Gesamtes Protokol
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 100. Sitzung des 13. Deutschen Bundestages.
Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich vorsorglich darauf hinweisen, daß wir die für die Fragestunde vorgesehene Zeit von zwei Stunden auf gar keinen Fall ausschöpfen werden; nach meiner Einschätzung benötigen wir nicht einmal eine Stunde. Ich bitte deshalb die Parlamentarischen Geschäftsführer, sicherzustellen, daß die Redner für die anschließend vorgesehene Aktuelle Stunde rechtzeitig anwesend sind, damit wir, wenn es geht, ohne Unterbrechung mit der Aktuellen Stunde beginnen können.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/4403 -
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Bei den Fragen 1 und 2 wird um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Auch die Frage 3 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Bernd Neumann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Horst Kubatschka auf:
Aus welchen Gründen ist der deutsche Bedarf an Bestrahlungskapazitäten am Hochflußreaktor in Petten in den Niederlanden in den letzten Jahren zurückgegangen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Der deutsche Bedarf an Bestrahlungskapazitäten am Hochflußreaktor Petten ist zurückgegangen, weil die Forschungsarbeiten im Bereich Schneller Brüter beendet und im Bereich Leichtwasserreaktoren erheblich zurückgeführt wurden.
Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, überlappt sich der Neutroneneinsatz in Petten mit dem möglichen Arbeitsprogramm vom Forschungsreaktor München II?
Herr Staatssekretär.
Nein, im wesentlichen nicht. Hier haben wir zwei verschiedene Arten von Neutronenquellen. Um es anders auszudrücken: In Petten haben wir einen sogenannten Bestrahlungsreaktor, der zur Bestrahlung von Material und zur Erforschung der Auswirkungen solcher Bestrahlungen vorgesehen ist, während es sich bei dem geplanten Reaktor in München, FRM II, um einen sogenannten Strahlrohrreaktor handelt, bei dem es im wesentlichen darum geht, die inneren Strukturen von Materialien zu untersuchen, wie es beispielsweise durch ein Mikroskop geschieht. Natürlich gibt es immer bestimmte Synergieeffekte, aber im Prinzip ist der technische Ansatz der Untersuchungen bei diesen beiden Reaktoren unterschiedlich.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es wird in Deutschland immer von einer Neutronenlücke gesprochen, die vorhanden sein soll. Inwieweit läßt sich Petten so einsetzen, daß diese Neutronenlücke, die angeblich existieren soll, geschlossen werden kann?
Die Aussage, die aus der Wissenschaft, vom Wissenschaftsrat selbst kommt, daß es in Deutschland eine Neutronenlücke gebe, bezieht sich auf die von mir bereits erwähnten sogenannten Strahlrohrreaktoren, daß heißt Reaktoren, wie sie mit dem FRM II geplant sind oder wie wir sie in Grenoble beim ILL haben.
Bei dieser Art von Reaktoren gibt es eine Lücke, einen Mangel an Strahlrohrkapazität für wissenschaftliche Experimente und einen großen Bedarf auch im Hinblick auf interessante, neue und wichtige Forschungen. Dies bezieht sich nicht auf die Art und die Nutzungsmöglichkeiten eines Reaktors wie in Petten, nämlich auf einen Bestrahlungsreaktor. Bei diesen Bestrahlungsreaktoren haben wir in Europa ausreichende Kapazitäten. Es ist deswegen möglich, daß wir dort Aufträge reduzieren und daß wir den deutschen Beitrag für Petten in den nächsten vier Jahren deutlich einschränken.
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor.
Die Frage 5 des Kollegen Kubatschka ist zurückgezogen worden.
Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke bereit.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Manfred Such auf:
Aufgrund welcher neueren Erkenntnisse und Erwägungen hat die Bundesregierung das Rechtshilfeersuchen des Berliner Kammergerichts zur Zeugenvernehmung des iranischen Geheimdienstministers Fallahian nicht nach Teheran übermittelt mit der Begründung, dies könne Übergriffe gegen im Iran lebende deutsche Bürgerinnen und Bürger nach sich ziehen , obwohl der Generalbundesanwalt entsprechende frühere Vorbehalte in der Bundesregierung gegenüber einem Haftbefehl gegen Minister Fallahian als „Befürchtungen rein politischer Art" charakterisiert hat, welche die Bundesregierung „nicht mit Fakten anreichern konnte" (ZDF/heute-journal, 15. März 1996), und welche Erkenntnisse über seitens der iranischen Regierung verantwortete Terroranschläge - etwa im Fall „Mykonos" - lagen der Bundesregierung bereits am 7. Oktober 1993 vor, aufgrund deren Staatsminister Bernd Schmidbauer bei seinem Treffen mit Minister Fallahian ausweislich des jetzt publizierten Gesprächsprotokolls (FAZ, 28. März 1996) Anlaß zu dem Vorschlag sah, daß zur „politischen Schadensbegrenzung . . . Teheran derartige Aktionen in Deutschland und Europa unterlassen" solle?
Herr Kollege, ich beantworte zunächst den ersten Teil Ihrer Frage. Das Kammergericht Berlin hat der Bundesregierung kein an den Iran zu richtendes Rechtshilfeersuchen um Zeugenvernehmung des iranischen Geheimdienstministers Fallahian vorgelegt. Die Bundesregierung hat daher ein solches Ersuchen auch nicht ablehnen können.
Offenbar bezieht sich die der Agenturmeldung vom 28. März 1996 zugrunde liegende Erklärung des Kammergerichts Berlin darauf, daß die Bundesregierung im sogenannten ,,Mykonos"-Verfahren es mehrfach abgelehnt hat, Ersuchen um Vernehmung anderer - ich betone: anderer - Zeugen an die iranische Regierung zu richten, und daß das Kammergericht daher davon ausging, daß entsprechende Bedenken der Bundesregierung auch der Weiterleitung eines Ersuchens um Vernehmung Fallahians entgegenstehen würden.
Soweit die Bundesregierung entschieden hat, vom Kammergericht Berlin angeregte Ersuchen um Zeugenvernehmung nicht an den Iran weiterzuleiten, wurden diese Entscheidungen jeweils im Einzelfall von den nach § 74 IRG zuständigen Ressorts der Bundesregierung, das heißt vom Bundesjustizministerium und dem Auswärtigen Amt, in Übereinstimmung mit der ständigen Haltung der Bundesregierung im Rechtshilfeverkehr mit dem Iran getroffen. In einem der genannten Einzelfälle wurden sie mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 10. August 1995 gegenüber dem Kammergericht unter anderem damit begründet, daß bei Stellung solcher Ersuchen durch Eröffnung der Möglichkeit, daß sich der ersuchte Staat auf die Gegenseitigkeit beriefe, die Gefahr bestünde, daß andere - ich unterstreiche auch hier das Wort „andere" - im betreffenden Staat befindliche Personen in einer dem deutschen „ordre public" - das entspricht § 73 IRG - widersprechenden Weise gefährdet würden.
Hieraus ergibt sich, daß nicht die Befürchtung, die Weiterleitung des Ersuchens könne „Übergriffe gegen im Iran lebende deutsche Bürgerinnen und Bürger nach sich ziehen" , für die Entscheidung der Bundesregierung ausschlaggebend war, sondern die Gefährdungssituation, die sich aus einer im Zusammenhang mit der Stellung solcher Ersuchen erforderlichen Gegenseitigkeitszusicherung ergeben könnte und die somit vor allem iranische Staatsangehörige betrifft.
Das Gefährdungspotential ist somit ein völlig anderes als dasjenige, das bei der Prüfung der Beantragung eines Haftbefehls gegen Herrn Fallahian durch den Generalbundesanwalt zugrunde gelegt wurde.
Ich komme nun zum zweiten Teil Ihrer Frage. Die Bemerkung Staatsminister Schmidbauers bezog sich auf die in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Zusammenhänge über die mögliche Urheberschaft iranischer Stellen bei den Anschlägen auf den früheren iranischen Ministerpräsidenten Bakhtiar in Paris und auf den iranischen Kurdenführer Ghassemlou in Wien sowie auf eine Auskunft des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 22. April 1993 an den Generalbundesanwalt zum „Mykonos"-Verfahren.
Über die der Bundesregierung bekanntgewordenen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse und Hinweise ist die Parlamentarische Kontrollkommission des Deutschen Bundestages seinerzeit wiederholt unterrichtet worden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Ergebnisse im Zusammenhang mit dem Mykonos-Vorgang, den Sie eben erwähnten, hat der Bonn-Besuch des iranischen VizeAußenministers Mahmud Vaezi am Donnerstag und Freitag vergangener Woche insbesondere hinsichtlich der mit Staatssekretär Hartmann im Auswärtigen Amt erörterten Möglichkeiten zur Aussetzung des Haftbefehls gegen Minister Fallahian erbracht? Welche Informationen liegen der Bundesregierung über kürzliche Medienberichte vor, wonach Fallahian demnächst abgelöst werden soll - mit der Folge, daß er den diplomatischen Schutz gegen den Haftbefehl verlöre?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, an den Gesprächen zwischen Herrn Vize-Außenminister Vaezi und Herrn Staatssekretär Hartmann habe ich nicht teilgenommen. Nach meiner Kenntnis aber haben sich keine neuen Erkenntnisse ergeben.
Im Hinblick auf die mögliche Ablösung von Herrn Fallahian liegt uns nichts vor; das sind Spekulationen. Wir kümmern uns auch nicht um interne Angelegenheiten fremder Regierungen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Informationen liegen der Bundesregierung nicht nur über die Gefährdung deutscher Staatsbürger im Iran, sondern auch hinsichtlich der in den letzten Monaten deutlich angestiegenen Zahl der Fälle - nach meinen Informationen sind es ca. 3 000 - von Anschlägen und Repressalien gegen iranische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, Europa und den USA, insbesondere über die Zahl der seit Jahresbeginn eingeleiteten Strafverfahren anläßlich derartiger Übergriffe vor? Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung kurzfristig ergreifen, um einem derartigen Import iranischen Staatsterrors nach Deutschland entgegenzuwirken sowie iranische Bürgerinnen und Bürger vor solchen Repressalien effektiv zu schützen?
Herr Kollege, diese Frage steht in keinerlei Zusammenhang mit der ursprünglich gestellten Frage. Ich bin aber gerne bereit, zu versuchen, die Daten, die Sie wünschen, von den Sicherheitsbehörden zu erlangen. Ich werde sie Ihnen dann zuleiten.
Danke schön.
Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Was hat die Bundesregierung, nachdem der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof am 14. März einen Haftbefehl gegen den iranischen Geheimdienstminister Fallahian erlassen hat, unternommen, diesen möglicherweise auch in Drittländern zu ergreifen, und wie ist diese Thematik, die in den Beziehungen zwischen Staaten ja ziemlich einmalig ist - Haftbefehl gegen ein Mitglied der Regierung eines Staates, mit dem man diplomatische Beziehungen unterhält -, bei dem Besuch des stellvertretenden iranischen Außenministers Vaezi im Auswärtigen Amt im Gespräch mit Staatssekretär Hartmann behandelt worden? Oder geht das alles spurlos am Bundesjustizministerium vorbei?
Herr Kollege, Sie wissen, daß diese Frage mit der ursprünglich gestellten Frage des Herrn Kollegen Such überhaupt nichts zu tun hat.
- Entschuldigen Sie, das, was ich zu erläutern versucht habe, nämlich daß sich die Vernehmung von Zeugen im Mykonos-Verfahren nach §§ 73, 74 IRG richtet - in diesem Zusammenhang geht es um die Gegenseitigkeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Iran -, hat mit dem Haftbefehl gegen Herrn Minister Fallahian überhaupt nichts zu tun.
Das habe ich versucht, hier auszuführen. Ich aber bin gerne bereit, Ihnen diese Ausführungen auch noch einmal schriftlich zu geben.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Dietert-Scheuer.
Wenn ich Ihre Antwort auf den ersten Teil der Frage von Herrn Such richtig interpretiere, beziehen Sie sich auf eine mögliche Gefährdung iranischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Deutschland, die sich aus dem Prinzip der Gegenseitigkeit in dem Sinne ergibt, daß Haftbefehle und gegebenenfalls Auslieferungsersuchen von iranischer Seite gestellt werden könnten. Ich verstehe die Begründung nicht, warum das ein Hindernis darstellen soll, da es die Bundesregierung durchaus in der Hand hat, Auslieferungsersuchen zurückzuweisen.
Es geht nicht nur um die Gefährdung iranischer Staatsbürger, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Vielmehr kann es sich genauso um eine Gefährdung iranischer Staatsbürger im Iran handeln, wenn beispielsweise durch eine Zeugenvernehmung eines iranischen Zeugen in der Bundesrepublik Deutschland ein Betroffener im Iran gerichtlich verfolgt werden sollte.
Keine Zusatzfragen mehr.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch bereit.
Die Fragen 8 und 9 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Bodo Seidenthal auf:
Welche Gründe haben dazu geführt, daß die notwendige Finanzierungsvereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Verkehr und der Deutschen Bahn AG hinsichtlich der „Weddeler Schleife" immer noch nicht vorliegt, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit diese kurzfristig erreicht wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Das Bundesministerium für Verkehr hat im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen im Dezember 1995 der vorgezogenen Baumaßnahme Kreuzung Weddeler Schleife mit der Bundesautobahn A 2 zugestimmt, so daß Baumaßnahmen an der Eisenbahnstrecke im Zusammenhang mit dem sechsstreifigen Ausbau der Bundesautobahn A 2 bereits vor dem Abschluß einer Finanzierungsvereinbarung möglich sind.
Nachdem die Deutsche Bahn AG Ende März 1996 dem Eisenbahn-Bundesamt, Unterlagen für den Abschluß einer Finanzierungsvereinbarung für die Weddeler Schleife vorgelegt hat, wird zur Zeit vom Eisenbahn-Bundesamt der Entwurf einer Finanzierungsvereinbarung vorbereitet, mit deren Abschluß durch den Bund, vertreten durch das BMV und das BMF, in Kürze gerechnet werden kann. Damit könnte voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 1996 mit dem Bau auf der gesamten Strecke begonnen werden.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 11 des Kollegen Bodo Seidenthal auf:
Kann die Bundesregierung Planungen der Deutschen Bahn AG bestätigen, daß bei einer verzögerten Fertigstellung des Strekkenteils „Weddeler Schleife" über 1998 hinaus die ICE-Linie 6 Frankfurt-Berlin an Braunschweig vorbeiführt, und ist ihr bekannt, wie Braunschweig weiterhin als ICE-Haltepunkt erhalten bleibt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Auf Frage 11 antwortet die Bundesregierung wie folgt: Die Angebotsgestaltung im Fernverkehr fällt in die alleinige unternehmerische Verantwortung des Vorstandes der Deutschen Bahn AG.
Auf Grund der vorhandenen Infrastruktur können zur Zeit Fernzüge von Frankfurt/Main bzw. von Würzburg nach Berlin über Braunschweig und Magdeburg geführt werden, wobei in diesem Fall die seit Dezember 1995 fertiggestellte Trasse des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nr. 5 benutzt wird.
Nach Fertigung der Weddeler Schleife können diese Züge von Braunschweig auf die dann in Betrieb befindliche Hochgeschwindigkeitsstrecke über Stendal nach Berlin geführt werden.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 12 der Kollegin Lisa Peters auf:
Welche konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung einleiten, um die für die deutschen Seehäfen entstehenden erheblichen Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, die dadurch entstehen, daß die Niederlande eine neue Güterbahnstrecke „Betuwelijn" vom Hafen Rotterdam bis an das deutsche Schienennetz bei Emmerich planen und für die Trassennutzung bis zur Jahrhundertwende auf niederländischem Gebiet auf Fahrwegkosten verzichten wollen sowie Betriebskostenzuschüsse für neue Ganzzugverbindungen vor allem in das mittel- und osteuropäische Hinterland gewähren wollen, und gegen welches einschlägige EU-Recht verstoßen die vom niederländischen Verkehrsministerium gewährten Beihilfen bei gleichzeitigem Fahrwegkostenverzicht?
Sehr geehrte Frau Peters, die Bundesregierung trägt im Rahmen der grundgesetzlich festgelegten Kompetenzaufteilung nach dem Seeaufgabengesetz durch Bau und Unterhaltung der see- und landseitigen Zufahrten neben den Küstenländern zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit und damit auch zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen bei.
Die Anbindung der Betuwe-Linie an das deutsche Schienennetz ist in der Vereinbarung zwischen dem Bundesminister für Verkehr der Bundesrepublik Deutschland und dem Minister für Verkehr und Öffentliche Arbeiten des Königreichs der Niederlande über die Verbesserung des deutsch-niederländischen Schienengüter- und Schienenpersonenverkehrs vom 31. August 1992 geregelt. In der Vereinbarung verpflichtet sich die deutsche Seite zur rechtzeitigen Schaffung der Schienenkapazitäten. Dieser Verpflichtung hat die Bundesregierung mit dem Bundesverkehrswegeplan von 1992 Rechnung getragen.
Die entsprechenden Maßnahmen sind im Bedarfsplan für die Schienenwege enthalten. Dabei handelt es sich in erster Linie um die Vorkehrungen für die Schienenstrecke zwischen der deutsch-niederländischen Grenze bei Emmerich und Oberhausen. Ihr Ausbau ist im „Vordringlichen Bedarf" enthalten. Die Deutsche Bahn AG beabsichtigt, den Ausbau in der Relation Emmerich-Oberhausen stufenweise vorzunehmen. Auf deutscher Seite handelt es sich zunächst nur um eine intensivere Nutzung der bereits bestehenden Eisenbahninfrastruktur.
Zusatzfrage? - Bitte.
Ich bedanke mich für diese Antwort; aber ich habe in diesem Zusammenhang
Lisa Peters
noch nach einigen weiteren Dingen gefragt. Vielleicht werden Sie diese Fragen auch beantworten. Es geht um die Fahrwegkosten, die den Kern der ganzen Frage darstellen. Wie die anderen Dinge ablaufen, ist mir bekannt. Mir geht es um den Wettbewerb, und da würde ich von Ihnen gerne klare Antworten hören.
