlich, zu Lö-sungen zu kommen, die mehr Wettbewerb und mehrSelbständigkeit ermöglichen.Wirtschaftspolitisch ist es daher geboten, die Fach-kräfte aus den Handwerksbetrieben auf die Führungeines selbständigen Handwerksunternehmens vorzube-reiten.
Es ist notwendig, faire Zugangschancen zum Erwerb desMeisterbriefes zu schaffen. Diese fairen Chancen müs-sen für unsere Begriffe zwei Kriterien berücksichtigen:Es muß erstens um die Bereitstellung einer ausreichen-den Zahl von Ausbildungsplätzen gehen, die auf die Prü-fung zum sogenannten großen Befähigungsnachweisvorbereiten; hier sind dringend zusätzliche Anstrengun-gen bei den Handwerkskammern notwendig.
Zweitens geht es uns um die staatliche Unterstützung beider Übernahme der Kosten.Das in der letzten Legislaturperiode geschaffene In-strument der Aufstiegsfortbildungsförderung stellt einenSchritt in die richtige Richtung dar. Wir finden es gut,daß auch Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegenvon der CDU/CSU, erkannt haben, daß es hier Nachbes-serungsbedarf gibt. Ich greife auf, was vorhin jemandaus Ihren Reihen sagte: „Wir haben verstanden.“
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scher-
hag?
Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ja.
Frau KolleginWolf, ich kann mich noch erinnern, daß Sie in der letz-ten Legislaturperiode nicht bereit waren, die Novellie-rung der Handwerksordnung gemeinsam mit der SPD,der F.D.P. und uns zu verabschieden. Sie waren damalsgegen die Meisterprüfung und sagten, daß man eigent-lich keine Meisterprüfung brauche. Nachdem Sie nun indie Regierung eingetreten sind, frage ich Sie: Hat sichIhre Meinung in diesem Punkt geändert, oder wie sollich das verstehen, was Sie gerade ausgeführt haben?Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Kollege Scherhag, das ist eigentlicheine klassische Frage, wie ich sie immer von HerrnHinsken erwarte. Er ist im Moment nicht anwesend. Ge-dulden Sie sich bitte etwas. Ich komme selbstredendnoch zu diesem Punkt, und dann können wir uns darüberweiterunterhalten.Herr Catenhusen hat darauf hingewiesen, daß derBundestag in der letzten Legislaturperiode einen Erfah-rungsbericht in Auftrag gegeben hat, der jetzt fertigge-stellt wird, in die Ressortabstimmung geht und mit denLändern diskutiert werden wird. Ich fände es gut – dashat aber auch schon Herr Catenhusen gesagt –, wenn wirdiesen Erfahrungsbericht und die Defizite und die not-wendigen Reformen des jetzt noch in Kraft befindlichenGesetzes im Wirtschaftsausschuß
diskutierten und entsprechende Reformen am Gesetzvornähmen.Ich glaube – darüber herrscht in diesem Hause ganzoffensichtlich Konsens –, Reformbedarf besteht ganzzweifelsohne. Die Förderung der Ausbildung zum Mei-ster hat sich als nicht ausreichend praktikabel erwiesen.Die Zahl der erfolgreich abgelegten Meisterprüfungenist in den letzten Jahren – auch das wurde schon ange-sprochen – immer weiter zurückgegangen. Die Eigenka-pitaldecke muß gewährleistet bleiben und darf nicht an-geknabbert werden. Das muß im Gesetzentwurf geregeltwerden. Ich glaube auch, daß Rückzahlungen flexiblergestaltet werden sollten und daß die Berücksichtigungdes Familienstatus – das Leben mit Kindern – Einzug indas Gesetz finden sollte.
Ich bin auch der Meinung, daß die derzeitige Verwal-tungspraxis bei der Bewilligung des Meister-BAföG of-fensichtlich zu kompliziert ist. Heute ist es nötig, füreinen Antrag 25 DIN-A4-Seiten auszufüllen. Das istBürokratie, die wir abbauen sollten. Wir sollten transpa-rente und leicht nachvollziehbare Regelungen schaffen.Eine Förderung von mehr Selbständigkeit im Handwerkdarf nicht an bürokratischen Hürden scheitern.
Unserer Vermutung nach – das sagen uns auch dieHandwerkskammern – hat die Überregulation im Gesetzetwas damit zu tun, daß die Förderung zumindest nichtin dem Umfang, in dem es geplant war, in Anspruch ge-nommen wurde. Aber gerade weil sie nicht in diesemAusmaß in Anspruch genommen wurde, haben wir imHaushalt 1999 eine Korrektur des Ansatzes gegenüberdem Entwurf der alten Koalition vorgenommen. 1998– das wurde schon gesagt – sind von den eingestelltenMitteln lediglich 56,2 Millionen DM in Anspruch ge-nommen worden. In Ihrem Entwurf gingen Sie für daslaufende Haushaltsjahr von 166,7 Millionen DM aus.Wir haben diesen Ansatz auf 100 Millionen DM zu-rückgeführt. Damit liegen die zur Verfügung stehendenMittel noch immer über denen, die im letzten Jahr inAnspruch genommen wurden.Margareta Wolf
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Meine Damen und Herren von der Opposition, in die-sem Kontext muß ich Sie etwas fragen: Warum habenSie nicht im Wirtschaftsausschuß den heute vorliegen-den Antrag vorgelegt? Diese Frage beschäftigt mich. Siehaben im Wirtschaftsausschuß einen Antrag vorgelegt,die Mittel im laufenden Haushalt auf 166,6 MillionenDM zu erhöhen. Ich stelle diese Frage deshalb, weil ichmich im Kontext der uns bevorstehenden zweiten unddritten Lesung des Haushalts frage, was für eine Haus-haltsstrategie Sie verfolgen. Verfolgen Sie eine Strategieder Konsolidierung, wie sie die SPD verfolgt – HerrFaltlhauser spricht sich übrigens sehr für diese Strategieaus –, oder verfolgen Sie eine Politik des leichten Gel-des, die erst einmal Mittel einstellt und sich dann mitirgendwelchen Reformen beschäftigt?
– Wir haben einen entsprechenden Antrag im Wirt-schaftsausschuß gehabt. Im Ausschuß wurde von einemAntrag „Strukturelle Innovation des Meister-BAföG“überhaupt nicht gesprochen.Sehr geehrte Damen und Herren, mir scheint klar zusein, daß mehr Ausbildungsberechtigte und mehr neueUnternehmen durch die Abschaffung oder die Reduktionvon Ausbildungshemmnissen dem Mangel an Ausbil-dungsplätzen nachhaltig entgegenwirken könnten. Diebestehenden Beschränkungen der Ausbildungsberechti-gung weisen auf ein großes Potential zur Erhöhung derZahl der Ausbildungsberechtigten und damit Selbständi-gen hin.50 bis 60 Prozent aller Auszubildenden werden nachden allgemeinen Regeln des Berufsbildungsgesetzesausgebildet. Hier reicht das Facharbeiterniveau als fach-liche Voraussetzung für die Ausbildung zum Fachar-beiter, aber auch für Selbständigkeit aus.Für rund 30 bis 40 Prozent der Auszubildenden, diein Berufen der Anlage A der Handwerksordnung ausge-bildet werden, wird jedoch Meisterniveau als fachlicheVoraussetzung für die Berechtigung zur Ausbildungvon Facharbeitern und Selbständigkeit gefordert. Diesehistorisch gewachsenen unterschiedlichen fachlichenVoraussetzungen für Ausbildereignung und Selbstän-digkeit halte ich weder für zeitgemäß, noch sind siemeiner Ansicht nach sachlich zu rechtfertigen.Wenn es noch eines Nachweises bedurft hätte, so be-legt der Erfolg des Berufsbildungsgesetzes seit 30 Jah-ren, daß es völlig ausreicht, wenn der Ausbilder einesFacharbeiters über Facharbeiterniveau verfügt. In derIndustrie hat es sich bewährt, liebe Kolleginnen undKollegen, daß derjenige, der die Ausbildereignungsprü-fung abgelegt hat, fachlich qualifiziert ist, diesen Berufselbständig auszuüben.Ich meine, daß es zu einem schnellen Anstieg derZahl der Unternehmensgründungen führen würde, wenndie Ausbildungsberechtigung und Selbständigkeit imHandwerk nach Ablegen der Gesellenprüfung und derAusbildungseignungsprüfung eingeräumt würde. Damitwürde auch dem von Ihnen zu Recht angesprochenenProblem des Generationenwechsels im Handwerk Rech-nung getragen.
Diese Flexibilisierung halten wir im Interesse einerErleichterung der schon angesprochenen Übernahmen,aber auch im Interesse von mehr Ausbildungsplätzen imHandwerk für notwendig. Diese Flexibilisierung würdenicht nur zu mehr Arbeitsplätzen führen. Sie wäre insge-samt belebend für die gesamte Wirtschaftsentwicklungin diesem Land und würde wichtige Teile der Schwarz-arbeit – wir wissen, wenn ein Markt heute wirklich gutfunktioniert und expansiv ist, dann ist es der Schwarz-markt – in den Bereich der legalen Wirtschaft überfüh-ren.Die Praxis in der Industrie und den nichthandwerkli-chen Gewerben belegt nicht erst seit der Schaffung desBerufsbildungsgesetzes vor 30 Jahren, sondern bereitsseit dem 19. Jahrhundert, daß die Ausbildung hochquali-fizierter Facharbeiter in ausreichender Zahl möglich ist,ohne die Freiheit von Betriebsinhabern zu selbständigerGewerbeausübung an den Nachweis persönlicher Fach-qualifikation zu binden.Ich möchte Sie daran erinnern, daß wissenschaftlicheGremien, wie die Monopolkommission, Herr Scherhag,die Deregulierungskommission, Verbände wie derDIHT, der BDI, der Bundesverband Junger Unterneh-mer und die ASU, in den letzten Monaten und Jahrenständig auf das Problem der Einschränkung der Ge-werbefreiheit – Wettbewerb auf dem Markt, Schaffungvon mehr Arbeitsplätzen, von mehr Selbständigkeit –und deren Folgen hingewiesen hat. Ich glaube, daß dervon Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegender CDU/CSU, beschriebene und auch von mir als be-sorgniserregend angesehene Mangel an Unternehmen inDeutschland mehr Ursachen hat als ein nicht wirkungs-volles Meister-BAföG.
Ich bin sicher, daß vielmehr die Zugangsvorausset-zungen für die Gründung einer selbständigen Existenz inDeutschland, die im europäischen Vergleich sehr hochsind, der Grund für die schwache Selbständigenquoteist. Um in einem Vollhandwerk selbständig zu sein, istnach wie vor die Eintragung in die Handwerksrolle er-forderlich, wofür wiederum das erfolgreiche Ablegender Meisterprüfung Voraussetzung ist. Fast alle andereneuropäischen Länder begnügen sich mit Zulassungsre-geln für die sogenannten gefahrengeneigten Handwerke.Ich glaube, daß der schwierige Zugang zum Handwerknicht nur unter wettbewerblichen Gründen, worauf dieMonopolkommission vor allem hingewiesen hat, be-denklich ist, sondern ich glaube, daß er Existenzgrün-dungen behindert, für die niedrige Selbständigenquoteverantwortlich ist und daß diese hohen Hürden beimZugang zum Handwerk die eigentliche Ursache für dasdramatische Problem sind, daß für 200 000 Betriebe imHandwerk keine Nachfolge vorhanden ist.Margareta Wolf
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Wir, die Koalition, haben uns vorgenommen, hier fürErleichterungen zu sorgen. Ich würde mich freuen, wennwir auch die Bildungspolitiker an unserer Seite hätten,die offenbar erkannt haben, daß wir mehr Selbständig-keit und mehr Unternehmen in Deutschland brauchen,wodurch wir mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze be-kommen würden.Danke.
Ich gebe das Wort
der Abgeordneten Maritta Böttcher von der PDS-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Meine Damen und Herren! Es ist schon seltsam,wenn ausgerechnet von denjenigen, die die Förderungder Aufstiegsfortbildung dorthin gebracht haben, wo sieheute ist, der Ausbau ihres Meisterstücks beantragt wird.Deshalb möchte ich einiges in Erinnerung rufen.Bereits in den Debatten um die Einführung des Mei-ster-BAföG wurde von den Sachverständigen daraufhingewiesen, daß die von der damaligen Bundesregie-rung großmundig verkündete Reformtat zur Aufwertungdes beruflichen Bildungsweges sich bei näherem Hinse-hen als Rückschritt und Begräbnis der Aufstiegsfortbil-dung entpuppt.Mit dem Scheinargument der Angleichung der Wei-terbildungsförderung Berufstätiger an die Studienförde-rung wurde verschleiert, daß es bis 1993 weitaus günsti-gere Förderungsmöglichkeiten über das AFG gab.Damals bekam ein Facharbeiter, der sich zum Technikerfortbilden ließ, etwa ein Drittel der Lehrgangsgebührenbezahlt. Dazu kam ein Darlehen in Höhe von 58 Prozentdes letzten Nettoverdienstes. Der Betrag war nach einerzweijährigen tilgungsfreien Zeit innerhalb von sieben-einhalb Jahren zurückzuzahlen. Auch wenn die Fortbil-dung Schulden mit sich brachte, konnte doch zumindestder Lebensunterhalt bezahlt werden.Seit der Abschaffung der Aufstiegsfortbildungsförde-rung im AFG ging die Zahl der Teilnehmer und Teil-nehmerinnen erheblich zurück. Diese Lücke sollte danndurch ein Reparaturgesetz – mehr war die Einführungdes Meister-BAföG nicht – geschlossen werden. Mit derNeuregelung laufen die Teilnehmerinnen und Teilneh-mer an Maßnahmen mit Vollzeitschule Gefahr, ihre lau-fenden Ausgaben nicht mehr bestreiten zu können undunter den Sozialhilfesatz zu fallen. Für Lehrgangs- undPrüfungsgebühren gibt es keine Zuschüsse, sondern nurBankdarlehen. Für die PDS war die Einführung derprivatrechtlichen Regelung des Darlehenteils der ent-scheidende Grund, das Gesetz in der vorgelegten Formabzulehnen. Damit wurde ein weiterer Schritt zur Priva-tisierung der Bildungskosten gegangen, da verzinsteBankdarlehen voll zu Lasten von Teilnehmerinnen undTeilnehmern gehen, die nicht über ausreichende Finan-zierungsmöglichkeiten verfügen.Bildungskosten werden individualisiert, so daßgleichberechtigte Teilhabe für immer weniger Gruppenmöglich wird. Das bedeutet: Das soziale Grundrecht aufBildung wird ausgehebelt. Mit genau diesen Effekten inder Wirkung des Gesetzes haben wir es nun zu tun. Werüber genügend finanzielle Mittel verfügt, ist nicht aufden Staat angewiesen, wenn er sich weiterbilden will.Eben jene, die staatliche Unterstützung brauchen, sollensich auf Grund völlig unzureichender Fördersätze auchnoch bei privaten Banken mit allen Risiken der Rück-zahlung solcher Darlehen verschulden.So ist es kaum verwunderlich, wenn zwischen denPrognosen der alten Bundesregierung und der tatsächli-chen Inanspruchnahme des Gesetzes eine erheblicheLücke klafft. Das ist eben nicht nur mit den vielzitiertenAnlaufschwierigkeiten, sondern vor allem mit Kon-struktionsfehlern des Gesetzes insgesamt zu erklären.Während des Gesetzgebungsverfahrens war die Bundes-regierung davon ausgegangen, daß im Jahresdurch-schnitt 90 000 förderungsfähige Teilnehmerinnen undTeilnehmer in Aufstiegsfortbildungsmaßnahmen zu er-warten seien. Real kamen – die Zahl ist heute schoneinmal genannt worden – in den Jahren 1996 und 1997nicht einmal 70 000 Personen zusammen. Auf die stolzeFeststellung im CDU/CSU-Antrag, daß in diesem Jahrmöglicherweise der 100 000. angehende Meister seinenBewilligungsbescheid erhält, möchte ich mit dem Hin-weis antworten, daß wir uns bereits im Jahre 1999 be-finden und diese Zahl nach den ursprünglichen Progno-sen eigentlich schon 1997 erreicht sein sollte.Ob sich das Meister-BAföG damit tatsächlich, wie imAntrag formuliert, als wirksames Mittel erwiesen hat,um Menschen den Weg zur Betriebsgründung zu er-leichtern, ist wohl mehr als zweifelhaft. Leider liegtauch dem Parlament der von der alten Bundesregierungzum Herbst 1998 angekündigte Erfahrungsbericht nichtvor. Der durchschnittliche Unterhaltsbeitrag von 1 009DM, der 1996 gezahlt wurde und von dem 730 DM alsDarlehen gewährt wurden, wirkte offensichtlich wenigermotivierend als abschreckend auf potentielle Teilnehme-rinnen und Teilnehmer.Noch deutlicher wird das Problem hinsichtlich derAkzeptanz der Darlehensbestimmungen, des Frauenan-teils und der Inanspruchnahme des Kinderbetreuungszu-schusses. 1996 lag der Frauenanteil bei 14,6 Prozent.Lediglich 92 AFBG-Geförderte erhielten einen Zuschußzu den Kosten der Kinderbetreuung. Trotz dieser Zah-len sah die damalige Bundesregierung hier keinenHandlungsbedarf, da ja die Förderbedingungen angeb-lich die Situation von Frauen durch die Einbeziehungvon Kinderbetreuungskosten ausreichend berücksichti-gen. Im vorliegenden Antrag wird nun immerhin eineErhöhung auf 250 DM gefordert.Abgesehen davon, daß die Antragstellerinnen undAntragsteller alle nun geforderten Verbesserungen schonlange hätten realisieren können, bleibt die gesetzlicheRegelung auf diesem Gebiet unterm Strich selbst mitden im Antrag geforderten Verbesserungen ungenügend.Berufliche Aufstiegsfortbildung ist der zentrale Dreh-und Angelpunkt für eine tatsächliche Erhöhung derMargareta Wolf
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Attraktivität beruflicher Bildung. Nur wenn sie in be-zug auf Zugangs-, Berufs- und Karrierechancen gleich-wertig neben dem Hochschulstudium steht, wirdGleichwertigkeit vom leeren Versprechen zur Realität.Die Verknüpfung mit dem BAföG hatte in diesem Zu-sammenhang auch weniger mit dem Anspruch derGleichwertigkeit zu tun, als daß hier Türen zum Zins-BAföG aufgestoßen werden sollten. Am Ende kam kei-ne bessere Förderung der größeren Gruppen von Ler-nenden und Studierenden heraus, sondern eine schlech-tere Förderung für immer weniger Bedürftige. Gleich-heit herrscht vor allem hinsichtlich des Risikos, sich füreine Aus- oder Weiterbildung ordentlich zu verschulden.Für uns dagegen muß staatliche Förderung von Aus-und Weiterbildung zuerst und vor allem zum Ausgleichvon Startunterschieden und zum Abbau von sozialenHürden beitragen.
Das tut dieses Gesetz auf keinen Fall. Wir brauchen einesozialstaatlich und auf Chancengleichheit ausgerichteteBildungsfinanzierung, und zwar in allen Bildungsberei-chen. Darüber sollten wir uns in den einzelnen Aus-schüssen und hier im Parlament Klarheit verschaffen.Dann bekommen wir auch Ergebnisse, die all diesenBedingungen allumfassend gerecht werden.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht die Kollegin Ilse Aigner.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Rund70 Prozent aller Beschäftigten werden auch in Zukunfteine praxisnahe, in beruflicher Erst- und Weiterbildungerworbene berufliche Qualifikation benötigen. Geradedie berufliche Aus- und Weiterbildung wird damit mehrdenn je zu einer wesentlichen Zukunftsaufgabe; ichglaube, da sind wir uns alle einig. Die berufliche Quali-fikation ist in hohem Maße ausschlaggebend für dieQualität eines Wirtschaftsstandortes, für die Chancen imWettbewerb auf dem Weltmarkt und die Anziehungs-kraft für Investoren. Berufliche Qualifikation muß vonuns noch deutlicher als Standortvorteil erkannt werden.Dieser Standortvorteil muß gesichert und ausgebautwerden.Angesichts des rascheren Technologiewandels unddes internationalen Wettbewerbs um Standorte undMarktanteile können wir uns hier keine Versäumnisseleisten. Der sich abzeichnende Mangel an qualifiziertenBetriebsführern bedroht den reibungslosen Generatio-nenwechsel. Es ist schon ausführlich darauf hingewiesenworden.Mit dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz,AFBG, besser unter Meister-BAföG bekannt, wurde inder letzten Legislaturperiode von der damaligen Regie-rung ein wirksames Mittel geschaffen,
um jungen, begabten Menschen den Weg in die Selb-ständigkeit zu eröffnen und Betriebsgründungen zu er-leichtern.
Bedauerlicherweise wurden die Mittel in diesem Haus-haltsentwurf um 40 Prozent gekürzt; wir haben die Zahljetzt schon mehrfach gehört. Herr Staatssekretär Caten-husen, wenn Sie erkannt haben, daß die Mittel nichtausgeschöpft werden, vielleicht auch weil Mängel imbisherigen Entwurf sind, dann hätten Sie eigentlichschon Zeit gehabt, dies gemeinsam mit der generellenBAföG-Novelle in Angriff zu nehmen.
Es gäbe ein paar Punkte, die Sie durchaus hätten auf-greifen können. Ich begrüße es, wenn Sie jetzt im Ver-fahren, auch ohne Gesetzentwurf, einiges erleichternwollen. Aber das kann keine Entschuldigung dafür sein,daß man, weil Mängel bestehen, die Mittel zurückführtund damit ein vollkommen falsches Signal RichtungMittelstand sendet.
Weil wir dies erkannt haben, haben wir von derCDU/CSU diesen Antrag eingebracht, um durch dieAufwertung des AFBG ein deutliches Zeichen in Rich-tung Mittelstand zu setzen. Mit einer Verbesserung desMeister-BAföG würde sich die Zahl der Fortbildungs-teilnehmer deutlich erhöhen, was wir alle hoffen. Damitwürde die so dringend benötigte unternehmerischeGründungswelle in unserem Land deutlich beschleunigtwerden.An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß derheute besprochene Antrag meiner Ansicht nach noch einStück weitergehen könnte. Ich werde deshalb versuchen,einen Ergänzungsantrag einzubringen, und zwar in zweiRichtungen.Zwei Beispiele. Hinsichtlich der angestrebten förder-rechtlichen Gleichstellung von Studium und Auf-stiegsfortbildung sollte meiner Meinung nach der Bei-trag zur Deckung des Unterhaltsbedarfs den Teilneh-mern dieser Maßnahme auch in Teilzeitform gewährtwerden, was bisher noch nicht der Fall ist.
Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß einGroßteil der Teilnehmer die Maßnahmen in Teilzeit-form durchlaufen. Dies gilt insbesondere für Maßnah-men der IHK. Diese Teilnehmer erzielen aber nicht not-wendigerweise ein eigenes Einkommen, aus dem sie ih-ren Lebensunterhalt bestreiten können. Gerade für fami-liär Gebundene, die auf Grund der finanziellen Situationder Familie auf Nebeneinkünfte angewiesen sind, wirdeine Fortbildung in Teilzeitform attraktiv, wenn sieFortbildung und Familie verbinden können und dabeider Lebensunterhalt gesichert ist.Maritta Böttcher
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Außerdem bin ich der Ansicht – in diesem Punkt mußich der PDS zustimmen, was mir, ehrlicherweise gesagt,nicht ganz leicht fällt –,
daß die Lehrgangs-, Prüfungs- und Meisterstückkostenbei der Vollzeitförderung, aber auch natürlich bei derTeilzeitförderung vollkommen übernommen werdensollten. Warum bin ich dieser Ansicht? Nachdem in deruniversitären Ausbildung sowohl das Studium als auchdie Prüfungen kostenlos sind, würde diese Maßnahme zueiner wirklichen Gleichstellung von akademischer undberuflicher Bildung in diesem Bereich führen. Auch dieChancengleichheit zwischen denen, die einen beruflichenWeg beschreiten, und denen, die eine akademische Aus-bildung durchlaufen, würde sichergestellt werden.
Das heißt nicht zuletzt: Wichtige Aufgabe einer zu-kunftsgerichteten Bildungspolitik muß auch sein, daraufhinzuweisen, daß Abitur und Studium nicht unbedingtder alleinseligmachende Königsweg sind. Das Meister-BAföG kann dazu beitragen, die Attraktivität dernichtakademischen Laufbahn gegenüber der akademi-schen Laufbahn zu steigern.Ich möchte dazu noch einen Punkt anschließen. DieFörderung sollte nicht nur diejenigen betreffen, die sichselbständig machen. Sie ist auch für diejenigen wichtig,die sich innerhalb ihres Berufes weiterqualifizierenwollen. Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen: Tech-nikerlaufbahn, Aufstieg innerhalb des abhängigen Be-schäftigungsverhältnisses.Solange viele meinen, nur mit dem Abitur wirklichetwas werden zu können, darf es uns nicht wundern,wenn in manchen Ländern die Gymnasien schon kurzdavor sind, die meisten Schülerzahlen zu tragen unddamit zur eigentlichen Hauptschule zu werden. Diesführt übrigens nicht unbedingt zu einer Qualitätssteige-rung an den Hochschulen, insbesondere nicht im inter-nationalen Vergleich.Die Förderung und der Ausbau des Meister-BAföGmuß auch zukünftig ein zentrales Anliegen dieser Regie-rung sein. Wir brauchen in unseren Unternehmen Men-schen, die für Neues aufgeschlossen sind, zukunftsori-entiert handeln und dadurch im Ergebnis Unternehmenauf Erfolgskurs halten.
Die an unseren Meister- und Technikerschulen gebo-tene Qualität setzt Maßstäbe; das Leistungsniveau istanerkannt hoch. An dieser Stelle muß ich leider einenkleinen Seitenhieb in Richtung des Herrn Bundeskanz-lers loswerden. Mich hat sehr geärgert, daß er sich alsModel zur Verfügung gestellt hat und dann die deutscheTextilwirtschaft verunglimpft hat, indem er sagte, nurdie italienischen Maßanzüge würden passen. Das isteine Beleidigung des deutschen Handwerks und insbe-sondere der deutschen Textilindustrie.
Zurück zur Förderung von Absolventen von beruf-lichen Aufstiegslehrgängen. Die Bayerische Staatsregie-rung hat einer ihrer Grundaussagen – „Leistung mußsich lohnen“ – auch Taten folgen lassen. Ich möchte einBeispiel anführen: Der Freistaat Bayern hat für diebesten 30 Prozent der Absolventen von Meister-, Tech-niker- und sonstigen vergleichbaren Ausbildungslehr-gängen einen Meisterpreis mit Prämien zwischen 1 000DM und 3000 DM ausgelobt. Damit wurde in diesemBereich ein wichtiges Zeichen gesetzt. Seit 1995 wurdenknapp 30 Millionen DM als Prämie für den Meisterpreisausbezahlt. Dies könnte auch auf Bundesebene ein gutesBeispiel sein, dem Sie gern folgen können.Ich appelliere an Sie, den Antrag zum Ausbau derFörderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung zu un-terstützen. Das Aufstiegsfortbildungsgesetz ist ein Bei-trag, den Fachkräftenachwuchs vor allem der mittelstän-dischen Wirtschaft zu sichern und die Anzahl der Fach-kräfte zu erhöhen.Die Wirtschaft muß auch durch Qualität der Ausbil-dung im Lande gehalten werden. Das vordergründigBilligste ist nicht unbedingt immer das Kostengünstig-ste. Deutsche Qualitätsarbeit ist im In- und Ausland stetshonoriert worden. Hier müssen wir weiter am Ball blei-ben.Längst sind die Zeiten vorüber, wo man Bildung bzw.Ausbildung im Gegensatz zu den sogenannten hartenStandortfaktoren eher gering einschätzte. Wir müssendeshalb alle Anstrengungen unternehmen, um durch einezukunftsgerichtete Bildungspolitik den Fachkräftenach-wuchs für unser Land zu sichern.Vielen Dank.
Für die SPD-
Fraktion hat der Kollege Heinz Schmitt das Wort.
Sehr geehrter HerrPräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heuteeinen Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Verbesserungder Aufstiegsfortbildung, der zeigt, daß unsere Argu-mente in dem einen oder anderen Fall auch bei der Op-position auf fruchtbaren Boden fallen können.
– Herr Lensing, Sie kommen gleich dran.Wir können Ihrem Antrag zum bestehenden Auf-stiegsfortbildungsförderungsgesetz – schon der Name isteigentlich eine Zumutung –
– ich komme gleich zu Ihnen – in vielen Punkten durch-aus zustimmen. Natürlich will die Bundesregierung,natürlich wollen wir, die SPD-Fraktion, daß unterneh-Ilse Aigner
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merisch denkenden und handelnden Menschen der Wegin die Selbständigkeit geebnet wird. Natürlich wollenwir, daß genügend gute Fachkräfte ausgebildet werden,zum Beispiel um die über 700 000 anstehenden Be-triebsübergaben bewerkstelligen zu können. Natürlichwollen wir, daß junge Frauen und Männer lernen, einenBetrieb zu führen und Lehrlinge auszubilden, und sichumfassende fachliche, betriebswirtschaftliche und recht-liche Kenntnisse aneignen können. Und: Natürlich wol-len wir, daß die duale Ausbildung in der Meisterprüfungihre Weiterqualifizierung erfahren kann. Wir brauchenalso auch in Zukunft den sogenannten großen Befähi-gungsnachweis.
Es ist aber auch richtig, daß das Gesetz zur Förderungder Aufstiegsfortbildung noch ein Werk der alten Bun-desregierung ist.
Die Kollegin Aigner hat gerade gesagt, daß wir, wennwir Mängel erkannt haben, auch diese – in der kurzenZeit – hätten angehen können. Ich kann Ihnen sagen,Frau Aigner: Wir haben in diesen ersten 120 Tagenschon einiges von dem gerichtet, was Sie uns hinterlas-sen haben.
Lassen Sie uns noch etwas Arbeit für die nächsten über1 000 Tage übrig!Mit Ihrem Antrag bestätigen Sie: Das AFBG ist ebennicht die Erfolgsstory, wie Sie und der ehemalige Bun-desbildungsminister vor zwei Jahren verkündet haben.Das wird durch die Zahlen, die mittlerweile vorliegen,belegt. Der Mittelabfluß für Fördermaßnahmen nachdem AFBG lag in den letzten drei Jahren, nach Inkraft-treten des Gesetzes, grundsätzlich, und zwar beträcht-lich, unter den jeweiligen Haushaltsansätzen. Darauf ha-ben wir reagiert. Deshalb haben wir für 1999 einen rea-litätsnahen Haushaltsansatz vorgesehen.Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine kurze Bemer-kung zum Kollegen Werner Lensing. Herr Lensing, Siehaben im „Deutschen Handwerksblatt“ vom 18. Märzgesagt, die Kürzung des Meister-BAföG sei eine Tat derBundesregierung. Diese Aussage ist – ich sage es einmalkollegial – zumindest irreführend. Sie haben vorhin vonWahrheit und Moral gesprochen; Sie standen hier wieein regelrechter Wahrheitsapostel.
Sie wissen es aber besser. Sie wissen, daß den Leistun-gen des AFBG ein Rechtsanspruch zugrunde liegt. Siewissen, daß jeder/jede nach dem Gesetz förderungsfähi-ge Antragsteller/Antragstellerin auch in Zukunft unein-geschränkt die Leistungen erhalten wird. Wenn Sie undIhre Parteifreunde in der Öffentlichkeit solche Fehlin-formationen verbreiten, dann verunsichern Sie angehen-de Jungmeister und Fachkräfte erst recht. Dies ist dasgenaue Gegenteil von Motivation.
Eigentlich können Sie sich Ihren Antrag sparen, wennSie in der Öffentlichkeit mit einer solchen Polemik ope-rieren.
Das AFBG hat Mängel; diese haben wir schon vordrei Jahren immer wieder moniert. Es ist ein Reparatur-gesetz. Es wurde verabschiedet, nachdem Sie gesehenhaben, was Sie mit der Abschaffung der alten Aufstiegs-förderung angerichtet haben. Hinzu kam das Tempo, derZeitdruck, unter dem das Gesetz damals zustande kam.Wir brauchen daher keine Schauanträge und keineSchnellschüsse, sondern eine Reform der Aufstiegs-förderung.
Wir brauchen eine Reform der Aufstiegsförderung,die gründlich durchdacht und attraktiv sein muß. Wirmüssen auf die geänderte Lebenssituation der jungenMeisterinnen und Meister eingehen. Wir müssen die ge-änderten Berufsfelder berücksichtigen. Wir müssen auchdie gesamte Veränderung der wirtschaftlichen Lagebeachten. All dies gilt es zu berücksichtigen. Es nütztdeshalb nichts, wenn wir jetzt nur punktuell nachbes-sern.Das ist auch der Grund dafür, daß wir Ihren Antragheute leichten Herzens ablehnen werden.
Die Bundesregierung wird im Laufe der Legislatur-periode eine Neuregelung vorlegen. Ich lade Sie, liebeKolleginnen, liebe Kollegen, herzlich ein, in Zukunftkonstruktiv und kooperativ an diesem wichtigen Vorha-ben mitzuarbeiten.Vielen Dank.
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Walter Hirche.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Immerhin hat diese Debatte ergeben,daß es verbal Gemeinsamkeiten gibt, mehr Aufstiegs-fortbildung und mehr Selbständigkeit zu ermöglichen.Ich halte aber daran fest, daß es in der Sache in etlichenPunkten erhebliche Unterschiede gibt.Für die F.D.P. stelle ich fest:Erstens. Wir sind der Meinung, daß sich das Meister-BAföG trotz der Zahlen, über die man nicht diskutierenkann, bewährt hat und eine Grundlage bildet, auf derman weiter aufbauen kann. Deswegen haben wir denvon der CDU/CSU eingebrachten Antrag begrüßt undhalten ihn für richtig.
Heinz Schmitt
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Man muß das Meister-BAföG in Richtung Gleichwer-tigkeit allgemeiner und beruflicher Bildung und Förde-rung weiterentwickeln. Vielleicht könnten wir darüberEinigkeit erzielen.
Zweitens. Ich sage – gerade im Anschluß an das, wasFrau Wolf und soeben auch der Kollege Schmitt gesagthaben – dazu: Wir sind der Auffassung, daß sich dieQualifikationsmuster im Handwerk bewährt habenund daß man an eine Änderung nicht in Form einerplumpen Nivellierung herangehen und sagen kann: Weildas in der Industrie anders geregelt ist, tun wir das jetztim Handwerk genauso. Es sollte vielmehr am großenBefähigungsnachweis festgehalten werden.
Gewisse Flexibilitäten sind möglich. Herr Schwanhold,dazu hat es in der letzten Legislaturperiode einen Kom-promiß gegeben.Auch für uns ist das nicht einfach. Die Gewerbefrei-heit ist ein sehr hohes Gut. Aber wenn ich sehe, daß imHandwerk die Zahl der Insolvenzen nur halb so hoch istwie in der übrigen Wirtschaft, dann bedeutet das, daßich, wenn der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplät-zen an erster Stelle stehen sollen, eine Güterabwägungvornehmen muß. Daher ist an der Meisterprüfung fest-zuhalten. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, daß sie alsQualitätsmerkmal erhalten bleibt.
Drittens. Frau Wolf, einen von Ihnen aufgeführtenPunkt nehme ich durchaus positiv auf. Sie haben gesagt:Die vorhandenen Mängel betreffen nicht nur das ThemaMeister-BAföG. Da sind wir uns einig. Aber Sie habeneinen der wichtigsten Punkte vergessen. Wenn Sie diesteuerlichen Rahmenbedingungen für Selbständige inder Weise, wie Sie das getan haben, von einem Tag aufden anderen dramatisch verschlechtern, dann können Sienicht erwarten, daß das ein Signal für mehr Selbständig-keit ist.
Wenn mit der Änderung des Einkommensteuergeset-zes von heute auf morgen die außerordentlichenEinkünfte bei der Betriebsübergabe oder -abgabe vomhalben auf den vollen Steuersatz erhöht werden, dannbedeutet das, wie es das „Handelsblatt“ richtig geschrie-ben hat, daß die selbständigen Handwerker ein Viertelihres Betriebsvermögens von einem auf den anderen Tagverlieren. Das ist staatliche Willkür. Das ist ein solcherFaustschlag gegen die Selbständigkeit, wie man sich dasnicht vorstellen kann.Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang – wirwerden noch an anderen Tagen Gelegenheit haben, dar-über zu sprechen –: Das, was Sie in puncto Scheinselb-ständigkeit getan haben, haben Sie – das will ich Ihnenunterstellen – auf Grund Ihres Hintergrundes durchausgut gemeint. Ich weise Sie aber darauf hin: Mit den Re-gelungen, die Sie getroffen haben, verhindern Sie invielen Fällen Existenzgründungen und mehr Selbstän-digkeit in unserer Gesellschaft. Deswegen sind all dieMaßnahmen, die ich unter Punkt 3 angesprochen habe,geeignet, die Selbständigkeit in Deutschland zu behin-dern und zu weniger Aufstiegsfortbildung zu führen.Das sollten Sie sich einmal durch den Kopf gehenlassen. Dann könnten wir, wenn Sie Ihre Maßnahmenkorrigieren würden, von der verbalen Übereinstimmungzu einer tatsächlichen kommen.Vielen Dank.
Das Wort für die
SPD hat der Kollege Christian Lange.
Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hirche,zurück zum AFBG. Liebe Kolleginnen und Kollegenvon der CDU/CSU-Fraktion, warum stellen Sie eigent-lich diesen Antrag?
Er hat einen Vorläufer. Bei den Haushaltsberatungen imWirtschaftsausschuß stellten Sie einen Antrag auf Mit-telerhöhungen, obwohl im vergangenen Jahr kein voll-ständiger Abfluß stattgefunden hat.
Ich bin der Meinung: Bevor wir über eine Erhöhung desHaushaltsansatzes nachdenken – das war ja das ZielIhres Antrages –, sollte man hinterfragen, weshalb diebereitgestellten Mittel von insgesamt 166,66 MillionenDM für 1998 nur zu zirka einem Drittel ausgeschöpftworden sind. Anderenfalls würde weiterhin ein wichti-ges Potential zur Förderung von Existenzgründungenverschenkt – und das will niemand.Sie wollten aber wohl mit diesem Haushaltsantrag beiden Handwerkskammern Eindruck schinden.
Doch diese wissen – jetzt hören Sie mir einmal genauzu –, wo die wirklichen Probleme liegen. Sie brauchensich da keine Hoffnungen zu machen. Hanns-EberhardSchleyer, Generalsekretär des ZDH, klagte gegenüberdem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 23. März denn auchnicht über den Etatansatz; er bekennt vielmehr: Es störtmich, daß unsere Leute es so wenig in Anspruch nehmen.
Irgendwann, liebe Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU, haben Ihnen dann wohl die Handwerks-kammern gesagt, daß das der falsche Ansatz ist, undjetzt sind Sie umgeschwenkt.
Walter Hirche
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Jetzt machen Sie plötzlich Vorschläge, wie die Mittelbesser genutzt werden können. Gut, ein bißchen spät,aber immerhin.Wir alle wissen doch: Über 3 Millionen kleine undmittlere Unternehmen sind die Basis der deutschenWirtschaft; sie stellen rund 70 Prozent der Arbeitsplätzeund 80 Prozent der Ausbildungsplätze zur Verfügung.Dafür gilt ihnen zunächst einmal unser herzlicher Dank.
Einen besonderen Stellenwert in der neuen Mittel-standspolitik in der 14. Legislaturperiode nimmt deshalbdie Förderung der Existenzgründungen ein. DasHandwerk hat einen hohen Bedarf an Unternehmerper-sönlichkeiten, die entweder eine eigene Existenz grün-den oder die einen bereits bestehenden Handwerksbe-trieb übernehmen wollen. Die Übernahmeproblematikist angesichts der hohen Zahl von Betriebsinhabern, diein den nächsten fünf bis zehn Jahren aus Altersgründeneinen Nachfolger suchen, besonders drängend. Wennkein geeigneter Nachfolger gefunden wird, besteht be-sonders bei kleinen Betrieben die Gefahr, daß sie aufge-geben werden. Damit verbunden wäre der Verlust vonArbeitsplätzen.Es ist ebenfalls eine Tatsache, daß jeder Existenz-gründer in der Regel zwei bis drei neue Arbeitsplätzeschafft. Daher ist die Förderung von Existenzgründun-gen gleichzeitig eine sehr wirksame Maßnahme zur Be-kämpfung der Arbeitslosigkeit.
Wir haben diesen wichtigen Aspekt deshalb in unsereKoalitionsvereinbarung aufgenommen und die Bedeu-tung des Mittelstandes, insbesondere des Handwerks, imHinblick auf die Chancen für mehr Beschäftigung her-vorgehoben. Dabei sind wir uns alle darin einig, daß diegeringe Gründungsdynamik in Deutschland Anlaß zurBesorgnis ist. Der internationale Vergleich zeigt in derTat, daß mit Ausnahme von Dänemark die Selbständi-genquote in den übrigen Staaten der EuropäischenUnion teilweise wesentlich höher als in Deutschland ist.
– Herr Hinsken, hören Sie doch einmal zu.Im Rahmen der Offensive der Bundesregierung fürmehr Selbständigkeit soll das BAföG in Zukunft ver-stärkt zur Förderung von Privatinitiativen beitragen undwirtschaftliche Entwicklungspotentiale zur Entfaltungbringen. Dafür danken wir der Bundesregierung
– jetzt hören Sie sich das einmal an –,
die damit nämlich der Motor für die Meisterausbildungin Deutschland ist.
Welches sind nun die Erfahrungen, die wir in derVergangenheit gesammelt haben? Das AFBG trat am1. Januar 1996 – das ist erwähnt worden – in Kraft,nachdem Sie, die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P.,Anfang der 90er Jahre das Meister-BAföG aus demAFG komplett gestrichen hatten. Sie wollten nämlichauf Kosten der Meister in Deutschland sparen. Das ver-schweigen Sie sehr gern an dieser Stelle.
Ich sage Ihnen auch, woher ich das weiß; denn auchich hatte ein Leben vor dem Parlament, Herr Hinsken,und war für die Rechtsaufsicht der Maßnahmen zumMeister-BAföG in Baden-Württemberg zuständig.Weil es sich um die Anlaufphase handelte, wurdendie Mittel im ersten Jahr, 1996, in geringerem Umfangals erwartet in Anspruch genommen. 1997 stiegen dieAntragszahlen deutlich; 1998 beliefen sich die Bundes-leistungen auf 56,2 Millionen DM. Das Fördervolumenblieb damit erheblich hinter den Erwartungen zurück.Denn das Bundeswirtschaftsministerium stellte Mittel inHöhe von 66,6 Millionen DM bereit; zusätzliche Mittelfür das Meister-BAföG in Höhe von 100 Millionen ka-men vom BMBF. Damit wurde nur rund ein Drittel derinsgesamt bereitgestellten Mittel ausgeschöpft. Aus die-sem Grunde wurde der Haushaltsansatz für das Meister-BAföG erstmals nur noch im Einzelplan 09 aufgenom-men und auf 100 Millionen DM reduziert.Ihre Unterstellung allerdings, mit dieser Maßnahmewerde das Meister-BAföG eingeschränkt, ist ganz be-sonders bösartig.
Der Rechtsanspruch auf Förderung – ich wiederholees – bleibt bestehen und ist durch den Mittelansatz aus-reichend gedeckt.
Ich sage Ihnen: Wegen der Haushaltsausstattungwurde und wird kein Meisteranwärter abgewiesen; denndas wäre rechtswidrig. Das wissen Sie auch. Also be-haupten Sie bitte nichts Gegenteiliges.
Das Problem liegt ganz woanders. Als einer der Kon-struktionsfehler ist die starke Orientierung am Studen-ten-BAföG zu nennen. Das müssen wir jetzt ausbügeln.Eine bessere Akzeptanz des Meister-BAföGs könntebeispielsweise erreicht werden, indem die Freibeträgebei der Anrechnung des Einkommens erhöht werden.Die Betroffenen sind meist älter, haben häufig schonFamilie und bereits Vermögen aufgebaut, so daß dieÜbertragung der Regelungen aus dem Studenten-BAföGnicht sinnvoll ist. Die niedrigen Freibeträge verhaltensich zu dem eigentlichen Ziel der Förderung von Exi-stenzgründungen konträr, wenn gleichermaßen – bei-spielsweise für die Gründung eines Unternehmens – vonden Banken relativ hohe Eigenmittel verlangt werden.Deshalb gibt es Überlegungen, das Vermögen, das fürdie Existenzgründung angespart wird – natürlich bei ent-Christian Lange
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sprechendem Nachweis –, nicht in die Anrechnung fürdie Förderung nach dem AFBG einzubeziehen.
Vor allem aber ist notwendig, das Antrags- und Be-willigungsverfahren zu vereinfachen. Daß ausgerechnetSie, Frau Pieper von der F.D.P., die Sie mit ursächlichfür den Antragswust der vergangenen Jahre waren,
hier eine entsprechende Vereinfachung verlangen, findeich schon ganz besonders bemerkenswert.
Die Bundesregierung – so auch Herr StaatssekretärCatenhusen – hat wiederholt angekündigt, die Akzep-tanz des Programms zu erhöhen. Was soll dann alsonoch Ihr Antrag? Haben Sie keine Geduld, oder geht esIhnen nur darum, auf billige Art und Weise bei denHandwerkskammern hausieren zu gehen? Die Bundes-regierung und die sie tragenden Fraktionen jedenfallswerden eine ordentliche Akzeptanzverbesserung auf denWeg bringen, gemeinsam mit dem betroffenen Hand-werk, und damit die Mängel des AFBG, die MängelIhrer Regierungszeit, bereinigen.Herzlichen Dank.
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Karl-Heinz Scher-
hag.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lange,hier spricht der Präsident der HandwerkskammerKoblenz. Ich werde nachher im Laufe meiner Ausfüh-rungen noch darauf zu sprechen kommen. Das, was Sieüber die Aussage von Herrn Schleyer gesagt haben, istja nur die halbe Wahrheit. Herr Schleyer hat zwar be-dauert, daß die Mittel nicht in dem Maße, wie er sich dasvorgestellt hat, abgeflossen sind, aber er hat gleichzeitigdie Erweiterungen gefordert, die die CDU/CSU jetzt inihrem Antrag vorstellt, wobei Sie um Zustimmung ge-beten werden.
Denn im Grunde weiß das Handwerk genau, was fehlt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das vonder alten Bundesregierung verabschiedete Aufstiegs-fortbildungsförderungsgesetz war der richtige Weg, umzur Unterstützung der beruflichen Qualifikation zu-künftiger Meister eine finanzielle Hilfe zu geben, Exi-stenzgründungen zu erleichtern und damit Vorausset-zungen für Betriebsübernahmen zu schaffen. Auchhat das Gesetz erstmals seit Bestehen der Bundesrepu-blik einen Rechtsanspruch auf staatliche Unterstüt-zung beruflicher Aufstiegsförderung festgeschrieben.Das ist richtig, Herr Lange. Nach nunmehr drei Jahrenist der richtige Zeitpunkt gekommen, die Erfahrungenmit Förderprogrammen zu analysieren und entspre-chend zu erweitern.Es ist zwar richtig, daß die im Haushalt jährlich vor-gesehenen Mittel bisher nicht voll ausgeschöpft wurden.Doch falsch ist, wenn die neue Bundesregierung denSchluß zieht, die Mittel um 40 Prozent zu kürzen,
ohne die Gründe für die Nichtausschöpfung zu ermit-teln. Verwunderlich für mich ist dies insbesondere vordem Hintergrund der Tatsache, daß diese Regierung an-getreten ist, besondere Priorität darauf zu legen, denAbbau der Arbeitslosigkeit zu bewirken. Mit der Kür-zung wird doch genau das Gegenteil erreicht,
weil wir mehr selbständige Meister brauchen und des-halb mehr Hilfe gegeben werden muß. Ich hätte von die-ser Regierung erwartet, daß sie dem Parlament denlängst fälligen Erfahrungsbericht vorlegt und darausdie entsprechenden Konsequenzen zieht.
Statt dessen wurde der Erfahrungsbericht nach meinerInformation – ich habe eine sehr gute aus dem Ministe-rium – zwischen dem Bildungs- und dem Wirtschafts-ministerium hin- und hergeschoben, ohne daß er bisherdem Kabinett oder dem Parlament zur weiteren Bera-tung vorgelegt wurde.
Ich hoffe nicht, daß hinter dieser Handhabung einewohlüberlegte Taktik der Regierung steht, den großenBefähigungsnachweis zu unterlaufen, um damit dieMeisterprüfung auf Dauer einzufrieren, wie es imKoalitionsvertrag beschrieben wird. Dort heißt es näm-lich, der Meisterbrief solle auch nach der Selbständig-machung parallel erworben werden können. Meine Da-men und Herren, wir alle wissen, daß dies für einen jun-gen Unternehmer nicht möglich ist; er hat weder dieMittel noch die Zeit dafür. Das heißt, das muß vorhergeschehen.
Wenn dies so wäre, hätte die Kürzung der Mittel ausSicht der Regierung einen Sinn; denn dann würden inder Tat noch weniger Anträge gestellt.Die CDU/CSU hat mit ihrem Antrag wesentlicheVerbesserungen der Förderbedingungen vorgelegt, umden Betroffenen mehr Anreiz für die Inanspruchnahmezu bieten, weil sie aus der Praxis weiß, daß Veränderun-gen des Gesetzes vorgenommen werden müssen. Hiersind wir dem Handwerk, dem ZDH, und den Verbän-den entgegengekommen. Ich möchte darauf verzichten,die Punkte unseres Antrags im einzelnen darzustellen,da dies meine Kolleginnen und Kollegen bereits getanhaben.Christian Lange
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Als selbständiger Handwerksunternehmer und auchals Träger eines Ehrenamts im Handwerk möchte ich dieGelegenheit wahrnehmen, Ihnen aus der Praxis ein paarBeispiele zu nennen, die die Erweiterung des Anspruchsrechtfertigen.Eine repräsentative Umfrage der HandwerkskammerKoblenz unter 1 500 Handwerksmeistern des Jahrganges1996/97 hat ergeben, daß für 60 Prozent der Befragtendas Hauptmotiv für die Meisterprüfung die Gründungoder Übernahme eines Betriebes, also die Selbständig-keit im Handwerk, ist. Dabei ist zu bedenken, daß jedeExistenzgründung im Schnitt – hier wurde gesagt: drei –zwischen drei und fünf neue Arbeitsplätze bringt, aberauch Ausbildungsplätze, die immer wieder vergessenwerden.
Angesichts des bevorstehenden Generationswechsels imHandwerk in den nächsten fünf Jahren, in denen minde-stens 200 000 Betriebe vor einer Übergabe aus Alters-gründen stehen, scheint mir dies ein gutes Ergebnis zusein.Die restlichen 40 Prozent der Befragten geben zurNichtselbständigkeit folgende Gründe an: unternehmeri-sches Risiko, fehlendes Eigenkapital. Trotzdem bin ichder Meinung, daß bei einer Veränderung der Förder-maßnahmen und mehr Hilfestellungen durch den Bundund die Länder die Bereitschaft zur Selbständigkeit nocherhöht werden kann; denn die Befragung hat auch ge-zeigt, daß viele junge Meister die bisherige Förderpraxisals nicht ausreichend ansehen.Nachdem die neue Bundesregierung mit ihrer Wirt-schafts- und Steuerpolitik das Risiko der unternehmeri-schen Selbständigkeit noch erhöht hat, sind wir meinerMeinung nach alle aufgerufen, die Bedenken der zu-künftigen Jungunternehmer durch gute Rahmenbedin-gungen zu zerstreuen.
Die Hemmnisse bei der Gründung und Übernahme vonBetrieben müssen abgebaut werden. Unternehmergeistund Gründermut dürfen nicht schon im Keim ersticktwerden. Wenn ein junger Mensch vor einem kaum zuüberblickenden Berg von Anträgen, Vorschriften undSchulden steht, wird er kaum den Weg in die Selbstän-digkeit suchen.
– Lieber Herr Schwanhold, das glauben Sie doch selbstnicht.
Man muß jungen Leuten die Chance geben, auch mit ge-ringen Mitteln Betriebe zu gründen. Sie sollten nichtschon vor der Betriebsgründung das angesparte Eigen-kapital belasten müssen.
Ich selbst habe meine Unternehmertätigkeit in einerGarage begonnen, was nach den heutigen Vorschriftenwahrscheinlich gar nicht mehr möglich wäre.
Wir müssen jungen Unternehmern realistische Chan-cen bieten und sie mit der notwendigen Liquidität aus-statten, damit die ersten schweren Jahre überstandenwerden.Meine Damen und Herren, es zeigt sich jetzt vorallem in den neuen Bundesländern, daß man Betriebenicht am Leben hält, wenn sie trotz guter Auftragslagevon Schulden und Abgaben aufgefressen und in denRuin getrieben werden. Das neue Steuerbelastungsge-setz wird dies noch verstärken. Es ist falsch, daß dieneue Regierung von Entlastungen für kleine und mittel-ständische Unternehmen von 5,5 Milliarden DM spricht,obwohl sie weiß, daß dies eine Nullnummer ist.Die Wirtschaftspolitik der neuen Regierung hinterläßtfür Unternehmer den Eindruck, als habe man ein altesFolterinstrument der Wirtschaft aus dem Museum ge-nommen. Jetzt beginnt man, die Daumenschrauben derBelastung bis zur letzten Drehung fest anzuziehen. Dannerfolgt der Aufschrei aus dem Unternehmen. Und wasmacht man? – Man dreht zwei Umdrehungen zurückund spricht von Entlastung. So kann man junge Unter-nehmer und angehende Meister jedenfalls nicht davonüberzeugen, Risiken einzugehen.
