Protokoll:
13070

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 13

  • date_rangeSitzungsnummer: 70

  • date_rangeDatum: 22. November 1995

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:16 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/70 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 70. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde - Drucksache 13/3024 vom 17. November 1995 - Äußerungen des türkischen Verteidigungsministers gegenüber einer Delegation des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages betr. Einsatz Deutscher Waffen MdlAnfr 1, 2 Steffen Tippach PDS Antw StMin Helmut Schäfer AA . 6117B, 6118A ZusFr Steffen Tippach PDS . . . 6117 C, 6118A Beseitigung der durch das Anbauverbot für Hanf entstandenen Wettbewerbsnachteile MdlAnfr 4 Heidi Wright SPD Antw PStSekr Wolfgang Gröbl BML . . 6118D ZusFr Heidi Wright SPD 6119 A Klärung der Zuständigkeiten betr. Verlegung der B 8 bei Erlenbach MdlAnfr 9, 10 Wolfgang Zöller CDU/CSU Antw PStSekr Manfred Carstens BMV . 6119D, 6120 C ZusFr Wolfgang Zöller CDU/CSU . 6119D, 6120C Stillegung des slowakischen Atomkraftwerks Bohunice bei Fertigstellung des Atomkraftwerkes Mochovce MdlAnfr 15 Horst Kubatschka SPD Antw PStSekr Walter Hirche BMU . . 6120D ZusFr Horst Kubatschka SPD 6121 A ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 6121C Stillegung des slowakischen Atomkraftwerks Bohunice bei Fertigstellung des Atomkraftwerks Mochovce MdlAnfr 16 Wolfgang Behrendt SPD Antw PStSekr Walter Hirche BMU . . 6121D ZusFr Wolfgang Behrendt SPD 6122A ZusFr Horst Kubatschka SPD 6122 B Fertigstellung des slowakischen Atomkraftwerks Mochovce mit westlichem Sicherheitsstandard MdlAnfr 17, 18 Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antw PStSekr Walter Hirche BMU . . 6122C, D ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 6122 D ZusFr Horst Kubatschka SPD 6124 A Einreisebestimmungen für Angehörige von Drittländern nach dem Schengener Abkommen MdlAnfr 24 Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . . 6124 C Staatsangehörigkeit des indonesischen Forschungsministers B. J. Habibie MdlAnfr 25 Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . . 6124 D Kontrollierter Drogen-Transport des Bundeskriminalamtes in die Niederlande 1992 und später MdlAnfr 28, 29 Johannes Singer SPD Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . 6125A, D ZusFr Johannes Singer SPD 6125 B ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 6126B Haftpflichtversicherungsansprüche von Impfopfern gegenüber der Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung MdlAnfr 30 Ina Albowitz F.D.P. Antw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 6126 C ZusFr Ina Albowitz F.D.P. . . . . . . . 6127 A Transfer von Geldguthaben der nigerianischen Oberschicht ins europäische Ausland, insbesondere nach Deutschland MdlAnfr 34 Gernot Erler SPD Antw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 6127 B ZusFr Gernot Erler SPD 6127 D ZusFr Horst Kubatschka SPD 6128 A ZusFr Dr. R. Werner Schuster SPD . . 6128 B Verpflichtung der Slowakischen Republik zum Bezug von Nuklearbrennstoff aus Rußland für das Atomkraftwerk Mochovce MdlAnfr 35 Horst Kubatschka SPD Antw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb BMWi 6128C ZusFr Horst Kubatschka SPD 6128 D Rechtfertigung eines Hermes-Kredites für Mochovce gegenüber Österreich MdlAnfr 36 Wolfgang Behrendt SPD Antw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb BMWi 6129B ZusFr Wolfgang Behrendt SPD . . . . 6129 B ZusFr Horst Kubatschka SPD 6129 D ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 6129D ZusFr Otto Schily SPD 6130 A Militärische Zusammenarbeit mit Nigeria seit 1960; Umfang der an Nigeria verkauften Waffen bzw. Dual-use-Güter MdlAnfr 37 Gernot Erler SPD Antw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb BMWi 6130 C ZusFr Gernot Erler SPD 6130 D ZusFr Ernst Kastning SPD 6131 A Wirksame Bekämpfung der illegalen Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer; Aufstockung des Personals der Arbeitsämter für diese Aufgabe MdlAnfr 38, 39 Hans Büttner (Ingolstadt) SPD Antw PStSekr Horst Günther BMA . . . 6131B, C ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 6132A ZusFr Otto Schily SPD 6133 A ZusFr Horst Kubatschka SPD 6133 B ZusFr Peter Dreßen SPD 6133 D ZusFr Ernst Kastning SPD 6134 B Umfang der in den letzten Jahren bewilligten Berufsunfähigkeitsrenten (mit und ohne juristische Auseinandersetzung); Höhe der Ausgaben der Berufsgenossenschaften für Gutachten, Anwalts- und Gerichtskosten MdlAnfr 40, 41 Peter Dreßen SPD Antw PStSekr Horst Günther BMA . . 6134 D ZusFr Peter Dreßen SPD 6135 C ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 6135D Besoldung von Soldaten aus den neuen Bundesländern bei Auslandseinsätzen MdlAnfr 44, 45 Ernst Kastning SPD Antw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 6136 B ZusFr Ernst Kastning SPD 6136 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zur Verschiebung der Islam-Konferenz durch den Bundesaußenminister Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . . 6137 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 6138D Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6139C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . . 6140C Dr. Gregor Gysi PDS 6141 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . . 6142B Freimut Duve SPD 6144 A Heinrich Lummer CDU/CSU 6145A Rudolf Bindig SPD 6145 D Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU . 6146 D Dr. Christoph Zöpel SPD 6147 C Dr. Albert Probst CDU/CSU 6149 A Otto Schily SPD 6150 A Hans Klein (München) CDU/CSU . . . 6151 A Nächste Sitzung 6151 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6153* A Anlage 2 Werbesprüche der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) MdlAnfr 3 - Drs 13/3024 - Dr. Günther Maleuda PDS SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BML . 6153* B Anlage 3 Auslaufen der Betreuung Schwerstbehinderter durch Zivildienstleistende ab 1. Juli 1996 wegen fehlender Mittel; Bemühungen um personelle Kontinuität in der Jugendarbeit von Verbänden und Kommunen nach Auslaufen der Sonderprogramme für die neuen Bundesländer MdlAnfr 5, 6 - Drs 13/3024 - Klaus Hagemann SPD SchrAntw PStSekr'in Gertrud Dempwolf BMFSFJ 6153* C Anlage 4 Erhaltung des natürlichen Lebensraums der Donau zwischen Straubing und Vilshofen bei deren Ausbau für den Schiffsverkehr; Neuregelung in der Ausbildung der Seeschiffahrt MdlAnfr 7, 8 - Drs 13/3024 - Konrad Kunick SPD SchrAntw PStSekr Manfred Carstens BMV 6154* B Anlage 5 Verhinderung von Benachteiligungen für das Münsterland, insbesondere für den Bau der B 70 bei Neuenkirchen (Kreis Steinfurt) und der B 58 bei Lüdinghausen/ Seppenrade, im Zuge der Kürzungen im Verkehrshaushalt 1996 MdlAnfr 13, 14 - Drs 13/3024 - Dr. Angelica Schwall-Düren SPD SchrAntw PStSekr Manfred Carstens BMV 6154* D Anlage 6 Eindämmung der Überschwemmungsgefahr an Flüssen wie Rhein und Mosel; Einbeziehung des Hochwasserschutzes in die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur" MdlAnfr 19 - Drs 13/3024 - Dr. Elke Leonhard SPD SchrAntw PStSekr Walter Hirche BMU . 6155* A Anlage 7 Ansiedlung internationaler und supranationaler Einrichtungen in Bonn; Bereitstellung der erforderlichen Mittel; Ausgleichsmaßnahme für Bonn bei einem Umzug des Bundesrates nach Berlin MdlAnfr 20, 21 - Drs 13/3024 - Hans Wallow SPD SchrAntw PStSekr Joachim Günther BMBau 6155* D Anlage 8 Wohnungs- und Obdachlosigkeit durch Anstieg von Räumungsklagen in den neuen Bundesländern MdlAnfr 22 - Drs 13/3024 - Rolf Kutzmutz PDS SchrAntw PStSekr Joachim Günther BMBau 61568 C Anlage 9 Nebentätigkeit von Angehörigen des Bundesgrenzschutzes, insbesondere der GSG 9 MdlAnfr 23 - Drs 13/3024 - Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 6156* D Anlage 10 Trainingslager der kriminellen Organisation „Garde" in Rumänien und Verbindung zum ehemaligen Geheimdienst „Securitate" und zu rumänischen Persönlichkeiten; Intervention gegen den Kriminalitätsexport MdlAnfr 26, 27 - Drs 13/3024 - Rolf Schwanitz SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 6157* A Anlage 11 Vergrößerung der Diskrepanz zwischen Renten- und Pensionsbesteuerung seit 1980 MdlAnfr 31, 32 - Drs 13/3024 - Dr. Egon Jüttner CDU/CSU SchrAntw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 6157 * B Anlage 12 10prozentige Mieterhöhung nach dem Mietenüberleitungsgesetz bei Fehlen von Zentralheizung oder Bad durch die Treuhandliegenschaftsgesellschaft mbH (TLG) MdlAnfr 33 - Drs 13/3024 - Rolf Kutzmutz PDS SchrAntw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 6158' B Anlage 13 Anwendung der Empfehlungen „Wortwahl in Gesetzen und Verordnungen, 1.2 Maskuline und feminine Personenbezeichnung" in Veröffentlichungen des BMVg MdlAnfr 42, 43 - Drs 13/3024 - Verena Wohlleben SPD SchrAntw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 6158* C Anlage 14 Einsetzung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe bei der UN-Betäubungsmittelkommission des wirtschafts- und sozialpolitischen Rats der UN (ECOSOC) zur Erstellung einer Studie über die Coca-Pflanze MdlAnfr 46 - Drs 13/3024 - Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann-Pohl BMG 6158* D Anlage 15 Forderung einer Bearbeitungsgebühr von 300 DM von Landwirten für die Genehmigung des Anbaus von Nutzhanf MdlAnfr 47 - Drs 13/3024 - Horst Sielaff SPD SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann-Pohl BMG 6159* B Anlage 16 Entscheidung über die Zulassung von Nutzhanf MdlAnfr 48 - Drs 13/3024 - Heidi Wright SPD SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann-Pohl BMG 6159' C Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 6117 70. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 Beginn: 13.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 22. 11. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Berger, Hans SPD 22. 11. 95 Catenhusen, SPD 22. 11. 95 Wolf-Michael Dr. Glotz, Peter SPD 22. 11. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 22. 11. 95 Hornung, Siegfried CDU/CSU 22. 11. 95 * Irber, Brunhilde SPD 22. 11. 95 Kanther, Manfred CDU/CSU 22. 11. 95 Klemmer, Siegrun SPD 22. 11. 95 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 22. 11. 95 Marx, Dorle SPD 22. 11. 95 Neumann (Berlin), Kurt SPD 22. 11. 95 Ostertag, Adi SPD 22. 11. 95 Dr. Pfaff, Martin SPD 22. 11. 95 Purps, Rudolf SPD 22. 11. 95 Rehbock-Zureich, Karin SPD 22. 11. 95 Rexrodt, Günter F.D.P. 22. 11. 95 Schulte (Hameln), SPD 22. 11. 95 ** Brigitte Schultz (Everswinkel), SPD 22. 11. 95 Reinhard Thierse, Wolfgang SPD 22. 11. 95 Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 22. 11. 95 Vosen, Josef SPD 22. 11. 95 Wallow, Hans SPD 22. 11. 95 Dr. Wolf, Winfried PDS 22. 11. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Frage des Abgeordneten Dr. Günther Maleuda (PDS) (Drucksache 13/3026 Frage 3): Wie reagiert die Bundesregierung auf die von der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) mit solchen Werbesprüchen wie „Ich mag es scharf", „Ich mag es am liebsten mit jungen Gemüsen" durchgeführte Werbekampagne, und welchen Einfluß nimmt sie darauf, daß mit nachweisbarer Qualität, der regionalen Herkunft und gesunder Ernährung geworben wird? Anlagen zum Stenographischen Bericht Die Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) ist eine Einrichtung der Wirtschaft, mit der der Absatzförderungsfonds der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft (Absatzfonds) seine gesetzliche Aufgabe der Absatzförderung erfüllt. Die Werbemaßnahmen werden von der CMA - und damit von einer eigenen Einrichtung der betroffenen Wirtschaft - eigenständig erarbeitet und durchgeführt. Eine Genehmigung einzelner Werbemaßnahmen durch den Absatzfonds, die dem Charakter der CMA als Einrichtung der betroffenen Wirtschaft widerspräche, erfolgt nicht. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das die Aufsicht über den Absatzfonds ausübt, hat aus diesem Grunde auch keinen Einfluß auf die Gestaltung von Werbemaßnahmen. Anlage 3 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gertrud Dempwolf auf die Fragen des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksache 13/3024 Fragen 5 und 6): Welche Auswirkungen hat es nach Einschätzung der Bundesregierung für schwerstbehinderte Menschen, daß Zivildienstleistende ab 1. Januar 1996 die individuelle Schwerstbehindertenbetreuung nicht mehr übernehmen können, da durch Erlaß des zuständigen Bundesministeriums keine Mittel mehr zur Verfügung stehen, und wie beurteilt die Bundesregierung die Beschwerden der Betroffenen und ihrer Verbände, daß durch diese Entscheidung die Qualität der individuellen Betreuung schlechter wird, weil die Pflegekassen zwar die Pflegeleistungen, nicht aber die weitere Betreuung der Menschen finanzieren? Wie will die Bundesregierung nach dem Auslaufen der Sonderprogramme für die neuen Bundesländer mit dazu beitragen, daß in der Jugendarbeit von Verbänden und Kommunen mehr personelle Kontinuität und Stetigkeit einkehren kann, da durch die jetzigen Regelungen der Förderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz eine große Fluktuation der pädagogischen Fachkräfte festzustellen ist, was für den Aufbau persönlicher Kontakte, die für eine erfolgreiche Jugendbetreuung von größter Bedeutung sind, schädlich ist? Zu Frage 5: Der Einsatz von Zivildienstleistenden in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung wird von der Bundesregierung nicht eingeschränkt. In diesem Tätigkeitsbereich sind rund 10 000 Zivildienstplätze eingerichtet, von denen zur Zeit 5 800 belegt sind. Für die Zivildienstleistenden werden nach wie vor alle Geldbezüge gezahlt, freie Heilfürsorge gewährt und die Sozialversicherung sichergestellt. Der schrittweise Wegfall der Aufwandszuschüsse ab 1. Januar 1996 betrifft nicht die Zivildienstleistenden, sondern die Beschäftigungsstellen des Zivildienstes, die Plätze in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung anbieten. Durch den Wegfall der Aufwandszuschüsse in Höhe von 11,- DM täglich müssen die Beschäftigungsstellen jetzt wieder den Aufwand für das Essen und die Arbeitskleidung der Zivildienstleistenden in vollem Umfang übernehmen, wie es das Zivildienstgesetz als Regelfall vorsieht. Erfahrungen aus früheren Jahren mit der schrittweisen Rücknahme der Aufwandszuschüsse in anderen Tätigkeitsbereichen des Zivildienstes lassen erwarten, daß die Beschäftigungsstellen sich auf diese Maßnahmen einstellen werden, ohne Zivildienstplätze aufzugeben. Den Beschäftigungsstellen wird jetzt im Gegensatz zu den anderen Tätigkeitsbereichen durch die Pflegeversicherung eine zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit für den pflegerischen Teil der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung eröffnet, der betragsmäßig erheblich über den Aufwandszuschuß von 11,- DM pro Tag hinausgeht. Die Betreuung von Schwerstbehinderten durch Zivildienstleistende, die pflegerische und nichtpflegerische Hilfen umfaßt, ist daher in ihrer Gesamtheit nicht gefährdet. Zivildienstleistende stehen für diese Aufgaben nach wie vor zur Verfügung. Zu Frage 6: Aufgrund der Verfassungslage legt das Kinder- und Jugendhilfegesetz (§ 83 SGB VIII) fest, daß der Bund nur Maßnahmen fördern darf, die von bundesweiter Bedeutung sind und die ihrer Art nach nicht von einem Bundesland allein wirksam gefördert werden können. Die Zuständigkeit und die Verantwortung für die von Ihnen aufgeworfene Frage liegen daher allein bei den Kommunen und den Ländern. Lediglich auf der Grundlage des Einigungsvertrages hatte der Bund zeitlich begrenzt die Möglichkeit, über Sonderprogramme den Aufbau der Kinder- und Jugendhilfe in den neuen Bundesländern zu fördern. Diese ist nach dem seit dem 1. Januar 1995 wirksamen Länderfinanzausgleich, der die Länder finanziell besser ausgestattet hat, nicht mehr gegeben. Die Fortsetzung der Förderung der Jugendarbeit muß daher jetzt von den zuständigen Stellen geleistet werden. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die Fragen des Abgeordneten Konrad Kunick (SPD) (Drucksache 13/3024 Fragen 7 und 8): Wie will die Bundesregierung den Lebensraum der heute noch unverbauten Donau zwischen Straubing und Vilshofen erhalten, zu dem auch der Durchfluß der bisherigen Wassermengen gehört, wenn für den Schiffsverkehr ein Seitenkanal gebaut wird? Welchen Stand haben die Überlegungen der Bundesregierung zur Neuregelung der Ausbildung in der Seeschiffahrt erreicht? Zu Frage 7: Die Donau zwischen Straubing und Vilshofen ist bereits seit längerem durch zivilisatorische Maßnahmen wie z. B. die Niedrigwasserregelung erheblich beeinflußt, so daß von einer „unverbauten Donau" heute nicht mehr gesprochen werden kann. Die der staugestützten Flußregelung zugrundeliegende Abflußaufteilung bei Osterhofen zwischen der schiffahrtsfreien, renaturierbaren Donaustrecke und dem Schleusenkanal richtet sich nach schiffahrtsund hochwasserabflußtechnischen, flußmorphologischen sowie ökologischen Erfordernissen. Bei Niedrigwasser soll nach derzeitigem Planungsstand der Abfluß auf die schiffahrtsfrei bleibende Donau und den Seitenkanal im Verhältnis 2 :1 aufgeteilt werden. Bei hohem Hochwasserabfluß soll der Abfluß in der schiffahrtsfreien Donau nur um etwa ein Zehntel gegenüber den heutigen Abflußverhältnissen vermindert werden. Zu Frage 8: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, im Wege der zügigen Umsetzung der im Juli 1995 von der Internationalen SeeschiffahrtsOrganisation in London beschlossenen grundlegenden Neuordnung des Übereinkommens über die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (das Grundlage für die bestehende Schiffsoffizier-Ausbildungsverordnung ist), die international vereinbarten Patent- und Befugnisstrukturen weitestgehend zu übernehmen. Auf Fachebene laufen bereits vorbereitende Gespräche mit den Küstenländern und Verbänden. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) (Drucksache 13/3026 Fragen 13 und 14): Kann die Bundesregierung Zeitungsmeldungen bestätigen, daß im Rahmen der Sparmaßnahmen zur Deckung des Haushaltslochs 1996 die Mittel für den Bundesfernstraßenbau erheblich gekürzt werden sollen, und wenn ja, in welchem Umfang? Auf welche Weise will die Bundesregierung einer Benachteiligung des Münsterlandes auf dem Gebiet des Straßenbaus begegnen - angesichts der vorgesehenen Etatkürzungen und des möglichen Baustopps für die B 70 Neuenkirchen und die B 58 Lüdinghausen/Seppenrade? Zu Frage 13: Bei der Aufstellung des Haushalts 1996 mußte auch der Bundesfernstraßenbereich einen Beitrag zu den Konsolidierungsbemühungen der Bundesregierung leisten. Dennoch ist es gelungen, nicht zuletzt wegen der Beschäftigungswirkungen, die vom Straßenbau ausgehen, die Reduzierung der Investitionsansätze möglichst gering zu halten. Der Entwurf des Bundesfernstraßenhaushalts 1996 (Kapitel 12 10) sah gegenüber der bisherigen Finanzplanung eine Reduzierung von 500 Millionen DM auf 9,9 Milliarden DM vor. Im Ergebnis intensiver Bemühungen der Koalitionsfraktionen und nicht zuletzt durch den Einsatz des Bundesverkehrsministers ist es gelungen, die Investitionsansätze um 250 Millionen DM aufzustocken. Durch Umschichtungen Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 6155* und Einsparungen an anderer Stelle stehen dadurch für die Maßnahmen des Bedarfsplans sogar rund 300 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Mehreinnahmen aus der Straßenbenutzungsgebühr für Lkw bis zu 100 Millionen DM für den Bundesfernstraßenausbau zu verwenden, so daß die Finanzierung der Bedarfsplanprojekte insgesamt um 400 Millionen DM verbessert werden kann. Zu Frage 14: Durch die Aufstockung der Investitionsansätze im Bundesfernstraßenhaushalt 1996 (siehe Antwort auf die Frage Nr. 13) konnte ein Baustopp bei der Ortsumgehung Neuenkirchen im Zuge der B 70 vermieden werden. Bei der B 58 Lüdinghausen/Seppenrade haben die Bauarbeiten noch nicht begonnen, weil das Planfeststellungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist und kein Baurecht vorliegt. Über eine Finanzierung wird nach Vorlage des Baurechtes in Abstimmung mit der Straßenbauverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen entschieden. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Walter Hirche auf die Frage der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) (Drucksache 13/3024 Frage 19): Wie bewertet die Bundesregierung Kritik an den gesetzgeberischen Maßnahmen zur Eindämmung der Überschwemmungsgefahr an den großen Flüssen wie Rhein und Mosel, von denen insbesondere die Beschlüsse zum Wasserhaushaltsgesetz von Umweltschutzverbänden als unzureichend abgelehnt worden sind, und wie reagiert sie auf die Forderung der Landesregierung von Rheinland-Pfalz nach Einbeziehung des Hochwasserschutzes in die Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern, zumal sich der Bund im Sinne des Artikels 91 a Abs. 1 Nr. 3 des Grundgesetzes auch zur finanziellen Beteiligung am Küstenschutz bereit erklärt hat? Der Bundesregierung ist keine Kritik von Umweltschutzverbänden an gesetzgeberischen Maßnahmen zur Eindämmung der Überschwemmungsgefahr, insbesondere zur Stellungnahme der Bundesregierung vom 25. April 1995 zum Gesetzentwurf des Bundesrates vom 10. März 1995 zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes (Drucksache 13/1207) bekannt. Vielmehr hat die Stellungnahme der Bundesregierung in bezug auf Überschwemmungsgebiete und die Erhaltung natürlicher oder naturnaher Gewässer sowie die Renaturierung von Gewässern breite Zustimmung gefunden, insbesondere anläßlich der öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 25. September 1995 zur Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes. Die Grundsätze für die Förderung wasserwirtschaftlicher und kulturbautechnischer Maßnahmen im Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" lassen die Förderung der Anlage von Retentionsräumen und anderer Hochwasserpräventivmaßnahmen zu, soweit dies zur Unterstützung der Land- und Forstwirtschaft und der Entwicklung des ländlichen Raums erforderlich ist. Hierfür standen allein 1994 rund 148 Millionen DM Bundes- und Landesmittel zur Verfügung. Mit diesen Maßnahmen wurde im Rahmen der für die Gemeinschaftsaufgabe geltenden verfassungsrechtlichen Grenzen ein bedeutsamer und wirksamer Beitrag zum Hochwasserschutz geleistet. Es ist der Prioritätensetzung der Länder überlassen, wieviel Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe sie im Bereich der wasserwirtschaftlichen Maßnahmen einzusetzen gedenken. Der Finanzierungsanteil des Bundes beträgt 60 Prozent. Die für Hochwasserschutzmaßnahmen zusätzlich eingesetzten Mittel müßten allerdings bei gleichbleibendem bzw. absinkendem Plafond der Gemeinschaftsaufgabe an anderer Stelle eingespart werden. Die Durchführung und Finanzierung überregionaler Maßnahmen des Hochwasserschutzes ist im Rahmen dieser Gemeinschaftsaufgabe nicht zulässig, da sich diese Maßnahmen insbesondere auch auf den Schutz urbaner Siedlungsräume erstrecken. Artikel 91 a GG sieht die Mitwirkung des Bundes an Aufgaben der Länder nur insoweit vor, als es sich um Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes handelt. Ein Sonderprogramm „Hochwasserschutz" durch Aufstockung der Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe würde daher eine Ergänzung des Grundgesetzartikels 91 a voraussetzen. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Joachim Günther auf die Fragen des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) (Drucksache 13/3024 Fragen 20 und 21): Mit welchem Erfolg hat die Bundesregierung bislang ihre aus dem Berlin/Bonn-Gesetz hervorgehende Verpflichtung erfüllt, internationale und supranationale Einrichtungen in Bonn anzusiedeln, und wie begründet sie ihre Haltung, wonach der Bund im Zuge der Ausgleichsleistungen für die Region Bonn keine Mittel für die Ansiedlung internationaler und supranationaler Einrichtungen zur Verfügung stellt? In Anbetracht der öffentlichen Forderung von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl nach einem Umzug des Bundesrates nach Berlin, frage ich die Bundesregierung, ob diese eine Verpflichtung anerkennt, im Gegenzug zu einer solchen durch den Bundeskanzler geforderten Entscheidung, ein weiteres Bundesministerium in Bonn zu belassen oder andere gleichwertige Einrichtungen nach Bonn zu verlagern? Zu Frage 20: Nach § 6 Abs. 2 Berlin/Bonn-Gesetz soll der Ausgleich für die Region Bonn u. a. in dem Bereich „Bonn als Standort für Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen" realisiert werden. Bezogen auf internationale und supranationale Einrichtungen kann die Bundesregierung keine Ansiedlungsentscheidungen treffen. Sie kann lediglich dann ein attraktives Angebot abgeben und für dessen Annahme werben, wenn entweder eine bereits bestehende Organisation beabsichtigt, ihren Sitz zu verändern oder eine neu entstehende Einrichtung nach einem Standort sucht. Die Bundesregierung hat die nach Inkrafttreten des Berlin/Bonn-Gesetzes sich bietenden Gelegenheiten genutzt, für den Standort Bonn zu werben. Dies ist beim Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen (UNV) und dem Sekretariat der Klimarahmenkonvention gelungen, im Falle von UNDP und WTO dagegen haben diese Organisationen keinen Beschluß zur Umsiedlung nach Bonn gefaßt. Nach § 6 Abs. 5 Berlin/Bonn-Gesetz bleibt die nähere Ausgestaltung des § 6 vertraglichen Vereinbarungen vorbehalten. Dies ist durch die Vereinbarung über die Ausgleichsmaßnahmen für die Region Bonn vom 29. Juni 1994 erfolgt. Nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 dieser Ausgleichsvereinbarung stellt der Bund u. a. für diesen mit der Frage angesprochenen Bereich abschließende Gesamtleistungen in Höhe von 2,81 Milliarden DM zur Verfügung. Die Aufteilung dieser Bundesmittel auf die im Gesetz genannten einzelnen Bereiche erfolgt zwischen den Vertragsparteien. Für die Ansiedlung internationaler Einrichtungen werden Mittel aus dem Ausgleichsvertrag im Einzelfall eingesetzt (z. B. UNV). Bezogen auf die Bewerbung privatrechtlich organisierter Einrichtungen (Nichtregierungsorganisationen) hat sich die Bundesregierung auf Antrag der Stadt Bonn im Fall der Bewerbung um den Sitz des Instituts für europäisch-lateinamerikanische Studien (IRELA) bereiterklärt, im Rahmen des Ausgleichsvertrages eine Liegenschaft des Bundes der Stadt kostenlos als Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Zu Frage 21: Der Bundesrat hat in seiner 633. Sitzung am 5. Juli 1991 zum Sitz von Parlament und Regierung u. a. festgelegt, daß der Bundesrat seinen Sitz in Bonn habe. Er hat ferner entschieden, daß er sich eine Überprüfung dieser Entscheidung im Lichte der noch zu gewinnenden Erfahrungen sowie der tatsächlichen Entwicklung der föderativen Struktur in späteren Jahren vorbehalte. Die Bundesregierung hat mit ihren Beschlüssen zur Aufteilung der Funktionen zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn (Kombinationsmodell), den Behördenverlagerungen nach Bonn sowie dem Ausgleichsvertrag die in ihren Verantwortungsbereich fallenden Ausgleichsmaßnahmen zur Sicherung der Zukunft der Region Bonn abschließend festgelegt. Diese Entscheidungen sind unabhängig von einer eventuellen neuen Sitzentscheidung des Verfassungsorgans Bundesrat erfolgt. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Joachim Günther auf die Frage des Abgeordneten Rolf Kutzmutz (PDS) (Drucksache 13/3024 Frage 22): Wie beurteilt die Bundesregierung die dramatische Entwicklung bei Räumungsklagen aus Mietwohnungen in den sechs östlichen Bundesländern (z. B. eine Steigerung um 112 Prozent in der Stadt Leipzig) und das daraus resultierende Ausmaß an Wohnungs- und Obdachlosigkeit? Der Bundesregierung liegen keine amtlichen Angaben der Länder über die Entwicklung der Räumungsklagen vor. Soweit die Zahl der Räumungsklagen in den neuen Ländern zunimmt, kann dies vor allem darauf zurückzuführen sein, daß die Wohnungsunternehmen Mietschulden - entgegen der Praxis in der früheren DDR, nach der Mietschulden ohne Konsequenzen blieben - verstärkt anmahnen, auch einklagen und bei entsprechend hohem Zahlungsrückstand Räumungsklagen erheben. Dies führt jedoch nicht zwangsläufig dazu, daß die betroffenen Haushalte obdachlos werden. Ob und in wievielen Fällen die Räumungsklagen zu Räumungstiteln führen und ob diese auch vollstreckt werden, hängt von verschiedenen Faktoren, wie - rechtzeitige Zahlung der Mietrückstände durch Mieter oder Sozialamt - Hilfestellung durch Kommunen - Gewährung einer Räumungsfrist - Vollstreckungsschutz bei Härtefällen ab. Auf der Grundlage des geltenden Rechts bestehen somit vielfältige Möglichkeiten, dem Entstehen von Obdachlosigkeit entgegenzuwirken. Der von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Gesetzentwurf zur Reform des Sozialhilferechts sieht angesichts des wachsenden Problems der Obdachlosigkeit einen Ausbau der Hilfen im Rahmen der Neufassung des § 15a BSHG vor. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage des Abgeordneten Manfred Such (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 13/3024 Frage 23): Welche Angaben kann die Bundesregierung angesichts der Meldung der „Wirtschaftswoche" (Nr. 44/95 vom 25. Oktober 1995, S. 125), wonach Angehörige der Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) die betriebsinterne Personenschutzgruppe der Firma AEG trainieren, über den grundsätzlichen Wahrheitsgehalt dieser Information, über die Zahl der dort und anderswo ähnlich tätigen Grenzschutz-Mitarbeiter, über die jeweilige Zeitdauer ihrer Nebenbeschäftigung und der dafür notwendigen Genehmigungen sowie über die beteiligten Unternehmen machen, und - wenn Grenzschutz-Mitarbeiter tatsächlich derart tätig sind - wann wird die Bundesregierung dazu etwa erteilte Nebentätigkeitsgenehmigungen widerrufen? Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 6157* Es ist unzutreffend, daß Angehörige der Grenzschutzgruppe 9 die betriebsinterne Personenschutzgruppe der Firma AEG trainieren oder in ähnlicher Weise für Privatfirmen tätig werden. Es ist der Bundesregierung bekannt, daß bis 1990 zwei aus dem BGS ausgeschiedene ehemalige Beamte der GSG 9 im Personenschutz der Firma AEG angestellt waren. Ob und inwieweit auch heute noch ausgeschiedene Beamte der GSG 9 derartige Tätigkeiten ausüben, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Im Bereich des Bundesgrenzschutzes werden Nebentätigkeiten im Sicherheitsbereich aufgrund der möglichen Beeinträchtigung dienstlicher Interessen nicht genehmigt. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fragen des Abgeordneten Rolf Schwanitz (SPD) (Drucksache 13/3024 Fragen 26 und 27): Wie reagiert die Bundesregierung auf Hinweise auf Trainingslager der kriminellen Organisation „Garde" in Rumänien, und was weiß sie über Verbindungen dieser „Tresorknackerbanden" zu Angehörigen des ehemaligen Geheimdienstes „Securitate" und zu höchstgestellten Persönlichkeiten des rumänischen Staates? Was tut die Bundesregierung, um Rumänien dazu zu veranlassen, den „Kriminalitätsexport" zu unterbinden, bei dem kriminelle Banden in Rumänien systematisch ausgebildet und mit falschen Papieren versorgt werden, um sie für brutale Einbruchsserien nach Deutschland einzuschleusen? Zu Frage 26: Hinweise auf eine Organisation „Garde", Verbindungen der „Tresorknackerbanden" zu Angehörigen des ehemaligen Geheimdienstes Securitate und zu Repräsentanten des rumänischen Staates stammen aus der Aussage eines Tatverdächtigen. Ob diese Hinweise zutreffen, wird derzeit ermittelt. Zu Frage 27: Fragen der schnellen und wirkungsvollen gemeinsamen Bekämpfung rumänischer Banden in Deutschland sind Gegenstand der Fachgespräche, die von einer Delegation des Bundeskriminalamtes und des Bayerischen Kriminalamtes in der Zeit vom 22. bis 24. November in Bukarest geführt werden. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hansgeorg Hauser auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/ CSU) (Drucksache 13/3024 Fragen 31 und 32): Trifft es zu, daß sich die Diskrepanz zwischen Renten- und Pensionsbesteuerung seit 1980 verdreifacht und sich durch das Jahressteuergesetz 1996 weiter vergrößert hat? Wie reagiert die Bundesregierung auf den Vorwurf, daß sie einer verfassungskonformen Pensionsbesteuerung entgegengewirkt habe (siehe Äußerung des Ehrenvorsitzenden des Bundes der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen (BRH) in der Deutschen Steuerzeitung Nr. 8/1995 vom 15. April 1995)? Zu Frage 31: Ein Vergleich der Alterseinkünfte von Ruhestandsbeamten mit Rentnern ist aufgrund systembedingter grundlegender Unterschiede sehr problematisch. Beamte sind - wie Richter und Berufssoldaten - kraft Gesetzes nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen. Sie gehören statt dessen einem selbständigen Rechtssystem, der Beamtenversorgung, an. Hierbei handelt es sich um ein verfassungsrechtlich garantiertes, eigenständiges Sicherungssystem, bei dem der Dienstherr selbst aufgrund des auf Lebenszeit angelegten Dienst- und Treueverhältnisses die Versorgung trägt. Die Beamtenversorgung wird aus demselben Rechtsverhältnis gewährt wie die Besoldung der aktiven Beamten. Die Versorgung der Beamten unterscheidet sich grundlegend von anderen Sicherungssystemen, die auf anderen Strukturprinzipien beruhen. Ein aussagekräftiger Vergleich müßte daher alle relevanten Aspekte umfassen und dürfte sich nicht wie in Ihrer Frage allein auf die steuerliche Behandlung der Alterseinkünfte beschränken. Durch das Jahressteuergesetz 1996 werden wegen der Steuerfreistellung des Existenzminimums durch einen erhöhten Grundfreibetrag Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab 1996 in größerem Umfang als bisher nicht zur Einkommensteuer herangezogen. Allerdings in Fällen, in denen nur eine Rente bezogen wird, bleibt dies in aller Regel ohne steuerliche Auswirkung. Wegen der Veränderungen ist, wie mein Vorgänger im Amt, unser früherer Kollege Prof. Dr. Kurt Faltlhauser in seiner Antwort auf Ihre diesbezügliche schriftliche Frage Nr. 187 für Monat Juli 1995 ausgeführt hat, mittelfristig an weitere Anpassungen gedacht. Die Antwort ist übrigens in Drucksache 13/2140 unter Frage Nr. 33 abgedruckt. Zu Frage 32: Die Bundesregierung weist den Vorwurf, sie habe einer verfassungskonformen Pensionsbesteuerung entgegengewirkt, zurück. In seinem Beschluß vom 26. März 1980 hat das Bundesverfassungsgericht - bei grundsätzlicher Anerkennung der Berechtigung von Unterschieden - festgestellt, daß sich in der Besteuerung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie der Zusatzversorgung und von Versorgungsbezügen Unstimmigkeiten entwickelt haben, die eine Korrektur notwendig machen und dem Gesetzgeber deshalb aufgegeben, eine Neuregelung der Besteuerung der im Alter bezogenen Einkünfte in Angriff zu nehmen. Auf diesen Auftrag ist seither mit einer Reihe von Maßnahmen Bedacht genommen worden. Ich erwähne hierzu nur beispielhaft die Einführung der Nettoanpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die Einführung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner, die Anhebung 6158* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. November 1995 des Versorgungs-Freibetrags auf bis zu 6 000 DM und die mehrmalige Anhebung der Ertragsanteilssätze für die Rentenbesteuerung. Im übrigen wirkt sich der Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 2 000 DM bei Empfängern von Versorgungsbezügen weitgehend wie ein zusätzlicher Freibetrag aus. Dem Bundesverfassungsgericht geht es entgegen mancher Annahme nicht darum, die völlige steuerliche Gleichbehandlung von Renten und Versorgungsbezügen herbeizuführen. Seiner Rechtsprechung läßt sich nicht entnehmen, daß Empfänger von Versorgungsbezügen gegenüber Rentnern steuerlich benachteiligt würden. Die Einkommensbesteuerung von Versorgungsbezügen ist nicht beanstandet worden. Deshalb kann aus den Entscheidungen auch nicht der logische Schluß gezogen werden, dem Gesetzgeber sei aufgegeben worden, die in der Besteuerung von Renten und Versorgungsbezügen aufgetretenen Unstimmigkeiten durch eine Milderung der Pensionsbesteuerung zu beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausgeführt, eine Neuregelung habe nicht nur eine sachlich ungerechtfertigte steuerliche Benachteiligung der anderen Bezieher von Alterseinkünften, sondern auch der noch Erwerbstätigen, d. h. der aktiv im Arbeitsprozeß Stehenden, zu vermeiden. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hansgeorg Hauser auf die Frage des Abgeordneten Rolf Kutzmutz (PDS) (Drucksache 13/3024 Frage 33): Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß ausgerechnet die bundeseigene Treuhand Liegenschaftsgesellschaft mbH (TLG) bei Mieterhöhungen nach dem Mietenüberleitungsgesetz nur dort zu einer geringeren Mieterhöhung von 10 Prozent anstatt 15 Prozent bereit ist, wo sowohl Zentralheizung als auch Bad fehlen (siehe dpa-Meldung im Neuen Deutschland vom 26. Oktober 1995)? Die Treuhand Liegenschaftsgesellschaft mbH (TLG) hat die Frage, ob Mieten bei Wohnungen mit Bad oder Zentralheizung um 10 oder 15 v. H. zu erhöhen sind, sorgfältig geprüft. Schon angesichts potentieller Schadensersatzforderungen von Restitutions-berechtigten ist die TLG gehalten, Mieterhöhungsspielräume auszuschöpfen. In Übereinstimmung mit der Auffassung des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft sowie einschlägiger Rechtskommentare hat sie daher allen Mietern, die über eine Wohnung mit Bad oder Zentralheizung verfügen, Mieterhöhungen über 15 v. H. angekündigt. Diese Entscheidung mußte kurzfristig gefällt werden, da nach Inkrafttreten des Gesetzes am 6. Juni 1995 nur eine Frist von weniger als einem Monat verblieb, um eine bereits zum 1. August 1995 wirksame Mieterhöhungserklärung dem Mieter zuzustellen; die Bundesregierung hält diese Entscheidung der TLG für sachgerecht. Anlage 13 Antwort der Parl. Staatssekretärin Michaela Geiger auf die Fragen der Abgeordneten Verena Wohlleben (SPD) (Drucksache 13/3024 Fragen 42 und 43): Ist dem Bundesminister der Verteidigung die Allgemeine „Empfehlung zur Formulierung von Rechtsvorschriften" und insbesondere die „ Wortwahl in Gesetzen und Verordnungen, 1.2. Maskuline und feminine Personenbezeichnung", veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 9. Oktober 1991, bekannt? Kommen diese Empfehlungen im Bundesministerium der Verteidigung zur Anwendung, und beabsichtigt der Bundesminister der Verteidigung, diese Empfehlungen auch in Veröffentlichungen seines Hauses außerhalb von Gesetzen und Rechtsvorschriften zu berücksichtigen, um zu vermeiden, daß z. B. wie in „Bundeswehr aktuell" vom 7. November 1995 die Soldatin Tina Möhring als „Sanitäter" und „Gefreiter" bezeichnet wird, und Soldatinnen der Bundeswehr zukünftig generell in der weiblichen Form ihres Dienstgrades und ihrer Truppengattung angesprochen werden? Zu Frage 42: Die Antwort ist ja. Zu Frage 43: Die genannten Empfehlungen kommen im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung teilweise zur Anwendung. So sprechen wir beispielsweise nicht mehr vom Vertrauensmann der Soldaten, sondern von der Vertrauensperson. Der Bundesminister der Verteidigung beabsichtigt nicht, die genannten Empfehlungen dahin gehend zu berücksichtigen, daß die Soldatinnen der Bundeswehr zukünftig generell in der weiblichen Form ihres Dienstgrades und ihrer Tätigkeitsbezeichnung angesprochen werden. Bei den betroffenen Soldatinnen im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung herrscht die überwiegende Meinung, daß diese weiblichen Formen verzichtbar sind. Die Anrede mit „Frau und Dienstgrad" wird als ausreichend empfunden. Eine verdoppelte weibliche Bezeichnung mit „Frau und einer feminisierten Form des Dienstgrades" wird sogar abgelehnt. Sollte sich bei den Soldatinnen ein Bewußtseinswandel vollziehen, wird das Bundesministerium der Verteidigung dem Rechnung tragen. Gegen den ausdrücklichen Wunsch der betroffenen Frauen sollte in diesem Zusammenhang nicht entschieden werden. Anlage 14 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl auf die Frage des Abgeordneten Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 13/3024 Frage 46): Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus dem Umstand ziehen, daß es die VN-Betäubungsmittelkommission des wirtschafts- und sozialpolitischen Rats der VN (ECOSOC) auf ihrer 38. Sitzung vom 14. bis 23. März 1995 in Wien in der mit den Stimmen der deutschen Delegierten verabschiedeten Resolution E/CN.7/L.1/Add. 5 für notwendig erachtet hat, eine multidimensionale Untersuchung über die Coca-Pflanze als solche - etwa hinsichtlich ihrer tradierten Verwendung, gesundheitlichen Unbedenklichkeit und ihrer Vermarktungsbedingungen - durchzuführen, und wann wird die Bundesregierung insbesondere die Einsetzung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe bei der besagten VN-Kommission zur Durchführung einer solchen Studie beantragen? Die Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen hat auf ihrer 38. Sitzung vom 14. bis 23. März 1995 in Wien keine derartige Resolution verabschiedet. Vielmehr hatte das Suchtstoffkontrollamt der Vereinten Nationen (INCB) in seinem Jahresbericht für 1994 vorgeschlagen, eine wissenschaftliche Untersuchung über das Kauen von Coca-Blättern und den Genuß von Coca-Tee durchzuführen, um bestimmte Konflikte zwischen dem Einheitsübereinkommen von 1961 über Suchtstoffe und einzelstaatlichen Gesetzen, die den legalen Gebrauch von Coca-Blättern zulassen, auszuräumen. Diesen Vorschlag haben - dem in der Frage genannten Sitzungsbericht E/CN.7/L.1, Teil Add. 5 zufolge - zwei Repräsentanten von rund 100 anwesenden Staaten in der Suchtstoffkommission ausdrücklich begrüßt; einer von ihnen hat vorgeschlagen, die Untersuchung auf alle kulturellen und anthropologischen Aspekte des legalen Gebrauchs der Coca-Pflanze auszudehnen. Nach Auffassung der Bundesregierung sollten die Ergebnisse der vom Suchtstoffkontrollamt vorgesehenen Untersuchung abgewartet und sodann in der Suchtstoffkommission entschieden werden, ob und ggf. welche Änderungen des Einheitsübereinkommens im Hinblick auf den legalen Anbau der Coca-Pflanze erforderlich sind. Anlage 15 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl auf die Frage des Abgeordneten Horst Sielaff (SPD) (Drucksache 13/3024 Frage 47): Hält die Bundesregierung an ihrem Plan fest, für die Genehmigung des Anbaus von Nutzhanf eine Bearbeitungsgebühr von 300 DM von den anbauwilligen Landwirten zu verlangen, und stehen derartige Pläne in Einklang mit den vielfachen Beteuerungen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, sich für den Hanfanbau einzusetzen? Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß der Anbau von Nutzhanf zur Ernte 1996 ohne großen Verwaltungsaufwand erfolgen kann. Die anbauwilligen Landwirte sollen nicht durch eine komplizierte und mit Kosten verbundene Regelung abgehalten werden. Herr Bundesminister Seehofer hat im Einvernehmen mit Herrn Bundesminister Borchert einen Entwurf zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vorgelegt, nach dem der Anbau von Nutzhanf in Deutschland in Zukunft bei Beachtung bestimmter Voraussetzungen genehmigungsfrei ist. An die Stelle einer Genehmigung soll eine Anzeigeregelung treten, die für die Landwirte kostenfrei ist. Anlage 16 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl auf die Frage der Abgeordneten Heidemarie Wright (SPD) (Drucksache 13/3024 Frage 48): Wann wird die Bundesregierung eine konkrete Entscheidung über die Zulassung von Nutzhanf bekanntgeben angesichts der Tatsache, daß im März ausgesät werden und der Landwirt Handlungssicherheit haben muß? Die Bundesminister Seehofer und Borchert haben die Öffentlichkeit bereits durch Pressemitteilungen ihrer Ressorts darüber informiert, daß sie den landwirtschaftlichen Anbau von Nutzhanf ab 1996 ermöglichen wollen. Die dazu erforderlichen Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes bzw. der Flachsbeihilfenverordnung sind Anfang des Monats an die übrigen Bundesressorts sowie an Länder und Wirtschaftsverbände zur Stellungnahme übersandt worden. Voraussichtlich am 13. Dezember 1995 wird sich das Bundeskabinett mit diesem Thema befassen. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß die parlamentarischen Beratungen zügig durchgeführt werden. Ferner wird auch ein Merkblatt erstellt werden, aus dem die Interessenten alle Details der neuen Regelungen entnehmen können.
Gesamtes Protokol
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307000000
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 13/3024 -
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung ist Herr Staatsminister Helmut Schäfer erschienen.
Ich rufe als erstes die Frage 1 des Abgeordneten Steffen Tippach auf:
Wie reagiert die Bundesregierung auf die Äußerung des türkischen Verteidigungsministers gegenüber einer Delegation des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, man müsse Verständnis dafür haben, daß „zum Schutz gegen Terroristen" auch aus Deutschland gelieferte Panzer eingesetzt werden müssen?