Sehr geehrter Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis würde ich dann gleich die nächste Frage beantworten wollen.
- Dies ist Inhalt der nächsten Frage.
Erlauben muß das die Fragestellerin. Erlauben Sie, daß wir zur Frage 13 übergehen?
Nur wenn der Herr Staatssekretär dann auch alles beantwortet, einschließlich des Komplexes, der schon in Frage 12 enthalten ist, wäre ich damit einverstanden. Dann stünden mir vier Zusatzfragen zu.
Sie wissen, ich kann darauf achten, daß geantwortet wird, aber nicht darauf, was geantwortet wird.
Gut.
Ich rufe dann also auch Frage 13 der Abgeordneten Lisa Peters auf:
Welche Verhandlungen und Zusagen wurden durch die Bundesregierung hinsichtlich der Anbindung der niederländischen Trasse an das deutsche Schienennetz getroffen oder sind beabsichtigt, und wie steht die Bundesregierung zu der Forderung des Zentralverbandes der Deutschen Seehafenbetriebe, mit den auf deutschem Gebiet erforderlichen Baumaßnahmen erst dann zu beginnen, wenn die Wettbewerbsverzerrungen beseitigt sind?
Zur Frage der nicht erhobenen Fahrwegkosten und der Betriebskostenzuschüsse auf niederländischer Seite wird die Bundesregierung in bilateralen Gesprächen sowie mit der Europäischen Kommission darauf dringen, daß die niederländische Regierung zur Erhebung von Trassenpreisen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt - ich möchte betonen: nicht erst im Jahre 2000 - veranlaßt wird. Das ist ja in Ihrer Frage zum Ausdruck gekommen. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, ob die niederländischen Maßnahmen gegen geltendes EU-Recht verstoßen. Im übrigen ist in dieser Frage ein Beschwerdeverfahren der Hamburger Lagerhaus Gesellschaft bei der Europäischen Kommission anhängig gemacht worden.
Zusatzfrage?
Sie sagen, Sie wollten dafür Sorge tragen. Ich frage nun sehr direkt, ob die Fragen, die Sie stellen, auch entsprechend unseren Intentionen beantwortet werden. Kann die Bundesregierung also gewährleisten, daß es dann auch so eintritt, wie Sie es eben hier ausgeführt haben? Das ist die große Sorge, die wir alle haben. Sie kennen das, ich muß hier nicht alles wiederholen.
Wir haben in ersten Verhandlungen mit der niederländischen Regierung im Mai 1995 Forderungen vorgelegt, und auf die damals gestellten Forderungen haben wir die Antwort erhalten, daß die Erhebung von Trassenpreisen vor dem Jahre 2000 eingeführt wird.
Weitere Zusatzfragen?
Kann ich denn davon ausgehen, daß die Sorgen, die in den deutschen Häfen vorherrschen - ich beziehe mich nur auf die Hamburger Lagerhaus Gesellschaft, die sie ja erst kürzlich wieder formuliert hat -, unberechtigt sind und daß man von einem Konkurrenzdruck, der so, wie er im Moment ist, eigentlich nicht sein sollte, weil die niederländische Seite vielleicht diesbezügliche Bestimmungen nicht so ausführt, wie es das EU-Recht vorsieht, nicht sprechen kann?
Die Bundesregierung kann nicht sagen, daß die Sorgen unberechtigt sind. Der Bundesminister für Verkehr hat sich in einer Veranstaltung in Hamburg gegen die „Einhafenpolitik", die der niederländischen Seite vorschwebt, entschieden gewandt und betont, daß Rotterdam neben Hamburg und Rostock nur einer der Haupthäfen Europas ist.
Weitere Zusatzfrage.
Was würden Sie mir als einer Bundestagsabgeordneten des norddeutschen Raumes raten, weiter zu tun, und wie können wir der ganzen Sache mehr Nachdruck verleihen? Ich brauche in dieser Sache die Hilfestellung der Bundesregierung.
Die Bundesregierung wird darauf zu dringen haben, daß wir zu der Zusage, die wir bereits erhalten haben, einen verbindlichen Termin bekommen.
Danke schön. Die letzte Zusatzfrage spare ich mir auf. Ich habe ja insgesamt vier.
Ist in Ordnung. - Zusatzfrage, Herr Kollege Kunick.
Kann die Bundesregierung zusagen, daß sie in die Hinterlandverbindungen der deutschen Seehäfen mit solcher Geschwindigkeit investieren will, daß sie diese gleichzeitig mit der Anbindung Rotterdams durch die Betuwelijn, die die Bundesregierung nicht mehr kippen kann, vollendet?
Herr Staatssekretär, bitte.
Die Bundesregierung kann zusagen, daß die im Drei-Jahres-Plan vorgesehenen investiven Maßnahmen für die Hinterlandverbindungen - ich darf sie nennen: Hamburg-Büchen und Uelzen-Stendal - vor den investiven Maßnahmen auf der Strecke Emmerich-Oberhausen realisiert werden.
Zusatzfrage, Frau Hendricks.
Wie will die Bundesregierung den Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen, die aus der Frage der Kollegin Peters hervorgingen, auf der einen Seite des Zentralverbands der Deutschen Seehafenbetriebe, die gefordert haben, mit den auf deutschem Gebiet erforderlichen Baumaßnahmen erst dann zu beginnen, wenn die Wettbewerbsverzerrungen auf der niederländischen Seite beendet sind, und auf der anderen Seite der Anlieger an der deutschen Bahnstrecke, die ein hohes Gesundheitsschutzinteresse am notwendigen Lärmschutz haben, herstellen?
Die Bundesregierung hat die Dinge erwogen und führt sie durch, die ich soeben in der Antwort auf die Frage des Abgeordneten Kunick genannt habe. Die weitergehenden Forderungen, die Sie stellen, sind sicherlich nicht im Interesse guter nachbarschaftlicher Beziehungen.
Wir glauben, daß wir durch die Verhandlungen über die Einführung von Trassenpreisen und deren Prüfung bei der EU, die ich im Zuge der Beantwortung der Frage von Frau Peters bereits genannt habe, besser vorankommen und die nachbarschaftlichen Beziehungen auf einem besseren Niveau halten können.
Jetzt die vierte Zusatzfrage von Frau Peters.
Das, was die Kollegin gerade angesprochen hat, ist ein Problem; denn es handelt sich bis auf eine Strecke um bereits bestehende Strecken. Das heißt, normalerweise wird dort keine Nachrüstung im Lärmschutz gewährt. Sie gehen trotzdem davon aus, daß der Verkehr auf diesen Eisenbahnstrecken durchgeführt werden kann?
Durch intensivere Nutzung.
Ja, durch intensivere Nutzung. Die käme ja dabei heraus.
Ohne investive Maßnahmen, die wir im Gegenteil auf den Hinterlandverbindungen für die deutschen Häfen durchführen.
Ohne investive Maßnahmen?
Auf der Strecke Niederlande-Oberhausen ohne investive Maßnahmen. Auf den Hinterlandverbindungen zu den deutschen Häfen hingegen werden wir die investiven Maßnahmen 1997 auf den beiden Strecken, die ich auf die Frage von Herrn Kunick genannt habe, beenden.
Eine Zusatzfrage jeweils.
- Mit einer Zusatzfrage kann man zwei Fragen stellen. Wenn man das aber nicht wahrgenommen hat, kann man eine zweite Frage nicht nachschieben. Es tut mir leid, aber es muß nun einmal feste Bräuche geben.
- Es waren vier Zusatzfragen, und pro Abgeordneten ist eine Frage möglich. Es tut mir leid; das ist nun einmal so.
Ich sehe mich vorsichtshalber einmal um. - Mir wird gesagt, wir können es auch so machen, daß pro Frage eine Zusatzfrage möglich ist.
Frau Kollegin Hendricks, möchten Sie noch? - Bitte.
Wie will die Bundesregierung dafür sorgen, daß die von der niederländischen Reichsregierung zunächst zugesagten Entlastungsstrecken nach Norden und Süden, also Bentheim-Oldenzaal auf der einen Seite und Venlo-Kaldenkirchen auf der anderen Seite, zeitgerecht verwirklicht werden?
Diese Zeitabläufe habe ich jetzt nicht parat. Das möchte ich Ihnen gern schrift-
Parl. Staatssekretär Johannes Nitsch
lich beantworten, wenn Sie damit einverstanden sind.
Noch eine Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Dann danke ich dem Herrn Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Hoyer bereit.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Jörg Tauss auf:
Was unternimmt die Bundesregierung, damit Österreich und Kroatien rückkehrwilligen Bosnienflüchtlingen nicht länger die Heimkehr dadurch unmöglich machen, daß für diesen Personenkreis keine Durchreisevisa durch die genannten Länder erteilt werden?
Herr Staatsminister.
Herr Präsident! Herr Kollege, rückkehrwillige ehemalige Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien erhalten schon jetzt in vielen Fällen die erforderlichen Transitgenehmigungen für eine Rückkehr. Inzwischen wurde eine Vereinbarung zwischen dem Bundesinnenministerium, dem Innenministerium der Republik Kroatien, der Regierung der Republik Österreich und dem Innenministerium der Republik Slowenien über die Gestattung der Durchreise und Durchbeförderung bosnisch-herzegowinischer Flüchtlinge ausgehandelt, deren Unterzeichnung bevorsteht. Nach dieser Vereinbarung wird der derzeit noch erforderliche, beim kroatischen Regierungsamt für Flüchtlinge zu stellende Antrag auf Bewilligung der Durchreise entfallen.
Das österreichische Innenministerium hat am 18. April 1996 mitgeteilt, daß es zum Abschluß der Vereinbarung als Regierungsabkommen bereit ist.
Herr Kollege Tauss.
Herr Staatsminister, mich würde interessieren, wie die Zeitabläufe sind - denn wir reden hier über praktische Dinge - und wie Sie sich in dem Zusammenhang erklären, daß heute morgen noch beispielsweise bosnischen Flüchtlingen aus meinem Wahlkreis, die gern zurückkehren wollen, die auch zurückkehren können, weil ihre Familien erfreulicherweise noch am Leben sind und ihre Häuser nur teilweise beschädigt sind, von der österreichischen Botschaft mitgeteilt worden ist, daß es noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird, bis alle Abklärungen erfolgen können. Welche Auskunft können wir diesen Menschen geben?
Wir hören immer wieder von solchen Vorgängen. Von dem Vorgang heute morgen habe ich keine Kenntnis. Aber leider muß ich bestätigen, daß es solche Berichte aus den letzten Tagen und Wochen gibt.
Deswegen ist es so wichtig, daß wir die erwähnte Vereinbarung treffen und daß sie auch recht bald unterzeichnet wird. Die Bundesregierung bemüht sich bei unseren Partnern mit Nachdruck hierum.
Es ist wichtig, daß wir über die Forderung an unsere Partner hinaus einen klaren rechtlichen Rahmen haben, daß man auch mit gutem Willen einiges regeln kann, insbesondere dann, wenn die Rückkehr von Flüchtlingen angesichts der individuellen Wohnsituation, der sozialen Situation usw. im konkreten Fall so problemlos zu sein scheint. Ein klarer rechtlicher Rahmen würde gemäß Art. 4 Abs. 4 der Vereinbarung vorsehen, daß eine - wie es im Bürokratendeutsch leider heißt - zur Durchbeförderung übernommene Person an die ersuchende Vertragspartei zurückgegeben werden kann, wenn die Weiterreise oder die Übernahme durch den Zielstaat nicht mehr gesichert ist. Das wäre in dem von Ihnen beschriebenen Fall nicht das Problem.
Darüber hinaus appelliert die Bundesregierung aber an unsere Partner, daß in solchen Fällen unbürokratisch und der Menschenwürde und einer humanitären Lösung entsprechend gehandelt wird.
Zusatzfrage.
Ist nach dem, was Sie sagen, Herr Staatsminister, zu befürchten, daß sich, nachdem noch keine zeitlichen Auskünfte gegeben werden können, die Unterzeichnung verzögern wird, oder kann man beispielsweise von festgelegten Treffen und von den Verfahrensfragen her absehen, daß die Unterzeichnung tatsächlich schon im Juni oder Juli oder zu einem anderen möglichst frühen Zeitpunkt erfolgt?
Das kann ich zur Zeit nicht beantworten, weil ich in der Vorbereitung auf diese Fragestunde davon ausgegangen bin, daß die Unterzeichnung sehr schnell erfolgen kann. Ich entnehme Ihrer Frage jetzt, daß Sie Informationen haben, daß es noch Hinderungsgründe gibt. Ich werde der Sache sofort nachgehen und Sie unverzüglich unterrichten.
Zusatzfrage, Frau Dietert-Scheuer.
Herr Staatsminister, in diesem Zusammenhang ist mir die Information zu Ohren gekommen - ich weiß nicht, ob sie richtig ist -, daß bosnische Flüchtlinge, die aus Skandinavien zu Erkundungsreisen in ihre Heimat fahren wollen, durchaus erhebliche Probleme bei der Visaerteilung von seiten der Bundesrepublik haben. Können Sie dazu etwas sagen?
Das kann ich nicht. Auch wir fühlen uns natürlich der humanitären Lösung dieses Problems ver-
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
pflichtet. Deshalb werde ich Ihrem Hinweis gerne nachgehen. Ich würde es bedauern, wenn ich die Frage positiv beantworten müßte.
Keine weiteren Zusatzfragen? -
Dann rufe ich die Frage 15 der Kollegin Dietert-Scheuer auf:
Wie konnte es dazu kommen, daß acht Personen aus Osttimor, die schutzsuchend auf das Gelände der Deutschen Botschaft in Jakarta flüchteten, durch die einheimischen Wachmannschaften umgehend zurückgewiesen und den vor der Botschaft stationierten indonesischen Sicherheitskräften überstellt wurden, obwohl der Bundesregierung bekannt sein dürfte, daß Portugal die Einwohner von Osttimor als seine Staatsbürger anerkennt, in den vergangenen acht Monaten 72 Botschaftsflüchtlingen problemlos Zuflucht in Portugal gewährt hat und die Botschaften der anderen EU-Staaten unter der Zusicherung, alle Zufluchtsuchenden aufzunehmen, um eine freundliche Behandlung von osttimoresischen Flüchtlingen gebeten hatte?
Frau Kollegin, wenn Sie erlauben, möchte ich gerne die beiden Fragen zusammen beantworten, weil sie in einem inneren Zusammenhang stehen.
Sind Sie einverstanden? - Dann rufe ich auch die Frage 16 auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Behandlung der zurückgewiesenen Botschaftsflüchtlinge im Gewahrsam der Sicherheitskräfte vor, und wie kann die Bundesregierung trotz evtl. anderslautender Auskünfte der indonesischen Behörden mit Sicherheit ausschließen, daß die Flüchtlinge nicht doch im Gewahrsam der Sicherheitskräfte gefoltert und mißhandelt wurden, wie dies nach Augenzeugenberichten sofort mit der Verhaftung begann, im Fall einer Person sogar noch, während sie sich noch auf dem Gelände der Deutschen Botschaft befand?
Das Verhalten der Wachmannschaft beim Eindringen der acht Personen aus Osttimor war, auch wenn dieses Eindringen morgens um 1 Uhr durch Übersteigen der Einfriedung erfolgte, nicht korrekt und ist unverzüglich vom Botschafter gerügt worden. Er hat gleichzeitig Anordnungen getroffen, um kurzfristig Wiederholungen zu verhindern. Weitergehende Konsequenzen sind in Vorbereitung.
Die Bundesregierung hat unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorfalles bei der indonesischen Regierung gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte des Landes protestiert. Inzwischen haben die Bemühungen der Botschaft um vollständige Aufklärung, insbesondere ein Gespräch mit drei Personen, deren Verletzungen in einem Militärhospital behandelt wurden und die zusammen mit den anderen fünf Betroffenen bis zu ihrer bevorstehenden Ausreise nach Portugal faktisch unter der Obhut des IKRK stehen, ergeben, daß indonesische staatliche Sicherheitskräfte bei dem Vorfall auf das Botschaftsgelände gelassen wurden.
Gegen ihr Vorgehen ohne die nach dem Wiener Übereinkommen erforderliche Zustimmung des Missionschefs und gegen Art und Weise ihres Vorgehens hat Staatssekretär Dr. von Ploetz auf Weisung von Bundesminister Dr. Kinkel unmittelbar nach Bekanntwerden der Informationen gegenüber dem indonesischen Geschäftsträger in Bonn protestiert und die zugesagte vollständige Aufklärung des Vorfalls angemahnt. Er hat die Erwartung ausgesprochen, daß die indonesische Regierung ihr Bedauern über den Vorfall öffentlich bekundet. Ein entsprechender Protest wurde auch durch den Botschafter in Jakarta eingelegt.
Die indonesischen Stellen haben inzwischen erklärt, daß der Ausreise der acht Osttimoresen nach Portugal keine Hindernisse im Weg stünden. Die portugiesische Regierung hat ihre Bereitschaft zur Aufnahme erklärt. Die Ausreisemodalitäten werden durch das IKRK in Genf koordiniert. Dies entspricht dem inzwischen eingespielten und bewährten Vorgehen bei früheren Botschaftsbesetzungen durch Osttimoreser in Jakarta.
Alle für die baldige Ausreise der Osttimoresen erforderlichen Vorbereitungen wurden inzwischen getroffen. Durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen wird sichergestellt, daß sich solche Vorgänge in Zukunft nicht wiederholen können.
Zusatzfrage.
Diese positive Entwicklung in diesem Fall hatte ich bereits der Presse entnommen. Es ist aber ein grundsätzliches Problem. Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus dem Vorfall in bezug auf ihren Einsatz für die Einhaltung der Menschenrechte in Indonesien und speziell im Bereich Osttimor zu ziehen?
