Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Tschernobyl-Konferenz in Wien, Rentenanpassungsverordnung 1996 und Entsendung von 150 Polizeivollzugsbeamten nach Bosnien-Herzegowina.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel. - Frau Ministerin.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Aus Anlaß des bevorstehenden 10. Jahrestages des Reaktorunfalls in Tschernobyl hat in der letzten Woche zu diesem Thema eine internationale Konferenz in Wien stattgefunden. Diese Konferenz wurde von der Internationalen Atomenergiebehörde, der Weltgesundheitsorganisation und der Europäischen Kommission veranstaltet. Auf die Bitte des Generaldirektors der Internationalen Atomenergiebehörde habe ich den Vorsitz geführt.
Man kann von dieser Konferenz sagen, daß sie die größte fachliche Veranstaltung dieser Art war, weil sie verschiedene Organisationen zusammengebracht hat. Mit über tausend Teilnehmern waren dort Wissenschaftler sehr verschiedener Fachdisziplinen anwesend. Die am stärksten betroffenen Länder, Rußland, die Ukraine und Weißrußland, waren auch auf politischer Ebene vertreten: die Ukraine durch den Ministerpräsidenten, Weißrußland zu Beginn der Konferenz auch durch den Staatspräsidenten. Meine französische Kollegin, Frau Lepage, hat die abschließende Diskussion geleitet.
Zehn Jahre nach dem Unfall in Tschernobyl, dem schrecklichsten Unfall in der Geschichte der friedlichen Nutzung der Kernenergie, war es nun wirklich an der Zeit - das hatte es in diesem Maße noch nicht gegeben -, die gesundheitlichen, sozialen, psychologischen, ökonomischen und ökologischen Folgen dieses Unfalls zu untersuchen und fachübergreifend zu diskutieren. Auf der Wiener Konferenz wurde ein breiter fachlicher Dialog zu diesen Themen geführt.
Es wurde über eine Reihe von Schlußfolgerungen Einvernehmen erzielt, die in Zukunft als gemeinsame Basis dienen sollen, um die Folgen des Unfalls von Tschernobyl aufzuarbeiten und um vor allen Dingen die noch notwendigen Arbeiten zur Aufklärung zu leisten. - Gegen diese Schlußfolgerungen gab es wenig Einwände. Dabei ging es um Formulierungen zu radiologischen und psychologischen Faktoren des Gesundheits- und Strahlenschutzes genauso wie um bestimmte Daten über Strahlendosen.
Ich glaube, man kann als Ergebnis dieser Konferenz festhalten, daß vor allen Dingen die psychologischen Folgen dieses Unfalls in der Vergangenheit gegenüber den direkten Folgen der Strahlenbelastung massiv unterschätzt wurden und daß soziale und wirtschaftliche Probleme, Verunsicherung und Ängste bis hin zu psychosomatischen Erkrankungen die Bevölkerung in den betroffenen Regionen noch heute beeinflussen; viele Tausende von Menschen sind davon betroffen.
Bisher hat es etwa 600 Fälle von Schilddrüsenkrebs gegeben, insbesondere bei Kindern. Eine Erhöhung von Leukämieerkrankungen ist in den betroffenen Regionen bis jetzt nicht belegt. Allerdings weiß man, daß Langzeiteffekte auftreten können. Das heißt: Es kann hier keine bereits abschließende Folgerung gezogen werden. Man muß aber sagen, daß insbesondere die Beeinflussung von Kindern natürlich zu den schrecklichsten Folgen gehört, die dieser Unfall verursacht hat.
Eine verläßliche Aussage über Art und Anzahl der bisherigen Todesfälle auf Grund des Reaktorunfalls insbesondere im Hinblick auf die etwa 800 000 Liquidatoren kann bis heute verantwortbar nicht getroffen werden. Allerdings muß man versuchen, möglichst viel Klarheit zu bekommen. Ich möchte an dieser Stelle aber sagen, daß Berichte über Tausende von Toten schlicht falsch, unverantwortlich und überhaupt nicht aufrechtzuerhalten sind.
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Eine wesentliche Erkenntnis ist, daß die statistischen Erhebungen und die Berechnungen für absehbare Folgen, die man bislang gemacht hat, immer auf den Rechenmodellen von Hiroshima und Nagasaki beruhten. Dies hat sich als nicht ausreichend und auch nicht als angemessen herausgestellt, denn die langandauernde Belastung mit Strahlen ist nicht mit einer sehr kurzfristigen Bestrahlung zu vergleichen, wie sie bei dem Bombenabwurf auf die beiden soeben genannten japanischen Städte auftrat.
Was die nukleare Sicherheit anbelangt, war das Bestreben insbesondere Rußlands unverkennbar, die Probleme mit den RBMK-Reaktoren zu relativieren und die vom Westen geforderte Schließung von Tschernobyl als rein politisch motiviert darzustellen. Ich dagegen habe auf der Feststellung bestanden, daß trotz der Beseitigung der unmittelbaren Ursachen des Reaktorunfalls in Tschernobyl auch heute noch Unfälle mit schweren Folgen - insbesondere bei diesem Reaktortyp - nicht ausgeschlossen werden können und daß deshalb gerade das „Memorandum of Understanding" mit der Ukraine unbedingt eingehalten werden muß.
Ich denke - das habe ich beim Abschluß der Konferenz noch einmal sehr deutlich gemacht -, daß eine klare Aussage zur Schließung des Tschernobyl-Reaktors auf dieser Konferenz wünschenswert gewesen wäre. Der Reaktor darf nicht auf Dauer weiterbetrieben werden. Ich meine, daß die Sicherheitsfragen von eminenter Bedeutung für eine verantwortbare friedliche Nutzung der Kernenergie sind.
Ich habe die internationale Gemeinschaft aufgefordert, ihre Unterstützung für die mittel- und osteuropäischen Staaten und die dort lebenden Menschen fortzusetzen. Dies muß und kann aber nur Hilfe zur Selbsthilfe sein. Wir brauchen eine gemeinsame Sicherheitspartnerschaft, die zu einer nachhaltigen Nutzung unserer Energieressourcen führt.
Dies war eine Konferenz im Vorfeld des 10. Jahrestages des Reaktorunfalls; wir werden in der nächsten Woche eine Debatte zu diesem Thema haben, in der wir in allgemeiner und breiter Form noch einmal darüber diskutieren können.
Danke schön.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Fragen? - Bitte schön, Herr Kollege Behrendt.
Frau Ministerin, Sie haben eben ausgeführt, sich dafür eingesetzt zu haben, daß die noch laufenden Reaktoren in Tschernobyl stillgelegt werden. Können Sie uns sagen, ob aus den Gesprächen mit den Vertretern der Ukraine hervorgegangen ist, daß die Stillegung bis zum Jahre 2000 eine realistische Annahme darstellt? Ist insbesondere die Finanzierung von Sicherungs- und Kompensationsmaßnahmen für die Stillegung gesichert?
Frau Ministerin.
Die Schließung von Tschernobyl hat selbstverständlich eine Rolle gespielt. Es gibt das „Memorandum of Understanding" mit der Ukraine. Die auf der Konferenz anwesenden politischen Vertreter der Ukraine, mein Kollege Kostenko und Ministerpräsident Martschuk, haben deutlich gemacht, daß sie beabsichtigen, zu diesem „Memorandum of Understanding " zu stehen. Sie haben in gleicher Weise deutlich gemacht, daß in den nächsten Tagen in ihrem Land schwierige Parlamentsdebatten bevorstehen und daß die Unterstützung für dieses „Memorandum of Understanding" in der Ukraine durchaus nicht einhellig ist.
Wir haben selbstverständlich auch über die Frage gesprochen, daß dieses „Memorandum of Understanding" von allen Seiten - das heißt, auch von den G-7-Staaten - eingehalten werden muß, also auch die Zusage von Hilfsleistungen. Die Frage, die Sie gestellt haben, kann man jedoch nicht mit einem einfachen Ja, aber auch nicht mit einem Nein beantworten. Für die langfristige Sicherung des „Sarkophags" stehen erste finanzielle Mittel zur Verfügung; es besteht allerdings Übereinstimmung, daß sie in der derzeitigen Form noch nicht gewährleistet ist. Der Weg, wie man diese Sicherung erreichen kann, ist noch nicht klar vorgezeichnet. Darüber gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Es gibt eine Studie der Europäischen Gemeinschaft, die aus unserer Sicht eine sehr theoretische Lösung ist, und es gibt andere Erwägungen.
Das bedeutet: Gelder für Hilfsmaßnahmen sind da, aber es besteht nicht in allen Fällen Übereinstimmung zwischen der Ukraine und den G-7-Ländern, in welcher Weise diese Gelder verwendet werden. Das betrifft zum Beispiel die Ertüchtigung von Kohlekraftwerken, den Weiterbau von im Bau befindlichen Kernkraftwerken und die Frage, was in Tschernobyl - Stichwort: Tschernobyl-Zentrum - und an anderen Stellen passieren soll. Es gibt durchaus noch unterschiedliche Ansichten. Das liegt aber in der Natur der Sache, denn das „Memorandum of Understanding" ist noch nicht sehr lange abgeschlossen.
Gibt es noch weitere Fragen zu dem Kongreß in Wien? - Nein.
Darf ich fragen, ob es zur Rentenanpassungsverordnung 1996 oder zur Entsendung von Polizeivollzugsbeamten nach Bosnien-Herzegowina noch Fragen gibt. - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Befragung der Bundesregierung und unterbreche die Sitzung bis 13.35 Uhr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung wird wiedereröffnet. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 2:Fragestunde- Drucksache 13/4333 -
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8621
Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerIch möchte vorbeugend darauf hinweisen, daß ich glaube, daß wir die Zeit dafür nicht ganz ausnutzen werden. Da wir aber beschlossen haben, unmittelbar danach in die Aktuelle Stunde einzutreten, bitte ich Sie, Ihre Kollegen entsprechend zu informieren.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl erschienen.Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Christel Deichmann auf:Wie schätzt die Bundesregierung aus heutiger Sicht die Annahmen des Förder- und Unternehmenskonzeptes hinsichtlich der Milchliefermengen, Vermarktungswege und -erlöse ein, auf dessen Grundlage seinerzeit die Molkerei Upahl in Mecklenburg-Vorpommern öffentlich gefördert worden ist?
Frau Kollegin Deichmann, die Förderung von Investitionen für die Molkerei in Upahl in MecklenburgVorpommern erfolgte mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" sowie mit Mitteln des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Ausrichtung.
Auf Grund des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „ Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" liegt die Zuständigkeit für die Durchführung der Fördermaßnahmen allein bei den Ländern. Die Durchführung der EG-Förderung liegt ebenfalls in der Zuständigkeit der Länder. Demzufolge liegen der Bundesregierung auch nicht die für die Förderung maßgeblichen Unternehmenskonzepte vor. Es stände ihr auch nicht zu, sich in die Kompetenzen der Länder einzumischen und solche Konzepte zu bewerten.
Eine Nachfrage? - Bitte.
Zeigt sich nicht am Standort Upahl, also bei der mit vielen Fördermitteln auf verschiedensten Ebenen unterstützten Molkerei, daß die Förderpolitik insgesamt geändert werden muß? Ich nenne die Stichworte: Neustrelitzer Schlachthof und Nordfleisch Anklam. Sind in der Landwirtschaftspolitik Bund und Land auf dem besten Weg, Mecklenburg-Vorpommern nicht nur zu einem schweinefreien Land, sondern vielleicht auch zu einem milchkuhfreien Land werden zu lassen?
Ich möchte die Weiterführung der Quote nach dem Jahr 2000 mit dem Planspiel ansprechen, eventuell die Regelung für die alten Bundesländer auf die neuen Bundesländer zu übertragen. Das wäre das Aus für die Milchwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern.
Frau Präsidentin, ich stelle fest, daß weder Neustrelitz noch Anklam, noch die Frage der Quotenregelung nach 2000 zu dem Themenbereich der Molkerei Upahl gehören. Ich bin der Meinung, wir könnten jetzt selbstverständlich eine agrarpolitische Debatte über die Förderpolitik des Bundes und der Länder führen, aber das hat mit dieser Frage speziell nichts zu tun.
Ich sehe das ähnlich. Die Kollegin hat jedoch eine zweite Nachfrage, und vielleicht gelingt es ihr, die Brücke zur Ausgangsfrage zu schlagen.
Ich wollte tatsächlich auf die Förderpolitik speziell im Landwirtschaftssektor hinaus. Die zweite Frage ist ähnlich, und ich ziehe sie deshalb zurück.
Ich rufe die Frage 2 der Abgeordneten Christel Deichmann auf:
In welchem Umfang waren Arbeitsplatzzusagen Bestandteil des der Förderung zugrunde liegenden Unternehmenskonzeptes der Molkerei Upahl, und mit welchen Ergebnissen ist die Umsetzung des Unternehmenskonzeptes auch hinsichtlich der anderen vereinbarten Zusagen des Unternehmens bisher geprüft worden?
Die Maßnahmen zur Verbesserung der Marktstruktur sowohl im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" als auch im Rahmen der EG-Förderung haben die Zielsetzung, die Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Hinblick auf eine marktgerechte und kostengünstige Aufbereitung zu verbessern.
Die nationalen Förderbestimmungen werden jährlich vom Planungsausschuß für Agrarstruktur und Küstenschutz, dem Bund und Länder angehören, durch Beschluß über den Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe festgelegt. Der Rahmenplan wird dem Deutschen Bundestag zur Unterrichtung als Bundestagsdrucksache vorgelegt. Arbeitsplatzzusagen zählen nicht zu den Voraussetzungen für eine derartige Förderung.
In diesem Zusammenhang darf ich auf meine Antworten vom 28. Februar in der Fragestunde verweisen. Da habe ich dies schon einmal ausgeführt.
Möchten Sie eine Zusatzfrage stellen?
Danke, nein.
Herr Kollege Koppelin hat eine Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben selber darauf hingewiesen, daß Sie am 28. Februar 1996 schon eine solche Frage beantwortet haben. Ihre Antwort kam mir auch sehr bekannt vor, weil es die gleiche war, die Sie am 28. Februar in
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Jürgen Koppelneiner längeren Diskussion in der Fragestunde gegeben haben.Es war hier von einem „milchfreien" Mecklenburg-Vorpommern die Rede. Kann es nicht eher sein, daß Schleswig-Holstein jetzt milchfrei ist, da die Milch aus Schleswig-Holstein jetzt nach Upahl befördert wird? Die Hansa-Milch fährt die gesamte Milch aus dem Bereich Schleswig-Holsteins nach Mecklenburg-Vorpommern, und zum Beispiel in Rendsburg muß ein Werk geschlossen werden. Im Werk Leezen wird nicht mehr Milch, sondern plötzlich Fruchtsaft verarbeitet. Die gesamte Milch aus diesem Einzugsgebiet muß nun nach Upahl befördert werden. Es findet also genau das Gegenteil von dem statt, was die Kollegin gesagt hat.
Hierzu, Herr Kollege, kann ich als erstes feststellen: Die Tatsache, daß ich Ihnen heute dem Sinn nach die gleiche Antwort wie damals gebe, zeigt die Kontinuität in unserem Haus.
— Auch dies, Herr Heinrich.
