Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: erstens Zwischenbericht zu den Vorstellungen über die Strukturierung der Treuhandanstalt nach 1994, zweitens Markenrechtsreformgesetz.
Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Bundesministerium der Finanzen hat dem Bundeskabinett heute einen Zwischenbericht über die Strukturierung der Treuhandaufgaben nach 1994 und die notwendigen gesetzlichen Regelungen für die abschließende Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt nach 1994 vorgelegt. Das Bundeskabinett hat diesem Bericht zugestimmt.Die Neustrukturierung ist erheblich früher als erwartet notwendig geworden. Dies wurde ermöglicht durch die erfolgreiche Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt. Die Treuhandanstalt hat ihren Kernauftrag bis Ende 1994 weitgehend erfüllt. Seit 1990 hat sie über 13 200 Unternehmen privatisiert. Einschließlich der Reprivatisierungen, der Privatisierungen im Rahmen der „kleinen Privatisierung" — das waren die Bereiche Handel, Dienstleistungen usw. — und des Verkaufs von Liegenschaften — überwiegend für gewerbliche Zwecke — wurden bis heute insgesamt etwa 47 000 Privatisierungen durchgeführt.Diese Leistung wurde unter schwierigen Bedingungen erbracht. Den Fällen, die nicht ordnungsgemäß verlaufen sind und die der Treuhandanstalt oder dem für die Rechts- und Fachaufsicht verantwortlichen Bundesministerium der Finanzen bekanntwerden, wird unnachsichtig nachgegangen.Die Präsidentin der Treuhandanstalt hat soeben darauf hingewiesen, es habe bisher 99 Ermittlungsverfahren gegeben, von denen 36 eingestellt worden seien und bisher nur eines zur Verurteilung von drei Beschäftigten geführt habe. In der Hälfte der Fällehabe die Treuhandanstalt der Staatsanwaltschaft den Anstoß zu Ermittlungen gegeben.Auch wenn der Kernauftrag bis Ende 1994 weitgehend erfüllt ist, so verbleibt doch weiterhin ein breites Aufgabenspektrum mit vielfältigen Aufgaben wie z. B. die Beteiligungsführung der verbliebenen Management-KGen und der noch vorhandenen Großunternehmen, das Vertragsmanagement — es geht um 47 000 Privatisierungsverträge —, die Betreuung und Verwaltung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens in der Bodenverwertungs- und -verwaltungsGmbH, die Betreuung bzw. Verwaltung der Immobilien in der Treuhandliegenschaftsgesellschaft, TLG, die langfristigen Abwicklungsfälle z. B. im Bergbau, von Kernkraftwerken, KoKo- und Parteivermögen, die hoheitlichen Aufgaben wie z. B. Kommunalisierung und Vermögenszuordnung.Die Überführung dieser Aufgaben in effiziente Organisationsstrukturen wird in dem vom Bundesministerium der Finanzen und vom Kabinett gebilligten Zwischenbericht dargelegt. Die wesentlichen Eckpunkte sind: Die Ende 1994 noch vorhandenen weniger als 100 Unternehmen — überwiegend in der Beteiligungsbetreuung der Management-KGen — und die gegebenenfalls verbleibenden sanierungsfähigen Großunternehmen sollte der Bund übernehmen. Entsprechend dem Treuhandgesetz bleibt es bei dem Ziel, sie weiterhin zügig zu privatisieren.Soweit möglich, sollen die verbleibenden Aufgabenbereiche im Wege der Geschäftsbesorgung für die Treuhandanstalt durch Private wahrgenommen werden, wie dies schon in der Vergangenheit für die liegenschaftsbezogenen Aufgaben eingeleitet wurde. In diesem Sinne soll auch das Vertragsmanagement von privaten Unternehmen durchgeführt werden. Bei der Treuhandanstalt verbleibt u. a. die Aufgabe der Steuerung und Überwachung der Geschäftsbesorgungsunternehmen, die zentrale Verantwortlichkeit für die Finanzierung und die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben.Mit der Neustrukturierung werden folgende Ziele und Grundsätze verfolgt: die Überleitung möglichst vieler Aufgabenfelder auf Private, eine weitgehende Dezentralisierung, die Schaffung klar voneinander abgegrenz ter Verantwortungsbereiche und ausreichende Kontrollen durch den Bund bzw. die Treu-
Metadaten/Kopzeile:
15912 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Bundesminister Dr. Theodor Waigelhandanstalt wegen der finanziellen Auswirkungen auf den Bundeshaushalt und im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Bedeutung einzelner Entscheidungen.Neue Aufgaben werden der Treuhandanstalt nicht übertragen. Die Nachfolgeorganisation der Treuhandanstalt selbst, d. h. nach Ausgründungen und Ausgliederungen, die zur Wahrnehmung der insbesondere hoheitlichen Aufgaben auch nach 1994 erhalten bleiben muß, wird auf die strikt befristeten Restaufgaben zurückgeführt. Sie wird nicht wie bisher über die Kapitalmärkte, sondern unmittelbar über den Bundeshaushalt finanziert.Zur Umsetzung des Konzepts sind teilweise gesetzliche Regelungen erforderlich. Dies betrifft die Übertragung von Beteiligungen der Treuhandanstalt auf andere Einrichtungen des Bundes und die Neuregelung der Finanzierung. Der erforderliche Gesetzentwurf soll noch im laufenden Jahr vom Kabinett beschlossen werden, damit das Gesetz bis Mitte 1994 verkündet werden kann. Das Gesetz wird die rechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung des Konzepts schaffen.Danke schön.
Danke schön, Herr Minister.
Als erster Fragesteller hat der Abgeordnete Manfred Hampel das Wort.
Herr Minister, Sie haben eben die vielfältigen Aufgaben der Treuhand dargestellt, die nach Auslaufen des operativen Geschäfts noch verbleiben. Nun war schon zu Beginn der Treuhand abzusehen, daß ein großer Teil der Aufgaben weitergeführt werden muß. Wenn man z. B. allein an das Vertragscontrolling denkt, dann war abzusehen, daß nach den vier Jahren eine Vielzahl von Verträgen vorhanden sein wird, die auch nach 1994 zu überwachen und zu kontrollieren sind.
Was hat die Bundesregierung dazu bewogen, von dem ursprünglichen Konzept, die Treuhand aufzulösen, abzuweichen und statt dessen eine Treuhand zu belassen und nicht den Weg zu wählen, daß man in einer Koordinierung zwischen Bund und Ländern die verbleibenden Aufgaben auf Nachfolgeorganisationen überträgt? Warum soll die Treuhand als rechtliche Einheit nach 1994 bestehenbleiben?
Herr Minister.
Sie bleibt in einem erheblich eingeschränkten Umfang bestehen, und zwar nur zur Abwicklung dieser Dinge. Ich glaube, daß dies sinnvoll ist. Sonst müßten wir die wesentlichen Kräfte der Treuhandanstalt in das Bundesfinanzministerium übernehmen oder auf die regionale Ebene überführen. Wenn es bisher nicht sinnvoll war, die Treuhandanstalt zu regionalisieren — was übrigens die Länder selbst nicht wollten —, dann macht dies auch jetzt keinen Sinn. Es geht um die Abwicklung der Verträge, um eine Auslagerung wichtigster Bereiche und die Steuerung des Ganzen, was die finanziellen Dinge beim
Bund anbelangt. Ich meine, das ist eine sinnvolle Aufgabenverteilung, die, auch nach Absprache mit allen Beteiligten, eine Optimierung des Betriebsablaufs gewährleistet.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Das beantwortet aber nicht meine Frage, warum die Bundesregierung von ihrem ursprünglichen Vorhaben, die Treuhand nach Abschluß des operativen Geschäfts aufzulösen, abgewichen ist.
Wir haben immer gesagt, daß das operative Geschäft bis 1993/1994 abgewickelt ist. Das wird auch stattfinden. Die Frage, wie man anschließend die verbleibenden Aufgaben, die nicht geleugnet werden können, erfüllt, muß man zum gegebenen Zeitpunkt entscheiden. Wir sind jetzt noch im Gespräch, wie der Bund z. B. die Frage der verbliebenen Unternehmen am besten löst. Dazu wird in den nächsten Tagen auch ein Gespräch mit den Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer stattfinden.
Auch über die Frage, wie wir die TLG und die Bodenverwertungsgesellschaft gestalten, wird zu reden sein. Wir sind für Vorschläge offen. Aber das operative Geschäft geht zu Ende. Für die Abwicklung des anderen muß die beste Lösung gefunden werden. Da muß man auch neuen Erkenntnissen gegenüber, Herr Kollege, aufgeschlossen sein.
Herr Abgeordneter Kriedner.
Herr Minister Waigel, ich frage Sie im Zusammenhang mit den von Ihnen eben angesprochenen Wahrnehmungen hoheitlicher Aufgaben. Da geht es vor allem um die Kommunalisierung, bei der, wie wir wissen, noch eine Unzahl von Fällen vorliegt und wo auch Anmeldungen immer noch möglich sind. Wir hören aus der Treuhandanstalt, daß gegenwärtig wöchentlich noch über 100 Anmeldungen durch die Kommunen eingereicht werden. Nun ist aber der Anmeldeschluß für solche Anmeldungen in der Kommunalisierung gesetzlich auf Mitte nächsten Jahres festgelegt.
Meine Frage ist wie folgt: Ist damit zu rechnen, daß nach der Beendigung des originären Geschäftes der Treuhandanstalt mit der Kommunalisierung und der Wahrnehmung der hoheitlichen Aufgaben im Bereich der Sondervermögen der Parteien und Organisationen weitergemacht werden muß? Sind Sie mit mir der Auffassung, daß es zweckmäßig wäre, im Gesetz einen endgültigen Termin, etwa den 31. Dezember 1996, festzulegen, damit auf die Wahrnehmung und den Abschluß dieser Aufgaben Druck ausgeübt wird, und dann verbleibende Restaufgaben auf geeignete Institutionen, etwa bei den Ländern, zu übertragen?
Herr Kollege, ich bin gerne bereit, eine solche Anregung mit Ihnen und mit anderen Beteiligten zu debattieren. In diese Materie haben sich verschiedene Kollegen intensiv eingearbeitet. Ich meine, wir müs-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15913
Bundesminister Dr. Theodor Waigelsen für solche Vorschläge offen sein. Wenn wir den Gesetzentwurf in absehbarer Zeit einbringen und bis Mitte 1994 verabschieden, dann, so glaube ich, bleibt uns genügend Zeit, um Terminfragen so zu berücksichtigen, daß sie im Gesetz befriedigend gelöst werden können, auf der anderen Seite aber der Druck groß genug ist, um die Dinge abzuwickeln.Wir stehen diesen Fragen aufgeschlossen gegenüber. Dies ist kein festgeschriebenes Konzept, sondern es ist in manchen Bereichen noch offen und kann mit den Beteiligten, mit dem Parlament und mit anderen Häusern weiterdiskutiert werden.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie von Ihrem Haus auf den künftigen Namen der Institution festgelegt, oder sind Sie offen für eine Diskussion, das Unternehmen „Treuhandanstalt II" — so will ich es einmal bezeichnen — künftig auch anders zu benennen?
Ich habe von dieser Diskussion noch nichts gehört. Folglich bin ich nicht festgelegt. Ein Haus kann festgelegt sein; ein Minister darf nie von seinem Haus festgelegt werden, sondern muß immer selbständig entscheiden. Letztlich hat sich das Haus auch an das zu halten, was der Minister entscheidet. Aber der Minister ist immer offen für solche Gedanken aus dem Hohen Hause. Ob eine Neubenennung sinnvoll ist oder nicht, darüber möchte ich mit Ihnen, Herr Kollege, und anderen noch reden.
Herr Abgeordneter Rolf Schwanitz.
Herr Minister, Sie sprachen in der Antwort auf die Frage meines Fraktionskollegen Manfred Hampel davon, daß Sie in der weiteren Diskussion besonders auch den Intentionen der ostdeutschen Länder aufgeschlossen gegenüberstehen. Folgen Sie mir in der Erwartung, daß bei der Nachfolgeorganisation der Treuhandanstalt insbesondere auch Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten für die ostdeutschen Länderparlamente eingerichtet werden? Sieht die Bundesregierung dies vor?
Kontrollrechte für Aufgaben, die die Treuhandanstalt bisher erledigt hat und auch künftig zu erledigen hat, stehen natürlich in erster Linie dem Deutschen Bundestag zu. Wie Sie wissen, hat es auch bisher schon die Treuhandkabinette gegeben, wo die Länder ihre Mitwirkung und ihren Einfluß geltend machen konnten. Die Ministerpräsidenten oder ihre Vertreter hatten nicht zuletzt die Möglichkeit, auch im Verwaltungsrat der Treuhandanstalt ihre Meinung einzubringen. Dies war sehr fruchtbar und notwendig und hat dazu geführt, daß alle Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder, auch der Ministerpräsident von Brandenburg, von der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses abgeraten haben. Das gehört jetzt nicht direkt zum Thema, aber ich wollte dies als ein
Beispiel für die aktive Mitwirkung der Länderministerpräsidenten anführen.
Selbstverständlich werden wir in den nächsten Wochen — ein Gespräch ist schon festgesetzt — mit den Ministerpräsidenten der neuen Länder über den Verbleib, die Führung und die Gestaltung der größeren Unternehmen, die jetzt noch nicht privatisierungsreif sind, sprechen. Im Konzept ist ausdrücklich enthalten, daß regionale Gesichtspunkte einfließen müssen. Selbstverständlich können sich auch die Landtage mit diesen Fragen beschäftigen. Aber die zentrale parlamentarische Verantwortlichkeit muß, wie ich meine, schon beim Deutschen Bundestag liegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Schwanitz.
Da ich Ihre Antwort prinzipiell als eine Zustimmung und als Aufgeschlossenheit gegenüber der Kontroll- und Mitwirkungsmöglichkeit auf Länderseite werte, möchte ich gern noch fragen, ob Sie mir zustimmen, — —
Ich halte diese Auslegung für etwas weitgehend. Ich sage das nur deswegen, weil ich mich eigentlich gern selber interpretiere und auslege. Sie haben zwar den Kollegen Hampel, Ihren Fraktionskollegen, genannt, aber so übergreifend ist eine solche Fragerunde doch nicht, als daß ich jeder Auslegung Ihrerseits ohne weiteres durch Schweigen zustimmen möchte.
Ich denke, das bleibt unbenommen.
Ich möchte Ihnen gern noch, um die Mitwirkungsoder Kontrollmöglichkeit an einem Beispiel festzumachen, die Frage stellen, ob Sie meine Auffassung teilen, daß bei den zu verabschiedenden gesetzlichen Regelungen das Bedürfnis der Zustimmung des Bundesrates ein Ausdruck für eine solche Mitwirkungsmöglichkeit wäre.
Ich glaube nicht, daß das anzustreben ist, weil wir dann zu einer starken Bewegungsunfähigkeit kämen. Eine Zustimmungsform wäre dann denkbar, wenn die Länder erhebliche eigene Beträge vielleicht noch zusätzlich einbringen wollten. Da mir dies aber bisher nicht bekannt ist, glaube ich, daß eine zusätzliche Mitwirkung über den Bundesrat nicht der erfolgversprechende Weg ist.
Herr Abgeordneter Dr. Hermann Pohler.
Herr Bundesminister, eines der Hemmnisse, warum es bei Investitionen — was immer wieder festzustellen ist — nicht so schnell vorangeht, sind ja die Vermögensfragen. Hier sind zuständig Bundesvermögensamt, TLG, BVVG. Könnten Sie sich denken, daß bei der Umstrukturierung der Treuhandanstalt in der zweiten Phase eine Konstruktion gefunden wird, die so aussieht, daß diese drei Institutionen sozusagen unter einem Dach arbeiten, so daß die Entscheidungen kurzfristiger und prägnanter erfolgen könnten? Damit könnten wir dort
Metadaten/Kopzeile:
15914 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Dr. Hermann PohlerI — ich weiß, es ist eine langwierige Geschichte — relativ rasch zum Abschluß kommen, und viele der Mißlichkeiten, die es jetzt durch das Hin- und Herschieben zwischen diesen Institutionen — ich will das einmal so formulieren — gibt, könnten ausgeschaltet werden, d. h. die Arbeit könnte effektiver gestaltet werden.
Ich glaube, Herr Kollege, daß sich die Zusammenarbeit schon wesentlich verbessert hat und daß gerade auch die Effektivität der TLG zugenommen hat. Das wird mir auch von Vertretern der ostdeutschen Wirtschaft und der Beteiligten gesagt. Wir überlegen noch, wie wir die Zusammenarbeit verbessern können. Es gibt auch Vorschläge — ich will mir diese jetzt nicht zu eigen machen —, das Ganze zusammenzuführen. Auch solche Vorstellungen gibt es. Hier sind wir noch nicht bei einem Abschluß. Dazu dient der Willens- und Meinungsbildungsprozeß, der im nächsten dreiviertel Jahr vor uns steht.
Eine Zusatzfrage.
Ich glaube, die Entscheidungsfindung — ob bei der TLG oder bei den anderen —, die Entscheidungsfreudigkeit des zuständigen Beamten oder Bearbeiters wird oft dadurch behindert, daß man sich vor Fehlentscheidungen fürchtet. Wie wird in Zukunft mit der Haftungsfreistellung gearbeitet? Oft ist es ja auch das eigene Karrieredenken, das einen hindert, Entscheidungen zu treffen, weil Fehlentscheidungen einem anhängen. Wenn man nachprüft, stellt man fest, daß das oft eine Ursache ist, warum gesetzliche Möglichkeiten nicht so angewandt werden, wie man eigentlich könnte, die Gestaltungsfreiheit also nicht voll genutzt wird.
Ich weiß jetzt nicht, ob im Moment bei der Haftungsfreistellung ein zusätzlicher Handlungsbedarf besteht. Wir hatten das ja mit der Treuhandanstalt, wie ich meine, befriedigend geregelt und sind vom Bund aus relativ weit gegangen. Ob da noch zusätzlicher Handlungsbedarf besteht, ist mir im Moment nicht geläufig. Ich habe dieses Thema in den letzten Wochen jedenfalls nicht mehr gehört. Daß es da und dort Entscheidungsbedarf und auch Entscheidungshemmungen gibt, liegt nicht nur an der Haftungsfreistellung, sondern auch an der Art und Weise, wie manchmal von Anwälten und anderen mit den Entscheidungsträgern umgegangen wird. Ich kann das verstehen. Aber ich glaube, daß auch hier die Auslagerung und ein Stück Privatisierung zu stärkerer Entscheidungsfreudigkeit und vor allen Dingen zu schnellerer Abwicklung geführt hat.
Daß sich die Bundesvermögensverwaltung, die auf ganz andere Aufgaben eingestellt war, am Anfang mit dieser neuen Herausforderung schwergetan hat, ist bekannt. Aber auch hier hat eine Änderung der Struktur in das Denken der Menschen Eingang gefunden, d. h. es ist eine Änderung des Bewußtseins erfolgt, wie man an Dinge herangeht, daß man sie nicht lange liegenlassen darf, sondern schnell handeln muß, um den Grundstücksmarkt zu aktivieren und damit zu einem Stück Konjunktur beizutragen.
Herr Kollege Dr. Nils Diederich.
Herr Minister, ich freue mich, daß Sie die Bedeutung des Parlaments im Hinblick auf die Aufgaben, die vor uns stehen, hervorgehoben haben. Dennoch möchte ich fragen, ob nicht bei der von Ihnen vorgesehenen Konstruktion, die Treuhandanstalt von den operativen Aufgaben vollständig zu entlasten und sie entweder in vorgelagerten Einrichtungen, zum Teil durch private Dienstleistungsnehmer, ausführen zu lassen oder direkt an das Ministerium heranzuführen — Sie erwähnten die großen Unternehmen —, eigentlich nur eine Einrichtung übrigbleibt, die natürlicherweise die Abteilung — so sage ich es einmal — eines Ministeriums ist.
Teilen Sie nicht meine Befürchtung, daß durch die Zwischenschaltung der Treuhand als Kontroll- und Hoheitseinrichtung die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments insbesondere im Hinblick auf den Durchgriff auf die Vermögensverwaltungseinrichtungen, das Vertragsmanagement usw. immer stärker eingeschränkt sind? Das heißt, welche Überlegung haben Sie oder Ihr Ministerium angestellt, um die Kontrollmöglichkeiten des Bundestages zu verbessern?
Sie wissen, gerade im Hinblick auf den Treuhandhaushalt haben wir ganz erhebliche Schwierigkeiten, weil er in den Bundeshaushalt nicht voll integriert ist und damit die Kontrolle dessen, was tatsächlich vor sich geht, sehr eingeschränkt ist. Dies würde in Zukunft so bleiben, es sei denn, Sie machten aus der Treuhandanstalt eine direkt nachgeordnete Einrichtung wie etwa das Bundesamt für Finanzen.
Herr Kollege, das beabsichtigen wir nicht. Die Kontrolle des Parlaments wird eher stärker, weil die Treuhandanstalt ab dem Zeitpunkt keine eigenen Kredite aufnimmt, das, was zur Erledigung ansteht, vielmehr — zum Teil jedenfalls — über den Bundeshaushalt abgewickelt wird und von daher die stärkere Mitwirkung des Parlaments automatisch gegeben ist. Hierfür haben wir in der Finanzplanung bisher schon entsprechende Summen ausgewiesen und müssen dies auch jährlich im Haushalt tun, so daß von daher die Einwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten des Parlaments eher größer als kleiner werden.
Aus der Treuhandanstalt nur eine nachgeordnete Agentur oder eine Art Bundesvermögensverwaltung zu machen hielte ich nicht für richtig, weil es einerseits nicht vernünftig ist, diese Fülle von Aufgaben in ein Ministerium hineinzubringen — wenn ich nur an die Abwicklung der Verträge denke, die ich vorhin genannt habe —, andererseits auch die bisherige Erfahrung der Mitarbeiter ausgenutzt werden soll, allerdings in einem ganz erheblich verringerten Umfang.
Ich finde es eigentlich großartig, Herr Kollege, daß sich eine Institution wie die Treuhandanstalt durch ihre eigene Arbeit selber überflüssig machen will und das auch tut. Das habe ich in der Geschichte der alten Bundesrepublik Deutschland bisher noch nicht erlebt.
Eine Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15915
Darf ich Sie also so verstehen, Herr Minister, daß die Dotierung der Treuhandanstalt in Zukunft voll in den Bundeshaushalt integriert ist, d. h. daß nicht nur eine Globalzuweisung erfolgt, sondern Einzeltitel aufgeführt werden, wie wir es gewohnt sind, einschließlich etwa der Personal-und Stellenhaushalte?
Sie wissen ja, daß wir mit der Besoldung bei der jetzigen Treuhandanstalt erhebliche Schwierigkeiten haben. Das mag für ein Unternehmen der Treuhandanstalt, wie sie es bisher ist, gerechtfertigt sein, weil sie vorwiegend wirtschaftlich, am Markt tätig ist. Das wäre aber für eine solche Kontrolleinrichtung in Zukunft nicht mehr gerechtfertigt.
Noch einmal die Frage: Bedeutet das tatsächlich eine volle Integration des Haushaltes der künftigen Treuhandanstalt in den Bundeshaushalt?