Wir haben eine klare Haltung in dieser Frage und auch in der Frage der Asylgewährung und eines zuverlässigen Verfahrens, auf das sich Asylbewerber verlassen können müssen, wenn sie sich an unsere Botschaften wenden. Ich denke, daß gerade im Hinblick auf den Zugang zu unserer Botschaft noch einige Fragen zu klären sind. Das wird mit Sicherheit mit allem Nachdruck geschehen.
Weitere Zusatzfragen?
Beziehen sich mögliche Konsequenzen auch auf den Bereich geplanter Waffenlieferungen nach Indonesien?
Dieses Thema sehe ich damit in überhaupt keinem Zusammenhang. Es entzieht sich von daher gegenwärtig völlig der Beantwortungsmöglichkeit.
Keine weitere Zusatzfrage? -
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Dann rufe ich jetzt die Frage 17 des Kollegen Volker Beck auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach indonesischem Recht die Forderung von Unabhängigkeit für Osttimor mit lebenslanger Haft bestraft werden kann, wie dies nach Angaben von Amnesty International im Fall von mindestens 24 in unfairen Gerichtsverfahren verurteilten politischen Gefangenen, die derzeit eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen, geschehen ist, und wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, daß die jetzt zurückgewiesenen Botschaftsflüchtlinge nach ihrer Freilassung durch die indonesischen Behörden nicht in nächster Zeit erneut verhaftet oder verfolgt werden, wie dies nach Angaben von Amnesty International in der Vergangenheit mehrfach mit osttimoresischen Botschaftsflüchtlingen geschehen ist?
Herr Kollege Beck, es trifft in der Tat zu, daß nach indonesischem Recht die Forderung nach Unabhängigkeit eines Teils des Staatsterritoriums und damit nach indonesischer Auffassung auch Osttimors mit lebenslanger Haft bedroht ist. In der Vergangenheit ist es immer nur dann zur Verurteilung nach diesem Straftatbestand gekommen, wenn die Forderungen nach Unabhängigkeit von aktiven, konkreten Handlungen begleitet waren.
Die indonesischen Behörden haben gegenüber der Botschaft erklärt, daß einer Ausreise der Botschaftsbesetzer nichts im Wege steht. Darüber hinaus hat die indonesische Seite erklärt, daß eine weitere Strafverfolgung im Zusammenhang mit der Botschaftsbesetzung nicht zu befürchten ist.
Angesichts dieser Zusicherung und der Tatsache, daß die indonesischen Sicherheitskräfte der Botschaft die Namen der Betroffenen mitgeteilt haben, ist mit erneuter Verhaftung oder Verfolgung nicht zu rechnen.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich Frage 18 des Kollegen Volker Beck auf:
Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung wegen dieses Vorfalles bei den Wachmannschaften der Botschaft zu ziehen, und wie beabsichtigt sie, in Zukunft - auch in anderen Ländern - zu gewährleisten, daß schutzsuchende Personen nicht aufgrund der Anwesenheit einheimischen Sicherheitspersonals durch das Betreten deutscher Botschaftsgelände gefährdet oder daran gehindert werden?
Der Botschafter hat auf entsprechende Weisung unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Vorfalls die erforderlichen Vorkehrungen für die unmittelbare Zukunft getroffen. Über weitere Konsequenzen wird unverzüglich entschieden, sobald die Untersuchung des Vorfalls abgeschlossen ist. Wir müssen Ihnen dann im Nachgang zu der heutigen Fragestunde darüber sicherlich noch im Detail berichten. Ich habe mich nach Rückkehr vom Allgemeinen Rat und der Regierungskonferenz gestern abend selber in diese Angelegenheit eingeschaltet und würde Wert darauf legen, Ihnen auf Grund einer soliden Analyse die sich anbietenden Konsequenzen darstellen zu können.
Zusatzfrage.
Bis wann können wir denn mit einer solchen konkreten Antwort rechnen? Ihre Ausführungen waren bezüglich sowohl der ergriffenen Maßnahmen als auch der Maßnahmen, die Sie noch ergreifen wollen, sehr im allgemeinen.
Die Maßnahmen, die hier ergriffen werden könnten oder müßten, sind außerordentlich schwierig, weil sie im Grunde die gesamte Sicherheitslage unserer Botschaften und Vertretungen im Ausland und auf der anderen Seite den ungehinderten Zugang von Asylbewerbern zu unseren Vertretungen betreffen. Es ist eine außerordentlich heikle Frage, die einer seriösen Antwort bedarf. Deswegen möchte ich mich hier nicht auf einen Zeitraum von wenigen Tagen festlegen. Ich kann Ihnen aber sagen, daß diese Angelegenheit uns auch im Auswärtigen Amt so intensiv beschäftigt hat und beschäftigen wird, daß wir mit höchstem Nachdruck für eine Lösung sorgen werden.
Frau DietertScheuer.
Ist Ihnen bekannt und wird auch in Ihre Überlegungen einbezogen, daß ein solches Problem, nämlich die Gefährdung von Leuten, die die Botschaft aufsuchen wollen - es müssen nicht unbedingt Leute sein, die dort hinfliehen wollen; in bestimmten Ländern kann allein schon der politische Kontakt oder die Visaanfrage ein Problem werden -, auch in anderen Ländern besteht? Ich denke zum Beispiel an den Iran oder die Türkei, wo die deutschen Auslandsvertretungen durchgängig von einheimischen Sicherheitskräften bewacht werden und der Zugang über diese geregelt wird.
Das ist in der Tat bekannt. Genau hier liegt die Abwägung. Die Verhältnisse in Jakarta und in vielen anderen Städten dieser Welt zeigen, daß unsere Botschaften ein schwerwiegendes Sicherheitsproblem haben, dem wir auch mit Hilfe der ausländischen Partner gerecht werden müssen.
Auf der anderen Seite ist es sehr schwierig, den politischen Kontakt zu halten wie auch gegebenenfalls Asylanträge abliefern zu können. Weil hier eine ganz schwerwiegende Abwägung vorzunehmen ist, eignet sich dies natürlich recht wenig zur öffentlichen Darstellung. Deswegen lege ich Wert darauf, daß wir dieser Frage sehr seriös nachgehen und sie dann auch mit Ihnen besprechen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 19 und 20 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich danke dem Herrn Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner bereit. Frage 21 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Jörg Tauss auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach der Bundesminister des Innern Vorschriften zur Reglementierung von Kryptographie für erforderlich hält, und wie sehen die Überlegungen zu diesen Vorschriften aus?
Herr Kollege Tauss, die Antwort lautet: Die Überlegungen der Bundesregierung zu der Frage, ob eine Reglementierung von Kryptographie erforderlich ist, sind zur Zeit noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung wird ihre Position in dieser sehr komplexen Frage deshalb erst dann mitteilen, wenn sie sich hierzu eine fundierte Meinung gebildet hat.
Zusatzfrage.
Darf ich auch hier, Herr Staatssekretär, die Nachfrage stellen, in welchem zeitlichen Rahmen sich dies in etwa bewegt, zumal auch in der Öffentlichkeit bekanntgeworden ist, daß das bereits im Mai vorzustellende Multimediagesetz zumindest in seinen Eckpunkten hierzu Aussagen treffen soll, und halten Sie eine Verzögerung unter dem Gesichtspunkt, daß es gerade die Wirtschaft, aber natürlich auch private Personen sind, die ein erhebliches Interesse daran haben, daß der Verkehr auf den Datenautobahnen mit einem Höchstmaß an Datensicherheit gewährleistet werden kann, nicht für problematisch? Um die letzte Frage geht es letztlich.
Herr Kollege Tauss, wir sehen die Problematik sehr wohl und wissen auch, daß die Angelegenheit natürlich dringlich wird. Gleichwohl sind wir bemüht, eine gründliche Analyse zu betreiben, um dann eine Lösung bieten zu können, die wirklich allen Facetten standhält. Jetzt einen Zeitpunkt zu nennen wäre ziemlich spekulativ. Aber ich sage einmal, wie es auch schon der Kollege Friedrich getan hat: noch in diesem Jahr. Dabei gebe ich zu bedenken - das wissen Sie als Experte besser als ich -, wie rasant die Entwicklung auf diesem Sektor verläuft.
Weitere Zusatzfrage. Vielleicht könnten Sie in Ihre Zusatzfrage im Interesse des Präsidiums eine Erklärung einflechten, was Kryptographie ist.
Bei der Kryptographie, Herr Präsident, handelt es sich um ein Verschlüsselungsverfahren, das angewandt werden kann, um Nachrichten, die beispielsweise im Internet übermittelt werden, so beim Empfänger ankommen zu lassen, daß
Dritte keinen Zugang haben. Dies ist für den Rechts- und für den Geschäftsverkehr natürlich von großer Notwendigkeit.
Wir bedanken uns.
Ich freue mich, wenn ich zur Aufklärung beitragen konnte.
- Das wäre beispielsweise eine verschlüsselte Übertragung.
Meine ergänzende Frage in diesem Zusammenhang ist, ob zu diesen Überlegungen auch gehört, daß wie in Frankreich, Rußland und zum Teil leider auch in totalitären Staaten möglicherweise ein Verbot von Kryptographie Bestandteil ihrer Überlegungen ist.
Das geht mir jetzt, ehrlich gesagt, ein bißchen weit. Selbstverständlich werden alle Facetten in unsere Überlegungen einbezogen. Sie wissen wie ich, daß es ein legitimes Interesse gibt, die eigenen Daten zu schützen, daß aber auch Vorkehrungen getroffen werden müssen, um beispielsweise zu verhindern, daß Kriminelle diese Verschlüsselungsmöglichkeiten offensiv gegen die Gesellschaft und gegen den Bürger nutzen.
Das waren Ihre beiden Zusatzfragen.
Die Frage 23 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich bedanke mich beim Herrn Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf.
Die Frage 24 ist zurückgezogen worden.
Die Fragen 25 und 26 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann kommen wir zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Lammert zur Verfügung.
Die Fragen 27 und 28 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Hans Büttner auf:
Wie hoch sind die jährlichen Gesamtausgaben sowie die Einnahmeausfälle des Bundes für die Jahre 1993, 1994 und 1995 aufgrund der Förderungsmaßnahmen für Unternehmen in den neuen Bundesländern, insbesondere durch den Investitionszuschuß, die Investitionszulage und die Sonderabschreibungen, wie sie in Tabelle 22 des Jahresgutachtens 1995/96 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aufgelistet sind, und wie viele Arbeitsplätze wurden damit im produzierenden und im Dienstleistungsbereich geschaffen?
Herr Kollege Büttner, die Gesamtausgaben des Bundes für die Investitionsförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" in den neuen Bundesländern betrugen 1993 3,05, 1994 rund 3,2 und 1995 rund 3,07 Milliarden DM. Die neuen Bundesländer haben komplementäre Mittel in gleicher Höhe ausgegeben.
In den jeweiligen Haushaltsjahren wurden Investitionsprojekte der gewerblichen Wirtschaft bewilligt, durch die die folgenden Arbeitsplätze neu geschaffen bzw. gesichert werden sollen - ich gebe der Übersichtlichkeit wegen nur, wenn Sie damit einverstanden sind, die Gesamtzahlen an -: 1993 194 187, 1994 158 920 und 1995 95 847.
Die Einnahmeausfälle des Bundes betrugen nach Schätzungen aus dem Bundesministerium für Finanzen auf Grund der Investitionszulage für Ausrüstungsinvestitionen in 1993 2,33, in 1994 2,10 und 1995 1,63 Milliarden DM sowie für Sonderabschreibungen in 1993 1,28, in 1994 1,59 und in 1995 2,71 Milliarden DM. Angaben über die im Rahmen dieser Förderung geschaffenen Arbeitsplätze liegen nicht vor.
Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung in der Lage und bereit, die direkten Auswirkungen auf Arbeitsplätze, da ihr Erkenntnisse darüber jetzt noch nicht vorliegen, künftig zu erfassen und darzustellen?
Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade dargestellt, daß die Investitionszuschüsse aus den Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe im unmittelbaren Zusammenhang mit den Arbeitsplätzen stehen und daß dies sowohl bei der Bewilligung der Projekte als auch bei der anschließenden Auflistung des Fördereffektes identifizierbar ist. Die dazu vorliegenden Zahlen habe ich Ihnen vorgetragen.
Zusatzfrage.
Aber Sie haben diese Aussagen nicht für die Einnahmeausfälle auf Grund der Investitionszulagen und vor allem der Sonderabschreibungen machen können?
Das ist richtig, Herr Kollege, weil das Förderinstrumentarium nicht immer und schon gar nicht ausschließlich an Arbeitsplatzwirkungen anknüpft, sondern in vielen Fällen auf Fördertatbestände abstellt, die dann Rechtsgrundlage für solche Zulagen oder auch Abschreibungsmöglichkeiten sind. Damit ist in der Regel auch eine Arbeitsplatzwirkung verbunden. Aber da die Förderung nicht auf dem Nachweis einer bestimmten Zahl von Arbeitsplätzen abstellt, kann auch nicht anschließend - jedenfalls nicht von uns - der Nachweis einer unmittelbaren Arbeitsplatzwirkung geführt werden.
Keine weitere Zusatzfrage? - Dann rufe ich die Frage 30 des Kollegen Hans Büttner auf:
Wie hoch ist der Anteil westdeutscher Firmen, die die in Frage 29 aufgeführten Fördermöglichkeiten wahrgenommen haben, und wie viele Arbeitsplätze wurden von diesen Firmen damit im produzierenden und Dienstleistungsbereich zusätzlich geschaffen, ohne daß entsprechende Arbeitsplätze in Westdeutschland dafür abgebaut werden ?
Herr Kollege, der Bundesregierung liegen keine Angaben im Rahmen der GA-Förderung vor, wie viele Arbeitsplätze in westdeutschen Unternehmen auf Grund deren Engagements in den neuen Ländern abgebaut wurden. Die Statistik über die Gemeinschaftsaufgabe enthält allerdings Angaben über westdeutsche und ostdeutsche Betriebe, die in den neuen Ländern investiert haben. Als „ostdeutsche Betriebe" werden dabei diejenigen erfaßt, die ihren Sitz in den neuen Ländern haben und rechtlich selbständig sind. Auf der Basis dieser Abgrenzung wollen westdeutsche Betriebe einschließlich derer aus West-Berlin mit durch die GA geförderten Investitionen Arbeitsplätze in den neuen Ländern neu schaffen bzw. sichern. Das waren 1993 19 709, 1994 18 972 und 1995 9 173.
Angaben, ob und wie viele Arbeitsplätze gleichzeitig im Westen abgebaut wurden, sind nicht vorhanden. Aber ich sollte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Förderregelungen der Gemeinschaftsaufgabe ausdrücklich vorsehen, daß die aus dem Verkauf der bisherigen Betriebsstätte erzielbaren oder erzielten Erlöse bei einer Verlagerungsinvestition von der Bemessungsgrundlage der GA-Förderung abgezogen werden. Dadurch wirkt die Gemeinschaftsaufgabe der Verlagerung von Betriebsstätten aus Förderungsgründen - dahin gehend habe ich Ihre Frage verstanden - ausdrücklich und wohlweislich entgegen.
Zusatzfrage.
Halten Sie es angesichts der Tatsache, daß nicht nur GA-Mittel, sondern auch Sonderabschreibungen in erheblichem Maße - wie Sie das vorhin aufgeführt haben - geltend gemacht wurden, nicht für notwendig, eine Bilanz zu erstellen, wie viele Arbeitsplätze in den neuen Ländern auf- und in den alten Ländern abgebaut werden, weil man nur auf dieser Grundlage beurteilen kann, ob die Förderabsicht, die der Gesetzgeber beschlossen und die Bundesregierung auszuführen hat, auch wirklich erreicht wird? Es wäre doch ein unwirtschaftliches und im privaten Bereich überhaupt nicht hinnehmbares Verfahren, Fördermittel auszugeben, ohne zu wissen, ob das Ziel, das man sich gesetzt hat, auch erreicht wird.
Was den letzten Punkt angeht, Herr Kollege, besteht selbstverständlich völlige Übereinstimmung zwischen dem von Ihnen vorgetragenen Anliegen und der Einschätzung und Vorgehensweise der Bundesregierung. Wir müssen ein gemeinsames Interesse daran haben, daß die Fördermittel möglichst präzise den beabsichtigten Zweck erreichen und daß sich die Förderwirkung in bezug auf Ost- und Westdeutschland nicht wechselseitig kompensieren.
Die in diesem Zusammenhang von Ihnen angeregte Arbeitsplatzbilanz ist aus den vorhin genannten sowie aus einigen anderen Gründen nicht realistisch, auch wenn man sie für wünschenswert halten mag. Denn eine solche Statistik könnte überhaupt nicht berücksichtigen, welche der Arbeitsplätze, die bei einer solchen Rechnung in Westdeutschland aufgegeben worden sind, auch dann in Westdeutschland aufgegeben worden wären, wenn eine Verlagerung dieser Betriebsstätten an einen Standort außerhalb der Bundesrepublik Deutschland oder auch die ersatzlose Aufgabe ohne eine solche Förderung für ein Engagement in den neuen Ländern erfolgt wäre.
Das heißt: Wir müssen bei dieser Förderung immer berücksichtigen, daß in einer gewissen, allerdings nicht präzise bezifferbaren Weise in einem Teil dieser Fälle die Aufrechterhaltung der Arbeitsplätze am Standort Deutschland nur durch die Förderung erfolgt; ohne diese Förderung wären die Arbeitsplätze vielleicht gar nicht oder nur in einem begrenzten Umfang erhalten geblieben.
Aber halten Sie es angesichts Ihnen bekannter Fälle, die ich Ihrem Hause selber mehrfach vorgelegt habe und bei denen Arbeitsplatzverlagerungen mit einem erheblichen Arbeitsplatzverlust einhergegangen sind, nicht für dringend notwendig, wenigstens konkretere Hinweise - angesichts von 19 000 Arbeitsplätzen, die Sie hier genannt haben, müßte das technisch möglich sein - darauf zu geben, ob das Förderziel auch wirklich erreicht worden ist?