Wenn Sie mich jetzt fragen, was dies alles mit demMeister-BAföG zu tun hat, so entgegne ich Ihnen: Diesalles sind Ursachen dafür, daß das Förderangebot auchkünftig nicht im erhofften Maße beansprucht wird. Nurwenn der Staat attraktive Rahmenbedingungen setzt, istder Schritt in die Selbständigkeit erstrebenswert. Dannwird er auch gegangen.
Dazu gehört aber zunächst, daß die bestehenden För-derbedingungen attraktiver gestaltet werden. Der vonCDU und CSU vorgelegte Antrag bezweckt, daß jungeMenschen die wichtige Voraussetzung zur Unterneh-mensgründung, den Meisterbrief, leichter erlangenkönnen. Der Meisterbrief ist ein Qualitätssiegel für dieausgezeichnete Ausbildung in Deutschland sowie daserstrebenswerte Sprungbrett in die Selbständigkeit.Liebe Frau Wolf, Sie werden nicht bestreiten können:Wenn Sie Ihre Vorschläge in Zukunft durchsetzen wol-len, dann werden Sie niemanden haben, der diese Aus-bildung durchführt. Sie werden ein neues System inDeutschland brauchen.
Kleine und mittlere Betriebe sind die besten Sozial-partner. Deshalb enthält der Antrag der CDU/CSU-Fraktion Verbesserungen bei den Förderbedingungen indieser Phase der Ausbildung.
Karl-Heinz Scherhag
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Es ist doch zum Beispiel nicht einzusehen, warumangehende Meister im Rahmen des Meister-BAföGschlechtergestellt sind als Studenten. Deshalb muß derZuschußanteil der Förderbeträge auf 50 Prozent an-gehoben werden, und die Dauer der Förderung mußwie in der universitären Ausbildung bis zum Ablegender letzten Prüfung ausgeweitet werden.
Ebenso muß der Aspekt des verstärkten Anreizes füreine Existenzgründung konsequenter in den Vorder-grund gestellt werden, indem die Regelungen für denDarlehenserlaß im Rahmen des Meister-BAföGsfreundlicher gestaltet werden. Demjenigen, der die Vor-aussetzungen für den Erlaß erfüllt und erfolgreich einUnternehmen gegründet hat, sollten zwei Drittel desDarlehens erlassen werden.Meine Damen und Herren, wer Existenzgründungenwill, wer Arbeitsplätze schaffen will, wer Betriebsüber-nahmen erleichtern will, der muß eine solide, über-schaubare Wirtschafts- und Steuerpolitik machen. DieCDU/CSU wird nicht hinnehmen, daß der Mittelstandund das Handwerk der Lastesel dieser Nation werden.Wir werden die Versprechungen der Koalition und ihreUmsetzung verfolgen, im Interesse unserer Betriebe undunseres Landes.
Das Wort hat nun als
letzter in dieser Debatte der Kollege Klaus Barthel,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Für den Antrag,den die Union heute hier gestellt hat, können wir eigent-lich nur dankbar sein; denn er liefert zunächst nur eins,nämlich die niederschmetternde Bilanz in puncto Unter-nehmensgründungs- und Mittelstandspolitik der voraus-gegangenen Regierung: 500 000 fehlende Betriebsleiter,möglicherweise 300 000 fehlende Betriebsnachfolger indiesem und im nächsten Jahr – und das, obwohl die Pro-bleme seit Jahren bekannt sind, die Sie heute plötzlichals etwas Neues entdecken.Aber auch Ihr angeblich „wirksames Mittel“ – wieSie schreiben – des AFBG ist nur ein sehr bescheidenesPflänzchen in dieser alles andere als blühenden Land-schaft. Selbst wenn man Ihre Zahlen, die für uns nichtnachvollziehbar sind, zugrunde legt, fällt erst einmalfolgendes auf: Sie schreiben, 780 Millionen DM sindausgegeben worden, und es hat 100 000 Meisterinnenund Meister gegeben. Wenn ich das einmal umrechne,sind das sage und schreibe 7 800 DM pro Empfängerinund Empfänger. Davon wird ein großer Teil, nämlichfast 90 Prozent, als Darlehen gewährt. Da muß mandoch sagen: Das sind wirklich beeindruckende Beträgefür eine Fortbildung, die mindestens viele Monate, man-che sogar bis zu drei Jahren dauern.
Das soll dann auch noch ein Beitrag zur Förderungvon Unternehmensgründungen sein! Dazu muß ich sa-gen: In der Relation dazu sind doch „Peanuts“ Kokos-nüsse. Es ist also kein Wunder, daß das gutgemeinte Ge-setz, das wir damals mangels anderer Mehrheiten undDurchsetzungsmöglichkeiten mitgetragen haben, beiweitem nicht den Zuspruch gefunden hat, den Sie er-wartet haben. Sie haben Jahr für Jahr Beträge in denHaushalt geschrieben, für die es keine Nachfrage gab.So wurden trotz einer Berechnungsgrundlage von90 000 Teilnehmern im Jahr 1997 nur 50 000 gefördert.Zuletzt dürfte gerade einmal ein Drittel der ohnehinschon reduzierten Mittel abgerufen worden sein. Dereinzige Nutznießer dieses berufsbildungspolitischenPapiertigermodells war Herr Waigel, der aus dieserSparschweinaktion am Jahresende jeweils dreistelligeMillionenbeträge zurückbekommen hat.
In der Amtszeit der Regierung von Union und F.D.P.waren diese Defizite von Anfang an bekannt – zum Bei-spiel durch die Anhörung im Ausschuß, zum Beispieldurch unsere Kleine Anfrage. Es gab keine Korrekturen,dafür aber neue Füllmengen für die Sparschweine undfür die Selbstdarstellung.
Einer der von Ihnen genannten Hauptzwecke desAFBG, nämlich die Förderung beruflicher Selbständig-keit, wurde erst recht bei weitem verfehlt. Ein Hinweisdarauf sind die wenigen Anträge auf Darlehenserlaßnach erfolgter Unternehmensgründung. Man muß sichdas einmal vorstellen: Die Zahl dieser Anträge bewegtsich im Vergleich zur Zahl der Teilnehmerinnen undTeilnehmer an den Maßnahmen im Promillebereich.Nach diesen äußerst bescheidenen Ergebnissen IhrerAufstiegsfortbildungsförderung liest sich der heutigeAntrag der CDU/CSU wie ein hilfloser Versuch derBewältigung der eigenen Vergangenheit. Meister kön-nen Sie damit nicht mehr werden, denn bekanntlich gilt:Früh übt sich, wer ein Meister werden will!
Immerhin üben Sie jetzt wenigstens. Sie schlagen eineganze Reihe von Verbesserungen vor, über die zu redensich tatsächlich lohnt.
Ich denke an Erleichterungen bei Existenzgründungen,Entbürokratisierung, Ausdehnung der Förderungs-dauer auf die Prüfungsphase und Verbesserungen fürFrauen. Das alles bleibt aber insgesamt bruchstückhaftund kann nicht heute im Schnellschuß behandelt werden.
Ich will Ihnen die vier Hauptgründe dafür nennen,warum wir heute keine Entscheidung treffen wollen:Erster Grund: Wir brauchen eine gründliche Analyseund Auswertung der bisherigen Erfahrungen.
Karl-Heinz Scherhag
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Genau das haben Sie seinerzeit, als wir es gefordert ha-ben – auch daran kann ich mich noch sehr gut erinnern –,abgelehnt; in Ihrer Regierungszeit wurde so etwas nichtgeleistet. Wir haben gerade von Herrn Catenhusen ge-hört, daß derzeit ein Bericht in Arbeit ist. Wir solltenwenigstens diesen Bericht abwarten und können dannüber seine Ergebnisse diskutieren.Zweiter Grund: Einige Elemente des AFBG beziehensich bekanntlich auf BAföG-Regelungen. Zum einenhat sich das BAföG als zu bürokratisch herausgestellt,und zum anderen hat es sich nicht immer als der Le-benssituation der Menschen, um die es geht, angemessenerwiesen. Elterliche Wohnung, Unterhaltsbedarf, Maß-nahmebeiträge und Überschneidungsbereich Fachschu-len sind ein paar Stichworte für diese Tatsache.Wie wir heute vormittag gehört haben, steht eineBAföG-Reform an. Deshalb macht es doch überhauptkeinen Sinn, gesetzliche Regelungen jetzt losgelöst vonden Zielen und Ergebnissen dieser BAföG-Reform zuändern, die sich dann auf überholte Vorschriften undStrukturen beziehen würden, so daß gleich wieder einNachbesserungsbedarf entstünde.
Dritter Grund: Wir halten es für erforderlich, dasThema Aufstiegsfortbildung auch im Zusammenhangmit der gesamten Weiterbildungsdiskussion zu sehen,die bekanntlich den Schwerpunkt unserer Regierungs-arbeit darstellt. Das Thema gehört auch in das „Bündnisfür Arbeit“. Dabei geht es aus meiner Sicht beispiels-weise um Fragen wie Weiterbeschäftigung und Frei-stellung. Da entsprechende Regelungen fehlen, könnenviele den Schritt zu einer Weiterbildung oder zu einerAufstiegsfortbildung gar nicht riskieren. In diesem Zu-sammenhang geht es auch um Lohnersatzleistungen;demzufolge ergeben sich aus meiner Sicht Berührungs-punkte zur Arbeitsmarktpolitik.Vierter Grund – damit sind wir beim Geld –: BeimGeld, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,hört der Spaß bekanntlich auf – auch mit Ihnen. Siestellen heute wieder einmal einen wohlfeilen Antrag, deretwas kostet, sagen aber nichts darüber, wo das Geldherkommen soll. Aber das ist ja nicht alles. Sie verste-hen sich doch zusammen mit der F.D.P. hier als Sprach-rohr derjenigen, die auf Grund der Steuerschlupflöcherauf den Milliarden sitzen, die Herr Waigel in den ver-gangenen Jahren unter ganz wenigen reichlich verteilthat.
Sie überschlagen sich jeden Tag mit maßlosen Steuer-senkungsforderungen und schwätzen Betriebe undUnternehmen ins Ausland, bloß weil wir ein bißchen ge-rechtere Steuergesetze gemacht haben. Jeden Tag erhe-ben Sie Forderungen nach neuen Geschenken an dieWirtschaft.Sie reden hier immer vom Mittelstand und vomHandwerk – wenn Sie das dürfen, dann darf auch meinVorredner hier sprechen –, obwohl Sie im Grunde ge-nommen ganz andere Interessen vertreten, nämlich dieInteressen der großen Steuersparer. Gleichzeitig stellenSie neue Programme auf, in deren Rahmen Sie von unsneue Ausgaben fordern.Ich schlage Ihnen vor: Wenn wir ernsthaft darüber re-den wollen, dann sollten wir über den Gesamtzusammen-hang reden. Alle fordern Aus- und Weiterbildung. Dashaben wir gerade erst heute wieder gehört. Auch die Un-ternehmer- und Arbeitgeberverbände fordern dies. DieBetriebe brauchen qualifiziertes Personal, also auch Mei-sterinnen und Meister sowie Technikerinnen und Techni-ker. Die Wirtschaft braucht Unternehmensgründer.Deswegen erlaube ich mir heute zu fragen: Was tra-gen die Arbeitgeber und Unternehmer sowie ihre Ver-bände zur der von ihnen ständig geforderten Weiterbil-dung bei, wenn denen gleichzeitig jede Mark Steuernzuviel ist? Sie haben diesen Zusammenhang selbst the-matisiert. Die Vertreter des DIHT haben in den Anhö-rungen darauf hingewiesen, daß es auch um Freistel-lungsregelungen und um die Entgeltfortzahlung bei derWeiterbildung geht. Ich meine, man kann und muß mitden Arbeitgebern über dieses Thema im „Bündnis fürArbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ und imGesamtzusammenhang reden. Auch dorthin muß sichIhr heutiger Antrag richten.Sie sehen also, wir verschließen uns den Anliegenund den meisten Forderungen in der Tendenz nicht.Aber wir sind der Meinung, daß diese Anliegen nichtisoliert, sondern im richtigen Zusammenhang betrachtetund auf eine solide Grundlage gestellt werden müssen,also auf gut deutsch: gründliche Lösung statt Lensing-Gericht.
Zum Schluß möchte ich sagen: Wenn Sie von derUnion sich heute einbilden, uns anzutreiben, dann kannich nur als Beispiel den jetzt beginnenden Frühling an-führen: Es wächst und blüht, und ab und zu kann mansehen, wie welkes Laub durch das, was wächst, nachoben getragen wird. Sie unterscheiden sich von diesemwelken Laub nur durch Ihren Glauben, daß Sie es sind,die die Dinge zum Wachsen bringen.
Sie glauben, weil Sie von den Kräften der Zukunft ge-tragen werden, daß Sie es sind, die nach oben wachsen.Aber es wird nicht lange dauern, bis das welke Laubseinen Platz, wo es hingehört, findet. Außer Ihnen dürftees in der Republik kaum jemanden geben, der IhrerVerwechslung von Schein und Wirklichkeit aufsitzt.
Ich schließe dieAussprache und weise darauf hin, daß wir gleich zueinigen Abstimmungen kommen.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlageauf Drucksache 14/541 an die in der Tagesordnung auf-geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damiteinverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann istdie Überweisung so beschlossen.Klaus Barthel
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Wir kommen jetzt zu Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16abis 16c sowie Zusatzpunkt 3 auf: 16a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zurÄnderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch
– Drucksache 14/580 –Überweisungsvorschlag:
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 17. Januar 1995 zwischen derBundesrepublik Deutschland und dem Unab-hängigen Staat Papua-Neuguinea zur Vermei-dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebietder Steuern vom Einkommen und vom Ver-mögen– Drucksache 14/486 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß c) Beratung des Antrags der Präsidentin des Bun-desrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 1998– Einzelplan 20 –– Drucksache 14/498 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuß ZP3 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem No-tenwechsel vom 29. April 1998 über dieRechtsstellung der dänischen, griechischen,italienischen, luxemburgischen, norwegischen,portugiesischen, spanischen und türkischenStreitkräfte in der Bundesrepublik Deutsch-land– Drucksache 14/584 –Überweisungsvorschlag:
haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungHaushaltsführung 1998Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe
– Drucksachen 14/231, 14/305 Nr. 1.5, 14/475 –Berichterstattung:Abgeordnete Antje-Marie SteenManfred KolbeJürgen KoppelinDr. Christa LuftAntje HermenauVizepräsidentin Anke Fuchs
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d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungHaushaltsführung 1998Überplanmäßige Ausgabe im Einzelplan 23Kapitel 23 02 Titel 896 03 –Bilaterale Technische Zusammenarbeit mitEntwicklungsländern –– Drucksachen 14/236, 14/305 Nr. 1.6, 14/476 –Berichterstattung:Abgeordnete Antje HermenauDr. Emil SchnellMichael von SchmudeJürgen KoppelinDr. Christa Luft e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungHaushaltsführung 1998Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel25 02 Titel 642 01 – Wohngeld nach demWohngeldgesetz– Drucksachen 14/263, 14/305 Nr. 1.7, 14/477 –Berichterstattung:Abgeordente Dietrich AustermannDietmar Schütz
Matthias BerningerDr. Günter RexrodtDr. Christa Luft f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungHaushaltsführung 1998Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabebei Kapitel 17 10 Titel 681 01
– Drucksachen 14/210, 14/305 Nr. 1.4, 14/478 –Berichterstattung:Abgeordnete Antje-Marie SteenAntje HermenauJürgen KoppelinDr. Christa LuftManfred KolbeWer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? – Ge-genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlußempfehlun-gen sind angenommen.Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 17g:Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Im-munität und Geschäftsordnung zuder Unterrichtung durch das Europäische Parla-mentEntschließung des Europäischen Parlamentszu dem Entwurf eines Statuts für die Abge-ordneten des Europäischen Parlaments– Drucksachen 14/342 Nr. 1.8, 14/575 –Berichterstattung:Abgeordnete Anni Brandt-ElsweierJoachim HörsterWer stimmt für diese Beschlußempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-schlußempfehlung ist damit angenommen.Wir kommen jetzt zu den Beschlußempfehlungendes Petitionsausschusses, zunächst zu Tagesordnungs-punkt 17h:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 25 zu Petitionen– Drucksache 14/558 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Die Sammelübersicht 25 ist bei wenigenEnthaltungen angenommen worden.Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 17i:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 26 zu Petitionen– Drucksache 14/559 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 26 ist einstimmigangenommen worden.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17j:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 27 zu Petitionen– Drucksache 14/560 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 27 ist bei einigenEnthaltungen angenommen worden.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17k:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 28 zu Petitionen– Drucksache 14/561 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 28 ist bei einigenEnthaltungen angenommen worden.
– Diese Sammelübersicht ist bei geschlossener Enthal-tung der PDS-Fraktion angenommen worden.Vizepräsidentin Anke Fuchs
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Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17l:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 29 zu Petitionen– Drucksache 14/562 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 29 ist bei geschlossenerAblehnung der PDS-Fraktion angenommen worden.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17m:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 30 zu Petitionen– Drucksache 14/563 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 30 ist bei Ableh-nung der PDS-Fraktion angenommen worden.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17n:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 32 zu Petitionen– Drucksache 14/565 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 32 ist bei geschlos-sener Ablehnung der CDU/CSU-Fraktion angenommenworden.Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 17o:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 33 zu Petitionen– Drucksache 14/566 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 33 ist bei Gegenstim-men aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen worden.Wir kommen zum Zusatzpunkt 4a:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 34 zu Petitionen– Drucksache 14/647 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 34 ist bei Enthal-tung der PDS-Fraktion angenommen worden.Wir kommen zu Zusatzpunkt 4b:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 35 zu Petitionen– Drucksache 14/648 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 35 ist angenommenworden.Wir kommen zu Zusatzpunkt 4c:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 36 zu Petitionen– Drucksache 14/649 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 36 ist angenommenworden.Wir kommen zu Zusatzpunkt 4 d:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 37 zu Petitionen– Drucksache 14/650 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 37 ist angenommenworden.Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:Aktuelle StundeHaltung der Bundesregierung zur jüngstenKritik aus der BfA zur Praktikabilität derNeuregelungen der ScheinselbständigkeitDie Fraktion der F.D.P. hat diese Aktuelle Stunde be-antragt.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Leonhard Kolb, F.D.P.-Fraktion.Liebe Kolleginnen und Kollegen, denken Sie bittedaran, in der Aktuellen Stunde Ihre Redezeit von fünfMinuten nicht zu überschreiten.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Erst allmählich wird der Öf-fentlichkeit klar, welche verheerenden Folgen das vonder Koalition unlängst beschlossene Gesetz mit demscheinbar harmlosen Titel Gesetz zu Korrekturen in derSozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitneh-merrechte hat. Tausende selbständiger Existenzen wer-den vernichtet, Abertausende von möglichen Existenz-gründungen werden vereitelt.
Die Telefone stehen – hoffentlich nicht nur bei mir, son-dern auch bei Ihnen, Herr Gilges – nicht mehr still, weilbesorgte Auftraggeber wie Auftragnehmer fassungslosvor einem im Eilverfahren schludrig zusammengezim-merten Regelwerk stehen, das sich beim schnellen Griffnach dem Geld nicht lange mit den Realitäten und ge-wachsenen Strukturen in unserer Wirtschaft aufgehaltenhat und über moderne Entwicklungen wie eine Dampf-walze hinweggeht.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
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Jetzt hat auch die BfA, die zunächst in Erwartunghöherer Beitragseinnahmen glaubte, dem Gesetzeswerketwas abgewinnen zu können, Alarm geschlagen. IhrVorstandsvorsitzender Hans-Dieter Richardt hat jetztoffen zugegeben, die Durchsetzung des neuen Gesetzeswerde „nicht ohne Probleme abgehen“,
und es werde „lange dauern, bis wieder Rechtssicherheitfür die Unternehmen“ hergestellt sei.Um genau diesen Punkt geht es, meine Damen undHerren. Die Praktikabilität dieses Gesetzes ist nichtgegeben. Ich halte jede Wette, Herr Gilges, daß in derRegierungskoalition nur wenige Experten, wenn über-haupt welche, wirklich übersehen, was sie da angerichtethaben, was den Unterschied zwischen einem Schein-selbständigen, einem arbeitnehmerähnlichen Selbständi-gen und einem in Ihren Augen „richtigen“ Selbständigenausmacht und welche Rechtsfolgen sich vor allem daranknüpfen.
– Ja, sie wissen nicht, was sie tun.Es ist deswegen nur folgerichtig, daß sich namhafteZeitungen und Magazine in einzelnen Artikeln, ja inganzen Serien mit dem von Ihnen angerichteten Chaosbefassen und Branche für Branche, Wirtschaftszweig fürWirtschaftszweig aufzeigen, welche desaströsen Wir-kungen Ihre Gesetzgebung zeigen wird.
All diese Veröffentlichungen, Herr Gilges, kommen zudem gleichen Ergebnis: Die von uns befürchteten undvon Ihnen verdrängten Verluste von Selbständigkeit undArbeitsplätzen sind nur allzu realistisch.
Spediteure, Rechtsanwälte, Versicherungsvertreter,Architekten, Journalisten, Messebauer, Franchiseunter-nehmen, um nur einige zu nennen, sind in Gefahr, unterdie Räder rotgrüner Sozial- und Wirtschaftsideologie zukommen.
Das darf nicht sein. Deswegen fordern wir heute dieBundesregierung auf, Stellung zu beziehen.
Die Wirkungen Ihres verfehlten Ansatzes und dessenmangelnder Praktikabilität sind dreierlei:Erstens. Auf viele bisher Selbständige kommen Pro-bleme zu, weil Sie diese – in den allermeisten Fällen ge-gen deren erklärten Willen – in die Sozialversicherungzwingen wollen. Aber nicht einmal das bekommen Siegeregelt.
Das Schlimme ist, Herr Riester, daß Sie diese Men-schen bis zum letzten Augenblick im ungewissen überihre Zukunft lassen, weil Sie nicht fähig sind, ein klaresund einheitliches Verfahren zur Feststellung des Sach-verhaltes der von Ihnen so genannten Scheinselbstän-digkeit zu installieren. Die Praxis sieht dann so aus, daßjede Krankenkasse ihren eigenen Fragebogen hat, dervon Kasse zu Kasse, von Region zu Region unter-schiedlich ist. Die eine Kasse handhabt das Ganze etwaslockerer, die andere etwas rigider. Wer das Pech hat, andie falsche Kasse zu geraten, wird gegen seinen Willenzum Arbeitnehmer gemacht.
Manche Fragebögen sind suggestiv so aufgebaut, daßbei unbedarftem Herangehen in vielen Fällen am Endedie Scheinselbständigkeit oder die arbeitnehmerähnlicheSelbständigkeit steht. Ich habe es mir selbst angeschaut,und ich finde unerträglich, was hier läuft.
Zweitens. Noch mehr Unwägbarkeiten entstehen fürden bisherigen Auftraggeber, der Gefahr läuft, sich un-versehens als Arbeitgeber wiederzufinden. Er mußmöglicherweise für seinen bisherigen Auftragnehmer,der, weil Sie das so wollen, zukünftig sein Arbeitnehmerist, für bis zu vier Jahre Sozialversicherungsbeiträgenachentrichten und kann diese allenfalls für drei Monatevon seinem unfreiwilligen Mitarbeiter zurückfordern.Viele kleine, mittlere und große Unternehmen werdenals Folge dessen in den Konkurs getrieben.
Das gilt zum Beispiel für das Transportgewerbe. Auchdort sind die Gewinnmargen nicht so groß, daß solchezusätzlichen Kosten verkraftbar wären. Ich weiß voneinem größeren deutschen Logistikkonzern, daß erschlicht nicht in der Lage ist, für den im Sinne IhrerRegelung einschlägigen Kreis seiner Frachtführer dieSozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Hier werdenwirtschaftlich gesunde Unternehmen ganz bewußt inwirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht. Das ist unak-zeptabel.
Drittens. Die Neuregelung betrifft die Existenzgrün-der besonders hart. Ihnen wird in vielen Fällen dieMöglichkeit zur Gründung und Entwicklung eines eige-nen Unternehmens genommen, und zwar deshalb, weilkein Auftraggeber, der verantwortlich handelt, einemAnfänger in Zukunft einen größeren Auftrag erteilenkann; denn dieser Auftragnehmer landet dann, wenn ernicht mindestens ein Sechstel seiner Umsätze mit einemanderen Auftraggeber tätigt, ganz unweigerlich auf sei-ner Lohnliste. Die Folge ist – um ein Beispiel zu ge-ben –, daß Zeitungsverleger, Radiostationen und Fern-sehsender Aufträge nicht an in der Gefahr der Schein-selbständigkeit stehende freie Journalisten vergeben,sondern an große Agenturen, bei denen der Verdacht derScheinselbständigkeit gar nicht erst aufkommen kann.Dr. Heinrich L. Kolb
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Denken Sie bitte an
die Zeit.
Ich komme zum
Ende.
In anderen Bereichen ist es ähnlich: Bei den freien
Architekten, bei den freien Bauingenieuren, bei den frei-
en Informatikern und bei den Rechtsanwälten bleiben
Ihre vollmundigen Ankündigungen, den Mittelstand und
die Existenzgründer zu unterstützen, ohne Grund und
Boden. Die ersten Reaktionen zeigen sich bereits. Ich
jedenfalls beobachte mit Interesse und Freude die Er-
gebnisse der Meinungsumfragen bei den Entschei-
dungsträgern der Wirtschaft.
Ich kann Sie, Herr Riester, nur auffordern: Kehren
Sie um! Sie sind auf dem falschen Weg. Wenn Sie in der
rotgrünen Koalition keine Unterstützung finden, dann
seien Sie wenigstens so konsequent, zurückzutreten.
Danke schön.
Nun erteile ich dasWort dem Bundesarbeitsminister Walter Riester.Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-zialordnung: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Vor einer Woche hatte ich ein sehrkonstruktives Gespräch mit den Spitzenverbänden derKrankenkassen und der Rentenversicherungen. Die So-zialversicherungsträger haben mir zugesagt, die Neure-gelung zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit zügigdurchzuführen. Herr Kolb, ich darf Ihnen sagen, daß eshinsichtlich der Listen ein koordiniertes Vorgehen gebenwird. Außerdem werden die Betroffenen über die Inhalteder Neuregelung verstärkt informiert werden.Auch ich habe das Presseseminar über die Medienverfolgt. Deswegen möchte ich kurz eine Klarstellungabgeben: Dieses Gesetz ist von der Bundesversiche-rungsanstalt für Angestellte stark beeinflußt worden. Icherinnere daran, daß meine Partei, die SPD, 1997 einenGesetzentwurf zur Scheinselbständigkeit vorgelegt hat.Die damals vorgesehenen Regelungen entsprechen fastexakt dem heute beschlossenen Gesetz.
Die BfA vertrat damals die Auffassung, daß die Ver-mutungsregelung allein zuwenig bewirke, weil es aufeine Gesamtschau der jeweiligen Erwerbstätigkeit an-komme. Deshalb hat sie damals vorgeschlagen, den Ka-talog der versicherungspflichtigen Selbständigen um ei-ne weitere Gruppe zu ergänzen, nämlich um die der ar-beitnehmerähnlichen Selbständigen.
Ich verweise auf Seite 35 und auf Seite 38 des Wort-protokolls der 103. Sitzung des Ausschusses für Arbeitund Sozialordnung vom 11. Juni 1997. Uns waren dieErfahrungen und die Kompetenz der BfA wichtig. Wirhaben den Vorschlag aufgegriffen.
Diese Neuregelungen sind im Presseseminar der BfAam 22./23. März nicht in Frage gestellt worden. Ich habedas Protokoll nachgelesen: Es war lediglich zur neuge-schaffenen Vermutungsregelung und zur Neuregelungder arbeitnehmerähnlichen Selbständigen auf folgendeshingewiesen worden – ich zitiere –: „AbschließendeBewertung ist erst in einiger Zeit möglich.“ Das ist fürmich fast eine Banalität, eine Erkenntnis, die bei gesetz-lichen Neuregelungen nicht gerade umwerfend ist unddie Schlagzeile von vor zwei Tagen meiner Meinungnach nicht rechtfertigt.
Die BfA hat nach wie vor allen Grund, das Gesetz inseiner Umsetzung zu unterstützen. Vor allem sie hat sichin der Vergangenheit dafür stark gemacht, die Flucht ausder Sozialversicherung durch geeignete Maßnahmen ge-gen Scheinselbständigkeit zu stoppen. Scheinselbstän-digkeit ist ein Synonym für unfairen Wettbewerb, fürSozialdumping und für unzureichende soziale Absiche-rung. Wir alle kennen doch die Beispiele von den selb-ständigen Kellnern und den selbständigen Ausliefe-rungsfahrern. Sie sind in der Regel Arbeitnehmer, häufigallerdings unter Tarif bezahlt und sozial unzureichendabgesichert. Diese Beschäftigungsverhältnisse haben in-zwischen ein gravierendes Ausmaß angenommen.
Solche Auswüchse haben wir sofort nach dem Regie-rungswechsel gestoppt.
Dafür haben wir geltendes Recht, das früher Einzelfallfür Einzelfall in Gerichtsverfahren hergestellt werdenmußte, kodifiziert.
Wenn man beachtet, wie Sie, meine Damen und Her-ren von der F.D.P., gebetsmühlenhaft Ihre Kritik an un-serem Gesetz wiederholen, dann drängt sich für michder Eindruck auf: Es ist ein Plädoyer für Scheinselb-ständigkeit.
Lassen Sie mich noch einmal verdeutlichen, um wases geht. Die Neuregelung erleichtert es, Scheinselbstän-digkeit zu erfassen,
sichert den Betroffenen dauerhaft sozial ab, schützt dieSozialversicherungen davor, daß ihre Beitragsbasis
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weiter abbröckelt, und schafft wieder faire Wettbe-werbsbedingungen.
Damit haben wir die Grenzen zwischen Selbständigenund Nichtselbständigen nicht verschoben, sondern klardefiniert. Scheinselbständige sind tatsächlich Arbeit-nehmer und seit jeher sozialversicherungspflichtig. Daist überhaupt nichts Neues geschehen.Das Problem ist jedoch, daß man mit diesen unge-schützten Arbeitsverhältnissen im allgemeinen erst beiBetriebsprüfungen konfrontiert wird. Deshalb haben wirdie Beweislast umgekehrt:
Wird eine Arbeitnehmertätigkeit vermutet, dann ist esSache des Betreffenden oder des Auftraggebers, dasVorliegen einer echten Selbständigkeit nachzuweisen.
Sie sollen die Fakten auf den Tisch legen, nicht die So-zialversicherungsträger, die im Regelfall überfordert wä-ren.
Es geht also nicht darum, Selbständige zu abhängigBeschäftigten zu machen, sondern es geht darum, solcheBeschäftigten besser zu erfassen, die bisher unter Um-gehung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriftenals Selbständige aufgetreten sind.
Bei den Scheinselbständigen geht es eben nicht umSelbständige, sondern um Arbeitnehmer. Wenn die Neu-regelung jemanden belastet, dann doch nur die Auftrag-geber, die von der unzureichenden sozialen SicherungScheinselbständiger profitieren. Die wollen wir belasten.
Wir haben mit den Sozialversicherungsträgern ge-meinsam klargestellt, daß jemand, der nur durch dieneue Vermutungsregelung als scheinselbständiger Ar-beitnehmer eingestuft wird, nicht rückwirkend sozial-versicherungspflichtig wird, sondern erst ab dem 1. Ja-nuar 1999; das ist ganz wichtig.
– Für die Auftraggeber gilt das auch. – Das gilt natürlichnicht – das sage ich auch klar; da muß man ein gemein-sames Interesse haben –, wenn die Versicherungspflichtauch nach dem bisher geltenden Recht schon bestand,aber umgangen wurde.
– Was heißt hier „Aha!“? Das wäre ja noch schöner.Wir weisen die Kritik von Interessenverbänden zu-rück, daß unser Gesetz Existenzgründern den Weg in dieberufliche Selbständigkeit erschwert.
Wer Existenzgründer ist und Fördermittel bekommt, istSelbständiger.
Echte Existenzgründer werden durch die neue Renten-versicherungspflicht für arbeitnehmerähnliche Selbstän-dige nicht unangemessen belastet. Für sie sind Beitrags-erleichterungen vorgesehen: In den ersten drei Jahrenzahlen sie nur den halben Regelbeitrag, bei niedrigeremEinkommen unter Umständen noch weniger; bei ernst-haften Zahlungsproblemen können die Beiträge sogargestundet werden. Daß von dieser Möglichkeit Ge-brauch gemacht wird, würde ich mir für manchen Be-schäftigten sogar wünschen.Im übrigen war fast jeder Existenzgründer vorher Ar-beitnehmer und hatte damit in der Regel einen Berufs-und Erwerbsunfähigkeitsschutz in der Rentenversiche-rung erworben. Er hat daher selbst ein Interesse daran,diesen Schutz in der Anlaufphase aufrechtzuerhalten.Als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger behält er seineAnsprüche, indem er Pflichtbeiträge zur Rentenversiche-rung weiterzahlt.Die getroffenen Maßnahmen müssen sich natürlich inder Praxis bewähren. Wenn es Anfangsschwierigkeitengeben sollte, dann wäre das – wie bei jedem Gesetz –zuerst einmal normal.
Wenn sich der eine oder andere umstellen muß, dann istauch das normal. Aber wer sich scheut, sich umzustellenund Anfangsschwierigkeiten zu überwinden, dem wirdes wohl auch kaum gelingen, Gesetze, die die Realitätgestalten, auf den Weg zu bringen.
Meine Damen und Herren von der F.D.P., Sie habendiese Scheu gerade in der Frage der Scheinselbständig-keit jahrelang unter Beweis gestellt. Nehmen Sie es hin,daß wir den Mut haben, die Sache anzugehen.
Das Wort hat nundie Kollegin Birgit Schnieber-Jastram, CDU/CSU-Fraktion.
Bundesminister Walter Riester
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Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Was Sie, Herr Rie-
ster, hier als Wunderwerk verkaufen, ist schon, wie es
organisiert und angelegt wurde, ein Unwerk, um es
Ihnen deutlich zu sagen. Dieses dicke Papier – die
Richtlinien der Sozialversicherungsträger – enthält die
Auslegung von nur zwei Paragraphen.
Wer soll das eigentlich alles durcharbeiten? Die Richt-
linien der Sozialversicherungsträger zu diesem einzigen
Gesetz sind ein Wust von Papier. Ich wünsche Ihnen
wirklich viel Vergnügen bei der Umsetzung dieses Ge-
setzes. Es wird ein Flop werden, Herr Riester.
Wir haben hier oft über dieses Problem diskutiert.
Trotz der Notwendigkeit, Flexibilisierung zu ermögli-
chen, muß sichergestellt sein – das ist immer unsere
Position gewesen –, daß für schutzwürdige Personen
auch in Zukunft ein ausreichender Versicherungsschutz
besteht. Weiterhin muß sichergestellt sein – das ist eben
nicht sichergestellt –, daß die fortschreitende Flexibili-
sierung der Beschäftigungsformen und damit das Ent-
stehen neuer Formen der Selbständigkeit nicht behindert
werden. An dieser Stelle sehe ich nur deutliche Fehllei-
stungen.
Durch so einen Schnellschuß, wie Sie ihn hier wieder
einmal gemacht haben, dieses Problem in den Griff be-
kommen zu wollen kann gar nicht funktionieren.
Ich wundere mich schon sehr, daß aus den Reihen der
Grünen und der SPD immer wieder Äußerungen zu hö-
ren waren wie: Wir wollen eine zweite Chance für die
Wirtschaft; das Gesetz zur Begrenzung der Scheinselb-
ständigkeit muß überprüft werden. Der Kollege Bury hat
gesagt, Existenzgründer dürften während ihrer Startpha-
se nicht behindert werden.
Und was passiert? Nichts passiert. Sie lassen sich, lieber
Herr Riester – das tut mir ja leid –, mal ein Stückchen
vom Bundeskanzler, mal von der Fraktion wie an einem
Gängelband durch die Gegend führen, ohne daß Sie
wirkliche Lösungen im schwierigen Bereich der Sozial-
politik vorlegen.
Ich fordere Sie an dieser Stelle auf: Machen Sie die-
ses Spielchen nicht mehr mit, auch nicht in anderen Be-
reichen, wie bei der Rente. Heute hü, morgen hott, rin
und rut, je nachdem, was Bundeskanzler Schröder in
seinem vornehmen Brioni-Anzug, in dem innen viel-
leicht noch eine Plakette „Für Solidarität und Gerechtig-
keit“ angebracht ist, Ihnen in das eine oder andere Ohr
flüstert, laufen Sie an seinem Gängelband durch die Ge-
gend. Dadurch laufen Sie Gefahr, daß Sie auf Dauer die
Sozialsysteme in eine Situation bringen, die noch viel
schwieriger sein wird, als sie ohnehin schon ist. Machen
Sie dies nicht mehr mit!
Nun erteile ich dasWort der Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/DieGrünen.
ren! Ich kann Sie beruhigen, Frau Schnieber-Jastram:Wir werden den Kurs halten. Wir wollen nämlich jededauerhafte Beschäftigung in die Sozialversicherung ein-beziehen.
– Aber ja, das ist unser Ziel und bleibt auch unser Ziel.Sie wissen genausogut wie wir, daß das dringend nötigist.In den letzten Jahren hat die Zahl der Arbeitsverhält-nisse ohne vernünftige Absicherung unglaublich zuge-nommen: Ich meine Minjobs unterhalb der Sozialversi-cherungsgrenze, Werkverträge, Befristungen, Ketten-verträge und eben auch die Scheinselbständigkeit.
Ich will klarmachen, worum es dabei eigentlich geht;denn: ich habe den Eindruck, daß Sie in dieser Debatteschlichtweg das Problem verdrängen, das Sie selbst mit-verursacht haben. Es geht zum Beispiel um den Trans-portfahrer, der von seinem Arbeitgeber aus der Sozial-versicherung herausgedrängt wird, weil der Arbeitgeberdie Kosten für die Sozialversicherung nicht bezahlenwill. An der Tätigkeit des Transportfahrers ändert sichnichts. Er hat auch keinen größeren Handlungsspiel-raum, was für Selbständigkeit spräche. Er gewinnt nichtsdazu, aber er verliert.
– Sie haben vielleicht gleich noch Gelegenheit, zu reden.Hören Sie doch mit Ihren unqualifizierten Zwischenru-fen auf!
Der Transportfahrer ist dann nicht etwa selbständig,er gewinnt nichts dazu, aber er verliert seine soziale Ab-sicherung. Das ist kein Einzelfall, sondern erstreckt sichüber die unterschiedlichsten Branchen: von der selb-ständigen Regalauffüllerin im Kaufhaus bis zur Kellne-rin, die an der Theke die Tasse Kaffee einkauft und siedann am Tisch als Selbständige an den Kunden verkauft.
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2482 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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Arbeitgeber haben in den letzten Jahren immer mehrWege gefunden, sich um die Kosten für die Sozialversi-cherung zu drücken, sich aus ihrer sozialen Verantwor-tung zu stehlen und ihre Beschäftigten schlicht aus derSozialversicherung herauszudrängen. All diese Men-schen, sehr geehrte Kollegen von der F.D.P., die hierunter die Räder gekommen sind, haben Sie in den letz-ten Jahren nicht interessiert, und zwar nicht für fünfPfennig, und sie interessieren Sie offensichtlich auchheute nicht.
Es ist völlig unverantwortlich, wie Sie das Problem überlange Jahre haben wuchern lassen.Frau Schnieber-Jastram, Sie haben gesagt, wir hätteneinen Schnellschuß gemacht.
Da muß ich Ihnen sagen: Sie haben jahrelang Zeitgehabt, und Sie wissen genausogut wie wir, daß es hierein Problem gibt, das dringend der Regelung bedarf. Diealte Regierung war nicht imstande und schlicht nichtwillens, wenigstens irgend etwas zur Eindämmung desProblems zu unternehmen.
Das liegt gerade an den Deregulierern aus der F.D.P.,die sich heute als Rächer der Enterbten in die Breschewerfen.
Ein großer Teil der Schwierigkeiten, die bei der Um-setzung dieses Gesetzes unzweifelhaft auftauchen, sindgenau das Ergebnis davon, daß erst wir als neue Regie-rung uns diesem Problem gestellt haben. Wenn Men-schen über Jahre hinweg in dem von Ihnen angerichtetenChaos ihre Existenz aufbauen müssen, dann planen sienatürlich die Nischen, die sie darin gefunden haben,auch für ihre Zukunft ein. Wenn wir versuchen, dasChaos zu beseitigen, dann beseitigen wir selbstverständ-lich auch diese Nischen.
Dabei müssen wir – das darf ich selbstkritisch auchan unsere Adresse richten – die Betroffenen besserunterstützen, besser informieren und ihnen mit diesenInformationen eine andere Sicherheit bieten. Hier hat es– das räume ich ein – Versäumnisse gegeben. Aber wirgeloben nicht nur Besserung, sondern – das hat MinisterRiester eben schon gesagt – wir haben schon damit an-gefangen.
– Das kann ich Ihnen gerne sagen: Zum Beispiel gibt esinzwischen schriftliches Informationsmaterial, und esgibt eine Hotline des BMA, die Ihnen aber offensichtlichauch nicht paßt.Wir werden die Leute darüber informieren, weil wirgenau wissen, daß wir Raum für völlig verzerrte Dar-stellungen gegeben haben, mit denen – das muß ichIhnen und auch den Verbänden vorwerfen, die regel-recht den Rausschmiß von Mitarbeitern empfohlen ha-ben – Unsicherheit und Angst der Menschen geschürtworden sind. Das finde ich unverantwortlich.
Ihre Tiraden über die Existenzgründungen stimmendefinitiv nicht.
Sie wissen, es gibt einen Mindestbeitrag – auch davonist eine Befreiung möglich –, der bei monatlich 122 DMim Westen und 103 DM im Osten liegt. Wer das nichtbezahlen kann – das tut mir leid –, hätte besser keineExistenz gegründet.
Vier Jahre Rückwirkung – das ist eben angesprochenworden – wird es nicht geben. Es gibt eine Reihe vonanderen Informationen, die Sie der Hotline und auch denanderen Informationsquellen entnehmen können.
Ich glaube – das möchte ich hier noch einmal zu-sammenfassend darstellen –, daß wir einen Schritt in dierichtige Richtung gemacht haben. Ich glaube aber auch,daß dieser Schritt nicht ausreichen wird. Es hat sichnämlich auch gezeigt, daß die Machtverhältnisse amMarkt offensichtlich so sind, daß die Umgehungstatbe-stände von seiten der Arbeitgeber nicht auszuschließensind und daß wir uns damit auseinandersetzen müssen,wenn zum Beispiel Arbeitnehmer zu einer GmbH-Gründung erpreßt werden.
Das sage ich zum Beispiel für den Bereich der Trans-portfahrer, wo dann der Beweis erbracht werden muß,daß der Arbeitgeber auf gar keinen Fall riskiert, Sozial-versicherungsbeiträge zahlen zu müssen. Das, finde ich,kann die Lösung nicht sein.Lassen Sie mich als letzten Satz sagen: Wir müssengerade die Basis der Sozialversicherung verbreitern undmehr Menschen in die Sozialversicherung einbeziehen;das ist absolut dringend.
Annelie Buntenbach
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Wir brauchen eine soziale Absicherung auch für atypi-sche Beschäftigungsverhältnisse – darüber werden wirdiskutieren müssen –, aus denen kein typisches Be-schäftigungsverhältnis werden kann.
Da müssen wir auch über Modelle wie die Künstlersozi-alversicherung nachdenken, die für alle mehr soziale Si-cherheit bieten können.
Nun hat das Wort
die Kollegin Monika Balt, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Vorige Woche beantragtedie F.D.P. eine Aktuelle Stunde zu ersten Erfahrungenmit den Regelungen zur Bekämpfung der Scheinselb-ständigkeit. Dann zog sie diese zurück, was gut war,weil ja noch gar keine Erfahrungen vorliegen können.Danach beantragte sie eine Aktuelle Stunde zum Rück-tritt des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine
und zum Festhalten der Bundesregierung an ihren Steu-ergesetzen, um diese wieder zurückzuziehen und nunerneut die Aktuelle Stunde zur Scheinselbständigkeit aufdie Tagesordnung setzen zu lassen. Man sieht: Es gibtnicht nur rotgrünes, sondern auch blaugelbes Chaos.
Die PDS – dies haben wir in letzter Zeit mehrfachbetont – unterstützt das Bestreben der Bundesregierung,dem Mißbrauch verschiedener Formen von Scheinselb-ständigkeit entgegenzuwirken.
Uns geht es darum, zu verhindern, daß mit der schlich-ten Umbenennung von abhängig Beschäftigten in Selb-ständige der Ausstieg aus dem Sozialversicherungssy-stem für Arbeitgeber immer einfacher wird. Wir wollendie Aushöhlung des Solidarsystems endlich stoppen undnicht länger zulassen, daß Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer gegen ihren Willen in prekäre und nicht sel-ten in existenzbedrohende Arbeitssituationen gepreßtwerden.
Wer zum Beispiel – dies sind typische Problemfälle –als Kellnerin in der Küche das Essen kaufen muß, um esden Gästen dann zu verkaufen, oder wer als Kraftfahreraus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, seinen Lkw kau-fen oder leasen muß und die Verpflichtung auferlegt be-kommt, nur für dieses Unternehmen zu fahren, der istein Arbeitnehmer. Es geht darum, eine solche Situationzu verhindern. Herr Riester wies heute ebenfalls daraufhin.Das Gesetz zielt in die richtige Richtung. Es soll ver-hindern, daß Arbeitnehmer in die Scheinselbständigkeitgetrieben werden. Ausdrücklich ist nicht ausgeschlossenworden, Korrekturen vorzunehmen, wenn erste Erfah-rungen mit der Neuregelung vorliegen.
Aber es sind ja noch keine drei Monate vergangen.
Der Zeitraum ist viel zu kurz, um zu sagen: Wir habenechte fundierte Erfahrungen. Ich kann Ihre Panikmache,meine Damen und Herren von der F.D.P., nicht verste-hen.
Aber auch Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegenvon der Koalition, haben selbst für beträchtliche Unsi-cherheit gesorgt. Die Medien vermeldeten, daß bei einerspät festgestellten Scheinselbständigkeit der Arbeitgeberdie Sozialversicherungsbeiträge der vergangenen vierJahre nachzuzahlen hat,
was für viele Firmen den Konkurs bedeuten würde. Dementgegen steht die Information aus dem Arbeitsministe-rium, wonach die Rückforderung lediglich zum 1. Janu-ar 1999 möglich sein wird. Die Verwirrung zeigt, daßdie Bundesregierung hier an Information und Aufklä-rung noch einiges zu leisten hat.
Nun zur Kritik der BfA. Der Vorstand der BfA kriti-siert unter anderem, daß zum einen die Neuregelungenzum Teil undurchschaubar seien und daß sich zum ande-ren ein erheblicher Verwaltungsaufwand ergeben werde.Es würde mich schon sehr interessieren, wie hoch derAufwand beziffert wird und in welcher Relation er zuden zu erwartenden zusätzlichen Einnahmen in der Höhevon 200 Millionen DM steht. Ich weiß, daß bereits jetztbei der BfA in Berlin ein großer Stapel von Anträgenauf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231Abs. 5 SGB VI vorliegt, dessen Bearbeitung mindestensein halbes Jahr beanspruchen wird.Hier geht es doch vor allem um den sozialen Schutzder Betroffenen. Hilft ihnen das Gesetz oder nicht?
Das ist die zentrale Frage. Wir werden mit großer Auf-merksamkeit verfolgen, wie das Gesetz in der Praxisgreift. Werden die Unternehmer zu Ausweichstrategienübergehen und ihre Subunternehmer als sogenannte ar-beitnehmerähnliche Selbständige einordnen? WerdenEntlassungen und Angst vor Kündigungen zunehmen?Wird es einen Anstieg von illegaler Beschäftigung ge-ben? Oder führt das Gesetz – das ist unser Ziel – zuAnnelie Buntenbach
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2484 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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festen, zu ordentlichen und damit zu sozial gesichertenArbeitsverhältnissen?
Frau Kollegin Balt,
das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich
gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses.
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Birgit Roth,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Prä-sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Angesichts der doch sehrheftigen Debatte und vor allem auch der Polemik, die indieser Aktuellen Stunde bereits geäußert wurde,
möchte ich kurz die Gelegenheit ergreifen, wirklichsachlich – Herr Niebel, ich betone: sachlich – einigewichtige Zusammenhänge in bezug auf arbeitneh-merähnliche Selbständige zu erläutern.
– Vielleicht sollten wir einmal über den Ausdruck„Sachlichkeit“ reden.
Das seit dem 1. Januar 1999 gültige Gesetz berück-sichtigt natürlich auch Freiberufler, Existenzgründer undSelbständige, die in einer arbeitnehmerähnlichen Posi-tion arbeiten. Das heißt: Selbstverständlich hat die Bun-desregierung den speziellen Charakteristika der Berufs-gruppen Rechnung getragen. Lesen Sie es doch einfachmal nach! Es gibt besondere Konditionen für Existenz-gründer, Ausnahmeregelungen für die Jahrgänge vor1949, Übergangs- und Kompensationsregelungen. Wennbereits eine Altersversorgung besteht, wird diese natür-lich anerkannt.Wir wollen natürlich nicht einerseits Existenzgründe-rinnen und Existenzgründer durch Chancenkapital,durch Förderprogramme und durch innovative Preiseunterstützen, ihnen aber andererseits das wenige Geld,über das sie verfügen, gleich wieder abnehmen. Daskann es ja wohl nicht sein.Um nur einige Eckpunkte zu nennen: In den erstendrei Jahren wird nur die Hälfte der Beiträge für dieRentenversicherung fällig. Wenn man von einem Durch-schnittseinkommen von 4 500 DM ausgeht, beläuft sichder monatliche Beitrag für einen Existenzgründer in denalten Bundesländern auf 220 DM. Wenn die Einkünftevon Existenzgründern unter dieser Marge liegen, ist einMindestbeitrag von 120 DM zu zahlen. Ich muß Ihnenehrlich sagen: Das muß jeder Existenzgründer, jede Exi-stenzgründerin schlicht und einfach zahlen können.Wenn dieser Betrag nicht drin ist, dann kann man sich –es tut mir leid – auch nicht selbständig machen.
Dies müssen Sie ebenfalls berücksichtigen: Währenddieser Zeit ist die Person vollständig abgesichert, waseine private Rentenversicherung zu diesen Konditionenüberhaupt nicht leisten könnte. Denken Sie doch einmalan die Berufs- und Erwerbsunfähigkeit!
Abgesehen davon: Wenn jemand in den ersten zwei,drei Jahren arbeitnehmerähnlich selbständig ist, weil ererst später jemanden einstellen kann, und dann in einereguläre Selbständigkeit übergeht, bekommt er die ein-gezahlten Beiträge sogar bis zu fünf Jahren rückwirkendzurück. Was wollen Sie mehr?
– Wunderbar. Dann sind wir ja einer Meinung.
Ich muß Ihnen aber noch etwas sagen, Frau Schnie-ber-Jastram: Wie kann man fünf Minuten lang reden oh-ne irgendein sachliches Argument?
Sie haben eigentlich nur das „Gängelband“ angespro-chen, sonst gar nichts.
Auch der Vorwurf, im boomenden Multimediabe-reich würden viele arbeitnehmerähnliche Selbständigewie zum Beispiel Programmierer, Texter oder Screende-signer – um nur einige zu nennen – ihre Aufträge verlie-ren, weil der Auftraggeber fürchtet, er müsse auf einmalSozialversicherungsbeiträge leisten, trifft überhauptnicht zu.
– Ich habe es gelesen. Vielleicht sollten Sie es nocheinmal lesen.
Die Auftraggeber müssen überhaupt keine Beiträge ab-führen; für einen arbeitnehmerähnlichen Selbständigengeht es nur um die Rentenversicherung.
– Danke schön, ich bin im Wirtschaftsausschuß. Ichkenne ihre Meinung.Natürlich kann man an gegebener Stelle einmal dar-über nachdenken, ob die Unterteilung in arbeitneh-Monika Balt
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merähnliche Selbständige wirklich vonnöten ist. Dasaber wird in den nächsten Jahren die Praxis zeigen.Die Sorgen vieler arbeitnehmerähnlicher Selbständi-ger, eben Existenzgründer, nehmen wir ernst. Das istüberhaupt keine Frage. Sie befürchten, durch die neueRegelung in ihrer Existenz bedroht zu sein. Zum Groß-teil aber beruhen diese Befürchtungen auf Informations-defiziten.
Sie können mittlerweile bei der Krankenkasse und beider BfA anrufen. Es gibt auch entsprechende Broschü-ren.
Um zum Schluß zu kommen: Es ist das erklärte Zielder rotgrünen Bundesregierung, Existenzgründungen zufördern und zu unterstützen und auf die Belange derExistenzgründer einzugehen. Was wir meines Erachtensbrauchen, ist eine neue Gründungsoffensive.