Zum zweiten darf ich Ihnen kurz die Milchmengen insgesamt nennen. Insgesamt dürfen in den drei Werken Rendsburg, Leezen und Upahl 614 000 Tonnen pro Jahr verarbeitet werden. Davon werden zur Zeit nur 600 000 Tonnen pro Jahr ausgeschöpft. Aktuell verteilen sie sich auf Leezen mit 180 000 Tonnen, Rendsburg mit 80 000 Tonnen und Upahl mit 340 000 Tonnen. Es ist aber vorgesehen, daß in Upahl 450 000 Tonnen Milch verarbeitet werden, wovon etwa 50 000 Tonnen pro Jahr zugekauft werden sollen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie einen schleswig-holsteinischen Bundestagsabgeordneten verstehen, der nicht begreifen kann, daß man mit Fördermitteln, also Steuergeldern, in Upahl ein großes Werk gebaut hat und daß dadurch in Schleswig-Holstein Werke und Arbeitsplätze wegrationalisiert werden?
Ich habe mich schon am 28. Februar bemüht, Ihnen gegenüber mein Verständnis, soweit es reicht, entsprechend zu formulieren und auszudrücken.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Die Fragen 3 und 4 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Joachim Günther zur Verfügung.
Ich rufe Frage 5 des Kollegen Hubert Deittert auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch den starken Strukturwandel in der Landwirtschaft immer mehr wertvolle Bausubstanz leersteht, für die nach geltendem Baurecht nur selten eine vernünftige außerlandwirtschaftliche Verwendung möglich ist?
Frau Präsidentin, Herr Kollege Deittert, ich bitte Sie, damit einverstanden zu sein, daß ich die Fragen 5 und 6 zusammen beantworte, da sie in unmittelbarem Zusammenhang stehen.
Dann rufe ich auch Frage 6 des Kollegen Hubert Deittert auf:
Sind von der Bundesregierung Änderungen des Baugesetzbuches geplant, die dieses Problem lösen?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß infolge des Strukturwandels in der Landwirtschaft ein Umnutzungspotential ehemals landwirtschaftlich genutzter Gebäude besteht. Dieser regional sehr unterschiedlich ausgeprägte Umnutzungstrend ist schon bisher von den mit dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 1993 beschlossenen baurechtlichen Vorschriften unterstützt worden.
Im einzelnen ergibt sich hierzu auf Grund einer vom Bauministerium in Auftrag gegebenen Rechtstatsachenuntersuchung zur baulichen Nutzung des Außenbereichs, die vom Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik, Berlin, durchgeführt wurde, daß sich auch in ländlichen Regionen außerhalb des Umkreises von Ballungszentren die Nutzungsstrukturen weiter ändern. Dabei findet eine Umnutzung hauptsächlich zugunsten der Wohnnutzung statt. Umnutzungstrends in Richtung Gewerbe sind demgegenüber weniger stark ausgeprägt. Sie spielen im wesentlichen in verkehrlich gut erschlossenen Gebieten eine Rolle.
Das geltende Bauplanungsrecht hat diese Entwicklung durch Erleichterung der Umnutzung vorhandener Bausubstanz im Außenbereich flankiert, insbesondere durch die Verbesserungen des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes, die deshalb nach Auffassung der Bundesregierung in das Dauerrecht des Baugesetzbuches übernommen werden sollten.
Diese gesetzgeberischen Maßnahmen haben sich vielerorts auch bereits in der Baugenehmigungspraxis niedergeschlagen. Nach der oben genannten Rechtstatsachenuntersuchung haben die Erleichterungen im Bereich des Wohnungsbaus durchaus in nennenswertem Umfang zu zusätzlichen neuen
Parl. Staatssekretär Joachim Günther
Wohnungen geführt. Insgesamt waren in den alten Bundesländern knapp 30 Prozent, in den neuen Bundesländern knapp 15 Prozent der begünstigten Vorhaben nur auf Grund der neuen Regelungen genehmigungsfähig. Damit sind in den Landkreisen der alten Bundesländer durchschnittlich jährlich etwa elf Wohnungen je Baugenehmigungsbezirk zusätzlich möglich geworden. Indessen ist festzustellen, daß die bei der Umnutzung landwirtschaftlicher Gebäude jetzt mögliche zusätzliche dritte Wohneinheit nach den Ergebnissen des Forschungsprojektes eher selten genutzt wird.
Bei der in dieser Legislaturperiode anstehenden Novellierung des Baugesetzbuches, deren Einzelheiten zur Zeit innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden, wird zu entscheiden sein, wie der weiterhin notwendige Schutz des Außenbereichs mit dem Strukturwandel der Landwirtschaft in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden kann.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, danke für die Antwort.
Ich erkenne an, daß in bezug auf Wohnnutzung die Erleichterungen erhebliche Verbesserungen gebracht haben. Meine Zusatzfrage: Ist seitens des Ministeriums bei der Überarbeitung des Baugesetzbuches vorgesehen, diese Erleichterungen auch für Umnutzungen zum Beispiel in Richtung Gastronomie und handwerkliche Betriebe einzuführen? Das wäre in vielen Fällen ein Schritt in die richtige Richtung.
Herr Kollege, bereits nach der jetzigen Gesetzgebung ist es möglich, entsprechende Einzelentscheidungen zu treffen. Wir bereiten gegenwärtig die Novellierung des Baugesetzbuches vor. Der endgültige Entwurf ist noch nicht vorhanden. Sobald wir in diese Phase kommen, werden wir auch dieses Thema mit berücksichtigen.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann verlassen wir diesen Geschäftsbereich.
Zu Frage 7 ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dieter Maaß auf:
Beginnt der Vertrauensschutz bei der Vorruhestandsregelung bei Versicherten, die vor dem 14. Februar 1996 das 55. Lebensjahr erreicht haben, mit der Zustimmungserklärung , und wird er wirksam, wenn nach Beendigung der Kündigungsfrist der Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt wird?
Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther zur Verfügung.
Schönen Dank, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Maaß, nach dem von der Bundesregierung am 6. März 1996 beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand sind von dem Vertrauensschutz unter anderem Versicherte erfaßt, die vor dem 14. Februar 1996 das 55. Lebensjahr vollendet haben und auf Grund einer vor dem 14. Februar 1996 erfolgten Kündigung oder eines vor diesem Datum abgeschlossenen Aufhebungsvertrages aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden und daran anschließend arbeitslos werden.
Konkret bedeutet der Vertrauensschutz, daß die davon erfaßten Versicherten von der Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit nicht betroffen sind. Der Vertrauensschutz wird durch die Erfüllung der oben genannten Voraussetzungen zum Stichtag begründet. Er wirkt sich konkret allerdings erst aus, wenn der Versicherte eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit in Anspruch nimmt.
Ein Antrag auf Arbeitslosengeld ist im übrigen für die Gewährung des Vertrauensschutzes nicht erforderlich.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dies war mir soweit bekannt. Ich beziehe mich auf einen konkreten Fall: Was passiert mit einem Mann, der 54 Jahre alt ist, im Januar seinen Aufhebungsvertrag unterschrieben hat und dessen Kündigungsschutz über die Zeiträume, die Sie gerade genannt haben, läuft? Welche Möglichkeiten hat er, einen Vorruhestand in Anspruch zu nehmen, wie er in seinem Vertrag mit dem Arbeitgeber vorgesehen war?
Soweit es sich um Arbeitnehmer in der Eisen- und Stahlindustrie bzw. im Bergbau handelt, ist auch diese Altersgruppe erfaßt. Ansonsten gilt das 55. Lebensjahr. Wir können nach diesem Gesetz diesem Mann nicht helfen.
Herr Staatssekretär, Sie sind ein politisch erfahrener Mann. Welche Möglichkeiten hat jetzt dieser Betroffene, der einen gültigen Vertrag mit seinem Arbeitgeber unter den Voraussetzungen hat, die damals, als er ihn unterschrieb, gegeben waren?
Ich würde dieser Person den Rat geben, im Hinblick darauf, daß die Geschäftsgrundlage für diesen Vertrag entfallen
Parl. Staatssekretär Horst Günther
ist, neue Verhandlungen mit dem Arbeitgeber zu führen.
Auch für die Fragen 9 und 10 ist schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl wird die Fragen beantworten.
Für die Fragen 11 und 12 ist schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Also kommen wir zur Frage 13 des Abgeordneten Klaus Hagemann:
Wie reagiert die Bundesregierung auf Pressemitteilungen in der „Allgemeinen Zeitung" Ausgabe Alzey, vom 1. April 1996, daß nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Dänemark sich im Raps eingepflanzte Gene übertragen können, daraus Ackerunkräuter mit einer Resistenz auch gegen das Herbizid „Basta" resultieren und dadurch extrem zähe „Superunkräuter" entstehen?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Hagemann! Raps ist von Natur aus zu etwa einem Drittel fremdbestäubend. Die Möglichkeit einer Kreuzung mit weiteren Arten innerhalb dieser Pflanzenfamilie ist bereits seit langem bekannt und wird auch zum Beispiel züchterisch genutzt.
Bei der Risikobewertung der gentechnisch veränderten Pflanzen zum Zwecke der Freisetzung und des Inverkehrbringens werden die sich aus diesem Umstand möglicherweise ergebenden Folgen berücksichtigt. Als „schlimmste Folge" einer eventuellen Übertragung der Herbizidresistenz auf verwandte Unkräuter ist denkbar, daß sich das Herbizid „Basta" nicht mehr verkaufen läßt, weil es insoweit unwirksam ist.
Wenn bestimmte Herbizide nicht mehr wirksam sind, werden andere bereits vorhandene angewandt. Es entsteht also kein unbekämpfbares Unkraut. Risiken für Mensch oder Umwelt - auf sie allein kommt es an - ergeben sich daraus nicht. Der in der Frage dargestellte Sachverhalt führt daher nicht zu einer veränderten Bewertung von entsprechenden Vorhaben.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank für Ihre Auskunft. Aber können Sie verstehen, daß durch Ihre Informationen bzw. die, die in der Presse genannt worden sind, bei der Bevölkerung doch große Ängste entstehen, nämlich bei denen, die direkt betroffen sind, die in der Nachbarschaft der Versuchsfelder leben? Wie beurteilen Sie das? Wie können Sie da gegensteuern?
Herr Kollege Hagemann, diese Ängste werden durch nicht immer sachgerechte Darstellungen natürlich verständlich. Sie wissen aber, daß wir ein sehr strenges Gentechnikrecht haben und daß vor jedem Versuch das entsprechende Bundesinstitut mit seinen Experten ein unabhängiges Votum abgibt. Dabei gilt immer der Grundsatz, daß keine Gefahr für Umwelt und Mensch entstehen darf.
Sie erwähnten vorhin, Frau Staatssekretärin, daß sich das Produkt „Basta" dann wahrscheinlich nicht mehr verkaufen lasse. Inwieweit ist die Industrie schon darin einbezogen? Welche Gespräche mit welchen Ergebnissen haben stattgefunden?
Herr Kollege Hagemann, das kann ich Ihnen mündlich nicht beantworten; das würde ich Ihnen gerne schriftlich nachreichen.
Danke, Frau Staatssekretärin.
Wir verlassen diesen Geschäftsbereich und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr.
Für die Fragen 14, 15, 16 und 17 ist schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
Auch für die Frage 18 ist schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich begrüße den Staatsminister Helmut Schäfer zur Beantwortung der Frage 19 der Abgeordneten Dr. Barbara Hendricks:
Wie setzte sich der Kreis der Teilnehmer an der niederländisch-deutschen Konferenz am 21. März 1996 in Delft zusammen?
Die 1. Deutsch-Niederländische Konferenz, die am 21./22. März in Delft stattgefunden hat und auf eine gemeinsame Initiative von Bundesminister Kinkel und dem damaligen niederländischen Außenminister Kooijmans aus dem Jahre 1994 zurückgeht, befaßte sich mit dem Thema „Integration von Ausländern in die Gesellschaft".
Ungefähr 200 Deutsche und Niederländer nahmen an der Konferenz teil. Die Diskussionsteilnehmer - sämtlich in der Ausländerarbeit und -integration engagiert - zum Thema „Integration von Ausländern"
Staatsminister Helmut Schäfer
kamen aus den Bereichen Verwaltung, zum Beispiel Ausländerbeauftragte, Kultur, Medien, Soziales, Wirtschaft, Freizeit und Sport, Jugend und Ausbildung und Gesundheitsvorsorge.
Am ersten Konferenztag wurde parallel zur Hauptkonferenz vor allem von niederländischer Seite, aber unter Beteiligung von deutschen Experten eine Bilanz der deutsch-niederländischen Beziehungen gezogen. Teilnehmer waren insbesondere Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Medien, Wirtschaft sowie Erziehung und Ausbildung.
Eine Nachfrage? - Bitte.
Aus Teilnehmerkreisen von niederländischer Seite ist mir berichtet worden, daß es als ein gewisser Mangel angesehen worden ist, daß auf deutscher Seite sowohl der parlamentarische Bereich als auch der Bereich Wissenschaft und Kultur deutlich geringer besetzt gewesen sei als auf niederländischer Seite.
Frau Kollegin, das mag zutreffen. Aber es ist angesichts der starken Belastungen, die es für das Parlament und auch für Vertretungen der Regierungen ganz offensichtlich gibt, nicht immer ganz einfach, die Fülle von Konferenzen, die nahezu täglich stattfinden, so zu besuchen, daß wir uns mit dem ausländischen Partnerstaat immer einigermaßen ausgleichen können.
Ich würde es bedauern, wenn es so wäre, wie Sie sagen, glaube aber, es gibt keinen Anlaß zu der Vermutung, daß wir auf der Konferenz nicht zu guten Resultaten gekommen wären.
Könnten Sie mir dann vielleicht einmal nachtragen, Herr Staatsminister, wie viele Eingeladene aus welchen Bereichen - natürlich ohne Namensnennung - von deutscher Seite die Einladung nicht angenommen haben? Mit anderen Worten: Wie war der eingeladene Kreis, und wer hat dann wirklich von deutscher Seite teilgenommen?
Frau Kollegin, ich bin zwar bereit, so etwas zu tun; aber wenn wir jetzt damit anfangen, bei jeder internationalen Konferenz herauszusuchen, wer alles eingeladen war und nicht kommen konnte, dann werden dem Auswärtigen Amt, das ständig unter Kürzungen seiner Mittel leidet, ganz schöne Aufgaben zugemutet. Ich bin trotzdem bereit, das einmal feststellen zu lassen.
Ich weiß nicht, ob Sie auf mich abzielen. Auch ich war nämlich bei einer solchen Konferenz eingeladen, konnte aber nicht teilnehmen. Das war allerdings eine andere Konferenz, die kurz danach in Leiden stattfand. Sie sehen also, auch das passiert.
- Gut, ich gehe der Sache noch einmal nach. Ich bitte um Verständnis, daß ich die Einzelheiten dieser Vorbereitung jetzt nicht kenne.
Der deutsche Lenkungsausschuß war prominent zusammengesetzt: mit dem langjährigen Botschafter in den Niederlanden von der Gablentz, mit Frau Bundestagspräsidentin Süssmuth, mit Herrn Robert Leicht, mit Herrn Lademacher und Professor Dammeyer. Also, es gab eigentlich einen exzellenten Lenkungsausschuß. Ob er nun die falschen Leute eingeladen hat, die dann nicht kommen konnten, kann ich jetzt nicht sagen. Aber ich überprüfe das gern.
Wir kommen damit zur Frage 20 der Abgeordneten Dr. Barbara Hendricks:
Was sind die wesentlichen Ergebnisse dieser Konferenz?
