Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 13/3024 -
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung ist Herr Staatsminister Helmut Schäfer erschienen.
Ich rufe als erstes die Frage 1 des Abgeordneten Steffen Tippach auf:
Wie reagiert die Bundesregierung auf die Äußerung des türkischen Verteidigungsministers gegenüber einer Delegation des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, man müsse Verständnis dafür haben, daß „zum Schutz gegen Terroristen" auch aus Deutschland gelieferte Panzer eingesetzt werden müssen?
Herr Kollege, der türkische Verteidigungsminister hat in seiner Abschlußbemerkung bei dem von Ihnen erwähnten Gespräch unmißverständlich klargestellt, daß es keinen Einsatz deutscher NVA-Schützenpanzer im Südosten der Türkei gegeben habe.
Für die Bundesregierung ist ausschlaggebend, daß sich die Türkei in dem Vertrag über Materialhilfe dazu verpflichtet hat, die gelieferten Waffen, also auch die NVA-Schützenpanzer, ausschließlich in Übereinstimmung mit Art. 5 des NATO-Vertrages, nämlich nur zur Verteidigung gegen einen bewaffneten Angriff, einzusetzen. Die Türkei hat der Bundesregierung wiederholt zugesichert, daß sie sich an diese Verpflichtung hält.
Die Bundesregierung ist sämtlichen Hinweisen auf einen vermuteten vertragswidrigen Einsatz deutscher Waffen durch die Türkei nachgegangen. Es haben sich dabei keine Hinweise für einen vertragswidrigen Einsatz ergeben.
Eine Nachfrage? - Bitte.
Herr Staatsminister, was ist daran „mißverständlich" - Zitat des Auswärtigen Amtes -, wenn der türkische Verteidigungsminister ausgeführt hat, daß diese Waffen im Kampf gegen Terrorismus eingesetzt werden müssen?
Mißverständlich ist ganz offensichtlich die Interpretation des türkischen Verteidigungsministers gewesen. Wir haben wiederholt, und zwar nicht erst nach Ihrem Besuch in Ankara - ich nehme an, Sie waren dabei -, diese Fragen angesprochen. Wir sind wiederholt solchen Hinweisen, auch denen des deutschen Fernsehens, nachgegangen. Wir haben die Türkei immer wieder ausdrücklich gemahnt, sich an das, was vereinbart worden ist, zu halten.
Nach allen Anstrengungen, etwas nachzuweisen, kann ich nur das wiederholen, was ich gerade gesagt habe: Es gibt dafür keinen Beweis. Wir haben der Türkei klargemacht, daß sie diese Waffen nicht einsetzen kann, und die Türkei hat - so ihr Verteidigungsminister - erklärt, daß sie sie nicht einsetzen will und wird.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Herr Staatsminister, wenn Mitglieder dieses Parlaments, die an dieser Delegation beteiligt waren und damit auch an dem Gespräch teilgenommen haben, diese Äußerung entsprechend nachvollziehen, wären Sie dann zu einer Änderung Ihrer Auffassung bereit?
Ich kann mich immer und immer wieder nur auf den von Ihnen zitierten türkischen Verteidigungsminister berufen, auf den sich auch einige Mitglieder der Delegation berufen haben. Der Minister hat, nachdem er noch einmal ausdrücklich darauf angesprochen worden ist, erklärt, daß - ich zitiere jetzt wörtlich - „im Südosten der Türkei keine NVA-Schützenpanzer aus deutscher Lieferung eingesetzt worden seien" .
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6118 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995
Wir kommen damit zu Frage 2 des Abgeordneten Tippach:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der ebenfalls vom türkischen Verteidigungsminister gegenüber der Delegation des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages gemachten unmißverständlichen Aussage, daß 1992 in Cizre mit einem deutschen Panzer aus ehemaligen NVA-Beständen eine Leiche aus dem Weg geräumt worden sei, um zu prüfen, ob darunter nicht eine Mine versteckt gewesen sei?
Herr Kollege, Ihre zweite Frage ist eigentlich durch meine Ausführungen zu Frage 1 erledigt; denn Sie fragen erneut nach einem deutschen Panzer aus ehemaligen NVA-Beständen, der im Jahre 1992 angeblich dort im Einsatz gewesen sein soll.
Ich kann nur wiederholen, daß nach unseren Erkenntnissen solche NVA-Panzer nicht entgegen dem mit der Türkei ausgehandelten Vertrag und der Zustimmung des Deutschen Bundestages eingesetzt worden sind.
Möchten Sie noch einmal nachfragen? - Bitte.
Herr Staatsminister, es ist doch ganz präzise gesagt worden: Es wurde an dem und dem Tag in der und der Stadt in dem und dem Gebiet ein Schützenpanzer eingesetzt, um eine Person beiseite zu ziehen, um zu schauen, ob darunter eine Mine liegt. Das ist ja keine globale Aussage, sondern ein sowohl zeitlich als auch räumlich zu definierender Sachverhalt. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie sagen, auch diese Aussage zu diesem räumlich und zeitlich zu fixierenden Sachverhalt sei ebenso mißverständlich dargestellt worden und offensichtlich von Teilnehmern der Delegation ebenfalls falsch verstanden worden?
Ich weiß nicht, wer was bei diesem Gespräch falsch verstanden hat. Aber ganz offensichtlich hat schon damals, als es bekannt wurde - es liegt ja schon einige Zeit zurück -, die Deutsche Botschaft, die auch bei dem Gespräch anwesend war, betont und unterstrichen, daß Herr Tanir, der damalige Verteidigungsminister, am Ende des Gesprächs mit der deutschen Delegation abschließend ausdrücklich gesagt hat - ich zitiere noch einmal wörtlich -, daß im Südosten der Türkei keine NVA-Schützenpanzer aus deutscher Lieferung eingesetzt worden seien. Ich kann nur vermuten, daß es sich dabei um ein Mißverständnis gehandelt hat.
Wir wissen überdies, daß seit dieser Auseinandersetzung, die es damals schon gab, der Türkei inzwischen immer wieder klargemacht worden ist: Jedweder Versuch, entgegen den mit der Türkei ausgehandelten und von uns als Voraussetzung für die Lieferung von Waffen aus NVA-Beständen an einen NATO-Partner gestellten Bedingungen diese Waffen im Kampf gegen die Kurden einzusetzen, also in eine innenpolitische Angelegenheit mit Panzern einzugreifen, ist zu unterlassen. Daraufhin wurde von der
Türkei immer wieder die klare Antwort gegeben, sie wird das nicht tun. Ich kann mich nur auf diese Antworten berufen und bedaure, Ihnen nicht darüber hinausgehende Auskünfte geben zu können, weil sie mir nicht vorliegen.
Eine letzte Fragemöglichkeit haben Sie noch, bitte.
Herr Staatsminister, ist Ihnen der Bericht der US-Menschenrechtsorganisation „Human rights watch" bekannt, der am Montag veröffentlicht wurde und der ausdrücklich nochmals darauf hinweist, daß in der Türkei deutsche Waffen gegen die Kurden eingesetzt werden? Haben Sie sich über diesen Bericht informiert, um daraus eventuell neue Erkenntnisse zu ziehen?
Herr Kollege, Sie haben diesen Bericht in Ihrer Frage nicht angesprochen. Ich bitte um Verständnis, daß ich, wenn am Montag eine solche Mitteilung ergangen sein sollte, nicht alles inzwischen nachprüfen konnte. Wir gehen der Sache nach. Wir sind anderen Hinweisen und Vorwürfen nachgegangen, die sich als grundlos erwiesen haben. Aber wir prüfen auch diesen Bericht gerne nach.
Damit liegen keine weiteren Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes vor. Danke schön, Herr Staatsminister.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl da, aber nicht der Fragesteller. - Es wird mir vom Schriftführer gerade signalisiert, daß er noch in einer Ausschußsitzung sei und um schriftliche Beantwortung bitte. Dann wird die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Günther Maleuda schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nun die Frage 4 der Abgeordneten Heidemarie Wright auf:
Welche Schritte wird die Bundesregierung unternehmen, um das offensichtliche Innovationsdefizit bei der Röstung und Weiterverarbeitung von Hanf auszugleichen, und welche weiteren Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Wettbewerbsnachteile, die infolge des jahrelangen Anbauverbotes für die deutschen Landwirte entstanden sind, aufzuholen?
Bitte.
Frau Kollegin Wright, das Hanfanbauverbot in Deutschland besteht seit 1982. 1981 wurde in Deutschland nur noch auf 27 Hektar Hanf angebaut. Der Handel mit Hanf zur Gewinnung oder Verarbeitung der Fasern für gewerbliche Zwecke ist übrigens auch nach Erlaß des Anbauverbots in Deutschland ausdrücklich weiter zugelassen worden.
Parl. Staatssekretär Wolfgang Gröbl
Schon seit 1992 führt die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig-Völkenrode im Auftrag des Bundesministers für Landwirtschaft und Forsten Anbauversuche mit verschiedenen Hanfsorten durch. Ein wichtiges Ergebnis der Untersuchungen war, daß die zur Verfügung stehenden französischen Faserhanfsorten sehr geringe Gehalte an Tetrahydrocannabinol, der rauschaktiven Substanz des Hanfs, haben. Dies trug wesentlich zur Entscheidung des Sachverständigenausschusses für Betäubungsmittel bei, der Bundesregierung zu empfehlen, unter bestimmten Bedingungen den Anbau von Faserhanf zu ermöglichen.
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat eine Studie in Auftrag gegeben, in der der Sachstand des Anbaus, der Verarbeitung und der Verwertung von Hanf dargestellt werden soll. Darüber hinaus sollen die Chancen für einen künftigen Anbau in Deutschland aufgezeigt werden. Ergebnisse dieser Studie erwarten wir für die zweite Hälfte des Jahres 1996. Erst danach kann geprüft werden, welche Verarbeitungs- und Verwertungslinien bei Hanf besondere Beachtung verdienen.
Möchten Sie eine Zusatzfrage stellen? - Bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie trotzdem zugestehen, daß ein Innovationsdefizit besteht, oder würden Sie das grundsätzlich verneinen?
Frau Kollegin, wir haben einen europäischen Binnenmarkt. Jeder kann über unsere Grenzen schauen, wie es die Franzosen machen, wie es die Spanier machen. Dort sind die hauptsächlichen Hanfanbaugebiete. Es ist niemandem verwehrt, französischem oder spanischem Beispiel zu folgen.
Ich habe eine weitere Zusatzfrage.
Ja, bitte.
Wenn das Ergebnis der Studie im nächsten Jahr vorliegt, aber ab Frühjahr auch die deutschen Landwirte anbauen können, sind dann auch schon Mittel in Aussicht gestellt, mit denen das Innovationsdefizit - ich gehe davon aus, daß ein solches doch besteht - ausgeglichen wird? Gibt es Bereitstellungen von Mitteln direkt für die Weiterverarbeitung von Hanf, oder fällt das alles unter den Bereich nachwachsende Rohstoffe und müßte aus diesem Etat herausgezogen werden?
Frau Kollegin, unser Haushaltsgebaren ist ein bißchen sorgfältiger, als Sie es sich vorstellen. Wir warten zuerst einmal die Aussagen eines solchen Gutachtens ab und werden dann darüber diskutieren, möglicherweise auch im Ausschuß. Dann werden wir sehen, ob und gegebenenfalls welche Konsequenzen zu ziehen sind.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Wir beenden damit den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Für die Fragen 5 und 6 zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist um schriftliche Antwort gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens erschienen. Guten Tag!
Bei den Fragen 7 und 8 ist ebenfalls um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zur Frage 9 des Abgeordneten Wolfgang Zöller:
Was unternimmt die Bundesregierung, um den Kompetenzstreit zwischen Bund und Land bezüglich der Verlegung der B 8 bei Erlenbach dergestalt zu beenden, daß die Frage der Zuständigkeit rechtsverbindlich geklärt und festgelegt wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Danke schön.
Unterschiedliche Auffassungen zwischen Bund und Land bestehen bezüglich der Einstufung der B 8. Solange die Einstufung als Bundesfernstraße besteht, ist der Bund Baulastträger. Er kann die Verlegung der B 8 bei Erlenbach durch Bau und Finanzierung einer Ortsumgehung jedoch nicht veranlassen, nachdem die Ortsumgehung seit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes nicht mehr im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen enthalten ist, so daß hierfür ein werkehrlicher Bedarf gesetzlich nicht mehr anerkannt und festgestellt ist.
Das Bundesministerium für Verkehr hat das Land wiederholt aufgefordert, die wegen ihrer nahen Parallellage zur Bundesautobahn A 3 nicht mehr dem weiträumigen Verkehr dienende Bundesstraße B 8 zwischen Aschaffenburg und Würzburg in eine Straßenklasse nach Landesrecht abzustufen. Dem ist das Land bisher nicht nachgekommen.
Möchten Sie eine Zusatzfrage stellen? - Bitte.
Zum einen: Für mich ist dann unverständlich, wenn an der Landkreisgrenze die B 8 Bundesstraße bleibt, obwohl sie dort genauso nah an der Autobahn ist.Zum zweiten: Es kann doch nicht angehen, daß der Bund sagt „Ich bin für eine Straße nicht mehr zuständig, weil die Autobahn den Verkehr übernehmen soll, wenn sie sechsstreifig ausgebaut ist", wäh-
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6120 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995
Wolfgang Zöllerrend dieser Ausbau zur Sechsstreifigkeit in diesem Jahrhundert garantiert nicht mehr vollzogen werden kann. Also wäre es doch sinnvoll, die Abstufung zur Staatsstraße erst dann vorzunehmen, wenn der Ausbau der Bundesautobahn in besagtem Umfang vorgenommen wurde.
Man kann einem Abgeordneten, der logische Zusammenhänge vorträgt, nicht widersprechen. Das tue ich auch nicht. Hierbei muß man aber wissen, daß nicht dies der Kern der Problematik ist, sondern die Frage, wer die Ortsumgehung von Erlenbach bezahlt. Wir haben den Bundesverkehrswegeplan, wir haben auch den entsprechenden Ausbau der Autobahn vorgesehen, und dabei ist die Ortsumgehung von Erlenbach nicht mehr vorgesehen. Ich muß Ihnen sagen, daß dem Verkehrsausschuß und dem Deutschen Bundestag bei Beschlußfassung diese Zusammenhänge bekannt gewesen sind. Wichtig ist nun, daß es zu Entscheidungen kommt, daß die parallel laufende B 8 abgestuft wird, damit klare Verhältnisse entstehen und dann das Land die Aufgabe übernimmt, die es zu übernehmen hat.
Eine weitere Zusatzfrage zu Frage 9.
Jetzt sind wir bei dem Problem der Bürger. Die Bürger können das nicht mehr verstehen. Der Bund sagt: Wir sind nicht mehr zuständig. Das Land sagt jedoch: Wir sind noch nicht zuständig. Dieser Zustand dauert nun schon über fünf Jahre an. Hier muß es doch endlich eine rechtliche Lösung geben, wer zuständig ist. Stelle ich der Bundesregierung diese Frage, heißt es: Wir sind nicht zuständig. Stellen wir der Staatsregierung diese Frage, heißt es: Wir sind noch nicht zuständig. Deshalb auch meine Frage: Welche rechtssichere Handhabe kann endlich geschaffen werden, damit diese Rechtsunsicherheit endlich beseitigt werden kann?
Herr Kollege Zöller, Sie haben völlig recht. Wie ich dieses Problem gemeinsam mit Ihnen regeln will, beantworte ich ja in der nächsten Frage.
Dann kommen wir zur nächsten Frage, der Frage 10 des Abgeordneten Zöller:
Welche rechtlichen Möglichkeiten stehen der Bundesregierung zur Verfügung, insbesondere nachdem der Bundesrechnungshof mehrfach einen unbefriedigenden Fortgang der seit 1987 laufenden Abstufung autobahnparalleler Bundesfernstraßen festgestellt hat, den Vollzug der Abstufungsmaßnahmen durchzusetzen, und welche Konsequenzen hinsichtlich der Baulast ergeben sich bei einem Fehlen des rechtlichen Instrumentariums?
Bitte.
Das Bundesministerium für Verkehr kann im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung für die Bundesfernstraßen dem Bayerischen Staatsministerium des Innern nach Art. 85 Abs. 3 des Grundgesetzes Weisung erteilen, die B 8 in eine Straßenklasse nach Landesrecht abzustufen. Die Erteilung der Weisung ist beabsichtigt. Ihr Vollzug ist durch das Bayerische Staatsministerium des Innern als Oberste Landesbehörde sicherzustellen, und zwar nach Art. 85 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes. Nach Abstufung der B 8 liegt der Bau der Ortsumgehung Erlenbach in der Kompetenz des neuen Baulastträgers.
Zusatzfrage? - Bitte.
Sie sagten: „ist beabsichtigt". Kann ich bitte einen Zeitrahmen erfahren, weil ich nämlich schon fünf Jahre warte?
Herr Kollege Zöller, dafür habe ich volles Verständnis. Ich werde mich der Sache persönlich annehmen, um diese Entscheidung zügig umzusetzen. Bei mir heißt „zügig" nicht irgendwann, sondern sehr bald.
Danke schön.
Damit sind die Fragen beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Walter Schöler. Er ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Für die Fragen 13 und 14 der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren wird um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hier ist der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche erschienen. Guten Tag!
Wir kommen zur Frage 15 des Abgeordneten Horst Kubatschka:
Wird die Bundesregierung in der Europäischen Union darauf hinweisen, daß sich die slowakische Regierung über ihre Selbstverpflichtung hinwegsetzt, wenn sie das Atomkraftwerk Mochovce unter westlichen Sicherheitsstandards fertigstellen will und gleichzeitig das Atomkraftwerk Bohunice entgegen ursprünglichen Zusagen nicht vom Netz nimmt, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Schließung von Bohunice auch ohne die Fertigstellung des Atomkraftwerks Mochovce zu verwirklichen?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Kubatschka, die Bundesregierung hat keine Bedenken gegen die
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 6121
Parl. Staatssekretär Walter HircheFertigstellung der beiden Reaktorblöcke des Kernkraftwerkes Mochovce, sofern diese ohne Abstriche an den bisher vorgesehenen Sicherheitserhöhungsmaßnahmen erfolgt. Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, ob die im Zusammenhang mit dem Kreditantrag bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und bei der EIB zu sehende Aussage der slowakischen Regierung von 1994 weiterhin gilt, nach Inbetriebnahme der beiden Blöcke des Kernkraftwerkes Mochovce die Blöcke 1 und 2 des Kernkraftwerkes Bohunice zu schließen. Unabhängig davon, daß die slowakische Regierung den oben genannten Kreditantrag zurückgezogen hat, hält es die Bundesregierung für sehr wichtig, daß die ursprüngliche Schließungszusage für Bohunice weiter gilt. Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, die Schließung der Blöcke 1 und 2 des Kernkraftwerkes Bohunice ohne die Fertigstellung des Kernkraftwerkes Mochovce zu verwirklichen.
Möchten Sie nachfragen? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe ja den EU-Komplex angesprochen. Welche Möglichkeit sehen Sie, über die Europäische Union möglichst schnell eine Schließung von Bohunice zu erreichen?
Herr Kollege Kubatschka, Sie wissen, daß es umfangreiche Diskussionen zwischen der Arbeitsgruppe, die die G 7 eingesetzt hat, und der Europäischen Union einerseits und den jeweils betroffenen Regierungen andererseits gibt. Es geht ja nicht nur um die Slowakei. Mit den Regierungen über die Probleme zu reden ist deswegen ein sehr schwieriges Unterfangen, weil die Staaten bei dieser Thematik vielfach die Frage nach Grenzen und Umfang von Souveränität und Mitsprache von außen stellen. Deswegen sind manche Teile der öffentlichen Diskussion, die auch wir führen, nicht geeignet, dort eine Diskussionsoffenheit zu erzeugen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Welche Schritte unternehmen Sie dann - das muß ja nicht in der Öffentlichkeit geschehen -, um wirklich einen westlichen Standard in bezug auf die Sicherheit bei Bohunice und Mochovce zu erreichen? Oder ist er überhaupt nicht erreichbar?