Wir danken all den Personen, die den Schritt in dieSelbständigkeit gewagt, damit Arbeitsplätze aufgebautund gesichert haben; denn der Abbau der Arbeitslosig-keit hat bei dieser Regierung ganz klar oberste Priorität.Danke schön.
Kollegin Roth, das
war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratu-
liere Ihnen dazu sehr herzlich.
Ich erlaube mir einen Hinweis: Sie kennen mich als
fleißige Zwischenruferin, aber manchmal denke ich, daß
die Männer besonders viele Zurufe machen, wenn Frau-
en sprechen. Ich hoffe, daß Sie es mir nicht übelnehmen,
wenn ich das so sage.
Jetzt hat der Kollege Johannes Singhammer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsi-dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! HerrBundesarbeitsminister, wer statt der Scheinselbständig-keit Existenzgründungen bekämpft, der macht nichtvieles besser, sondern alles schlechter.
Ihr Problem in bezug auf die 630-DM-Beschäfti-gungsverhältnisse und auf die Scheinselbständigkeit, istdoch, daß Sie etwas durchgepeitscht haben, dessenMängel bereits jetzt offenkundig geworden sind. Sie ha-ben die Warnungen der Verbände in den Wind geschla-gen. Sie haben zum Beispiel die präzisen Warnungender Zeitungsverleger nicht beachtet.
Letztendlich machen Sie mit der Kette von Schwierig-keiten, die dieses Gesetz mit sich bringt, und mit IhrenNachbesserungen das Chaos zum System. Das wird die-ses Gesetz auch weiterhin begleiten.Daß dieses Gesetz so nicht gültig bleiben wird,schätzen nicht nur wir so ein, sondern auch eine Reihevon Kollegen aus den Regierungsfraktionen. FrauKollegin Wolf, da ich Sie gerade sehe: Am 11. Märzdieses Jahres haben Sie gesagt – ich habe das vor we-nigen Tagen in einer Zeitung gelesen; bitte korrigierenSie mich, wenn das Zitat nicht stimmen sollte –: DasGesetz muß überarbeitet werden; schließlich muß essich an der Wirklichkeit orientieren. – Frau Kollegin,Sie haben recht.
Auch der Bundeswirtschaftsminister hat in Münchenbestätigt, daß Nachbesserungsbedarf besteht.Unbestritten ist, daß ein Regelungsbedarf im Hinblickauf eine sinnvolle und gerechte Unterscheidung vonSelbständigen und Scheinselbständigen in diesem dy-namischen Prozeß besteht, in dem ständig neue Be-schäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden. Wer istArbeitnehmer? Wer ist wirklich Selbständiger?Der Gesetzentwurf der rotgrünen Bundesregierungaber hat den Balanceakt einer sauberen und treffsicherenUnterscheidung weit verfehlt. Die schlimmsten Fehlersind: Zehntausende von tatsächlich Selbständigen wer-den – mit erheblichem Risiko – zwangsweise in abhän-gig Beschäftigte umgewandelt.
– Herr Kollege Dreßen, ich sage Ihnen: Wenn GottliebDaimler, Max Grundig, Herr Nixdorf oder gar Bill Gatesmit diesem Gesetz konfrontiert worden wären, dann wä-ren deren große Unternehmen niemals zustande ge-kommen.
Wege in die Selbständigkeit und in die Existenzgrün-dung werden erschwert. Das steht doch fest. Die vonIhnen vorgesehenen Abgrenzungskriterien sind unklarund führen zu absurden Ergebnissen. Das Beispiel, dasich jetzt zitiere, ist schon mehrfach angeführt worden– es ist aber so wunderschön, daß ich es wiederhole –:Sagt jemand zu seiner Putzfrau: „Machen Sie einmal“,dann ist sie selbständig; sagt er zu ihr: „Putzen Sie mitBirgit Roth
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Ata“, wird sie zu seiner Angestellten. Das sind doch Dif-ferenzierungen, die niemand nachvollziehen kann.
Der Verwaltungsaufwand ist immens. Neue Arbeitsplät-ze werden mit diesem Gesetz verhindert.Ich zitiere den Deutschen Franchise-Verband, derfeststellt, daß mit dem neuen Gesetz der Arbeitsplatz-zuwachs, der in dieser Branche im Jahre 1998 noch40 000 betrug, gestoppt wurde und im Franchisesystemkaum mehr neue Selbständige hinzukommen. GeplanteVertragsverhandlungen werden abgebrochen.Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Op-position, wenn Sie schon uns nicht glauben, dann solltenSie zumindest den Verbänden glauben, beispielsweiseder Arbeitsgemeinschaft „Privater Rundfunk“, die an-mahnt: Setzen Sie dieses Gesetz aus! Überlegen Sienoch einmal! Denken Sie noch einmal nach, und bringenSie dann ohne unheilige Hast ein Gesetz ein, das Handund Fuß hat.Herr Bundesarbeitsminister Riester, Kunst kommtvon Können. Wenn es allein vom Wollen käme, dannwürde es „Wunst“ heißen. Das gilt auch für Regierungs-kunst. Das, was Sie hier abgeliefert haben, ist nicht Re-gierungskunst, sondern „Regierungswunst“.
Nun hat das Wortdie Kollegin Margareta Wolf, Bündnis 90/Die Grünen.
Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegenvon der F.D.P. und der CDU/CSU, wir alle wissen, daßwir in einer Zeit des Umbruchs von Erwerbsbiographienund in einer Zeit des Übergangs von der Industriegesell-schaft zur Dienstleistungsgesellschaft leben. Wir wissen,daß es viele Patchwork-Biographien gibt. Ich glaube,vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß es eine wi-derspruchsfreie Lösung überhaupt nicht geben kann.
Ich meine aber, die Notwendigkeit der Zielsetzung, diein den letzten Jahren explodierende Scheinselbständig-keit zu bekämpfen, wird in einem hohen Maße von fastallen Verbänden, allen gesellschaftlichen Gruppen undExperten in dieser Gesellschaft gesehen. Das solltenauch die Herren von der F.D.P. zur Kenntnis nehmen.
Es ist ebenso unbestritten, daß die Solidargemeinschaftdavor bewahrt werden muß, verehrter Herr Solms, daßein immer größer werdender Teil der Bevölkerung keinehinreichende Vorsorge für das Alter hat. Darüber bestehtebenfalls Konsens in dieser Gesellschaft, vielleicht nichtbei Ihnen.
Wir haben mit diesem Gesetz auf diese Entwicklungreagiert. Sie haben die Entwicklung einfach laufen las-sen; deshalb stellt sie sich uns heute so dar, wie sie ist.Worum geht es uns in diesem Gesetz? – Es geht unsum den sozialen Schutz von Menschen; es geht uns dar-um, die Erosion der Sozialversicherung nicht weitervoranschreiten zu lassen, und, verehrter Herr Solms, esgeht uns auch darum, Wettbewerbsverzerrungen zwi-schen Unternehmen entgegenzutreten.
Daß wir das Gesetz nunmehr vor dem Hintergrunddes von mir angesprochenen Wandels in der Industrie-gesellschaft ganz kritisch auf seine Tauglichkeit in derPraxis überprüfen müssen, halte ich für selbstverständ-lich. Daher freue ich mich, daß im Gespräch mit Ver-tretern der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträ-ger und des BMA Einigkeit darüber erzielt werdenkonnte, daß derjenige, der allein auf Grund der neu ein-geführten Vermutungsregelung als Scheinselbständigereingestuft wird, nicht rückwirkend versicherungspflich-tig wird. Das war ein ganz entscheidender Kritikpunkt;wir haben ihn aufgegriffen und das Gesetz entsprechendverändert. Das spricht für unsere dialogorientierte Poli-tik, die Sie nie gepflegt haben.
Wenn wir ferner der Praxistauglichkeit dieses neuenGesetzes Rechnung tragen wollen, bin ich der Meinung– das muß ich ganz kritisch sagen –, daß man dringendmit dem Bundesverband der Freien Berufe reden sollte,daß man sich mit den Zeitungsverlegern und derIG Medien zusammensetzt. Ich halte deren Einwändefür bemerkenswert.
– Wir reden mit denen. Diese Damen und Herren derVerbände teilen das Ziel dieses Gesetzes; das ist ein er-heblicher Unterschied zu Ihnen. Sie stehen relativ iso-liert da.
Sie machen Vorschläge, wie man unterhalb derSchwelle einer Gesetzesänderung, etwa in Ausführungs-bestimmungen, Änderungen vornehmen kann.Johannes Singhammer
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Ich halte es überhaupt nicht für ehrenrührig, wennman sehr genau beobachtet, ob die getroffenen Regelun-gen dem konsensual gefundenen Ziel, das wir alle ver-folgen, gerecht werden. Wir benötigen Ihre AktuelleStunde überhaupt nicht, wenn wir da Präzisierungen ein-fügen wollen.Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen.Ich bin der Meinung, daß wir vor dem Hintergrund dervon mir beschriebenen Veränderungen in unserer Ge-sellschaft eines einarbeiten müßten – ich habe das HerrnRiester auch schon schriftlich mitgeteilt –: Das Gesetzmuß Vorsorgewahlmöglichkeiten vorsehen. Beispiels-weise müssen die Einlagen in Aktienfonds oder der Im-mobilienbesitz als Äquivalent zu den Beiträgen zurRentenversicherung eingestuft werden. Das halte ich fürabsolut notwendig. Wir sagen: Wir wollen die Umlage-finanzierung bei der Rentenversicherung dadurch absi-chern, daß wir private Vorsorge fördern und ermögli-chen.
– Ich weiß; aber bis zum 30. Juni kann man hier nochFreistellungsregelungen hineinnehmen, wofür ich plä-dieren möchte.
– Es ist überhaupt nicht scheinheilig.
Das kann man tatsächlich noch machen.Ich plädiere auch dafür, daß die Mitarbeiter der Sozi-alversicherungsträger, die derzeit die Betriebe hinsicht-lich des Vorhandenseins von Scheinselbständigkeitüberprüfen, dort mit Augenmaß vorgehen. Denn es kannnicht im Interesse von Politik und Rentenkassen sein,daß durch einen zu peniblen Vollzug Existenzen ver-nichtet werden.
Ihnen, meine Damen und Herren von der F.D.P., sageich: Sie haben bis heute kein Konzept vorgelegt,
wie Sie die Erosion bei den Sozialversicherungskassenaufhalten wollen.
Ich höre, Sie wollen eine 1.-Mai-Demo mit den Schein-selbständigen machen, um auf das Problem aufmerksamzu machen. Ich kann Sie nur davor warnen. Sie müssen,wenn Sie in diesem Land für das Gemeinwohl Politikmachen wollen, konzeptionell arbeiten und könnennicht, zusammen mit den Industrieverbänden, jedesThema hochspielen. Machen Sie endlich einmal Vor-schläge! In Ihrer Regierungszeit ist es zu einer weiterenErosion der Sozialversicherungssysteme gekommen. Esist soweit gekommen, daß Unternehmen uns fragen:Warum sollen wir die Leute überhaupt noch sozialversi-cherungspflichtig beschäftigen? Da haben wir ohnehinnur Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen.So kann es nicht gehen. Handeln Sie im Interesse desGemeinwohls, im Interesse der sozialen Marktwirt-schaft, und hören Sie endlich auf, jeden Punkt eines Ver-fahrens zu Ihrem Ziel nutzen zu wollen, über die 5 Pro-zent zu kommen! Damit kommen Sie nicht weiter.Danke schön.
Jetzt hat der Kollege
Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Daß Sie, noch bevor ichirgend etwas gesagt habe, aufheulen, kann ich gut ver-stehen. Bei diesem Gesetz kann einem ja wirklich nurschlecht werden. Frau Kollegin Wolf, beim besten Wil-len: Das, was Sie gerade gesagt haben, ist geradezu in-fam. Sie reden offenkundig über ein ganz anderes Ge-setz als wir.Die Auswirkungen sollten Sie einmal an Hand IhrerPost festzustellen versuchen. Ich kann mir nicht vor-stellen, daß nur die F.D.P. und die Christlichen Demo-kraten diese Briefe bekommen. Ich bin fest davon über-zeugt: Sie bekommen die gleichen Briefe, Sie kriegendie gleichen Anrufe. Sie spielen hier mit Existenzäng-sten.
Herr Minister Riester, Sie haben in der ersten Lesungzum Korrekturgesetz zur Sicherung der Arbeitnehmer-rechte gesagt – ich zitiere –:Wir stehen vor großen Umwälzungsprogrammen inWirtschaft und Gesellschaft. Die Veränderungenauf dem Arbeitsmarkt sind zum Teil Ausdruck die-ser Umwälzungen. Für viele Menschen bringt derWandel Unsicherheit und Vertrauensverluste mitsich.Herr Riester, zumindest der letzte Satz trifft die Sache jawirklich im Kern: Durch rotgrüne Politik werden dieMenschen verunsichert; sie haben Angst. Sie akzeptie-ren als Investition für die Alterssicherung nicht die Inve-stition in den eigenen Betrieb. Ihre Politik führt zu Ar-beitsplatzabbau und treibt die Menschen, die initiativsind und Arbeitsplätze schaffen wollen, in die Schatten-wirtschaft.
Ihre Politik der Zwangsbeglückung trifft die gesamteGesellschaft. Das ist nicht nur der von Ihnen immerMargareta Wolf
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wieder angesprochene Transportfahrer – dessen Fall warin der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ganzgut geregelt –; betroffen durch Ihre Politik ist unter an-derem auch der bekannte Schriftsteller, der nur für einenVerlag arbeitet.
Betroffen durch Ihre Politik ist der Surflehrer am Bo-densee ebenso wie der Lehrer an der Musikschule, dernur für eine Musikschule arbeitet. Betroffen ist der Mu-siker, der im Augenblick nur ein Engagement hat; be-troffen sind die Sportvereine, die sich ihre Übungsleiternicht mehr werden leisten können.
Ihre Politik wirkt sich in der Praxis aus. Ich habe hierein Schreiben der IHK Rhein-Neckar mitgebracht. Dasist das einzige, was ich mitgenommen habe; denn diegesamte Masse an Papier hätte ich nicht tragen können.
Ich erlaube mir, daraus einmal zu zitieren, um deutlichzu machen, welche Auswirkungen Ihre Politik auf be-stehende Arbeitsverhältnisse hat:Wo Risiken erkannt werden, insbesondere bei klei-nen Familienbetrieben, werden die Vertragsver-hältnisse gekündigt, oder dem Kleinunternehmerwird ein Ultimatum zum Nachweis der Selbstän-digkeit gestellt. Tausende kleiner Unternehmer sindauf diese Weise vom Verlust ihrer Hauptauftragge-ber bedroht und stehen vor dem Ende ihrer wirt-schaftlichen Existenz.
Was machen Sie bei der Förderung von Existenz-gründern? Sie wollen offenkundig keine Arbeitsplätzeschaffen. Auch hiervon weiß die IHK Rhein-Neckar zuberichten. Sie schreibt:Welcher potentielle Auftraggeber möchte aber beider gegenwärtigen Rechtslage noch das Risiko ei-ner Auftragsvergabe an einen solchen Marktneulingeingehen?Denn jeder Existenzgründer erfüllt in aller Regel minde-stens zwei Ihrer vier Kriterien: im wesentlichen nur voneinem Auftraggeber abhängig zu sein und keine sozial-versicherungspflichtig Beschäftigten zu haben. Schongreift die Beweislastumkehr, und er muß sich in ersterLinie damit beschäftigen, zu erklären, ob er selbständigtätig ist oder nicht.
Man sieht bei diesem Gesetzentwurf wieder einmal,daß Sie Ihrem selbstgesteckten Ziel, dem Abbau der Ar-beitslosigkeit, kein Stück näher kommen. Im Gegenteil:Sie bauen Arbeitsplätze ab. Sie treiben Existenzen in dieIllegalität und schaffen zusätzliche Regulierung auf demArbeitsmarkt,
wodurch im Endeffekt neue Arbeitslosigkeit geschaffenwerden wird.
Die IHK Rhein-Neckar, auf die ich noch einmal zu-rückkommen möchte, stellt allerdings fest – das trifftsich mit den anderen Gesetzen, wo es Ihnen um das Ab-kassieren geht; ich zitiere auch hier –:Die Landesversicherungsanstalten haben nach un-seren Informationen die Zahl ihrer Betriebsprüferkurzfristig von 1 000 auf 4 000 erhöht. Diese habenihr neues Betätigungsfeld offenbar mit der Weisungangetreten, ohne Rücksicht auf die Zerstörung derwirtschaftlichen Existenz der Betroffenen Kasse zumachen.
Herr Riester, Sie setzen Ihre Politik des Abkassierensfort. Sie haben, seitdem Sie in der Regierung sind, einGesetz nach dem anderen nachgebessert. Ich fordere Sieauf – Sie werden dieses Gesetz ja nicht zurücknehmen –:Seien Sie so großmütig und bessern Sie dieses Gesetzwenigstens nach! Machen Sie Politik für Arbeitsplätzeund keine Politik für die Verlagerung von Arbeitsplätzenin die Schattenwirtschaft!
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie
wir hier heute erfahren haben, reden wir in der Tat nicht
über Peanuts. Die Größenordnung, um die es bei
Scheinselbständigen geht, muß man einigen Damen und
Herren dieses Hauses erst noch einmal in Erinnerung ru-
fen. Bereits in der letzten Wahlperiode hat der ehemali-
ge
– Dann hören Sie es noch einmal. Daran erkennen Siedie Wichtigkeit des Falles.Je nach Abgrenzung dürften 330 000 bis zu1 Million Personen eine scheinselbständige – dasheißt: tatsächlich abhängige – Nebentätigkeit aus-üben.So sagte es der ehemalige Staatssekretär, zitiert aus demPlenarprotokoll 13/233 vom 30. April 1998.
Dirk Niebel
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Das Problem war also auch schon der jetzigen Oppo-sition bekannt. Doch hat man dort nicht sozialpolitischzugunsten der Menschen und der Firmen eingegriffen,die sich sozial verantwortlich verhalten; denn die dama-lige Gesetzeslage wurde als ausreichend und angenehmempfunden. Als Ergebnis haben Sie ungeschützte Ar-beitsverhältnisse en masse bekommen. Die damit ver-bundenen Fehlentwicklungen wurden nicht angegangen.Begründet wurde die Untätigkeit nur damit, daß jederScheinselbständige seinen Status selber klären könne.Schon Ihnen mußte bewußt sein, daß dies nur unter demRisiko des Arbeitsplatzverlustes möglich ist.
Das Schicksal von über 100 000 Menschen hat unszum schnellen Handeln gedrängt. Die vielen Beispiele,die meine Vorredner, auch Bundesarbeitsminister Rie-ster, hier genannt haben, stehen hierfür Pate. Der einzigeGrund für deren scheinbare – ich wiederhole: scheinbare– Selbständigkeit war die Sozialversicherungsmüdigkeiteiniger Arbeitgeber.
Doch die überwiegende Anzahl der Arbeitgeber erfülltihre Verpflichtungen gegenüber den Beschäftigten undden Sozialkassen. Wir müssen die Beschäftigten und dieverantwortungsbewußten Arbeitgeber vor den Wild-westmethoden der Konkurrenz schützen. Das tun wirmit diesem Gesetz.
Ich bin davon überzeugt, daß unser Gesetz viele Pro-bleme löst, aber nicht alle. Wir sind bereit, den Dialogaufzunehmen. Doch mit der Polemik von heute ist si-cherlich kein Dialoganfang gemacht worden. Das war inder gestrigen Sitzung des Ausschusses für Arbeit undSoziales anders, als Herr Laumann von der CDU/CSU-Fraktion sehr erfreuliche Ansätze zu genau dieser The-matik mitteilte.
Ich vermisse ihn als Redner in der heutigen Debatte,weil ich denke: Das sind Dinge, die letztlich mithelfen,einen Dialog aufzunehmen. Ich muß heute aber leiderfeststellen: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.Also werben Sie in Ihren Reihen, Herr Laumann!
Richtig ist, daß der Vorsitzende der Bundesversiche-rungsanstalt für Angestellte, Hans-Dieter Richardt – imübrigen, wie Sie alle wissen, ein Arbeitgebervertreter –,das von uns getragene Gesetz heftig kritisiert hat.
– Deshalb ist er kein schlechter Mensch. Aber ich willIhnen damit deutlich sagen, daß die politisch motiviertenAnsätze hier ganz klar durchscheinen. Ich weiß natürlichauch, wie sehr Sie und wir nach dem politischen Wechselvon Unternehmer- und Arbeitgeberverbänden mit Briefenund Agitationen vollgepackt werden. Herr Kolb, Siehaben eben gesagt: Von der BfA wird Alarm geschlagen.– Ich kann von diesem Alarm überhaupt nichts spüren.
Ein Arbeitgebervertreter in der BfA, der Kritik übt, istnoch nicht die BfA.
Ich sage Ihnen ganz salopp: Ein Pups ist noch keine Ex-plosion im Gaswerk. So schnell werden wir nicht müde,eine sinnvolle Regelung auch umzusetzen.Im übrigen will ich Ihnen ganz offen sagen: Die Aus-sagen von Herrn Richardt stehen im Widerspruch zumVerwaltungshandeln; denn die BfA gab am 19. Januar1999 mit anderen Spitzenverbänden der Sozialversiche-rungen eine Stellungnahme zu dem Gesetz, mit dem wiruns hier befassen, heraus. Darin steht wörtlich – ichzitiere –:Durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialver-sicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmer-rechte ... wird zum 01.01.1999 die Einbeziehungscheinselbständiger Arbeitnehmer in die Sozialver-sicherung erleichtert.Nicht verkompliziert, wie Sie hier behaupten, sondernerleichtert!Weiter heißt es in diesem Brief:Um scheinselbständige Arbeitnehmer schneller undbesser zu erfassen, wird ein Kriterienkatalog ...vorgesehen, ...Sie sehen also, daß die Verwaltung der BfA diese Re-gelung durchaus als handhabbar und als eine sachge-rechte Lösung dieses Problemkreises ansieht. Sie wer-den dies im übrigen auch in vielen Faltblättern der BfA,in aktuellen Sonderinformationen in diesem Kontext sonachlesen können.
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an die Zeit.
Es hilft nicht weiter – las-sen Sie mich das deutlich sagen – wenn hier im Hauseeine sinnvolle rechtliche Regelung mehr und mehr durchPolemik attackiert wird. Der mittelstandspolitischeSprecher der CDU/CSU hat in einer Pressemitteilungvon gestern deutlich gesagt:Wie antiquiert das Unternehmerbild der Regierungist, zeigt die Vorstellung, daß sie Betriebsräume,Firmenwagen und die Schaltungen von Werbean-zeigen als Voraussetzung für Selbständigkeit an-sieht. Daß ein Unternehmer mit einem Laptop vonder Parkbank aus erfolgreich sein kann, ist fürIdeologen unvorstellbar.So der Kollege Doss in seiner Medienarbeit.Klaus Brandner
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2490 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Zu solchen Ergüssen kann
ich Sie nur beglückwünschen. Würden Sie Ihre Opposi-
tionsarbeit konstruktiv angehen, dann hätten Sie uns
schon längst von Ihrem Laptop-Parkbank-Unterneh-
merbild überzeugt und uns aufgefordert, an allen Park-
bänken Steckdosen zu installieren, da mit die Arbeit dort
wirkungsvoller wird und zusätzliche Arbeitsplätze ge-
schaffen werden können.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun
der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich, CDU/CSU-
Fraktion.
FrauPräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Wenn man in diesen Tagen beobachtet, wie die MedienIhre Regierungskunst kommentieren, könnte man alsOppositionspolitiker eigentlich sehr gelassen und ent-spannt sein. Aber es regt einen auf, und man ist über-haupt nicht mehr gelassen, wenn man täglich Anrufevon Menschen, von Existenzgründern, von Selbständi-gen, bekommt, die einem schildern, daß sie unmittelbarvor dem Aus stehen, weil diese rotgrüne Regierung einneues Gesetz gemacht hat.
Man leidet mit diesen Menschen mit, und man verstehtihre Probleme.Sie haben mit der Ausweitung der Sozialversiche-rungspflicht auf kleine selbständige Unternehmer unterdem politischen Kampfbegriff „Scheinselbständigkeit“Tausende von Existenzen auf dem Gewissen, wenn die-ses Gesetz tatsächlich umgesetzt und nicht schleunigstkorrigiert wird.
Das größte Problem dabei ist die Verunsicherung derbetroffenen Unternehmer, und zwar sowohl der Auftrag-geber als auch der Auftragnehmer. Grund dafür ist dieTatsache, daß dieses Gesetz nicht durchdacht ist, daß esviel zu kurzfristig umgesetzt werden soll und daß es vorallem an der Realität in der Wirtschaft völlig vorbeigeht.
Liebe Frau Kollegin Buntenbach, Sie haben vorhinvon den Fuhrunternehmern gesprochen. Letzte Wochehat mich so ein Fuhrunternehmer angerufen, der ein ge-sundes Unternehmen hat und seit Jahren für einen Auf-traggeber Fahrten durchführt. Er hat jetzt eine Frist biszum 31. März gesetzt bekommen, um zu beweisen, daßer nicht scheinselbständig ist. Sie erwarten jetzt wahr-scheinlich, daß der Auftraggeber ansonsten Sozialbei-träge zahlen müßte. Nein, der Fuhrunternehmer be-kommt keine Aufträge mehr! Das ist die Realität in die-sem Land. Das müssen Sie endlich einmal verstehen.
Mit völlig untauglichen Kriterien bringen Sie diesenkleinen selbständigen Fuhrunternehmer in Beweiszwän-ge, aus denen er sich nicht mehr befreien kann. Natür-lich erfüllt er die Kriterien für die Beweislastumkehr.Aber er hält es nicht durch, jahrelang zu prozessieren,um zu beweisen, daß er doch selbständig ist. Eine jah-relange gute geschäftliche Zusammenarbeit, eine gesun-de Existenz eines Fuhrunternehmers wird auf diese Wei-se durch Ihren Gesetzesdilettantismus zerstört.
Betroffen sind aber nicht nur die Auftragnehmer,sondern auch die Auftraggeber. Herr Minister, es istschon interessant, daß Sie jetzt sagen, es gebe keineRückwirkungen. Momentan ist das Bedrohungsszenariofür die mittelständischen Auftraggeber ein anderes. Siewissen, daß es – insbesondere in Baden-Württemberg –Fälle gibt, bei denen Sozialversicherungsbeiträge fürHonorare an selbständige Unternehmer für vier Jahrenachgefordert werden. Ich bitte Sie, das ganz schnell zuändern und die Heere von LVA-Prüfern zu stoppen, diedie mittelständischen Betriebe verunsichern.
Einige Kommentatoren in den Medien unterstellender Koalition, sie habe es gut gemeint und habe die Ab-hängigen schützen wollen. Das behaupten ja auch einigevon Ihnen. Es ist schlimm genug, wenn eine Regierunges nur gut meint, aber in Wirklichkeit überhaupt nichtmerkt, was sie anrichtet. Für die Abgrenzung von Selb-ständigen und Abhängigen wäre diese gesetzliche Re-gelung nämlich nicht notwendig gewesen. Die Recht-sprechung hat seit Jahren Kriterien entwickelt, die völligausreichend waren.
In Wahrheit geht es Rotgrün nicht um den Schutz derMenschen, sondern um die Ausweitung der Versiche-rungspflicht auf Selbständige, weil Sie in der Renten-politik einen verheerenden Fehler gemacht haben. Siehaben die Rentenreform der Regierung Kohl zurückge-nommen und brauchen jetzt Geld, das Sie sich von denkleinen Selbständigen holen wollen.
Ihnen muß aber eines klar sein: Die Existenzen, die Siejetzt vernichten, retten Sie nicht mehr. Das ist wahr-scheinlich ganz im Sinne der grünen Ewigkeitspolitiker,die alles unumkehrbar machen wollen: Kernenergieaus-stieg: unumkehrbar; Staatsangehörigkeit: unumkehrbar.Jetzt machen Sie wirklich etwas Unumkehrbares: Sievernichten die Existenzen von Tausenden von selbstän-digen Unternehmern.
Klaus Brandner
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2491
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Täglich rufen junge Existenzgründer verzweifelt beiihren Steuerberatern und bei den Handelskammern, sel-tener aber bei der LVA an; denn inzwischen ist Mißtrau-en gesät worden. Ja, das muß man einmal sagen: IhrePolitik sät Mißtrauen unter den am WirtschaftsprozeßBeteiligten.
Das Problem ist, daß nicht mehr viel Zeit bleibt. Ich ha-be vorhin die Frist für viele Unternehmer genannt:31. März.
Seit einigen Wochen werden täglich Verträge gekündigt,schlagen Vertragsverhandlungen fehl und werden Ge-schäftsverbindungen beendet. Ich appelliere an dieKoalition: Nehmen Sie dieses Gesetz möglichst schnellzurück, oder korrigieren Sie es wenigstens so, wie derDIHT es vorschlägt: Wer ins Handelsregister eingetra-gen ist, ist selbständig.Ich erwarte, daß sich der Bundeskanzler selber umdiese Angelegenheiten kümmert.
Er kann sich nicht damit entschuldigen, daß er einenWirtschaftsminister hat, der aus der Großindustriekommt und nichts vom Mittelstand versteht.
Herr Kollege, achten
Sie auf die Zeit?
Er
kann sich auch nicht damit entschuldigen, daß er einen
Arbeits- und Sozialminister hat, der nichts von moderner
Wirtschaftspolitik versteht.
Hören Sie endlich auf, die Menschen, die Wirtschaft, die
Arbeitgeber und die Arbeitnehmer in diesem Lande zu
bevormunden und zu gängeln! Ihre Vorstellungen von
staatlicher Zwangsbeglückung passen nicht mehr in das
Jahr 1999.
Vielen Dank.
Jetzt hat der Kollege
Olaf Scholz, SPD-Fraktion, das Wort.
Meine Damen und Herren! Ichglaube, die Diskussion, die wir gerade führen, leidetunter anderem darunter, daß sich ganz viele mit derRechtssituation in unserem Lande nicht auskennen.
– Die ist ganz einfach.
Hintergrund für die Debatten, die wir jetzt führen, undHintergrund für die Gesetzesänderung ist die gemeinsa-me Feststellung aller Parteien im Bundestag und weitdarüber hinaus gewesen, daß die Gesetze zur Abgren-zung von selbständiger und abhängiger Beschäftigung,die wir in unserem Lande schon lange haben, immerweniger beachtet werden. Der größte Teil derjenigen,die sich jetzt öffentlich und laut beschweren, beklagtsich darüber, daß jetzt herauskommt, daß er in der Ver-gangenheit Gesetze nicht beachtet hat. Das ist die Wirk-lichkeit.
Alle Untersuchungen – auch die, die Ihnen zur Ver-fügung stehen – gehen davon aus, daß in den letzten Jah-ren zwischen einer und zwei Millionen Menschen nichtsozialversicherungspflichtig beschäftigt worden sind,obwohl sie das von Gesetzes wegen gemußt hätten. Dieeigentliche von uns vorgenommene Veränderung liegtdarin, daß wir dem schon geltenden Gesetz zu mehrWirksamkeit verholfen haben.Woran liegt das alles? Es liegt daran, daß die Sozial-versicherungspflicht und der Schutz abhängiger Men-schen in der Bundesrepublik Deutschland an dem Ar-beitnehmerstatus hängt. Das ist nicht überall so. ZumBeispiel besteht in der Schweiz eine Sozialversiche-rungspflicht für jedes Einkommen. Aber in der Bundes-republik Deutschland ist diese Pflicht an den Arbeit-nehmerstatus, an die abhängige Beschäftigung geknüpft.Eine Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerstatus undSelbständigkeit war nie leicht. Damit mußte man sichimmer ein bißchen auskennen. Die Beurteilung dieserrechtlichen Abgrenzung fiel denjenigen, die sich aus-kannten, noch nie schwer; vielmehr ist in diesem Zu-sammenhang ein ganz anderes Problem aufgetaucht: Esdauerte ein paar Jahre, bis die Sozialversicherung ineinem Prozeß nachweisen konnte, daß jemand ein Ge-setz nicht so beachtet hat, wie er es hätte tun sollen.In den entsprechenden Gesetzen ist eine Abgrenzungzwischen Arbeitnehmerstatus und Selbständigkeit vor-gesehen. Aber wenn Sie ins Bürgerliche Gesetzbuchschauen, dann werden Sie feststellen, daß es dort keineDefinition von abhängiger Beschäftigung und von selb-ständiger Tätigkeit gibt, obwohl sie große und bedeut-same Folgewirkungen auf unsere Gesetzeslage hat. Diesist der Hintergrund, mit dem wir uns beschäftigen.Ich sage Ihnen: Wir ändern kein einziges Gesetz. Wirwollen lediglich erreichen, daß es den Sozialversiche-rungen etwas leichter fällt, die Beachtung der Gesetzedurchzusetzen. Diese Veränderung haben wir beschlos-sen.
Dr. Hans-Peter Friedrich
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2492 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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Darum wäre es auch ausgesprochen hilfreich, wenn sichdie Zeitungen, in denen jetzt alle möglichen Fälle beur-teilt werden, eine korrekte Rechtsberatung zulegen wür-den. Wenn sie das täten, würden sie bei der Beurteilungvieler Fälle feststellen, daß man eigentlich schon immerSozialversicherungsbeiträge hätte zahlen müssen.Wir haben hier auch Beispiele für eine arbeitneh-merähnliche Selbständigkeit kennengelernt. Die FirmaEismann hat uns während des Anhörungsverfahrens mitBriefen bombardiert. Parallel dazu hat der Bundesge-richtshof in einem mehrjährigen Verfahren entschieden,daß die Rechtstreitigkeiten der bei der Firma Eismannbeschäftigten sogenannten Selbständigen vor den Ar-beitsgerichten auszutragen sind.
Sie sehen also, daß wir hier nur helfen wollen, den Ge-setzen Geltung zu verschaffen.Ich möchte noch eine Ergänzung dazu machen: Wennes sich so verhält, wie ich es schildere, dann kann dieGesetzeslösung nicht nach dem Motto funktionieren:Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.
Wenn es tatsächlich so viele Gesetzesbrüche gegebenhat, dann werden jetzt viele gezwungen, die Gesetze zubefolgen. Das ist das Ziel unseres GesetzesLassen Sie mich zum Abschluß noch auf folgendeshinweisen: Es gibt einen Unterschied zwischen der Selb-ständigkeit in sozialversicherungsrechtlicher Hinsichtund der Selbständigkeit in arbeitsrechtlicher Hinsicht.Aber dieser Unterschied ist nur klein. Die Fälle, die ge-nannt worden sind, können nicht auf die hier beschrie-bene Weise gelöst werden. Wenn jemand seine Be-schäftigten zu Unrecht als Selbständige angestellt hatund sie auf Grund der neuen Regelung nicht weiterbe-schäftigen will, dann steht jedem der Betroffenen derWeg zu den Arbeitsgerichten offen.
Dort wird festgestellt werden, daß die Beschäftigtenviele Jahre lang Arbeitnehmer waren. Damit genießensie dann Kündigungsschutz, der in diesem Lande fürBetriebe ab fünf Beschäftigte wieder gilt.Schönen Dank.
Nun hat der Kollege
Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Natürlichgibt es ein objektives Problem. Die Frage ist einfach,wie man es löst. Die Frage besteht darin, wie wir mitdiesem Problem in einer sich stark verändernden Weltund angesichts veränderter Biographien sowie der neuenFlexibilität, zu der wir positiv eingestellt sein müssen– es gibt keine Alternative –, gesetzgeberisch umgehen.Der Konflikt in diesem Haus läßt sich an einer ganz ein-fachen Grenzlinie festmachen: Im Zweifel entscheidenSie sich für den Zwang, für die Pflicht und für das Zu-rückgliedern in ein – ich sage einmal – „Muß-Arbeit-nehmerverhältnis“, und wir entscheiden uns im Zweifellieber für mehr Chancen, für Freiheit, für Risiko und fürEigenverantwortung.
Sie haben sich mit diesem Gesetz die Abgrenzungs-problematik entschieden zu einfach gemacht. Das, wasdie Menschen uns draußen im Land sagen, bestätigt dasdoch.
Es ist nicht so, daß wir die guten Briefe und Sie dieschlechten verstecken; vielmehr werden an alle Mitglie-der dieses Hauses aus sehr großer Betroffenheit herausnur schlechte und sorgenvolle Briefe gerichtet, in denengefordert wird: Ändert es! Laßt es so nicht zu!Sie formen sich die Wirklichkeit nach Ihrem ideolo-gischen Bild. Aber das ist nicht die Wirklichkeit. Sie ge-hen nach dem Prinzip vor: Wer Arbeitnehmer ist, be-stimmen wir. – Nein, so geht das nicht mehr. Ihr Gesetzist rückschrittlich in bezug auf die Probleme, die es an-erkanntermaßen gibt.
Deswegen können wir Sie nur eindringlich auffordern,noch einmal darüber nachzudenken und nicht einfach zusagen: Hier wird inhaltlich nichts geändert, sondern nurein wenig bei der Durchführung.Ich will Ihnen ein ganz einfaches Beispiel nennen:Sie bestimmen, Arbeitnehmer ist nach dieser Gesetzes-lage derjenige, der seine Frau beschäftigt und nur einenAuftraggeber hat. Wer sich von seiner Frau scheidenläßt, ist ein Unternehmer. Stellen Sie sich diese Idiotievor!
Das kann doch nicht wahr und nicht rechtsfest sein. AlsJurist weiß ich, wovon ich rede. Es wird ein Vergnügensein, die Frage zu prüfen, ob das eine Diskriminierungvon Familienmitgliedern in einer modernen Arbeitsweltmit Heimarbeitsplätzen ist. Mit allem, was Sie tun, wer-den Sie Schiffbruch erleiden. Das kann doch nicht wahrsein.
Dann haben Sie umgekehrt eine Positivbeschreibungvorgenommen. Ich habe sie heute gehört, und sie stehtauch in irgendwelchen Unterlagen. Ich habe mich ge-wundert. Darin steht: Wer von uns gefördert wird, istselbständig.
Wer also mit eigenen Mitteln das gleiche tut wie derje-nige, der eine öffentliche Förderung erhält, wird andersOlaf Scholz
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2493
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eingestuft. Derjenige, der die öffentliche Förderung be-kommen hat, ist selbständig – das muß man genüßlichbedenken –,
und der andere, der es aus eigenen Mitteln bestrittenoder seine Schwiegermutter belastet hat, ist nicht selb-ständig. Sie sehen, Sie können das so nicht durchhalten.Machen Sie schnell eine ordentliche Korrektur; denn dieVerunsicherung ist sehr schädlich.
Wir sind doch gemeinsam daran interessiert, daß derSchritt zur Selbständigkeit leichter wird, daß die Hürde,aus der Arbeitnehmerschaft in die Selbständigkeit zuwechseln, niedriger wird. Wir fördern mit Arbeitslosen-unterstützungsgeldern den Weg in die Selbständigkeit.Wir versuchen es in allen Bereichen, und Sie schaffenhier ein zu enges Korsett. Es wäre doch schade, wenn10 000, 20 000 junge Existenzen deswegen nicht ge-gründet würden, weil die Hürde ein Stück höher gewor-den ist. Das ist doch das Thema, das uns gemeinsambewegen muß.Ich kann Sie nur herzlich auffordern, in dieser Frageoffenzubleiben und sich nicht zu verbeißen. Man kanneinen Fehler machen; bei Ihnen sind es zugegebenerma-ßen viele geworden. Deswegen dürfen wir aber nicht aneiner Entwicklung festhalten, die die Selbständigkeiteher erschwert.Das ist kein Gesetz zur Bekämpfung von Scheinselb-ständigkeit – das ist es nur in wenigen Bereichen –, esist in der Hauptsache ein Gesetz zur Muß-Arbeit-nehmerschaft, ich könnte auch sagen: zur Zwangsarbeit-nehmerschaft. Sie kennen den Begriff von Zwangsbei-trägen. Das ist doch ein ganz normaler Begriff. Manspricht entweder von Pflicht- oder von Zwangsbeiträgen.Genau das machen Sie. Im Zweifel entscheiden Sie sichfür den Rückschritt in den Zwang und nicht für den mu-tigen Weg nach vorn in die Freiheit.
Deswegen bitte ich Sie noch einmal, das Gesetz einStück weit zurückzunehmen. Es kann nicht sein, daß Siebestimmen wollen, wer ein Arbeitnehmer ist.Herr Dr. Friedrich, ich muß Ihnen bei einer Bemer-kung widersprechen. Sie haben gesagt, der Bundes-kanzler soll das Ding übernehmen. Diese Hoffnung las-sen Sie fahren.
Er hat zu den 630-Mark-Jobs von diesem Pult aus Erklä-rungen und Versprechungen abgegeben,
von denen die wenigsten heute noch im Gesetz stehen.Eine weitere Glaubwürdigkeitslücke möchte ich ihm indiesen schwierigen Zeiten nicht zumuten.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Geduld.
Als letzter erteile ich
das Wort der Kollegin Doris Barnett, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Herr Schauerte! Wem wir wel-che Gesetzgebungsinitiativen überlassen sollten, lassenSie einmal unsere Sorge sein.
Ich habe noch einen Hinweis an Sie in Sachen arbeit-nehmerähnliche Selbständige: Unterhalten Sie sich ein-mal mit Ihrem Kollegen Laumann. Von dem können Sieetwas lernen.
– Ja, der hat Ahnung. Gestern hat er im Ausschuß wirk-lich ein Lehrstück abgeliefert. Schade, daß er das heutehier nicht wiederholt.Herr Niebel, nun zu Ihnen.
Sie haben vorgetragen, rotgrüne Politik führt zu Ar-beitsplatzabbau. Dazu kann ich nur fragen: Hatten wirnicht 16 Jahre CDU/CSU-F.D.P.-Regierung mit über4 Millionen Arbeitslosen?
Das war wohl der Einzug in die Freizeitgesellschaft.
An dieser Stelle wünsche ich mir, daß wir eine andereDebattenkultur beginnen und uns nicht dauernd darüberunterhalten, was wer in welcher Zeitung gesagt hat oderwie er zitiert wird. Dieser Stil ist dieses Hauses nichtwürdig. Wir sollten uns hier im Originalton und nichtüber Zeitungszitate unterhalten.Aber jetzt zum eigentlichen Thema: Die Arbeitswelt– darüber haben wir gestern im Ausschuß gesprochen –ist in Bewegung; das Normalarbeitsverhältnis ist nichtmehr die Norm. Atypische Arbeitsverhältnisse wie Teil-zeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, befristete Ar-beitsverhältnisse, Arbeitnehmerüberlassung, neue Artenvon Selbständigkeit, aber auch Scheinselbständigkeitnehmen zu. Wir haben mittlerweile – so hat es das IABfestgestellt – 938 000 Scheinselbständige.
Hartmut Schauerte
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2494 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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Deswegen hat sich die SPD vorgenommen, Ordnung aufdem Arbeitsmarkt zu schaffen.
Es muß Schluß sein mit Mißständen und mit derVerwilderung der Sitten auf dem Arbeitsmarkt. Wennaufgeräumt wird – das ist nun einmal so; vielleichtstaubt es bei Ihnen zu Hause auch –, kommt so manchesans Tageslicht, was an sich das Licht scheut. So ist esauch hier. Ans Tageslicht kommen ausbeuterische Ar-beitsverhältnisse und Lohndumping. Dafür fehlt Ihnenvielleicht die Phantasie; uns fehlte sie übrigens auch,wenn ich daran denke, was wir alles über Arbeitsver-hältnisse erfahren haben. Wir waren zum Teil von denSocken.
Besonders überrascht hat uns aber, was Sie weiterhingutheißen wollen.So, wie wir mit der Steuerhinterziehung Schluß ma-chen, machen wir auch Schluß mit der Hinterziehungvon Sozialversicherungsbeiträgen.
Es muß Schluß sein mit der Schattenwirtschaft,
die auch in Richtung Schwarzarbeit geht.
Hier kann ich Gott sei Dank auch einmal auf einenCSU-Minister verweisen, der dieses Problem in Bayernangehen will. Halten Sie sich einmal an ihn; vielleichtkönnen Sie von ihm sogar noch etwas lernen. DieserMinister hat nämlich festgestellt, daß durch die Schat-tenwirtschaft dem Staat immerhin 600 Milliarden DMverlorengehen.Wir haben so viel Kritik gehört, aber noch keineneinzigen vernünftigen Vorschlag. Ich frage mich wirk-lich, wo solche Vorschläge bleiben.
Sonntags fordern Sie in Ihren Reden, die Lohnnebenko-sten zu senken, und montags überlegen Sie sich tausen-derlei Befreiungstatbestände, damit die Arbeitgeber janichts zu zahlen brauchen. Wo sind wir denn eigentlich?Die Umgehungstatbestände sind Ihnen lange bekannt.Wir müssen diese jetzt endlich abschaffen; das werdenwir auch tun. Es wurde viel dazu gesagt. Der VDR hatunsere Regelungen ausdrücklich begrüßt.Aber noch etwas zu Ihnen, weil Sie dauernd mit ei-nem Papier wedeln: Dieses Papier ist für die Verwal-tung; für den einfachen Bürger, der lesen kann, hat dieBundesversicherungsanstalt eine Broschüre herausgege-ben, die ich Ihnen wärmstens zur Lektüre empfehle. DieBroschüre ist so einfach gefaßt, daß sie sogar ein ganznormaler Bundestagsabgeordneter verstehen müßte,selbst wenn er nicht dem Sozialausschuß angehört.
Scheinselbständige sind Arbeitnehmer. Die Folgendieser Art von Beschäftigung sind für die Betroffenenfatal: instabile Auslastung des eigenen Arbeitsvermö-gens, unterdurchschnittliche Einkommensentwicklung,geringe Finanzkraft zur Vorsorge gegen Krankheit, Un-terbeschäftigung und Altersrisiken, geringe Planbarkeitder Geschäftsverläufe und der Einkommensperspektivensowie ein erhöhtes Armutsrisiko. Das alles haben wirvor über eineinhalb Jahren in der Enquetekommission„Informationsgesellschaft“ als richtig angesehen. Ange-sichts dessen wollen Sie mir etwas darüber erzählen, daßsich die neue Gesellschaft vom Zwang zur Versicherungbefreien müßte?
Die Kollegin Roth hat Ihnen vorhin aufs Brot ge-schmiert, wie teuer das eigentlich kommt. Warum lesenSie nicht einmal die Unterlagen, statt einfach aufs Ge-ratewohl, wider besseres Wissen und ohne eigene Vor-schläge ganz vernünftige gesetzliche Regelungen zuverdammen, die praktikabel sind und die gut für dieWirtschaft und für Existenzgründer sind? Wir werdenuns in vier Jahren wieder sprechen, wenn wir erste harteDaten haben.
Vielleicht werden wir dann statt der Protestschreibensogar Dankesschreiben haben.Vielen Dank.
Nun gebe ich dem
Kollegen Laumann das Wort zu einer Erklärung nach
§ 30. In einer Erklärung zur Aussprache darf er sich nur
auf Äußerungen beziehen, die ihm gegenüber auf seine
Person bezogen gemacht werden. Er darf sie zurückwei-
sen und richtigstellen. – Bitte sehr, Herr Kollege Lau-
mann.
Frau Präsiden-tin! Schönen Dank dafür, daß ich hierzu etwas sagendarf. – Einige Rednerinnen und Redner der SPD-Fraktion haben im Plenum den Eindruck erweckt, alshätte ich gestern im Ausschuß ihr Gesetz zur Schein-selbständigkeit für richtig befunden. Ich finde, daß ichIhr Gesetz gestern sehr kritisiert habe. Das ProblemIhres Gesetzes besteht darin, daß es unpraktikabel ist.Ihre Behauptung, Ihre Gesetzgebungsarbeit sei hand-werklich gut, ist eine Beleidigung für jeden Handwerker.
Doris Barnett
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Ich habe gestern im Ausschuß gesagt – das ist auchmeine feste politische Überzeugung –: Wir haben in den50er Jahren eine Entscheidung zugunsten der selbstän-digen Handwerker getroffen. Nach dieser Entscheidungkann ein selbständiger Handwerksmeister nur dann ausder Rentenversicherung austreten, wenn er 18 Jahre langMitglied der Rentenversicherung war. Das ist damals sobeschlossen worden, damit die Rentenansprüche ober-halb des Sozialhilfeniveaus liegen. Diese Regelung istbis heute im Handwerk akzeptiert und wird von nieman-dem in Frage gestellt.
– Auch nicht von den Existenzgründern. – Ich kennekeine Handwerkskammer und keine Innung, die dieseRegelung in Frage stellt.Ich habe im Ausschuß den Denkansatz ins Spiel ge-bracht, es für diejenigen, die sich außerhalb der Hand-werksordnung selbständig machen, genauso zu regeln,wie wir es seit Jahr und Tag für die Handwerker geregelthaben.
Wenn das geschähe, dann hätte man ein durchschauba-res und anerkanntes Gesetz. Ein Kanzler aber – auch dashabe ich Ihnen gestern gesagt –, der lieber für italieni-sche Maßschneider als für die deutsche Textilindustriewirbt, hat mit der Sozialversicherung nichts am Hut.
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Vera Lengsfeld,
Norbert Otto , Hartmut Büttner (Schöne-
beck) und der Fraktion der CDU/CSU
Überlassung der Akten der Hauptverwaltung
Aufklärung des Ministeriums für Staatssi-
cherheit der ehemaligen DDR durch die Re-
gierung der Vereinigten Staaten von Amerika
– Drucksachen 14/89, 14/515 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Hartmut Büttner
Hans-Christian Ströbele
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ulla Jelpke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich er-
teile das Wort der Kollegin Vera Lengsfeld, CDU/CSU-
Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die
hierbleiben wollen, sind herzlich eingeladen, sich hinzu-
setzen. Diejenigen, die weggehen wollen – ich bedaure,
daß sie das tun –, mögen es bitte schweigend tun, damit
wir anfangen können.
Frau Präsidentin!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Machiavellihat uns gelehrt, daß der Verräter die wichtigste Figur imSpiel der Macht ist. Aber seine Zeit ist begrenzt; siedauert nur so lange, bis der Fürst die Fäden in der Handhält. Heute haben die westlichen Demokratien über denKommunismus gesiegt; jedoch stellt uns dieser Sieg vorviele Fragen: politische, juristische und moralische. Wiegehen wir mit den Hinterlassenschaften der zweitendeutschen Diktatur um?In einer großen deutschen Tageszeitung erschien voreiniger Zeit ein Artikel mit der Überschrift „Die Gnadeder westdeutschen Geburt“. Darin wurde nicht zu Un-recht behauptet, daß diejenigen Westdeutschen, die fürdas DDR-Ministerium für Staatssicherheit gearbeitethaben, unentdeckt geblieben seien, weil die Akten derHVA in der Wendezeit vollständig vernichtet wordenseien. Haben wir es also der Stasi zu verdanken, daßheute fast ausschließlich ehemalige Bürger der DDR amPranger stehen, weil sie für die Geheimpolizei der SEDgespitzelt haben? Noch gibt es die reale Möglichkeit,dieses falsche Bild zu korrigieren. Eine „Gnade der ein-seitigen Aktenlage“ darf es nicht geben.
Auch in Westdeutschland muß die Stasi-Vergangen-heit endlich aufgearbeitet werden. Parteien und Ver-bände, Kirchen und Gewerkschaften, Medien und Uni-versitäten müssen sich ihrer Geschichte stellen. Wirwollen wissen, wer die Geschicke der Bundesrepublikim Hintergrund wie und warum mitgesteuert hat. Auswelchen Motiven wurde gemeinsame Sache mit derSED gemacht? Wie nachhaltig wirkt diese Motivation?Wir müssen fragen, ob Landesverräter in verantwort-lichen gesellschaftlichen Stellungen weiter tätig seindürfen.Die Entschlüsselung der Datenbank der HVA in derBerliner Stasi-Akten-Behörde kann die Aufarbeitung imWesten einen großen Schritt voranbringen. Historikerund Journalisten müssen umgehend die Möglichkeit er-halten, diese Daten zu nutzen. Dann kann nicht nurKlarheit darüber erlangt werden, wer im Westen für dieStasi gearbeitet hat, sondern es können auch ungerecht-fertigte Vorwürfe aus der Welt geschafft werden. Erstwenn diese Akten so zugänglich sind wie die Akten überdie Ost-IMs, wird das Geraune über „Tulpe“, „Wotan“oder „Junior“ aufhören.Die Entschlüsselung der Bänder erst jetzt, neun Jahrenach der Besetzung der Stasi-Zentrale, wirft die Frageauf, ob die Aufarbeitung West weiterhin als wenigervorrangig gelten darf als die Aufklärung über die Stasi-Machenschaften in den neuen Bundesländern. Spionageist verjährt. Nur schwerer Landesverrat kann noch be-straft werden. Die Westdeutschen, die sich – im Gegen-Karl-Josef Laumann
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satz zu vielen Spitzeln in der DDR – meist ohne äußerenDruck auf die Stasi eingelassen haben und genau wuß-ten, daß dies strafbar ist, sind meist gut weggekommen.Die Zuträger der roten Diktatur nutzen die Liberalitätdieses Landes und den Anschein, der Kommunismus seinur ein Problem des Ostens.Die Maßstäbe für Gut und Böse haben sich in denletzten Jahren bedenklich verschoben. Ein bißchen Stasi-Spitzelei, Landesverrat gar wird mittlerweile beinahewie ein Kavaliersdelikt behandelt. Spionage für einendemokratischen Rechtsstaat wird bösartig oder leicht-fertig mit der Spionage für eine Diktatur gleichgesetzt.Die Forderung nach einer Amnestie – wie sie von derPDS erhoben wird und die schon deshalb üble Demago-gie ist, weil es nicht einen einzigen Häftling gibt, denman amnestieren könnte – soll dazu dienen, das gesamteSystem der SED-Herrschaft zu amnestieren und poli-tisch zu rehabilitieren.