Zu den wesentlichen Ergebnissen: Die Diskussionen der Teilnehmer aus beiden Ländern im Plenum und in den fünf Arbeitsgruppen - Ausländer in Öffentlichkeitsarbeit und Medien, Kunst und Kultur, Sport und Freizeit, Jugendliche zwischen Arbeitsmarkt und Ausbildung, Gesundheitsvorsorge - haben zu einem fruchtbaren Erfahrungsaustausch im Bereich der Integration von Ausländern geführt.Deutsche und Niederländer stellten fest, daß beide Gesellschaften trotz unterschiedlicher Ausgangslagen eine gemeinsame Aufgabe haben. Es ist zu erwarten, daß die Konferenz auch als Katalysator wirkt, das heißt, daß die dort geknüpften Kontakte zwischen den Experten aus Deutschland und den Niederlanden weiterverfolgt werden.Der bilaterale Teil der Konferenz sollte dazu dienen, einen Überblick über die zahlreichen deutschniederländischen Initiativen zu gewinnen. Das deutsch-niederländische Verhältnis als eigenständiges Thema soll auf der folgenden Konferenz nicht mehr zur Diskussion stehen. Mit den vielfältigen Einzelfragen und Problemen werden sich die zuständigen nationalen, regionalen und bilateralen Gremien weiter beschäftigen.Der deutsch-niederländische Dialog über gesellschaftspolitisch aktuelle und brisante Fragen soll durch jährliche, abwechselnd in einem der beiden Länder stattfindende Konferenzen intensiviert werden. Es ist vorgesehen, daß die 2. Deutsch-Niederländische Konferenz im Juni 1997 zu dem Thema „Zukunft der Arbeit" in Deutschland stattfinden wird.
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8626 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996
Staatsminister Helmut SchäferDie niederländischen Organisatoren beabsichtigen, einen schriftlichen Bericht über die Konferenz vorzulegen.
Danke, keine Zusatzfragen.
Dann kommen wir zur Frage 21 des Abgeordneten Norbert Gansel:
Welche Veränderungen ergeben sich für die deutsch-iranischen Beziehungen nach dem Besuch der EU-Troika im Nahen Osten?
Herr Kollege, wir setzen das Thema aus dem Auswärtigen Ausschuß fort. Ich darf sagen, daß uns die italienische Präsidentschaft mit Rücksicht auf die am Montag stattfindende Konferenz der Außenminister der Europäischen Union, auf der die Ergebnisse der Troika-Reise in den Iran bewertet werden sollen - deshalb ist die italienische Präsidentschaft auch nicht in der Lage, alle Ergebnisse bereits jetzt weiterzuleiten -, gebeten hat, die Sache nicht schon zuvor zu zerreden. Die Gesamtergebnisse möchte man am Montag vorlegen; anschließend sollen sie bewertet werden. Aus diesem Grunde liegt mir über die Ergebnisse kein zusammenhängender Bericht vor.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wird die italienische Präsidentschaft nur darüber berichten, was bei dem Besuch der Troika im Iran über die Haltung des Irans zum Terrorismus herausgefunden worden ist, oder wird es in Rom auch Beratungen über Reaktionen und Maßnahmen in bezug auf den Iran geben, wenn dieser weiterhin den Terrorismus verharmlost und fördert?
Es ist ganz zweifellos so, daß sich dieser Bericht nicht nur mit dieser einen Frage auseinandersetzen, sondern auf Grund des Besuches der Troika zusätzlich Antworten auf eine ganze Reihe von Fragen enthalten wird. - Es ist etwas ungünstig, wenn ich Sie nicht mehr sehe, Herr Kollege Gansel. Das ist im Augenblick etwas schwierig.
Das geht an die Kollegen, die dort stehen.
Es ist so, daß bei dieser Troika-Mission in den Iran natürlich eine ganze Reihe von Themen sehr kritisch angesprochen worden sind, also nicht nur die Frage des Terrorismus, die sehr wichtig ist, sondern beispielsweise auch der Friedensprozeß im Nahen Osten und die iranische Einstellung dazu. Es sind eine ganze Reihe sehr wichtiger Fragen angesprochen worden, die zurückzuführen sind auf die Vorbereitung dieser Troika-Reise nach sehr klaren und eindeutigen Stellungnahmen des Gipfels von Palermo.
Selbstverständlich wird man auch über neue Erkenntnisse sprechen müssen, die wir gerade im Auswärtigen Ausschuß diskutiert haben. Man wird auf dieser Konferenz überlegen müssen, welche Schlußfolgerungen aus den Erkenntnissen und den Ergebnissen der Troika-Mission zu ziehen sind, genauer gesagt, inwieweit und wie sich unsere Politik gegenüber dem Iran fortsetzt.
Herr Staatsminister, da ja terroristische Aktivitäten und terroristische Anschläge - ich erinnere an das Mykonos-Attentat in Berlin, ich erinnere an Anschläge in der Schweiz und in Frankreich, die auf eine iranische Urheberschaft hindeuten - die einzelnen europäischen Staaten unterschiedlich treffen und dieses ein Faktum ist, frage ich Sie, ob es in der Bundesregierung die Überlegung gibt, gegebenenfalls als Bundesrepublik und nicht nur im Verbund der Europäischen Union gegenüber dem Iran andere Saiten aufzuziehen, wenn es von der iranischen Regierung keine klare Verurteilung des Terrorismus und eine Unterbindung terroristischer Aktivitäten gibt.
Herr Kollege Gansel, es ist ganz klar, daß wir alle Erkenntnisse, alle neuen Erfahrungen, alle Hinweise und möglicherweise auch alle Beweise, die wir für solche Aktivitäten des Irans erhalten, nicht nur prüfen, sondern anschließend überlegen müssen, zu welchen Konsequenzen wir entschlossen sind. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß das alles stichhaltig ist, daß es bewiesen wird.
Man darf auch die Frage stellen: Was wäre die Alternative, wenn Sie, wie Sie gerade gesagt haben, andere Saiten im Verhältnis zum Iran aufziehen wollten? Sie müssen sich natürlich politisch genau überlegen, was Sie dann tun wollen: Wollen Sie den Iran isolieren? Wollen Sie ihn mit einer Sanktion bestrafen? Wollen Sie durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen das Verhältnis zum Iran ganz beenden?
Wir müssen bei solchen Überlegungen natürlich auch bedenken, welche möglichen Folgen so weitgehende Schritte auch im Hinblick auf Terrorismus und andere Dinge haben könnten. Es stellt sich oft die Frage, ob ein isolierter Staat nicht möglicherweise gefährlicher ist als einer, mit dem man noch immer im Dialog steht, auch wenn dieser an Deutlichkeit nichts übriglassen darf.
Die Fragen 22 und 23 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Danke, Herr Staatsminister.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8627
Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerZur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Lintner zur Verfügung.Die Fragen 24 und 25 sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Damit kommen wir zur Frage 26 des Abgeordneten Johannes Singer:Treffen Agenturmeldungen vom 21. März 1996 zu, daß eine großangelegte Aufklärungskampagne gegen die Designerdroge Ecstasy von der Bundesregierung beabsichtigt ist, die ähnlich der gemeinsam mit Sportlern organisierten Kampagne „Keine Macht den Drogen" gestaltet werden soll, obwohl doch diese Aktion von Fachleuten immer höchst umstritten war ?Bitte.
Sehr geehrter Herr Kollege Singer, die Antwort lautet: Auf Grund der verschiedentlich an mich herangetragenen Absicht von Discothekenbetreibern und -verbänden, spezielle EcstasyPräventionskampagnen in ihren Einrichtungen durchführen zu wollen, habe ich mich bereit erklärt, für ein derartiges Engagement die Schirmherrschaft zu übernehmen.
Da zur inhaltlichen Konzeption der Kampagne zur Zeit noch Abstimmungsgespräche geführt werden, wäre es verfrüht, heute schon konkrete Aussagen über die nähere Ausgestaltung und den Umfang zu treffen.
Mit dem Hinweis auf die Kampagne „Keine Macht den Drogen" war dementsprechend kein inhaltlicher Vergleich beabsichtigt. Vielmehr sollte ein Beispiel gegeben werden, wie Drogenprävention durch das Zusammenwirken mit gesellschaftlichen Kräften gestaltet werden kann.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, der Formulierung meiner Frage können Sie sicherlich entnehmen, daß es mir auch um die Bewertung der Expertise des Instituts für Therapieforschung in München geht, das von der Bundesregierung beauftragt worden ist.
Wie bewertet die Bundesregierung - das heißt im Augenblick Sie und nicht der Bundesminister für Gesundheit - erstens die Ratschläge dieses Instituts, wonach Kampagnen wie „Keine Macht den Drogen" im günstigsten Falle wirkungslos sind, im schlimmsten Falle das Gegenteil von dem erreichen, was sie erreichen sollen? Zweitens geht es darum, daß man sich heute in der Fachwelt einig ist, daß eine suchtstoffspezifische Prävention nichts bringt.
Herr Kollege Singer, es wird Sie nicht wundern, wenn ich darauf hinweise, daß wir im einzelnen doch etwas unterschiedlicher Meinung sind. Man darf die Präventionskampagne „Keine
Macht den Drogen" sicher nicht überfordern. Sie trägt aber dazu bei, daß ein allgemeines Problembewußtsein innerhalb der Gesellschaft hinsichtlich der Suchtproblematik aufrechterhalten wird. Insofern ist sie eine wertvolle Aktivität, die ich nicht missen möchte.
Außerdem, so darf ich Ihnen sagen, ist eine der Miseren, mit denen wir zu kämpfen haben, derzeit die Tatsache, daß die Jugendlichen beispielsweise viel zu wenig über die Schädlichkeit und Gefährlichkeit von Ecstasy aufgeklärt sind. Dazu bedarf es zusätzlicher Anstrengungen der Aufklärung. Da ist insbesondere auch an eine Aktivität in einem solchen Rahmen gedacht.
Zweite Zusatzfrage.
Darf ich Sie so verstehen, daß das, was Professor Bühringer im Auftrag der Bundesregierung in seiner Expertise festgestellt hat, von Ihnen nicht geteilt wird? Denn er schreibt, man solle mit dem Einsatz von Prominenten als Verbreiter der Botschaft vorsichtig sein, weil zum einen die Person durch ihre große Popularität zu sehr im Vordergrund stehe, so daß die Nachricht dahinter verschwinde, und zum anderen die Popularität auch sehr schnell sinken könne. Weiter schreibt er, daß Jugendliche und Erwachsene diesen Persönlichkeiten, also zum Beispiel prominenten Sportlern, eher mit Argwohn begegneten, da man ihnen entweder unterstelle, nur an der Kampagne teilzunehmen, weil sie dafür bezahlt würden, oder annehme, daß sie sogar selbst zu den Drogenkonsumenten gehörten.
Herr Kollege Singer, die Einwände sind nicht neu; sie sind schon mehrfach vorgetragen und auch debattiert worden. Insgesamt handelt es sich natürlich um ein Instrument, das nur mit großer Sorgfalt eingesetzt werden kann. Ich sage aber noch einmal: Ich möchte die Unterstützung durch Prominente, in diesem Fall durch Sportler, bei dem Kampf gegen Sucht nicht missen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Enkelmann.
Herr Staatssekretär, beabsichtigen Sie auch eine Aufklärungskampagne gegen die Volksdroge Alkohol oder die Droge Tabak?
Frau Kollegin, solche Aufklärungskampagnen gibt es bereits. So darf ich Sie etwa darauf verweisen, daß die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine ganz allgemeine Antisuchtanstrengung beispielsweise unter der Bezeichnung „Mach Kinder stark" unternimmt. Außerdem darf ich noch darauf hinweisen, daß auch gegen die Gefährdung durch Alkohol und Nikotin seit vielen Jahren entsprechende Aktivitäten unternommen
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
werden. Insofern brauchen wir nichts Neues in Gang zu setzen. Wir können vielmehr darauf verweisen, daß wir Entsprechendes schon längst tun.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Hagemann.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben erwähnt, daß die Jugend nicht ausreichend über die Gefährlichkeit der Designerdroge Ecstasy aufgeklärt sei. Welche Bemühungen, welches Programm hat die Bundesregierung eingeleitet, damit eine Aufklärung erfolgen kann?
Herr Kollege, es gibt zahllose Aktivitäten in dieser Richtung, unter anderem auch meine eigenen Stellungnahmen
bei jedweder Gelegenheit in der Öffentlichkeit. Darüber hinaus gibt es Broschüren, die auf örtlicher Ebene vorgestellt worden sind und verteilt werden. Alles kann ich Ihnen aus dem Stegreif gar nicht aufzählen. Wir haben es bei der Prävention mit einem Feld zu tun, bei dem, so lange es Süchtige gibt, immer gesagt werden kann: Es ist noch zuwenig getan worden.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Gansel.
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege, wie hoch die Wahlspenden von Schnapsfabrikanten an die CSU sind und zu welchem Zweck sie geleistet werden?
Herr Kollege Gansel, wenn Sie zunächst einmal in Ihrer eigenen Parteikasse nachsehen, bin ich bereit, diese Anregung auch an die CSU weiterzugeben.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Wolf.
Herr Staatssekretär, Sie sagten gerade, Aktivitäten gebe es viele. Unterstützen Sie denn die Aktivitäten Ihrer Parteikollegin Petra Roth, der Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt, die eine sehr erfolgreiche Drogenpolitik von Rot-Grün übernommen hat und fortsetzt?
Frau Kollegin, Sie wissen, daß Frau Roth das Programm, das Sie meinen - die Fixerstuben -, übernommen hat und daß diese Einrichtung aus einer Zeit stammt, in der Frau Roth noch nicht Oberbürgermeisterin von Frankfurt war. Sie wissen auch, daß ich ungeachtet der Tatsache, daß diese Fixerstuben weiterhin in Frankfurt betrieben werden, der Meinung bin, es handelt sich um eine illegale Aktivität, daß aber das Justizministerium des Landes Hessen, gestützt auf ein Gutachten, das in den eigenen Reihen gefertigt worden ist, die Meinung vertritt, das Programm sei durch das Betäubungsmittelgesetz nicht verboten. Daß ich diese Meinung nicht teile, habe ich mehrfach dargetan. Daran hat sich nichts geändert.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann kommen wir zur Frage 27 des Abgeordneten Norbert Gansel:
Wie ist der Stand der Vorarbeiten der Bundesregierung zu Gesetzesänderungen bei der Rechtsstellung der Bundesminister und der Parlamentarischen Staatssekretäre, mit denen Mehrfachbezüge aus öffentlichen Kassen geregelt bzw. abgeschafft werden sollen?
Herr Kollege Gansel, die Frage bezieht sich offenbar auf die Prüfung der Bundesregierung, ob und welche Konsequenzen sich aus der strukturellen Neuordnung des Übergangsgeldes und der Altersentschädigung der Abgeordneten des Bundestages für die Bezüge der Mitglieder der Bundesregierung und der Parlamentarischen Staatssekretäre ergeben. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sieht die Bundesregierung in Anbetracht der von ihr vorgeschlagenen Kürzungen beim Kindergeld, bei der Sozialhilfe, bei den Renten und bei anderen Sozialleistungen die Notwendigkeit, einen Mißstand abzubauen, der darin besteht, daß Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre, die dieses Amt verlieren, aber normale Abgeordnete bleiben, also nach ihren Ministergehältern von mehreren hunderttausend Mark im Jahr auf die schmale Kost eines Bundestagsabgeordneten mit sage und schreibe nur 150 000 DM im Jahr gesetzt werden,
weiterhin jährliche zusätzliche Zuwendungen - Übergangsgelder - erhalten, die pro Kopf mehrere hunderttausend Mark betragen? Hält die Bundesregierung diesen Mißstand, den man in Anbetracht der sonstigen Kürzungsvorschläge nur als zynisch bezeichnen kann, etwa in ihrem eigenen Interesse für nicht änderungswert?