Ich glaube nicht, daß z. B. der Personalhaushalt der Treuhandanstalt mit den noch verbliebenen Mitarbeitern im Bundeshaushalt erscheint. Vielmehr ist an folgendes gedacht: Die Abwicklung der großen „Brocken", die uns noch verbleiben, ist aus Krediten der Treuhandanstalt nicht mehr zu finanzieren. Sie kennen die Summen, die insgesamt vorgesehen sind; über 40 Milliarden DM. Einen Großteil dessen haben wir auch schon in der mittelfristigen Finanzplanung eingesetzt. Das kommt aus dem Bundeshaushalt. Ich würde nicht dazu raten, daß z. B. der gesamte Personalhaushalt der Treuhandanstalt irgendwo im Bundeshaushalt erscheint, denn dies wäre mit der selbständigen Arbeit der Treuhandanstalt nicht zu vereinbaren. Ich glaube schon, daß wir es bei der selbständigen, rechtlichen Institution belassen sollten.
— Ja, sonst ginge uns die Arbeit aus.
Jetzt hat der Kollege Christian Müller das Wort.
Herr Bundesminister, zu den von Ihnen erwähnten großen Brocken gehört zweifelsohne auch die Deutsche Waggonbau Aktiengesellschaft. Gibt es in Ihrem Hause oder bei Ihnen persönlich einen zeitlichen Horizont, innerhalb dessen die Privatisierung dieses Unternehmens abgeschlossen sein muß, oder sehen Sie dies mehr als einen mittelfristigen Vorgang an?
Ich bitte um Verständnis, daß ich in dem konkreten Fall zum Zeithorizont nichts sagen kann. Ich weiß nur, daß ich mit diesem Unternehmen auf Grund von Anfragen von vielen Seiten des Parlaments und außerhalb des Parlaments sehr viel befaßt worden bin. Wir haben gerade in letzter Zeit ganz große Anstrengungen unternommen, um die Kapazitäten dieses Betriebes mit Aufträgen auslasten zu können. Das hat auch bei Hermes und anderen Gelegenheiten eine große Rolle gespielt. Aber zur Zeitachse kann ich im Moment nichts sagen.
Eine Zusatzfrage.
Sie sprachen soeben das Thema Hermes an, was nicht nur bei diesem Unternehmen, aber speziell für die DWA eine große Rolle spielt. Es ist bekannt, daß von der schnellen Bewilligung eines Hermes-Plafonds für dieses Unternehmen eigentlich der mittelfristige Anschluß, also das, was man Zukunft nennen könnte, abhängt. Herr Minister, wie lange werden Sie benötigen, um eine derartige Entscheidung zur Hermes-Deckung für 1994 herbeizuführen?
Federführend für die Hermes-Deckung ist der Bundeswirtschaftsminister. Wir arbeiten hier in einem Staatssekretärsausschuß zusammen. Wir haben uns angesichts der Inanspruchnahme, die es schon gibt, die sehr, sehr weitgehend ist und die an die Grenzen dessen geht, was vom Haushaltsrecht gedeckt ist, dazu entschlossen, daß die entsprechenden Fälle jeweils einer Einzelentscheidung im Staatssekretärsausschuß bedürfen, daß wir uns die Frage der Höhe in bestimmten Abständen alle paar Monate vornehmen und dies jeweils in einem kleinen Kabinettskreis mit dem Bundeskanzler besprechen und aktualisieren.
Bei den nächsten Wortmeldungen werden keine Zusatzfragen mehr zugelassen, weil sonst nicht mehr alle Fragesteller oder Fragestellerinnen zu Wort kommen.
Herr Kollege Uwe Küster.
Herr Minister, ich möchte noch einmal auf den Einfluß der Länder zurückkommen, hinsichtlich der Nachfolgeregelung, des Konzepts, das jetzt vorgelegt wurde. Sind Sie der Ansicht, daß die Interessen der Länder in Sachen Wirtschaftsförderung und regionaler Strukturpolitik entsprechend berücksichtigt werden? Wenn ja, welche Mechanismen haben Sie eingebaut, daß Entscheidungen der Treuhand diese beiden Aspekte berücksichtigen?
Ich habe vorhin schon zum Ausdruck gebracht, daß erstens die Ministerpräsidenten im Verwaltungsrat der Treuhandanstalt vertreten sind und daß zum zweiten in den Treuhandkabinetten der Länder die Möglichkeit des Zusammenwirkens besteht. Selbstverständlich versuchen wir, die konzeptionellen Arbeiten, die vor allen Dingen in den Länderwirtschaftsministerien gemacht werden, soweit sie für die Entwicklung der Regional- und Sektoralpolitik zuständig sind, mit einzuarbeiten.Ich glaube, die Treuhandkabinette haben unterschiedlich gearbeitet; manche Lander haben sich jedenfalls dieses Instruments sehr entschieden bedient. Von daher ist auch in den Konferenzen beim Bundeskanzler, wo die Ostländer immer anwesend waren, und auch bei Gesprächen, die in meinem Hause und beim Bundeswirtschaftsminister stattgefunden haben, immer der Versuch gemacht worden, diese regionalen Dinge mit einzubringen.Ich glaube, daß dieses Konzept, das in den letzten Jahren getragen hat, auch für die Zukunft durchaus erfolgreich ist, wobei ich noch einmal sage: Wir werden uns innerhalb der nächsten 14 Tage, kurz
Metadaten/Kopzeile:
15916 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Bundesminister Dr. Theodor Waigelnach Allerheiligen, zusammensetzen und diese Dinge, auch dieses Konzept, miteinander besprechen.
Danke. Frau Dr. Helga Otto.
Herr Bundesminister, die verbleibenden Aufgaben sind ja ausschließlich dem BMF zugeordnet.
Ich möchte Sie fragen: Warum können Sie sich nicht vorstellen, daß die Verantwortung far die Vergabe von landwirtschaftlichen Flächen in Zukunft beim BML liegt?
Wir haben die Fachaufsicht und die Rechtsaufsicht, wobei die Fachaufsicht im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister oder z. B. dem Bundeslandwirtschaftsminister ausgeübt wird. Wir haben uns bisher mit dem Landwirtschaftsminister gut verstanden. Wir sind in einem konstruktiven Gespräch darüber, wie wir das angesprochene Problem am besten lösen. Ich habe vor ein paar Wochen mit dem Bundeslandwirtschaftsminister ein erstes Gespräch in dieser Richtung geführt.
Frau Kollegin Rennebach.
Herr Minister, Sie haben Herrn Nils Diederich gesagt, daß die stark überhöhten Gehaltsstrukturen so bleiben werden und faktisch auf Jahrzehnte festgeschrieben werden. Ich frage Sie: Wie ist dies mit dem Haushaltsgrundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit, auch im Vergleich zu den staatlichen Verwaltungsstrukturen, zu vereinbaren? Wären diese Mittel nicht in anderen Titeln, etwa für Sanierungsaufgaben oder für Strukturhilfen in den betroffenen Regionen, besser zu verwenden?
Frau Kollegin, Sie haben die erste Feststellung glatt erfunden, weil ich kein Wort dazu gesagt habe, welche Größenordnung und welche Höhe die Gehaltsstrukturen haben werden.
Kein Wort habe ich dazu gesagt!
— Das ist eine andere Frage. Aber Sie können mir doch nicht etwas unterstellen, was ich nicht gesagt habe. Dem kann auch eine Fragestunde im Parlament nicht dienen.
— Das ist ja noch das Schönste. Hier gilt doch noch nicht der Grundsatz: „Qui tacet, consentire videtur". Er gilt im römischen Recht, aber doch noch nicht hier.
—Ja, Gott sei Dank. Darum bitte ich, das zur Kenntnis zu nehmen, was ich gesagt habe, und aus dem, was ich nicht gesagt habe, nicht eine Unterstellung zu machen.
— Nein, nein.
Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Natürlich wird nicht jede Gehaltsstruktur, die bisher im operativen Geschäft notwendig war, auch bei der Abwicklung noch notwendig sein.
Sie haben nichts dazu gesagt, ob man das Geld nicht besser im Bereich der Sanierung und der Strukturhilfe verwenden könnte. Außerdem hätte ich gerne — ich konnte Ihren Redefluß bloß nicht unterbrechen, verzeihen Sie bitte — meine Frage wie folgt umformuliert: „die bisherige Diskussion und die Beantwortung der Fragen ließ die Vermutung aufkommen, daß ...". Das wäre vielleicht eine bessere Formulierung gewesen und hätte Ihren Zorn etwas besänftigt.
Danke, mein Zorn ist schon wieder besänftigt. Ihr Charme hat mich nun doch überzeugt.
Das Problem ist nur folgendes: Sicherlich brauchten wir dort in den letzten Jahren hochqualifizierte Mitarbeiter.
Hochqualifizierte Mitarbeiter, die man nur für zwei oder drei Jahre beschäftigt, die sich dann etwas anderes suchen müssen oder danach nicht mehr verwendbar sind, bekommt man nicht zum billigsten Preis.
Insofern war dies unverzichtbar, vor allem, wenn man sich vorstellt, welche Gehaltsstrukturen auf der anderen Seite bei denen, mit denen die Mitarbeiter der Treuhandanstalt zu tun hatten, zu verzeichnen sind.
Das heißt nicht, daß ich für alles einstehe, was geschehen ist. Darum habe ich ja in meinen Ausführungen auch auf die Mißbräuche und die Fehler hingewiesen, denen wir unnachgiebig nachgehen.
Eine Frage der Kollegin Uta Zapf.
Ich würde die Bundesregierung gern fragen — aber das gehört nicht zu diesem Bereich; die anderen Fragen scheinen ja schon abgearbeitet zu sein —, warum sich das Bundeskabinett entgegen den Erwartungen heute nicht mit der Frage des Einsatzes in Somalia befaßt hat, obwohl Verteidigungsminister Rühe gestern vor der Fraktion ganz offensichtlich schon ein Konzept über den Zeitpunkt des Abzuges und über die militärische Planung der UNO vorgelegt hat. Wie ich den Tickermeldungen entnehme, steht darin, wie die militärische Planung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15917
Uta Zapfder UNO aussieht. Deshalb wüßte ich gern, warum sich das Kabinett damit nicht befaßt hat.
Wir haben nachher eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema, Frau Kollegin. Dann ist es eigentlich nicht üblich, daß wir das hier bei den freien Fragen noch einmal extra behandeln. Vielleicht gibt es aber eine kurze Antwort von Herrn Staatsminister Schmidbauer.
Frau Kollegin, ich darf darauf hinweisen, daß nicht alles, was in den Zeitungen berichtet wird, der Wahrheit entspricht und stimmt.
— Ja, sicher. Was ich hier im Parlament sage, stimmt. Herr Kollege, wenn Sie anderes behaupten wollen, machen Sie die Diskussion im Dialog sehr hilfreich für mich.
Ich darf noch einmal darauf hinweisen: Nicht alles, was in der Presse steht, stimmt. Heute nachmittag gibt es eine entsprechende Aktuelle Stunde, bei der diese Fragen geklärt werden. Im übrigen wird die Bundesregierung in der Vorbereitung auf diese Entscheidung rechtzeitig bekanntgeben, wann mit einer Entscheidung des Kabinetts in dieser Frage gerechnet werden kann.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. Damit ist die Zeit, die wir für die Befragung der Bundesregierung vorgesehen haben, abgelaufen. Ich beende die Befragung.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
— Drucksache 12/5962 —
Wir behandeln zunächst den Geschäftsbereich der Bundesministerin für Familie und Senioren. Zur Beantwortung der Fragen steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 37, die der Kollege Dr. Rainer Jork gestellt hat:
Verfügt die Bundesregierung über aussagefähiges statistisches Material, aus dem der tatsächliche Umfang des Mißbrauchs von staatlichen Sozialleistungen sowie eine Aufgliederung nach der Art der mißbrauchten Leistung und deren Umfang im einzelnen und der Struktur der mißbräuchliche Leistungen beziehenden Personen oder Personenkreise hervorgeht, und sind diese Informationen der Öffentlichkeit zugänglich, oder beabsichtigt die Bundesregierung, diese zugänglich zu machen?
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich bitte um die Beantwortung.
Danke schön, Herr Präsident. — Ich möchte den Kollegen Jork fragen, ob ich beide Fragen im Zusammenhang hintereinander beantworten darf. Sie stehen ja im engsten Zusammenhang.
Ja gern, bitte.
Darm rufe ich zusätzlich Frage 38 des Kollegen Dr. Jork auf:
Welche Maßnahmen oder Instrumente gibt es, den Mißbrauch von Sozialleistungen zu unterbinden, und welche neuen plant die Bundesregierung ggf.?
Das Bundeskabinett hat am 9. Juni dieses Jahres einen „Bericht über Mißbrauch und Fehlentwicklungen bei öffentlichen Leistungen" beschlossen, der auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Er listet neben den verschiedenen Arten mißbräuchlicher Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen deren vermuteten Umfang, die Ursachen und die möglichen Maßnahmen der Bekämpfung auf.
Nach diesen Maßnahmen haben Sie ja auch gefragt. Darauf antworte ich wie folgt: Die möglichen Maßnahmen einer effektiven Mißbrauchsbekämpfung sind — wie schon gesagt — in dem genannten Mißbrauchsbericht angeführt. Soweit sich aus dem Bericht zusätzlicher Handlungsbedarf ergibt, sind die Bundesressorts durch Beschluß des Kabinetts vom 9. Juni 1993 aufgefordert worden, unverzüglich mit der Umsetzung geeigneter Maßnahmen zu beginnen.
Mit den Neuregelungen im Föderalen Konsolidierungsprogramm, das der Bundestag beschlossen hat, sind zusätzliche gesetzliche Grundlagen für geeignete Maßnahmen zur Mißbrauchsbekämpfung geschaffen worden. Hier sind insbesondere folgende Maßnahmen zu nennen: großangelegte Razzien zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung — Sie erinnern sich, daß der Bundesarbeitsminister mehrfach öffentlich berichtet hat, wie effektvoll sie waren —, strengerer Maßstab bei der Erteilung der Arbeitserlaubnis ausländischer Arbeitnehmer — auch hier sind Erfolge zu verzeichnen — und verstärkte Heranziehung von Sozialhilfeempfängern zu gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeiten. Zu diesem Punkt liegen uns vereinzelt Berichte von kommunalen Gebietskörperschaften vor, die besagen, daß diese Maßnahmen dazu geführt haben, daß sich eine Menge Sozialhilfebezieher nicht weiter um Sozialhilfe bemüht haben, sondern offensichtlich inzwischen Arbeit gefunden hatten.
Die Möglichkeit eines Datenabgleichs zwischen Rentenversicherung, Arbeitsverwaltung und Sozialhilfeträger war eine weitere gesetzliche Maßnahme.
Ende dieses Jahres wird dem Kabinett ein Sachstandsbericht der beteiligten Ressorts zur Umsetzung der Maßnahmen im Mißbrauchsbericht vorgelegt werden.
Herr Kollege Dr. Jork, haben Sie eine Zusatzfrage?
Ich denke, ich darf drei kurze Zusatzfragen stellen, die mir bei zwei Fragen wohl möglich sein sollten.Können Sie mir bitte sagen, in welcher anteilmäßigen Relation der Mißbrauch zum Gesamtvolumen der Sozialleistungen in etwa liegen könnte, um die Relevanz einzuschätzen?Ist der Mißbrauch aus Ihrer Sicht gezielt oder auch in Unkenntnis erfolgt — das ist ja durchaus auch
Metadaten/Kopzeile:
15918 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Dr.-Ing. Rainer Jorkdenkbar —, so daß die Methoden zur Bekämpfung unterschiedlich angegangen werden sollten?Ist eine Veröffentlichung der Namen der Mißbrauchenden vorgesehen? Ich kann mir vorstellen, daß da die Fragen des Personenschutzes im Vordergrund stehen. Vergleichbar hat ein Politiker, wenn er irgendwo einen Mißbrauch versucht oder begangen hat, ja nicht die Sorge, daß er zuviel Schutz erfährt.
Herr Kollege, die Fragen stehen schon in einem gewissen Zusammenhang. Zunächst einmal: Es liegt in der Natur der Sache, daß es, wenn Mißbrauch bekämpft wird, nicht ohne weiteres möglich ist, amtliche Statistiken zu erstellen, wieviel Mißbrauch insgesamt in der Bevölkerung in den verschiedensten Rechtsbereichen betrieben wird. Man kann allenfalls nach einer gewissen Zeit Bilanzen auflegen, in welchen Einzelfällen Mißbrauch aufgedeckt worden ist und wie sich der summiert.
Das kann man in Relation setzen zu der Vermutung, die man hat, wie es insgesamt vielleicht tatsächlich aussieht. Wir werden also sicher in absehbarer Zeit etwas darüber aussagen können, in wie vielen nachgewiesenen Einzelfällen Mißbrauch vorgelegen hat und wie sich das in der Summe der Einsparungen quantifiziert.
Ich erinnere mich, daß noch in dieser Woche der Bundesarbeitsminister von Einsparungen in Höhe von 1 Milliarde DM in diesem Jahr in seinem Geschäftsbereich gesprochen hat. Mich müßten Sie in einer angemessenen Zeit fragen, wie sich das in meinem Ressortbereich — das beträfe das Bundessozialhilfegesetz — ausgewirkt hat. Das können wir heute noch nicht sagen. Ich sagte, Einzelberichte liegen vor, daß da, wo die Maßnahmen des FKP-Gesetzes angewandt worden sind, Abmeldungen aus der Sozialhilfe in nicht unbeachtlichem Maße erfolgt sind.
Zu Ihrer abschließenden Frage, die in Relation steht zu der Art und Weise, wie Fehlverhalten von Politikern in der Öffentlichkeit behandelt wird: Es kann natürlich angesichts des Datenschutzes nicht darauf hinauslaufen, daß im Einzelfall mißbräuchliche Leistungsinanspruchnahme unter Namensnennung der Personen bekanntgegeben wird.
Keine Zusatzfragen mehr? — Damit sind die Fragen 37 und 38 erledigt. — Entschuldigung, Frau Weyel, ich habe Ihre Handbewegung vorhin mißverstanden.
Wie ist die mißzuverstehen?
Ich hatte sie als Gruß empfunden.
Das will ich gern nachholen, Herr Präsident.
Frau Kollegin Verhülsdonk, könnten Sie uns noch einmal sagen, was die Bundesregierung präzise unter Mißbrauch staatlicher Sozialleistungen versteht, wie sie diesen Tatbestand definiert?
Ich will zunächst einen ganz konkreten Punkt nennen. In dem von mir soeben genannten Föderalen Konsolidierungsprogramm-Gesetz ist § 117 im Bundessozialhilfegesetz neu gestaltet worden. Er sieht vor, daß es die Möglichkeit eines Datenabgleichs zwischen der Arbeitsverwaltung, der Rentenversicherung und den Sozialhilfeträgern gibt.
Alleine die Handhabung dieses ja noch sehr neuen Paragraphen gewährleistet, daß mit ziemlicher Sicherheit der Mehrfachbezug von Leistungen nebeneinander, die sich gegenseitig eigentlich gesetzlich ausschließen, aufgedeckt werden kann.
Ich habe eine zweite Frage. Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr.
Frau Kollegin, Sie haben sich jetzt auf den Datenabgleich staatlicher Stellen bezogen und haben gesagt: Damit wird Mißbrauch aufgedeckt. Sie haben uns aber noch immer nicht gesagt, was Mißbrauch ist.
Die zweite Frage, Frau Kollegin Weyel, bezieht sich auf das Instrumentarium.
Zum Beispiel illegale Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern ist nach der gesetzlichen Lage ein Mißbrauch. Wir haben den Sozialausweis, den man bei sich haben muß, eingeführt, und es sind Razzien und Kontrollen auf Arbeitsstellen erfolgt. Dabei sind solche illegal Beschäftigten entdeckt worden.
Ich habe eben gesagt: Der Arbeitsminister hat meines Wissens noch in dieser Woche öffentlich mitgeteilt, daß 1 Milliarde DM an Einsparungen allein durch diese Maßnahme in diesem Jahr erwartet wird. Das Ganze ist ein eklatanter Fall von Mißbrauch, weil eine gesetzliche Bestimmung umgangen wird.
Nächste Zusatzfrage, Herr Kollege Uwe Lambinus.
Frau Kollegin, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sollen die aufgedeckten Fälle von „Mißbrauch" dokumentiert werden. Darf ich fragen, ob in diesem Zusammenhang auch die aufgedeckten Fälle von Steuerhinterziehung dokumentiert werden?
Ich habe eben gesagt, daß das Kabinett die Vorlage eines Berichtes hinsichtlich dessen, welche Maßnahmen von den Ressorts zur Mißbrauchsbekämpfung ergriffen worden sind, noch in diesem Jahr erwartet. Auch die gesetzlichen Maßnahmen, die der Bundestag auf Vorlage der Bundesregierung oder auf Grund eigener Einbringungen ergriffen hat, habe ich gerade genannt. Eine erste Bilanz des Erfolges dieser Maßnahmen wird in diesem Bericht zu finden sein.Ich habe dem Herrn Kollegen geantwortet: Wenn man irgendwann einmal zusammenfaßt, was an Leistungseinsparungen erfolgt ist, dann kann sich das nur auf die aufgedeckten Einzelfälle beziehen. Ich habe hinzugefügt, daß man sie natürlich nicht an bestimm-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15919
Parl. Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonkten Namen und Personen festmachen, sondern nur globalisieren kann.
Frau Kollegin Uta Zapf.
Frau Kollegin, habe ich Sie richtig verstanden, daß die überwiegende Anzahl von Mißbrauchsfällen, die Sie bei Ihrer Analyse aufgedeckt haben, den Mißbrauch auf Arbeitgeberseite in der Form, wie Sie es jetzt bei der illegalen Beschäftigung noch einmal dargestellt haben, betrafen?
Ich habe Beispiele genannt, die Mißbrauch durch Arbeitgeber und Mißbrauch durch Arbeitnehmer oder Sozialhilfebezieher betreffen. Das heißt, ich habe das gar nicht auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen bezogen, sondern auf Tatbestände. Der Tatbestand illegale Beschäftigung ist ein Tatbestand, der von der Natur der Sache her von der Arbeitgeberseite betrieben wird. Der mißbräuchliche Bezug von Leistungen der Arbeitsverwaltung oder von gleichzeitigen Leistungen der Sozialhilfe betrifft den anderen Personenkreis, den der Arbeitnehmer. Das ergibt sich nun einmal aus der Zuordnung der jeweiligen Gesetzgebung auf bestimmte Personengruppen.
Die zweite Frage bezieht sich auf das Instrumentarium!
Ich wollte mich in meiner zweiten Frage eigentlich nicht auf das Instrumentarium beziehen.
Verzeihung, wir haben hier ein Regelwerk. Ich will jetzt nicht kleinlich sein, aber wir haben ein Regelwerk: zu jeder Frage eine Zusatzfrage. — Sie ziehen Ihre Frage zurück.
Weitere Zusatzfragen zu den Fragen 37 und 38? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 39 auf, die die Kollegin Christa Lörcher gestellt hat:
Was hat die Bundesregierung bisher unternommen, um die Schwierigkeiten der Verwirklichung einer bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung — deren Notwendigkeit von Bundesministerin Hannelore Rönsch mehrfach betont worden ist — zu überwinden und eine bundeseinheitliche Rahmenregelung zu einem positiven Ergebnis zu bringen?
Frau Kollegin Lörcher, ich antworte auf Ihre Frage wie folgt: Das Bundesministerium für Familie und Senioren hat einen mit allen zu beteiligenden Fachressorts abgestimmten Entwurf eines Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege erarbeitet, dessen Rechtsförmlichkeit vom Bundesministerium der Justiz bestätigt wurde. Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, insbesondere nach Art. 74 Nr. 19 des Grundgesetzes, wurde von den Verfassungsressorts der Bundesregierung bejaht, und sie wurde zudem von zwei Wissenschaftlern, die Gutachten erstellt haben, bestätigt.
