Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, weise ich darauf hin, daß die heutige Fragestunde erst nach der Aktuellen Stunde gegen 14.45 Uhr beginnen wird.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: erstens Asien-Konzept der Bundesregierung, zweitens Gesetz zur Umsetzung der EG-Richtlinien fiber den freien Zugang zu Informationen fiber die Umwelt.
Das Wort für den einleitenden Bericht hat der 1 Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat in seiner heutigen Sitzung das AsienKonzept der Bundesregierung gebilligt. Ich habe dieses Konzept der Präsidentin des Deutschen Bundestages zugeleitet und ihr vorgeschlagen, das Konzept zur Grundlage einer Asien-Pazifik-Debatte noch in diesem Jahr im Deutschen Bundestag zu machen.Schon wenige Zahlen belegen die Notwendigkeit, unser Interesse und unsere Aktivitäten noch mehr in Richtung Asien-Pazifik zu lenken bzw. zu verstärken. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Asien. Mit einem Wirtschaftswachstum von jährlich 7 bis 8 % ist Asien im Augenblick die weltweit dynamischste Wachstumsregion. Japan hat bekanntlich den Anfang gemacht. Korea, Hongkong, Taiwan, Singapur und die meisten anderen ASEAN-Staaten haben in den 80er Jahren aufgeholt. Nunmehr nimmt der großchinesische Wirtschaftsraum in atemberaubendem Tempo seinen Aufschwung. Indien öffnet sich stärker der Weltwirtschaft; Vietnam und andere werden folgen. Noch 1960 erzeugte Asien 4 % des Bruttosozialprodukts der Welt, heute sind es 25 %. In zehn Jahren wird es möglicherweise ein Drittel des Weltsozialprodukts sein. Riesige Märkte für Konsumgüter entstehen, große Infrastrukturprogramme werden aufgelegt. Aber — ich glaube, es ist ganz wichtig, das festzustellen — in Asien leben auch die meisten armen Menschen auf dieser Welt.Unser Asien-Konzept zeigt Richtungen, Ziele, Vorhaben auf. Auch die deutsche Wirtschaft bekundet durch die Gründung ihres Asien-Pazifik-Ausschusses ihren Willen, alle an Asien interessierten Kräfte in der Wirtschaft und in der Industrie zu bündeln.Nun ist es nicht so, daß die Asien-Politik der Bundesregierung bei Null anfängt. Nein, wir können auf lange fruchtbare Zusammenarbeit mit den Ländern und Regionalorganisationen des asiatisch-pazifischen Raumes zurückblicken. Aber es steht außer Frage, daß wir uns angesichts der rasanten wirtschaftlichen, technologischen, sozialen und politischen Entwicklung in Asien noch stärker als bisher in dieser Region engagieren müssen. Asien ist eben keine weit entfernte Region mehr. Wir spüren die Herausforderungen in Deutschland, aber auch in Europa.In Asien wachsen auch die wichtigen politischen Akteure der Welt von morgen heran, ja, sie sind schon heute auf dieser Weltbühne präsent: Japan, China, Indien, die ASEAN-Staaten und andere, und keine wichtige globale Frage kann mehr ohne sie gelöst werden.Im Zentrum unserer Asienpolitik und unseres Engagements im asiatisch-pazifischen Raum stehen wirtschaftliche Notwendigkeiten. Wir müssen die Wege für den Handel freihalten. Die GATT-Uruguay-Runde muß am 15. Dezember 1993 zu Ende gebracht werden. Wir müssen uns um Verbesserung der Handels- und Investitionsbedingungen bemühen. Die klassische deutsche auswärtige Politik behält ihre Bedeutung. Sie muß nämlich ein gutes und freundschaftliches politisches Umfeld für Deutschland im jeweiligen Gastland schaffen.Besondere Bedeutung bekommen natürlich auch die regionalen Zusammenschlüsse. Ich erinnere insbesondere an EG und ASEAN. Wir haben im zweiten Halbjahr des Jahres 1994 die Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft. In diese Zeit fällt erneut eine große, wichtige ASEAN-EG-Konferenz, die wir abhalten werden.Lassen Sie mich abschließend noch sagen: Dieses Asien erfordert vielleicht mehr Aufwand an Zeit und Mühe als andere Regionen dieser Erde, weil es andere Dimensionen, ein anderes Zeit- und Taktmaß hat.Unser Engagement gehört den politischen, den wirtschaftlichen, den technologischen und den ent-
Metadaten/Kopzeile:
15608 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Bundesminister Dr. Klaus Kinkelwicklungspolitischen Fragen, natürlich auch den Menschenrechten. Ich verweise auf die Reisen, die der Herr Bundeskanzler in die Region gemacht hat, und auf drei Reisen, die ich in 16 Monaten meiner Amtszeit in diese Region gemacht habe. Es heißt nicht umsonst, daß in Asien im Augenblick die Musik spielt. Wir müssen uns in unserer Außenpolitik darauf verstärkt einstellen. Das wollen wir durch das Asien-Konzept, daß wir heute im Kabinett verabschiedet haben, in besonderer Weise unterstreichen.
Vielen Dank, Herr Bundesminister.
Als erster möchte zu diesem Thema der Kollege Hans Martin Bury eine Frage stellen.
Herr Bundesminister, ich war kürzlich mit einer Delegation des Wirtschaftsausschusses in Südostasien. Wir haben mit Erstaunen festgestellt, daß weder die dortigen Botschaften noch die Vertreter der deutschen Wirtschaft vor Ort in die Erarbeitung des Asien-Konzeptes der Bundesregierung einbezogen waren.
Wie kommt es, daß die Bundesregierung nicht auf den Sachverstand unserer Vertreter vor Ort zurückgegriffen hat? Wie wird sie diesen Mangel bei der Erarbeitung des Konzeptes beheben und für eine engere Abstimmung zwischen Wirtschaft und Politik in diesem wichtigen Feld sorgen?
Herr Bundesminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darauf kann ich nur antworten, daß unsere Vertretungen natürlich in die Erarbeitung dieses Konzepts einbezogen worden sind. Ich weiß jetzt nicht, ob diese spezielle Vertretung gefragt worden ist; aber es ist doch selbstverständlich, daß wir in der Bundesregierung ein solches Konzept nicht ohne die Zuarbeit derer erarbeiten, die in besonderer Weise prädestiniert sind, uns dabei zu helfen. Das sind unsere Botschaften, unsere Vertretungen im Ausland.
Im übrigen werden wir im Januar 1994 erneut eine Asien-Botschafterkonferenz durchführen und auch dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir natürlich auf unsere Vertreter vor Ort in ganz besonderer Weise hören, wenn es um die Politik dieser Region gegenüber geht.
Die nächste Frage stellt Herr Kollege Koppelin.
Herr Minister, haben bei der Beratung der Bundesregierung auch die Sorgen der Staaten Südostasiens mit Blick auf das kommunistische China und auf das, was dort an Aufrüstung geschieht, eine Rolle gespielt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, das hat auch eine Rolle gespielt. Das haben wir vor allem in der letzten Kabinettssitzung, als wir uns das erste Mal über das Asien-Konzept unterhalten haben, in besonderer Weise erörtert. Selbstverständlich hat das eine Rolle gespielt.
Herr Kollege Köhler, Sie haben das Wort zur nächsten Frage.
Herr Bundesminister, ich begrüße ausdrücklich diese Asien-Konzeption. Ich darf offen sagen: Ich hätte es gerne gesehen, wenn sie zeitlich früher vorgelegt worden wäre; aber es ist durchaus noch Zeit. Es ist ein richtiger Zeitpunkt.
Lassen Sie mich bitte fragen: Sind Sie bereit, hier in der Öffentlichkeit des Bundestages klarzustellen, daß diese den natürlichen und vernünftigen Gegebenheiten folgende verstärkte Bemühung um Asien nicht bedeutet, daß die traditionellen deutschen Interessen in Lateinamerika, wo Sie gerade eine Botschafterkonferenz abgehalten haben, in Zukunft zurücktreten werden, und daß wir auch unsere Verpflichtungen gegenüber Afrika darunter nicht leiden lassen wollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin dankbar für diese Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, auf folgendes hinzuweisen. Wenn wir in unserer Außenpolitik Asien jetzt aus den vorher von mir geschilderten Gründen eine besonders hervorgehobene Rolle zumessen, hat das natürlich nicht zu bedeuten, daß unsere Interessen Lateinamerika oder Afrika gegenüber in irgendeiner Weise zurücktreten. Aber wir müssen gewisse Schwerpunkte setzen; das wird immer wieder erwartet und verlangt. Einer dieser Schwerpunkte ist die Asienpolitik.
Da Sie gerade von Lateinamerika sprechen, möchte ich sagen — ich freue mich, daß Sie bei der Botschafterkonferenz dabei waren —: Ich habe durch die Abhaltung einer Botschafterkonferenz in Argentinien in der vorletzten Woche genau das zu unterstreichen versucht, was Sie jetzt hervorheben, nämlich daß Lateinamerika nicht zurückstehen soll, was unsere Interessen anbelangt.
Im Hinblick auf Afrika möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen: Deutsche Außenpolitik muß — ich füge in letzter Zeit immer wieder hinzu: darf — Interessenpolitik sein. Sie ist aber auch eine Politik, die sich wertorientiert an moralisch-ethischen Maßstäben messen lassen muß. Das gilt insbesondere gegenüber der Dritten Welt und dem afrikanischen Kontinent, der seine ganz besonderen Sorgen und Nöte hat, die Sie, Herr Köhler, in besonderer Weise persönlich kennen und die ich aus langjähriger Erfahrung richtig einzuschätzen weiß. Nein, wir werden auch diese Lander nicht im Stich lassen.
Ich möchte noch auf folgendes hinweisen. Wir sollten versuchen, uns auf jeweils eine Frage zu beschränken, da wir insgesamt nur 30 Minuten Zeit haben. Es stehen noch ein weiteres Thema und dann noch die offenen Fragen an. Wir wollen schauen, daß wir so über die Runden kommen.
Herr Kollege Koppelin, Sie haben die nächste Frage. Bitte.
Herr Minister, könnten Sie uns noch einmal sagen, welche Rolle Taiwan bei den Beratungen gespielt hat?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15609
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie wissen, daß wir die Ein-China-Politik verfolgen, d. h. daß wir nur zur Volksrepublik China offizielle diplomatische Beziehungen haben.
Was zu Taiwan zu sagen ist, ist in diesem Asien-Konzept ausführlich niedergelegt. Wir wollen zu diesem Land natürlich Beziehungen haben, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet. Es gibt, wie Sie wissen, breite Möglichkeiten, gerade diese Beziehungen zu vertiefen. Wir haben durch einige Maßnahmen, die Sie dem Konzept entnehmen können — ich darf es Ihnen nachher übergeben —, dazu beigetragen, daß nicht der Eindruck entsteht, wir vernachlässigten Taiwan in irgendeiner Form.
Danke, Herr Bundesminister. Ich glaube, damit haben wir dieses Thema abgeschlossen.
Zum zweiten Thema, das uns die Bundesregierung benannt hat, hat sich der Kollege Dietmar Schütz bereits für eine Frage gemeldet. Ich unterstelle, daß uns zur Beantwortung der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Dr. Klaus Töpfer, zur Verfügung steht. Bitte, Herr Kollege.
Ich schlage vor, daß Herr Minister Töpfer ganz kurz in das einführt, was im Kabinett neu beschlossen worden ist.
Herr Kollege Schutz, das ist zwar ein kollegialer Vorschlag, aber nicht vorgesehen. Wir kommen sonst mit der Zeit nicht aus. Wenn Sie also eine Frage haben, stellen Sie sie bitte gleich.
Herr Minister Töpfer, nachdem wir eigentlich erst den Referentenentwurf kennen — den Sie im übrigen zu spät vorlegen —, möchte ich Sie fragen: Haben Sie das Akteneinsichtsrecht im Informationszugangsgesetz verankert?
Herr Kollege Schütz, zunächst kann ich unterstreichen: Es wird höchste Zeit, daß wir dieses Gesetz verabschieden. Die Überleitungsfrist der entsprechenden EG-Richtlinie ist zum 1. Januar 1993 abgelaufen. Ich kann nur auf die vielen Diskussionen mit kommunalen Spitzenverbänden, mit Ländern usw. hinweisen, die eine schnelle Gesetzesvorlage zu diesem für unser Rechtssystem sehr weitreichenden neuen Instrument erschwert haben. Nach dem Gesetz können ohne Nachweis eines berechtigten Interesses Umweltinformationen erlangt werden.
Die Richtlinie selbst, die wir umsetzen, sieht die zwingende Einführung eines Akteneinsichtsrechts nicht vor. Ein entsprechender früherer Vorschlag der Kommission wurde bei den Verhandlungen über die Richtlinie von den Mitgliedstaaten abgelehnt. Es bleibt also den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie überlassen, die, wie es heißt, „praktischen Regeln" für den tatsächlichen Informationszugang festzulegen. Der Gesetzentwurf, den wir heute im Kabinett verabschiedet haben, schließt allerdings eine Akteneinsicht der Bürger nicht aus. Es fällt in das Ermessen der
Behörde, auf welche Art und Weise die Informationsansprüche erfüllt werden. Inhaltlich wird der Anspruch der Bürger auf Informationszugang dadurch jedoch nicht eingeschränkt. Ob das durch schriftliche Mitteilung, durch Akteneinsicht oder über andere Wege geschieht, bleibt im Ermessen der jeweiligen Behörde. Ich glaube, sie kann das auch am besten überschauen.
Herr Kollege Feige.
Herr Minister, wieweit sieht Ihr Gesetzentwurf bei der Berücksichtigung und der Umsetzung in Landesrecht die Möglichkeit vor, daß entsprechend den eben vorgetragenen Positionen das Landesrecht möglicherweise noch eine Erweiterung oder — wie soll ich sagen? — eine weitergehende Regelung zuläßt?
Herr Kollege Feige, zunächst einmal gehe ich davon aus, daß uns bei der Behandlung dieses Gesetzentwurfs im Bundesrat die Überlegungen der Bundesländer noch sehr viel deutlicher, auch in Entschließungen, mitgeteilt werden. Wir werden das, was aus dem Bundesrat kommt, dann eingehend prüfen.
Ich möchte noch einmal unterstreichen: Mir ist es wichtig, diese Richtlinie umzusetzen mit einem durchaus großen Spielraum des Ermessens für die jeweiligen Behörden, das dann möglicherweise durch ergänzendes Landesrecht konkretisiert wird. Aber an erster Stelle geht es mir jetzt darum, in der Diskussion im Bundesrat die einzelnen Vorstellungen der Bundesländer kennenzulernen.
Ich mache kein Hehl daraus, daß mit diesem Gesetz auch sehr viele Sorgen verbunden werden, z. B. daß sich Erschwernisse im Zulassungsverfahren und behördliche Schwierigkeiten dadurch eher noch verstärken werden. Gerade deswegen bin ich an dem Vollzug und an der Zusammenarbeit mit den Ländern sehr interessiert. Ich glaube, daß wir die Hinweise der Länder bei der Erörterung im Bundestag gut gebrauchen können.
Herr Kollege Schütz, bitte.
Ich habe noch eine Zusatzfrage, Herr Minister Töpfer. Das Informationszugangsgesetz soll eigentlich auch eine öffentliche Kontrolle von Verwaltungshandeln beinhalten. Neben dem Akteneinsichtsrecht, das die skandinavischen Länder und die USA haben, ist auch wichtig, daß das Verwaltungshandeln beim Entstehen im Dialog kontrolliert wird. Welche Zugangsmöglichkeiten gibt es im laufenden Verwaltungsverfahren — ich denke insbesondere an die Planfeststellungsverfahren —, Informationsdefizite, die man selber hat, auch durch Zugang zu Akten abzubauen?
Herr Kollege Schütz, Sie sprechen einen ganz zentralen Punkt dieses Gesetzentwurfes an, die Frage nämlich, ob wir
Metadaten/Kopzeile:
15610 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Bundesminister Dr. Klaus Töpferden Ausschluß von Informationen bei laufenden Verfahren vornehmen können. Ich muß dabei natürlich auch darauf hinweisen, daß wir im deutschen Recht eine außerordentlich ausdifferenzierte Regelung haben, also jetzt schon weitgehende Beteiligungsrechte für Bürger, die unmittelbar beteiligt sind, haben.Ich möchte eines nicht: daß wir dieses System durch einen voraussetzungslosen Informationsanspruch nichtverfahrensbeteiligter Dritter ausgehebelt sehen. Die unmittelbar Verfahrensbeteiligten dürfen nicht benachteiligt werden. Das steht hinter unserem Vorschlag in diesem Gesetzentwurf.Auch hier muß ich wieder das aufgreifen, was ich eben gesagt habe. Wir stehen in unmittelbaren Diskussionen mit den Bundesländern. Auch hier bin ich sehr daran interessiert, zu erfahren, ob das die Bundesländer anders sehen. Ich meine jedenfalls, daß die EG-Richtlinie den Informationszugang bei den sogenannten Vorverfahren ausschließt und der Gesetzentwurf mit dem Ausschluß von „laufenden Verfahren" deshalb durchaus auf der Basis der EG-Richtlinie liegt. Wir sind hier für die Diskussion mit den Bundesländern offen.
Wenn ich Ihre Handbewegung, Herr Kollege Feige, richtig gedeutet habe, dann wollen Sie noch eine winzige Frage stellen.
Herr Minister, der Begriff „Information" ist sehr unscharf. Wird er sich in Ihrem Gesetzentwurf auf den Begriff Daten reduzieren, oder ist er in einer sehr weiten Fassung vorgesehen?
Sie haben völlig recht. Wir wollen einen weiten Begriff der Information haben, und sind dem weitgehenden Informationsbegriff der Richtlinie gefolgt.
Damit können wir diesen Themenbereich ebenfalls abschließen.
Für eine Frage zu allgemeinen Themen hat sich der Kollege Conradi gemeldet.
Ich möchte den Staatsminister im Bundeskanzleramt fragen, ob sich das Kabinett heute mit den Kostenschätzungen für den Umzug nach Berlin abschließend befaßt hat und wann die Bundesregierung willens ist, die Ausarbeitungen, die die CDU/CSU-Fraktion bei der Bundesregierung in Auftrag gegeben hat, auch den anderen Fraktionen im Hause zugänglich zu machen.