Wo immer wir solche Zusammenhänge selber sehen oder darauf aufmerksam gemacht werden, gehen wir diesen selbstverständlich nach. Soweit sich daraus unter Berücksichtigung der von mir gerade erläuterten nicht nur statistischen, sondern vor allen Dingen ökonomischen Abgrenzungsschwierigkeiten Verbesserungsmöglichkeiten für das Förderinstrumentarium ergeben, stehen wir solchen Überlegungen aufgeschlossen gegenüber.
Im übrigen hat das an manchen Stellen auch bereits zu einer Veränderung der Handhabung des Förderinstrumentariums gegenüber der Handhabung in der Vergangenheit geführt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dreßen.
Herr Staatssekretär, gibt es denn überhaupt ein Controlling? Sie sprachen hier von Milliarden D-Mark. Daher kann ich mir nicht vorstellen, daß Sie da ohne Controlling auskommen. Sie müssen doch wissen, welchen Nutzen die ganzen Investitionen gehabt haben.
Herr Kollege, ich vermute, daß Sie die Antworten, die ich gerade gegeben habe, zur Kenntnis genommen haben.
Es gibt nicht nur eine präzise Festlegung der Grundlagen für Förderansprüche; es gibt auch eine präzise Bewirtschaftung und Bewilligung von Anträgen und eine sich daran anschließende Überprüfung der zweckgemäßen Verwendung bewilligter Mittel.
Manche von Ihnen werden sich daran erinnern, daß wir vor etwa einem Jahr eine Generaldebatte sowohl hier in diesem Haus als auch in allen einschlägigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages genau unter diesem Gesichtspunkt des Controlling durchgeführt haben. Es ging dabei um die Frage, ob sichergestellt ist, daß die zur Verfügung gestellten Mittel so präzise wie eben möglich dem gedachten Zweck zugeführt werden. Dabei haben wir damals, übrigens alle miteinander, ein eher erstaunlich gutes als ein etwa bedenkliches Maß an treffergenauer Mittelverwendung festgestellt.
Die Fragen des Kollegen Büttner gehen über diesen Zusammenhang des Controlling weit hinaus und haben einen engeren Zusammenhang zwischen Fördermittelvergabe und Arbeitsplatzeffekten zwischen Ost und West zum Gegenstand. Das ist ein in der Tat wichtiges Problem, das sich aber in der Weise, wie es in der Frage zum Ausdruck kommt, nach unserer Einschätzung nicht lösen läßt.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Dann rufe ich die Frage 31 des Kollegen Otto Schily auf:
In welchem Umfang trägt die Bundesrepublik Deutschland ein Ausfallrisiko für den in diesem Jahr von deutschen Banken an Rußland vergebenen Kredit in Höhe von 4 Mrd. DM?
Herr Kollege Schily, die Bundesregierung gewährt eine Deckung nach den Bürgschaftsbedingungen für ungebundene Finanzkredite gemäß §9 Abs. i Nr. 2 Buchstabe a - um es ganz präzise zu sagen - des Haushaltsgesetzes 1996, wo es um die Indeckungnahme wirtschaftlicher und politischer Risiken geht. Die kreditgebenden Banken tragen hierbei für alle Risiken einen einheitlichen Selbstbehalt von 10 Prozent.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Kreditvergabe bei der Bundesregierung als
Otto Schily
streng vertrauliche Chefsache des Kanzleramtes behandelt worden ist, von der die meisten Kabinettsmitglieder und Staatssekretäre erst durch die Presse erfahren haben?
Das kann ich nicht bestätigen.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie bei der Vergabe des Kredits auch den Rat sachverständiger Personen in Anspruch genommen, darunter möglicherweise auch ehemaliger Botschafter in Rußland, und ist Ihnen bekannt, daß der ehemalige Botschafter in Moskau Andreas Meyer-Landrut die Vergabe dieses Kredits als schockierend bezeichnet hat, weil dieser Kredit ohne Sicherheiten vergeben wird und weil er eigentlich nur eine Budgethilfe darstellt, die vermutlich finanziell versickern wird und allenfalls als Wahlhilfe für den Präsidentschaftskandidaten Boris Jelzin verstanden werden kann?
Die konkrete Kritik, die Sie gerade zitiert haben, ist mir nicht bekannt. Aber mir ist selbstverständlich bekannt, daß es bei diesen - wie übrigens bei manchen anderen mehr oder weniger vergleichbaren - Fällen der Kreditvergabe unter den tatsächlichen und vermeintlichen Fachleuten durchaus geteilte Auffassungen darüber gibt, ob solche Kredite überhaupt und zu den jeweils vorgesehenen Konditionen vergeben werden sollten. Daß es sich hier - das ist ja der Gegenstand Ihrer Frage - am Ende um eine politisch zu entscheidende Frage handelt, ist offensichtlich, und sie ist unter Berücksichtigung der damit auf beiden Seiten verbundenen Erwartungen an die weitere Entwicklung im Empfängerland in der Weise entschieden worden, wie es Ihnen bekannt ist.
Zusatzfrage, Herr Kollege Fischer.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung ausschließen, daß dieser Kredit an Rußland ganz oder teilweise zur Finanzierung des Krieges in Tschetschenien eingesetzt wird?
Herr Kollege Fischer, Sie wissen, daß es sich hier um einen ungebundenen Finanzkredit handelt.
Vor diesem Hintergrund Ihre Frage, ob die Bundesregierung dies ausschließen könne, mit einem schlichten Nein zu beantworten, wäre vermutlich nicht
seriös.
Auf der anderen Seite, Herr Kollege Fischer, habe ich gerade auf den politischen Charakter dieser Entscheidung hingewiesen, der im übrigen natürlich nicht nur der einen, sondern auch der anderen Seite bekannt ist. Daraus ergeben sich nicht nur Erwartungen, sondern auch Verpflichtungen, an deren Einlösung die Bundesregierung keinen Zweifel hat.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Otto Schily auf:
Trifft es zu, daß der genannte 4-Mrd.- DM-Kredit ohne Sicherheiten als „Budget-Hilfe" vergehen worden ist?
Herr Kollege Schily, es handelt sich hier um zwei Teilkredite: Ein Teilkredit über 3 Milliarden DM dient der unmittelbaren Unterstützung der Wirtschaftsreformen in der Russischen Föderation. Das ist, Herr Kollege Fischer, die Zweckbestimmung dieses Kredits. Der zweite Teilkredit über 1 Milliarde DM wird für konkrete Projekte gemeinsamen Interesses in der Russischen Föderation verwendet.
- Der kleinere Teil. 3 Milliarden und 1 Milliarde: 1 Milliarde ist weniger als 3 Milliarden.
Auf russischer Seite wird die Rückzahlung des Kredits durch eine Garantie der Regierung der Russischen Föderation abgesichert.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie denn, was die Budgethilfe angeht, durch entsprechende Vereinbarungen sichergestellt, daß dieser Milliardenkredit nicht für militärische Zwecke in Tschetschenien verwendet wird?
Ich habe, Herr Kollege Schily, sowohl in der Beantwortung der vorherigen Frage als auch in der Beantwortung der Frage des Kollegen Fischer darauf hingewiesen, daß es sich hier technisch um einen ungebundenen Finanzkredit handelt und daß der Zweck dieser Kreditvergabe die Förderung der Wirtschaftsreform in der Russischen Föderation ist. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wir reden in dieser Woche ja über Sparmaßnahmen der Bundesregierung. Halten Sie es eigentlich für angebracht, in einer solchen Situation einen Kredit in Höhe von 4 Milliarden DM - und darunter einen ungebundenen Kredit in Höhe von 3 Milliarden DM - mit ungewissen Rückzahlungsfristen zu vergeben, und wie hoch schätzen Sie die Opportunitätskosten, die Deutschland, also dem Bundeshaushalt, durch die Vergabe dieses Kredites entstehen?
Herr Kollege Schily, ich habe an der Unvermeidlichkeit der politischen Abwägung der Chancen und Risiken einer solchen Kreditvergabe in meinen vorherigen Antworten auf die gestellten Fragen überhaupt keinen Zweifel gelassen. Aber ich muß auch in Erinnerung rufen, daß wir in der weiter zurückliegenden und in der jüngeren deutschen Geschichte einschlägige Erfahrungen mit schließlich auch haushaltswirksamen Folgen bestimmter außenpolitischer und außenwirtschaftlicher Konstellationen gemacht haben. Diese Erfahrungen waren unter dem Gesichtspunkt der Frage, die Sie gerade gestellt haben, aus der Sicht der Bundesregierung einer der Gründe für die politische Entscheidung, die ich hier erläutert habe.
Wie hoch die Opportunitätskosten - -
Nein, nein.
Ich habe eine Frage gestellt, die nun wirklich nicht beantwortet worden ist. Ich habe nach der Höhe der Opportunitätskosten gefragt und bekomme eine verschwommene Antwort. Ich habe eine konkrete Frage gestellt, und ich verlange im Parlament auch eine konkrete Antwort.
Ich habe nach der Höhe der Opportunitätskosten gefragt und danach, wie ein solcher Kredit im Zuge von Sparmaßnahmen zu legitimieren ist. Das war die Frage. Ich wollte keine wolkigen Auskünfte.
Ausweislich des Protokolls haben Sie mich gefragt, ob die Bundesregierung es auf dem Hintergrund der anstehenden Entscheidungen über „Sparmaßnahmen" für vertretbar halte, daß ... Ich wiederhole, was ich gesagt habe: Hier ist politisch zwischen den Chancen und Risiken einer solchen Kreditvergabe abzuwägen. Wir haben in der jüngeren wie in der weiter zurückliegenden Geschichte, auch unter dem Gesichtspunkt dessen, was Sie als Opportunitätskosten ansprechen, unsere Erfahrungen gemacht, die uns unter Würdigung dieses Zusammenhangs auch und gerade in dieser Situation die Entscheidungen haben treffen lassen, die die Bundesregierung getroffen hat.
Herr Kollege Schily, machen Sie es mir nicht so schwer. Ich habe eben schon einmal gesagt, ich kann darauf achten, daß geantwortet wird. Ich habe aber keinen Einfluß darauf, was geantwortet wird.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Hendricks.
Halten Sie, Herr Staatssekretär, es vor dem Hintergrund der leider sattsam bekannten militärischen Auseinandersetzung auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion bzw. des heutigen Rußlands nicht für ein Versäumnis der Bundesregierung, daß sie offenbar darauf verzichtet hat, im Rahmen der Kreditvergabe Bedingungen zu formulieren, die es ausschließen, daß diese Kredite für militärische Nutzungen eingesetzt werden?
Es gibt überhaupt keinen Anlaß, Frau Kollegin, zu spekulieren, daß die Bundesregierung darauf verzichtet hätte, gegenüber der russischen Regierung ihre Vorstellungen bzw. Erwartungen hinsichtlich des von Ihnen angesprochenen Konflikts deutlich zu machen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Fischer.
Das ist eine interessante Erklärung von Ihnen. Sie haben gerade gesagt, daß es überhaupt keine Veranlassung gibt, anzunehmen, daß diese Vorstellungen nicht gemacht worden wären. Es schließt sich die Frage an: Welche Vorstellungen hat denn die Bundesregierung gegenüber der russischen Regierung im Zusammenhang mit einer möglichen Verwendung - die Sie vorhin nicht ausschließen konnten - der Kredite zur Finanzierung des Krieges in Tschetschenien vorgetragen? Würden Sie das dem Parlament mitteilen?
Ich kann gegenüber dem Parlament über das hinaus, was Gegenstand dieses Vertrages ist, den ich erläutert habe, keine weitergehenden Erklärungen abgeben - schon gar nicht zu Ihren Spekulationen darüber, wie die russische Seite diesen ungebundenen Finanzkredit verwenden könnte. Ich frage mich, woher Sie eigentlich die Grundlage für diese Art von Spekulation nehmen, die Sie nun zur Beurteilung der mit der Entscheidung der Bundesregierung verbundenen Absichten machen wollen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schlauch.
Warum ist die Bundesregierung angesichts eines Betrages von 3 Milliarden DM, der schon benannt und bewertet worden ist, auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion nicht auf die Idee gekommen, auszuschließen, daß auch nur eine müde Mark für militärische bzw. für Kriegszwecke im Tschetschenien-Konflikt eingesetzt wird? Das hätte doch nahegelegen.
Nach den hier nun mehrfach behandelten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation einschließlich der Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen bestand für eine solche aus Ihrer Sicht angefragte Formalisierung überhaupt kein Anlaß.
Damit ist die Fragestunde beendet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf: Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bundespolitische Konsequenzen auf Grund der Freisetzung von Dioxinen anläßlich des Brandes von PVC, PCB und anderen Stoffen auf dem Düsseldorfer Flughafen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Rochlitz, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir schulden es den 16 Todesopfern und den mehr als 60 Verletzten von Düsseldorf, daß wir auch im Bundestag die Brandkatastrophe an der Verantwortlichkeit der Bundesregierung entlang diskutieren und aufarbeiten. Unser gemeinsames Ziel muß es sein: Düsseldorf darf sich auch in abgewandelter Form nicht wiederholen - weder auf Flughäfen noch in Sporthallen, Kindergärten oder öffentlichen Verkehrsmitteln.
Die ersten Düsseldorfer Analyseergebnisse der Werte für Polychlordioxine und -furane in Höhe von maximal 600 Mikrogramm pro Kilogramm Ruß, also mit dem 119fachen Überschreiten des Grenzwertes der Gefahrstoffverordnung, zeigen: Die im Flughafen verbauten chlorhaltigen Kunststoffe haben zu einer dramatischen Verschärfung der Brandkatastrophe geführt. Dies gilt vor allem für das bei Kabelummantelungen verwendete PVC, aber auch für dessen mögliche Begleitstoffe Chlorparaffine und PCBs.
Leider ist hier erneut bewiesen worden, daß diese Stoffe beim Brand eben nicht nur Schwaden von Salzsäuregasen freisetzen, sondern vielmehr den ganzen „Zoo" von Dioxinen und Furanen. Doch dies ist der Bundesregierung seit langem bekannt. Sie hat jedoch im Gegensatz zu vielen Städten und einigen Ländern bisher nicht gehandelt.
Der frühere Umweltminister Töpfer veranstaltete schon 1990 einen Dioxin-Kongreß, auf dem die Problematik der Kabelverschwelung diskutiert wurde. Seitdem ist die Verschwelung von Kabeln in Anlagen wegen des mit Dioxin verbundenen PVC-Problems unterbunden worden. Immerhin wurden sowohl im Umfeld von Kabelverschwelungs- wie auch von Kupferrecyclinganlagen Dioxinmengen und -konzentrationen in Seveso-Dimensionen gefunden. Trotzdem wurde auf Druck der PVC-Lobby, auf Druck der chemischen Industrie, aufbauend auf Lügen, dank einer willfährigen Bundesregierung, die dioxinrelevante Kabelverschwelung - die ungewollt, aber eben auch zwangsläufig im PVC-Brandfall eintritt - weiter in Kauf genommen.
Der Einsatz von PVC in öffentlichen Bauten und Versammlungsstätten bleibt daher auch sechs Jahre nach diesem Dioxin-Kongreß uneingeschränkt möglich. Damit sind sowohl die amtierende Bundesregierung als auch die seit 1990 amtierenden Bundesumwelt- und Bundesbauminister nicht nur für die Katastrophe von Düsseldorf mitverantwortlich, sondern auch für alle millionenschweren Schäden, die seit 1990 bei PVC-Bränden von Kunststofflagern, U-Bahnhöfen und Krankenhäusern stattfanden.
Diese Schäden hätten allesamt vermieden werden können, wenn diese Bundesregierung der Empfehlung des Bund-Länder-Ausschusses für Umweltchemikalien nachgekommen wäre, der schon 1992 formulierte:
Im Bauwesen sollten PVC-Produkte in solchen Verwendungsbereichen substituiert werden, in denen es bei Bränden auf Grund der möglichen Dioxin- und Chlorwasserstoffbildung zu erheblichen Gefahren für Umwelt und Gesundheit kommt sowie aufwendige Sanierungsmaßnahmen erforderlich werden. Sofern weniger gefährliche Substitutionsprodukte nicht zur Verfügung stehen, müssen Maßnahmen eines vorbeugenden Brandschutzes eine gleichwertige Sicherheit gewährleisten.
Darauf hat bisher nur der Verband der Sachversicherer reagiert, nicht jedoch diese Bundesregierung. Die Staatsanwaltschaft in Düsseldorf wird aus diesem Grunde auch zu klären haben, wer für die zusätzlichen Kunststoffbrandbeschleuniger wie Styropor und andere verantwortlich zu zeichnen hat.
Wir wissen zwar, daß die beachtlichen freigesetzten Dioxinmengen bei den betroffenen Menschen noch keine akuten Wirkungen haben, aber doch starke langfristige toxische Wirkungen haben kön-
Dr. Jürgen Rochlitz
nen, zum Beispiel die Möglichkeit einer Erkrankung an Krebs und des Entstehens einer Immunschwäche.
Doch wir wissen ebenso, daß die Brandgase nicht nur aus dem die Atmung blockierenden Kohlenmonoxid bestehen. Die stärkeren Gifte sind das Salzsäuregas und die noch heftiger wirkenden Gemische aus Kohlenmonoxid und eben dieser Salzsäure. Sie sind es, die zu der großen Zahl von Toten beigetragen haben. Es ist nur zu hoffen, daß die Staatsanwaltschaft diesen Fakten und den wahren Verursachern mit Präzision nachgeht.