Daß solche Forderungen auf naives Wohlwollen auch imWesten hoffen dürfen, ist bestürzend. Oder sind dieMotive gar nicht so naiv?Die Herrschaft der SED sowie der anderen kommuni-stischen Parteien und die Schwäche der Oppositions-gruppen konnten sich nur perpetuieren, weil die kom-munistischen Systeme in den Ostblockstaaten auf willi-ge Helfer in den westlichen Demokratien zurückgrei-fen konnten. Deren Verantwortung für den Erhalt dertotalitären Herrschaftsmechanismen muß endlich ins öf-fentliche Bewußtsein gerückt und diskutiert werden.Verraten wurden von diesen Handlangern aus dem We-sten ja nicht nur wirtschaftliche und militärische Daten,die ein todkrankes System retten sollten. Nein, sie ver-rieten auch Informationen über oppositionelles Verhal-ten und Fluchtpläne. So wurde die ganze Bevölkerungder DDR und der anderen Ostblockstaaten ein Opferdieser Agenten.Die politische – und nicht nur die juristische – Auf-arbeitung der Stasi-Vergangenheit ist im Westendringlich. Die Kollaboration mit dem Geheimdienst derSED sagt viel über Verfassungstreue aus, gibt viel voneinem politischen Charakter preis. Wer an maßgeblicherStelle in der Bundesrepublik freiwillig mit dem MfS zu-sammengearbeitet hat, wer bei Prosecco und Carpacciomit dem netten Genossen von drüben Informationen ge-tauscht und dabei vielleicht noch ideologische Nest-wärme gespürt hat, ist politisch belasteter und moralischunmöglicher als ein kleiner IM, der unter dem Druck dergeschlossenen DDR bieder berichtet hat.
Die Westspione haben ohne Not die Freiheit und diewestlichen Demokratien gefährdet, und dies aus Grün-den, die keineswegs immer nur politisch waren. Auf ei-nige, die dummerweise glaubten, für den Weltfriedenkämpfen zu müssen, kamen Tausende, die rein materi-elle Motive hatten. Sicher gab es auch welche, die er-preßt wurden. Schon die Unterschiede in den Verrats-motiven begründen die Notwendigkeit einer systemati-schen Klärung. Die Spionage aus Profitgier bleibt eineGefahr für die heutige Demokratie in Deutschland, weildie Leute nach wie vor erpreßbar sind.Aber das Stasi-Problem im Westen hat noch andereFacetten. Es geht um politische und ideologische Affi-nitäten, die heute allzugern vertuscht werden. Es gehtauch um das historische Reinwaschen der kommunisti-schen Herrschaft – vielleicht auch, um sie wieder koali-tionsfähig zu machen? Sind die Verharmloser von heutevielleicht die Landesverräter von gestern?Eine Aufdeckung wird mit Sicherheit schmerzhaftwerden, weil wahrscheinlich zahlreiche Institutionenund alle demokratischen Parteien betroffen sein werden.Wir brauchen diese Aufklärung dennoch; denn dieseDemokratie braucht Transparenz als unverzichtbarenTeil des demokratischen Zusammenwachsens von Ostund West. Die Enttarnung der Schuldigen ist nicht nurfür den Schutz unserer Demokratie wichtig, sondernauch deshalb, weil nur sie es uns ermöglicht, diesenLeuten wieder einen ehrlichen Platz in unserer Gesell-schaft anzubieten. Wenn es nicht zu einer umfassendenAufdeckung kommt, bestehen für die Bundesrepubliknachhaltige Sicherheitsprobleme. Es bleibt die Gefahr,daß eine große Anzahl von unbekannten Agenten derHVA in West und Ost die demokratischen Institutionenunterläuft.Für uns ergeben sich deshalb folgende Forderungen:Erstens. Es ist erforderlich, daß die während derWendezeit geretteten und nur teilweise vernichtetenUnterlagen zugänglich gemacht werden. Wir könnennicht 400 Jahre warten, bis eine Handvoll Mitarbeiterdes Bundesbeauftragten in Zirndorf die Aktenschnipselper Hand zusammengesetzt hat. Deshalb müssen jetztdie finanziellen Mittel bereitgestellt werden, damit diezerrissenen Akten per Computer rekonstruiert werdenkönnen. Schon die bisher wieder zusammengesetztenUnterlagen haben gezeigt: Die Stasi wollte die brisante-sten Dokumente vernichten. Wir dürfen uns nicht damitzufriedengeben, was das MfS uns wie Brosamen übrig-gelassen hat, denn sonst machen wir uns mitschuldig ander Verharmlosung dieser größten politischen Geheim-polizei der deutschen Geschichte und – das ist entschei-dend – der Politik und der Ideologie ihrer Auftraggeber.Zweitens. Alle vorhandenen Datenträger und Ma-gnetbänder müssen jetzt so schnell wie möglich lesbargemacht werden. Die in Amerika abgeschriebenen Kar-teikarten über 1 553 Westagenten, die schon jetzt in derGauck-Behörde lagern, müssen ebenfalls zugänglichgemacht werden. Sie sind ein Schlüssel für die neu auf-gefundene Datenbank der HVA.Drittens. Die Agentenkartei der HVA, die vollständigim Besitz des CIA ist, muß zurück nach Deutschlandkommen. Diese Dateien enthalten sämtliche Klar- undDecknamen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, daß dieBundesregierung in dieser Angelegenheit mit Erfolg inden USA vorstellig geworden ist und die CIA uns De-tails aus dem Nachlaß der DDR-Spionage mitteilen will.Zu fragen ist, wann und in welcher Form das Material zuerwarten ist. Werden Kopien der nach Amerika ver-Vera Lengsfeld
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brachten Akten der Gauck-Behörde zur Verfügung ge-stellt?Die Konzentration aller Akten in der Gauck-Behörde ist die unerläßliche Voraussetzung für dieGleichbehandlung aller Fälle und für die notwendigeAuseinandersetzung. Die Recherchen der Gauck-Be-hörde haben ergeben, daß die von den USA geliefertenDaten zu den 1 553 Westagenten nur einen Teil derAgenten umfassen. Vermutlich etwa 3 000 Namen vonSpitzeln, die gegen die Bundesrepublik spioniert haben,hält der Geheimdienst CIA noch unter Verschluß. Au-ßerdem sind schätzungsweise 10 000 ehemalige Stasi-Spitzel in der DDR durch alle Überprüfungen gerutscht,weil die HVA ihre Akten vernichtet hat. Auch dazu lie-gen in den USA Daten vor.Die Amerikaner haben den Westdeutschen nach demzweiten Weltkrieg beim Aufbau der Demokratie ent-scheidend geholfen. Sie haben damals auch beschlag-nahmte NS-Akten zurückgegeben oder zugänglich ge-macht.
Damit wir Deutschen nicht nur die nationalsozialisti-sche, sondern auch die kommunistische Vergangenheitbald aufarbeiten können, müssen die in den USA be-findlichen Akten der politischen Analyse und der ge-sellschaftlichen Diskussion in Deutschland zur Verfü-gung gestellt werden.
Wie die Geschichte gezeigt hat, reicht es nicht, ein paarFachleuten Einblick in streng geheime Dossiers zu ge-währen. Wir brauchen vielmehr eine offene und öffent-liche Auseinandersetzung, keineswegs nur in den neuenBundesländern, sondern in ganz Deutschland.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Gisela Schröter, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich freuemich, daß die vorliegende Beschlußempfehlung im In-nenausschuß mit breiter Zustimmung zustande gekom-men ist. Auch die mitberatenden Ausschüsse haben sichmit der gleichen Einstimmigkeit für den Antrag ausge-sprochen. Damit setzt der Deutsche Bundestag eine guteTradition fort. Mit breitem parlamentarischen Konsenswerden wir einer der wichtigsten Aufgaben gerecht, diesich dem vereinten Deutschland stellen: der Bewälti-gung der DDR-Vergangenheit, vor allem durch die hi-storische Aufarbeitung der Arbeitsweise des Ministeri-ums für Staatssicherheit und durch die Aufdeckung sei-nes Spionagesystems. Hierin liegt ein Grundstein fürden Aufbau der Demokratie in den neuen Ländern.
Wir alle wissen: Die Aufarbeitung ist ein langer, zä-her und schwieriger Prozeß. Bei der rechtlichen und hi-storischen Aufarbeitung ist bereits sehr viel erreichtworden. Hier hat die Behörde des Beauftragten für dieUnterlagen des Staatssicherheitsdienstes bisher sehr guteArbeit geleistet. Aufarbeitung können wir aber nur indem Maße leisten, in dem wir Einblick in die existieren-den Unterlagen des SED-Machtapparates haben. Hiersind wir bei dem bekannten Thema unserer heutigen Be-schlußempfehlung. Wie wir wissen, sind – auf welchemWege auch immer – HVA-relevante Materialien in dieUSA und nach Rußland gelangt. Auch diese Unterlagensind für unsere gesamtdeutsche Aufarbeitung unver-zichtbar. Seit 1991 gibt es Bemühungen, Zugang zu denDokumenten zu bekommen. Ich weiß als Mitglied desInnenausschusses, daß wir uns hier immer wieder ge-meinsam bemüht haben. Auch die alte Bundesregierunghat sich, allerdings erfolglos, bemüht, Zugang zu diesenUnterlagen zu bekommen. Seit Ende des vergangenenJahres ist es nun der neuen Bundesregierung gelungen,Bewegung in die Verhandlungen mit der amerikani-schen Regierung zu bringen.
In der entscheidenden Phase der Gespräche wurde dievorliegende Beschlußempfehlung in den Ausschüssendes Deutschen Bundestages auf den Weg gebracht. – Essei mir gestattet, meinen Kollegen Büttner, Schmidt-Jortzig und Ströbele dafür ganz herzlich zu danken.–
In unserer Beschlußempfehlung wird die amerikanischeRegierung gebeten, die Akten der HauptverwaltungAufklärung der DDR der Gauck-Behörde zur Verfügungzu stellen. Mit der Beschlußempfehlung unterstützen wirnachdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung.Ich weiß aus den Vereinigten Staaten, daß man dortdie Initiative des deutschen Parlamentes mit großerAufmerksamkeit verfolgt. Jetzt haben die Gesprächeeinen Durchbruch gebracht. An dieser Stelle möchte ichden Vertretern der Bundesregierung, die die Verhand-lungen geführt haben, meinen ausdrücklichen Respektfür die bisherigen Ergebnisse aussprechen.
Sie waren mit großem Geschick und vor allem mit demnotwendigen Fingerspitzengefühl am Werk.Mit dem vorliegenden Verhandlungsergebnis hatsich die Beschlußempfehlung natürlich keinesfalls erle-digt. Die amerikanische Regierung hat erkennen lassen,daß sie das deutsche Anliegen sehr ernst nimmt. Wir ha-ben die Zusicherung, daß wir alle für die deutschenSicherheitsinteressen relevanten Informationen bekom-men. Darüber, wie das geschehen soll, müssen selbst-verständlich noch Gespräche geführt werden, in denendie Modalitäten des Zugangs zu den für uns so wichti-gen Materialien noch geklärt werden müssen. Da ist esVera Lengsfeld
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2498 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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sehr hilfreich, wenn sich jetzt im Deutschen Bundestageine möglichst breite Mehrheit für den vorliegendenAntrag findet.Mir liegt daran, hier noch einmal nachdrücklich zubetonen: Der ganze Komplex der Unterlagen erfordertnach meiner Erkenntnis größte Sensibilität. Aber aller-größtes Fingerspitzengefühl ist gefragt, wenn es darumgeht, Zugang zu dem HVA-relevanten Material zu be-kommen, das sich im Ausland befindet, sei es in denUSA oder in Rußland. Das ist nach meinem Dafürhaltenkein Thema für Schlapphüte, für Agenten à la 007 oderHollywood-Verfilmungen. Dazu ist es zu wichtig. Mitder vorliegenden Beschlußempfehlung wird der Deut-sche Bundestag diesem Anspruch gerecht. Ich bitte alsoum Ihre Zustimmung.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun
Professor Dr. Schmidt-Jortzig, F.D.P.
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolle-
gen! Unumwunden sage ich für die F.D.P.: Der Antrag
der Union, aus dem unsere Beschlußempfehlung hervor-
gegangen ist, ist voll unterstützenswert. Aber er mußte
eben doch noch mit den Bedürfnissen operativen Regie-
rungshandelns in Einklang gebracht werden, denn wir
wollten nicht nur eine stramme Forderung aufstellen,
sondern wirklich zum Erfolg kommen. Dazu bedurfte es
etlicher Gespräche mit den amerikanischen Stellen.
Der Innenausschuß hat einstimmig die vorliegende
Beschlußempfehlung formuliert, in der die Sachverhalte
vorsichtig und diplomatisch bewertet werden. Jetzt kann
mit der Aufklärungsarbeit begonnen werden.
Wir hatten zunächst ein bißchen die Sorge, daß die
Regierungsverhandlungen dadurch ins Stocken geraten
könnten, daß über manche Aspekte dieses Vorhabens
Ende des letzten Jahres sehr oft in der Presse berichtet
wurde. Tatsache ist, daß die Dienste diese Art der In-
formationspolitik nicht lieben. Deshalb schien die Nei-
gung der CIA, sich auf einen Handel mit der deutschen
Seite einzulassen, gen Null zu tendieren. Diese Ent-
wicklung hat sich erfreulicherweise nicht bestätigt, denn
seit gestern – darüber haben die Zeitungen ausführlich
informiert – wissen wir, daß es eine Grundsatzentschei-
dung auf Fachebene gegeben hat, die entsprechenden
Materialien in einem noch in den Einzelheiten zu verab-
redenden Verfahren auszutauschen.
Es stellt sich natürlich die Frage, wie wir angesichts
dieser Entwicklung mit dem vorliegenden Antrag jetzt
umgehen. Ich will dazu drei Feststellungen machen:
Erstens. Wir sollten diesen Antrag heute annehmen –
wir befinden uns damit voll in Übereinstimmung mit
Ihnen, liebe Frau Schröter –, denn damit kann die Be-
handlung der noch ausstehenden Fragen in den Fachge-
sprächen nur unterstützt werden. Auch die Ernsthaftig-
keit des Wunsches der deutschen Seite wird damit
dokumentiert.
Zweitens. Wenn die Meldungen in den Zeitungen zu-
treffen – davon gehe ich aus –, daß sich die Gauck-
Behörde zu Wort gemeldet und gesagt habe, so gehe das
alles bei der Hingabe deutschen Materials an die Ameri-
kaner nicht, man müsse streng nach den Vorschriften
des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vorgehen, dann sage
ich: Die Gauck-Behörde hat im Prinzip recht, aber man
muß sehen, daß die Vorschriften des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes wohl nicht auf die Überlassung von Materia-
lien an ausländische Stellen angewendet werden können.
Die entsprechenden Regelungen des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes beziehen sich nur auf nationale Stellen. Das
Gesetz hat aber ein spezifisches Verfahren für den Fall
vorgesehen, daß Unterlagen ausländischen Stellen
überlassen werden. – Ich erwähne diesen Punkt, weil wir
die Reform der Kontrolle der Nachrichtendienste noch
auf der heutigen Tagesordnung haben. – § 25 Abs. 4 des
Stasi-Unterlagen-Gesetzes sagt deutlich, daß an dieser
Stelle das PKG – die frühere PKK – mitwirken muß.
Drittens. Sicherlich müssen – Herr Staatsminister, ich
gehe davon aus, daß dies auch ein Erfordernis der prak-
tischen Regierungsarbeit ist – bei diesem Austausch
auch die Rechte der Betroffenen in der Weise sicherge-
stellt werden, daß die Gauck-Behörde zu Rate gezogen
wird. Aber sie wird kein förmliches Vetorecht bekom-
men können. Im übrigen wird sie hilfreiche Dienste bei
der Feststellung der Authentizität des Materials, das
Deutschland von den Amerikanern zurückerhält, leisten
müssen.
Lassen Sie uns den vorliegenden Antrag deshalb also
auch angesichts der jetzt schon erfreulichen Entwicklung
verabschieden! Ich freue mich, daß dieser Antrag aller
Voraussicht nach eine breite Zustimmung finden wird.
Besten Dank.
Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.
Kollegen! Die Kollegin Lengsfeld hat versucht, uns ka-tholischer zu machen, als wir schon sind. Wir alle sinduns einig, daß die Akten nach Deutschland gehören, daßsie unrechtmäßig in die Hände der CIA geraten sind,daß die Akten ausgewertet werden müssen, wie es sichnach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz gehört. Dabei könnteman es eigentlich belassen.Worum geht es? In den „hellen Tagen“ 1989/90 gabes einige Dunkelmänner – wahrscheinlich waren esMänner, wir wissen es nicht genau –, die einen ganzenTeil wesentlicher Akten aus der Stasibehörde an die CIAwahrscheinlich verkauft haben. Es handelt sich um Un-Gisela Schröter
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terlagen, in denen die Agenten der HauptverwaltungAufklärung im Westen mit Deck- und Klarnamen auf-gelistet sind. Daran hatte die CIA erhebliches Interesse,darum hat sie diese Akten mitgenommen.Soweit mir bekannt ist – es gibt Gerüchte, man mußsehr vorsichtig sein, weil man nicht weiß, was wirklichwahr ist –, soll es unter anderem einen Oberst Wiegandaus der Hauptverwaltung Aufklärung gegeben haben –er ist heute nicht mehr am Leben –, der Geld dafür ge-nommen hat. Er soll auch die Zusicherung bekommenhaben, daß er selbst nicht verfolgt wird. Es kann sein;wir wissen es nicht genau. Das alles ist in diesen „hellenTagen“ im Dunkeln passiert.Die Akten, die durch die Aktion „Rosewood“ – „Ro-senholz“ sagen wir; bei Geheimdiensten ist dies hinterschönen Bezeichnungen verborgen – in die Hände derCIA gelangt sind, werden uns vorenthalten. In der 12.und 13. Wahlperiode – ich war damals noch nicht imBundestag – ist versucht worden, sie zurückzubekom-men. Das ist nicht gelungen.Deshalb haben sich im November letzten Jahres eini-ge Bürgerrechtler an uns und an den amerikanischenBotschafter gewandt und gesagt: Jetzt reicht's! Wirwollen diese Akten wiederhaben! – Dieser Brief hatauch die Fraktion der Bündnisgrünen erreicht. Da ichdafür zuständig bin, habe ich daraufhin an unseren ver-ehrten neuen Bundesaußenminister einen Brief ge-schrieben und ihn gebeten, bei einem der nächsten Ge-spräche in den USA darauf hinzuwirken, daß wir dieseAkten endlich bekommen.So einfach war das aber offenbar nicht. Die neueBundesregierung – da erwarte ich von allen Seiten Bei-fall – hat mehrere sehr hochrangige Emissäre zu Ver-handlungen in die USA geschickt – darunter den HerrnStaatsminister Hombach und Herrn Uhrlau aus demKanzleramt; auch der Kanzler selber hat dieses Themaangesprochen –, um endlich einen Schlußstrich ziehenzu können und die Akten zurückzubekommen. Offenbarwaren diese Bemühungen zumindest zum Teil erfolg-reich; darüber sollten wir alle glücklich sein.Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, was nun tat-sächlich realisiert ist, sollten wir dem Staatsminister da-für dankbar sein, daß ein Teil der Akten zurückkommt.Auch der Gauck-Behörde sollten wir dankbar sein, daßsie es geschafft hat, die Datenbänder zu entschlüsseln,auf denen 180 000 Informationen über Berichte vonKundschaftern der HVA abgelegt sind, allerdings unterDecknamen. – Wenn wir die Akten hätten, könnten wirall diese Berichte zuordnen. Der Gedanke ist also lo-benswert. Daran sollten wir weiter arbeiten.Eine letzte Bemerkung: Woran ist dies vermutlichbisher gescheitert? Ihre Bemerkungen von der Oppositi-on dazu waren hier an die falsche Stelle gerichtet. Ganzoffenbar hat, wie es Geheimdienste zu tun pflegen, dieCIA versucht, diese Agenten, diese Kundschafter ausZeiten der DDR für sich zu nutzen, zumindest zum Teil.Weil sie diese nicht enttarnen will, weil sie die Namenweder dem Bundestag noch der Gauck-Behörde mittei-len will – sie will sie möglicherweise noch für ihrdunkles Handwerk gebrauchen –, ist es bisher nicht ge-lungen, die Akten zu bekommen. Ich fürchte, wir wer-den sie auch jetzt nicht vollständig bekommen.Wir haben uns von Anfang an dafür eingesetzt, daß dieAkten der Gauck-Behörde vollständig sind. Wir solltendie Gauck-Behörde an dem Zurückholen der Akten betei-ligen, damit alles seinen ordnungsgemäßen Gang geht.Die Gauck-Behörde hat unser aller Vertrauen.Deshalb werbe auch ich im Hinblick auf die folgendeAbstimmung für eine große Mehrheit, für Einstimmig-ke
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe CIA, der ge-
samte Deutsche Bundestag bittet euch, uns die Akten zu-
rückzugeben. Wir brauchen sie, um unsere Akten zu
entschlüsseln, um das Archiv der Gauck-Behörde und
endlich auch diesen Teil der Erinnerung der neuen Bun-
desrepublik Deutschland zu vervollständigen.
Danke sehr.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Die Mehrheit unserer Fraktion wird demvorliegenden Antrag zustimmen,
weil wir einer Aufarbeitung der Vergangenheit der DDRnatürlich nicht entgegenstehen wollen. Gleichzeitig willich darauf hinweisen, daß ich die hier geäußerten– übertriebenen – Erwartungen, zu welchen Erleuchtun-gen es im Rahmen der Aufarbeitung kommen soll, nichtteile. Aber wir werden sehen. Ich meine, man solltenicht übertreiben.Die Akten sind gestohlen worden. Es ist also unserlegitimes Recht, diese Akten zurückzubekommen. Es istschon ein bißchen peinlich, wenn man sich jetzt anhörenmuß, daß die Amerikaner entscheiden, was für die Deut-schen im Rahmen der Aufarbeitung ihrer Vergangenheitwissenswert bzw. notwendig ist.Mir ist in diesem Zusammenhang noch ein andererAspekt wichtig: Zum Glück wird es, wenn wir die dies-bezüglichen Materialien und mikroverfilmten Akten derHVA erhalten, keine erneute Welle der Strafverfolgunggeben. Das ist sehr wichtig. Dennoch möchte ich an dieBundesregierung appellieren: Sie sind im Zusammen-hang mit der Rückgabe der Akten als Rechtsnachfolge-rin der DDR aufgetreten. Wenn man dies tut – dies kön-nen Sie natürlich tun –, sollte man auch für die noch ein-sitzenden DDR-Spione, die in den USA verurteilt wor-den sind, eintreten und ihnen gegenüber eine gewisseFürsorgepflicht walten lassen. Ich möchte an dieserStelle daran erinnern, daß manche dort bis zu 17 JahreHaft absitzen müssen. Auch um diese Fälle sollte sichdie Bundesregierung kümmern.Die unterschiedliche Behandlung der östlichen undder westlichen Spionage bleibt meines Erachtens einHans-Christian Ströbele
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Unrecht. Das sollte man in dieser Debatte nicht verges-sen.Danke.
Jetzt hat der
Herr Bundesminister Bodo Hombach das Wort.
Bodo Hombach, Bundesminister für besondere
Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes: Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich an-
gesichts des breiten Konsenses und der sachlichen Über-
einstimmung kurz fassen. Ich möchte jedoch einige Be-
merkungen machen, damit keine Mißverständnisse ent-
stehen. Die Bundesregierung empfindet den vorliegen-
den Antrag als sehr nützlich und hilfreich, als so hilf-
reich, daß der Kanzler in seinem Schreiben an den Prä-
sidenten der USA, in dem er noch einmal mit Nachdruck
die Herausgabe der Unterlagen anmahnt, auf die ge-
meinsame Willensbildung des Bundestages – soweit
uns das zumindest aus dem Innenausschuß bekannt
war – Bezug genommen hat. Ich hatte im Innenausschuß
die Gelegenheit, die entsprechenden Abläufe darzustel-
len. Die Fachebene hat, wie es sich gehört, in der PKK
über die Angelegenheit berichtet.
Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß wir das, was
wir tun, in der Kontinuität dessen sehen, was schon unse-
re Vorgänger zu unternehmen versucht haben. Eine Be-
merkung, die Herr Schmidt-Jortzig gemacht hat, veranlaßt
mich, auf folgenden Aspekt einzugehen: Die Geheim-
dienste, also die Fachebene, hatten in dieser Angelegen-
heit längst Kontakt untereinander, haben das eine oder
andere schon miteinander zu unternehmen versucht und
haben sich das eine oder andere schon offenbart. Das ist
nicht das Thema. In der öffentlichen Debatte aber rankten
sich um diese Unterlagen zum Teil giftige Legenden und
Ideen, die aus meiner Sicht von der politischen Ebene
öffentlich ausgeräumt werden müssen, damit das, was
sich darum herumrankt, nicht mißbraucht werden kann,
das heißt, an einer Stelle entzweit und spaltet, wo es nicht
hingehört. Deshalb muß diese Angelegenheit bewußt
öffentlich und politisch gelöst werden.
Es waren die Geheimdienste, die die Bundesregierung,
nachdem sie in ihrem Tun nicht mehr weiterkamen bzw.
festgefahren waren, gebeten haben, den Vorgang politisch
aufzugreifen. So ist es auch geschehen. Ich lege Wert dar-
auf, daß wir nach den Fortschritten, die sich jetzt im fach-
lichen Bereich abzeichnen, die Gelegenheit haben – dies
ist vermutlich Konsens im gesamten Haus –, das Ganze
politisch – sprich: öffentlich – aufzubereiten und zu ver-
wenden, damit sich im öffentlichen Bewußtsein durch die
Störungen und das, was in dieser Angelegenheit gestreut
wird und Mißverständnisse provozieren könnte, keine
Schimmelpilze ansetzen. Insofern, Herr Schmidt-Jortzig,
war das, was Sie andeuteten, notwendig, nämlich die
öffentliche Auseinandersetzung auch mit den Vereinigten
Staaten darüber, daß wir einen Anspruch darauf haben, zu
wissen: Was habt ihr da? Wir wollten wissen, was das für
die Aufarbeitung unserer Geschichte und die Verstrik-
kungen bedeutet, die hier schon eine Rolle spielten: Hat
sich da jemand schuldig gemacht? Das meine ich nicht im
strafrechtlichen Sinne, sondern im moralisch-politischen.
Insofern haben wir die Öffentlichkeit absichtlich herge-
stellt, und sie gehört auch dazu, wenn man das leisten
will, was Sie jetzt zum Teil im Konsens gefordert haben,
nämlich ein Stück Geschichtsbewältigung.
Schönen Dank.
Ich schließedamit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußemp-fehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionder CDU/CSU zur Überlassung der Akten der Hauptver-waltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheitder ehemaligen DDR durch die Regierung der Vereinig-ten Staaten von Amerika; Drucksache 14/515. Der Aus-schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/89 in derAusschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-schlußempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen?Die Beschlußempfehlung ist damit mit den Stimmen desganzen Hauses angenommen worden.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5a und 5b auf: a) Beratung des Abschlußberichts der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und derUmwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einernachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“Konzept NachhaltigkeitVom Leitbild zur Umsetzung– Drucksache 13/11200 –Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit(federführend)RechtsausschußFinanzausschußAusschuß für Wirtschaft und TechnologieAusschuß für GesundheitAusschuß für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuß für Bildung, Forschungund TechnikfolgenabschätzungAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeitund EntwicklungAusschuß für Tourismus b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzunghier: „Forschungs- und Technologiepolitik füreine nachhaltige Entwicklung“– Drucksache 14/571 –Berichterstattung:Abgeordnete Jürgen W. MöllemannUrsula BurchardtAxel E. Fischer
Hans-Josef FellAngela MarquardtÜberweisungsvorschlag:
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Enquete-Berichtesind in aller Regel ein Stück parlamentarische Fleißarbeit.Sie sind nach gründlicher Beratung entstanden; sie bezie-hen das vorhandene Expertenwissen vollständig ein; sieorganisieren einen politischen Konsens. Sie sind also einStück weit ein runder Tisch im Parlament. Es wird dortüber langfristig bedeutsame, schwierige Fragen geredet,die uns alle auch nach dieser Legislaturperiode noch be-schäftigen werden. Sie sind also, in einem Wort, langat-mig, kompliziert. Es handelt sich um gewichtige Werke– dieses, das ich jetzt in der Hand halte, wiegt immerhinfast 400 Gramm –, und sie setzen sehr leicht Staub an.Immer wenn mir jemand voll Stolz mitteilt, er habe denEnquete-Bericht „Konzept Nachhaltigkeit – Vom Leitbildzur Umsetzung“ gelesen, haben wir gemeinsam in derKommission den Witz gemacht: Ach, Sie waren das.Nun verhält es sich gerade mit diesem Enquete-Bericht so, daß er eigentlich eine ungewöhnliche Wir-kungsgeschichte hat. Wir wissen ja von alten Enquete-Berichten, daß man zu ihrer Abfassung einen großenzeitlichen Vorlauf brauchte und sie erst nach und nachverwirklicht wurden. Ich darf in diesem Zusammenhangden Kolleginnen und Kollegen auch einmal danken, diedas Thema „Schutz der Erdatmosphäre“ über Jahre imDeutschen Bundestag behandelt haben, die das Klima-schutzziel erarbeitet haben und ohne deren Vorarbeitenwir heute nicht mit der Bevölkerung über das Thema derCO2-Reduktion einvernehmlich reden könnten. Da istwirklich über Jahre eine grundlegende Arbeit geleistetworden. Ohne diese Vorarbeiten wäre auch eine Ener-giewende heute nicht möglich. Insofern gibt es einelangfristige Wirkung dieser Enquete-Kommission.
Dafür den Kolleginnen und Kollegen in allen Frak-tionen herzlichen Dank!Die Wirkungsgeschichte ist insofern einmalig, alsForderungen einer Enquete-Kommission noch nie sozeitnah in politisches Handeln umgesetzt wurden. Esgibt eine ganze Reihe von Forderungen aus dem Kom-missionsbericht, die unmittelbar in die Koalitionsverein-barung eingeflossen sind. Wir haben also ein Stück weitdurchgesetzt, daß diese Erkenntnisse ernsthaft umgesetztwerden. So findet sich in der Koalitionsvereinbarung dasZiel wieder, für die Bundesrepublik Deutschland ge-meinsam eine Nachhaltigkeitsstrategie zu erarbeiten– das ist die zentrale Botschaft dieses Berichts – und inZukunft mit der Fläche sparsamer umzugehen, also denFlächenverbrauch vom Wirtschaftswachstum abzukop-peln. Darüber hinaus hat die Enquete-Kommission deut-lich gemacht, daß wir langfristig 10 Prozent der Flächefür Naturschutz in Deutschland brauchen, wenn wir demArtensterben Einhalt gebieten wollen. All diese Forde-rungen des Enquete-Berichts sind sehr zeitnah umge-setzt worden. Die neue Bundesregierung hat die Be-richte also ernst genommen und einiges sogar in dieKoalitionsvereinbarung aufgenommen.
Wenn wir heute den Enquete-Bericht diskutieren,dann müssen wir uns auch um den Umsetzungsprozeßkümmern. Wir wollen diese Debatte über einen abge-schlossenen Bericht zum Anlaß nehmen, einen neuenAnlauf zu machen. Es ist nicht damit getan, zu sagen,daß wir eine Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschlanderarbeiten wollen. Vielmehr sollten wir uns gemeinsamGedanken machen, wie wir diesen Prozeß organisierenwollen, wie wir ihn parlamentarisch, von allen Seitendes Hauses, begleiten können und wie es uns gelingenkann, die Ergebnisse dieses Berichts in politisches Han-deln umzusetzen.Deshalb müssen zuallererst drei Fragen beantwortetwerden: Was soll mit einer nationalen Nachhaltigkeits-strategie erreicht werden; was muß ihr Inhalt sein? Wie,mit welchen Instrumenten und Maßnahmen, kann mandies erreichen? Wer muß auf welcher politischen Ebenediese Maßnahmen umsetzen? – Diese drei Fragen sindzu beantworten.Zunächst: Was soll mit einer nationalen Nachhal-tigkeitsstrategie erreicht werden? Ich habe es schon ge-sagt: Wir tun dies nicht, um die Menschen zu quälen,sondern wir tun dies, damit die künftigen Generationendieselben Lebenschancen haben. Das heißt, unsere Wirt-schaftsweise, unsere Konsummuster müssen sich einStück weit ändern, und zwar in einem gesellschaftlichenGrundkonsens. Es hat wenig Sinn, das von oben zu ver-ordnen. Es muß umgedacht werden, und diesen Prozeßgilt es gemeinsam einzuläuten.Als zweites müssen wir die Frage beantworten, wiedas erreicht werden soll. Es soll erreicht werden, indemwir uns Ziele vornehmen. Nun sind schon eine Vielzahlvon Zielen aufgeschrieben worden: Das Umweltbundes-amt hat einige Ziele erarbeitet; wir haben in unseremEnquete-Bericht einige Ziele erarbeitet. Aber auch ande-Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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re Vorarbeiten sind geleistet worden: beispielsweisedurch das Wuppertal-Institut oder durch die alte Bundes-regierung, den „Schritte-Prozeß“, den Frau Merkel for-muliert hat. Dies alles müssen wir zur Grundlage ma-chen, um gemeinsam umweltpolitische Ziele festzule-gen. Dann aber müssen auch Maßnahmen und Instru-mente diskutiert werden, damit man nicht ein hehresZiel wie eine Monstranz vor sich herträgt und aus denAugen verliert, wie man dort hinkommt.
Wer muß das Ganze organisieren? Zunächst einmalist die Bundesregierung am Zug. Wir haben im Um-weltausschuß darüber geredet, daß es jetzt notwendig ist,daß die Bundesregierung die Vorarbeiten und Zielesammelt und Vorschläge erarbeitet, mit welchem Zieldie gesellschaftlichen Gruppen beteiligt werden. DennAgendaprozesse haben Inhalte – betreffen also die Fra-ge: wo wollen wir hin? –, aber sind gleichzeitig auch einneues Verfahren. Sie stehen für ein Verfahren, in demgesellschaftliche Partizipation praktiziert wird, alsoBürger- und Mitwirkungsrechte ernst genommen wer-den. Auf Bundesebene ist das sehr schwierig zu gestal-ten. Jeder, der Lokale-Agenda-Prozesse in Städtenkennt, weiß, daß es dort viel einfacher ist. Da sind wirmittlerweile auf einem sehr guten Weg. Deshalb ist eswichtig, daß wir diesen partizipativen Prozeß auf Bun-desebene gestalten. Das heißt, wir brauchen einen „Ratfür nachhaltige Entwicklung“, und zwar nicht als zu-sätzliches, sondern als eigenständiges Gremium, das diebisherige Beratungslandschaft praktisch ersetzt.Wir haben dafür in Deutschland eine einmaligeChance, nämlich die, aus den Prozessen in unserenNachbarländern zu lernen. Wir wissen, daß zum Beispieldie Niederlande einen Umweltplan erarbeitet haben.Die Ziele sind schön und hehr. Aber die Frage ist: Wer-den sie überhaupt erreicht? Wir wissen, daß zum Bei-spiel die Österreicher mit gesellschaftlichen Gruppenein wunderbares Modell für einen Prozeß erarbeitet ha-ben. Aber es ist später nie mehr aus der Schublade her-ausgeholt worden. Wir wissen, daß auch die Schweizeinen sogenannten „IDA-Rio-Prozeß“, einen gemeinsa-men Umweltplan, erarbeitet haben, daß aber auch dortdie Schritte der Umsetzung noch nicht konkret genugsind. Das heißt, wir können von den Nachbarn lernen;das ist die eine Chance.Die andere Chance ist: Wir haben nun eine Bundes-regierung, die entschlossen ist, das, was wir aufge-schrieben haben, auch umzusetzen. Dafür bin ich sehrdankbar.
Wie kann die bundespolitische Situation fruchtbargemacht werden? Wir brauchen neben dem Ansatz, aufBundesebene aktiv zu werden, ein Unterfutter. Wirbrauchen – wie man es neuhochdeutsch sagt – „Bottom-up-Prozesse“. Das heißt, wir brauchen Lokale-Agenda-Prozesse nicht nur in einzelnen Gemeinden, sondernbundesweit. Auch da brauchen wir ein Umweltziel.Tony Blair hat zugesagt, daß 100 Prozent der engli-schen Gemeinden bis zum Jahr 2000 eine lokale Agendahaben. Davon sind wir noch weit entfernt. Aber wirsollten uns das Ziel setzen: Bis zum Jahr 2000 sollte dieHälfte der Gemeinden den Prozeß begonnen haben, da-mit wir in diesem Bereich nicht Schwellenland oderMittelfeld sind, sondern auch dort eine umweltpolitischeVorreiterschaft übernehmen.Ich danke den vielen Städten, die das schon getan ha-ben, ganz besonders; denn sie haben es ohne finanzielleUnterstützung durch den Bund getan, sie haben es allei-ne getan. Sie sind da ein Stück weit von der alten Bun-desregierung alleine gelassen worden. Ich denke an Vor-reiterstädte wie Aachen, Heidelberg, München. Mittler-weile ziehen auch kleine Städte nach.Man muß ganz klar sehen, daß insgesamt drei Viertelaller Städte, die diesen Prozeß machen, aus nur dreiBundesländern kommen: Hessen, Nordrhein-Westfalenund Bayern. In diesen drei Bundesländern wurden denKommunen Zuschüsse gegeben. Der Prozeß wurde vonden Landesregierungen aktiv begleitet. Mittlerweile holtBaden-Württemberg – nach schwierigen Anfangspro-zessen – Gott sei Dank etwas auf. Ich denke, wir müssenes uns zum Ziel machen, daß dieser Prozeß in allenBundesländern gefördert wird und daß wir die Kommu-nen bei diesem schwierigen Verfahren nicht alleine las-sen.
Insofern haben wir uns mit diesem Bericht viel vor-genommen. Er wird uns Leitlinie und Richtschnur sein.Wir werden die nationale Nachhaltigkeitsstrategie aufallen drei Ebenen angehen. Wir werden Ziele erarbeiten;das ist Aufgabe der Bundesregierung. Wir werden diegesellschaftlichen Gruppen beteiligen. Da hat auch dasParlament ein gewichtiges Wort mitzureden. Wir brau-chen die Unterstützung der kommunalen Seite und wol-len ihnen von dieser Stelle aus sagen: Wir sind stolz aufeuch. Macht weiter so! Wir werden es euch nachtun.Unsere Kinder werden es uns danken.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christa Reichard.
Frau Prä-sidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-gen! Ich finde es gut und richtig und auch angemessen,daß sich der Deutsche Bundestag mit den Zielen undRahmenbedingungen einer nachhaltigen Entwicklungbeschäftigt. Ich bin davon überzeugt, daß er es dabeinicht bewenden lassen wird und daß wir uns auch in Zu-kunft mit den Ergebnissen der Enquete-Kommission zubeschäftigen haben werden.Marion Caspers-Merk
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Weltweiter Start für diese Bemühungen war die Kon-ferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Na-tionen 1992 in Rio de Janeiro. 170 Staaten waren daranbeteiligt. Auf dieser Konferenz wurde ein Aktionspro-gramm verabschiedet, das unter dem Namen Agenda 21bekanntgeworden ist. Dieser Name trägt allerdings aktu-ell durch die Debatten um die Agenda 2000 eher zurVerwirrung bei.Dieser globale Aktionsplan ist durch Aktionspläneoder auch Nachhaltigkeitsstrategien durch in der Agendaaufgeführte Akteure zu untersetzen. Dies wurde auchdurch das Motto „Global denken, lokal handeln“ deut-lich gemacht.Dieser Aufgabe haben sich sowohl die Bundesregie-rung als auch der Deutsche Bundestag in den vergange-nen Jahren auf vielfältige Weise gestellt, wie meine Vor-rednerin schon deutlich gemacht hat, auch im Wissendarum, daß staatliche Reglementierung nicht im Mittel-punkt dieses Prozesses steht, sondern daß er im wesent-lichen von den Akteuren, die vor Ort Projekte umsetzen,getragen wird.Es gibt in vielen anderen Ländern auf unterschied-lichsten Ebenen von unterschiedlichen Akteuren eineReihe von Bemühungen. Ich denke, es ist auch ein Ver-dienst der Enquete-Kommission, daß sie sich damit be-schäftigt hat, daß sie den gegenwärtigen Stand von Dis-kussion und Umsetzung in Europa und in den USA zu-sammengetragen hat und daß sie auch die Kommunen,die sich in Deutschland mit einer lokalen Agenda 21 be-fassen, im Rahmen einer Anhörung hat zu Wort kom-men lassen.Ich möchte auf zwei grundsätzliche Schwierigkeitenbei der Debatte und Umsetzung des Leitbildes einernachhaltigen Entwicklung in meinem Beitrag eingehen.Das erste und schwer zu lösende Problem scheint mirnach wie vor das Kommunikationsproblem zu sein.Darauf hatte ich schon in meiner letzten Rede in diesemThema hingewiesen. Aber leider hat sich an dieser Tat-sache bisher wenig geändert.Voraussetzung für die Umsetzung all unserer Vor-schläge ist es aber, den Gedanken der Nachhaltigkeitzum Allgemeingut und für jedermann verständlich zumachen. Eigentlich sagt dieser Begriff verkürzt, daß wirnicht den Ast absägen dürfen, auf dem wir sitzen bzw.auf dem unsere Kinder und Enkel noch sitzen wollen.Ganz so einfach ist das natürlich nicht. Aber unsere wis-senschaftlichen Definitionen müssen durch einprägsame,für jeden verständliche Bilder ergänzt werden. Dort seheich auch über unser Parlament hinaus weiteren Hand-lungsbedarf.Unsere Vorgängerkommission hat uns bereits Nach-haltigkeitsregeln für die ökologische Dimension mit aufden Weg gegeben. Im Leitbild der Nachhaltigkeit gehtes uns allerdings um die Integration der drei Dimensio-nen Umwelt, Wirtschaft und Soziales, die untereinan-der in einem Spannungsverhältnis stehen, was wir ausvielen einzelnen Beispielen kennen.Damit komme ich zum zweiten Problem bei derUmsetzung des Leitbildes einer nachhaltigen Entwick-lung. In der Arbeit der Enquete-Kommission ist es unstrotz mancher Bemühungen und auch im Wissen darumnicht ausreichend gelungen, die Gleichwertigkeit derdrei Dimensionen hinreichend deutlich zu machen. Ichsage Ihnen, meine Damen und Herren: Wenn es uns jetztnicht gelingt, das Thema von einem einseitig ökologischorientierten Zugang zu befreien, wird uns das auch inZukunft nicht gelingen.Es ist durchaus folgerichtig, daß der Anstoß zu dieserdreidimensionalen Nachhaltigkeitsdebatte von der Um-weltpolitik ausgegangen ist. Historisch betrachtet hat dieBeschäftigung mit Interessen von Wirtschaft und So-zialem eine wesentlich längere Tradition als die Beach-tung von Umweltinteressen.Im Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft sindMechanismen, Ziele und Rahmenbedingungen für denInteressenausgleich von Wirtschaft und Sozialem bereitsentwickelt worden. Aber auch hier stellen wir fest, daßder Gedanke der Nachhaltigkeit nicht immer ausrei-chend berücksichtigt wurde. Unter anderem deshalb sindReformen bei den sozialen Sicherungssystemen notwen-dig.Wenn aber dieses Modell der sozialen Marktwirt-schaft erfolgreich bleiben soll, muß die ökologischeDimension als dritte und gleichrangige Säule dazukom-men. Aber dabei dürfen wir nicht von einem Extrem insandere fallen. Stellen Sie sich einen dreibeinigen Tischvor, dessen Beine nicht die gleiche Länge aufweisen.Die Platte gerät in eine bedrohliche Schieflage.Genau diese Schieflage hat sich auch bei der Behand-lung des Nachhaltigkeitsthemas nicht nur in der En-quete-Kommission herausgestellt. Unsere Debatten imTeilnehmerkreis hier und anderswo und die Anbindungan das Umweltressort auf allen Ebenen zeigen, daß esnoch nicht gelungen ist, die nachhaltige Entwicklung zueinem wirklich zentralen Anliegen zu machen, eben weilwir diese umweltorientierte Schieflage haben.Meine Damen und Herren, für den Erfolg der Umset-zung von Nachhaltigkeitsstrategien ist eines von ent-scheidender Bedeutung: Nachhaltigkeit muß Chefsachesein und muß im Zentrum der politischen Bemühungenstehen. Das gilt nicht nur für staatliche Stellen, die denProzeß begleiten, sondern vor allem auch für Akteure inihrer jeweiligen Verantwortung. Gerade weil in diesemProzeß der vielen Schritte die Einbeziehung vielergesellschaftlicher Gruppen unbedingt dazugehört, mußdas Hauptanliegen Chefsache sein. Auch Arbeitgeberund Gewerkschaften sind aufgerufen, sich aus ihrerSicht noch intensiver als bisher mit einer nachhaltigenEntwicklung zu beschäftigen, wie es beispielsweise derVCI gemeinsam mit der Gewerkschaft für Chemie,Bergbau und Energie in beeindruckender Weise begon-nen hat. Nur durch die Integration der Nachhaltig-keitsüberlegungen in alle anderen Politikbereiche kön-nen wir die Diskussion in die richtige Richtung bringen.Trotz mancher Unvollkommenheiten und Mängel desvorgelegten Abschlußberichtes bin ich davon überzeugt,daß er wichtige Anregungen für viele Akteure gebenkann und daß er eine Einladung an alle darstellt, die sichChrista Reichard
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am Zukunftsprojekt einer nachhaltigen Entwicklung be-teiligen wollen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Winne Hermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nunbald sieben Jahre her, daß sich in Rio über 170 Nationenauf ein umfangreiches Vertragspaket über die Zukunftder Menschheit, über die Agenda 21, verständigt haben.In diesem Vertragspaket hat auch die BundesrepublikDeutschland sehr weitreichende Verpflichtungen über-nommen. Wir haben uns – übrigens hat das der Bun-destag einstimmig nachvollzogen – dem anspruchsvol-len Konzept der nachhaltigen Entwicklung verschrieben.Das ist ein hoher Anspruch. In all diesen Jahren ist vieldiskutiert, viel geforscht, viel debattiert und es sind vieleBerichte geschrieben worden. Aber in all diesen Jahrenist auf der Ebene des politischen Handelns wenig – ichmeine: deutlich zu wenig – geschehen.
In Deutschland mangelt es noch immer an dem Kon-zept einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie oderauch nur eines Umweltplans. Es gibt keinen Innova-tionsvorschlag, der das neue Entwicklungsmodell auf-greift und die Institutionsreform umsetzt. Es ist schonvon Frau Kollegin Caspers-Merk angesprochen worden,daß lokale Agendaprozesse – so wichtig sie sind – in derBundesrepublik Deutschland immer noch eine beschei-dene, randständige Rolle spielen. Das ist in vielen ande-ren europäischen Ländern weit besser als bei uns in derBundesrepublik gemacht.
Es ist erstaunlich, daß diese Kommission in all denJahren des „nachhaltigen Nichtstuns“ so gut gearbeitethat; das sage ich bewußt und absichtlich. Man konntenicht von Anfang an erwarten, daß diese Kommission soviele Beiträge zur Debatte in der Bundesrepublik bringt.Ein Kompliment an alle Mitglieder – auch an die, dieheute in der Opposition sind, und an diejenigen, die dasheute anders sehen! Sie haben gute Arbeit geleistet; dasmeine ich wirklich ernst und ehrlich.
Wenn es ein bleibendes Verdienst dieser Kommissiongibt, dann ist es sicherlich die Tatsache, daß die Drei-dimensionalität des Entwicklungsbegriffs Nachhaltig-keit – Ökologie und Soziales verbunden mit der Öko-nomie – nun auch in der deutschen Politik eine Rollespielt. Damit hat man, glaube ich, den Horizont derPolitik ein Stück weit erweitert und zu einem neuen in-tegrativen Politikverständnis beigetragen.
Dieser Bericht enthält eine ganze Reihe von Vor-schlägen – viele ganz konkrete, viele eher allgemeineVorschläge. Zunächst will ich einige positive Beispieleherausgreifen, zunächst das Problem des Flächenver-brauchs und des Naturverbrauchs. Mit dem Vorschlag,den Flächenverbrauch in der Bundesrepublik auf10 Prozent des heutigen Niveaus bis zum Jahre 2010 zureduzieren, hat sich die Kommission auf ein sehr hohesZiel geeinigt. Das Ziel bedeutet zwar nicht einen Stoppdes Flächenverbrauchs. Aber es ist sehr hoch und an-spruchsvoll. Ich muß Ihnen sagen: Wenn es uns gelingt,dieses Ziel zu erreichen, dann haben wir in dieser Repu-blik viel für den Landschafts- und Artenschutz getan.
Ein zweites schönes Beispiel stammt aus dem Be-reich des Wohnens. Wir wissen, daß Wohnen und Bau-en gemessen an den Gesamtstoffströmen und an demEnergieverbrauch der Wirtschaft ungeheuer wichtigeBereiche sind. Hier hat die Kommission die Idee desGebäudepasses aufgegriffen. Mit Hilfe dieses Passessollen Gebäude und Wohnungen daraufhin untersuchtwerden, wo Energie verbraucht wird und wo sie abgeht,welche Baumaterialen verwendet werden und welcheungesund sind und wie die ökologische Qualität einesGebäudes oder einer Wohnung beschaffen ist. Mit Hilfeeines solchen Passes läßt sich der Bereich des Wohnensund Bauens, wie ich meine, nachhaltig ökologisieren.Das wäre ein Fortschritt. Ich hoffe, wir können dieseIdee in den nächsten Jahren implementieren.
Der dritte Bereich betrifft die Informations- undKommunikationstechnologie. Hier hat man über dieJahre hinweg, wie ich meine, ziemlich geschlampt. Indieser Republik wurden über Jahre hinweg Fernseh-geräte und Computer ohne jegliches Recyclingsystemirgendwie entsorgt. Zum Teil stehen diese Geräte nochauf Hausspeichern herum. Viele Leute haben also Son-dermüll. Sie wissen es nur noch nicht. Viele Wertstoffeund gefährliche Stoffe werden verbrannt. Hier ist vielschiefgelaufen. Die Kommission hat das aufgearbeitet,Vorschläge gemacht und Alternativen entwickelt, zumBeispiel ein Öko-Label und ein ökologisches Design.Diese Ansätze sollten nicht nur im Kommunikationsbe-reich, sondern auch in allen anderen Bereichen verwirk-licht werden. Sie sind Beispiele für einen produkt- undproduktionsintegrierten Umweltschutz. Es muß möglichsein, daß der Umweltschutz schon beim Produkt und imProduktionsprozeß beginnt und damit die Umwelt ge-schützt wird. Das wäre eine Neuorientierung des Um-weltschutzes. Das ist die Zukunft.Christa Reichard
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Nach so viel Lob muß ich auch ein paar kritischeAnmerkungen machen. Eine grundsätzlich kritischeAnmerkung muß ich zu dem Anspruch der Kommissionmachen: Der Untertitel des Kommissions-Berichteslautet: „Vom Leitbild zur Umsetzung“. Diesen Anspruchhaben Sie leider nicht sehr gut eingelöst.
– Zwar klingt es gut, und es gibt auch ein paar schöneBeispiele, die ich genannt habe, aber im großen undganzen gibt der Bericht keine Anleitung für Politik, zuhandeln.Dazu ist er viel zu kursorisch und in vielen Punktenauch viel zu allgemein gehalten und zu wenig hand-lungsanleitend konkret. Er ist an vielen Stellen nicht nurdetailliert, sondern, wie ich finde, sogar detaillistisch.Man kann schon fast sagen, er ist überkomplex. In demBericht wird eine Sprache verwendet, die eigentlich nurein Fachpublikum verstehen kann. Das ist das eigentli-che Bedauerliche. Wenn man will, daß Nachhaltigkeitein gesellschaftliches Anliegen wird, daß die Mediendies aufgreifen und die Bürgerinnen und Bürger davonso berührt werden, daß sie sich Gedanken machen, dannmuß ein solcher Bericht in einer anderen Sprache ge-schrieben werden. Ich hoffe sehr, daß es demnächst eineÜbersetzung dieses Berichtes gibt, damit dieser Berichtauch die Resonanz findet, die er verdient hat.Nun zum Inhalt. Kollegin Reichhard, Sie haben dar-auf hingewiesen, daß die Dreidimensionalität wichtigsei. Ich schätze das auch so ein. Sie haben aus IhrerSicht gesagt, es sei wichtig, daß man von der Einseitig-keit der Ökologie herunterkomme. Ich möchte Ihnen da-zu sagen: Nach vielen Jahrzehnten der ökologischenBlindheit kann ich nicht sehen, daß wir jetzt irgendwieökologisch einseitig geworden sind;
vielmehr halte ich es für einen wirklichen Fortschritt,daß wir die angesprochenen drei Dimensionen als Ein-heit begreifen und daß es klar ist, daß Ökologie nichtohne soziale und ökonomische Dimension gedacht wer-den kann. Aber das gilt dann auch umgekehrt. Es gibtnoch immer viele ökonomische Prozesse, die nicht dar-auf geprüft werden, welche ökologischen und sozialenAuswirkungen sie haben. Genau das fehlt noch. Wirmüssen dafür sorgen, daß es anders wird. Das wird eineAufgabe der Zukunft sein.