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1307000100
Herr Kollege, der türkische Verteidigungsminister hat in seiner Abschlußbemerkung bei dem von Ihnen erwähnten Gespräch unmißverständlich klargestellt, daß es keinen Einsatz deutscher NVA-Schützenpanzer im Südosten der Türkei gegeben habe.
Für die Bundesregierung ist ausschlaggebend, daß sich die Türkei in dem Vertrag über Materialhilfe dazu verpflichtet hat, die gelieferten Waffen, also auch die NVA-Schützenpanzer, ausschließlich in Übereinstimmung mit Art. 5 des NATO-Vertrages, nämlich nur zur Verteidigung gegen einen bewaffneten Angriff, einzusetzen. Die Türkei hat der Bundesregierung wiederholt zugesichert, daß sie sich an diese Verpflichtung hält.
Die Bundesregierung ist sämtlichen Hinweisen auf einen vermuteten vertragswidrigen Einsatz deutscher Waffen durch die Türkei nachgegangen. Es haben sich dabei keine Hinweise für einen vertragswidrigen Einsatz ergeben.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307000200
Eine Nachfrage? - Bitte.

Steffen Tippach (PDS):
Rede ID: ID1307000300
Herr Staatsminister, was ist daran „mißverständlich" - Zitat des Auswärtigen Amtes -, wenn der türkische Verteidigungsminister ausgeführt hat, daß diese Waffen im Kampf gegen Terrorismus eingesetzt werden müssen?

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1307000400
Mißverständlich ist ganz offensichtlich die Interpretation des türkischen Verteidigungsministers gewesen. Wir haben wiederholt, und zwar nicht erst nach Ihrem Besuch in Ankara - ich nehme an, Sie waren dabei -, diese Fragen angesprochen. Wir sind wiederholt solchen Hinweisen, auch denen des deutschen Fernsehens, nachgegangen. Wir haben die Türkei immer wieder ausdrücklich gemahnt, sich an das, was vereinbart worden ist, zu halten.
Nach allen Anstrengungen, etwas nachzuweisen, kann ich nur das wiederholen, was ich gerade gesagt habe: Es gibt dafür keinen Beweis. Wir haben der Türkei klargemacht, daß sie diese Waffen nicht einsetzen kann, und die Türkei hat - so ihr Verteidigungsminister - erklärt, daß sie sie nicht einsetzen will und wird.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307000500
Eine weitere Nachfrage? - Bitte.

Steffen Tippach (PDS):
Rede ID: ID1307000600
Herr Staatsminister, wenn Mitglieder dieses Parlaments, die an dieser Delegation beteiligt waren und damit auch an dem Gespräch teilgenommen haben, diese Äußerung entsprechend nachvollziehen, wären Sie dann zu einer Änderung Ihrer Auffassung bereit?

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1307000700
Ich kann mich immer und immer wieder nur auf den von Ihnen zitierten türkischen Verteidigungsminister berufen, auf den sich auch einige Mitglieder der Delegation berufen haben. Der Minister hat, nachdem er noch einmal ausdrücklich darauf angesprochen worden ist, erklärt, daß - ich zitiere jetzt wörtlich - „im Südosten der Türkei keine NVA-Schützenpanzer aus deutscher Lieferung eingesetzt worden seien" .




Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307000800
Wir kommen damit zu Frage 2 des Abgeordneten Tippach:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der ebenfalls vom türkischen Verteidigungsminister gegenüber der Delegation des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages gemachten unmißverständlichen Aussage, daß 1992 in Cizre mit einem deutschen Panzer (Typ BTR-60) aus ehemaligen NVA-Beständen eine Leiche aus dem Weg geräumt worden sei, um zu prüfen, ob darunter nicht eine Mine versteckt gewesen sei?

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1307000900
Herr Kollege, Ihre zweite Frage ist eigentlich durch meine Ausführungen zu Frage 1 erledigt; denn Sie fragen erneut nach einem deutschen Panzer aus ehemaligen NVA-Beständen, der im Jahre 1992 angeblich dort im Einsatz gewesen sein soll.
Ich kann nur wiederholen, daß nach unseren Erkenntnissen solche NVA-Panzer nicht entgegen dem mit der Türkei ausgehandelten Vertrag und der Zustimmung des Deutschen Bundestages eingesetzt worden sind.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307001000
Möchten Sie noch einmal nachfragen? - Bitte.

Steffen Tippach (PDS):
Rede ID: ID1307001100
Herr Staatsminister, es ist doch ganz präzise gesagt worden: Es wurde an dem und dem Tag in der und der Stadt in dem und dem Gebiet ein Schützenpanzer eingesetzt, um eine Person beiseite zu ziehen, um zu schauen, ob darunter eine Mine liegt. Das ist ja keine globale Aussage, sondern ein sowohl zeitlich als auch räumlich zu definierender Sachverhalt. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie sagen, auch diese Aussage zu diesem räumlich und zeitlich zu fixierenden Sachverhalt sei ebenso mißverständlich dargestellt worden und offensichtlich von Teilnehmern der Delegation ebenfalls falsch verstanden worden?

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1307001200
Ich weiß nicht, wer was bei diesem Gespräch falsch verstanden hat. Aber ganz offensichtlich hat schon damals, als es bekannt wurde - es liegt ja schon einige Zeit zurück -, die Deutsche Botschaft, die auch bei dem Gespräch anwesend war, betont und unterstrichen, daß Herr Tanir, der damalige Verteidigungsminister, am Ende des Gesprächs mit der deutschen Delegation abschließend ausdrücklich gesagt hat - ich zitiere noch einmal wörtlich -, daß im Südosten der Türkei keine NVA-Schützenpanzer aus deutscher Lieferung eingesetzt worden seien. Ich kann nur vermuten, daß es sich dabei um ein Mißverständnis gehandelt hat.
Wir wissen überdies, daß seit dieser Auseinandersetzung, die es damals schon gab, der Türkei inzwischen immer wieder klargemacht worden ist: Jedweder Versuch, entgegen den mit der Türkei ausgehandelten und von uns als Voraussetzung für die Lieferung von Waffen aus NVA-Beständen an einen NATO-Partner gestellten Bedingungen diese Waffen im Kampf gegen die Kurden einzusetzen, also in eine innenpolitische Angelegenheit mit Panzern einzugreifen, ist zu unterlassen. Daraufhin wurde von der
Türkei immer wieder die klare Antwort gegeben, sie wird das nicht tun. Ich kann mich nur auf diese Antworten berufen und bedaure, Ihnen nicht darüber hinausgehende Auskünfte geben zu können, weil sie mir nicht vorliegen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307001300
Eine letzte Fragemöglichkeit haben Sie noch, bitte.

Steffen Tippach (PDS):
Rede ID: ID1307001400
Herr Staatsminister, ist Ihnen der Bericht der US-Menschenrechtsorganisation „Human rights watch" bekannt, der am Montag veröffentlicht wurde und der ausdrücklich nochmals darauf hinweist, daß in der Türkei deutsche Waffen gegen die Kurden eingesetzt werden? Haben Sie sich über diesen Bericht informiert, um daraus eventuell neue Erkenntnisse zu ziehen?

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1307001500
Herr Kollege, Sie haben diesen Bericht in Ihrer Frage nicht angesprochen. Ich bitte um Verständnis, daß ich, wenn am Montag eine solche Mitteilung ergangen sein sollte, nicht alles inzwischen nachprüfen konnte. Wir gehen der Sache nach. Wir sind anderen Hinweisen und Vorwürfen nachgegangen, die sich als grundlos erwiesen haben. Aber wir prüfen auch diesen Bericht gerne nach.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307001600
Damit liegen keine weiteren Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes vor. Danke schön, Herr Staatsminister.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl da, aber nicht der Fragesteller. - Es wird mir vom Schriftführer gerade signalisiert, daß er noch in einer Ausschußsitzung sei und um schriftliche Beantwortung bitte. Dann wird die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Günther Maleuda schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nun die Frage 4 der Abgeordneten Heidemarie Wright auf:
Welche Schritte wird die Bundesregierung unternehmen, um das offensichtliche Innovationsdefizit bei der Röstung und Weiterverarbeitung von Hanf auszugleichen, und welche weiteren Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Wettbewerbsnachteile, die infolge des jahrelangen Anbauverbotes für die deutschen Landwirte entstanden sind, aufzuholen?
Bitte.