Wir jedenfalls fordern - weil es genügend weniger problematische und preiswertere Alternativen gibt - erstens ein sofortiges Verbot des Neueinsatzes von PVC-Materialien in den der Bundesregierung unterstehenden Bauten;
zweitens, die Neuzulassung gefährlicher Baustoffe wie PVC für alle öffentlichen Versammlungsstätten -: von Schulen über Kindergärten bis hin zu Bahnhöfen und Flughäfen - zu verbieten; drittens, einen sofortigen Austausch von PVC-Materialien, insbesondere von PVC-ummantelten Kabeln, in den Atomkraftwerken durchzuführen; viertens die in einer neuen Brandschutzkonzeption angelegte Planung eines Austausches von Alt-PVC in den sensiblen Brandbereichen der öffentlichen Gebäude.
Dies alles ist technisch machbar und hat weitergehende ökologische Vorteile. Das Plus an Sicherheit sollte uns Mehrkosten wert sein. Lassen Sie uns mit diesem Sicherheitsprogramm schon jetzt beginnen, meine Damen und Herren. Die Zeit der Verharmlosung muß vorbei sein. Es muß endlich gehandelt werden!
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Professor Schulhoff, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Bewertung des Brandes auf dem Düsseldorfer Flughafen kann ich nur zur Zurückhaltung und Besonnenheit aufrufen. Bisher steht lediglich fest, daß offensichtlich Schweißarbeiten den Brand auslösten, es weiterhin Fehlverhalten mit fatalen Folgen und natürlich auch bauliche Mängel gab; dazu gehört selbstverständlich PVC.
Es drängen sich Fragen auf, die trotz laufender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gestellt werden müssen: Wieso war der Flughafenfeuerwehr nichts von den Schweißarbeiten bekannt? Wie konnte es geschehen, daß noch eine halbe Stunde nach dem Brandalarm ein Vater mit seinem Kind mit dem Fahrstuhl ins Inferno fahren konnte und dabei beide den Tod fanden? Wieso wurden Mitarbeiter und Passagiere nicht sofort evakuiert? Warum wurde die Berufsfeuerwehr erst knapp eine halbe Stunde später alarmiert?
Weiter drängt sich die Frage auf: Wurden heute geltende Brandschutzvorschriften nicht beachtet, die eine Ausbreitung des Brandes hätten verhindern können? Das sind Vorschriften, an die sich schon heute jeder private Bauherr halten muß. Hierzu gehören Brandabschnitte, nichtbrennbare Materialien, Sprinkleranlagen im Deckenbereich und vieles andere mehr.
Weiter kann man fragen, warum mehr an die Abwehr von Sabotage- und Terroranschlägen von außen als an die Sicherheit von innen gedacht wurde. Gerade die Panzerung der Außenhaut wurde zur tödlichen Falle, da es keine Fluchtmöglichkeiten gab. Dabei weiß jeder Hauseigentümer, daß er, wenn er sein Dachgeschoß ausbauen will, einen zweiten Fluchtweg einbauen muß, weil er sonst keine Baugenehmigung bekommt.
Fragen über Fragen, die auch außerhalb der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung beantwortet werden müssen. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, zukünftig Menschenleben zu schützen. Es geht um Vorsorge. Zum Schluß darf es nicht einen Alleinschuldigen geben, nämlich den kleinen Schweißer.
Zur Vorsorgepflicht gehört zweifellos die Frage, inwieweit die Gebäude verunreinigt sind. Hierzu gab es schon kurz nach Bekanntwerden des Brandes die abenteuerlichsten Spekulationen und Mutmaßungen. Daß Dioxin austrat, steht außer Frage. Über die Gefährlichkeit von Dioxin brauchen wir hier überhaupt nicht zu debattieren; das ist klar. Zu entscheiden ist jedoch, ob die verseuchten Teile so entgiftet werden können, daß der Flughafen seinen Betrieb ohne Teilabriß wieder aufnehmen kann.
Ich hielt es für unverantwortlich, daß schon kurz nach Bekanntwerden der Tragödie die NRW-Umweltministerin Höhn ohne weitere Prüfung den Abriß forderte. Das ist im Hinblick auf das duchzuführende Prüfungsverfahren unseriös. Zur intellektuellen Redlichkeit gehört, Prüfungsverfahren ergebnisoffen zu gestalten. Hier entstand der Eindruck, daß die Sorgfaltspflicht auf dem Altar der Ideologie geopfert werden sollte. Dieser Flughafenbrand eignet sich nicht zum politischen Streit.
- Ich wiederhole: Dieser Flughafenbrand eignet sich nicht zum politischen Streit. - Die Äußerungen von Herrn Clement waren in dieser Beziehung direkt wohltuend.
Vor einigen Jahren wurde bei einem Brand ein Düsseldorfer U-Bahnhof in beträchtlichem Maße mit Dioxin verseucht. Nach Reinigung konnte er sechs Wochen später wieder in Betrieb genommen werden - ohne großes politisches Störmanöver. Werden also U-Bahnhöfe anders betrachtet als Flughäfen?
Ich will damit nichts unter den Teppich kehren. Im Gegenteil: Die Wahrheit muß ans Licht. Wenn ernstzunehmende Fachleute dazu raten - dabei denke ich
Wolfgang Schulhoff
nicht unbedingt an Herrn Wassermann -, dann wird abgerissen. Die Gesundheit der Benutzer hat Vorrang. Die Fluggäste und die Mitarbeiter des Flughafens haben Anrecht auf ein Sicherheitssystem nach dem neuesten Stand der Technik.
Noch einmal: Es muß sorgfältig geprüft und dann schnell entschieden werden. Es geht um die Existenz des Düsseldorfer Flughafens und damit einer ganzen Region, die sich im Wettbewerb mit Standorten auch außerhalb unseres Landes, also außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland, befindet. Es geht um Tausende von Arbeitsplätzen. Deshalb an dieser Stelle mein Dank an die, die sofort begonnen haben, den Betrieb wieder aufzunehmen. Ich danke ebenfalls den benachbarten Flughäfen Dortmund und Bonn, die sogleich eingesprungen sind, um die Verkehrssituation zu lösen.
Zum Schluß noch eine Bemerkung zum Verhältnis von Mensch und Technik: Alles Perfektionsstreben schützt uns nicht vor menschlichem Versagen und damit vor Unglücken. Wir stehen hinterher meistens sehr fassungslos da. Deshalb gibt es oft nur eine Erkenntnis, die Richard von Weizsäcker wie folgt formulierte:
Der wichtigste Sinn, den wir Menschen Katastrophen abgewinnen können, ist das Innehalten zur Selbstüberprüfung.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Michael Müller, SPD-Fraktion.
Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß sich die Katastrophe am Düsseldorfer Flughafen nicht dazu eignet, schnell Schuldzuweisungen zu machen. Aber ich finde, es sollten sich alle daran halten. Sonst ist das nicht besonders glaubwürdig, wenn meine Vorredner einen solchen Appell machen.
Meine Damen und Herren, was auf dem Düsseldorfer Flughafen passiert ist, muß uns neben der Forderung, daß die Betroffenen, die Opfer und die - noch immer - Verletzten ausreichende Hilfe und Unterstützung erhalten, dazu veranlassen, die Gefahren, die Risiken und die daraus abzuleitenden Konsequenzen systematisch aufzuarbeiten.
Wir haben - ich weiß nicht, ob alle Kolleginnen und Kollegen - einen Brief von der Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt erhalten. Der vielleicht wichtigste Satz in diesem Papier lautet:
Auch der Brand im Düsseldorfer Flughafen ist nach unseren bisherigen Erkenntnissen kein Grund, den Werkstoff PVC anders zu bewerten.
Ich halte dies für einen bodenlosen Leichtsinn.
Wer in solchen Fragen so operiert, kann im politischen Bereich kein Vertrauen als seriöser Partner gewinnen. Das geht nicht!
Es ist aber auch richtig, Herr Kollege Rochlitz, daß niemand auf dem Düsseldorfer Flughafen an den Auswirkungen von PVC-Emissionen gestorben ist. Nach dem amtlichen Teilbericht, der mir vorliegt, sind alle 16 Opfer, die wir zu beklagen haben, an Kohlenmonoxyd gestorben. Das ist im Rahmen der Obduktion in der Zwischenzeit festgestellt worden. Aber es ist trotzdem richtig: Die PVC-Emissionen haben die Brandkatastrophe dramatisch verschärft und vor allem ihre Folgen unglaublich erhöht. Das ist der eigentliche Punkt. Das geht so weit, daß sich die Salzsäure bis in die Statik des Flughafengebäudes hineinfrißt und dort erhebliche Schäden anrichten kann.
Deshalb müssen wir in aller Klarheit diese Form der Verharmlosung zurückweisen.
Die 16 Opfer gebieten es, daß wir alle Fragen aufarbeiten und klären, und zwar unabhängig davon, wer subjektiv Schuld hat.
Ich will ein paar wichtige Punkte nennen. Der erste wichtige Punkt ist: Wir müssen Konsequenzen daraus ziehen, daß immer mehr Häuser voller Kabelschächte sind und diese Kabelschächte zu einer gewaltigen Entzündungsgefahr bei Bränden werden können. Es ist offenkundig, daß beim Düsseldorfer Flughafen der Schwelbrand lange vorhanden war und sich durch eine Entzündung - aus welchen Gründen auch immer, möglicherweise durch Sauerstoffzufuhr - auf einen Schlag über 80, 90 Meter ausgebreitet hat. Hieraus muß man Konsequenzen ziehen vor dem Hintergrund, daß fast alle modernen Gebäude mit Kabelschächten voll sind. Wenn wir daraus nicht entsprechende Folgerungen für bautechnische Normen ableiten, dann haben wir die Lektion von Düsseldorf nicht verstanden.
Ein zweiter wichtiger Punkt, den man auch sehen muß, ist: Es kann nicht sein, daß die Vorschriften für Sicherheitseinrichtungen in Sonderbauten in Zukunft nur einmal abgenommen werden, nämlich vor Inbetriebnahme. Das darf nicht sein bei Gebäuden, in denen ein derartiger Massenverkehr herrscht. Wir müssen verlangen, daß es eine permanente Überprüfung, gestützt auf die entsprechende Verordnung, gibt. Es muß einen Zwang zur Nachrüstung geben. Ich habe kein Verständnis dafür, daß fast alle Flughäfen nur in ihr äußeres Erscheinungsbild, in Expansion und Glamour investieren, aber viel zu wenig in Sicherheit. Das ist nicht hinzunehmen. Das muß geändert werden!
Lassen Sie mich als letzten Punkt eine Schlußfolgerung hinsichtlich des Einsatzes von PVC ziehen. Wir haben nach den Messungen 123 Mikrogramm pro Kilogramm Ruß.
Michael Müller
- Nein. Das ist die offizielle Zahl des Düsseldorfer Umweltamtes, das übrigens von Ihrem Parteikollegen Görtz geleitet wird. Ich will das nur sagen, damit keine möglicherweise falschen Zahlen in den Raum gestellt werden: Das ist die von der Stadt Düsseldorf genannte Zahl. Ich muß auch darauf hinweisen: Der zuständige Umweltdezernent der Stadt Düsseldorf ist Dr. Henning Friege, der wohl die meisten Veröffentlichungen gegen PVC geschrieben hat. Ich habe deshalb schon Vertrauen, auch zu diesen Aussagen.
Aber wir müssen dafür Sorge tragen: PVC gehört nicht in solche Gebäude, wenn dort seine Verwendung solche katastrophalen Folgen haben kann. Wir müssen schnell dafür sorgen, daß PVC aus der Ummantelung von Kabeln verschwindet. Wir müssen andere Arten von Kabelsträngen und generell bessere Formen von Sicherheitsvorschriften für Stoffe für hochsensible Bereiche finden. Diese Konsequenzen aus den Ereignissen von Düsseldorf zu ziehen gehört zur politischen Verantwortung.
Wir sollten jetzt nicht schnell Schuldzuweisungen vornehmen. Allerdings liegt eine Vielzahl von Konsequenzen auf der Hand. Wie wir damit umgehen, wird zeigen, ob wir aus Düsseldorf gelernt haben oder nicht.
Das Wort hat der Kollege Dr. Röhl, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn auch seit dem schrecklichen Unglück in Düsseldorf schon zwei Wochen vergangen sind, ist es unserer Fraktion und mir persönlich ein Bedürfnis, unsere Trauer über die Opfer der Brandkatastrophe zum Ausdruck zu bringen. Wir möchten die Angehörigen unseres tiefen Mitgefühls versichern und den Verletzten sowie allen anderen Betroffenen unsere besten Wünsche für das Überwinden der körperlichen und seelischen Folgen dieses furchtbaren Erlebnisses übermitteln.
Gerade weil dieses Ereignis so schwerwiegend und schrecklich war, haben wir nicht das geringste Verständnis dafür, daß diese Katastrophe zum politischen Betreiben jahrelang gehegter Lieblingsthemen einer einzelnen Fraktion mißbraucht wird.
Wir wenden uns deshalb, soweit dies jetzt schon möglich ist, einer Analyse der Ursachen mit dem Ziel zu, in Zukunft solche furchtbaren Geschehnisse unmöglich zu machen. Dabei wollen wir nicht den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vorgreifen, sondern wir wollen versuchen, Handlungsrahmen und Wege zu finden, um eine Wiederholung solcher Katastrophen zu verhindern.
Bei der Lösung dieser Aufgabe ergeben sich zwei zu verfolgende Hauptlinien.
Die erste erstreckt sich von der Auftragsvergabe für Schweißarbeiten mit der Fixierung aller zu beachtenden Umstände, von der erforderlichen Belehrung der Ausführenden, dem Festlegen der Überwachungsweise der Arbeiten und der Dauer der Überwachung über die Auftragsvergabe für die Überwachung bis zu einer Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung der Überwachung am Ende der Arbeiten und am Ende der festgelegten Überwachungsperiode, die sich bei Schweißarbeiten nicht nur über Stunden, sondern auch über einen ganzen Tag erstrecken kann.
Die zweite Linie umfaßt die erforderlichen vorbeugenden Maßnahmen, die sich sowohl auf die Materialverwendung in Bauten als auch auf ein Havarie- und Katastrophentraining sowie auf bauliche Einrichtungen von Fluchtwegen und auf Evakuierungsszenarien erstrecken sollen.
An dieser Stelle muß festgehalten werden, daß alle diese Maßnahmen, von der Festlegung von Brandschutz- und Arbeitsschutzbestimmungen über die baulichen Bestimmungen bis hin zu den Sicherheits- und Katastrophenmaßnahmen und deren Kontrolle, originäre Aufgaben des jeweiligen Landes sind. - Im vorliegenden Fall handelt es sich um das Land Nordrhein-Westfalen, in dem sowohl SPD als auch Bündnis 90/Die Grünen in der Regierungsverantwortung stehen. -
Dies soll uns aber hier als Mitglieder des Bundestages und auch die Bundesregierung nicht daran hindern, hilfreich zur Seite zu stehen, sinnvolle Vorschläge vorzubringen und deren Aufnahme in die Landesbestimmungen zu fördern.
Nach Vorliegen eines Berichtes über die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen können und werden wir uns eingehend mit dem Problem der zu verwendenden Materialien beschäftigen.
Nach den bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und Untersuchungen von ähnlich gelagerten Brandfällen hat sich ergeben, daß nicht das PVC und seine Zersetzungsprodukte, beispielsweise Dioxine, die Ursache für die Todesfälle sind, sondern daß das im Rauchgas enthaltene CO die dominierende Ursache für die schrecklichen Todesfälle ist. Wir sollten uns deshalb mit überstürzten, voreiligen oder aus Voreingenommenheit gegenüber bestimmten Materialien gezogenen Schlüssen völlig zurückhalten. Zuerst müssen die Ergebnisse der brandtechnischen, der kriminalistischen, der gerichtsmedizinischen und der staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen abgewartet werden.
Dann erst, auf der Grundlage dieser Ergebnisse, können wir sachlich und seriös über Ursachen und Maß-
Dr. Klaus Röhl
nahmen zur Verhinderung weiterer solcher Ereignisse diskutieren.
Hektik, Hysterie und chaotisches Überstürzen nutzen nicht. Im Gegenteil: Das schadet nur in erheblichem Maße. Das sollten wir im Interesse der Sache unbedingt vermeiden. Wir sind es den Toten, den Hinterbliebenen und den Verletzten schuldig, daß hier mit fundierten Kenntnissen gearbeitet und gewissenhaft nach Lösungen gesucht wird.
Jedes gleisnerische politische Hickhack zum Befördern von Lieblingsthemen einzelner Parteien muß unbedingt vermieden werden. Die Bedeutung der Sache erfordert das.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Bulling-Schröter, PDS.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Baustoff PVC wird in der Öffentlichkeit schon seit vielen Jahren immer wieder kritisiert.
- Hören Sie bitte auch zu! - Dabei geht es zum einen um den folgenschweren Prozeß der Herstellung und Verwertung von PVC und die Entsorgung des Baustoffes selber, zum anderen um die Auswirkungen der unsachgemäßen Verbrennung von PVC für Mensch und Umwelt. Die Brandkatastrophe im Düsseldorfer Flughafen hat wieder einmal vor Augen geführt, welche Gefahren von diesem Stoff ausgehen und wie leicht aus einer Brandkatastrophe auch noch ein Chemieunglück mit unabsehbaren Folgen für die Opfer werden kann.
Herr Dr. Röhl, Sie unterstellen Politikerinnen und Politikern, politisches Kapital aus der Katastrophe zu schlagen. Ich denke, wir müssen über Konsequenzen reden; Konsequenzen wären auch das Verbot von PVC und der Ausstieg aus der Chlorchemie. Diese Konsequenzen sind wir den Opfern und denjenigen, die jetzt trauernd vor den Gräbern stehen, schuldig.
Die Geschichte der Chlorchemie ist die eines mächtigen Produktionszweiges in der Bundesrepublik und auch weltweit. Heute arbeiten über 60 000 Menschen in diesem Produktionsbereich. Das ist zu
Zeiten einer hohen Arbeitslosigkeit - darüber wird heute sicher noch gesprochen - ein mächtiges Argument in den Händen der Produzenten.