Ein weiterer gravierender Mangel besteht darin – dasliegt im übrigen nicht an der Kommission selber, son-dern schon an ihrem Auftrag –, daß die Kommission dieNord-Süd-Dimension der Entwicklung, die Kerngegen-stand aller Verträge in Rio war, einfach ausgeklammerthat. Man kann das eigentlich kaum verstehen;
denn es ist doch klar, daß wir im Norden nicht in Frie-den, Gerechtigkeit und geschützter Umwelt leben kön-nen, wenn wir kein Entwicklungskonzept auch für dieanderen haben, das auf Dauer auf der ganzen Welt trägt.Das ist übrigens eine Zukunftsaufgabe für unsere neueRegierung, Frau Staatssekretärin.
Ich glaube, daß wir uns schon einiges vorgenommen ha-ben.Der vorliegende Bericht ist aus unserer Sicht zwarkeine konkrete Grundlage für die neue Regierung, aberwir nehmen ihn zum Anlaß. Wir haben uns vorgenom-men – das ist im Koalitionsvertrag festgehalten –, end-lich eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu entwik-keln. Aus unserer grünen Sicht wäre es günstig, mit ei-nem nationalen Umweltplan einzusteigen, wohlgemerkt:einzusteigen. Ich sage klar dazu: Es muß ein Umwelt-plan sein, der sozial und ökonomisch durchdacht ist, esdarf also kein einseitiger Umweltplan sein.Ich sage dazu klar, daß ein solcher Umweltplan einenzeitlichen Rahmen haben und Ziele und Maßnahmenbeinhalten muß und daß es gut ist, daß andere Ländernun Erfahrungen gemacht haben, von denen wir lernenkönnen. Wir müssen nicht die gleichen Fehler machen,aber wir können sehen, daß andere Länder weiter sindals wir. In diesem Bereich können wir zuschauen, wasandere gemacht haben, weil wir selber so lange untätigwaren.Manche Debattierende – ich nehme an, das kommtauch heute noch zur Sprache – sagen: Ein Umweltplanist nichts, das ist irgendwie DDR in Richtung Ökologie.Ich sage Ihnen aber ganz klar: Wenn wir in diesem Zu-sammenhang von Planungen reden, dann wollen wirnicht die DDR-Planwirtschaft ökologisch recyclen, nein,es geht schlicht und einfach um die Planung von Zu-kunft. Das gibt es übrigens in allen Bereichen der Poli-tik, und in der Wirtschaft ist es eine Selbstverständlich-keit.Es kommt darauf an, daß wir offen planen, daß diePlanung nicht von oben herab entwickelt wird, daß dieZielvorgaben und Maßnahmen im gesellschaftlichenDiskurs, im Parlament, mit den gesellschaftlichen Grup-pen, auch mit den Interessensgruppen ausgearbeitetwerden. Nur ein solcher Nachhaltigkeitsdiskurs kannzielgerichtet sein im Sinne eines nationalen Umwelt-plans und darüber hinaus zu einer nationalen Nachhal-tigkeitsstrategie führen. Das muß unser Ziel sein.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.Wir wollen nicht wie die alte Regierung am Ende unse-rer Regierungszeit ein Schwerpunktprogramm vorlegen,das die Regierung selber nicht trägt, das eher abgelehntwird. Nemesis ist die Rachegöttin, Zeitknappheit ist dieNemesis der Moderne. Wir haben nicht mehr viel Zeit,wir sollten endlich zum Handeln kommen. Wir wollendas mit unserer neuen Regierung tun. Wir wollen imJahre 2002 – zehn Jahre nach Rio – nicht mit leerenHänden dastehen, sondern mit einer umfassenden natio-Winfried Hermann
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nalen Nachhaltigkeitsstrategie, über die wir auch im in-ternationalen Vergleich sagen können: Wir haben einengroßen Schritt nach vorne getan.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Meinelieben Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bun-destag befaßt sich schon seit längerem mit der Gestal-tung einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwick-lung. Die Enquete-Kommission ist eine Institution, inder sich Abgeordnete und Sachverständige der unter-schiedlichen politischen, aber auch wissenschaftlichenRichtungen mit wichtigen und interessanten Themen be-fassen.Neben der Einsetzung der Enquete-Kommission be-auftragte der Deutsche Bundestag auch das Büro fürTechnikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestagmit einem Monitoring und einem Projekt zur For-schungs- und Technologiepolitik für eine nachhaltigeEntwicklung. Aus den beiden vorliegenden Berichtenlassen sich aus der Sicht der F.D.P. wichtige Ergebnisseableiten.Herr Kollege Hermann, Sie haben gesagt, der Dankrichtet sich auch an die, die das heute alles anders sehen.Ich sage Ihnen: Wir sehen das heute gar nicht alles an-ders. Bei der Arbeit am Bericht der Enquete-Kommission gab es nämlich nicht nur Friede, Freude,Eierkuchen, sondern auch richtig schöne Auseinander-setzungen, die inhaltlich orientiert waren und bei denenwir nicht auf einen Nenner kamen.Ich werde nachher noch etwas zum Thema nationaleNachhaltigkeitsstrategie sagen. Wir verabschieden unsnicht von dem, dem wir zugestimmt haben. Aber natür-lich bleibt auch nach diesem Schlußbericht der Enquete-Kommission ein weiter Interpretationsspielraum hin-sichtlich einer nachhaltig zukunftsverträglichen Ent-wicklung. Da baut sich immer wieder der Dissens auf,und das wird sich auch nicht ändern, solange wir nichtden gesellschaftlichen Diskurs darüber geführt haben.Wichtigstes Ergebnis der Arbeit der Enquete-Kommission ist auch aus unserer Sicht – das wurde schonangesprochen –, daß Umwelt, Soziales und Wirtschaftdrei gleichrangige Säulen einer nachhaltigen Entwicklungsind. Das hat zu Beginn der Kommissionsarbeit in derletzten Legislaturperiode noch nicht unbedingt die unge-teilte Zustimmung aller Mitglieder gefunden. Deswegenist diese Feststellung eines der wichtigsten Ergebnisse. Indiesem Sinne besteht eine vorrangige Zukunftsaufgabedarin, daß Nachhaltigkeitsaspekte eben nicht nur in dieUmweltpolitik, sondern auch in die Sozialpolitik und indie Wirtschaftspolitik integriert werden.
Der vorliegende Bericht zur Forschungs- und Tech-nologiepolitik für eine nachhaltige Entwicklung, den wirheute auch debattieren, zeigt, daß das Leitbild einernachhaltigen Entwicklung erst ansatzweise in den ent-sprechenden Politikbereichen umgesetzt wurde. Hier istnoch viel Arbeit zu leisten, da auch eine Neuorientie-rung der Forschungspolitik im Sinne der Nachhaltig-keit noch nicht erreicht ist.Der Ausschuß für Bildung, der in dieser Wahlperiodefür die Technikfolgenabschätzung zuständig ist, hat al-lerdings auf die Fortsetzung dieses Projekts verzichtet.Grund dafür sei, so wurde gesagt, daß die rotgrüne Bun-desregierung die Nachhaltigkeit zu einem Regierungs-schwerpunkt erklärt habe. Dazu stelle ich fest, daß SPDund Grüne sich in der Enquete-Kommission in der Tatmassiv dafür eingesetzt haben, daß das Thema Nachhal-tigkeit zur Chefsache wird. Jetzt darf man einmal ge-spannt sein, wie die Umsetzung dieser Forderung voran-gebracht wird, da der „Chef“ nun aus dem rotgrünenLager kommt. Ich beobachte jedenfalls die rotgrüneUmwelt- wie auch Wirtschafts-, Sozial- und Technolo-giepolitik unter diesem Gesichtspunkt sehr genau undkann nur sagen, daß mir Nachhaltiges bisher noch nichtaufgefallen ist.
Eher sind mir jede Menge unüberlegter Schnellschüsseaufgefallen, die zwar nicht nachhaltig, dafür aber ver-besserungswürdig sind.
Frau Caspers-Merk, Sie hatten darauf hingewiesen,daß die Koalitionsvereinbarung weitgehend auf die En-quete-Kommission Bezug nehme. Im Vorspann der Ver-einbarung gibt es in der Tat einen Punkt, in dem esheißt, die Bundesregierung werde eine nationale Nach-haltigkeitsstrategie entwickeln. Bis jetzt habe ich davonnoch nichts gehört. Sie haben dafür noch ein bißchenZeit; das ist ja in Ordnung. Aber wenn man das so in denVordergrund stellt und zur Chefsache erklärt, dann hätteich zumindest erwartet, daß man sich auch darauf einigt,wer dafür zuständig ist. Bisher merke ich noch nichteinmal, daß überhaupt jemand von den Herren und Da-men Ministern in der Regierung daran denkt, sich fürzuständig zu erklären – schon gar nicht der, der viel-leicht in der Nachfolge von Frau Merkel das machensollte, nämlich Herr Trittin. Von ihm habe ich zu diesemThema überhaupt noch nichts gehört.
Als zweites steht in der Koalitionsvereinbarung, daßdie chemiepolitischen Empfehlungen der Enquete-Kommission umgesetzt werden sollen. Wenn man aller-dings den Bericht liest, findet man solche Empfehlungennicht. Vielleicht kann man mir das einmal erklären.Darum habe ich schon einmal gebeten, und es ist nichtgemacht worden. Der Grund dafür ist wahrscheinlich,daß auch Sie es in dem Enquetebericht nicht finden kön-nen. Sie sagen zwar, in diesem Bereich sei alles wun-Winfried Hermann
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derbar vorbereitet und Nachhaltigkeit werde jetzt einezentrale Rolle spielen. Wenn man dann aber näher hin-schaut, stellt man fest, daß der Schein trügt.Herr Kollege Hermann, Sie haben uns gerade gesagt,der Bericht biete keine oder jedenfalls zu wenigeHandlungsanleitungen für konkrete Maßnahmen, siehtman einmal von den Beispielen ab, die Sie genannt ha-ben. Das ist zwar richtig, liegt aber an dem Problem, daßSie unter Nachhaltigkeitsaspekten alle Bereiche durch-deklinieren müssen. Das konnte die Enquete-Kommis-sion nicht vollständig leisten. Hinzu kommt, daß natür-lich genau an den Stellen, an denen es in der PolitikDissens gibt, dieser in der Enquete-Kommission eben-falls aufgebrochen ist. Wenn man bei der Formulierungder Ziele einer nachhaltig zukunftsverträglichen Ent-wicklung lediglich an Vorschriften denkt, dann geht dasan den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Dagegen hatsich die F.D.P. immer gewehrt, und dagegen wird siesich auch weiter wehren.
Es kann nicht sein, daß der Begriff der Nachhaltigkeit,der von seiner Definition und von dem her, was jetzt er-arbeitet worden ist, zentral wichtig für die Zukunft ist,dafür mißbraucht wird, daß alte, gescheiterte Politikkon-zepte wieder zum Vortrag gebracht werden.
Das ist zu den Themen Tempolimit, Quotenregelungbei Verkehrs-, Siedlungs- und Naturschutzflächen, Len-kung aller Stoffströme und anderen mehr passiert. Dazugab es Auseinandersetzungen, und deswegen werden Siedazu keine konkreten Empfehlungen finden. Die Ange-legenheit hat einen politischen Hintergrund. Daß es dazukeine konkreten Empfehlungen gab, liegt nicht daran,daß man keine hatte geben wollen.
Ein Regelungsdickicht und auch eine gewisse Be-vormundungspolitik – also das, was damit einhergehenwürde – können wir, die F.D.P., nicht mittragen. Es isteinfach, aber falsch, den Bürgerinnen und Bürgern seineeigenen Vorstellungen von einem nachhaltigen Konsum-und Produktionsstil zu verordnen.Wir erreichen eine nachhaltige Entwicklung nurdurch einen gesellschaftlichen Prozeß der gemeinsa-men Zielsetzung und auch durch den Konsens über We-ge dorthin.
Ich finde, dafür sollten alle gesellschaftlichen Gruppenin die Verantwortung einbezogen werden, um so Be-wußtsein und Strategien zu entwickeln.Wir haben uns gestern im Umweltausschuß über einenationale Nachhaltigkeitsstrategie noch einmal unter-halten und vereinbart, daß wir an Hand der weiterenDiskussion über den Bericht der Enquete-Kommissiondarüber beraten wollen, ob wir diesen Prozeß gemein-sam in Gang bringen wollen. Im übrigen zeigt sich, daßdie Regierung es offensichtlich noch nicht ganz vonallein macht, daran, daß die SPD und die Grünen gesterneinen Antrag im Umweltausschuß eingebracht haben,daß die Regierung aufzufordern sei, das zu tun.
Wir werden gerne dazu beitragen, daß das Parlament einbißchen nachhilft. Sie haben unsere volle Unterstützungdabei, der Regierung Beine zu machen.
– „Nachhaltige Nachhilfe“, das ist ein schöner Begriff,den Sie da prägen. Wir werden uns bemühen, nachhalti-ge Nachhilfe zu geben.Unter dem Aspekt, daß die gesellschaftlichen Grup-pen nach Möglichkeit einbezogen werden, werden wireinen Weg finden müssen, wie dieser Prozeß aussehenkann.
Frau Kollegin
Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres
Kollegen Fritz?
Ja, bitte.
Verehrte Frau Hombur-
ger, Sie haben jetzt zweimal darauf hingewiesen, daß es
offensichtlich Umsetzungsprobleme gibt, die einerseits
verständlich sind, weil so etwas Zeit braucht, die aber
auf der anderen Seite bei der Verve, mit der die Kolle-
ginnen und Kollegen von den Grünen und der SPD in
der Kommission ihre Vorstellungen vorgetragen haben,
nicht zu erwarten waren. Sind nicht auch Sie der Mei-
nung, daß man nach der Verve, mit der damals die
Querschnittsneuorientierungen als Chefsache durch die
Ministerien vorgetragen worden sind, eigentlich hätte
erwarten können, daß der Chef des Kanzleramts bereits
heute in diese Debatte eingreift und sein Konzept für
eine nachhaltige Regierungsarbeit vorträgt?
Herr Kollege, ich weißnicht, ob man das wirklich hat erwarten können. Wenig-stens hätte man erwarten können, daß er mit seiner An-wesenheit das Interesse an diesem Thema dokumentiert
und bei Gelegenheit vielleicht auch deutlich macht, daßman dieses Thema aufgreifen will. Daß man diese Sachejetzt aufgreifen will, daß man diese Sache in die Regie-rungsarbeit hineinnehmen will, daß man im Kabinett ei-ne Strategie entwickeln will, wie das gemacht werdensoll, habe ich noch nicht gehört, auch nicht aus demKanzleramt. Vor allen Dingen hat man noch niemandenbestimmt, der für die Angelegenheit die Federführungübernimmt; denn wenn man das nicht macht, dann kannman auch nicht erwarten, daß es irgendwann geschieht.Wenn sich von den Ministern offensichtlich keiner zu-Birgit Homburger
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ständig fühlt, dann muß man einmal ein Machtwortsprechen. Ich habe nicht erwartet, daß das heute hierpassiert, sondern vielleicht hinter verschlossenen Türen.Die heutige Debatte könnte dazu beitragen.
Ich wollte gerade darauf hinweisen, daß wir, wennwir diese Strategie erarbeiten und wenn wir uns aufeinen gesellschaftlichen Prozeß einigen, darauf achtenmüssen, daß das nicht zur Errichtung neuer Gremien,Ausschüsse oder zur Einsetzung neuer Umweltbeauf-tragter genutzt wird. Vielmehr müssen wir darauf ach-ten, daß auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltig-keit Institutionen und Gremien beleuchtet werden, daßneue Aufgaben aus dem Bereich der Nachhaltigkeit un-ter Umständen bestimmten Institutionen zugewiesenwerden, daß verschiedene bestehende Institutionen imSinne der Nachhaltigkeit neu kombiniert werden. Au-ßerdem müssen wir darauf achten, ob bestimmte Kom-missionen und Gremien zu Selbstläufern geworden sindund ob sie nicht vielleicht abgeschafft werden können.Das sind alles Punkte, die geprüft werden müssen.Von der Abschaffung überflüssiger Gremien habeich im übrigen noch nicht viel gemerkt. Es ist absolutwichtig, daß wir diese Ziele nicht mit neuen Formen derBürokratie erreichen.
Dazu gehört auch, daß, wenn man einen Rat fürNachhaltigkeit einsetzen wollte, dieser nicht einfachnur durch die Entsendung von Mitgliedern aus anderenRäten bestückt wird. Diesen neuen Rat sollte man miteiner Reform der bestehenden Räte begleiten, das heißt,andere Räte sollte man abschaffen und reduzieren. Esgenügt eben nicht, aus den bestehenden Räten herausimmer und immer wieder etwas Neues zu entwickeln.Das hilft uns nämlich auch nicht weiter.Bei einer Reform der existierenden Institutionen ist esnatürlich auch notwendig, Entscheidungsstrukturen sozu gestalten, daß Innovationen in Richtung Nachhaltig-keit aus Eigeninteresse angestoßen werden. Das warauch ein wichtiges Arbeitsgebiet dieser Enquete-Kommission. Nicht zuletzt gehören zu diesen institutio-nellen Reformen auch solche im Bereich Bildung undAusbildung, mit denen die Beachtung des Nachhaltig-keitsgedankens für künftige Generationen zur Selbstver-ständlichkeit werden kann.In der derzeitigen Diskussion um Nachhaltigkeit wirdgern die These vertreten, daß die Marktwirtschaft zurNicht-Nachhaltigkeit neige und daß deswegen durchstaatliche Lenkung zu mehr Nachhaltigkeit gezwungenwerden müsse. Insbesondere die Aufstellung von Plänenund die Kooperation von Akteuren werden immer wiederempfohlen. Die Übertragung von Aufgaben an den Staatbedeutet aber auch mehr Bürokratie und Kontrolle, unddas geht zu Lasten der Freiheit. Ich meine, Nachhaltigkeitmuß vielmehr durch Anreize, durch Einsicht, durch Über-zeugung und darf nicht durch Vorschriften verwirklichtwerden. Das ist kostengünstiger, und es geht schneller. Esist auch nachhaltiger als staatliche Lenkung.
Auch über die Notwendigkeit von Innovationen hat dieEnquete-Kommission diskutiert; ich habe es gerade an-gesprochen.Ich möchte einen letzten Gedanken aufgreifen, HerrKollege Hermann. Mich hat das, was Sie sagten, über-rascht. Aber die Ansicht der Grünen hierzu war gerade-zu makaber. Ich möchte den Kollegen Rochlitz, der sei-nerzeit für die Grünen in dieser Enquete-Kommissionsaß, zitieren. Er sagte am 15. Dezember 1997:Innovationen vernichten Arbeitsplätze. Am bestenwäre es, es gäbe gar keine Innovationen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind der Auf-fassung, daß Innovationen im Nachhaltigkeitsprozeßdringend erforderlich sind.
Man darf dabei nicht nur die Risiken sehen, sondernman muß auch die Chancen sehen. Ich will daher an die-ser Stelle noch einmal sagen: Wir sollten dazu kommen,nicht alle Risiken ausschließen zu wollen; denn wer alleRisiken ausschließen will, der zerstört letztendlich auchalle Chancen. Wir sind eher dafür, die Chancen, die indiesem Prozeß liegen, zu nutzen.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Vorbereitung die-ser Rede habe ich mir noch einmal die Debatten zumZwischenbericht und zur Großen Anfrage der SPD zurUmsetzung der Ziele der Enquete-Kommission durch-gelesen. Ich möchte nur noch einmal an Folgendes erin-nern: Die Enquete-Kommission wurde seinerzeit intrauter Gemeinsamkeit von CDU/CSU, SPD, F.D.P. undBündnis 90/Die Grünen eingerichtet, allerdings ohne diePDS, damals noch Gruppe im Bundestag, mit Stimm-recht zu beteiligen. Das muß erwähnt werden, wenn dasPolitikberatungsinstrument und der runde Tisch desParlaments – so hat Frau Caspers-Merk die Enquete-Kommission in den beiden genannten Debatten bezeich-net – als parteiübergreifendes Instrument in einer breitengesellschaftlichen Debatte verstanden werden sollen.Nun diskutieren wir heute den Schlußbericht, diesallerdings nicht im luftleeren Raum. Immerhin habensich seit der Bundestagswahl die Mehrheitsverhältnisseund somit auch die politischen Rahmenbedingungenverändert. Die damalige Opposition, soweit es SPD undGrüne betrifft, hat die Verantwortung erhalten, politischzu gestalten. Sie wollen – so ihre eigene Aussage – nichtalles anders, aber vieles besser machen.Birgit Homburger
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Im Bereich Umweltpolitik – so kann ich Ihnen sagen– muß fast alles anders gemacht werden, damit einigesbesser wird. Wir diskutieren im Umweltausschuß geradeden Umweltbericht der Bundesregierung sowie ver-schiedene Berichte und Gutachten der Umweltsachver-ständigen. Das gibt Gelegenheit, die umweltpolitischeBilanz der alten Bundesregierung zu ziehen. DieseBilanz fällt nicht gut aus. So stellt der Sachverständigen-rat für Umweltfragen in seinem 98er Gutachten fest:Umweltpolitik ist zunehmend nur dann genehm,wenn sie nur geringe Kosten verursacht.Weiter heißt es:Der Wechsel von einer überwiegend emissions-und technikbezogenen Umweltpolitik hin zu einerstärker qualitätsorientierten Umweltpolitik ist inDeutschland nicht vollzogen. Dem kann ich michnur anschließen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mireine weitere Vorbemerkung. Unser heutiges Themawurde mit dem Brundtland-Bericht unter dem Begriff„sustainable development“ in die Politik eingeführt, undwir führen diese Diskussion unter der Überschrift derNachhaltigkeit. Mit dieser verkürzten Übersetzung lau-fen wir Gefahr, zwei entscheidende Aspekte auszublen-den: erstens den Aspekt der Entwicklung, das heißt, mitNachhaltigkeit ist nichts Statisches oder ein erreichterZielzustand gemeint; zweitens den Aspekt der Zukunfts-fähigkeit, das heißt, bei jeder unserer Handlungen müs-sen ihre Auswirkungen auf die zukünftigen Generatio-nen berücksichtigt werden.Nun zum Thema selbst: Von der ersten zur zweitenBundestagsdebatte fand eine interessante Akzentver-schiebung statt. Beim Zwischenbericht war noch weit-gehend Einigkeit bei den Akteurinnen und Akteuren zuvermelden; es ging ja auch noch relativ abstrakt um dieFormulierung von Nachhaltigkeitskriterien und Zielde-finitionen, kurzum um Absichtserklärungen. Demge-genüber wurde in der Debatte um die Große Anfrageeigentlich schon die Diskussion über den gerade fertiggewordenen Endbericht geführt. Es war also eine De-batte um Konsequenzen. Dabei mußten die materiellenForderungen an eine nachhaltige Politik auf den Tisch.Es war Wahlkampf, und es war mit der Einigkeit vorbei.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterschiedli-chen Herangehensweisen an Politik lassen sich viel-leicht am besten in den folgenden Gegensatzpaaren be-schreiben: dynamisierte Verwertung – heute verstärktdurch die Globalisierung – gegen Ressourcenschonung;Standortvorteile gegen soziale und ökologische Stan-dards; Wettbewerb und Deregulierung gegen demokrati-sche Kontrolle und gesellschaftliche Teilhabe. Verein-facht: Anarchie des Marktes gegen öffentliche Daseins-vorsorge.So werden aus gemeinsam formulierten Zielen unter-schiedliche Politiken. Wenn es darum geht, die ökologi-schen, die ökonomischen und die sozialen Implikationenin einer nationalen, ich füge hinzu, auch internationalenNachhaltigkeitsstrategie angemessen ins Verhältnis zusetzen, gewinnt Nachhaltigkeit je nach Standpunkt völ-lig unterschiedliche Bedeutung: Entweder verkümmertsie zu einer regulativen Idee als Basis eines Such- undLernprozesses, der im Wettbewerb der Marktwirtschaftseine ökonomische Ausprägung erfährt, oder Nachhal-tigkeit wird zum Gradmesser einer grundlegendenTransformation von Wirtschaft und Gesellschaft.Ich jedenfalls kann mich der Einschätzung des Um-weltbundesamtes anschließen:Wenn Politik Nachhaltigkeit gezielt gestalten will,dann muß sie die Tragekapazität der Umwelt alsletzte unüberwindliche Schranke für alle mensch-lichen Aktivitäten zur Kenntnis nehmen.Verbindet man dies mit der grundlegenden sozialen For-derung nach gleichen Nutzungschancen und gleichenMöglichkeiten des Zugangs zu den natürlichen Ressour-cen, wird klar, daß nicht weniger auf der Tagesordnungsteht als die Abkehr von einer Ökonomie der Geldver-mehrung hin zu der Etablierung einer Ökonomie derBedürfnisbefriedigung, also einer Ökonomie zur Dek-kung des tatsächlichen Bedarfs für die gegenwärtige unddie zukünftigen Generationen.
Hier kommt der dem Leitbild der nachhaltig zu-kunftsfähigen Entwicklung innewohnende Vorsorgege-danke zum Tragen; denn alles, was zukünftige Genera-tionen gefährdet, und sei es nur potentiell, ist eben nichtnachhaltig. Somit verböte sich eigentlich die Entwick-lung und der Gebrauch von Risikotechniken wie derAtomtechnik oder der Gentechnik.
Wer bisher noch geglaubt hat, die oben genannten Ge-gensätze seien abstrakt, dem konnte die Auseinanderset-zung um den politisch gewollten, aber nun von der Re-gierung als nicht durchführbar eingeschätzten und defacto aufgegebenen Atomausstieg deutlich machen, werin diesem Land tatsächlich über die Definitionsmacht inder Politik verfügt. Niemals war die Richtigkeit desWortes von Kurt Tucholsky offensichtlicher:Sie glaubten, sie seien an der Macht, dabei warensie nur an der Regierung.Oskar Lafontaine hat dies erkannt.
Welche Politik für die Umwelt muß also nun gemachtwerden? Die Enquete-Kommission hat für ausgewählteBereiche Umweltziele, Umweltqualitätsziele und Um-welthandlungsziele, formuliert. Nehmen wir den Kom-plex Natur und Bodenschutz und damit verbunden dasProblem des Flächenverbrauchs. Die Probleme wurdenrichtig erkannt: Versauerung der Böden, Naturverbrauchund Zersiedelung; entsprechende Probleme gibt es beimGewässer- und Grundwasserschutz. Hier fordert die En-quete-Kommission bis zum Jahre 2010 eine 80prozen-tige Reduktion der bodenversauernden Einträge bezogenauf die Einträge der Jahre 1991 bis 1995.Eva Bulling-Schröter
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Wir vermissen das entsprechende Aktionsprogrammder Bundesregierung zum Schutz der Böden. Sie ha-ben die Mehrheit, das Bundesnaturschutzgesetz und dasBodenschutzgesetz zu ändern. Wären Sie den Empfeh-lungen der Enquete-Kommission gefolgt, wie hätte danndie ökologische Steuerreform ausfallen müssen? HättenSie nicht zum Beispiel eine Schwefeldioxidabgabe wiein Schweden, Dänemark und Norwegen erheben müs-sen? Und wo sind die Vorschläge der Bundesregierungfür umfassende Luftreinhaltepläne? Einzig das CO2-Reduktionsziel ist in den Koalitionsvereinbarungen alsverbindlich anerkannt, doch das war es auch bei deralten Bundesregierung. Wo Sie dann tatsächlich Ziel-vorgaben festschreiben, wie beim Ziel, 10 Prozent derFläche im Biotopverbund als Schutzgebiete auszuwei-sen, bleiben Sie hinter den Empfehlungen des Berichtszurück.Ich muß jetzt zum Ende kommen. Die Umsetzung desLeitbildes einer nachhaltig zukunftsfähigen Entwicklungist letztlich nur als gesellschaftlicher Prozeß zu bewerk-stelligen. Hier muß die ganze Gesellschaft beteiligt wer-den. Die Stärkung der Agenda 21 wurde schon disku-tiert. Ein gemeinsamer Konsens muß gefunden werden.Einen guten Anfang hat die Bundesregierung gemacht,indem sie die Aarhus-Konvention gezeichnet hat. LassenSie uns auf diesem Weg fortschreiten.Danke.
Jetzt hat das
Wort die Kollegin Ulla Burchardt.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Nach-haltigkeit steht wieder auf der Tagesordnung und damitdie Frage nach der notwendigen Richtung und Strategiegesellschaftlicher und wirtschaftlicher Innovation.Zur Erinnerung: Die Proklamation des Leitbildes derNachhaltigkeit in Rio, die Agenda 21, war und ist dieAntwort auf die Krisensymptome in der globalisiertenWelt: Armut, Hunger, Unterentwicklung und Raubbauan den natürlichen Lebensgrundlagen in den Entwick-lungsländern auf der einen Seite und Arbeitslosigkeitsowie Ressourcenverschwendung in den hochentwik-kelten Ländern auf der anderen Seite. Insofern ist dasLeitbild Auftrag und Selbstverpflichtung, gerade für einreiches Land wie die Bundesrepublik, den wirtschaft-lichen und sozialen Fortschritt so zu gestalten, daß dieLeistungsfähigkeit des Naturhaushaltes als Basis fürgleiche Entwicklungschancen und Wohlstand kommen-der Generationen erhalten bleibt.Das heißt für die praktische Politik: umsteuern, neueWege gehen und, wenn es um neue Chancen geht, Ver-teilungsentscheidungen anders treffen als in der Ver-gangenheit. Insofern ist es mehr als ein symbolischeroder pflichtgemäßer Akt, daß wir heute im DeutschenBundestag zu Beginn der neuen Legislaturperiode zweiBerichte aus der vergangenen Legislaturperiode debat-tieren, die auf unterschiedlichen Ebenen und sich ergän-zend Wegmarken für die zukunftsfähige Politik zeigen.Ob und welche Konsequenzen daraus gezogen werden,wird auch ein Prüfstein für die Lernfähigkeit des politi-schen Systems sein.
Ich will als Sprecherin meiner Fraktion in der En-quete-Kommission zunächst drei aus unserer Sichtwichtige Essentials für eine zukunftsfähige Politik nen-nen.Das erste ist die Zielorientierung. Wir haben, Kolle-gin Reichard, sehr einvernehmlich definiert, daß der Er-halt der natürlichen Lebensgrundlagen, die Sicherungder wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und die gerechteVerteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancenals gemeinsames Ziel zu verfolgen sind, auch mit Blickauf unsere Kinder und Enkelkinder. Das eine – da warenwir uns alle einig – wird ohne die anderen nicht zu errei-chen sein. Diese Dreidimensionalität erfordert eine neueHerangehensweise an Probleme. Ich will nicht verheh-len, daß für mich vor diesem Hintergrund manche Bei-träge in der öffentlichen Debatte über aktuelle Lösungenvon Problemen recht alt aussehen.Was bedeutet Dreidimensionalität zum Beispiel,wenn wir uns die ökologische Seite ansehen? Es bedeu-tet, daß Ressourcenschonung und Umweltschutz nichtlänger als Hemmnis und als Kostenfaktor angesehenwerden dürfen, sondern als Motor für gesellschaftlicheModernisierung, für neue Beschäftigung und für den Er-halt der Wettbewerbsfähigkeit betrachtet werden müs-sen.
Kluge Unternehmer haben das im übrigen – im Gegen-satz zu Verbandsfunktionären – schon lange erkannt. Siehaben erkannt, daß die Frage Kosten- oder Qualitäts-konkurrenz in puncto globaler Wettbewerbsfähigkeitschon längst zugunsten letzterer entschieden ist. Daspielt der Faktor Ökologie eine ganz große Rolle.In bemerkenswertem Konsens hat die Enquete-Kommission formuliert, daß, was die ökonomische Di-mension angeht, sozialer Ausgleich und Naturerhalt ge-samtwirtschaftliche Ziele werden müssen und dieMarktwirtschaft die Bedürfnisse der Menschen undnicht die kurzfristiger Aktiengewinne in den Mittelpunktzu stellen hat.
Dies ist eine klare Herausforderung für neue Rahmenbe-dingungen in der Wirtschafts- und Steuerpolitik.Zweites Essential. Wir wissen, daß Nachhaltigkeitnicht durch ein endgültiges Stadium, sondern durcheinen Suchprozeß definiert wird. Deswegen bedarf eseiner Strategie. Andere Redner haben schon darauf hin-gewiesen: Kernelement einer nationalen Nachhaltig-keitsstrategie muß ein nationaler Umweltplan mit kon-kreten und langfristig gesetzten Umweltzielen, mit prio-ritären Handlungsfeldern und einem InstrumentenmixEva Bulling-Schröter
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aus modernisiertem Ordnungsrecht, sanktionierbarenSelbstverpflichtungen und Preiselementen sein.Drittes Essential. Frau Kollegin Homburger, ich darfdaran erinnern, daß wir in großer Übereinstimmungfestgestellt haben, daß nachhaltige Entwicklung Innova-tionen, neues Wissen und die Anwendung neuen Wis-sens braucht. Deswegen haben wir der Wissenschaft undTechnik eine Schlüsselrolle zugewiesen, um Nachhal-tigkeit zu erreichen. Weil wir um die Komplexität dertechnischen und ökonomischen Entwicklung wissen,haben wir als fünfte Managementregel neu formuliert,daß „Gefahren und unvertretbare Risiken für diemenschliche Gesundheit durch anthropogene Einwir-kungen zu vermeiden sind“. Das ist keine Beschränkungvon Forschungsfreiheit oder Erfindergeist. Es ist viel-mehr die notwendige Impulsgebung und Richtungssi-cherheit für zukunftsfähige Investitionen.Vom Leitbild zur Umsetzung, so hatten wir den Be-richt überschrieben. Deshalb liegt es auf der Hand, zubilanzieren, was und wer sich bewegt hat. Den Sachver-halt hinsichtlich der lokalen Agenda, Herr Hermann,schätze ich etwas anders ein. Ich stelle fest, daß in im-mer mehr Städten und Gemeinden Politik, Verwaltung,Umweltgruppen und Unternehmen gemeinsam daran ar-beiten, daß der Prozeß im Zusammenhang mit der loka-len Agenda gut läuft. Wissenschaftler in Forschungsein-richtungen und Universitäten fühlen sich verpflichtet, ih-ren Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Von den klu-gen Unternehmern habe ich eben schon berichtet. Alldie, die engagiert sind, konkret in bezug auf die Nach-haltigkeit zu handeln, erwarten zu Recht mehr und neueUnterstützung aus Bonn durch eine entsprechende Wei-chenstellung in der Politik.Davor warnen – das hat das Feldgeschrei der letztenWochen sehr deutlich gemacht; es war nicht zu überhö-ren – die Ewiggestrigen und die Besitzstandswahrer, dienicht willens oder auch nicht fähig sind, sich selbst zubewegen und an dem großen gesellschaftlichen Reform-projekt beim Übergang ins 21. Jahrhundert konstruktivmitzuarbeiten. Vor diesem Hintergrund will ich eine er-ste Bilanz der rotgrünen Koalition ziehen. In diesem Zu-sammenhang lassen sich einige Punkte aufzählen:Auf die Verpflichtung auf eine nationale Nachhaltig-keitsstrategie, die in der Koalitionsvereinbarung fest-gelegt ist, sind einige meiner Vorrednerinnen und Vor-redner schon eingegangen. In den wenigen Monaten un-serer Regierungsarbeit haben wir noch andere Maßnah-men auf den Weg gebracht. In der Steuerpolitik habenwir die Weichen für soziale Gerechtigkeit, ökologischeModernisierung und Wettbewerbsfähigkeit kleiner undmittlerer Unternehmen gestellt. Der Einstieg in den Aus-stieg aus der Atomenergie in Verbindung mit dem100 000-Dächer-Programm ist ein überfälliger Schritt inRichtung einer zukunftsfähigen Energieversorgung.
Damit tragen wir den Interessen der kommenden Gene-ration genauso Rechnung wie mit der Begrenzung beider Neuverschuldung und den deutlichen Zuwächsen beiBildung und Forschung. Frau Kollegin, in diesem Punkthabe ich eigentlich Ihre Zustimmung erwartet.Ich will nicht verhehlen, daß ich mir manche Schritteetwas größer und mutiger gewünscht hätte.
Aber angesichts der wenigen Wochen, in denen wir bis-her die Chance hatten, die Politik neu zu gestalten, istdies eine sehr zufriedenstellende Bilanz. Weitere Maß-nahmen, um zu Fortschritten zu gelangen, sind geplant.
So hat die Bundesregierung die Umsetzung des Leit-bildes für die Forschungs- und Technologiepolitik zu ei-nem ihrer Arbeitsschwerpunkte erklärt. Ich finde es aus-gesprochen begrüßenswert, daß Frau Ministerin Bul-mahn dies zu ihrem eigenen Anliegen gemacht hat. Die-ses Anliegen deckt sich mit der Auffassung, die derAusschuß für Bildung und Forschung in der vergange-nen Legislaturperiode einvernehmlich vertreten hat. Ichhoffe sehr, daß dies so bleiben wird.Weil dieses Anliegen für uns wichtig ist, haben wirdamals das Büro für Technikfolgenabschätzung, unse-re eigene wissenschaftliche Beratungseinrichtung, be-auftragt, Gestaltungsvorschläge zu machen, wie man dieForschungs- und Technologiepolitik auf Nachhaltigkeiteinstellen kann. Der vorgelegte Bericht des TAB ist eindeutliches Plädoyer für einen Paradigmenwechsel. Erzeigt hinreichend konkret bis unkonkret, wie man dasbewerkstelligen kann.Zunächst nennt er Kriterien dafür, was eine nachhal-tige Forschungs- und Technologiepolitik ausmacht. Die-se sind nicht frei erfunden, sondern basieren auf Vorar-beiten der Enquete-Kommission, des Sachverständigen-rates für Umweltfragen, des Umweltbundesamtes undvieler anderer seriöser wissenschaftlicher Beratungsein-richtungen. Danach muß die nachhaltige Forschungs-politik transdisziplinär und technologiefeldübergreifendangelegt sein. Grundlagenforschung und angewandteForschung bedürfen einer stärkeren Verzahnung undProblemorientierung. Die Formulierung von Nachhal-tigkeitszielen und Indikatoren muß im Verständigungs-prozeß mit gesellschaftlichen Gruppen angegangen wer-den.Ich denke, mit diesem Kriterienkatalog hat das Bürofür Technikfolgenabschätzung einen Orientierungsrah-men vorgelegt, der Maßstäbe für die gesamte Breite derlaufenden und zukünftigen Forschungs- und Technolo-gieförderung setzt.
Wie kann man nun noch einen Schritt weitergehen?Dazu haben wir das TAB beauftragt, einen Blick überdie Grenzen zu werfen, einen internationalen Vergleichaufzustellen, zu prüfen, wo es interessante Modelle gibt,von denen man lernen kann. Das TAB ist in Hollandfündig geworden, mit dem „Programm zur nachhaltigenTechnologieförderung“. Ich denke, dies ist tatsächlichUrsula Burchardt
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ein Programm, von dem wir lernen können, weil es ex-plizit der Entwicklung nachhaltiger Innovationen ge-widmet ist.
– Irgendwelche Klagen gibt es immer; das müssen wiruns hier nicht gegenseitig vorhalten. Sobald etwas ver-ändert wird, sobald etwas in Bewegung gerät, gibt esMenschen, die etwas daran zu kritisieren haben. Ichfände es aber schön, wenn Sie uns darin unterstützenwürden, einmal deutlich zu sagen: Die Methode „Waschmir den Pelz, aber mach mich nicht naß“ kann nichtfunktionieren. Das gilt insbesondere bei der Nachhaltig-keit.
Zu dem holländischen Programm: In neuen Koopera-tionen haben sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaftzusammengetan, um in den kommenden Jahrzehnten fürbestimmte Bedürfnisfelder wie Mobilität, Wohnen oderErnährung Visionen für eine nachhaltige Gestaltung zuentwickeln. Mit Hilfe des Backcasting-Verfahrens hatman Schritte und Ideen gefunden, wie man diese Visio-nen verwirklichen kann. Es hat sich gezeigt, daß man sozu praktischen Problemlösungen kommt, wie Stoff- undEnergieverbräuche auf langfristige Sicht drastisch zureduzieren sind, Schritte, die zugleich ökologisch undökonomisch effizient sind und tatsächlich Chancen fürneue Arbeit bieten. Dies war möglich, nicht nur weilman eine neue Form der Zukunftsplanung eingeführthat, sondern weil man die Akteure beteiligt hat.Darüber hinaus hat das Programm den Charaktereines Meta-Forschungsprogramms und gibt Hinweise,wie Förderpolitik innovativer gestaltet werden kann.Ich kann Ihnen schon jetzt sagen, daß wir aus denEmpfehlungen des TAB eine Beschlußempfehlung erar-beiten werden. Ich würde mich freuen, wenn wir diesgemeinsam tun könnten.Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, möchte ich zwei Erwartungen formulieren, diesicherlich viele, die sich seit Jahren für die Umsetzungdes Konzepts der Nachhaltigkeit engagieren, mit mirteilen. Die eine Erwartung richtet sich an die Bundes-regierung. Wir erwarten, daß die Arbeiten an der natio-nalen Nachhaltigkeitsstrategie zügig in Angriff genom-men werden. Frau Kollegin Homburger, ich werte dieAnwesenheit des Kanzleramtsministers als eine deut-liche Unterstützung unseres Anliegens.
– Wir leben in schwierigen Zeiten. Vielleicht sind Ihnendie Debatte, die wir heute morgen geführt haben, unddie Ereignisse der letzten Nacht entgangen. Insofernfinde ich diese Bemerkung absolut unangemessen.
Es könnte sein, daß der Kanzleramtsminister mit Fragenbeschäftigt ist, die mit augenblicklicher Krisenlösung zutun haben.
An das Parlament und damit an uns, geschätzte Kol-leginnen und Kollegen, richte ich die Erwartung, daßunsere Debatten hier zukünftig von dem neuen Denkenund der Veränderungsbereitschaft geprägt sind, die wirvon den vielzitierten „Menschen draußen“ immer ein-fordern. Lassen Sie uns deswegen in einen konstruktivenWettstreit um die richtigen und die richtig großenSchritte eintreten, wie die Gesellschaft zukunftsfähiggemacht werden kann! Das ist nicht nur ein wichtigerBeitrag, um den gesellschaftlichen Diskurs voranzubrin-gen. Lassen Sie mich an einem Tag wie heute sagen:Angesichts der Tatsache, daß in vielen Teilen der Weltbereits seit längerem kriegerische Auseinandersetzungenum knappe Ressourcen wie Wasser stattfinden, wäreein engagierteres Vorgehen in Fragen der Nachhaltigkeitauch ein ganz entscheidender Beitrag zur Konfliktver-meidung und Friedenssicherung.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Paul Laufs.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Arbeit derEnquete-Kommission „Schutz des Menschen und derUmwelt“ fügt sich neben vielen anderen Bemühungen inden Rio-Prozeß ein, der die nachhaltig umweltverträg-liche Entwicklung zu einem zentralen Leitbild der Poli-tik gemacht hat. Wir alle in diesem Hause teilen dieFeststellungen, die dem Rio-Prozeß zugrunde liegen undheute weltweit von der großen Mehrheit der Wissen-schaftler und Politiker als richtig anerkannt werden.Erstens. Die Menschheit nimmt am Ende des20. Jahrhunderts Rohstoff- und Umweltressourcen ineinem solchen Umfang in Anspruch, wie es nichtzukunftsfähig ist, wie es auf Dauer nicht umweltver-träglich, nicht nachhaltig ist. Besonders die irreversibleAnreicherung der Erdatmosphäre mit klimaschädlichenSpurengasen ist Anlaß zu großer Sorge.Zweitens. 20 Prozent der Erdbevölkerung in denIndustriestaaten verursachen bis zu 80 Prozent der glo-balen Umweltbelastung. Die Menschen in den Ent-wicklungsländern verlangen einen fairen Anteil an denUmweltressourcen.Es gibt auch den Grundkonsens zwischen allen Frak-tionen, daß nicht die Umweltpolitik allein die Heraus-forderungen meistern kann. Das Streben der Menschennach wirtschaftlichem Wohlstand und sozialer Gerech-tigkeit muß gleichwertig berücksichtigt werden. Wirsind uns auch einig, daß den Industriestaaten einebesondere Verantwortung zukommt.Globale Probleme müssen global gelöst werden;nationale Anstrengungen allein reichen nicht aus. AberUrsula Burchardt
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wir in den reichen Industriestaaten sind in der Verant-wortung, nachzuweisen und vorzuleben, daß die tech-nische Zivilisation mit ihrem hohen Lebensstandardzukunftsbeständig und nachhaltig gestaltet werden kann.Wir haben eine globale Bringschuld an der Wende zum21. Jahrhundert einzulösen.
Meine Damen und Herren, es gibt Management-regeln. Es gibt in Fülle Vorschläge für Umweltziele undHandlungsschwerpunkte zur Lösung der Probleme. Icherinnere nur an die Zwischenbilanz der früheren Bun-desumweltministerin Merkel mit dem Titel „Schritte zueiner nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung“.Die Enquete-Kommission, über deren Abschlußbe-richt wir heute diskutieren, hat sich die Aufgabe gestellt,praktisch umsetzbare Konzepte der Nachhaltigkeit fürdie Beispielfelder Bodenversauerung, Bauen und Woh-nen sowie zum Thema Informations- und Kommunika-tionstechniken zu erarbeiten. Allein die Lösung des Pro-blems der umweltverträglichen Entwicklung in diesenBereichen und der einsetzbaren Steuerungsinstrumentehat sich als äußerst komplex herausgestellt. Die Ab-schätzung der ökonomischen und sozialen Wirkungenist noch ungleich schwieriger. Kollege Hermann hat da-zu einige kritische Anmerkungen gemacht.Die zahlreichen Sondervoten in diesem Abschlußbe-richt zeigen, daß die Vorstellungen der damaligenMehrheit über gangbare, realistische Konzepte von denVertretern der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen alskeineswegs ausreichend eingestuft wurden. Die rotgrü-nen Ansprüche und Forderungen gingen erheblich wei-ter. Das muß man einfach feststellen.Nun bilden Sie die Regierungsfraktionen. Sie werdenschneller von der Wirklichkeit eingeholt, als Ihnen liebsein kann. Ich denke dabei nicht an die schönen, plakati-ven Zielsetzungen in Ihrer Koalitionsvereinbarung wiediejenige über Flächenverbrauch und Vorrangflächen.Wir wissen doch alle, daß dafür zunächst die Bundes-länder und die Kommunen zuständig und in diesem Zu-sammenhang gefordert sind. Wir sind wirklich sehr ge-spannt, wie Sie diese Zielsetzungen realisieren werden.Ich vergleiche vielmehr Ihre grundsätzlichen Positio-nen zu einer nachhaltigen Entwicklung mit Ihrem Ver-halten bei dem – vorsichtig ausgedrückt – atemberau-benden Gesetzgebungsverfahren zur sogenannten Öko-steuerreform. Da gibt es nur einen Schluß: Sie habenIhre guten Vorsätze aus der Enquete-Kommission nach-haltig über Bord geworfen.
Jedes Ökosteuergesetz wirft in kompliziert verfloch-tenen Volkswirtschaften schwierigste Fragen zur Struk-tur, zu Substitutionseffekten, zu Allokationsveränderun-gen bei Arbeit, Kapital und Energie, zu sozialen Folgenfür den ländlichen Raum und für Randregionen sowiefür einkommensschwache Gruppen wie Rentner, kleineLandwirte und Familien auf. Sie haben in der Verab-schiedungshektik nicht einmal den geringsten Versuchunternommen, weder die ökologischen noch die ökono-mischen oder gar die sozialen Dimensionen dieses Ihresumwelt- und arbeitsmarktpolitischen Patentrezepts zuuntersuchen. Wir denken nicht, daß diese Ökosteuer einBeitrag zur nachhaltigen Entwicklung ist.
Meine Damen und Herren, ich denke, in einem sindwir uns einig, nämlich daß dem Staat, also den Parla-menten und Regierungen, eine Schlüsselrolle zukommt,den Nachhaltigkeitsprozeß anzuregen, ihn zu organisie-ren und die Ergebnisse umzusetzen oder doch zumindestdarüber zu wachen, daß sie von den betroffenen Akteu-ren umgesetzt werden. Ein erfreuliches Beispiel sehe ich– wie die Damen und Herren Vorredner – im Prozeßlokale Agenda 21. Die Initiative dazu geht ja bekanntlichvom Gemeinderat oder von der Kommunalverwaltungaus; sie sind die wichtigsten unter vielen Akteuren. In fastallen großen Städten, in Baden-Württemberg ja auch,Frau Caspers-Merk, ist die lokale Agenda 21 kraftvoll an-gelaufen, zum Teil mit großem Aufwand an Personal undSachmitteln. Aber auch in kleineren Gemeinden ist sieangelaufen. Hier sollten wir uns engagieren.
Viele dieser kleinen Gemeinden engagieren sich mitEinfallsreichtum und dem Idealismus vieler Akteuresehr erfolgreich und haben dabei nur bescheideneFinanzmittel zur Verfügung. So werden vielfältige, lang-fristig angelegte Aktionsprogramme erarbeitet, alsoMaßnahmen und Projekte der Akteure, die in einemoffenen Dialog im Konsens erarbeitet, dokumentiert undschließlich umgesetzt werden. Hier gibt es die vielfältig-sten Vorgehensweisen, und das ist gut so. Es gibt hierkeinen weiteren Regulierungsbedarf.Ich bin überzeugt, daß wir die Erfahrungen aus demProzeß lokale Agenda 21 bei der Entwicklung einer na-tionalen Nachhaltigkeitsstrategie nutzen können. DieUnion ist bereit, an vernünftigen Konzepten mitzuwir-ken. Wir sind dabei der Auffassung, daß es keine Patent-rezepte gibt. Die erforderlichen Anstrengungen undUmdenkungsprozesse können nur schrittweise vorange-bracht werden. Wir bevorzugen neben einem vorsichtigweiterentwickelten Ordnungsrecht vor allem marktwirt-schaftliche Instrumente und Anreize. Alle Bemühungenwerden erfolglos bleiben, wenn es nicht gelingt, dieMenschen in Wirtschaft und Gesellschaft für das Kon-zept Nachhaltigkeit zu gewinnen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Hans-Josef Fell.Eine kleine Bitte: Die Kollegen gerade in dieser De-batte nutzen ihre Redezeit immer so nachhaltig.
Achten Sie bitte ein wenig auf das Licht am Rednerpult.Dr. Paul Laufs
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachhal-tigkeit in Forschungs- und Technologiepolitik ist daswichtigste Leitprojekt für die kommende Forschungs-landschaft. Forschung muß sich in Zukunft mehr als inder Vergangenheit an den menschlichen Problemen undBedürfnissen orientieren, und sie muß dabei im Ein-klang mit der Natur stehen. Forschung insgesamt mußProbleme lösen, statt neue zu schaffen.An zwei Beispielen will ich aufzeigen, daß For-schungsergebnisse gesellschaftliche Probleme vergrö-ßern können.Menschen wollen Bequemlichkeit und Komfort. Ichfinde daran nichts Schlechtes. Nun hat sich die Medien-industrie in der Vergangenheit dieser Bequemlichkeits-wünsche angenommen und danach geforscht, wie manFernseher bedienen kann, ohne vom Sofa aufstehen zumüssen. Dies war ein isoliertes Forschungsthema; manhat dabei keine Technikfolgenabschätzung vorgenom-men und auch nicht die Nachhaltigkeit beachtet. Herauskam die allen bekannte Fernbedienung, die allerdingseine andauernde Betriebsbereitstellung benötigt. DerEnergiebedarf dieser Stand-by-Schaltungen wurde nieeiner Nachhaltigkeitsprüfung unterzogen. Das Ergebniswar, daß heute zwei umweltschädliche Kernkraftwerkebenötigt werden, nur um diesen Bequemlichkeitswunschder Bundesbürger zu erfüllen. Hätte man dieses Problemin Nachhaltigkeitsüberlegungen gleich in den For-schungsaufträgen beachtet, wäre man heute sicherlichbei technologischen Lösungen, die sowohl den Wunschnach Bequemlichkeit als auch den Energieverbrauch be-rücksichtigt hätten.