Uns liegen Informationen der Art nicht vor, daß das nicht erreichbar oder etwa nicht gewollt sei. Vielmehr gehen wir nach wie vor davon aus, daß die Sicherheitsstandards, so wie sie diskutiert worden sind und in bezug auf diesen technischen Punkt im
Zusammenhang mit dem Kreditantrag als einvernehmlich angesehen worden sind, erfüllt werden. Nachdem der Kreditantrag ja zurückgezogen ist, versuchen wir auf den Kanälen, die noch offen bleiben, weiterhin tätig zu sein, diplomatisch und auf Fachebene. Ich kann nur noch einmal darauf verweisen, daß der Wunsch einiger Kollegen aus diesem Hause, den sie an die Bundesregierung gerichtet haben - wir sind dieser Anregung in der Form nicht gefolgt -, nämlich daß wir auf die EBRD einwirken sollten, diesen Kreditantrag nicht zu genehmigen, natürlich erst recht in das Dilemma führt, daß wir, formal gesehen, kaum einen Ansatzpunkt haben, auf die Realisierung von Sicherheitsvorschriften hinzuwirken.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Schönberger.
Sie haben in der Antwort auf die erste Nachfrage des Kollegen Kubatschka gesagt: Es gibt keine Alternativen dazu, Bohunice stillzulegen, ohne daß Mochovce in Betrieb geht. Ich möchte Sie daher fragen, welche Alternativangebote es denn gibt. Es gibt ja auch die Möglichkeit, dort Gaskraftwerke, moderne GuD-Kraftwerke anzubieten. Es kann ja nicht der Weisheit letzter Schluß sein, daß die Bundesregierung keine andere Möglichkeit sieht als die, ein Atomkraftwerk durch ein anderes zu ersetzen. Es gibt durchaus andere Techniken, die umweltfreundlicher und mit wesentlich weniger Risiko behaftet sind. Ich frage Sie, ob Sie nicht beispielsweise ein anderes Angebot machen könnten.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Schönberger, die Entscheidung, welche Form von Primärenergie eingesetzt wird, um Energie zu erzeugen, trifft jeder Staat souverän für sich. Im Rahmen der Diskussionen, die geführt werden, wird über alle möglichen Varianten gesprochen. Aber da spielen Finanzvolumina und Konkurrenzangebote von anderer Seite eine Rolle. Deswegen sind die Dinge nicht ganz so einfach zu bewegen, wie es in Ihrer Frage als Wunsch zum Ausdruck kommt.
Wir kommen damit zur Frage 16 des Abgeordneten Wolfgang Behrendt:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob die von der Slowakischen Republik zugesagte Schließung des in Betrieb befindlichen slowakischen Atomkraftwerks Bohunice zeitgleich mit der Fertigstellung des Atomkraftwerks Mochovce vorgenommen wird, und bis zu welchem Zeitpunkt soll die Schließung des Atomkraftwerks Bohunice abgeschlossen sein?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Behrendt, der Bundesregierung liegen über die Absichten der slowakischen Regierung keine neuen Informationen vor. Die Bundesregierung hält es aber für sehr wichtig, daß die im Zusammenhang mit der ursprünglich
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Parl. Staatssekretär Walter Hirchegeplanten EBRD-Finanzierung gegebene Schließungszusage der slowakischen Regierung weiter gilt. Die slowakische Regierung hat 1994 zugesagt, die Blöcke 1 und 2 des Kernkraftwerkes Bohunice nach Aufnahme des kommerziellen Betriebs der Blöcke 1 und 2 des Kernkraftwerks Mochovce stillzulegen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, halten auch Sie ja die Schließung von Bohunice spätestens bei der Fertigstellung von Mochovce für zwingend geboten. Was wird die Bundesregierung tun, um zu gewährleisten, daß diese zugesagte Schließung dann auch wirklich erfolgt?
Frau Präsidentin! Herr Kollege, wir versuchen, dies mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln der Überzeugung zu erreichen, auch unter Hinweis auf die Diskussion, die im Vorfeld der Aufnahmeanträge zur Europäischen Union und im Zusammenhang mit anderen Dingen geführt wird.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Firma Siemens einen Auftrag für das Gaskraftwerk Bratislava II erhalten hat, und ist der Bundesregierung bekannt, ob diese Auftragsvergabe an die Zusage zur Zusammenarbeit beim AKW Mochovce gebunden ist?
Herr Kollege, diese Information habe ich im Augenblick nicht. Ich kann mich aber gerne informieren.
Ich kann mir allerdings - dies zum zweiten Teil Ihrer Frage - nicht vorstellen, daß zu dieser Grundsatzentscheidung über eine einzelne Firma eine inhaltliche Verknüpfung getroffen worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, stimmt die Bundesregierung mir zu: Durch einen möglichen GAU beim Betrieb der Kernkraftwerke Bohunice oder Mochovce kann es auch bei uns in der Bundesrepublik zu beträchtlichen Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen kommen?
Herr Kollege, durch den schrecklichen Vorfall in Tschernobyl wissen wir, daß solche Folgen auch bei noch größeren Entfernungen als jenen, um die es sich hier handelt, eintreten können. Deswegen haben wir auch in der Europäischen Union und der G 7 diese Diskussion mit den mittel- und osteuropäischen Ländern aufgenommen, um auf erhöhte Sicherheit von Kernkraftwerken hinzuwirken.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Wir kommen damit zur Frage 17 der Abgeordneten Ursula Schönberger:
Wie reagiert die Bundesregierung auf den Rückzug des Projektantrages durch die slowakische Regierung bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung für das Atomkraftwerk Mochovce im Hinblick auf eine mögliche Fertigstellung unter westlichen Sicherheitsstandards?
Frau Präsidentin, Frau Kollegin, ist es gestattet, die beiden Fragen zusammen zu beantworten?
Ja, das ist gestattet. Dann rufe ich auch die Frage 18 der Kollegin Ursula Schönberger auf:
Verfügt die Bundesregierung außer einer Erklärung der slowakischen Regierung über Garantien, daß das Atomkraftwerk Mochovce mit westlichen Sicherheitsstandards fertiggestellt wird?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Schönberger, die Bundesregierung sieht derzeit keinen Anlaß, auf die Änderung der Finanzierung der Fertigstellung des Kernkraftwerks Mochovce zu reagieren, solange die Fertigstellung ohne Abstriche an dem im internationalen Konsens vereinbarten Sicherheitsstandard erfolgt. Die slowakische Regierung hält nach unserer Kenntnis an dem international definierten Sicherheitsniveau fest.
Die Fertigstellung des Kernkraftwerks Mochovce einschließlich der vorgesehenen sicherheitstechnischen Verbesserungen ist eine Aufgabe, die ausschließlich in der Verantwortung der Regierung der Slowakischen Republik liegt. Für die Bundesregierung ist wesentlich, daß die beabsichtigten Verbesserungen, für die es naturgemäß keine Garantien gibt, auch tatsächlich durchgeführt werden.
Die erste Zusatzfrage, bitte.
Gedenkt die Bundesregierung ihre eventuellen Zusagen für einen Hermes-Kredit an die Bedingung zu knüpfen, daß diese Sicherheitsstandards tatsächlich eingehalten werden?
Frau Kollegin, ich kann hier keine Auskünfte über Bedingungen im Zusammenhang mit
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
Hermes-Krediten geben, weil diese Entscheidung letztlich in einem anderen Ressort getroffen wird.
Wir werden - soviel will ich sagen - alle Möglichkeiten der inhaltlichen Einflußnahme zur Gewährleistung der Sicherheit nutzen, auch aus dem Interesse heraus, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Betreiben von Kernenergie Leben und Sicherheit gewahrt sehen will. Wir glauben, dafür ist es wichtig, daß in Ost- und Mitteleuropa Reaktoren arbeiten, die keinen Anlaß für zusätzliche Diskussionen geben.
Zusatzfrage, bitte.
Sie sagten gerade, es gehe darum, keine Investitionen zu fördern, die neue Diskussionen auslösen. Nun müßte Ihnen eigentlich bekannt sein, daß ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, nämlich Österreich, auf allen Ebenen gegen diesen Bau von Mochovce protestiert. Die Frage an Sie ist: Wie verhält sich die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Österreich, das ein evidentes und existentielles Interesse daran hat, daß Mochovce nicht in Betrieb geht?
Wir versuchen, Frau Kollegin, Frau Präsidentin, in der Sache etwas zu erreichen. Es ist nicht ohne weiteres logisch, daß derjenige, von dem bekannt ist, daß er grundsätzlich gegen etwas ist, bei einem anderen, der dafür ist, mehr erreicht als jemand, der versucht, mit ihm positiv und konstruktiv sicherere Bedingungen zu erarbeiten.
Insofern glaube ich: Es ist in der Tat ein Eigentor, daß der Kreditantrag - auch wegen Diskussionen, die in verschiedenen Ländern geführt worden sind - bei der EBRD von der slowakischen Regierung zurückgezogen worden ist - was Sie hier im Bundestag beantragt hatten -; denn das nimmt uns ein Stück Einflußmöglichkeit auf die Definition von Sicherheitsstandards. Nur wenn man in einem formalen Prozeß ist, kann man etwas erreichen. Wenn man sich ausklinkt, kann man das nicht. Aus diesem Grunde haben wir, trotz unterschiedlicher Einschätzung der Grundsatzfrage, überhaupt kein Problem - auch in Abstimmung mit der österreichischen Regierung; dazu haben Gespräche stattgefunden -, mit der slowakischen Regierung einen konstruktiven Dialog zu führen.
Bitte.
Herr Staatssekretär, dann muß ich in dem Zusammenhang eine Frage bezüglich Ihrer Ausführungen hinsichtlich einer grundsätzlichen Kritik, einer grundsätzlichen Ablehnung des Baus dieses Atomkraftwerks und Ihrer konstruktiven Zusammenarbeit stellen: Ist Ihnen bekannt, daß es sich bei Mochovce um einen Reaktortyp russischer Bauart wie den in Greifswald handelt? Auf der einen Seite ist die Investition für die Nachrüstung dieses Reaktortyps durch Siemens oder andere Unternehmen mit westlichen Leittechniken in der Bundesrepublik nicht getätigt worden, auf der anderen Seite wird aber gesagt: In der Slowakei gelten auf rechtlicher Ebene nicht die gleichen Sicherheitsanforderungen wie in der Bundesrepublik Deutschland. Also versuchen wir, da ein bißchen mehr Sicherheit einzubringen - anstatt nach einer grundsätzlichen Alternative zu suchen.
Frau Kollegin, wir sind uns sicher darüber einig: Das Hauptanliegen müßte sein, daß Bohunice abgeschaltet wird.
Da die slowakische Regierung in diesem Zusammenhang eine solche Möglichkeit nur dann sieht, wenn ausreichend Strom aus einem anderen Kernkraftwerk zur Verfügung steht, sollte das im Dialog mit der souveränen Entscheidung dieser Regierung geschehen; sie sollte auf diesem Weg unterstützt werden.
Im übrigen sind die Sicherheitsstandards für Mochovce international definiert. Ihr Soupçon, den Sie mit Ihrer Frage in diese Diskussion hineinbringen wollen, ist im Zusammenhang mit Mochovce nicht angebracht. Die Bundesregierung teilt diese Interpretation, die Sie hier vorgenommen haben, nicht.
Sie hätten noch eine Fragemöglichkeit. - Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie sagen, daß sich die Regierung der Slowakei nur dann in der Lage sieht, Bohunice abzuschalten, wenn sie Strom aus einem anderen Kernkraftwerk bekommt. Könnte es - auch nach Meinung der Bundesregierung - nicht sein, daß es vielleicht darum geht, Strom aus einem anderen Kraftwerk zu bekommen und nicht unbedingt Strom aus einem anderen Kernkraftwerk, um Bohunice abschalten zu können?
Frau Kollegin, ich möchte noch einmal in aller Zurückhaltung daran erinnern, daß es sich hierbei um Entscheidungen der souveränen Slowakischen Republik handelt und nicht im Deutschen Bundestag oder von der deutschen Bundesregierung entschieden werden kann oder auch nur entschieden werden sollte, was für andere richtig oder falsch ist. Diese Art von Diskussionsbeitrag wird in der Slowakei nicht zu der Offenheit führen, über diese und andere Fragen zu reden, sondern zu einer Verärgerung über oberlehrerhaftes Verhalten.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka.
Herr Staatssekretär, Sie sprechen von international definierten Sicherheitsstandards. Wer hat diese Sicherheitsstandards definiert? Wo und wie wurden sie definiert?
Herr Kollege, im Zusammenhang mit dem EBRD-Kreditantrag gibt es bestimmte Punkte, die erfüllt, die vorgelegt werden müssen. Im Vorfeld dieses Antrags sind diese einzelnen Punkte aufgestellt und geprüft worden. Ich habe die entsprechenden Unterlagen jetzt nicht hier. Ich bin aber gern bereit, Ihnen das nachzuliefern. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich mich mit dem Hinweis auf ein formales und transparentes - also nachprüfbares - Verfahren begnügen muß.
Herr Kubatschka, bitte.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Bereitschaft, mir diese Bedingungen zu sagen. Entsprechen diese international definierten Sicherheitsstandards den Sicherheitsstandards, die wir in Deutschland im Gesetz definiert haben?
Herr Kollege, Sie wissen, daß es in Deutschland einige Spezifika gibt, die hinsichtlich technischer Anforderungen anders gestaltet sind; aber in der Substanz ist es so, daß auch nach Einschätzung unserer Experten das, was dort als Auflage definiert worden ist, bis heute in vollem Umfang unter Sicherheitsgesichtspunkten verantwortbar ist.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Frage 19. Für diese Frage ist schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Für die Fragen 20, 21 und 22 wurde schriftliche Beantwortung beantragt. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Für die Frage 23 ist schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 24 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer:
Welche Angaben kann die Bundesregierung machen über die Zahl nicht visapflichtiger Drittstaatsangehöriger, denen seit Inkrafttreten des Schengener Durchführungsübereinkommens die Einreise nach Deutschland oder in andere Mitgliedstaaten - insbesondere mangels ausreichender Geldmittel - jeweils verweigert wurde, und in welcher Weise wollen die Bundesregierung sowie die anderen Schengener Mitgliedstaaten die betroffenen Drittstaatsangehörigkeiten künftig vor Reiseantritt zweckmäßiger über die Auslegung der Einreisebestimmungen - wie z. B. das Erfordernis ausreichender Finanzausstattung - informieren?
Ich begrüße den Parlamentarischen Staatssekretär Eduard Lintner und bitte ihn, die Frage zu beantworten.
Vom 1. April bis zum 31. Oktober 1995 sind 36 063 Zurückweisungen gegenüber Drittausländern, die nicht der Sichtvermerkspflicht unterliegen, ausgesprochen worden. Bei der statistischen Erfassung werden „fehlende finanzielle Mittel" als Grund der Zurückweisung nicht gesondert erfaßt. Die Bndesregierung verfügt deshalb nicht über Angaben, in wie vielen Fällen wegen fehlender Mittel die Einreise nicht gestattet wurde. Der Bundesregierung ist ebenfalls nicht die Zahl der Zurückweisungen durch die anderen Vertragsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens bekannt.
Daß Ausländer für die Einreise in einen anderen Staat ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts mit sich führen müssen, ist eine allgemein bekannte, in Europa von allen Staaten geforderte Einreisevoraussetzung, die im übrigen in Art. 5 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens übernommen worden ist. Die Höhe der erforderlichen Mittel hängt dabei von den Umständen des einzelnen Falles ab, insbesondere von der Reisedauer und vom Reisezweck.
Im übrigen liegen bei den deutschen Auslandsvertretungen Informationsblätter über die Einreisevoraussetzungen aus, in denen auch darauf hingewiesen wird, daß der Reisende ausreichende Mittel mit sich führen muß.
Zusatzfrage?
Nein.
Wir kommen zur Frage 25 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer:
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß der indonesische Forschungsminister B. J. Habibie auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, so daß er gemäß § 7 Abs. 2 des Strafgesetzbuches grundsätzlich der deutschen Strafgewalt unterläge, und teilt sie die Auffassung, daß einer Auskunft über die Staatsangehörigkeit des Ministers keine überwiegenden Datenschutzgründe entgegenstehen, da es sich bei ihm um eine Person des öffentlichen Lebens handelt?
Aus den der Bundesregierung zugänglichen staatsangehörigkeitsrecht-
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 6125
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerlichen Erkenntnisquellen geht nicht hervor, ob Herr B. J. Habibie auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Eine diesbezüglich abschließende Auskunft kann seitens der Bundesregierung nicht gegeben werden, weil in der Bundesrepublik Deutschland kein zentrales Staatsangehörigkeitsregister besteht.Auch aus Meldeunterlagen lassen sich keine mittelbaren Erkenntnisse gewinnen, solange die zuständige Meldebehörde nicht bekannt ist, da es auch für den Bereich des Meldewesens kein zentrales Register gibt.
Dazu gibt es keine Zusatzfrage.
Die Fragen 26 und 27 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 28 des Abgeordneten Johannes Singer:
Wie erklärt sich die Bundesregierung, daß im Jahre 1992 ein sogenannter kontrollierter Transport vom Bundeskriminalamt in der von Sicherheitskreisen als ungewöhnlich hoch bezeichneten Menge von 30 Tonnen Drogen in die Niederlande erfolgte ?
Herr Kollege Singer, das Bundeskriminalamt führt, wie auch andere nationale und ausländische Strafverfolgungsbehörden, im Rahmen eigener Ermittlungsverfahren „kontrollierte Transporte" als wirksame und gängige kriminaltaktische Maßnahme im Kampf gegen den international organisierten Rauschgifthandel durch. Kontrollierte Lieferungen umfassen in der Regel Heroin-, Kokainoder Cannabistransporte, wobei sich die Menge vom Kilo- bis in den Tonnenbereich bewegen kann.
Die über dpa verbreitete Meldung wird insoweit bestätigt, als das BKA im Jahre 1992 in Zusammenarbeit mit den niederländischen Behörden einen „kontrollierten Transport" in einer Größenordnung von 31 Tonnen Haschisch über die Bundesrepublik Deutschland in die Niederlande durchgeführt hat. Der „kontrollierte Transport" fand in Abstimmung mit den beteiligten nationalen und ausländischen Behörden und unter vorheriger Genehmigung aller betroffener Justizbehörden statt. In Deutschland war das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Traunstein anhängig.
In den Niederlanden wurden im Zuge des „kontrollierten Transports" zunächst 13 und später sechs weitere Personen festgenommen und die Gesamtmenge Rauschgift sichergestellt.
Nachfragen? - Bitte.
Herr Staatssekretär, die Tatsache kontrollierter Lieferungen war mir durchaus bekannt, und an solchen Operationen habe ich auch selber schon einmal teilgenommen. Neu war mir, daß, jedenfalls nach Presseberichten, als Absender das Bundeskriminalamt auftaucht. Ich hätte gerne Ihre Stellungnahme dazu, warum sich staatliche Stellen als Absender an solchen Transporten beteiligen. Bisher dienten kontrollierte Lieferungen eigentlich nur dazu, das jeweilige Ende und den Anfang einer Rauschgiftverbindung festzustellen, um Hintermänner auf beiden Seiten und Lieferanten und Empfänger zu erwischen. Das macht auch Sinn und ist auch richtig. Aber daß sich staatliche Dienststellen als Initiatoren betätigen, war mir neu. Ich halte das für höchst zweifelhaft.
Die Darstellung, die Sie jetzt geben, kann ich nicht bestätigen. Ohne in Details gehen zu wollen, handelt es sich beim Ablauf dieses Transports um kein ungewöhnliches Ereignis. Das ist so abgelaufen, wie es üblicherweise der Fall ist. Das heißt, die Möglichkeit dazu ist vom BKA nicht geschaffen, sondern aufgegriffen worden.
Habe ich es richtig verstanden, daß Absender nicht eine staatliche Dienststelle war, sondern eine kriminelle Organisation oder Einzelperson?
Absender im üblichen Sinne war natürlich nicht das BKA, denn das wäre naturgemäß aufgefallen und hätte die Operation erst gar nicht möglich gemacht. Vielmehr ist über Mittelspersonen an jemanden das Ansinnen gestellt worden, eine entsprechende Menge Rauschgift zu transportieren. Dieses Ansinnen ist dann für diese Operation als Aufhänger genutzt worden.
Wir kommen zu Frage 29:
Finden nach wie vor sogenannte kontrollierte Transporte vom Bundeskriminalamt in vergleichbar großer Menge statt, und prüft die Bundesregierung derzeit Alternativen?