Dabei ist die PVC-Produktion aus der Not heraus entstanden, nämlich durch die Notwendigkeit, den bei der Produktion von Natronlauge anfallenden Abfallstoff Chlorgas in irgendeiner Form vorläufig loszuwerden bzw. unschädlich zu machen. Die Verwertung von Chlor bei der Produktion von Kunststoffen macht zirka 25 Prozent des jährlichen Chlorgasabfallvolumens der Bundesrepublik von insgesamt über 3 Millionen Tonnen aus.
Die Vorläufersubstanz des Polymers PVC, das hochgradig krebserregende Vinylchlorid, wird bei der PVC-Produktion kontinuierlich und geduldetermaßen freigesetzt. Weitere vermarktbare Produkte der Chlorchemie sind Lösemittel, Kühlmittel wie FCKW und Pestizide. Zusätzlich entstehen in der organischen Chemie chlorhaltige Verbindungen wie PCBs und CKWs als Prozeßnebenprodukte.
Diese Substanzen sind extrem schwer abbaubare Stoffe mit hohem ökotoxischen Potential, die inzwischen in unserer Umwelt allgegenwärtig sind. Dabei ist die Anzahl der freigesetzten Verbindungen noch nicht in vollem Umfange bekannt; dies sei hier nur am Rande erwähnt.
PVC wird als Baustoff und Isoliermaterial in der Regel mit einigen Zusatzstoffen versehen. Insbesondere im Bereich der Kabel- und Leitungsisolierungen, wo eine Ummantelung stabil und geschmeidig sein muß, wird dem Chlorkohlenstoffgemisch zur Verbesserung der Materialeigenschaften noch Weichmacher zugefügt. Dieser allerdings erhöht die Entflammbarkeit. Also werden Flammschutzmittel dazugegeben. Zur Stabilisierung der zersetzenden Umwelteinflüsse wie Licht und Temperaturschwankungen werden außerdem noch Stabilisatoren in die Mischung eingebracht. Fertig ist der Cocktail. Bei unbotmäßigen Temperaturveränderungen, zum Beispiel als Folge von Kurzschlüssen oder sonstigen Fehlfunktionen im Stromnetz, führen diese zu Verätzungen, Dioxinfreisetzungen und hochgiftiger Rauchentwicklung.
Aber auch bei richtiger Lagerung werden die Weichmacher herausdiffundieren. Auch hier gibt es Gefahren. Bei einem Brand von PVC-haltigen Stoffen werden dann zusätzlich saure Dämpfe, chlorierte Kohlenwasserstoffe und Schwermetallverbindungen freigesetzt.
Doch damit nicht genug: Bereits bei niedrigen Brandtemperaturen entstehen hochgiftige Dioxine und Furane. Aufgenommene Mengen von 60 bis 70 Picogramm pro Person werden für einen erwachsenen Menschen als Richtwerte angenommen. Bei einem Brand kann pro Kubikmeter Luft gut und gerne das Tausendfache dieser Menge vorliegen. Bei einem normalen Lungenvolumen bleiben damit bereits mit einem Atemzug Konzentrationen in der Lunge, die einen über diese Richtwerte hinwegkatapultieren und ins Reich der medizinischen Statistik entlassen.
Eva Bulling-Schröter
All dies ist kaum zu glauben angesichts der Tatsache, daß Alternativen bekannt sind. Diese Alternativen sollten dann auch genutzt werden. Es gibt Ersatzstoffe für PVC, die unschädlicher und mindestens vergleichbar gut geeignet sind. Darum meine ich, PVC in Kabeln, ja PVC überhaupt muß verboten werden. Aus dem Düsseldorfer Unglück sollten endlich die Konsequenzen gezogen werden.
Das Wort hat der Kollege Königshofen, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Düsseldorfer Flughafenbrand am 12. April, bei dem wir 16 Tote und mehr als 60 Verletzte zu beklagen haben, wirft viele Fragen auf. Wo sind die Ursachen dieser Katastrophe? Welche Konsequenzen müssen wir ziehen? Was können, ja was müssen wir tun, um in Zukunft ähnlich schreckliche Ereignisse zu verhindern?
Dennoch erscheint mir diese Aktuelle Stunde mehr als Versuch der Grünen, von der eigenen Verantwortung abzulenken.
Schon der erste Redner der Grünen hat ja seine Rede mit Beschuldigungen an die Bundesregierung begonnen. Ich bedauere dies sehr. Eine sachliche Auseinandersetzung wäre viel sinnvoller gewesen,
zumal auch er wissen müßte, daß die Maßnahmen des baulichen Brandschutzes in den Landesbauordnungen geregelt werden. Zunächst sind also die Bundesländer gefordert, hier konkret die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf, auch in Person Ihres Parteikollegen, des grünen Bauministers Vesper. Insofern wäre es richtiger gewesen, statt auf einer Aktuellen Stunde zu den bundespolitischen Konsequenzen zu beharren, erst im eigenen Land nach dem Rechten zu sehen.
- Herr Abgeordneter Fischer, ich weiß, daß Sie gern dazwischenreden. Wenn Sie wollen, können Sie eine Frage stellen. Sonst empfehle ich Ihnen zuzuhören.
Es wäre auch besser gewesen, den Untersuchungsbericht der Staatsanwaltschaft abzuwarten. Auch die am 26. April, also übermorgen, stattfindende öffentliche Anhörung des Ausschusses für Umweltschutz und Raumordnung des Landtages von NordrheinWestfalen zu diesem Thema wird - dessen bin ich mir sicher - zu der dringend notwendigen Versachlichung der Diskussion führen.
Die Informationen, über die wir bisher verfügen, weisen darauf hin, daß die Brandkatastrophe vor allem durch gravierende Sicherheitsmängel im Düsseldorfer Flughafen verursacht worden ist. So waren Selbstschließanlagen von Brandschutztüren defekt. Es fehlten Warnschilder. Der Auftrag zum Schweißen wurde ohne Hinweis auf die Feuergefahr vergeben. Styropor wurde eingebaut, obwohl das Brandschutzkonzept zur Erlangung der Genehmigung zum Bau des Flughafens die Verwendung von Stoffen wie Styropor untersagte. Wir können also bei aller gebotenen Vorsicht feststellen, daß bestehende Vorschriften nicht beachtet wurden. Wir müssen feststellen, daß menschliches Versagen zu dieser Katastrophe führte.
Nun werden wir menschliches Versagen nie ausschließen können. Insofern sind natürlich auch Fragen zur technischen Sicherheit aufzuwerfen. Dazu gehört auch die Frage nach dem Einbau von feuerhemmenden Materialien. Allerdings erscheint mir der Ruf nach dem totalen Verbot von PVC-Produkten zu verfrüht und auch zu einseitig. Wer sich mit der Frage beschäftigt, weiß, daß es seit zirka 15 Jahren auf dem Markt sogenannte Dämmschichtbildner gibt, mit denen die PVC-Ummantelungen überstrichen werden können und die ein Entzünden mit allergrößter Wahrscheinlichkeit verhindern.
Der Ersatz von PVC durch andere Stoffe birgt auch die Gefahr der Problemverschiebung in sich; denn PVC ist ein seit langem eingeführter Stoff mit einer breiten Anwendungspalette, dessen chemisches Verhalten besser erforscht ist als das fast aller anderen Kunststoffe.
In diesem Zusammenhang ist sicherlich interessant, daß bei der Anhörung im Deutschen Bundestag zum ökologischen Bauen am 13. März 1996 der Sachverständige Großmann, der vom Bündnis 90/Die Grünen benannt worden war, ein generelles Verbot von PVC aus ökologischer Sicht ablehnte.
Wir sollten daher mit Augenmaß an die Problemlösung herangehen und voreilige Schlußfolgerungen vermeiden. Warten wir also ab, welche Konsequenzen die unabhängige Kommission, die der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Rau einsetzt, aus dem Düsseldorfer Flughafenbrand ziehen wird. Die Einsetzung einer solchen Kommission macht doch nur dann Sinn, wenn man ihre Ergebnisse abwartet, um sie dann vorurteilsfrei zu beraten.
Meine Damen und Herren, lassen wir es also bei der Verantwortung der nordrhein-westfälischen Regierung. Lassen wir Herrn Vesper die Chance, sich zu bewähren, und unterlassen wir alle Manöver, die von der Verantwortung der rot-grünen Koalition in Düsseldorf ablenken!
Das Wort hat die Kollegin Ulla Burchardt, SPD.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die von den Grünen geforderten
Ursula Burchardt
bundesgesetzlichen Empfehlungen liegen dem Bundestag mit dem Abschlußbericht der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" seit Juli 1994 vor.
Bedauerlicherweise sind daraus fast nirgendwo Konsequenzen gezogen worden. Deswegen möchte ich noch einmal darauf eingehen.
Unter der Aufgabenstellung, Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit Stoffströmen zu entwickeln, hatten wir damals mit der Betrachtung des Stoffstroms von Chlor bewußt ein Thema aufgegriffen, das Gegenstand öffentlicher Kontroversen war und, wie wir sehen, immer noch ist. Unser Ziel war es, die Debatte zu versachlichen und die Ansätze nachhaltigen Wirtschaftens - Stoffeinsatzminimierung, Kreislaufführung, Recycling - auf praktische Umsetzbarkeit zu überprüfen.
Bei der Bewertung haben wir sowohl die ökologischen und ökonomischen als auch die sozialen Konsequenzen im Blick gehabt. Diese Verknüpfung ist - dieser Meinung waren wir einheitlich - eine entscheidende Voraussetzung für realisierbare Nachhaltigkeitsstrategien. Deswegen ist der Kommissionsbericht trotz der Differenzen, die er in diesem Teil enthält, eine Basis, um gesellschaftlich akzeptierte Konversionsstrategien im Bereich Chlorchemie zu finden.
Diese Chance wird leider nicht genutzt. Wir erleben wieder einmal eine Neuauflage des alten Streits: Bist du für oder bist du gegen PVC? Sollen wir es einsetzen wie bisher, oder sollen wir es verbieten? Ich denke, daß dieser positionelle Schlagabtausch zwischen den Vertretern der Verbotsphilosophie auf der einen und den Anhängern des Chemiebarocks auf der anderen Seite zwar schlagzeilenträchtig ist und möglicherweise hilft, die eigenen Truppen hinter sich zu sammeln; damit wird aber leider jegliche Innovation blockiert, und zwar nicht nur ökologische Innovationen, sondern auch ökonomische Innovationen,
Berechtigterweise wird im Koalitionsvertrag von Nordrhein-Westfalen genau auf diesen Zusammenhang hingewiesen, indem gesagt wird, daß der Chemiestandort in Richtung Kreislaufführung und Nachhaltigkeit weiterentwickelt werden muß.
Wenn die PVC-Industrie in ihren Werbekampagnen die Enquete-Kommission als Kronzeugin für die vermeintlich absolute Unbedenklichkeit von PVC mißbraucht, ist dies eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit und bedarf der Klarstellung.
Sehr geehrter Herr Röhl, als Mitglied der Kommission müßten Sie das eigentlich wissen:
Es gibt Probleme, die nicht schön- und die nicht wegzureden sind, bei der Anwendung - nicht nur in brandgefährdeten Bereichen -, beim Recycling und bei der Entsorgung. Es gibt gesetzlichen Handlungsbedarf. Das ist einvernehmlich in der Kommission festgestellt worden. Es wurden zwei Empfehlungen vorgelegt, die sich vor allen Dingen in ihrer Reichweite in bezug auf Regulierungs- und Substitutionserfordernisse unterscheiden.
Selbst im Mehrheitsvotum der Koalitionsfraktionen wird unter anderem gefordert, die Entsorgungs- und Verwertungskosten von PVC in den Produktpreis zu integrieren, um die öffentliche Hand von Entsorgungskosten zu entlasten. Die Überfälligkeit dieser Regelung ist angesichts des Aufwandes wegen der Dioxinverseuchung auf dem Düsseldorfer Flughafen ganz offenkundig. Es ist Zeit, daß die Bundesregierung diese Konsequenzen zieht.
Die SPD-Mitglieder in der Kommission einschließlich des Vertreters der IG Chemie hielten auf Grund der mit PVC-Produkten verbundenen Probleme und Risiken in der Anwendung, im Recycling und in der Entsorgung weitergehende Konsequenzen für notwendig. Wir empfehlen unter anderem, nicht recyclingfähige Produkte zu substituieren. In diese Kategorie fallen eindeutig PVC-Kabelummantelungen; denn niemand wird ernsthaft behaupten, daß man sie rezyklieren kann.
- Stellen Sie das einmal irgend jemandem ganz praktisch dar!
Wir fordern Rücknahmepflichten und eine grundsätzlich werkstoffliche Verwertung. Um die Entstehung von Dioxinen bei unkontrollierter Verbrennung zu verhindern, soll auf den Einsatz von PVC-Verbundmaterialien verzichtet werden.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir werden unsere Empfehlungen dem Bundestag als Antrag vorlegen. Ich denke aber, unabhängig von bundesgesetzlichen Regelungen kann sich jeder Bauherr, auch Länder und Kommunen, bereits heute für die Verwendung von Werkstoffalternativen bei der Auftragsvergabe für Bauten und damit für Risiko- und Kostenminimierung und für Umwelt und Gesundheitsvorsorge entscheiden. Mehr als 100 Städte und Gemeinden haben das bereits getan. Die Katastrophe von Düsseldorf sollte Anlaß sein, endlich überall, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, diese Konsequenzen zu ziehen.
Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an meinen
Michaele Hustedt
Kollegen Professor Schulhoff anknüpfen, der mit einem Zitat von Herrn Weizsäcker geendet hat, daß man nach solch einer Katastrophe zur Selbstüberprüfung innehalten solle. Ich möchte einige weitergehende Lehren, die wir daraus ziehen sollten, hier benennen.
Erstens. In unserer hochtechnisierten Welt müssen wir immer auch die Folgen des größten anzunehmenden Unfalls mitdenken. Keine Technologie ist gegen menschliches Versagen oder die unglückliche Häufung von Zufällen gefeit. Beim Düsseldorfer Flughafen rechnete man damit, daß bei einem Brand das Feuer von unten käme und die PVC-Kabel durch Metallplatten vor dem Entflammen geschützt wären. Aber das Feuer kam durch Schweißarbeiten eben von oben, und die PVC-Kabel haben sich als verhängnisvolle Zündschnüre erwiesen, die den Brand über das Gebäude ausgebreitet und dabei hochtoxische Gifte entwickelt haben.
Wir dürfen nicht so technologiegläubig sein, daß wir uns in der Illusion wiegen, Technik könne die absolute Sicherheit garantieren. Diese absolute Sicherheit gibt es nicht, schon weil Menschen mit allen ihren Grenzen mit der Technik umgehen müssen.
Einen Brand kann niemand ausschließen. Aber wenn es brennt, wenn also der GAU eintritt, dann gibt es vermeidbare Auswirkungen, zum Beispiel, daß Menschen durch Dioxine und Furane noch zusätzlich bedroht werden. Fehlerfreundliche Technologie bedeutet in diesem Fall, daß wir zukünftig deswegen im Baubereich auf PVC verzichten, daß wir keine PVC-Kabel mehr verlegen und bei Sanierungsarbeiten in Altbauten die PVC-Kabel schnellstmöglich austauschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Düsseldorfer Unglücksfall ist ein gutes Beispiel auch für die deutsche Überheblichkeit. Beim Absturz der Birgen-Air hieß es verächtlich „türkische Technologie". Morgen diskutieren wir über russische Technologie, über Tschernobyl und den Super-GAU, dessen Vernichtungspotential uns bis heute verfolgt. Auch im Atombereich hängt die Bundesregierung der Illusion an, die deutsche Technik könnte den größten denkbaren Schadensfall verhindern. Aber wenn in einem Atomkraftwerk oder in der Gentechnologie einmal trotz aller Sicherheitsvorkehrungen etwas schiefgeht, dann werden nicht nur 16 Menschenleben davon betroffen sein. Vorsorgender Schutz vor Katastrophen bedeutet eben auch hier, auf fehlerfreundliche Techniken mit einer möglichst geringen Tiefe des Eingriffs in die Natur zu setzen.
Den größten denkbaren Schadensfall mitzudenken ist aus unserer Sicht im übrigen auch ökonomisch sinnvoll. Ob Abriß oder Sanierung des Düsseldorfer Flughafens, die Folgekosten werden weit über den Kosten des ursprünglichen Baus liegen, und es können Jahre vergehen, bevor das betroffene Gebäude wieder seinem ursprünglichen Zweck dienen kann.
Deshalb ist die zweite Lehre, die man ziehen sollte, daß sich ökologisches Denken, daß sich eine Politik der Vorsorge zum Schutz der Gesundheit und der Umwelt auch mittel- und langfristig ökonomisch auszahlt.
Ein GAU in der Größenordnung von Tschernobyl zum Beispiel in Biblis würde nach einer Prognos-Studie 13 Billionen DM kosten. Das entspricht dem Bruttosozialprodukt einer gesamten Legislaturperiode. Dann brauchen wir die Debatte über den Standort Deutschland oder die Zukunft des Sozialstaates überhaupt nicht mehr zu führen. Und wie war es mit dem Rinderwahnsinn? Da wurden um des Profits willen die Tiere mit Billigfutter und Hormonen hochgemästet. Immer, wenn schnellstmöglich Rendite gemacht werden soll, kann es am Ende um ein Vielfaches teurer werden. Die entstandenen enormen Kosten sind somit auch Folgen ökonomischer und politischer Fehlentscheidungen.
Die dritte Lehre lautet: Der Markt kann viel, aber er kann nicht alles. Gerade wenn es darum geht, Vorsorge zu gewährleisten, Risiken zu minimieren und den Schutz der Gesundheit zu garantieren, dann ist die Verantwortung des Staates gefragt. Das kann nicht alles über Selbstverpflichtungen an die Industrie delegiert werden. Hier hat auch die Deregulierung ihre Grenzen. Hier muß der Staat sagen: Bis hierher und nicht weiter.