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1307001700
Frau Kollegin Wright, das Hanfanbauverbot in Deutschland besteht seit 1982. 1981 wurde in Deutschland nur noch auf 27 Hektar Hanf angebaut. Der Handel mit Hanf zur Gewinnung oder Verarbeitung der Fasern für gewerbliche Zwecke ist übrigens auch nach Erlaß des Anbauverbots in Deutschland ausdrücklich weiter zugelassen worden.

Parl. Staatssekretär Wolfgang Gröbl
Schon seit 1992 führt die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig-Völkenrode im Auftrag des Bundesministers für Landwirtschaft und Forsten Anbauversuche mit verschiedenen Hanfsorten durch. Ein wichtiges Ergebnis der Untersuchungen war, daß die zur Verfügung stehenden französischen Faserhanfsorten sehr geringe Gehalte an Tetrahydrocannabinol, der rauschaktiven Substanz des Hanfs, haben. Dies trug wesentlich zur Entscheidung des Sachverständigenausschusses für Betäubungsmittel bei, der Bundesregierung zu empfehlen, unter bestimmten Bedingungen den Anbau von Faserhanf zu ermöglichen.
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat eine Studie in Auftrag gegeben, in der der Sachstand des Anbaus, der Verarbeitung und der Verwertung von Hanf dargestellt werden soll. Darüber hinaus sollen die Chancen für einen künftigen Anbau in Deutschland aufgezeigt werden. Ergebnisse dieser Studie erwarten wir für die zweite Hälfte des Jahres 1996. Erst danach kann geprüft werden, welche Verarbeitungs- und Verwertungslinien bei Hanf besondere Beachtung verdienen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307001800
Möchten Sie eine Zusatzfrage stellen? - Bitte.

Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1307001900
Herr Staatssekretär, würden Sie trotzdem zugestehen, daß ein Innovationsdefizit besteht, oder würden Sie das grundsätzlich verneinen?

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1307002000
Frau Kollegin, wir haben einen europäischen Binnenmarkt. Jeder kann über unsere Grenzen schauen, wie es die Franzosen machen, wie es die Spanier machen. Dort sind die hauptsächlichen Hanfanbaugebiete. Es ist niemandem verwehrt, französischem oder spanischem Beispiel zu folgen.

Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1307002100
Ich habe eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307002200
Ja, bitte.

Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1307002300
Wenn das Ergebnis der Studie im nächsten Jahr vorliegt, aber ab Frühjahr auch die deutschen Landwirte anbauen können, sind dann auch schon Mittel in Aussicht gestellt, mit denen das Innovationsdefizit - ich gehe davon aus, daß ein solches doch besteht - ausgeglichen wird? Gibt es Bereitstellungen von Mitteln direkt für die Weiterverarbeitung von Hanf, oder fällt das alles unter den Bereich nachwachsende Rohstoffe und müßte aus diesem Etat herausgezogen werden?

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1307002400
Frau Kollegin, unser Haushaltsgebaren ist ein bißchen sorgfältiger, als Sie es sich vorstellen. Wir warten zuerst einmal die Aussagen eines solchen Gutachtens ab und werden dann darüber diskutieren, möglicherweise auch im Ausschuß. Dann werden wir sehen, ob und gegebenenfalls welche Konsequenzen zu ziehen sind.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307002500
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Wir beenden damit den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Für die Fragen 5 und 6 zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist um schriftliche Antwort gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens erschienen. Guten Tag!
Bei den Fragen 7 und 8 ist ebenfalls um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zur Frage 9 des Abgeordneten Wolfgang Zöller:
Was unternimmt die Bundesregierung, um den Kompetenzstreit zwischen Bund und Land bezüglich der Verlegung der B 8 bei Erlenbach dergestalt zu beenden, daß die Frage der Zuständigkeit rechtsverbindlich geklärt und festgelegt wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1307002600
Danke schön.
Unterschiedliche Auffassungen zwischen Bund und Land bestehen bezüglich der Einstufung der B 8. Solange die Einstufung als Bundesfernstraße besteht, ist der Bund Baulastträger. Er kann die Verlegung der B 8 bei Erlenbach durch Bau und Finanzierung einer Ortsumgehung jedoch nicht veranlassen, nachdem die Ortsumgehung seit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes nicht mehr im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen enthalten ist, so daß hierfür ein werkehrlicher Bedarf gesetzlich nicht mehr anerkannt und festgestellt ist.
Das Bundesministerium für Verkehr hat das Land wiederholt aufgefordert, die wegen ihrer nahen Parallellage zur Bundesautobahn A 3 nicht mehr dem weiträumigen Verkehr dienende Bundesstraße B 8 zwischen Aschaffenburg und Würzburg in eine Straßenklasse nach Landesrecht abzustufen. Dem ist das Land bisher nicht nachgekommen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307002700
Möchten Sie eine Zusatzfrage stellen? - Bitte.

Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1307002800
Zum einen: Für mich ist dann unverständlich, wenn an der Landkreisgrenze die B 8 Bundesstraße bleibt, obwohl sie dort genauso nah an der Autobahn ist.
Zum zweiten: Es kann doch nicht angehen, daß der Bund sagt „Ich bin für eine Straße nicht mehr zuständig, weil die Autobahn den Verkehr übernehmen soll, wenn sie sechsstreifig ausgebaut ist", wäh-



Wolfgang Zöller
rend dieser Ausbau zur Sechsstreifigkeit in diesem Jahrhundert garantiert nicht mehr vollzogen werden kann. Also wäre es doch sinnvoll, die Abstufung zur Staatsstraße erst dann vorzunehmen, wenn der Ausbau der Bundesautobahn in besagtem Umfang vorgenommen wurde.

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1307002900
Man kann einem Abgeordneten, der logische Zusammenhänge vorträgt, nicht widersprechen. Das tue ich auch nicht. Hierbei muß man aber wissen, daß nicht dies der Kern der Problematik ist, sondern die Frage, wer die Ortsumgehung von Erlenbach bezahlt. Wir haben den Bundesverkehrswegeplan, wir haben auch den entsprechenden Ausbau der Autobahn vorgesehen, und dabei ist die Ortsumgehung von Erlenbach nicht mehr vorgesehen. Ich muß Ihnen sagen, daß dem Verkehrsausschuß und dem Deutschen Bundestag bei Beschlußfassung diese Zusammenhänge bekannt gewesen sind. Wichtig ist nun, daß es zu Entscheidungen kommt, daß die parallel laufende B 8 abgestuft wird, damit klare Verhältnisse entstehen und dann das Land die Aufgabe übernimmt, die es zu übernehmen hat.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307003000
Eine weitere Zusatzfrage zu Frage 9.

Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1307003100
Jetzt sind wir bei dem Problem der Bürger. Die Bürger können das nicht mehr verstehen. Der Bund sagt: Wir sind nicht mehr zuständig. Das Land sagt jedoch: Wir sind noch nicht zuständig. Dieser Zustand dauert nun schon über fünf Jahre an. Hier muß es doch endlich eine rechtliche Lösung geben, wer zuständig ist. Stelle ich der Bundesregierung diese Frage, heißt es: Wir sind nicht zuständig. Stellen wir der Staatsregierung diese Frage, heißt es: Wir sind noch nicht zuständig. Deshalb auch meine Frage: Welche rechtssichere Handhabe kann endlich geschaffen werden, damit diese Rechtsunsicherheit endlich beseitigt werden kann?

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1307003200
Herr Kollege Zöller, Sie haben völlig recht. Wie ich dieses Problem gemeinsam mit Ihnen regeln will, beantworte ich ja in der nächsten Frage.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307003300
Dann kommen wir zur nächsten Frage, der Frage 10 des Abgeordneten Zöller:
Welche rechtlichen Möglichkeiten stehen der Bundesregierung zur Verfügung, insbesondere nachdem der Bundesrechnungshof mehrfach einen unbefriedigenden Fortgang der seit 1987 laufenden Abstufung autobahnparalleler Bundesfernstraßen festgestellt hat, den Vollzug der Abstufungsmaßnahmen durchzusetzen, und welche Konsequenzen hinsichtlich der Baulast ergeben sich bei einem Fehlen des rechtlichen Instrumentariums?
Bitte.

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1307003400
Das Bundesministerium für Verkehr kann im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung für die Bundesfernstraßen dem Bayerischen Staatsministerium des Innern nach Art. 85 Abs. 3 des Grundgesetzes Weisung erteilen, die B 8 in eine Straßenklasse nach Landesrecht abzustufen. Die Erteilung der Weisung ist beabsichtigt. Ihr Vollzug ist durch das Bayerische Staatsministerium des Innern als Oberste Landesbehörde sicherzustellen, und zwar nach Art. 85 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes. Nach Abstufung der B 8 liegt der Bau der Ortsumgehung Erlenbach in der Kompetenz des neuen Baulastträgers.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307003500
Zusatzfrage? - Bitte.

Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1307003600
Sie sagten: „ist beabsichtigt". Kann ich bitte einen Zeitrahmen erfahren, weil ich nämlich schon fünf Jahre warte?

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1307003700
Herr Kollege Zöller, dafür habe ich volles Verständnis. Ich werde mich der Sache persönlich annehmen, um diese Entscheidung zügig umzusetzen. Bei mir heißt „zügig" nicht irgendwann, sondern sehr bald.

Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1307003800
Danke schön.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307003900
Damit sind die Fragen beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Walter Schöler. Er ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Für die Fragen 13 und 14 der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren wird um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hier ist der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche erschienen. Guten Tag!
Wir kommen zur Frage 15 des Abgeordneten Horst Kubatschka:
Wird die Bundesregierung in der Europäischen Union darauf hinweisen, daß sich die slowakische Regierung über ihre Selbstverpflichtung hinwegsetzt, wenn sie das Atomkraftwerk Mochovce unter westlichen Sicherheitsstandards fertigstellen will und gleichzeitig das Atomkraftwerk Bohunice entgegen ursprünglichen Zusagen nicht vom Netz nimmt, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Schließung von Bohunice auch ohne die Fertigstellung des Atomkraftwerks Mochovce zu verwirklichen?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307004000
Frau Präsidentin! Herr Kollege Kubatschka, die Bundesregierung hat keine Bedenken gegen die



Parl. Staatssekretär Walter Hirche
Fertigstellung der beiden Reaktorblöcke des Kernkraftwerkes Mochovce, sofern diese ohne Abstriche an den bisher vorgesehenen Sicherheitserhöhungsmaßnahmen erfolgt. Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, ob die im Zusammenhang mit dem Kreditantrag bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und bei der EIB zu sehende Aussage der slowakischen Regierung von 1994 weiterhin gilt, nach Inbetriebnahme der beiden Blöcke des Kernkraftwerkes Mochovce die Blöcke 1 und 2 des Kernkraftwerkes Bohunice zu schließen. Unabhängig davon, daß die slowakische Regierung den oben genannten Kreditantrag zurückgezogen hat, hält es die Bundesregierung für sehr wichtig, daß die ursprüngliche Schließungszusage für Bohunice weiter gilt. Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, die Schließung der Blöcke 1 und 2 des Kernkraftwerkes Bohunice ohne die Fertigstellung des Kernkraftwerkes Mochovce zu verwirklichen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307004100
Möchten Sie nachfragen? - Bitte.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307004200
Herr Staatssekretär, ich habe ja den EU-Komplex angesprochen. Welche Möglichkeit sehen Sie, über die Europäische Union möglichst schnell eine Schließung von Bohunice zu erreichen?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307004300
Herr Kollege Kubatschka, Sie wissen, daß es umfangreiche Diskussionen zwischen der Arbeitsgruppe, die die G 7 eingesetzt hat, und der Europäischen Union einerseits und den jeweils betroffenen Regierungen andererseits gibt. Es geht ja nicht nur um die Slowakei. Mit den Regierungen über die Probleme zu reden ist deswegen ein sehr schwieriges Unterfangen, weil die Staaten bei dieser Thematik vielfach die Frage nach Grenzen und Umfang von Souveränität und Mitsprache von außen stellen. Deswegen sind manche Teile der öffentlichen Diskussion, die auch wir führen, nicht geeignet, dort eine Diskussionsoffenheit zu erzeugen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307004400
Eine weitere Zusatzfrage.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307004500
Welche Schritte unternehmen Sie dann - das muß ja nicht in der Öffentlichkeit geschehen -, um wirklich einen westlichen Standard in bezug auf die Sicherheit bei Bohunice und Mochovce zu erreichen? Oder ist er überhaupt nicht erreichbar?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307004600
Uns liegen Informationen der Art nicht vor, daß das nicht erreichbar oder etwa nicht gewollt sei. Vielmehr gehen wir nach wie vor davon aus, daß die Sicherheitsstandards, so wie sie diskutiert worden sind und in bezug auf diesen technischen Punkt im
Zusammenhang mit dem Kreditantrag als einvernehmlich angesehen worden sind, erfüllt werden. Nachdem der Kreditantrag ja zurückgezogen ist, versuchen wir auf den Kanälen, die noch offen bleiben, weiterhin tätig zu sein, diplomatisch und auf Fachebene. Ich kann nur noch einmal darauf verweisen, daß der Wunsch einiger Kollegen aus diesem Hause, den sie an die Bundesregierung gerichtet haben - wir sind dieser Anregung in der Form nicht gefolgt -, nämlich daß wir auf die EBRD einwirken sollten, diesen Kreditantrag nicht zu genehmigen, natürlich erst recht in das Dilemma führt, daß wir, formal gesehen, kaum einen Ansatzpunkt haben, auf die Realisierung von Sicherheitsvorschriften hinzuwirken.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307004700
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Schönberger.

Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307004800
Sie haben in der Antwort auf die erste Nachfrage des Kollegen Kubatschka gesagt: Es gibt keine Alternativen dazu, Bohunice stillzulegen, ohne daß Mochovce in Betrieb geht. Ich möchte Sie daher fragen, welche Alternativangebote es denn gibt. Es gibt ja auch die Möglichkeit, dort Gaskraftwerke, moderne GuD-Kraftwerke anzubieten. Es kann ja nicht der Weisheit letzter Schluß sein, daß die Bundesregierung keine andere Möglichkeit sieht als die, ein Atomkraftwerk durch ein anderes zu ersetzen. Es gibt durchaus andere Techniken, die umweltfreundlicher und mit wesentlich weniger Risiko behaftet sind. Ich frage Sie, ob Sie nicht beispielsweise ein anderes Angebot machen könnten.

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307004900
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Schönberger, die Entscheidung, welche Form von Primärenergie eingesetzt wird, um Energie zu erzeugen, trifft jeder Staat souverän für sich. Im Rahmen der Diskussionen, die geführt werden, wird über alle möglichen Varianten gesprochen. Aber da spielen Finanzvolumina und Konkurrenzangebote von anderer Seite eine Rolle. Deswegen sind die Dinge nicht ganz so einfach zu bewegen, wie es in Ihrer Frage als Wunsch zum Ausdruck kommt.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307005000
Wir kommen damit zur Frage 16 des Abgeordneten Wolfgang Behrendt:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob die von der Slowakischen Republik zugesagte Schließung des in Betrieb befindlichen slowakischen Atomkraftwerks Bohunice zeitgleich mit der Fertigstellung des Atomkraftwerks Mochovce vorgenommen wird, und bis zu welchem Zeitpunkt soll die Schließung des Atomkraftwerks Bohunice abgeschlossen sein?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307005100
Frau Präsidentin! Herr Kollege Behrendt, der Bundesregierung liegen über die Absichten der slowakischen Regierung keine neuen Informationen vor. Die Bundesregierung hält es aber für sehr wichtig, daß die im Zusammenhang mit der ursprünglich



Parl. Staatssekretär Walter Hirche
geplanten EBRD-Finanzierung gegebene Schließungszusage der slowakischen Regierung weiter gilt. Die slowakische Regierung hat 1994 zugesagt, die Blöcke 1 und 2 des Kernkraftwerkes Bohunice nach Aufnahme des kommerziellen Betriebs der Blöcke 1 und 2 des Kernkraftwerks Mochovce stillzulegen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307005200
Eine Zusatzfrage, bitte.

Wolfgang Behrendt (SPD):
Rede ID: ID1307005300
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, halten auch Sie ja die Schließung von Bohunice spätestens bei der Fertigstellung von Mochovce für zwingend geboten. Was wird die Bundesregierung tun, um zu gewährleisten, daß diese zugesagte Schließung dann auch wirklich erfolgt?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307005400
Frau Präsidentin! Herr Kollege, wir versuchen, dies mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln der Überzeugung zu erreichen, auch unter Hinweis auf die Diskussion, die im Vorfeld der Aufnahmeanträge zur Europäischen Union und im Zusammenhang mit anderen Dingen geführt wird.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307005500
Zusatzfrage, bitte.

Wolfgang Behrendt (SPD):
Rede ID: ID1307005600
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Firma Siemens einen Auftrag für das Gaskraftwerk Bratislava II erhalten hat, und ist der Bundesregierung bekannt, ob diese Auftragsvergabe an die Zusage zur Zusammenarbeit beim AKW Mochovce gebunden ist?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307005700
Herr Kollege, diese Information habe ich im Augenblick nicht. Ich kann mich aber gerne informieren.
Ich kann mir allerdings - dies zum zweiten Teil Ihrer Frage - nicht vorstellen, daß zu dieser Grundsatzentscheidung über eine einzelne Firma eine inhaltliche Verknüpfung getroffen worden ist.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307005800
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307005900
Herr Staatssekretär, stimmt die Bundesregierung mir zu: Durch einen möglichen GAU beim Betrieb der Kernkraftwerke Bohunice oder Mochovce kann es auch bei uns in der Bundesrepublik zu beträchtlichen Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen kommen?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307006000
Herr Kollege, durch den schrecklichen Vorfall in Tschernobyl wissen wir, daß solche Folgen auch bei noch größeren Entfernungen als jenen, um die es sich hier handelt, eintreten können. Deswegen haben wir auch in der Europäischen Union und der G 7 diese Diskussion mit den mittel- und osteuropäischen Ländern aufgenommen, um auf erhöhte Sicherheit von Kernkraftwerken hinzuwirken.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307006100
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Wir kommen damit zur Frage 17 der Abgeordneten Ursula Schönberger:
Wie reagiert die Bundesregierung auf den Rückzug des Projektantrages durch die slowakische Regierung bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung für das Atomkraftwerk Mochovce im Hinblick auf eine mögliche Fertigstellung unter westlichen Sicherheitsstandards?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307006200
Frau Präsidentin, Frau Kollegin, ist es gestattet, die beiden Fragen zusammen zu beantworten?

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307006300
Ja, das ist gestattet. Dann rufe ich auch die Frage 18 der Kollegin Ursula Schönberger auf:
Verfügt die Bundesregierung außer einer Erklärung der slowakischen Regierung über Garantien, daß das Atomkraftwerk Mochovce mit westlichen Sicherheitsstandards fertiggestellt wird?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307006400
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Schönberger, die Bundesregierung sieht derzeit keinen Anlaß, auf die Änderung der Finanzierung der Fertigstellung des Kernkraftwerks Mochovce zu reagieren, solange die Fertigstellung ohne Abstriche an dem im internationalen Konsens vereinbarten Sicherheitsstandard erfolgt. Die slowakische Regierung hält nach unserer Kenntnis an dem international definierten Sicherheitsniveau fest.
Die Fertigstellung des Kernkraftwerks Mochovce einschließlich der vorgesehenen sicherheitstechnischen Verbesserungen ist eine Aufgabe, die ausschließlich in der Verantwortung der Regierung der Slowakischen Republik liegt. Für die Bundesregierung ist wesentlich, daß die beabsichtigten Verbesserungen, für die es naturgemäß keine Garantien gibt, auch tatsächlich durchgeführt werden.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307006500
Die erste Zusatzfrage, bitte.

Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307006600
Gedenkt die Bundesregierung ihre eventuellen Zusagen für einen Hermes-Kredit an die Bedingung zu knüpfen, daß diese Sicherheitsstandards tatsächlich eingehalten werden?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307006700
Frau Kollegin, ich kann hier keine Auskünfte über Bedingungen im Zusammenhang mit

Parl. Staatssekretär Walter Hirche
Hermes-Krediten geben, weil diese Entscheidung letztlich in einem anderen Ressort getroffen wird.
Wir werden - soviel will ich sagen - alle Möglichkeiten der inhaltlichen Einflußnahme zur Gewährleistung der Sicherheit nutzen, auch aus dem Interesse heraus, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Betreiben von Kernenergie Leben und Sicherheit gewahrt sehen will. Wir glauben, dafür ist es wichtig, daß in Ost- und Mitteleuropa Reaktoren arbeiten, die keinen Anlaß für zusätzliche Diskussionen geben.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307006800
Zusatzfrage, bitte.

Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307006900
Sie sagten gerade, es gehe darum, keine Investitionen zu fördern, die neue Diskussionen auslösen. Nun müßte Ihnen eigentlich bekannt sein, daß ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, nämlich Österreich, auf allen Ebenen gegen diesen Bau von Mochovce protestiert. Die Frage an Sie ist: Wie verhält sich die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Österreich, das ein evidentes und existentielles Interesse daran hat, daß Mochovce nicht in Betrieb geht?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307007000
Wir versuchen, Frau Kollegin, Frau Präsidentin, in der Sache etwas zu erreichen. Es ist nicht ohne weiteres logisch, daß derjenige, von dem bekannt ist, daß er grundsätzlich gegen etwas ist, bei einem anderen, der dafür ist, mehr erreicht als jemand, der versucht, mit ihm positiv und konstruktiv sicherere Bedingungen zu erarbeiten.
Insofern glaube ich: Es ist in der Tat ein Eigentor, daß der Kreditantrag - auch wegen Diskussionen, die in verschiedenen Ländern geführt worden sind - bei der EBRD von der slowakischen Regierung zurückgezogen worden ist - was Sie hier im Bundestag beantragt hatten -; denn das nimmt uns ein Stück Einflußmöglichkeit auf die Definition von Sicherheitsstandards. Nur wenn man in einem formalen Prozeß ist, kann man etwas erreichen. Wenn man sich ausklinkt, kann man das nicht. Aus diesem Grunde haben wir, trotz unterschiedlicher Einschätzung der Grundsatzfrage, überhaupt kein Problem - auch in Abstimmung mit der österreichischen Regierung; dazu haben Gespräche stattgefunden -, mit der slowakischen Regierung einen konstruktiven Dialog zu führen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307007100
Bitte.

Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307007200
Herr Staatssekretär, dann muß ich in dem Zusammenhang eine Frage bezüglich Ihrer Ausführungen hinsichtlich einer grundsätzlichen Kritik, einer grundsätzlichen Ablehnung des Baus dieses Atomkraftwerks und Ihrer konstruktiven Zusammenarbeit stellen: Ist Ihnen bekannt, daß es sich bei Mochovce um einen Reaktortyp russischer Bauart wie den in Greifswald handelt? Auf der einen Seite ist die Investition für die Nachrüstung dieses Reaktortyps durch Siemens oder andere Unternehmen mit westlichen Leittechniken in der Bundesrepublik nicht getätigt worden, auf der anderen Seite wird aber gesagt: In der Slowakei gelten auf rechtlicher Ebene nicht die gleichen Sicherheitsanforderungen wie in der Bundesrepublik Deutschland. Also versuchen wir, da ein bißchen mehr Sicherheit einzubringen - anstatt nach einer grundsätzlichen Alternative zu suchen.

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307007300
Frau Kollegin, wir sind uns sicher darüber einig: Das Hauptanliegen müßte sein, daß Bohunice abgeschaltet wird.

(Ursula Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Mochovce nicht in Betrieb genommen wird!)

Da die slowakische Regierung in diesem Zusammenhang eine solche Möglichkeit nur dann sieht, wenn ausreichend Strom aus einem anderen Kernkraftwerk zur Verfügung steht, sollte das im Dialog mit der souveränen Entscheidung dieser Regierung geschehen; sie sollte auf diesem Weg unterstützt werden.
Im übrigen sind die Sicherheitsstandards für Mochovce international definiert. Ihr Soupçon, den Sie mit Ihrer Frage in diese Diskussion hineinbringen wollen, ist im Zusammenhang mit Mochovce nicht angebracht. Die Bundesregierung teilt diese Interpretation, die Sie hier vorgenommen haben, nicht.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307007400
Sie hätten noch eine Fragemöglichkeit. - Bitte.

Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307007500
Herr Staatssekretär, Sie sagen, daß sich die Regierung der Slowakei nur dann in der Lage sieht, Bohunice abzuschalten, wenn sie Strom aus einem anderen Kernkraftwerk bekommt. Könnte es - auch nach Meinung der Bundesregierung - nicht sein, daß es vielleicht darum geht, Strom aus einem anderen Kraftwerk zu bekommen und nicht unbedingt Strom aus einem anderen Kernkraftwerk, um Bohunice abschalten zu können?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307007600
Frau Kollegin, ich möchte noch einmal in aller Zurückhaltung daran erinnern, daß es sich hierbei um Entscheidungen der souveränen Slowakischen Republik handelt und nicht im Deutschen Bundestag oder von der deutschen Bundesregierung entschieden werden kann oder auch nur entschieden werden sollte, was für andere richtig oder falsch ist. Diese Art von Diskussionsbeitrag wird in der Slowakei nicht zu der Offenheit führen, über diese und andere Fragen zu reden, sondern zu einer Verärgerung über oberlehrerhaftes Verhalten.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307007700
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307007800
Herr Staatssekretär, Sie sprechen von international definierten Sicherheitsstandards. Wer hat diese Sicherheitsstandards definiert? Wo und wie wurden sie definiert?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307007900
Herr Kollege, im Zusammenhang mit dem EBRD-Kreditantrag gibt es bestimmte Punkte, die erfüllt, die vorgelegt werden müssen. Im Vorfeld dieses Antrags sind diese einzelnen Punkte aufgestellt und geprüft worden. Ich habe die entsprechenden Unterlagen jetzt nicht hier. Ich bin aber gern bereit, Ihnen das nachzuliefern. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich mich mit dem Hinweis auf ein formales und transparentes - also nachprüfbares - Verfahren begnügen muß.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307008000
Herr Kubatschka, bitte.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307008100
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Bereitschaft, mir diese Bedingungen zu sagen. Entsprechen diese international definierten Sicherheitsstandards den Sicherheitsstandards, die wir in Deutschland im Gesetz definiert haben?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1307008200
Herr Kollege, Sie wissen, daß es in Deutschland einige Spezifika gibt, die hinsichtlich technischer Anforderungen anders gestaltet sind; aber in der Substanz ist es so, daß auch nach Einschätzung unserer Experten das, was dort als Auflage definiert worden ist, bis heute in vollem Umfang unter Sicherheitsgesichtspunkten verantwortbar ist.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307008300
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Frage 19. Für diese Frage ist schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Für die Fragen 20, 21 und 22 wurde schriftliche Beantwortung beantragt. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Für die Frage 23 ist schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 24 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer:
Welche Angaben kann die Bundesregierung machen über die Zahl nicht visapflichtiger Drittstaatsangehöriger, denen seit Inkrafttreten des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) die Einreise nach Deutschland oder in andere Mitgliedstaaten - insbesondere mangels ausreichender Geldmittel - jeweils verweigert wurde, und in welcher Weise wollen die Bundesregierung sowie die anderen Schengener Mitgliedstaaten die betroffenen Drittstaatsangehörigkeiten künftig vor Reiseantritt zweckmäßiger über die Auslegung der Einreisebestimmungen - wie z. B. das Erfordernis ausreichender Finanzausstattung - informieren?
Ich begrüße den Parlamentarischen Staatssekretär Eduard Lintner und bitte ihn, die Frage zu beantworten.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1307008400
Vom 1. April bis zum 31. Oktober 1995 sind 36 063 Zurückweisungen gegenüber Drittausländern, die nicht der Sichtvermerkspflicht unterliegen, ausgesprochen worden. Bei der statistischen Erfassung werden „fehlende finanzielle Mittel" als Grund der Zurückweisung nicht gesondert erfaßt. Die Bndesregierung verfügt deshalb nicht über Angaben, in wie vielen Fällen wegen fehlender Mittel die Einreise nicht gestattet wurde. Der Bundesregierung ist ebenfalls nicht die Zahl der Zurückweisungen durch die anderen Vertragsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens bekannt.
Daß Ausländer für die Einreise in einen anderen Staat ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts mit sich führen müssen, ist eine allgemein bekannte, in Europa von allen Staaten geforderte Einreisevoraussetzung, die im übrigen in Art. 5 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens übernommen worden ist. Die Höhe der erforderlichen Mittel hängt dabei von den Umständen des einzelnen Falles ab, insbesondere von der Reisedauer und vom Reisezweck.
Im übrigen liegen bei den deutschen Auslandsvertretungen Informationsblätter über die Einreisevoraussetzungen aus, in denen auch darauf hingewiesen wird, daß der Reisende ausreichende Mittel mit sich führen muß.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307008500
Zusatzfrage?

Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307008600
Nein.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307008700
Wir kommen zur Frage 25 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer:
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß der indonesische Forschungsminister B. J. Habibie auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, so daß er gemäß § 7 Abs. 2 des Strafgesetzbuches grundsätzlich der deutschen Strafgewalt unterläge, und teilt sie die Auffassung, daß einer Auskunft über die Staatsangehörigkeit des Ministers keine überwiegenden Datenschutzgründe entgegenstehen, da es sich bei ihm um eine Person des öffentlichen Lebens handelt?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1307008800
Aus den der Bundesregierung zugänglichen staatsangehörigkeitsrecht-



Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
lichen Erkenntnisquellen geht nicht hervor, ob Herr B. J. Habibie auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Eine diesbezüglich abschließende Auskunft kann seitens der Bundesregierung nicht gegeben werden, weil in der Bundesrepublik Deutschland kein zentrales Staatsangehörigkeitsregister besteht.
Auch aus Meldeunterlagen lassen sich keine mittelbaren Erkenntnisse gewinnen, solange die zuständige Meldebehörde nicht bekannt ist, da es auch für den Bereich des Meldewesens kein zentrales Register gibt.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307008900
Dazu gibt es keine Zusatzfrage.
Die Fragen 26 und 27 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 28 des Abgeordneten Johannes Singer:
Wie erklärt sich die Bundesregierung, daß im Jahre 1992 ein sogenannter kontrollierter Transport vom Bundeskriminalamt in der von Sicherheitskreisen als ungewöhnlich hoch bezeichneten Menge von 30 Tonnen Drogen in die Niederlande erfolgte (siehe dpa-Agenturmeldung vom 8. November 1995)?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1307009000
Herr Kollege Singer, das Bundeskriminalamt führt, wie auch andere nationale und ausländische Strafverfolgungsbehörden, im Rahmen eigener Ermittlungsverfahren „kontrollierte Transporte" als wirksame und gängige kriminaltaktische Maßnahme im Kampf gegen den international organisierten Rauschgifthandel durch. Kontrollierte Lieferungen umfassen in der Regel Heroin-, Kokainoder Cannabistransporte, wobei sich die Menge vom Kilo- bis in den Tonnenbereich bewegen kann.
Die über dpa verbreitete Meldung wird insoweit bestätigt, als das BKA im Jahre 1992 in Zusammenarbeit mit den niederländischen Behörden einen „kontrollierten Transport" in einer Größenordnung von 31 Tonnen Haschisch über die Bundesrepublik Deutschland in die Niederlande durchgeführt hat. Der „kontrollierte Transport" fand in Abstimmung mit den beteiligten nationalen und ausländischen Behörden und unter vorheriger Genehmigung aller betroffener Justizbehörden statt. In Deutschland war das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Traunstein anhängig.
In den Niederlanden wurden im Zuge des „kontrollierten Transports" zunächst 13 und später sechs weitere Personen festgenommen und die Gesamtmenge Rauschgift sichergestellt.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307009100
Nachfragen? - Bitte.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1307009200
Herr Staatssekretär, die Tatsache kontrollierter Lieferungen war mir durchaus bekannt, und an solchen Operationen habe ich auch selber schon einmal teilgenommen. Neu war mir, daß, jedenfalls nach Presseberichten, als Absender das Bundeskriminalamt auftaucht. Ich hätte gerne Ihre Stellungnahme dazu, warum sich staatliche Stellen als Absender an solchen Transporten beteiligen. Bisher dienten kontrollierte Lieferungen eigentlich nur dazu, das jeweilige Ende und den Anfang einer Rauschgiftverbindung festzustellen, um Hintermänner auf beiden Seiten und Lieferanten und Empfänger zu erwischen. Das macht auch Sinn und ist auch richtig. Aber daß sich staatliche Dienststellen als Initiatoren betätigen, war mir neu. Ich halte das für höchst zweifelhaft.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1307009300
Die Darstellung, die Sie jetzt geben, kann ich nicht bestätigen. Ohne in Details gehen zu wollen, handelt es sich beim Ablauf dieses Transports um kein ungewöhnliches Ereignis. Das ist so abgelaufen, wie es üblicherweise der Fall ist. Das heißt, die Möglichkeit dazu ist vom BKA nicht geschaffen, sondern aufgegriffen worden.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1307009400
Habe ich es richtig verstanden, daß Absender nicht eine staatliche Dienststelle war, sondern eine kriminelle Organisation oder Einzelperson?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1307009500
Absender im üblichen Sinne war natürlich nicht das BKA, denn das wäre naturgemäß aufgefallen und hätte die Operation erst gar nicht möglich gemacht. Vielmehr ist über Mittelspersonen an jemanden das Ansinnen gestellt worden, eine entsprechende Menge Rauschgift zu transportieren. Dieses Ansinnen ist dann für diese Operation als Aufhänger genutzt worden.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307009600
Wir kommen zu Frage 29:
Finden nach wie vor sogenannte kontrollierte Transporte vom Bundeskriminalamt in vergleichbar großer Menge statt, und prüft die Bundesregierung derzeit Alternativen?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1307009700
Hier lautet die Antwort: Kontrollierte Transporte sind international anerkannte kriminaltaktische Maßnahmen, bei deren Durchführung die „Single Convention" - das ist das Einheits-Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung vom 8. August 1975 -, die „Convention on psychotropic substances" - Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1971 über psychotrope Substanzen in der Fassung vom 21. Februar 1971 - und auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Substanzen vom 19. Dezember 1988, das in Art. 11 explizit Aussagen zur „kontrollierten Lieferung" trifft, Anwendung finden.
Insofern sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, über Alternativen dazu in dem Sinne nachzudenken, daß derartige Maßnahmen in Zukunft unterbleiben. Selbstverständlich gibt es eine Reihe von kriminaltaktischen Maßnahmen, die dem gleichen Ziel dienen können. Welche davon in einer jeweils konkreten Situation Anwendung findet, muß



Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
von den jeweiligen Umständen abhängig gemacht werden. Ein „kontrollierter Transport" von 31 Tonnen Rauschgift hat im Rahmen dieser möglichen Maßnahmen sicherlich eher Ausnahmecharakter.

(Lachen bei der SPD Ernst Kastning [SPD]: Das heißt, der nächste wird 60 Tonnen sein!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307009800
Zusatzfrage des Kollegen Singer.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1307009900
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß es zur Praxis des Bundeskriminalamtes gehört, Lieferungen in solcher Größenordnung anzuregen, zu unterstützen oder herbeizuführen?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1307010000
Herr Kollege Singer, da müßten wir uns jetzt ausführlich über Ihre Definition von „anregen" und dergleichen unterhalten. Ich kann ausschließen, daß hier ein ungewöhnlicher Vorgang zugrunde lag. Der Ablauf des Vorgangs war einer, wie man ihn von einer solchen Operation normalerweise kennt.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307010100
Noch eine Nachfrage? - Bitte.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1307010200
Herr Staatssekretär, halten Sie es für eine wirksame Kriminalpolitik, Vorgänge wie den Export von Rauschgift in befreundete Länder, die eigentlich eine Straftat darstellen, zu unterstützen, und teilen Sie nicht meine Auffassung, daß durch die Schaffung von Kriminalität dieses Umfangs mehr Schaden angerichtet wird, als wir Nutzen davon haben?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1307010300
Herr Kollege Singer, den zweiten Teil Ihrer Frage kann ich glatt mit Nein beantworten. Dieses Instrument wird oft genutzt - übrigens weltweit - und erweist sich insbesondere im Rauschgifthandel als erfolgreich. Im übrigen ist die Sache rechtlich einwandfrei geregelt, so daß von Strafbarkeit, von einem Sich-Strafbarmachen in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein kann.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307010400
Zusatzfrage der Abgeordneten Schönberger.

Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307010500
Wenn ich mir das so anhöre, dann drängt sich mir der Vergleich mit dem Plutonimum auf. Ich frage mich, ob sich das BKA nicht allmählich überlegen müßte, sozusagen solche Delikte nicht herbeizuführen und nicht neue Märkte zu schaffen. Das kann doch nicht im Sinne des BKA sein.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1307010600
Frau Kollegin, offensichtlich sind Ihnen die Vorgänge im Bereich des internationalen Rauschgifthandels relativ unbekannt. Sonst kämen Sie erst gar nicht auf den Gedanken, daß sich das Bundeskriminalamt Märkte durch eine entsprechende Bereitschaft schaffen müsse.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307010700
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Danke schön, Herr Staatssekretär Lintner.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen werden vom Parlamentarischen Staatssekretär Hansgeorg Hauser beantwortet.
Ich rufe die Frage 30 der Abgeordneten Ina Albowitz auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob für die staatlichen Organe der ehemaligen DDR Haftpflichtversicherungsschutz bestand, und könnten deshalb Impfopfer aus der ehemaligen DDR die Frage des eventuellen Bestehens von zivil- oder staatshaftungsrechtlichen Schadenersatzansprüchen in Prozessen gegen die Staatliche Versicherung der DDR in Abwicklung verbindlich klären?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1307010800
Frau Kollegin Albowitz, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Zur Frage des möglichen Bestehens zivil- oder staatshaftungsrechtlicher Schadenersatzansprüche wegen Impfschäden darf ich Sie auf die Antwort der Bundesregierung zu der Großen Anfrage des Abgeordneten Horst Schmidbauer und anderer sowie der Fraktion der SPD zum Thema „Hepatitis-C-Infektionen durch ,Anti-D'-Impfprophylaxe in der früheren DDR" hinweisen, die als Bundestagsdrucksache 13/2732 vom 24. Oktober 1995 vorliegt. Hier hat die Bundesregierung in ihrer Antwort zu der Frage 34 grundsätzlich und ausführlich ihre Auffassung zur Frage des möglichen Bestehens zivil- oder staatshaftungsrechtlicher Schadenersatzansprüche wegen Impfschäden gegen staatliche Organe der ehemaligen DDR dargelegt. Ebenso hat die Bundesregierung in ihrer Antwort zu der Frage 35 zu möglichen Schadenregulierungsverpflichtungen der Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung Stellung genommen.
Soweit Sie im Interesse der Impfopfer nachfragen, ob diese das Bestehen zivil- oder staatshaftungsrechtlicher Schadenersatzansprüche in Prozessen gegen die Staatliche Versicherung der DDR in Abwicklung verbindlich klären lassen könnten, möchte ich darauf hinweisen, daß jedermann vor den zuständigen Gerichten um Rechtsschutz nachsuchen und das Bestehen bzw. das Nichtbestehen von Ansprüchen gerichtlich klären lassen kann. Die Entscheidung darüber, ob ein gerichtliches Verfahren sinnvollerweise anzustrengen ist oder nicht, müssen die Betroffenen jedoch selber - gegebenenfalls unter Hinzuziehung zulässiger rechtskundiger Beratung - treffen. Dabei wird es sicherlich zweckmäßig sein, die Antwort der Bundesregierung auf die Fragen 34 und 35 der bereits genannten Großen Anfrage zu berücksichtigen.



Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
Im übrigen bitte ich Sie, zu bedenken, daß die Rechtsberatung Monopol der rechtsberatenden Berufe und nicht der Bundesregierung ist.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307010900
Zusatzfrage der Abgeordneten Albowitz.

Ina Albowitz (FDP):
Rede ID: ID1307011000
Frau Präsidentin, Sie gestatten, daß ich Herrn Staatssekretär zu seiner Premiere in diesem Hause gratuliere.

(Beifall im ganzen Hause)

Insoweit möchte ich ihn bei der Schwere der Problematik nicht überfordern.

(Horst Kubatschka [SPD]: Ist er so mies?) - Um Gottes willen; da kenne ich andere.

Herr Staatssekretär, mir sind die Große Anfrage von Herrn Kollegen Schmidbauer und der SPD-Fraktion sowie die Antwort der Bundesregierung selbstverständlich bekannt. Deswegen möchte ich zu genau diesem Punkt nachfragen. Denn die Bundesregierung hat in der Beantwortung der Großen Anfrage die Frage, ob die Impfopfer wegen des Skandals in der ehemaligen DDR in die versicherungsrechtlichen Lösungen bei der Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung eingebunden werden können, nicht abschließend beantwortet. Ich bitte Sie, mir das schriftlich zu beantworten. Das sage ich hier sehr klar, weil ich denke, daß der Vorgang viel tiefer geht. Ich bitte also um Überprüfung in Ihrem Haus.

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1307011100
Das sichere ich Ihnen gerne zu.

Ina Albowitz (FDP):
Rede ID: ID1307011200
Danke.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307011300
Keine weiteren Zusatzfragen zu der Frage 30.
Die Fragen 31 und 32 sowie die Frage 33 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zur Frage 34 des Abgeordneten Gernot Erler:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie umfangreich das Geldguthaben ist, das die nigerianische Oberschicht ins europäische Ausland transferiert hat, und welcher Anteil davon befindet sich derzeit auf den Konten deutscher Banken?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1307011400
Diese Frage kann ich wie folgt beantworten, Herr Kollege Erler: Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, BIZ, hat zu Nigeria im August 1995 folgende Zahlen der Kreditinstitute der berichtenden Länder, Stand: März 1995, veröffentlicht: 3,57 Milliarden US-Dollar Forderungen und 4,593 Milliarden US-Dollar Verbindlichkeiten insgesamt; davon gegenüber Nichtbanken 3,33 Milliarden US-Dollar Forderungen und 3,347 Milliarden US-Dollar Verbindlichkeiten.
Der BIZ berichten außer europäischen Staaten unter anderem Kanada, Japan, die USA und verschiedene Off-shore-Finanzzentren, zum Beispiel die Niederländischen Antillen oder die Cayman Islands. Diese Zahlen lassen keine Schlüsse zu, in welchem Umfang die nigerianische Oberschicht über Bankguthaben in europäischen Ländern verfügt.
Die Zahlungsbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank vom Oktober 1995 weist mit Stand Juni 1995 Verbindlichkeiten inländischer Kreditinstitute bei nigerianischen Gläubigern in Höhe von 191 Millionen DM aus, davon 186 Millionen DM kurzfristig und 5 Millionen DM langfristig. Von den 186 Millionen DM kurzfristigen Verbindlichkeiten bestehen 100 Millionen DM gegenüber nigerianischen Kreditinstituten. Zugleich bestehen Forderungen der deutschen Kreditinstitute an nigerianische Schuldner in Höhe von 951 Millionen DM, davon 75 Millionen DM kurzfristig und 876 Millionen DM langfristig.
Die Statistik differenziert nicht nach dem von Ihnen genannten Kriterium der Oberschicht. Eines zeigt die Statistik aber deutlich: Wenn die nigerianische Oberschicht in beachtlichem Umfang Geld auf Dauer nach Europa geschafft haben sollte, dann hat sie es jedenfalls nicht als Guthaben bei deutschen Kreditinstituten angelegt.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307011500
Zusatzfrage des Abgeordneten Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1307011600
Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen für Ihre Ausführungen dankbar und stimme Ihnen durchaus zu, daß andere Mitglieder des nigerianischen Volkes als die der Oberschicht sicherlich keine Anlagen in westeuropäischen Staaten machen können.
Aber ich möchte Sie fragen, ob Sie es für denkbar halten, daß man mit fiskalischen Maßnahmen, zum Beispiel mit dem üblichen Mittel der Einfrierung von Guthaben, Einfluß auf den Demokratisierungsprozeß und die Beendigung der Menschenrechtsverletzungen in Nigeria ausüben kann.

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1307011700
Es ist richtig, daß eines der Mittel dafür das Einfrieren von Guthaben sein könnte. Soweit ich unterrichtet bin, ist am vergangenen Montag auf dem Außenministerrat der Europäischen Union darüber beraten worden. Dort hat man sich auf ein Waffenembargo, auf Visabeschränkungen und auf Sperrung der Entwicklungshilfe geeinigt. Vom Einfrieren von Konten ist mir nichts bekannt.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307011800
Möchten Sie noch einmal nachfragen? - Bitte.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1307011900
Herr Staatssekretär, würden Sie es angesichts der schwerwiegenden Vorgänge in Nigeria und der Tatsache, daß eine kaum akzeptable Diskrepanz zwischen dem Reichtum der Oberschicht



Gernot Erler
auf der Basis der Devisenerlöse aus dem Ölgeschäft auf der einen Seite und der Armut der sonstigen Bevölkerung auf der anderen Seite besteht, nicht für sinnvoll halten, daß die Bundesregierung einen Vorstoß in Richtung Einfrieren der Guthaben macht?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1307012000
Ich nehme Ihre Anregung gerne auf und werde sie entsprechend weiterleiten. Es muß aber abgestimmt werden, ob das das richtige Mittel für die Lösung der Probleme ist, die Sie angesprochen haben.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307012100
Zusatzfrage des Abgeordneten Kubatschka.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307012200
Frau Präsidentin, ich möchte erst einmal wissen, ob ich gegen die Regeln dieses Hauses verstoße: Bei uns Abgeordneten gilt, wenn ein Abgeordneter seine Junggesellenrede hält, daß man ihn nicht mit Zwischenfragen bombardiert. Gilt das auch für Staatssekretäre?

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307012300
Sie können hier gar nicht zwischenfragen. Sie können hier nur fragen, und das dürfen Sie.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307012400
Das darf ich; das ist klar. - Dann möchte ich fragen, Herr Staatssekretär: Bestünde nicht eine Möglichkeit, über das Einfrieren dieser Konten Druck auf die Oberschicht in Nigeria auszuüben, damit die Menschenrechte dort beachtet werden?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1307012500
Herr Abgeordneter, ich denke, das ist im Zusammenhang mit der vorhergehenden Frage zu sehen. Wenn das Mittel des Einfrierens von Konten als probates Mittel angesehen wird, dann kann dadurch möglicherweise entsprechend Druck ausgeübt werden. Aber wir sollten, wie gesagt, abwarten, bis diese Anregung geprüft worden ist.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307012600
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. R. Werner Schuster (SPD):
Rede ID: ID1307012700
Herr Staatssekretär, gibt es in Ihrem Hause positive Erfahrungen mit der Sperrung von Auslandskonten aus anderen Ländern, oder ist das ein völlig neuer Weg?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1307012800
Herr Kollege Schuster, ich bitte Sie um Verständnis: Ich bin seit einer Woche in diesem Haus. Ich muß mich erst darüber informieren, ob es in anderen Fällen eine Anwendung solcher Mittel gegeben hat.

(Ernst Kastning [SPD]: Das haben die Damen und Herren in Ihrem Hause schlecht vorbereitet!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307012900
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Dann bedanken wir uns bei Ihnen, Herr Staatssekretär, für Ihre Jungfernantworten.
Wir kommen zum Bundesministerium für Wirtschaft. Zur Beantwortung ist der Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb erschienen. Guten Tag!
Wir kommen zur Frage 35 des Abgeordneten Kubatschka:
Wird die Bundesregierung gegenüber der Russischen Föderation klarstellen, daß es inakzeptabel ist, wenn diese die Slowakische Republik bei der Fertigstellung des Atomkraftwerks Mochovce mit Krediten im Ausmaß von 80 Mio. US-Dollar unterstützt und andererseits weiterhin westliche Wirtschaftshilfe, auch von Deutschland, erhält, und wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Verpflichtung der Slowakei, gleichzeitig Nuklearbrennstoff aus Rußland zu beziehen, was die Slowakei in ein direktes Abhängigkeitsverhältnis bringen würde?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307013000
Guten Tag, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Kubatschka, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Deutsche Bundestag hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach und intensiv - wie ich beobachten konnte, auch heute in dieser Fragestunde - mit den verschiedenen Aspekten der Fertigstellung des slowakischen Kernkraftwerks Mochovce beschäftigt. Die Bundesregierung sieht es nicht als ihre Aufgabe an, sich in Finanzierungsfragen zwischen der Slowakischen Republik und der Russischen Föderation einzumischen. Deshalb will die Bundesregierung auch keine Klarstellung in dieser Frage gegenüber der Russischen Föderation vornehmen.
Zu Ihrer Frage, bezogen auf die Kernbrennstoffversorgung, möchte ich darauf hinweisen, daß Reaktoren russischer Bauart in der Regel mit Brennelementen aus der Russischen Föderation versorgt werden. Allerdings hat nach hiesigem Kenntnisstand die slowakische Regierung die Absicht bekundet, die Versorgung mit Brennelementen für slowakische Kernkraftwerke zu diversifizieren. Die Überlegungen gehen dahin, daß slowakische Firmen zusammen mit westlichen Brennelementeherstellern eine Kooperation aufbauen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307013100
Eine Zusatzfrage, bitte.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307013200
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie der Russischen Föderation nicht klarmachen, daß sie gegen deutsche Interessen verstößt, wenn sie dabei behilflich ist, das Kernkraftwerk Mochovce fertigzustellen? Ich darf daran erinnern, was hier über Auswirkungen eines GAUS auch auf uns ausgeführt worden ist.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307013300
Herr Kollege Kubatschka, die Bundesregierung hat stets und immer betont, daß wir die Fertigstellung des Kernkraftwerks Mochovce unter Berücksichtigung westlicher Sicherheitsstandards wollen. Wir haben keinen Grund, davon auszu-



Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
gehen, daß bei einer geänderten Finanzierung von diesen Sicherheitsstandards abgerückt werden soll. Insofern, glaube ich, entbehrt Ihre Frage der Grundlage.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307013400
Weitere Zusatzfrage.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307013500
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht einen gewissen Erklärungsbedarf in Österreich, aber auch bei uns in Deutschland? Auf der einen Seite geben wir der Russischen Föderation Wirtschaftshilfe. Gleichzeitig gibt die Russische Föderation der Slowakischen Republik Wirtschaftshilfe, um Mochovce fertigzustellen. Unsere Umwelt- und Gesundheitsinteressen gehen dabei den Bach hinunter.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307013600
Herr Kollege Kubatschka, ich glaube, es ist richtig, daß es solche Finanzströme gibt, daß wir Entwicklungshilfe an verschiedene Staaten leisten. Die Bundesregierung hält es jedoch für verfehlt, in bilaterale Fragen, in Fragen, die zwischen der Slowakei und der Russischen Föderation auszuhandeln sind, unter diesen Gesichtspunkten einzugreifen. Die Hintergründe für die Gewährung von Entwicklungshilfe sind völlig anders.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307013700
Wir kommen zur Frage 36 des Abgeordneten Wolfgang Behrendt:
Ist der Bundesregierung bewußt, daß sie im Falle der Bewilligung eines Hermes-Lieferkredites für die Firma Siemens zur Fertigstellung des Atomkraftwerkes Mochovce gegen die Interessen Österreichs handelt, und wie würde sie eine solche Vergabe gegenüber Österreich rechtfertigen?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307013800
Herr Kollege Behrendt, eine Entscheidung über die Gewährung einer Hermes-Ausfuhrgewährleistung zur Unterstützung deutscher Lieferungen und Leistungen im Zusammenhang mit der Fertigstellung des Atomkraftwerkes Mochovce steht nicht an. Deswegen erübrigt sich eine Antwort auf die Frage, wie eine Entscheidung über die Vergabe einer Hermes-Deckung im Verhältnis zu Österreich zu beurteilen ist.

(Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307013900
Erste Zusatzfrage, bitte.

Wolfgang Behrendt (SPD):
Rede ID: ID1307014000
Herr Staatssekretär, ist Ihnen der Allparteienantrag des österreichischen Parlaments bekannt, in dem sämtliche Parteien beschlossen haben, der Slowakei eine finanzielle Ausstiegshilfe in der Größenordnung von immerhin 500 Millionen Schilling zu geben, die vor allem für alternative Energien und für Kraft-Wärme-Koppelung genutzt werden soll, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Initiative?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307014100
Herr Kollege Behrendt, dieser Antrag ist mir nicht bekannt. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie ihn mir bei Gelegenheit geben könnten.

Wolfgang Behrendt (SPD):
Rede ID: ID1307014200
Dann möchte ich Sie fragen - das werden Sie dann aber wahrscheinlich auch nicht beantworten können -, ob die österreichische Bundesregierung mit dem Vorschlag an unsere Bundesregierung herangetreten ist, sich an dieser Ausstiegshilfe zu beteiligen, und wie die Bundesregierung gegebenenfalls darauf reagieren würde.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307014300
An dieser Ausstiegshilfe?

Wolfgang Behrendt (SPD):
Rede ID: ID1307014400
Das war ein Programm zum Ausstieg aus der Kernkraft, indem man Unterstützung im Hinblick auf alternative Energien und Kraft-Wärme-Koppelung liefert.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307014500
Darüber ist mir nichts bekannt.

Wolfgang Behrendt (SPD):
Rede ID: ID1307014600
Ich wäre dankbar, wenn Sie dies nachträglich beantworteten.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307014700
Das kann ich gerne recherchieren. Auf diese Zusatzfrage aber konnte man sich, glaube ich, guten Gewissens nicht vorbereiten. Ich liefere Ihnen die Antwort aber gerne nach.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307014800
Kollege Kubatschka, bitte.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307014900
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt: Ein Hermes-Antrag liegt nicht vor. Heißt das im Klartext, daß die Bundesregierung auch einem zukünftigen Antrag auf Hermes-Kredite nicht zustimmen und damit vor allem Befürchtungen in Österreich ausräumen würde, daß wir dieses Geschäft über Hermes-Kredite auf den Weg bringen könnten?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307015000
Herr Kollege Kubatschka, ich habe gesagt: Die Entscheidung steht nicht an. Wie eine Entscheidung des interministeriellen Ausschusses bei einer zukünftigen Befassung aussehen würde, kann ich nicht sagen. Das hängt sicherlich auch von den Einzelheiten der Projektkonzeption ab. Insofern sind hypothetische Aussagen auf die Zukunft bezogen nicht möglich. Das muß man, wenn ein Antrag gestellt werden sollte, vor dem jeweiligen Hintergrund entscheiden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307015100
Frau Kollegin Schönberger:

Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307015200
Herr Staatssekretär, sollte ein Antrag auf Her-

Ursula Schönberger
mes-Bürgschaft vorliegen, was zu erwarten ist, weil Siemens, sollte es in diese Kooperation einsteigen, seinen Lieferkredit bereits mitbringen muß und dies wahrscheinlich über Hermes-Bürgschaften ablaufen wird, wäre es dann denkbar, daß die Rückzahlung eines solchen Hermes-Kredits über Stromlieferungen aus der Slowakischen Republik stattfindet?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307015300
Ein Hermes-Kredit ist in diesem Zusammenhang, so glaube ich, ein falscher Ausdruck. Es wird eine Hermes-Bürgschaft für eine Kreditverpflichtung gegeben.
Was die Tilgung des zugrunde liegenden Kredits anbetrifft: Ich glaube, es ist unüblich, daß man bei der Gewährung von Hermes-Bürgschaften eine solche Bedingung mit auf den Weg gibt. Insofern kann ich dazu nichts sagen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307015400
Herr Kollege Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1307015500
Herr Staatssekretär, Sie haben gegenüber dem Kollegen Behrendt Ihre Unkenntnis eingeräumt.

(Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb: Was den Antrag anbetrifft!)

Muß ich davon ausgehen, daß sich die Bundesregierung bisher für die Haltung und die Entscheidungen der Regierungen der Nachbarländer, die sich auch mit dem Atomkraftwerk Mochovce beschäftigen, nicht interessiert hat?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307015600
Herr Kollege Schily, davon können und sollten Sie nicht ausgehen. Die Bundesregierung befindet sich natürlich in ständigem Kontakt mit ihren Nachbarstaaten, so auch mit der Republik Österreich.
Ich habe auf die Frage des Kollegen Behrendt, ob ich diesen Antrag kenne, geantwortet: Ich kenne ihn nicht. Ich gehe davon aus, daß dieser Antrag der Bundesregierung in den fachlich zuständigen Ressorts vorliegt, ihr möglicherweise auch bekannt ist.

(Otto Schily [SPD]: Aber die Ressorts verständigen sich doch untereinander!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307015700
Weitere Zusatzfragen zu Frage 36 werden nicht gestellt.
Dann rufe ich die Frage 37, die der Kollege Gernot Erler gestellt hat, auf:
Wie ist die deutsch-nigerianische militärische Zusammenarbeit von 1960 bis heute verlaufen, und in welchem Umfang (Waffensysteme und Wert der gelieferten Güter) sind aus der Bundesrepublik Deutschland Waffen bzw. Dual-use-Güter an Nigeria verkauft worden?
Ich bitte um Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307015800
Herr Kollege Erler, die Zusammenarbeit mit Nigeria ist in den letzten Jahren spürbar zurückgeführt worden. Ausschlaggebend hierfür war im wesentlichen die politische Entwicklung in Nigeria.
Im Bereich der Rüstungsgüter hat sich die Bundesregierung in den letzten Jahren auf die Erteilung von Genehmigungen beschränkt, mit denen die Wartung und Instandsetzung von Flugzeugen und Lieferungen von Ersatzteilen ermöglicht wurden. Außerdem wurde entsprechenden Exporten für den Marinebereich nicht zugestimmt. Neugeschäfte mit militärischen Abnehmern wurden nicht genehmigt.
Die Zusammenarbeit mit Nigeria war in früheren Jahrzehnten von der allgemeinen wirtschaftlichen Bedeutung Nigerias, der damals stabileren inneren Lage und der wichtigen politischen Rolle des Landes auf dem afrikanischen Kontinent geprägt. In den Jahren von 1974 bis 1983 wurde die Ausfuhr von Schiffen, Patrouillenboote und eine Fregatte, genehmigt. Im Jahre 1978 wurde durch Entscheidung auf politischer Ebene dem Export von Alpha-Jet-Schulflugzeugen zugestimmt.
Landwaffensysteme, die auch in internen Auseinandersetzungen verwandt werden können, wurden nicht geliefert. Genauere, detaillierte Angaben können nicht mitgeteilt werden.
Dem Bundesausfuhramt stehen Genehmigungsunterlagen für Rüstungs- und Dual-use-Güter nur ab 1985 zur Verfügung. Das hängt mit der zehnjährigen Aufbewahrungspflicht zusammen. Der Gesamtwert der Genehmigungen für Rüstungsgüter betrug in dem Zeitraum ab 1. Januar 1985 rund 726 Millionen DM und für Dual-use-Waren rund 595 Millionen DM. Ich bitte aber, dabei zu berücksichtigen, daß die Genehmigungswerte in der Regel weitaus höher liegen als die Werte der dann tatsächlich erfolgten Ausfuhren.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307015900
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1307016000
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt und können Sie dem Hohen Haus mitteilen, in welchem Umfang - es sind ja erhebliche Summen, die Sie hier eben genannt haben - die nigerianische Regierung Deviseneinnahmen prozentual für Waffenkäufe benutzt hat?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307016100
Ich glaube, das kann man sicherlich überschlagen. Aber ich kann es Ihnen hier und heute nicht mitteilen. Ich muß Ihnen das dann schriftlich beantworten.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1307016200
Eine zweite Zusatzfrage: Herr Staatssekretär, Sie haben eben darüber berichtet, daß in den letzten Jahren die militärische Zusammenarbeit und auch die Lieferung von Waffensystemen aus der Bundesrepublik nach Nigeria zurückgegangen sind. Können Sie sagen, ob sich als Ersatz



Gernot Erler
dafür die nigerianische Regierung über private internationale Waffenhändler auch mit deutschen Waffen ausgerüstet hat?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307016300
Herr Kollege Erler, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann versuchen, auch dieses zu recherchieren, und es dann in die Antwort mit einschließen. Aber ich wage mal die Voraussage, daß es schwierig sein wird, Informationen zu diesem Komplex zu beschaffen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307016400
Bitte, Herr Kollege Kastning.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1307016500
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob zur Finanzierung der Lieferungen nach Nigeria öffentliche Mittel der Bundesrepublik Deutschland geflossen sind und, wenn ja, wieviel?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1307016600
Herr Kollege, ich würde hier das gleiche Verfahren vorschlagen. Es ist bei der Breite der hier gestellten Fragen einfach nicht möglich, im voraus alle Informationen parat zu haben. Seien Sie bitte damit einverstanden, daß auch dieses recherchiert und Ihnen schriftlich mitgeteilt wird.

(Ernst Kastning [SPD]: Ich bitte um schriftliche Mitteilung!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307016700
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Dann darf ich mich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Kolb, für die Beantwortung herzlich bedanken.
Bevor ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung aufrufe, will ich nur sagen, daß wir angesichts von nur noch sechs zu beantwortenden Fragen die Sitzung möglicherweise unterbrechen werden, um pünktlich um 15 Uhr, wie es die meisten Kollegen eingeplant haben, mit der Aktuellen Stunde beginnen zu können.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 38 auf, gestellt von unserem Kollegen Hans Büttner:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine wirksame Bekämpfung von illegaler Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer entscheidend von den Kontrollmöglichkeiten und Kontrollkapazitäten, insbesondere der mit der Erteilung von Arbeitserlaubnissen befaßten Dienststellen, abhängig ist?
Ich bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, um Beantwortung.

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307016800
Herr Kollege Büttner, Herr Präsident, sind Sie einverstanden, wenn ich die Fragen 38 und 39 gemeinsam beantworte?

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Dann habe ich vier Zusatzfragen!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307016900
Einverstanden. Dann rufe ich auch noch die Frage 39 des Kollegen Hans Büttner auf:
Hält es die Bundesregierung für ausreichend, daß in zahlreichen Arbeitsämtern lediglich ein bis zwei Planstellen vorhanden sind, die mit der Kontrolle von illegaler Beschäftigung bzw. der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer betraut sind?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307017000
Gut, vielen Dank.
Herr Kollege Büttner, selbstverständlich hängt die wirksame Bekämpfung illegaler Beschäftigung entscheidend von den Kontrollkapazitäten und Kontrollmöglichkeiten ab. Diese sind durch eine Reihe von Maßnahmen erheblich verbessert worden. Als Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung sind Sie hierüber laufend unterrichtet worden. Ich kann aber gerne, wenn Sie dies wünschen, die wichtigsten Maßnahmen hier noch einmal nennen. Wenn Sie dies wünschen, bitte ich, das gleich zu sagen; ich würde sonst erst die Frage 39 beantworten.

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Ja!)

— Vielen Dank.
Zur zweiten Frage bemerke ich folgendes: Die Bekämpfung illegaler Beschäftigung einschließlich illegaler Ausländerbeschäftigung, die Erteilung von Arbeitserlaubnissen und die Betreuung legaler ausländischer Arbeitnehmer sind in der Bundesanstalt für Arbeit, wie ich meine, aus guten Gründen getrennt. Denn ausländische Arbeitnehmer mit einer Arbeitserlaubnis verhalten sich nicht rechtswidrig. Die meisten Inhaber einer Arbeitserlaubnis haben heute einen Rechtsanspruch, weil sie seit langem mit ihren Familien in Deutschland wohnen. Die Bearbeitung von Anträgen auf Arbeitserlaubnisse und deren Erteilung führen deswegen auch nicht die Bearbeitungsstellen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung oder die für die Bekämpfung von Leistungsmißbrauch und illegaler Ausländerbeschäftigung zuständigen Bediensteten der Bundesanstalt für Arbeit durch.
Die Zahl der in den einzelnen Arbeitsämtern für die Erteilung von Arbeitserlaubnissen und die Betreuung legaler ausländischer Arbeitnehmer eingesetzten Bediensteten hängt von der Größe des Arbeitsamtsbezirks und der Zahl der im Arbeitsamtsbezirk legal beschäftigten Ausländer ab. Das von der Bundesanstalt für Arbeit für diesen Zweck eingesetzte Personal ist unseres Erachtens ausreichend.
Bei der Bekämpfung illegaler Ausländerbeschäftigung treten zu dem in den einzelnen Arbeitsämtern eingesetzten Personal die 541 Dienstkräfte der Bearbeitungsstellen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung in den Stützpunktarbeitsämtern und 1 000 Bedienstete des Zolls hinzu.


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307017100
Herr Kollege Büttner, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen. Die erste.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1307017200
Herr Staatssekretär, halten Sie es angesichts der Konstruktion, die Sie hier vorgetragen haben, für ausreichend, daß sich bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen für ausländische Arbeitnehmer und auch im Rahmen der Werkverträge die Kontrollen auf die Prüfung der vorgelegten Arbeitsverträge beschränken und nicht konkret geprüft wird, ob sie in der Praxis eingehalten werden? Solche Fälle zeigen sich in Ingolstadt wie auch an anderen Orten immer wieder. Halten Sie es da nicht für notwendig, daß man beide Fragen stärker verknüpft?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307017300
Herr Kollege Büttner, zunächst einmal möchte ich feststellen, daß die Arbeitsverwaltung in sich bei der Stellenverteilung autonom ist. Wenn Arbeitsamtsdirektoren oder Landesarbeitsamtspräsidenten der Auffassung sind, daß die Stellen nicht ausreichen, um das zu tun, was Sie verlangen, nämlich die Prüfung nachzuholen bzw. verstärkt zu prüfen, sollten sie das innerhalb der Arbeitsverwaltung klären. Mir ist nicht bekannt, daß es hier große Anträge gäbe. Dennoch haben wir, wie Sie wissen - ich könnte das im einzelnen, wie angeboten, noch einmal darstellen; auch kann ich Ihnen das noch einmal schriftlich geben -, die Kontrollmöglichkeiten erheblich verschärft, was nicht ausschließt, daß hin und wieder Pannen passieren oder das eine oder andere nicht geprüft wird, weil man nicht jeden Tag in jedem Arbeitsamtsbezirk Prüfungen durchführen kann. Das können Sie auch nicht, wenn Sie das Personal für diesen Bereich zum Beispiel verdoppelten. Unseres Erachtens läuft das im großen und ganzen richtig.
Was die Werkverträge angeht, wissen Sie, daß wir dafür fünf besondere Arbeitsämter haben, die diese, jeweils auf Ländergruppen konzentriert, bearbeiten. Auch dort gibt es unseres Erachtens keine besonderen Klagen. Wenn sie Ihnen vorliegen, bitte ich, sie mir zuzuleiten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307017400
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Büttner.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1307017500
Halten Sie es in diesem Zusammenhang für Handeln im Sinne dieses Gesetzes, wenn ein Landesarbeitsamt trotz intensiver Auslegung der Anwerbestoppausnahme-Verordnung nachträglich Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitnehmer erteilt, die nur für den Zeitraum der Beschäftigung in Deutschland für einen ausländischen Unternehmer als Subunternehmer tätig sind, obwohl im Bereich des zuständigen Arbeitsamtes genügend Arbeitslose zur Verfügung stünden?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307017600
Herr Kollege Büttner, ich glaube, daß wir diesen Fall vor ein, zwei Wochen schon besprochen haben. Auf entsprechende Fragen habe ich geantwortet, daß wir bei Nachprüfungen festgestellt haben, daß sich das Arbeitsamt korrekt verhalten hat, wenn auch zunächst einmal bestimmte Kontrollen unterblieben sind.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1307017700
Dann zur dritten Zusatzfrage - Sie haben sie zum Teil beantwortet -: Ist die Bundesregierung bereit, das Kontrollpersonal bei der Arbeitsverwaltung umgehend so aufzustokken und dafür auch die nötigen Finanzmittel bereitzustellen, daß wirksame Kontrollen nicht nur der Verträge, sondern auch der Tatsache, daß diese Verträge eingehalten werden und die Leistungen aus diesen Verträgen den Arbeitnehmern zugute kommen, im Zusammenhang mit der legalen und der illegalen Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern durchgeführt werden können?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307017800
Herr Kollege Büttner, wir haben zum 1. Juli 1995 ein Pilotprojekt in Berlin mit 75 neuen Kräften zusätzlich zu den bis dahin nur 25 Bediensteten begonnen. Wir werden in diesem Bereich einschließlich Teilen von Brandenburg ab dem 1. Januar 1996 weitere 75 Kräfte einsetzen. Die Ergebnisse dieses Versuchs werden darüber entscheiden, ob wir dies flächendeckend im Bundesgebiet, insbesondere in den Schwerpunkten, weiter installieren.
Im übrigen stehen wir ständig mit der Bundesanstalt für Arbeit darüber in Gesprächen, möglicherweise auch durch Personalumschichtungen die Kontrollmöglichkeiten zu verbessern. Aber Sie wissen auch, daß jede Aufstockung von Personal in diesem Bereich natürlich entsprechende Haushaltsmittel erfordert. Dennoch haben wir diese Versuche in Berlin gestartet, um einmal festzustellen, was dabei herauskommt und ob sich diese Kräfte nicht vielleicht ohnehin selber bezahlen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307017900
Die vierte Frage, Herr Kollege Büttner.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1307018000
Wie begründet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang ihr Vorhaben, im Rahmen des von ihr im Bundestag eingebrachten Entwurfes zu einem Entsendegesetz auf Kontrollen durch die für die Erteilung von Arbeitserlaubnissen zuständigen Arbeitsverwaltungen und die Hauptzollämter zu verzichten?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307018100
Herr Kollege Büttner, Sie wissen ganz genau, daß es sich hier um eine Koalitionsvereinbarung handelt, um einen Kompromiß in dieser Sache. Wir haben Kontrollmöglichkeiten durch die Länder vorgesehen, und wir prüfen auch noch, ob diese Kontrollmöglichkeit auf die Arbeitsverwaltung erweitert werden kann, wenn auch dieser Gesetzentwurf im Augenblick diese Bestimmung nicht vorsieht.


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307018200
Herr Kollege Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1307018300
Herr Staatssekretär, in welchem Umfang und in welcher Weise findet zwischen Ihrem Ministerium und dem Bundesinnenministerium eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung statt?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307018400
Mit dem Innenministerium findet direkt keine derartige Zusammenarbeit statt, wohl aber mit dem Finanzminister, der uns 1 000 Planstellen aus dem Zollbereich zur Verfügung gestellt hat, die zusätzlich zu den Kräften der Arbeitsverwaltung die Prüfungen vornehmen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307018500
Herr Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1307018600
Herr Staatssekretär, ich bin einigermaßen überrascht von Ihrer Antwort angesichts der Tatsache, daß die illegale Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer sicherlich auch mit Straftatbeständen im Zusammenhang steht. Hier muß ich sagen, die Tatsache, daß Sie einräumen es gäbe eine solche Zusammenarbeit überhaupt nicht, läßt bei mir Zweifel an der Koordination der Arbeit der Bundesregierung aufkommen. Deshalb frage ich: Ist zwischen Ihrem Ministerium und dem Bundesinnenministerium erörtert worden, ob man die Erfolgsquote bei der Bekämpfung solcher Tatbestände verbessern könnte, indem man eine überregionale Prüfinstanz schafft, etwa in der Form einer „task force", die überraschend und vor Ort ohne große Warnmöglichkeiten tätig wird?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307018700
Herr Kollege Schily, die Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenminister ist nicht notwendig, weil wir dies laufend mit den Länderbehörden machen, zum Beispiel durch Polizeieinsatz bei entsprechenden Baustellenkontrollen oder Kontrollen anderer Betriebe. Selbstverständlich wird das vorher nicht angekündigt, sondern es geht immer ohne Vorankündigung. Ich selber habe an solchen Überprüfungen teilgenommen. Es wird dann die Baustelle abgeriegelt und in entsprechender Weise sind auch Polizeikräfte beteiligt, wie auch andere Ordnungskräfte dort sind, die die Straftatbestände dort selbstverständlich an die entsprechenden Staatsanwaltschaften weiterleiten. Das sind aber alles Länderbehörden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307018800
Jetzt Herr Kollege Kubatschka.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307018900
Herr Staatssekretär, neben dem Modellversuch, von dem Sie gesprochen haben, der in Berlin und in Teilen von Brandenburg durchgeführt wird, frage ich Sie: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung noch, die illegale Beschäftigung besser zu kontrollieren und in den Griff zu bekommen?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307019000
Herr Kollege Kubatschka, das kann man in der Tat nur durch mehr Kontrollen machen. Daher machen wir diese Versuche vermehrt neben den in den letzten Jahren bereits gesetzlich und auch durch Personalaufstockung vorgenommenen Prüfungen, die laufend in den entsprechenden Betrieben vorgenommen werden. Es wird ständig in der Presse über die Erfolge - leider muß ich sagen: Erfolge - in diesem Bereich berichtet.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307019100
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Kubatschka.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1307019200
Herr Staatssekretär, erst kürzlich habe ich ein Gespräch mit meinem regionalen Arbeitsamtsdirektor geführt. Sehen Sie nicht, daß er in eine Zwangslage kommt? Auf der einen Seite gibt es immer mehr Arbeitslose, die vermittelt werden sollen, auf der anderen Seite soll er vermehrt Kontrollen mit seinem Personal durchführen. Er hat aber nicht mehr Personal. Es wird eher davon gesprochen, daß Personal abgebaut wird. Da ergibt die autonome Verwaltung, von der gesprochen wird, nicht viel Sinn, weil nicht die Möglichkeiten bestehen, daß das Personal diese Kontrollen wirksam durchführt.

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307019300
Kollege Kubatschka, mir ist nicht bekannt, daß aus den Arbeitsvermittlungsstellen Personal zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung abgezogen worden ist. Es steht nach wie vor für die Vermittlung zur Verfügung. Sollte das in einzelnen Fällen geschehen sein, liegt das natürlich in der Kompetenz der Arbeitsämter, die da die bessere Übersicht haben. Aber ansonsten kann man natürlich mit dem Personal verschiedener Abteilungen - das ist geschehen - in den einzelnen Arbeitsamtsbezirken oder den Bezirken von Landesarbeitsämtern zentrale Stellen schaffen, so daß die Kontrollmöglichkeiten durchaus zusammengefaßt sind. Ich sage: Eine Verbesserung ist immer möglich, solange es illegale Beschäftigung in einer so großen Zahl gibt. Deshalb sind wir auf diesem Wege und werden ihn auch weiter beschreiten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307019400
Herr Kollege Dreßen.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1307019500
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die von dem Kollegen Büttner aufgeworfenen Fragen Sie zwingen, dieses Gebiet etwas näher zu betrachten, weil ja auch Presseorgane, die der SPD-Fraktion nicht so nahe stehen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" und andere, permanent feststellen, daß über 100 000 illegal Beschäftigte am Bau und anderswo arbeiten?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307019600
Ich habe ja gesagt, daß wir dabei sind, das ständig zu verbessern. Die Kontrollmöglichkeiten werden auch genutzt. Es ist doch nicht so, daß nichts geschieht.



Parl. Staatssekretär Horst Günther
Die Arbeitsämter legen ja auch beachtliche Ergebnisse bei dieser Bekämpfung vor. Dennoch verstärken wir das Personal, um mehr Prüfungen durchführen zu können. Mehr ist aber im Augenblick nicht drin.
Natürlich ist das alles unbefriedigend, aber Sie müssen auch wissen, daß zur Beschäftigung illegaler Kräfte zwei gehören, einmal die Unternehmer, die sie einstellen, und dann diejenigen, die mit ihnen arbeiten. Wir erhoffen uns aus den Betrieben, insbesondere von den Betriebsräten, mehr Hinweise über illegale Beschäftigung.
Wenn man sich mit diesem Feld beschäftigt - ich denke, wir haben das im zuständigen Ausschuß mehrfach getan -, dann kommt man zu den Einzelheiten und kann feststellen, daß hier nicht alle mitziehen und daß die Arbeitsverwaltung zusammen mit den übrigen Kontrollbehörden oft alleine arbeitet. Insofern kann ich nur dazu aufrufen, daß alle mithelfen, dort, wo sie wirksame Mittel haben, die illegale Beschäftigung zu bekämpfen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307019700
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Dreßen.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1307019800
Herr Staatssekretär, Sie wissen ja genau, daß illegale Beschäftigung in Betrieben stattfindet, wo es keine Betriebsräte gibt. Vielmehr findet die illegale Beschäftigung meistens in Subunternehmen und bei Kleinunternehmen statt. Wenn ich mir, Herr Staatssekretär, den südbadischen Raum anschaue, dann sehe ich, daß es unter vieren oder fünfen ein Arbeitsamt gibt, das dieser illegalen Beschäftigung nun wirklich mit drei, vier Mann nachgeht. Das halte ich natürlich angesichts der Größe der Region und angesichts der diversen Baustellen einfach nicht für machbar, daß sie das effektiv kontrollieren können. Es liegt, wie der Kollege Büttner feststellt, tatsächlich an zu wenig Personal auf diesem Gebiet. Ich frage Sie nochmals: Sieht die Bundesregierung hier nicht dringenden Handlungsbedarf?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307019900
Ich habe ja gesagt, daß wir in Bereichen, so jetzt im Pilotversuch in Berlin, das Personal in erheblichem Maße aufgestockt haben. Wir müssen die Ergebnisse erst einmal abwarten, um dann auch mit der Arbeitsverwaltung - das haben wir ja bereits eingeleitet; das habe ich auch alles schon gesagt - weitere Maßnahmen zu beschließen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307020000
Herr Kollege Kastning.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1307020100
Da es sich offensichtlich um eine unbefriedigende Situation handelt, frage ich, um so richtig unbefriedigt über diese unbefriedigende Situation sein zu können, Herr Staatssekretär: Wie hoch schätzen Sie denn die Zahl der illegalen Arbeitsverhältnisse? Wie hoch wäre dann etwa die Erfolgsquote bei der Aufdeckung von Verstößen?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307020200
Ich werde Ihnen keine geschätzten Zahlen nennen, weil man das überhaupt nicht kann. Es werden etwa von der Baugewerkschaft Zahlen in der Höhe zwischen 100 000 und 500 000 genannt. Diese Zahlen kann man nicht verifizieren. Wenn man über die richtigen Zahlen verfügen würde, hätte man die Leute bereits in entsprechender Weise zur Rechenschaft ziehen können. Also, Zahlenangaben darüber sind reine Spekulation. Die Zahl ist aber groß genug, um weitere Fortschritte bei der Aufklärung anzustreben.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307020300
Zweite, Herr Kollege Kastning.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1307020400
Herr Staatssekretär, wenn es zutrifft, daß die Bundesregierung schon einmal vor einiger Zeit eine Zahl von, ich glaube, 140 000 Arbeitsverhältnissen genannt hat - egal, ob sie stimmt oder nicht -, möchte ich Sie fragen: Wie hoch wäre denn dann die Erfolgsquote, gemessen an dieser Zahl?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307020500
Ich kann Ihnen sagen, daß auf den Baustellen, wo die Prüfungen durchgeführt werden, im Augenblick 25 Prozent illegal Beschäftigte angetroffen werden, Personen, die entweder keine Arbeitserlaubnis haben, illegal beschäftigt sind oder keine Aufenthaltserlaubnis und/oder Arbeitserlaubnis besitzen, also solche, die in irgendeiner Form betroffen sind. Die Quote liegt bei den Prüfungen bei 25 Prozent der dort angetroffenen Beschäftigten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307020600
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Dreßen auf:
In welcher Höhe haben die Berufsgenossenschaften in den letzten Jahren für Gutachten, Anwalts- bzw. Gerichtskosten usw. im Zusammenhang mit juristischen Auseinandersetzungen bei der Bewilligung von Berufsunfähigkeitsrenten Finanzmittel aufgewendet?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307020700
Herr Kollege Dreßen, darf ich die Fragen 40 und 41 zusammen beantworten? - Vielen Dank. Herr Präsident, Sie sind auch einverstanden?

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307020800
Ja. Dann rufe ich auch die Frage 41 des Kollegen Dreßen auf:
Wie viele Berufsunfähigkeitsrenten sind in den letzten Jahren ohne eine juristische Auseinandersetzung bewilligt worden, und welchen Anteil machen diese an allen Bewilligungen (also unter Einschluß solcher, bei denen ein juristischer Konflikt vorlag) aus?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307020900
Kollege Dreßen, wegen der von Ihnen bereits im Oktober dieses Jahres nachgefragten Zahlenangaben hat das Bun-

Parl. Staatssekretär Horst Günther
desministerium für Arbeit und Sozialordnung die drei Spitzenverbände der gesetzlichen Unfallversicherung um Auskunft gebeten.
Für die gewerblichen Bereiche hat der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften am 17. November 1995 mitgeteilt, daß zur Höhe der Gutachter-, Anwalts- und Gerichtskosten keine detaillierten Statistiken bei den Unfallversicherungsträgern vorhanden sind. Auf Grund des bei einigen Berufsgenossenschaften vorhandenen Datenmaterials lassen sich allenfalls Abschätzungen der Größenordnungen der erbetenen Zahlen ableiten.
So werden in den Rechnungsergebnissen die durch Sozialgerichtsverfahren entstehenden besonderen Kosten aufgelistet. Hierzu zählen insbesondere Gerichtsgebühren, Kosten für Anwälte, Sachverständige und für die Beweiserbringung. Für die gesamte gewerbliche Unfallversicherung beliefen sich diese Aufwendungen im Jahre 1994 auf rund 2,8 Millionen DM. Dieser Betrag entspricht 0,017 Prozent der Gesamtaufwendungen. Da die Sozialgerichtsverfahren jedoch nicht nur Streitigkeiten wegen Rentenzahlungen betreffen, sondern ebenso Fragen der Mitgliedschaft, der Zuständigkeit, des Gefahrtarifs, des Beitragsrechts, des Regresses und des gesamten Spektrums des Leistungsrechts, muß davon ausgegangen werden, daß die Aufwendungen, eingeschränkt auf den Zusammenhang mit der Bewilligung von Renten, nur einen Bruchteil davon ausmachen.
Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt: Die bei den Berufsgenossenschaften vorliegenden Informationen über Sozialgerichtsverfahren sind in der Regel aufgegliedert nach dem Ausgang des Verfahrens, das heißt danach, ob der Versicherte ganz oder teilweise obsiegt hat. Aufgliederungen nach dem Gegenstand des Sozialgerichtsverfahrens - ob es sich also um ein Rentenbegehren, ein anderes Leistungsbegehren oder um Mitgliedschafts-, Beitragsfragen oder sonstiges gehandelt hat - liegen nicht vor. Auf Grund hochgerechneter Angaben einzelner Versicherungsträger kann davon ausgegangen werden, daß in etwa 1 bis 1,5 Prozent der Fälle, in denen erstmals eine Rentenzahlung durch die Unfallversicherung erfolgte, ein Sozialgerichtsverfahren vorausgegangen ist. Dies entspräche bei den rund 50 000 neuen Rentenfällen des Jahres 1994 im gewerblichen Bereich einer Zahl von maximal 500 bis 750 Fällen, in denen es insoweit zu einer Anrufung der Sozialgerichte gekommen ist.
Antworten der Spitzenverbände der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand liegen dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bislang nicht vor. Ich gehe jedoch davon aus, daß auch in diesen Bereichen Statistiken, die eine detaillierte Auskunft ermöglichen, nicht geführt werden. Aber sobald die Antworten, die ja in irgendeiner Form eingehen werden, vorliegen, werde ich Sie selbstverständlich unterrichten, Kollege Dreßen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307021000
Herr Kollege Dreßen, erste von vier möglichen Zusatzfragen.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1307021100
Herr Staatssekretär, man sagt ja immer, man soll nur der Statistik glauben, die man selbst fälscht. Die Statistik, die Sie hier angeführt haben, ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich weiß aus der Praxis, daß fast niemand Chancen hat, ohne gerichtliche Auseinandersetzungen eine Berufsgenossenschaftsrente zu bekommen. Deshalb möchte ich Sie bitten - und Sie fragen, ob Sie dies tun -, daß Sie in der Zukunft darauf Ihr Augenmerk richten.
Denn was hier passiert, ist ein Unding. Sie wissen, daß sich die Berufsgenossenschaften schon eigener Gutachter bedienen. Daraus ergibt sich für die Betroffenen eine unmögliche Situation. Die Zahlen, die Sie genannt haben, können nach meinem Ermessen überhaupt nicht zutreffen. Ich schätze, daß 40 bis 50 Prozent aller, die eine Berufsgenossenschaftsrente bekommen, durch ein gerichtliches Verfahren müssen. Diese Quote halte ich schlichtweg für zu hoch.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307021200
Herr Kollege Dreßen, wir sind heute zwar gut in der Zeit. Trotzdem war dies ein umfangreicher Debattenbeitrag,

(Ernst Kastning [SPD]: Aber interessant, Herr Präsident!)

und ich hatte Mühe, eine Frage herauszuhören.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1307021300
Ich fragte, ob der Herr Staatssekretär meine Auffassung teilt und die Regierung in der Zukunft ihr Augenmerk auf das Angesprochene legen will.