Herr Staatsminister Schmidbauer.
Herr Kollege, diese Thematik wurde heute im Kabinett nicht angesprochen. Ich gehe aber davon aus, daß Ihren Wünschen Rechnung getragen wird, sobald die entsprechenden Vorarbeiten geleistet wurden. Heute war dies nicht Gegenstand der Kabinettsberatung.
Darf ich eine weitere Frage stellen?
Ungern, Herr Kollege Conradi, aber bitte.
Können Sie dann wenigstens das Papier, das die CDU/CSU-Fraktion ohne Kostenschätzung von der Bundesregierung bekommen hat, auch an die anderen Fraktionen verschicken?
Herr Kollege, ich kann nicht zusagen, was Fraktionen verschicken, weil es Papiere der Fraktionen sind. Aber ich gehe davon aus, daß diese Papiere — ich übernehme es einmal so, wie Sie es gemeint haben —, sobald sie in dem Zustand sind, daß sie verschickt werden können, auch rechtzeitig verschickt werden. Ich werde mich auch darum bemühen, Herr Kollege.
Herr Kollege Sielaff.
Ich gehe davon aus, daß sich das Bundeskabinett heute mit dem Ergebnis der Beratung im EG-Agrarrat über das Problem der Basisflächenüberschreitung beschäftigt hat, das verheerende Auswirkungen auf die Landwirtschaft, insbesondere in den neuen Bundesländern, haben wird. Deswegen meine Frage: Mit welchen Sanktionen hat die Bundesrepublik Deutschland zu rechnen — oder wurden womöglich schon von Kommissar Steichen angedroht —, wenn Bundesländer und Bundesregierung den Empfehlungen des Bundesministers Borchert folgen und die von der Bundesregierung mit beschlossenen existenzgefährdenden Sanktionen nicht anwenden würden?
Herr Staatssekretär Gröbl.
Bundesminister Borchert hat dem Kabinett über die Ergebnisse des Agrarministerrats von Montag und von Dienstag berichtet und seine Haltung dargelegt, die er in Brüssel vorgetragen hat. Das heißt, Deutschland ist mit den Vorschlägen der EG-Kommission weder im agrarmonetären Bereich noch in dem Bereich der Grundflächenausstattung der neuen Bundesländer, den Sie angesprochen haben, einverstanden. Deshalb konnte auch erreicht werden, daß diese Frage gegebenenfalls in der nächsten Sitzung des EG-Agrarministerrats noch einmal behandelt wird. Das Kabinett, insbesondere der Bundeskanzler, hat diese Haltung von Bundesminister Borchert unterstützt.
Bitte, Herr Kollege Dr. Thalheim.
Ich habe ebenfalls eine Frage an Herrn Staatssekretär Gröbl. Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß auf die Landwirtschaft in den neuen Ländern ein Einnahmeverlust von ca. 0,5 Milliarde DM zukommen würde, wenn es in Brüssel nicht gelingt, hier eine Änderung herbeizuführen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15611
Es trifft auf jeden Fall zu, daß sich die Situation in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt besonders problematisch entwickelt, wobei in Mecklenburg-Vorpommern eine Flächenüberschreitung von 17,1 %, in Thüringen von 12,6 % und in Sachsen-Anhalt von 10,1 % erreicht werden würde. Ob es die Größenordnung, die von Ihnen genannt wurde, in D-Mark ausgedrückt erreicht, bleibt im Augenblick dahingestellt. Es ist jedenfalls eine dramatische Größenordnung.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Thalheim.
Falls es doch so käme, würde dann das Risiko der Anlastung die neuen Länder treffen oder den Bund?
Wir sprechen im Augenblick nicht von dem Risiko der Anlastung, sondern Bundesminister Borchert, unterstützt vom Bundeskanzler, führt seine Verhandlungen, die er schon im Juli begonnen hat, mit der EG-Kommission fort mit dem Ziel, nicht eine Übergangsregelung zu erreichen, sondern eine tatsächliche Heilung des Schadens.
Herr Kollege Rudolf Müller.
Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal zu dem nachfragen, was Herr Kollege Sielaff Sie gefragt hat. Herr Minister Borchert hat ausgesagt, er sei in diesem Zusammenhang bereit, ein Vertragsverletzungsverfahren zu akzeptieren. Stützt die Bundesregierung diese Aussage?
Ja.
Knappe Frage, knappe Antwort.
Herr Kollege Schröter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß als einziges neues Bundesland das Land Brandenburg, das aus Ihrem Hause ja häufig gescholten wird, keine Probleme bei der Anmeldung hatte?
Das Bundesland Brandenburg hat eine Flächenüberschreitung von ca. 1 bis 1,7 % angemeldet.
Verzeihung, Herr Kollege Schröter. Wenn Sie noch eine klärende Zusatzfrage stellen wollen, bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ich hatte nach der Beurteilung dieser Tatsache gefragt. Wie beurteilt Ihr Ministerium dieses Faktum?
Wir beurteilen es so, daß in Brandenburg diese Probleme nicht auftreten, und das ist ausgesprochen erfreulich.
Kollege Sielaff wollte eine weitere Frage stellen.
Herr Staatssekretär, mit welchen Folgen rechnet denn die Bundesregierung, wenn ein solches Vertragsverletzungsverfahren innerhalb der EG stattfindet, und mit welchen Kosten wird dann die Landwirtschaft vielleicht neu belegt?
Wir setzen uns jetzt nicht mit den Problemen eines Vertragsverletzungsverfahrens auseinander, sondern wir ringen darum — und glauben, auch ganz gute Gründe dafür zu haben —, daß in der nächsten Sitzung des Agrarministerrats dieses Problem tatsächlich in einer Form gelöst wird, mit der die neuen Bundesländer, insbesondere die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt, leben können. Darum sollte es uns allen gehen, nicht nur der Regierung, sondern auch der Opposition.
Gibt es noch Fragen an den Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium? — Das ist nicht der Fall.
Gibt es an die Vertreter der Bundesregierung weitere Fragen zu allgemeinen Themen? — Auch dies ist nicht der Fall.
Dann waren wir heute so gut, daß wir mit der Regierungsbefragung vor der Zeit fertig geworden sind. Ich bedanke mich bei den Vertretern der Bundesregierung.
Da die Fraktionen darauf vorbereitet sind, daß die Aktuelle Stunde einige Minuten eher beginnt, glaube ich, daß es zu verantworten ist, mit der Aktuellen Stunde zu beginnen.Ich möchte noch darauf hinweisen, daß die Fragestunde nach der Aktuellen Stunde stattfinden wird. Sie wird zwischen 14.40 und 14.45 Uhr beginnen, wenn in der Aktuellen Stunde alle Redezeiten in Anspruch genommen werden.Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Aktuelle StundeFolgerungen der Bundesregierung aus dem Urteil des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993 — Az. 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92 — in bezug auf die Entwicklung der Europäischen Union
Metadaten/Kopzeile:
15612 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergDie Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. haben diese Aktuelle Stunde verlangt.Ich eröffne die Debatte. Zunächst hat Herr Abgeordneter Haussmann das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Karlsruher Urteil kennt zwei Gewinner: einmal Europa selbst. Maastricht kann nun endlich auch im größten Mitgliedsland der EG in Kraft treten. Zum zweiten sind wir, die Parlamentarier, die wirklichen Gewinner. Denn wir haben durch das Karlsruher Urteil auf dem Weg zur weiteren Integration unabdingbare Mitwirkungsrechte.
Das Karlsruher Urteil fordert aber auch gerade die Bundesregierung auf, die öffentliche Beteiligung der Wählerinnen und Wähler ernster zu nehmen — nicht nur durch Anzeigen, sondern auch durch öffentliche Debatten. Wenn der Bundeskanzler bereits am Tag danach im französischen Senat aufgetreten ist, so ist es recht und billig, daß wir das heute im Deutschen Bundestag nachholen. Wir sind also dieser Aufforderung von Karlsruhe zum baldmöglichsten Zeitpunkt nachgekommen, und daher hat meine Fraktion heute diese Aktuelle Stunde beantragt.
Das Karlsruher Urteil ist eine Bestätigung unserer Auffassung zum Vertrag von Maastricht und damit ein ganz entscheidender Meilenstein auf dem Weg zu Europa. Die Regierung hat daher keinen Grund zur Defensive, ganz im Gegenteil. Nicht auszudenken wäre es, wenn dieser historische Vertrag im größten EG-Mitgliedsland gescheitert wäre.
Daher freuen wir uns unverändert über dieses Urteil.
Es ist darüber hinaus ein kluges Urteil. Es engt uns auf dem Weg zu einem europäischen Staatenbund nicht ein, gibt aber uns und auch der Regierung klare Wegweisungen für weitere Integrationsschritte. Hier sage ich nicht ohne Stolz: Das Urteil folgt weitgehend dem, was zunächst im November 1991 von meiner Fraktion gefordert und vom Deutschen Bundestag gemeinsam, auch auf Drängen der Sozialdemokraten,
am 2. Dezember 1992 festgehalten wurde: Es gibt keinen Automatismus auf dem Weg zu einer gemeinsamen Währung — das ist für unsere Bevölkerung von großer Bedeutung —,
und die ganz engen und entscheidenden Stabilitätsmaßstäbe sind nicht ausdeutungs- und auslegungsfähig. Auch das hat Karlsruhe ganz klar festgehalten.
Das Gericht stellt klar, daß der Zeitpunkt des Eintritts in die alles entscheidende dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion eher eine politische Zielvorgabe darstellt als ein rechtlich durchsetzbares
Datum. So weit, so gut. Ich sage heute nur umgekehrt: Das heißt nicht, daß wir nun bereits den Zeitplan vergessen könnten, im Gegenteil. Es wäre für jedes einzelne EG-Land, gerade auch für das wiedervereinigte Deutschland, ein Trauerspiel, ja ein Desaster, wenn wir nicht bis zum 1. Januar 1999 — also innerhalb von 5 Jahren — zu Währungsstabilität und zu geordneten Staatsfinanzen zurückkehren würden.
Insofern warne ich davor, den Zeitplan zur Disposition zu stellen, weil das gleichzeitig bedeuten würde, daß wir unsere nationalen Stabilitätsvoraussetzungen nicht ernst nähmen. Die Erfahrungen mit dem Binnenmarkt haben gezeigt: Wir kommen nur weiter, wenn zu einer politischen Vision, in diesem Fall der der Wirtschafts- und Währungsunion, ein ganz konkreter Zeitpunkt hinzukommt, der auch national Handlungsdruck erzeugt.
Ich schließe damit und sage: Die Zukunft Europas wird sich letztlich beim Kampf gegen die drohende Massenarbeitslosigkeit entscheiden. Dieser Kampf kann aus meiner Sicht gegenüber Japan und den USA nur mit einer am deutschen Vorbild orientierten stabilen Europawährung und national geordneten Staatsfinanzen erfolgen. Damit wir Deutsche jedoch unseren wertvollsten ökonomischen Beitrag für Europa leisten können, nämlich die Einbringung unserer D-Mark in eine ebenso stabile europäische Währung, ist eines unabdingbar: Die Hüter dieser stabilen europäischen Währung müssen ihren Standort in Frankfurt am Main haben.
Wir vertrauen der Regierung, dies beim Europäischen Rat am 29. Oktober durchzusetzen. Wir stärken ihr den Rücken, und wir wünschen ihr dabei Glück.
Vielen Dank.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für nächste Woche war und ist nach wie vor eine Europadebatte geplant, die vor dem Sondergipfel, der am 29. Oktober stattfindet, die Position des Deutschen Bundestages festlegen sollte. Ich höre, daß die Aktuelle Stunde heute hier nur deshalb veranstaltet wird, weil die Regierungsparteien diese Europadebatte im Vorfeld des Sondergipfels kippen wollen.
Ich verlange, daß klargestellt wird, ob diese Debatte in der nächsten Woche stattfindet; denn wenn sie nicht stattfindet, ist das der erneute Versuch, den Deutschen Bundestag in diesen Fragen zu mißachten, und im übrigen auch eine Mißachtung des Urteils des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15613
Heidemarie Wieczorek-ZeulBundesverfassungsgerichts, das dem Deutschen Bundestag einen maßgeblichen Einfluß auf die Formulierung der EG-Positionen der Bundesregierung zuweist und das entsprechend festlegt.
Wir wollen, daß der Deutsche Bundestag vorher seine Position beziehen kann und daß wir nicht anschließend nur noch mit dem Kopf nicken können. Nach dem Ablauf der Ratifizierungsdebatte in allen EG-Ländern müssen die Regierungen endlich einsehen: Europa ist nicht auf dem Weg von Regierungsgeheimdiplomatie zu schaffen. Im Gegenteil: Die Art, wie Maastricht erarbeitet wurde, hat zur Entfremdung zwischen Bürgern und Bürgerinnen und der Europäischen Gemeinschaft beigetragen.
Helmut Kohl steht nach dem Verfassungsgerichtsurteil auch in der Europapolitik mit leeren Händen da.
Die Politische Union ist nicht ausreichend im Vertrag angelegt. Dazu hat er selbst beigetragen. Die Währungsunion hat im Verfassungsgerichtsurteil einen völkerrechtsverbindlichen Vorbehalt erhalten und wird so schnell nicht kommen. Ein bißchen erinnert die Situation Helmut Kohls an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider" von Andersen. Sie kennen die Geschichte.
Das Bundesverfassungsgericht hat in allen Fragen, die die SPD beim Ratifizierungsverfahren in Bundestag und Bundesrat verankert hat, dem Deutschen Bundestag und dem Drängen der SPD in der Ratifizierungsdebatte recht gegeben. Man kann sagen: Wäre die Bundesregierung in der Art, wie sie die Ratifizierung vorhatte, vorgegangen, wäre sie absolut gegen die Wand gelaufen, und das Verfassungsgerichtsurteil wäre voll gegen sie gelaufen.Die demokratische Legitimation von EG-Entscheidungen durch Bürger und Bürgerinnen — so sagt auch das Verfassungsgericht und bestätigt damit die Position, die die SPD bei der Ratifizierung verankert hat — muß über den Deutschen Bundestag erfolgen. Das heißt: Der Bundestag muß über das Verhalten der Bundesregierung in EG-Fragen diskutieren, bevor die Bundesregierung Festlegungen trifft, und muß die Positionen formulieren, die die Bundesregierung in den EG-Verhandlungen zugrunde legt. Es geht nicht mehr so weiter wie bisher — z. B. bei der Mehrwertsteuererhöhung —, erst in den Ministerrat zu gehen und dann zu Hause den Deutschen Bundestag unter Druck zu setzen. Das Rechtsstellungsgesetz, das die Positionen des Deutschen Bundestages stärkt, tritt jetzt in Kraft.Zweitens ist jetzt und nicht erst nach der Legislaturperiode die Einsetzung des Unionsausschusses notwendig, den wir im deutschen Bundestag einvernehmlich in der Verfassung verankert hatten. Der muß jetzt seine Arbeit aufnehmen. Sonst würde nämlich die Vorbereitung der deutschen Ratspräsidentschaft ab 1. Juli 1994 oder die Vorbereitung der entsprechenden Revisionskonferenz 1996 wieder zu einer Angelegenheit der Geheimdiplomatie. Das ist unakzeptabel.Eine weitere Feststellung des Verfassungsgerichts: Es wird keinen automatischen Übergang in eine europäische Währung geben. Ich habe es vorhin gesagt: Den innerstaatlichen Parlamentsvorbehalt des Bundestags hat das Verfassungsgericht unterstützt und in einen völkerrechtlich verbindlichen Vorbehalt umgewandelt.Ich frage, an die Adresse der Bundesregierung gerichtet: Wir haben bei der Ratifizierung vor einem Dreivierteljahr dies verankert und die Bundesregierung aufgefordert, dem Deutschen Bundestag zu bestätigen, daß sie diesen Vorbehalt akzeptieren wird, und zwar in einem Brief an die Präsidentin; Drucksache 12/3895. Wo ist die Antwort darauf? Warum ist das nicht genau so schnell erfolgt wie die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde? Ein Stück Respekt vor dem Deutschen Bundestag gehört sich weiß Gott genauso wie gegenüber den Nachbarländern.
Zweitens. Wir hatten damals verankert, es sollte den EG-Partnern verbindlich mitgeteilt werden, daß es dieses Verfahren des Parlamentsvorbehalts gibt. Ich frage die Bundesregierung: Wird sie dies jetzt in aller Form beim Sondergipfel am 29. Oktober tun und damit dem, was der Deutsche Bundestag gefordert hat, Rechnung tragen?
Ich weise auf folgende interessante Situation hin: Die EG verhandelt schon seit Monaten auf der Basis des ratifizierten Maastricht-Vertrages mit Nachbarländern über deren Aufnahme. Die Bundesregierung wartet immer noch mit der Zusage an den Deutschen Bundestag, den Parlamentsvorbehalt zu akzeptieren, bis der letzte Termin abgelaufen ist.
Frau Abgeordnete, Sie als altgediente Parlamentarierin dieses Hauses wissen, daß ich gezwungen bin, bei der Aktuellen Stunde auf die Redezeit besonders zu achten. Ich wäre dankbar, wenn Sie zum Schluß kämen.
Das ist wunderbar, Herr Präsident, außer daß ich natürlich den Hinweis auf „altgedient" in aller Schärfe zurückweisen muß.
— Er lacht auch noch hinter mir.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe damit: Von jetzt an — nach der Ratifizierung und nach dem
Metadaten/Kopzeile:
15614 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Heidemarie Wieczorek-Zeul Bundesverfassungsgerichtsurteil — wird die Bundesregierung nicht mehr im stillen Kämmerlein verhandeln können und anschließend die Bevölkerung damit konfrontieren können. Damit ist Schluß, und ich fordere die Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen auf, nicht in falscher Solidarität mit der Bundesregierung ihren Kontrollauftrag zu vernachlässigen.Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Peter Kittelmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Entscheidung des Gerichts vom 12. Oktober 1993 über den Maastrichter Vertrag gibt den Weg dafür frei, daß der Vertrag am 1. November nach vielen Monaten der Unsicherheit und des Zeitverlustes nun endlich in Kraft treten kann. Das Urteil bestätigt zugleich die herausgehobene Bedeutung von Bundestag und Europäischem Parlament für die demokratische Legitimation des europäischen Einigungsprozesses.Die Tragweite dieser Entscheidung ist manchen noch immer nicht bewußt. Der Deutsche Bundestag wird künftig ein entscheidendes Wort in den Angelegenheiten der Europäischen Union mitreden. Der dafür vorgesehene neue Europaausschuß soll deshalb möglichst zeitnah zum Inkrafttreten des Vertrages seine Arbeit aufnehmen.Meine Damen und Herren, sorgfältige Lektüre der Urteilsbegründung sei im übrigen all jenen empfohlen, die versuchten — am Tag danach und teilweise auch noch heute —, das Urteil zu einem großen „Ja, aber" oder gar zu einem „Aus" für die bisherige Politik der europäischen Einigung hochzustilisieren. Sie irren. Tatsache ist, daß das Bundesverfassungsgericht eindeutig die europapolitische Position der Bundesregierung, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der Koalition in vollem Umfang gebilligt hat.