Herr Kollege Gansel, ich darf erstens feststellen, daß es sich dabei um eine Regelung handelt, die der Deutsche Bundestag meines Wissens mit allen Stimmen so beschlossen hat.
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
- Ja, das mag schon sein. - Zweitens darf ich feststellen, daß man nicht davon reden kann, daß in allen Fällen mehrere hunderttausend Mark gezahlt werden. Vielmehr ist das individuell höchst unterschiedlich, weil es auf die Zeit der Angehörigkeit zur Bundesregierung ankommt. Drittens darf ich mit den Worten des Finanzministers antworten, der gesagt hat, es gebe keine Tabus bei der Diskussion um Sparmöglichkeiten.
Sind Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bereit, mir zu versprechen
- man kann doch danach fragen; es gibt ja auch Versprechen der Regierung, die möglicherweise gehalten werden; diese Naivität leiste ich mir -,
daß Sie sich in der Bundesregierung und in Ihrer Fraktion dafür einsetzen werden, daß ein Gesetz geändert wird, das in Anbetracht der augenblicklichen Sparappelle, auch Sparnotwendigkeiten, und der Einschnitte in Sozialleistungen ausgerechnet denen, die die größte Verantwortung dafür tragen, Privilegien einräumt, wie es sie sonst nirgendwo in unserem Staat gibt? Sind Sie bereit, initiativ zu werden, um diesen Mißstand durch eine Gesetzesinitiative der Bundesregierung zu ändern, wie es uns der Kollege Scheu aus der CDU/CSU-Fraktion bei der Debatte über die Abgeordnetendiäten vor einem halben Jahr unter Berufung auf Briefe der Bundesregierung angekündigt hat?
Herr Kollege Gansel, ich muß zunächst einmal Ihrer Äußerung entschieden widersprechen, daß es sich um Privilegien handeln würde, wie es sie sonst nirgends in unserem Staat gibt. Es könnte jetzt ein großer Katalog von Regelungen vorgelegt werden, die ähnlich gestaltet sind - übrigens auch in der Privatwirtschaft -
und die in der Angemessenheit der Verantwortungsbereiche deshalb auch das rechtfertigen, was bisher geltendes Recht für Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre ist.
Zweitens. Ich bin jederzeit bereit, alles zu unterstützen, was für die Abschaffung ungerechtfertigter Privilegien geeignet ist.
Für die Fragen 28 und 29 wird um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Norbert Lammert zur Verfügung.
Auch für die Fragen 30 und 31 wird um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zur Frage 32 des Abgeordneten Roland Kohn:
Welche protektionistischen Maßnahmen, die den Import von Gütern und Waren in die Europäische Union behindern, beschränken oder begrenzen, sind auf Grund von Entscheidungen der Europäischen Union gegenwärtig in Kraft, und inwieweit sind hiervon Entwicklungsländer betroffen?
Herr Kollege Kohn, im Zusammenhang mit der Schaffung des europäischen Binnenmarktes und den multilateralen Handelsverhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde wurden die bis zu diesem Zeitpunkt in der Tat bestehenden nationalen mengenmäßigen Beschränkungen der einzelnen Mitgliedstaaten gegenüber Drittländern beseitigt und die Zölle weiter reduziert. Die Importe in die Europäische Union wurden damit bis auf wenige Ausnahmen liberalisiert.
Beschränkungen des Imports in die EU bestehen im gewerblichen Bereich durch die sogenannten China-Kontingente, im Textil-, Stahl- und Automobilbereich sowie bei bestimmten Agrarprodukten. Entwicklungsländer sind bei den bestehenden Maßnahmen nur im Textil- und Agrarbereich betroffen. Der Grad ihrer Betroffenheit ist naturgemäß von Land zu Land und nach den verschiedenen Produktkategorien im Textil- und Bekleidungssektor bzw. den einzelnen Agrarprodukten unterschiedlich.
Andererseits muß darauf hingewiesen werden, daß der Textil- und Bekleidungs- sowie der Agrarsektor vom Allgemeinen Zollpräferenzsystem der Europäischen Union erfaßt sind. Durch die autonome Aussetzung oder Reduzierung der Zölle im Rahmen des Allgemeinen Zollpräferenzsystems für bestimmte Textil- und Bekleidungs- sowie Agrarprodukte wird der Marktzugang innerhalb der Mengenbeschränkungen für Entwicklungsländer erleichtert.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Entschuldigung, daß ich Ihnen den Rücken zuwende, aber die Weisheit des Architekten läßt keine andere Möglichkeit zu.
Die Frage, die ich an Sie richten möchte, lautet: Kann die Bundesregierung beziffern, welche Wachstumsverluste in Entwicklungsländern durch Handelsbeschränkungen in der Europäischen Union entstehen?
Ich zögere deswegen mit der Antwort, Herr Kollege Kohn, weil ich mir zwar eine Bezifferung vorstellen könnte, aber gegenüber jeder denkbaren Bezifferung sofort eine Reihe von Vorbehalten anmelden müßte, weil man naturgemäß mit vielen Annahmen gleichzeitig arbeiten muß,
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
die man in einen vergleichsweise willkürlichen Saldo bringt.
Richtig ist sicher - das verstehe ich als den harten Kern Ihrer Frage -, daß sich in den Entwicklungsländern aus vorhandenen, wenn auch gegenüber der Vergangenheit deutlich liberalisierten Importbeschränkungen Wachstumseinbußen ergeben; in den jeweiligen Ländern in unterschiedlicher Höhe. Richtig ist ebenso - danach haben Sie nicht ausdrücklich gefragt, aber dieser Zusammenhang ist auch evident -, daß das, was man durch Importbeschränkungen an ökonomischen Belastungen zu ersparen glaubt, im Zweifelsfall mindestens auf dem Wege von Entwicklungshilfeanstrengungen kompensiert werden muß.
Herr Staatssekretär, meine zweite Frage lautet: In den nächsten Monaten stehen ja grundlegende europapolitische Weichenstellungen an. Welchen Stellenwert hat für die Bundesregierung im Rahmen dieser Gesamtkonzeption das Ziel der Beseitigung der bestehenden Handelshemmnisse insbesondere für Entwicklungsländer?
Herr Kollege Kohn, Sie haben meiner vorherigen Antwort schon entnehmen können, daß wir auf eine möglichst weitgehende Beseitigung noch vorhandener Importregelungen großen Wert legen. Für einige der bestehenden Importbeschränkungen, die ich Ihnen gerade genannt habe, gilt übrigens, daß die Bundesregierung Vereinbarungen, soweit diese im europäischen Zusammenhang stehen, nur zugestimmt hat, wenn damit gleichzeitig die Aufgabe vorhandener nationaler Beschränkungen verbunden war bzw. wenn gleichzeitig die befristeten Vereinbarungen für bestimmte Zeitpunkte erneut zur Disposition gestellt werden. Daran mögen Sie erkennen, daß wir mit Blick auf die von mir vorgetragenen bestehenden Importregelungen deren regelmäßige Überprüfung nicht nur für geboten halten, sondern im Regelfall auch sichergestellt haben.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zur öffentlichen Aufforderung in der Tageszeitung „taz" am 12. April 1996 zur Schienendemontage beim Atomkraftwerk Gundremmingen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Guido Westerwelle.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn zwei Abgeordnete des Deutschen Bundestages öffentlich dazu aufrufen, Schienen zu demontieren, dann ist das ein Skandal, mit dem sich der Bundestag zu befassen hat.
Es ist nicht die Aufgabe dieses Hauses, eine rechtliche Würdigung dieses Vorgangs vorzunehmen. Das werden die Justizbehörden der Länder zu erledigen haben.
Die politische Würdigung dieses Vorganges aber gehört eindeutig in den Deutschen Bundestag.
Wie will jemand glaubwürdig Rechtstreue vermitteln, wenn er selbst öffentlich zu Straftaten und Gewalt auffordert? In dem Aufruf vom vergangenen Freitag in der Tageszeitung „taz" heißt es wörtlich:
Um hochradioaktive Atommülltransporte nach Gorleben zu verhindern, um Menschen, Tiere und Natur zu schützen, rufen wir dazu auf, an diesem Tag gemeinsam die Schienen vor dem AKW Gundremmingen mit einfachen handwerklichen Mitteln gewaltfrei und festlich zu demontieren.
Dieser Aufruf ist übrigens in den renommierten Tageszeitungen „Frankfurter Rundschau" und „Süddeutsche Zeitung" nicht veröffentlicht worden, was diejenigen, die diesen Aufruf unterzeichnet haben, groteskerweise auch noch als eine Form von Zensur betrachtet haben.
Dieser Aufruf ist von folgenden Mitgliedern dieses Hauses unterzeichnet: Elisabeth Altmann von der Bundestagsfraktion der Grünen und Eva BullingSchröter von der Gruppe der PDS. Was unter „einfachem Handwerkszeug" zu verstehen ist, mit dem Schienen zu Leibe gerückt werden soll, wird auf der gegenüberliegenden Seite dieses Aufrufes mit einem Bild erläutert. Es zeigt das Zersägen von Schienen, das ausführlich geschildert und als ein Erfolg gefeiert wird.
Welches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit haben diejenigen, die zu Gewalt aufrufen? Wer Schienen zersägt, wendet nicht nur - das ist schlimm genug - Gewalt gegen Sachen an, er nimmt auch die Gefährdung von Menschen in Kauf, meine Damen und Herren.
Wenn der Rechtsstaat durch seine Institutionen und die Gerichte Transporte erlaubt, dann ist es kein legitimes Mittel der Politik, Schienen zu zersägen. Was muten Sie eigentlich den Polizeibeamten zu, von denen wir verlangen, daß sie Recht und Gesetz durchsetzen, wenn Abgeordnete dieses Hohen Hauses zum Rechtsbruch und zur Gewalt aufrufen?
Welches Verständnis eines freiheitlichen Rechtsstaats steckt dahinter? Und wundert es denn, daß wir
Dr. Guido Westerwelle
dann nicht nur einen solcher Fälle zu beklagen haben, sondern daß auch Schaltkästen demontiert und beschädigt und Wurfanker auf die Leitungen geworfen werden? All das ist ein Teil der Serie, die wir hier zu beklagen haben.
Freiheitlicher Rechtsstaat bedeutet nicht nur die Gebundenheit staatlichen Handelns an das Gesetz; der Rechtsstaat ist eben auch jener Staat, der die Freiheitsrechte anderer schützt. Es gibt kein Freiheitsrecht, aus politischen Gründen mit Gewalt gegen das Eigentum anderer vorzugehen.
Wenn Abgeordnete des Deutschen Bundestages gegen Transporte politisieren, demonstrieren und Initiativen im Parlament einbringen, ist das ihr gutes Recht. Gewalt aber darf niemals Mittel der Politik werden. Wer zu Gewalt als Mittel der Politik aufruft, stellt sich außerhalb des demokratischen Grundkonsenses, stellt sich außerhalb des demokratischen Rechtsstaats.
Die Fraktion der Freien Demokraten fordert die Mitglieder dieses Hauses Frau Altmann und Frau Bulling-Schröter auf, sich wenigstens jetzt hier von diesem Aufruf zu distanzieren. Wir fordern die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Gruppe der PDS auf, in diesem Hause eindeutig zu erklären, daß Sie mit diesem Vorgehen Ihrer Parteikolleginnen nicht einverstanden sind.
Der Aufruf zur Gewalt ist keine Kleinigkeit, nach der man einfach zur Tagesordnung übergehen könnte. Wer Politik verändern will, mag dies über die demokratischen Institutionen unseres Rechtsstaates betreiben. Wer aber das Faustrecht zuläßt oder es predigt, hat mit der Rechtsstaatlichkeit nichts am Hut.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eckhart Pick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nach den Ausführungen des Kollegen Westerwelle immer noch nicht ganz verstanden, warum diese Anzeige in der „taz" vom 12. April 1996 zum Anlaß genommen wird, über die Frage der Rechtsstaatlichkeit zu sinnieren.
- Auch ich habe diese Anzeige gelesen, und ich muß sagen: Ich hatte einen sehr zwiespältigen Eindruck, als ich sie gelesen hatte. Es war eine sehr seltsame Mischung aus Ironie - vielleicht habe ich nur sehr persönlich das so empfunden - und - so könnte man es immerhin auslegen - der Aufforderung zu Straftaten. Das ist sicher ein Vorgang, den wir nicht billigen können. Da stimmen wir überein.
Auf der anderen Seite vermisse ich bei Ihnen jede differenzierende und differenzierte Beurteilung. Der Vorgang ist ja komplexer, als er eben dargestellt worden ist. Es ist eine Anzeige, zu der sich einige Personen bekannt haben, die zu einem Tun aufgefordet haben, das wir hier mißbilligen. Auch ich mißbillige das. Auf der anderen Seite berührt diese Frage auch die Pressefreiheit.
Denn es gibt eine Verantwortung auch der Redaktion, zum Beispiel dahin gehend, welche Anzeigen sie zuläßt oder nicht. Insofern ist hier auch eine Verantwortlichkeit der Presse gegeben und nicht nur der Kolleginnen und Kollegen.
- Es gibt eine Eigenverantwortung der Redaktion und des verantwortlichen Herausgebers. Das können Sie in jedem Pressegesetz nachlesen. Ich empfehle Ihnen einmal die Lektüre des Berliner Pressegesetzes. Da steht das nämlich zum Beispiel drin. Das dürfte auch hier anzuwenden sein.
Ich will nur darauf hinweisen, daß es eben nicht nur um die Frage geht, wer und in welcher Weise seine Auffassung kundtun kann - das ist eine Frage der Meinungsfreiheit -, sondern auch darum, wie wir mit der Presse umgehen. Denn diese Anzeige ist in einem Presseorgan erschienen. Ich habe den Verdacht, daß es Ihnen in diesem Punkt auch darauf ankommt, eine Ihnen etwas mißliebige Presse zu disziplinieren. Das kann ich nicht akzeptieren.
Sie haben allerdings erreicht, der „taz" rechtzeitig zum 17. Geburtstag zu Schlagzeilen verholfen zu haben. Die Redaktion wird Ihnen das sicher danken.
Dieser Antrag, Herr Westerwelle, sagt auch etwas über den derzeitigen Gemütszustand der F.D.P. aus, so meine ich;
denn es ist deutlich, daß Sie hier einem Klima das Wort reden, das Disziplinierung heißt, das die Presse und die öffentliche Meinung zu disziplinieren versucht. Ich weiß nicht, ob das mit Ihren liberalen Grundsätzen übereinstimmt.
Dr. Eckhart Pick
Ich will deutlich machen, daß wir die Aufforderung zu Straftaten mißbilligen. Daran soll gar kein Zweifel bestehen. Das habe ich am Anfang gesagt.