Demgegenüber vertritt die Bayerische Staatsregierung die Auffassung, daß Art. 74 Nr. 19 des Grundgesetzes als Kompetenzgrundlage für eine bundesgesetzliche Regelung im Altenpflegebereich ausscheidet, weil der Altenpflegeberuf nicht als Heilberuf
anzusehen sei. Ein umfassender Schriftwechsel sowie mehrere Besprechungen auf der Ministerebene, auf der Arbeitsebene und auf der Bundesratsebene sind geführt worden. Aber das hat bisher nicht zu einer Einigung über die streitige Frage der Auslegung der Verfassung geführt.
Der Entwurf konnte deshalb noch nicht dem Bundeskabinett zur Beschlußfassung zugeleitet werden. Das Bemühen um eine Einigung hält an.
Wie möchten Sie diese Schwierigkeiten überwinden, und in welchem zeitlichen Rahmen sehen Sie die Möglichkeit einer Verwirklichung?
Ich nehme an, Frau Kollegin, daß Ihnen bekannt ist, daß auf der Basis des Gesetzentwurfs der Bundesregierung — der öffentlich bekanntgegeben worden ist, zu dem Sachverständige angehört worden sind und der in allen Fachkreisen diskutiert worden ist und dort überall große Zustimmung gefunden hat — die Hessische Landesregierung einen eigenen Entwurf eingebracht hat, und zwar über den Bundesrat. Dieser Entwurf ist nach meinen Kenntnissen in der letzten Sitzung des zuständigen Ausschusses des Bundesrates zur Debatte gestellt worden und hat dort eine Mehrheit von 9 : 6 :1 gefunden, also neun Ja-Stimmen, sechs Nein-Stimmen und eine Enthaltung, wobei die A- und die B-Länder gleichermaßen an der Zustimmung beteiligt waren. Die Empfehlung dieses Bundesratsausschusses an das Plenum des Bundesrates lautete, die Gesetzgebung weiter voranzutreiben.
Ich gehe also davon aus, daß sich der Bundesrat demnächt mit dieser Frage beschäftigen wird und daß dann auf dem Weg über den Bundesrat ein Gesetzentwurf, der in weiten Teilen mit der vorher schon erstellten Vorlage der Bundesregierung identisch ist, das Parlament erreichen wird. Ich hoffe, daß dieser Prozeß, der den Freistaat Bayern, der Teil des Bundesrates ist, ja einschließt, dazu führt, daß man zu einer gütlichen Regelung noch in diesem Jahr kommt. Ich halte das für dringend erforderlich. Das haben wir in diesem Hause immer wieder laut und deutlich gesagt.
Zweite Zusatzfrage.
In diesem Jahr oder in dieser Legislaturperiode?
Das Jahr geht schon sehr bald zu Ende, Frau Kollegin. Ich hoffe, daß die Einigung noch in diesem Jahr erfolgt, so daß man vielleicht am Anfang des nächsten Jahres nach dem Kabinettsdurchgang das Gesetz hier im Bundestag beraten kann.
Sie haben keine Frage mehr.
Die Frage war sozusagen mitgestellt, und ich kann sie gern beantworten.
Metadaten/Kopzeile:
15920 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Die Fragen werden nach Worterteilung gestellt und die Antworten entsprechend gegeben.
Ich schließe meine Antwort dann damit, daß ich diese Hoffnung teile.
Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl zur Verfügung
Welche Kosten kommen anteilig auf den Bundeshaushalt und den jeweiligen Haushalt der neuen Länder, in denen die Basisfläche aus der EG-Agrarreform überschritten wurde, in den Jahren 1993/94 bis 1996/97 zu, wenn die Bundesregierung bewußt ein Vertragsverletzungsverfahren in Kauf nimmt und daraufhin die EG die Erstattungen zugunsten der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage der VO Nr. 2834/93, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 258/27 vom 16. Oktober 1993, kürzt, und wo sieht die Bundesregierung für den auf sie entfallenden Teil eine Deckung im Bundeshaushalt vor?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Kastning, die Landwirtschaftsminister des Bundes und der neuen Bundesländer haben am 21. Oktober 1993 in Berlin erklärt, daß die Verordnung Nr. 2834/93 der EG-Kommission nicht durchführbar ist. Die Bundesregierung sucht nach wie vor eine akzeptable Lösung für die notwendigen Grundflächenaufstockungen in den neuen Bundesländern und steht in weiteren Verhandlungen im Agrarrat und mit der EG-Kommission.
Ob und inwieweit die EG-Kommission Anlastungen vornehmen oder ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten wird, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Die von Ihnen erbetenen Berechnungen sind insoweit nur hypothetischer Art.
Die Prämienkürzungen nach der oben schon zitierten Verordnung würden sich für das Haushaltsjahr 1994 auf einen Betrag von ca. — dieses „zirka" unterstreiche ich —18 Millionen DM, 1995 auf 36 Millionen DM, 1996 auf 90 Millionen DM und 1997 auf 180 Millionen DM belaufen.
Für die Berechnungsgrundlage spielt der tatsächliche Umfang der Überschreitungen ebenso eine Rolle wie die exakte Verteilung der Kulturarten auf diesen Flächen.
Daneben könnte möglicherweise später die EG-Kommission eine Anlastung geltend machen, die aus der Verwertung einer Mehrproduktion infolge nicht vollzogener Flächenstillegungen resultiert. Ein solches Anlastungsrisiko kann gegenwärtig nicht beziffert werden.
Sollten diese Beträge aus öffentlichen Mitteln von Deutschland ausgeglichen werden müssen, müßten Bund und Länder noch eine Aufteilung festlegen.
Wegen dieser Unsicherheiten einerseits und wegen der nachhaltigen Bemühungen der Bundesregierung um eine einvernehmliche Lösung mit der EG andererseits sind derartige Beträge nicht etatreif; eine Dekkung ist im Bundeshaushalt bisher nicht vorgesehen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kastning.
Herr Staatssekretär, dankbar dafür, daß jetzt endlich einmal Zahlen genannt werden, was in der vorigen Woche im Haushaltsausschuß nicht der Fall war, aber auch in Sorge darum, daß der Gesetzesbruch durch Deutschland in der EG möglicherweise nicht durchkommt, frage ich: Was halten Sie von der Kritik, daß Haushaltsrisiken auch deshalb auf uns zukommen, weil der Herr Bundeslandwirtschaftsminister in Brüssel in dieser Frage wenig diplomatisch aufgetreten sei?
Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär: Risiken kommen allenfalls dann auf den Bundeshaushalt zu, wenn die Kommission — oder an Stelle der Kommission der Agrarministerrat — nicht bereit ist, die notwendige Grundflächenaufstockung in den neuen Bundesländern vorzunehmen.
Zweite Zusatzfrage.
Wie bewerten Sie die Aussage des Deutschen Bauernverbandes vom 21. Oktober 1993, wonach auf Grund eigener Berechnungen für die Landwirtschaft der neuen Länder für 1993 mit rund 200 Millionen DM und für 1994 sogar mit über 500 Millionen DM Einkommensverlusten zu rechnen sei, wenn Brüssel nicht einlenkt?
Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich habe in meiner Antwort darzustellen versucht, daß von den von Ihnen erbetenen Angaben zu den Kosten ein Teil berechenbar ist, der andere Teil aber noch nicht bezifferbar ist. Aber eines ist feststellbar: daß der Deutsche Bauernverband, insbesondere sein Präsident, Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert ausdrücklich für dessen klare und harte Haltung, die er in Brüssel gezeigt hat, gedankt und ihn aufgefordert hat, bei dieser Haltung zu bleiben.
Gibt es dazu weitere Zusatzfragen? — Dies ist nicht der Fall. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung.Im Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sind die Fragen 2 und 3 gestellt. Hier ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend. Die Fragen wird die Parlamentarische Staatssekretärin Cornelia Yzer beantworten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15921
Vizepräsident Hans KleinIch rufe die Frage 4 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz auf:Wie hat sich nach dem Inkrafttreten des Föderalen Konsolidierungsprogramms das Verhältnis von Zivildienststellen mit Gemeinschaftsverpflegung und Zivildienststellen ohne Gemeinschaftsverpflegung entwickelt, und wie beurteilt die Bundesregierung diesen Vorgang?Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Herr Kollege Augustinowitz, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Statistische Daten, die eine Beurteilung der Entwicklung seit dem Inkrafttreten des Föderalen Konsolidierungsprogramms am 27. Juni 1993 zulassen, stehen der Bundesregierung nicht zur Verfügung. Ich darf insoweit auf meine Antwort auf Ihre Frage in der Fragestunde vom 29. September 1993 verweisen. Danach werden vom Bundesamt für den Zivildienst statistische Angaben zu diesem Komplex bisher nicht erhoben.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Frage. Ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit sind, Material über die Frage erheben zu lassen, ob Zivildienstleistende eigentlich die freie Wahl haben, ob sie an einer Gemeinschaftsverpflegung teilnehmen oder nicht. Sind Sie bereit, uns dieses Material anschließend zur Verfügung zu stellen?
Zu Ihrer ersten Frage: Das Bundesamt für den Zivildienst wird angewiesen werden, künftig die erforderlichen Daten zu diesem Fragenkomplex zu erheben.
Zu Ihrer zweiten Frage: Zivildienstleistende haben keine Wahl.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, was wird die Bundesregierung unternehmen, damit zukünftig vermehrt Zivildienstplätze angeboten werden, bei denen eine Gemeinschaftsverpflegung gereicht werden kann, und wie wird das Bundesamt für den Zivildienst dies entsprechend kontrollieren? Im übrigen: Nach den Informationen, die mir vorliegen, haben die Zivildienstleistenden durch ihre Stellen sehr wohl die Möglichkeit, zwischen dem einen und dem anderen zu wählen; ich könnte Ihnen Beispiele nennen.
Zunächst zu der Frage, wie wir künftig einen höheren Anteil der Gemeinschaftsverpflegung sicherstellen werden: Wir werden das Bundesamt für den Zivildienst anweisen, künftig grundsätzlich nur noch solche Beschäftigungssstellen neu anzuerkennen, die eine Gemeinschaftsverpflegung vorhalten. Darüber hinaus werden wir die anerkannten Beschäftigungsstellen darauf hinweisen, daß eine Zurverfügungstellung von Gemeinschaftsverpflegung erfolgen soll. Die Kontrolle wird bei allen relevanten Fragen durch die Regionalbetreuer vorgenommen.
Gibt es aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen das Bedürfnis, zu dieser Frage eine weitere Zusatzfrage zu stellen? — Das ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Frau Parlamentarische Staatssekretärin, dann bedanke ich mich für die Beantwortung.
Ich komme nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Bertram Wieczorek zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5, gestellt von der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann, auf:
Sind der Bundesregierung Anträge auf Genehmigung der Einlagerung von radioaktiven Abfällen in Morsleben bekannt?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Präsident, Frau Kollegin Enkelmann, die von den Behörden der ehemaligen DDR mit Wirkung vom 22. April 1986 erteilte Genehmigung zum Dauerbetrieb des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben gilt nach der Überleitungsregelung des § 57a des Atomgesetzes als Planfeststellungsbeschluß gemäß § 9 b des Atomgesetzes fort. Eines weiteren Planfeststellungsbeschlusses zum Betrieb des Endlagers Morsleben bedarf es von daher nicht. Dies ist durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 1992 bestätigt worden.
In Ausnutzung dieser Genehmigung hat das Bundesamt für Strahlenschutz Abfallverursacher gebeten, zur Einlagerung grundsätzlich geeignete Abfälle anzumelden. Derzeit liegen 88 Anmeldungen vor.
Herr Staatssekretär, erste Zusatzfrage: Können Sie bestätigen, daß bereits Anfang November zwei Container mit Fässern aus Greifswald eingelagert werden sollen und ein Einlagerungsantrag einer Firma aus Bayern existiert, die die Reste des abgebrochenen Atomkraftwerks Niederaichbach einlagern will?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Das kann ich nicht bestätigen, weil es sich zunächst einmal nur um Anmeldungen handelt. Sie dürfen nicht vergessen, daß nach der Anmeldung eine Produktkontrolle erfolgt, um zu gewährleisten, daß in Morsleben — entsprechend der Auslegung dieses Endlagers — nur schwach- bis mittelradioaktive feste Abfälle eingelagert werden. Danach erfolgen ein Produktkontrollverfahren und — zum Abschluß — noch ein Abrufverfahren.
Diese drei Bedingungen sind bei den beiden von Ihnen angeführten Fällen noch nicht erfüllt und mir auch nicht bekannt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Morsleben nicht einmal die Mindestanforderungen der Reaktorsicherheitskommission erfüllt? Zum Beispiel dürfte danach das Lager keine Verbindung zu wasserführenden Schichten haben. Und ein Einlagerungsbescheid darf
Metadaten/Kopzeile:
15922 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Dr. Dagmar Enkelmanndann nicht gegeben werden, wenn unkontrollierte Laugenzuflüsse, wie sie u. a. in dem Gutachten der Gesellschaft für Reaktorsicherheit bestätigt werden, existieren, die die Salzschichten unter Umständen auflösen und dadurch die Decke des Schachtes zum Einstürzen bringen können.Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich möchte mit Ihrer Erlaubnis darauf hinweisen, daß die Zusatzfrage der Kollegin Enkelmann in keiner Weise etwas mit der Frage 5 zu tun hat.
Also, ich bin ja für strenge Handhabung unseres Regelwerks. Nur, ich glaube, das wäre hier eine überenge Auslegung.
— Es ist immer schlimm, wenn man von der falschen Seite Beifall kriegt.
Aber, Herr Parlamentarischer Staatssekretär: Wenn Sie auf eine Antwort auf diese Frage nicht vorbereitet sind, wofür das Haus Verständnis haben müßte, dann würde ich Ihrer Einlassung folgen. Wenn Sie aber einigermaßen in der Lage sind, die Frage zu beantworten, würde ich darum bitten.
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß mir außerhalb dieses Regelwerks die Möglichkeit gegeben wird, diese Frage zu beantworten.
Frau Kollegin Enkelmann, Sie wissen, daß nach der Übernahme von Morsleben eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt wurden, besonders die Anfertigung hydrogeologischer Gutachten, in denen noch einmal eindeutig festgestellt wurde, daß es zu einem sogenannten Absaufen der Grube Marie, die Sie hier ja ansprechen, nicht kommen kann. Wir haben Daten, die bis ins Jahr 1907 zurückgreifen, mit einem durchschnittlichen Wasserzulauf von 1,7 Liter pro Stunde in die Grube Marie, und zwar aus einer horizontalen Grundwasserschicht über dem Deckgebirge. In dem Sinne besteht also keine Gefahr, daß hier nun schlagartig Wassereinträge in die Grube Marie erfolgen können.
Ich möchte noch darauf aufmerksam machen, daß die Grube Marie insgesamt 1,6 Kilometer von dem eigentlichen Einlagerungsort entfernt ist und es bereits zu DDR-Zeiten, aber auch jetzt, Sicherungsmaßnahmen gibt, so daß, selbst wenn dieser Fall eintreten sollte, der, historisch erkundet, nicht eintreten kann, kein Wasser in das eigentliche Endlager eintreten kann.
Frau Kollegin Enkelmann, ich habe den Eindruck, wir beide haben der Bundesregierung eine vorzügliche Vorlage gemacht.
Ich rufe die Frage 6 auf, die der Kollege Horst Kubatschka gestellt hat.
Wie beurteilt die Bundesregierung das Organocell-Verfahren zur Produktion von Zellstoff?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kubatschka, die Bundesregierung beurteilt die Erzeugung von Zellstoff nach dem OrganocellVerfahren grundsätzlich positiv. Wesentlicher Vorteil gegenüber anderen Verfahren z. B. auf Sulfit- oder Sulfatbasis ist die Tatsache, daß das eingesetzte Holz ohne Schwefel aufgeschlossen und die Luft somit durch Schwefel nicht belastet sowie die Abwassersituation verbessert wird. Gleichzeitig ist es möglich, Zellstoffqualitäten zu erzeugen, die denen von Sulfatzellstoffen, die derzeit in Deutschland nicht produziert werden, zumindest nahekommen. Die Bundesregierung hat die Entwicklung dieses Verfahrens von Anfang an unterstützt und in den Jahren 1981 bis 1986 mit rund 15 Millionen DM gefördert.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeit sieht die Bundesrepublik, das Organocell-Verfahren zu retten? Wie Sie wissen, ist die Firma in Konkurs gegangen. Ich brauche Ihnen den Hintergrund, glaube ich, nicht zu schildern.
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kubatschka, der Hintergrund ist uns bekannt, auch durch Ihren sehr umfänglichen Brief an den Bundesumweltminister. Sie wissen, daß zur Zeit ein Konzept der Geschäftsleitung des Betriebsrates, dieses Unternehmen zu retten, geprüft wird, daß Anträge gestellt wurden für Überbrückungskredite beim Bayern-Fonds. Hier ist also zur Zeit der Freistaat Bayern sehr aktiv, Möglichkeiten zu suchen, dieses Unternehmen in Kehlheim, wenn Sie das meinen, zu retten.
Zweite Zusatzfrage.
Wäre Ihrer Meinung nach das Organocell-Verfahren nicht ein Baustein zum Industriestandort Deutschland, und wäre es nicht ein Exportschlager für unsere Wirtschaft?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kubatschka, ich kann Ihrer Feststellung folgen. Allerdings muß man bedenken, daß hier zwei wichtige Faktoren das von Ihnen angesprochene Unternehmen daran hindern, hier einen Exportschlager zu entwickeln. Das sind zum einen Managementfehler und auch Fehler in der Anlage — Sie kennen die Umstände und auch die entsprechenden Vorgänge —, und das ist zum anderen zur Zeit ein dramatischer Einbruch bei den Zellstoffpreisen am Weltmarkt.
Weitere Zusatzfragen dazu? — Nein.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich habe vorhin vergessen, nach weiteren Zusatzfragen zur Frage der Kollegin Enkelmann zu fragen. Gibt es dazu Zusatzfragen? — Bitte sehr, Frau Kollegin Lederer.
Herr Staatssekretär, noch einmal zurück zur Frage 5. Wie bewertet die Bundesregierung die Ansicht des Umweltministers von Sachsen-Anhalt, Rauls, daß nur Atommüll aus der ehemaligen DDR in Morsleben eingelagert werden darf?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15923
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung kann dieser Rechtsauffassung nicht folgen. Ich verweise auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, das das Urteil des Verwaltungsgerichtes Magdeburg in ähnlicher Angelegenheit aufgehoben hat.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Landesregierung von Sachsen-Anhalt ein Langzeitgutachten zur Sicherheit von Morsleben in Auftrag gegeben hat? Wenn ja, in welcher Weise wollen Sie das in Ihre weitere Arbeit einbeziehen?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Im Bereich der gutachterlichen Tätigkeit gibt es eine enge Verzahnung zwischen dem Bund und dem Land Sachsen-Anhalt. Wir werden auch dieses Vorgehen weiterhin aktiv unterstützen.
Weitere Zusatzfragen dazu? — Das ist nicht der Fall. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich sehr für die Beantwortung.
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ist die schriftliche Beantwortung der Fragen 7 und 8 vereinbart worden. Das gleiche gilt für die Frage 9 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Norbert Lammert zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Horst Kubatschka:
Wie hoch ist das Durchschnittsalter der Absolventinnen und Absolventen der Fachhochschulen, Universitäten und Technischen Universitäten in Deutschland?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege, die deutschen Studentinnen und Studenten haben in den alten Bundesländern, für die wir solche Übersichten verläßlich haben, im Jahre 1991 ihre Prüfung erfolgreich in folgendem Durchschnittsalter abgeschlossen:
An allen Universitäten, einschließlich der Technischen Universitäten, ergibt sich ein Durchschnittsalter von 28,8 Jahren, an den Gesamthochschulen eines von 29,3 Jahren, an Pädagogischen Hochschulen eines von 28,5 Jahren, an Theologischen Hochschulen eines von 27,9 Jahren, an Kunsthochschulen eines von 27,5 Jahren
— ich bestätige gern den Zwischenruf: das sind Durchschnittszahlen —, an Allgemeinen Fachhochschulen eines von 27,3 Jahren, der vergleichsweise günstigste Wert wird an den Verwaltungsfachhochschulen mit insgesamt 26,2 Jahren erzielt.
Nimmt man diese verschiedenen Hochschultypen über alles und bildet daraus wiederum einen Durchschnittswert, dann ergibt sich für das Jahr 1991 in Deutschland ein Durchschnittsalter der Hochschulabsolventen von 28,2 Jahren.
Ich könnte Ihnen jetzt, wenn Sie das wünschen, für die einzelnen Hochschultypen auch noch die jeweils unterschiedlichen Werte für die weiblichen und die männlichen Studenten nennen. Ich begnüge mich im Augenblick mit dem Hinweis, daß im allgemeinen das Durchschnittsalter bei den Studentinnen um etwa ein halbes Jahr günstiger ist als bei den Studenten. Dafür gibt es naheliegende Erklärungen. Nicht ganz so naheliegend ist die Erklärung dafür, daß bei den Pädagogischen Hochschulen das Durchschnittsalter der Studentinnen bei 27,5 Jahren, der Studenten dagegen bei 31,9 Jahren liegt.
Herr Kollege Kubatschka, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie erklärt sich die Bundesregierung diese hohen Durchschnittsalter?
Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär: Wie immer im Leben, Herr Kollege, sind monokausale Erklärungen mit einer gewissen Regelmäßigkeit falsch. Deswegen wäre es sicherlich leichtfertig, einen einzelnen Grund als die vermeintliche Ursache für diese Entwicklung angeben zu wollen. Richtig ist, daß in diesem Zusammenhang von den Hochschulen, auch von den Studentenverbänden immer wieder auf die beachtliche Überlastung vieler Fachbereiche an den Hochschulen aufmerksam gemacht wird, die in einzelnen Veranstaltungen das zügige Absolvieren des Studiums in Regelstudienzeiten erschwert.
Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, daß dies allein als Erklärung nicht ausreicht, weil wir zum Teil in gleichen Studiengängen an verschiedenen deutschen Hochschulen extrem unterschiedliche durchschnittliche Studienzeiten haben, die auch auf dieser Schiene — der Berücksichtigung der Relation zwischen Lehrenden und Lernenden — keine überzeugende Begründung finden. Das heißt, neben den objektiven Rahmenbedingungen für das Studium an den Hochschulen gibt es offenkundig auch eine Reihe von subjektiven Faktoren, die sich naturgemäß einer strengen Meßbarkeit weitgehend entziehen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Nachdem so hohe Unterschiede zwischen den einzelnen Hochschulen festgestellt wurden: Kann man daraus keine Schlußfolgerungen ziehen?Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär: Man kann aus solchen Befunden immer Schlußfolgerungen ziehen. Die Frage ist, welche man für die dringlichsten und für die notwendigsten hält und inbesondere auch, für welche Art von Schlußfolgerungen es bei denen, die sie ziehen, mindestens aber umsetzen müssen, die notwendige Bereitschaft für diese Art von Konsequenzen gibt.Wir haben— das ist sicher der eigentliche Kern Ihrer Nachfrage — inzwischen, obwohl diese Entwicklung
Metadaten/Kopzeile:
15924 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammertalles andere als neu ist, erstmals seit einer Reihe von Monaten einen breiten Konsens nicht nur auf der politischen Ebene zwischen Bund und Ländern, sondern auch in den Hochschulen, etwa dokumentiert in einer entsprechenden Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz und in Empfehlungen des Wissenschaftsrates, also genau in den Bereichen, die für die Entwicklung an den Hochschulen eine besondere Verantwortung haben, daß durch strukturelle Reformen im Studium selbst das Ziel der Erreichung definierter Regelstudienzeiten auch organisatorisch mit Nachdruck verfolgt werden kann und muß.