Frau Wieczorek-Zeul, auch politische oppositionelle Profilierung läßt es nicht zu, daß Sie in Ihrer Rede aus dem Urteil zum Teil etwas herausgelesen haben, was nicht drinsteht. Aber auch dies ist nicht neu.
Entscheidend ist nun, daß die europäische Einigung mit neuem Schwung und in noch stärkerem Maße demokratisch legitimiert, transparent, bürgernah und berechenbar fortgeführt wird. Ich fordere uns alle, die Bundesregierung und uns im Parlament, auf, daß wir die Bürgernähe verstärken, indem wir über europapolitische Fragen im Deutschen Bundestag dann diskutieren, wenn sie anstehen und wenn sie aktuell sind.Dies ist eine Anregung auch an die Bundesregierung.
Die politische Dimension unserer Aufgabe, bürgernah und demokratisch legitimiert zu handeln, wird sehr häufig verkannt. Die Europäische Gemeinschaft sichert in einer beispiellosen politischen Erfolgsgeschichte seit 40 Jahren Frieden und Wohlstand. Sie ist für Deutschland als exportorientiertes und auf ein stabiles Umfeld angewiesenes Land von existentieller Bedeutung. Heute leben wir in einer neuen Gründerzeit. Es ist auch Sache von uns, Sache der politischen Parteien und der Fraktionen, diese neue Dimension der Entwicklung in Europa den Menschen in Deutschland klarzumachen, die augenblicklich ein distanzierteres Verhältnis zu Europa haben als noch vor einiger Zeit,
obwohl die Vorteile dieses neuen Europas für jeden spürbar sind.
Es ist an uns, und es ist dringlich, vor allen Dingen auch im Hinblick auf die Europawahl — das meine ich jetzt nicht parteipolitisch, sondern für uns alle —, die Chancen der europäischen Einigung dem Bürger glaubhafter zu vermitteln.Der Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am 29. Oktober sollte deshalb dazu genutzt werden, die Glaubwürdigkeit der Gemeinschaft gegenüber dem Bürger durch klare Entscheidungen und entschlossenes Handeln zu fördern.Der Vertrag von Maastricht muß in all seinen Säulen gleichmäßig und umfassend ausgefüllt werden. Ich will hier nur drei Bereiche als vordringlich herausgreifen:Erstens. Es besteht dringender Handlungsbedarf nach einer abgestimmten und organisierten gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Gemeinsame Aktionen zur Unterstützung der Reformdemokratien in Mittel- und Osteuropa, Rußlands, des Nahen Ostens und Südafrikas sollten beschlossen werden. Die Westeuropäische Union sollte als Verteidigungskomponente der Europäischen Union und europäischer Pfeiler im NATO-Bündnis endlich besser gestaltet und gestärkt werden.
Zweitens. Der gesamteuropäische Zusammenhalt muß durch raschen Abschluß der Beitrittsverhandlungen mit den EFTA-Staaten und durch die politische und wirtschaftliche Anbindung der Reformdemokratien in den mittel- und osteuropäischen Staaten an die Gemeinschaft verstärkt und vertieft werden. Die Gemeinschaft muß das ganze Europa im Blick haben und darf sich nicht nach außen abschotten. Dies sage ich ausdrücklich im Hinblick auf Versuche einiger EG-Staaten, so etwas immer wieder zu praktizieren.Drittens: Der innere Zusammenhalt der Gemeinschaft muß durch Vorbereitung einer institutionellen Reform gesichert werden, die einer erweiterten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15615
Peter KittelmannGemeinschaft angemessen ist sowie effektive Entscheidungen und ein Höchstmaß an parlamentarischer Mitwirkung und Kontrolle gewährleistet.
Hierüber muß bei der Revisionskonferenz spätestens 1996 entschieden werden.
— Ich hatte gesagt: spätestens.
Ich darf abschließend sagen: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt weiterhin nachdrücklich eine Politik der Bundesregierung,
die in der Perspektive eines fortschreitenden Integrationsprozesses die Institutionen und Verfahren des Maastrichter Vertrages mit Leben erfüllt, damit ganz Europa ein Anker der Stabilität in einer sich wandelnden Welt bleibt.Frau Wieczorek-Zeul, was mich bei Ihrer kritischen Bemerkung positiv überrascht: Dieses Haus ist mit überwältigender Mehrheit mit dieser Politik der CDU/ CSU einverstanden. Auch Ihre Diskussionsbeiträge im Unionsausschuß haben bewiesen, daß wir uns einig sind, einiger als andere.
Herr Abgeordneter, bei Ihnen darf ich wohl „altgedient" sagen, ohne Widerspruch zu erzeugen. Ich möchte Sie doch darauf hinweisen, daß die Redezeit abgelaufen ist.
Wir sagen der Bundesregierung herzlichen Dank für die Leistungen, die sie erbracht hat, und ich darf voller Vertrauen auf die Arbeit schauen, die sie bei dem Gipfel für uns alle verrichten wird.
Schönen Dank.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Hans Modrow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste hält das Maastrichter Urteil von Karlsruhe in seinem Kern für verheerend, und wie das Medienecho zeigt, stehen wir dabei auch nicht allein.
Wie der Demokratieleitsatz aus dem Urteil in der Praxis aussehen wird, haben wir bereits beim Zustandekommen des Maastrichter Vertrages leidvoll erfahren. Buchstäblich in letzter Minute dem Bundestag vorgelegt, durfte und konnte am Vertrag grundsätzlich nichts mehr geändert werden. Mehr Demokratie ergibt sich aus dem Urteil auch deshalb nicht, weil Volksentscheide über Europafragen von den Richtern verworfen wurden. Dem Europaparlament wurde auch nicht weiteres Recht zugebilligt.
Für schlimm halten wir die Konsequenz, die das Urteil aus zwei weiteren Gründen bringt: Es gibt erstens grünes Licht für das Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages, in dem Regelungen für die Arbeitnehmer ebenso fehlen wie die Ergänzung
durch eine Sozial- und Umweltunion. Der Vertrag zielt nicht auf die Bewältigung von Arbeitslosigkeit, die Wiedereingliederung der Millionen Erwerbslosen, die gleichgewichtige Entwicklung der Regionen, sondern überläßt das den Kräften des Marktes. Was dabei herausgekommen ist, haben wir innerhalb der Bundesrepublik beim Anschluß der DDR bereits erlebt. Der Vertrag öffnet aber die Tür für eine Militarisierung der Außenpolitik und vermauert zugleich den Weg zu einem nichtmilitärischen Sicherheitssystem in Europa.
Zweitens wird der westeuropäische Integrationsprozeß unter nationalstaatliche Kuratel gestellt. Die Bundesregierung hat in Karlsruhe ihre höchstrichterliche Absegnung dafür erhalten, mit dieser Integration nach Gutdünken umzugehen.
Daß das keine leere Behauptung ist, beweist auch, daß sich die Karlsruher Richter fortan dabei eine neue Rolle zuerkennen: Man wacht nicht nur über die Umsetzung der EG-Beschlüsse durch deutsche Organe, sondern will künftig auch Einspruch gegen sie selbst erheben können. Im Kanzleramt sollen bereits — so ein stets gut informiertes überregionales Nachrichtenmagazin — Planspiele darüber angestellt werden, wie den osteuropäischen Staaten der Zutritt zur EG am besten zu verweigern ist. Die kürzliche Kritik von Delors an Bundeskanzler Kohl spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls für sich.
In Europa wird eines sehr gut verstanden: Fortan wird man — natürlich unter vollmundigen Erklärungen über europäische Ziele und Ideale — noch mehr versuchen, den lieben Partner über den Tisch zu ziehen. Hier im Bundestag ist — ich meine: zu Recht häufig Politikverdrossenheit und Europamüdigkeit der Menschen beklagt worden. Erst unlängst hat auch der Herr Außenminister darüber gesprochen, daß man die europäischen Probleme unter den Bürgern nicht durchschauen könne.
Der zusätzliche Nebelvorhang, der mit diesem Urteil über den tatsächlichen Gang der Dinge gelegt worden ist, wird sich mit Sicherheit noch verstärken. Daher stellt sich die Frage: Was bleibt den Bürgerinnen und Bürgern nach diesem Urteil eigentlich als Schlußfolgerung? Wer nicht Opfer verfehlter Europapolitik werden will, muß sich wehren. Die Bäuerinnen und Bauern in Mecklenburg-Vorpommern haben es gerade am gestrigen Tag erneut getan.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Wolfgang Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lebendige Demokratie: Dieses Wort steht wie ein Siegel unter diesem denkwürdigen Urteil, das selbst ein Stück lebendiger Demokratie in dem großen Vereinigungsprozeß eines sich wandelnden Europa ist. Insofern brauchen sich die Kläger ihrer Klagen nicht zu schämen, auch wenn sie mit Recht abgewiesen worden sind. Sie waren selbst ein Teil lebendiger Demokratie in einem sich wandelnden Europa.
Metadaten/Kopzeile:
15616 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Dr. Wolfgang UllmannDer eine Kläger — von der rechten Seite des Hauses — hat das Bundesverfassungsgericht angerufen, weil er Bürgerrechte mit Deutschenrechten gleichsetzte. Aber auch die deutschen Rechte sind nur über das Vorhandensein und Wirksamwerden von Bürgerrechten in Europa demokratisch fundiert. Wer seine deutschen Bürgerrechte nicht mit anderen Bürgern der Europäischen Union teilen will, der wird am Ende auch seine deutschen untergraben.
Die anderen Kläger — aus meiner Richtung — wollten über das Bundesverfassungsgericht Rechtsmittel gegen ein von ihnen nicht grundlos beklagtes Demokratiedefizit der europäischen Einigung ergreifen.Aber, meine Damen und Herren, Volksentscheide und Volksabstimmungen kann man sich nicht frei Haus in Karlsruhe abholen. Entweder werden sie in einer gemeinsamen Aktion der Selbstbestimmung und der freien Entscheidung aller deutschen Länder ins Leben gerufen, oder wir müssen in der Bundesrepublik weiter mit jenem merkwürdigen Demokratiedefizit leben, das eine nur zu offenkundige Folge des Demokratiedefizits unserer bisherigen deutschen Geschichte ist.Demokratie ist vom Vorhandensein bestimmter vorrechtlicher Voraussetzungen abhängig, heißt es in einer der bedeutendsten Passagen der Urteilsbegründung, die klarstellt, inwiefern Demokratie ohne die Auseinandersetzung von sich begegnenden freien sozialen Kräften und Ideen nicht sein kann. Recht so! Aber an dieser Stelle wird freilich auch eine auffallende Lücke in der Demokratietheorie des Urteils sichtbar: Als Subjekte dieser freien gesellschaftlichen Auseinandersetzung kennt sie nur Parteien, Verbände, Presse und Rundfunk. Ich meine jetzt nicht, daß hier das Fernsehen fehlte, sondern ich meine etwas anderes. Demokratie lebt nämlich nicht nur von der öffentlichen Meinung, sondern auch von der öffentlichen Willensbildung, die nun schon seit Jahrzehnten ohne die Bürgerbewegungen — die ökologischen, die Friedensbewegungen, die Demokratiebewegungen des europäischen Ostens mit Solidarność an der Spitze — nicht mehr zustande kommen kann und ohne deren Mitwirkung die Parlamente ständig an Autorität und Effektivität verlieren müssen.Zeigt das nicht in gewisser Weise auch die Formulierung der Frage, meine Damen und Herren Kollegen, die Sie gestellt haben, über die wir jetzt debattieren? Das Maastricht-Urteil appelliert ein ums andere Mal an die besondere Verantwortung des Deutschen Bundestages für die Ausgestaltung künftiger Schritte
bei der Strukturierung und Erweiterung der Europäischen Union. Blicke ich in diesem Kreise umher, dann frage ich mich etwas nach der Europanähe dieses Deutschen Bundestages. Aber hat dieses Parlament, dem es offenkundig noch immer Mühe bereitet, seinen Blick auf alle deutschen Länder — ich schweige jetzt von Berlin — in gleicher Weise zu richten, denn schon die Europaoffenheit und Europareife erreicht, die den ungeheuren Herausforderungen der Jahrtausendwende gewachsen sind? Die Forderung, Herr Haussmann, die Europäische Zentralbank nach Frankfurt zu verlegen, mag ja richtig sein, ist aber als Antwort, so finde ich, doch etwas wenig.Warum hat sich der Deutsche Bundestag nicht so in die EG-Verhandlungen eingemischt, wie es z. B. das dänische Parlament immer getan hat und auch tut?
Diese Frage ist in jeder Hinsicht offen. Eine Antwort auf sie werden wir jedoch nicht finden, ohne uns die Europäische Union auf dem Boden der Verfassung des wirklichen, des historischen Europa zu denken, und das heißt eben: nicht ohne die Demokratie der Danziger Werft, des Wenzelsplatzes, des Alexanderplatzes und auch nicht ohne die auf Moskauer Straßen und Plätzen noch immer leidende Demokratie.Danke.
Ich erteile nunmehr dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht ist ein Erfolg für die Politik der Bundesregierung und auch ein Erfolg für Europa.
— Hören Sie erst einmal zu.Ich sage das ganz bewußt und gerade im Hinblick auf einige zweifelnde Stimmen. Das Gericht hat den Weg für die Fortsetzung unserer Europapolitik freigemacht. Auf der Grundlage des Urteils können wir die deutschen Interessen weiterverfolgen und — was ganz wichtig ist — auch den Erwartungen unserer Partner gerechnet werden.
Auf dem Europäischen Sonderrat am 29. Oktober werden die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten Gelegenheit haben, Weichen zu stellen, um den Vertrag mit Leben zu erfüllen und Prioritäten für die Zukunft zu setzen, und zwar für die Wirtschafts- und Währungsunion, für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und für die Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik.Der Vertrag von Maastricht ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Gericht hat dieses Urteil einstimmig gefällt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15617
Bundesminister Dr. Klaus KinkelEs hat die Auffassung bestätigt, die die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat übereinstimmend vorgetragen haben. Denjenigen, die wie die Beschwerdeführer den Vertrag als einen alles verschlingenden Moloch, der zu einem Ende der deutschen Staatlichkeit führe, die Grundrechte einschränke und ein Ende der kulturellen Vielfalt Europas bedeute, hingestellt haben, haben die Richter ein klares Ja zur Grundrechtskonformität und zur demokratischen Legitimität des europäischen Einigungswerks entgegengesetzt.
Daß es mich als Außenminister besonders freut, daß dieses Urteil im In- und Ausland überwiegend positiv aufgenommen worden ist, werden Sie verstehen.Meine Damen und Herren, das Gericht betont die maßgebliche Rolle des Deutschen Bundestages. Das Parlament gewährleistet in erster Linie die demokratische Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Europäischen Union. Das Urteil ist von einem dynamischen Verfassungsverständnis bestimmt; Schritt haltend mit der Integration — so sagt das Gericht — können die demokratischen Grundlagen der Union ausgebaut werden. Dies ist ein Bekenntnis zur fortschreitenden Integration.Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft für weitere Rechte des Europäischen Parlaments einsetzen,
dessen komplementäre Rolle das Gericht ausdrücklich betont.
Aber das Urteil zeigt auch Grenzen und Wegweisungen auf. Neue Aufgaben dürfen der Union nur für genau bestimmte Befugnisse und in einer für den Gesetzgeber voraussehbaren Weise übertragen werden. Das Gericht unterstreicht den von Deutschland maßgeblich geförderten Gedanken der Subsidiarität, nach dem die Gemeinschaft nur tätig werden darf, soweit Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend sind.Auch bestätigt das Gericht das Verhältnismäßigkeitsprinzip d. h., daß die Union nicht alles bis ins letzte regeln soll und darf. Schließlich erteilt es jedem Gedanken an eine Kompetenz-Kompetenz der Union, d. h. der Vorstellung, nach der sich die Union selbst finanzielle oder andere Befugnisse einräumen könnte, eine deutliche Absage.Die Politik aber bleibt aufgefordert — ich habe es in diesem Hohen Hause schon mehrfach gesagt —, die Unterstützung der Bürger für die europäische Einigung wiederzugewinnen oder zu gewinnen: durch Taten und durch ein Ende der Debatte über Maastricht, so notwendig sie gewesen sein mag. Das politische Bauwerk Europa und das Lebensgefühl der Menschen dürfen sich nicht auseinanderbewegen. Die Menschen wissen einfach viel zuwenig von Europa, und das darf nicht so bleiben.
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht nochmals bis ins einzelne bestätigt: Es bleibt bei der nationalen Identität, es gibt keine Automatik zur europäischen Währung, und der Deutsche Bundestag wird beim Übergang zur dritten Stufe der Währungsunion beteiligt.Wir müssen Europa in die Köpfe und Herzen der Menschen bringen. Die Richter weisen uns Politiker darauf hin, daß zunächst informiert, aufgeklärt, Kritik ernst genommen und ausdiskutiert werden muß. Wir müssen den Bürgern deutlich machen, warum sich dieses Europa für jeden einzelnen von uns lohnt.