Ich will aber auch deutlich machen, daß ich dafür bin, die Nöte der Menschen, die hierbei zum Ausdruck kommen, ernst zu nehmen. Diesen Schnellschuß hätte ich mir für wirklich wichtige Fragen unserer Gesellschaft und unserer Politik gewünscht. Da hätten Sie genauso schnell reagieren sollen wie in diesem Fall. Insofern wünschte ich mir, Sie hätten diesen Vorgang zum Anlaß genommen, mit den betroffenen Menschen zu diskutieren, zumindest den Versuch dazu zu unternehmen. Daß Sie das auf diese Weise tun, bedauere ich, weil es zeigt, daß Sie überhaupt kein Interesse an der Diskussion mit den Betroffenen haben und daß Sie die Ängste dieser Menschen nicht ernst zu nehmen bereit sind.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Gerd Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Pick, Ihre Differenzierung führt in den Wald. Unter Demokraten sollte klar sein: Wir distanzieren uns von Gewalt gegen Sachen und von Gewalt gegen Personen. Darüber gibt es überhaupt keine Diskussionen.
Zur Pressefreiheit möchte ich Ihnen sagen - auch da sollte Klarheit bestehen -: Es kann nicht akzeptabel sein, daß Organe zu Straftaten auffordern. Das fällt nicht unter Pressefreiheit. Für ein solches Vorgehen von Organen habe ich kein Verständnis.
Die einen kämpfen für den Erhalt des Standorts Bundesrepublik Deutschland, und die anderen denken darüber nach, wie sie den Standort demontieren können: Bündnisgrüne und PDS. Gundremmingen - um es einmal auf den Punkt zu bringen - gehört zu den ältesten und zu den sichersten Kernkraftwerkstandorten in Deutschland. Die Bürger vor Ort wissen dies. SPD und Grüne vor Ort distanzieren sich, Herr Pick, klar und eindeutig von diesen Kampagnen und diesen Bündnissen.
Das Rechtsempfinden des einfachen Bürgers sollte eigentlich auch unter den Abgeordneten dieses Hauses selbstverständlich sein. Deshalb unterstütze ich das, was Herr Westerwelle gesagt hat.
Frau Bulling-Schröter und Frau Altmann, distanzieren Sie sich von diesem Aufruf zu einer Gewalt- und Straftat! Ihre Demonstrationsanzeige lautet:
Weil ihr das Leben mißachtet und weil uns kein Gesetz dagegen schützt, müssen wir uns wehren.
Ich hätte mir gewünscht, daß Sie mit diesem Transparent auf die Straße gegangen wären, um gegen den Tod und Terror im früheren Jugoslawien zu demonstrieren. Wo waren da Ihre Friedensmarschierer, wenn es Ihnen tatsächlich um den Schutz des Lebens geht?
Frau Bulling-Schröter, zu Ihnen von der PDS möchte ich sagen: Es stinkt doch zum Himmel, wenn Sie zusammen mit den Bündnisgrünen zu einer Gewaltdemo gegen die Energiepolitik in unserem Land aufrufen - Sie, die die stinkenden und gefährlichen Kraftwerksdreckschleudern der SED zu verantworten haben, Sie von der PDS, die sich in die Parteitradition des Stasisystems stellen!
Ich bin sehr erstaunt, daß Aktionsbündnisse von PDS über Bündnisgrüne bis hin zu Gewerkschaften deutlich werden.
Ihre Demoanzeige lautet weiter:
Schienen werden abgebaut, weil für uns das Leben ein höheres Gut ist als Eigentum.
Wo, so frage ich Sie, ist für Sie die Grenze der Gewalt? Gewalt gegen Sachen? Gewalt gegen Personen? Schienen ansägen ist doch nur der Anfang. Sind Steine gegen Polizisten erlaubt? Gestern abend gab es sechs Brandanschläge in Gorleben. Oder darf noch mehr passieren? Wo ziehen Sie die Grenze?
Ich denke in dieser Stunde auch zehn Jahre zurück, an den Anschlag gegen Beckurts und seinen Fahrer. Das ist der geistige Boden. Ich danke den jungen Polizistinnen und Polizisten, die sich dem entgegenstellen.
Die Demonstrationen in den vergangenen Jahren haben doch gezeigt: Wer Gewalt gegen Sachen legitimiert, wird Gewalt gegen Personen bekommen; das können Sie überhaupt nicht gegeneinander abgrenzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle noch eine Frage - auch die muß erlaubt sein -: Wer kommt eigentlich für den Schaden in Millionenhöhe auf? Der einfache Bürger vor Ort hat darauf eine klare Antwort - und da stelle ich mich ganz hinter den einfachen Bürger -: Wer wie Sie zu gewalttätigen Demonstrationen aufruft, hat auch die Kosten dafür zu tragen, notfalls aus der Parteikasse.
Wir legen Wert auf eine verantwortbare Energiepolitik. Die Kernenergie gehört dazu. Das Entsorgungskonzept ist klar und einvernehmlich beschlossen. Es werden höchste internationale Standards eingehalten; diese Tatsache ignorieren Sie. Es geht Ihnen um mehr als um Castor und Kernenergie. Es geht Ihnen um Zoff gegen diesen Staat. Sie wollen Angst und
Dr. Gerd Müller
Hysterie erzeugen. Sie nehmen Gewalt in Kauf, ja, Sie fordern öffentlich zu einer Straftat auf. Sie verlassen damit den Boden des Rechtsstaates. Dies ist inakzeptabel.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Rezzo Schlauch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, ich kann nachvollziehen, daß Sie die Wahlergebnisse auskosten. Nur, was mich dabei wundert, ist, daß Sie darüber offensichtlich vergessen haben, daß die Wahl - mit einem guten Ergebnis für Sie, zu dem ich Ihnen gratuliere - vorbei ist und es jetzt eigentlich darum geht, das umzusetzen, was wir in diesen Wahlkämpfen thematisiert haben.
Jetzt komme ich zur Sache: In der aktuellen Debatte geht es Ihnen in keiner Silbe um die Ursache des Protestes.
Es geht Ihnen nicht um die permanente hochgradige Gefährdung von Mensch und Umwelt durch die Atomwirtschaft.
Es geht Ihnen nicht - das ist sehr bezeichnend - um das Hin- und Hertransportieren von hochradioaktivem Material mit der damit verbundenen Gefährdung ganzer Regionen.
Das ist vor dem Hintergrund des zehnjährigen Jahrestages von Tschernobyl für meine Begriffe eine ungeheure Ignoranz.
Herr Westerwelle, es geht Ihnen auch nicht um das Recht und den Rechtsstaat. Wir wissen, daß Ihnen das Recht und der Rechtsstaat keine strafrechtliche Verfolgung, geschweige denn eine politische Diskussion wert ist. Wenn in der Vergangenheit beispielsweise rechtswidrige Lkw-Blockaden mit Solidaritätsbesuchen von Ministerpräsidenten der CSU, Herr Kollege Müller, beehrt und als Heldentaten geadelt worden sind,
wenn beispielsweise Stahlarbeiter im Ruhrpott Straßen und Autobahnen dichtgemacht haben, so daß nichts mehr ging,
wenn, Herr von Stetten, beispielsweise Bauern nach Ausbruch der Schweinepest in Niedersachsen und Bayern Autobahnen blockiert und ein Verkehrschaos produziert haben, hat der politische Raum vornehm geschwiegen, und die Strafverfolgungsbehörden sind untätig geblieben. Pharisäer! Pharisäer!
Wenn es umgekehrt darum ging, Sitzblockierer der Friedens- und Umweltbewegung mehr als ein Jahrzehnt wegen Bagatelldelikten gnadenlos zu verfolgen, dann standen alle auf der Matte - bis, Gott sei Dank, das Bundesverfassungsgericht diesem juristischen und politischen Eiferertum endgültig das Handwerk legte.
Bei der geplanten Aktion handelte es sich eindeutig um eine Form des zivilen Ungehorsams mit überwiegend symbolischem Charakter.
Herr Westerwelle, Sie haben hier den Eindruck erweckt, als sei das das Gleiche, als wenn Anker in Hochleitungen geworfen werden. Die Unterzeichner haben Ort und Zeit und das, was sie tun, angekündigt. Sie haben Flugblätter mit diesen Angaben an die Polizei verteilt.
Das ist doch wohl etwas ganz anderes. Von gefährlichem Eingriff, Herr Kollege und Einser-Jurist Scholz, kann überhaupt keine Rede sein.
Der Aufruf zu dieser Schienendemontage ist - auch diesen Eindruck haben Sie, Herr Westerwelle, hier erweckt - keine Initiative der Bundestagsfraktion oder der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Er ist einzig und allein eine Entscheidung von einer Abgeordneten unserer Fraktion.
- Hören Sie doch auf mit Ihrem blöden Distanzieren!
Sie allein übernimmt die Verantwortung. Für die Fraktion, die diesen Aufruf nicht unterschrieben hat, die ihn nicht unterstützt hat, gibt es keinerlei Anlaß, sich zu distanzieren. Sie wissen: Wir lehnen Gewalt als politisches Mittel ab.
Wir wissen zwar, Herr Westerwelle und meine Damen und Herren von der F.D.P., daß Sie sich mit Ihrer programmatischen Abkehr von der Verteidigung eines liberalen, freiheitlichen - Betonung: freiheitlichen - Rechtsstaats verabschiedet haben.
Rezzo Schlauch
Aber, daß Sie sich ohne schuldhaftes Zögern, Herr Westerwelle, in die rechtsgewirkte, autoritäre Law-
and-order-Phalanx der von Stettens und von Stahls einreihen, ist für mich ein atemberaubender Vorgang.
Wenn niemand widersprochen hätte, wenn nicht Tausende von Demonstranten in Wyhl und Wackersdorf Ihren Wasserwerfern die Stirn geboten hätten, dann hätten wir heute Atommüll, an dem Sie erstikken würden.
So traurig es ist, Herr Westerwelle: Ohne Hausbesetzer hätten diese Republik und unsere Städte ein anderes Gesicht. Sie wären nicht so zu erkennen, wie sie zu erkennen sind. Ohne Friedensbewegung wären in diesem Land mit Sicherheit größere Raketensilos entstanden.
Es muß erst die nächste Katastrophe kommen; ohne mit der Wimper zu zucken, stellten Sie gestern die Warner vor PVC in die Ecke der Verweigerer.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Nach dem Düsseldorfer Unfall ist heute Schweigen im Walde. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden Ihnen nicht die Zukunftsgestaltung dieses Landes überlassen. Packen Sie solche Mätzchen, die Sie ausgepackt haben, wieder ein! Sie sind Ihrer unwürdig.
Das Wort hat die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Westerwelle, wie interessant dieses Thema für das Parlament ist, sieht man an der Präsenz Ihrer Kolleginnen und Kollegen. Das sollte man einmal klarstellen.
Herrn Müller möchte ich gern sagen: Sie beschimpfen uns immer als ehemalige Stasi. Sie müssen wissen, ich komme aus Bayern. In Bayern gab es außer Herrn Schalck-Golodkowski keine Stasi. Aber es gibt in Bayern nach wie vor einen Verfassungsschutz und einen Bundesnachrichtendienst, und wir im Westen dürfen unsere Akten immer noch nicht einsehen. Das zu Ihrer Information.
Die PDS steht natürlich in der Nachfolge der SED, dazu stehen wir auch. Wir waren eine Partei, die sich für Kernkraftwerke ausgesprochen hat. Aber wir haben aus unseren Fehlern gelernt, und ich denke, wir sollten auch dementsprechend handeln.
Um was geht es überhaupt? Da stehen in meinem Heimatland Bayern einige AKWs, und dort formiert sich Widerstand, genauso wie in Gorleben und anderen Standorten. Warum eigentlich?
Spätestens seit Tschernobyl wissen wir, welche Folgen Atomunfälle haben und wie Verstrahlung wirkt. Neuerdings versuchen ja einige sogar - wie letzte Woche in Wien -, die Anzahl der Opfer dieser Katastrophen in die Dimension einer Autobahn-Massenkarambolage zu rechnen. Aber das nützt nichts. Die Bevölkerung ist seit dem Super-GAU vor zehn Jahren sensibilisiert, und das wirkt sich sogar in Bayern aus, wie wir auch bei den Aktionen in Wackersdorf feststellen konnten. Jedesmal wurde der Widerstand kriminalisiert. Mit Wasserwerfern wurde dort gegen ortsansässige Metzger und Bäcker vorgegangen, der damalige Landrat verunglimpft und Wakkersdorf zur aufmüpfigsten Region erklärt. Es hat nichts genützt. Wackersdorf wurde nicht gebaut, und das ist gut so.
Worum geht es bei den Aktionen in Gundremmingen? Mit der Aktion „Ausrangiert" soll die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Risiken der Atomwirtschaft nach wie vor unverantwortbar sind, unverantwortbar für das Leben und die Umwelt derjenigen Menschen, die dort vor Ort wohnen, aber auch für die, die an Strecken wohnen, an denen der Castor-Transport vorbeiführt, unverantwortbar für jene, die dort leben müssen, wo die abgebrannten Brennstäbe wiederaufgearbeitet werden, und letztendlich für die, die am Zwischenlager wohnen. Die Menschen empfinden das so, und dann muß man das auch so sagen dürfen, auch im Parlament.
Die Argumente sind bekannt und oft genug wiederholt, doch Konsequenzen werden daraus nicht gezogen. Deshalb hat sich vor einigen Jahren auch in Gundremmingen eine Bürgerinitiative gegründet, die dort an jedem Sonntag eine Mahnwache hält. Nachdem diese Aktionen bis jetzt nicht zum beabsichtigten Erfolg geführt haben, wird jetzt auf andere Weise Widerstand geleistet. Mit handwerklichen Mitteln, absolut gewaltfrei, sollen Schienen demontiert werden - ich sage gleich noch etwas dazu -,
um auf die aktuellen Gefahren hinzuweisen, die vom AKW ausgehen. Die Beteiligten wissen natürlich, daß sie keine Züge aufhalten können. Sie sprechen sich vor jeder Aktion mit dem Landrat in Günzburg ab. An dieser Stelle möchte ich dem Polizeipräsidenten von Günzburg dafür danken, daß er immer Augenmaß und Verständnis für das Anliegen der Demonstrantinnen und Demonstranten gezeigt hat.
Eva Bulling-Schröter
Zu Beginn der Aktion wird meistens ein Gottesdienst abgehalten,
und die örtliche Bevölkerung nimmt daran teil,
wie auch am 3. März dieses Jahres ein Kreuz als Zeichen der Gerechtigkeit und der Achtung vor dem Menschen vor Ort aufgestellt wurde. Ja, meine Damen und Herren - Damen sind bei der CDU wieder nicht da -, bei einem solchen Gottesdienst waren Sie noch nie zu sehen.
- Ich habe aber die CSU gemeint und nicht Sie.
Natürlich würde niemand in Gundremmingen nur eine Schraube lockern, wenn im entferntesten zu befürchten wäre, daß dadurch Menschen in Gefahr gebracht werden. Auch das wissen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition. Wäre das nicht so, dann hätten die recht, die dann nach dem Staat und seinem Gewaltmonopol rufen. Nur: Das Gleis in Gundremmingen gehört dem AKW. Dort werden ausschließlich Güter transportiert. Kein einziger Mensch wird gefährdet, nicht einmal der Lokführer, denn die Aktionen werden bei Tage durchgeführt, und sie werden vorher angekündigt. Sie finden an Sonntagen statt, an denen keinerlei Transportverkehr stattfindet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ziviler Ungehorsam hat auch in der Bundesrepublik seine Traditionen, genauso wie in der Bürgerbewegung der DDR. Die haben Sie ja immer befürwortet. Richter blockierten Zufahrten zu Waffenlagern, wurden verurteilt und später dann doch freigesprochen. Sie sahen es als ihre staatsbürgerliche Pflicht an, mit ihrer Autorität zu zeigen, daß hier unmoralisch gehandelt wird, daß es notwendig ist, Flagge zu zeigen, wenn Rechte verletzt werden oder zukünftige Generationen ökologisch bedroht werden.