Zusatzfrage, Kollegin Frau Cornelia Schmalz-Jacobsen.
Herr Staatssekretär, ist es Ihnen möglich, uns zu sagen, wie das Durchschnittsabschlußalter in unseren Nachbarstaaten in der EG ist?
Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann Ihnen naturgemäß nicht mit gleicher Präzision für die jeweiligen Nachbarländer die jeweiligen Durchschnittszahlen nennen. Aber in Ihrer Frage ist die Vermutung nicht zu überhören, daß wir in den Nachbarländern durchweg günstigere Durchschnittsaltersraten haben, das kann ich ausdrücklich bestätigen, zum Teil deutlich niedrigere Durchschnittsaltersraten.
Frau Kollegin Lörcher bitte.
Herr Staatssekretär, sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Situation der Studenten und Studentinnen und der Länge der Ausbildung?
Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär: Ich sehe selbstverständlich auch hier Zusammenhänge. Aber ich würde für diese Vermutung ausdrücklich den gleichen Hinweis geben wollen, den ich vorhin schon einmal vorgetragen habe, daß die monokausalen Erklärungsversuche regelmäßig falsch sind. Das gilt ganz gewiß auch für diesen Zusammenhang.
Herr Kollege Dr. Burkhard Hirsch.
Herr Staatssekretär, wenn das Durchschnittsalter, wie Sie sagen, 28 bzw. 29 Jahre ist und wenn man, selbst dann wenn man beim Bund war, mit 21 oder 22 Jahren anfangen kann zu studieren, mache ich dann einen Denkfehler, wenn sich aus diesen Zahlen ergibt, daß das durchschnittliche Studium offenbar zwischen 12 und 14 Semester dauert?
Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Dr. Hirsch, Sie machen keinen Denkfehler. Wir haben an den Universitäten inzwischen eine durchschnittliche Studienzeit, die über 14 Semestern liegt, bei den Fachhochschulen, die von vorneherein andere Regelstudienzeiten haben, einen entsprechend niedrigeren, aber deutlich über der Regelstudienzeit liegenden durchschnittlichen Wert.
Ich will auch ausdrücklich bestätigen, was Sie nicht gefragt, aber mindestens in Ihrer Frage mit angedeutet haben, daß sowohl unter bildungspolitischen als auch erst recht unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten eine Fortsetzung dieses Trends unter jedem Gesichtspunkt unakzeptabel sein muß.
Weitere Zusatzfragen dazu? — Das ist nicht der Fall. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Die Fragen wird der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt beantworten.
Ich rufe Frage 11 auf, gestellt vom Kollegen Claus Jäger:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Abhörtätigkeit der GUS-Streitkräfte von ihren Anlagen auf dem Gipfel des Brockens aus, und nährt die Weigerung der Bundesregierung, den Deutschen Bundestag hierüber auch in öffentlicher Sitzung zu informieren, nicht den Verdacht, daß tatsächlich eine rechts- und vertragswidrige Abhörtätigkeit auf dem Brocken betrieben wird?
Ich bitte um Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Jäger, ich möchte Ihnen folgende Antwort vortragen: Die Bundesregierung hat eine Frage ähnlichen Inhalts des Abgeordneten Hollerith mit Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs Lintner vom 26. April 1993 beantwortet. Darin heißt es: „Der Gegenstand der Frage," der heute wieder von Ihnen vorgetragen wird, „ist nach Auffassung der Bundesregierung für eine öffentliche Erörterung nicht geeignet. Der Bundesminister des Innern ist bereit, im zuständigen Gremium des Deutschen Bundestages Auskunft zu geben."
Ich möchte darauf hinweisen, daß auf diese Anfrage hin, die damals schon gestellt wurde — das trifft den Kern auch Ihrer Anfrage —, die Parlamentarische Kontrollkommission des Deutschen Bundestages am 29. Juli dieses Jahres sowohl in der Sache als auch über die Hintergründe dieses gesamten Fragenkomplexes, den Sie angesprochen haben, unterrichtet worden ist.
Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die dem Kollegen Hollerith zugesagte Darlegung des Sachverhalts im Auswärtigen Ausschuß inzwischen vorgenommen, so daß sich auch Abgeordnete, die diesem Ausschuß nicht angehören, dies durch Einsichtnahme ins Protokoll zur Kenntnis bringen können?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich bin lediglich darüber unterrichtet, daß — aus der Natur dieses Fragenkomplexes heraus — die Kontrollkommission informiert worden ist.
Eine zweite Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15925
Herr Staatssekretär, nachdem der ganze Vorgang inzwischen eine breite Publizität erlangt hat, fragen mich schon Menschen, ob in Deutschland unter Ausnutzung einer Rechtsstellung tatsächlich eine Abhörtätigkeit dieser Art stattfindet. Ist die Bundesregierung, falls dazu Anlaß wäre, bereits an die Regierung Rußlands herangetreten, um dafür zu sorgen, daß diesbezüglich ordnungsgemäße Zustände hergestellt werden?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung befindet sich, wie Sie wissen,
in einem guten partnerschaftlichen Verhältnis mit der Regierung der Russischen Föderation. Alle zwischen beiden Staaten anstehenden Fragen werden ständig durch die Regierungschefs bzw. durch die Fachminister erörtert. Falls sich die Notwendigkeit ergeben sollte, wird sicherlich auch dieser Fragenkomplex erörtert werden.
Herr Kollege Hirsch, waren die Antworten so erschöpfend, daß Sie keine Frage mehr stellen wollen?
Ich möchte mir das Vergnügen, eine Frage zu stellen, im Augenblick doch nehmen.
Dann hat der Kollege Klejdzinski das Wort.
Herr Staatssekretär, würden Sie das, was mein Kollege vorab gefragt hat, mit der gleichen präzisen Formulierung auch in bezug auf unsere alliierten Freunde beantworten?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Auch mit unseren alliierten Freunden stehen wir in einem guten partnerschaftlichen Verhältnis. Alle anstehenden Fragen, die die Notwendigkeit ergeben, sie zu erörtern, werden mit ihnen besprochen. Im übrigen darf ich noch einmal darauf verweisen, was in der PKK vorgetragen worden ist. Wir haben uns extra ein Gremium geschaffen, um solche Fragen dort zu erörtern. Dort ist ein Bericht der Bundesregierung gegeben worden.
Gibt es weitere Zusatzfragen dazu? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 12 auf, die der Kollege Gerd Poppe gestellt hat:
Welchen Inhalt hatte die kürzliche Unterredung zwischen dem iranischen Geheimdienstminister Ali Fallahian sowie dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz , welches für die von Staatsminister Bernd Schmidbauer bislang genannten humanitären Gesprächsthemen im Zusammenhang mit in Drittstaaten befindlichen Bürgern befreundeter Nationen nicht zuständig ist, wohl aber für als extremistisch geltende Ausländer in Deutschland, und inwieweit treffen Medienberichte zu, wonach Ali Fallahian vom BfV detaillierte Informationen über hier lebende oppositionelle Volksmudschaheddin erhalten habe und ihm außerdem die Übermittlung von StasiAkten über Iran und Iraner in Aussicht gestellt worden sei für den Fall, daß der dort inhaftierte deutsche Bürger Szimkus freigelassen oder nicht hingerichtet werde?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Poppe, Medienveröffentlichungen, nach denen das Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen über in Deutschland lebende oppositionelle Volksmudschaheddin an Minister Fallahian übergeben und außerdem die Übermittlung von Stasiakten zugesagt habe, sind unzutreffend. Im Rahmen des Meinungsaustausches sind keine vertraulichen Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz weitergegeben worden. Wie Staatsminister Schmidbauer bereits in der Fragestunde der vergangenen Woche darlegte, gab es im Bundesamt für Verfassungsschutz Gespräche allgemeiner Art über den internationalen Terrorismus und über Fragen des internationalen Drogen- und Rauschgifthandels.
Im übrigen ist der Parlamentarischen Kontrollkommission des Deutschen Bundestages zum Inhalt der Gespräche zwischen dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und dem iranischen Minister Fallahian ausführlich berichtet worden.
Eine erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, inwieweit teilt die Bundesregierung die gemäß Pressemeldungen ernst zu nehmende Sorge der israelischen Regierung, daß es bei diesen Gesprächen weniger um humanitäre Fragen als vielmehr um eine mögliche atomare Aufrüstung des Iran mit deutscher Hilfe gegangen ist?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Nach den mir vorliegenden Informationen gibt es dafür null Anhaltspunkte.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Bundesbehörden haben denn überhaupt Stasi-Akten auf Erkenntnisse über Iraner, die in Deutschland leben, ausgewertet, und inwieweit sind solche eigenen Erkenntnisse oder die aus anderen Quellen als den Stasi-Akten stammende Erkenntnisse über Iraner in Deutschland iranischen Stellen übermittelt oder in Aussicht gestellt worden?Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Poppe, Sie haben in Ihrer Frage auf eine Begegnung im Bundesamt für Verfassungsschutz abgestellt. Ich habe Ihnen dazu die Antwort gegeben. Im übrigen verweise ich auf das, was in der Fragestunde in der vergangenen Woche Kollege Schmidbauer dazu erklärt hat.Ich will aber ein übriges tun. Sie kennen mich dafür, daß ich im Rahmen des Möglichen immer für eine umfassende Information der Kollegen bin. Sie haben in der Fragestunde vorige Woche erlebt, daß der Kollege Schmidbauer der Kollegin Thea Bock von der SPD-Fraktion angeboten hat, auch noch eine persönliche Information über die Gespräche zu geben, auf die Sie rekurrieren. Ich habe den Kollegen Schmidbauer gefragt, ob er bereit ist, auch Ihnen persönlich noch zusätzliche Informationen zu geben. Er ist dazu bereit. Ich darf dieses Angebot weitergeben.Aber ich bitte um Verständnis, daß ich über die Beschreibung, die ich gegeben habe, und über den
Metadaten/Kopzeile:
15926 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Parl. Staatssekretär Dr. Horst WaffenschmidtHinweis, daß die anderen Informationen der PKK gegeben wurden, und über das Angebot, daß ich Ihnen jetzt gemacht habe, hinaus, Ihnen Informationen nicht zur Verfügung stellen kann.
Nächste Zusatzfrage Kollege Wolfgang Lüder.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben generell gesagt, worum es in dem Gespräch mit dem Präsidenten des Amtes, das unsere Verfassung schützen soll, gegangen ist. Darf ich fragen, ob Gegenstand der Gespräche auch die wesentlichen Verfassungsbestandteile unseres Grundgesetzes waren, nämlich die Einhaltung von Menschenrechten?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich darf auch hierzu auf das verweisen, was der Kollege Schmidbauer schon in der letzten Fragestunde gesagt hat. Bei jeder nur denkbaren Gelegenheit setzen wir uns für die Einhaltung der Menschenrechte ein, nicht nur bei einem solchen Gespräch.
Zusatzfrage Kollege Karsten Voigt.
Herr Staatssekretär, Kollege Poppe hat eben Israel angesprochen. Können Sie die Meldungen bestätigen, daß bestimmte humanitäre Fälle von israelischer Seite angesprochen worden sind? Das sind Meldungen, die in der israelischen Presse waren.
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich sehe mich nicht in der Lage, Ihnen hierzu Informationen zu geben, biete Ihnen aber auch die persönliche Information von Herrn Schmidbauer an, der ja bei den Gesprächen dabei war. Ich halte diese Meldungen, die große Sorgen verbreiten, für nicht begründet. Soviel will ich sagen. Das habe ich auch dem Kollegen Poppe gesagt.
Kollege Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, würde ein Mitglied oder ein Vertreter der Bundesregierung mit Herrn Fallahian auch dann sprechen, wenn ein konkreter Anhaltspunkt dafür vorläge, daß Herr Fallahian an dem Mykonos-Attentat beteiligt war?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, ich hege die Erwartung, daß Sie in der PKK, der Sie ja angehören, so umfassend informiert worden sind, daß Sie sich die Frage, die Sie hier stellen, selbst beantworten können.
Herr Kollege Hirsch, in der Bundespressekonferenz pflegt man an dieser Stelle zu sagen: Hypothetische Fragen werden nicht beantwortet. Aber der Regierung steht es frei, so oder so zu antworten.
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich bin ja dem Kollegen Hirsch gegenüber immer nett. Ich habe ihm ja auch einen Weg gewiesen. Er ist Mitglied der PKK.
Das ist sicher richtig. Es ist immer richtig, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, seitens der Regierung zu allen Abgeordneten nett zu sein.
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Im übrigen Herr Präsident, wenn ich mir das erlauben darf — —
Ich darf jetzt in keinen Dialog eintreten. Ich muß die nächste Frage aufrufen,
nämlich die Frage 15, die der Kollege Friedhelm Julius Beucher gestellt hat:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Alexander SchalckGolodkowski eine Druckmaschine für das Ministerium für Staatssicherheit beschafft hat, die zur Herstellung von Dokumenten einschließlich Personalausweisen geeignet war?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Beucher, der Bundesregierung ist bekannt, daß der zum Einflußbereich von Alexander SchalckGolodkowski gehörende AHB Elektronik Export/ Import im Jahre 1989 mit der Koko-Firma Intrac in Lugano einen Vertrag über die Lieferung einer hochwertigen Druckmaschine zum Preis von 850 277 Schweizer Franken abgeschlossen hat. In die Beschaffungsaktion war, wie auch dem Koko-Untersuchungsausschuß des Bundestages bekannt ist, Alexander Schalck-Golodkowski persönlich eingebunden.
Die Maschine sollte für die Abteilung OTS, Operativer Technischer Sektor, des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit beschafft werden. Da das MfS in dieser Abteilung nach Wissen der deutschen Sicherheitsbehörden falsche Dokumente, darunter auch bundesdeutsche Personalausweise, für Spionagezwecke hergestellt hat, ist davon auszugehen, daß die genannte Maschine ebenfalls für die Fälschungstätigkeit des MfS geeignet und bestimmt war.
Sie sollte im Oktober 1990 ausgeliefert werden. Infolge der zwischenzeitlichen Wende in der damaligen DDR ist es zu einer Auslieferung dieser Maschine nicht mehr gekommen.
Erste Zusatzfrage dazu.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Waffenschmidt, sind Sie hundertprozentig der Meinung, daß diese Maschine nicht ausgeliefert ist? Können Sie nicht Ihren Unterlagen entnehmen, daß sie vielleicht doch noch Ende 1989 angekommen ist?Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich habe mich, Herr Kollege Beucher, bei den zuständi-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15927
Parl. Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidtgen Stellen im Bereich der Bundesregierung gerade mit Blick auf diese Frage umfassend sachkundig zu machen versucht, weil mehrere Beteiligte vorhanden sind.Dieser Vertrag ist sogar gekündigt worden. Weil es mehrfach Lieferungsverzögerungen gab, wurde von ihm Abstand genommen. Diese Lieferverzögerungen existierten aber auch schon zu Zeiten der DDR, des alten Regimes.Also: Die Maschine wurde nie geliefert. Im übrigen wurde der Vertrag aufgelöst.
Zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung seinerzeit nicht in der Lage gewesen, solche Lieferungen zu unterbinden, oder war es den entsprechenden Diensten nicht möglich, die Bundesregierung zu informieren, daß eine solche Maschine, die ausschließlich zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden sollte, an das MfS geliefert wird?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Beucher, inwieweit sich Nachrichtendienste eingeschaltet haben und inwieweit man versucht hat, diese Lieferung zu verhindern, will ich gern noch einmal prüfen und Ihnen eine schriftliche Mitteilung darüber zukommen lassen.
Herr Kollege Hirsch.
Herr Staatssekretär, war diese Maschine -- weil Sie von Personalausweisen sprechen — auch geeignet und in der Lage, die sogenannten fälschungssicheren Personalausweise der Bundesrepublik zu drucken?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Dies kann ich Ihnen nicht sagen. Es war eine Maschine, von der in der Beschreibung zu lesen ist, daß sie in der Lage sei, eine ganze Menge von Dokumenten herzustellen. Ich bin gerne bereit, dies auszuloten und Ihnen mitzuteilen.
Ich rufe jetzt Frage 16, die Frage nach der Anwendung der nichtgelieferten Maschine, auf:
Ist es richtig, daß diese Druckmaschine zwischenzeitlich in den Besitz der Bundesregierung gelangt ist und im Bundesministerium des Innern Anwendung findet?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Wie sich schon aus der Antwort zur ersten Frage ergibt, ist die fragliche Druckmaschine nicht in den Besitz der Bundesregierung gelangt. Insofern konnte eine Verwendung nicht stattfinden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Beucher.
Ist denn der Bundesregierung bekannt, wo sich die Maschine befindet, nachdem man Kenntnis davon bekommen hat, daß sie in die frühere DDR gehen sollte, aber dort nicht angekommen ist?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen nur soviel sagen, daß das ganze Vertragsverhältnis aufgelöst worden ist, weil gar keine Lieferungsmöglichkeit seitens der Lieferfirma mehr bestand. Mir ist nicht bekannt, ob man nach Auflösung aller vertraglichen Verhältnisse dem nachgegangen ist, ob irgend jemand anders in der Welt bei dieser Firma eine ähnliche Maschine bestellt hat. Ich glaube, es ist auch nicht Aufgabe der Bundesregierung, möglichen Vertragsverhältnissen von über 100 Staaten der Erde nachzugehen. Das Vertragsverhältnis zu jener Firma wurde aufgelöst, und geliefert wurde die Maschine nicht.
Zweite Zusatzfrage.
Wäre es denn nicht möglich gewesen, im Rahmen der Auflösung der KoKo-Firmen die Spur zu verfolgen, wohin die Maschine gegangen ist, zumal bei dem, was die Maschine alles leisten kann, unkontrolliert Gefahr zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland ausgehen könnte?
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Beucher, wir beide wissen gar nicht, ob die Maschine jemals fertig geworden ist. Es gab doch ständig Lieferungsverzögerungen. Ich kann Ihnen nur sagen: Es gab bei dem, was wir vorgefunden haben, was in diesen Bereich gehörte, eine Besichtigung durch Experten der Bundesregierung. Sie haben alle Maßnahmen ergriffen, daß Geräte, die man vielleicht in Verbindung mit dieser Druckmaschine hätte einsetzen können, nicht in Hände kommen, die damit Mißbrauch betreiben. Das haben mir unsere Sicherheitsdienststellen heute noch einmal gesagt; darum haben sie sich bemüht. Aber was aus der — ich sage es immer wieder — nicht fertiggestellten sogenannten Druckmaschine geworden ist, die vielleicht überhaupt nie das Licht der Welt erblickt hat, kann ich Ihnen nicht sagen.
Ich lasse jetzt noch zwei Zusatzfragen zur Spekulation über eine nicht vorhandene Maschine zu.
Bitte, Herr Kollege Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie bei der Beurteilung der Qualitäten dieser Maschine das Personal der Bundesdruckerei in Berlin grundsätzlich zur Beratung hinzugezogen haben.Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Hierzu muß ich Ihnen bei aller Bereitschaft, Fragen der Kollegen zu beantworten, sagen: Wie soll ich erstens Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer bundesdeutschen Dienststelle zu Bestellungen hinzuziehen, die in der DDR unter Herrschaft der SED gegeben worden sind? Zweitens, nachdem wir nun die Wiedervereinigung haben und man auch von seiten der Bundesdienststellen zu dieser Einrichtung Zugang gehabt hat, hätte man die Maschine natürlich bewerten können, wenn sie dagewesen wäre. Da sie aber gar nicht dagewesen ist, kann man sie natürlich auch gar nicht bewerten und auch nicht Mitarbeiter der Bundesdruckerei befragen.
Metadaten/Kopzeile:
15928 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Die Fragestunde hat ein hohes Maß an Konditionalität erreicht. Ich möchte sie, da die Zeit dafür abgelaufen ist, schließen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur Zuspitzung der militärischen Konfrontation in Somalia und der Rolle der Bundeswehr in dieser Situation
Die Gruppe PDS/Linke Liste hat diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich erteile das Wort der Kollegin Andrea Lederer.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Einsatz der Bundeswehr in Somalia muß sofort und nicht erst im April 1994 abgebrochen werden. Selten ist bis ins Detail eine Prognose so bestätigt worden wie im Falle dieses Einsatzes der UNO und vor allem der deutschen Beteiligung hieran. Bestätigt wurde, daß eine verfehlte Politik im Vorfeld niemals durch militärische Gewalt wiedergutgemacht werden kann. Bestätigt wurde die Befürchtung, ein als humanitär deklarierter UN-Einsatz werde durch eskalierendes Eingreifen der Soldaten einer Supermacht zum Kampfeinsatz. Bestätigt wurden die katastrophalen Auswirkungen einer Politik der bevormundenden Einmischung. Und vor allem wurde bestätigt: Der Bundeswehreinsatz in Somalia verfolgte ausschließlich einen einzigen Zweck, nämlich die Gewöhnung der deutschen Bevölkerung, der europäischen Nachbarn und vor allem der künftigen Interventionszielländer an die weltweite militärische Präsenz der Bundesrepublik.Der Hauptauftrag für die eingesetzten Bundeswehrsoldaten lautete: logistische Versorgung eines etwa 4 000 Mann starken indischen Truppenkontingents in der Region um Belet Uen. Heute versorgen, was diese Hauptaufgabe anbelangt, 1 700 Bundeswehrsoldaten logistisch drei indische UN-Soldaten, und das für den satten Betrag von 215 Millionen DM im Jahre 1993. Der Kollege Opel schätzt die Kosten bis zum April 1994 auf runde 500 Millionen DM.Hätte man die 215 Millionen DM zivilen Organisationen zur Verfügung gestellt, dann hätte vermutlich einer wesentlich größeren Region Somalias effektive Hilfe beim eigenständigen Aufbau der Infrastruktur und der Entwicklung der Landwirtschaft gegeben werden können.Die Geschäftsgrundlage dieses Einsatzes ist nicht weggefallen — wie allerorts, auch seitens der SPD, behauptet wird —, sondern sie hat überhaupt nie existiert. Der Einsatz der Bundeswehrsoldaten ist von Anfang an überflüssig gewesen. Die von den Soldaten wahrgenommenen Aufgaben hätten besser, kostengünstiger und vor allem für die somalische Bevölkerung langfristig hilfreicher durch zivile Organisationen wahrgenommen werden können.
Aber die Bundesregierung wollte das nicht. Sie wollte Fakten schaffen in Richtung internationalerBundeswehreinsätze. Sie will mit diesem Einsatz militärische Großmachtnormalität beweisen, und sie will mit diesem Einsatz ihren Anspruch auf einen Sitz als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat untermauern. Der Preis dafür ist allerdings hoch.Wenn man noch einmal den Verlauf der deutschen Einsatzplanung nachvollzieht, dann ergibt sich ein reines Gespinst aus Desinformation, Vorwänden und Heuchelei.