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307021400
Herr Kollege Dreßen, wir werden angesichts der Antwort vom 17. November - sie ist ja erst fünf Tage alt - und der noch eingehenden selbstverständlich eine Überprüfung vornehmen. Wir sehen uns ja öfter und können uns laufend darüber unterhalten. Einverstanden?

(Peter Dreßen [SPD]: Vielen Dank!)

- Bitte.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307021500
Bitte, Herr Kollege Büttner.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1307021600
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung auf Grund dieser - wie Sie selbst zugegeben haben - mangelnden Antworten der Berufsgenossenschaften auf Ihre Frage nicht die Notwendigkeit, im Rahmen ihrer Fachaufsicht die Berufsgenossenschaften dazu zu verpflichten, künftig konkretes statistisches Material zu erheben, aus dem abgelesen werden kann, wieviel Mittel für Gutachten im Zusammenhang mit der Bewilligung von Renten und vor allem im Zusammenhang mit Sozialgerichtsverfahren aufgewandt werden? Dadurch könnte wirklich stichhaltiges Material vorgelegt und für uns Politiker die nötige Basis für vernünftige Entscheidungen geschaffen werden.

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1307021700
Kollege Bütt-



Parl. Staatssekretär Horst Günther
ner, ich habe nicht gesagt, daß es mangelnde Antworten der Berufsgenossenschaften gibt, sondern daß eine Antwort inzwischen vorliegt und die anderen vermutlich in wenigen Tagen vorliegen werden. Selbstverständlich gilt für Ihre Frage das gleiche, was ich dem Kollegen Dreßen gesagt habe, der darum gebeten hat, daß wir die Angelegenheit genauer verfolgen.
Angesichts der Zahlen, die wir bekommen haben bzw. bekommen werden, werden wir diese Fälle prüfen und auch mit den Berufsgenossenschaften sprechen, wenn wir feststellen sollten, daß diese Angaben vielleicht nicht ausreichend sind.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307021800
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger zur Verfügung.
Die Fragen 42 und 43, die die Kollegin Verena Wohlleben gestellt hat, sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 44, gestellt von unserem Kollegen Ernst Kastning, auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß im Falle eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr Soldaten aus den neuen Bundesländern künftig keine geringeren Bezüge erhalten als Soldaten aus den alten Bundesländern?
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich bitte um Beantwortung.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1307021900
Herr Präsident, wenn Sie und der Kollege Kastning einverstanden sind, möchte ich die Frage 45 gleich mit beantworten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307022000
Dann rufe ich auch die Frage 45 des Kollegen Ernst Kastning auf:
Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch zwischen einer am 14. November 1995 vom Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung, Hans-Dieter Wichter, abgegebenen Erklärung „eine Meldung, wonach Berufs- und Zeitsoldaten aus den neuen Bundesländern auch bei einem Einsatz im früheren Jugoslawien 84 Prozent der ,Westbezüge' erhalten sollen, ist unzutreffend" und der in einem Interview mit dem Deutschlandradio-Berlin am 15. November 1995 von der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung, Michaela Geiger, getroffenen Aussage, wonach „wir versuchen, eine Regelung zu finden, daß dies nicht vorkommt", von der die Parlamentarische Staatssekretärin auf Nachfrage „noch nicht sagen" konnte, wie diese aussehen werde?

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1307022100
Herr Kollege Kastning, im Zuge der organisatorischen Vorbereitung auf den möglichen Einsatz im ehemaligen Jugoslawien werden alle für den Einsatz vorgesehenen Soldaten in einen neu aufzustellenden Truppenverband der Peace Implementation Force versetzt. Aufstellungsort ist Koblenz. Dies hat zur Folge, daß auch die Soldaten aus den neuen Bundesländern ab dem Zeitpunkt dieser Versetzung und damit auch bei ihrer Entsendung in das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens 100 Prozent der West-Bezüge erhalten. Vergleichbar ist bei bisherigen Auslandseinsätzen verfahren worden. Auch zukünftig wird dies erforderlich sein.
Zwischen der Erklärung des Sprechers des Bundesministeriums der Verteidigung vom 14. November 1995 zur Frage der Dienstbezüge von Soldaten aus den neuen Bundesländern bei einem eventuellen Einsatz im früheren Jugoslawien und der dazu von mir gegenüber dem „Deutschlandradio-Berlin" gemachten Aussage besteht kein Widerspruch.
Auslöser für die Pressemitteilung des Ministeriums vom 14. November war ein Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom selben Tag. Darin wurde behauptet, Zeit- und Berufssoldaten, die ihre Ernennungsurkunde in den neuen Bundesländern erhalten hätten, bekämen auch bei einem Einsatz im früheren Jugoslawien nur 84 Prozent der Dienstbezüge ihrer Kameraden aus den alten Bundesländern.
In der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung heißt es, wie bei allen bisherigen Auslandseinsätzen werde bei einem Einsatz im früheren Jugoslawien sichergestellt, daß für Soldaten aus den neuen und aus den alten Bundesländern gleiche finanzielle Bedingungen gelten. Dem entspricht meine Aussage; das belegt eine Agenturmeldung des „Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes", „ddp/ADN" vom 15. November. Dort heißt es:
Nach Aussage der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, Michaela Geiger, arbeitet das Ministerium gegenwärtig an Regelungen, die die Gleichstellung von Soldaten aus Ost und West im Falle eines Auslandseinsatzes beispielsweise im ehemaligen Jugoslawien zum Ziel haben.
Einen Widerspruch vermag ich dabei nicht zu erkennen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307022200
Herr Kollege Kastning, Sie dürfen vier Zusatzfragen stellen.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1307022300
Frau Staatssekretärin, können Sie nachvollziehen - selbst wenn Sie meinen, es sei kein Widerspruch zwischen Ihrer Aussage und der des Pressesprechers der Hardthöhe zu erkennen -, daß zumindest durch abweichende Äußerungen Ihrerseits und des Herrn Pressesprechers Verwirrung entstanden ist, die Anlaß zur Sorge gab bzw. gibt, daß möglicherweise keine vernünftige, nämlich einheitliche Lösung gefunden wird?

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1307022400
Herr Kastning, dem vollen Wortlaut des Interviews können Sie entnehmen, daß ich gesagt habe, eine Gleichstellung müsse selbstverständlich erfolgen. Ich habe mich nur nicht auf die Art, wie wir das regeln werden, festgelegt. Das war vermutlich der Grund, warum Sie sich verwirrt fühlten.


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307022500
Eine zweite Zusatzfrage.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1307022600
Nicht nur ich war verwirrt, sondern offensichtlich auch andere Personen; denn die Initiative zu dieser Frage kam nicht nur von mir.
Darf ich Sie weiterhin fragen: Wenn in der Vergangenheit Soldaten der Bundeswehr aus Ost und West bei gemeinsamen Auslandseinsätzen, zum Beispiel in der Zeit vor den Bosnien-Einsätzen, einheitlich mit allen Zulagen bezahlt worden sind, wie kommen Sie dann in Ihrem Radiointerview zu der Aussage, daß Sie versuchen werden, eine Regelung zu finden, die gewährleistet, daß es keine unterschiedliche Bezahlung gibt?

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1307022700
Ich meinte damit den Stationierungsort Koblenz, der anschließend festgelegt wurde. Weil ich keine falschen Aussagen machen wollte, habe ich mich vorsichtig ausgedrückt.

(Ernst Kastning [SPD]: Vielleicht besser gar nicht!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307022800
Eine dritte Zusatzfrage.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1307022900
Frau Staatssekretärin, waren in der Vergangenheit, um eine gleiche Bezahlung zu erreichen, und/oder werden für die Zukunft, um eine gleiche Bezahlung zu erreichen, Veränderungen von Rechtsbestimmungen erforderlich, und, wenn ja, wann werden diese erfolgen?
Ich darf einen Satz der Erläuterung hinzufügen, Herr Präsident. Ich möchte, daß öffentlich klargestellt wird: einheitlich oder nicht.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1307023000
Sie wissen, daß wir natürlich bei allen entsprechenden Regelungen an den Einigungsvertrag gebunden sind. Eine besoldungsrechtliche Regelung steht uns kurzfristig, Herr Kollege Kastning, leider nicht zur Verfügung. Ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren würde sehr viel Zeit erfordern; zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich insoweit, als sich die Besoldung der Zeit- und Berufssoldaten grundsätzlich nach den besoldungsrechtlichen Vorschriften richtet, die für alle anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes als Besoldungsempfänger auch gelten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307023100
Die vierte Zusatzfrage.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1307023200
Das hatte ich zwar nicht gefragt, aber dann stelle ich noch eine vierte Zusatzfrage.
In Ergänzung zu Ihrer Antwort auf meine beiden Fragen hätte ich gern gewußt, von wann bis wann genau eine einheitliche Bezahlung sichergestellt ist. Heißt Versetzung nach Koblenz mit Eingang des Versetzungsbescheides oder mit dem Vollzug der Versetzung? In welchem Zeitraum nach Beendigung des Auslandseinsatzes endet die einheitliche Bezahlung?

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1307023300
Die erste Frage würde ich Ihnen gern schriftlich beantworten. Der Anspruch auf volle West-Besoldung bleibt auch dann erhalten, wenn die Soldaten aus den neuen Bundesländern im Anschluß an ihre Auslandsverwendungen wieder in die neuen Bundesländer zurückkehren.

(Ernst Kastning [SPD]: Auf unbefristete Zeit?)

- Ja.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307023400
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich danke Ihnen herzlich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen 46, 47 und 48 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist der Fragebedarf in der heutigen Fragestunde erschöpft. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr, bis zum Beginn der Aktuellen Stunde.

(Unterbrechung der Sitzung von 14.38 bis 15.00 Uhr)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307023500
Die unterbrochene Sitzung wird wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zur Verschiebung der Islam-Konferenz durch den Bundesaußenminister
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Karsten Voigt.

Karsten D. Voigt (SPD):
Rede ID: ID1307023600
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Absage der Islam-Konferenz ist ein Schlag ins Gesicht des Parlaments. Diese Entscheidung der Bundesregierung umgeht die Beschlußlage des Bundestages. Sie verkehrt die Absicht des Bundestages ins Gegenteil: Der Bundestag wollte nach der Stellungnahme Rafsanjanis zur Ermordung Rabins ein Signal an die politische Führung des Irans geben. Er wollte nicht den Dialog mit der islamischen Welt absagen oder verzögern. Wir wollten vielmehr den Dialog mit der islamischen Welt intensivieren. - Es ist ein schwerer politischer Fehler, die Türkei, Jordanien, Ägypten, Marokko und andere Staaten der islamischen Welt mit der politischen Führung des Irans gleichzusetzen.

(Beifall bei der SPD)


Karsten D. Voigt (Frankfurt)

Darüber hinaus ist die Absage an Welajati nicht gleichbedeutend mit der Absage an den Dialog mit Schiiten; denn es gibt unter den verschiedenen schiitischen Strömungen, übrigens auch unter denen des Irans, unterschiedliche Auffassungen - auch zu dem, was gegenwärtig in der politischen Führung des Irans passiert.
Natürlich ist ein kritischer Dialog mit dem Iran erforderlich. Ich selber war in Teheran; ich habe auch hier in Bonn mit Welajati gesprochen. Das aber ist eben der Unterschied: Als Welajati bei einem Gespräch deutschen Teilnehmern seine Prinzipien als allgemeinverbindlich aufzwingen wollte, habe ich dieses Gespräch verlassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das heißt: Im Gespräch mit Leuten anderer Überzeugung, sei sie religiös bedingt, sei sie politisch bedingt, muß man klarmachen, auch im praktischen Verhalten, was die eigenen Prinzipien sind. Ansonsten hat ein Dialog überhaupt keinen Sinn.
Ich möchte darüber hinaus sagen, daß Staaten wie die Türkei, die laizistisch sind, in denen aber die Mehrheit der Bevölkerung dem Islam angehört, es schlicht und ergreifend als Provokation empfinden müssen, wenn, weil der iranische Außenminister an der Konferenz nicht teilnehmen soll, sie selber mit ausgeladen werden. Damit wird die gesamte islamische Welt mit denjenigen, die in Teheran solche Äußerungen von sich geben, auf einen Nenner gebracht.
Ich will gar nicht verhehlen, daß es schlimme Äußerungen nicht nur aus Teheran gibt. Es gab solche Äußerungen auch in anderen Staaten, übrigens auch in Israel. Hier wurde unter Berufung auf religiöse Komponenten Verständnis für die Tötung anderer Menschen gezeigt. Das kann nicht hingenommen werden.
Es ist aber ein Mißverständnis seitens des Iran, zu glauben, daß wir aus einem Schuldgefühl gegenüber Israel heraus jetzt, weil es Rabin betroffen hat, gefordert haben, daß die Einladung Welajatis zurückgenommen wird. Dabei geht es nicht um ein Schuldgefühl, sondern hier handelt es sich um eine tief-empfundene Sympathie für den Staat Israel und seine Bevölkerung und um das Prinzip, daß nämlich eine Ermordung überhaupt, aber erst recht die von Regierungschefs und Staatsoberhäuptern in der internationalen Politik inakzeptabel ist und daß sich Regierungssprecher und Regierungsoberhäupter, die sich solchen Ermordungen, und sei es auch für den „Hausgebrauch", in irgendeiner Weise gegenüber verständnisvoll verhalten oder sie sogar noch legitimieren, außerhalb der Norm der internationalen Staatenwelt stellen.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß man in dieser Phase, solange sich der Iran davon nicht distanziert - das hat er bis zur gegenwärtigen Minute nicht; Sie, Herr Bundesaußenminister, haben ja noch gehofft, daß er es täte; er hat es aber nicht getan -, den führenden Politiker aus diesem Lande zu einer solchen Konferenz einlädt und ihn hier sprechen läßt. Denn letzten Endes würde es ja bedeuten, daß man es, wenn man irgendein europäisches Staatsoberhaupt ermorden ließe, mit irgendeiner religiösen Begründung letzten Endes legitimieren oder verharmlosen könnte.

(Roland Kohn [F.D.P.]: Mieser geht es nicht mehr, unglaublich!)

Es geht hier im Kern nicht um den Dialog mit dem Islam, den wir intensivieren und sogar verstärken wollen. Es geht vielmehr darum, daß man diesen Dialog auf der Grundlage internationaler Menschenrechte, von Norm und Rechtsstaatlichkeit führt

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und daß man in diesem Dialog um der Kritik willen deutlich macht, daß Politiker nicht opportunistisch sind, wenn sie einen kritischen Dialog wollen, sondern daß sie ernsthaft an einem Dialog mit dem Islam interessiert sind und daß sie nicht die iranische Führung mit dem Islam insgesamt verwechseln.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307023700
Ich erteile dem Kollegen Dr. Wolfgang Schäuble das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1307023800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kritik an der Bundesregierung, Herr Kollege Voigt, habe ich nun wirklich nicht verstanden.

(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das ist Ihr Problem!)

- Ich will es ja gerade erläutern.
Wir sind uns doch offensichtlich darüber einig, daß die Politik des kritischen Dialogs der Europäischen Union und der Bundesregierung gegenüber dem Iran richtig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe das auch bei meinen Gesprächen in Washington in der vergangenen Woche gesagt. Aber dazu haben Sie gar nicht das Gegenteil gesagt; insofern sind wir uns einig.
Wir sind uns genauso darin einig, daß die Initiative des Bundesaußenministers, den Dialog mit der islamischen Welt zum Nutzen beider Seiten und der Menschheit insgesamt voranzubringen und zu intensivieren, richtig, begrüßenswert und unterstützenswert ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Deshalb braucht er doch nicht verschoben zu werden!)

- Langsam.

Dr. Wolfgang Schäuble
Wir sind uns offensichtlich auch darin einig, daß es richtig gewesen ist, daß Herr Welajati in der vergangenen Woche nach den abstoßenden Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten Rafsanjani nicht in Bonn gewesen und empfangen worden ist.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hätten Sie mal mit Ja gestimmt!)

Auch darüber sind wir uns einig.

(Zuruf von der SPD)

- Entschuldigung, wir waren über den Weg, wie man das erreicht,

(Freimut Duve [SPD]: Der Weg durch die Nein-Tür oder durch die Ja-Tür?)

möglicherweise unterschiedlicher Meinung, aber nicht in der Sache. Denn darüber, daß in der Situation, wie sie nach der Ermordung des israelischen Premierministers Rabin entstanden war, und nach den unerträglichen Äußerungen aus Teheran die Zeit für eine positive Wirkung einer solchen Konferenz in der Woche danach nicht gut gewesen wäre, sollten wir uns ebenfalls einig sein. Deswegen hoffe ich, wir sind uns auch darin einig, daß es eine richtige Entscheidung der Bundesregierung gewesen ist, diese Konferenz nicht abzusagen, sondern zu verschieben. Sie muß in der Zukunft stattfinden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie ist richtig und notwendig; aber der Zeitpunkt war ungeeignet.
Jetzt, lieber Herr Voigt, frage ich Sie in aller Ruhe - wir können ja wirklich über alles streiten; aber darüber zu streiten, finde ich, gibt es heute wirklich keinen Grund -: Glauben Sie im Ernst, daß mit einer Ausladung von Herrn Welajati die Konferenz drei Tage danach mit all den Außenministern, die Sie aufgezählt haben, die Chance eines Erfolgs gehabt hätte? Das einzige Thema dieser Konferenz wäre die Ausladung von Herrn Welajati und die Äußerung von Herrn Rafsanjani gewesen. Dem Anliegen, durch einen konstruktiven Dialog mit der islamischen Welt Fortschritte zu erzielen, wäre ein fürchterlicher Schaden zugefügt worden. Wir sollten da ganz ruhig bleiben.
Ich fasse zusammen: Herr Bundesaußenminister, Ihre und unsere gemeinsame Politik des kritischen Dialogs auch mit dem Iran bedeutet, offen anzusprechen, was nicht in Ordnung ist, und sich in schwierigen Situationen einzusetzen.
Herr Kollege Genscher, bei der Entführung von Cordes und Schmidt im Libanon haben Ihre Kontakte nach Teheran mitgeholfen, das Problem zu lösen. Ich bedanke mich heute noch dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir müssen auch in der Zukunft zur Lösung schwieriger Angelegenheiten fähig bleiben und zugleich versuchen, die Dinge zum Besseren zu entwickeln - das ist kritischer Dialog -, und den Dialog mit der islamischen Welt vorantreiben. Herr Bundesaußenminister, deswegen muß diese Konferenz zu einem geeigneten Zeitpunkt stattfinden. Sie haben jede Unterstützung dafür. Aber der Zeitpunkt in der vergangenen Woche wäre der falsche gewesen. Deswegen war es richtig, wie die Bundesregierung entschieden hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307023900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Helmut Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1307024000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schäuble, es ist richtig: Es geht im Kern darum, was der kritische Dialog dieser Bundesregierung ist. Darüber müssen wir streiten.
Der Herr Außenminister hat in seiner letzten Rede gesagt, er habe dem iranischen Außenminister auf die unakzeptablen Äußerungen einen scharfen Brief geschrieben. Leider ist es dem Hohen Haus nicht möglich, diesen Brief zu sehen. Es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, so etwas einmal sehen zu können, wenn wir jetzt in die Frage „Was ist kritischer Dialog?" einsteigen.

(Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Ich gebe nicht alle Regierungsbriefe nach draußen!)

- Richtig, Herr Außenminister. Das weiß ich; das habe ich Ihnen doch zugegeben. Deshalb ist es doch das Problem, daß wir den kritischen Dialog nur an den Taten messen können.
Jetzt haben Sie einige Ergebnisse des kritischen Dialogs aufgezählt. Sie haben gesagt: Bitte, der Iran hat das Chemiewaffenübereinkommen unterschrieben, er hat den NPT-Vertrag unterschrieben. Vielleicht war das alles im wohlverstandenen Interesse des Irans und nicht gerade das Ergebnis eines kritischen Dialogs. Denn gleichzeitig hat der Iran, ein so energiereiches und ein so sonnenreiches Land, mit Rußland die Lieferung von Atomkraftwerken ausgehandelt. Sie wissen, was unsere amerikanischen Freunde darüber denken, was für Hintergedanken sie dabei vermuten. So einfach ist das nicht.
Deshalb ist und bleibt seit acht Jahren die Frage, wann die Fatwa gegen Salman Rushdie aufgehoben wird, der Prüfstein dafür, was ein kritischer Dialog erreicht. Sie sagen: Es gibt da Fortschritte. Wenn ich den Zeitraum von acht Jahren bedenke, dann muß ich sagen, daß diese Fortschritte offensichtlich in Millimetern zu messen sind. Ich weiß nicht, ob Salman Rushdie die Aufhebung der Fatwa noch erlebt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)

Die Frage ist: Herr Außenminister, warum sind Sie eigentlich - da gehe ich in die Diskussion mit Herrn Schäuble - dem Votum dieses Hauses nicht gefolgt? Ihnen war hervorragend der Rücken gestärkt worden. Ich verstehe Ihr Verhalten überhaupt nicht. In diesem Moment war doch die Ausladung des Repräsentanten eines Landes, das den Träger eines ganz

Dr. Helmut Lippelt
essentiellen Friedensprozesses so beschimpft und so verleumdet, auch in der islamischen Welt allgemein verständlich.
Die Außenminister kommen jetzt erst in vier oder fünf Monaten. Dann erst wird das zu einer Frage der Solidarität. Deshalb wird der Dialog, den Sie wollen, nicht zustande kommen. Wollen Sie dann den Repräsentanten eines Regimes einladen, dessen Botschafter in seinem offiziösen Mitteilungsblatt „Iran-Report" auch jetzt noch dieselben Verleumdungen wiederholt, indem er Zeitungen aus dem Iran und anonyme Äußerungen zusammenschneidet, um genau dies immer weiter zu wiederholen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Deshalb ist die Frage, wie Sie mit diesem sehr dringenden Dialog wieder in Gang kommen, natürlich eine Frage nicht nur des politischen Wollens, sondern auch des politischen Geschicks. Wenn wir über die Frage streiten, wie kritischer Dialog zu messen ist, so fällt mir immer wieder ein: Zu messen ist er an der Frage, wie weit in solchen Verhältnissen der Dialog nicht nur mit den Regierungen, sondern auch mit der Opposition läuft. Es ist der Bundesregierung doch bekannt, daß die wichtigste Oppositionsgruppe im Iran, die „Befreiungsbewegung" des jetzt leider verstorbenen Mehdi Bazargan, im Mai dieses Jahres einen offenen Brief geschrieben hat und freie Wahlen zum Parlament gefordert hat. Im Juli haben sich 86 Oppositionelle angeschlossen und sich mit einem weiteren Aufruf zu Wort gemeldet, in dem es heißt:
Es müssen Bedingungen für freie Meinungsäußerungen geschaffen werden und dafür, daß die öffentlichen Medien genutzt werden können, so daß die Menschen im Rahmen des Gesetzes - statt in blinden Aktionen und Aufständen - die Regierung frei und ohne Angst vor Bedrohung kritisieren können.
Vor kurzem wurden die Aktivitäten dieser Partei verboten.
Wo hat sich der Außenminister jemals im Rahmen des von ihm so genannten kritischen Dialogs für die regimekritischen Oppositionellen im Iran eingesetzt? Zu welchen relevanten oppositionellen Kreisen hat die Bundesregierung überhaupt Kontakt aufgenommen?
Das Problem, das für uns im Bundestag deutlich wird, ist: Wir haben hervorragende Wirtschaftsbeziehungen. Wir haben Pläne eines großen Dialogs, für den, wie ich denke, die Chancen leider vertan worden sind. Wir haben auf der anderen Seite die Fatwa gegen Salman Rushdie, die immer noch in Kraft ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307024100
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms das Wort.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hochrangige Debatte!)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1307024200
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesaußenminister hat infolge der Diskussion vom vorletzten Freitag das einzig Richtige getan. Er hat entschieden, daß diese Konferenz verschoben wird, und er hat dabei die Zustimmung der Koalition und der Bundesregierung bekommen. Was wäre denn geschehen, wenn der Außenminister des Iran ausgeladen worden wäre? In welche Situation hätten Sie denn die Außenminister der anderen islamischen Länder gebracht? Hätte denn diese Konferenz überhaupt noch die Chance gehabt, Ergebnisse zu erzielen? Wissen Sie denn eigentlich nicht, daß der Iran das zentrale Land der Schiiten ist, einer wichtigen Gruppe und Konfession innerhalb des Islam? Wollen Sie durch eine Teilung des Islam zusätzliche Spannungen erzeugen?

(Freimut Duve [SPD]: Was heißt denn dieser Begriff „Teilung des Islam"?)

All dieses zeigt doch, daß es richtig war, diese Konferenz zu verschieben, um damit zusätzlichen Schaden, der jetzt ohnehin schon entstanden ist, abzuwehren.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ging Herrn Fischer bei seinem Antrag nicht um einen Beitrag zur Außenpolitik. Er hat doch nur versucht, einen Tagesabstimmungserfolg zu erzielen, indem er eine emotionale Situation mißbraucht hat, um hier Effekte zu erzielen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Widerspruch bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Unerhört! Eine Beleidigung des Parlaments! Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie zu den Kollegen von Ihnen, die dem zugestimmt haben? Was ist mit Herrn Lambsdorff? Was ist mit Frau Süssmuth?)