Sorgen über die deutsche Mitwirkung an der Gestaltung Europas sind unbegründet. Entgegen vereinzelten Zweifeln führt das Urteil nicht zu einer Änderung der deutschen Europapolitik. Es bestätigt im Gegenteil die Politik der Bundesregierung, so z. B. bei seinen Ausführungen zur Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft.Falsch ist auch der Vorwurf, das Gericht schwinge sich zum Schiedsrichter über die Geltung des Gemeinschaftsrechts auf. Das Gericht stellt den Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht in Frage. Es behält sich freilich vor zu prüfen, ob Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane die Grenzen ihrer Ermächtigung und den Grundrechtsschutz wahren. Das Gericht weist ausdrücklich auf die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs hin, der den Grundrechtsschutz in der Gemeinschaft garantiert, und will sich, wie es sagt, im Rahmen eines Kooperationsverhältnisses auf die Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsstandards beschränken. Dies entspricht im übrigen der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts.Das Gericht eröffnet nicht den Weg zur einseitigen Lösung aus dem Vertrag. Zwar sagt es, daß Deutschland einer der Herren der Verträge des auf unbegrenzte Zeit geschlossenen Vertrages ist und daß diese ihre Zugehörigkeit zur Union auch durch einen gegenläufigen Akt aufheben könnten bzw. daß der Vertrag beim Scheitern der Stabilitätsgemeinschaft, der Währungsunion, als Ultima ratio auch einer Lösung — so das Wort im Urteil — aus der Gemeinschaft nicht entgegenstehe. Dies ist jedoch nichts anderes als die im übrigen von keinem Mitgliedstaat bestrittene Selbstverständlichkeit, daß ein Zusammenschluß souveräner Staaten einvernehmlich auch wieder gelöst werden kann.Im übrigen verweist das Gericht implizit auf die normalen Verfahren der Gemeinschaft, d. h. Verhandlungen unter den Mitgliedstaaten bzw. die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes.Verfehlt ist auch die Kritik, Deutschland sei mit dem Urteil eine weitergehende Integration unmöglich gemacht worden. Es ist richtig: Unsere Bürger wollen keinen europäischen Zentralstaat. Der Vertrag von Maastricht sieht aber auch nur vor, daß Europa die Aufgaben übernimmt, die von den Nationalstaaten allein nicht mehr gemeistert werden können. Er schafft die Nationalstaaten nicht ab.Die Europäische Union wird sich zu einem Bund eigener Art entwickeln, der die notwendige Gemein-
Metadaten/Kopzeile:
15618 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Bundesminister Dr. Klaus Kinkelsamkeit schafft, ohne die genauso wichtige Vielfalt zu nehmen. Das Bundesverfassungsgericht folgt dieser Vorstellung und wählt hierfür den neuen Begriff des Staatenverbundes. Das Gericht läßt jedenfalls die Fortentwicklung über den Vertrag von Maastricht hinaus im Wege der Vertragsänderung ausdrücklich zu. Dieses vereinte Europa bleibt unser Ziel, und der politische Gestaltungsraum für weitere Integrationsfortschritte ist eben nicht beschränkt worden.
Herr Bundesminister, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie unterbreche. Aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß für den Fall, daß Sie die Redezeit von zehn Minuten überschreiten, jede Fraktion des Hauses das Recht hat, die Debatte als eröffnet zu betrachten. Ich nehme an, daß es sinnvoll und richtig ist, Sie vorher darauf aufmerksam zu machen, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin beim letzten Satz.
Das beruhigt mich und einige andere im Hause. — Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es kommt darauf an, ihn mit Augenmaß und pragmatisch zu nutzen, mit besonderem Augenmerk auf die Rolle des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments.
Für das, was ich Frau Wieczorek-Zeul noch sagen wollte, reicht die Zeit nicht mehr. Ich sage es ihr deshalb nachher persönlich.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Burkhard Zurheide das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch eine Woche nach der Verkündung des Urteils aus Karlsruhe, der Lektüre der Zeitungen und der Zurkenntnisnahme der Medien bleibt es dabei: Die Antragsteller und die Beschwerdeführer haben in Karlsruhe verloren.
Daran ändert sich auch nichts durch Fehlinformationen, die weitergegeben worden sind und die nicht zutreffen.Das Karlsruher Urteil hat noch einmal den Rahmen beschrieben, innerhalb dessen die Bundesregierung und der Bundestag den europäischen Integrationsprozeß vorantreiben können. Das Urteil hat nichts Neues festgestellt. Es hat lediglich das bestätigt, was wir, was das Parlament, was die Bundesregierungohnehin vorgehabt und in der Vergangenheit getan haben.
Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, muß man sich die Frage stellen, warum denn trotzdem — obwohl dies so ist — der Eindruck erweckt werden konnte, als habe erst das Verfassungsgericht den Beteiligten den richtigen Weg gewiesen, was objektiv nicht zutrifft. Ich glaube, das liegt daran, daß das Urteil des Verfassungsgerichts die Debatte um Europa in der Tat vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Daran allerdings können wir uns schon ein Beispiel nehmen.Für uns besteht Veranlassung, uns noch einmal darüber klar zu werden, wohin wir denn wollen.Die erste Frage lautet: Welches sind die deutschen Interessen im europäischen Integrationsprozeß? Darüber sollte geredet werden. Es sollte klargestellt werden, daß wir Deutsche aus sicherheitspolitischen Gründen, aus Gründen der Freizügigkeit, aber vor allen Dingen aus ökonomischen Gründen ein Interesse daran haben, daß dieser europäische Einigungsprozeß weitergeht.
Und es steht auch fest — und wurde vom Karlsruher Urteil noch einmal bestätigt —: Der Herr des Integrationsprozesses ist der Souverän, der Burger, vertreten durch dieses Hohe Haus, durch dieses Parlament.
Das ist so, und dabei wird es bleiben. Das hängt übrigens auch damit zusammen, daß dieses Parlament — nicht ohne einen nicht ganz unwesentlichen Beitrag der F.D.P. — im vergangenen Jahr dafür gesorgt hat, daß ausdrücklich noch einmal festgeschrieben wurde, daß vor Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion der Bundestag noch einmal befaßt wird.Nunmehr steht völlig außer Zweifel, daß diese Befassung Zustimmung bedeutet. Dies hat die Regierung aber nie in Abrede gestellt, weil immer gesagt wurde: Natürlich wird dann, wenn das Parlament sagt, wir wollen die dritte Stufe nicht, eine Regierung nicht das Gegenteil davon tun. Auch deshalb ist überhaupt kein neuer Sachstand eingetreten.Es wird kein europäischer Superstaat geschaffen. Die deutsche Staatlichkeit wird nicht aufgegeben.Und was genausowichtig ist — aber vorher auch klar war —: daß jeder weitere Fortschritt in der Integrationsdichte von einer Verdichtung demokratischer Kontrolle begleitet werden muß, sei es durch dieses Parlament, sei es durch das Europäische Parlament.Es wird weiter auch kein Europa der Präsidenten oder der Regierungschefs geben. Herr des Verfahrens, um das noch einmal zu sagen, bleibt der Bundestag, bleibt das Parlament.In dem Urteil wird zu Recht noch einmal darauf hingewiesen, daß der Grundsatz der Subsidiarität strikt zu beachten ist und vor allen Dingen auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15619
Burkhard Zurheidejustitiabel sein muß. In jedem Einzelfall muß geprüft werden, ob eine bestimmte Maßnahme auf die europäische Ebene übertragen werden soll. Aber nicht nur das Ob, sondern auch das Wie der Umsetzung einer solchen Maßnahme muß an Hand des Subsidiaritätsprinzips geprüft werden.Das Verfassungsgericht — dies ist in der Tat neu, und auch das sollte man zur Kenntnis nehmen — hat zum erstenmal gesagt, daß es selber sozusagen auch europäische Rechtsetzungsakte überprüfen will. Auch dies ist ein Punkt, mit dem man nicht nur leben kann. Dies ist in einem Rechtsstaat völlig normal. Das Verfassungsgericht hat natürlich die Aufgabe, auch europäische Rechtsetzungsakte zu überprüfen.
Letzter Punkt: Die Wirtschafts- und Währungsunion ist eine Stabilitätsgemeinschaft. Auch dies hat das Verfassungsgericht noch einmal ausdrücklich festgeschrieben. Das Verfassungsgericht hat mit der Mehrheit in diesem Hause die Konvergenzkriterien für starr erklärt. Sie dürfen nicht aufgeweicht werden, weil die WWU eben eine Stabilitätsgemeinschaft ist. Ich sagte vorhin schon, wir haben uns entschieden, daß vor Eintritt in die dritte Stufe ein neuer Beschluß des Bundestages notwendig ist, ein Automatismus also nicht eintreten wird.Natürlich ist es genauso richtig zu sagen: An dem Zeitplan sollte, wenn es eben geht, festgehalten werden. Aber es kann auch keine Frage sein, daß der Grundsatz gilt: Im Zweifel für die Konvergenz.
Wenn die Konvergenzkriterien nicht eingehalten werden, kann es unabhängig von jedem Zeitplan keine dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion geben. Dies steht für die F.D.P. völlig außer Frage.
Im Ergebnis, meine Damen und Herren, kann man feststellen, daß es in unserem nationalen deutschen Interesse liegt, am europäischen Einigungsprozeß teilzunehmen. Die Bürger Deutschlands profitieren wie kaum andere vom europäischen Integrationsprozeß. Die Deutschen lassen sich auch nicht von Populisten bange machen, die mit dem Thema Europa ihr eigenes Süppchen zu kochen versuchen, obwohl die Interessenlage Deutschlands und der Deutschen eine andere ist.
Maastricht bedeutet nicht die Aufgabe der starken D-Mark. Die Deutschen bleiben in Europa Deutsche. Sie genießen aber die Vorteile, die Europa für sie bereithält. Dies, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wissen immer mehr Bürger, wie Umfragen in der letzten Zeit ergeben haben.Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Günter Verheugen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch immer wieder erfreulich, festzustellen, wie nach einem gewonnenen Verfahren alle der Meinung sind, daß im wesentlichen sie dazu beigetragen hätten, daß es so gekommen ist.
Es ist für alle Parteien, die den Vertrag von Maastricht in voller Kenntnis der Probleme hier ratifiziert haben, durchaus Anlaß, festzustellen, daß sich ein Stück Gemeinsamkeit des Deutschen Bundestages bewährt hat.
So ganz einfach war die ursprüngliche Situation ja nicht. Ich will nur daran erinnern, daß es in der Verfassungskommission und in dem Sonderausschuß des Bundestages durchaus Kontroversen darüber gegeben hatte, ob die Verfassungsänderung und ob die Begleitgesetze, die wir für notwendig gehalten haben, um den Vertrag ratifizierungsfähig zu machen, wirklich notwendig seien. Die Bundesregierung hatte uns einen Gesetzentwurf vorgelegt, der lediglich eine Änderung des Art. 28 des Grundgesetzes, Kommunalwahlrecht, und eine Änderung des Art. 88 des Grundgesetzes, Bundesbank, vorsah und sonst nichts. Insofern ist vollkommen richtig, was Kollegin Wieczorek-Zeul gesagt hat, daß durch die Arbeit im Bundestag, in der gesetzgebenden Körperschaft, das erreicht worden ist, was das Verfassungsgericht in die Lage versetzt hat, den Vertrag passieren zu lassen.Erlauben Sie mir einen kleinen Hinweis an die Adresse der verehrten Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. Auch der Parlamentsvorbehalt, den wir jetzt alle so toll finden, ist nicht vom Himmel gefallen, auch den haben nicht alle von Anfang an gewollt. Wir haben ihn gegen Ihren Widerstand durchsetzen müssen, meine Damen und Herren.
Aber ich will keine Vergangenheitsbewältigung betreiben, sondern in die Zukunft sehen. Da möchte ich gem feststellen, daß dieses Urteil sehr, sehr ernst genommen werden muß. Ob es ernst genommen werden wird, hängt vom zukünftigen Verhalten des Deutschen Bundestages ab. Wenn wir uns in der Zukunft so verhalten wie allzulange in der Vergangenheit, nämlich als eine Art Kopfnicker-Parlament,
das hinnimmt, was die Regierung hinter verschlossenen Türen in Brüssel aushandelt, dann handeln wir gegen Buchstaben und Geist des Urteils, das wir aus Karlsruhe bekommen haben. Dieses Urteil verlangt von uns, daß wir uns als Parlament in den Prozeß der europäischen Einigung einschalten.Darum bitte ich Sie noch einmal sehr herzlich, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, sich sehr gründlich zu überlegen, ob Sie uns nächste Woche eine Debatte über den bevorstehenden Europagipfel wirklich verweigern wollen. Wir hätten schon
Metadaten/Kopzeile:
15620 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Günter Verheugendie Absicht gehabt, hier einiges Wichtige für die zukünftige europäische Entwicklung zu sagen und im Bundestag auch etwas vorzulegen, was er im Hinblick auf die künftige Entwicklung entscheiden und beschließen kann.Meine Damen und Herren, ich möchte im Hinblick auf das, was vor uns liegt, eine Besorgnis ausdrücken, die sich bei mir in den letzten Monaten zunehmend verstärkt hat. Es ist die Besorgnis, daß die Parteien des Hauses, die ich einmal als Europaparteien bezeichnen möchte, gegen den Wind der öffentlichen Meinung, der uns entgegenbläst, gegen die Stammtischparolen, mit denen wir es bei Europa zu tun haben, vielleicht auf Dauer nicht standfest genug bleiben.Ich sehe mit Freude den Herrn Bundesfinanzminister hier sitzen, den ich in seiner Eigenschaft als Vorsitzender einer wichtigen Partei ansprechen möchte. Wir haben natürlich sehr sorgfältig verfolgt, was der Ministerpräsident des Freistaates Bayern der Bundesregierung über die zukünftige Entwicklung geschrieben hat. Das wirklich Neue für die Politik aller hier vertretenen Parteien ist, daß zum ersten Mal eine Partei gesagt hat, sie wünsche ein bestimmtes Endstadium der europäischen Entwicklung nicht mehr. Das ist noch nicht einmal zu begründen mit dem sehr auf Souveränität und nationale Prärogative pochenden Verfassungsgerichtsurteil; denn dieses bleibt vollkommen integrationsoffen und sagt nicht, daß ein bestimmter Endpunkt der Integration — einschließlich der Vereinigten Staaten von Europa — ausgeschlossen ist. Es bleibt möglich, den Prozeß voranzutreiben bis zu einem nicht näher definierten Punkt, und es wird lediglich gesagt, wie wir uns während dieses Prozesses zu verhalten haben.Im übrigen bestätigt das Verfassungsgerichtsurteil auch eine Grundlinie, die wir gemeinsam entwickelt haben, nämlich die, daß wir eine verfassungsmäßige Grundlage für den Prozeß des Hineinwachsens in eine sich immer mehr verdichtende Europäische Union schaffen mußten. Wir haben jetzt eine Grundlage für diese Politik der Zukunft.Ich hoffe und erwarte, daß die Bundesregierung mit dieser Grundlage verantwortungsvoll umgehen wird und möchte zum Schluß eine dringende Bitte an die Bundesregierung richten. Der schwere Fehler, der es auch dem Bundestag mit dem Vertrag von Maastricht so schwer gemacht hat, war, daß wir hier in diesem Haus nicht über den Vertrag geredet haben, bevor er unterzeichnet war.
Meine Bitte ist, Herr Dr. Kinkel und Herr Waigel: Sorgen Sie dafür, daß der Bundestag eine politische Bewertung, ja, eine politische Entscheidung treffen kann, bevor Sie den nächsten Vertrag zeichnen, der die Europäische Union weiterentwickelt oder ändert.
Wir hätten uns eine Menge von Problemen erspart,wenn das auch beim letzten Mal schon so gehaltenworden wäre. Im übrigen wünschen wir Ihnen — —
Herr Abgeordneter, ich habe Ihre Bemerkung, Sie kämen zum Schluß, ernstgenommen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es auch täten.
Dann will ich mich auch selber ernst nehmen, Herr Präsident und tue das.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Renate Hellwig.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es gibt in dem Zusammenhang zwei Dinge geradezurücken. Einmal geht es um die Frage: Was waren eigentlich die Schlußfolgerungen im Zuge der Ratifizierungsdebatte? Wie ich sie erlebt habe, hatte sich die Verfassungskommission zunächst einmal nur darauf konzentriert, ja dem Bundesrat Gutes zu tun und seine Macht zu stärken, der als ersten und wichtigsten Impuls den Art. 23 hatte.Deswegen ist es mir — das muß ich schon gestehen — eine gewisse Befriedigung, daß das Bundesverfassungsgericht den Bundesrat bei der Frage des Demokratiedefizits nicht der Erwähnung für würdig befindet, sondern sich auf den Bundestag konzentriert. Ich muß hier sagen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Ich selber habe unter Ihnen schwer zu leiden gehabt, darunter, daß Ihnen die Interessen des Bundesrates wichtiger waren als die des Bundestages. Sonst hätten wir nämlich eine klare Abgrenzung in bezug auf die Mitwirkungsrechte von Bundestag einerseits und Bundesrat andererseits.