Da wurde durch die Bundesregierung suggeriert, die UNO, insbesondere Generalsekretär Boutros-Ghali, habe um nichts anderes gebeten als um deutsche Soldaten. Auf nichts anderes sei die UNO gerade in diesem Moment angewiesen. Ich zitiere das, was der Generalsekretär anläßlich seines Besuches im Januar dieses Jahres gesagt hat:Es ist Sache der Regierung zu entscheiden, ob sie Köche oder Soldaten entsenden will. In beiden Fällen wären wir der Bundesregierung und dem deutschen Volk sehr dankbar für die Teilnahme an Friedensoperationen.Die Bundesregierung freilich entscheidet sich für das Militär.Zunächst war davon die Rede, im befriedeten Gebiet um Bosaso Bundeswehr einzusetzen. Als sich herausstellte, daß Militär dort nur schaden kann, war die Rede von Belet Uen. Inzwischen liegen uns Informationen vor, aus denen hervorgeht, daß dort im Grunde genommen dieselbe Situation wie in Bosaso entsteht. Das heißt, zivile Organisationen könnten genausogut und besser das erledigen, was die Bundeswehr in Belet Uen macht.
Inzwischen sind in Somalia, laut „Stern" vom 14. Oktober, mindestens 77 UN-Soldaten ums Leben gekommen. Vor allem aber — über diese Opfer redet hier kaum jemand — sind unmittelbar durch militärische Aktionen der UN-Soldaten Hunderte von Somalis getötet und noch weitaus mehr verletzt worden.Bei dem Vorgehen des größten Teils der UN-Truppen, den amerikanischen Streitkräften, war klar, daß die somalische Bevölkerung das letztlich nur noch als Aktion von Besatzern wahrnehmen konnte. Die eigentlich notwendige Unterstützung zur Wiederherstellung politischer Strukturen durch Einbeziehung aller politischen Kräfte, auch der Opposition und vor allem von Frauenorganisationen, diese Aufgabe ist durch den Verlauf der UN-Aktion konterkariert worden.Wer sich die Mühe macht, Berichte von Organisationen wie die „African Watch" und „African Rights" zu lesen, wird feststellen müssen, daß nicht nur Übergriffe von UN-Soldaten zur Zuspitzung der Situation geführt haben,
sondern daß auch ökonomische, soziale und ökologische Probleme durch die militärische Interventionentstanden sind, die einen eigenständigen Aufbau für
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15929
Andrea Ledererdie somalische Bevölkerung mehr als erschweren werden.Der Einsatz der Bundeswehr ist nicht nur verfassungswidrig. Ich bleibe bei dieser Auffassung.
Ich finde es gefährlich, diesen Einsatz lediglich als verfassungswidrig zu bezeichnen und nicht darauf einzugehen, was er seinem Wesen nach ist: der Versuch der Beteiligung an einer militärischen Intervention.
Die Wahrnehmung internationaler Verantwortung, die die Bundesregierung immer wieder reklamiert, hätte darin bestanden — um bei dem Zitat von Boutros-Ghali zu bleiben —, Köche statt Soldaten zu entsenden. Sie hätte darin bestanden, massiven Druck auf die USA zur Beendigung ihrer Rambo-Politik in Somalia auszuüben. Sie hätte darin bestanden, die Mittel für den Bundeswehreinsatz den zivilen Organisationen zur Verfügung zu stellen.
Die Redezeit ist zu Ende, Frau Lederer.
Heute bestünde die Wahrnehmung internationaler Verantwortung vor allem und zu allererst in dem sofortigen Abbruch dieses Einsatzes. Dazu fordern wir die Bundesregierung auf.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Volkmar Köhler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Was Frau Lederer hier soeben eine bevormundende Einmischung genannt hat, ist die Antwort auf einen Zustand, in dem in Somalia jegliche Ordnung und jegliche Verwaltung zusammengebrochen war, ein Staat nicht mehr existierte, Mord und Totschlag das Land beherrschten, Frauen und Kinder und friedliche Bauern Unbeschreibliches erlitten und sich die Hilfsorganisationen zurückziehen mußten, weil sie in Wahrheit keine Betätigungsmöglichkeit mehr hatten. Das sind die Fakten, die man sich mit einiger Erinnerungskraft noch vor Augen führen könnte.Unter diesen Umständen hat die Völkergemeinschaft — vertreten durch die Vereinten Nationen - in diesem Lande interveniert. Das, was die Bundeswehr dort macht, ist ein Teil dessen, was die Vereinten Nationen tun. Insofern ist es auch lächerlich, von Großmachtattitüden und dergleichen zu sprechen. Soviel ich weiß, sind dann im Moment dort 30 Großmächte tätig. Es gibt davon offenbar sehr viele auf der Welt.Nein, die Legende, die immer wieder eilfertig verbreitet wird, man hätte dasselbe kostengünstiger durch Nichtregierungsorganisationen machen können, verdrängt die Tatsache völlig, daß es dafür überhaupt keinen Raum gab.Das nächste, was dann erzählt wird, ist, daß nun durch Änderungen der Planung der UNO 1 700 deutsche Soldaten logistisch drei Inder unterstützen. Das kann man natürlich behaupten.
Man sollte sich jedoch im gleichen Moment bitte daran erinnern, daß die 1 700 Soldaten in der Zwischenzeit monatelang eine Unmenge getan haben, um Schulen wieder arbeitsfähig zu machen, um die Wasserversorgung der Bevölkerung sicherzustellen,
und sie haben sich in Hospitälern um die Kranken gekümmert. Diese Rechnung steht dagegen, die kann man hier nicht einfach unter den Tisch kehren.
Es verdient an dieser Stelle auch festgehalten zu werden: Das, was die Bundeswehr dort tut, geschieht mit außerordentlich gutem Fingerspitzengefühl für die politische Situation und die Machtstrukturen im Lande. Es wird in einer Weise getan, die Anerkennung verdient und gelobt werden sollte.
Unsere Soldaten dort haben auch einen Anspruch darauf, daß sie nicht permanent durch Aufgeregtheiten aus der Heimat bei dem gestört werden, was sie mit gutem Gewissen und nach bestem Vermögen dort tun. Auch das sollte hier einmal ganz klar und deutlich gesagt werden.
Wahr ist, daß bei dieser Operation die Vereinten Nationen wiederum an Grenzen dessen gestoßen sind, was sie leisten können. Das ist eine Tatsache. Deswegen ändert sich offensichtlich zur Zeit die Zielrichtung des Mandats der Vereinten Nationen für diese Operation in Somalia. Darüber wird der Generaisekretär der Vereinten Nationen am 15. November einen Bericht vorlegen. Dann zu beraten, dann festzustellen, ob sich auf Grund der dortigen Zielsetzungen die Maßstäbe für das deutsche Engagement verändert haben, wäre dann an der Zeit. Ich stimme allerdings damit überein — das habe ich im Auswärtigen Ausschuß schon manches Mal gesagt —, daß dann die politische Zielsetzung darauf geprüft werden muß, ob sie noch einen entsprechenden Aufwand unsererseits rechtfertigt, ob die Sorgen berechtigt sind, die manche von uns haben, daß, nachdem Herr Aidid vom Teufel wieder zum Verhandlungspartner befördert ist und nun einen Vorsprung hat, der die anderen Clan-Chefs auf den Plan zurückgerufen hat, die Kämpfe der verfeindeten Clans in Mogadischu von neuem losgehen und ob nicht am Schluß der Operation unter Umständen ein Ergebnis stehen wird, das uns dazu verpflichten sollte, so bald und so gut wie möglich unsererseits ein Ende der Angelegenheit zu machen. Das ist auf Grund dessen zu beraten, was uns BoutrosGhali am 15. November vorzuschlagen hat.Unter diesen Umständen wird darüber zu reden sein, ob es sinnvoll ist, jetzt langfristige Entwicklungsprojekte in Gang zu setzen, die bei einem erneuten Chaos in Somalia in höchster Gefahr wären und wiederum — wie leider so oft in der Geschichte der
Metadaten/Kopzeile:
15930 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Dr. Volkmar Köhler
Hilfe für Somalia — verschwendetes Geld darstellen würden.Auch die Frage — auch das habe ich klar gesagt, und ich bleibe dabei — des Aufbaus einer Polizeitruppe für eine politisch ungewisse Zukunft wäre dann zu diskutieren, aber bitte im Rahmen der Operation der Vereinten Nationen auf der Basis der Empfehlungen und der Berichte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen und nicht in einer Sonderaktion, die das Ganze zu einer unerträglichen Belastung auch für uns machen würde, weil sie letzten Endes nicht mehr aus Verantwortung für ein notleidendes Volk diktiert wird.Ich erinnere zum wiederholten Male daran, daß die Somalis einmal in diesem Parlament hohes Ansehen genossen haben und daß die Identifikation mit den Menschen in diesem Lande in Deutschland einmal eine sehr hohe war. Das sollten und das dürfen wir nicht vergessen. Was menschenmöglich und realistisch ist, diesen Menschen in ihrer bedrängten Situation zu helfen, muß geleistet werden. Deswegen kann man hier nicht einfach sagen: Weg, so schnell wie irgend möglich! Das ist eine absolut amoralische und unvertretbare Haltung, die wir nicht billigen können.
Herr Dr. Köhler, Ihre Redezeit ist beendet.
Ich bin am Ende, Frau Präsidentin. — Wir sollten diese Entscheidung in Ruhe fällen, wenn am 15. November Boutros-Ghali seinen Bericht vorgelegt hat. Davor sind Aufgeregtheiten nicht am Platze.
Als nächster spricht der Kollege Karsten Voigt.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Diese Bundesregierung steht in Somalia vor einem Scherbenhaufen ihrer Politik.
Was vollmundig als Symbol einer neuen außenpolitischen Rolle des vereinigten Deutschlands angepriesen wurde, ist zum Symbol der außenpolitischen Konzeptionslosigkeit dieser Bundesregierung geworden.Ein Einsatz der Bundeswehr, der im Verfassungsstreit mit der SPD begonnen wurde, endet im Streit zwischen Bundesaußenminister und Bundesverteidigungsminister. Wenn 1 700 Soldaten statt, wie ursprünglich geplant, 4 000 heute sage und schreibe drei indische Soldaten versorgen, dann ist das keine Glanznummer, sondern eine Luftnummer.
Diese Luftnummer haben nicht die Soldaten in Belet Uen, sondern diese Luftnummer hat die Bundesregierung in Bonn zu verantworten.Ich habe mich selber im August in Somalia davon überzeugen können: Die dort eingesetzten Soldaten der Bundeswehr waren und sind hochmotiviert, umunter schwierigsten klimatischen Bedingungen den Somalis ein menschenwürdiges Leben ohne Bürgerkrieg und Hunger sichern zu helfen. Dies haben sie auch in anerkennenswerter Weise versucht. Es ist nicht die Schuld der Soldaten, sondern der Politiker in Bonn, Washington und New York, wenn jetzt ihr Einsatz nicht nur von der SPD, sondern von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht mehr für sinnvoll gehalten und ihr Abzug gefordert wird.Noch im Juli hat Volker Rühe den Soldaten in Belet Uen verkündet, daß ihr Einsatz dort mindestens zwei Jahre dauert. Jetzt will er ihren Abzug bis zum nächsten Frühjahr. Dann sollte er jetzt auch den Mut haben,
das dort den Soldaten und hier dem Deutschen Bundestag ehrlich zu sagen, nämlich daß er und die gesamte Bundesregierung sich in ihrer politischen und militärischen Einschätzung beim Somalia-Einsatz und damit beim ersten größeren UNO-Einsatz der Bundeswehr überhaupt grundsätzlich geirrt haben. Wahrlich ein mißratener Auftakt für die von ihm forcierte neue Rolle der Bundeswehr!
Noch wichtiger aber ist, daß der Außenminister, statt als Ritter von der traurigen Gestalt darüber zu klagen,
daß Außenpolitik nicht mehr im Auswärtigen Amt, sondern auf der Hardthöhe geplant wird — —
— Jetzt brauchen Sie nicht die Muskeln spielen zu lassen. Das hilft nichts. Im nachhinein wird er sich nicht durchsetzen.Statt sich darüber zu mokieren, sollte er endlich selber eine überzeugende Konzeption und realistischere Vorschläge für eine deutsche Politik in und mit den Vereinten Nationen entwickeln.
Es muß endlich Schluß damit sein, daß die deutsche Außenpolitik vom rhetorischen Overkill, schwindender Kalkulierbarkeit und abnehmendem internationalen Ansehen geprägt wird.
— Sehr geehrter ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt, jemand, der, wie Sie, damals in vielenFragen, was die arabische Welt anging, Bezug auf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15931
Karsten D. Voigt
Gruppeninteressen und außenpolitische Interessen genommen und sie so sehr miteinander verbunden hat, sollte schüchtern und zurückhaltend mit bestimmten Zwischenrufen sein.
Der Einsatz der UN-Truppen in Mogadischu ist gescheitert. Der ursprüngliche Hauptauftrag der Bundeswehr, die Versorgung von indischen Soldaten, hat sich wegen deren Ausbleiben erledigt. Der Einsatz der Bundeswehr ist damit zu teuer und auch überflüssig. Die Bundeswehr kann und sollte jetzt und nicht erst im nächsten Frühjahr abgezogen werden. Entwicklungspolitische Vorhaben, die die Bundeswehr mit gutem Willen und viel Elan begonnen hat, könnten von hierfür speziell ausgebildeten zivilen Kräften und zivilen Hilfsorganisationen mindestens genausogut, auf jeden Fall aber viel billiger zum Erfolg geführt werden.Mein Kollege Gernot Erler hat weitsichtig bereits im Juni davor gewarnt, daß in Mogadischu die positive Idee der Blauhelme zerstört werden könnte. Die Blauhelme haben wegen anderer, erfolgreicher Missionen zu Recht den Friedensnobelpreis erhalten. Es wäre verhängnisvoll, wenn dieses Instrument einer Weltfriedenspolitik durch falsche Lagebeurteilungen und unverantwortliche Fehlentscheidungen in Bonn, in Washington und in New York jetzt diskreditiert würde.Ich warne davor, daß aus diesem Somalia-Einsatz eine falsche Lehre gezogen wird. Es gibt viele Konservative, die jetzt eine Renationalisierung der Sicherheitspolitik wollen. Statt die UNO zu stärken und zu reformieren, wollen sie die Projektion nationaler Machtpolitik. Ich höre das in New York, in Washington, aber leider auch bei Konservativen hier in Bonn.
Machen Sie endlich Schluß mit dieser weltweiten Projektion deutscher militärischer Macht, und gehen Sie mit uns gemeinsam den Weg einer realistischen UNO-Politik, zu der dann auch Blauhelm-Einsätze gehören, aber solche, die hier und bei der UNO geplant und nicht am Anfang und am Ende durch den CNN-Faktor geprägt werden, also durch das amerikanische Mediensystem und seine verheerenden Auswirkungen auf die deutsche, internationale und natürlich auch amerikanische Politik!Vielen Dank.
Als nächster spricht der Abgeordnete Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Mission UNOSOM hat das Massensterben von fast einer halben Million Menschen in Somalia beendet.
Die Versorgung der notleidenden Bevölkerung mitNahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern ist sichergestellt. Das Wirtschaftsleben erholt sich. Neue politische Strukturen bilden sich aus. Im Land ist es mit Ausnahme von Mogadischu weitgehend friedlich.Herr Kollege Voigt, gibt es eigentlich einen größeren Erfolg, als den Menschen in diesem Lande geholfen zu haben, als sie vor dem Tode zu retten? Gibt es eigentlich einen größeren Erfolg? Sie aber stellen sich heute hier hin und machen alles nieder.
Sie müssen einmal den Auftrag lesen, der im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde.
Darin heißt es erstens, die logistische Unterstützung eines 4 000 Mann starken UNOSOM-Kontingentes vorzubereiten und durchzuführen, und zweitens — Sie haben vergessen, daß es zwei gleichberechtigte Anteile des Auftrages gibt — gilt es, im Rahmen vorhandener Kapazitäten humanitäre Hilfsmaßnahmen durchzuführen. Sie haben den Auftrag offensichtlich nicht gelesen.Ich habe heute morgen Ihren Fraktionsvorsitzenden Klose beim Deutschen Bundeswehrverband gehört. Er hat dort eine Rede gerade zu dem Auftrag in Somalia gehalten, die auch wir als Koalition hätten unterschreiben können. Diese Rede hat sich allerdings von der Ihrigen total unterschieden.
Meine Damen und Herren, Deutschland hat mit seinem Unterstützungsverband zu diesen Erfolgen beigetragen. Ich will der Bundeswehr für ihre Arbeit, die sie in Somalia leistet, ausdrücklich Dank sagen.
Ich habe auf die beiden Teile des Auftrages hingewiesen. Es geht zwar um die Zahl 4 000; das ist richtig. Aber es geht nicht darum, ob es Inder oder andere Truppenkontingente sind. So haben die im Raum Belet Uen stationierten deutschen Soldaten — Sie haben sich vor Ort informiert; Sie wissen es besser, Herr Voigt — italienische und nigerianische Truppen logistisch unterstützt. Sie haben gemäß dem zweiten Teil ihrer Aufgaben umfangreiche Arbeiten geleistet, sowohl bei der Unterstützung im medizinischen Bereich als auch beim Aufbau von Infrastruktureinrichtungen als auch in vielen anderen Bereichen, nämlich beim Aufbereiten und Verteilen von Wasser. Ich denke, auch dies sollten Sie in der Öffentlichkeit vielleicht einmal anerkennen.
Metadaten/Kopzeile:
15932 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Günther Friedrich NoltingVorhin kam der Zwischenruf: Das können auch zivile Organisationen.
Wenn Sie sich vor Ort umsehen, werden Sie feststellen — das wird auch von anderen Rednern Ihrer Fraktion anerkannt —, daß es zivile Organisationen in diesem Umfang nicht können, sondern daß man in Somalia gegenwärtig noch Soldaten braucht.
Gespräche mit zivilen Organisationen haben das auch bestätigt.
— Ja, ich habe bei zivilen Organisationen nachgefragt. Wir haben uns mit zivilen Organisationen unterhalten. Das, was ich hier vortrage, würde ich nicht vortragen, wenn ich es nicht gemacht hätte. Wir informieren uns vorher und sprechen dann hier, im Gegensatz zu Ihnen, die Sie Aktuelle Stunden beantragen, ohne zu wissen, worüber Sie reden.
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen läuft das Mandat der Vereinten Nationen für den Somalia-Einsatz aus. Für uns als Liberale bedeutet das, daß eine erneute konstitutive Befassung hier im Deutschen Bundestag stattfindet, so wie es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sagt. Aber eine Änderung deutschen außenpolitischen Handelns vor Konsultationen mit den Vereinten Nationen, unseren Partnern, in den Raum zu stellen ist kontraproduktiv. Das weitere politische Vorgehen muß in jeder Beziehung koordiniert erfolgen, gerade auch gegenüber der Weltorganisation und unseren Partnern.Man darf die von mir eingangs geschilderten Erfolge nicht dadurch zunichte machen, daß man um jeden Preis seine entsprechenden Kontingente aus Somalia abzieht oder die Möglichkeit hierzu aus populistischen Gründen in die Öffentlichkeit lanciert, um vermeintlich innenpolitisch Punkte machen zu können, wie es der Kollege Voigt von der SPD hier gerade wieder getan hat.
Herr Kollege Voigt, es darf nicht sein, daß wegen solcher kurzsichtigen taktischen Erwägungen Somalia ins Chaos zurückfällt.
Wir müssen die weiteren Maßnahmen davon abhängig machen, daß der Aufbau von Verwaltungs-, Wirtschafts- und Sicherheitsstrukturen in diesem Land gewährleistet wird. Unter Umständen — auch darauf will ich hier ganz bewußt hinweisen — wird es erforderlich sein, längerfristig militärische Kontingente in Somalia zu unterhalten. Allerdings wäre es wünschenswert, in Zukunft verstärkt auf regionale Unterstützung zur Konfliktlösung zurückgreifen zu können.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Gerade jetzt, wo die Bundesrepublik Deutschland beabsichtigt, sich verstärkt in der UNO einzubringen und stärker Einfluß in dieser Organisation auszuüben, liegt es auch im sicherheitspolitischen Interesse unseres Landes, so zu handeln, daß die Erfolge der UNO in Somalia — und natürlich auch in Kambodscha — nicht durch übereiltes Handeln in Frage gestellt werden. Gerade im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik müssen wir besonnen handeln. Darum bitte ich auch die Opposition. Wir Freien Demokraten werden uns dafür weiter einsetzen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gerd Poppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kann wohl kaum jemand ernsthaft bestreiten, daß der Somalia-Einsatz der Vereinten Nationen als weitgehend gescheitert anzusehen ist.
Auch wenn es durch den Schutz der Blauhelme gelungen ist,
viele Menschen vor dem drohenden Hungertod zu retten:
Eine politische Lösung für Somalia, Herr Irmer, ist heute ebenso weit entfernt wie zu Beginn der Aktion. Das ist Scheitern.
Ursache für das Desaster der UN ist vor allem, daß sie im Verlauf des Einsatzes unter Vernachlässigung der somalischen Realitäten auf eine vorrangig militärische Lösung gesetzt haben.
Nachdem das Ziel, die sich bekämpfenden Banden zu entwaffnen, kurzfristig nicht erreicht wurde, hätten die politischen Bemühungen unter Einbeziehung der Somalis intensiviert werden müssen. Das Gegenteil geschah. Durch die ohne Rücksicht auf zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung monatelang betriebene Jagd auf den zum Feind Nummer 1 hochstilisierten Clan-Chef Aidid wurden die UN für die Bevölkerung selbst zur Bürgerkriegspartei. Ungeachtet der Clan-Zugehörigkeit entwickelte sich ein gemeinsames Feindbild: UN, USA. Antikolonialistische Gefühle wurden mobilisiert.Im Sinne der Friedenserhaltung für die Zeit der Suche nach einer politischen Lösung war der Einsatz von Anfang an falsch programmiert. Weder der politische Auftrag noch Dauer noch Kosten des Einsatzes waren hinreichend geklärt. So konnten die UN ihrem Anspruch nicht gerecht werden, und sie haben deutlich an Ansehen verloren. Sie sind weit davon entfernt, jene friedensstiftende und friedensbewahrende Rolle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15933
Gerd Poppezu spielen, die von ihr erwartet wird und die ihr als dem gegenwärtig einzigen System kollektiver Sicherheit auch zukommt.Wenngleich noch viel über Motive und Fehler aller Beteiligten in diesem bis heute offenen Konflikt zu reden wäre, möchte ich mich nun auf das konzentrieren, was uns am nächsten liegt: den Einsatz der Bundeswehr. Statt sich engagiert einer nicht militärischen Konfliktschlichtung im Rahmen der UN zuzuwenden, hat sich die Bundesregierung der Stärkung ihres außenpolitischen Gewichts mit militärischen Mitteln verschrieben. In der irrigen Annahme, der neuen Rolle Deutschlands am ehesten durch neue Aufgaben für die Bundeswehr und durch einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat gerecht zu werden, hat sie in sehr freizügiger Auslegung des Grundgesetzes den Somalia-Einsatz beschlossen und durchgesetzt. Gegenüber der deutschen Bevölkerung wurde vereinfachend argumentiert nach dem Muster, wer könne schon etwas gegen medizinische Hilfe in Kambodscha, gegen Beobachtungsschiffe in der Adria oder gegen Wasseraufbereitung im leidgeprüften Somalia haben.Die Reihenfolge ist nicht zufällig; Somalia ist der bisherige Höhepunkt, was Umfang und Auftrag des Bundeswehrkontingents betrifft.Es sei dahingestellt, ob die Akzeptanz der Deutschen für den Somalia-Einsatz so erreicht wurde. Richtiger im Sinne eines angemessenen außen- und sicherheitspolitischen Konzepts wird er dadurch nicht, zumal sich der Einsatz, militärisch gesehen, erwartungsgemäß als Flop erwiesen hat. Die logistisch zu unterstützenden indischen Blauhelme sind bis heute nicht im Gebiet von Belet Uen aufgetaucht. Der eigentliche Auftrag kann nicht erfüllt werden. Statt dessen beschäftigen sich die Bundeswehrsoldaten mit Aufgaben, die unbewaffnete, mit spezieller Ausbildung und mit Sachkenntnis versehene Hilfsorganisationen besser und billiger erfüllen könnten.Zweifellos haben sich die Bundeswehrsoldaten in Belet Uen vorbildlich verhalten und beachtliche humanitäre Leistungen vollbracht. Dazu trägt auch der glückliche Umstand bei, daß sie bisher nicht in vergleichbare Gefahren geraten sind wie UNOSOM-Einheiten aus anderen Staaten.Eine militärische Dimension gibt es in der Praxis von Belet Uen bisher nicht und damit auch keinen Beweis für die Notwendigkeit der Präsenz der Bundeswehr. Aus der Erkenntnis dieser Tatsache rühren auch die eher hilflosen Überlegungen, im letzten Moment noch den Auftrag oder das Einsatzgebiet zu ändern, um den Einsatz zu rechtfertigen. Aber das Problem ist auf diese Weise nicht zu lösen. Entweder sind keine Soldaten nötig, weil zivile Aufgaben zu erfüllen sind, oder sie sind nötig, weil immer noch Krieg herrscht; dann aber fehlt die Rechtsgrundlage.