- Hören Sie bitte einmal zu. Außenpolitik darf nicht zur Funktion von parteipolitischer Taktik der Innenpolitik werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Außenpolitik muß langfristig angelegt sein.

Ich will auf ein Weiteres hinweisen, Herr Fischer: Ihr Gewissen hat recht spät geschlagen, genauso wie das Ihrer Kollegen. Rafsanjani hat diese Äußerungen am 5. November gemacht. Am 10. November haben wir darüber diskutiert. Wir haben die Pressemitteilungen genau studieren lassen. Es hat eine einzige kritische Aussage zu diesem Vorgehen und zu diesen Aussagen gegeben. Das war die kritische Aussage des Bundesaußenministers Klaus Kinkel.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Von den Grünen und von der SPD hat man kein Wort dazu gehört. Ich habe hier die Liste derjenigen Abgeordneten, die sich angemeldet hatten, um an der Konferenz mitzuwirken. Dazu gehört die Vizepräsidentin dieses Hauses, Frau Antje Vollmer. Dazu

Dr. Hermann Otto Solms
gehören Herr Duve, Herr Schily und andere. Ich mißbillige das nicht. Ich finde es gut, daß Sie daran teilnehmen wollten. Sie haben sich aber bis zu diesem Zeitpunkt, als Herr Fischer diesen Antrag gestellt hat, überhaupt nicht von diesem Besuch distanziert. Ihr Gewissen scheint sich ja sehr spät geregt zu haben.

(Beifall bei der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein jammervoller Liberalismus!)

Es muß doch einmal klargestellt werden: Das Kasperltheater, das Herr Fischer im Laufe der Zeit immer 'stärker aufführt, wertet dieses Haus ab.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wenn wir über außenpolitische Probleme, über das schwierige Verhältnis dieser zwei Kulturkreise, des Islam und der christlichen Welt, reden, dann können wir das nicht in der Form betreiben, wie wir das am vorletzten Freitag gemacht haben. Der Ernst der Lage ist viel zu groß. Darauf hat ja auch der Bundespräsident hingewiesen, als er bei seiner Laudatio zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gerade diesen Dialog angemahnt hat, der überfällig ist.
Ich kann für die Fraktion der Freien Demokraten abschließend nur sagen: Klaus Kinkel hat unsere volle Unterstützung und Zustimmung

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

bei der wichtigen Aufgabe,

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genauso hören Sie sich an!)

diesen Dialog für Deutschland und für Europa zu inszenieren und zu führen, und wir hoffen, daß es möglichst bald zu einem neuen Termin kommt, damit mit allen islamischen Staaten - ich betone: mit allen islamischen Staaten; alles andere wäre ein großer Fehler - dieser Dialog aufgenommen werden kann.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307024300
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN], zur CDU/CSU und zur F.D.P. gewandt: Jetzt müßt ihr euch die Ohren zuhalten!)


Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1307024400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst freue ich mich sehr darüber, daß sowohl der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU als auch der Fraktionsvorsitzende der F.D.P. hier immer wieder den kritischen Dialog gefordert haben. Ich hoffe, das gilt nicht nur nach außen, sondern auch in bezug auf die Innenpolitik. Damit kämen wir dann beachtlich weiter.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber der Gegenstand dieser Aktuellen Stunde ist eigentlich etwas anderes als das, worüber hier Herr Schäuble und Herr Solms gesprochen haben. Es geht nämlich um den Fall einer klaren Parlamentsmißachtung.

(Beifall der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [PDS])

Herr Kinkel, auch Sie müssen lernen, sich mit Niederlagen abzufinden. Der Bundestag hat mit Mehrheit beschlossen, daß der iranische Außenminister von der Konferenz ausgeladen werden soll, und diesen Beschluß haben Sie einfach mißachtet. Sie haben statt dessen die Konferenz abgesagt, um die Erfüllung des Beschlusses zu umgehen. Das nenne ich Parlamentsmißachtung.

(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man kann mir vieles vorwerfen, nur eines nicht, daß ich nicht gewöhnt bin, Niederlagen zu erleiden und damit zu leben. Wenn Sie nur in einem Falle eine Niederlage erleiden, hätten Sie als Demokrat beweisen müssen, daß auch Sie damit leben können. Sie hätten sich ja gegenüber der iranischen Regierung noch hinter der Entscheidung des Parlaments verstecken können; das wäre für Sie ja ganz einfach gewesen.
Im übrigen glaube ich nicht, was Sie als Szenario verbreiten, nämlich daß alle anderen Länder abgesagt hätten. Es wäre im Gegenteil spannend gewesen, wenn Sie die Konferenz durchgeführt und gesagt hätten: Wer allerdings zuläßt, daß seine Regierung oder sein Präsident so etwas äußert, wird von uns ausgeladen. Dann hätten die anderen vor der Frage gestanden, ob sie das akzeptieren oder nicht. Das hätte auch eine Klärung in der sogenannten islamischen Welt herbeiführen können.
Nun gibt es natürlich viele, die auch den Ansatz der Konferenz kritisieren, die sagen: Es müßte eigentlich ein Dialog von unten stattfinden, über Kirchen, über gesellschaftliche Organisationen, über Oppositionskräfte; die Regierungsebene ist eigentlich vielleicht die letzte, gar nicht die entscheidende. Auch mit dieser Kritik könnte ich gut leben; ich halte sie in Grundzügen für berechtigt.
Erinnern wir uns daran, was Herr Geißler, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, jetzt im „Spiegel" geäußert hat, daß dort überall Apartheid zum Nachteil der Frauen stattfindet. Wir sind ja keine Gegner des Dialogs. Auch ich hatte schon ein Gespräch mit dem iranischen Botschafter und habe ihn zum Beispiel darauf hingewiesen, daß es für uns natürlich völlig unerträglich und absolut indiskutabel ist - um nur ein Beispiel zu nennen -, wenn eine Lehrerin im Iran, die nicht mit ihrem Mann, sondern mit einem Bekannten Auto gefahren ist, deshalb vor den Schülerinnen und Schülern auf

Dr. Gregor Gysi
dem Schulhof ausgepeitscht wurde. Ich habe ihn gefragt, wie er das irgendwie mit einem Begriff von Kultur - von Menschenrechten kann man da ja sowieso nicht reden - in Verbindung bringen will. Er hat mir dann als Antwort gesagt, daß das in SaudiArabien viel schlimmer ist, da dürfte sie nicht einmal Auto fahren. Er hat hinzugefügt: Über Saudi-Arabien regt sich keiner auf. Daß diese Antwort für mich äußerst unbefriedigend war, werden Sie nachvollziehen können. Das heißt übrigens nicht, daß ich die Zustände in Saudi-Arabien gut finde. Vielmehr macht mir das deutlich, daß vielleicht international wesentlich mehr gegen diese Apartheid gegenüber Frauen unternommen werden muß, als das gegenwärtig der Fall ist.

(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mich ärgert wirklich, wenn Sie Menschenrechte hinter ökonomische und politische Interessen zurückstellen und das auch ganz deutlich formulieren.
Sie haben einmal gesagt, der Iran sei strategisch wichtig, habe eine ungeheure Waffendichte und viel Öl.

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Wollen Sie das bestreiten?)

- Das will ich alles gar nicht bestreiten. Das gilt auch für Saudi-Arabien.
Sie müssen sich entscheiden: Entweder Sie führen außenpolitische Beziehungen rein nach ökonomischen Gesichtspunkten - dann tun Sie aber nicht so, als ständen dahinter moralische Werte! -, oder Sie stellen wirklich Menschenrechte in den Vordergrund.

(Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: Unverschämtheit! Hans Klein [München] [CDU/ CSU]: Schwarzweiß ist die Welt!)

Dann muß mit dieser doppelzüngigen Art, Außenpolitik zu betreiben, endlich aufgehört werden. Dann muß man sich wirklich zu einem kritischen Dialog bekennen. Wenn man sich dazu bekennt - ich bin nicht gegen den kritischen Dialog mit dem Iran -, dann muß man in Konfliktsituationen auch einmal bereit sein, nein zu sagen und eine Ausladung auszusprechen, damit solche Länder merken, daß wir den Regierenden nicht alles durchgehen lassen. Das ist dann auch im Interesse der Völker dieser Länder.
Danke.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307024500
Ich erteile dem Bundesminister Dr. Klaus Kinkel das Wort.

Dr. Klaus Kinkel (FDP):
Rede ID: ID1307024600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts darf es nicht zu einem Konflikt der Kulturen kommen. Deshalb
meine Initiative und mein Einsatz für eine Verstärkung des Dialogs mit der islamischen Welt.
Zu der für den 15./16. November geplant gewesenen Konferenz „Europa und die islamische Welt" hatten rund 250 Experten aus aller Welt zugesagt, sieben von mir eingeladene Außenminister aus den islamischen Ländern, meine italienische Kollegin, ein EU-Kommissar, 14 Abgeordnete des Deutschen Bundestages, darunter die Präsidentin des Deutschen Bundestages und die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Vollmer. Der Herr Bundespräsident hatte sich erfreulicherweise bereit erklärt, die teilnehmenden Außenminister zu empfangen.

(Rudolf Bindig [SPD]: Die haben Sie mit der Absage alle vor den Kopf gestoßen!)

- Warten Sie es ab.
Dann kam es zu der Ermordung Ministerpräsident Rabins und dem ganz schlimmen Kommentar von Präsident Rafsanjani. Ich traf daraufhin die Entscheidung, in einem Brief an meinen iranischen Kollegen und einem Gespräch mit dem iranischen Botschafter unmißverständlich klarzumachen, daß diese Äußerungen empörend und durch nichts zu rechtfertigen sind, insbesondere auch nicht durch die aufgewühlte Reaktion in der islamischen Welt auf die Ermordung des Islamführers Schakaki in Malta.
Ich habe das in einer Pressekonferenz ebenfalls deutlich und klar gesagt. Außerdem hatte ich vor, über diese ernste Frage mit dem iranischen Außenminister auf der Konferenz selbst von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, so wie ich das in den letzten Jahren in vielfältigster Weise und bei vielen Gelegenheiten getan habe. Diese Entscheidung habe ich im Licht der Gesamtverantwortung getroffen, die ich als Außenminister zu tragen habe. Die Mehrheit des Deutschen Bundestages hat am 10. November entschieden, ich hätte anders reagieren sollen.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Ich respektiere das und habe Verständnis für die Gefühle, die die Abgeordneten bewegt haben.

(Zustimmung des Abg. Michael Glos [CDU/ CSU])

Aber ich frage mich schon: Warum hat eigentlich vorher niemand reagiert? Die Äußerungen von Herrn Rafsanjani fielen - Herr Solms hat es bereits gesagt - am 5. November. Warum hat keiner der Abgeordneten, die ihr Kommen zugesagt hatten, daraufhin abgesagt? Wo blieb die öffentliche Kritik der Opposition an dieser Rafsanjani-Äußerung?

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es waren sieben Tage Zeit. Es gibt nicht eine einzige Äußerung - nicht eine einzige Äußerung! - eines Oppositionspolitikers zu der Äußerung von Rafsanjani in diesen acht Tagen. Prüfen Sie es nach!

(Zuruf von der F.D.P.: Traurig!)

Sie hätten wahrhaftig Zeit gehabt, sich vorher zu
empören. Keiner von Ihnen hat die Ausladung von

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Herrn Welajati gefordert, insbesondere nicht Herr Fischer, auch nicht Herr Verheugen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte noch einmal festgehalten wissen, daß ich, wenn ich es richtig sehe, der einzige war, der sich nach außen hin klar und deutlich geäußert hat.

(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben uns geärgert über Ihren schwachen Dialog mit dem iranischen Botschafter!)

- Ich komme darauf zurück, Herr Lippelt. Sie schreien bloß, aber bewegen nichts.

(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)

Nach der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 10. November habe ich entschieden, die Konferenz zu verschieben. Das war keine Mißachtung der Entscheidung des Parlaments, sondern die einzig mögliche und logische Konsequenz des Bundestagsbeschlusses. Nur so konnte - das sage ich in meiner Verantwortung als Außenminister und aus Kenntnis der Zusammenhänge - massiver außenpolitischer Schaden vermieden werden.
Aus der Zusammenkunft wäre eine rein emotionsgeladene Iran-Debatte geworden. Die Ausladung des iranischen Außenministers hätte die anderen Kollegen der islamischen Welt zwangsläufig in eine schwierige Lage gebracht - ich habe es doch gehört - und unsere Initiatorenrolle für diesen so wichtigen Dialog erheblich beschädigt; ich würde sogar sagen: Sie hätte sie zerstört.
Die Konferenz wird nachgeholt, sobald die Gesamtumstände die dafür notwendige sachliche und ruhige Diskussion zulassen.
Christen und Muslime, die beiden größten Religionsgemeinschaften der Welt, müssen in dieser immer enger verflochtenen Welt lernen, friedlich und tolerant miteinander umzugehen. Es geht nicht um entfernte Weltgegenden, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern um Bosnien und um die Stabilität des Mittelmeerraums. Es geht um die Bewältigung der globalen Herausforderungen wie Armut, Bevölkerungsexplosion oder Umweltzerstörung. Es geht auch um den inneren Zustand der europäischen Gesellschaften.
In Deutschland leben 2,3 Millionen Muslime, die meisten davon sind Türken - ich komme gerade von der Sechserkonferenz der europäischen Außenminister mit dem neuen türkischen Außenminister -, in Frankreich 5 Millionen Menschen nordafrikanischer Herkunft. Wir müssen das liberale, weltoffene Gesicht Europas bewahren. Dabei wird es sehr darauf ankommen, wie harmonisch wir das Zusammenleben mit unseren Mitbürgern in Zukunft gestalten.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich möchte vor allem Ihnen beiden, lieber Herr Fischer und lieber Herr
Verheugen, etwas sagen. In Israel und im ganzen Nahen Osten kennen die Verantwortlichen meine persönlichen Beziehungen und meine Gefühle zum jüdischen Volk. Ich brauche niemanden, insbesondere nicht Sie, als Nachhilfelehrer in Sachen Israel

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Widerspruch bei der SPD)

und, Herr Lippelt, auch nicht bezogen auf den Iran. Wer war denn in dem berühmt-berüchtigten EvinGefängnis, als es um zum Tode Verurteilte ging? Wer hat sich im Iran persönlich für diejenigen eingesetzt, die gedemütigt und entrechtet waren? Sie nicht. Aber ich habe es getan, und darauf bin ich stolz.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Zuruf von der SPD)

- Nein, Sie nicht!
Herr Fischer, Ihnen halte ich entgegen: War es nicht der frühere Sprecher der Grünen, Herr Ströbele, der im Golfkrieg erklärte, die Raketenangriffe des Irak seien „die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels"? War das so, oder war das nicht so?

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen Sie auch zitieren, was ich damals dazu gesagt habe!)

- Ja, ja. Haben die Grünen, Herr Fischer, nicht vier Jahre gebraucht, um ihr Verhältnis zu Israel in Ordnung zu bringen? War ihr kürzlicher Besuch in Israel nicht ein dringend notwendiger Kanossagang, über den wir vorher noch gesprochen hatten? Ich an Ihrer Stelle wäre ruhig.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Zurufe des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Hören Sie zu! Sie schreien immer nur. Schreien allein hilft nicht immer. „Außenpolitische Geisterfahrer" sind Sie genannt worden; das ist auch so.
Die bewegende Trauerfeier für Yitzhak Rabin, unsere tiefe Bestürzung über die Ermordung des Friedensnobelpreisträgers und guten Freundes hat uns, die wir in Jerusalem dabei waren, wohl eines gelehrt: Dem Terrorismus muß entschlossen entgegengetreten werden. Wer Frieden will, der muß auch Brücken bauen. Ich habe versucht, diese Brücken über den kritischen Dialog zu bauen. Wir müssen uns mit dem Fundamentalismus rational und politisch auseinandersetzen. Er entwächst schließlich aus wirtschaftlichen und sozialen Krisen.
Wandel durch Dialog war das Fundament unserer Ostpolitik, die Erfolgsformel des OSZE-Prozesses, die Erfahrung in Südafrika. Dies muß auch unser Wegweiser gegenüber dem Fundamentalismus sein. Wir versuchen, zu überzeugen, Vertrauen herzustellen und dadurch auf die Haltung des Iran einzuwirken. Ohne Erfolg war das nicht; das habe ich in der letzten Debatte hierzu dargestellt.
Meine Damen und Herren, bei der Trauerfeier für Ministerpräsident Rabin sagte der jordanische König

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Hussein: „Wir glauben, daß Gott uns beauftragt hat, in Frieden zu leben. " Alle drei Religionsgemeinschaften, der Islam, das Judentum und das Christentum, haben den Frieden zum höchsten Gut erklärt. Das vereinte Deutschland muß heute - so wie auch seine Partner - mithelfen, damit dieses Ziel in Bosnien, im Nahen Osten und in anderen Krisenregionen der Welt verwirklicht wird.
Ich möchte durch meine Initiative und die Islamkonferenz dazu beitragen, Brücken zu bauen. Das ist aktive Friedenspolitik, wie sie uns das Grundgesetz vorgibt. Diesem Ziel bleibe ich verpflichtet, dafür werde ich weiter kämpfen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt muß Ihnen nur noch der Gerhardt die Hand geben! Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Sie sind der Heilige!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307024700
Ich erteile dem Abgeordneten Freimut Duve das Wort.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1307024800
Herr Minister, es ist schade, daß wir nicht über das Eigentliche sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Das Eigentliche hat Herr Schäuble ganz deutlich gesagt. Es gibt eine wirkliche Distanz zwischen dem, was Herr Schäuble gesagt hat, und dem, was der Minister sagt. Aber natürlich, Herr Schäuble hat klar gesagt: Die Konferenz konnte gar nicht stattfinden.
Aber dann hätte die Absage der Konferenz vorher, bevor wir hier beschlossen hatten, erfolgen müssen. Sie hätte von Ihnen kommen müssen. Sie haben vorhin ganz klar gesagt: Diese Konferenz konnte nach der Ermordung Rabins nicht stattfinden. Wir werden das im Protokoll nachlesen. Sie haben das gesagt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! - Zuruf von der CDU/CSU)

- Nein, das hat er erst nach unserer Initiative getan. Nach unserer Initiative hat er zwar so reagiert, wie er nach Ihrer Behauptung hätte reagieren müssen, aber er hat nicht so reagiert, wie der Bundestag das von der Bundesregierung verlangt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Er hat nicht den Respekt vor dem Vorhaben der Konferenz, vor dem Vorhaben des kritischen Dialogs - dazu werde ich gleich noch etwas sagen -, gewahrt. Er hat versäumt, deutlich zu machen, daß wir nicht einfach sagen: die islamische Welt, sondern daß wir einem Staat in seiner Staatlichkeit sagen: So geht es in diesem Friedensprozeß nicht.
Der König von Jordanien geht zur Trauerfeier, der Präsident von Ägypten geht zur Trauerfeier, Arafat geht zur Witwe, und dann sagt dieser Staat, der einen Teil der Hamas finanziert: Wir wollen den Unfrieden dort fortführen. Dieser Staat äußerte sich in dieser Weise zur Ermordung Rabins. Nein, der iranische Außenminister konnte nicht an der Konferenz teilnehmen, aber die Konferenz mußte stattfinden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Der iranische Außenminister konnte nicht teilnehmen, aber es ist falsch, jetzt zu behaupten, man wisse genau, wie die Konferenz abgelaufen wäre.
Zum kritischen Dialog: Wir haben auch mit Südafrika diesen kritischen Dialog geführt, er ist oft ein Vorhang gewesen, ein sehr unkritischer Vorhang für allerlei. Wir wollen nicht, daß der kritische Dialog zum Vorhang für das Verhalten eines dieser Staaten wird, die unter dem Vorhang des kritischen Dialogs ihre Politik, ihre staatlichen Aktionen im Ausland zu betreiben, einfach fortführen.
Das Mykonos-Urteil wird ja wohl bald kommen. Ich bin ziemlich sicher, daß dann auch ein deutscher Richter feststellen wird, daß hier ein Mitglied unserer Staatenfamilie, ein Mitglied, mit dem wir sehr viel zu tun haben, immer noch nicht gelernt hat, daß man sich außerhalb seiner Grenzen anständig verhält und nicht Terroristen unterstützt. Darüber kann es auch keinen religionsorientierten kritischen Dialog geben; das ist glasklar. Uns geht es darum, das einmal ganz deutlich zu sagen.
Zur Definition des kritischen Dialogs mit der Welt des Islam: Ist das wirklich das richtige Konzept? Können wir als Staat die Welt des Islam so nehmen, wenn sie sich selbst überhaupt nicht als die Welt des Islam darstellt?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Müssen wir das Konzept von Herrn Huntington und anderen Leuten, die sagen, es gehe jetzt, nach dem Ost-West-Konflikt, um den großen Konflikt der Religionen, einfach übernehmen? Handelt es sich nicht um reale Regionen, um reale Interessen, um Machtkonstellationen, um Waffenkäufe, um Einflußnahmen ganz unterschiedlicher Art? Ich denke nur an die Einflußnahme des Sudan auf Algerien.
Wenn wir das zu einer kompakten Entität erklären und sagen „der Islam" und dann nicht präzis sind, ob wir mit dem Staat oder einem Professor reden, der häufig schon im Exil ist, oder mit einem Schriftsteller, sondern einfach nur sagen, wir machen den staatlichen, bundesrepublikanischen Dialog mit „dem Islam", organisieren wir dann nicht möglicherweise eine Selffulfilling prophecy?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sind wir außenpolitisch wirklich auf der Höhe der Probleme? Ich stelle diese Frage. Diese Frage hätte ich auch bei der Konferenz gestellt. Ich fand es sehr

Freimut Duve
gut, daß Sie diese Konferenz organisiert haben. Ich hatte mich gefreut, und Frau Professor Süssmuth hatte sich bestimmt auch gefreut, an der Konferenz teilnehmen zu können. Niemand hat hier gefordert, daß diese Konferenz nicht stattfinden sollte,

(Beifall bei der SPD)

im übrigen, Herr Schäuble, auch Sie an diesem besagten Freitag nicht und der Außenminister auch nicht. Hinterher wird so getan, als wäre das die Logik gewesen. Nein, Sie haben versucht, eine notwendige politische „Konfrontation" mit der Regierung des Iran zu vermeiden. Sie haben dadurch Dutzende von Staaten, viele Außenminister, Hunderte von Wissenschaftlern düpiert. Das war ein falsches Verhalten, Herr Außenminister.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307024900
Nun spricht der Abgeordnete Heinrich Lummer.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: APO!)


Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1307025000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Außenpolitik demokratischer Staaten wird, denke ich, immer wieder vor der Frage stehen: Wie hältst du es mit jenen Ländern, die die Menschenrechte mißachten und auch sonst keine Zierde der Völkerfamilie sind? Manchmal hat man das Bedürfnis, laut zu schreien, wenn Verletzungen der Menschenrechte auftreten, manchmal weiß man auf Grund der Erfahrung: Es ist besser, stille Diplomatie zu betreiben, weil sie erfolgreicher sein kann. Eine probate, für alle Fälle gültige Antwort auf diese Frage gibt es im Grunde nicht. Insofern ist es immer wieder eine Frage der politischen Bewertung und Entscheidung im Einzelfall.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wenn man hier den kritischen Dialog in Anspruch nimmt, dann gibt es gute Gründe, auch den Iran in den kritischen Dialog mit und über die islamische Welt einzubeziehen. In der konkreten Situation gab es begründete und verständliche Gefühle, diesen Herrn nicht nach Bonn zu wünschen. Für mich ist es fast eine Selbstverständlichkeit, daß man bei einer solchen Fragestellung nie alle unter einen Hut bekommt. Ich bin nicht geneigt, eine Niederlage der Regierung in der Abstimmung zu sehen, wenn einige Abgeordnete von ihrem Recht des Art. 38 des Grundgesetzes Gebrauch machen. Was hat das mit Niederlage zu tun?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe den Eindruck, es war das Ziel der Opposition, eine Niederlage der Regierung zu produzieren.
Aber glauben Sie bitte nicht, daß Sie mit solchen
Methoden einen Buddha vom Sockel stoßen. Das ist doch gar nicht drin.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir einmal sehen!)

Meine Damen und Herren, es ist eine Entscheidung des Bundestages getroffen worden. Es ging, Herr Duve, um die Frage: Was ist das Wesentliche? Die Entscheidung des Bundestages ist da, und die Bundesregierung hat ihre Konsequenzen daraus gezogen. Sie hat in eigener Verantwortung abwägen müssen: Was wird nach einer solchen Entscheidung des Bundestages aus dieser Konferenz, wenn ich formal den Beschluß des Bundestages erfülle? Dann ist die Konferenz als Ganzes nicht nur problematisiert, sie ist schlechterdings in Frage gestellt. Das hat Kollege Schäuble und das hat auch der Außenminister gesagt. Das muß die Regierung abwägen. Sie hat im Kern dem Petitum des Bundestages Rechnung getragen. Daran kommt niemand vorbei, und das sollten auch wir so sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der F.D.P.)

Nun wollen wir nicht rückwärts blicken. Ich denke, wir wollen vorwärts blicken. Beide Seiten des Hauses haben bei dieser Entscheidung, denke ich, Gutes im Schilde geführt. Das, was wir wirklich wollen, ist doch nicht mehr oder nicht weniger, als daß die Konferenz stattfindet. So sollten wir uns jetzt in dem Willen einig sein - das sagen wir dem Außenminister auch, indem wir diese Bitte äußern -, diese Konferenz möglichst bald durchzuführen, um den Dialog mit der islamischen Welt, die so vielfältig und unterschiedlich ist wie alle anderen Teile der Welt auch, zu führen.
Das, denke ich, ist die Einigkeit, die wir hier haben. Ansonsten sollten wir uns nicht über den Schnee von gestern streiten.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307025100
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Rudolf Bindig.

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1307025200
Herr Solms, wenn Sie sich hierherstellen und das ernstgemeinte Verhalten einer ganzen Reihe von Abgeordneten dieses Hauses einschließlich 50 Abgeordneter der Koalitionsfraktionen und auch einiger Leute aus der F.D.P. und der Bundestagspräsidentin als „Kaspertheater" bezeichnen, dann müssen Sie einmal überlegen, ob Sie nicht Ihre Haltung korrigieren müßten.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Zuhören! Fischer, habe ich gesagt!)

Ohne Zweifel ist der Iran in dem Bereich. Menschenrechte eines der Hauptproblemländer. Es gibt Probleme im Verhalten des Irans nach innen, und es gibt Probleme im Verhalten des Irans nach außen.