Dies erscheint mir schon sehr wichtig.Was zweitens die Frage der Stärkung des Bundestages anbelangt, so richtet sich mein Impuls an die F.D.P. Lieber Herr Zurheide, Sie haben gesagt, es war insbesondere der Beitrag der F.D.P., den ich gerne zugestehe, im Zuge des Ratifizierungsverfahrens einen demokratischen Impuls zu geben. Bleiben Sie weiter auf diesem Weg! Denn jetzt wird es darauf ankommen, daß wir das, was wir so schön in der Verfassung festgeschrieben haben, auch durchsetzen, nämlich uns einen Europaausschuß zu geben, der vom Bundestag ermächtigt werden kann und sollte, an Stelle des Plenums Stellung zu nehmen. Sie alle wissen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wie wichtig das ist, wenn wir dem Auftrag des Verfassungsgerichts tatsächlich gerecht werden wollen. Denn im Gegensatz zum nationalen rauscht der europäische Gesetzgebungsprozeß am Bundestag vorbei, wenn wir nicht — ich wende mich da an die Herren Minister — in enger Kooperation mit der Regierung rechtzeitig, das möchte ich betonen,
darauf hingewiesen werden: Bitte, Bundestag, jetzt brauchen wir deine Stellungnahme; denn wir fahren morgen zu einem Gespräch an den europäischen Tisch und werden dort die gemeinsame deutsche
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15621
Dr. Renate HellwigHaltung — nicht nur die der Regierung, sondern auch die des Bundestages — abgeben.Herr Minister, ich habe mich sehr gefreut, zu hören — Sie werden es hier sicher noch sagen —, daß Sie schon am nächsten Montag auf dem ECOFIN-Rat unseren Appell, an der Beurteilung mitzuwirken, zum Ausdruck bringen können. Auch das war wichtig. Wir wollen nicht etwa nur über das Ja oder Nein entscheiden. Wir wollen kein Opting-out aus der Währungsunion, sondern wir wollen an der Beurteilung der Kriterien teilhaben. Dies ist so zugestanden und wird jetzt den anderen Europäern mitgeteilt. Das stärkt unsere gemeinsame Position in Richtung einer stabilen Währungsunion und ist wirklich in übergreifendem gemeinsamen Interesse.Ich möchte noch kurz einen Punkt herausgreifen, und zwar das sogenannte Subsidiaritätsprinzip. Ich bezeichne es der Einfachheit halber so: Man muß die Fortentwicklung des europäischen Einigungsprozesses vom Kopf auf die Füße stellen. Wir haben bisher in relativ nicht so wichtigen Materien versucht, bis ins kleinste Detail die europäische Harmonisierung voranzutreiben und sehr komplizierte Richtlinien erlassen. Dort hätten oft auch Rahmenbedingungen genügt. Man kann im Zuge eines offenen Binnenmarktes Detailregelungen durchaus den Nationalstaaten überlassen. Wir selber haben ein solches Modell anzubieten. Deutschland ist quasi ein Binnenmarkt, hat unterschiedliche Ländergesetze, die nach dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung die Offenheit nicht stören. Dieses Modell läßt sich durchaus auf Europa übertragen.Aber zum Subsidiaritätsprinzip und zur Bestrebung, den europäischen Einigungsprozeß vom Kopf auf die Füße zu stellen, gehört noch mehr. Unsere Bürger sind durchaus der Meinung, daß es in wichtigen Fragen eines Mehr an Harmonisierung bedarf. Ich nenne nur die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik oder den Vorwurf einer fehlenden gemeinsamen Haltung z. B. im Jugoslawienkonflikt, z. B. gegenüber den mittel- und osteuropäischen Staaten. Die Intensivierung der europäischen Zusammenarbeit in der Innen- und Sicherheitspolitik, beim Asylrecht bedarf einer Verdichtung.Das sind legitime Forderungen unserer Bürger. Sie entsprechen auch der im Verfassungsgerichtsurteil angelegten Dynamik, die uns keineswegs hindert, in diesen Punkten voranzuschreiten. Ich nehme sie in die sogenannte COSAC — um sie wieder einmal ins Spiel zu bringen — hinein. Die COSAC ist die gemeinsame Sitzung der Europaausschüsse der nationalen Parlamente. Ich nehme die Anregungen dorthin als einen wichtigen Impuls und eine richtige Auslegung dieses Verfassungsgerichtsurteils mit. Wir sind vom Verfassungsgerichtsurteil geradezu aufgefordert, bei zunehmenden Integrationsschritten auf mehr Rechte zugunsten des Europäischen Parlamentes zu drängen,
weil dies eine entscheidende Voraussetzung ist, die Integration demokratisch legitim voranzutreiben. Dies hindert uns nicht daran, meine lieben Herrn Minister, jetzt auch bei Ihrer Politik im Ministerrat umso intensiver die Kontrolle des deutschen Parlamentes auszuüben.Vielen Dank.
Der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel, hat nunmehr das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, selbstverständlich wird die Bundesregierung ihre Zusage einhalten. Wir haben das heute im Kabinett besprochen.
Sie können versichert sein, wir werden bereits am 25. Oktober beim ECOFIN eine Protokollerklärung abgeben, wo wir die Partner unterrichten. Dieses Verfahren ist so besprochen. Wir werden sofort danach die Vorsitzende des Europaausschusses, Frau Kollegin Hellwig, davon unterrichten.
— Das werden wir selbstverständlich tun. Ich bitte wirklich um Entschuldigung, daß ich da zunächst die Vorsitzende des Ausschusses genannt habe. Aber wir werden das ganz konsequent einhalten. Sie können sich darauf verlassen. Wir sind uns der Wichtigkeit auch der Unterstützung des Bundestages und des entsprechenden Ausschusses sehr wohl bewußt.Ich möchte auch zum Ausdruck bringen, Herr Kollege Verheugen, daß dies in der Tat eine große Gemeinschaftsleistung der demokratischen Parteien gewesen ist, und daß es sehr schwer gewesen wäre, einen so großen, wichtigen, umstrittenen, auch Emotionen freisetzenden Vertrag durchzusetzen, wenn eine der großen demokratischen Parteien nicht bereitgewesen wäre mitzuwirken. Insofern weiß ich auch zu würdigen, was es bedeutet, daß die Opposition sich hier der Versuchung enthalten hat, eine andere Stimmung aufzunehmen.
— Wir lernen ständig, und auch Sie sind vom Lernen nicht frei.Was nun den Parlamentsvorbehalt anbelangt, habe ich bereits am 2. Dezember 1992 im Deutschen Bundestag und auch zuvor immer wieder in der Öffentlichkeit erklärt, daß ohne die Rückendeckung des Parlaments keine deutsche Regierung eine so gewichtige Entscheidung würde treffen können,
und daß jede Regierung sich dieser Unterstützung versehen muß, bevor sie einen so wichtigen, gravierenden Schritt vollzieht.
Metadaten/Kopzeile:
15622 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Bundesminister Dr. Theodor WaigelÜbrigens, Herr Kollege Verheugen, wir haben uns in der CSU die Diskussion darüber nicht einfach gemacht. Ich glaube, wir gehören sicher zu den Parteien, die wie kaum eine andere dies auch kontrovers auf einem Kongreß, auf einem Parteitag diskutiert hat. Aber viel mehr kann man nicht verlangen, als daß der Kurs, der meine, mit etwa 90 % auf einem Parteitag sehr klar und sehr deutlich bestätigt worden ist.Wir bekennen uns, Herr Kollege Verheugen, zu einem Europa der Nationen. Das, was hier genannt wurde, scheint mir genau die richtige Balance zu sein, in der wir stehen. Mehr als ein Staatenverbund, aber sicher kein Bundesstaat.Wir müssen auch sehr darauf achten, wie die Identität anderer europäischer Länder ist. Jeder fühlt sich anders. Der Franzose hat seine Identität als Franzose, der Engländer als Englander. Und selbstverständlich haben auch wir unsere Identität als Deutsche in Europa. Das scheint mir der richtige Weg zu sein, um hier die richtige Balance zu finden.Was den Artikel 23 des Grundgesetzes, Frau Kollegin Hellwig, anbelangt, verdient er sicherlich keinen Schönheitspreis in der Systematik des Grundgesetzes. Aber er war die unumgängliche Voraussetzung dafür — und ich stehe voll dazu —, auch die Akzeptanz zu bekommen. Wir können hier nicht über die Länder hinweggehen, wenn wir ein Europa der Subsidiarität wollen. Wenn wir ein föderalistisches Europa wollen, dann müssen wir uns auch dem manchmal unbequemen Weg der Länder stellen und ihre Mitwirkung akzeptieren.
Darum schließe ich mich Ihrer Kritik in dem Fall ausdrücklich nicht an.Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Wegmarke für unsere Europapolitik. Wichtig war die rechtzeitige Ratifizierung und Hinterlegung des Vertrages vor dem Europäischen Gipfel. Aber noch wichtiger waren die zusätzlichen Klarstellungen und Bestätigungen in der Urteilsbegründung, die den Vertrag von Maastricht verfassungsrechtlich untermauern.Was ist uns nicht alles vorgeworfen worden! Wir würden die Deutsche Mark verschenken. Wir würden einem Weichwährungsverband beitreten. Wir würden uns — ohne Rückversicherung — einem vertraglichen Automatismus unterwerfen. Wir würden den Zentralismus fördern und ohne Not auf nationale Souveränität verzichten.Von all dem kann nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Rede mehr sein. Der Vertragsabschluß war gewissenhaft und gründlich vorbereitet worden. Wir haben in Maastricht nichts verschenkt, sondern eine Stabilitätsgemeinschaft gegründet, die uns und unseren Nachbarn große Vorteile bringt.Ich möchte ausdrücklich das unterstützen, was der Kollege Kinkel gesagt hat: Wir müssen in der nächsten Zeit immer wieder jedem klar machen, was Europabedeutet. Die meisten Menschen verkonsumieren das, was erreicht wurde
und beschäftigen sich nur mit den kritischen Punkten, anstatt nüchtern zu realisieren, was in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts Gott sei Dank für Deutschland möglich ist. Während wir in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts nur zu den Verlierern der Geschichte gehört haben, können wir uns heute nach den friedlichen, großartigen Ereignissen in Europa und in Deutschland zu den Gewinnern der Geschichte zählen.
Meine Damen und Herren, die scharfen Kriterien, die wir durchgesetzt haben — niedrige Defizite und Schulden, geringe Inflationsraten und Zinsen —, sind vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt worden. Es ist ganz klar: Es kann und wird keine Aufweichung dieser Bedingungen geben. Es kann auch niemand gezwungen werden, dem Vertragsbündnis anzugehören, wenn konstitutive Elemente der Gemeinschaft, insbesondere die Stabilität, nicht gewährleistet sind.Auch was die Terminfestlegung anbelangt, ist in dem Urteil das Richtige gesagt worden. Grundsätzlich gilt: Keine Hochzeit ohne Braut, egal welcher Termin vorher beim Standesamt oder bei der Kirche angemeldet wurde. Und die Braut heißt in diesem Fall Stabilität, die zuerst da sein muß, bevor die europäischen Länder zur Wirtschafts- und Währungsunion zusammenfinden.
— Der Kanzler hat nicht unterschrieben, sondern der Bundesaußenminister und ich haben unterschrieben.
— Was soll das denn? Es gilt der, den wir damals unterschrieben haben. Das ist doch gar keine Frage. Wir haben übrigens — das weiß ich auch vom Kanzler aus vielen Vorbesprechungen — immer klargemacht: Ohne die Kriterien gibt es für uns keinen Vertrag.
Meine Damen und Herren, der Vorrang der Konvergenz stellt die Bedeutung der Terminvereinbarung nicht in Frage. Natürlich wollen wir, wenn irgend möglich, die vereinbarten Zieldaten erreichen. Darauf hat der Kollege Haussmann bereits hingewiesen. Und vor allen Dingen: Wir werden nach unserer Finanzplanung schon 1996 diese mitformulierten Bedingungen erfüllen.Wir werden übrigens unseren Konvergenzbericht, den wir 1991 als eines der ersten Mitgliedsländer vorgelegt haben, gemeinsam mit unseren französischen Freunden noch einmal modifiziert vorlegen. Deutschland und Frankreich — im Herzen Europas — ziehen bei der entscheidenden Frage der finanziellen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15623
Bundesminister Dr. Theodor Waigelund wirtschaftlichen Übereinstimmung an einem Strang und natürlich auch in eine Richtung.Es war auch richtig, bereits für den 1. Januar 1994 den Beginn der zweiten Stufe der Währungsunion zu vereinbaren. Striktes Überwachungsverfahren, zunehmende Unabhängigkeit der Zentralbanken, keine Notenbankfinanzierung von Staatshaushalten, all dies ist für uns und für ganz Europa nur ein Vorteil.
Der Vertrag von Maastricht ist eine Chance für Deutschland und seine Nachbarn. Er begründet ein historisch völlig neues Modell des Zusammenlebens souveräner Staaten und Völker. Er ist mehr als ein reines Zweckbündnis, eine Freihandelszone oder eine Wirtschaftskooperation. Europa ist aber auch kein Bundesstaat, kein zentralistisches Gebilde, keine Gefährdung des Föderalismus in Deutschland und kein Widerspruch zum grundlegenden Gedanken der Subsidiarität und Eigenständigkeit.Europa ist vielmehr die Idee, zum allgemeinen Nutzen, in einem dauerhaften Bündnis die größten Vorteile und die stärkste Freundschaft für die Menschen zu gewinnen, die zusammen auf einem Kontinent leben, der über viele Jahrhunderte von einem Übermaß kriegerischer Auseinandersetzungen erschüttert wurde. Einen Bund der Völker von Portugal bis Polen, von Norwegen bis Griechenland zu schmieden, der nicht auf Gewalt, sondern auf der gemeinsamen Überzeugung beruht, in Eintracht, durch Austausch von Wissen und Waren, Frieden und Wohlstand über die Jahrhunderte zu bewahren, ist unser Ziel.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Norbert Wieczorek.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Urteil des Verfassungsgerichtes zum Maastricht-Vertrag ist aus meiner Sicht ein gutes und kluges Urteil. Es ist ein Urteil, das die Zukunft für eine weitere Integration Europas nicht verbaut, das aber auf der anderen Seite Schluß macht mit der Vorstellung, die weitere Integration Europas sei allein Sache der Regierung. Es stellt eindeutig die Rechte der Parlamente, d. h. für uns Bundestag und Bundesrat, in den Vordergrund. Deswegen halte ich es auch für unverzichtbar, daß wir vor dem Sondergipfel noch eine Debatte haben; denn sonst entsteht wieder der Eindruck, das Verfassungsgericht habe geurteilt und wir würden uns nicht darum kümmern. Das kann uns allen nicht dienen.Es war — und dazu möchte ich mehr reden — der Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion, der unter besonderer öffentlicher Kritik stand. Diese Kritik war zum Teil sehr ungerecht, weil sie uns unterstellt hat, wir hätten hier leichtfertig und oberflächlich beraten. Das Verfassungsgericht hat diese Kritik zu Recht zurückgewiesen.Der sogenannte Parlamentsvorbehalt — und als jemand, der ihn von Anfang an mitformuliert hat, darfich das sagen — ist ein wesentliches Element für das Urteil des Verfassungsgerichts gewesen. Es hat sich damit gezeigt, daß unsere Überlegung, der Ratifikation zuzustimmen, aber bei der Ratifikation deutlich auf unsere Bedingungen hinzuweisen, tragfähig und juristisch wirksam ist, auch gegenüber den Partnerländern, Herr Kinkel.Ich möchte noch eine Bemerkung dazu machen. Es war ja nicht so, als sei das ganz selbstverständlich gewesen.
Ich darf mit Verlaub sagen: Ich habe mich über manche Haltung des BMF gefreut. Über manche Stellungnahme des Auswärtigen Amtes in den Ausschüssen möchte ich hier an dieser Stelle lieber nichts mehr sagen. Das, was vorgetragen wurde, war nicht so selbstverständlich, Herr Kinkel, um das einmal deutlich zu sagen, angefangen von der Formulierung zum Art. 88 GG bis hin zum Parlamentsvorbehalt und seiner Annahme.
Das ist auch eine Wahrheit, damit das einmal klar ist.
Diese rechtliche Verbindlichkeit ist aber nicht nur aus der Geschichte der Ratifikation notwendig, sondern auch deshalb, weil es inzwischen Versuche gegeben hat, den Inhalt des Maastrichter Vertrages gerade zu diesem Punkt umzuinterpretieren. Es ist jetzt eindeutig klar, daß wir Deutsche, selbst wenn ein künftiger Bundestag oder eine künftige Bundesregierung aus politischen Opportunitätsgründen dies wollten, keiner losen Interpretation der Konvergenzkriterien zustimmen dürfen und daß die wiederholt im Ausland andiskutierten Überlegungen, das Europäische Währungsinstitut zu einer Quasi-Zentralbank zu machen, an der Realität und am Text des MaastrichtVertrages scheitern müssen. Dies ist hilfreich nicht nur für die weitere Arbeit mit dem Vertrag, sondern auch hilfreich für die gegenwärtige währungspolitische Situation.In der Realität der Wirtschaftsentwicklung und der Marktentwicklung seit Maastricht hat sich gezeigt, daß das Maastricht-Konzept, politische Integration über währungspolitische Integration voranzutreiben, nicht hält. Die doppelte Asymmetrie des Vertrages zwischen Wirtschafts- und Währungsunion und politischer Union einerseits, aber auch zwischen der Währungs- und der Wirtschaftsunion, trägt in der wirtschaftlichen und politischen Realität offensichtlich nicht. Wir haben vielmehr erlebt, daß auf Grund der unterschiedlichen ökonomischen Entwicklung in den Volkswirtschaften der EG-Länder und der unterschiedlichen strukturellen Ausgangsbedingungen sogar das bisher bewährte EWS faktisch suspendiert werden mußte. Die Situation in der Bundesrepublik verlangt eine andere Zinspolitik als die in Frankreich, Spanien, Italien oder Großbritannien.
Metadaten/Kopzeile:
15624 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Dr. Norbert Wieczorek— Nicht nur noch, sondern noch eine ganze Weile, wie Sie sehr gut wissen, Herr Kollege Haussmann. Die französische Politik wackelt ja zur Zeit an dieser Stelle, wie Sie wissen, und dies wird auch noch seine Auswirkungen haben.Die Konvergenz der finanz- und währungspolitischen Daten kann nämlich nur erfolgreich sein, wenn auch die realwirtschaftlichen Daten Beschäftigung und Wachstum diese untermauern.
Diese Aufgabe zu lösen, ist die eigentliche Integrationsaufgabe für die nächsten Jahre.
Hierbei kann eine engere währungspolitische Zusammenarbeit durch eine Wiederbelebung der Grundideen des EWS helfen. Aber auch hier muß Realitätssinn wieder die Oberhand gewinnen. Das, was zur Zeit an Reform noch diskutiert wird, scheint mir wenig tragfähig zu sein.Das Urteil hat diese Tatsachen anerkannt. Es weist zu Recht darauf hin, daß Inhalte wichtiger sind als Zeitabsprachen. Unsere Aufgabe wird es jetzt sein, uns der zentralen Aufgabe der Wiederbelebung der Wirtschaften der EG-Länder zuzuwenden. Dies wird die Aufgabe für den Sondergipfel sein. Darüber hinaus wird die Frage sein, wie denn tatsächlich reale Konvergenz erreicht wird. Ich habe darauf hingewiesen, Herr Kollege Haussmann: Genau deshalb wird dann manches Konvergenzkriterium in dem Zeitraum, der im Vertrag steht, gar nicht erfüllbar sein, es sei denn, Sie stellen die statistische Erfüllung der Konvergenzkriterien, wie sie in dem Vertrag stehen und die finanzwirtschaftlich sind, über das Konvergenzkriterium realwirtschaftliche Entwicklung.