Hier lautet die Antwort: Kontrollierte Transporte sind international anerkannte kriminaltaktische Maßnahmen, bei deren Durchführung die „Single Convention" - das ist das Einheits-Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung vom 8. August 1975 -, die „Convention on psychotropic substances" - Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1971 über psychotrope Substanzen in der Fassung vom 21. Februar 1971 - und auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Substanzen vom 19. Dezember 1988, das in Art. 11 explizit Aussagen zur „kontrollierten Lieferung" trifft, Anwendung finden.Insofern sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, über Alternativen dazu in dem Sinne nachzudenken, daß derartige Maßnahmen in Zukunft unterbleiben. Selbstverständlich gibt es eine Reihe von kriminaltaktischen Maßnahmen, die dem gleichen Ziel dienen können. Welche davon in einer jeweils konkreten Situation Anwendung findet, muß
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6126 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnervon den jeweiligen Umständen abhängig gemacht werden. Ein „kontrollierter Transport" von 31 Tonnen Rauschgift hat im Rahmen dieser möglichen Maßnahmen sicherlich eher Ausnahmecharakter.
Zusatzfrage des Kollegen Singer.
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß es zur Praxis des Bundeskriminalamtes gehört, Lieferungen in solcher Größenordnung anzuregen, zu unterstützen oder herbeizuführen?
Herr Kollege Singer, da müßten wir uns jetzt ausführlich über Ihre Definition von „anregen" und dergleichen unterhalten. Ich kann ausschließen, daß hier ein ungewöhnlicher Vorgang zugrunde lag. Der Ablauf des Vorgangs war einer, wie man ihn von einer solchen Operation normalerweise kennt.
Noch eine Nachfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für eine wirksame Kriminalpolitik, Vorgänge wie den Export von Rauschgift in befreundete Länder, die eigentlich eine Straftat darstellen, zu unterstützen, und teilen Sie nicht meine Auffassung, daß durch die Schaffung von Kriminalität dieses Umfangs mehr Schaden angerichtet wird, als wir Nutzen davon haben?
Herr Kollege Singer, den zweiten Teil Ihrer Frage kann ich glatt mit Nein beantworten. Dieses Instrument wird oft genutzt - übrigens weltweit - und erweist sich insbesondere im Rauschgifthandel als erfolgreich. Im übrigen ist die Sache rechtlich einwandfrei geregelt, so daß von Strafbarkeit, von einem Sich-Strafbarmachen in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein kann.
Zusatzfrage der Abgeordneten Schönberger.
Wenn ich mir das so anhöre, dann drängt sich mir der Vergleich mit dem Plutonimum auf. Ich frage mich, ob sich das BKA nicht allmählich überlegen müßte, sozusagen solche Delikte nicht herbeizuführen und nicht neue Märkte zu schaffen. Das kann doch nicht im Sinne des BKA sein.
Frau Kollegin, offensichtlich sind Ihnen die Vorgänge im Bereich des internationalen Rauschgifthandels relativ unbekannt. Sonst kämen Sie erst gar nicht auf den Gedanken, daß sich das Bundeskriminalamt Märkte durch eine entsprechende Bereitschaft schaffen müsse.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Danke schön, Herr Staatssekretär Lintner.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen werden vom Parlamentarischen Staatssekretär Hansgeorg Hauser beantwortet.
Ich rufe die Frage 30 der Abgeordneten Ina Albowitz auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob für die staatlichen Organe der ehemaligen DDR Haftpflichtversicherungsschutz bestand, und könnten deshalb Impfopfer aus der ehemaligen DDR die Frage des eventuellen Bestehens von zivil- oder staatshaftungsrechtlichen Schadenersatzansprüchen in Prozessen gegen die Staatliche Versicherung der DDR in Abwicklung verbindlich klären?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Albowitz, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Zur Frage des möglichen Bestehens zivil- oder staatshaftungsrechtlicher Schadenersatzansprüche wegen Impfschäden darf ich Sie auf die Antwort der Bundesregierung zu der Großen Anfrage des Abgeordneten Horst Schmidbauer und anderer sowie der Fraktion der SPD zum Thema „Hepatitis-C-Infektionen durch ,Anti-D'-Impfprophylaxe in der früheren DDR" hinweisen, die als Bundestagsdrucksache 13/2732 vom 24. Oktober 1995 vorliegt. Hier hat die Bundesregierung in ihrer Antwort zu der Frage 34 grundsätzlich und ausführlich ihre Auffassung zur Frage des möglichen Bestehens zivil- oder staatshaftungsrechtlicher Schadenersatzansprüche wegen Impfschäden gegen staatliche Organe der ehemaligen DDR dargelegt. Ebenso hat die Bundesregierung in ihrer Antwort zu der Frage 35 zu möglichen Schadenregulierungsverpflichtungen der Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung Stellung genommen.Soweit Sie im Interesse der Impfopfer nachfragen, ob diese das Bestehen zivil- oder staatshaftungsrechtlicher Schadenersatzansprüche in Prozessen gegen die Staatliche Versicherung der DDR in Abwicklung verbindlich klären lassen könnten, möchte ich darauf hinweisen, daß jedermann vor den zuständigen Gerichten um Rechtsschutz nachsuchen und das Bestehen bzw. das Nichtbestehen von Ansprüchen gerichtlich klären lassen kann. Die Entscheidung darüber, ob ein gerichtliches Verfahren sinnvollerweise anzustrengen ist oder nicht, müssen die Betroffenen jedoch selber - gegebenenfalls unter Hinzuziehung zulässiger rechtskundiger Beratung - treffen. Dabei wird es sicherlich zweckmäßig sein, die Antwort der Bundesregierung auf die Fragen 34 und 35 der bereits genannten Großen Anfrage zu berücksichtigen.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 6127
Parl. Staatssekretär Hansgeorg HauserIm übrigen bitte ich Sie, zu bedenken, daß die Rechtsberatung Monopol der rechtsberatenden Berufe und nicht der Bundesregierung ist.
Zusatzfrage der Abgeordneten Albowitz.
Frau Präsidentin, Sie gestatten, daß ich Herrn Staatssekretär zu seiner Premiere in diesem Hause gratuliere.
Insoweit möchte ich ihn bei der Schwere der Problematik nicht überfordern.
- Um Gottes willen; da kenne ich andere.
Herr Staatssekretär, mir sind die Große Anfrage von Herrn Kollegen Schmidbauer und der SPD-Fraktion sowie die Antwort der Bundesregierung selbstverständlich bekannt. Deswegen möchte ich zu genau diesem Punkt nachfragen. Denn die Bundesregierung hat in der Beantwortung der Großen Anfrage die Frage, ob die Impfopfer wegen des Skandals in der ehemaligen DDR in die versicherungsrechtlichen Lösungen bei der Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung eingebunden werden können, nicht abschließend beantwortet. Ich bitte Sie, mir das schriftlich zu beantworten. Das sage ich hier sehr klar, weil ich denke, daß der Vorgang viel tiefer geht. Ich bitte also um Überprüfung in Ihrem Haus.
Das sichere ich Ihnen gerne zu.
Danke.
Keine weiteren Zusatzfragen zu der Frage 30.
Die Fragen 31 und 32 sowie die Frage 33 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zur Frage 34 des Abgeordneten Gernot Erler:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie umfangreich das Geldguthaben ist, das die nigerianische Oberschicht ins europäische Ausland transferiert hat, und welcher Anteil davon befindet sich derzeit auf den Konten deutscher Banken?
Diese Frage kann ich wie folgt beantworten, Herr Kollege Erler: Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, BIZ, hat zu Nigeria im August 1995 folgende Zahlen der Kreditinstitute der berichtenden Länder, Stand: März 1995, veröffentlicht: 3,57 Milliarden US-Dollar Forderungen und 4,593 Milliarden US-Dollar Verbindlichkeiten insgesamt; davon gegenüber Nichtbanken 3,33 Milliarden US-Dollar Forderungen und 3,347 Milliarden US-Dollar Verbindlichkeiten.
Der BIZ berichten außer europäischen Staaten unter anderem Kanada, Japan, die USA und verschiedene Off-shore-Finanzzentren, zum Beispiel die Niederländischen Antillen oder die Cayman Islands. Diese Zahlen lassen keine Schlüsse zu, in welchem Umfang die nigerianische Oberschicht über Bankguthaben in europäischen Ländern verfügt.
Die Zahlungsbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank vom Oktober 1995 weist mit Stand Juni 1995 Verbindlichkeiten inländischer Kreditinstitute bei nigerianischen Gläubigern in Höhe von 191 Millionen DM aus, davon 186 Millionen DM kurzfristig und 5 Millionen DM langfristig. Von den 186 Millionen DM kurzfristigen Verbindlichkeiten bestehen 100 Millionen DM gegenüber nigerianischen Kreditinstituten. Zugleich bestehen Forderungen der deutschen Kreditinstitute an nigerianische Schuldner in Höhe von 951 Millionen DM, davon 75 Millionen DM kurzfristig und 876 Millionen DM langfristig.
Die Statistik differenziert nicht nach dem von Ihnen genannten Kriterium der Oberschicht. Eines zeigt die Statistik aber deutlich: Wenn die nigerianische Oberschicht in beachtlichem Umfang Geld auf Dauer nach Europa geschafft haben sollte, dann hat sie es jedenfalls nicht als Guthaben bei deutschen Kreditinstituten angelegt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Erler.
Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen für Ihre Ausführungen dankbar und stimme Ihnen durchaus zu, daß andere Mitglieder des nigerianischen Volkes als die der Oberschicht sicherlich keine Anlagen in westeuropäischen Staaten machen können.
Aber ich möchte Sie fragen, ob Sie es für denkbar halten, daß man mit fiskalischen Maßnahmen, zum Beispiel mit dem üblichen Mittel der Einfrierung von Guthaben, Einfluß auf den Demokratisierungsprozeß und die Beendigung der Menschenrechtsverletzungen in Nigeria ausüben kann.
Es ist richtig, daß eines der Mittel dafür das Einfrieren von Guthaben sein könnte. Soweit ich unterrichtet bin, ist am vergangenen Montag auf dem Außenministerrat der Europäischen Union darüber beraten worden. Dort hat man sich auf ein Waffenembargo, auf Visabeschränkungen und auf Sperrung der Entwicklungshilfe geeinigt. Vom Einfrieren von Konten ist mir nichts bekannt.
Möchten Sie noch einmal nachfragen? - Bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie es angesichts der schwerwiegenden Vorgänge in Nigeria und der Tatsache, daß eine kaum akzeptable Diskrepanz zwischen dem Reichtum der Oberschicht
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6128 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995
Gernot Erlerauf der Basis der Devisenerlöse aus dem Ölgeschäft auf der einen Seite und der Armut der sonstigen Bevölkerung auf der anderen Seite besteht, nicht für sinnvoll halten, daß die Bundesregierung einen Vorstoß in Richtung Einfrieren der Guthaben macht?
Ich nehme Ihre Anregung gerne auf und werde sie entsprechend weiterleiten. Es muß aber abgestimmt werden, ob das das richtige Mittel für die Lösung der Probleme ist, die Sie angesprochen haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kubatschka.
Frau Präsidentin, ich möchte erst einmal wissen, ob ich gegen die Regeln dieses Hauses verstoße: Bei uns Abgeordneten gilt, wenn ein Abgeordneter seine Junggesellenrede hält, daß man ihn nicht mit Zwischenfragen bombardiert. Gilt das auch für Staatssekretäre?
Sie können hier gar nicht zwischenfragen. Sie können hier nur fragen, und das dürfen Sie.
Das darf ich; das ist klar. - Dann möchte ich fragen, Herr Staatssekretär: Bestünde nicht eine Möglichkeit, über das Einfrieren dieser Konten Druck auf die Oberschicht in Nigeria auszuüben, damit die Menschenrechte dort beachtet werden?
Herr Abgeordneter, ich denke, das ist im Zusammenhang mit der vorhergehenden Frage zu sehen. Wenn das Mittel des Einfrierens von Konten als probates Mittel angesehen wird, dann kann dadurch möglicherweise entsprechend Druck ausgeübt werden. Aber wir sollten, wie gesagt, abwarten, bis diese Anregung geprüft worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, gibt es in Ihrem Hause positive Erfahrungen mit der Sperrung von Auslandskonten aus anderen Ländern, oder ist das ein völlig neuer Weg?
Herr Kollege Schuster, ich bitte Sie um Verständnis: Ich bin seit einer Woche in diesem Haus. Ich muß mich erst darüber informieren, ob es in anderen Fällen eine Anwendung solcher Mittel gegeben hat.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Dann bedanken wir uns bei Ihnen, Herr Staatssekretär, für Ihre Jungfernantworten.
Wir kommen zum Bundesministerium für Wirtschaft. Zur Beantwortung ist der Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb erschienen. Guten Tag!
Wir kommen zur Frage 35 des Abgeordneten Kubatschka:
Wird die Bundesregierung gegenüber der Russischen Föderation klarstellen, daß es inakzeptabel ist, wenn diese die Slowakische Republik bei der Fertigstellung des Atomkraftwerks Mochovce mit Krediten im Ausmaß von 80 Mio. US-Dollar unterstützt und andererseits weiterhin westliche Wirtschaftshilfe, auch von Deutschland, erhält, und wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Verpflichtung der Slowakei, gleichzeitig Nuklearbrennstoff aus Rußland zu beziehen, was die Slowakei in ein direktes Abhängigkeitsverhältnis bringen würde?
Guten Tag, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Kubatschka, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Deutsche Bundestag hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach und intensiv - wie ich beobachten konnte, auch heute in dieser Fragestunde - mit den verschiedenen Aspekten der Fertigstellung des slowakischen Kernkraftwerks Mochovce beschäftigt. Die Bundesregierung sieht es nicht als ihre Aufgabe an, sich in Finanzierungsfragen zwischen der Slowakischen Republik und der Russischen Föderation einzumischen. Deshalb will die Bundesregierung auch keine Klarstellung in dieser Frage gegenüber der Russischen Föderation vornehmen.
Zu Ihrer Frage, bezogen auf die Kernbrennstoffversorgung, möchte ich darauf hinweisen, daß Reaktoren russischer Bauart in der Regel mit Brennelementen aus der Russischen Föderation versorgt werden. Allerdings hat nach hiesigem Kenntnisstand die slowakische Regierung die Absicht bekundet, die Versorgung mit Brennelementen für slowakische Kernkraftwerke zu diversifizieren. Die Überlegungen gehen dahin, daß slowakische Firmen zusammen mit westlichen Brennelementeherstellern eine Kooperation aufbauen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie der Russischen Föderation nicht klarmachen, daß sie gegen deutsche Interessen verstößt, wenn sie dabei behilflich ist, das Kernkraftwerk Mochovce fertigzustellen? Ich darf daran erinnern, was hier über Auswirkungen eines GAUS auch auf uns ausgeführt worden ist.
Herr Kollege Kubatschka, die Bundesregierung hat stets und immer betont, daß wir die Fertigstellung des Kernkraftwerks Mochovce unter Berücksichtigung westlicher Sicherheitsstandards wollen. Wir haben keinen Grund, davon auszu-
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 6129
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolbgehen, daß bei einer geänderten Finanzierung von diesen Sicherheitsstandards abgerückt werden soll. Insofern, glaube ich, entbehrt Ihre Frage der Grundlage.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht einen gewissen Erklärungsbedarf in Österreich, aber auch bei uns in Deutschland? Auf der einen Seite geben wir der Russischen Föderation Wirtschaftshilfe. Gleichzeitig gibt die Russische Föderation der Slowakischen Republik Wirtschaftshilfe, um Mochovce fertigzustellen. Unsere Umwelt- und Gesundheitsinteressen gehen dabei den Bach hinunter.
Herr Kollege Kubatschka, ich glaube, es ist richtig, daß es solche Finanzströme gibt, daß wir Entwicklungshilfe an verschiedene Staaten leisten. Die Bundesregierung hält es jedoch für verfehlt, in bilaterale Fragen, in Fragen, die zwischen der Slowakei und der Russischen Föderation auszuhandeln sind, unter diesen Gesichtspunkten einzugreifen. Die Hintergründe für die Gewährung von Entwicklungshilfe sind völlig anders.
Wir kommen zur Frage 36 des Abgeordneten Wolfgang Behrendt:
Ist der Bundesregierung bewußt, daß sie im Falle der Bewilligung eines Hermes-Lieferkredites für die Firma Siemens zur Fertigstellung des Atomkraftwerkes Mochovce gegen die Interessen Österreichs handelt, und wie würde sie eine solche Vergabe gegenüber Österreich rechtfertigen?
Herr Kollege Behrendt, eine Entscheidung über die Gewährung einer Hermes-Ausfuhrgewährleistung zur Unterstützung deutscher Lieferungen und Leistungen im Zusammenhang mit der Fertigstellung des Atomkraftwerkes Mochovce steht nicht an. Deswegen erübrigt sich eine Antwort auf die Frage, wie eine Entscheidung über die Vergabe einer Hermes-Deckung im Verhältnis zu Österreich zu beurteilen ist.
Erste Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen der Allparteienantrag des österreichischen Parlaments bekannt, in dem sämtliche Parteien beschlossen haben, der Slowakei eine finanzielle Ausstiegshilfe in der Größenordnung von immerhin 500 Millionen Schilling zu geben, die vor allem für alternative Energien und für Kraft-Wärme-Koppelung genutzt werden soll, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Initiative?
Herr Kollege Behrendt, dieser Antrag ist mir nicht bekannt. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie ihn mir bei Gelegenheit geben könnten.
Dann möchte ich Sie fragen - das werden Sie dann aber wahrscheinlich auch nicht beantworten können -, ob die österreichische Bundesregierung mit dem Vorschlag an unsere Bundesregierung herangetreten ist, sich an dieser Ausstiegshilfe zu beteiligen, und wie die Bundesregierung gegebenenfalls darauf reagieren würde.
An dieser Ausstiegshilfe?
Das war ein Programm zum Ausstieg aus der Kernkraft, indem man Unterstützung im Hinblick auf alternative Energien und Kraft-Wärme-Koppelung liefert.
Darüber ist mir nichts bekannt.
Ich wäre dankbar, wenn Sie dies nachträglich beantworteten.
Das kann ich gerne recherchieren. Auf diese Zusatzfrage aber konnte man sich, glaube ich, guten Gewissens nicht vorbereiten. Ich liefere Ihnen die Antwort aber gerne nach.
Kollege Kubatschka, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt: Ein Hermes-Antrag liegt nicht vor. Heißt das im Klartext, daß die Bundesregierung auch einem zukünftigen Antrag auf Hermes-Kredite nicht zustimmen und damit vor allem Befürchtungen in Österreich ausräumen würde, daß wir dieses Geschäft über Hermes-Kredite auf den Weg bringen könnten?
Herr Kollege Kubatschka, ich habe gesagt: Die Entscheidung steht nicht an. Wie eine Entscheidung des interministeriellen Ausschusses bei einer zukünftigen Befassung aussehen würde, kann ich nicht sagen. Das hängt sicherlich auch von den Einzelheiten der Projektkonzeption ab. Insofern sind hypothetische Aussagen auf die Zukunft bezogen nicht möglich. Das muß man, wenn ein Antrag gestellt werden sollte, vor dem jeweiligen Hintergrund entscheiden.
Frau Kollegin Schönberger:
Herr Staatssekretär, sollte ein Antrag auf Her-
Ursula Schönberger
mes-Bürgschaft vorliegen, was zu erwarten ist, weil Siemens, sollte es in diese Kooperation einsteigen, seinen Lieferkredit bereits mitbringen muß und dies wahrscheinlich über Hermes-Bürgschaften ablaufen wird, wäre es dann denkbar, daß die Rückzahlung eines solchen Hermes-Kredits über Stromlieferungen aus der Slowakischen Republik stattfindet?
Ein Hermes-Kredit ist in diesem Zusammenhang, so glaube ich, ein falscher Ausdruck. Es wird eine Hermes-Bürgschaft für eine Kreditverpflichtung gegeben.
Was die Tilgung des zugrunde liegenden Kredits anbetrifft: Ich glaube, es ist unüblich, daß man bei der Gewährung von Hermes-Bürgschaften eine solche Bedingung mit auf den Weg gibt. Insofern kann ich dazu nichts sagen.
Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, Sie haben gegenüber dem Kollegen Behrendt Ihre Unkenntnis eingeräumt.
Muß ich davon ausgehen, daß sich die Bundesregierung bisher für die Haltung und die Entscheidungen der Regierungen der Nachbarländer, die sich auch mit dem Atomkraftwerk Mochovce beschäftigen, nicht interessiert hat?
Herr Kollege Schily, davon können und sollten Sie nicht ausgehen. Die Bundesregierung befindet sich natürlich in ständigem Kontakt mit ihren Nachbarstaaten, so auch mit der Republik Österreich.
Ich habe auf die Frage des Kollegen Behrendt, ob ich diesen Antrag kenne, geantwortet: Ich kenne ihn nicht. Ich gehe davon aus, daß dieser Antrag der Bundesregierung in den fachlich zuständigen Ressorts vorliegt, ihr möglicherweise auch bekannt ist.