Letzter Satz: Die Menschen in Gundremmingen handeln aus den gleichen edlen Motiven. Sie haben den Eindruck, daß sich dieser Staat an ihren Lebensgrundlagen vergreift.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren und Herr Schlauch, ich finde, es sollte nicht von dem Anlaß abgelenkt werden, aus dem diese Aktuelle Stunde stattfindet.
Der Anlaß ist nicht die Energiepolitik der Bundesregierung, sondern der Anlaß ist ein Aufruf zu Gewalt, der eben von Abgeordneten aus den Reihen der PDS und der Grünen ausdrücklich und mit Hinweis auf diese Eigenschaft unterstützt worden ist. Dabei geht es auch nicht um einen Aufruf, der sozusagen nur symbolischen Charakter hat, Herr Kollege Schlauch. Vielmehr wird ganz konkret zum Tun, und zwar zu strafbarem Tun, aufgefordert. Das Ganze läßt sich auch nicht verharmlosend als „Widerstand" deklarieren oder blasphemisch verschleiern, wie Sie es gerade angedeutet haben. Vielmehr handelt es sich, meine Damen und Herren, um einen ernsten Vorgang von äußerster grundsätzlicher Bedeutung.
Tatsache ist jedenfalls, daß in einer Anzeige der „taz" eine sogenannte Mahnwache Gundremmingen für den 28. April 1996, einen Sonntag, nicht nur zu einer Demonstration vor dem Kernkraftwerk aufruft, sondern zugleich dazu auffordert, die Schienen vor dem Kraftwerk, wie es heißt, „gewaltfrei" - wie das passieren soll, müßte einmal vorexerziert werden - zu demontieren. Das hat - das ist von meinen Vorrednern schon herausgestellt worden - mit dem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit überhaupt nichts mehr zu tun.
Es handelt sich dabei, ungeschminkt gesagt, um einen unverhüllten Aufruf zur Begehung von Straftaten.
Solches Tun verhöhnt - so empfinden wir es jedenfalls - den geradezu lebensnotwendigen Konsens über Recht und Ordnung, ohne den es ein friedliches Zusammenleben in einem demokratischen Rechtsstaat gar nicht geben kann.
Besonders skandalös an diesem Vorgang ist, daß zwei Abgeordnete des Deutschen Bundestages den Aufruf unterschrieben haben. Dies ist aus meiner Sicht ein unverantwortliches Verhalten. Das mindeste, was man fordern muß, ist, daß sich die Betroffenen nachträglich von diesem Aufruf distanzieren.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß eine gesicherte Energiegewinnung und -versorgung für alle Bürger von größter und damit natürlich auch von nationaler Bedeutung ist. Logischerweise gehört dazu auch die Entsorgung der dabei entstehenden Abfälle. Die wiederum dazu notwendigen Transporte sind daher ein unverzichtbarer Teil des nationalen Entsorgungskonzeptes.
Diesen Transporten stellt sich nun eine kleine, aber leider gewaltbereite „Anti-Atomenergie-Szene" entgegen. Sie will diese Transporte mit allen Mitteln verhindern. Dabei beschränkt sie sich nicht, wie es allein rechtmäßig wäre, auf Demonstrationen, sondern
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
sie glaubt, sich auch gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr anmaßen zu können.
Daß das Ganze nicht so harmlos ist, wie hier dauernd dargetan wird, zeigen die Beispiele aus den bisherigen Aktivitäten dieser Szene. So wurden zum Beispiel Hindernisse auf Gleise gelegt, Sicherheitseinrichtungen der Bahn zerstört und Hakenkrallen in Oberleitungen gehängt. Dabei wurden Personenschäden und auch sehr hohe Sachschäden billigend in Kauf genommen oder sogar bewußt herbeigeführt.
Die nunmehr für das übernächste Wochenende vorgesehene demonstrative Aktion muß deshalb in diesem Kontext gesehen werden. Sie schließt sich an vergleichbare frühere gewalttätige Auftritte an, so zum Beispiel erst am vergangenen Sonntag in Dannenberg. Dort wurden aus einer Demonstration von zirka 1 000 Personen heraus Schienen angesägt, Bahnschwellen unterhöhlt, Schwellenschrauben gelöst und Zäune zerschnitten.
Außerdem wurden auf der Strecke Lüneburg - Dannenberg brennende Strohballen auf die Schienen gelegt und Gleise von vermummten Teilnehmern besetzt. Nur auf Grund der starken Präsenz der Polizei des Landes Niedersachsen und des Bundesgrenzschutzes konnten größere Beeinträchtigungen und schwerwiegende Sachbeschädigungen vermieden werden.
Es ist also für jedermann ersichtlich, daß derartige Aktionen üblicherweise nicht gewaltfrei verlaufen, was fälschlicherweise immer wieder behauptet wird.
Diese Aktionen sind vielmehr von vornherein darauf ausgerichtet, mit ganz erheblicher Brutalität kriminelle Handlungen zu begehen, um dadurch den Staat und seine Organe herauszufordern.
Ein derartiges, die Gemeinschaft zerstörendes Verhalten kann nicht hingenommen werden. Es läuft auf die Inanspruchnahme von Faustrecht hinaus und bereitet das Terrain generell für jene, die das Recht bewußt mißachten wollen. Das sollten Sie bei Ihren Überlegungen einmal in Rechnung stellen.
Meine Damen und Herren, das kann der Rechtsstaat aus einsichtigen Gründen nicht zulassen. Es kann sich im Rechtsstaat nicht jeder seinen eigenen privaten Gewalt- und Widerstandsbegriff zusammenbasteln, sondern jeder muß sich dem allgemeinen Gebot des friedlichen Zusammenlebens unterwerfen. Das gilt ganz selbstverständlich - und erst recht, finde ich - für Mitglieder dieses Hauses.
Gerade Sie als Bundestagsabgeordnete haben für Recht und Gesetz geradezustehen. Deshalb kann ich Ihnen die Aufforderung, sich öffentlich von dem Aufruf zum Begehen von Straftaten zu distanzieren, wirklich nicht ersparen.
Der Gipfel des Ganzen besteht darin, daß die „Mahnwache Gundremmingen", die per Anzeige, wie dargelegt, in einer Tageszeitung zu Straftaten aufruft, steuerrechtlich offenbar als gemeinnützig eingestuft ist. Wenn man bei der angegebenen Telefonnummer nämlich anruft, dann wird die Abzugsfähigkeit einer eventuellen Spende beteuert, zugleich aber darauf hingewiesen, das Vorhaben, das geplant sei, sei ziemlich - so wörtlich - „illegal".
Ich finde, auch das sollte Konsequenzen haben. Der zuständige Landesfinanzminister sollte daher meines Erachtens schnellstens die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für diesen Verein betreiben. Denn der Gedanke, daß man mit Hilfe steuerlich abzugsfähiger Spenden Aufrufe zum Begehen von Straftaten finanziert,
ist doch wohl für jeden rechtstreuen Staatsbürger unerträglich.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Veröffentlichung in der „taz" war eine Aufforderung zur Straftat, und zwar zur Sachbeschädigung und zum Landfriedensbruch, und ist damit selbst auch eine Straftat. Eine Aufforderung zur Straftat ist selbst auch eine Straftat. Das gilt natürlich auch für die Zeitung, die dies veröffentlicht hat, und das gilt für all diejenigen, die diese Veröffentlichung unterschrieben haben. Das gilt insbesondere für die beiden Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie müssen, wenn die Dinge richtig laufen, mit einer staatsanwaltschaftlichen Ermittlung rechnen.
In der Begründung dieses Aufrufs wird aber in einer besonders perfiden Weise das Recht auf Leben auf der einen Seite gegen das Recht auf Eigentum auf der anderen Seite ausgespielt. Wir alle wissen, wohin es führt, wenn wir nicht rechtzeitig der Auseinandersetzung in der Gesellschaft, die mit Gewalt geführt wird, diesem Handeln und diesem Bestreben, widerstehen. Der Terrorismus der 70er und der 80er Jahre
hat bekanntlich mit der Gewalt gegen Sachen in den 60er Jahren begonnen. Das ist uns allen hinreichend bekannt.
Norbert Geis
Es gibt heute wie damals die Beschwichtiger, die sagen, das alles sei gar nicht so schlimm, das alles sei gar nicht so tragisch. So schlimm sei ein bißchen Gewaltanwendung, Herr Schlauch, auch nicht.
- Es hat sich ungefähr so angehört.
- Lesen Sie es im Protokoll nach.
Herr Schlauch, diese Beschwichtiger befinden sich in einem gefährlichen Irrtum. Daß sie sich in einem gefährlichen Irrtum befinden, beweist letztlich auch die dunkelste Epoche der deutschen Geschichte vor wenigen Jahrzehnten, die wir bitter haben bezahlen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies sollten vor allem auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht verkennen, die diesen Aufruf unterschrieben haben. Sie mißachten damit demokratisch zustande gekommene Mehrheitsentscheidungen. Sie mißachten Entscheidungen der Gerichte, vor denen dies geprüft worden ist, und äußern damit, daß sie überhaupt kein vernünftiges Demokratieverständnis haben. Aber nicht nur das: Sie äußern auch, wie ich meine, eine gefährliche Staatsfeindlichkeit. Jedenfalls kommt sie in ihrem Verhalten zum Ausdruck.
Abwegig wäre auf jeden Fall die Meinung, man könne sich in einem solchen Fall auf Widerstandsrecht berufen. Auch das ist angeklungen, und das kann man gar nicht anders meinen. Widerstandsrecht gegen unsere demokratische Grundordnung, gegen unseren demokratischen Rechtsstaat, gegen die demokratischen Verfahrensweisen, die wir eingerichtet haben, ist ein Widerspruch in sich. Es gibt kein Recht zum Widerstand gegen die Grundrechte und die Wertordnung der Grundrechte. Es gibt nur ein Widerstandsrecht für die Erhaltung der Grundrechte und für die Erhaltung der Wertordnung und damit auch für die Erhaltung des Eigentums und für die Erhaltung demokratischer Spielregeln, die bei uns genau festgelegt sind.
Dagegen haben die beiden Abgeordneten - ich scheue mich nicht, es zu sagen - in einer Weise verstoßen, die eines Abgeordneten unwürdig ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt in unserer Demokratie und in unserem demokratischen Rechtsstaat keinen Mangel und keinen Mißstand, der mit Gewalt beseitigt werden müßte. Wer sich unrecht behandelt fühlt, der kann bei uns in vielfältiger Weise sein Recht vor Gericht suchen. Das wissen wir alle. Wir kämpfen ja darum, daß es ein bißchen weniger Richterrechtsstaat wird.
Jede Minderheit hat die verfassungsmäßige Möglichkeit und das verfassungsmäßige Recht, selber die Mehrheit zu erringen und auf diese Weise selber die Regierung zu stellen. Aber sie hat nicht das Recht, mit Gewalt ihre eigene Meinung durchzusetzen und mit Gewalt ihren eigenen Willen anderen auf zuzwingen. Dieses Recht steht niemandem bei uns zu.
Das gilt auch für die Zeitung, die den Aufruf veröffentlicht hat. Seriöse Zeitungen haben diese Anzeige bekanntlich abgelehnt.
Die „taz" aber hat mit dieser Veröffentlichung bestätigt, was von ihr zu halten ist. Der Redaktion dieser Zeitung fehlt jegliches Gespür für Augenmaß
und dafür, wo die Grenzen der Pressefreiheit sind. Das muß man, glaube ich, von dieser Stelle einmal deutlich sagen.
Mag diese Aktuelle Stunde mit einen Beitrag dazu leisten, Herr Schlauch, daß in der Demokratie immer noch das Wort gilt und nicht die Gewalt. Auseinandersetzungen mögen - auch handfest - in Form von Dialog und von Diskussion geführt werden, aber immer in gegenseitigem Respekt.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Behrendt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß gestehen, auch nach der Rede von Herrn Westerwelle und auch des Staatssekretärs ist mir nicht ganz klargeworden, warum eine solche Anzeige einer Aktuellen Stunde hier im Bundestag bedarf.
Ich denke, es hätte genügt, Herr Westerwelle, wenn Sie sich in einer Presseerklärung davon distanziert hätten. Ich meine, hier findet eine Überbewertung statt.
Wir widmen einer Sache Aufmerksamkeit und viel Zeit, die wir für wichtigere Dinge verwenden sollten.
Es kann kein Zweifel daran bestehen
- da brauchen Sie nun nicht lebhaft dazwischenzurufen -, daß auch wir jede Form von Gewaltanwendung ablehnen. Ich gebe zu, daß eine solche Anzeige, auch wenn sie vielleicht von einigen satirisch gemeint war, problematisch ist, gerade auch deshalb, weil wir aus Untersuchungen wissen, daß 18 Prozent
Wolfgang Behrendt
der Jugendlichen heute Gewalt als eine völlig normale Erscheinung ansehen.
Das heißt, solchen Tendenzen sollten wir sicherlich ernsthaft entgegentreten.
Aber, meine Damen und Herren, ich finde, markige Worte allein sind ein zu großes Geschütz gegenüber einer solchen Sache. Wir sollten lieber eine Aktuelle Stunde etwa über das wichtige Problem Entsorgung atomarer Abfälle machen.
Ich hätte mir gewünscht, wir hätten hier eine Aktuelle Stunde über das Thema gemacht: Die geplanten Transporte von Nuklearabfällen von Gundremmingen nach Gorleben.
Es wäre vielleicht angemessen gewesen, wenn wir uns hier ernsthaft über die Frage der Entsorgung auseinandergesetzt hätten.
Ich muß Ihnen aber auch sagen, Herr Westerwelle, ich hätte mir gewünscht, daß man mit ein wenig mehr Sensibilität und Selbstkritik diesen Vorgang betrachtet hätte, wenn man sich schon dieser Anzeige mit dieser Ausführlichkeit widmet.
Wir müssen uns doch auch einmal fragen: Was sind das für Motive, die die Menschen zu dieser Anzeige bewegen? Welche Ängste bewegen sie denn? Welches Maß an Vertrauensverlust gegenüber unserer parlamentarischen Demokratie dokumentiert sich denn dort?
Es sind doch nicht alles Rabauken oder Chaoten, die das unterschrieben haben.
Wir wissen doch ganz genau, daß dies zum Teil sehr verantwortungsbewußte Bürger sind, Eltern von Kindern, die sich echt Sorgen um deren Zukunft machen. Meine Damen und Herren, tun Sie das doch nicht alles so ab!
Wir wissen doch aus der Erfahrung der letzten Jahre, wie oft Demonstrationen dazu geführt haben, daß Fehlentwicklungen verhindert worden sind.
Denken wir doch einmal an die Demonstrationen gegen Wackersdorf und ähnliche. Die Demonstrationen verantwortungsbewußter Bürger haben doch dazu beitragen, daß wir solche Fehlentwicklungen unterbunden haben.