Mit anderen Worten — so, wie ich es, zwar nicht in diesem, aber im alten Hause immer gesagt habe —: Die fiskalischen und die währungspolitischen Bedingungen des Vertrages haben einen deflationären Touch. Wer in dieser Situation z. B. Frankreich oder Großbritannien den Vorwurf machen würde, sie hätten die 3-%-Grenze überschritten — was sie ja tun —, und sagt, sie sollten das nicht tun, kann zwar auf die Kriterien verweisen, wird aber ein weiteres Absinken der europäischen Konjunktur mitbewirken. Genau hier ist doch die Asymmetrie, die ich vorhin angesprochen habe, sich in währungspolitische — —
— Aber Frau Hellwig, es tut mir schrecklich leid: Da müssen Sie das mit dem britischen Schatzkanzler und mit Herrn Alphandéry und anderen besprechen. Die wissen schon, was sie machen.
Ich möchte nur den Satz zu Ende führen, weil das rote Licht leuchtet. Dies ist doch genau die Bruchstelle im Vertrag, die ich vorhin angeführt habe: daß es eine strikt ausgeführte Formulierung zur Währungsunion im Vertrag gibt, aber eine sehr dürftige Formulierungzur Wirtschaftsunion. Genau dies müssen wir lösen. Aber nur wenn die Wirtschaft läuft, werden wir die Währungsunion überhaupt zustimmungsfähig machen.
— Für Frankfurt bin ich schon länger als Sie, Herr Haussmann. Da wußten Sie noch nicht, wo das ist.
Ihre Redezeit ist damit bei weitem überschritten.
Jetzt hat der Kollege Wilfried Seibel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kernbereich des Maastricht-Vertrages ist die Wirtschafts- und Währungsunion. Notwendig dafür ist der Gleichklang der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedsländer, die sogenannte Konvergenz, bei Zinsen, Preisen, öffentlichen Finanzen und Zahlungsbilanzen unter strikter Wahrung von Stabilitätskriterien.Wer an der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmen will, muß diese strengen Konvergenzkriterien erfüllen. Die Wechselkurse der an der Währungsunion teilnehmenden Länder werden gegenseitig festgelegt, und die Währungs- und Geldpolitik wird von einer unabhängigen europäischen Zentralbank bestimmt.Der Deutsche Bundestag hat am 2. Dezember 1992 den Vertrag von Maastricht ratifiziert und in einem begleitenden Entschließungsantrag deutlich gemacht, daß für den Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion ein Parlamentsvorbehalt unerläßlich ist. Das heißt, nur mit der Zustimmung des Deutschen Bundestages kann die Bundesrepublik Deutschland beitreten.Kern der Klagen gegen den Maastricht-Vertrag vor dem Bundesverfassungsgericht war die Fragestellung, ob hoheitliche Rechte und Parlamentszuständigkeiten ohne ausreichende Mitwirkung des Parlamentes auf supranationale Ebenen übertragen werden können. Oder platter ausgedrückt: Die Kläger sahen die Gefahr, daß z. B. die strengen Konvergenzkriterien, die zur Zeit nur ein Land der Zwölfergemeinschaft erfüllt,
zu einem späteren Zeitpunkt durch Mehrheitsbeschluß abgeändert werden könnten und damit das Rückgrat der Stabilität unserer Währung, der Deutschen Mark, verletzt werden könnte.Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil die Übereinstimmung des Unionsvertrages mit dem Demokratieprinzip festgestellt, allerdings auch strenge Grenzen für die Einhaltung der demokratischen Legitimation bei Veränderungen aufgerichtet.Es wird auch deutlich gemacht, daß sich die Bundesrepublik Deutschland nicht einem kaum mehr steuerbaren oder beeinflußbaren Automatismus auf dem Weg zu einer Währungsunion unterwerfen muß, sondern daß jeder weitere Schritt der Zustimmung des Parlaments bedarf.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15625
Wilfried SeibelDaß dies ein gutes Urteil sein muß, ist daraus abzulesen, daß sich jede Seite als Sieger erklärt hat. Von der Beschlußfassung über den Maastrichter Vertrag in den europäischen Gremien über die Ratifizierung der Parlamente der Mitgliedsländer bis zur Entscheidung der angerufenen Gerichte ist ein langer Zeitraum ins Land gegangen.Ich meine, insbesondere in einer Aktuellen Stunde ist es deshalb richtig und notwendig, einige wesentliche aktuelle Wirtschaftsdaten heranzuziehen, um anhand ihrer Entwicklung noch einmal die Frage zu stellen, ob der eingeschlagene Weg richtig ist. So sind z. B. die durchschnittlichen Lohnkosten pro Arbeitsstunde in Deutschland 41 DM, 22 DM ist der Nettolohnanteil, 19 DM der Sozialanteil. In Großbritannien beträgt der Durchschnittslohn 23 DM, der Nettolohnanteil 16 DM und der Sozialanteil 7 DM. In Japan ist der Durchschnittslohn 30 DM, der Nettolohnanteil 22 DM — wie bei uns — und der Sozialanteil 8 DM. In den USA beträgt der Durchschnittslohn 25 DM, der Nettolohnanteil 18 DM und der Sozialanteil 7 DM. Dies alles sind abgerundete Werte.Ich glaube, besonders bedeutsam sind die Veränderungen der Wechselkurse im EWS, die seit September 1992 eingetreten sind. So haben sich die Wechselkurse wie folgt verändert: französischer Franc minus 1,4 %, spanische Peseta 25,3 %, irisches Punt 5,9 %, portugiesischer Escudo 20,5 %, italienische Lira 23,8 %, britisches Pfund 12,3 %.Ich denke, insbesondere die Zahlen über Abweichungen bei den Löhnen und bei den Wechselkursen machen auch dem wirtschaftlichen Laien deutlich, daß uns keine andere Möglichkeit bleibt, als die wirtschaftliche Entwicklung in Europa zu harmonisieren, um den Herausforderungen der Zeit gerecht zu werden.
Ich habe darauf verzichtet, diese Zahlen denjenigen gegenüberzustellen, mit denen insbesondere die Länder in Mittel- und Osteuropa notieren. Die Dramatik für unseren Arbeitsmarkt und für die Währungen dieser Länder im Vergleich zu Westeuropa ist erheblich, und nur ein einig agierendes Europa ist in der Lage, den Anforderungen unserer Tage gerecht zu werden.Einige politische Kräfte, die als Kläger in Karlsruhe aufgetreten sind oder dahinterstehen, wollen uns ein Rezept einreden: Wir Deutschen sollen die Zugbrücke zu unserer Burg hochziehen, und schon sei die Insel der Glückseligen errichtet. Das ist das falsche Rezept. Für jedermann ist einsichtig, daß unsere Probleme damit ungleich größer werden und die Kosten ins Unermeßliche steigen würden.Der von CDU/CSU und F.D.P. heute vorgelegte Entschließungsantrag weist in eine richtige Richtung. Ich hoffe sehr, daß wir auch dafür eine breite Zustimmung im Parlament über die Koalitionsfraktionen hinweg erreichen können.
Als nächstes spricht der Kollege Ottmar Schreiner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den zuletzt vorgetragenen Statistiken will ich nur einige wenige Ausführungen machen.
Könnten wir vielleicht diese Diskussionen beenden, dem Kollegen Schreiner zuhören und diese Geschäftsordnungsfragen später klären? Der Kollege Schreiner hat jetzt fünf Minuten Redezeit. Dies sage ich, weil er sonst auf Grund dieser Diskussionen seine Redezeit sicher wieder überzieht. Ich bitte ihn aber, das heute nicht zu tun.
Kollege Schreiner, Sie haben jetzt fünf Minuten das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. — Ich will zu den soeben vorgetragenen Statistiken nur zwei Ergänzungen vornehmen. Das einzige internationale Vergleichskriterium, das die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft anbelangt, sind die sogenannten Lohnstückkosten. Wir hatten im Jahreszeitraum von 1982 bis 1992 im Bereich der OECD-Länder, also der westlichen Industriestaaten, eine Lohnstückkostenentwicklung mit einer Steigerung von 4,7 % pro Jahr. In der Bundesrepublik Deutschland gab es eine Steigerung von 2,1 % pro Jahr, also eine deutlich unterproportionale Entwicklung.Die kritische Entwicklung seit 1991 ist im wesentlichen auf permanente Aufwertungen der D-Mark und auf eine völlig falsche Finanzierung der deutschen Einheit zurückzuführen, die zu erheblichen Teilen über gestiegene Lohnnebenkosten erfolgte. Die Beitragszahler zu den sozialen Sicherungssystemen haben das zu finanzieren, was eigentlich über eine gerechte Steuerpolitik hätte finanziert werden müssen. Das nur nebenbei.
Der Kollege Haussmann hat einen völlig richtigen Satz gesagt.
Er hat gesagt: Die Zukunft Europas wird sich am Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit entscheiden. Da stimme ich Ihnen uneingeschränkt zu.Nach einer jüngsten Umfrage des EG-Statistikamts erachten 67 % der EG-Bürger die Arbeitslosigkeit als das zur Zeit schwerwiegendste Problem der Gemeinschaft. Wir haben zur Zeit EG-weit eine Arbeitslosenquote von 11 % mit deutlich steigenden Tendenzen. Wirksame EG-Beschäftigungs- und Arbeitsmarktinitiativen würden den europäischen Gedanken, das auch von der Bevölkerung aktiv mitgetragene Zusam-
Metadaten/Kopzeile:
15626 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Ottmar Schreinermenwachsen Europas, weit mehr fördern, als noch so viele allgemeine Sonntagsreden über Europa dies vermögen.
Die bisherigen Überlegungen aus der EG-Kommission für einen europäischen Beschäftigungspakt sind angesichts der äußerst besorgniserregenden Entwicklung auf den Arbeitsmärkten überfällig und begrüßenswert. Leider befindet sich die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung in völligem Widerspruch zu den Anregungen der EG-Kommission. Anstatt die Denkanstöße aus der EG-Kommission aufzugreifen und eigene Initiativen auszuarbeiten, entwickelt sich die Politik der Bundesregierung immer mehr zu einem schweren Bremsklotz für eine aktive Beschäftigungspolitik in Europa.Dazu einige wenige Beispiele. EG-Präsident Delors, aber auch der für Sozialpolitik zuständige EG-Kommissar Flynn haben in den letzten Tagen und Wochen mehrfach betont, es dürfe künftig in Europa keinen Wettbewerb zwischen wirtschaftlicher Dynamik und sozialem Fortschritt geben. Die Bundesregierung sucht statt dessen ihr Heil in einem beispiellosen Abbau sozialer Schutzmaßnahmen.Während z. B. vor einiger Zeit noch der Bundesarbeitsminister mit stolzgeschwellter Brust verkündete, das Verbot der Sonntagsarbeit solle EG-weit verankert werden, fordert er jetzt eine Ausweitung der Sonntagsarbeit auch in Deutschland.Eine Schlüsselrolle für einen europäischen Beschäftigungspakt spielt die Neuverteilung der Arbeit. Als ein Mittel, um die Arbeit besser zu verteilen, plädiert Sozialkommissar Flynn für eine schrittweise Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit. Die finanziellen Anreize für Überstunden müßten drastisch verringert werden. Reale Lohnsteigerungen sollten niedriger ausfallen als der Produktivitätszuwachs. Der Produktivitätszuwachs soll in Arbeitszeitverkürzung umgemünzt werden. Das ist auch Beschlußlage der Kopenhagener EG-Ratsbeschlüsse von Juni 1993, die von der Bundesregierung mitunterzeichnet worden sind.Tatsächlich aber fordern führende Mitglieder der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen das genaue Gegenteil, nämlich eine Verlängerung der Arbeitszeit. Wir haben als SPD im Parlament einen zwingenden Ausgleich von Überstunden durch zusätzliche Freizeit vorgeschlagen. Das wäre ein Solidarbeitrag der Beschäftigten mit den Arbeitslosen. Die Kostenbelastungen der Unternehmungen würden durch den Wegfall der Zuschläge deutlich geringer werden.Im Arbeitszeitgesetz der Bundesregierung steht das genaue Gegenteil. Morgen steht die erste Lesung an. Die 60-Stunden-Woche soll möglich sein. Ein Ausgleich der Überstunden durch finanzielle Zuschläge ist weiterhin möglich.Insgesamt im Komplex der Arbeitszeitverkürzung, die von den EG-Experten bis hin zu Präsident Delors im Rahmen eines Solidarpaktes für vordringlich gehalten werden, tut die Bundesregierung das genaue Gegenteil dessen, was notwendig wäre.Zweiter Schwerpunkt: Die Gemeinschaft fordert, wiederum Sozialkommissar Flynn, daß die Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zukünftig einen größeren Schwerpunkt der nationalen Politiken darstellen soll. In der Bundesrepublik passiert das genaue Gegenteil: Ein Kahlschlag bei Qualifizierungsmaßnahmen; durch das Absenken des Unterhaltsgeldes wird die Motivation, an solchen Maßnahmen teilzunehmen, gemindert. Das Volumen der Qualifizierungsmaßnahmen wird durch einen radikalen Abbau auf Restbestände reduziert, wiewohl wir wissen, daß 80 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an solchen Maßnahmen anschließend Beschäftigungsverhältnisse im regulären Arbeitsmarkt gefunden haben.Die EG hat auch in der internationalen Sozialpolitik eine stärkere Rolle zu übernehmen. Sozialpolitische Mindeststandards der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf könnten durchaus in die Wettbewerbsregeln des GATT einfließen, z. B. durch Strafzölle für Textilien und Teppiche, die durch verbotene Kinderarbeit und unter völliger Mißachtung des Arbeitsschutzes hergestellt werden. Soziale Mißstände dieser Art führen zu unannehmbaren Wettbewerbsverzerrungen und Arbeitsplatzverlusten.
Meine Damen und Herren, Deutschland muß in der Europäischen Gemeinschaft beschäftigungspolitische Impulse geben, damit es zu einer wirksamen gesamteuropäischen und längst überfälligen Aktion gegen Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau kommt. Dazu allerdings ist diese schlaffe Bundesregierung nicht in der Lage. Wir brauchen eine neue Bundesregierung.Schönen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der englische Premierminister John Major hat in einem vielbeachteten Artikel des „Economist" geschrieben:Die Strukturen und Strategien, die in den Römischen Verträgen festgelegt wurden, sind ein Produkt des Europas der fünfziger Jahre. Es ist klar, daß eine Generation europäischer Politiker an ihnen festhält, deren Ansicht in den fünfziger und sechziger Jahren geprägt wurde.Da liegt der gute Mister Major falsch. Meine Ansichten wurden später geprägt, und trotzdem sind die Visionen der Gründerväter der Gemeinschaft in meiner Generation aktueller denn je.
Das Ziel der Römischen Verträge ist eben nicht nur die Begrenzung der sowjetischen Wirtschaftsmacht und die Verteidigung Westeuropas gegen die Gefahr eines Atomkrieges. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft war von Anfang an mehr als ein Abwehrbündnis. Die Europäische Gemeinschaft und die Europäische Union sind mehr als eine Freihandelszone.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15627
Dr. Andreas SchockenhoffDas hat Minister Waigel völlig richtig dargestellt, und das hat das Karlsruher Urteil eindeutig bestätigt.Auf der anderen Seite sagen uns unsere französischen Freunde, die Europäische Gemeinschaft und darüber hinaus der Europäische Wirtschaftsraum hätten eine Größe erreicht, mit der wir zufrieden sein sollten. Im Erreichten sollten wir es uns gemütlich machen. Da werden Mauern des Protektionismus gefordert, und diese Mauern werden je nach Bedarf mit kultureller Eigenständigkeit Europas oder mit hohen Umweltschutzstandards verputzt. Ich denke, die Zeit der Mauern, egal ob politisch oder wirtschaftlich, sollte in Europa vorbei sein. Mit uns Deutschen wird es keine Festung Europa geben.
Es ist im deutschen und vor allem im europäischen Interesse, die Uruguay-Runde des GATT noch in diesem Jahr abzuschließen. In das GATT gehören der Agrarbereich genauso wie Film- und Fernsehproduktionen.Im Europäischen Wirtschaftsraum sind all die Länder zusammengeschlossen, die in der Vergangenheit zum freien Teil Europas gehörten. Würde sich dieses Europa abschotten, dann würden die Mauern, die mit dem militärischen Ostblock zusammengebrochen sind, mit einem wirtschaftlichen Westblock neu entstehen. Das kann weder im deutschen noch im europäischen Interesse sein.Das Europa, das ich meine, endet nicht an der Ostgrenze der Bundesrepublik. Wir müssen unsere östlichen Nachbarn langfristig in die Gemeinschaft integrieren. Die Beschlüsse von Kopenhagen über Marktöffnung, politischen Dialog und Beitrittsperspektive müssen konsequent umgesetzt werden. Aber zur Integration gehören zwei Seiten. Die Gemeinschaft muß offen sein. Wer in die EG will, muß wirtschaftliche und politische Stabilität aufweisen. Das gilt übrigens analog für eine Mitgliedschaft in WEU und NATO.Der Vertrag von Maastricht ist ein erheblicher Fortschritt. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bleibt die europäische Integration in Bewegung. Dies ist auch ein wichtiges Zeichen für die Wirtschaft. Da sind noch lange nicht alle Hürden überwunden. Ich denke z. B. an die unterschiedlichen Exportkontrollen, aus denen deutschen Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile entstehen.Für mich ist der europäische Binnenmarkt erst dann vollendet, wenn wirklich freier Handelsverkehr zwischen den Ländern der Europäischen Gemeinschaft herrscht, wenn Lieferungen zwischen Deutschland und Frankreich genauso problemlos abzuwickeln sind wie zwischen Köln und Bonn. Wir brauchen dringend Fortschritte im Bereich gemeinsamer Exportregelungen für hochmoderne Industrieprodukte.Da werden wir sicherlich auf unsere europäischen Partner zugehen müssen. In Europa aufeinander zugehen, das ist gerade auch im deutschen Interesse. Wenn wir Sonderwege gehen oder stehenbleiben, schaden wir uns und der Gemeinschaft.Herr Präsident, ich habe noch zwei Minuten, die ich an das Plenum zurückgebe.Vielen Dank.
Der Herr Präsident ist nun leider Gottes eine Frau Präsidentin — oder Gott sei Dank, wie immer man das will.