Ein zweites Beispiel will ich nur andeuten. MancheRaumsonden, zum Beispiel Cassini, werden mit hoch-giftigem Plutonium betrieben, welches beim Start undvor allem bei sogenannten Swing-by-Manövern eineerhebliche Gefahr für die Erde bedeuten kann. Auch hierwird die Nachhaltigkeit im Sinne von Risikoabwendungund Vorsorge nicht beachtet.In den letzten Jahrzehnten standen sinnlich wahrnehm-bare Umweltbelastungen im Vordergrund. Der Staat griff– wenn auch häufig recht spät und zu zaghaft – punk-tuell beim Schadstoff des Jahres ein. Die Politik rea-gierte, agierte aber nicht. Und wenn eine Reaktion statt-fand, dann orientierte sie sich am Stand der Technik,und zwar am Stand der Technik der Unternehmen mitdem besten Zugang zur Politik und nicht der Unterneh-men mit den besten Technologien. Grenzwerte wurdenerst dann verschärft, wenn auch die großen Unterneh-men dazu fähig waren, diese einzuhalten. Eingehaltenwurden die Grenzwerte dann zumeist durch teure End-of-pipe-Technologien.Heute hingegen befinden wir uns in einer Zeit desUmbruchs, des Aufräumens und des Umdenkens. Inte-grierter Umweltschutz gilt unter stimmigen Rahmen-bedingungen als Wettbewerbsvorteil: Neue Technolo-gien mit geringerem Material-, Energie- und Flächen-verbrauch haben geringere Kosten als Konkurrenzpro-dukte. Durch die Besteuerung des Energieverbrauchs,auch mit Hilfe unserer Ökosteuerreform, wird sich dieseTendenz verstärken.Gemäß der Definition der Brundtland-Kommissionist nachhaltige Entwicklung eine „Entwicklung, die diegegenwärtigen Bedürfnisse deckt, ohne gleichzeitigspäteren Generationen die Möglichkeit zur Deckungihrer Bedürfnisse zu verbauen“. Für die Forschungs- undTechnologiepolitik bedeutet dies einen grundlegendenPerspektivenwechsel. Denn Forschung und Entwicklungorientieren sich dabei nicht mehr primär an Technolo-gien, Stoffen, Produkten oder Produktlinien. Statt dessenorientieren sie sich an der zukunftsfähigen, umweltscho-nenden, wirtschaftlich und sozial gerechten Organisationund Weiterentwicklung übergreifender gesellschaftlicherBedürfnisfelder. Die entscheidenden Innovationen be-stehen dann nicht mehr in isolierten Verbesserungen derUmweltverträglichkeit oder der Wirtschaftlichkeit ein-zelner Produkt- und Techniklinien. Sie liegen vielmehrin Handlungsansätzen, die auf größere Nachhaltigkeitder Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse inden jeweiligen Bereichen zielen.Die Nachhaltigkeit zwingt dazu, umfassend zu den-ken, konkurrierende Interessen zu moderieren und zuintegrieren. Einzelne Institutionen, wie zum Beispiel dasBüro für Technikfolgenabschätzung mit seiner sehrguten Vorarbeit im vorliegenden Bericht, sind hier über-fordert. Den Unternehmen das Feld der Nachhaltigkeitalleine zu überlassen reicht nicht aus, da diese zunächstandere Interessen wahrnehmen. Statt das Geld in einenachhaltige Energiewirtschaft zu investieren, fließt dasGeld oft in Bereiche, die zwar Gewinne versprechen,aber nur einem kleinen Teil der Gesellschaft nützen.Ob ein Handy ein, zwei Zusatzfunktionen mehr hat oder10 Gramm weniger wiegt, scheint heute bedeutsamer alsder globale Ressourcen- und Umweltschutz. DamitInvestitionen auch in saubere Luft, sauberes Wasser,gesunde Nahrung und Komfort, in intakte Sozialstruk-turen und in Bildung und Wissen gelenkt werden, mußder Staat Rahmenbedingungen vorgeben.
Damit die zukünftigen Forschungsergebnisse innachhaltige Produkte münden, muß die Forschung ins-gesamt dem Leitbild der Nachhaltigkeit unterworfenwerden. Dazu hat der vorliegende Bericht der For-schungs- und Technologiepolitik für eine nachhaltigeEntwicklung erste Ansätze aufgezeigt. Die weitere Be-ratung in den Ausschüssen, aber auch begleitend inden Forschungsgemeinschaften und gesellschaftlichenGruppen wird diese Ansätze verbessern, ergänzen unduns dem Ziel näherbringen, insgesamt eine nachhaltigeLebensweise der Gesellschaft zu ermöglichen.Alle Ministerien, die sich mit Forschungsaufgabenbeschäftigen, müssen sich dieser Querschnittsaufgabewidmen. Um dem umfassenden Anspruch der Nachhal-tigkeit gerecht werden zu können, muß die Forschungauch mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden.Ich bin zuversichtlich, daß bei ernsthaftem Bemühenaller Beteiligten ein weitgehender Konsens über die
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Fraktionen hinweg möglich sein wird. Das langfristigeZiel einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesell-schaft ist viel zu wichtig, als daß es dem kurzsichtigentagespolitischen Streit der Fraktionen geopfert werdendarf.
In diesem Sinne wünsche ich mir eine parteiübergrei-fende, gemeinsame Arbeit an der Entwicklung derNachhaltigkeit. Der vorliegende Bericht des TAB bietetdazu eine gute Gelegenheit.Ich danke.
Jetzt hat das
Wort der Kollege Kurt-Dieter Grill.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sicher-lich notwendig, daß wir den Versuch der Bildung einesKonsenses über zentrale Fragen, die mit der Nachhaltig-keitsstrategie, mit der Nachhaltigkeitspolitik verbundensind, der in der Enquete-Kommission gemacht wurde,unterstützen. Das darf aber nicht dazu führen, daß derKonsens das Ziel ist, dem sich alles unterzuordnen hat.
Ich will ein paar Widersprüche in der Debatte aufzei-gen, die mir aufgefallen sind. Die Kollegin Burchardthat hier vorgetragen, daß die Ressourcenverschwendunggerade in reichen Ländern, also auch bei uns, festzu-stellen sei. Das steht in krassem Widerspruch zu derFeststellung von Indira Gandhi, der heute nichts hinzu-zufügen ist, daß die Armut der größte Feind der Um-welt ist, daß wir dort am gnadenlosesten mit Ressourcenumgehen, wo die Menschen arm sind. Danach ist Res-sourcenverschwendung nicht allein in der Industriege-sellschaft anzutreffen.Die Nachhaltigkeit – die wir bisher anders genannthaben – hat im Energiebereich die größte Chance, sichzu behaupten. Das schließt die Nutzung der Technik ein,die mit Strom arbeitet.Frau Kollegin Burchardt, Sie haben über das Feldge-schrei der Ewiggestrigen und der Besitzstandswahrergesprochen. Es wäre hochinteressant, einmal zu untersu-chen, was Sie darunter verstehen. Die Besitzstands-wahrer sitzen nämlich nicht nur – wie Sie es wohlgemeint haben – auf einer Seite dieses Hauses oder ineiner der vielen Gruppen dieser Gesellschaft, sondern inallen Gruppen dieser Gesellschaft.Um die Herausforderung zu beschreiben, über die wirhier diskutieren, will ich eine Information weitergeben,die ich vor wenigen Tagen erhalten habe. Am Geogra-phischen Institut der Universität Bonn gibt es offen-sichtlich jemanden, der die „Tragfähigkeit“ der Bundes-republik Deutschland unter dem Gesichtspunkt derNachhaltigkeit und der Nutzung der Ressourcen nurunseres Landes ausgerechnet hat. Dabei ist er auf eineZahl von 400 000 Menschen gekommen. Die Bundes-republik Deutschland hat aber 80 Millionen Einwohner.Deswegen beschäftigt mich im Augenblick vor allem dieFrage, was Nachhaltigkeit angesichts der großen Zahlder Menschen auf dieser Welt bedeutet, die schlicht undeinfach ihre Existenz sichern müssen, die sich sichermanches nicht leisten können, worüber wir uns hierunterhalten.Sie haben die Nachhaltigkeit in der Koalitionsverein-barung fest verankert. In den letzten Wochen habe ichaber von denjenigen, die heute aus verständlichen Grün-den nicht hier sein können, gehört, daß die Koalitions-vereinbarung nicht die Bibel ist. Ich hätte gerne Aus-kunft darüber, was aus der Koalitionsvereinbarungeigentlich gilt. Manches gilt offensichtlich nicht mehr.Herr Trittin hat bei der 100-Jahr-Feier des BUND inMünchen freundlicherweise selber zugegeben, daß derKernenergieausstieg ein Plus von 150 Millionen TonnenCO2 bedeutet.In Ergänzung dessen, was der Kollege Paul Laufshier zur Ökosteuer gesagt hat – das ist mein ständigerVorwurf; ich weiß, daß hier auch in meiner eigenenFraktion schwierig zu argumentieren ist –, möchte ichanmerken: Der zentrale Vorwurf, den ich Ihnen in derFrage der Öko- und Energiesteuer mache, ist, daß Siedie CO2-Frage ausklammern. Ihre Ökosteuer ist nichtschadstofforientiert. Die Frage der Nachhaltigkeit hängtmit der Absenkung des Schadstoffeintrages zusammen.Deswegen ist die Nachhaltigkeitsdebatte längst nicht nuram Ausstieg aus der Kernenergie festzumachen, ganz imGegenteil.
– Das habe ich nicht gesagt. Sie ziehen doch die fal-schen Schlüsse, Frau Burchardt. Mit mir brauchen Sienicht darüber zu diskutieren, daß wir etwas tun müssen.Wir sind uns zum Beispiel hinsichtlich des Stand-by-Problems – Sie wissen, dazu haben wir gemeinsametwas verabschiedet – ja durchaus einig. Außer demStand-by gibt es in unserer Gesellschaft aber noch eineFülle von Beispielen dafür, daß wir Technik und Energiezu unserer eigenen Bequemlichkeit gedankenlos nutzen.Es geht nicht nur um das Stand-by, nur weil es imZusammenhang mit der Kernenergie wieder genanntwurde.Die größte Herausforderung ist, das langfristige Den-ken mit der Tagespolitik in Einklang zu bringen. In derKoalitionsvereinbarung haben Sie die Nachhaltigkeitzum zentralen Punkt gemacht. Im „Bündnis für Arbeit“steht die Nachhaltigkeit nicht im Mittelpunkt der Über-legungen. Das ist das eine. Das zweite, was mir imZusammenhang mit Ihrer Koalitionsvereinbarung ein-fällt, ist: Ich habe vor kurzem – es mag schon zwei oderdrei Wochen her sein – im „Handelsblatt“ gelesen, daßHerr Müntefering gesagt hat, das mit dem Umsteigenauf die Bahn sei Quatsch, wir bräuchten wieder mehrHans-Josef Fell
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Straßen, weil das Auto unser Thema sei. Das ist IhreNachhaltigkeit.
– Ich zeige Ihnen gern den Artikel aus dem „Handels-blatt“. Er ist überschrieben mit „Die Wende in der Ver-kehrspolitik“, darin werden Herr Müntefering und HerrSteinbrück zitiert.Ich warne Sie davor, sich hier hinzustellen und zusagen, Sie würden etwas vollkommen Neues und Nach-haltiges machen, und nun würde alles viel besser. Siemüssen sich entscheiden; denn in den internationalenKonferenzen knüpfen Sie exakt an dem an, was dieUnion Ihnen als Leistung hinterlassen hat. Niemandanderes als Herr Loske hat gesagt, wir müßten beimKernenergieausstieg aufpassen, daß Deutschland nichtdie Vorbildrolle beim Klimaschutz verliere. Internatio-nal sagen Sie also: Wir können auf dem aufbauen, wasdie alte Bundesregierung – Frau Merkel, Herr Kohl,Herr Töpfer – hinterlassen hat. National sagen Sie: Wirmüssen bei Null anfangen, weil eigentlich nichts vor-handen ist.
Das ist eine Debatte, in der Sie der Herausforderung,langfristiges Denken und Tagespolitik in Einklang zubringen, noch längst nicht gerecht geworden sind. DerDialog muß fortgesetzt werden; denn ich habe den Ver-dacht, daß sich bei Ihnen sowohl mit dem Ansatz Strate-gie, vor allem aber auch mit dem Ansatz Plan eine Men-ge von Dingen verbinden, die eher etwas mit Dirigierenvon oben, mit Umverteilung und Planung zu tun haben– als ob sich alles planen ließe –
als mit einem offenen Diskurs, in dem die Schwierig-keiten der Umsetzung von Nachhaltigkeit in dieTagespolitik zum täglichen Geschäft werden. Dem wer-den Sie sich zu stellen haben. Am Ende könnten Sievielleicht einen Plan haben; es hat sich in diesem Landedurch Sie aber nichts getan.
Es spricht jetzt
die Abgeordnete Angelica Schwall-Düren.
Frau Präsi-dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In Zeiten,in denen wir mit einer umfassenden Steuerreform Fami-lien und Mittelstand entlasten, in einem „Bündnis fürArbeit“ gegen die Arbeitslosigkeit kämpfen und aufeuropäischer Ebene die Agenda 2000 verhandeln, stellensich Mitglieder des Bundestages hier hin und diskutierendie Empfehlungen der Enquete-Kommission zum Schutzdes Menschen und der Umwelt. Sind das alles weltfrem-de Ökoträumer? Das Gegenteil ist der Fall. Wer Nach-haltigkeit immer noch nur als Synonym für Umwelt-schutz sieht, ist von gestern. Eben hatte ich bei HerrnGrill manchmal den Verdacht, daß er das so interpre-tiert.
Nachhaltigkeit in den drei Dimensionen Ökonomie,Soziales und Ökologie steht bereits jetzt hinter dempolitischen Handeln unserer rotgrünen Regierung. DieStärkung des Mittelstandes, das Jobprogramm fürarbeitslose Jugendliche, das Bekenntnis zum Ausstiegaus der Kernenergie, das 100 000-Dächer-Programm,die ökologische Steuerreform: Dabei handelt es sich defacto durchgehend um Instrumente, mit denen die nach-haltig zukunftsverträgliche Entwicklung sichergestelltwerden soll, auch wenn dies nicht auf den ersten Blicksichtbar ist.
Zum Beispiel die Ökosteuer: Die ökologische Dimen-sion findet ihre Umsetzung in dem Anreiz zum Energie-sparen und, Herr Grill, in dem dadurch erreichten Bei-trag zur Verwirklichung des CO2-Reduktionszieles –wenn sie vorerst auch noch bescheiden ist, aber weitereSchritte werden folgen. Die Senkung der Lohnneben-kosten erfüllt die soziale Komponente. Die Nachhaltig-keit auf ökonomischer Ebene wird durch die neuenChancen von Wirtschaft und Forschung umgesetzt,innovative und energieeffiziente Techniken zu entwik-keln und zu vertreiben.Auch unser Einsatz für den Ausstieg aus der Atom-energie ist eine logische, gar die einzig richtige Konse-quenz aus einem nachhaltigen Bewußtsein. Denn dieEnquete-Kommission des 13. Bundestages nahm – wieFrau Kollegin Burchardt eben schon erläutert hat – aufAnregung des Sachverständigenrates für Umweltfragenneben den vier Managementregeln, die bereits dieEnquete-Kommission der 12. Legislaturperiode formu-liert hatte, eine fünfte grundlegende Regel auf: Gefahrenund unvertretbare Risiken für die menschliche Gesund-heit durch anthropogene Wirkungen sind zu vermeiden.Niemand wird diese Regel in Frage stellen; aber sicher-lich ergeben sich Konflikte innerhalb des Regelwerks.Die Regel Nr. 3 lautet nämlich: Stoffeinträge in dieUmwelt sollen sich an der Belastbarkeit der Umweltme-dien orientieren.Wie gehen wir also mit dem auch von Herrn Grill an-gesprochenen Konflikt Ausstieg aus der Kernenergie beigleichzeitiger Vermeidung einer Klimaerwärmung durchsteigende Kohlendioxidgehalte in der Atmosphäre um?Die Antwort liegt nahe: Wir nutzen das Energiespar-potential, das unserer derzeitigen Lebens- und Wirt-schaftsweise zugrunde liegt, fördern Kraft-Wärme-Kopplung und den Ausbau der regenerativen Energienund schaffen gleichzeitig Arbeitsplätze.
Der Abschlußbericht der Enquete-Kommission ver-steht sich sowohl als weiterer Baustein für eine frucht-Kurt-Dieter Grill
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bare Nachhaltigkeitsdiskussion als auch schon als Um-setzungsfahrplan mit konkreten Etappen. So haben wirmit den Beispielen Bodenversauerung sowie Bauen undWohnen vom ökologischen Zugang her Ziele vorgege-ben, die einer dringenden Umsetzung bedürfen. Bei derVersauerung der Böden ist die Lage eindeutig: Luft-schadstoffe wie Schwefeloxide, Stickoxide und Ammo-niak geraten mit dem Niederschlag als Säurebildner indie Böden. Können die Böden diesen anthropogenenSäureeintrag nicht mehr abpuffern, kommt es zurBodenversauerung. Das führt zu Nährstoffauswaschung,Verdrängung von säureempfindlichen Tier- und Pflan-zenarten, Waldschäden und Verschlechterung der Grund-wasserqualität. Besonders problematisch ist dabei dieTatsache, daß es sich bei dem Schadstoffeintrag umschlecht eingrenzbare Flächenbelastungen handelt.Aufbauend auf diesem Ursache-Wirkung-Komplexhat sich die Enquete-Kommission dem Handlungszielder EU-Kommission für eine Gemeinschaftsstrategieangeschlossen. Die Fläche der überkritisch belastetenBöden soll bis zum Jahr 2010 halbiert werden. Um die-ses Ziel erreichen zu können, müssen wir bei der Re-duktion der eingangs genannten Schadstoffe ansetzen.Maßnahmen und Instrumente, die dafür in Frage kom-men, erstrecken sich auf eine Verbesserung der Abgas-reinigung in Kraftwerken und Industriefeuerungen sowieder Entstickung in der Zementindustrie. Die verbesserteAusstattung der Kraftfahrzeuge mit Katalysatoren, diebereits eingegangene Einführung der Ökosteuer, die bes-sere Einarbeitung der Gülle in der Landwirtschaft sowiedie verstärkte Förderung des ökologischen Landbauskommen hinzu.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das derzeit noch un-zulängliche Bodenschutzgesetz, das unter der vorherigenRegierung nach langem Ringen verabschiedet wurde, so-wie die dazugehörigen Verordnungen, die noch nicht aus-reichend für einen vorsorgenden Bodenschutz sind, wer-den wir überarbeiten. Dabei müssen wir dem Vorsorge-prinzip den eindeutigen Vorzug geben; denn Nachsorge,also die Konzentration auf die Altlastenentsorgung, ist aufDauer unsinnig und unbezahlbar.
Dies wäre weder sozial noch ökonomisch eine nachhal-tige Politik.
Vor dem Hintergrund des wichtigen Bodenschutzesbefaßt sich die Enquete-Kommission im dritten Hand-lungsfeld ihres Abschlußberichts konsequenterweiseauch mit der Problematik des Flächenverbrauchs undseiner dringend nötigen Reduzierung im Rahmen desgroßen Komplexes Bauen und Wohnen. Gerade imWohnungsbaubereich lassen sich vielfältigste Möglich-keiten finden, um die Interaktion der drei Dimensionender Nachhaltigkeit deutlich zu machen und vernetzt um-zusetzen.Die Enquete-Kommission formulierte denn auch dreiStrategien, um die zukünftige Bau- und Wohnungspoli-tik ökonomisch, ökologisch und sozial verträglich zu ge-stalten: erstens die Stadt der kurzen Wege, also die Stär-kung städtischer Strukturen gegen zunehmendes Wachs-tum in die Fläche; zweitens ressourcensparendes Woh-nen und Bauen und drittens die Konzentration auf denWohnungsbestand. Gerade der dritte Punkt, mit demimplizit die Förderung der Altbausanierung gemeint ist,trägt ein immenses Potential in sich. Der Druck auf dieFläche wird sich verringern, wenn man dieses Potentialnutzt. Die grüne Wiese bleibt grün, wenn entsprechendeökonomische und fiskalische Instrumente verändertwerden.Der Anteil der Lohnkosten im Neubau wird auf zirka50 Prozent, bei der Altbausanierung auf zirka 70 Prozentgeschätzt. Das heißt, Investitionen in den Bestand bin-den mehr Arbeitsplätze als Investitionen in den Neubau.Neue Dienstleistungssparten wie etwa das Umzugs-management werden gefördert.Die große Bedeutung der Altbaumodernisierung füreine wirkliche Senkung der Kohlendioxidemissionenwird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß fastein Drittel der gegenwärtig in Deutschland durch dieVerwendung fossiler Brennstoffe entstehenden CO2-Emissionen durch Heizungs- und Klimaanlagen sowiedurch die Warmwasserbereitung verursacht wird. In derBundesrepublik gibt es etwa 24 Millionen Altbauwoh-nungen, die noch nicht einmal dem Standard der Wär-meschutzverordnung von 1982/84 entsprechen.
Die Einführung eines Gebäudepasses unter Einbezie-hung von Energiekennzahlen könnte hier einen Anstoßzur Veränderung bieten.Der Abschlußbericht der Enquete-Kommission„Schutz des Menschen und der Umwelt“ enthält einedeutliche Aufforderung, die Diskussion um die nachhal-tige Gestaltung unserer Lebensweise und der Rahmen-bedingungen, die unser soziales und wirtschaftlichesHandeln bestimmen, weiterzuführen.Ich ziehe das Fazit: Wir brauchen eine ressortüber-greifende Bereitschaft zum nachhaltigen Handeln. Wirbrauchen eine Nachhaltigkeitsstrategie. Finanz-, Wirt-schafts-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik sowieUmweltpolitik müssen als Teil einer klugen, weitsichti-gen Politik den Erhalt der natürlichen Lebensgrund-lagen, die Sicherung der wirtschaftlichen Leistungs-fähigkeit und die gerechte Verteilung von Arbeit, Ein-kommen und Lebenschancen sicherstellen und gleich-zeitig die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger stär-ken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine solche Poli-tik wird die Arbeit der Koalitionsfraktionen und derRegierung in der 14. Legislaturperiode bestimmen. Miteiner solchen Politik sind wir fit für das 21. Jahrhundert.Herzlichen Dank.
Ich gebe jetztdem Abgeordneten Axel Fischer das Wort, und zwar zuseiner ersten Rede.Dr. Angelica Schwall-Düren
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Axel E. Fischer (CDU/CSU): FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! MeineVorredner sind bereits ausführlich auf das Leitbild derNachhaltigkeit eingegangen und haben sich auch zurRio-Konferenz geäußert. Frau Burchardt zum Beispielhat gesagt, daß die neue Bundesregierung in diesem Be-reich viel getan hat. Das ist für mich natürlich Anlaß,etwas genauer hinzusehen und nicht mehr das Leitbildgenau zu erörtern, sondern auszuführen, was das für unsbedeutet.Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen undder Umwelt“ hat in der letzten Legislaturperiode dengelungenen Versuch unternommen, das Leitbild Nach-haltigkeit mit Leben zu füllen und Ziele einer nachhalti-gen Politik positiv zu formulieren. Dabei stellt sie Fra-gen der langfristigen Entwicklungsfähigkeit unserer ge-sellschaftlichen Teilsysteme in den Vordergrund. Siegibt damit der Bundesregierung und der Politik dasSignal, notwendige Reformen im Umgang mit derUmwelt, in unserem Wirtschafts- und Sozialsystem an-zugehen.
Dabei besinnt sie sich – im Sinne Ludwig Erhards –verstärkt auf die grundlegenden Ordnungsprinzipien derökologischen und sozialen Marktwirtschaft.
Innovation durch Wettbewerb, Eigenverantwortung,Freiheit und Subsidiarität sind die fundamentalen Ge-staltungsprinzipien, die maßgeblich zur Zukunftsfähig-keit Deutschlands beitragen werden.
Zielrichtung und Gestaltungsoptionen für den Übergangin eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklungsind damit vorgegeben.Folgt man nur den Worten der Bundesregierung, dannhat sie diese Empfehlungen aufgegriffen. Betrachtet manallerdings die Taten, dann zeigt sich ein völlig anderesBild.
Dann klaffen Abgründe zwischen dem, was die Bundes-regierung verspricht, und dem, was sie dann tatsächlichbeschließt.
Das fängt mit dem Versprechen von Ministerin Bul-mahn an, Mittel im Bildungs- und Forschungshaushaltverdoppeln zu wollen.
War der Haushaltsentwurf schon eine Enttäuschung,sind die Mittel im Forschungshaushalt nach dem Wirkender rotgrünen Haushälter bereits jetzt geringer als imletzten Haushaltsentwurf von Herrn Dr. Rüttgers.
Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklich-keit setzt sich leider auch in anderen Bereichen fort. Siezeigt die Konzeptionslosigkeit dieser Bundesregierung,die mit dem Motto „Aufbruch und Erneuerung“ ange-treten ist und die das Leitbild der Nachhaltigkeit zumProgramm machen wollte.
Da erklärt die Bundesregierung, die Förderung vonUnternehmensgründungen aus den Hochschulen seibesonders wichtig. Voll akzeptiert! Es verwundert daherauch nicht, daß die Ministerin die Verstärkung eines ent-sprechenden Förderprogramms angekündigt hat. MitHilfe dieses staatlichen Förderprogramms sollen Jung-unternehmern die Hürden beim Unternehmensstartleichter nehmen. Aber ist ein solches Handeln nachhal-tig? Nein, genau hier versagt die Regierung Schröder.Sie bekämpft nämlich nicht die Ursachen der Probleme,statt dessen ist ihre Politik auf die Verwaltung der uner-wünschten Wirkungen gerichtet.
Anstatt die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach-haltig zu gestalten, doktern Sie an den Symptomen her-um und stopfen mehr Steuergelder in dieses Förderpro-gramm.Aber es kommt noch schlimmer: Mit Ihrer Neudefi-nition von Scheinselbständigkeit – wir haben darüber inder Aktuellen Stunde gesprochen – legen Sie den jun-gen Menschen weitere Steine in den Weg. Sie erstickendie in der jungen Generation verbreitete Bereitschaft zuEigeninitiative und persönlichem Risiko. Statt ihreUnternehmensgründung tatkräftig zu unterstützen unddie bürokratischen Hürden einzureißen, hängen Sie nochzusätzlich das Damoklesschwert mit dem NamenScheinselbständigkeit über sie. Hier fehlen mir vonIhnen die klaren Worte und der aktive Einsatz für einenachhaltige Entwicklung.
Mit Ihrem Existenzgründerprogramm werden Sienicht einmal ansatzweise das ausgleichen können, wasSie am Kabinettstisch versäumt haben.
Jetzt geben Sie noch mehr Steuermittel aus und blähendie Bürokratie weiter auf, um die fatalen Auswirkungendieser unsinnigen Gesetzesneuregelungen auszuglei-chen. Aber so viel Geld, wie Sie bräuchten, um diegesamten negativen Auswirkungen Ihrer mißratenenGesetzgebung der letzten Monate auszugleichen, könnenSie den Menschen in Deutschland gar nicht abnehmen.
Genausowenig nachhaltig ist Ihr Ansatz, mit dem Siedie Autonomie der Hochschulen stärken und Bürokra-tien abbauen wollen. „Autonomie stärken“ heißt dieÜberschrift, und unter der Überschrift kommt die Forde-rung, die Hochschulen müßten sich – als Voraussetzung
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für Selbstverwaltung – einer regelmäßigen Evaluierungin Forschung und Lehre unterziehen. Ihr Motto heißtalso – ganz einfach auf den Punkt gebracht –: Eigenver-antwortung ja, aber nur, wenn wir den Daumen daraufhaben. Staatliche Bewertungsprozeduren, die oftmalsschon nach kurzer Zeit zu ebenso kostspieligen wienutzlosen Ritualen verkommen, sind kein Schritt nachvorn.Wie wollen Sie denn wissenschaftliche Leistungenvergleichbar machen? Wer soll sie denn beurteilen? Ichwill Ihnen einmal sagen, was dabei herauskommt: Daswird etwa so wie die Tabellen in einer großen deutschenIllustrierten zum Ende der letzten Legislaturperiode.Dort sollten Leistung und Einfluß der Abgeordnetentransparent gemacht werden. Es gab Punkte für KleineAnfragen, für Initiativen, für die Funktionen des Abge-ordneten und vieles mehr. Am Schluß kam dann heraus,daß der Gruppenvorsitzende Gysi einflußreicher als derVorsitzende der großen Regierungsfraktion, Dr. Wolf-gang Schäuble, sei. Das kann ja wohl nicht wahr sein.Außer neuer Bürokratie kommt also bei Ihrer Evaluie-rung nichts heraus.Dabei gibt es doch zuverlässige Bewertungsverfah-ren. Lassen Sie doch den Markt, also die Studenten, ent-scheiden, welche Hochschule ihnen angesichts ihrerspäteren Berufsaussichten den größeren Nutzen ver-spricht. Überlassen Sie doch die Bewertung über dieQualität von Forschung und Ausbildung der freien ge-sellschaftlichen Meinungsbildung. Den Erfolg der For-schungspolitik messen Sie doch auch nicht an irgend-welchen Gutachten. Sie nehmen doch die Höhe dieserInvestitionen als einfachen Gradmesser für die Attrak-tivität des Forschungsstandortes Deutschland und damitfür die Nachhaltigkeit der Forschungspolitik.Wie ist es aber derzeit um die Nachhaltigkeit derRahmenbedingungen für die Forschungspolitik inDeutschland bestellt?
Die Regierung Schröder erklärt ständig, Deutschlandmüsse wieder zu einem attraktiven Standort für inter-nationale Forschungsinvestitionen werden. Voll einver-standen! Aber dazu paßt die derzeitige Diskussion umden Tierschutz im Grundgesetz überhaupt nicht. Dieseheuchlerische Scheinübung, den Tierschutz im Grund-gesetz verankern zu wollen, wird den Tierschutz umkeinen Deut verbessern. Die zu erwartende Klageflutwird jedoch ein Heer von Rechtsanwälten beschäftigen.In diesem Bereich lenken Sie damit auch noch die letz-ten Forschungsinvestitionen an Deutschland vorbei.Hier hätte ich von der zuständigen Bundesministerinein deutliches Wort für den ForschungsstandortDeutschland erwartet. Sie müßte den Forschern denRücken stärken. Doch statt Aufklärung über die Not-wendigkeit von Tierversuchen kommt von ihrer Seitenur das große Schweigen. So gehen Sie mit der Zukunftdes Forschungsstandortes Deutschland um: weder Wortenoch Taten.Im Zeichen des globalen Wissenswettbewerbs mußdie gesellschaftliche Wissensbasis in Deutschland ver-breitert werden. Als ressourcenarmes Land ist Deutsch-land auf die Ausbildung und Pflege seines Humankapi-tals angewiesen. Hier müssen Bundesregierung undLänder die entsprechenden Ansätze aufgreifen und um-setzen.Eine besondere Aufgabe liegt dabei im Bereich derFörderung besonders Begabter. Aber gerade diesenBereich vernachlässigt die Bundesregierung sträflich.Bei der Erhöhung der Haushaltsmittel haben Sie dieBegabtenförderung in Deutschland ausgespart. Dabeibrauchen wir doch Eliten. Das erwiesenermaßen erfolg-reiche Meister-BAföG haben Sie im Haushaltsansatz um40 Prozent gekürzt. Glauben Sie ernsthaft, daß solcheStrukturen dauerhaft tragfähig sind?Die Einrichtung eines „Forums Bildung“ zeigt, wiebegrenzt der Horizont Ihrer Reformüberlegungen imBildungsbereich ist. Schon heute haben – das wissen Sieganz genau – Kultusministerkonferenz, Bund-Länder-Kommission und der zuständige Ausschuß des Bundes-rates weitgehend verwandte, zu einem großen Teil dek-kungsgleiche Aufgaben. Wollen Sie uns wirklich weis-machen, daß mit einem neuen Gremium der Durchbruchim Bereich der Forschungs- und Bildungspolitik zuerzielen wäre?Innovation im Sinne der Nachhaltigkeit bedeutetgerade nicht, neue Arbeitskreise zu gründen. Verant-wortlichkeiten sollen nicht in einem Dschungel aus Aus-schüssen, Beiräten, Arbeitskreisen, Foren, Gruppen undZirkeln – und was es da sonst noch alles gibt – weiterverschleiert und verschoben werden. Das Gegenteil istnotwendig. Wir brauchen mehr Transparenz, klare Ver-antwortlichkeiten und Wettbewerb. So sichern wir einebestmögliche Versorgung des Bürgers mit der Bildung,die er für die Zukunft so dringend braucht.Die Enquete-Kommission hat mit ihrem Plädoyer fürSubsidiarität und Föderalismus den Weg gewiesen. Wirbrauchen den Wettbewerb zwischen den Bundesländern,zwischen den verschiedenen Bildungssystemen, wirbrauchen den Wettbewerb um besseren Unterricht, umbessere Lehre und um bessere Forschung. Eine nachhal-tige Entwicklung in Deutschland bekommen wir nichtdadurch, daß hier ein neues Gremium eingesetzt oderda ein wenig mehr Geld ausgegeben wird. Es wird vorallem darum gehen, mit Hilfe institutioneller ReformenHandlungsspielräume zu eröffnen, die noch vorher blok-kiert waren.Die Welt um uns herum verändert sich. Sie wartetnicht auf Deutschland und schon gar nicht auf die Kul-tusministerkonferenz. Lange werden Sie es nicht mehrals Tugend verkaufen können, wenn engagierte, fleißigeund begabte Studenten, die sich schnell qualifizierenwollen, in Scharen ins Ausland abwandern. Diese Ab-stimmung mit den Füßen muß für alle Beteiligten, fürdie Bundesländer und besonders für die neue Bundes-regierung, Ansporn sein, den ideologischen Ballast überBord zu werfen und endlich die notwendigen Verände-rungen in Angriff zu nehmen.
Axel E. Fischer
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Mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung ist nichtnur für ökologische und soziale Marktwirtschaft dasMittel für mehr Wohlstand. Für die deutsche Hochschul-und Forschungslandschaft ist es ein notwendiger Kraft-stoff, international den Anschluß zu halten. Wagen Sieendlich mehr Freiheit und weniger Bürokratie für dieBildung, die Forschung und die Bürger! Doktern Sienicht länger an den Wirkungen herum, sondern beseiti-gen Sie endlich die Ursachen der Probleme! FormulierenSie keine blumigen Absichtserklärungen, sondern pak-ken Sie endlich die Lösung der Probleme an!
Mit Zigarrenrauchen allein hat auch Ludwig Erhardnicht die Fundamente für die ökologische und sozialeMarktwirtschaft gelegt.Danke schön.
Herr
Kollege Fischer, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten
Rede vor dem Deutschen Bundestag. Herzlichen
Glückwunsch!
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 13/11200 und 14/571 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des DNA-Identitäts-
feststellungsgesetzes
– Drucksache 14/445 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Ergänzung des DNA-Identitäts-
feststellungsgesetzes
– Drucksache 14/43 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 14/658 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer
Ronald Pofalla
Volker Beck
Jörg van Essen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer von der SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der genetische Fin-gerabdruck sowie seine Verwendung zur kriminalisti-schen Verbrechensaufklärung hat den Deutschen Bun-destag in den vergangenen Jahren mehrfach beschäftigt.Im Juni 1998 haben wir uns darauf verständigt, das Ver-fahren auch auf sogenannte Altfälle anzuwenden. Da-nach darf die DNA-Analyse für die Identitätsfeststellungin künftigen Strafverfahren auch bei Personen durchge-führt werden, die wegen einer Straftat von erheblicherBedeutung rechtskräftig verurteilt sind. Voraussetzungist, daß die entsprechenden Eintragungen im Bundes-zentralregister noch nicht getilgt sind.Daraus resultiert das berechtigte Interesse der Straf-verfolgungsbehörden, den Datenbestand des Bundes-zentralregisters auszuwerten und so die Altfälle syste-matisch herauszufinden. Die dafür nötige Ermächti-gungsgrundlage und eine gesetzliche Mitwirkungspflichtdes Bundeszentralregisters sind wesentliche Inhalte desheute zu verabschiedenden Gesetzentwurfs, der einenüberzeugenden Ausgleich zwischen den Erfordernisseneiner effektiven Verbrechensverfolgung einerseits unddes verfassungsrechtlich gebotenen Datenschutzes ande-rerseits enthält.Dabei verdient besondere Erwähnung, daß der Ge-setzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen am 2. März 1999 in das Gesetzgebungsver-fahren eingebracht wurde und schon heute, nach23 Tagen, in zweiter und dritter Lesung verabschiedetwerden kann.
Das ist das Ergebnis zügiger Beratungen im Rechts-ausschuß und der vorbereitenden intensiven Berichter-stattergespräche, für die ich mich bei meinen Mit-berichterstattern ausdrücklich bedanken möchte.
Mein Dank gilt ebenso den zuständigen Mitarbeiternder beteiligten Fraktionen sowie des Bundesjustiz- unddes Bundesinnenministeriums, die mit großem Engage-ment zum erfolgreichen Abschluß der Beratungen bei-getragen haben. Last, but not least danke ich der – ichsehe sie gerade nicht – für die Bundesregierung feder-führenden Justizministerin.
Ich hätte diesen Dank sehr gern auch an dieCDU/CSU–Fraktion gerichtet, die immerhin bereits am17. November 1998 einen eigenen Entwurf eingebrachthatte. Leider hat sie sich trotz der – heute nicht zu wie-derholenden – detaillierten Kritik an diesem Entwurf inAxel E. Fischer
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der Bundestagssitzung am 21. Januar 1999 nicht vonihrem Entwurf lösen können.
Wir freuen uns um so mehr, daß im Gegensatz dazu dieF.D.P. unseren Entwurf mitträgt.Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat inseiner Stellungnahme zum Entwurf der CDU/CSU-Fraktion lapidar und zutreffend festgestellt – ich zi-tiere –:Dieser Gesetzentwurf bleibt unter datenschutz-rechtlichen Gesichtspunkten hinter dem Entwurfder Koalitionsfraktionen zurück und sollte nichtweiterverfolgt werden.
In der Debatte vom Januar habe ich den engen Zu-sammenhang mit dem überfälligen und im vergange-nen August leider am Widerspruch aus Bayern ge-scheiterten Strafverfahrensänderungsgesetz, dem so-genannten StVÄG, betont. Der Datenschutz im Straf-verfahren bedarf endlich einer grundlegenden Rege-lung. Der Übergangsbonus des Volkszählungsurteilsvon 1983 ist längst verbraucht. Deshalb teile ich gernemit, daß der vorliegende Gesetzentwurf aus einem ei-genen Artikel des als Arbeitsentwurf im Bundesjustiz-ministerium erstellten StVÄG hervorgegangen ist. Wirerwarten, daß dieses nach der Zuleitung an den Bun-desrat, der in der letzten Woche seine Stellungnahmebeschlossen hat, demnächst dem Bundestag zugeleitetwerden wird.Lassen Sie mich aus den Beratungen des heute zuverabschiedenden DNA-Identitätsfeststellungsgesetzeskurz auf vier Probleme eingehen, die uns besondersbeschäftigt haben und die nach unserer Auffassungnunmehr überzeugend geregelt sind.Erstens. Bekanntlich enthält das geltende Identitäts-feststellungsgesetz einen strengen Richtervorbehalt.Bei der Behandlung der sogenannten Altfälle taten sicheinzelne Gerichte schwer damit, festzustellen, welcherRichter in diesen Fällen für die Anordnung der DNA-Analyse zuständig sei. Wir stellen deshalb durch unserGesetz klar, daß auch in diesen Fällen der Ermittlungs-richter zuständig ist. Wir wollen dadurch Rechtssicher-heit schaffen und Verzögerungen beim Aufbau derDNA-Analysedatei vermeiden helfen.Zweitens. In meiner Kritik am Gesetzentwurf derCDU/CSU-Fraktion im Januar hatte ich auf den daten-schutzrechtlichen Grundsatz der Begrenzung der Da-tenübermittlung auf das erforderliche Maß hingewie-sen. Ich hatte kritisiert, daß der Entwurf eine Vielzahlauskunftsberechtigter Stellen – bis hin zu sämtlichenobersten Bundes- und Landesbehörden – vorsah.In Übereinstimmung mit einer Empfehlung des Bun-desbeauftragten für den Datenschutz regeln wir nun-mehr, daß die Daten neben dem Bundeskriminalamt le-diglich der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestelltwerden, die für die Durchführung des Verfahrens zurErhebung der DNA-Identifikationsmuster verantwortlichist. Auskünfte etwa, verehrte Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, an die Kultusminister oder die Landwirt-schaftsminister der Länder, wie sie nach dem heute vonIhnen wieder vorgelegten Entwurf möglich sein würden,wird es also nicht geben.Drittens. Seitens einzelner Bundesländer ist die Bittean uns herangetragen worden, daß sich das Gesetz hin-sichtlich der Zulässigkeit der Speicherung von DNA–Identifizierungsmustern eindeutig auf die Bundes-ebene beschränken sollte. Dem entspricht das Gesetz mitseiner Beschränkung auf die Praxis des Bundeskriminal-amts. In der Begründung stellen wir ausdrücklich klar,daß die auf landesrechtlicher Rechtsgrundlage erfolgteSpeicherung hinsichtlich ihrer Zulässigkeit nicht betrof-fen ist. Insoweit gibt es bekanntlich keine Kompetenzdes Bundes. Deshalb sind Dateien, wie sie zum Beispielin Rheinland-Pfalz oder Bayern bereits eingerichtet sind,von unserem Gesetz nicht betroffen. Wir hoffen aber,daß die Rechtsstaatlichkeit der Regelungen unseres Ge-setzes durchaus stilbildend wirkt.Viertens. Schließlich haben wir uns eingehend mitdem Deliktskatalog für die Gruppenabfrage beimBundeszentralregister befaßt. Ich hatte schon in derJanuar-Debatte darauf hingewiesen, daß allein schon ausDatenschutzgründen präzise Vorgaben dazu notwendigsind, welche Daten bereitzustellen und den anfragendenStellen zu übermitteln sind. Auch programmiertechnischkann die Frage, wann es sich um eine Straftat vonerheblicher Bedeutung handelt, nicht dem jeweiligenSachbearbeiter beim Bundeskriminalamt überlassenwerden.Der nun vorgelegte Deliktskatalog ist zwischen Bundund Ländern unter Einbeziehung des Justiz- und desInnenbereichs abgestimmt worden. Ansatzpunkt warendie in § 395 der Strafprozeßordnung aufgeführtenNebenklagedelikte. Diese wurden ergänzt um Deliktewie Raub, Erpressung und Bandendiebstahl, bei denendeliktstypisch DNA-Identifizierungsmaterial etwa amTatort oder im Fluchtfahrzeug aufgefunden wird. DieseBerücksichtigung kriminalistischer Erfahrungen soll diezügige Erfassung und Aufbereitung der Altfälle ermög-lichen. Bekanntlich spielt etwa bei schwerer Steuerhin-terziehung oder Verbrechen nach dem Kriegswaffen-kontrollgesetz, um nur zwei Beispiele aus dem Neben-strafrecht zu nennen, der genetische Fingerabdruckpraktisch keine Rolle.
Warum sollten derartige Delikte also in die aufwendigeGruppenanfrage übernommen werden? Selbstverständ-lich können aber durch Einzelabfrage beim Bundeszen-tralregister auch solche für die DNA-Identitätsfest-stellung geeignete Straftaten von erheblicher Bedeutungabgefragt werden, die nicht im Katalog enthalten sind.§ 2c des Gesetzes regelt nur die Gruppenabfrage. Dervon der Opposition behauptete Wertungswiderspruch imDeliktskatalog, der natürlich auf Grund neuer Erfahrun-gen ergänzt werden kann, besteht also nicht.
Dr. Jürgen Meyer
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Der Errichtung und Nutzung der DNA-Analysedateibeim Bundeskriminalamt steht nun nichts mehr im We-ge. Dasselbe gilt für den Abgleich der Daten durch dasBundeskriminalamt mit der Haftdatei und die Über-mittlung der Ergebnisse an die Landeskriminalämter.Unser Entwurf zeigt, daß Rechtsstaatlichkeit desStrafverfahrens und Effektivität der Strafrechts-pflege keine Gegensätze sind. Sie sind vielmehrgemeinsam unerläßliche Voraussetzung für die innereSicherheit im demokratischen Rechtsstaat. UnserGesetzentwurf macht deutlich: Verbrechensbekämpfungund Rechtsstaatlichkeit sind zwei Seiten derselbenMedaille.
Wir hoffen deshalb auf eine breite Zustimmung.
Als
nächster Redner hat der Kollege Ronald Pofalla von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Mit der zweiten unddritten Beratung der Gesetzentwürfe der Koalitionsfrak-tionen und der Fraktion der CDU/CSU zur Änderungbzw. Ergänzung des DNA-Identitätsfeststellungsgeset-zes wird eine endgültige Regelung darüber verabschie-det, unter welchen Voraussetzungen eine Anfrage, alsoein Ermittlungsdatenabgleich, durch die Staatsanwalt-schaften, das Bundeskriminalamt und den Generalbun-desanwalt erfolgen soll. Die endgültige Regelung unteranderem dieser Frage – das mache ich hier sehr deutlich,Herr Kollege Meyer – wird von uns ausdrücklich be-grüßt.Bereits im Rahmen der ersten Beratung am 21. Januar1999 hat vor allen Dingen die CDU/CSU-Bundestags-fraktion darauf gedrängt, hier zu einer möglichst zügi-gen Beratung und Verabschiedung zu kommen. Unse-rem ständigen Drängen, auch im Rechtsausschuß desDeutschen Bundestages, ist es daher zu verdanken, daßes schon heute, am 25. März 1999, zu einer Abschluß-beratung kommen kann.
Sowohl die Bundesregierung wie auch die Regie-rungskoalitionsfraktionen hatten die Absicht, Herr Kol-lege Meyer, die Ergänzung bzw. Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes auf die lange Bank zuschieben.
Noch in der ersten Beratung am 21. Januar 1999 warvon seiten der Bundesregierung und der Regierungs-koalitionsfraktionen ein anderes Verfahren beabsichtigt.Ich verweise Sie auf das amtliche Protokoll der Bun-destagssitzung vom 21. Januar 1999. Damals haben Sievorgetragen – sehr lautstark übrigens, Herr KollegeMeyer –,
daß entsprechend dem Willen der Bundesregierung derBereich DNA-Identitätsfeststellungsgesetz in ein um-fangreiches Strafverfahrensänderungsgesetz eingestelltwerden solle. Sie haben im Verlauf der Beratungen ge-merkt, daß wir, wenn Sie bei diesem Verfahren, nämlichder Einstellung in das Strafverfahrensänderungsgesetz,geblieben wären, im Plenum des Deutschen Bundestagesnicht einmal einen Regierungsentwurf hätten beratenkönnen, weil der Bundesrat seinerseits mit seinen Mit-wirkungsrechten erst am vergangenen Freitag seineErstbefassung mit diesem Thema abschließen konnte.Jetzt wird im Verfahren die Frage sein, ob die Bundes-regierung ihrerseits im Rahmen einer eigenen Stellung-nahme, was sie tun kann, Bezug darauf nimmt.Um es gleich deutlich zu sagen: Wäre hier so verfah-ren worden, wie von der Bundesregierung und vonIhnen beabsichtigt, würde der Gesetzentwurf der Bun-desregierung oder ein Gesetzentwurf, der auch nur imentferntesten daranginge, dieses Problem zu lösen, heutenoch nicht einmal in erster Lesung beraten.
Herr Kollege Meyer und auch Herr Kollege Harten-bach, ich könnte Ihnen, wenn Sie das wünschen, ausdem Protokoll vom 21. Januar 1999 vorlesen
– ich erspare es uns aber –, was Herr Meyer in seinerRede zum Verfahren gesagt hat. Unserem Drängen ist eszu verdanken, daß Sie zwei Verfahrenswege gegenüberder ursprünglichen Absicht verändert haben: Erstens.Die Bundesregierung ist davon abgegangen, daraufzu bestehen, daß das DNA-Identitätsfeststellungsgesetzin den Gesetzgebungsvorgang eingebettet wird, derursprünglich im Zusammenhang mit dem Strafverfah-rensänderungsgesetz beabsichtigt war.
Die Bundesregierung war damit einverstanden, daß Sievon seiten der Regierungskoalitionsfraktionen eineneigenen Gesetzentwurf, der in diesem Teil in etwa iden-tisch ist, einbringen.Das haben Sie dann, nach wochenlangen Debatten,erst am 2. März 1999 mit einem Gesetzentwurf ge-schafft; das ist die zweite Verfahrensänderung. Sie wis-sen: Wenn wir als Opposition nicht zugelassen hätten,daß die Beratungen heute hier stattfinden, weil wir zueinem zügigen Abschluß nicht nur bereit sind, sondernDr. Jürgen Meyer
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ihn auch für sinnvoll halten, dann könnten wir heute diezweite und dritte Lesung im Plenum nicht vornehmen.
Deshalb sage ich zusammenfassend: Ohne dieCDU/CSU-Bundestagsfraktion hätte es diese Ände-rungen im Verfahren nicht gegeben, und ohne dieCDU/CSU-Bundestagsfraktion hätten Sie sich nicht da-zu entschieden, das Verfahren zu beschleunigen. Dies– das will ich hier ausdrücklich sagen – begrüßen wir.Aber das ist auch das einzige, was wir in diesemZusammenhang positiv festhalten können. Ansonstenlehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Ich will versuchen,Ihnen die entscheidenden Gründe vorzutragen.
Erstens. Die von den Regierungskoalitionsfraktionenvorgesehene Auskunftsbeschränkung auf die Staats-anwaltschaft ist aus unserer Sicht auf keinen Fallakzeptabel.
Zunächst ist aus unserer Sicht in Übereinstimmung mitdem Strafverfahrensrecht der Auffassung zu folgen, daßdas Einverständnis des Betroffenen mit Speichelent-nahmen und der anschließenden Untersuchung beacht-lich ist, mithin es in diesen Fällen keiner zusätzlichenstaatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Befassungbedarf. Wenn dies so ist, würde allein der Suchlauf dazuzwingen, daß die Staatsanwaltschaft mit dieser Angele-genheit befaßt ist. Hinzu kommt, daß die Auskunft desBundeszentralregisters der Bearbeitung bedarf. Es mußetwa geklärt werden, wo sich ein Eingetragener befindet.Mancher Eingetragene wird sich gar nicht mehr inDeutschland aufhalten.Diese Arbeit kann nach unserer Auffassung am be-sten die Polizei leisten. Zweckmäßig dürfte zunächst einAbgleich der Bundeszentralregisterdaten mit den BKA-und LKA-Daten sein. Wenn dies so ist, macht es keinenSinn, zunächst die Staatsanwaltschaft mit der Angele-genheit zu befassen. Dies wäre eine unnötige Belastung,die mit zahlreichen Fehlerquellen verbunden ist. Injedem Fall muß nach unserer Auffassung auch der Poli-zei die Möglichkeit der Auskunftseinholung eröffnetwerden. Das Gesetz sollte so gestaltet sein, daß es allerechtsstaatlichen Möglichkeiten rechtlich absichert.Zweitens. Daß das Gesetz einen Katalog zugrundelegt, ist nicht unbedenklich im Blick darauf, daß damitdie Möglichkeiten des DNA-Identitätsfeststellungs-gesetzes nicht ausgeschöpft werden. Aus gutem Grundist schon im Gesetzgebungsverfahren zum DNA-Identitätsfeststellungsgesetz ein Katalog verworfen wor-den. Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger vorStraftaten kann es sinnvoll sein, zunächst einen engenSuchlauf zu starten und nach einiger Zeit und bei vor-handener Kapazität einen weiteren. Dies muß nichtpräjudiziert werden. Insofern ist auch in diesem Zu-sammenhang das Konzept im Gesetzentwurf derCDU/CSU-Fraktion eindeutig vorzugswürdig.Drittens. Darüber hinaus ist der Straftatenkatalog,der nunmehr im Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionenenthalten ist, nach unserer Überzeugung auch noch lük-kenhaft, Herr Kollege Meyer. Im Straftatenkatalog feh-len nämlich etwa Verstöße gegen das Betäubungsmittel-recht, gegen das Waffen- und des Kriegswaffenkontroll-gesetz sowie Verstöße gegen das Ausländergesetz, ins-besondere hier das gewerbs- und bandenmäßige Ein-schleusen. Dies alles sind Straftatbestände, die eine Un-tersuchung gemäß dem DNA-Identitätsfeststellungs-gesetz erfordern. In der Beschlußfassung des Rechtsaus-schusses sind diese Straftatbestände aber nicht enthalten,weil die Regierungskoalition viel zu unbeweglich war,auf ergänzende und sinnvolle Vorschläge im Rahmender Berichterstattergespräche einzugehen. Wenn manListen ins Gesetz schreibt, sollten sie einigermaßen voll-ständig sein.
Die Frage, warum man Drogendealer ausnimmt, HerrKollege, kann ich nun wirklich nicht beantworten.Sie müssen versuchen, diese Tatsache der deutschenÖffentlichkeit zu erklären.
Viertens. Nicht hinnehmbar ist die Beschränkung derAuskunft auf zwei Jahre. Es ist überhaupt nicht einsich-tig, warum bei der Wissenschaft, die nach dem Bundes-zentralregistergesetz jederzeit Suchläufe beantragenkann, ein anderer Maßstab angelegt wird als bei denStrafverfolgungsbehörden. Klar ist, daß die Zweckbin-dung eingehalten werden muß. Wird die Zweckbindungeingehalten, ist nicht ersichtlich, warum das Gesetzeinen sofortigen umfassenden Suchlauf mit riesiger Vor-ratsspeicherung erzwingt und nicht die Möglichkeit gibt,je nach Vorgang Daten einzuholen – selbstverständlichin dem Rahmen, den das Gesetz zu Recht vorgibt.Insgesamt halten wir die Ergänzung bzw. Änderungdes DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes auf der Basisder Vorstellungen der Regierungskoalition für pra-xisuntauglich. Auf die Detailgenauigkeit der vorgesehe-nen Regelungen kann in den meisten Fällen verzichtetwerden, da sich die getroffenen Spezialregelungen in derRegel aus allgemeinen Regeln des Bundeszentralregi-stergesetzes und des Bundesdatenschutzgesetzes erge-ben. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koali-tionsfraktionen beweisen damit erneut, daß sie nicht inder Lage sind, praxistaugliche Gesetze zu entwerfen.