Rudolf Bindig
Die UN-Menschenrechtskommission hat sich wiederholt besorgt geäußert über die große Zahl der Exekutionen, über Folter und grausame, unmenschliche und erniedrigende Formen der Behandlung oder Bestrafung, über die Mißachtung internationaler Rechtsstandards im Gerichtswesen, über mangelnde Garantien eines fairen Gerichtsverfahrens, über die Diskriminierung religiöser Minderheiten, insbesondere der Bahai, sowie über mangelnden Schutz christlicher Minderheiten gegen Einschüchterungen und Mordanschläge. Es ist eine große Zahl von Todesurteilen dokumentiert, die ohne faire Verfahren zustande gekommen sind.
Nach außen haben wir uns mit der Tatsache auseinanderzusetzen, daß mehr als 65 iranische Dissidenten seit 1979 im Ausland ermordet worden sind. Der Iran unterstützt die Gegner des Friedensprozesses, der zwischen der PLO und Israel in Gang gekommen ist. Es gibt immer wieder Hinweise darauf, daß er den Terrorismus nach außen trägt: Hamas-Bewegung und Hisbollah-Bewegung.
Ich glaube, das muß man, selbst wenn man für den Dialog eintritt, wissen. Man muß immer im Hinterkopf haben, auf welch schwieriger Grundlage ein solcher Dialog geführt werden muß.
Wichtig ist mir, noch einmal zu sagen, daß sich der Iran in seinem Verhalten nicht auf den Islam berufen kann. Der Islam ist keine Religion des Mordes, der Anschläge, des Terrorismus und der Geiselnahme. Menschenrechtsverletzungen kann man nicht aus der islamischen Tradition herleiten. Viele islamische Rechtsgelehrte haben dies herausgearbeitet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Trotzdem sehen wir natürlich, daß der Iran kein Block ist, daß die Führung differenziert zu betrachten ist, daß es in diesem Land zu einer Ausdifferenzierung kommt und dort ein Machtkampf im Gange ist. Das sieht man auch daran, daß der kritische Menschenrechtsdialog mit Deutschland in den Medien von bestimmten Gruppierungen im Iran teilweise heftig kritisiert und angegriffen wird. Wir sehen, daß es Bemühungen gibt, den Dialog wirklich ernsthaft zu führen. Ich muß sagen, ich bewundere teilweise, mit welch hohem Risiko und mit welch großem Mut einige iranische Politiker im Vergleich zu ihrem Land diesen Dialog mit uns führen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es kommt zu Ausdifferenzierungen: Eine Abteilung im iranischen Außenministerium und ein Ausschuß der Justiz für Menschenrechte sind geschaffen worden. Auch das Parlament hat einen Menschenrechtsausschuß gebildet. Wir wissen nicht genau, was Schein und was Sein ist, was Ernst ist. Aber wir müssen natürlich versuchen, das Ernsthafte aufzunehmen und weiterzuentwickeln.
Mir erscheint es wichtig, daß wir in diesem Dialog einige Punkte aber auch in bezug auf uns selbstkritisch aufarbeiten. Da ist zum einen: Was haben wir eigentlich gesagt, als der Irak den Iran überfallen hat? Ist dieser Überfall bei uns hinreichend kritisiert worden?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Da ist zum anderen die Frage: Sind wir bereit, die Menschenrechtsverletzungen der Terrorgruppen und der Oppositionsgruppen zu erwähnen und in den Dialog einzubeziehen?
Ich bin zwar für den Dialog, aber auch in diesem Dialog gibt es manchmal Punkte, wo man an eine Schwelle kommt und sagen muß: Jetzt muß ein deutlicher Akzent gesetzt werden. Dieser deutliche Akzent war einfach nötig, nachdem Herr Rafsanjani die Äußerungen über Rabin gemacht hat. Es war nötig, zu sagen, daß wir uns das jetzt nicht gefallen lassen, und einen deutlichen Akzent zu setzen. Ich verstehe auch gar nicht die Ängstlichkeit der Bundesregierung in ihrer Reaktion darauf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Denn der Iran läßt den UN-Menschenrechtssonderbeauftragten Galindo Pohl, der die Weltgemeinschaft aufgerufen hat, in den Iran zu gehen, nicht ins Land einreisen. Auch das ist ein Affront gegen die Weltgemeinschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Warum kann man nicht einmal sagen: Hier seid ihr an Grenzen gestoßen? Hier ist trotz allen Dialoges etwas, wo wir deutlich sagen: Wir müssen jetzt darauf reagieren. Trotzdem können wir eine Bestandsaufnahme des kritischen Dialoges machen und schauen, wo und in welcher Form wir diesen Dialog fortsetzen, und zwar nicht nur mit dem Iran, sondern selbstverständlich mit der ganzen islamischen Welt, mit der wir den Dialog wollen. Eine solche differenzierte Herangehensweise wäre nötig. Da haben Sie sich einfach unangemessen verhalten, Herr Kinkel. Das muß kritisiert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307025300
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Andreas Schockenhoff.

Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1307025400
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns alle einig, Herr Duve: Der Zusammenstoß der Zivilisationen, der „clash of civilizations", wie ihn Huntington beschreibt, muß verhindert werden. Dazu sind zwei Dinge nötig:
Erstens müssen wir die islamischen Länder unterstützen, damit sie die sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten in ihren Ländern überwinden. Damit wird den Islamisten der wichtigste Nährboden entzogen.
Zweitens müssen wir auch mit denen reden, die sich zu diesem Islamismus bekennen und ihn weiter verbreiten wollen. Dazu gehört ohne Zweifel die isla-

Dr. Andreas Schockenhoff
mische Republik Iran. Es hat keinen Zweck, nur über die Akteure zu reden, wir müssen mit ihnen reden.
Wir brauchen den interreligiösen Dialog, wir brauchen Begegnungen und Austauschmaßnahmen, wir brauchen die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften aus Europa und Ländern der arabischen Welt. Wir brauchen vor allem aber auch den Dialog mit den politisch Verantwortlichen.
Darum wäre es ein Fehler, auf die Beteiligung des Iran an der Islam-Konferenz zu verzichten. Das wäre, wie wenn man versuchen wollte, die künftige Strategie der NATO ohne die USA zu beschließen.

(Freimut Duve [SPD]: Na, na! Man muß als Politiker mit dem Vergleich ein bißchen vorsichtiger sein!)

Wenn irgendeine Regierung, Herr Duve, wirklichen Einfluß auf die Islamisten hat, dann ist es die iranische. Wir müssen mit denen reden, die Einfluß haben, wenn wir etwas verändern wollen.

(Freimut Duve [SPD]: Na, na! Lassen Sie diesen Vergleich nicht den jordanischen König hören!)

Wir haben alle - das ist hier jedesmal gesagt worden - die Äußerungen aus dem Iran zum Mord am israelischen Ministerpräsidenten verurteilt. Die Mehrheit der Koalitionsabgeordneten wollte im Vorfeld der Islam-Konferenz deshalb eine eindeutige Erklärung der iranischen Regierung, in der sie die Äußerungen zurücknimmt.
Ausgrenzung, Herr Bindig, Isolierung ist doch nicht die geeignete Reaktion. Vielmehr wollten wir einen Rückweg bauen, damit die iranische Regierung aus dieser Sackgasse, in die sie sich begeben hat, zurückfindet.
Wir wissen auch: Ohne den kritischen Dialog wird sich nichts ändern. Wir müssen den Iranern klar sagen, wo wir nicht bereit sind ihr Verhalten hinzunehmen. Dies tut der Bundeskanzler, das hat auch der Außenminister getan. Damit man dies aber wirkungsvoll tun kann, muß man im Gespräch bleiben. Darum war es auch richtig, die Islam-Konferenz zu verschieben.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich wundere mich, daß ausgerechnet die SPD diese Aktuelle Stunde beantragt hat. Von Ihnen haben wir doch in der Vergangenheit den Begriff „Wandel durch Annäherung " gehört.

(Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD] Zurufe von der SPD)

Volker Rühe hat vor einigen Jahren in diesem Hause einmal gesagt, das sei manchmal zum „Wandel durch Anbiederung"verkommen. Er hat damit nichts anderes gemeint als die Art und Weise, wie sozialdemokratische Regierungen in der Vergangenheit mit menschenrechtsverletzenden kommunistischen Diktatoren umgegangen sind.
Aber wenn Sie Ihr eigenes Verhalten aus den 70er und 80er Jahren zum Maßstab machen würden, dann wüßten Sie, wie wichtig der Dialog gerade auch mit denen ist, die grundsätzlich andere Meinungen vertreten.
Diese Regierung biedert sich nicht an, weder bei Islamisten noch bei sonst irgendwem. Diese Regierung führt zusammen mit ihren Partnern der Europäischen Union mit der islamischen Republik Iran einen nicht immer einfachen kritischen Dialog. Sie führt diesen Dialog im Interesse unserer eigenen Bevölkerung, aber auch im Interesse der Menschen in der arabischen Welt. In ihrem und in unserem Interesse müssen wir den Dialog fortsetzen. Dazu gehört auch die jetzt verschobene Islam-Konferenz.
Sicherheit und Stabilität in der Region können nicht ohne oder gar gegen den Islam geschaffen werden. Wir brauchen den Dialog mit der islamischen Welt und keinen Dialog über die islamische Welt. Dazu sollte die Regierung die Islam-Konferenz zum geeigneten Zeitpunkt nutzen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307025500
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Christoph Zöpel.

Dr. Christoph Zöpel (SPD):
Rede ID: ID1307025600
Herr Präsident! Die Auseinandersetzungen und Handlungen der Regierung um die Islam-Konferenz können wohl kaum jemanden glücklich machen, der - wie ich - meint, daß die Auseinandersetzung und der Dialog mit Staaten, die überwiegend von Muslimen bewohnt sind, für diese verengte Welt existenznotwendig sind.

(Beifall bei der SPD)

Diese Auseinandersetzung und der Dialog mit Staaten der islamischen Welt und mit Muslimen - Staat und Zivilgesellschaft muß man auch in diesen Ländern trennen - sollten aus meiner Sicht mit jedem stattfinden: im Prinzip mit jedem Staat und im Prinzip auch in jedem Staat mit allen politischen Gruppierungen. Es gibt eine Grenze; das ist die aktive Beteiligung oder die Rechtfertigung internationalen Tenorismus.

(Beifall bei der SPD)

Sonst muß man reden können.
Aber wenn Staaten miteinander reden und wenn der Dialog zwischen Staaten in den Staaten wahrgenommen und damit ein Problem der Innenpolitik wird - was legitim ist -, dann sollte man Signale sorgfältig beachten.
Was ist hier passiert, Herr Bundesaußenminister? Eine beabsichtigte Maßnahme der Bundesregierung hat nicht die Mehrheit in diesem Hause gefunden, aber nicht dadurch, daß ausschließlich Abgeordnete der Opposition dagegen waren,

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Die, die noch da waren!)

sondern auch Abgeordnete der Koalition. - Herr Kollege Schockenhoff, Ihr Zwischenruf an dieser Stelle

Dr. Christoph Zöpel
ist verständlich. Aber er zeigt, wie Sie ein Problem verdrängen wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Denn die Regierung hätte nicht verlieren können, wenn es nur Abgeordnete der Opposition gewesen wären.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Es ist ein Irrtum, zu meinen, daß es ein Problem seil Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie sind zu wenige! Das ist Ihr Problem!)

- Herr Kollege, es ist das ganz normale Problem der Opposition, daß sie normalerweise keine Abstimmung gewinnt. Das ist schön für Sie, und das ist das Schicksal der Opposition. Hier hingegen war das Politikum, daß die Regierung keine Mehrheit hatte, weil auch Abgeordnete der Koalition nicht mit ihr gestimmt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das sollte man nicht durch Zwischenrufe, die einen
selber einlullen, wegwischen, sondern ernst nehmen.
Aus dieser Tatsache, Herr Bundesaußenminister, hätte die Bundesregierung, wenn sie klug beraten gewesen wäre, die Konsequenz gezogen, mit allen Parteien darüber zu sprechen, was zu tun sei. Denn sie hat keine Mehrheit gehabt, weil in allen Parteien ihre Politik nicht voll getragen wurde.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diesen Punkt sehe ich deutlich. - Das war das Innenpolitische.
Zum außenpolitischen Signal. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob der Außenminister hätte ausgeladen werden sollen oder nicht. Ich sage ganz bewußt: Man kann darüber unterschiedlicher Meinung sein.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Nur glaube ich, die Tatsache, daß eine Mehrheit des Deutschen Bundestages mit Abgeordneten auch aus den Regierungsfraktionen dieses politische Signal gesendet hat, ist für den internationalen Dialog mit dem Iran nicht schlecht, sondern gut und wird dort vielleicht sogar eher verstanden, als mancher glaubt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Regierung des Iran scheut in zig Fällen nicht davor zurück, die angebliche Erregung ihrer Bevölkerung dazu zu benutzen, Stürme auf westliche Botschaften zu organisieren. Sie wissen das von den Berichten der deutschen Botschafter dort. Das Instrument, die Tatsache zu nutzen, daß sich irgend jemand außerhalb der Regierung aufregt, um Politik zu machen, ist im Iran gang und gäbe.

(Freimut Duve [SPD]: Und die Aufregung zu organisieren!)

Es gibt keinen geeigneten Vergleich zwischen dem, was der Iran macht, und dem, was im Deutschen Bundestag ist. Trotzdem sage ich: Es ist kein falsches internationales Signal, wenn die Regierung im Iran und andere Regierungen wissen: Äußerungen des Staatspräsidenten dieses Landes können ein demokratisch gewähltes Parlament quer durch die Fraktionen zu einer Entscheidung bringen, die besagt: Das nehmen wir nicht hin.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Ich glaube, es ist gut, daß die Regierung des Iran das nun weiß, gleichgültig, wie man die Entscheidung beurteilt, wenn man sie rational und lange abwägt und alle Einzelheiten der Meinungen in diesen Ländern kennt. Ich finde, allein die Tatsache, daß sich ein demokratisches Parlament in Deutschland, in Europa über eine Äußerung des iranischen Staatspräsidenten so erregt, daß es quer durch die Parteien diese Entscheidung getroffen hat, ist ein gutes und wahrscheinlich nützliches Signal für die Auseinandersetzung zwischen Europa und dem Islam.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Hätte man deshalb - das ist mein dritter Punkt - absagen müssen? Auch da kann man unterschiedlicher Meinung sein, Herr Bundesaußenminister.

(Karl Lamers [CDU/CSU]: Das ist ja schon einmal etwas!)

Ich sage das ganz bewußt. Ich habe mich gefragt: Was macht man? Ich habe schon darauf hingewiesen: Nach dieser Entscheidung hätte ein Gespräch mit allen Parteien vielleicht Sinn gemacht und hätte allen Parteien die Chance bieten können, ihre Erfahrungen und ihre Kontakte zu Repräsentanten islamischer Staaten zu nutzen.
Es gibt durchaus Staaten, die ihre Vertreter geschickt hätten. Das hätte eine Chance geboten - vielleicht auch mit dem Effekt, daß wir etwas gelernt hätten -, die Äußerungen von Rafsanjani eventuell sogar zu relativieren. Ich füge hinzu: Repräsentanten islamischer Staaten, die mit dem Iran wenig gute Beziehungen haben, beurteilen das anders als wir. Hierin aber hätte eine Möglichkeit bestanden.
Ich fasse zusammen: Ich glaube, eine Regierung, die im Parlament eine Niederlage erfährt, weil auch Vertreter der sie tragenden Parteien gegen sie stimmen, sollte, bevor Konsequenzen gezogen werden, mit allen Parteien sprechen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Kontakte zu Ländern des Islam zu nutzen, bevor eine Entscheidung fällt. Möglicherweise hätten wir alle zusammen eine Entscheidung mitgetragen, die die Konferenz hätte stattfinden lassen und die dem Iran eine international wichtige Nachricht über sein Verhalten hätte zukommen lassen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307025700
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Albert Probst das Wort.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1307025800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal an das Thema unserer heutigen Aktuellen Stunde erinnern: Haltung der Bundesregierung zur Verschiebung der Islam-Konferenz. Bisweilen haben wir hier Auseinandersetzungen, als ob es um den inneren Zustand des Iran und seine Bewertung ginge. Wir sind uns, so hoffe ich, weitgehend einig, daß das nicht unser Thema, sondern ein Scheinthema ist.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Natürlich verstehe ich die Sozialdemokraten sehr gut und weiß, warum sie dieses Thema noch einmal aufgreifen. Ich war im Deutschen Bundestag 13 Jahre lang in der Opposition; das liegt weit zurück.

(Rudolf Bindig [SPD]: Es wird Zeit, daß Sie wieder reinkommen!)

In diesen 13 Jahren habe ich ein- oder zweimal erlebt, daß wir eine Mehrheit gegen die Regierung zustande gebracht haben.
Sie haben letztens die einmalige Gelegenheit gehabt, eine Mehrheit zustande zu bringen. Das ist natürlich gerade angesichts des Zustands, in dem Sie sich befunden haben, ein gewaltiges Erlebnis.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Aber es hat dem Herrn Scharping trotzdem nicht geholfen!)

Jetzt haben Sie aber ein zusätzliches Problem.

(Freimut Duve [SPD]: Jetzt geht's aber los! Dann mal los!)

Dieser Sieg, den Sie errungen haben, war nicht von Ihnen veranlaßt, Herr Duve; denn der Antrag kam nicht aus Ihrer Fraktion.

(Freimut Duve [SPD]: Ach nee! Das haben Sie herausbekommen?)

- Natürlich. Jetzt haben Sie aber einen Erfolg gehabt, und damit auch Sie dabei sind, haben Sie die heutige Veranstaltung veranlaßt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. - Freimut Duve [SPD]: Das ist ja eine geniale Argumentation! - Rudolf Bindig [SPD]: Reden Sie mal zum Thema!)

Wissen Sie, was Sie gemacht haben? Sie haben den dürrsten politischen Knochen, den es überhaupt gibt, noch einmal abgefisselt. Das ist die Wirklichkeit.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Rudolf Bindig [SPD]: Und es kam ein Gerippe heraus!)

Jetzt möchte ich zur Sache zurückkommen.

(Rudolf Bindig [SPD]: Ist der Kinkel der dürrste Knochen?)

Erstens. Es wäre sehr verhängnisvoll, wenn wir eine politische Kultur weiter voranschreiten ließen,

(Freimut Duve [SPD]: Dann sollten wir nicht von „Knochen" reden!)

in der es an der Tagesordnung ist, daß man öffentlich Freude über den Mord an einem anderen Menschen verkündigt. Es ist bereits widerlich, wenn eine klammheimliche Freude, wie in unserem Land, dabei aufkommt. Es ist aber unerträglich, wenn es zwischen Regierungsverantwortlichen, staatlichen Repräsentanten zur Selbstverständlichkeit wird. Das ist verabscheuungswürdig, gleichgültig, wer das tut.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Zweitens. Die Diskussion mit islamischen Gruppierungen - Herr Duve, ich greife ausdrücklich auf, was Sie gesagt haben: es gibt nicht den Islam - ist außerordentlich wichtig. Der Straßburger Europarat hat sich mit dieser Frage eingehend und immer wieder befaßt. Es ist begrüßenswert, Herr Bundesaußenminister, daß auch Sie eine solche Initiative ergriffen haben, wohlwissend, daß Sie damit nicht das ganze Spektrum des Islam abdecken können, wohl aber, daß Sie einen wesentlichen Beitrag leisten.
Sich mit dem Islam auseinanderzusetzen hat natürlich viele Facetten. Sie sind heute zum Teil genannt worden. Ich möchte nicht näher darauf eingehen. Bloß, was hätte denn der Bundesaußenminister angesichts der politischen Diskussion in Deutschland anderes tun sollen, als diese Konferenz abzusagen? Nachdem dieses Thema hier erst einmal diskutiert worden ist, hätte der Außenminister diese Konferenz wahrscheinlich sogar abgesagt, wenn Sie Ihren Antrag gar nicht eingebracht hätten. Das war das, was der Herr Schäuble gemeint hat.

(Freimut Duve [SPD]: Nein, nein!) Somit besteht hier überhaupt keine Differenz.


(Widerspruch bei der SPD Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

- Herr Fischer, Sie interessiert doch die Sache überhaupt nicht; Sie wollen doch nur den Zirkus darum.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das andere ist ja gar nicht Ihr Problem.

(Zustimmung bei der CDU/CSU) Herr Kinkel, Sie haben goldrichtig reagiert.

Meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, daß Sie an dieser Stelle einen Keil in die Regierungskoalition treiben können,

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bitte Sie! Eine abwegige Vorstellung!)

dann irren Sie sich völlig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Albert Probst
Herr Kinkel, Sie haben richtig gehandelt, und Sie haben nicht, wie hier gesagt worden ist, dem Parlament ins Gesicht geschlagen; es sind ja noch kräftigere Ausdrücke gefallen. Nein, Sie haben das gesagt, was Sie auch in Ihrem Diensteid gesagt haben: Sie werden Schaden von unserem Volk wenden.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Es wäre ein Schaden gewesen, wenn man diese Konferenz jetzt durchgeführt hätte. Darum danke ich Ihnen ausdrücklich und herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Lachen bei der SPD Rudolf Bindig [SPD]: Das war ja wohl nichts! Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mit dem Zirkus war nicht schlecht, den Sie hier veranstalten!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307025900
Nun erteile ich dem Abgeordneten Otto Schily das Wort.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1307026000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich verstehe jetzt eigentlich gar nicht mehr, wie sich die Diskussionslage ausnimmt.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das glaube ich Ihnen!)

Der Kollege Schäuble sagte eingangs: Eigentlich war die Absage der Islam-Konferenz aus der Situation nach dem Attentat auf Yitzhak Rabin heraus eine Selbstverständlichkeit. - Der letzte Beitrag klingt ähnlich.
Herr Außenminister, ich würde Sie gerne fragen: Haben Sie denn mit der Präsidentin des Deutschen Bundestages, die ja ebenfalls für den Beschluß gestimmt hat, einmal darüber gesprochen, ob sie mit dieser Entscheidung gemeint hat, daß die Islam-Konferenz abgesagt werden sollte? Es wäre doch vielleicht für Sie und auch für das Koalitionsklima ganz gut gewesen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Machen Sie sich da keine Sorgen!)

wenn Sie gerade mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, die zum Teil von Herrn Glos abgehalten werden sollten, ihr Abgeordnetenmandat frei wahrzunehmen,

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Freimut Duve [SPD]: Physischer Einsatz von Herrn Glos!)

einmal im Sinne dessen gesprochen hätten, was mein Freund Christoph Zöpel hier heute gesagt hat.
Herr Außenminister, ich muß ja sagen, ich fand es sehr lobens- und unterstützenswert, daß Sie diese Islam-Konferenz versucht haben. Ich habe - das ist hier richtig dargestellt worden - durchaus bewußt meine Teilnahme daran angekündigt. Ich glaube, daß Sie in bezug auf dieses Vorhaben die Unterstützung aller Teile dieses Hauses gefunden haben.

(Beifall bei der SPD)

Aber um so mehr verwundert es, daß Sie ein so wichtiges Vorhaben auf Grund eines Beschlusses des Bundestages, der ganz anders gemeint war, dann aufgeben. Um so schlimmer ist die Aufgabe eines solchen Vorhabens.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Widerspruch bei der CDU/CSU)

Herr Außenminister, ich gehöre zu denen, die Ihre persönliche Integrität besonders hoch zu schätzen wissen; das will ich hier durchaus deutlich sagen. Um so schwerer fällt es mir, zu sagen, daß Sie in dieser Situation keine gute Figur gemacht haben. Ich hatte den Eindruck, Sie waren völlig konsterniert von dieser Entscheidung. Was müssen wir denn von einem Außenminister halten, der dann sagt, er sei überrascht gewesen und habe sich deshalb anders entschieden, von einem Außenminister, der deshalb diese überstürzte Absage zustande gebracht hat?

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das war keine Absage!)

Was müssen wir von einem Außenminister halten, der bei einer Lage, auf die er nicht gefaßt ist, die Fassung verliert? Dabei kann doch keine gute Außenpolitik herauskommen, Herr Außenminister.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Zuruf von der CDU/CSU: Euch passiert doch auch etwas Unvorhersehbares, oder nicht?)

Ich denke, Sie haben die Konsequenzen gar nicht gut bedacht. Sie hätten tatsächlich auf die Idee kommen sollen, auf die Sie der Kollege Christoph Zöpel hier heute hingewiesen hat, nämlich sich in einer solchen Situation einmal mit allen Teilen dieses Hauses zu verständigen, damit nicht ein Schaden angerichtet wird, der jetzt angerichtet worden ist. Denn die Absage dieser Islam-Konferenz

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie ist nicht abgesagt!)

ist ein Schaden, der sich nicht so leicht reparieren läßt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir schaffen das schon!)

Es könnte ein Zeichen sein, daß die Außenpolitik der Bundesregierung eine unstete und unsichere wird. Davor sollten wir uns alle gemeinsam bewahren.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307026100
Ich erteile nun dem lieben Kollegen Hans Klein das Wort.


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1307026200
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! In der gegebenen Situation an jenem Freitag hat der Bundesaußenminister klug entschieden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

Wenn wir ehrlich sind und dieses Thema nicht einfach zum politischen Streit benutzen, dann müssen wir zugeben: Vor dem Hintergrund der vom Parlament gewünschten Ausladung war es das Richtige, die Konferenz zu verschieben; denn sonst wäre die Konferenz in der Tat eine Konferenz über den Iran und über die Ausladung von Welajati geworden. Bei aller Anerkenntnis Ihrer differenzierten Darstellung der Situation, Herr Kollege Duve und Herr Kollege Bindig, gibt es auch in diesem Bereich so etwas wie eine gruppendynamische Solidaritätsbekundung bei solchen Anlässen.
Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen daran, wie die arabische Welt auf die Bombardierung Libyens reagiert hat. Vorher gab es unter den Arabern wenig Sympathien für Libyen; aber sie haben sich damals für eine ganze Weile an die Seite Libyens stellen müssen.

(Otto Schily [SPD]: Wollen Sie diesen Vorgang mit der Bombardierung Libyens vergleichen?)

Wenn wir miteinander ehrlich sind, dann müssen wir sehen:

(Otto Schily [SPD]: Was ist das für ein merkwürdiger Vergleich?)

Wir Deutschen sind in dieser Frage, in Sachen Israel, in einer Situation wie kein anderer auf der Welt.

(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Wieso?)

- Karsten, es ist so. Das kann niemand bestreiten. In dem Augenblick, wo ein israelischer Ministerpräsident ermordet wird, sind die Reaktionen der Deutschen zwangsläufig anders als die Reaktionen aller anderen auf der Welt.

(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Es geht um jedes Staatsoberhaupt!)

- Es ist trotzdem so.
Unsere besondere Verantwortung gegenüber dem Staat Israel verstehen auch die Araber und auch die Iranis, wenn man ihnen das darlegt. Sie würden uns im Gegenteil nicht besonders achten, wenn wir uns anders verhielten. Dies darf uns allerdings nicht davon abhalten, die aktuelle Politik, wie sie sich in jenem Raum vollzieht, vernünftig einzuschätzen, objektiv einzuschätzen. Aber unsere Reaktionen, auch die verbalen, werden immer anders sein als die anderer. Wir können es gar nicht wünschen - das hat auch niemand getan -, daß wir in diesem Haus etwa die Motivation von Rafsanjani für seine Reaktion auf die Ermordung von Schakaki, dem Dschihad-Führer, im Detail untersuchen. Darauf bezog er sich schließlich mit seiner Äußerung.

(Rudolf Bindig [SPD]: Der eine war ein Terrorist!)

- Ja, natürlich.
Es ist auch nicht unseres Amtes, hier etwa die jüdischen Stimmen aus New York zu zitieren, die ihrerseits Freude über die Ermordung von Ministerpräsident Rabin artikulieren,

(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Auch das ist inakzeptabel!)

die Geld für den Mörder sammeln. Dies alles ist für uns nicht akzeptabel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD Rudolf Bindig [SPD]: Für niemanden!)

Wohl aber müssen wir, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen - und ich finde, halten zu Gnaden, der Begriff „kritischer Dialog" ist so etwas wie ein Fassadenwort -,

(Zustimmung des Abg. Freimut Duve [SPD])

den Dialog mit allen führen. Wenn wir über den Islam reden, müssen wir vor allem mit denen reden, von denen die gefährlichsten Entwicklungen ausgehen.
Lassen Sie mich zum Schluß einen Satz aus einer Sure des Koran, der Imran-Sure, zitieren. Dort heißt es:
Oh, Ihr Besitzer des Buches, kommt herbei zu einem Wort, das uns und Euch gemeinsam ist, daß wir niemandem dienen außer Gott.
Gemeint sind mit den Besitzern des Buches, aufgerufen von den Mohammedanern, die Christen und die Juden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1307026300
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 23. November 1995, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.