Nun spricht der Kollege Briefs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Urteil von Karlsruhe ist ein wichtiger Schritt für die weitere Integration Europas. Ein Scheitern des Maastrichter Vertrages durch einen Karlsruher Richterspruch hätte einen erneuten deutschen nationalen Alleingang möglich gemacht. Einen solchen nationalen Alleingang Deutschlands darf es nach den Erfahrungen der letzten Jahre, mit neonationalistischen und ausländerfeindlichen Tendenzen in diesem Lande, in großen Teilen der Bevölkerung dieses Landes und in weiten Bereichen der Politik dieses Landes, nicht mehr geben.
Am Ziel der weiteren europäischen Integration in einen europäischen Bundesstaat muß auch in Zukunft festgehalten werden. Ein Erfolg der Klage in Karlsruhe, sofern sie mit dem Ziel betrieben wurde, den Maastrichter Vertrag zum Scheitern zu bringen, hätte Wasser auf die Mühlen der deutschen Rechten bedeutet, die die europäische Einigung ablehnt, weil sie ihnen die Grundlage entzieht.
Die Kräfte der Linken hätten nie ausgereicht, um im europäischen Geleitzug der zwölf beteiligten Länder ein besseres Vertragswerk auszuhandeln. Ergebnis wäre wohl eher ein noch schlechterer, noch stärker national, noch stärker auch deutsch-national geprägter nach- oder neuverhandelter europäischer Einigungsvertrag geworden.
Uns auch davor bewahrt zu haben ist ein Verdienst des Karlsruher Richterspruchs zu Maastricht. Das gilt trotz der zahlreichen wenig demokratiefreundlichen Bestimmungen im Maastrichter Vertrag. Das gilt trotz der problematischen Fokussierung des zukünftigen weiteren europäischen Einigungsprozesses auf nationale Entscheidungen, wie sie im Karlsruher Urteil angelegt ist.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen.
Nun kommt der Kollege Michael Stübgen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Hinterlegung der Urkunde am 1. November 1993 in Rom endet ein langes Ringen um den Unionsvertrag. Lange haben wir auch im Bundestag um diesen Unionsvertrag gerungen. Die Bundesrepublik Deutschland kann somit weiterhin einen vollwertigen Beitrag zu einer europäischen Einigung leisten.Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat bestätigt, wovon eine große Mehrheit der Abgeordneten dieses Hauses ohnehin überzeugt war: Die im Unionsvertrag festgeschriebenen Aufgaben und Ziele verstoßen in keiner — ich betone: keiner! — Weise gegen das Grundgesetz.
Metadaten/Kopzeile:
15628 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Michael StübgenNunmehr sind die Politiker, wir, und die Verwaltungen gleichermaßen gefordert, intensiv an der Umsetzung der normierten Ziele zu arbeiten. Ich denke hierbei ganz besonders an den Artikel K des Unionsvertrages, an die dort genannten Bestimmungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres.Die Abkommen von Schengen — wir haben es vor einigen Wochen hier ratifiziert — und Dublin — wir werden es in einigen Wochen ratifizieren — sind ein erster und wichtiger Schritt. Um die Umsetzung dieser und zukünftiger Abkommen zu sichern, müssen die dazu notwendigen Voraussetzungen, beispielsweise eine flexible und effektive Verwaltungsstruktur, auf europäischer Ebene umgehend geschaffen werden.Exemplarisch für die europäische Verwaltungsstrukturebene ist leider aber der beklagenswerte Zustand der Vorbereitungen in Sachen Europol. Der Ausbau dieses unionsweiten Systems zum Austausch von Informationen ist eine Grundvoraussetzung zur Bekämpfung der internationalen und EG-weit operierenden Kriminalität. Die Einrichtung der ersten Stufe am 1. Januar 1994 — so ist es nach wie vor im Unionsvertrag vorgesehen — ist daher unumgänglich. Deshalb muß auf dem Gipfeltreffen der Europäischen Staats- und Regierungschefs in der nächsten Woche, am 29. Oktober, endlich die Standortfrage entschieden werden. Denn leider ist man auf europäischer Ebene über die Standortfrage noch nicht hinausgekommen.
Es ist mir auch völlig unverständlich, warum die EG-Kommission bis heute noch keine Ermächtigungsgrundlage für Europol vorgeschlagen hat. Denn solange diese Ermächtigungsgrundlage nicht vorgeschlagen worden ist, kann, sofern das im Ministerrat verabschiedet wurde, das Europäische Parlament seinen Beitrag dazu geleistet hat und wir das ratifiziert haben, das Ganze nicht in Kraft treten. Der 1. Januar scheint schon jetzt gestorben zu sein. Ich finde das nicht nur bedauerlich, sondern auch gefährlich.Ich fordere die Vertreter der Mitgliedsländer der EG auf, ihre Zurückhaltung in bezug auf eine internationale Kriminalitätsbekämpfung endlich aufzugeben.
— Selbstverständlich auch die Bundesländer. — Ein Europa ohne Grenzen läßt sich erst dann verwirklichen, wenn sichergestellt ist, daß die Europäische Gemeinschaft in der Lage ist, grenzüberschreitende Kriminalität wirkungsvoll zu bekämpfen. Sollten die Mitgliedstaaten in dieser Frage nicht einlenken — das sage ich mit großem Ernst —, laufen wir Gefahr, daß aus unserem Europa der Bürger ein Europa für Gangster und Ganoven wird.In erster Linie sind die europäischen Gremien, Kommission und Rat, gefordert, sich hierüber konstruktiv zu verständigen. Deshalb empfehle ich, dieses Thema noch in diesem Jahr auf einem Gipfeltreffen an herausragender Stelle zu beraten.Die Kontrolle dieser Lösungsvorschläge, die wir dringend brauchen, verbleibt nach dem Urteil desBundesverfassungsgerichts aber beim Parlament. Die Arbeit des Sonderausschusses Europäische Union hat gezeigt, daß der Deutsche Bundestag durchaus parteiübergreifend und fraktionsübergreifend in der Lage ist, in kurzer Zeit europäische Sachverhalte zu erfassen und zu lösen.Zukünftig ist der Deutsche Bundestag jedoch nicht nur gefordert, bereits ausgehandelte Abkommen zu ratifizieren, sondern auch im Vorfeld seinen Sachverstand einzubringen. Dieses Ziel läßt sich nur in enger Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag erreichen. Die Grundlage dafür ist das bei der Ratifikation des Vertrages von Maastricht verabschiedete Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesregierung. Hierzu ist die schnelle Einrichtung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union entsprechend Art. 45 unseres Grundgesetzes dringend notwendig. Nur dann ist die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Beteiligung der Bürger an europäischen Entscheidungsprozessen über die gewählten Volksvertreter gewährleistet.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Überzeugung der Bürger, daß ihre Interessen in einem gemeinsamen Europa von übergeordneter Bedeutung sind, gestärkt, wie Umfrageergebnisse nach dem Urteil zeigen. Es liegt nun an uns, an den Politikern, dafür zu sorgen, daß dieses Vertrauen nicht enttäuscht wird.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir sind damit am Ende der Aktuellen Stunde angekommen.
Ich rufe nun Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 12/5904
Wir kommen als erstes zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie und Senioren. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 34 des Kollegen Herbert Werner:
Wie beurteilt die Bundesregierung im Rahmen ihrer Überlegungen zur Änderung des Rechts des Schwangerschaftsabbruchs Pläne, Frauen mit einem niedrigen Einkommen die unmittelbaren Kosten eines straffreien, aber nicht rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs auf dem Wege über die Krankenkasseneinreichung zu bezahlen, wie es die hessische Staatsregierung mit Wirkung vom 1. Oktober für Frauen mit einem monatlichen Einkommen von bis zu 1 450 DM bzw. 1 700 DM beschlossen hat?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Werner, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:Nach Auffassung der Bundesregierung ist für eine künftige bundesgesetzliche Regelung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 zur Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes maßgebend. Dort hat das Bundesverfassungsgericht gemäß § 35 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ange-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15629
Parl. Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonkordnet, Leistungen für bedürftige Frauen bei einem straffreien, aber nicht rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch durch Erweiterung des § 37a des Bundessozialhilfegesetzes, also im Rahmen der Sozialhilfe, zu erbringen.Es liegt nahe, diesen Weg auch für eine gesetzgeberische Lösung einzuschlagen. Jede andere Lösung wäre mit erneuten Verfassungsrisiken behaftet.Bei der Frage der Bedürftigkeit orientiert sich die hessische Regelung an der besonderen Einkommensgrenze nach dem Bundessozialhilfegesetz, die auch für eine künftige bundesgesetzliche Regelung in Betracht kommt. Soweit die hessische Regelung eine Prüfung der Angaben über eine bestehende Bedürftigkeit nicht vorsieht, ist sie nach Auffassung der Bundesregierung mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Werner?
Frau Staatssekretärin, hat die hessische Landesregierung vor dem Erlaß der entsprechenden Anordnung im Hinblick auf die Einreichung auf dem Umweg über die Krankenkasse zuvor versucht, sich mit Ihrem Hause und der Bundesregierung abzustimmen?
Nein, das ist nicht erfolgt. Aber unser Haus hat, unmittelbar nachdem das Urteil vorlag, eine Interpretation der unser Haus betreffenden Regelungen — das sind die Bestimmungen des § 37 a des Bundessozialhilfegesetzes, aber auch die Regelungen des Beratungsrechts — an die Landesregierungen übermittelt, aus der das hervorgeht, was ich eben als unsere Rechtsauffassung vorgetragen habe.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Werner.
Ich möchte weiter fragen: Kann ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß die Bundesregierung auch im Hinblick auf eine zukünftige Regelung des Schwangerschaftsabbruchs bzw. im Hinblick auf eine Erstattung der Kosten der unmittelbaren Abbruchshandlung auch bei zwar nicht rechtmäßigen, aber straffreien Abbrüchen in Zukunft davon auszugehen gedenkt, daß sie lediglich das individuelle, persönliche Einkommen der Frau und nicht das Einkommen der Familie zugrunde legt?
Herr Kollege, das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil zu dieser Frage geäußert und klargelegt, daß es auf das Einkommen der Frau ankommt. Offensichtlich steht die Überlegung dahinter, daß unter Umständen eine zu einem Abbruch entschiedene Frau von ihrem Mann oder Partner die dafür nötigen Mittel nicht bekommt, obwohl er sie hätte.
Wir gehen im übrigen davon aus, daß nicht die Bundesregierung die neue Gesetzgebung einleiten und durch eine eigene Gesetzesinitiative tätig werden wird, sondern daß, wie es bisher war, das Parlament die Frage an sich zieht und aus den Fraktionen heraus ein Gesetzentwurf — in hoffentlich breiter Übereinstimmung — erarbeitet wird.
Die Bundesregierung leistet zu dieser Gesetzgebungsarbeit die erbetenen Vorarbeiten. Sie hat sie bereits geleistet und stellt den Fraktionen damit unsere Rechtsauffassung zur Verfügung. Einen eigenen Gesetzentwurf werden wir nicht vorlegen.
Herr Kollege Jäger hat eine Zusatzfrage.
Frau Kollegin Verhülsdonk, hat die Bundesregierung ihre Bedenken gegen das Vorgehen der hessischen Landesregierung, die Sie eben dargelegt haben, der hessischen Landesregierung übermittelt, und, falls ja, welche Antwort hat die Bundesregierung aus Wiesbaden erhalten?
Ich nehme an, Herr Kollege Jäger, es ist Ihnen bekannt, daß schon zu dem Zeitpunkt, als die hessische Landesregierung noch darüber diskutierte, wie sie das Verfahren regeln will, von Frau Bundesministerin Rönsch entsprechende Äußerungen publiziert worden sind. Es hat jedoch keine unmittelbare Einflußnahme auf die hessische Regelung gegeben, die, wie man in den Zeitungen lesen konnte, mit den Krankenkassen vereinbart worden war.
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor.
Wir kommen damit zur Frage 35 des Kollegen Claus Jäger:
Wie stellt die Bundesregierung angesichts der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 festgestellten umfassenden Verantwortung des Staates für die Schwangerenkonfliktberatung sicher, daß während der Zeit der vom Gericht angeordneten Übergangsregelung zu § 218 die Beratungsstellen für Schwangerenkonfliktberatung die in dem Urteil formulierten Beratungsgrundsätze tatsächlich beachten, und hat die Bundesregierung deshalb — gegebenenfalls mit welchem Ergebnis — mit den Landesregierungen Kontakte aufgenommen?
Herr Kollege Jäger, sowohl die Anerkennung als auch die Überwachung der Arbeit der Schwangerenkonfliktberatungsstellen obliegt den Ländern. Die Bundesregierung hat durch Schnellbrief vom 9. Juni 1993 die zuständigen Landesministerien, die Kommunalen Spitzenverbände und die Träger von Beratungsstellen aus dem Bereich der freien Wohlfahrtspflege ausführlich über die Grundsätze und die in der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 detailliert festgelegten Vorschriften für die Schwangerenkonfliktberatung unterrichtet.Sie hat gleichzeitig darauf hingewiesen, daß der Staat nur solchen Einrichtungen die Beratung anvertrauen darf, die nach ihrer Organisation und ihrer Grundeinstellung zum ungeborenen Leben sowie durch das bei ihnen tätige Personal die Gewähr dafür bieten, daß die Beratung im Sinne der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben erfolgt.Die Beratungsstellen dürfen mit Einrichtungen, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, organisatorisch oder durch wirtschaftliche Interessen nicht derart verbunden sein, daß ein mate-
Metadaten/Kopzeile:
15630 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Parl. Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonkrielles Interesse der Beratungsstelle an der Durchführung von Abbrüchen nicht auszuschließen ist.Darüber hinaus unterstützt die Bundesregierung die Länder im Rahmen ihrer Möglichkeiten, Schwangeren die notwendige Beratung und Hilfe zuteil werden zu lassen. Zum einen bemüht sich die Bundesregierung um eine bundeseinheitliche Regelung, die ja wichtig ist, damit überall eine entsprechende Beratungsqualifikation vorhanden ist.Zum anderen fördert die Bundeszentrale Träger bei der Qualifizierung von Multiplikatoren in der Beratungsarbeit. Letzteres kommt insbesondere den neuen Ländern zugute, wo das Beratungsnetz zunächst noch aufgebaut werden muß.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Jäger.
Frau Staatssekretärin, darf ich aus Ihren Darlegungen über den Schnellbrief der Bundesregierung schließen, daß die Bundesregierung zwar nicht für die organisatorische, wohl aber für die inhaltliche Ausgestaltung der Schwangerenkonfliktberatung auch eine Verantwortung und eine Aufgabe des Bundes sieht?
Herr Kollege Jäger, ich denke, daß jede politische Ebene, die gesetzgeberisch an den Verfahren beteiligt ist — sowohl der Bund als auch die Lander —, gleichermaßen gehalten ist, die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Lebensschutzes zu wahren. Insoweit sehen wir da eine Verpflichtung. Wir erfüllen sie in der Weise, daß wir daran mitwirken, daß das Parlament alsbald und, wie ich eben schon sagte, hoffentlich in großer Einmütigkeit zu einer verfassungskonformen Regelung auch für den Beratungsbereich kommt.
Ich habe eben darauf hingewiesen, daß wir in diesem Zusammenhang die nötige Zuarbeit geleistet haben. Wir unterstützen die Länder, die eine solche Unterstützung erbeten haben, z. B. in der Förderung des Qualifikationserwerbs durch das Personal, das in den Beratungsstellen tätig ist.
Eine zweite Zusatzfrage, Kollege Jäger.
Frau Staatssekretärin, da es ja Beratungsstellen gibt oder gegeben hat, die sich expressis verbis geweigert haben, mit bestimmten Hilfseinrichtungen wie etwa der Bundesstiftung „Mutter und Kind" oder mit kirchlichen Hilfseinrichtungen zusammenzuarbeiten, frage ich: Hat die Bundesregierung in dem von Ihnen erwähnten Schnellbrief auch darauf hingewiesen, daß eine solche Verweigerungshaltung von Beratungsstellen mit den Grundsätzen, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts enthält, nicht mehr vereinbar ist?
Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung geht davon aus, daß die Länder in ihrer Verantwortung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ernst nehmen und sich darum bemühen, daß sich die unter ihre Verantwortung gestellten Beratungsstellen daran orientieren. Wir haben unsererseits eine positive Stellungnahme
abgegeben, wie ich sie eben vorgetragen habe, welche die Inhalte im Sinne des Urteil des Bundesverfassungsgerichts interpretiert.
Nun eine Zwischenfrage des Kollegen Schockenhoff.
Frau Staatssekretärin, haben einzelne Bundesländer schon Richtlinien für die Beratung während der Geltung der Übergangsregelungen erlassen und wie sehen diese gegebenenfalls aus?
Herr Kollege, ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten. Ich will mich gern bei uns im Hause erkundigen, ob es darüber entsprechende Materialien gibt. Dann werde ich sie Ihnen gern mitteilen.
Weitere Zusatzfragen liegen dazu nicht vor.
Darm rufe ich die Frage 36 des Kollegen Horst Jaunich auf:
Kann die Bundesministerin für Familie und Senioren Beweise dafür vorlegen, daß Kommunen ihre Rathausplätze zum drittenmal neu gepflastert haben, wie sie dies vor kurzem in einem Interview im Zusammenhang mit den Sparvorschlägen der Kommunen im Saarländischen Rundfunk geäußert hat?
Herr Kollege Jaunich, die Bundesministerin für Familie und Senioren hat in ihrem Interview im Saarländischen Rundfunk am 13. Oktober 1993 die familienpolitische Bedeutung der Verwirklichung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ab 1996 unterstrichen. Die Erfüllung dieses Anspruchs versteht sie in Übereinstimmung mit dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz aus dem Jahre 1992 als einen wesentlichen Beitrag zum besseren Schutz des ungeborenen Lebens. Gleichzeitig hält sie die stundenweise außerhäusliche Betreuung von Kindern und das gemeinsame Aufwachsen von Vorschulkindern mit Gleichaltrigen für besonders förderlich für die Persönlichkeitsentwicklung dieser Kinder. Sie hat also die Bedeutung der Kindergartenbetreuung von Kindern im Vorschulalter deutlich hervorgehoben.Da heute schon rund 15 % aller Kinder unter sechs Jahren als Einzelkinder aufwachsen, sind die Argumente bezüglich des gemeinsamen Aufwachsens mit Gleichaltrigen, die ich eben vorgetragen habe, dadurch untermauert. Wir sind deshalb als Ministerium der Meinung — die Frau Ministerin hat das ausgedrückt —, daß ein flächendeckendes Angebot an Kindergartenplätzen aus vielen Gründen unbedingt erforderlich ist.Um diese Überzeugung, die ich dargestellt habe, deutlich zu unterstreichen, hat die Frau Ministerin im besagten Interview an die Kommunen appelliert, in ihren Haushalten familien- und kinderfreundliche Prioritäten zu setzen. Dazu gehört es, gegebenenfalls für eine begrenzte Zeit durchaus wünschenswerte Projekte, die z. B. der Stadtverschönerung oder der Verkehrsberuhigung dienen, gegenüber der Erfüllung dieser neuen Pflichtaufgabe zurückzustellen, die mit Zustimmung des Bundesrates vom Gesetzgeber beschlossen worden ist. Als plastisches Bild für diese
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15631
Parl. Staatssekretärin Roswitha VerhülsdonkForderung hat die Ministerin beispielhaft die Zurückstellung von kostspieligen Sanierungen von Rathausplätzen oder den Rückbau von Straßen genannt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Jaunich.