Noch eins: Wir werden in der nächsten Woche des zehnten Jahrestages von Tschernobyl gedenken und hoffentlich versuchen, daraus Konsequenzen zu ziehen. Die Umweltministerin hat vorhin in der Regierungsbefragung von der Wiener Konferenz berichtet und hat alarmierende Fakten genannt, etwa daß es allein 600 Fälle von Schilddrüsenkrebs gibt, daß es in Weißrußland bei Kindern eine 50fache Steigerung bei Krebserkrankungen gibt.
Das alles sollte uns doch nachdenklich machen und uns dazu bringen, hier eine wirklich ernsthafte und verantwortungsvolle Debatte über die Kernenergie und insbesondere über die Frage einer verantwortungsvollen Entsorgung zu führen.
Ich vermisse bei Ihnen, Herr Westerwelle, bei Ihren Fraktionskollegen und bei den Regierungsfraktionen insgesamt den Willen, sich wirklich ernsthaft mit dieser Problematik auseinanderzusetzen.
Meist werden nur Klischeevorstellungen vorgetragen, werden diejenigen, die das bisherige Konzept der Bundesregierung ernsthaft in Frage stellen, verteufelt und in eine Ecke geschoben.
Ich denke, gerade auf Grund der Tatsache, daß wir zehn Jahre nach Tschernobyl feststellen müssen, daß bei uns allen ein starker Verdrängungsprozeß eingesetzt hat, daß die Schrecken, die wir damals alle empfunden haben, von uns inzwischen weitgehend verdrängt worden sind, sollten wir die Chance dieses zehnjährigen „Jubiläums" nutzen. Ich möchte an Sie appellieren: Verwenden Sie Ihre Zeit nicht für solche Formalien,
sondern diskutieren Sie ernsthaft über die wichtigen Probleme einer zukunftsträchtigen Energiepolitik! Das sollte eine auf alternative Energien ausgerichtete Politik sein, ohne Kernenergie.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Hirche.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der letzte Beitrag hat deutlich gemacht, warum es notwendig ist, hier zu diskutieren. Der öffentliche Aufruf von zwei Abgeordneten zum Rechtsbruch und die Ankündigung, selber mitmachen zu wollen bei Sachbeschädigung und Transportgefährdung, ist ein unglaublicher Skandal.
Das gilt um so mehr, als Abgeordnete ja Teil der gesetzgebenden Gewalt sind. Was sollen die Bürger denn von Gesetzen halten, wenn Mitglieder dieser gesetzgebenden Versammlung selber Gesetze zur Makulatur erklären?
Noch schlimmer ist es, wenn auf Rückfrage die Bedenklichkeit des eigenen Tuns verharmlost wird oder gar nicht bewußt wird: verharmlost wird, weil es sich angeblich nur um eine Nebenstrecke handele, auf der die Schienen demontiert werden sollen; und nicht bewußt wird, wenn in einem Zitat der „Welt" von heute der Satz von Frau Altmann auftaucht, sie sei als Abgeordnete nur dem eigenen Gewissen verantwortlich. Soll das heißen, daß Abgeordnete alles tun und lassen können, ohne Rücksicht auf Recht und Gesetz?
Nein, Recht und Gesetz gelten für alle, und Freiheit in der Gesellschaft gibt es nur unter dem Recht. Eigene Maßstäbe mit noch so moralischer Begründung dürfen niemals Rechtfertigung sein, an Stelle des gesetzten Rechts zu gelten. Hier wird mit subjektiver Einschätzung das für alle geltende Recht einfach beiseite geschoben. So hat historisch gesehen bisher nur Carl Schmitt argumentiert.
Das führt zurück ins Mittelalter, und das führt in die Herrschaft des Faustrechts. Das entspringt autoritärer Gesinnungsdiktatur.
Jedenfalls wird mit solch voluntaristischen Begründungen, wie sie Frau Altmann von sich gibt - nur der eigene Wille, die eigene Einschätzung zählt -, die Zerstörung der Rechtsstrukturen der Gesellschaft betrieben. Das ist ein Rückfall in die Zeit vor dem modernen liberalen Verfassungsstaat. Gesetze werden so zur beliebig manipulierbaren Ware. Es wird nicht nur eine Eisenbahnschwelle demontiert, sondern es werden die Rechtsschranken demontiert, die unsere
Gesellschaft als Freiheitsgleise für die einzelnen gewährt; denn Freiheit - ich sagte es - gibt es nur unter dem Recht.
Ich begrüße die Distanzierungen, die außerhalb dieser Debatte aus der Fraktion der Grünen erfolgt sind, weil einige sehen, wohin ein solches Verhalten die Gesellschaft am Ende führen würde. Alternatives Denken wäre dann in Freiheit nicht mehr möglich.
Ich kritisiere schärfstens, daß sich Herr Schlauch nicht in der Verfassung gesehen hat, hier vor dem Plenum für die Fraktion die Distanzierung auszusprechen.
Ich finde die Verharmlosung, die der erste Sprecher der SPD hier begangen hat, auch erschreckend. Herr Behrendt, das sind keine Formalien, über die wir uns unterhalten, sondern das ist die Grundlage unseres Zusammenlebens. Weil Sie so oft im umweltpolitischen Bereich diskutieren: Man könnte sagen, das Recht ist das Grundwasser und das Trinkwasser unserer Demokratie.
Meine Damen und Herren, das, was wir hier diskutieren, ist ja kein Einzelfall. Im Rahmen der Aktion „Ausrangiert" hat zum Beispiel die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Niedersächsischen Landtag, Frau Harms, zu einer ähnlichen Aktion aufgerufen. Das Untergraben von Straßen im Kreis Lüchow-Dannenberg wurde von den Grünen mit Sympathie begleitet, die Zerstörung von Feldern mit gentechnisch veränderten Pflanzen ebenso. Zu den Chaos-Tagen von Hannover, wo brutale Gewalt gegen Polizisten eingesetzt wurde, hat der grüne Landtagsvizepräsident Jordan wörtlich gesagt, das sei unkonventionelles Freizeitverhalten, das man tolerieren müsse.
Meine Damen und Herren, ich frage mich, wo dann morgen die Grenze ist.
Herr Fischer, wenn Sie glauben, daß Sie seit der ersten Minute, nachdem Sie den Saal betreten haben, ständig dazwischenbrüllen müssen,
damit im Protokoll der Eindruck erweckt wird, Sie seien während der Debatte dagewesen, muß hier einmal der konkrete Sachverhalt festgehalten werden.
In allen Fällen wurde die angeblich richtige Moral mit Gewalt gegen das bestehende Recht gesetzt. Besonders zynisch ist es, wenn Frau Altmann dann noch sagt, daß die Polizei ja vor Ort sei und jede ge-
Walter Hirche
fährliche Situation verhindern könne. Sieht denn so Ihre Gesellschaft aus: Abgeordnete wiegeln Bürger zu Straftaten auf, und anschließend wird die Polizei, die Verstöße gegen die Gesetze, die wir als Abgeordnete beschließen, verhindern bzw. Störer festnehmen soll, in die Auseinandersetzung getrieben und auch noch denunziert? - Das ist eine böse Strategie zur Zerstörung unserer Demokratie.
Es ist schlimmstes Jakobinertum, wenn hier quasi im Namen der Tugend zu Gewalt aufgerufen wird. Natürlich heißt es dann: „eine symbolische Geschichte".
Wir Liberalen setzen den Rechtsstaat und seine Gesetze dagegen, die jeder beachten muß, erst recht Abgeordnete.
Das Wort hat der Abgeordnete Michael Teiser.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Frau Präsident!
Frau Präsidentin! Entschuldigen Sie vielmals.
Nachdem ich bis zum Beginn der Debatte glaubte, daß es nur zwei Skandale gebe, nämlich den, daß ein Presseorgan einen Aufruf zum Rechtsbruch veröffentlicht, und den, daß zwei Bundestagsabgeordnete ihn unterschrieben haben, stellt es für mich nun den dritten Skandal dar, was heute an Einlassungen der hier versammelten Opposition zu vernehmen war.
Unter der Überschrift - das klang vereinzelt und sehr verhalten an - „Wir lehnen Gewalt ab" wurde auf Teufel komm raus relativiert. Der eine erklärt, das sei eine Überbewertung, und fordert uns auf, sensibel zu sein, sich nicht an Formalien festzuhalten. Der andere sagt: Denken Sie an die Pressefreiheit! Man solle das einmal differenziert betrachten.
Meine Damen und Herren, es ist sehr auffällig, wenn man sich die Struktur und die Argumentation der Opposition anschaut. Diese sind nämlich ziemlich vereinheitlicht.
- Lieber Herr Kollege Fischer, Sie haben vorhin schon einen Hinweis bekommen. Sie sind vor sechs Minuten hereingekommen, haben sich hingesetzt, haben nichts gehört und rufen ständig dazwischen. Parlamentskasper gibt es auf jener Seite genug; Sie müssen ihn nicht auch noch spielen.
Man sollte sich einmal die Argumente vor Augen führen. - Die Verharmlosung seitens der PDS-Abgeordneten verstehe ich. Das ist etwas kläglich gewesen. Sie hat versucht, sich ein bißchen herauszureden.
Die Einlassungen der Grünen und der SPD aber gingen doch dahin, daß sie auf der einen Seite erklärt haben: Wir lehnen Gewalt ab!, dies dann aber relativiert haben, weil im Prinzip deutlich gemacht wurde, daß sie in diesem einen Fall - in Klammern: und in ähnlich gelagerten Fällen - sehr wohl Verständnis dafür haben.
Das wiederum, meine Damen und Herren, macht mir deutlich, daß es sich hier nicht um ein Fehlverhalten von zwei einzelnen Abgeordneten handelt, sondern daß es durchaus in den Parteien Kreise gibt, die sich die Frage stellen lassen müssen, ob sie denn überhaupt noch die Anerkennung staatlichen Rechts als Grundlage unseres Zusammenlebens sehen
oder ob die subjektive Rechtsauslegung, das Schneidern subjektiven Rechtsverständnisses, möglicherweise gleichrangig mit staatlichem Recht anerkannt werden soll. Da sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Das ist mit uns nicht zu machen.
- Herr Fischer, wenn Sie sagen: „Aber mit uns auch nicht", dann fordere ich Sie ebenso wie die SPD hier deutlich auf: Stellen Sie sich hier vorne hin und erklären Sie für Ihre Fraktion - Sie sind ja der Vorstandssprecher; auch wenn Sie die Debatte nicht verfolgt haben, kennen Sie die Anzeige -, daß Sie sich von diesem Aufruf zum Rechtsbruch, zur Gewaltanwendung distanzieren! Verurteilen Sie das Verhalten Ihrer Kolleginnen, und sorgen Sie dafür, daß so etwas nicht wieder vorkommt! Dies nämlich beschädigt das Ansehen dieses Hauses und stört empfindlich das Rechtsempfinden der gesamten Bevölkerung.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Kubatschka.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion bringt kein Verständnis für den Aufruf zur Schienendemontage auf.
Es ist ein Aufruf zu gewalttätigen Aktionen. Wir lehnen dies strikt ab.
In unserem Rechtsstaat bleibt es jedem unbenommen, gegen Entscheidungen, die er für falsch oder
richtig hält, friedlich zu demonstrieren oder in ande-
Horst Kubatschka
rer Weise friedlich vorzugehen. Wir fordern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Demonstration auf, sich nicht an gewalttätigen Aktionen zu beteiligen.
Gewalt gegen Sachen und Menschen ist ein Irrweg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gewalttätige Aktionen schaden den Gegnern der Kernenergie.
Gewalttätige Aktionen arbeiten den Befürwortern der Kernenergie in die Hände. Sie lenken von dem Problem ab, für das wir noch keine Lösung haben. Daß die Bürgerinnen und Bürger besorgt sind, dafür haben wir volles Verständnis. Immer mehr radioaktiver Abfall fällt an, wird durch die Bundesrepublik transportiert und anschließend zwischengelagert. Der Begriff „radioaktiver Abfall" ist eigentlich eine Verniedlichung. Es liegen Stoffe vor, die hochgiftig sind und über viele Jahrtausende hochgiftig bleiben.
Seit über vier Jahrzehnten wird die Kernenergie friedlich genutzt. Trotzdem sind die Probleme der Sicherheit und Endlagerung nicht gelöst; weltweit gibt es nirgends eine Lösung. Über viele Jahrtausende müssen wir das Material so im Erdinneren verschließen, daß es nicht mehr an die Biozönose gelangen kann. Jahrtausende - das sagen wir so leicht, aber wir können es uns in der historischen Dimension eigentlich nicht vorstellen. Darum zwei Beispiele, was Jahrtausende bedeuten: Die Zeit von der Jungsteinzeit - zum Beispiel der Bandkeramiker - bis heute reicht nicht aus, um die Hälfte des angefallenen Plutoniums zerfallen zu lassen. Tausend Jahre sind kein Problem bei der Endablagerung; es ist nur ein kurzer Zeitraum. Stolz feiern die Österreicher heuer das tausendjährige Bestehen des Namens „Österreich". Wir schaffen ein Problem, das Jahrtausende anhält. Wir schieben das Problem der Entsorgung in die Zukunft hinaus und überlassen es den nachfolgenden Generationen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gundremmingen verfügt noch über ausreichend eigene Lagerkapazitäten. Der Transport nach Gorleben ist deshalb zur Zeit nicht notwendig.
Hier wird - wie letztes Jahr bei den Castor-Transporten von Phillipsburg und Gundremmingen nach Gorleben - ohne Not der gesellschaftliche Frieden riskiert. Die einzige Lösung ist der Ausstieg aus der Kernenergie.
Eine Technik, die keine Fehler zuläßt, ist keine zukünftige Technik. Eine Technik, die Abfall schafft, der Jahrtausende hindurch wirkt, ist keine zukünftige Technik. Eine Technik, die weltweit nicht eingesetzt werden kann, ist keine zukünftige Technik. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist deswegen
ökologisch und ökonomisch sinnvoll und berücksichtigt auch den Willen der Bevölkerung.
70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland lehnen die Kernenergienutzung ab.
Was wir dringend benötigen, ist eine Energiewende, die die Markteinführung für regenerative Energiequellen fördert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie rufen nicht um sonst „Thema verfehlt! ": Sie haben bei dieser Aktuellen Stunde eigentlich das Thema verfehlt.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Horst Eylmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Womit wir uns heute beschäftigen, sind Elementaria rechtsstaatlicher Demokratie, gleichsam Anfangsgründe der Gemeinschaftskunde, wie sie auf unseren Schulen, auch im übrigen auf Polizeischulen, gelehrt wird. Es geht schlicht darum, daß in einem demokratischen System Mehrheitsentscheidungen, die einer gerichtlichen Kontrolle standgehalten haben, beachtet und von niemandem mit Gewalt blockiert werden dürfen. Das ist der entscheidende Punkt.
Wir wissen, daß natürlich immer wieder Minderheiten, einzelne Personen mit politischen Entscheidungen, Mehrheitsentscheidungen, nicht einverstanden sind
und daß sie dann auch zuweilen zu gewaltsamen Aktionen neigen. Das ist bei Fernfahrern nicht anders als bei Stahlarbeitern und Bauern.
Aber darum geht es nicht.
Zu den Fernfahrern darf ich noch sagen: Herr Schlauch, erkundigen Sie sich einmal beim bayerischen Generalstaatsanwalt, was mit den Blockierern geschehen ist, damit dieses Märchen nicht immer wieder aufgewärmt wird.