Weitere Zusatzfragen zu Frage 36 werden nicht gestellt.
Dann rufe ich die Frage 37, die der Kollege Gernot Erler gestellt hat, auf:
Wie ist die deutsch-nigerianische militärische Zusammenarbeit von 1960 bis heute verlaufen, und in welchem Umfang sind aus der Bundesrepublik Deutschland Waffen bzw. Dual-use-Güter an Nigeria verkauft worden?
Ich bitte um Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Erler, die Zusammenarbeit mit Nigeria ist in den letzten Jahren spürbar zurückgeführt worden. Ausschlaggebend hierfür war im wesentlichen die politische Entwicklung in Nigeria.
Im Bereich der Rüstungsgüter hat sich die Bundesregierung in den letzten Jahren auf die Erteilung von Genehmigungen beschränkt, mit denen die Wartung und Instandsetzung von Flugzeugen und Lieferungen von Ersatzteilen ermöglicht wurden. Außerdem wurde entsprechenden Exporten für den Marinebereich nicht zugestimmt. Neugeschäfte mit militärischen Abnehmern wurden nicht genehmigt.
Die Zusammenarbeit mit Nigeria war in früheren Jahrzehnten von der allgemeinen wirtschaftlichen Bedeutung Nigerias, der damals stabileren inneren Lage und der wichtigen politischen Rolle des Landes auf dem afrikanischen Kontinent geprägt. In den Jahren von 1974 bis 1983 wurde die Ausfuhr von Schiffen, Patrouillenboote und eine Fregatte, genehmigt. Im Jahre 1978 wurde durch Entscheidung auf politischer Ebene dem Export von Alpha-Jet-Schulflugzeugen zugestimmt.
Landwaffensysteme, die auch in internen Auseinandersetzungen verwandt werden können, wurden nicht geliefert. Genauere, detaillierte Angaben können nicht mitgeteilt werden.
Dem Bundesausfuhramt stehen Genehmigungsunterlagen für Rüstungs- und Dual-use-Güter nur ab 1985 zur Verfügung. Das hängt mit der zehnjährigen Aufbewahrungspflicht zusammen. Der Gesamtwert der Genehmigungen für Rüstungsgüter betrug in dem Zeitraum ab 1. Januar 1985 rund 726 Millionen DM und für Dual-use-Waren rund 595 Millionen DM. Ich bitte aber, dabei zu berücksichtigen, daß die Genehmigungswerte in der Regel weitaus höher liegen als die Werte der dann tatsächlich erfolgten Ausfuhren.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt und können Sie dem Hohen Haus mitteilen, in welchem Umfang - es sind ja erhebliche Summen, die Sie hier eben genannt haben - die nigerianische Regierung Deviseneinnahmen prozentual für Waffenkäufe benutzt hat?
Ich glaube, das kann man sicherlich überschlagen. Aber ich kann es Ihnen hier und heute nicht mitteilen. Ich muß Ihnen das dann schriftlich beantworten.
Eine zweite Zusatzfrage: Herr Staatssekretär, Sie haben eben darüber berichtet, daß in den letzten Jahren die militärische Zusammenarbeit und auch die Lieferung von Waffensystemen aus der Bundesrepublik nach Nigeria zurückgegangen sind. Können Sie sagen, ob sich als Ersatz
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 6131
Gernot Erlerdafür die nigerianische Regierung über private internationale Waffenhändler auch mit deutschen Waffen ausgerüstet hat?
Herr Kollege Erler, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann versuchen, auch dieses zu recherchieren, und es dann in die Antwort mit einschließen. Aber ich wage mal die Voraussage, daß es schwierig sein wird, Informationen zu diesem Komplex zu beschaffen.
Bitte, Herr Kollege Kastning.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob zur Finanzierung der Lieferungen nach Nigeria öffentliche Mittel der Bundesrepublik Deutschland geflossen sind und, wenn ja, wieviel?
Herr Kollege, ich würde hier das gleiche Verfahren vorschlagen. Es ist bei der Breite der hier gestellten Fragen einfach nicht möglich, im voraus alle Informationen parat zu haben. Seien Sie bitte damit einverstanden, daß auch dieses recherchiert und Ihnen schriftlich mitgeteilt wird.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Dann darf ich mich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Kolb, für die Beantwortung herzlich bedanken.
Bevor ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung aufrufe, will ich nur sagen, daß wir angesichts von nur noch sechs zu beantwortenden Fragen die Sitzung möglicherweise unterbrechen werden, um pünktlich um 15 Uhr, wie es die meisten Kollegen eingeplant haben, mit der Aktuellen Stunde beginnen zu können.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 38 auf, gestellt von unserem Kollegen Hans Büttner:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine wirksame Bekämpfung von illegaler Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer entscheidend von den Kontrollmöglichkeiten und Kontrollkapazitäten, insbesondere der mit der Erteilung von Arbeitserlaubnissen befaßten Dienststellen, abhängig ist?
Ich bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, um Beantwortung.
Herr Kollege Büttner, Herr Präsident, sind Sie einverstanden, wenn ich die Fragen 38 und 39 gemeinsam beantworte?
Einverstanden. Dann rufe ich auch noch die Frage 39 des Kollegen Hans Büttner auf:
Hält es die Bundesregierung für ausreichend, daß in zahlreichen Arbeitsämtern lediglich ein bis zwei Planstellen vorhanden sind, die mit der Kontrolle von illegaler Beschäftigung bzw. der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer betraut sind?
Gut, vielen Dank.
Herr Kollege Büttner, selbstverständlich hängt die wirksame Bekämpfung illegaler Beschäftigung entscheidend von den Kontrollkapazitäten und Kontrollmöglichkeiten ab. Diese sind durch eine Reihe von Maßnahmen erheblich verbessert worden. Als Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung sind Sie hierüber laufend unterrichtet worden. Ich kann aber gerne, wenn Sie dies wünschen, die wichtigsten Maßnahmen hier noch einmal nennen. Wenn Sie dies wünschen, bitte ich, das gleich zu sagen; ich würde sonst erst die Frage 39 beantworten.
— Vielen Dank.
Zur zweiten Frage bemerke ich folgendes: Die Bekämpfung illegaler Beschäftigung einschließlich illegaler Ausländerbeschäftigung, die Erteilung von Arbeitserlaubnissen und die Betreuung legaler ausländischer Arbeitnehmer sind in der Bundesanstalt für Arbeit, wie ich meine, aus guten Gründen getrennt. Denn ausländische Arbeitnehmer mit einer Arbeitserlaubnis verhalten sich nicht rechtswidrig. Die meisten Inhaber einer Arbeitserlaubnis haben heute einen Rechtsanspruch, weil sie seit langem mit ihren Familien in Deutschland wohnen. Die Bearbeitung von Anträgen auf Arbeitserlaubnisse und deren Erteilung führen deswegen auch nicht die Bearbeitungsstellen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung oder die für die Bekämpfung von Leistungsmißbrauch und illegaler Ausländerbeschäftigung zuständigen Bediensteten der Bundesanstalt für Arbeit durch.
Die Zahl der in den einzelnen Arbeitsämtern für die Erteilung von Arbeitserlaubnissen und die Betreuung legaler ausländischer Arbeitnehmer eingesetzten Bediensteten hängt von der Größe des Arbeitsamtsbezirks und der Zahl der im Arbeitsamtsbezirk legal beschäftigten Ausländer ab. Das von der Bundesanstalt für Arbeit für diesen Zweck eingesetzte Personal ist unseres Erachtens ausreichend.
Bei der Bekämpfung illegaler Ausländerbeschäftigung treten zu dem in den einzelnen Arbeitsämtern eingesetzten Personal die 541 Dienstkräfte der Bearbeitungsstellen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung in den Stützpunktarbeitsämtern und 1 000 Bedienstete des Zolls hinzu.
Herr Kollege Büttner, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen. Die erste.
Herr Staatssekretär, halten Sie es angesichts der Konstruktion, die Sie hier vorgetragen haben, für ausreichend, daß sich bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen für ausländische Arbeitnehmer und auch im Rahmen der Werkverträge die Kontrollen auf die Prüfung der vorgelegten Arbeitsverträge beschränken und nicht konkret geprüft wird, ob sie in der Praxis eingehalten werden? Solche Fälle zeigen sich in Ingolstadt wie auch an anderen Orten immer wieder. Halten Sie es da nicht für notwendig, daß man beide Fragen stärker verknüpft?
Herr Kollege Büttner, zunächst einmal möchte ich feststellen, daß die Arbeitsverwaltung in sich bei der Stellenverteilung autonom ist. Wenn Arbeitsamtsdirektoren oder Landesarbeitsamtspräsidenten der Auffassung sind, daß die Stellen nicht ausreichen, um das zu tun, was Sie verlangen, nämlich die Prüfung nachzuholen bzw. verstärkt zu prüfen, sollten sie das innerhalb der Arbeitsverwaltung klären. Mir ist nicht bekannt, daß es hier große Anträge gäbe. Dennoch haben wir, wie Sie wissen - ich könnte das im einzelnen, wie angeboten, noch einmal darstellen; auch kann ich Ihnen das noch einmal schriftlich geben -, die Kontrollmöglichkeiten erheblich verschärft, was nicht ausschließt, daß hin und wieder Pannen passieren oder das eine oder andere nicht geprüft wird, weil man nicht jeden Tag in jedem Arbeitsamtsbezirk Prüfungen durchführen kann. Das können Sie auch nicht, wenn Sie das Personal für diesen Bereich zum Beispiel verdoppelten. Unseres Erachtens läuft das im großen und ganzen richtig.
Was die Werkverträge angeht, wissen Sie, daß wir dafür fünf besondere Arbeitsämter haben, die diese, jeweils auf Ländergruppen konzentriert, bearbeiten. Auch dort gibt es unseres Erachtens keine besonderen Klagen. Wenn sie Ihnen vorliegen, bitte ich, sie mir zuzuleiten.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Büttner.
Halten Sie es in diesem Zusammenhang für Handeln im Sinne dieses Gesetzes, wenn ein Landesarbeitsamt trotz intensiver Auslegung der Anwerbestoppausnahme-Verordnung nachträglich Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitnehmer erteilt, die nur für den Zeitraum der Beschäftigung in Deutschland für einen ausländischen Unternehmer als Subunternehmer tätig sind, obwohl im Bereich des zuständigen Arbeitsamtes genügend Arbeitslose zur Verfügung stünden?
Herr Kollege Büttner, ich glaube, daß wir diesen Fall vor ein, zwei Wochen schon besprochen haben. Auf entsprechende Fragen habe ich geantwortet, daß wir bei Nachprüfungen festgestellt haben, daß sich das Arbeitsamt korrekt verhalten hat, wenn auch zunächst einmal bestimmte Kontrollen unterblieben sind.
Dann zur dritten Zusatzfrage - Sie haben sie zum Teil beantwortet -: Ist die Bundesregierung bereit, das Kontrollpersonal bei der Arbeitsverwaltung umgehend so aufzustokken und dafür auch die nötigen Finanzmittel bereitzustellen, daß wirksame Kontrollen nicht nur der Verträge, sondern auch der Tatsache, daß diese Verträge eingehalten werden und die Leistungen aus diesen Verträgen den Arbeitnehmern zugute kommen, im Zusammenhang mit der legalen und der illegalen Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern durchgeführt werden können?
Herr Kollege Büttner, wir haben zum 1. Juli 1995 ein Pilotprojekt in Berlin mit 75 neuen Kräften zusätzlich zu den bis dahin nur 25 Bediensteten begonnen. Wir werden in diesem Bereich einschließlich Teilen von Brandenburg ab dem 1. Januar 1996 weitere 75 Kräfte einsetzen. Die Ergebnisse dieses Versuchs werden darüber entscheiden, ob wir dies flächendeckend im Bundesgebiet, insbesondere in den Schwerpunkten, weiter installieren.
Im übrigen stehen wir ständig mit der Bundesanstalt für Arbeit darüber in Gesprächen, möglicherweise auch durch Personalumschichtungen die Kontrollmöglichkeiten zu verbessern. Aber Sie wissen auch, daß jede Aufstockung von Personal in diesem Bereich natürlich entsprechende Haushaltsmittel erfordert. Dennoch haben wir diese Versuche in Berlin gestartet, um einmal festzustellen, was dabei herauskommt und ob sich diese Kräfte nicht vielleicht ohnehin selber bezahlen.
Die vierte Frage, Herr Kollege Büttner.
Wie begründet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang ihr Vorhaben, im Rahmen des von ihr im Bundestag eingebrachten Entwurfes zu einem Entsendegesetz auf Kontrollen durch die für die Erteilung von Arbeitserlaubnissen zuständigen Arbeitsverwaltungen und die Hauptzollämter zu verzichten?
Herr Kollege Büttner, Sie wissen ganz genau, daß es sich hier um eine Koalitionsvereinbarung handelt, um einen Kompromiß in dieser Sache. Wir haben Kontrollmöglichkeiten durch die Länder vorgesehen, und wir prüfen auch noch, ob diese Kontrollmöglichkeit auf die Arbeitsverwaltung erweitert werden kann, wenn auch dieser Gesetzentwurf im Augenblick diese Bestimmung nicht vorsieht.
Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, in welchem Umfang und in welcher Weise findet zwischen Ihrem Ministerium und dem Bundesinnenministerium eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung statt?
Mit dem Innenministerium findet direkt keine derartige Zusammenarbeit statt, wohl aber mit dem Finanzminister, der uns 1 000 Planstellen aus dem Zollbereich zur Verfügung gestellt hat, die zusätzlich zu den Kräften der Arbeitsverwaltung die Prüfungen vornehmen.
Herr Schily.
Herr Staatssekretär, ich bin einigermaßen überrascht von Ihrer Antwort angesichts der Tatsache, daß die illegale Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer sicherlich auch mit Straftatbeständen im Zusammenhang steht. Hier muß ich sagen, die Tatsache, daß Sie einräumen es gäbe eine solche Zusammenarbeit überhaupt nicht, läßt bei mir Zweifel an der Koordination der Arbeit der Bundesregierung aufkommen. Deshalb frage ich: Ist zwischen Ihrem Ministerium und dem Bundesinnenministerium erörtert worden, ob man die Erfolgsquote bei der Bekämpfung solcher Tatbestände verbessern könnte, indem man eine überregionale Prüfinstanz schafft, etwa in der Form einer „task force", die überraschend und vor Ort ohne große Warnmöglichkeiten tätig wird?
Herr Kollege Schily, die Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenminister ist nicht notwendig, weil wir dies laufend mit den Länderbehörden machen, zum Beispiel durch Polizeieinsatz bei entsprechenden Baustellenkontrollen oder Kontrollen anderer Betriebe. Selbstverständlich wird das vorher nicht angekündigt, sondern es geht immer ohne Vorankündigung. Ich selber habe an solchen Überprüfungen teilgenommen. Es wird dann die Baustelle abgeriegelt und in entsprechender Weise sind auch Polizeikräfte beteiligt, wie auch andere Ordnungskräfte dort sind, die die Straftatbestände dort selbstverständlich an die entsprechenden Staatsanwaltschaften weiterleiten. Das sind aber alles Länderbehörden.
Jetzt Herr Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, neben dem Modellversuch, von dem Sie gesprochen haben, der in Berlin und in Teilen von Brandenburg durchgeführt wird, frage ich Sie: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung noch, die illegale Beschäftigung besser zu kontrollieren und in den Griff zu bekommen?
Herr Kollege Kubatschka, das kann man in der Tat nur durch mehr Kontrollen machen. Daher machen wir diese Versuche vermehrt neben den in den letzten Jahren bereits gesetzlich und auch durch Personalaufstockung vorgenommenen Prüfungen, die laufend in den entsprechenden Betrieben vorgenommen werden. Es wird ständig in der Presse über die Erfolge - leider muß ich sagen: Erfolge - in diesem Bereich berichtet.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, erst kürzlich habe ich ein Gespräch mit meinem regionalen Arbeitsamtsdirektor geführt. Sehen Sie nicht, daß er in eine Zwangslage kommt? Auf der einen Seite gibt es immer mehr Arbeitslose, die vermittelt werden sollen, auf der anderen Seite soll er vermehrt Kontrollen mit seinem Personal durchführen. Er hat aber nicht mehr Personal. Es wird eher davon gesprochen, daß Personal abgebaut wird. Da ergibt die autonome Verwaltung, von der gesprochen wird, nicht viel Sinn, weil nicht die Möglichkeiten bestehen, daß das Personal diese Kontrollen wirksam durchführt.
Kollege Kubatschka, mir ist nicht bekannt, daß aus den Arbeitsvermittlungsstellen Personal zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung abgezogen worden ist. Es steht nach wie vor für die Vermittlung zur Verfügung. Sollte das in einzelnen Fällen geschehen sein, liegt das natürlich in der Kompetenz der Arbeitsämter, die da die bessere Übersicht haben. Aber ansonsten kann man natürlich mit dem Personal verschiedener Abteilungen - das ist geschehen - in den einzelnen Arbeitsamtsbezirken oder den Bezirken von Landesarbeitsämtern zentrale Stellen schaffen, so daß die Kontrollmöglichkeiten durchaus zusammengefaßt sind. Ich sage: Eine Verbesserung ist immer möglich, solange es illegale Beschäftigung in einer so großen Zahl gibt. Deshalb sind wir auf diesem Wege und werden ihn auch weiter beschreiten.
Herr Kollege Dreßen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die von dem Kollegen Büttner aufgeworfenen Fragen Sie zwingen, dieses Gebiet etwas näher zu betrachten, weil ja auch Presseorgane, die der SPD-Fraktion nicht so nahe stehen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" und andere, permanent feststellen, daß über 100 000 illegal Beschäftigte am Bau und anderswo arbeiten?
Ich habe ja gesagt, daß wir dabei sind, das ständig zu verbessern. Die Kontrollmöglichkeiten werden auch genutzt. Es ist doch nicht so, daß nichts geschieht.
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6134 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995
Parl. Staatssekretär Horst GüntherDie Arbeitsämter legen ja auch beachtliche Ergebnisse bei dieser Bekämpfung vor. Dennoch verstärken wir das Personal, um mehr Prüfungen durchführen zu können. Mehr ist aber im Augenblick nicht drin.Natürlich ist das alles unbefriedigend, aber Sie müssen auch wissen, daß zur Beschäftigung illegaler Kräfte zwei gehören, einmal die Unternehmer, die sie einstellen, und dann diejenigen, die mit ihnen arbeiten. Wir erhoffen uns aus den Betrieben, insbesondere von den Betriebsräten, mehr Hinweise über illegale Beschäftigung.Wenn man sich mit diesem Feld beschäftigt - ich denke, wir haben das im zuständigen Ausschuß mehrfach getan -, dann kommt man zu den Einzelheiten und kann feststellen, daß hier nicht alle mitziehen und daß die Arbeitsverwaltung zusammen mit den übrigen Kontrollbehörden oft alleine arbeitet. Insofern kann ich nur dazu aufrufen, daß alle mithelfen, dort, wo sie wirksame Mittel haben, die illegale Beschäftigung zu bekämpfen.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Dreßen.
Herr Staatssekretär, Sie wissen ja genau, daß illegale Beschäftigung in Betrieben stattfindet, wo es keine Betriebsräte gibt. Vielmehr findet die illegale Beschäftigung meistens in Subunternehmen und bei Kleinunternehmen statt. Wenn ich mir, Herr Staatssekretär, den südbadischen Raum anschaue, dann sehe ich, daß es unter vieren oder fünfen ein Arbeitsamt gibt, das dieser illegalen Beschäftigung nun wirklich mit drei, vier Mann nachgeht. Das halte ich natürlich angesichts der Größe der Region und angesichts der diversen Baustellen einfach nicht für machbar, daß sie das effektiv kontrollieren können. Es liegt, wie der Kollege Büttner feststellt, tatsächlich an zu wenig Personal auf diesem Gebiet. Ich frage Sie nochmals: Sieht die Bundesregierung hier nicht dringenden Handlungsbedarf?
Ich habe ja gesagt, daß wir in Bereichen, so jetzt im Pilotversuch in Berlin, das Personal in erheblichem Maße aufgestockt haben. Wir müssen die Ergebnisse erst einmal abwarten, um dann auch mit der Arbeitsverwaltung - das haben wir ja bereits eingeleitet; das habe ich auch alles schon gesagt - weitere Maßnahmen zu beschließen.
Herr Kollege Kastning.