Das Fazit, meine Damen und Herren, ist leicht zu ziehen: Nicht das Kompetenzgerangel zweier Bundesminister ist das entscheidende Problem für die deutsche Öffentlichkeit, sondern die Tatsache, daß fürden Bundeswehreinsatz in Somalia von Beginn der Aktion an die Grundlagen nicht gegeben waren, wofür die Praxis inzwischen auch die letzten Beweise geliefert hat.Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert die Bundesregierung auf, die deutschen Soldaten umgehend zurückzuholen, und zwar nicht erst nach dem Rückzug der meisten anderen Kontingente. Die Einsicht und die Korrektur begangener Fehler beschädigen das deutsche Ansehen weniger als das Beharren auf ihnen.
Als nächster spricht der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Dr. Kinkel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ende 1992 war, wie der Kollege Köhler vorhin gesagt hat, in der Tat in Somalia das absolute Chaos ausgebrochen. Das 7-Millionen-Land war ohne Strukturen und sozusagen am Ende. 350 000 Menschen waren verhungert; das muß man immer wieder sagen, weil die Menschen dort heute nicht mehr hungern. Zum Schluß war es so, daß Hunderte am Tag starben.Wir alle erinnern uns an die Bilder, die um die Welt gegangen sind. Alle haben gesagt: Es kann doch wohl nicht richtig sein, daß die Völkergemeinschaft dies zuläßt.Die Vereinten Nationen haben gehandelt: Sie haben 32 Länder gefunden, die zwecks humanitären Einsatzes nach Somalia gegangen sind. Bevor wir nach Somalia gegangen sind, haben wir uns, wie Sie wissen, mit hohen Millionensummen im humanitären Bereich engagiert. Wir haben auch da unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.Wir sind gefragt worden, ob wir mitmachen. Wir haben erklärt: Ja, wir sind trotz unserer schwierigen verfassungsrechtlichen Situation dazu bereit. Wir haben 1 700 Soldaten bereitgestellt; das war für uns alle eine schwierige Entscheidung, die dann vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet wurde.Die Situation im südlichen Mogadischu hat sich etwas anders entwickelt, als sich die UNO und wir alle uns das vorgestellt haben.
Ich lege Wert darauf, daß dies im wesentlichen im südlichen Mogadischu so war, während die Dinge bis Juni des Jahres 1993 in ganz Somalia relativ gut abgelaufen sind und man wirklich helfen konnte, und zwar aus tiefster Not.Aidid hat dann gemeint, er müsse gegen das, was in Mogadischu abläuft, auf die Art und Weise vorgehen, wie er das getan hat und leider noch immer tut. Das hat für die Amerikaner, die sich bereiterklärt hatten, sozusagen die Befriedung des Landes zu übernehmen, zu großen Schwierigkeiten geführt — und in der Folge auch für uns.
Metadaten/Kopzeile:
15934 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Bundesminister Dr. Klaus KinkelUns hat man ganz bewußt — zugeschnitten auf unsere verfassungsrechtliche Situation und unsere politischen Probleme — das Gebiet Belet Uen zugewiesen, und zwar nach langer Vorprüfung, ein, wie es damals aussah, befriedetes Gebiet; es ist es Gott sei Dank im wesentlichen auch geblieben.Es sollten dort ca. 4 900 Inder von uns unterstützt werden. Die Inder hatten, was ihre Transporte nach Somalia anlangt, Schwierigkeiten. Die Vereinten Nationen insgesamt sind in Schwierigkeiten gekommen, weil es ein Einsatz war, auf den sie in diesem Umfang nicht vorbereitet waren und den sie auch erstmals — als übrigens größten Einsatz, den die Vereinten Nationen in einem solchen Zusammenhang jemals begonnen haben — durchführten. Ich finde, es war und ist aller Ehren wert, daß der Versuch unternommen worden ist, den bedrängten Menschen dort zu helfen. Und es ist auch aller Ehren wert, daß sich die Deutschen daran beteiligt haben, und sie haben sich gut daran beteiligt. Ich danke den deutschen Soldaten nachdrücklich von dieser Stelle aus.
Worum geht es nun? — Die Amerikaner, die Schwierigkeiten bekommen haben, haben beschlossen, daß sie ihr Militär dort zunächst verstärken, daß sie es aber Ende März des nächsten Jahres abziehen wollen. Das hat einige andere unserer Freunde und Partner dazu veranlaßt, zu sagen: Auch wir beabsichtigen, unsere Truppen aus Somalia zurückzuziehen. Das hat zwangsläufig auch bei uns zu Überlegungen geführt, wie wir uns verhalten sollten.In der Tat: Unsere 1 700 Soldaten stehen zur Unterstützung bereit. Bisher war es so, daß wir dort — neben den humanitären Leistungen, die wir direkt für die Bevölkerung erbracht haben — 500 Italiener unterstützt haben und die Inder noch nicht eingetroffen sind.
— Es gilt, nichts zu verdrehen, sondern ich schildere die Situation so, wie sie ist.Wir haben also zu überlegen, ob wir unseren Unterstützungsbeitrag eventuell reduzieren. Wir haben natürlich auch zu überlegen, ob wir uns so verhalten wie unsere Partner und die Amerikaner. Und da haben wir in der Regierung beschlossen — ich finde, daß diese Entscheidung richtig war, richtig ist und richtig bleibt —, daß wir uns, nachdem wir Verantwortung übernommen haben, in engster Abstimmung mit den Vereinten Nationen, in engster Abstimmung mit unseren Freunden entscheiden wollen.
Es sind also noch keine Entscheidungen getroffen, um es deutlich und klar zu sagen.
— Hören Sie doch einmal zu! Die Soldaten wissen, was los ist. Ich sage Ihnen, was die Meinung der Bundesregierung ist.Also, wir sind im engsten Kontakt mit den Vereinten Nationen. Ich habe — letztmals gestern — über unseren Botschafter ausführlichen Kontakt zu dem Untergeneralsekretär Annan gehabt, der im UN-Sekretariat zuständig ist. Ich konnte Boutros-Ghali nicht erreichen, weil er auf dem Flug von London nach New York war. Ich werde nachher nochmals mit ihm telefonieren. Wir werden mit den Vereinten Nationen abstimmen, ob wir eventuell reduzieren können oder nicht. Wir werden es erst dann tun, wenn diese Abstimmung erfolgt ist.
Und wir werden — ebenfalls in engster Abstimmung mit den Vereinten Nationen und unseren Partnern — entscheiden, ob und gegebenenfalls wann wir unsere Truppen dort ganz zurückziehen. Dazu gibt es bisher ebenfalls keine Entscheidungen.Die Situation ist, wie ich sie Ihnen geschildert habe. Wir dürfen uns jetzt nicht vorschnell in irgendwelche Entscheidungen hineindrängen lassen. Nachdem wir Verantwortung übernommen haben, haben wir ruhig und gelassen zu dieser Verantwortung zu stehen.
Es ist im übrigen eine Verantwortung, die auch moralisch-ethisch in höchstem Maße gerechtfertigt ist und — auch das sagte ich — uns Deutschen gut ansteht.Worum geht es jetzt? Es geht darum, daß man nicht den UNO-Einsatz zerredet, sondern daß man ihn stützt. Denn daß dort geholfen werden mußte und muß, kann wohl keine Frage sein.Ich bin also gegen destruktives Gerede und billige Angriffe gegen die Vereinten Nationen. Ich bin für konstruktive Hilfe. Die wollen wir Deutschen auch weiterhin zuverlässig erbringen.
Wir haben immer gesagt, es geht in erster Linie um den politischen Prozeß dort. Wir waren die Hauptdränger, ich an der Spitze. Wir haben immer wieder gesagt, die Konferenz von Addis Abeba muß neu aufleben. Wir müssen sehen, daß wir in Somalia wieder politische Strukturen einziehen, soweit es irgendwie geht.
Dazu haben wir unsere Beiträge geleistet und brauchen auch da unser Licht nicht unter den Scheffel stellen zu lassen.Es kann also keine Rede davon sein, daß wir unseren Beitrag in Somalia unverantwortlich abbre-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15935
Bundesminister Dr. Klaus Kinkelchen oder irgendwie gefährden. Lassen Sie uns in Ruhe mit den Vereinten Nationen darüber reden — ich sage das zum drittenmal —, wie es weitergeht.Wir werden das tun in dem sicheren Gefühl, daß wir als Alleroberstes die Fürsorge für unsere Soldaten sehen wollen. Der Deutsche Bundestag wird so, wie es das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben hat, rechtzeitig beteiligt werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen.Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben allergrößtes Interesse daran, daß dieser Einsatz in Somalia — ich sage nochmals, er war und ist erfolgreich, und er war und ist notwendig — im engsten Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag weitergeht.Wir werden auch mit Ihnen zusammen sprechen, wenn es notwendig wird, daß wir entweder einschränken oder eventuell später einmal abziehen.
In dieser Richtung sind bisher keine Entscheidungen gefallen.Vielen Dank.
Als nächster spricht der Abgeordnete Christian Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der von mir nicht sehr geschätzte Architekt dieses Hauses hat uns erklärt — das ist nachvollziehbar —, daß die Glasscheiben dazu animieren sollen, bei den Reden im Bundestag daran zu denken, daß wir hier nicht in einem abgeschlossenen Raum sind, sondern daß einige auf uns blicken und hören wollen, was wir an verantwortungsvollen Dingen nicht nur für Deutschland, sondern darüber hinaus zu sagen haben.
Wer schaut denn heute auf uns? Beispielsweise die Soldaten, die gegenwärtig in Belet Uen stehen, für die hier deutlich gesagt werden muß, daß sie ihren Auftrag mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl durchgeführt haben und segensreich für das deutsche Ansehen in der Welt gewirkt haben.
Herr Verteidigungsminister, ich würde Sie bitten, daß Sie das in dieser Form auch den Soldaten deutlich machen. Wir, der Deutsche Bundestag — leider nicht alle Fraktionen —, stehen deswegen hinter diesem Einsatz.
Dieser Einsatz war nicht überflüssig. Die Zwischenrufe, die hier in hoher Tonlage die Rede von einigen, insbesondere des Außenministers, begleitet haben, übersehen einiges oder widersprechen sich in einigem.
Die Soldaten müssen wissen, was los ist, sagt Frau Kollegin Wieczorek-Zeul. Der Kollege Voigt sagte, die Soldaten seien hochmotiviert. Ja, sie sind hochmotiviert. Was stört Sie denn in ihrer Motivation?
Die Diskussion in Bonn ist von der SPD dadurch so weit getrieben worden, daß man sich erst dann, als der Einsatz bereits unmittelbar bevorstand, bequemt hat, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die man bereits vorher hätte haben können und die übrigens gegen die SPD ausgegangen ist, zu erstreben. Das waren die Probleme bei der Motivation.
Zu der Frage, ob es hier mit Hilfsorganisationen möglich gewesen wäre, das allein zu erledigen, höre ich, der Einsatz sei zu teuer gewesen. Ich erinnere mich an eine Diskussion im Entwicklungshilfeausschuß, wo gesagt worden ist, in der letzten Zeit sei zuviel Entwicklungshilfe an Somalia gezahlt worden. Sie müssen sagen, wie Sie es haben wollen.
Wenn Sie in die Diskussion über die Finanzen eintreten, dann übersehen Sie einige Notwendigkeiten. Es geht um folgendes: Humanitäre Hilfsaktionen fanden vor einem Jahr zu einem Zeitpunkt statt, als abgeworfene Hilfsgüter von marodierenden Banden erbeutet worden waren
und als die Hungernden, die sich bemüht haben, Essen von uns zu bekommen, erschossen worden sind. Da hilft kein Technisches Hilfswerk, und da hilft kein Rotes Kreuz. Das war die Situation. Sie sollten aufhören, hier mit einer Verklitterung der Wahrheit so zu tun, als handelte es sich um einen erhöhten Betriebsausflug. Das ist nach wie vor nicht der Fall.
Auch jetzt hat die Bundeswehr im Sinne einer humanitären Administration ihren Auftrag im Rahmen von UNOSOM II zu erledigen.
Das Hauptproblem, das Sie hier nicht so deutlich angesprochen haben — ab und zu scheint es durch, z. B. beim Kollegen Voigt —, ist, daß Sie hier einen politischen Stellvertreterkrieg führen.
Sie sind aus ideologischen Gründen gegen UN-Einsätze, gegen die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an solchen Einsätzen.
Bisher hat es noch keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegeben, die Ihnen in Ihrer ständigen Behauptung, das Grundgesetz würde verletzt, auch nur die Spur von recht gegeben hätte. Das sind ganz eindeutige Entscheidungen. Ich gehe davon aus, daß auch die nächsten so aussehen werden.
Ich appelliere an Sie, daß Sie die Motivation der Soldaten nicht stören, die diese Tätigkeit dann beenden, wenn es im Rahmen der Vereinten Nationen notwendig und sinnvoll ist. Gehen Sie endlich daran, Ihre Fronten zu klären, zwischen Herrn Klose, Herrn
15936 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Borin, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Christian Schmidt
Scharping und anderen. Klären Sie ab, was Sie wollen, wie weit Sie gehen wollen,
ob Sie bereit sind, mit uns gemeinsam dem deutschen Ansehen in der Welt dadurch zu dienen, daß wir die Aktionen der Vereinten Nationen, denen auch Sie, wie ich höre, ab und zu das Gewaltmonopol zubilligen wollen, unterstützen.
Die Frage nach einem zukünftigen Einsatz bei anderen Krisenfällen wird nicht dadurch beantwortet, daß man den Konflikt in Somalia und den Einsatz der Vereinten Nationen in Bausch und Bogen diskriminiert. Wo diskutiert werden muß, wird im Sinne einer Manöverkritik sicherlich auch im Rahmen der Vereinten Nationen darüber zu sprechen sein.
Wer Friedensmakler sein muß, der muß auch bereit sein, ein Risiko einzugehen. Sie sind keine Friedensmakler, Sie sind Friedensmäkler.
Als nächste spricht die Abgeordnete Uta Zapf.
Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Die Fürsorge für die Soldaten ist hier wortreich und immer an unsere Adresse eingeklagt worden. Ich denke, die beste Fürsorge für die Soldaten wäre das, was der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes eingeklagt hat, nämlich eine zuverlässige, gesicherte Rechtsgrundlage für die Aufgaben und die Einsätze der Bundeswehr.
— Wir haben Ihnen ein Angebot gemacht, Herr Nolting; ich komme gleich darauf.Ich finde es unzulässig, die Kritik an diesem Einsatz, die auf grundsätzlichen Erwägungen beruht, mit einer Unterstellung, daß wir das, was die deutschen Soldaten dort leisten, nicht anerkennen würden, zu vermischen. Hören Sie doch endlich damit auf!
Die Bundesregierung ist im Moment gefragt, zu sagen, was sie machen will: Herr Rühe will abziehen, Herr Kinkel will dableiben.
Die UNO hat angeblich überhaupt noch nicht entschieden, obwohl Herr Rühe schon weiß, wie die militärische Planung aussieht und daß die indischen Soldaten nicht nach Belet Uen kommen, sondern in ein Gebiet weiter südlich.Was ist nun eigentlich Sache? Ich denke, da entsteht in der Öffentlichkeit schon ein Chaos in der Außendarstellung. Das muß bereinigt werden.Sie haben uns, als diese Mission von Ihnen beschlossen wurde, glauben gemacht, dies sei eine humanitäre Mission. Herr Rühe hat damals in der gemeinsamen Sitzung von Verteidigungsausschuß und Auswärtigem Ausschuß von einer „größten Operation mit humanitärem Ansatz" geredet, die „allerdings durch militärische Mittel abgesichert werden muß".
Meine Damen und Herren, wenn das nicht die klassische Definition von Blauhelmeinsätzen ist, dann weiß ich nicht, was Blauhelme sind.Die SPD hat damals die Meinung vertreten — und sie vertritt sie auch heute noch —, daß ein solcher Einsatz nicht durch unsere Verfassung gedeckt ist. Herr Kinkel, Sie sehen das offensichtlich noch genauso.Sie haben erst vor kurzem in einer Presseerklärung gesagt, Sie hätten gerne Grundgesetzänderungen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie das eben wieder gesagt. Sie haben allerdings auch gesagt, Sie würden auch ohne diese Grundgesetzänderungen wieder hingehen.Sie haben also ohne ausreichende verfassungspolitische Grundlage und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die deutschen Soldaten in eine Situation geschickt, die Sie heute selber als chaotisch und unübersichtlich bezeichnen müssen. Sie selber, Herr Kinkel, haben zugegeben, daß sich die UN übernommen habe und daß in Somalia der politische Zweck aus den Augen verlorengegangen ist.Ich denke, Sie müssen jetzt ein neues Konzept einklagen, das grundsätzlich solchen Blauhelmeinsätzen zugrunde liegen muß, damit nicht wieder so ein Chaos entstehen kann. Dann wären wir gut beraten, wir würden endlich einmal diese Einsatzgrundsätze auch gemeinsam klären, damit dieser Streit über die Bundeswehr endlich aufhört.Denn der Ansatz der UNO, meine Damen und Herren, hat sich doch als verfehlt erwiesen. Die mangelnde Trennung militärischer Aktionen von friedenserhaltenden Missionen, die im Auftrag von UNOSOM II angelegt ist, und das Vergeltungsbedürfnis der UNO und der USA nach dem Tod von 24 pakistanischen Soldaten haben dazu geführt, daß die Übereinkunft von Addis Abeba, Herr Minister, ruiniert worden ist, und daß es bis heute ein durchdachtes politisches Konzept nicht gibt. Man reagierte auf Konflikte zunehmend mit militärischen Mitteln.Dieser massive Einsatz militärischer Mittel hat dem politischen Ziel der Befriedung Somalias schwer geschadet. Die Leidtragenden dieser Politik sind die deutschen Soldaten in Somalia. Ich halte es für verantwortungslos, wenn Sie auf ungesicherter Verfassungsgrundlage deutsche Soldaten in eine konzeptlose Mission schicken.
Sie instrumentalisieren nämlich die humanitäre Hilfe der Bundeswehr für andere Zwecke. Sie schmeißen, wie meine Großmutter sagen würde, mit der Wurst nach der Speckseite. Um im Chor der interna-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15937
Uta Zapftionalen Völkergemeinschaft eine führende Stimme zu erhalten, sprich einen Sitz im Sicherheitsrat, schikken Sie deutsche Soldaten auf einer ungeklärten verfassungspolitischen Grundlage in eine unmögliche Situation.
Ironisch könnte man diese Situation so beschreiben — das ist heute schon einmal gesagt worden —: 1 700 deutsche Soldaten organisieren den Nachschub für drei Inder. Bisher kostete diese Aktion 215 Millionen DM. Das soll die humanitäre Hilfe und die Leistung der Soldaten dort überhaupt nicht schmälern. Aber es wurde auch schon gesagt: Diese Hilfe kann besser und billiger von zivilen Organisationen geleistet werden. Wieviel zivile Hilfsprojekte wären für 215 Millionen DM durchzuführen gewesen?Und was ist das für eine Humanität, die Sie immerfort beschwören, die überhaupt nicht vorhanden war, als die Bundesregierung 1991 dringend benötigte Hilfe für Somalia verweigert und der Kirche die Transportleistungen für somalische Hilfslieferungen abgelehnt hat, jawohl —
Ihre Redezeit ist zu Ende, Frau Zapf.
— ich komme gleich zum Ende —, während Sie gleichzeitig 18 Milliarden DM für den Golfkrieg ausgegeben haben.
Ich fordere Sie auf: Holen Sie die deutschen Soldaten so schnell wie möglich zurück! Legen Sie die humanitäre Hilfe in die Hände von zivilen Organisationen! Stellen Sie künftige Einsätze der Bundeswehr auf eine zweifelsfreie verfassungspolitische Grundlage! Wir haben Ihnen das angeboten.
Als nächster redet der Kollege Möllemann. — Wollen Sie nicht reden, Herr Kollege Jürgen Möllemann?
Vielen Dank, Frau Präsidentin, daß Sie mich ermutigt haben. — Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich einmal den Kern der Debatte anschaut, dann stellt man fest, daß Karsten Voigt mit seiner Äußerung, es gehe um die Frage, wer über den Ablauf und Inhalt von UNO-Einsätzen entscheidet, die Mitglieder des Sicherheitsrats
oder z. B. CNN, in einer, wie ich finde, oberflächlichen, aber doch bemühten Weise darauf hinzuweisen versucht hat, was hier zur Diskussion steht. Es geht nämlich um die Frage: Wer soll entscheiden, welche Aktivitäten künftig von den Vereinten Nationen und von ihren Beauftragten, z. B. den Streitkräften der Mitgliedsländer, wahrgenommen werden?Ich glaube, wir stehen vor einer Zeit, in der die Rolle der Vereinten Nationen bedeutsamer wird — bei der Sicherung von Menschenrechten, bei der Abwendungvon Gewalt, bei der Wiederherstellung von Frieden —, vielleicht gestützt auf regionale Verbünde. Auf jeden Fall wird, so glaube ich, die Rolle der Vereinten Nationen gewichtiger. Wenn das so ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dann ist es verständlich und besonders begründet, daß wir Deutschen mit einem Sitz im Sicherheitsrat mitbestimmen möchten, welche Aktivitäten die Vereinten Nationen unternehmen und wie sie sie ausgestalten. Ich glaube, daß das wichtig ist.Es gibt die Gegenthese, den Sitz solle eher die EG, sollten also die Europäer gemeinschaftlich einnehmen. Aber unterstellen wir, es kommt so, wie wir es anstreben — ich habe von Ihnen bislang nicht gehört, daß Sie sich dagegenstellen;
es entspräche auch der Logik Ihrer Agumentation —: Dann wird die Schlußfolgerung unausweichlich sein, daß alle Mitglieder des Sicherheitsrates in vollem Umfang nicht nur alle Rechte, sondern alle Pflichten werden wahrnehmen müssen. Es kann doch niemanden geben, der sich vorstellen kann, man könne Mitglied des Weltsicherheitsrats werden, dann aber bei Bedarf erklären, die etwas unangenehmen Aufgaben mögen bitte andere übernehmen. Das lassen Sie mich als erstes festhalten.