Ich will jetzt aber ausnahmsweise auf Ihre Gedan-kenwelt eingehen. Angesichts der Tatsache, daß Sie beider Ausgestaltung solcher Gesetze detailverliebt sind– das haben Sie bewiesen –, stellen wir fest, daß die Er-gänzung bzw. Änderung des DNA-Identitätsfeststel-lungsgesetzes Wertungswidersprüche enthält. Ich will indiesem Zusammenhang auf zwei Beispiele eingehen.Erstens. Wenn man Ihren Gedanken bezüglich derDetailregelungen folgt, muß man folgendes sagen: Dievon Ihnen vorgeschlagenen Ergänzungen bzw. Ände-rungen des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes enthal-Ronald Pofalla
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ten einen bedeutsamen Mangel, Herr Kollege Meyer, daeine ausdrückliche Verweisung auf den Richtervor-behalt fehlt. Demnach entscheidet im Rahmen einerAnordnung nach § 81e und nach § 81f der Strafprozeß-ordnung der Richter nur über eine rein verfahrensbezo-gene Erforderlichkeit einer DNA-Analyse zum Zweckder Zuordnung des Spermienmaterials bzw. der Fest-stellung der Abstammung. Damit entscheidet der Richteraber nicht über das Vorliegen einer Straftat von erheb-licher Bedeutung und einer besonderen Wiederholungs-gefahr.Da Sie den Bundesdatenschutzbeauftragten, HerrnDr. Jakob, zitiert haben, tue ich dies ebenfalls. Er hat inseiner Stellungnahme vom 10. März auf den Wertungs-widerspruch zu der Intention des DNA-Identitätsfeststel-lungsgesetzes hingewiesen. Der Verzicht auf die durcheinen Richter zu treffende Gefahrenprognose ist vomBundesdatenschutzbeauftragten deutlich kritisiert wor-den.Zweitens. Der Straftatenkatalog – wir halten ihn fürfalsch –, der nach der Vorstellung der Koalitionsfraktio-nen über 40 Straftatbestände enthält und nach dem einentsprechender Suchlauf beim Bundeszentralregisterveranlaßt werden kann, ist unvollständig und damit lük-kenhaft. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, daß nachdiesem Straftatenkatalog zum Beispiel Drogendealerund bestimmte bandenmäßig Kriminelle durch einenallgemeinen Suchlauf nicht überprüft werden können.Warum also Drogendealer in den Genuß kommen sol-len, nicht in einem Suchlaufverfahren enthalten zu sein,müssen Sie schon selbst der Öffentlichkeit erklären.
Schließlich ist dieses Gesetz im Rahmen der Bera-tungen des Rechtsausschusses des Deutschen Bundesta-ges durch die Anträge der Koalitionsfraktionen nochpraxisuntauglicher geworden. Der Entwurf war bereitspraxisuntauglich; Sie haben ihm unserer Auffassungnach in dieser Hinsicht aber noch verschlimmert.Nach der nunmehr im Rechtsausschuß vorgeschlage-nen Regelung darf die Registerbehörde die genanntenEintragungen an die Staatsanwaltschaft übermitteln– und jetzt kommt der von Ihnen neu vorgeseheneZusatz –, in deren Zuständigkeitsbereich die letzte Ein-tragung wegen einer Katalogtat erfolgte. Ausweislichder Begründung soll immer auf die letzte Katalogtat,egal an welcher Stelle sie im Bundeszentralregistersteht, abgestellt werden.Damit stellt sich das Problem, ob bei einer be-schränkten Übermittlungsbefugnis der letzten eingetra-genen Katalogtat an die Staatsanwaltschaft, in derenZuständigkeitsbereich die Tat eingetragen wurde, die beiihr eingehenden Daten über eine Person, die zwar vonihr eingetragen wurde, die aber schon lange nicht mehrin ihrem Bezirk wohnt, an die „nähere“ Staatsanwalt-schaft weiter gegeben werden dürfen. Wie soll das Ver-fahren laufen, wenn zum Beispiel der wegen mehrfacherVergewaltigung verurteilte Straftäter aus Münchennunmehr nach Hannover oder Erfurt verzogen ist? Diesist ein Beispiel für etwas, was, glaube ich, in der Praxishäufiger vorkommt.Darüber hinaus ergibt sich die Problematik, daß jedeStaatsanwaltschaft selbst für ihren eigenen Bezirk alleeinzelnen Katalogtaten, sei es durch eine Gesamtabfrageüber alle bisher vorgesehenen 41 Katalogtaten, sei esdurch 41 Abfragen über die einzelnen Katalogtaten,wird erfragen müssen, um hinterher dem Vorwurf,gefährliche Täter nicht erfaßt zu haben, begegnen zukönnen.
Eine für alle Staatsanwaltschaften zentral vorgenom-mene Abfrage durch eine Staatsanwaltschaft eines Lan-des ist nach Ihrem Entwurf schon deshalb ausgeschlos-sen, weil sich die Übermittlungsbefugnis des Bundes-zentralregisters allein darauf beschränkt, den einzelnenStaatsanwaltschaften der letzten eingetragenen Katalog-tat die einzelnen Personen mitzuteilen.Aus all diesen Gründen – ich habe mich nur aufeinige wenige beschränkt – können wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesem Gesetz in zweiter und dritterLesung nicht zustimmen. Weil Sie der Überzeugungsind, jedes Detail regeln zu müssen, und so ein Gesetzgeschaffen haben, das in der Praxis dazu führen wird,daß wir mit Blick auf die Alttäter keine vernünftigeGendatei werden aufbauen können,
lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Das
Wort hat nun der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/
Die Grünen.
Lieber Kollege Pofalla, zunächst zu loben, daß wir esIhnen zu verdanken haben, daß wir dieses Gesetz amDonnerstag und nicht erst am Freitag verabschiedenkönnen,
dann aber so an der Sache vorbei den Gesetzentwurf zukritisieren, das verwundert mich schon.Was mich weniger verwundert, ist, daß Sie gegendieses Gesetz sind, weil wir bei der DNA-Identitätsfest-stellungsgesetzgebung anders gearbeitet haben als in dervergangenen Wahlperiode. Das ist richtig. Wir habensehr präzise Regelungen vorgeschlagen. Wir habenSchluß gemacht damit, daß man den Aspekt der Rechts-staatlichkeit und die Effizienz der Verbrechens-bekämpfung gegeneinander ausspielt. Wir als Koalitionsind der Überzeugung, daß sich diese Aspekte nichtwidersprechen, sondern vorzüglich ergänzen. Dasbeweist der vorliegende Gesetzentwurf.
Ronald Pofalla
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Die Koalition wird sich von Ihrer Kritik nicht abhal-ten lassen, eine rationale Kriminalpolitik zu betreiben.Allein die Tatsache, daß wir uns heute zusammenfinden,um diese Materie zu regeln, zeigt, wie schlampig Sie inder letzten Wahlperiode vorgegangen sind. Denn wirschließen hiermit Regelungslücken, die aus der Gesetz-gebung der letzten Wahlperiode übriggeblieben sind.
Wir beheben Mängel und Versäumnisse, die der altenRegierungskoalition im vergangenen Jahr bei der hasti-gen Verabschiedung des DNA-Identitätsfeststellungs-gesetzes unterlaufen sind.Es geht bei diesem Entwurf nicht um eine Erweite-rung der Gen-Datei. Das muß man der PDS sagen, dieden Gesetzentwurf aus ganz anderen Motiven ablehnt.Ziel im Hinblick auf die Datei ist vielmehr eine Er-leichterung der Vorbereitung, der Erfassung und derAufbereitung sogenannter Altfälle, also in der Vergan-genheit wegen schwerer Straftaten bereits verurteilterTäter.Darüber hinaus wird endlich für die Datenspeiche-rung in der zentralen Gen-Datei eine umfassendegesetzliche Grundlage geschaffen, wie es Datenschützerund Bündnisgrüne seit langem anmahnen.
Ich bin froh, daß uns dies gelungen ist. Noch bei derersten Lesung Ihres Gesetzentwurfes meinten Sie, HerrPofalla, wir würden einer Novellierung nicht zustimmenkönnen. Jetzt haben wir erreicht, was wir vier Jahre langangemahnt haben. Dies betrifft auch die F.D.P.; dennauch der ehemalige Bundesjustizminister wollte diesesErgebnis erzielen. Das war aber angesichts der Politikder CDU/CSU, Rechtsstaatlichkeit und Verbrechens-bekämpfung gegeneinander auszuspielen, nicht möglichund nicht durchsetzbar. Wir haben es jetzt durchgesetzt.Der Entwurf sieht eine Regelung vor, die es demGeneralbundesanwalt erlaubt, Gruppenauskünfte ausdem Bundeszentralregister an Staatsanwaltschaften undan das Bundeskriminalamt zu erteilen, um die Daten vonin der Vergangenheit bereits verurteilten Straftätern zuerlangen, bei denen typischerweise eine Genomanalysein Betracht kommt. Für eine solche systematische An-frage an das Bundeszentralregister fehlt bislang dieRechtsgrundlage. Eine solche Regelung zu schaffenhatten Sie versäumt. Die Staatsanwaltschaften sind bis-lang auf die zeitaufwendige Durchsicht ihrer eigenenAkten und Dateien angewiesen. Dies halten wir für zuumständlich und für nicht sachgerecht. Durch diesesGesetz schaffen wir hier Abhilfe. Die Antwort auf dieFrage, ob im Anschluß an eine solche Abfrage eineAufnahme der Altfälle in die Gen-Datei erfolgt, istdamit noch nicht vorweggenommen. Eine solche Abfra-ge bedarf in jedem Einzelfall einer weitergehendenstaatsanwaltschaftlichen Überprüfung und richterlichenAnordnung.Durch einen Straftatenkatalog wird abgesichert, daßdas Bundeszentralregister nicht seinen gesammeltenDatenbestand, sondern nur schwere Straftaten an dieanfordernden Staatsanwaltschaften übermittelt. Der Fall,den Sie, Herr Pofalla, vorhin geschildert haben, istnatürlich – es tut mir wirklich leid – durch die weiterbe-stehende Möglichkeit der Einzelabfrage völlig gedeckt.
Hier besteht keine Regelungslücke und kein Problem.Also bauen Sie hier keine künstlichen Probleme auf!Der Katalog wurde zwischen Bund und Ländernunter Einbeziehung sowohl der Justiz- als auch derInnenministerien abgestimmt. Anknüpfungspunkte sinddie Nebenklagedelikte, ergänzt um solche Delikte, beidenen deliktstypisch DNA-Identifizierungsmuster amTatort gefunden werden – etwa bei Raub, Erpressungoder Sexualdelikten.Zur effektiveren Verfolgung von Gewalt- undSexualverbrechen hat der Gesetzgeber das Instrumenta-rium der DNA-Identitätsfeststellung gesetzlich geregelt.Daran sollten wir uns erinnern und uns jetzt nicht uferlosvon dem früheren Gesetzgebungsvorhaben und dessenMotiven entfernen. Der Katalog beansprucht jedochbewußt nicht, die gesamte Bandbreite von Straftaten vonerheblicher Bedeutung auszuschöpfen. Die hier anfal-lenden Datenmengen könnten in absehbarer Zeit über-haupt nicht abgearbeitet werden. Dies wäre also gar kei-ne Hilfe für die Strafverfolgungsbehörden. Es bleibt denStaatsanwaltschaften im übrigen unbenommen, per Ein-zelanfrage auch andere schwere Straftaten – etwa ausdem Nebenstrafrecht – abzufragen.Wir haben die Regelung auf zwei Jahre befristet; dasist auch sachgerecht. Hiermit stellen wir sicher, daß dieVorschriften tatsächlich nur für die Ermittlung der Alt-fälle herangezogen
und nicht von den Staatsanwaltschaften zum dauern-den, regelmäßigen Abgleich des Registerbestandesherangezogen werden, wie das in Ihrer Regelung mög-lich wäre.Wir grenzen den Kreis der auskunftsberechtigtenStellen auf diejenigen ein, die ein objektives Interesse aneiner Auskunft haben. Neben dem Bundeskriminalamtsind auskunftsberechtigt nur die Staatsanwaltschaften, inderen Zuständigkeit die letzte Eintragung erfolgte, dadiese zugleich für die Durchführung des Verfahrens zureventuellen Erhebung der DNA-Muster verantwortlichsind. Es ist nicht notwendig, noch weitere Stellen einzu-schalten, wie dies der Unionsentwurf vorsieht. Der Kol-lege Meyer hat es angesprochen. Sämtliche oberstenBundes- und Landesbehörden wären nach Ihren Vor-stellungen hier abfrageberechtigt, bis hin zum Landwirt-schaftsministerium und zur Bundeszentrale für gesund-heitliche Aufklärung.
– Ich möchte wissen, was ein Gesetz soll, das Möglich-keiten schafft, von denen vernünftigerweise niemandGebrauch machen kann und Gebrauch machen will. Sol-Volker Beck
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che Gesetze machen wir nicht. Vielmehr arbeiten wirpräzise, und das ist gut so.
Darüber hinaus beheben wir einen grundlegendenMangel des geltenden Gesetzes: Wir schaffen endlicheine sämtliche Fälle der Datenerhebung umfassendeRegelung für die Erstellung und Nutzung der DNA-Analysedatei durch das Bundeskriminalamt. Denn an-gesichts der besonderen Sensibilität der Daten halten wires unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten für nicht län-ger hinnehmbar, daß in einem laufenden Ermittlungsver-fahren erhobene Gen-Daten weiter ohne gesetzlicheGrundlage in der zentralen DNA-Analysedatei beimBundeskriminalamt gespeichert werden. Die Vorausset-zungen für Einspeisung der Daten, ihre Verarbeitungund Nutzung und die Auskunftserteilung werden des-halb nun unabhängig von der jeweiligen Rechtsgrund-lage der Datengewinnung einer einheitlichen gesetz-lichen Regelung zugeführt.Ich möchte Ihnen auch ins Stammbuch schreiben:Das ist für die Strafverfolgung wichtig. Sie haben dasRisiko in Kauf genommen, daß zu Unrecht gespeicherteDaten als zentrales Beweismittel bei der Verurteilungeines Sexualstraftäters zugrunde gelegt werden und die-ser freigesprochen werden muß, weil die Speicherungnicht gesetzlich geregelt war. Dieses Risiko schaffen wirab. Insofern ist das Gesetz, wie schon zu Anfang gesagt,ein gutes Gesetz für die Verbrechensbekämpfung undfür den Rechtsstaat.
Das
Wort hat jetzt der Kollege van Essen von der F.D.P.-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich bin ohne Manuskript hierherge-
kommen, weil nicht auch ich noch eine Rede vorlesen
will. Ich glaube, daß die Problematik von den Vorred-
nern deutlich dargestellt worden ist. Es gibt einen Ge-
sichtspunkt, auf den noch einmal eingegangen werden
muß. Damit möchte ich beginnen.
Wir haben im letzten Jahr die Weichenstellungen
vorgenommen, um die DNA-Analyse im Strafprozeß
besser verwenden zu können. Es hat damals eine breite
Zustimmung gegeben – sowohl bei der CDU/CSU, als
auch bei der SPD und bei der F.D.P. –, das so zu regeln,
wie es damals vorgelegt worden ist. Wir als F.D.P.
haben uns damals damit schwergetan, weil wir eine
andere, eine breitere gesetzliche Grundlage haben woll-
ten. Der damalige Bundesinnenminister hat dies leider
verhindert, weil er immer wieder behauptet hat, daß
alles geregelt sei.
– Er wollte gar kein Gesetz; Herr Kollege Meyer, Sie
haben vollkommen recht.
Ich kann mich an mehrere Koalitionsrunden erinnern, in
denen sogar der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU die
Auffassung vertreten hat, daß es einer breiten gesetz-
lichen Grundlage bedürfe. Aber auch er hat sich nicht
durchgesetzt.
Ich bedauere es deshalb sehr, daß sich der Bundestag
mit bestimmten Materien mehrfach befassen muß,
anstatt von vornherein ein wirkliches Meisterstück vor-
zulegen.
– Wir haben selber mitgestimmt – ich habe das über-
haupt nicht bestritten –, und zwar deshalb, weil uns sehr
daran gelegen war, zunächst einmal zu einer Regelung
zu kommen. Ich weiß, daß das auch das Motiv für die
SPD war.
Herr
Kollege van Essen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Geis?
Nein, möchte ich nicht.Denn das Ganze ist überhaupt nicht, auch nicht durchZwischenfragen, vom Tisch zu wischen. Deshalbmöchte ich das auch so im Raume stehenlassen, wie esnun einmal gewesen ist.
– Es war exakt so; ich erinnere mich noch sehr genau andie Gespräche insbesondere in der Koalitionsrunde.
Von daher sind wir gut beraten, diesmal mit Augenmaßan die Dinge heranzugehen.Es ist durchaus ungewöhnlich, daß eine Oppositions-fraktion einem Koalitionsentwurf zustimmt. Wir tun das,weil wir der Auffassung sind, daß das, was von denKoalitionsfraktionen nach den Berichterstattergesprä-chen vorgelegt worden ist, ein vernünftiger Mittelwegist, der die verschiedenen Interessen in angemessenerWeise berücksichtigt.
Ich darf an eines erinnern, weil das Thema Daten-schutz angesprochen worden ist. Es wird sehr schnellgesagt: Datenschutz ist Täterschutz. – Ich halte das fürfalsch. Datenschutz darf natürlich nie Täterschutz sein.Aber Datenschutz dient auch dem Schutz der Justiz.Wenn wir klare Regelungen der Datenverwendungschaffen, schließt das Mißbrauch aus und führt dazu,Volker Beck
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daß auch die Justiz verantwortungsvoll mit den Datenumgeht.
Ich denke, daß hier ein Weg gefunden worden ist, genaudas sicherzustellen.Auch ein zweiter Aspekt ist mir wichtig – HerrPofalla hat das kritisiert –, nämlich die Position derStaatsanwaltschaft. Ich persönlich finde es richtig, daßwir eine herausgehobene Verantwortung der Staatsan-waltschaft, und zwar der Staatsanwaltschaft, die sich alsletzte mit den Katalogtaten zu befassen hatte, in dasGesetz aufnehmen.
– Das ist nicht kompliziert, sondern schlicht und einfachvernünftig. Sie wissen, ich selbst komme aus der Staats-anwaltschaft.
Von daher weiß ich, daß es eine vernünftige Regelungist, daß das genau dort angesiedelt wird.Die verschiedenen Beispiele machen deutlich, daßwir hier einen vernünftigen Mittelweg gefunden haben.Ich weiß, daß auch Länder, in denen die F.D.P. mit-regiert, nicht mit allen Regelungen einverstanden sind.Aber das Fazit war für uns klar und eindeutig: Wir kön-nen diesem Gesetzentwurf zustimmen. Damit wird einZiel erreicht – das ist für uns das wichtigste –, daß näm-lich Straftaten, insbesondere Sexualstraftaten an Kin-dern, schnellstmöglich aufgeklärt und – was noch besserwäre – nach Möglichkeit verhindert werden. Wenn wirdazu einen Beitrag leisten können, dann ist das dasBeste, was wir als Parlament machen können.Herzlichen Dank.
Das
Wort hat nun die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von der
PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Prä-sident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DiePDS hat bereits in der 13. Wahlperiode sowohl ausgrundsätzlichen und insbesondere grundrechtlichenErwägungen heraus, aber auch wegen rechtstaatlicherBedenken gegen das DNA-Identitätsfeststellungsgesetzgestimmt. Auch wenn der von SPD und Bündnis 90/DieGrünen vorgelegte Gesetzentwurf auf zum Teil mehrRechtssicherheit bei der Umsetzung des DNA-Gesetzesabzielt, zum Beispiel durch Einführung eines konkretenStraftatenkataloges, wiegen die Gründe für die Ableh-nung beider Entwürfe aus unserer Sicht nach wie vorschwerer als mögliche Zustimmungserwägungen. Ichmöchte das im einzelnen kurz begründen.Zum einen ändern auch die Erstellung eines Straf-tatenkatalogs und die gesetzliche Einführung von An-frage-, Übermittlungs- und Datenabgleichungsbefugnis-sen nichts an den weiterhin bestehenden Grundrechts-problemen. Bei der Genanalyse geht es nicht nur um einneues, modernes Identifizierungsmuster als bloße tech-nische Weiterentwicklung des traditionellen Fingerab-drucks. Es ist nach wie vor nicht auszuschließen, daß dersogenannte genetische Fingerabdruck die Möglichkeitder Erstellung eines umfassenden Persönlichkeitsprofilsbietet
und damit weit über unverwechselbare äußere Merkmalehinausgeht. Nicht von ungefähr warnen eine Reihe vonBürger- und Menschenrechtsorganisationen davor, daßgentechnischer Fortschritt zugleich menschenrechtlichenRückschritt bedeuten kann.Neben der potentiellen Gefahr einer genetischen Er-fassung vieler Bürgerinnen und Bürger wird zu Rechtimmer wieder davor gewarnt, daß diese Identifizie-rungsmöglichkeit als Einstieg in eine systematischeVerletzung der Integrität von straffällig gewordenenMenschen benutzt werden kann. Art. 1 und 2 desGrundgesetzes schützen die Würde des Menschen unddie Freiheit der Person. Nicht der Entwurf von SPD undBündnis 90/Die Grünen und schon gar nicht derCDU/CSU-Entwurf sind dazu geeignet, diese potentiel-len vom DNA-Gesetz ausgehenden Grundrechtsgefah-ren zu beseitigen. Dies ist aber gerade die Verantwor-tung des Gesetzgebers. Wir erkennen dabei aber auch,daß diese Gefährdungsmomente nicht allein durchgesetzgeberische Maßnahmen auszuschließen sind. Imübrigen bedarf es in diesem Zusammenhang expliziterStrafvorschriften gegen den Mißbrauch von genetischemMaterial.Zum anderen haben wir erhebliche rechtsstaatlicheBedenken zu Einzelfragen. Auch der Gesetzentwurfmeiner Kolleginnen und Kollegen von den Regierungs-fraktionen korrigiert nicht die Erfassung der sogenann-ten Altfälle, das heißt von Tätern, die ihre Strafe bereitsverbüßt haben. Vielmehr ermöglicht er eine Entnahmevon Körperzellen, solange die entsprechende Eintragungim Bundeszentralregister noch nicht getilgt ist. DieSchaffung einer solchen Genverbrecherdatei setzt dieBetroffenen im nachhinein einem pauschalen General-verdacht aus, steht dem Resozialisierungsgedanken ent-gegen und ist potentiell dazu geeignet, dauerhaft Ver-brecherpersönlichkeiten zu konstruieren. Sie läuft damitder Achtung der Menschenwürde zuwider, zumal dieinhaltlichen Kriterien der Erfassung in Anbetracht derSchwere des Eingriffs zu unbestimmt sind.
Der jetzt erstellte Straftatenkatalog zeigt zwar dasBemühen um mehr Rechtssicherheit; er ist im Vergleichzur bisherigen Generalklausel ein deutlicher Fortschritt.Kritik wird jedoch zu Recht an der Aufnahme vonDelikten wie Vollrausch oder Körperverletzung im Amtgeübt. Auch § 129 Strafgesetzbuch hat wegen unsererJörg van Essen
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grundsätzlichen Kritik an dieser Strafbestimmung nichtsin dem Katalog zu suchen, da er den Geruch von Gesin-nungsstrafrecht hat. Aus diesen Gründen werden wirdiesen beiden Entwürfen nicht zustimmen.Danke.
Ab-schließend hat das Wort die Bundesministerin Dr. HertaDäubler-Gmelin.Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lie-ber Kollege Pofalla, als ich Ihre Rede gehört habe, habeich befürchtet, es würde wieder ein Diskussion werden,wegen der uns die Menschen, die Juristen so lieben;denn eine solche Mischung aus Selbstlob, Verriß undVerwirrspiel führt dazu, daß kein Mensch mehr weiß,worum es geht.
Ich war froh, daß einige der anderen Redner dann nochklargemacht haben, was wir heute hier eigentlich tun.Lassen Sie es mich mit einem Satz sagen: Wir reparierenein Versäumnis, einen Fehler, der im letzten Jahr – –
– Natürlich. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen.Ich will aber erst einmal einen Satz zu Ende sprechendürfen: Wir reparieren einen Fehler, den Sie in IhrerAllwissenheit im letzten Jahr hinterlassen haben. Dastun wir innerhalb der ersten zehn Sitzungswochen derLegislaturperiode.
Ich finde, das sollte sehr deutlich gemacht werden.
Ich komme jetzt zu dem, was Sie gesagt haben. Lie-ber Herr Pofalla, ich habe im Gegensatz zu Ihnen über-haupt kein Problem damit, auch einmal anderen, in die-sem Fall Ihnen, Lob oder Zustimmung vor die Tür zulegen, wenn es verdient ist.
Am 24. Juni des letzten Jahres hat der Deutsche Bun-destag beschlossen, daß die Nutzung des genetischenFingerabdrucks in der Strafprozeßordnung verankertwerden soll. Auch wenn Sie sich jetzt aufregen: Daß dasmöglich wurde, lag weniger an Ihnen, als vielmehr auchan Professor Jürgen Meyer, der bereits vorher über vieleJahre die Vorarbeit geleistet hatte.
Wenn Sie jetzt schon loben, dann seien Sie doch groß-zügig, und sagen Sie: Ehre, wem Ehre gebührt.Was wollten wir im letzten Jahr? Was haben wir – dahaben Sie völlig Recht, Herr Pofalla – auch mit meinerStimme, mit unseren SPD-Stimmen gemacht? Wirwollten erreichen, daß alles getan wird, was getan wer-den kann, um sicherzustellen, daß die schrecklichenVerbrechen, wie sie in den letzten Jahren insbesonderean Kindern verübt worden sind, möglichst schnell auf-geklärt werden können. Dazu dienen diese neuen Mög-lichkeiten mit dem genetischen Fingerabdruck.Wir haben damals gewarnt – ich brauche darauf nichtmehr besonders einzugehen –, daß im damaligen Husch-Husch-Verfahren und mit den ideologischen Verkramp-fungen damals – Herr van Essen hat darauf hingewie-sen – eine vernünftige Rechtsgrundlage nicht geschaffenwerden konnte. Darüber ist die Regierung damals hin-weggegangen. Der Vorwurf der Arroganz wäre da rich-tig und angemessen gewesen.
Warum, meine Damen und Herren? Nicht – HerrPofalla, ich glaube, das ist ein Punkt, der hier klarwer-den muß –, weil es nach Ihrem Gesetzentwurf überhauptnicht möglich gewesen wäre, bei Tätern Genproben zuentnehmen, die wegen einer erheblichen Straftat bereitsrechtskräftig verurteilt worden sind, falls die entspre-chende Eintragung dieser Straftat im Bundeszentral-register noch nicht getilgt ist, sondern einfach deswe-gen, weil die dafür nötige Auswertung von erheblichenAktenbeständen bei den zuständigen Länderbehörden inder Praxis zu aufwendig wäre.Nachdem man das in den Ländern festgestellt hat,sind sie gekommen und haben gesagt: Wir braucheneine Reparatur. Diese Reparatur, meine Damen undHerren, habe ich ihnen im letzten November bei derJustizministerkonferenz zugesagt. Wir haben dieseReparatur in einen Gesetzentwurf der Bundesregierungeingebracht, da haben Sie völlig recht.
– Natürlich liegt er vor.
Wenn Sie nicht ganz so schnell wären, dafür gelegent-lich aber noch ein bißchen rechnen würden, dann wür-den Sie feststellen, daß es grundgesetzliche und ge-schäftsordnungsmäßige Fristen gibt. Wenn die Bundes-regierung einen Gesetzentwurf vorschlägt und einbringt,hat der Bundesrat ein Recht, darüber zu beraten. Erstdann kommt der Entwurf in den Bundestag. Aber daswissen Sie ja aus den letzten 16 Jahren. Das hat sichauch nicht verändert.Damit ich Sie wieder versöhne: Sie haben in einemPunkt recht. Es war völlig richtig, auch von Ihnen alsOpposition – lassen Sie mich sagen, diese Rolle spielenSie vorzüglich –,
Dr. Evelyn Kenzler
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auf ein schnelleres Verfahren zu drängen. Deswegen binich den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, daß sie denDNA-Teil des StVÄG herausgelöst und in einem Koali-tionsentwurf übernommen haben und daß wir jetzt in derLage sind, ihn heute nicht nur abschließend zu beratenund zu beschließen, sondern ihn auch möglichst schnellin Kraft treten zu lassen.Die Länder haben jetzt den Nutzen davon. Es bestehtnun die Möglichkeit, den Datenbestand des Bundeszen-tralregisters auf einfachere Weise zur Verfügung zustellen und damit die Strafverfolgung zu verbessern.Genau das tun wir. Genau das wollen wir.Wenn Sie dafür stimmen, finde ich das prima. Dannkönnen wir – diesen Vorschlag darf ich an die Kollegin-nen und Kollegen der Koalitionsfraktionen richten – die-sen Teil der Unterstützung von seiten der Oppositiondurchaus honorieren. Ich finde aber, Herr Pofalla, Siesollten dann sozusagen im Gegenzug auch zugeben, daßSie in den Punkten, in denen sich Ihr Gesetzentwurf vondem der Koalitionsfraktionen unterscheidet, sachlichnicht recht haben,
und zwar aus folgenden Gründen.Der erste Punkt – darauf ist schon hingewiesen wor-den –: Die Erhöhung der Sicherheitsstandards mußkeineswegs mit der Aufgabe oder Verwässerung desrechtsstaatlich Gebotenen erkauft werden. Datenschutzund Sicherheit sind keine sich ausschließenden Gegen-sätze. Wenn Sie das aber nicht verstehen – ich habe dieganze Zeit gehört, daß Sie an dieser Grundfrage immernoch herumdiskutieren –, dann lassen Sie sich sagen:Die Sozialdemokraten, die Freien Demokraten – ich bindankbar, daß sie das auch so sehen – und die Grünensowieso, wir alle werden darauf drängen, daß eine Er-höhung der Sicherheitsstandards mit Rechtsstaatlichkeitund auch Persönlichkeitsschutz – in diesem Rahmenauch Datenschutz – vereinbar gemacht werden. Das istgenauso notwendig wie die Vereinbarung von Gerech-tigkeit und Modernisierung in unserem Land.
Der zweite Punkt: Ein Blick auf die Bedeutung dieserReparatur hätte Sie schnell zu der Antwort auf die Fragegeführt, welche Stellen die betreffenden Daten über-haupt benötigen. Dann wären Sie sehr schnell daraufgekommen, daß der Einwurf des Kollegen van Essenrichtig und nicht mit dem Satz zu beantworten war, ersei ja bei der Staatsanwaltschaft gewesen; das erschweredie Angelegenheit nur.Die Staatsanwaltschaften sind zur Strafverfolgungberufen. Sie sind ebenfalls zur Anordnung von DNA-Proben berufen. Also war es sinnvoll, praktisch undrichtig, die Staatsanwaltschaften jetzt nicht nur zu er-mächtigen, sondern sie schließlich dafür zu bestimmen.Daß das Bundeskriminalamt ebenfalls zu den ab-frageberechtigten Stellen gehört, ist nicht ideologischbegründet, sondern richtig, weil dort die Haftdateiangesiedelt ist. Das macht also wirklich Sinn.Der dritte Punkt ist der Straftatenkatalog. Ichglaube, daß man auch darüber nicht so ideologischeifern muß. Jeder weiß, daß mit diesem Straftatenkata-log keine abschließende Definition etwa der „Straftatenvon erheblicher Bedeutung“ geliefert worden ist. Dassteht übrigens auch ausdrücklich in der Begründung desGesetzentwurfes. Sollte der Straftatenkatalog in einemder Punkte – es müßte dann im einzelnen nachgewiesenwerden, daß das eine Rolle spielt – erweitert werdenmüssen, dann besteht dazu die Möglichkeit. Außerdemgibt es die Einzelsuche auf dem traditionellen Weg. Dasheißt, es gibt hier kein Problem. Wir gehen nicht unterdem Aspekt vor: Was sagt meine Ideologie, was mußich deshalb hineinschreiben? Vielmehr fragen wir: Wasist erforderlich, was brauchen wir zur Erhöhung derSicherheitsstandards und gleichzeitig zur Beachtung desrechtsstaatlich und grundgesetzlich gebotenen Daten-schutzes? Deswegen ist die Form, die wir gewählthaben, sachgemäß.Der vierte Punkt: Ich habe nicht verstanden, warumSie die Befristung kritisiert haben. Es handelt sich umeinen Suchlauf im Bundeszentralregister. Selbst wennich verstanden hätte, was Sie daran zu kritisieren haben,Herr Pofalla, müßte ich Ihnen sagen: Man muß dochschon deswegen für eine Befristung sein, weil sie vorallem der Beschleunigung der Abfragen durch dieStaatsanwaltschaften und das Bundeskriminalamt dient.Eben wegen dieser Befristung kann den Abfragen Nach-druck verliehen und können die Daten schnell zur Ver-fügung gestellt werden. Dadurch kann die Strafverfol-gung auch entsprechend schneller funktionieren. Des-wegen ist die Befristung sachgerecht. Ich denke, dasmüßte doch auch Ihnen einleuchten.Lassen Sie mich zusammenfassen: Es handelt sichum ein Reparaturgesetz; und es wäre gut gewesen, wennman gar nicht erst hätte reparieren müssen. Ich wieder-hole das in ganz mildem Ton und nicht etwa als Vor-wurf, obwohl Sie lange genug Zeit gehabt hätten, allesgleich vernünftig zu machen. Wir reparieren in ganzkurzer Zeit, und zwar nach den Grundsätzen, die diePraxis braucht, gleichzeitig aber so, daß die Sicherheits-standards unter Achtung des Persönlichkeits- und desDatenschutzes und damit eines tragenden Elements desRechtsstaatsprinzips erhöht werden.Ihre Zustimmung ist also nicht nur geboten, sondernauch sinnvoll. Ich fände es prima, wenn sich dem auchdie bisher kritischen Kolleginnen und Kollegen derUnion anschließen könnten.Herzlichen Dank.
Ichschließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denFraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-brachten Gesetzentwurf zur Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes, Drucksachen 14/445 und14/658 Buchstabe a. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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setzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen,um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion undder PDS-Fraktion und bei Zustimmung von SPD, Bünd-nis 90/Die Grünen und der F.D.P. ist der Gesetzentwurfin zweiter Beratung angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-entwurf ist bei den gleichen Mehrheitsverhältnissen indritter Lesung angenommen.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Rechts-ausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktion derCDU/CSU zur Ergänzung des DNA-Identitätsfeststel-lungsgesetzes, Drucksachen 14/43 und 14/658 Buch-stabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf fürerledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußemp-fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann istdiese Beschlußempfehlung mit den Stimmen von SPD,Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. angenommen.Interfraktionell ist vereinbart, den Tagesordnungs-punkt 7 sowie die Zusatzpunkte 5a und 5b – Beratungder Anträge zu feierlichen Gelöbnissen der Bundeswehrin der Öffentlichkeit – von der Tagesordnung abzuset-zen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Nor-bert Geis, Ronald Pofalla, Dr. Jürgen Rüttgers,weiteren Abgeordneten und der Fraktion derCDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines … Ge-setzes zur Änderung des Strafgesetzbuches– Rauschtaten-Strafschärfungsgesetz –– Drucksache 14/545 –Überweisungsvorschlag:
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(D)
– Die Schuld liegt nach wie vor im Rausch, sie kannnicht in der jeweiligen Tat liegen. Herr Ströbele, siekann deshalb nicht in der Tat liegen, weil die Tat, wieich bereits gesagt habe, in besinnungslosem Zustandbegangen wird.Der Schuldvorwurf ergibt sich aus dem Rausch, undder Rausch ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, umeinmal in der Fachsprache zu reden. Bei der Strafzumes-sung aber gehen die Gerichte jetzt schon von derSchwere der Tat aus. Wenn sie zum Beispiel Strafen biszu fünf Jahren Haft verhängen, gehen sie von derSchwere der Tat aus. Wir wollen diese Fünfjahresgrenzesprengen und, generell festgelegt, vom Strafrahmen derjeweils im Rausch begangenen Tat ausgehen. Das istunser neuer Ansatz.Wir meinen, daß wir dadurch das krasse Mißverhält-nis, das in der Rechtsprechung immer wieder auftritt,beseitigen können. Wir meinen, mit unserem Gesetz-entwurf einen Diskussionsbeitrag geliefert zu haben.Dies ist schließlich ein Thema, dem wir uns zu widmenhaben und dem sich der Bundesrat ebenfalls widmet. Esgibt inzwischen einen Gesetzentwurf, der von Bayernund Berlin erstellt worden ist. Berlin ist von seinemursprünglichen Gesetzentwurf abgegangen und wendetsich den Gedanken zu, die ich gerade vorzutragen ver-sucht habe.Danke schön.
Das
Wort hat nun der Kollege Dirk Manzewski, SPD.
Herr Präsident! Sehr ge-ehrte Kolleginnen und Kollegen! § 323 a StGB bedrohtden schuldhaft herbeigeführten Rausch als abstraktesGefährdungsdelikt mit Strafe. Grund für die Strafbarkeitist die Gefährlichkeit des Rausches. Der hier diskutierteGesetzentwurf der CDU/CSU will die eigenständigeStrafandrohung des Vollrausches entfallen lassen undden Täter mit der Strafe bestrafen, die für die im Rauschbegangene Tat angedroht ist.Zur Begründung wird ausgeführt, daß mit dem Tat-bestand des Vollrausches die Fälle nicht angemessengeahndet werden könnten, in denen besonders schwereStraftaten begangen würden. Es sei einfach nicht längerhinnehmbar, daß etwa dem Amokläufer, der im Voll-rausch andere Menschen lebensgefährlich verletze odergar töte, allenfalls eine Freiheitsstrafe von fünf Jahrendrohe.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Vollrauschtat-bestand gehört zu den dogmatisch schwierigsten Vor-schriften des Strafgesetzbuches. Die hieraus resultieren-den Probleme sind altbekannt und haben gerade – Kol-lege Geis hat zu Recht darauf hingewiesen – in denletzten Jahren durch spektakuläre Fälle zusätzlich Nah-rung erhalten. Ich nehme den Fall aus Berlin auf – Kol-lege Geis hat ihn bereits genannt –, bei dem ein völligbetrunkener Autofahrer mit fast 4 Promille Alkoholkon-zentration im Blut von der Polizei angehalten wurde undsofort das Feuer auf die Polizisten eröffnete. Einer vonihnen starb, zwei andere wurden erheblich verletzt.Die Bekämpfung der Gewaltkriminalität stellt– darin sind wir uns sicherlich alle einig – ein zentralesgesellschaftliches Anliegen dar. Alkohol- und Drogen-mißbrauch stehen oft in engem Zusammenhang mitGewaltkriminalität und sind häufig ursächlich für diese.Ich kann daher durchaus verstehen, daß in der Öffent-lichkeit in diesem Zusammenhang die Forderung nacheiner höheren Bestrafung solcher Täter erhoben wird;denn es handelt sich gerade hierbei um einen besonderssensiblen Bereich, der die Sicherheitsbelange der Bevöl-kerung in besonderem Maße betrifft.Ich habe jedoch erhebliche Bedenken, ob der Gesetz-entwurf der CDU/CSU der richtige Ansatzpunkt zurLösung dieser Probleme ist.
Ich habe sie vor allem deshalb, weil die begehrte Re-gelung eine Ausnahme von den grundsätzlichen Folgeneiner Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB dar-stellen würde. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des§ 20 StGB kann – so ist es nun einmal im Gesetz ver-ankert – ein Täter mangels Schuld nicht bestraft wer-den.§ 323a StGB erfaßt nun gerade die Fälle, in denen derTäter für eine Straftat nicht zur Verantwortung gezogenwerden kann, weil er eben im Zustand der Schuldun-fähigkeit gehandelt hat bzw. dies nicht ausgeschlossenwerden kann. § 323a StGB steht dabei selbst nicht imWiderspruch zu § 20 StGB, weil § 323a StGB dieNorbert Geis
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2532 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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schuldhafte Herbeiführung des Rauschzustandes undnicht die im Rausch sodann begangene Tat bestraft.Herr Kollege Geis, da aber die schuldhafte Herbei-führung des Rauschzustandes und nicht die im Rauschsodann begangene Tat für § 323 a StGB maßgeblich ist,wäre es nach meiner Auffassung systemwidrig unddogmatisch bedenklich, den Strafrahmen gleichwohl derVorschrift zu entnehmen, welche die im Rausch began-gene Tat selbst regelt.
Gerade dies ist doch nicht gewollt gewesen. Der Grund-gedanke des § 323a StGB wäre quasi ausgehöhlt, und§ 20 StGB wäre ad absurdum geführt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies würde nachmeiner Auffassung einen Bruch mit dem unserem Straf-rechtssystem immanenten Schuldprinzip bedeuten.
Hieran ändert auch nichts, daß den Besonderheiten desVollrausches durch eine obligatorische Strafmilderungnach § 49 StGB Rechnung getragen werden soll: zumeinen, weil der Gesetzgeber auch in den Fällen, in deneneine Strafmilderungsmöglichkeit sanktioniert ist, grund-sätzlich zumindest von verminderter Schuldfähigkeit,nicht aber von Schuldunfähigkeit ausgeht, zum anderen,weil die Unterschiede zwischen § 20 StGB und § 21StGB, welcher bei verminderter Schuldfähigkeit dem-gegenüber ja gerade ausdrücklich eine Strafmilderunggemäß § 49 StGB vorsieht, völlig aufgelöst werdenwürden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies zeigt, daß derstrittige Gesetzentwurf nach meiner Auffassung nichtheilbare Schwächen aufweist. Dies muß um so mehrverwundern, als dieser Entwurf – Kollege Geis, Sie ha-ben selbst darauf hingewiesen, allerdings in einem ande-ren Zusammenhang – auf einen Vorschlag Bayerns hinbereits im Jahre 1997 über den Unterausschuß desRechtsausschusses des Bundesrates nicht hinausge-kommen ist. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn dieCDU/CSU in ihrem Gesetzentwurf auf die damals ge-äußerten Gegenargumente eingegangen wäre. Leider hatsie dies nicht getan.
Ich selbst würde es zur Lösung der Probleme fürsachgerechter halten, den Wesensgehalt der Vorschriftnicht anzugreifen, sondern § 323a StGB in seiner Aus-formung weiterzuentwickeln. Dies könnte durchausdadurch realisiert werden, daß der Schwere derRauschtat bereits im Gesetz stärkeres Gewicht verliehenwird, allerdings nicht auf dem von Ihnen beschrittenenWege, sondern im Kontext. In diesem Zusammenhangwürde ich mir deshalb auch nicht allein § 323a StGBherausgreifen, sondern nach einer umfassenden Lösungsuchen. Dies sollte dann im Zusammenhang mit derÜberprüfung des gesamten Besonderen Teils des Straf-gesetzbuches auf Reformbedarf erfolgen.
– Herr Kollege Geis, wir werden diesen Weg beschrei-ten. Ich hoffe, daß Sie uns auf diesem Weg konstruktivbegleiten werden.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr
Kollege Manzewski, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer
ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag.
Als nächster Redner hat der Kollege van Essen von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Ich kann es mir erneut relativ ein-fach machen, weil der Kollege Manzewski Bedenkenvorgetragen hat, die von uns geteilt werden.
Wir sehen den Lösungsansatz in gleicher Weise.Erlauben Sie mir trotzdem, noch ein paar zusätzlicheGedanken zu äußern. Nachdem Deutschland wiederver-einigt worden ist, ist mir aufgefallen, daß kaum einThema von den Bürgern in den neuen Ländern so inten-siv angesprochen worden ist wie der Umgang mitRauschtaten im Westen. Das Verständnis dafür hat dortganz außerordentlich gefehlt; denn die DDR hatte einevöllig andere Tradition. Der Strafrahmen ist jeweils demGesetz, das verletzt worden ist, entnommen worden.
– Ja, genau. – Ich habe gemerkt, daß das von Bürgern,die rechtsstaatlich durchaus empfindsam waren, alsgerecht empfunden worden ist. Es hat immer ganz er-heblicher Überzeugungsarbeit bedurft, klarzumachen,warum wir die Dinge so regeln, wie wir sie geregelthaben. Ich glaube, dieser Verpflichtung unterliegen wirweiterhin; aber es gibt durchaus Einzelfälle – insofernmuß ich dem Kollegen Geis recht geben –, bei denenman das Gefühl hat, daß das, was als Ergebnis heraus-kommt, nicht unbedingt der Gerechtigkeit entspricht.Wir merken auch, daß verschiedene Urteile des Bun-desgerichtshofes, sowohl was „actio libera in causa“ alsauch die Voraussetzungen einer verminderten Schuld-fähigkeit anbelangt, deutlich machen, daß sich die Dingein diesem Bereich im Fluß befinden. Deshalb finde iches richtig, daß wir uns damit befassen. Ich kann mirdurchaus vorstellen, daß wir uns mit diesem Bereich– herausgehoben – etwas früher als mit einer Bestands-aufnahme, wie der Kollege Manzewski vorgeschlagenDirk Manzewski
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2533
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hat, im Bereich des Besonderen Teils befassen, weil wirhierauf durchaus Antworten geben müssen.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion ist dazu jedenfallsbereit.Wir wollen aber die Grundprinzipien des Strafrechtsnicht aufgeben, die sich nach unserer Auffassungbewährt haben. Wir müssen in diesem Rahmen eine ver-nünftige Lösung suchen. Dazu bieten wir unsere Mit-arbeit an.
Alsnächster Redner hat der Kollege Hans-Christian Ströbelevon der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Ich kann mich den letzten Worten in dem Sinneanschließen, daß wir wichtige, nach langen Kämpfenerworbene und in das Strafgesetzbuch aufgenommenePrinzipien nicht einfach so über Bord werfen dürfen.Es ist richtig, daß das Problem „Strafe trotzRausch“ uralt ist; es hat schon Thomas von Aquin be-schäftigt. In unserem Gesetz gibt es die Regelung, daßbei einem Rausch, der zur Schuldunfähigkeit führt, nach§ 20 StGB eigentlich gar keine Bestrafung möglich ist.Mit § 323a StGB ist dann ein Auffangtatbestand ge-schaffen worden.
– Genau.Wenn man Ihren Überlegungen folgt und den § 323aStGB streicht – –
– Mit § 323a StGB als Auffangtatbestand, als Gefähr-dungstatbestand wird nach dem Schuldstrafrecht be-straft, wer sich so betrinkt oder andere Rauschmittelnimmt, daß er in diesem Zustand eine Straftat begeht.Darin besteht die Schuld, die eine Person auf sich lädt.Es handelt sich letztlich um die Vorverlagerung desStrafgrundes.Wenn man Ihren Gedanken zu Ende denkt – Sie ver-langen, daß wir die Strafe aus den §§ 211, 212 und 250StGB, also aus den schweren Straftaten, ableiten –, dannkönnte man dazu kommen, § 323a einfach zu streichenund zu sagen: Auch die hiervon Betroffenen sollenwegen Mordes nach § 211 StGB oder wegen Totschlagsnach § 210 StGB bestraft werden. Wenn das gelingt,dann könnte man versuchen, in § 20 StGB hinsichtlichder Frage der Schuldfähigkeit ein Korrektiv einzufügen.
Das, was Sie uns hier vorschlagen, ist in der Tatsystemwidrig, weil Sie nicht auf die Schuld abstellen.Die Schuld besteht eben nicht darin – um es ganz dra-stisch zu sagen –, daß ein Mann mordet, totschlägt,raubt, randaliert oder etwas ähnliches tut; vielmehrbesteht die Schuld darin, daß sich jemand betrinkt unddann eine Straftat dieser Qualität begeht. Mit anderenWorten: Wer sich in dem Maße betrinkt, daß er so etwasmacht, der muß bestraft werden. In diesem Fall ist eineStrafe in Höhe von drei bis fünf Jahren Haft, gemessenan der eigentlichen Schuld – jemand hat sich, verkürztgesagt, nur betrunken – , schon relativ hoch.Auch in der heutigen Rechtsprechung richtet sich dieStrafe in der Tat nach dem „Erfolg“, das heißt nach demTatbestand, den eine Person verwirklicht hat. Das istauch richtig und entspricht dem sonstigen Strafrecht,wonach der „Erfolg“, also das, was das Ergebnis einerStraftat ist, bei der Strafzumessung eine Rolle spielt.Das ist auch in anderen Bereichen so.
Rechtssystematisch sollte es dabei bleiben, daß wirsagen: Die Leute, die schuldunfähig einen Tatbestandverwirklicht, ein Delikt begangen haben, werden für dieBegehung eben dieses Delikts nicht bestraft. Sie sehendarin eine Ungerechtigkeit, von der auch immer wiederin der Zeitung zu lesen ist. Es gibt viele Fälle – wenn Sieeinmal nicht den Rauschtäter nehmen; der Auffangtat-bestand des § 323a StGB ist ja nur für die Rauschtäter –,in denen jemand einen anderen totschlägt, ermordet oderberaubt, dafür aber, weil er aus anderen Gründen schuld-unfähig ist, nicht bestraft wird, mit einem Freispruchnach Hause geht oder, wenn er weiterhin gefährlich ist,eingewiesen wird, um – das ist solchen Fällen der Grunddafür – die Gesellschaft vor ihm zu schützen.Wenn man in die Begründung Ihres Gesetzentwurfshineinguckt, dann stellt man fest, daß es eigentlich nochschlimmer wird. Da geben Sie nicht nur das Schuldstraf-recht auf, sondern Sie stellen sogar andere wichtigeGrundsätze unseres Strafrechts in Frage,
zum Beispiel den Grundsatz „in dubio pro reo“, weil Sieletztlich den Vorwurf erheben, es werde gar nicht richtigfestgestellt, ob jemand wirklich schuldunfähig sei odernicht, sondern es werde einfach nur hochgerechnet undgesagt: Bei dem Promillegehalt ist jemand in der Regelschuldunfähig, und deshalb wird die Vorschrift ange-wendet.
Das ist, Herr Kollege Geis, ein weiterer Bruch mit unse-rem Rechtssystem. Ich möchte auch diesen Grundsatznicht aufgeben.Deshalb schlage ich vor, sich an der Rechtsprechungdes Bundesgerichtshofs zu orientieren, der sich bei derFrage „actio libera in causa“ in der Entscheidung vomAugust 1996 durchaus Gedanken darüber gemacht hat,daß das da nicht weitergeht. Für die Laien sage ich ein-Jörg van Essen
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mal: Wenn sich jemand in einen Rausch versetzt, umeine Straftat zu begehen, weil er sich sagt: „Das gehtdann einfacher; dann mache ich das lockerer“, dann wirder, wenn es sich um einen Mord oder Totschlag handelt,nach den dafür geltenden Paragraphen bestraft. DerBundesgerichtshof aber sagt, daß das zum Beispiel beiRowdytum im Straßenverkehr nicht gilt; denn er sagt,daß diese Vorverlegung der Schuld grundgesetzwidrigist. Er hat den Gesetzgeber aufgefordert, in § 20 StGBeine entsprechende Regelung vorzusehen.Deshalb schlage ich vor, daß wir uns im Rahmen vonKoalitionsgesprächen und dann auch im Ausschuß dar-über verständigen, wie wir zu einer Regelung kommen,mit der wir dem Petitum des Bundesgerichtshofs, zueiner besseren Regelung hinsichtlich der „actio liberain causa“ zu kommen, Rechnung tragen. In diesemZusammenhang regeln wir dann auch die Fälle groberUngerechtigkeit, die es natürlich gibt. Ich kenne nocheinen anderen bekannten Fall, den Fall Bubi Scholz.Dieser hat in Berlin im trunkenen Zustand durch die Türin die Toilette geschossen, in der seine Frau war, die an-schließend tot war. Auch da gab es einen öffentlichenAufschrei, daß es ungerecht sei, wenn er nicht nach Tot-schlags- oder ähnlichen Vorschriften bestraft werde.Lassen Sie uns das also in diesem Zusammenhang re-geln, aber bitte nicht so, wie Sie es vorschlagen, nämlichdaß wir einfach sagen: Wir wischen das alles weg,
was normalerweise für die Beurteilung der Schuld ent-scheidend ist und bestrafen – nur mit ein bißchen Milde-rung – nach § 49 StGB. Lassen Sie uns vielmehr einewirklich vernünftige, gut durchdachte, an der Rechtspre-chung des BGH und des Bundesverfassungsgerichtsorientierte Neuregelung finden, die gerecht ist und durchdie von den wichtigen Grundsätzen des Strafrechtsnichts aufgegeben wird.