Da es sich offensichtlich um eine unbefriedigende Situation handelt, frage ich, um so richtig unbefriedigt über diese unbefriedigende Situation sein zu können, Herr Staatssekretär: Wie hoch schätzen Sie denn die Zahl der illegalen Arbeitsverhältnisse? Wie hoch wäre dann etwa die Erfolgsquote bei der Aufdeckung von Verstößen?
Ich werde Ihnen keine geschätzten Zahlen nennen, weil man das überhaupt nicht kann. Es werden etwa von der Baugewerkschaft Zahlen in der Höhe zwischen 100 000 und 500 000 genannt. Diese Zahlen kann man nicht verifizieren. Wenn man über die richtigen Zahlen verfügen würde, hätte man die Leute bereits in entsprechender Weise zur Rechenschaft ziehen können. Also, Zahlenangaben darüber sind reine Spekulation. Die Zahl ist aber groß genug, um weitere Fortschritte bei der Aufklärung anzustreben.
Zweite, Herr Kollege Kastning.
Herr Staatssekretär, wenn es zutrifft, daß die Bundesregierung schon einmal vor einiger Zeit eine Zahl von, ich glaube, 140 000 Arbeitsverhältnissen genannt hat - egal, ob sie stimmt oder nicht -, möchte ich Sie fragen: Wie hoch wäre denn dann die Erfolgsquote, gemessen an dieser Zahl?
Ich kann Ihnen sagen, daß auf den Baustellen, wo die Prüfungen durchgeführt werden, im Augenblick 25 Prozent illegal Beschäftigte angetroffen werden, Personen, die entweder keine Arbeitserlaubnis haben, illegal beschäftigt sind oder keine Aufenthaltserlaubnis und/oder Arbeitserlaubnis besitzen, also solche, die in irgendeiner Form betroffen sind. Die Quote liegt bei den Prüfungen bei 25 Prozent der dort angetroffenen Beschäftigten.
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Dreßen auf:
In welcher Höhe haben die Berufsgenossenschaften in den letzten Jahren für Gutachten, Anwalts- bzw. Gerichtskosten usw. im Zusammenhang mit juristischen Auseinandersetzungen bei der Bewilligung von Berufsunfähigkeitsrenten Finanzmittel aufgewendet?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Dreßen, darf ich die Fragen 40 und 41 zusammen beantworten? - Vielen Dank. Herr Präsident, Sie sind auch einverstanden?
Ja. Dann rufe ich auch die Frage 41 des Kollegen Dreßen auf:
Wie viele Berufsunfähigkeitsrenten sind in den letzten Jahren ohne eine juristische Auseinandersetzung bewilligt worden, und welchen Anteil machen diese an allen Bewilligungen aus?
Kollege Dreßen, wegen der von Ihnen bereits im Oktober dieses Jahres nachgefragten Zahlenangaben hat das Bun-
Parl. Staatssekretär Horst Günther
desministerium für Arbeit und Sozialordnung die drei Spitzenverbände der gesetzlichen Unfallversicherung um Auskunft gebeten.
Für die gewerblichen Bereiche hat der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften am 17. November 1995 mitgeteilt, daß zur Höhe der Gutachter-, Anwalts- und Gerichtskosten keine detaillierten Statistiken bei den Unfallversicherungsträgern vorhanden sind. Auf Grund des bei einigen Berufsgenossenschaften vorhandenen Datenmaterials lassen sich allenfalls Abschätzungen der Größenordnungen der erbetenen Zahlen ableiten.
So werden in den Rechnungsergebnissen die durch Sozialgerichtsverfahren entstehenden besonderen Kosten aufgelistet. Hierzu zählen insbesondere Gerichtsgebühren, Kosten für Anwälte, Sachverständige und für die Beweiserbringung. Für die gesamte gewerbliche Unfallversicherung beliefen sich diese Aufwendungen im Jahre 1994 auf rund 2,8 Millionen DM. Dieser Betrag entspricht 0,017 Prozent der Gesamtaufwendungen. Da die Sozialgerichtsverfahren jedoch nicht nur Streitigkeiten wegen Rentenzahlungen betreffen, sondern ebenso Fragen der Mitgliedschaft, der Zuständigkeit, des Gefahrtarifs, des Beitragsrechts, des Regresses und des gesamten Spektrums des Leistungsrechts, muß davon ausgegangen werden, daß die Aufwendungen, eingeschränkt auf den Zusammenhang mit der Bewilligung von Renten, nur einen Bruchteil davon ausmachen.
Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt: Die bei den Berufsgenossenschaften vorliegenden Informationen über Sozialgerichtsverfahren sind in der Regel aufgegliedert nach dem Ausgang des Verfahrens, das heißt danach, ob der Versicherte ganz oder teilweise obsiegt hat. Aufgliederungen nach dem Gegenstand des Sozialgerichtsverfahrens - ob es sich also um ein Rentenbegehren, ein anderes Leistungsbegehren oder um Mitgliedschafts-, Beitragsfragen oder sonstiges gehandelt hat - liegen nicht vor. Auf Grund hochgerechneter Angaben einzelner Versicherungsträger kann davon ausgegangen werden, daß in etwa 1 bis 1,5 Prozent der Fälle, in denen erstmals eine Rentenzahlung durch die Unfallversicherung erfolgte, ein Sozialgerichtsverfahren vorausgegangen ist. Dies entspräche bei den rund 50 000 neuen Rentenfällen des Jahres 1994 im gewerblichen Bereich einer Zahl von maximal 500 bis 750 Fällen, in denen es insoweit zu einer Anrufung der Sozialgerichte gekommen ist.
Antworten der Spitzenverbände der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand liegen dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bislang nicht vor. Ich gehe jedoch davon aus, daß auch in diesen Bereichen Statistiken, die eine detaillierte Auskunft ermöglichen, nicht geführt werden. Aber sobald die Antworten, die ja in irgendeiner Form eingehen werden, vorliegen, werde ich Sie selbstverständlich unterrichten, Kollege Dreßen.
Herr Kollege Dreßen, erste von vier möglichen Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, man sagt ja immer, man soll nur der Statistik glauben, die man selbst fälscht. Die Statistik, die Sie hier angeführt haben, ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich weiß aus der Praxis, daß fast niemand Chancen hat, ohne gerichtliche Auseinandersetzungen eine Berufsgenossenschaftsrente zu bekommen. Deshalb möchte ich Sie bitten - und Sie fragen, ob Sie dies tun -, daß Sie in der Zukunft darauf Ihr Augenmerk richten.
Denn was hier passiert, ist ein Unding. Sie wissen, daß sich die Berufsgenossenschaften schon eigener Gutachter bedienen. Daraus ergibt sich für die Betroffenen eine unmögliche Situation. Die Zahlen, die Sie genannt haben, können nach meinem Ermessen überhaupt nicht zutreffen. Ich schätze, daß 40 bis 50 Prozent aller, die eine Berufsgenossenschaftsrente bekommen, durch ein gerichtliches Verfahren müssen. Diese Quote halte ich schlichtweg für zu hoch.
Herr Kollege Dreßen, wir sind heute zwar gut in der Zeit. Trotzdem war dies ein umfangreicher Debattenbeitrag,
und ich hatte Mühe, eine Frage herauszuhören.
Ich fragte, ob der Herr Staatssekretär meine Auffassung teilt und die Regierung in der Zukunft ihr Augenmerk auf das Angesprochene legen will.
Herr Kollege Dreßen, wir werden angesichts der Antwort vom 17. November - sie ist ja erst fünf Tage alt - und der noch eingehenden selbstverständlich eine Überprüfung vornehmen. Wir sehen uns ja öfter und können uns laufend darüber unterhalten. Einverstanden?
- Bitte.
Bitte, Herr Kollege Büttner.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung auf Grund dieser - wie Sie selbst zugegeben haben - mangelnden Antworten der Berufsgenossenschaften auf Ihre Frage nicht die Notwendigkeit, im Rahmen ihrer Fachaufsicht die Berufsgenossenschaften dazu zu verpflichten, künftig konkretes statistisches Material zu erheben, aus dem abgelesen werden kann, wieviel Mittel für Gutachten im Zusammenhang mit der Bewilligung von Renten und vor allem im Zusammenhang mit Sozialgerichtsverfahren aufgewandt werden? Dadurch könnte wirklich stichhaltiges Material vorgelegt und für uns Politiker die nötige Basis für vernünftige Entscheidungen geschaffen werden.
Kollege Bütt-
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6136 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995
Parl. Staatssekretär Horst Güntherner, ich habe nicht gesagt, daß es mangelnde Antworten der Berufsgenossenschaften gibt, sondern daß eine Antwort inzwischen vorliegt und die anderen vermutlich in wenigen Tagen vorliegen werden. Selbstverständlich gilt für Ihre Frage das gleiche, was ich dem Kollegen Dreßen gesagt habe, der darum gebeten hat, daß wir die Angelegenheit genauer verfolgen.Angesichts der Zahlen, die wir bekommen haben bzw. bekommen werden, werden wir diese Fälle prüfen und auch mit den Berufsgenossenschaften sprechen, wenn wir feststellen sollten, daß diese Angaben vielleicht nicht ausreichend sind.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger zur Verfügung.
Die Fragen 42 und 43, die die Kollegin Verena Wohlleben gestellt hat, sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 44, gestellt von unserem Kollegen Ernst Kastning, auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß im Falle eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr Soldaten aus den neuen Bundesländern künftig keine geringeren Bezüge erhalten als Soldaten aus den alten Bundesländern?
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich bitte um Beantwortung.
Herr Präsident, wenn Sie und der Kollege Kastning einverstanden sind, möchte ich die Frage 45 gleich mit beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 45 des Kollegen Ernst Kastning auf:
Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch zwischen einer am 14. November 1995 vom Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung, Hans-Dieter Wichter, abgegebenen Erklärung „eine Meldung, wonach Berufs- und Zeitsoldaten aus den neuen Bundesländern auch bei einem Einsatz im früheren Jugoslawien 84 Prozent der ,Westbezüge' erhalten sollen, ist unzutreffend" und der in einem Interview mit dem Deutschlandradio-Berlin am 15. November 1995 von der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung, Michaela Geiger, getroffenen Aussage, wonach „wir versuchen, eine Regelung zu finden, daß dies nicht vorkommt", von der die Parlamentarische Staatssekretärin auf Nachfrage „noch nicht sagen" konnte, wie diese aussehen werde?
Herr Kollege Kastning, im Zuge der organisatorischen Vorbereitung auf den möglichen Einsatz im ehemaligen Jugoslawien werden alle für den Einsatz vorgesehenen Soldaten in einen neu aufzustellenden Truppenverband der Peace Implementation Force versetzt. Aufstellungsort ist Koblenz. Dies hat zur Folge, daß auch die Soldaten aus den neuen Bundesländern ab dem Zeitpunkt dieser Versetzung und damit auch bei ihrer Entsendung in das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens 100 Prozent der West-Bezüge erhalten. Vergleichbar ist bei bisherigen Auslandseinsätzen verfahren worden. Auch zukünftig wird dies erforderlich sein.
Zwischen der Erklärung des Sprechers des Bundesministeriums der Verteidigung vom 14. November 1995 zur Frage der Dienstbezüge von Soldaten aus den neuen Bundesländern bei einem eventuellen Einsatz im früheren Jugoslawien und der dazu von mir gegenüber dem „Deutschlandradio-Berlin" gemachten Aussage besteht kein Widerspruch.
Auslöser für die Pressemitteilung des Ministeriums vom 14. November war ein Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom selben Tag. Darin wurde behauptet, Zeit- und Berufssoldaten, die ihre Ernennungsurkunde in den neuen Bundesländern erhalten hätten, bekämen auch bei einem Einsatz im früheren Jugoslawien nur 84 Prozent der Dienstbezüge ihrer Kameraden aus den alten Bundesländern.
In der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung heißt es, wie bei allen bisherigen Auslandseinsätzen werde bei einem Einsatz im früheren Jugoslawien sichergestellt, daß für Soldaten aus den neuen und aus den alten Bundesländern gleiche finanzielle Bedingungen gelten. Dem entspricht meine Aussage; das belegt eine Agenturmeldung des „Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes", „ddp/ADN" vom 15. November. Dort heißt es:
Nach Aussage der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, Michaela Geiger, arbeitet das Ministerium gegenwärtig an Regelungen, die die Gleichstellung von Soldaten aus Ost und West im Falle eines Auslandseinsatzes beispielsweise im ehemaligen Jugoslawien zum Ziel haben.
Einen Widerspruch vermag ich dabei nicht zu erkennen.
Herr Kollege Kastning, Sie dürfen vier Zusatzfragen stellen.
Frau Staatssekretärin, können Sie nachvollziehen - selbst wenn Sie meinen, es sei kein Widerspruch zwischen Ihrer Aussage und der des Pressesprechers der Hardthöhe zu erkennen -, daß zumindest durch abweichende Äußerungen Ihrerseits und des Herrn Pressesprechers Verwirrung entstanden ist, die Anlaß zur Sorge gab bzw. gibt, daß möglicherweise keine vernünftige, nämlich einheitliche Lösung gefunden wird?
Herr Kastning, dem vollen Wortlaut des Interviews können Sie entnehmen, daß ich gesagt habe, eine Gleichstellung müsse selbstverständlich erfolgen. Ich habe mich nur nicht auf die Art, wie wir das regeln werden, festgelegt. Das war vermutlich der Grund, warum Sie sich verwirrt fühlten.
Eine zweite Zusatzfrage.
Nicht nur ich war verwirrt, sondern offensichtlich auch andere Personen; denn die Initiative zu dieser Frage kam nicht nur von mir.
Darf ich Sie weiterhin fragen: Wenn in der Vergangenheit Soldaten der Bundeswehr aus Ost und West bei gemeinsamen Auslandseinsätzen, zum Beispiel in der Zeit vor den Bosnien-Einsätzen, einheitlich mit allen Zulagen bezahlt worden sind, wie kommen Sie dann in Ihrem Radiointerview zu der Aussage, daß Sie versuchen werden, eine Regelung zu finden, die gewährleistet, daß es keine unterschiedliche Bezahlung gibt?
Ich meinte damit den Stationierungsort Koblenz, der anschließend festgelegt wurde. Weil ich keine falschen Aussagen machen wollte, habe ich mich vorsichtig ausgedrückt.
Eine dritte Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, waren in der Vergangenheit, um eine gleiche Bezahlung zu erreichen, und/oder werden für die Zukunft, um eine gleiche Bezahlung zu erreichen, Veränderungen von Rechtsbestimmungen erforderlich, und, wenn ja, wann werden diese erfolgen?
Ich darf einen Satz der Erläuterung hinzufügen, Herr Präsident. Ich möchte, daß öffentlich klargestellt wird: einheitlich oder nicht.
Sie wissen, daß wir natürlich bei allen entsprechenden Regelungen an den Einigungsvertrag gebunden sind. Eine besoldungsrechtliche Regelung steht uns kurzfristig, Herr Kollege Kastning, leider nicht zur Verfügung. Ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren würde sehr viel Zeit erfordern; zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich insoweit, als sich die Besoldung der Zeit- und Berufssoldaten grundsätzlich nach den besoldungsrechtlichen Vorschriften richtet, die für alle anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes als Besoldungsempfänger auch gelten.
Die vierte Zusatzfrage.
Das hatte ich zwar nicht gefragt, aber dann stelle ich noch eine vierte Zusatzfrage.
In Ergänzung zu Ihrer Antwort auf meine beiden Fragen hätte ich gern gewußt, von wann bis wann genau eine einheitliche Bezahlung sichergestellt ist. Heißt Versetzung nach Koblenz mit Eingang des Versetzungsbescheides oder mit dem Vollzug der Versetzung? In welchem Zeitraum nach Beendigung des Auslandseinsatzes endet die einheitliche Bezahlung?
Die erste Frage würde ich Ihnen gern schriftlich beantworten. Der Anspruch auf volle West-Besoldung bleibt auch dann erhalten, wenn die Soldaten aus den neuen Bundesländern im Anschluß an ihre Auslandsverwendungen wieder in die neuen Bundesländer zurückkehren.
- Ja.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich danke Ihnen herzlich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen 46, 47 und 48 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist der Fragebedarf in der heutigen Fragestunde erschöpft. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr, bis zum Beginn der Aktuellen Stunde.
Die unterbrochene Sitzung wird wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zur Verschiebung der Islam-Konferenz durch den Bundesaußenminister
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Karsten Voigt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Absage der Islam-Konferenz ist ein Schlag ins Gesicht des Parlaments. Diese Entscheidung der Bundesregierung umgeht die Beschlußlage des Bundestages. Sie verkehrt die Absicht des Bundestages ins Gegenteil: Der Bundestag wollte nach der Stellungnahme Rafsanjanis zur Ermordung Rabins ein Signal an die politische Führung des Irans geben. Er wollte nicht den Dialog mit der islamischen Welt absagen oder verzögern. Wir wollten vielmehr den Dialog mit der islamischen Welt intensivieren. - Es ist ein schwerer politischer Fehler, die Türkei, Jordanien, Ägypten, Marokko und andere Staaten der islamischen Welt mit der politischen Führung des Irans gleichzusetzen.
Karsten D. Voigt
Darüber hinaus ist die Absage an Welajati nicht gleichbedeutend mit der Absage an den Dialog mit Schiiten; denn es gibt unter den verschiedenen schiitischen Strömungen, übrigens auch unter denen des Irans, unterschiedliche Auffassungen - auch zu dem, was gegenwärtig in der politischen Führung des Irans passiert.
Natürlich ist ein kritischer Dialog mit dem Iran erforderlich. Ich selber war in Teheran; ich habe auch hier in Bonn mit Welajati gesprochen. Das aber ist eben der Unterschied: Als Welajati bei einem Gespräch deutschen Teilnehmern seine Prinzipien als allgemeinverbindlich aufzwingen wollte, habe ich dieses Gespräch verlassen.
Das heißt: Im Gespräch mit Leuten anderer Überzeugung, sei sie religiös bedingt, sei sie politisch bedingt, muß man klarmachen, auch im praktischen Verhalten, was die eigenen Prinzipien sind. Ansonsten hat ein Dialog überhaupt keinen Sinn.
Ich möchte darüber hinaus sagen, daß Staaten wie die Türkei, die laizistisch sind, in denen aber die Mehrheit der Bevölkerung dem Islam angehört, es schlicht und ergreifend als Provokation empfinden müssen, wenn, weil der iranische Außenminister an der Konferenz nicht teilnehmen soll, sie selber mit ausgeladen werden. Damit wird die gesamte islamische Welt mit denjenigen, die in Teheran solche Äußerungen von sich geben, auf einen Nenner gebracht.
Ich will gar nicht verhehlen, daß es schlimme Äußerungen nicht nur aus Teheran gibt. Es gab solche Äußerungen auch in anderen Staaten, übrigens auch in Israel. Hier wurde unter Berufung auf religiöse Komponenten Verständnis für die Tötung anderer Menschen gezeigt. Das kann nicht hingenommen werden.
Es ist aber ein Mißverständnis seitens des Iran, zu glauben, daß wir aus einem Schuldgefühl gegenüber Israel heraus jetzt, weil es Rabin betroffen hat, gefordert haben, daß die Einladung Welajatis zurückgenommen wird. Dabei geht es nicht um ein Schuldgefühl, sondern hier handelt es sich um eine tief-empfundene Sympathie für den Staat Israel und seine Bevölkerung und um das Prinzip, daß nämlich eine Ermordung überhaupt, aber erst recht die von Regierungschefs und Staatsoberhäuptern in der internationalen Politik inakzeptabel ist und daß sich Regierungssprecher und Regierungsoberhäupter, die sich solchen Ermordungen, und sei es auch für den „Hausgebrauch", in irgendeiner Weise gegenüber verständnisvoll verhalten oder sie sogar noch legitimieren, außerhalb der Norm der internationalen Staatenwelt stellen.
Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß man in dieser Phase, solange sich der Iran davon nicht distanziert - das hat er bis zur gegenwärtigen Minute nicht; Sie, Herr Bundesaußenminister, haben ja noch gehofft, daß er es täte; er hat es aber nicht getan -, den führenden Politiker aus diesem Lande zu einer solchen Konferenz einlädt und ihn hier sprechen läßt. Denn letzten Endes würde es ja bedeuten, daß man es, wenn man irgendein europäisches Staatsoberhaupt ermorden ließe, mit irgendeiner religiösen Begründung letzten Endes legitimieren oder verharmlosen könnte.