Es spricht doch eine Menge dafür, daß das so ist, Herr Opel. Wenn das so stimmt, ist es auch unvorstellbar, daß es in einem kollegialen Organ eine erste und eine zweite Klasse von Rechten und Pflichten gibt.
— Und wir wollen doch daran mitwirken, daß es gleiche Rechte und gleiche Pflichten gibt.Wir sehen auf dem Weg zu einem ständigen Sitz im Sicherheitrat ganz besonders schlecht aus, wenn wir bei einer Aktion wie der jetzt laufenden, in die wir Deutschen integriert sind, deren Genesis wir alle mitgeprägt haben, deren einzelne Probleme wir kennen und in der die einzelnen Parteien unterschiedliche Einzelpositionen haben, ohne gemeinsame Willensbildung im zuständigen Gremium ausscheiden würden.
Das können Sie doch nicht allen Ernstes wollen.Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden doch mit dem gleichen Phänomen konfrontiert, wenn Sie sich mit Partnern und Freunden, egal aus welchem Land, im Ausland unterhalten. Man versteht die politische Diskussion in Deutschland über diesen Punkt nicht mehr.Wir müssen wirklich dringlich zur Klärung kommen. Das Verfassungsgericht hat erste Entscheidungen getroffen, aber die politische Entscheidung muß
Metadaten/Kopzeile:
15938 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Jürgen W. Möllemanndoch hier getroffen werden. Herr Voigt, wenn die SPD internationale Handlungsfähigkeit zeigen will —
denn das heißt auch, Klarheit darüber zu schaffen, daß wir Mitglied des Sicherheitsrats werden wollen —, dann müssen Sie sich auch dazu durchringen, volle Rechte und Pflichten zu übernehmen.
— Entschuldigen Sie bitte, die PDS interessiert mich bei diesem Thema wirklich nicht.
— Sie sind mir in diesem Zusammenhang unwichtig.
Ich möchte noch mal sagen: Die SPD wird sich entscheiden müssen. Lieber Herr Voigt, ich hätte hier ein Wort erwartet, wenn schon nicht von Ihnen, dann von Frau Zapf. Wieso erleben wir eigentlich jeden Tag— und das macht doch auch einen Teil der Schwierigkeiten des Handelns aus —, daß, wenn in zentralen Fragen, angefangen bei der Außenpolitik, also UNO-Rolle, über die Wirtschaftspolitik, die Frage der Löhne und der Lohnanpassung in Ostdeutschland bis zur Frage der Energiepolitik, von den führenden Köpfen in Ihrer Partei der eine dies sagt, der andere das Gegenteil erklärt? Sie müssen sich, wenn Sie einen Beitrag zu dieser wichtigen Frage leisten wollen, dann dazu durchringen,
endlich eine klare Position einzunehmen. Ihre wichtigen Leute, die sich bisher zu diesem Thema geäußert haben, sind ja heute nicht einmal da.
Ich finde es unangenehm, daß man bei dieser zentralen Frage der deutschen Rolle in der internationalen Politik von seiten der SPD, von Lafontaine, Schröder, Klose, Scharping, Wieczorek-Zeul — sie geht auch noch eher; das finde ich besonders unangenehm —, nicht in der Lage ist, zu einem gemeinsamen Standpunkt zu kommen.
— Ja, natürlich sage ich das.
Herr Möllemann, Ihre Redezeit geht zu Ende.
Ja, Frau Präsidentin, ich will deswegen auch nur noch einen letzten Satz sagen.
Ich glaube, daß wir in der Tat alle daran interessiert sein müssen, daß die politischen Handlungsmöglichkeiten der Vereinten Nationen möglichst schnell weiter wirken können. Daß die UNO-Friedenstruppen dafür die Voraussetzungen schaffen sollten und
immer noch müssen, ist doch bei realistischer Betrachtung der Lage unbestreitbar. Deswegen habe ich mit ziemlicher Enttäuschung registriert, daß sich die SPD nicht zu schade war, mit einer solch vordergründigen Argumentation auf einen Antrag der PDS einzusteigen.
Als nächster spricht der Bundesminister der Verteidigung, Kollege Volker Rühe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Dank für die Anerkennung beginnen, die die Arbeit der deutschen Soldaten in Somalia hier bei den Sprechern aller Fraktionen gefunden hat — mit Ausnahme der PDS. Das wollen wir einmal festhalten. Ich finde es sehr gut, daß auch die Sozialdemokraten und, ich glaube, auch Herr Poppe dies festgestellt haben.
Ich glaube, wir sind uns auch noch darin einig — diejenigen, die vor Ort waren, können das bestätigen —, daß die Soldaten nicht nur durch ihr militärisches Auftreten dort gewonnen haben, sondern darüber hinaus. Es ist kein Zufall, daß der Frieden in dieser Region im Prinzip sehr gut gehalten hat. Wenn man gesehen hat, wie sich deutsche Soldaten auf die Kultur der Menschen und auf die Clanstrukturen eingestellt und eben nicht — wie man Soldaten immer unterstellt — im Befehlston gesagt haben: „Hier geht's lang! " , sondern stundenlang mit den Clanführern palavert haben, dann darf man sagen: Sie haben einen wesentlichen Beitrag zum Frieden in der Region geleistet. Ich finde, dafür sollten wir ihnen auch an dieser Stelle ein Wort des Dankes sagen.
Ich glaube, die Debatte hat ein weiteres gemeinsames Ergebnis gezeigt. Ich will das zunächst in einem Satz zusammenfassen: Die Aktion der UNO und auch der deutschen Soldaten in Somalia ist schon jetzt ein humanitärer Erfolg, aber sie ist noch kein politischer Erfolg.
— Moment! Ich glaube, in der Analyse stimmen wir überein. Warum humanitärer Erfolg, den man nicht geringschätzen sollte? Im letzten Jahr 300 000 Tote, Hunderttausende von Somalis, die das Land verlassen haben, und Hunderte von Hilfsorganisationen, die das Land verlassen mußten, weil es nicht mehr möglich war, Entwicklungshilfe zu leisten.
Jetzt ist der Hunger in Somalia besiegt, die Rückführung der Flüchtlinge in ihre Heimat hat begonnen, und die Hilfsorganisationen haben wieder eine Chance, mit ihrer Arbeit zu beginnen. Das ist doch weiß Gott ein großer humanitärer Erfolg. Deswegen ist es falsch, hier insgesamt von einer Schlappe der UNO zu sprechen. Auch hier sind wir uns einig.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15939
Bundesminister Volker RüheIch bestreite auch gar nicht und nehme für mich in Anspruch, seit dem Juli in einer Weise, die nicht allen gefallen hat, gerade mit meinem italienischen Kollegen zusammen darauf hingewiesen zu haben, daß sich die UNO in den Straßen von Süd-Mogadischu in der Verfolgung von Aidid verrannt hat. Leider sind die drei Vorstöße, die wir gemacht haben, ohne Ergebnis geblieben. Es sind natürlich politische Fehler gemacht worden. Aber wir sollten doch auch begrüßen, daß sie jetzt korrigiert werden. Die Initiative, die gerade der amerikanische Präsident ergriffen hat, den politischen Prozeß wieder in den Vordergrund zu stellen, ist doch genau richtig.Wir brauchen den Dialog zwischen allen Parteien in Somalia; da darf niemand ausgeklammert werden. Ich weiß, welchen Ärger ich noch vor einigen Monaten bekommen habe, als ich sagte, es dürfe niemand ausgeklammert werden. Das aber ist jetzt Allgemeingut: Der innersomalische Friedensprozeß muß durch umfassende Unterstützung beim Aufbau politischer und staatlicher Verwaltungsstrukturen gestärkt werden.Dabei ist zweitens der militärische Schutzschirm aufrechtzuerhalten, um Rückschlägen vorzubeugen. Er kann und muß in den nächsten Monaten nach dem Grad der politischen Fortschritte schrittweise zurückgenommen werden.Natürlich muß man den Vereinten Nationen helfen. Diese sind im übrigen nur so gut wie die Mitglieder, die Staaten, die sich dort engagieren. Auch politische Parteien sind nur so gut wie die Mitglieder, die darin sind. Die Vereinten Nationen können nur so gut sein wie die Beiträge, die die Mitglieder leisten. Deswegen müssen wir den Vereinten Nationen helfen.Richtig ist: In Zukunft darf es für alle an UNOSOM teilnehmenden Nationen nur ein Konzept geben — es gab widerstreitende Konzepte —, das dann von allen mitgetragen wird. Es darf nicht noch einmal zu konkurrierenden Ansätzen kommen.
Das könnte zum Scheitern von UNOSOM II führen. Daran kann und darf niemand ein Interesse haben.Belgien, Frankreich, Italien und die Vereinigten Staaten haben durch nationale Entscheidungen angekündigt, daß sie ihr militärisches Engagement Ende dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres, spätestens — was die Vereinigten Staaten angeht — im Frühjahr beenden wollen. Das militärische Operationskonzept von UNOSOM II muß daher auf eine neue Grundlage gestellt werden.Als Verteidigungsminister habe ich eine ganz besondere Verantwortung für die Soldaten. Deswegen muß ich immer wissen, welches die Rahmenbedingungen für unseren Einsatz, wie wir sie beim Verfassungsgericht vorgetragen haben, sind. Ich gedenke, mich in aller Präzision daran zu halten. Und das bedeutet bestimmte Beschränkungen. So kann ich nicht das Benzin aus Mogadischu heranziehen, weil dies keine sichere Region ist — wir hatten schon jetztbei der Versorgung der Truppen mit Benzin große Probleme —, sondern bin auf die Zufuhr durch die Amerikaner angewiesen. Wir haben keinen Kampfverband, der sich notfalls seinen Weg freikämpfen kann; wir brauchen vielmehr andere Verbände, die uns begleiten.Deswegen ist es logisch, daß die Rahmenlinien dieser Entscheidung, die wir im Zusammenhang mit den Vereinten Nationen — da gibt es keinen Konflikt; natürlich müssen die Entscheidungen gemeinsam getroffen werden — gefällt haben, was die deutsche Position angeht, festliegen.Ich muß mich noch über eines wundern: Hier haben Sprecher der SPD, aber auch Herr Poppe von den GRÜNEN bedauernd gesagt, daß der eigentliche Auftrag der Bundeswehr, nämlich die logistische Versorgung, zu kurz kommt. Das sind doch völlig verkehrte Fronten. Ich kann mich noch daran erinnern, wie Sie im Sommer leidenschaftlich dagegen gekämpft haben, daß wir den militärischen Auftrag, die logistische Versorgung, vollziehen. Wir sollten vielmehr nach Möglichkeit umfassend humanitär helfen.
Jetzt machen wir das, weil die Inder weggeblieben sind, und schon mahnen Sie unseren eigentlichen Auftrag an.
— Die Beunruhigung zeigt, daß das gesessen hat.
Ich gebe zu, daß das der Auftrag war. Sie aber sollten am wenigsten traurig darüber sein, daß wir umfassend humanitär geholfen haben.
— Ich muß aufpassen, daß ich nicht überziehe;
denn dann haben Sie die Chance, eine längere Debatte zu führen.Nach Konsultationen mit den Vereinten Nationen soll der deutsche Unterstützungsverband an die veränderten logistischen Erfordernisse angepaßt werden. Die erfolgreiche humanitäre Hilfe wird fortgesetzt; denn wir wollen die Voraussetzung für eine fließende Übergabe an die klassische Entwicklungshilfe leisten.Ich darf noch einmal das aufnehmen, was hier gesagt wurde: Wenn es wirklich so ist, daß dies Entwicklungshelfer besser und billiger machen können, sage ich Ihnen: Bisher war das nicht möglich. Wir brauchten Soldaten. Helfen Sie uns aber jetzt, den fließenden Übergang zu schaffen! Ich würde mich freuen, wenn das Rote Kreuz das Krankenhaus übernähme. Ich würde mich darüber freuen, wenn sich dort andere engagierten. Das ist die zentrale Aufgabe der deutschen Soldaten dort in den nächsten Monaten bis zu einer erfolgreichen Beendigung des Engagements: die Staffelübergabe an die klassische Entwick-
Metadaten/Kopzeile:
15940 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Bundesminister Volker Rühelungshilfe. Dafür wollen wir die Voraussetzung schaffen.
— Ich glaube, daß die deutschen Soldaten nicht dazu da sind, überall auf der Welt Minen wegzuräumen. Was wir immer wieder angeboten haben, ist, daß wir Ausbildung betreiben und Material zur Verfügung stellen, damit dort, in den Ländern selbst, die Minen geräumt werden. Das ist nicht mein Verständnis von der Bundeswehr, daß sie überall auf der Welt die Minen wegräumt.UNOSOM ist die größte Friedensmission der Vereinten Nationen. Deutschland und die Soldaten der Bundeswehr werden weiter einen Beitrag dazu leisten, daß UNOSOM II erfolgreich beendet werden kann.Vielen Dank.
Als nächster spricht der Abgeordnete Eberhard Brecht.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stimmen in weiten Teilen der ersten Phase der Rede des Bundesverteidigungsministers zu, was die Anerkennung der humanitären Unterstützung der Somalis vor Ort angeht. Auch was das Ausbleiben des politischen Erfolges von UNOSOM II angeht, teilen wir seine Auffassung. Ich habe aber Schwierigkeiten, mit seiner Hegelschen Dialektik im zweiten Teil zurechtzukommen. Das bezieht sich auf die militärische Option, die eigentlich diesem Auftrag zugrunde lag.Da haben tatsächlich nur drei Inder den Weg nach Belet Uen gefunden.
Ich habe gehört, die drei sollen auch noch in einem Lazarett liegen. Da drängt sich schon der gewichtige Satz des Kanzlers auf:Dieser Einsatz ist der Größe und Bedeutung Deutschlands angemessen.Mit dieser bissigen Bemerkung will ich keinesfalls der Bundesregierung die Schuld für das Fehlen und das Ausbleiben der indischen Brigade geben. Ich meine aber, daß das deutsche Engagement in Somalia unter dem unglücklichen Stern des Dranges nach einer außenpolitisch vorteilhaften Reputation der Bundesregierung stand. So weitete die Koalition gegen die Verfassungsbedenken der Opposition die deutsche Uniformjacke und folgte unkritisch einer fehlerhaften Strategie der UNO.Ein gravierender Fehler der Vereinten Nationen bestand nach Einschätzung des früheren UNO-Sonderbeauftragten Sahnoun in dem zu spät erfolgten Engagement der UNO. Spätestens im Frühjahr 1991 hätte die UNO auf Grund der ihr vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes vorliegenden Berichteeinen Sonderberichterstatter nach Somalia entsenden müssen.
Sie lehnte aber zunächst einmal ab. Auch nach dem Waffenstillstand zwischen den beiden USC-Fraktionen in Mogadischu und ihrer am 12. August 1992 erfolgten Zustimmung für eine UNO-Überwachung vergingen noch ca. drei Monate bis zur Ankunft der erwarteten 500 Blauhelme. Ähnlich spät reagierte auch die Bundesregierung auf die somalische Tragödie. So gibt es einen Bericht, demzufolge bis zur Jahresmitte 1992 keine deutsche Organisation mit eigenen Hilfsprojekten in Somalia präsent und aktiv war.Daneben gibt es eine Reihe von handwerklichen Fehlern bei der eigentlichen UNOSOM-II-Operation. Da agierten zum Teil schlecht ausgebildete Peacekeeper auf der Grundlage eines Einsatzplans, der an Hand mangelhafter Analysen der Situation im Land erstellt wurde.
Solange ein Friedensabkommen — zumindest ein ernstgemeinter Waffenstillstand — zwischen allen relevanten Clans nicht erreicht wird, ist die Philosophie der Friedensbewahrung fehl am Platze, da sie ja gerade dieses voraussetzt.
Der Sicherheitsrat hätte sich daher zwischen einer frühzeitigen und konsequenten Entwaffnung der Warlords als Zwangsmaßnahme nach Kapitel VII der UN-Charta und andererseits der Implementierung von Blauhelmen nach einem glaubhaften Waffenstillstand entscheiden müssen.
Der hybride Versuch der UNO — einerseits als neutraler Vermittler, andererseits als Jäger von Farah Aidid — war zum Scheitern verurteilt. Es gibt keine sicheren Hinweise dafür, ob sich die Kampfhandlungen von Mogadischu nicht noch auf den Norden ausdehnen können. Erste Zwischenfälle in Belet Uen — auch mit Schußwaffengebrauch — widerlegen zumindest die immer noch vereinzelt verbreitete Legende einer befriedeten Region. Bislang hatte das militärische Engagement der Bundeswehr weniger einen Peace-keeping-Charakter, sondern mehr den einer IPOO, einer Illusionary peace observing Operation.Ohne hier die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Ministern Kinkel und Rühe bewerten zu wollen, muß doch die Frage eines Abzugs der Bundeswehrsoldaten nach einem teilweise gescheiterten UNOSOM-Einsatz beantwortet werden. Ich plädiere für einen konditionierten und mit anderen Blauhelmkontingenten koordinierten Abzug der Bundeswehr aus Somalia. Wir sollten die Somalier nicht einfach durch einen Sofortabzug ihrem Schicksal überlassen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15941
Dr. Eberhard Brecht— hier stimme ich mit vielen Kollegen meiner eigenen Fraktion nicht überein —,
sondern ein Minimum an ziviler und polizeilicher Selbstverwaltung zur Übernahme der Ordnungsfunktionen im Lande hinterlassen.
Dann wären eine erneute Hungersnot und ein wiederaufflammender Bürgerkrieg weniger wahrscheinlich.
Die Bundesregierung ist gut beraten, wenn sie künftig nicht mehr nach der Devise verfährt: „Dabeisein ist alles!" und hofft, die Opposition durch eine politische Politik des Fait accompli treiben zu können. Somalia mahnt zu einer sorgfältigeren Planung von Friedensmissionen, zu der eine klare Zielvorgabe und die Bedingungen des Einstiegs als auch die des Ausstiegs gehören, und zwar in aktiver Abstimmung mit der UNO.Ich bedanke mich.
Als nächster spricht der Kollege Paul Breuer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war interessant, Ihnen, Herr Kollege Dr. Brecht, zuzuhören.
Sie haben an einem Punkt festgestellt, daß man natürlich an den Anfang einer militärischen Operation in Somalia einen massiven militärischen Eingriff hätte stellen können, mit der totalen Entwaffnung aller beteiligten Kräfte.
Meine Frage an die deutsche Sozialdemokratie ist: Hätten Sie denn Mitverantwortung übernommen?
Das hätten Sie natürlich nicht.
Die Problematik, die sich für Sie ergibt, möchte ich in einigen wenigen Punkten zusammenfassen.
Erstens. Sie haben UNOSOM, wenn es auch vielleicht von einigen von Ihnen gewollt wurde, nie verantwortlich, was deutsche Positionen angeht, begleiten wollen; niemals. Obwohl Sie niemals Verantwortung übernehmen wollen, maßen Sie sich heute an, in massiver Art und Weise Kritik sowohl anden Vereinten Nationen wie an der Bundesregierung zu üben.Wer nichts macht, meine Damen und Herren, könnte von sich annehmen, er macht keine Fehler. Aber Ihr größter Fehler ist, daß Sie nicht dazu bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Ihre Kritik an den Vereinten Nationen stimmt einen sehr bedenklich, wenn man an vieles denkt, was Sie noch vor wenigen Monaten, vor Jahresfrist diskutiert haben. Sie haben das Gewaltmonopol der UNO diskutiert. Sie haben ständig über der UNO unterstellte Streitkräfte im Sinne einer Weltpolizei, ohne nationalen Vorbehalt, diskutiert.Wie, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD, vereinbart sich das mit der jetzigen Forderung nach sofortigem Abzug der deutschen Truppen aus Somalia? Wenn Sie ständig der UNO Truppen ohne nationalen Vorbehalt unterstellen wollen, wenn Sie der UNO alles, jegliche Monopolstellung, überlassen wollen, und hier dann in einer solchen massiven Kritik über die Vereinten Nationen, d. h. über die Völkergemeinschaft, herfallen, dann paßt das, meine Damen und Herren Kollegen von der deutschen Sozialdemokratie, nicht zusammen. Ihr Beitrag zur Verantwortung ist der Beitrag des Mäkelns und des Nichtmehr.
Ein Zweites gelingt Ihnen ebenfalls nicht, nämlich einerseits zu sagen: Die Mission der Bundeswehr ist im Hinblick auf die Motivationslage der Soldaten und ihrer militärischen Leistung in Ordnung — ich bin zwar dankbar dafür, daß Sie das hier sagen; es gibt uns die Möglichkeit, daß wir uns als Deutscher Bundestag gemeinsam bei den deutschen Soldaten bedanken —,
und auf der anderen Seite zu sagen: Alles, was im Zusammenhang mit dem politischen Umfeld dieses Einsatzes steht, ist nicht in Ordnung.
— Nun, Frau Kollegin Zapf, ich hätte mir, was den politischen Erfolg von UNOSOM angeht, sicher viel Besseres und Idealeres vorstellen können, genauso wie Sie.
Aber mir war von vornherein klar — ich habe das im Deutschen Bundestag gesagt —, daß bei der größten Anstrengung der Vereinten Nationen in einem solchen Einsatz, die es in der Geschichte gegeben hat, bestimmte Risiken und Imponderabilien nicht auszu-
Metadaten/Kopzeile:
15942 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Paul Breuerschließen waren. Die Frage ist natürlich: Wer hat das moralische Recht, daran Kritik zu üben?
Diejenigen, die nie dazu bereit waren, ein Stück Mitverantwortung zu übernehmen, mit Sicherheit am allerwenigsten. Das ist in meinen Augen die billigste Art der politischen Auseinandersetzung.Bei manchen von Ihnen habe ich den Eindruck, meine Damen und Herren Kollegen, daß Sie politisch unbefriedigt gewesen wären, wenn Somalia zum heutigen Zeitpunkt politisch erfolgreicher gewesen wäre. Das ist der Eindruck, der sich einem zwingend aufdrängt,
wenn man manche Debattenbeiträge hier heute hört.Ich denke, daß das kommende halbe Jahr und gerade die vor uns liegenden Wochen ein entscheidender Zeitraum dafür wären, den entschlossenen Versuch zu unternehmen, diese Somalia-Aktion nicht nur für die Bundeswehr — da ist sie erfolgreich —, sondern auch politisch für die Vereinten Nationen erfolgreicher zu machen.Hier müssen positive Ziele definiert werden, auch im Hinblick auf das, was nach den militärischen Aktionen kommt. Wir haben hier im Deutschen Bundestag in unserer Debatte auch einen Beitrag dafür zu leisten, daß wir das in verantwortlicher Art und Weise tun.
Herr Breuer, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Wir müssen fragen: Wo liegen denn wirklich die Möglichkeiten, die wir haben? Nur derjenige, der dazu bereit ist, Verantwortung und Risiken zu übernehmen, kann auch seinen konstruktiven Beitrag leisten. Hier lediglich als Kritiker aufzutreten, ist zu einfach.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Als nächster spricht der Kollege Karl-Heinz Klejdzinski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man könnte jetzt auf den Beitrag des Kollegen Breuer eingehen und in der gleichen Art und Weise auf ihn einschlagen, wie er versucht hat, es mit uns zu machen. Ich habe mir die Sache überlegt, und ich bin zu der Auffassung gekommen, daß es sich nur dort lohnt, zu antworten, wo es wirklich um die Sache geht.