Was in dieser hochtechnisierten Welt an Sicherheiten gewährt werden kann, müssen wir auch anstreben und umsetzen, auch wenn es kurzfristig nicht ökonomisch gewinnträchtig erscheint.
Die Düsseldorfer Brandkatastrophe war kein Naturereignis, sondern eine Folge von Fehlentscheidungen, die von Menschen getroffen wurden. Dies verpflichtet uns, und es gilt nicht nur für den Düsseldorfer Airport, nicht nur für alle Flughäfen, nicht nur für alle öffentlichen Gebäude, sondern generell für den Umgang mit dem Risiko bei allen Technologien.
Deshalb möchte ich zum Abschluß der Hoffnung Ausdruck geben, daß wir alle es nicht bei dieser Aktuellen Stunde bewenden lassen, sondern es als Auftrag begreifen, die Folgen unseres Handelns und unserer Entscheidungen gründlicher und langfristiger abzuschätzen.
Das Wort hat Kollege Dr. Paziorek, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 12. April 1996 sind 16 Menschen durch eine Brandkatastrophe im Düsseldorfer Flughafen gestorben. Viele Menschen sind verletzt worden.
Wenn ich mir - das will ich hier einschieben - das Niveau einiger Zwischenrufe anschaue, möchte ich
Dr. Peter Paziorek
die Hoffnung ausdrücken, daß wir heute den Eindruck vermeiden können, der parteipolitische Schlagabtausch wäre für uns wichtiger als die ernstzunehmende Ursachenforschung.
Wer sich die schlimme private Kehrseite der Brandkatastrophe auf dem Flughafen in Düsseldorf vor Augen hält, könnte zu dem Ergebnis kommen, daß eine Diskussion in diesem Hause zu einem späteren Zeitpunkt, nach der Veröffentlichung der Überprüfungsberichte, angemessener gewesen wäre.
Trotz laufender Untersuchungen und einer zur Zeit noch immer unübersichtlichen Datenlage wird insbesondere von den Bündnisgrünen als Hauptgrund für die Katastrophe der Kunststoff PVC bei der Kabelummantelung ausgemacht.
Meines Erachtens muß aber von voreiligen Schlüssen, wie zum Beispiel der Vermehrung der technischen Regeln oder des Verbots einzelner Baustoffe - das sage ich hier ganz deutlich -, abgesehen werden.
Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt" - diese Kommission will ich jetzt zitieren und nicht die Organisation, die manchmal in Zwischenrufen von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen eine Rolle gespielt hat - hat 1994 zu ihrer Arbeit einen umfassenden Abschlußbericht mit dem Thema „Die Industriegesellschaft gestalten - Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit Stoff- und Materialströmen" herausgegeben.
In diesem Bericht hat die Enquete-Kommission ausgeführt, daß nach Jahren einer intensiv geführten Diskussion PVC heute hinsichtlich seiner Umweltrelevanz der bei weitem am besten untersuchte Werkstoff sei. PVC sei ein Kunststoff, dessen Produktion bei den heutigen Produktionsverfahren zu keinen nennenswerten Belastungen der Umwelt durch das Entstehen spezifischer Schadstoffe führe. Auch die Wiederverwertung sei vom Grundsatz her als gut anzusehen.
Ob für den Tod der bedauernswerten Opfer bei dem Brand in Düsseldorf das Dioxin, das beim Verbrennen von PVC entsteht, ursächlich oder die bei jedem Brand entstehenden Kohlenmonoxide oder sonstige toxische Stoffe wesentlich gewesen sind, muß der offizielle Bericht zum Brand im Flughafengebäude beantworten.
Seitens der Stadtverwaltung Düsseldorf - hier will ich den Beigeordneten Friege zitieren, der schon vorhin als Sachkenner in dieser Frage zitiert wurde - wurde erklärt, daß die bisherigen Analysen von bisher beobachteten Mustern abweichen und keine Rückschlüsse auf PVC als Dioxinquelle zulassen. Dies ist eine Aussage des Düsseldorfer Umweltdezernenten.
Klar ist, daß die Folgekosten bei den Aufräum-
bzw. Sanierungsmaßnahmen im Flughafengebäude beträchtlich sind. Während nämlich bei offenen Kunststoffbränden wie etwa in Lengerich die Dioxinbelastung der Umgebung sehr gering war, ist bei Bränden in geschlossenen Gebäuden auf Grund des anderen Brandverlaufs durchaus mit Dioxinwerten zu rechnen, die umfangreiche Sanierungsmaßnahmen vor einer Wiederbenutzung der Gebäude erforderlich machen können.
Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages hat 1994 in ihrem Bericht ausgeführt, daß bei vielen Werkstoffen, die in der Diskussion als möglicher Ersatz für PVC genannt wurden, wichtige Informationen fehlen. Somit sah die Enquete-Kommission davon ab, die Substitution von PVC durch andere Werkstoffe wegen einer nicht ausreichenden ökonomischen und ökologischen Begründung der Ersatzstoffe zu empfehlen. Die Kommission hat sogar darauf hingewiesen, daß eine solche Umstellung Gefahren der Problemverschiebung bewirken, wenn nicht sogar zu einer Verschlechterung des gegenwärtigen Zustandes führen könnte.
Natürlich gibt es verschiedene Bereiche, in denen PVC nur unter zusätzlichen Schutzmaßnahmen eingesetzt werden kann. Ich sage ganz deutlich: Sollte die abschließende Auswertung des vorliegenden Brandfalles Anlaß zu einer Änderung der bisherigen Haltung geben, dann sind normative Maßnahmen dringend geboten. Es darf aber nicht der Eindruck entstehen, daß jetzt durch eine erneute Umweltschutzdiskussion zum PVC-Einsatz von einer Untersuchung zu der Frage, ob die notwendigen Brandschutzmaßnahmen tatsächlich eingehalten worden sind, abgelenkt werden soll.
Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand geht zum Beispiel auch die Landesregierung von NordrheinWestfalen davon aus, daß sich zum Zeitpunkt des Brandausbruches im Zwischendeckenbereich auch Baustoffe befanden, die nicht dem Brandschutzkonzept entsprachen. Das sage ich nur noch einmal als Hinweis auf die Ausgangssituation.
Wenn Ergebnisse vorliegen, die umgesetzt werden können, dann müssen die Konsequenzen für eine Änderung des bautechnischen Regelwerkes unter Einschluß der EU und der Länder gezogen werden.
Meine Damen und Herren, eine Katastrophe klagt an und wirft Fragen auf. Aber verhindern wir, daß vor der Bekanntgabe des Untersuchungsberichtes Halbwahrheiten an die Öffentlichkeit gerichtet werden. 1989 schrieb selbst der BUND zum PVC-Einsatz:
Die Alternativen können leider nicht durchgehend positiv gewertet werden, da sie z. T. auch nicht unproblematisch sind.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Hendricks, SPD.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute, nicht einmal 14 Tage nach der Brandkatastrophe auf dem Flughafen in Düsseldorf, sind immer noch sehr viele Fragen, die sich uns allen stellen, bei weitem nicht beantwortet. Das ist sicherlich nicht die Frage nach dem Zusammenspiel, nach der Verkettung von unglücklichen Umständen, die während dieser Katastrophe zu beobachten waren, und der Gefährlichkeit von Baustoffen. Auch auf die Frage nach der politischen Verantwortung ist ganz sicher nicht schon jetzt eine Antwort zu geben. Ich glaube, das sollten alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause so sehen.
Aber folgende Fragen können wir heute schon stellen. Reichen die geltenden Brandschutzvorschriften und die Brandschutzkonzepte für Gebäude, in denen sich regelmäßig viele Menschen aufhalten, aus? Zwar war es ein Brand in einem Flughafen, aber kein flugverkehrtypischer Brand. Vielmehr war es ein Brand in einem Gebäude, in dem sich regelmäßig viele Menschen aufhalten. Insofern stellt sich die Frage viel weitergehend, als nur auf den Flugverkehr bezogen.
Müssen die beim Bau solcher Gebäude verwendeten Materialien wegen ihrer Gefährlichkeit im Fall eines Brandes neu bewertet werden? Kollege Röhl scheint dies nicht unbedingt zu wollen.
Aber wenn wir die Frage bejahen, und zwar im Einvernehmen mit den Ergebnissen der Enquete-Kommission - die Kollegin Burchardt hat darauf hingewiesen -, so müssen wir uns weiter fragen: Gilt das lediglich für die Neuerrichtung solcher Gebäude, oder ist eine Umrüstung solcher Gebäude zwingend? Wenn ja, in welchem Zeitraum wäre eine solche Umrüstung zwingend? Sicherlich sind wir uns alle darüber im klaren: Beim Gesundheitsschutz und bei der Sicherheit für Menschen darf und kann es keine Abstriche geben.
Wenn also Standards für Bauten und im Brandschutz geändert werden müssen, wenn bestimmte Materialien nicht mehr verwendet werden dürfen und wenn daraus folgend eine umfangreiche Prüfung bestehender Bauten und eventuell deren Umrüstung stattfinden muß, dann müssen wir auch bereit sein, die dadurch entstehenden höheren Kosten zu tragen. Wenn wir akzeptieren, daß der Staat als Bauherr eine Vorbildfunktion hat, so müssen wir in erster Linie öffentliche Mittel zusätzlich bereitstellen. Wenn wir in dieser Weise also neue Prioritäten setzen, werden wir vor dem Hintergrund der Lage der öffentlichen Haushalte höchstwahrscheinlich auch Posterioritäten setzen müssen. Darüber müssen wir uns im klaren sein.
Kollege Rochlitz hat bereits darauf hingewiesen, daß bisher lediglich der Verband der Sachversicherer seine Konsequenzen gezogen hat, und zwar schon 1994. Seither schreibt der Verband der Sachversicherer ein Verbot von PVC-Kabeln für Bereiche mit Menschenansammlungen und mit unwiederbringlich hohen Sachwerten vor. Aus meiner Sicht haben Bund und Länder die Pflicht, alle einschlägigen Rechtsvorschriften, alle einschlägigen technischen Regelwerke zu überprüfen und die Vorschriften zur Verwendung von Baustoffen in Gebäuden für große Menschenansammlungen gründlich zu überprüfen und, wenn nötig, zu ändern.
Alternativen sind vorhanden, gerade im Rahmen der Produktpalette der chemischen Industrie. Außerdem sind ja auch Neuentwicklungen denkbar. Wenn also wieder der Einwand erhoben wird, das sei ein Anschlag auf eine bestimmte Branche, so ist er zurückzuweisen, weil es durchaus möglich ist, von einem als gefährlich erkannten Stoff auf einen anderen zu wechseln. Es gilt im Interesse des Gesundheitsschutzes der Menschen, die vorhandenen Alternativen zügig umzusetzen.
Was die Zukunft des Flughafens in Düsseldorf anbelangt, so wird die Entscheidung darüber, ob die Gebäude saniert werden können oder abgerissen werden müssen, von der bestehenden Kontamination abhängig sein. Selbstverständlich ist klar, daß der Flugbetrieb jedenfalls am Standort erhalten werden wird. Die Entscheidung aber, wie es mit den Gebäuden weiter geht, wird vor dem Hintergrund der Erkenntnisse, die die unabhängige Kommission aufzeigen wird, zu fällen sein.
Wenn wir in Kenntnis des im Prinzip Notwendigen gleichwohl die Ergebnisse der Untersuchungskommission abwarten und dann die erforderlichen Schritte auf der gesetzgeberischen Ebene des Bundes und der Länder tun sind wir, denke ich, alle gut beraten.
Das Wort hat der Kollege Pesch, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß wir diese Aktuelle Stunde hier und heute durchführen, ist dem furchtbaren Ereignis selbst in keiner Weise angemessen. Die Verengung der Diskussion auf PVC ist irreführend und birgt in sich schon eine gewisse Polemik, die der Wahrheitsfindung sicherlich nicht dienlich sein kann.
Darüber muß sich der Beantrager dieser Aktuellen Stunde im klaren sein.
Meine Damen und Herren, diese Aktuelle Stunde findet auch im falschen Hause statt. Befassen wir uns - das ist vielleicht ein neuer Aspekt - einmal mit der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen. Nach der neuen Bauordnung des Landes Nordrhein-Westfalen können zur Sicherheitsüberprüfung von Bauten soge-
Hans-Wilhelm Pesch
nannte qualifizierte Sachverständige eingesetzt werden, die jeweils von den Ingenieurkammern bzw. Architektenkammern benannt werden. Damit sie - das ist alles möglich und hat mich selbst sehr überrascht - dem Anspruch auf Qualifikation Genüge leisten können, können sie diese in einem sogenannten Schnellverfahren - ich würde mich nicht wundern, wenn dies in Drei-Tage-Lehrgängen vonstatten ginge - erlangen. Dies trifft natürlich auch auf die sogenannten qualifizierten Brandsachverständigen zu.
Aus dieser Möglichkeit heraus, die die Landesbauordnung hergibt, könnte es mir schon erklärlich sein, daß, wie sich jetzt herausgestellt hat, eine 30 mal 150 Meter große Fläche mit dem absolut brennbarem Dämmstoff Styropor bestückt war und daß dies nicht nur einer Baugenehmigung, sondern auch allen vorgeschriebenen Überprüfungen standgehalten hat. Entweder liegt hier Schlamperei bei der Überprüfung vor, was im Hinblick auf die große Anzahl der Opfer wirklich absolut nicht zu entschuldigen wäre, oder - was in meinen Augen noch schlimmer wäre - eine völlig unzureichende fachliche Qualifikation der mit der Überprüfung solcher möglichen Gefahrenherde betrauter Personen. Ich selbst kann mir eigentlich letztere Möglichkeit, daß hier kaum qualifizierte Gutachter auf solche Objekte losgelassen werden, kaum vorstellen. Wenn das aber so ist, dann sind die vorliegenden katastrophalen Resultate nicht verwunderlich.
Die Frage nach möglichen Konsequenzen, die sich daraus ergibt, stellt sich an den zuständigen Bauminister des Landes Nordrhein-Westfalen doch nicht erst seit vorvorletzter Woche. Ich muß fragen, ob sich der zuständige Bauminister von NRW der ganzen Problematik erst seit vorvoriger Woche bewußt geworden ist. Ich glaube, über die Verantwortlichkeiten wird hier und heute im falschen Hause diskutiert.
Ich empfehle dringend, sich in Zukunft nicht nur mit den zu verwendenden Baustoffen, sondern gleichzeitig mit den einschlägigen Vorschriften in den jeweiligen Landesbauordnungen zu befassen, die grundsätzlich zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder gehören.
Ich glaube, daß es im Augenblick sehr voreilig wäre, wenn man einen bestimmten Werkstoff als Hauptverursacher ausmachte. Allerdings stehe ich der Tatsache - das ist das eigentlich Unfaßbare -, daß der sehr brennbare Werkstoff Styropor in so großem Umfange eingesetzt worden ist, mit Unverständnis gegenüber. Denn Styropor kann unter besonderen Umständen - das wird auch von Fachleuten anerkannt - geradezu als Brandbeschleuniger eingeschätzt werden. Es müßte meines Erachtens schon jedem Laien einsichtig sein, daß zumindest zwei große Fehlleistungen bei der Errichtung des betroffenen Flughafenteils zu bemängeln sind: der großflächige Einsatz von schnell brennbarem Styropor und der fehlende Einbau von wirksamen Brand- bzw. Rauchgasabschnitten.
Ich verweise noch einmal darauf, daß die Grünen offenbar in gewollter Unkenntnis der verfassungsmäßig gegebenen Rechtslage und der tatsächlichen Abläufe dieses furchtbaren Brandes der Bundesregierung Versäumnisse bei der Beschränkung der Verwendung von Baustoffen wie PVC vorwerfen.
Die ursprünglich von den Grünen schon in den ersten Stunden sehr forcierten Kampagnen, PVC sei der eigentliche Verursacher der schrecklichen Katastrophe, sind so nicht haltbar. Ich warne davor, diese wirklich schrecklichen Ereignisse der vorvorigen Woche als Agitationshilfe gegen den Bau bzw. Ausbau von Flughäfen schlechthin zu benutzen. Hier haben wir ja in Nordrhein-Westfalen seitens der Grünen in den letzten Monaten besonderen Anschauungsunterricht bekommen.
Ich halte es für unbedingt notwendig, daß die jeweiligen Landesbauordnungen überprüft werden, daß eine erneute Gefahrenabschätzung der in Frage kommenden Baustoffe vorgenommen wird, daß bei speziellen Bauten besondere Brandschutzkonzepte erarbeitet werden und daß eine personell qualifizierte Überprüfung aller bautechnischen Vorgänge vor allem in Sachen Brandschutz in Zukunft gewährleistet ist.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Marion Caspers-Merk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Debatte geht eigentlich am Kern der Fragestellung der Aktuellen Stunde vorbei: Wir behandeln heute hier nicht die Ursachen des Brandes.
Hier ist eine Kommission eingesetzt worden, die die Ursachen untersucht, und es zeichnet sich jetzt schon ab, daß es eine Mischung aus organisatorischen Mängeln, aus der Frage, welche Baustoffe eingesetzt wurden, aus der Frage, welche Sorgfalt bei bestimmten Arbeiten walten gelassen wurde, und aus einer mangelnden Informationspolitik ist. Wir wollen diesen Ergebnissen gar nicht vorgreifen. Unbestreitbar ist aber doch, daß nach einem Brand, bei dem wirklich Opfer zu beklagen waren - den Angehörigen dieser Opfer gilt unser Mitgefühl -, andere Fragen gestellt werden müssen. Um diese anderen Fragen geht es hier heute.