Es geht hier im Kern nicht um den Dialog mit dem Islam, den wir intensivieren und sogar verstärken wollen. Es geht vielmehr darum, daß man diesen Dialog auf der Grundlage internationaler Menschenrechte, von Norm und Rechtsstaatlichkeit führt
und daß man in diesem Dialog um der Kritik willen deutlich macht, daß Politiker nicht opportunistisch sind, wenn sie einen kritischen Dialog wollen, sondern daß sie ernsthaft an einem Dialog mit dem Islam interessiert sind und daß sie nicht die iranische Führung mit dem Islam insgesamt verwechseln.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Dr. Wolfgang Schäuble das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kritik an der Bundesregierung, Herr Kollege Voigt, habe ich nun wirklich nicht verstanden.
- Ich will es ja gerade erläutern.
Wir sind uns doch offensichtlich darüber einig, daß die Politik des kritischen Dialogs der Europäischen Union und der Bundesregierung gegenüber dem Iran richtig ist.
Ich habe das auch bei meinen Gesprächen in Washington in der vergangenen Woche gesagt. Aber dazu haben Sie gar nicht das Gegenteil gesagt; insofern sind wir uns einig.
Wir sind uns genauso darin einig, daß die Initiative des Bundesaußenministers, den Dialog mit der islamischen Welt zum Nutzen beider Seiten und der Menschheit insgesamt voranzubringen und zu intensivieren, richtig, begrüßenswert und unterstützenswert ist.
- Langsam.
Dr. Wolfgang Schäuble
Wir sind uns offensichtlich auch darin einig, daß es richtig gewesen ist, daß Herr Welajati in der vergangenen Woche nach den abstoßenden Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten Rafsanjani nicht in Bonn gewesen und empfangen worden ist.
Auch darüber sind wir uns einig.
- Entschuldigung, wir waren über den Weg, wie man das erreicht,
möglicherweise unterschiedlicher Meinung, aber nicht in der Sache. Denn darüber, daß in der Situation, wie sie nach der Ermordung des israelischen Premierministers Rabin entstanden war, und nach den unerträglichen Äußerungen aus Teheran die Zeit für eine positive Wirkung einer solchen Konferenz in der Woche danach nicht gut gewesen wäre, sollten wir uns ebenfalls einig sein. Deswegen hoffe ich, wir sind uns auch darin einig, daß es eine richtige Entscheidung der Bundesregierung gewesen ist, diese Konferenz nicht abzusagen, sondern zu verschieben. Sie muß in der Zukunft stattfinden.
Sie ist richtig und notwendig; aber der Zeitpunkt war ungeeignet.
Jetzt, lieber Herr Voigt, frage ich Sie in aller Ruhe - wir können ja wirklich über alles streiten; aber darüber zu streiten, finde ich, gibt es heute wirklich keinen Grund -: Glauben Sie im Ernst, daß mit einer Ausladung von Herrn Welajati die Konferenz drei Tage danach mit all den Außenministern, die Sie aufgezählt haben, die Chance eines Erfolgs gehabt hätte? Das einzige Thema dieser Konferenz wäre die Ausladung von Herrn Welajati und die Äußerung von Herrn Rafsanjani gewesen. Dem Anliegen, durch einen konstruktiven Dialog mit der islamischen Welt Fortschritte zu erzielen, wäre ein fürchterlicher Schaden zugefügt worden. Wir sollten da ganz ruhig bleiben.
Ich fasse zusammen: Herr Bundesaußenminister, Ihre und unsere gemeinsame Politik des kritischen Dialogs auch mit dem Iran bedeutet, offen anzusprechen, was nicht in Ordnung ist, und sich in schwierigen Situationen einzusetzen.
Herr Kollege Genscher, bei der Entführung von Cordes und Schmidt im Libanon haben Ihre Kontakte nach Teheran mitgeholfen, das Problem zu lösen. Ich bedanke mich heute noch dafür.
Wir müssen auch in der Zukunft zur Lösung schwieriger Angelegenheiten fähig bleiben und zugleich versuchen, die Dinge zum Besseren zu entwickeln - das ist kritischer Dialog -, und den Dialog mit der islamischen Welt vorantreiben. Herr Bundesaußenminister, deswegen muß diese Konferenz zu einem geeigneten Zeitpunkt stattfinden. Sie haben jede Unterstützung dafür. Aber der Zeitpunkt in der vergangenen Woche wäre der falsche gewesen. Deswegen war es richtig, wie die Bundesregierung entschieden hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Helmut Lippelt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schäuble, es ist richtig: Es geht im Kern darum, was der kritische Dialog dieser Bundesregierung ist. Darüber müssen wir streiten.
Der Herr Außenminister hat in seiner letzten Rede gesagt, er habe dem iranischen Außenminister auf die unakzeptablen Äußerungen einen scharfen Brief geschrieben. Leider ist es dem Hohen Haus nicht möglich, diesen Brief zu sehen. Es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, so etwas einmal sehen zu können, wenn wir jetzt in die Frage „Was ist kritischer Dialog?" einsteigen.
- Richtig, Herr Außenminister. Das weiß ich; das habe ich Ihnen doch zugegeben. Deshalb ist es doch das Problem, daß wir den kritischen Dialog nur an den Taten messen können.
Jetzt haben Sie einige Ergebnisse des kritischen Dialogs aufgezählt. Sie haben gesagt: Bitte, der Iran hat das Chemiewaffenübereinkommen unterschrieben, er hat den NPT-Vertrag unterschrieben. Vielleicht war das alles im wohlverstandenen Interesse des Irans und nicht gerade das Ergebnis eines kritischen Dialogs. Denn gleichzeitig hat der Iran, ein so energiereiches und ein so sonnenreiches Land, mit Rußland die Lieferung von Atomkraftwerken ausgehandelt. Sie wissen, was unsere amerikanischen Freunde darüber denken, was für Hintergedanken sie dabei vermuten. So einfach ist das nicht.
Deshalb ist und bleibt seit acht Jahren die Frage, wann die Fatwa gegen Salman Rushdie aufgehoben wird, der Prüfstein dafür, was ein kritischer Dialog erreicht. Sie sagen: Es gibt da Fortschritte. Wenn ich den Zeitraum von acht Jahren bedenke, dann muß ich sagen, daß diese Fortschritte offensichtlich in Millimetern zu messen sind. Ich weiß nicht, ob Salman Rushdie die Aufhebung der Fatwa noch erlebt.
Die Frage ist: Herr Außenminister, warum sind Sie eigentlich - da gehe ich in die Diskussion mit Herrn Schäuble - dem Votum dieses Hauses nicht gefolgt? Ihnen war hervorragend der Rücken gestärkt worden. Ich verstehe Ihr Verhalten überhaupt nicht. In diesem Moment war doch die Ausladung des Repräsentanten eines Landes, das den Träger eines ganz
Dr. Helmut Lippelt
essentiellen Friedensprozesses so beschimpft und so verleumdet, auch in der islamischen Welt allgemein verständlich.
Die Außenminister kommen jetzt erst in vier oder fünf Monaten. Dann erst wird das zu einer Frage der Solidarität. Deshalb wird der Dialog, den Sie wollen, nicht zustande kommen. Wollen Sie dann den Repräsentanten eines Regimes einladen, dessen Botschafter in seinem offiziösen Mitteilungsblatt „Iran-Report" auch jetzt noch dieselben Verleumdungen wiederholt, indem er Zeitungen aus dem Iran und anonyme Äußerungen zusammenschneidet, um genau dies immer weiter zu wiederholen?
Deshalb ist die Frage, wie Sie mit diesem sehr dringenden Dialog wieder in Gang kommen, natürlich eine Frage nicht nur des politischen Wollens, sondern auch des politischen Geschicks. Wenn wir über die Frage streiten, wie kritischer Dialog zu messen ist, so fällt mir immer wieder ein: Zu messen ist er an der Frage, wie weit in solchen Verhältnissen der Dialog nicht nur mit den Regierungen, sondern auch mit der Opposition läuft. Es ist der Bundesregierung doch bekannt, daß die wichtigste Oppositionsgruppe im Iran, die „Befreiungsbewegung" des jetzt leider verstorbenen Mehdi Bazargan, im Mai dieses Jahres einen offenen Brief geschrieben hat und freie Wahlen zum Parlament gefordert hat. Im Juli haben sich 86 Oppositionelle angeschlossen und sich mit einem weiteren Aufruf zu Wort gemeldet, in dem es heißt:
Es müssen Bedingungen für freie Meinungsäußerungen geschaffen werden und dafür, daß die öffentlichen Medien genutzt werden können, so daß die Menschen im Rahmen des Gesetzes - statt in blinden Aktionen und Aufständen - die Regierung frei und ohne Angst vor Bedrohung kritisieren können.
Vor kurzem wurden die Aktivitäten dieser Partei verboten.
Wo hat sich der Außenminister jemals im Rahmen des von ihm so genannten kritischen Dialogs für die regimekritischen Oppositionellen im Iran eingesetzt? Zu welchen relevanten oppositionellen Kreisen hat die Bundesregierung überhaupt Kontakt aufgenommen?
Das Problem, das für uns im Bundestag deutlich wird, ist: Wir haben hervorragende Wirtschaftsbeziehungen. Wir haben Pläne eines großen Dialogs, für den, wie ich denke, die Chancen leider vertan worden sind. Wir haben auf der anderen Seite die Fatwa gegen Salman Rushdie, die immer noch in Kraft ist.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesaußenminister hat infolge der Diskussion vom vorletzten Freitag das einzig Richtige getan. Er hat entschieden, daß diese Konferenz verschoben wird, und er hat dabei die Zustimmung der Koalition und der Bundesregierung bekommen. Was wäre denn geschehen, wenn der Außenminister des Iran ausgeladen worden wäre? In welche Situation hätten Sie denn die Außenminister der anderen islamischen Länder gebracht? Hätte denn diese Konferenz überhaupt noch die Chance gehabt, Ergebnisse zu erzielen? Wissen Sie denn eigentlich nicht, daß der Iran das zentrale Land der Schiiten ist, einer wichtigen Gruppe und Konfession innerhalb des Islam? Wollen Sie durch eine Teilung des Islam zusätzliche Spannungen erzeugen?
All dieses zeigt doch, daß es richtig war, diese Konferenz zu verschieben, um damit zusätzlichen Schaden, der jetzt ohnehin schon entstanden ist, abzuwehren.
Es ging Herrn Fischer bei seinem Antrag nicht um einen Beitrag zur Außenpolitik. Er hat doch nur versucht, einen Tagesabstimmungserfolg zu erzielen, indem er eine emotionale Situation mißbraucht hat, um hier Effekte zu erzielen.
- Hören Sie bitte einmal zu. Außenpolitik darf nicht zur Funktion von parteipolitischer Taktik der Innenpolitik werden.
Außenpolitik muß langfristig angelegt sein.
Ich will auf ein Weiteres hinweisen, Herr Fischer: Ihr Gewissen hat recht spät geschlagen, genauso wie das Ihrer Kollegen. Rafsanjani hat diese Äußerungen am 5. November gemacht. Am 10. November haben wir darüber diskutiert. Wir haben die Pressemitteilungen genau studieren lassen. Es hat eine einzige kritische Aussage zu diesem Vorgehen und zu diesen Aussagen gegeben. Das war die kritische Aussage des Bundesaußenministers Klaus Kinkel.
Von den Grünen und von der SPD hat man kein Wort dazu gehört. Ich habe hier die Liste derjenigen Abgeordneten, die sich angemeldet hatten, um an der Konferenz mitzuwirken. Dazu gehört die Vizepräsidentin dieses Hauses, Frau Antje Vollmer. Dazu
Dr. Hermann Otto Solms
gehören Herr Duve, Herr Schily und andere. Ich mißbillige das nicht. Ich finde es gut, daß Sie daran teilnehmen wollten. Sie haben sich aber bis zu diesem Zeitpunkt, als Herr Fischer diesen Antrag gestellt hat, überhaupt nicht von diesem Besuch distanziert. Ihr Gewissen scheint sich ja sehr spät geregt zu haben.
Es muß doch einmal klargestellt werden: Das Kasperltheater, das Herr Fischer im Laufe der Zeit immer 'stärker aufführt, wertet dieses Haus ab.
Wenn wir über außenpolitische Probleme, über das schwierige Verhältnis dieser zwei Kulturkreise, des Islam und der christlichen Welt, reden, dann können wir das nicht in der Form betreiben, wie wir das am vorletzten Freitag gemacht haben. Der Ernst der Lage ist viel zu groß. Darauf hat ja auch der Bundespräsident hingewiesen, als er bei seiner Laudatio zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gerade diesen Dialog angemahnt hat, der überfällig ist.
Ich kann für die Fraktion der Freien Demokraten abschließend nur sagen: Klaus Kinkel hat unsere volle Unterstützung und Zustimmung
bei der wichtigen Aufgabe,
diesen Dialog für Deutschland und für Europa zu inszenieren und zu führen, und wir hoffen, daß es möglichst bald zu einem neuen Termin kommt, damit mit allen islamischen Staaten - ich betone: mit allen islamischen Staaten; alles andere wäre ein großer Fehler - dieser Dialog aufgenommen werden kann.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst freue ich mich sehr darüber, daß sowohl der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU als auch der Fraktionsvorsitzende der F.D.P. hier immer wieder den kritischen Dialog gefordert haben. Ich hoffe, das gilt nicht nur nach außen, sondern auch in bezug auf die Innenpolitik. Damit kämen wir dann beachtlich weiter.
Aber der Gegenstand dieser Aktuellen Stunde ist eigentlich etwas anderes als das, worüber hier Herr Schäuble und Herr Solms gesprochen haben. Es geht nämlich um den Fall einer klaren Parlamentsmißachtung.
Herr Kinkel, auch Sie müssen lernen, sich mit Niederlagen abzufinden. Der Bundestag hat mit Mehrheit beschlossen, daß der iranische Außenminister von der Konferenz ausgeladen werden soll, und diesen Beschluß haben Sie einfach mißachtet. Sie haben statt dessen die Konferenz abgesagt, um die Erfüllung des Beschlusses zu umgehen. Das nenne ich Parlamentsmißachtung.
Man kann mir vieles vorwerfen, nur eines nicht, daß ich nicht gewöhnt bin, Niederlagen zu erleiden und damit zu leben. Wenn Sie nur in einem Falle eine Niederlage erleiden, hätten Sie als Demokrat beweisen müssen, daß auch Sie damit leben können. Sie hätten sich ja gegenüber der iranischen Regierung noch hinter der Entscheidung des Parlaments verstecken können; das wäre für Sie ja ganz einfach gewesen.
Im übrigen glaube ich nicht, was Sie als Szenario verbreiten, nämlich daß alle anderen Länder abgesagt hätten. Es wäre im Gegenteil spannend gewesen, wenn Sie die Konferenz durchgeführt und gesagt hätten: Wer allerdings zuläßt, daß seine Regierung oder sein Präsident so etwas äußert, wird von uns ausgeladen. Dann hätten die anderen vor der Frage gestanden, ob sie das akzeptieren oder nicht. Das hätte auch eine Klärung in der sogenannten islamischen Welt herbeiführen können.
Nun gibt es natürlich viele, die auch den Ansatz der Konferenz kritisieren, die sagen: Es müßte eigentlich ein Dialog von unten stattfinden, über Kirchen, über gesellschaftliche Organisationen, über Oppositionskräfte; die Regierungsebene ist eigentlich vielleicht die letzte, gar nicht die entscheidende. Auch mit dieser Kritik könnte ich gut leben; ich halte sie in Grundzügen für berechtigt.
Erinnern wir uns daran, was Herr Geißler, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, jetzt im „Spiegel" geäußert hat, daß dort überall Apartheid zum Nachteil der Frauen stattfindet. Wir sind ja keine Gegner des Dialogs. Auch ich hatte schon ein Gespräch mit dem iranischen Botschafter und habe ihn zum Beispiel darauf hingewiesen, daß es für uns natürlich völlig unerträglich und absolut indiskutabel ist - um nur ein Beispiel zu nennen -, wenn eine Lehrerin im Iran, die nicht mit ihrem Mann, sondern mit einem Bekannten Auto gefahren ist, deshalb vor den Schülerinnen und Schülern auf
Dr. Gregor Gysi
dem Schulhof ausgepeitscht wurde. Ich habe ihn gefragt, wie er das irgendwie mit einem Begriff von Kultur - von Menschenrechten kann man da ja sowieso nicht reden - in Verbindung bringen will. Er hat mir dann als Antwort gesagt, daß das in SaudiArabien viel schlimmer ist, da dürfte sie nicht einmal Auto fahren. Er hat hinzugefügt: Über Saudi-Arabien regt sich keiner auf. Daß diese Antwort für mich äußerst unbefriedigend war, werden Sie nachvollziehen können. Das heißt übrigens nicht, daß ich die Zustände in Saudi-Arabien gut finde. Vielmehr macht mir das deutlich, daß vielleicht international wesentlich mehr gegen diese Apartheid gegenüber Frauen unternommen werden muß, als das gegenwärtig der Fall ist.
Mich ärgert wirklich, wenn Sie Menschenrechte hinter ökonomische und politische Interessen zurückstellen und das auch ganz deutlich formulieren.
Sie haben einmal gesagt, der Iran sei strategisch wichtig, habe eine ungeheure Waffendichte und viel Öl.
- Das will ich alles gar nicht bestreiten. Das gilt auch für Saudi-Arabien.
Sie müssen sich entscheiden: Entweder Sie führen außenpolitische Beziehungen rein nach ökonomischen Gesichtspunkten - dann tun Sie aber nicht so, als ständen dahinter moralische Werte! -, oder Sie stellen wirklich Menschenrechte in den Vordergrund.
Dann muß mit dieser doppelzüngigen Art, Außenpolitik zu betreiben, endlich aufgehört werden. Dann muß man sich wirklich zu einem kritischen Dialog bekennen. Wenn man sich dazu bekennt - ich bin nicht gegen den kritischen Dialog mit dem Iran -, dann muß man in Konfliktsituationen auch einmal bereit sein, nein zu sagen und eine Ausladung auszusprechen, damit solche Länder merken, daß wir den Regierenden nicht alles durchgehen lassen. Das ist dann auch im Interesse der Völker dieser Länder.
Danke.
Ich erteile dem Bundesminister Dr. Klaus Kinkel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts darf es nicht zu einem Konflikt der Kulturen kommen. Deshalb
meine Initiative und mein Einsatz für eine Verstärkung des Dialogs mit der islamischen Welt.
Zu der für den 15./16. November geplant gewesenen Konferenz „Europa und die islamische Welt" hatten rund 250 Experten aus aller Welt zugesagt, sieben von mir eingeladene Außenminister aus den islamischen Ländern, meine italienische Kollegin, ein EU-Kommissar, 14 Abgeordnete des Deutschen Bundestages, darunter die Präsidentin des Deutschen Bundestages und die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Vollmer. Der Herr Bundespräsident hatte sich erfreulicherweise bereit erklärt, die teilnehmenden Außenminister zu empfangen.
- Warten Sie es ab.
Dann kam es zu der Ermordung Ministerpräsident Rabins und dem ganz schlimmen Kommentar von Präsident Rafsanjani. Ich traf daraufhin die Entscheidung, in einem Brief an meinen iranischen Kollegen und einem Gespräch mit dem iranischen Botschafter unmißverständlich klarzumachen, daß diese Äußerungen empörend und durch nichts zu rechtfertigen sind, insbesondere auch nicht durch die aufgewühlte Reaktion in der islamischen Welt auf die Ermordung des Islamführers Schakaki in Malta.
Ich habe das in einer Pressekonferenz ebenfalls deutlich und klar gesagt. Außerdem hatte ich vor, über diese ernste Frage mit dem iranischen Außenminister auf der Konferenz selbst von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, so wie ich das in den letzten Jahren in vielfältigster Weise und bei vielen Gelegenheiten getan habe. Diese Entscheidung habe ich im Licht der Gesamtverantwortung getroffen, die ich als Außenminister zu tragen habe. Die Mehrheit des Deutschen Bundestages hat am 10. November entschieden, ich hätte anders reagieren sollen.
Ich respektiere das und habe Verständnis für die Gefühle, die die Abgeordneten bewegt haben.
Aber ich frage mich schon: Warum hat eigentlich vorher niemand reagiert? Die Äußerungen von Herrn Rafsanjani fielen - Herr Solms hat es bereits gesagt - am 5. November. Warum hat keiner der Abgeordneten, die ihr Kommen zugesagt hatten, daraufhin abgesagt? Wo blieb die öffentliche Kritik der Opposition an dieser Rafsanjani-Äußerung?
Es waren sieben Tage Zeit. Es gibt nicht eine einzige Äußerung - nicht eine einzige Äußerung! - eines Oppositionspolitikers zu der Äußerung von Rafsanjani in diesen acht Tagen. Prüfen Sie es nach!