Wir lassen uns von Ihnen nicht unterstellen, Herr Breuer, daß wir gegenüber den Soldaten keine Verantwortung haben. Wir lassen gerne die Unterstellung
zu, daß wir diese Bundesregierung kritisieren. Das ist richtig.
Es ist gut, wenn Sie sagen, daß das unser Recht ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist ein logistischer Einsatz. In derselben Ausschußsitzung hat der Bundesminister des Auswärtigen erklärt: Es ist ein rein humanitärer Einsatz oder ein wesentlich humanitärer Einsatz.
Gleichzeitig heute zu behaupten, daß beide gleichrangig seien, stimmt insofern nicht, weil es nämlich heißt: logistischer Einsatz zuerst und dann im Rahmen der freien Kapazitäten humanitärer Einsatz.
— Jetzt sind viele freie Kapazitäten da. Ich nehme das gem auf, Herr Nolting, was Sie sagen. Die freien Kapazitäten sind da, und es ist gut, daß sie genutzt werden, weil der logistische Auftrag gegenwärtig als Auftrag nicht vorhanden ist. Meine Kollegen haben sicherlich zu Recht darauf verwiesen, daß drei Inder da sind. Ursprünglich sollten 4 000 versorgt werden. Sie sollten nicht nur in Belet Uen versorgt werden, sondern sie sollten von Belet Uen als Ausgangspunkt 300 bis 400 km gen Norden versorgt werden.Wir sind beide da gewesen, Herr Nolting.
Wir haben es uns angesehen. Es ist doch im Grunde genommen völlig falsch, wenn Sie hier etwas behaupten, was nicht der Realität entspricht.
— Selbstverständlich. Sie haben vorhin versucht, einen Dissens zwischen unserem Fraktionsvorsitzenden, der heute morgen in Ihrer und auch meiner Gegenwart vor dem Bundeswehrverband gesprochen hat, und meinem Kollegen Karsten Voigt zu konstruieren. Sie haben gesagt, all das, was er gesagt hat, könnten Sie unterstreichen. Jetzt will ich Ihnen die Passagen vorlesen,
die mein Fraktionsvorsitzender heute morgen erklärt hat:
Den Soldaten in Somalia gebührt großer Respekt. Es muß unmißverständlich für alle politischen Parteien klar sein, daß der Streit über den internationalen Einsatz der Bundeswehr nicht auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen werden darf.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15943
Dr. Karl-Heinz KlejdzinskiDieses hat mein Fraktionsvorsitzender heute morgen erklärt.
Gerade vor diesem Hintergrund ist aber das, was der Bundeswehr im Rahmen der Somalia-Mission zugemutet wurde und wird, unerfreulich und in seiner Wirkung verunsichernd. Dazu tragen Sie bei.Die dauernde Umdefinition des Einsatzzieles bzw. der Einsatzbedingungen haben das Vertrauen in die Politik gestört und — ich fürchte — leider auch der Bundeswehr in der Öffentlichkeit geschadet.Ich zitiere weiter:Angesichts der Schwierigkeiten der Vereinten Nationen, an dem ursprünglichen Ziel der humanitären Hilfe und eines staatlichen Wiederaufbaus in Somalia festzuhalten, angesichts der Eskalation der kriegerischen Auseinandersetzung dort zwischen UN-Soldaten und den Banden der Clan-Führer, angesichts der Tatsache, daß 1 700 Soldaten dort im Einsatz sind, sollten wir vielleicht noch einmal von vorne anfangen. Nachdenken ist nicht schädlich.
Ich denke, dieses ist das Richtige. Versuchen Sie doch bitte nicht, alles als besonders gut gelungen darzustellen. Wir sollten vielmehr gemeinsam nachdenken. Geben Sie doch zu, daß Sie sich geirrt haben! Dann ist das in Ordnung.
— Herr Nolting, was ich zitiere, das müssen Sie mir schon überlassen.Jetzt komme ich dazu, was die Tatsache selber anbetrifft. Bereits am 24. September 1993 sind uns die Überlegungen der UNO bekanntgeworden, daß die indische Brigade in Süd-Somalia eingesetzt wird. Sie waren doch bei dem Gespräch in Mogadischu dabei. Auch ich bin dabeigewesen. Gegenteiliges dazu können Sie mir doch nicht klarmachen.Lassen Sie mich das auf den Punkt bringen, weil ich nur noch eine Minute Redezeit habe. Die humanitäre Unterstützung, die in diesem Bereich von den deutschen Soldaten geleistet wird, findet unsere uneingeschränkte Anerkennung. All das, was sie leisten, ist in jeder Hinsicht beispielhaft und zeugt von der Präzision und der Organisationsfähigkeit unserer Soldaten dort unten. Dieses erfordert eine hohe Anerkennung.
Aber bei der Auseinandersetzung, die wir in diesem Parlament führen, geht es nicht darum, sich darüber zu streiten, was der Einsatzauftrag ist, sondern es geht darum, daß diese Mission mit politischem Dilettantismus vorbereitet worden ist. Dieses erfährt unsere Kritik, um es deutlich zu sagen.
— Wir kritisieren nicht die UNO, sondern wir kritisieren — das sollte auch bei Ihnen langsam überkommen, Herr Würzbach — die Bundesregierung. Diese Bundesregierung hat sich in ihrer politischen Entscheidungsfindung wesentlich davon leiten lassen, daß es wichtig ist, gegenwärtig einen Beitrag zu leisten, weil man auf diese Art und Weise hofft, möglichst früh einen Sitz im Sicherheitsrat zu bekommen, vielleicht auch noch mit einem Veto-Recht ausgestattet.
Jetzt ist die Redezeit wirklich zu Ende.
Nur, man sollte die Bundeswehr in dieser Frage nicht instrumentalisieren, sondern sich mehr um die eigentliche Aufgabe kümmern.
Herzlichen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Thomas Kossendey.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier wurde des häufigeren der angebliche Gegensatz zwischen Volker Rühe und Minister Kinkel beschworen. Lassen Sie mich dazu eines sagen: Mit Kinkel und Rühe habe ich keine Mühe, aber Scharping und Klose, die kriegen Sie nie in eine Dose.
Ich denke, daß wir das, was die Bundeswehr und was die Vereinten Nationen in Somalia machen, eigentlich nur an einem Maßstab messen können, und das ist folgender: Was hilft den Menschen in Somalia, was wird den Menschen dort gerecht?Das ist zugegebenermaßen ein hoher Maßstab, aber wir müssen uns diesem Maßstab stellen. Wir müssen alles das, was wir tun, immer wieder auf den Prüfstand stellen, insbesondere unter der Berücksichtigung der Aufgaben, die wir in diesem Zusammenhang übernommen haben, nämlich im Zusammenhang einer Aktion der Vereinten Nationen. Ich sage das deswegen sehr deutlich, weil häufig der Eindruck erweckt wurde, als sei das eine Aktion, die die Bundeswehr selber mache, um der Regierung oder wem auch immer zu höherem Ruhm zu verhelfen.Was zu diesen konkreten Fragen zu sagen ist, hat Paul Breuer angesprochen. Ich will zwei Aspekte hinzufügen. Das eine ist ein Aspekt, der mich in den letzten Wochen zunehmend berührt, weil ich die Einheiten der Soldaten, die in Somalia sind, in ihren Heimatstandorten besucht und viele Angehörige
Metadaten/Kopzeile:
15944 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Thomas Kossendeygesprochen habe. Wir müssen uns vor Augen halten, daß wir nicht irgendwelche Kampfapparate dorthin geschickt haben, sondern Menschen, die Familie, die Frauen und die Angehörige haben und die sehr sorgfältig das verfolgen, was wir im Plenum und draußen besprechen und über die Presse austauschen.Wir haben mittlerweile die Situation, daß die Soldaten in Somalia über Telefon ihre Familien über den Auftrag, den sie dort ausführen, beruhigen müssen, weil hier durch die politische Diskussion und durch manche Übertreibung in der Presse und manches irre Geschreibe und Gerede die Familien in einem Maße verunsichert sind, wie wir uns das kaum vorstellen können.Bei allem, was wir über den Einsatz deutscher Soldaten in Somalia diskutieren und schreiben, sollten wir das nicht aus dem Auge verlieren. Die Verantwortung, die sich für die Politik und für die Presse gleichermaßen ergibt, wird nicht immer von allen gesehen. Wir werden ihr vielleicht auch nicht immer alle gerecht.Nun aber zu dem Einsatz. Natürlich kann man sich fragen, ob es sinnvoll ist, dorthin Bundeswehrsoldaten zu schicken, wo vielleicht kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden. Aber dann müssen wir uns doch einmal fragen, wenn wir den Menschen in Somalia helfen wollen: Wo ist denn die Alternative? Natürlich würde auch ich den Menschen in Somalia lieber mit friedlichen Mitteln helfen und auf den UN-Einsatz mit seinem militärischen Teil verzichten. Aber wie könnten wir sonst das Sterben von Hunderttausenden von Menschen dort verhindern und stoppen?Natürlich hätten wir uns als Deutsche der Bitte der Vereinten Nationen versagen können, bei dieser Aktion mitzumachen. Aber hätten wir dann nicht den Stellenwert und den Einfluß unserer Außenpolitik selber in unzulässiger Weise eingeschränkt?
Hätten wir ihn nicht geradezu gegen null gebracht? Wer soll denn wohl einem deutschen Außenminister noch Gehör schenken, wenn jeder weiß, daß sich die Deutschen im Zweifelsfalle vor der Übernahme konkreter Verantwortung scheuen werden? Wir würden in einem unzulässigen Maße unseren Einfluß beschränken.Wenn wir das Machtmonopol der Vereinten Nationen hier ständig beschwören, dann können wir als wirtschaftlich und politisch starke Macht im Herzen Europas nicht die ersten sein, die sich einem solchen Auftrag entziehen. Das hätte Signalwirkung in viele Länder hinein, und das Machtmonopol der Vereinten Nationen wäre Theorie.Liebe Kollegen von der SPD, was wir an Besserwisserei gegenüber den Vereinten Nationen von Ihnen gehört haben, ist eigentlich nichts anderes als die Renationalisierung der Sicherheitspolitik.
Denn wer anderen gegenüber immer alles besserweiß, erhebt indirekt den Anspruch, selber das richtigzu machen, was die anderen falsch machen. Nichts anderes haben Sie getan.Natürlich gibt es manche Frage, die wir uns selber kritisch stellen müssen: Ist das politische Konzept, mit dem die Vereinten Nationen in diese Aktion gegangen sind, wirklich ausreichend gewesen?
Das werden wir am 15. November sehr ruhig und sorgfältig zu erörtern haben. Sollten die Vereinten Nationen in New York oder wo auch immer die Demokratieform, in der Somalia eines Tages leben soll, tatsächlich bis ins I-Tüpfelchen bestimmen wollen? Auch ich sehe da so manches Fragezeichen.
— Ich sage, lieber Herr Voigt: Ich gebe Gedanken wieder, die an Sie und an die Vereinten Nationen gerichtet sind. Ich hoffe, daß unsere Verantwortlichen sie dort einbringen. — Haben wir wirklich die Verästelungen der Clan-Strukturen in Somalia bei dem Konzept, das dort entstanden ist, wirklich bis aufs letzte bedacht?Ein letzter, aber wichtiger Gedanke in diesem Zusammenhang ist doch: Wie werden wir die humanitären Anstrengungen, die wir dort durch unsere Soldaten begonnen haben, weiterführen können? Ich hielte es für in höchstem Maße verantwortungslos, wenn die Projekte nach Abzug unserer Soldaten sich selbst überlassen würden. Wir müssen schon heute Konzeptionen entwickeln — ich appelliere dabei an die Minister Spranger, Rühe und Kinkel gemeinsam —, wie all die von uns dort begonnenen Projekte weitergeführt werden können.
Wir sollten uns hier im Parlament, wenn unsere Soldaten aus Kambodscha, aus Somalia und von der Adria zurückgekehrt sind, der Mühe unterziehen, eine Zwischenbilanz aufzustellen, in der wir vieles, auch unsere eigene Stellung im Konzept der Vereinten Nationen, noch einmal überdenken sollten. Ich halte nichts davon, schon heute zu fordern, daß wir nach Haiti, Ruanda, Burundi oder wo auch immer in der Welt hin müssen, bevor wir diese Zwischenbilanz nicht selber gemacht haben.Die Bundeswehr ist in einer sehr schwierigen Phase der Umorientierung. Wir dürfen nicht aus dem Auge verlieren, daß es einen Hauptauftrag und verschiedene Nebenaufträge für die Bundeswehr gibt und daß der Hauptauftrag im Vordergrund stehen muß. Im Augenblick habe ich den Eindruck, daß das nicht der Fall ist.Ich denke, wir sollten bei dieser Zwischenbilanz offen und ehrlich sein, aber auch das gemeinsame Ziel haben, die Verantwortung, der wir uns stellen müssen, ernst zu nehmen.Lassen Sie uns deswegen diesen UN-Auftrag in Somalia zu Ende führen und nicht abbrechen. Lassen Sie uns gemeinsam die gemachten Erfahrungen auswerten, damit die Bundeswehr, unsere Soldaten und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993 15945
Thomas Kossendeyauch die Mitarbeiter der zivilen Hilfsorganisationen da, wo sie gebraucht werden, wo sie Menschen das Recht und die Freiheit schaffen und erhalten können, —
Ihre Redezeit ist zu Ende.
— und da, wo sie Not lindern können, dies wohlvorbereitet und von der großen Mehrheit unserer Bevölkerung und der Politik getragen tun können. Das ist eine gemeinsame Aufgabe; sie können wir nicht in Opposition und Regierungsfraktionen aufteilen. Ihr müssen wir uns stellen.
Schönen Dank.
Es spricht jetzt Joachim Graf von Schönburg-Glauchau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zum Schluß gemeldet, weil ich in jedem Fall versuchen will, noch ein paar konstruktive Töne in die Debatte zu bekommen. Der vorletzte Redner hat dazu aufgefordert, gemeinsam nachzudenken. Wir sollten wirklich darangehen, einige Dinge aus dieser Debatte auszuräumen. Denn es hat wenig Sinn, mit Häme und populistischen Tönen um die Luftherrschaft über den deutschen Stammtischen zu kämpfen. Darüber sollten wir uns einig sein. Die Versuchung ist immer da, aber wir wollen es nicht tun.Es ist wenig produktiv, immer wieder vorzurechnen, daß ganze drei Inder vom deutschen Kontingent versorgt werden.
— Natürlich, wir wissen das, weil wir vernünftige Menschen sind. Aber weder der Kohl noch der Rühe, noch der Kinkel haben die Inder gebremst oder geschickt. Es geht uns eben genauso, wie es denen in der Armee des Heiligen Römischen Reiches gegangen ist. Auch sie war aus verschiedenen Völkern zusammengesetzt und hat immer ihre Probleme gehabt. Denken Sie an den berühmten einen Soldaten aus Lippe-Detmold samt Hauptmann und Feldwebel. Das war natürlich schwierig.So richtig es war, daß sich die Vereinten Nationen— Gott sei Dank — zum Eingreifen entschlossen haben: Sie sind Menschenwerk. Sie werden Fehler machen. Ich verkneife es mir, daran zu erinnern, daß ich schon früher auf die Gefahren hingewiesen habe. Es hilft auch niemandem, wenn wir sagen: 1991 hätte der Sicherheitsrat etwas tun müssen. Wahrscheinlich hätte er es auch dann nicht gemacht, wenn Sie oder ich es ihm gesagt hätten. Denn der Sicherheitsrat fühlt sich natürlich schlauer als ein Herr Voigt oder ein Herr Schönburg.
— Selbst als Herr Möllemann.
— Aber so ist die Welt, Herr Kollege Möllemann.Selbst wenn es so wäre, hilft es hinterher nichts mehr. Wir müssen vorwärts schauen. Die Basis muß allerdings sein, daß wir uns fair mit dem beschäftigen, was geschehen ist.Ich meine, es ist richtig, daß sich die Vereinten Nationen entschlossen haben, in Somalia einzugreifen. Das wird nicht richtig sein bei jedem Militärputsch. Es wird nicht richtig sein, das bei kleinen Inseln zu machen, weil es da einfacher geht, und bei großen Staaten nicht. Es wird nur richtig sein, wenn es eine wirkliche Anarchiesituation gibt, wo man aus humanitären Gründen, den Menschen zuliebe sagt: Jetzt reicht es nicht mehr — sie kennen die Situation —, Mehl oder Zucker zu verteilen; wir müssen hinein und müssen das tun, was getan werden muß. Wenn ein Feld vor dem Dorf von einem Löwenrudel — seinerzeit habe ich gesagt: von einem Affenrudel — terrorisiert wird, dann hilft es nicht, Frauen hinauszuschicken, um dort umzugraben, sondern da muß wahrscheinlich ein Mann mit einem Gewehr hin. Das ist nicht sehr populär, aber das ist nun einmal so. Das ist insgesamt ein humanitärer Einsatz.Lieber Kollege Voigt, Sie haben gesagt, wir müssen die UNO stärken. Selbstverständlich, wir müssen sie kritisch stärken. Wir müssen auch sehen, wo shortcomings sind bei dem, was sie tut. Nur glaube ich, es ist wichtig, daß wir unsere Rolle dabei klar sehen und sie auch den anderen gegenüber nicht mit falschen Motivationen beladen. Die Motivation kann vom einen zum anderen ein bißchen verschieden sein, entsprechend seinen Lebenserfahrungen. Ich gehöre zu denen, die noch erlebt haben, wie uns die deutsche Führung aus der Gemeinschaft der Völker heraus und fürchterlich ins Abseits gefahren hat.Ich wünsche mir, daß wir zwischen Holländern und Dänen, Österreichern und Franzosen, Nigerianern und Jordaniern wieder ein ganz normales Volk sind, daß wir endlich wieder nicht der böse Mann auf der Welt sind, sondern daß einer wie der andere ist. Mich interessiert — pardon, vielleicht ist es mein Fehler, Herr Möllemann — der Sitz im Sicherheitsrat gar nicht so sehr. Ich möchte vielmehr, daß meine Kinder in einer Welt leben, in der die Deutschen so normal dazugehören wie die anderen auch.Deswegen ist es auch richtig, daß ein deutsches Kontingent zu dieser neuartigen „Reichsarmee" hinzugestoßen ist, auch wenn diese ihre Schwächen hat. Es ist wichtig, daß wir dort Schulter an Schulter mit Nigerianern und Jordaniern stehen und daß wir uns denselben Gefahren aussetzen. Auch der nigerianische und der jordanische Soldat haben eine Mutter, die nachts schlecht schläft, weil sie Angst um ihren Buben hat. Deswegen ist es fürchterlich, wenn wir sagen, die anderen sollen marschieren, die anderen sollen als Blauhelme Ordnung in der Welt schaffen, während wir die Klugscheißer sind und daheim sitzen.Bitte, liebe Kollegen, das können wir nicht machen. Wir sollten uns bescheiden, uns normal und vernünftig in die Weltgemeinschaft einordnen. Wir sollten dort unseren Platz einnehmen, wenn es bequem ist, auch wenn es unbequem ist, Kollege Voigt. Wir sollten auch dann, wenn es um Rückzüge geht, keine Sonderrolle spielen.
Metadaten/Kopzeile:
15946 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Oktober 1993
Joachim Graf von Schönburg-GlauchauIch wünsche mir, daß die Bundeswehr wie wir alle loyal und solidarisch zu den anderen Menschen auf dieser Welt steht. Auch wenn unsere Truppen eines Tages aus diesen Ländern zurückkommen und durch Entwicklungshelfer ersetzt werden, sollten wir loyal und solidarisch mit den anderen in den Vereinten Nationen handeln.Ich danke Ihnen.
Als letzter Redner hat Herr Briefs das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den diversen Höhepunkten dieser kleinen Debatte hat man geradezu ein gewisses Vergnügen daran, sozusagen außer Konkurrenz zu laufen.
Die Somalia-Blauhelm-Aktion zeigt den Widersinn deutscher Beteiligung an internationalen Militäraktionen voll und ganz auf. Derartige militärische Interventionen drohen stets zu eskalieren, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis dem ersten getöteten deutschen Soldaten in Kampuchea weitere in Somalia folgen werden. Die Eskalationserfahrungen der USA in Vietnam und jetzt in Somalia sprechen doch eine beredte Sprache.
Die Demonstration von deutscher militärischer Stärke in Somalia ist aber vor allem ein Ergebnis der trotz ersatzlosen Wegfalls der Systemkonfrontation fast unverändert hohen deutschen Militärpräsenz überhaupt. Statt nach dem ersatzlosen Wegfall des traditionellen Feindes im Osten nun endlich und gründlich abzurüsten, ist es der herrschenden Koalition, den hinter ihr stehenden Kräften gelungen, die deutsche Militärpräsenz, den Rüstungsetat und auch den militärisch-industriellen Komplex fast ungeschmälert über die Runden zu retten.
Das ist eine bemerkenswerte Leistung politischen Managements gerade dieser Koalition, wie man mit bitteren Gefühlen — auch angesichts der Schwäche der Friedensbewegung — hinzufügen muß.
Der Somalia-Einsatz — ich zitiere den Kollegen Opel von der SPD -- wird wohl alles in allem um die 800 Millionen DM kosten. Das ist mehr als die Summe, die beispielsweise im Hochschulausbauprogramm fehlt, urn von dieser Seite her der Misere in diesem standortwichtigen Bereich der Hochschulen zu Leibe zu rücken.
Wer den Rüstungsetat, die militärische Präsenz, das Zerstörungspotential, die einschlägigen Industriekapazitäten auf dem Stand der Hochrüstung des Kalten Krieges aufrechterhält, wird immer wieder Anlässe für militärische Interventionen und Legitimationsgründe dafür suchen müssen.
Im Rüstungsbereich haben Sie — damit wende ich mich an die Koalition — die Mittel, die zur Sicherung des Standorts Deutschland durch Forschung und Entwicklung, durch Ausbau von Bildung und Wissenschaft, durch Sozialinvestitionen notwendig sind.
Zu guter Letzt und zu allem Überfluß — das muß in diesem Zusammenhang leider auch angesprochen werden—: Die gleiche Politik, die uns dieses überflüssige und kontraproduktive Somalia-Abenteuer beschert hat, scheut sich nicht, zugleich Asylbewerber aus Somalia zurückzuweisen und abschieben zu lassen. Deutsche Soldaten wegen der Bürgerkriegssituation und der Verletzung von Menschenrechten nach Somalia zu schicken und zugleich Asylbewerber aus Somalia zurückzuweisen und zu deportieren — zynischer kann Politik kaum verfahren. Den Sudan in diesem Zusammenhang als sicheres Drittland zu behandeln ist doch wohl ein einziger und ganz schlechter Witz.
Deutschland gegen Flüchtlingsströme abzuschotten und zugleich in den Herkunftsländern dieser Flüchtlingsströme militärisch zu intervenieren, das zeigt den wahren Charakter der hier betriebenen Politik,
Das Somalia-Abenteuer zeigt, wohin die nach der Wende unsinnigerweise weiterhin betriebene Politik militärischer Stärke führt und führen muß. An dieser Politik, am Rüstungsetat, am militärisch-industriellen Komplex muß mit einschneidendem Abbau angesetzt werden. und zwar rasch und wirksam.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. Oktober 1993, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.