Das ist, meine Damen und Herren, nicht der Punkt. Ich gestehe Ihnen zu, es passiert immer wieder, daß
Horst Eylmann
man der Versuchung erliegt, Gewalt anzuwenden. Dann ist es die Aufgabe der staatlichen, der demokratischen Institutionen, dem mit aller Entschiedenheit zu widersprechen. Das eigentliche Skandalon, das heute Anlaß gibt, dies zu thematisieren, ist, daß ausgerechnet zwei Abgeordnete des Parlaments zu Gewalt aufgerufen haben. Das ist das Skandalon.
Ich bin von einigen Erklärungen sehr enttäuscht. Herr Professor Pick, Sie haben gesagt, Ihr Eindruck sei zwiespältig. Was war denn das Positive? Denn wenn Sie zwiespältig waren, müssen Sie auch positive Empfindungen gehabt haben. Dann haben Sie sich mit der Pressefreiheit beschäftigt. Es geht überhaupt nicht um die Pressefreiheit. Ich habe zum Beispiel gar nichts dagegen, daß die Presse solche skandalösen Aufrufe einmal unter die Leute bringt. Meine Damen und Herren, machen Sie sich keine Illusionen: Die eindeutige Mehrheit der Bürger schüttelt den Kopf über ein solches Verhalten.
Dann wird beklagt, wir suchten nicht das Gespräch mit den Atomkraftgegnern. Woher wissen Sie das eigentlich? Ich wohne seit 30 Jahren zwei Kilometer Luftlinie entfernt von dem ältesten Atomkraftwerk dieser Republik. Sie sehen, Herr Schlauch, es geht mir ausgezeichnet, den Wählerinnen und Wählern meines Wahlkreises auch. Ich habe mich nie einem Gespräch entzogen. Wenn es einmal Demonstrationen gab, was selten genug war, so bin ich immer ohne Polizeischutz dorthin gegangen. Darum geht es nicht.
Herr Schlauch, ich will Ihnen abnehmen, daß Sie gegen Gewalt sind. Aber Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie sagen, es handle sich nur um eine Einzelstimme. Wenn ich in dieser Debatte aus Ihrer Fraktion höre, es gehe nur um symbolische Handlungen, und wenn gesagt wird, die eigentliche Gewalt sei Castor, dann haben diejenigen, die in diesem Sinne dazwischenrufen, nichts aus der Gewaltdebatte der siebziger Jahre gelernt.
Das ist ein Rückfall in eine Haltung, die ich - wahrscheinlich etwas zu hoffnungsfroh - für überwunden gehalten habe.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen, und dann komme ich zu Herrn Behrendt. Um Demonstrationen geht es überhaupt nicht. Es geht aber auch nicht um Formalia. Ich würde es eigentlich für sinnvoll halten, daß Sie die Gelegenheit nehmen, diesen Begriff zurückzunehmen.
Wir haben wirklich unsere Schwierigkeiten mit unseren jungen Leuten und damit, sie dazu zu bringen, keine Gewalt anzuwenden. Welchen Erfolg sollen denn diese Bemühungen haben, wenn aus diesem Kreis die Aufforderung zur Gewalt kommt? Das soll kein Anlaß sein, die Sache hier zu diskutieren? Das soll eine bloße Formalie sein? Ich sage Ihnen, es gibt
nichts Wichtigeres in dieser Zeit, als gegen Gewalt Front zu machen, ganz gleich, wo sie sich zeigt.
Dies gilt insbesondere dann, wenn aus diesem Hause zu Gewalt aufgerufen wird.
Das Wort hat
der Kollege Arne Fuhrmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn wir als Politiker den Anspruch haben, durch aufrichtige Haltung und so etwas wie Ehrlichkeit die Menschen, die uns zuhören und die uns in dem, was wir tun, vertrauen, auch ein bißchen deutlich zu führen und Ihnen zu sagen, wohin es gehen soll, dann war dies heute hier bislang keine Sternstunde des Parlaments. Was wir bisher hier erlebt haben, war alles andere als insgesamt aufrichtig oder ehrlich. Mir scheint, daß nur die Hälfte aller derer, die heute hier gesprochen haben, überhaupt wissen - -
- Herr Geis, erst den Verstand und dann den Mund. Dies ist eine alte Regel. Wenn man diese beachtet, dann unterläßt man manchen Zwischenruf.
Herr Westerwelle, wenn Sie heute sagen, der Rechtsstaat erlaube den Transport von abgebrannten Kernelementen, dann irren Sie. Der Rechtsstaat erlaubt nicht, er ordnet an. Im Zweifel wird der Rechtsstaat - hier hat er auch recht - diesen angeordneten Transport unter der Wahrnehmung seines Gewaltmonopols bis zum Ziel bringen. Dies ist nun einmal so. Ich bin ein absoluter Gegner von Gewalt. Herr Geis, ich bin ein Gegner auch von verbaler Gewalt. Deshalb reagiere ich hierauf besonders; ich kann das nicht ertragen. Hören Sie deshalb erst zu, und erwidern Sie dann.
Die Diskussion in diesem Parlament darüber, wer wann und an welcher Stelle zur Gewalt aufruft - sehr wohl gemessen daran, daß sich zwei Parlamentarierinnen des Deutschen Bundestages beteiligt haben -, sollte vielleicht auch die Aspekte der persönlichen Situation, der Sorge und der Unkenntnis darüber, daß außer dem Staat niemand das Monopol der Gewalt für sich gepachtet haben kann, beinhalten.
Wir sollten vielleicht so ehrlich sein und anfangen, auch in dieser Dimension menschlich zu denken,
in der wir auch dann menschlich denken müssen,
wenn wir diejenigen betrachten, die zum Beispiel
Arne Fuhrmann
aus Hilflosigkeit heraus keinen anderen Weg sehen, als Gewalt anzuwenden.
- Herr Geis, ich möchte Sie daran erinnern, mit welcher Vergangenheit wir alle leben und daß wir zum Beispiel das Niemöller-Wort möglicherweise ein bißchen verdrängt haben:
Als sie die ersten Juden abgeholt haben, habe ich nichts gesagt. Ich war ja keiner. Als sie die ersten Katholiken geholt haben, habe ich nichts gesagt. Ich war ja keiner. Aber als sie mich geholt haben, war keiner mehr da, der was sagen konnte.
Wenn Sie in der Nähe eines geplanten Endlagers wie Gorleben wohnen - -
- Herr Westerwelle, nun hören Sie doch auch einmal zu.
- Ich glaube, Sie wohnen in dieser Republik an einer anderen Stelle.
In Gorleben soll ein Endlager entstehen, das für die nächsten 40 oder 50 Jahre in einerLeichtbauhalle Castor-Behälter aus La Hague, Gundremmingen und von anderen Stellen aufnehmen soll.
- Herr Hirche, Sie wissen es doch genauso gut wie ich. Sie haben doch mit Ihrer Partei das Gesetz durchgepowert, das Gorleben für die nächsten 50 Jahre im Endeffekt als Endlager festschreibt.,
- Dann beschäftigen Sie sich doch einmal mit dem, was Sie tun.
Daß der Salzstock in Gorleben ungeeignet ist, wird doch jetzt schon wieder klar: Einbrüche von Laugen, Jahre zuvor Einstürze in diesem Salzstock, Sprengungen der Ringe und immer wieder Einbrüche von Laugen. Alle Wissenschaftler und alle diejenigen, die etwas davon verstehen, attestieren Ihnen, daß der Salzstock ungeeignet ist.
Ich kann Ihnen aber auch sagen: Keine Gewalt anzuwenden ist eine feine Sache. Ich bin dafür, keine Gewalt anzuwenden, aber bitte schön auch keine verbale Gewalt gegen diejenigen, die sich im friedlichen Widerstand gegen den Transport eines CastorBehälters auf die Straße setzen.
- Herr Geis, nun hören Sie doch endlich einmal auf.
Ich habe auf der Straße gesessen, als der erste Castor-Behälter nach Gorleben transportiert wurde, und zwar gewaltfrei. Ich habe mich von der Polizei wegtragen lassen,' das heißt, ich bin aufgestanden und bin mit der Polizei weggegangen. Herr Geis, wissen Sie, daß es auch ein Grundrecht ist, das Recht auf Demonstration und Meinungsfreiheit in Anspruch zu nehmen?
Wissen Sie eigentlich, was Sie Ihren Enkelkindern damit antun, daß Sie sich hier hinsetzen und sagen: Laßt die anderen einmal machen?
Sie stehen als Politiker in der Verantwortung, daß dieses sogenannte Endlager in Gorleben als Beweis einer Entsorgungskette immer noch nicht funktionsfähig ist. Was machen Sie denn in den nächsten 30 oder 40 Jahren, wenn Sie feststellen, daß außer dem Herumbohren im Salzstock von Gorleben nichts zustande gekommen ist?
Mir tut es leid, daß in einer solchen Debatte so viel geredet wird, ohne daß wir miteinander ins Gespräch kommen.
Ich würde mir wünschen, daß wir viel häufiger die Chancen wahrnehmen, von denen auch Herr Eylmann gesprochen hat und die er in meinen Augen als einziger Redner der Koalition sehr deutlich gemacht hat. Wir sollten ein bißchen mehr Verständnis für die Ängste, die Sorgen und die Nöte haben, in denen Menschen stehen, die unmittelbar betroffen sind,
nicht so mittelbar wie hier in Bonn. Man sollte sich dann mit ihnen auseinandersetzen.
Herr Kollege, Ihre Zeit ist abgelaufen.
Dann werden wir auch verhindern können, daß Gewalt um sich greift. Dann werden wir bei den zwei Parlamentarierinnen möglicherweise etwas anderes durchsetzen als das, was Sie wieder mit Mitteln der Gewalt wünschen.
Arne Fuhrmann
In diesem Fall wünsche ich uns sehr viel mehr Frieden.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Freiherr von Stetten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoffte, die demokratischen Parteien wären hier einig in der Verurteilung
der beiden Kolleginnen wegen ihres Tuns gewesen. Leider war dem nicht so. Aber wenigstens die Presse hat in dankenswerter Weise Flagge gezeigt. Ich will noch ergänzen, Herr Westerwelle: Es waren auch die „Augsburger Allgemeine", das „Neue Deutschland", die „Schwäbische Zeitung", die „Süddeutsche Zeitung" und die „Südwest-Presse", die abgelehnt haben.
- Ja, so ist es. Ich wollte ja nur erwähnen, daß das „Neue Deutschland" scheinbar auch eine vernünftige demokratische Zeitung werden kann, im Gegensatz zur „taz", die als Sprachrohr der Linken
- sie scheint ja im Moment von einem Streit der Chefredakteure zum anderen zu taumeln - diese Grundsätze nicht hatte.
Meine Damen und Herren, die Akteure haben mit ihrem Aufruf zur Gewalt, in dem sie heuchlerisch auch noch dazu auffordern, gewaltfrei und festlich Schienen zu demontieren - das ist schon eine Heuchelei in extenso -, die Axt an den Rechtsstaat gelegt, weil sie eben den Rechtsstaat nicht wollen; sonst würden sie den Weg über die Gesetze gehen.
Ganz schlimm ist es aber, wenn ein solcher Aufruf, bei dessen Verwirklichung man dann auch mehrere Strafgesetze verletzen würde - sie werden schon jetzt verletzt -, von Abgeordneten des Deutschen Bundestages unterschrieben und initiiert wird, obwohl diese eigentlich gewählt wurden, um Gesetz, Recht und Ordnung zu verteidigen und zu fördern.
Wenn die SPD dies auch noch verniedlicht und als eine Formalie betrachtet oder wenn Herr Fuhrmann sagt, dies sei ja keine Gewalt, dies sei ja nur ein bißchen Gewalt,
dann habe ich doch meine großen Bedenken.
Frau Eva Bulling-Schröter, die sich als PDS-Mitglied nicht einmal heute von ihrem rechtswidrigen
Aufruf distanziert hat - sie hat sich auch noch nicht vom Gewaltregime der DDR-SED distanziert -, hat sich nur von den Atomkraftwerken distanziert.
- Trotzdem kann sie sich ja von dieser Partei distanzieren, das wäre vielleicht doch ganz angemessen. Daß sie das nicht gemacht hat und sich nur von den Atomkraftwerken distanziert hat, ist vielleicht nicht anders zu erwarten gewesen.
Aber, meine Damen und Herren, wenn Frau Altmann vom Bündnis 90/Die Grünen zur Gewalt gegen Sachen aufruft, dann zeigt dies, daß nicht nur sie, sondern letztlich auch ihre Partei sich immer noch nicht von den pubertären Revoluzzerideen der 80er Jahre verabschiedet haben und erwachsen geworden sind. „Nichts dazugelernt" hat Herr Eylmann mit Recht gesagt. Herr Schlauch, Sie haben auch nicht den Eindruck verwischen können, daß Sie dem noch nicht entwachsen sind. Sie haben sogar - lassen Sie mich das sehr deutlich sagen - mit ihrer Verharmlosung Nachahmer ermutigt, und Sie haben selbst sogar Strommasten und Steine genannt. Das ist letztlich Aufforderung zur Nachahmung, eine Verniedlichung von Gewalt gegen Sachen; das sollten Sie nicht tun. Sie hätten sich deutlich distanzieren sollen. Das lehnen Sie schlichtweg ab.
Auch die Keimzelle der terroristischen Rote-Armee-Fraktion waren Aufrufe zur Gewalt gegen Sachen; sie haben am Anfang gestanden. Das endete mit Blut und Tod. Die Weimarer Republik ging nicht daran zugrunde, daß friedlich demonstriert wurde, sondern daran, daß die Nationalsozialisten und die Kommunisten offen zur Gewalt gegen Sachen und Menschen aufrufen durften und der Staat nichts dagegen unternommen hat.
- Sie glauben wohl kaum, daß ich die Kommunisten finanziert habe. Herr Fischer, ein bißchen dümmlicher können Sie sich nicht ausdrücken.
- So dümmlich können Sie doch gar nicht daherreden, Herr Fischer!
- Aber Sie, Herr Fischer, sind doch ein bißchen dümmlich in dieser Geschichte, lassen Sie sich das doch einmal sagen.
Wenn Sie, Frau Altmann, sich auf das Gewissen berufen, dann zeigen Sie damit doch, daß Sie keines haben, sonst würden Sie nicht zur Gewalt aufrufen. Denn wer Gewalt predigt, erntet in der Regel Tränen und Tod. Ich sage das so deutlich.
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Herr Hirche hat auf einige Vorfälle hingewiesen. Ich will auf Wackersdorf hinweisen, wo Polizisten halb totgeschlagen wurden. Ich will auf den Flughafen Frankfurt hinweisen, wo Polizisten meuchlings erschossen wurden.
Unsere Fraktion, die CDU/CSU, fordert Sie als Partei auf - Herr Fischer, es wäre gut für Sie, das zu tun, anstatt hier herumzublöken -, ein klares Bekenntnis zum Gewaltmonopol des Staates abzugeben. Dann werden Sie wieder glaubhaft.
Die Bundesregierung und die bayerische Regierung werden von uns aufgefordert, alles zu tun, um die angekündigten Straftaten zu verhindern.
- Das ist sehr gut. Ich bedanke mich, Herr Fischer, daß ich das von Ihnen hören konnte. Das freut mich außerordentlich. Danke schön.
Ich fordere die Bundesregierung und die bayerische Regierung auf, alles zu tun, damit die angekündigten Straftaten nicht begangen werden können, und gegen Straftäter ohne Wenn und Aber vorzugehen.
Danke schön.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, 18. April 1996, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.