Die Fragen lauten: Wurde ausreichend Vorsorge bei der Auswahl von Baustoffen getroffen? Ich verweise darauf, daß jetzt eine sehr aufwendige Sanierung notwendig ist. Haben bestimmte Baustoffe durch ihr Brandverhalten dazu beigetragen, daß es zu dieser schnellen Ausbreitung des Brandes kam? Als dritte muß die Frage gestellt werden: Gibt es einen bundesgesetzlichen Regelungsbedarf? Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen bundesgesetzlichen Regelungsbedarf gibt es. Wir sind hier heute im Deutschen Bundestag und haben nicht die Aufgabe der Landeshauptstadt oder des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen hier zu leisten.
Marion Caspers-Merk
Diesen bundesgesetzlichen Regelungsbedarf hat die Enquete-Kommission in ihrer Gesamtheit gesehen, was den Bereich PVC angeht. Herr Paziorek, man kann sich nicht aus einem 700seitigen EnqueteBericht die Teile herausnehmen - das sage ich auch als Vorsitzende -, die einem ins Konzept passen, und die anderen weglassen. Unstreitig ist, daß sich bei dem Thema Chlorchemie die Enquete-Kommission um eine sachbezogene Auseinandersetzung bemüht hat. Unser Votum geht weg von einer Verharmlosung. Hier halte ich die Rolle, die die Arbeitsgemeinschaft „PVC und Umwelt" auch in der öffentlichen Auseinandersetzung gespielt hat, für skandalös, weil verharmlost wird. Dies ist nicht zufriedenstellend, und man muß es zurückweisen.
Es geht aber auch nicht, Herr Kollege Rochlitz, um eine pauschale Verteufelung des Werkstoffes insgesamt. Das sage ich auch in Richtung der Kollegin von der PDS. Ich wäre einmal gespannt, zu erfahren, ob sie diese Rede auch in Leuna gehalten hätte.
Um beides kann es nicht gehen. Wir haben bestimmte Bereiche der Chlorchemie untersucht und für jeden einzelnen Punkt Maßnahmen vorgeschlagen. Beim Bereich PVC unterteilt sich im übrigen als einzigem Bereich der Kommissionsbericht in ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum. Aber auch das Mehrheitsvotum sieht einen Regelungsbedarf.
Unstreitig war für alle Beteiligten, daß es eine allgemeine Kennzeichnungspflicht für Kunststoffe geben muß. Dies ist nicht umgesetzt; hier herrscht Regelungsbedarf. Unstreitig war zweitens, daß die Entsorgungskosten für Kunststoffe, insbesondere für den Bereich PVC, in die Produktionskosten eingerechnet werden müssen. Auch das ist bis heute nicht erfolgt. Unstreitig war ferner, daß nur dann, wenn die Entsorgung die ökologische Wahrheit sagt, Alternativen zu PVC überhaupt eine Chance haben, sich am Markt durchzusetzen. Das war auch über alle Fraktionen unstrittig.
Dann gibt es von uns als SPD-Bundestagsfraktion und mit unseren Sachverständigen - im übrigen auch mit dem Sachverständigen Dr. Henning Friege, der das mit den Gewerkschaften formuliert hat - ein Minderheitsvotum. Das Minderheitsvotum geht ein Stück darüber hinaus. Wir fordern zusätzlich einen Ausstieg aus allen Verbünden. Dazu gehört der Unterbodenschutz bei einem Pkw genauso wie der Kabelbereich. Er war immer mit gemeint.
Wir haben, Herr Kollege Paziorek, einen ganzen Abschnitt darauf verwendet, das Thema Brandverhalten von PVC zu untersuchen. Wir haben auch da gesagt, es gibt ein Risiko. Deswegen haben wir als Minderheitsvotum gefordert, daß man in brandgefährdeten Bereichen auf PVC verzichtet. Dies läßt sich nachlesen. Deswegen fordern wir auch ganz klar einen Ausstieg bei mit PVC ummantelten Kabeln. Hier gibt es Ersatzstoffe, die unbedenklich sind. Das Kostenargument lassen wir nicht gelten. Sie sind etwas teurer.
Jetzt wende ich mich an den Bundesbauminister, der nach mir reden wird. Ich halte es im Moment für nicht vertretbar, wenn Sie noch im März Greenpeace in einer Antwort schreiben, da man noch nicht genug wisse, könne man sich zu dem Bereich Weich-PVC noch nicht äußern. Herr Minister, dies ist falsch. Wir wissen genug. Wir haben den Blau-Bericht. Wir haben den Bericht der Enquete-Kommission. Wir haben zahllose Berichte. Wir wissen, daß wir aus bestimmten PVC-Anwendungen aussteigen müssen, denn nur so kann man einen sachgerechten Umgang in den Bereichen garantieren, wo auch wir PVC für unbedenklich halten. Nur mit diesem Doppelschlag macht das Ganze Sinn. Da finde ich Ihre Antwort unzureichend.
Ich appelliere an Sie; daß der Bund bei den Bundesbauten in Berlin eine Vorreiterrolle spielt, indem er Risiken ausschließt, indem er im Kabelbereich auf PVC verzichtet, um Risiken für Mensch und Umwelt zu verhindern, um ein Beispiel für Innovation zu geben und um ein Stück weit dazu zu verhelfen, daß sich alternative Produkte am Markt durchsetzen.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Josef Hollerith das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion um den Werkstoff PVC hat in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der schrecklichen Brandkatastrophe auf dem Düsseldorfer Flughafen ein Ausmaß erreicht, das jegliche sachliche Grundlage vermissen läßt. Ideologisch verklärte Thesen zur Umweltverträglichkeit von PVC haben diesen Werkstoff umstritten werden lassen und zu Vorbehalten und Verbotsforderungen geführt.
Eine Rückkehr zur Sachlichkeit in der PVC-Diskussion ist unbedingt nötig. Hierzu gehört auch anzuerkennen, daß die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt" in ihrem Abschlußbericht im September 1994 PVC hinsichtlich seiner Umweltrelevanz als den „bei weitem am besten untersuchten Werkstoff" bezeichnet hat. Auch die Bestätigung der EnqueteKommission, daß eine ökologisch verträgliche Verwertung und Entsorgung von PVC möglich sei, gilt es in diesem Zusammenhang zu akzeptieren.
Weder was besondere Risiken beim Herstellungsprozeß noch bei der Anwendung der Produkte oder deren Entsorgung betrifft, ist die Kritik der PVC-Gegner haltbar. Die PVC-Produktion bringt, ebenso wie die gesamte Chlorchemie, keine besonderen Risiken in bezug auf Arbeitsschutz oder Arbeitssicherheit mit sich.
PVC-Produkte zeichnen sich durch große Langlebigkeit und schwere Entflammbarkeit aus. 60 Prozent des in Deutschland bzw. Westeuropa produzierten PVC werden daher im Baubereich verwendet, etwa
Josef Hollerith
für langlebige Rohrleitungen und Fensterrahmen. All diese Produkte sind nicht nur energiearm in der Herstellung, sondern auch einfach zu warten und, im Gegensatz zu zahlreichen anderen Werkstoffen, wesentlich einfacher wiederzuverwerten. Die Forderung, PVC durch abbaubare Kunststoffe zu ersetzen, ist in diesem Zusammenhang unverständlich. PVC wird gerade im Baubereich für Produkte eingesetzt, bei denen ein mikrobieller Abbau unerwünscht ist wie etwa bei Rohren für Trinkwasser und Abwasser, bei Fenstern, Dachbahnen und Kabelisolierungen.
Auch beim Recycling schneidet der Werkstoff PVC gut ab. Jede Gemeinde und jeder Bürger hat heute die Möglichkeit, sich an der Wiederverwertung von Rohren, Fenstern, Bodenbelägen oder Verpackungen - sei es über das DSD oder durch gesonderte Sammlungen - zu beteiligen.
Darüber hinaus bieten einzelne Firmen für ihre Produkte Rücknahme- und Verwertungsgarantien etwa bei Kraftfahrzeugteilen, Scheck- und Telefonkarten sowie Folien an.
All diese Gründe, insbesondere aber die hohen Substitutionskosten, sprechen gegen ein Ersetzen des Werkstoffes PVC. So kommt die im Dezember 1994 von der Schweizer Prognos AG vorgelegte Studie zu dem Ergebnis, daß die Herstellung eines PVC-Ersatzstoffes einen um 20 Prozent höheren Energieaufwand benötigen und somit Mehrkosten von rund 6,6 Milliarden DM verursachen würde.
Eine Atmosphäre der Sachlichkeit, in der diese Argumente für PVC als Werkstoff zur Kenntnis genommen werden, ist daher mehr als wünschenswert.
Ich fordere die öffentliche Hand auf, den Einsatz von PVC, zum Beispiel im Baubereich, entschiedener zu fördern.
Ich erteile dem Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Töpfer, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einer so unendlich tragischen Katastrophe sind Angst, Sorge, Emotionen und auch Unsicherheit angesichts der Verletzlichkeit unserer modernen Gesellschaft als Reaktionen der Bevölkerung sehr verständlich. Nach einer solchen Katastrophe ist häufig aber auch die Verlockung sehr groß, in diesen Katastrophen die Bestätigung vorgefaßter Meinungen zu sehen. Dies ist nicht verständlich und auch nicht zu verantworten. Wer so an eine Katastrophe und die Lehren, die daraus zu ziehen sind, herangeht, wird zu schnell ein Urteil haben und nicht mehr offen genug sein, um wirklich alle Fragen zu beachten. Offenheit ist es, was wir einfordern müssen.
Daß wir uns für diese sachliche Analyse und die dann darauf aufbauende verantwortbare Therapie dringlich die Kraft nehmen, ist wesentlich mehr, als wenige Stunden nach der Katastrophe schon alle Antworten parat zu haben.
Meine Damen und Herren, ich kann dazu wirklich ganz unverdächtige Zeugen zitieren. Heute diskutiert man im nordrhein-westfälischen Landtag auch darüber. Mir liegt die Regierungserklärung von Ministerpräsident Rau vor.
Ich darf daraus zitieren: „Sobald die Brandursachen geklärt sind, wird die Landesregierung konkrete Vorschläge machen. "
Frau Caspers-Merk, erst die Ursachen klären und dann die Konsequenzen ziehen und nicht sagen: Nun laßt die einen die Ursachen untersuchen, und wir ziehen inzwischen die Konsequenzen. Der Ministerpräsident nimmt hierzu ganz deutlich Stellung: Erst dann, wenn die Ursachen erarbeitet worden sind und belastbare Ergebnisse vorliegen, läßt sich zum Beispiel sagen, ob Standards für Bauten und für den Brandschutz verändert werden müssen, ob bestimmte Materialien nicht mehr verwendet werden dürfen, ob weitere Bauten überprüft werden müssen.
Sie kommen hierher und sagen: Wir haben bereits alle Konsequenzen gezogen. Das kann doch der Sache nicht gerecht werden. Das ist mein Ansatz.
Wenn ich in meiner ersten Reaktion darauf hingewiesen habe, daß wir uns natürlich nicht passiv danebenstellen und sagen können, die einen analysieren nur und untersuchen, und wir ziehen dann die Konsequenzen, und daß wir unmittelbar an den Kollegen Meyer, den Bauminister von Brandenburg, geschrieben haben, daß wir diesen Punkt auf der nächsten AG Bauminister behandeln wollen, dann ist das nicht ein Ablenken nach dem Motto: Der Töpfer sucht jemand anderen, dem er die Schuld zuschiebt. Es handelt sich vielmehr um die klare Feststellung, daß richtigerweise in den Landesbauordnungen der Brandschutz geregelt wird. Dies bei den Ländern zu regeln, ist doch darin begründet, daß etwa bei den Feuerwehren die Kenntnisse mit erarbeitet werden, die gerade in diese Landesbauordnungen mit eingebracht werden müssen.
Ich gehe nicht hin und kritisiere an irgendeiner Stelle eine Landesbauordnung.
- Nein, nicht „wie nett" , wie selbstverständlich!
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
- Das ist schon mal etwas wert. Ich bitte, dies ausdrücklich im Protokoll aufzunehmen. Daran können Sie sehen, daß die eigene Karriere immer noch weitere Höhepunkte haben kann.
Meine Damen und Herren, mir ist die Sache zu ernst, um sie auf diese Ebene herunterzuziehen. Deswegen möchte ich letzteres fast lieber wieder gestrichen haben.
Ich will es ganz deutlich sagen: Das ist eine unendlich ernste Fragestellung. Ich will nicht in die Situation geraten, so zu tun, als hätte ich den großen warnenden Finger und als würde ich sagen können: Das habt Ihr in den Landesbauordnungen nicht geregelt. Wir müssen dahin kommen, zu sagen: Dann müssen wir auch die Musterbauordnung untersuchen.
Natürlich haben wir uns bemüht, in diesem einzelnen Fall sachverständig zu werden. Wir kennen den Kollegen Friege schon eine ganze Zeitlang und haben selbstverständlich telefonisch Kontakt aufgenommen. Die Analysen der Dioxine sind auch ein Teil der Spurenlese, woher sie stammen. Er hat gesagt: Bisher kann man die Muster noch nicht auf PVC und PCB beziehen; wahrscheinlich kann man es nachweisen. Es wäre eigentlich auch überraschend, wenn dies nicht enthalten wäre.
Es ist aber offenbar deutlich geworden, daß es nicht nur das ist.
Die antragstellende Fraktion sagt selbst, wir sollten uns mit um PCB kümmern. Meine Damen und Herren, ich habe da aus meinem vorangegangenen Tun einige Kenntnisse: PCB ist in der Bundesrepublik Deutschland seit 1983 verboten. Seit den 70er Jahren ist es nur noch in geschlossenen Systemen erlaubt, seit 1989 überhaupt nicht mehr. Das einzige, was uns im Augenblick in bezug auf PCB interessiert, ist, wie wir die Altlasten beseitigen. Das, was möglicherweise noch in Fugen, Dichtungen und sonstigem enthalten ist, hat Dioxin-Wirkungen. Wir weichen doch der Sache nicht aus. Wir müssen doch fragen: Wo liegen die Ursachen wirklich?
Dann muß ich mich mit dem Stoff auch im Zusammenhang mit Bränden in Gebäuden beschäftigen. Jeder, der sich damit ein wenig beschäftigt - so habe ich mich wenigstens informieren lassen -, der sagt: Es muß ein ganzheitliches Brandschutzkonzept entwickelt werden. Das ist auf das jeweilige architektonisch gestaltete Gebäude hin zu optimieren.
Frau Caspers-Merk, dieses Gebäude, in dem wir jetzt diskutieren, ist durch die architektonischen Anforderungen - für Fachleute: F30 -, also durch die leichten Stahlkonstruktionen, in besonderer Weise korrosionsgefährdet gewesen. Deswegen haben meine Vorgänger beschlossen, in diesem Gebäude halogenfreie Kabel zu verlegen. Hier liegen 28 Kilometer halogenfreie Kabel.
- Die Kabel dort stammen aus einer anderen Zeit. Außerdem ist das ein anderes Gebäude, Herr Kollege Fischer.
Meine Damen und Herren, ich sage dies nur, weil derjenige, der hier hinkommt und sagt: Ich weiß schon alles!, schnell in die Situation kommt, dort, wo man in unserer Industriegesellschaft Risiken vermindern kann, die falschen Schlüsse zu ziehen.
Es ist völlig richtig, wenn der Kollege Königshofen sagt: Es gibt auch die Möglichkeit, dies mit einer Masse zu ummanteln. Das ist bekannt; fragen Sie Herrn Achilles. Eine solche Regelung scheint mir bei solchen Gebäuden auch in der Nachrüstung eher sinnvoll zu sein, als wenn jemand hierherkommt und sagt: Wir reißen jetzt überall die Kabel heraus! Lassen Sie uns doch die Analysen vornehmen und dann die Konsequenzen ziehen! Das ist der Punkt, auf den ich mit aller Nachdrücklichkeit hinweisen möchte.
Dies muß bis zu der Frage weitergeführt werden, wie wir andere Risiken dadurch mit in den Griff bekommen.
Meine Damen und Herren, ich habe mich mit den dafür zuständigen Fachleuten unterhalten. Wenn es irgendwo auf der Welt Fragen bezüglich PVC und Dioxin-Bildung gibt, kommen die Leute nach Deutschland. Das ist gar keine Frage. Sie haben die Studie, die damals für das Bundesumweltamt gemacht worden ist, die Blau-Studie, selbst erwähnt. Damals war man schon Handelnder; man hat dies wirklich verfolgt.
Ich stelle mich doch auch nicht hierhin und sage: In Hessen hatten sie mal technische Richtwerte für den Hausbau. Damals, 1989, wurde PVC verboten, hinterher wurde dieses Verbot wieder aufgelockert.
- Das meine ich doch: mit den Stimmen aller Fraktionen. - Dann können Sie aber doch nicht so tun, als hätten wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht. Dies ist vordergründige parteipolitische Polemik. Die sollten sie in diesem Zusammenhang lassen, meine Damen und Herren.
Ich sage noch einmal dazu: Diejenigen, die wirklich etwas weiterentwickeln wollen, setzen sich jetzt hin und fragen, was wir aus dieser Katastrophe heraus zusätzlich aufnehmen können, um der- gewachsenen Wirtschaftsstruktur zu entsprechen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das abschließend zitieren, nur damit die Dinge klar sind. Im November letzten Jahres hat Herr Kollege Vesper gesagt, für Nordrhein-Westfalen habe er keineswegs für ein PVC-Verbot plädiert. Er hat gesagt, er wolle im Bau Veränderungen sehen, aber er wolle kein PVC-Verbot. Wer ihm aber zugehört hat, der kann
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
nur zu dem Ergebnis kommen: Das ist ein Kunststoff von einer derartig grauslichen Qualität, daß man allen angst machen muß, die ihn verwenden. Nein, so geht es nicht. Wo wir sinnvollerweise etwas verändern können, dort sollen wir es verändern. Das wird die Bundesregierung weiterhin tun.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. April 1996, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.