Sie hätten wahrhaftig Zeit gehabt, sich vorher zu
empören. Keiner von Ihnen hat die Ausladung von
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Herrn Welajati gefordert, insbesondere nicht Herr Fischer, auch nicht Herr Verheugen.
Ich möchte noch einmal festgehalten wissen, daß ich, wenn ich es richtig sehe, der einzige war, der sich nach außen hin klar und deutlich geäußert hat.
- Ich komme darauf zurück, Herr Lippelt. Sie schreien bloß, aber bewegen nichts.
Nach der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 10. November habe ich entschieden, die Konferenz zu verschieben. Das war keine Mißachtung der Entscheidung des Parlaments, sondern die einzig mögliche und logische Konsequenz des Bundestagsbeschlusses. Nur so konnte - das sage ich in meiner Verantwortung als Außenminister und aus Kenntnis der Zusammenhänge - massiver außenpolitischer Schaden vermieden werden.
Aus der Zusammenkunft wäre eine rein emotionsgeladene Iran-Debatte geworden. Die Ausladung des iranischen Außenministers hätte die anderen Kollegen der islamischen Welt zwangsläufig in eine schwierige Lage gebracht - ich habe es doch gehört - und unsere Initiatorenrolle für diesen so wichtigen Dialog erheblich beschädigt; ich würde sogar sagen: Sie hätte sie zerstört.
Die Konferenz wird nachgeholt, sobald die Gesamtumstände die dafür notwendige sachliche und ruhige Diskussion zulassen.
Christen und Muslime, die beiden größten Religionsgemeinschaften der Welt, müssen in dieser immer enger verflochtenen Welt lernen, friedlich und tolerant miteinander umzugehen. Es geht nicht um entfernte Weltgegenden, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern um Bosnien und um die Stabilität des Mittelmeerraums. Es geht um die Bewältigung der globalen Herausforderungen wie Armut, Bevölkerungsexplosion oder Umweltzerstörung. Es geht auch um den inneren Zustand der europäischen Gesellschaften.
In Deutschland leben 2,3 Millionen Muslime, die meisten davon sind Türken - ich komme gerade von der Sechserkonferenz der europäischen Außenminister mit dem neuen türkischen Außenminister -, in Frankreich 5 Millionen Menschen nordafrikanischer Herkunft. Wir müssen das liberale, weltoffene Gesicht Europas bewahren. Dabei wird es sehr darauf ankommen, wie harmonisch wir das Zusammenleben mit unseren Mitbürgern in Zukunft gestalten.
Meine Damen und Herren, ich möchte vor allem Ihnen beiden, lieber Herr Fischer und lieber Herr
Verheugen, etwas sagen. In Israel und im ganzen Nahen Osten kennen die Verantwortlichen meine persönlichen Beziehungen und meine Gefühle zum jüdischen Volk. Ich brauche niemanden, insbesondere nicht Sie, als Nachhilfelehrer in Sachen Israel
und, Herr Lippelt, auch nicht bezogen auf den Iran. Wer war denn in dem berühmt-berüchtigten EvinGefängnis, als es um zum Tode Verurteilte ging? Wer hat sich im Iran persönlich für diejenigen eingesetzt, die gedemütigt und entrechtet waren? Sie nicht. Aber ich habe es getan, und darauf bin ich stolz.
- Nein, Sie nicht!
Herr Fischer, Ihnen halte ich entgegen: War es nicht der frühere Sprecher der Grünen, Herr Ströbele, der im Golfkrieg erklärte, die Raketenangriffe des Irak seien „die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels"? War das so, oder war das nicht so?
- Ja, ja. Haben die Grünen, Herr Fischer, nicht vier Jahre gebraucht, um ihr Verhältnis zu Israel in Ordnung zu bringen? War ihr kürzlicher Besuch in Israel nicht ein dringend notwendiger Kanossagang, über den wir vorher noch gesprochen hatten? Ich an Ihrer Stelle wäre ruhig.
- Hören Sie zu! Sie schreien immer nur. Schreien allein hilft nicht immer. „Außenpolitische Geisterfahrer" sind Sie genannt worden; das ist auch so.
Die bewegende Trauerfeier für Yitzhak Rabin, unsere tiefe Bestürzung über die Ermordung des Friedensnobelpreisträgers und guten Freundes hat uns, die wir in Jerusalem dabei waren, wohl eines gelehrt: Dem Terrorismus muß entschlossen entgegengetreten werden. Wer Frieden will, der muß auch Brücken bauen. Ich habe versucht, diese Brücken über den kritischen Dialog zu bauen. Wir müssen uns mit dem Fundamentalismus rational und politisch auseinandersetzen. Er entwächst schließlich aus wirtschaftlichen und sozialen Krisen.
Wandel durch Dialog war das Fundament unserer Ostpolitik, die Erfolgsformel des OSZE-Prozesses, die Erfahrung in Südafrika. Dies muß auch unser Wegweiser gegenüber dem Fundamentalismus sein. Wir versuchen, zu überzeugen, Vertrauen herzustellen und dadurch auf die Haltung des Iran einzuwirken. Ohne Erfolg war das nicht; das habe ich in der letzten Debatte hierzu dargestellt.
Meine Damen und Herren, bei der Trauerfeier für Ministerpräsident Rabin sagte der jordanische König
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Hussein: „Wir glauben, daß Gott uns beauftragt hat, in Frieden zu leben. " Alle drei Religionsgemeinschaften, der Islam, das Judentum und das Christentum, haben den Frieden zum höchsten Gut erklärt. Das vereinte Deutschland muß heute - so wie auch seine Partner - mithelfen, damit dieses Ziel in Bosnien, im Nahen Osten und in anderen Krisenregionen der Welt verwirklicht wird.
Ich möchte durch meine Initiative und die Islamkonferenz dazu beitragen, Brücken zu bauen. Das ist aktive Friedenspolitik, wie sie uns das Grundgesetz vorgibt. Diesem Ziel bleibe ich verpflichtet, dafür werde ich weiter kämpfen.
Ich erteile dem Abgeordneten Freimut Duve das Wort.
Herr Minister, es ist schade, daß wir nicht über das Eigentliche sprechen.
Das Eigentliche hat Herr Schäuble ganz deutlich gesagt. Es gibt eine wirkliche Distanz zwischen dem, was Herr Schäuble gesagt hat, und dem, was der Minister sagt. Aber natürlich, Herr Schäuble hat klar gesagt: Die Konferenz konnte gar nicht stattfinden.
Aber dann hätte die Absage der Konferenz vorher, bevor wir hier beschlossen hatten, erfolgen müssen. Sie hätte von Ihnen kommen müssen. Sie haben vorhin ganz klar gesagt: Diese Konferenz konnte nach der Ermordung Rabins nicht stattfinden. Wir werden das im Protokoll nachlesen. Sie haben das gesagt.
- Nein, das hat er erst nach unserer Initiative getan. Nach unserer Initiative hat er zwar so reagiert, wie er nach Ihrer Behauptung hätte reagieren müssen, aber er hat nicht so reagiert, wie der Bundestag das von der Bundesregierung verlangt hat.
Er hat nicht den Respekt vor dem Vorhaben der Konferenz, vor dem Vorhaben des kritischen Dialogs - dazu werde ich gleich noch etwas sagen -, gewahrt. Er hat versäumt, deutlich zu machen, daß wir nicht einfach sagen: die islamische Welt, sondern daß wir einem Staat in seiner Staatlichkeit sagen: So geht es in diesem Friedensprozeß nicht.
Der König von Jordanien geht zur Trauerfeier, der Präsident von Ägypten geht zur Trauerfeier, Arafat geht zur Witwe, und dann sagt dieser Staat, der einen Teil der Hamas finanziert: Wir wollen den Unfrieden dort fortführen. Dieser Staat äußerte sich in dieser Weise zur Ermordung Rabins. Nein, der iranische Außenminister konnte nicht an der Konferenz teilnehmen, aber die Konferenz mußte stattfinden.
Der iranische Außenminister konnte nicht teilnehmen, aber es ist falsch, jetzt zu behaupten, man wisse genau, wie die Konferenz abgelaufen wäre.
Zum kritischen Dialog: Wir haben auch mit Südafrika diesen kritischen Dialog geführt, er ist oft ein Vorhang gewesen, ein sehr unkritischer Vorhang für allerlei. Wir wollen nicht, daß der kritische Dialog zum Vorhang für das Verhalten eines dieser Staaten wird, die unter dem Vorhang des kritischen Dialogs ihre Politik, ihre staatlichen Aktionen im Ausland zu betreiben, einfach fortführen.
Das Mykonos-Urteil wird ja wohl bald kommen. Ich bin ziemlich sicher, daß dann auch ein deutscher Richter feststellen wird, daß hier ein Mitglied unserer Staatenfamilie, ein Mitglied, mit dem wir sehr viel zu tun haben, immer noch nicht gelernt hat, daß man sich außerhalb seiner Grenzen anständig verhält und nicht Terroristen unterstützt. Darüber kann es auch keinen religionsorientierten kritischen Dialog geben; das ist glasklar. Uns geht es darum, das einmal ganz deutlich zu sagen.
Zur Definition des kritischen Dialogs mit der Welt des Islam: Ist das wirklich das richtige Konzept? Können wir als Staat die Welt des Islam so nehmen, wenn sie sich selbst überhaupt nicht als die Welt des Islam darstellt?
Müssen wir das Konzept von Herrn Huntington und anderen Leuten, die sagen, es gehe jetzt, nach dem Ost-West-Konflikt, um den großen Konflikt der Religionen, einfach übernehmen? Handelt es sich nicht um reale Regionen, um reale Interessen, um Machtkonstellationen, um Waffenkäufe, um Einflußnahmen ganz unterschiedlicher Art? Ich denke nur an die Einflußnahme des Sudan auf Algerien.
Wenn wir das zu einer kompakten Entität erklären und sagen „der Islam" und dann nicht präzis sind, ob wir mit dem Staat oder einem Professor reden, der häufig schon im Exil ist, oder mit einem Schriftsteller, sondern einfach nur sagen, wir machen den staatlichen, bundesrepublikanischen Dialog mit „dem Islam", organisieren wir dann nicht möglicherweise eine Selffulfilling prophecy?
Sind wir außenpolitisch wirklich auf der Höhe der Probleme? Ich stelle diese Frage. Diese Frage hätte ich auch bei der Konferenz gestellt. Ich fand es sehr
Freimut Duve
gut, daß Sie diese Konferenz organisiert haben. Ich hatte mich gefreut, und Frau Professor Süssmuth hatte sich bestimmt auch gefreut, an der Konferenz teilnehmen zu können. Niemand hat hier gefordert, daß diese Konferenz nicht stattfinden sollte,
im übrigen, Herr Schäuble, auch Sie an diesem besagten Freitag nicht und der Außenminister auch nicht. Hinterher wird so getan, als wäre das die Logik gewesen. Nein, Sie haben versucht, eine notwendige politische „Konfrontation" mit der Regierung des Iran zu vermeiden. Sie haben dadurch Dutzende von Staaten, viele Außenminister, Hunderte von Wissenschaftlern düpiert. Das war ein falsches Verhalten, Herr Außenminister.
Nun spricht der Abgeordnete Heinrich Lummer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Außenpolitik demokratischer Staaten wird, denke ich, immer wieder vor der Frage stehen: Wie hältst du es mit jenen Ländern, die die Menschenrechte mißachten und auch sonst keine Zierde der Völkerfamilie sind? Manchmal hat man das Bedürfnis, laut zu schreien, wenn Verletzungen der Menschenrechte auftreten, manchmal weiß man auf Grund der Erfahrung: Es ist besser, stille Diplomatie zu betreiben, weil sie erfolgreicher sein kann. Eine probate, für alle Fälle gültige Antwort auf diese Frage gibt es im Grunde nicht. Insofern ist es immer wieder eine Frage der politischen Bewertung und Entscheidung im Einzelfall.
Wenn man hier den kritischen Dialog in Anspruch nimmt, dann gibt es gute Gründe, auch den Iran in den kritischen Dialog mit und über die islamische Welt einzubeziehen. In der konkreten Situation gab es begründete und verständliche Gefühle, diesen Herrn nicht nach Bonn zu wünschen. Für mich ist es fast eine Selbstverständlichkeit, daß man bei einer solchen Fragestellung nie alle unter einen Hut bekommt. Ich bin nicht geneigt, eine Niederlage der Regierung in der Abstimmung zu sehen, wenn einige Abgeordnete von ihrem Recht des Art. 38 des Grundgesetzes Gebrauch machen. Was hat das mit Niederlage zu tun?
Ich habe den Eindruck, es war das Ziel der Opposition, eine Niederlage der Regierung zu produzieren.
Aber glauben Sie bitte nicht, daß Sie mit solchen
Methoden einen Buddha vom Sockel stoßen. Das ist doch gar nicht drin.
Meine Damen und Herren, es ist eine Entscheidung des Bundestages getroffen worden. Es ging, Herr Duve, um die Frage: Was ist das Wesentliche? Die Entscheidung des Bundestages ist da, und die Bundesregierung hat ihre Konsequenzen daraus gezogen. Sie hat in eigener Verantwortung abwägen müssen: Was wird nach einer solchen Entscheidung des Bundestages aus dieser Konferenz, wenn ich formal den Beschluß des Bundestages erfülle? Dann ist die Konferenz als Ganzes nicht nur problematisiert, sie ist schlechterdings in Frage gestellt. Das hat Kollege Schäuble und das hat auch der Außenminister gesagt. Das muß die Regierung abwägen. Sie hat im Kern dem Petitum des Bundestages Rechnung getragen. Daran kommt niemand vorbei, und das sollten auch wir so sehen.
Nun wollen wir nicht rückwärts blicken. Ich denke, wir wollen vorwärts blicken. Beide Seiten des Hauses haben bei dieser Entscheidung, denke ich, Gutes im Schilde geführt. Das, was wir wirklich wollen, ist doch nicht mehr oder nicht weniger, als daß die Konferenz stattfindet. So sollten wir uns jetzt in dem Willen einig sein - das sagen wir dem Außenminister auch, indem wir diese Bitte äußern -, diese Konferenz möglichst bald durchzuführen, um den Dialog mit der islamischen Welt, die so vielfältig und unterschiedlich ist wie alle anderen Teile der Welt auch, zu führen.
Das, denke ich, ist die Einigkeit, die wir hier haben. Ansonsten sollten wir uns nicht über den Schnee von gestern streiten.
Danke.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Rudolf Bindig.
Herr Solms, wenn Sie sich hierherstellen und das ernstgemeinte Verhalten einer ganzen Reihe von Abgeordneten dieses Hauses einschließlich 50 Abgeordneter der Koalitionsfraktionen und auch einiger Leute aus der F.D.P. und der Bundestagspräsidentin als „Kaspertheater" bezeichnen, dann müssen Sie einmal überlegen, ob Sie nicht Ihre Haltung korrigieren müßten.
Ohne Zweifel ist der Iran in dem Bereich. Menschenrechte eines der Hauptproblemländer. Es gibt Probleme im Verhalten des Irans nach innen, und es gibt Probleme im Verhalten des Irans nach außen.
Rudolf Bindig
Die UN-Menschenrechtskommission hat sich wiederholt besorgt geäußert über die große Zahl der Exekutionen, über Folter und grausame, unmenschliche und erniedrigende Formen der Behandlung oder Bestrafung, über die Mißachtung internationaler Rechtsstandards im Gerichtswesen, über mangelnde Garantien eines fairen Gerichtsverfahrens, über die Diskriminierung religiöser Minderheiten, insbesondere der Bahai, sowie über mangelnden Schutz christlicher Minderheiten gegen Einschüchterungen und Mordanschläge. Es ist eine große Zahl von Todesurteilen dokumentiert, die ohne faire Verfahren zustande gekommen sind.
Nach außen haben wir uns mit der Tatsache auseinanderzusetzen, daß mehr als 65 iranische Dissidenten seit 1979 im Ausland ermordet worden sind. Der Iran unterstützt die Gegner des Friedensprozesses, der zwischen der PLO und Israel in Gang gekommen ist. Es gibt immer wieder Hinweise darauf, daß er den Terrorismus nach außen trägt: Hamas-Bewegung und Hisbollah-Bewegung.
Ich glaube, das muß man, selbst wenn man für den Dialog eintritt, wissen. Man muß immer im Hinterkopf haben, auf welch schwieriger Grundlage ein solcher Dialog geführt werden muß.
Wichtig ist mir, noch einmal zu sagen, daß sich der Iran in seinem Verhalten nicht auf den Islam berufen kann. Der Islam ist keine Religion des Mordes, der Anschläge, des Terrorismus und der Geiselnahme. Menschenrechtsverletzungen kann man nicht aus der islamischen Tradition herleiten. Viele islamische Rechtsgelehrte haben dies herausgearbeitet.
Trotzdem sehen wir natürlich, daß der Iran kein Block ist, daß die Führung differenziert zu betrachten ist, daß es in diesem Land zu einer Ausdifferenzierung kommt und dort ein Machtkampf im Gange ist. Das sieht man auch daran, daß der kritische Menschenrechtsdialog mit Deutschland in den Medien von bestimmten Gruppierungen im Iran teilweise heftig kritisiert und angegriffen wird. Wir sehen, daß es Bemühungen gibt, den Dialog wirklich ernsthaft zu führen. Ich muß sagen, ich bewundere teilweise, mit welch hohem Risiko und mit welch großem Mut einige iranische Politiker im Vergleich zu ihrem Land diesen Dialog mit uns führen.
Es kommt zu Ausdifferenzierungen: Eine Abteilung im iranischen Außenministerium und ein Ausschuß der Justiz für Menschenrechte sind geschaffen worden. Auch das Parlament hat einen Menschenrechtsausschuß gebildet. Wir wissen nicht genau, was Schein und was Sein ist, was Ernst ist. Aber wir müssen natürlich versuchen, das Ernsthafte aufzunehmen und weiterzuentwickeln.
Mir erscheint es wichtig, daß wir in diesem Dialog einige Punkte aber auch in bezug auf uns selbstkritisch aufarbeiten. Da ist zum einen: Was haben wir eigentlich gesagt, als der Irak den Iran überfallen hat? Ist dieser Überfall bei uns hinreichend kritisiert worden?
Da ist zum anderen die Frage: Sind wir bereit, die Menschenrechtsverletzungen der Terrorgruppen und der Oppositionsgruppen zu erwähnen und in den Dialog einzubeziehen?
Ich bin zwar für den Dialog, aber auch in diesem Dialog gibt es manchmal Punkte, wo man an eine Schwelle kommt und sagen muß: Jetzt muß ein deutlicher Akzent gesetzt werden. Dieser deutliche Akzent war einfach nötig, nachdem Herr Rafsanjani die Äußerungen über Rabin gemacht hat. Es war nötig, zu sagen, daß wir uns das jetzt nicht gefallen lassen, und einen deutlichen Akzent zu setzen. Ich verstehe auch gar nicht die Ängstlichkeit der Bundesregierung in ihrer Reaktion darauf.
Denn der Iran läßt den UN-Menschenrechtssonderbeauftragten Galindo Pohl, der die Weltgemeinschaft aufgerufen hat, in den Iran zu gehen, nicht ins Land einreisen. Auch das ist ein Affront gegen die Weltgemeinschaft.
Warum kann man nicht einmal sagen: Hier seid ihr an Grenzen gestoßen? Hier ist trotz allen Dialoges etwas, wo wir deutlich sagen: Wir müssen jetzt darauf reagieren. Trotzdem können wir eine Bestandsaufnahme des kritischen Dialoges machen und schauen, wo und in welcher Form wir diesen Dialog fortsetzen, und zwar nicht nur mit dem Iran, sondern selbstverständlich mit der ganzen islamischen Welt, mit der wir den Dialog wollen. Eine solche differenzierte Herangehensweise wäre nötig. Da haben Sie sich einfach unangemessen verhalten, Herr Kinkel. Das muß kritisiert werden.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Andreas Schockenhoff.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns alle einig, Herr Duve: Der Zusammenstoß der Zivilisationen, der „clash of civilizations", wie ihn Huntington beschreibt, muß verhindert werden. Dazu sind zwei Dinge nötig:
Erstens müssen wir die islamischen Länder unterstützen, damit sie die sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten in ihren Ländern überwinden. Damit wird den Islamisten der wichtigste Nährboden entzogen.
Zweitens müssen wir auch mit denen reden, die sich zu diesem Islamismus bekennen und ihn weiter verbreiten wollen. Dazu gehört ohne Zweifel die isla-
Dr. Andreas Schockenhoff
mische Republik Iran. Es hat keinen Zweck, nur über die Akteure zu reden, wir müssen mit ihnen reden.