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Evelyn
Kenzler, PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bekannt-lich geht unsere Fraktion nicht nach der Maxime vor,sämtliche parlamentarischen Initiativen nur deshalb vonvornherein abzulehnen, weil sie von der – von uns aus ge-sehen – rechten Opposition kommen, und dann dafür aufTeufel komm raus eine Begründung zu basteln.Wir bewerten auch diesen Gesetzentwurf zur Ände-rung des § 323a StGB vielmehr ausschließlich nachpolitischen und inhaltlichen Kriterien. Das führt dann inaller Regel auf Grund der politisch zumeist weit ausein-andergehenden Auffassungen zur Ablehnung, insbeson-dere auch im Strafrecht. Denn der von der PDS verfolgteGrundansatz einer Demokratisierung beißt sich natürlichmit dem immer wieder von der CDU/CSU zu hörendenschnellen und einseitigen Ruf nach schärferen und höhe-ren Strafen als politischem Allheilmittel und Wunder-waffe gegen die steigende Kriminalität.Von dieser Regel gibt es jedoch, wie immer im Le-ben, auch Ausnahmen. Dazu könnte auch der vorliegen-de Entwurf zählen, wobei ich die meines Erachtens zupopulistische und zu einseitige Begründung ausdrück-lich ausklammern möchte. Wir werden diesen Entwurfeiner genauen Prüfung unterziehen. Meines Erachtensverdient er jedoch nicht unbedingt die von Ihnen ge-wählte Bezeichnung Rauschtaten-Strafschärfungsgesetz.Das impliziert eine Heraufsetzung von Strafen, um diees in diesem konkreten Fall jedoch gar nicht so sehrgeht. Das Problem ist vielmehr die Tatsache, daß nachder jetzigen Rechtslage jemand, der sich schuldhaft ineinen Vollrausch versetzt und in diesem Zustand derSchuldunfähigkeit eine schwere Straftat begeht, zumBeispiel schweren Raub, schwere Delikte gegen Leibund Leben, eine auf maximal fünf Jahre bemessene Strafebekommt, also eine wesentlich geringere Strafe als bei-spielsweise ein nüchterner Täter. Diese Regelung wirddeshalb von der Öffentlichkeit als Gerechtigkeitslückeempfunden und sowohl von der Rechtspraxis als auch vonTeilen der Rechtswissenschaft erheblich kritisiert.Die vorgeschlagene Lösung, schuldunfähige Täter imVollrausch nach demselben Strafrahmen wie andereTäter zu bestrafen, ist daher keine Strafverschärfung imeigentlichen Sinne, sondern schließt tatsächlich eine bisdato bestehende Gerechtigkeitslücke. Sie geht zumindestin diese Richtung und könnte unter Umständen eineungerechtfertigte Besserstellung der betroffenen Täterbeseitigen. Durch die Aufnahme einer obligatorischenStrafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB wirdzugleich den Besonderheiten der Tatbegehung in gewis-sem Umfang Rechnung getragen.Hinzu kommt – das hat auch der Kollege van Essenbereits erwähnt –, daß in der DDR ausgebildeten Juri-sten die vorgeschlagene Regelung nicht ganz neu ist.Gemäß § 15 Abs. 3 Strafgesetzbuch der DDR wurde,wer sich schuldhaft in einen Zustand der Zurechnungs-unfähigkeit, also einen die Zurechnung ausschließendenRauschzustand, versetzte und in diesem Zustand einemit Strafe bedrohte Handlung beging, nach dem ver-letzten Gesetz bestraft.
Auch wenn ich nicht wenige Strafbestimmungen undinsbesondere die Strafpraxis der DDR heute kritisch be-werte, ist es für mich doch interessant, lieber KollegeGeis, daß in Ihren strengen Augen zumindest eine Re-gelung des DDR-Strafgesetzbuches in ihrem Kerngehaltden rechtsstaatlichen Elchtest bestanden hat und zehnJahre nach dem Fall der Mauer, wenn auch sicher unge-wollt und mit einiger Verzögerung, zum gesamtdeut-schen Leben erweckt werden soll.
Hans-Christian Ströbele
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Damit geht die Opposition in meinen Augen wirklichkonstruktiv und unvoreingenommen an die Arbeit heran.
Allerdings möchte ich meinen Beitrag nicht schlie-ßen, ohne ausdrücklich auf das zunehmende Drogen-problem insbesondere bei den sogenannten legalenRauschmitteln hinzuweisen. Für dieses gesellschaftlicheMassenphänomen, mit dem zunehmend schwere Ge-waltkriminalität einhergeht, wird auch die vorliegendeGesetzesänderung keine Lösung bringen. Hierzu sindgrundlegende sozialpolitische Kurskorrekturen und eineandere Einstellung der Bevölkerung insbesondere beimUmgang mit Alkohol dringend notwendig.
Als
nächster Redner hat der Kollege Eckart von Klaeden
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regelung in
§ 323a StGB, über die wir heute sprechen, ist ja in der
Literatur umstritten. Darauf haben der Kollege Man-
zewski und die anderen Redner auch schon hingewiesen.
Ich setze aber in meinem Beitrag einmal voraus, daß
diese Regelung – Herr Kollege Ströbele hatte sie ja
richtig als Auffangtatbestand bezeichnet – als system-
konform und auch notwendig anerkannt wird, also eine
Strafrechtsordnung, die auf § 323a StGB verzichten
würde, einen wesentlichen Fehler hätte. Darüber besteht
hier, wie ich glaube, Konsens.
Die nächste Frage lautet dann: Genügen die Urteile in
den Fällen, die zur Zeit nach § 323a Strafgesetzbuch
entschieden werden, der rechtsstaatlichen Anforderung
des gerechten Strafens? Da sind nicht nur die Einzel-
fälle, Herr Kollege van Essen, sondern auch die vielen
Fälle, die man in der Literatur finden kann, ein deut-
licher Hinweis darauf, daß § 323a StGB einer Reform
bedarf.
Unser Vorschlag – da liegt das grundlegende Mißver-
ständnis der Mehrheit des Hauses – bedeutet nicht eine
systemwidrige Fortentwicklung, sondern wir wollen
eine systemkonforme Fortentwicklung. Wir wollen
nämlich lediglich die Frage der Strafzumessung im
Rahmen des § 323a StGB besser regeln.
Wir knüpfen dabei – wie es heute schon bei der Straf-
zumessung gängige Praxis ist – an die objektive Voraus-
setzung der Strafbarkeit, nämlich an die Tat, an. Es ist
geradezu ein rechtsstaatliches Prinzip, daß ein im
Rausch begangener Diebstahl weniger scharf bestraft
wird als zum Beispiel eine im Rausch begangene
schwere Körperverletzung.
– Genau, Herr Kollege Hartenbach.
Wenn wir die Vorhersehbarkeit der Strafe ins Auge
fassen, bedeutet es doch eine Verbesserung, ein Mehr an
Rechtsstaatlichkeit, wenn wir sagen, das im Besonderen
Teil des Strafgesetzbuches sehr differenziert erarbeitete
Straffolgensystem wird, weil es vernünftig ist, da es sich
an den Rechtsgütern orientiert, auch für die Strafbarkeit
nach § 323a StGB als Anhalt genommen. Dann findet
aber, weil der Rausch bestraft wird und nicht die im
Rausch begangene Straftat, da – dem Prinzip des
Schuldstrafrechts entsprechend – der Rausch die Straf-
barkeitsanknüpfung ist, die zwingende Milderung nach
§ 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches statt. Das heißt, die
Vorhersehbarkeit der Strafe für eine Rauschtat wird ver-
bessert und nicht verschlechtert. Das bedeutet doch ein
Mehr an Rechtssicherheit und eine Verbesserung im
Vergleich zur derzeitigen Situation.
Es gibt im Rahmen dieser Diskussion eine Reihe von
anderen Beispielen. Es ist daran gedacht worden, daß
man im Rahmen des § 323a StGB einen besonders
schweren Fall regelt oder andere Regelungen findet. Das
alles führt aber, wie man feststellt, wenn man sich näher
damit beschäftigt, im Ergebnis nicht zu den erwünschten
Folgen.
Deswegen meine ich: Wenn wir uns darauf einigen,
daß § 323a StGB systemkonform und vernünftig ist, und
wir gleichzeitig zu der Auffassung gelangen, daß er in
der Frage der Strafhöhe nicht die notwendigen Voraus-
setzungen erfüllt, dann ist es sinnvoll, sich in dieser Hin-
sicht am System des Besonderen Teils des Strafgesetz-
buches zu orientieren. Das heißt nicht, daß man hin-
sichtlich des Schuldvorwurfs an die Tat anknüpft, son-
dern es bleibt bei der Anknüpfung an den Rauschzu-
stand.
In diesem Zusammenhang ist es aber auch wichtig,
darauf hinzuweisen, daß wir, aus meiner Sicht jedenfalls
– da mag das Rechtsempfinden der Bürgerinnen und
Bürger in der ehemaligen DDR für uns ein Beispiel sein;
wir haben zum Beispiel auch in der Frage der Promille-
grenze, wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen,
das gebe ich zu, ähnlich diskutiert –, feststellen, daß die
Gefahren, die in unserer Gesellschaft von Rauschzu-
ständen ausgehen, in unserer Rechtsordnung zuwenig
berücksichtigt werden, zu gering geachtet werden.
In diesem Zusammenhang ist eine systemkonforme
Weiterentwicklung des § 323a StGB, wie wir sie hier
vorschlagen, aus unserer Sicht eine sinnvolle Angele-
genheit, die aus den von mir beschriebenen Gründen
nicht weniger, sondern mehr Rechtssicherheit bietet.
Wenn eine Regelung aus der ehemaligen DDR den all-
gemeinen Denkgesetzen genügt, dann sollten wir ihr
auch nicht widersprechen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Alsletzter Redner hat das Wort der Parlamentarische Staats-sekretär Dr. Eckhart Pick.Dr. Evelyn Kenzler
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2536 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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D
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf rea-
giert die Fraktion der CDU/CSU auf ein Vorhaben, das
der Bundesrat bereits in der letzten Legislaturperiode
initiiert und jetzt, wie Sie wissen – allerdings teilweise
mit anderem Inhalt –, wieder aufgegriffen hat.
In der Zielsetzung dürfte hier im Hause weitgehend
Einigkeit bestehen. Es darf in der Tat nicht länger hinge-
nommen werden, daß ein Straftäter, der in volltrunkenem
und schuldunfähigem Zustand einen Menschen, selbst auf
bestialische Art und Weise, schwer verletzt oder um-
bringt, mit einer Freiheitsstrafe von höchstens fünf Jahren
davonkommt. Es gibt deshalb nicht wenige Strafverfah-
ren, in denen die geltende Höchststrafe des § 323a StGB
als zu niedrig und unzureichend kritisiert worden ist.
So klar das Ziel auch ist, so schwierig erscheint mir
aber der dorthin führende Weg. Auch die wenigen Sei-
ten des uns vorliegenden Gesetzentwurfs können nicht
darüber hinwegtäuschen, daß wir uns hier mit einer der
schwierigsten und umstrittensten Materien des Straf-
rechts befassen.
So kann es kaum verwundern, daß selbst zu der noch
relativ einfachen Frage des Strafmaßes bei Vollrausch
mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates und mit dem
jetzt eingebrachten Entwurf der Fraktion der CDU/CSU
zwei Vorlagen auf dem Tisch liegen, die konträrer nicht
sein könnten.
Der Ihnen sicher bekannte Entwurf des Bundesrates
knüpft an den bisherigen Strafrahmen des § 323a StGB
an und beschränkt sich darauf, für die Fälle schwerwie-
gender Rauschtaten einen Qualifikationstatbestand mit
höherer Strafdrohung einzuführen.
Der Entwurf der Fraktion der CDU/CSU – dieser
Punkt ist von den meisten Vorrednern schon genannt
worden – verläßt dagegen die gewohnten Bahnen und will
auf eine eigenständige Strafdrohung bei Vollrausch ganz
verzichten. Das heißt, die Strafe soll dem Strafrahmen für
das im Rausch begangene Delikt entnommen werden.
Den – ich zitiere – „Besonderheiten des Vollrausches“
soll nach dem Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU
mit einer obligatorischen Strafmilderung nach § 49 Abs. 1
StGB Rechnung getragen werden. Ich beurteile diese
Formulierung als etwas nebulös und bin der Meinung, daß
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-
Fraktion, sich im Grunde vor dem Kernproblem drücken,
nämlich vor der Frage, ob eine solche Lösung mit dem
Schuldgrundsatz letztlich vereinbar ist.
Wer sich mit der Materie eingehend befaßt hat, kennt
die Vorgeschichte des von Ihnen eingebrachten Ent-
wurfs. Er ist nicht ganz neu und geht auf eine bayerische
Initiative zurück, die damals im Bundesrat abgelehnt
worden ist. Damals sind übrigens – auch das wissen Sie
– erhebliche dogmatische und rechtsstaatliche Bedenken
gegen diesen Entwurf geltend gemacht worden.
Sie hätten sich mit den damals aufgestellten Gegen-
argumenten auseinandersetzen müssen.
Wir müssen noch eine intensive Diskussion im
Rechtsausschuß führen. Es liegt nahe, daß wir in diesen
Diskussionsprozeß auch den schon angesprochenen
Entwurf des Bundesrates einbeziehen sollten, auch wenn
man aus Sicht der Bundesregierung die Frage stellen
kann, ob es wirklich notwendig ist, den Kreis der
Rauschtaten so weit zu fassen, wie es im Gesetzentwurf
des Bundesrates geschehen ist.
Ich möchte noch kurz andeuten, wie man sich aus
Sicht der Bundesregierung eine Lösung vorstellen
könnte: Man könnte die verschärfte Strafdrohung allein
an ganz besonders schwere Fälle knüpfen, zum Beispiel
an die Fälle, in denen ein Mensch getötet oder körper-
lich schwer verletzt worden ist. Damit könnten wir die
praktisch wichtigsten und nach dem Gesetzgeber gera-
dezu schreienden Fälle erfassen. Ich glaube auch, daß
wir uns mit einer solchen Lösung auf das wirklich Not-
wendige beschränken würden. Auf diese Weise bekä-
men wir die Probleme am ehesten in den Griff.
Noch ein Punkt zum Schluß – auch dieser ist schon
angesprochen worden –: Es ist notwendig, daß wir auch
darüber nachdenken, diesen Straftatbestand in die
Überlegungen einzubeziehen, die wir im Rahmen einer
generellen Überprüfung der Straftatbestände vor-
nehmen wollen.
Es besteht insbesondere Reformbedarf in der Hin-
sicht, ob die Einführung der Straftatbestände in der
letzten Legislaturperiode wirklich das geleistet hat, was
damals von der Mehrheit beabsichtigt worden ist. Wir
jedenfalls wollen auch den § 323a StGB in diese Re-
formüberlegungen einbeziehen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ichschließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 14/545 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung von Vorschriften überparlamentarische Gremien– Drucksache 14/539 –
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2537
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Beschlußempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 14/653 –Berichterstattung:Abgeordnete Dieter WiefelspützErwin MarschewskiCem ÖzdemirDr. Edzard Schmidt-JortzigUlla JelpkeDazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDSvor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derKollege Dieter Wiefelspütz von der SPD-Fraktion dasWort.
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch mit Rücksicht
auf die fortgeschrittene Zeit will ich meine Rede zu
Protokoll geben. Ich weise darauf hin, daß Herr Mar-
schewski als amtierender Vorsitzender des PKK für die
Koalition, für die CDU/CSU und auch die F.D.P. die
Position vortragen wird, die wir gemeinsam erarbeitet
haben.
Ich will aber die Gelegenheit nutzen, auf etwas hin-
zuweisen, was im Bericht des Innenausschusses etwas
mißverständlich ist. Im letzten Absatz gibt es einen Satz,
der da lautet:
Dem Parlamentarischen Kontrollgremium werden in
der 14. Legislaturperiode 9 Mitglieder angehören ...
Darüber hat der Ausschuß nicht befunden. Es gab
dazu eine streitige Abstimmung, auch unterschiedliches
Abstimmungsverhalten innerhalb der Koalition. Wir
werden dies noch durch eine Korrektur klarstellen. Ich
will nur zu Protokoll geben, daß diese Passage nicht
exakt den Verlauf der Debatte im Innenausschuß wie-
dergibt.
Herr
Kollege Wiefelspütz, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Claus von der PDS?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, ich wollte Sie in
bezug auf die Ungenauigkeit im Bericht des Innenaus-
schusses fragen, ob Sie von den Obleuten der anderen
Fraktionen ermächtigt sind, diese Passage gewisser-
maßen zurückzuziehen, und ob damit die vom Innenaus-
schuß nicht getroffene Festlegung, das Parlamentarische
Kontrollgremium auf neun Mitglieder zu begrenzen,
vom Tisch ist?
Herr Claus, ich bin von
niemandem ermächtigt. Ich spreche für mich selber.
Der Ausschußbericht trägt meine Unterschrift. Ich
hätte ihn vorher genauer lesen müssen; das war nicht
ganz korrekt. Diese Ungenauigkeit ist erst sehr spät auf-
gefallen. Wir werden das einvernehmlich korrigieren.
Auch die Berichterstatterin der PDS wird das Ergebnis,
nach dieser Korrektur, unterschreiben.
Ich sage es noch einmal: Wir haben erörtert, ob das
PKG neun Mitglieder haben sollte oder mehr. Dazu hat
es auch eine Abstimmung gegeben. Dies werden wir im
Bericht präzisieren. – Im übrigen ist es Sache des Ple-
nums, darüber zu entscheiden, wie viele Mitglieder das
Gremium haben sollte. Das wird demnächst geschehen.
Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf ihre
Zustimmung geben.
Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Erwin Marschewski
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! So viel Ge-meinsamkeit ist selten. Das zeigt aber, daß das Parla-mentarische Kontrollgremium, bisher PKK genannt, zu-sammenarbeitet, um die wichtigen Probleme in diesemLand zu lösen, insbesondere um die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu gewährleisten.Ich habe bereits in meiner Einbringungsrede als am-tierender Vorsitzender der bisherigen PKK den Dien-sten, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundes-nachrichtendienst und dem Bundesamt für Verfassungs-schutz, Dank gesagt. Ich will diesen Dank wiederholen.Nun komme ich zum Inhalt selbst. Wir wollen heutedie von der bisherigen Bundesregierung freiwillig einge-räumten Kontrollrechte im Gesetz festschreiben. Wirtun dies nicht, weil wir den Diensten nur mit Mißtrauengegenüberstünden. Unsere Kontrollarbeit ist von kriti-schem Verhalten, aber auch von einem gewissen Ver-trauen geprägt, weil wir die Aufgaben und die Aufga-benerfüllung der Dienste kennen.Aber diese Arbeit ist, so meine ich, das Gegenteil vonblinder Kritik, wie wir sie auf diesem Feld doch allzuoftund oberflächlich in Presseorganen erleben müssen. Wirwollen die Kontroll- und Überwachungsrechte verstär-ken. Es haben sich in der Vergangenheit Probleme erge-ben. Unser gemeinsamer Gesetzentwurf trägt zur Lö-sung dieser Probleme bei.Wir sorgen erstens dafür, daß die von der bisherigenBundesregierung freiwillig eingeräumten KontrollrechteVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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2538 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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gesetzlich festgeschrieben und ergänzt werden. Zweitenssorgen wir dafür, daß der Zersplitterung der parlamenta-rischen Kontrollarbeit organisatorisch entgegengetretenwird. Durch die große Einmütigkeit, mit der wir heutebeschließen, sorgen wir drittens dafür, daß die Bundes-regierung vom Deutschen Bundestag das Signal be-kommt, daß wir unsere Kontrollaufgabe ernst nehmenund daß wir, soweit es an uns liegt, die vertrauensvolleArbeit fortsetzen wollen.Ich will nicht auf alle Einzelheiten der gesetzlichenNormierungen eingehen. Wir haben bereits in der letztenWoche im Innenausschuß darüber diskutiert, Herr Kol-lege Wiefelspütz. Wir haben den Gesetzentwurf unterden Fraktionen abgestimmt. Wenn wir aber das Gewichtdes Bundestages gegenüber der Bundesregierung unddie Kontrollarbeit nicht beschädigen wollen, dann dür-fen keine parlamentsinternen Eifersüchteleien Platz grei-fen. Diese gab es bisher nicht, und ich denke, daß diesauch in Zukunft so sein wird. Wir müssen aber die Zu-sammenarbeit so eng wie möglich gestalten. Ich halte esdeswegen für gut, daß wir die bisherige PKK mit demG-10-Gremium zusammenlegen. Ich halte es auch fürgut, daß wir die Zusammenarbeit mit dem Vertrauens-gremium des Haushaltsausschusses verbessern. Hierkam es über die Fraktionsgrenzen hinweg zu Irritatio-nen. Ich denke, daß wir diese meistern werden.Außerdem ist es gut, die Zahl der Mitglieder derPKK nicht zu erweitern. Schon neun Mitglieder in einerPKK, die ursprünglich nur aus den Fraktionsvorsitzendenbestand, sind relativ viel. Irgendwo müssen wir eineGrenze ziehen. Deswegen bin ich dem Kollegen DieterWiefelspütz sehr dankbar dafür, daß er im Innenausschußgesagt hat, daß wir die Zahl von neun Mitgliedern wäh-rend dieser Legislaturperiode selbstverständlich beibe-halten werden. Es kann nicht sein, daß wir nur zu einemDebattierklub werden. Es muß so sein, daß wir Kontrolleausüben. Sie, Herr Fraktionsvorsitzender Dr. Peter Struck,haben dies während Ihrer langjährigen Mitgliedschaft inder PKK miterlebt und mitgestaltet.Dennoch wäre es gut gewesen, wir hätten bei der Be-setzung der Ämter des Präsidenten und der Vizepräsi-denten der Dienste ein Vorschlagsrecht erhalten. Ichfordere dies hiermit. Einige Kollegen haben bei einemBesuch des polnischen Parlaments von dieser Möglich-keit gehört.Die Polen haben übrigens interessanterweise dieStruktur unserer PKK übernommen. Unsere PKK istsehr oft für den internationalen Bereich Vorbild. VieleLänder wollen die Kontrolle der Dienste durch eineparlamentarische Kontrollkommission bzw. ein parla-mentarisches Kontrollgremium, wie wir neuerdingsbezeichnet werden, gewährleisten. Ich denke, was denPolen recht ist, wäre uns billig gewesen. Aber Regierun-gen sind eben so, wie Regierungen sind.Herr Staatssekretär, vielleicht besteht die Möglich-keit, vor der Wahl zu den oben genannten Ämtern denSachverstand der Kolleginnen und Kollegen – Sie ver-treten ja die Bundesregierung; Sie sehen, daß dort Sach-verstand vorhanden ist – zumindest zur Beratung einzu-beziehen.
Herr
Kollege Marschewski, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Koppelin?
Ja, selbstver-
ständlich. Wir müssen uns heute abend ein bißchen
unterhalten. Tun Sie es ruhig.
Herr Kollege, ich glaube,
Sie sind die richtige Adresse. Deswegen frage ich Sie
– auch nachdem wir eine Diskussion im Haushaltsaus-
schuß darüber hatten –: Ist unser Eindruck, der Eindruck
der Haushälter aller Fraktionen, richtig, daß diejenigen,
die dieses Gremium jetzt schaffen, auch die Haushalts-
kontrolle übernehmen wollen und sie uns damit ein
Stück unserer von der Haushaltsordnung zugewiesenen
Verantwortung wegnehmen wollen?
Nein; wir wollen
ja keine Gesetze brechen. Was wir wollen, ist natürlich,
die Dienste vehement und eindringlich kontrollieren und
beobachten. Ich meine einfach, daß dies erheblich besser
gelingt, wenn wir uns an den Beratungen Ihres vertrau-
ensvollen Haushaltsgremiums beteiligen. Wir wollen
nicht nur Erfahrung sammeln; wir wollen natürlich
Kenntnis über das haben, was die Dienste angeht. Sie
können uns dabei helfen, dies entsprechend zu forcieren.
Ich will Schluß machen; wir können auch gleich dar-
über reden, unten bei „Ossi“ oder wo auch immer. Ich
bin gern dazu bereit. Ich will zum Schluß kommen.
Es wird Zeit, daß wir die PKK oder die PKG – wie
sie dann heißt – neu wählen. Wir sind das einzige Gre-
mium, das seit der letzten Bundestagswahl in der glei-
chen Zusammensetzung im Amt ist, wie es ursprünglich,
vor viereinhalb Jahren, gewählt worden ist. Deswegen
hoffe ich, daß wir bald neu wählen können. Ich wünsche
der PKG – so heißt sie neuerdings – kritische Kontrolle,
aber ich sage ausdrücklich: nicht nur und nicht aus-
schließlich Mißtrauen. Ich wünsche ihr soviel Gemein-
samkeit wie möglich und das Selbstbewußtsein, das
Parlamentarier haben sollten, die mit absoluter Mehr-
heit, also mit einer größeren als der Kanzlermehrheit,
durch den Deutschen Bundestag gewählt worden sind
und denen diese vertrauensvolle Aufgabe übertragen
worden ist. Auch daran, so meine ich, Herr Kollege,
sollten wir ein wenig öfter denken. Wir sollten Selbst-
bewußtsein haben und die Bundesregierung entspre-
chend kontrollieren.
Ganz herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort dem Kollegen Koppelin.
Ich will diese Diskussionja nicht verlängern. Aber ich meine, es ist ein sehr ern-Erwin Marschewski
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2539
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ster Punkt. Die Meinung aller Haushälter ist – sie willich hier einmal vortragen –: Es ist ein Bruch der Haus-haltsordnung, wenn sich ein Gremium anmaßen– „anmaßen“ meine ich nicht bösartig – oder sich aneig-nen möchte, zukünftig über einen bestimmten Bereichdes Haushalts selber die Entscheidung zu treffen. Wenngemeint sein soll, daß Sie uns im Haushaltsausschuß be-raten und uns Vorschläge machen, dann ist die Sache inOrdnung. Aber der Haushaltsausschuß muß das ent-scheidende Gremium bleiben, das darüber befindet. Wirhaben im Haushaltsausschuß nie eine große Diskussionüber die entsprechenden Dienste geführt. Aber es mußmöglich sein, daß der Haushaltsausschuß darüber ent-scheidet, und es darf nicht sein, daß ein Bereich desHaushaltes ausgeklammert und einem anderen Gremiumübertragen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer weiteren
Kurzintervention zur Rede des Kollegen Marschewski,
bitte, Herr Kollege Wiefelspütz.
Damit das hier klarge-
stellt wird: Wir wollen Kooperation, und wir wollen
nicht Zuständigkeiten anderer übernehmen.
Im übrigen, Herr Koppelin: Die Haushaltsordnung
hat der Gesetzgeber geschaffen; das Gesetz über die
parlamentarischen Gremien hat ebenfalls der Gesetz-
geber geschaffen. Wie können wir auf dieser Ebene ein
Gesetz brechen? Beide Gesetze sind von diesem Hause
geschaffen. Es geht darum, daß man sich wechselseitig
einander zuarbeitet. Sie vom Haushaltsgremium sind
herzlich aufgerufen, bei uns in der PKG mitzuwirken,
um auf diese Weise die Verschränkung herzustellen.
Also keine Konfrontation, sondern Zusammen-
arbeit, Vernetzung. Davon sollten andere lernen; das
dient der Sache, und deswegen haben wir es vorgeschla-
gen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung Herr
Kollege Marschewski, bitte.
Ich darf dies auch
noch einmal bekräftigen. Wir wollen ja nur, Herr Kolle-
ge Koppelin, mitberatend tätig sein. Wir räumen Ihnen
natürlich auch die entsprechenden Rechte ein. Der Vor-
sitzende und der stellvertretende Vorsitzende Ihres
Gremiums haben ebenfalls das Recht – das ist bisher
völlig einmalig; soviel Vertrauen bringen wir Ihnen ent-
gegen –, an den ganz geheimen Sitzungen des PKG teil-
zunehmen.
Unser Ziel ist, daß wir Haushälter und wir Innenpoli-
tiker, Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremi-
ums, die Dienste nun wirklich kontrollieren. Unser
System ist Vorbild für viele Länder in dieser Welt. Ich
sage Ihnen: Das ist eine gute Sache. Wir wollen diese
gute Sache noch verbessern. Haben Sie kein Mißtrauen!
Herr Wiefelspütz und ich, wir sind anständige Men-
schen; davon können Sie ausgehen. Wir wollen, so sagt
es das Gesetz auch, mitberatend tätig sein. Da sollten Sie
kein Mißtrauen hegen. Ich weiß, daß die Haushälter uni-
sono diesen Beschluß gefaßt haben, aber ich weiß auch,
daß wir versuchen sollten, gemeinsam die Kontrollfunk-
tion zu verbessern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FraktionBündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Chri-stian Ströbele.
de Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, ich kann demKollegen Marschewski versichern, daß Bündnis 90/DieGrünen und insbesondere auch ich die Aufgabe, dieRegierung kritisch zu begleiten und zu kontrollieren,wahrnehmen werden. Heute morgen habe ich gezeigt,daß ich davor nicht zurückschrecke.
Ich habe zur Kenntnis genommen, daß die Reisen desGremiums – bisher der Kommission – offenbar dazubeigetragen haben, daß das, was hier im DeutschenBundestag ausprobiert worden ist, ein durchaus vorzeig-bares Exportartikelchen geworden ist, das inzwischenbis zu den Malediven bekannt ist. Das weiß ich natürlichalles nur vom Hörensagen.Ich habe in der letzten Woche schon darauf hingewie-sen, daß wir uns mehr Befugnisse gewünscht hätten.Wir haben uns gerade kurz darüber verständigt, daßoffenbar alle Regierungen es an sich haben, daß sie esnicht gerne möchten, daß noch mehr Kontrollkompetenzgegeben ist. Ich darf aber daran erinnern – vielleichtmüssen wir da weitermachen; vielleicht können wir esschon mit den Mitteln, die wir heute hier beschließen,erreichen –, daß der Kollege Struck, der vorhin nochhier war – jetzt ist er schon wieder weg –, selber einmalerklärt hat, daß wirkliche Aufklärung nur mit den Be-fugnissen eines parlamentarischen Untersuchungsaus-schusses möglich sind.So ein bißchen haben wir uns daran gehalten, leidernoch nicht vollständig. Aber wir haben einige zusätz-liche Rechte vereinbart. Auch hätten wir uns gewünscht,daß die einzelnen Abgeordneten mehr Rechte haben,daß sie selber Kontrollbesuche machen können – –
– Genau, dann hätten Sie mit mir noch mehr Ärger, weilich dann die Akten eingesehen hätte und wir sicher vie-les, was Sie sonst dem „Spiegel“, „Focus“ oder irgend-welchen anderen Zeitschriften und Zeitungen entnehmenmüssen, vielleicht in der PKK oder jetzt in dem PKGhätten erörtern können oder müssen. Aber wir wollen esversuchen.Wir haben gute Gründe für unsere langen Beratun-gen. Ich habe vorhin einmal gezählt. Ich glaube, wir ha-ben zehn unterschiedliche Entwürfe für dieses Gesetzerarbeitet und uns daran abgearbeitet. Wir müssen jetztJürgen Koppelin
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zu einem Ende kommen, weil es tatsächlich nicht geht,daß dieses wichtige Gremium noch mit Leuten besetztist, die tatsächlich nicht mehr dem Deutschen Bundestagangehören. Ich habe volles Vertrauen zu dem KollegenSuch, aber auf Dauer ist das wahrscheinlich ein Pro-blem, wenn Personen, die nicht mehr Abgeordnete sind,noch Abgeordnete in einem parlamentarischen Gremiumsind. Deshalb müssen wir jetzt zu Potte kommen, damitwir möglichst im nächsten Monat das PKG, wie diesesGremium dann heißt, mit den neuen Befugnissen aus-statten können.Es ist richtig: Mit Zahlen macht man Politik. Das isthier ganz deutlich. Die PDS wollte uns darauf festlegen,daß wir sagen: Alle Fraktionen müssen in diesem Gre-mium vertreten sein. Die Grünen stimmen dem zu undwollen es auch. Aber wir unterscheiden uns in einemPunkt: Wir wollen das nicht in einem Gesetz regeln,sondern wir wollen es regeln, wenn es angesagt ist, dasheißt, wenn die Personen gewählt werden.Natürlich hat dieses vehemente Fechten für 9 undnicht 8 oder 16 Personen etwas mit politischen Interes-sen zu tun, daß man eine Fraktion nicht dabeihabenmöchte. Wir wollen es trotzdem so regeln können, daßes wenige sind, also 9 oder höchstens 10 und daß trotz-dem alle Fraktionen vertreten sind. Das ist unser Ziel.Darüber werden wir uns auch innerhalb der Koalitions-fraktionen noch unterhalten müssen.Ich darf noch etwas zu dem sagen, was der KollegeWiefelspütz schon erklärt hat. Der letzte Absatz in derBeschlußempfehlung des Innenausschusses ist so nichtkorrekt. Es hat in diesem Ausschuß keine Meinungsbil-dung über die Anzahl stattgefunden. Sie soll auch hiernicht stattfinden, sondern dies wollen wir einem Extra-gespräch, das nächsten oder übernächsten Monat geführtwird, vorbehalten. Deshalb schlage ich der PDS vor, daßsie ihren Antrag, in dem sie eine Festlegung treffen will,zurücknimmt; sonst müßten wir dagegenstimmen, weilwir das in diesem Gesetz nicht regeln wollen.Ich schließe mich dem an, was meine Vorredner ge-sagt haben. Wir haben ein neues Gesetz. Wir haben neueBefugnisse. Wir hoffen, damit wirksame Kontrolle aus-üben zu können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Schmidt-Jortzig.
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Leider ist dem guten
Vorbild, von dem Sie gesprochen hatten, nicht ganz ge-
folgt worden; sonst hätte auch ich meine Rede zu Proto-
koll gegeben. Aber nun rede ich doch; das werden wir
auch mit Grandezza schaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen,
das Ziel der Reform, nämlich die parlamentarische
Kontrolle über die Nachrichtendienste zu verbessern, ist
jeder Unterstützung wert. Der Gesetzentwurf fördert
dieses Ziel substantiell. Er ist konsistent und er ist kon-
sequent. Ich kann es deshalb nach allem, was die Vor-
redner gesagt haben und was schon in der ersten Lesung
ausgeführt wurde, kurz machen: Die F.D.P. stimmt der
Vorlage zu.
Daß nicht auch die G-10-Kommission und die haus-
hälterische Kontrolle miteinbezogen werden konnten,
läßt sich verschmerzen, mein lieber Landesvorsitzender,
weil die Zusammenarbeit mit dem Vertrauensgremium
des Haushaltsausschusses wesentlich ausgebaut wurde.
Das neue Parlamentarische Kontrollgremium wird die
Tätigkeit der Nachrichtendienste künftig also intensiver
überwachen und begleiten. Dadurch werden sich meines
Erachtens die Gewichte vermehrt von der rein nachträg-
lichen Beurteilung auf eine laufende Kontrolle verla-
gern. Das Gesetz sieht nämlich insoweit Berichtspflich-
ten der Dienste und konkrete Auskunftsverlangen des
Gremiums vor. Es kann Akten- und Dateneinsicht ge-
nommen werden. Sachverständige können eingeschaltet
werden.
Damit wird vielleicht auch auf eine Veränderung der
nachrichtendienstlichen Arbeit Einfluß genommen wer-
den können. Ich will das zu später Stunde ganz unschul-
dig andeuten. Eine solche Veränderung zeichnet sich
nach dem Wandel der sicherheitspolitischen Situation in
diesem Jahrzehnt meiner Vorstellung nach nämlich
deutlicher als nötig ab. Deutschland hat heute quasi kei-
ne institutionellen Feinde mehr, am allerwenigsten in
der unmittelbaren Nachbarschaft, sprich: in Europa.
Statt dessen können sich überall in der Welt einzelne
konkrete Sachverhalte entwickeln, die deutsche Interes-
sen bedrohen oder über das Bündnissystem sogar Über-
legungen hinsichtlich kollektiver Reaktionen denkbar
werden lassen.
Die Nachrichtendienste müssen insofern, statt sicher-
heitspolitische Reaktionsvorschläge auszuarbeiten, ver-
mehrt Risikoanalyse liefern, möglichst frühzeitig, mög-
lichst urteils- und treffsicher. Es wird für die internatio-
nale Friedenspolitik künftig also mehr auf wirksame
Prävention als auf Reaktion und Verteidigung ankom-
men. Hier eröffnet sich meines Erachtens eine politische
Entwicklung, die das neue Parlamentarische Kontroll-
gremium fördern, auf die es Einfluß nehmen kann.
Wir stimmen der vorliegenden Reforminitiative gerne
zu.
Danke sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der
Kollege Roland Claus, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Zumindest was die Ver-weilzeit hier im Plenum anbetrifft, ist es ein Gesetz, daswir im Eilverfahren beschließen. Wir haben dafür auchein gewisses Verständnis.Das wirkliche Problem, das mit dem Gesetz verbun-den ist und hier ausgesprochen oder nicht ausgesprochenHans-Christian Ströbele
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oder nur verschämt ausgesprochen wird, steht im Be-richt des Innenausschusses just in den letzten Textzeilen,für die der Kollege Wiefelspütz gerade erklärt hat: Siesind entweder falsch oder zurückgezogen oder nichtganz richtig. Wir dürfen sie zumindest in Frage stellen.Wir haben es immer deutlich erklärt: Die PDS will indieses Parlamentarische Kontrollgremium. Das wird ihraber verwehrt. Deshalb liegt unser Änderungsantrag aufdem Tisch. Ich kann ihn deshalb nicht zurückziehen,Herr Kollege Ströbele, weil mir die mathematische Lö-sung in der Zeit zwischen Ihrer und meiner Rede nochnicht eingefallen ist. Wie sollen wir mit unseren Stim-men – selbst bei Ihrer Zuneigung – bis zur Wahl zu dersatten Mehrheit kommen, die Sie uns hier versprechen?
Es wird von uns deshalb auch moniert, daß hierbeiverfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Sie habenin dem inzwischen gestrichenen Bericht auch auf Karls-ruhe Bezug genommen. Sie sagen in dem Bericht, dassei eigentlich unbedenklich, und man könne sich bereitsauf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil berufen. DiesesUrteil war damals aber auf Antrag der Grünen entstan-den. Wenn ich mich recht erinnere, war der Hauptgrund,das Ansinnen der Grünen abzuweisen, daß die Kollegin-nen und Kollegen damals im Vorfeld gesagt haben: Wirwerden gezielte Indiskretion betreiben und uns nicht andie Geheimhaltung halten. Nun werden Sie an der PDSsicherlich Dutzende oder auch Hunderte von Untugen-den finden. Ich könnte Ihnen 150 aufzählen; denn ichkenne die PDS vielleicht noch genauer als Sie. Indiskre-tion wird bei uns aber nicht so leicht nachzuweisen sein.Nun muß man sich noch einmal die Geschichte vorAugen halten. Wie wurden CDU/CSU und F.D.P. zuEinbringern des Gesetzes? Offenbar wurde ihnen ver-sprochen, daß die PDS draußen bleibt – deshalb wurdedie Zahl neun bestimmt –, wenn sie die Beschlußfassungauf den Tisch brachten. Die erste Schwierigkeit schienüberwunden. Schon kam für die SPD die zweite Schwie-rigkeit, nämlich die mit dem Koalitionspartner – das istnachzulesen –: Die Grünen wollten die PDS beteiligen.Die Formel hieß also: keine Zahlen. Nun war die dritteSchwierigkeit, indem CDU/CSU und F.D.P. die SPDdaran erinnerten, daß es seinerzeit eigentlich ein Junktimwar, zu sagen: Wir werden das Gesetz mit einbringenund mit zustimmen, aber nur, wenn klargestellt ist, daßes bei der Zahl neun bleibt. Ihre vierte Schwierigkeit,meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, lag indem nun doch mißglückten Lösungsversuch des Kon-fliktes mit dem Bericht des Innenausschusses. Ich frageSie einfach nur: Und das alles wegen der PDS? NehmenSie uns vielleicht nicht doch ein Stück zu wichtig?
Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, essei denn, Sie entschließen sich doch noch mehrheitlichzur Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache und möchte noch einmal darauf verweisen, daßder Kollege Wiefelspütz seine Rede zu Protokoll gege-ben hat.*) Ich setze das Einverständnis des Hauses vor-aus.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von denFraktionen der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grü-nen und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzeszur Änderung von Vorschriften über parlamentarischeGremien auf der Drucksache 14/539. Der Innenausschußempfiehlt auf Drucksache 14/653, den Gesetzentwurfunverändert anzunehmen.Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDSvor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt fürden Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 14/663?– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-rungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-mit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist derGesetzentwurf gegen die Stimmen der PDS angenom-men.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10a und b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Nor-bert Geis, Ronald Pofalla, Dr. Jürgen Rüttgers,weiteren Abgeordneten und der Fraktion derCDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Änderung des Strafgesetzbuches– Graffiti-Bekämpfungsgesetz –– Drucksache 14/546 –Überweisungsvorschlag:
van Essen, Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktionder F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zum verbesserten Schutz des Eigentums– Drucksache 14/569 –Überweisungsvorschlag:
Roland Claus
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zer, Kansy, Beck, Funke und Jünger geben ihre Redenzu Protokoll.1) Sind Sie damit einverstanden? – Das istder Fall. Dann ist das so beschlossen.Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-würfe auf den Drucksachen 14/546 und 14/569 an die inder Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das istnicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-schlossen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 12 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.Christa Luft, Heidemarie Ehlert, Dr. BarbaraHöll, weiteren Abgeordneten und der Fraktionder PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Einkommensteuergesetzes– Drucksache 14/472 –Überweisungsvorschlag:
haben angekündigt, ihre Reden zu Protokoll zu geben.Ich eröffne jetzt die Aussprache. Das Wort hat dieKollegin Dr. Christa Luft, PDS.
Frau Präsidentin! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Mitte Februar dieses Jahresverlautete, daß sich Bundeskanzler Schröder und Unter-nehmensvertreter auf eine Stiftung mit dem Namen„Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ verständigthaben. Aus dem danach zu gründenden Fonds sollenehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitersowie andere Opfer der nationalsozialistischen Zeit eineEntschädigung erhalten können. Eine solche Initiativewar überfällig; das ist keine Frage. Daß sie erst mehr alsein halbes Jahrhundert nach Beendigung des mörderi-schen zweiten Weltkrieges zustande kommt und dannauch nur auf Grund von internationalem Druck und aufGrund von Sammelklagen, ist für Politik und Wirtschaftdieses Landes beschämend.
Von 200 000 bis 300 000 Menschen, die entschädi-gungsberechtigt sein sollen, ist die Rede. Das sind weni-ger Menschen, als allein bei der IG Farben in der NS-Zeit zwangsverpflichtet waren; das ist nur ein Bruchteilder über 7 Millionen Menschen, die in deutschen Unter-nehmen Zwangsarbeit verrichten mußten. Aus deren un-säglichen Leiden, aus deren Schweiß, aus deren Blut ha-ben deutsche Konzerne und Großbanken Milliardenge-winne gepreßt, große Vermögen aufgehäuft und darausökonomische und politische Macht geschöpft. Das wirktbis heute nach.–––––––––––––––––1) Anlage 32) Anlage 43) Der Redetext lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor.Überhaupt in Erwägung zu ziehen, Entschädigungs-leistungen dieser Profiteure von damals als gewinn-mindernde Betriebsausgaben anzuerkennen, also fürsteuerlich abzugsfähig halten zu wollen, ist wahrlich un-geheuerlich.
Schockierend ist auch, daß Frau Matthäus-Maier,finanzpolitische Sprecherin der SPD, hier im Plenumvor kurzem auf eine entsprechende Zwischenfrage vonmir meinte: Hätten die betreffenden Unternehmen da-mals den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern re-gulären Lohn gezahlt, dann wären das auch Betriebsaus-gaben gewesen. Ich finde das wirklich empörend.Meine Fraktion findet es unerträglich, wenn im Zu-sammenhang mit Entschädigungszahlungen für Verbre-chen gegen die Menschlichkeit steuersystematisch ar-gumentiert wird. Wir haben daher den Entwurf einesGesetzes zur Änderung von § 4 des Einkommensteuer-gesetzes vorgelegt.
§ 4 Abs. 5 dieses Gesetzes, der Betriebsausgaben um-faßt, die den Gewinn nicht mindern, soll um Nr. 11 er-gänzt werden:Entschädigungen an Zwangsarbeiter für ihreZwangsarbeit während der Zeit des Nationalsozia-lismus sowie an dafür bereitgestellte Institutionenunabhängig von der Deklarierung.
Es ist für uns nicht hinnehmbar, wenn die Profiteureder Zwangsarbeit von damals nun nach Jahrzehnten dieAllgemeinheit mit den zu leistenden Entschädigungenbelasten dürfen. Das wäre wahrlich Diebstahl am öf-fentlichen Vermögen; denn zum öffentlichen Vermögengehört das Steueraufkommen. Die Konzerne und Groß-banken müssen die entsprechenden Zahlungen aus ihrenGewinnen begleichen, die in den letzten Jahren explo-diert sind. Ich nenne dazu nur zwei Zahlen: Die Deut-sche Bank hat 1998 in ihrem Jahresabschluß nachSteuern das Dreifache des Vorjahres ausweisen können,nämlich einen Jahresüberschuß von 3,4 Milliarden DM.Sie kann ihren Aktionären eine um 22 Prozent erhöhteDividende zahlen. Bei der Bayer AG wuchs der Gewinnnach Steuern 1998 um 7 Prozent auf 3,2 Milliarden DM.Das sind Größenordnungen, bei denen immer nochnachwirkt, was sich vor über 50 Jahren getan hat.Ergänzend zur genannten Änderung des Einkommen-steuergesetzes haben wir einen Gesetzentwurf einge-bracht, nach dem die Verjährungsfrist für Ansprüchevon Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus derZeit des NS-Regimes verlängert werden soll. SolcheAnsprüche verjähren nach geltendem Recht am 13. Mai1999. Wir fordern, diese Frist um 5 Jahre bis zum 8. Mai2005 zu verlängern, um den wenigen noch lebenden Op-Vizepräsidentin Petra Bläss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 2543
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fern den Rechtsweg für ihre Entschädigungsansprücheoffenzuhalten.
Kolleginnen und Kollegen, wir sind in der politischenBewertung der Umstände möglicherweise nicht ganz aufeiner Linie. Trotzdem hoffe ich auf Einvernehmen in derSache, wenn wir das in den Ausschüssen debattieren.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache und möchte nachtragen, daß auch die Kollegin
Simone Violka von der SPD-Fraktion ihre Rede zu
Protokoll gegeben hat.*)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfes auf Drucksache 14/472 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bar-
bara Höll, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeits-
intensive Leistungen
– Drucksache 14/64 –
Überweisungsvorschlag:
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Dr. Barbara Höll, PDS.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Vor nahezu einem Jahr, im April1998, hat der Bundestag die Senkung der Mehrwertsteu-ersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen, damalsebenfalls auf Antrag der PDS, hier in diesem Hause dis-kutiert. Sowohl die damalige Bundesregierung und diesie tragenden Fraktionen als auch die Fraktion der SPDlehnten unseren Vorschlag zum damaligen Zeitpunkt ab.Sie begründeten dies unter anderem damit, daß... Steuerreduzierungen durch die Unternehmen nichtohne weiteres weitergegeben werden. Folge ist, daßlediglich die Gewinne der Unternehmen steigen.Dies rufe ich Ihnen mit Blick auf die zukünftige Diskus-sion über die Unternehmensteuerreform in Erinnerung.Interessanterweise hat der jetzige Bundeskanzler, Ger-––––––––––––**) Anlage 4**) Anlage 5hard Schröder, zum gleichen Zeitpunkt in seinem Mit-telstandsprogramm für die Senkung der Mehrwertsteuer-sätze für arbeitsintensive Dienstleistungen geworben,damals im Widerspruch zur Mehrheit der SPD-Fraktion.Die Vorzeichen scheinen dafür günstig zu stehen – dar-auf berufe ich mich –, daß sich die neue Regierung mitihrem Kanzler Schröder jetzt im Ecofin-Rat für unserAnliegen einsetzt. Wir hoffen, daß die Chancen auch aufinternationaler Ebene gestiegen sind, ein dreijährigesPilotprojekt in den europäischen Ländern zu starten;denn auch die Europäische Kommission will im Ecofin-Rat einen entsprechenden Richtlinienvorschlag einbrin-gen.
Es kommt nun darauf an, daß sich der Bundeskanzlerund die Bundesregierung der Senkung der Mehrwert-steuersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen, insbe-sondere für Reparaturleistungen, auf europäischer Ebenenicht mehr verweigern und der Änderung der Anlage Hder 6. Umsatzsteuerrichtlinie zustimmen.Ich möchte ausführlich begründen, warum sich eineentsprechende Regelung in den verschiedenen Bereichenpositiv auswirken kann. Wir sind der Meinung, daß esmöglich sein muß, nicht alle Dienstleistungen mit einemermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen, sondern ihnauf Reparaturarbeiten an beweglichen Gegenständen,Renovierungs- und Reparaturarbeiten im Wohnungsbauund auf Pflegeleistungen in Wohnungen, zum Beispielbei der Pflege von Kindern, älteren Bürgern oder Behin-derten, zu beschränken. Wir denken, daß damit zum er-sten niedrigere Verbraucherpreise erreicht werden.Dies würde die Nachfrage nach arbeitsintensivenDienstleistungen anregen. Dadurch kann das Arbeits-platzpotential in den entsprechenden Branchen erschlos-sen und – das ist besonders wichtig, weil die entspre-chenden Unternehmen meistens lokal tätig sind – dieSchaffung von Arbeitsplätzen regional gezielt gefördertwerden.Selbst wenn die Aussage der damaligen Regierungstimmt, nämlich daß eine Senkung der Mehrwertsteuernicht in jedem Fall an die Verbraucherinnen und Ver-braucher weitergegeben wird, so kann man doch fest-stellen, daß ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf alleFälle die Kapitaldecke der kleinen Unternehmen, dielokal tätig sind, stärken würde. Diese Maßnahme hätteeine wesentlich zielgerichtetere Stärkung der Liquiditätund der Kapitaldecke als die von Ihnen avisierte Unter-nehmensteuerreform zur Folge, weil die von mir ange-sprochenen Unternehmen oftmals keine Steuern zahlen,so daß sie auch von einer Steuersenkung nichts habenwerden. Aber von einer Senkung der Mehrwertsteuerhätten sie etwas.
Zweitens meinen wir, daß auch eine ökologischeLenkungswirkung erzielt werden kann; denn durchReparaturen würde die Langlebigkeit von Produkten ge-stärkt, und es wäre ein kleiner Versuch des Gegensteu-erns in der Wegwerfgesellschaft gegeben.Drittens. Ich denke, daß eine solche Maßnahme sehrpositiv auf die Eindämmung von Schwarzarbeit inDr. Christa Luft
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2544 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999
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der Handwerksbranche wirken und damit ebenfallszur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen könnte.
Es ist doch ein offenes Geheimnis, daß insbesonderedurch den Hinweis auf den hohen MehrwertsteuersatzKunden oftmals keine Rechnung oder nur eine übereinen Teil der erbrachten Leistungen ausgestellt wird.Wenn man wirklich alles in Rechnung stellen würde,wären einerseits Garantieansprüche der Konsumentin-nen und Konsumenten gewährleistet, und andererseitswürde diese Maßnahme dazu beitragen, daß die Ein-nahmen aus der Einkommensteuer steigen würden, weildie Leistungen nicht mehr am Fiskus vorbei erbrachtwerden.Wir meinen, wenn man diese drei Aspekte betrachtet,daß es tatsächlich überlegenswert und notwendig ist,diese Möglichkeit aufzugreifen. Wir wissen sehr wohl,daß wir damit nicht Millionen von Arbeitsplätzen schaf-fen werden, aber wir sollten in unserer derzeitigen Si-tuation der Massenarbeitslosigkeit jede Chance ergrei-fen. Wie der Finanzausschuß vor zwei Wochen in Pariserfahren hat, ist das Bemühen auf internationaler Ebeneda. Ihre Kolleginnen und Kollegen der sozialistischenFraktion haben sehr eindringlich darum gebeten, daß wirdiesen Gedanken aufgreifen und positiv unterstützen.In diesem Sinne möchte ich noch einmal dafür wer-ben, daß wir tatsächlich eine positive Diskussion in denAusschüssen führen und uns einem Modellprojekt nichtweiter verschließen.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/64 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die allgemeine und die repräsentative
Wahlstatistik bei der Wahl zum Deutschen
Bundestag und bei der Wahl der Abgeordne-
ten des Europäischen Parlaments aus der
Bundesrepublik Deutschland
– Drucksache 14/401 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
– Drucksache 14/635 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Wolfgang Bosbach
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Folgende
Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben: Wittig, Bosbach, Stadler und Claus*) und
Özdemir**).
Deshalb kommen wir sogleich zur Abstimmung über
den von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU und des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur allgemeinen und repräsentativen Wahlstati-
stik bei der Wahl zum Deutschen Bundestag und bei der
Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments
aus der Bundesrepublik Deutschland auf den Drucksa-
chen 14/401 und 14/635 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung gegen die Stimmen der F.D.P. und bei Ent-
haltung der PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist gegen die Stimmen der F.D.P. und einige
Stimmen aus der PDS bei Enthaltung der Mehrheit der
PDS-Fraktion angenommen.
Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlußempfehlung auf Drucksache 14/635 die Annahme
einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlußempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der PDS und bei
Nichtbeteiligung von CDU/CSU-Fraktion und F.D.P.-
Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die
nächste Sitzung des Deutschen Bundestag auf morgen,
Freitag, den 26. März 1999, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.