Wir brauchen den interreligiösen Dialog, wir brauchen Begegnungen und Austauschmaßnahmen, wir brauchen die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften aus Europa und Ländern der arabischen Welt. Wir brauchen vor allem aber auch den Dialog mit den politisch Verantwortlichen.
Darum wäre es ein Fehler, auf die Beteiligung des Iran an der Islam-Konferenz zu verzichten. Das wäre, wie wenn man versuchen wollte, die künftige Strategie der NATO ohne die USA zu beschließen.
Wenn irgendeine Regierung, Herr Duve, wirklichen Einfluß auf die Islamisten hat, dann ist es die iranische. Wir müssen mit denen reden, die Einfluß haben, wenn wir etwas verändern wollen.
Wir haben alle - das ist hier jedesmal gesagt worden - die Äußerungen aus dem Iran zum Mord am israelischen Ministerpräsidenten verurteilt. Die Mehrheit der Koalitionsabgeordneten wollte im Vorfeld der Islam-Konferenz deshalb eine eindeutige Erklärung der iranischen Regierung, in der sie die Äußerungen zurücknimmt.
Ausgrenzung, Herr Bindig, Isolierung ist doch nicht die geeignete Reaktion. Vielmehr wollten wir einen Rückweg bauen, damit die iranische Regierung aus dieser Sackgasse, in die sie sich begeben hat, zurückfindet.
Wir wissen auch: Ohne den kritischen Dialog wird sich nichts ändern. Wir müssen den Iranern klar sagen, wo wir nicht bereit sind ihr Verhalten hinzunehmen. Dies tut der Bundeskanzler, das hat auch der Außenminister getan. Damit man dies aber wirkungsvoll tun kann, muß man im Gespräch bleiben. Darum war es auch richtig, die Islam-Konferenz zu verschieben.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich wundere mich, daß ausgerechnet die SPD diese Aktuelle Stunde beantragt hat. Von Ihnen haben wir doch in der Vergangenheit den Begriff „Wandel durch Annäherung " gehört.
Volker Rühe hat vor einigen Jahren in diesem Hause einmal gesagt, das sei manchmal zum „Wandel durch Anbiederung"verkommen. Er hat damit nichts anderes gemeint als die Art und Weise, wie sozialdemokratische Regierungen in der Vergangenheit mit menschenrechtsverletzenden kommunistischen Diktatoren umgegangen sind.
Aber wenn Sie Ihr eigenes Verhalten aus den 70er und 80er Jahren zum Maßstab machen würden, dann wüßten Sie, wie wichtig der Dialog gerade auch mit denen ist, die grundsätzlich andere Meinungen vertreten.
Diese Regierung biedert sich nicht an, weder bei Islamisten noch bei sonst irgendwem. Diese Regierung führt zusammen mit ihren Partnern der Europäischen Union mit der islamischen Republik Iran einen nicht immer einfachen kritischen Dialog. Sie führt diesen Dialog im Interesse unserer eigenen Bevölkerung, aber auch im Interesse der Menschen in der arabischen Welt. In ihrem und in unserem Interesse müssen wir den Dialog fortsetzen. Dazu gehört auch die jetzt verschobene Islam-Konferenz.
Sicherheit und Stabilität in der Region können nicht ohne oder gar gegen den Islam geschaffen werden. Wir brauchen den Dialog mit der islamischen Welt und keinen Dialog über die islamische Welt. Dazu sollte die Regierung die Islam-Konferenz zum geeigneten Zeitpunkt nutzen.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Christoph Zöpel.
Herr Präsident! Die Auseinandersetzungen und Handlungen der Regierung um die Islam-Konferenz können wohl kaum jemanden glücklich machen, der - wie ich - meint, daß die Auseinandersetzung und der Dialog mit Staaten, die überwiegend von Muslimen bewohnt sind, für diese verengte Welt existenznotwendig sind.
Diese Auseinandersetzung und der Dialog mit Staaten der islamischen Welt und mit Muslimen - Staat und Zivilgesellschaft muß man auch in diesen Ländern trennen - sollten aus meiner Sicht mit jedem stattfinden: im Prinzip mit jedem Staat und im Prinzip auch in jedem Staat mit allen politischen Gruppierungen. Es gibt eine Grenze; das ist die aktive Beteiligung oder die Rechtfertigung internationalen Tenorismus.
Sonst muß man reden können.
Aber wenn Staaten miteinander reden und wenn der Dialog zwischen Staaten in den Staaten wahrgenommen und damit ein Problem der Innenpolitik wird - was legitim ist -, dann sollte man Signale sorgfältig beachten.
Was ist hier passiert, Herr Bundesaußenminister? Eine beabsichtigte Maßnahme der Bundesregierung hat nicht die Mehrheit in diesem Hause gefunden, aber nicht dadurch, daß ausschließlich Abgeordnete der Opposition dagegen waren,
sondern auch Abgeordnete der Koalition. - Herr Kollege Schockenhoff, Ihr Zwischenruf an dieser Stelle
Dr. Christoph Zöpel
ist verständlich. Aber er zeigt, wie Sie ein Problem verdrängen wollen.
Denn die Regierung hätte nicht verlieren können, wenn es nur Abgeordnete der Opposition gewesen wären.
- Herr Kollege, es ist das ganz normale Problem der Opposition, daß sie normalerweise keine Abstimmung gewinnt. Das ist schön für Sie, und das ist das Schicksal der Opposition. Hier hingegen war das Politikum, daß die Regierung keine Mehrheit hatte, weil auch Abgeordnete der Koalition nicht mit ihr gestimmt haben.
Das sollte man nicht durch Zwischenrufe, die einen
selber einlullen, wegwischen, sondern ernst nehmen.
Aus dieser Tatsache, Herr Bundesaußenminister, hätte die Bundesregierung, wenn sie klug beraten gewesen wäre, die Konsequenz gezogen, mit allen Parteien darüber zu sprechen, was zu tun sei. Denn sie hat keine Mehrheit gehabt, weil in allen Parteien ihre Politik nicht voll getragen wurde.
Diesen Punkt sehe ich deutlich. - Das war das Innenpolitische.
Zum außenpolitischen Signal. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob der Außenminister hätte ausgeladen werden sollen oder nicht. Ich sage ganz bewußt: Man kann darüber unterschiedlicher Meinung sein.
Nur glaube ich, die Tatsache, daß eine Mehrheit des Deutschen Bundestages mit Abgeordneten auch aus den Regierungsfraktionen dieses politische Signal gesendet hat, ist für den internationalen Dialog mit dem Iran nicht schlecht, sondern gut und wird dort vielleicht sogar eher verstanden, als mancher glaubt.
Die Regierung des Iran scheut in zig Fällen nicht davor zurück, die angebliche Erregung ihrer Bevölkerung dazu zu benutzen, Stürme auf westliche Botschaften zu organisieren. Sie wissen das von den Berichten der deutschen Botschafter dort. Das Instrument, die Tatsache zu nutzen, daß sich irgend jemand außerhalb der Regierung aufregt, um Politik zu machen, ist im Iran gang und gäbe.
Es gibt keinen geeigneten Vergleich zwischen dem, was der Iran macht, und dem, was im Deutschen Bundestag ist. Trotzdem sage ich: Es ist kein falsches internationales Signal, wenn die Regierung im Iran und andere Regierungen wissen: Äußerungen des Staatspräsidenten dieses Landes können ein demokratisch gewähltes Parlament quer durch die Fraktionen zu einer Entscheidung bringen, die besagt: Das nehmen wir nicht hin.
Ich glaube, es ist gut, daß die Regierung des Iran das nun weiß, gleichgültig, wie man die Entscheidung beurteilt, wenn man sie rational und lange abwägt und alle Einzelheiten der Meinungen in diesen Ländern kennt. Ich finde, allein die Tatsache, daß sich ein demokratisches Parlament in Deutschland, in Europa über eine Äußerung des iranischen Staatspräsidenten so erregt, daß es quer durch die Parteien diese Entscheidung getroffen hat, ist ein gutes und wahrscheinlich nützliches Signal für die Auseinandersetzung zwischen Europa und dem Islam.
Hätte man deshalb - das ist mein dritter Punkt - absagen müssen? Auch da kann man unterschiedlicher Meinung sein, Herr Bundesaußenminister.
Ich sage das ganz bewußt. Ich habe mich gefragt: Was macht man? Ich habe schon darauf hingewiesen: Nach dieser Entscheidung hätte ein Gespräch mit allen Parteien vielleicht Sinn gemacht und hätte allen Parteien die Chance bieten können, ihre Erfahrungen und ihre Kontakte zu Repräsentanten islamischer Staaten zu nutzen.
Es gibt durchaus Staaten, die ihre Vertreter geschickt hätten. Das hätte eine Chance geboten - vielleicht auch mit dem Effekt, daß wir etwas gelernt hätten -, die Äußerungen von Rafsanjani eventuell sogar zu relativieren. Ich füge hinzu: Repräsentanten islamischer Staaten, die mit dem Iran wenig gute Beziehungen haben, beurteilen das anders als wir. Hierin aber hätte eine Möglichkeit bestanden.
Ich fasse zusammen: Ich glaube, eine Regierung, die im Parlament eine Niederlage erfährt, weil auch Vertreter der sie tragenden Parteien gegen sie stimmen, sollte, bevor Konsequenzen gezogen werden, mit allen Parteien sprechen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Kontakte zu Ländern des Islam zu nutzen, bevor eine Entscheidung fällt. Möglicherweise hätten wir alle zusammen eine Entscheidung mitgetragen, die die Konferenz hätte stattfinden lassen und die dem Iran eine international wichtige Nachricht über sein Verhalten hätte zukommen lassen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Albert Probst das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal an das Thema unserer heutigen Aktuellen Stunde erinnern: Haltung der Bundesregierung zur Verschiebung der Islam-Konferenz. Bisweilen haben wir hier Auseinandersetzungen, als ob es um den inneren Zustand des Iran und seine Bewertung ginge. Wir sind uns, so hoffe ich, weitgehend einig, daß das nicht unser Thema, sondern ein Scheinthema ist.
Natürlich verstehe ich die Sozialdemokraten sehr gut und weiß, warum sie dieses Thema noch einmal aufgreifen. Ich war im Deutschen Bundestag 13 Jahre lang in der Opposition; das liegt weit zurück.
In diesen 13 Jahren habe ich ein- oder zweimal erlebt, daß wir eine Mehrheit gegen die Regierung zustande gebracht haben.
Sie haben letztens die einmalige Gelegenheit gehabt, eine Mehrheit zustande zu bringen. Das ist natürlich gerade angesichts des Zustands, in dem Sie sich befunden haben, ein gewaltiges Erlebnis.
Jetzt haben Sie aber ein zusätzliches Problem.
Dieser Sieg, den Sie errungen haben, war nicht von Ihnen veranlaßt, Herr Duve; denn der Antrag kam nicht aus Ihrer Fraktion.
- Natürlich. Jetzt haben Sie aber einen Erfolg gehabt, und damit auch Sie dabei sind, haben Sie die heutige Veranstaltung veranlaßt.
Wissen Sie, was Sie gemacht haben? Sie haben den dürrsten politischen Knochen, den es überhaupt gibt, noch einmal abgefisselt. Das ist die Wirklichkeit.
Jetzt möchte ich zur Sache zurückkommen.
Erstens. Es wäre sehr verhängnisvoll, wenn wir eine politische Kultur weiter voranschreiten ließen,
in der es an der Tagesordnung ist, daß man öffentlich Freude über den Mord an einem anderen Menschen verkündigt. Es ist bereits widerlich, wenn eine klammheimliche Freude, wie in unserem Land, dabei aufkommt. Es ist aber unerträglich, wenn es zwischen Regierungsverantwortlichen, staatlichen Repräsentanten zur Selbstverständlichkeit wird. Das ist verabscheuungswürdig, gleichgültig, wer das tut.
Zweitens. Die Diskussion mit islamischen Gruppierungen - Herr Duve, ich greife ausdrücklich auf, was Sie gesagt haben: es gibt nicht den Islam - ist außerordentlich wichtig. Der Straßburger Europarat hat sich mit dieser Frage eingehend und immer wieder befaßt. Es ist begrüßenswert, Herr Bundesaußenminister, daß auch Sie eine solche Initiative ergriffen haben, wohlwissend, daß Sie damit nicht das ganze Spektrum des Islam abdecken können, wohl aber, daß Sie einen wesentlichen Beitrag leisten.
Sich mit dem Islam auseinanderzusetzen hat natürlich viele Facetten. Sie sind heute zum Teil genannt worden. Ich möchte nicht näher darauf eingehen. Bloß, was hätte denn der Bundesaußenminister angesichts der politischen Diskussion in Deutschland anderes tun sollen, als diese Konferenz abzusagen? Nachdem dieses Thema hier erst einmal diskutiert worden ist, hätte der Außenminister diese Konferenz wahrscheinlich sogar abgesagt, wenn Sie Ihren Antrag gar nicht eingebracht hätten. Das war das, was der Herr Schäuble gemeint hat.
Somit besteht hier überhaupt keine Differenz.
- Herr Fischer, Sie interessiert doch die Sache überhaupt nicht; Sie wollen doch nur den Zirkus darum.
Das andere ist ja gar nicht Ihr Problem.
Herr Kinkel, Sie haben goldrichtig reagiert.
Meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, daß Sie an dieser Stelle einen Keil in die Regierungskoalition treiben können,
dann irren Sie sich völlig.
Dr. Albert Probst
Herr Kinkel, Sie haben richtig gehandelt, und Sie haben nicht, wie hier gesagt worden ist, dem Parlament ins Gesicht geschlagen; es sind ja noch kräftigere Ausdrücke gefallen. Nein, Sie haben das gesagt, was Sie auch in Ihrem Diensteid gesagt haben: Sie werden Schaden von unserem Volk wenden.
Es wäre ein Schaden gewesen, wenn man diese Konferenz jetzt durchgeführt hätte. Darum danke ich Ihnen ausdrücklich und herzlich.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Otto Schily das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich verstehe jetzt eigentlich gar nicht mehr, wie sich die Diskussionslage ausnimmt.
Der Kollege Schäuble sagte eingangs: Eigentlich war die Absage der Islam-Konferenz aus der Situation nach dem Attentat auf Yitzhak Rabin heraus eine Selbstverständlichkeit. - Der letzte Beitrag klingt ähnlich.
Herr Außenminister, ich würde Sie gerne fragen: Haben Sie denn mit der Präsidentin des Deutschen Bundestages, die ja ebenfalls für den Beschluß gestimmt hat, einmal darüber gesprochen, ob sie mit dieser Entscheidung gemeint hat, daß die Islam-Konferenz abgesagt werden sollte? Es wäre doch vielleicht für Sie und auch für das Koalitionsklima ganz gut gewesen,
wenn Sie gerade mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, die zum Teil von Herrn Glos abgehalten werden sollten, ihr Abgeordnetenmandat frei wahrzunehmen,
einmal im Sinne dessen gesprochen hätten, was mein Freund Christoph Zöpel hier heute gesagt hat.
Herr Außenminister, ich muß ja sagen, ich fand es sehr lobens- und unterstützenswert, daß Sie diese Islam-Konferenz versucht haben. Ich habe - das ist hier richtig dargestellt worden - durchaus bewußt meine Teilnahme daran angekündigt. Ich glaube, daß Sie in bezug auf dieses Vorhaben die Unterstützung aller Teile dieses Hauses gefunden haben.
Aber um so mehr verwundert es, daß Sie ein so wichtiges Vorhaben auf Grund eines Beschlusses des Bundestages, der ganz anders gemeint war, dann aufgeben. Um so schlimmer ist die Aufgabe eines solchen Vorhabens.
Herr Außenminister, ich gehöre zu denen, die Ihre persönliche Integrität besonders hoch zu schätzen wissen; das will ich hier durchaus deutlich sagen. Um so schwerer fällt es mir, zu sagen, daß Sie in dieser Situation keine gute Figur gemacht haben. Ich hatte den Eindruck, Sie waren völlig konsterniert von dieser Entscheidung. Was müssen wir denn von einem Außenminister halten, der dann sagt, er sei überrascht gewesen und habe sich deshalb anders entschieden, von einem Außenminister, der deshalb diese überstürzte Absage zustande gebracht hat?
Was müssen wir von einem Außenminister halten, der bei einer Lage, auf die er nicht gefaßt ist, die Fassung verliert? Dabei kann doch keine gute Außenpolitik herauskommen, Herr Außenminister.
Ich denke, Sie haben die Konsequenzen gar nicht gut bedacht. Sie hätten tatsächlich auf die Idee kommen sollen, auf die Sie der Kollege Christoph Zöpel hier heute hingewiesen hat, nämlich sich in einer solchen Situation einmal mit allen Teilen dieses Hauses zu verständigen, damit nicht ein Schaden angerichtet wird, der jetzt angerichtet worden ist. Denn die Absage dieser Islam-Konferenz
ist ein Schaden, der sich nicht so leicht reparieren läßt.
Es könnte ein Zeichen sein, daß die Außenpolitik der Bundesregierung eine unstete und unsichere wird. Davor sollten wir uns alle gemeinsam bewahren.
Vielen Dank.
Ich erteile nun dem lieben Kollegen Hans Klein das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! In der gegebenen Situation an jenem Freitag hat der Bundesaußenminister klug entschieden.
Wenn wir ehrlich sind und dieses Thema nicht einfach zum politischen Streit benutzen, dann müssen wir zugeben: Vor dem Hintergrund der vom Parlament gewünschten Ausladung war es das Richtige, die Konferenz zu verschieben; denn sonst wäre die Konferenz in der Tat eine Konferenz über den Iran und über die Ausladung von Welajati geworden. Bei aller Anerkenntnis Ihrer differenzierten Darstellung der Situation, Herr Kollege Duve und Herr Kollege Bindig, gibt es auch in diesem Bereich so etwas wie eine gruppendynamische Solidaritätsbekundung bei solchen Anlässen.
Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen daran, wie die arabische Welt auf die Bombardierung Libyens reagiert hat. Vorher gab es unter den Arabern wenig Sympathien für Libyen; aber sie haben sich damals für eine ganze Weile an die Seite Libyens stellen müssen.
Wenn wir miteinander ehrlich sind, dann müssen wir sehen:
Wir Deutschen sind in dieser Frage, in Sachen Israel, in einer Situation wie kein anderer auf der Welt.
- Karsten, es ist so. Das kann niemand bestreiten. In dem Augenblick, wo ein israelischer Ministerpräsident ermordet wird, sind die Reaktionen der Deutschen zwangsläufig anders als die Reaktionen aller anderen auf der Welt.
- Es ist trotzdem so.
Unsere besondere Verantwortung gegenüber dem Staat Israel verstehen auch die Araber und auch die Iranis, wenn man ihnen das darlegt. Sie würden uns im Gegenteil nicht besonders achten, wenn wir uns anders verhielten. Dies darf uns allerdings nicht davon abhalten, die aktuelle Politik, wie sie sich in jenem Raum vollzieht, vernünftig einzuschätzen, objektiv einzuschätzen. Aber unsere Reaktionen, auch die verbalen, werden immer anders sein als die anderer. Wir können es gar nicht wünschen - das hat auch niemand getan -, daß wir in diesem Haus etwa die Motivation von Rafsanjani für seine Reaktion auf die Ermordung von Schakaki, dem Dschihad-Führer, im Detail untersuchen. Darauf bezog er sich schließlich mit seiner Äußerung.
- Ja, natürlich.
Es ist auch nicht unseres Amtes, hier etwa die jüdischen Stimmen aus New York zu zitieren, die ihrerseits Freude über die Ermordung von Ministerpräsident Rabin artikulieren,
die Geld für den Mörder sammeln. Dies alles ist für uns nicht akzeptabel.
Wohl aber müssen wir, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen - und ich finde, halten zu Gnaden, der Begriff „kritischer Dialog" ist so etwas wie ein Fassadenwort -,
den Dialog mit allen führen. Wenn wir über den Islam reden, müssen wir vor allem mit denen reden, von denen die gefährlichsten Entwicklungen ausgehen.
Lassen Sie mich zum Schluß einen Satz aus einer Sure des Koran, der Imran-Sure, zitieren. Dort heißt es:
Oh, Ihr Besitzer des Buches, kommt herbei zu einem Wort, das uns und Euch gemeinsam ist, daß wir niemandem dienen außer Gott.
Gemeint sind mit den Besitzern des Buches, aufgerufen von den Mohammedanern, die Christen und die Juden.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 23. November 1995, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.