Frau Kollegin, einmal abgesehen davon, daß Sie meine Frage nicht beantwortet haben — denn ich habe danach gefragt, ob Sie Beweise für ein solches Verhallen von Kommunen haben —, frage ich Sie, ob Sie es für einen fairen Umgang mit den mit Autonomierechten ausgestatteten Selbstverwaltungskörperschaften halten, in so flapsiger Form, wie die Frau Ministerin das getan hat, auf diesen Sachverhalt einzugehen.
Herr Kollege Jaunich, ich denke, daß es, wenn der Bundesgesetzgeber in einer Rahmengesetzgebung einen wichtigen Beschluß für die Familien gefaßt hat, schon legitim ist, auch an die Kommunen — trotz ihrer Selbstverwaltung — zu appellieren, daß auch sie diesem Rechtsanspruch durch Prioritätensetzung gerecht werden.
Bezüglich der Art der Formulierung der Frau Ministerin bin ich gern bereit, das zu qualifizieren. Ich würde sagen, sie hat sich in der Form einer rhetorischen Übertreibung ausgedrückt. Nur, lieber Herr Kollege Jaunich — Sie sind ja ein intelligenter Mensch; ich kenne Sie lange genug —, das war Ihnen auch von vornherein klar. Ich dachte, das muß ich Ihnen nicht noch einmal bestätigen. Im übrigen gehört das Stilmittel der rhetorischen Übertreibung durchaus zur Sprache der Politiker, und es wird auch in diesem Hause häufig angewandt.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Jaunich.
Frau Kollegin, ich will mich dieser rhetorischen Übertreibung enthalten, frage Sie aber gleichwohl, ob Sie es im Hinblick auf den Sachverhalt, daß uns der Bundesrechnungshof jedes Jahr umfassende Berichte über nicht gerade sinnvollen Gebrauch von Steuermitteln vorlegt, bei dieser Frage, wo die Gemeinden nicht gefordert haben, von dieser Rechtsverpflichtung freigestellt zu werden, sondern der Städte- und Gemeindebund nur darauf hingewiesen hat, daß angesichts der dringend notwendigen Konsolidierung auch der kommunalen Haushalte diese Aufgabe innerhalb des gesetzten Zeitrahmens, also bis 1996, nicht zu erfüllen sein wird, für angebracht halten, daß die Bundesregierung angesichts dieses Sachverhalts meint, den Kommunen sinnvolle Ratschläge für den Umgang mit Steuergeldern geben zu müssen.
Ich denke, das ist in diesem Falle schon geboten, Herr Kollege Jaunich. Wenn Sie jemals — wie ich — Kommunalpolitiker waren, dann wissen Sie, wie groß die Vorlaufzeit ist, bevor ein Kindergarten gebaut werden kann und bevor er erstellt ist. Wenn es also um die Frage geht, ob der Rechtsanspruch 1996 in allen Fällen zu verwirklichen ist oder nicht, dann ist es schon sehr geboten, die Kommunen jetzt aufzufordern, in ihren mittelfristigen Planungen die Vorkehrungen dafür zu treffen, daß sie dem Gesetz gerecht werden können, und sie zu ermahnen, die planerischen, die grundstücksmäßigen und die baulichen Voraussetzungen zu schaffen
und sich nicht darauf zu berufen: Wir haben kein Geld, und deswegen fangen wir gar nicht erst an.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung.
Die Frage 1 des Kollegen Jürgen Augustinowitz und die Frage 2 des Kollegen Hans Büttner werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir bereits beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Frauen und Jugend. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Cornelia Yzer zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 3 des Kollegen Jürgen Augustinowitz auf:
Wie begründet die Bundesregierung ihre Aussage, die Zahlung einer Entschädigung für die Selbstverpflegung in Höhe von täglich 11,70 DM für Zivildienstleistende sei keine Besserstellung der Zivildienstleistenden gegenüber den Grundwehrdienstleistenden , obwohl Grundwehrdienstleistende — abgesehen vom Erholungsurlaub — lediglich eine Entschädigung in Höhe von 5,85 DM erhalten, und wie hoch ist der Anteil der Zivildienstleistenden, die nicht in einer Gemeinschaftsverpflegung sind?
Herr Kollege Augustinowitz, seit dem 27. Juni 1993 erhalten die Zivildienstleistenden ebenso wie die Grundwehrdienstleistenden für Tage, an denen sie von der Teilnahme an der Gemeinschaftsverpflegung befreit sind, ein Verflegungsgeld in Höhe des Betrags, den Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit für die Teilnahme an der Gemeinschaftsverpflegung zu entrichten haben. Dies sind zur Zeit 5,85 DM. Das Verpflegungsgeld von 5,85 DM für Tage, an denen die Zivildienstleistenden und Grundwehrdienstleistenden von der Teilnahme an der Gemeinschaftsverpflegung befreit sind, erhalten die Zivildienstleistenden ebenso wie die Grundwehrdienstleistenden als Ersatz für die an sich bereitgestellte Gemeinschaftsverpflegung, von der sie auf eigenen Wunsch befreit werden.In den Fällen, in denen den Zivildienstleistenden wegen der Besonderheiten des Zivildienstes von den Beschäftigungsstellen eine Gemeinschaftsverpfle-
Metadaten/Kopzeile:
15632 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Parl. Staatssekretärin Cornelia Yzergung nicht bereitgestellt werden kann, haben sie einen Anspruch auf Entschädigung für die Selbstverpflegung in Höhe von täglich 11,70 DM. Diese Regelung gilt seit 1974 und beruht auf §§ 31 und 35 des Zivildienstgesetzes in Verbindung mit § 3 des Wehrsoldgesetzes und den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen.Die Entschädigung für die Selbstverpflegung stellt weder dem Grunde noch der Höhe nach eine Besserstellung der Zivildienstleistenden gegenüber den Grundwehrdienstleistenden dar. Sie ist eine auf den Besonderheiten des Zivildienstes beruhende Notwendigkeit und ist in ihrer Höhe an dem Betrag orientiert, den die Grundwehrdienstleistenden und die Zivildienstleistenden nach den Vorschriften des Wehrsoldgesetzes für die Dauer des Erholungsurlaubs erhalten. Für diese Zeit wird nach dem Wehrsoldgesetz davon ausgegangen, daß sich der Dienstleistende allein von diesem Betrag, also 11,70 DM, ernähren muß. Dies trifft bei den Zivildienstleistenden, die die Entschädigung zur Selbstverpflegung erhalten, nicht nur für den Urlaub, sondern für die gesamte Dienstzeit zu.Nach einer kurzfristig angeordneten Abfrage bei den über 80 Regionalbetreuern hat sich ergeben, daß etwa 50 % der Zivildienstleistenden bei Beschäftigungsstellen eingesetzt sind, die Gemeinschaftsverpflegung nicht zur Verfügung stellen können.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, vielen Dank für die Beantwortung. Sehen Sie denn nicht eine eklatante Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, wenn über 50 % — die Zahlen gehen unter Umständen bis zu 70 % — der Zivildienstleistenden nicht an einer Gemeinschaftsverpflegung teilnehmen und daher pro Tag 11,70 DM bekommen, und zwar auch an den Wochenenden, während ein Wehrdienstleistender, der aus einer Gemeinschaftsverpflegung gar nicht herauskommen kann, am Wochenende 5,85 DM und ein Zivildienstleistender, der wie der Wehrdienstleistende an einer Gemeinschaftsverpflegung teilnimmt, ebenfalls 5,85 DM bekommt? Sie können mir doch nicht erzählen, daß die 100 %, die der andere mehr bekommt, keine Besserstellung sei.
Herr Kollege Augustinowitz, zunächst einmal ist es keine eklatante Benachteiligung der Wehrdienstleistenden, daß Zivildienstleistende zu 50 % nicht an einer Gemeinschaftsverpflegung teilnehmen. Vielmehr entspricht dies den Besonderheiten des Zivildienstes. Wir streben an, den Anteil der Beschäftigungsstellen mit Gemeinschaftsverpflegung zu erhöhen. Aber solange wir nicht ausreichend Beschäftigungsstellen mit Gemeinschaftsverpflegung vorhalten können, sind wir verpflichtet, auch auf andere Beschäftigungsstellen zurückzugreifen, da wir eine ausreichende Zahl von Zivildienstplätzen zur Verfügung stellen müssen und weil uns auch daran gelegen ist, einen zeitnahen Einzug des Zivildienstleistenden zu gewährleisten. Auch dies ist eine Frage der Dienstgerechtigkeit. Uns ist daran gelegen, Dienstgerechtigkeit sowohl innerhalb des Zivildienstes als auch zwischen Wehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden herzustellen.
Was den Punkt Benachteiligung der Wehrdienstleistenden oder — diese Analogie wäre herzustellen — der in der Gemeinschaftsverpflegung untergebrachten Zivildienstleistenden gegenüber denjenigen, die nicht in Gemeinschaftsverpflegung sind, anbelangt, hatte ich bereits, Herr Kollege, darauf verwiesen, daß nach dem Wehrsoldgesetz an den Tagen, an denen keine Gemeinschaftsverpflegung zur Verfügung steht, etwa im Urlaub des Wehrdienstleistenden, nämlich dann, wenn er sich voll und ganz alleine verpflegen muß, 11,70 DM erforderlich sind.
Der Betrag von 5,85 DM an den Tagen, an denen auf die Gemeinschaftsverpflegung aus persönlichen Gründen verzichtet wird — in der Regel, weil Wehrdienstleistende am Wochenende nach Hause fahren —, ist nicht der Betrag, der insgesamt zur Ernährung erforderlich ist, sondern der Betrag, der in Naturalien an Lebensmitteln in der Truppenküche erspart wird. Dieser Betrag wird erstattet. Insofern kann ich die von Ihnen genannte Ungleichbehandlung nicht sehen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Augustinowitz.
Frau Staatssekretärin, ich möchte Sie noch einmal sehr eindringlich fragen. Ein Zivildienstleistender, der nicht in einer Gemeinschaftsverpflegung ist, bekommt 11,70 DM. Übrigens ist das beim Zivildienst der Regelfall, weil es mehr als die Hälfte betrifft. Alles, was mehr als die Hälfte ist, ist der Regelfall. Was kann es sonst sein? Der Regelfall beim Zivildienst ist also, daß der Zivildienstleistende am Tag 11,70 DM ausgezahlt bekommt. Das summiert sich logischerweise in einem Monat zu einem Betrag, der fast an den Wehrsold herankommt.
Ich frage Sie deshalb, ob die Bundesregierung bereit ist, hier im Bundestag oder in den Ausschüssen Änderungsvorschläge vorzulegen, die von dieser offensichtlichen Ungleichbehandlung wegführen. Ich frage Sie auch, ob das, was Sie hier vorgetragen haben, die Meinung Ihres Ministeriums ist, oder ob das innerhalb der Bundesregierung abgestimmt ist. Ist es auch die Meinung des Verteidigungsministeriums?
Sehen Sie nicht, daß die lästige Alternative, die der Zivildienst nach der Rechtsprechung des höchsten Gerichts zu sein hat, mittlerweile mehr und mehr ausgehöhlt wird, wenn das so weitergeht?
— Lesen Sie mal das Urteil!
Herr Kollege Augustinowitz, zunächst einmal zu Ihrer Feststellung, die Gemeinschaftsverpflegung sei nicht der Regelfall. Begründung: Alles, was weniger als 50 % ist, sei die Ausnahme, alles, was mehr als 50 % ist, der Regelfall. Ich sagte Ihnen, 50 % sind nicht in der Gemeinschaftsverpflegung. Folglich sind 50 % in der Gemeinschaftsverpflegung, und damit haben Sie halbe-halbe und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15633
Parl. Staatssekretärin Cornelia Yzernicht den Regelfall. Aber das ist eine kleine Randbemerkung.Sie können jetzt natürlich ausrechnen, wieviel 11,70 DM mal 30 ergibt. Das ist in der Tat ein hoher Betrag, gerade für junge Männer im Alltag von Zivildienst und Wehrdienst. Allerdings sind 11,70 DM Verpflegungsgeld pro Tag ein Satz, der knapp über der Sozialhilfe liegt. Auch das muß festgestellt werden.
Auf Ihre Frage, wieweit das mit dem Verteidigungsministerium abgestimmt ist, sage ich: Es hat hier keinen Abstimmungsprozeß gegeben. Dazu bestand auch kein Anlaß, da ja kein neues Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt wurde. Allerdings hat es gerade in den letzten Wochen auf Grund der im Bereich des Zivildienstes anstehenden Änderungen eine Reihe von Gesprächen gegeben. In diesen Gesprächen haben wir immer wieder die Notwendigkeit eines Verpflegungsgeldes in Höhe von 11,30 DM dargelegt, und zwar auch gegenüber den Vertretern des Bundesverteidigungsministeriums, die die Notwendigkeit eines solchen Verpflegungsgeldes in dieser Höhe nicht in Frage gestellt haben.Die Bundesregierung ist natürlich jederzeit bereit, einen solchen Satz zu überprüfen, wenn sie vom Parlament den Auftrag dazu erhält. Aber ich meine, ich habe Ihnen hier dargelegt, daß dieser Betrag bei den Kosten des Lebensunterhalts, die auf jeden zukommen, durchaus angemessen ist.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Horst Jaunich:
Auf welche Art und in welcher finanziellen Größenordnung hat der Bund die Kommunen in die Lage versetzt, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 1996 zu erfüllen?
Herr Kollege Jaunich, Ihre Frage beantworte ich wie folgt.
Die Verpflichtung, ein ausreichendes Angebot an Kindergartenplätzen zu schaffen, um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nach dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27. Juli 1992 sicherzustellen, richtet sich nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes. Die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sind im Frühjahr dieses Jahres im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms für die Jahre ab 1995 grundlegend neu geordnet worden. Es obliegt nun den Ländern, für eine aufgabengerechte Verteilung der Finanzen innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs zu sorgen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Jaunich.
Frau Kollegin, abgesehen davon, daß das keine Antwort auf meine Frage ist, möchte ich Sie, bevor Sie meine Zusatzfragen beantworten, vor einer Falscheinschätzung bewahren. Ich bin seit mehr als 20 Jahren kommunalpolitisch tätig und seit rund zehn Jahren Bürgermeister einer westfälischen Mittelstadt. Ich frage Sie also, ob es denn zutreffend ist, daß im Föderalen Konsolidierungsprogramm, das sich bereits in Kraft befindet, die Länder und damit in entsprechendem Umfang auch die Kornmunen in 1995 mit 28 Milliarden DM belastet werden.
Herr Kollege Jaunich, da die Länder die Ergebnisse des neuen Bund-Länder-Finanzausgleichs für sich positiv bewertet haben, gehe ich davon aus, daß sie darin alle ihre Ansprüche, die sich aus Rahmenregelungen des Bundes ergeben, auch berücksichtigt gesehen haben.
Die zweite Zusatzfrage.
Ich frage Sie, ob Sie eine im Auftrag der IHK Münster vom RWI angefertigte Expertise bestreiten wollen, nach der allein aus den Mehrausgaben bei der Sozialhilfe und den Minderausgaben durch Leistungskürzung und Nullrunden in 1994 für die Gebietskörperschaften in Nordrhein-Westfalen ein Minus von 1,3 Milliarden DM zu verzeichnen sein wird.
Herr Kollege, davon abgesehen, daß kein Zusammenhang mit Ihrer Ausgangsfrage besteht, werden Sie Verständnis dafür haben, daß ich einen von Ihnen herausgegriffenen Satz aus einer Expertise, die mir nicht vorliegt, die ich auch nicht unmittelbar vorher gesehen habe, nicht zum Anlaß nehme, Ihre Frage zu beantworten. Wenn Sie mir die Expertise zur Verfügung stellen oder den genauen Titel nennen, bin ich gerne bereit, Ihnen darauf schriftlich zu antworten.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Lowack.
Frau Staatssekretärin, können Sie wenigstens verstehen, daß jemand, der Ihre Antwort zu interpretieren versucht, zu dem Ergebnis kommen muß: Wenn es eines Tages erreicht werden sollte, daß wirklich für jedes Kind ein Kindergartenplatz zur Verfügung steht, ist die in der Frage 36 des Kollegen Jaunich behandelte dritte neue Pflasterung von Rathausplätzen realistisch?
— Sollte es nicht verstanden worden sein, wiederhole ich: Halten Sie die Verwirklichung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz angesichts des völligen Fehlens eines Finanzierungsangebots der Bundesregierung nicht für eine unglaubliche Illusion, die geweckt wird? Meinen Sie nicht, daß wir die Kindergartenplätze so, wie sie zugesagt werden, wahrscheinlich nie bekommen werden?
Herr Kollege, ich kann nur wiederholen: Es entspricht nicht der Kompetenzordnung unseres Grundgesetzes, daß der Bund unmittelbar Leistungen für den Bau von Kindergärten vor Ort erbringt. Inwieweit ein Anspruch, der hier im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde, realisierbar ist, müssen sich diejenigen Abgeordneten
Metadaten/Kopzeile:
15634 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Parl. Staatssekretärin Cornelia Yzerfragen, die dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz zugestimmt haben.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollegin Würfel.
Frau Staatssekretärin, würden Sie mir bestätigen, daß mit den Ländern im Rahmen des Zustandekommens der Gruppenantragsinitiative Verhandlungen geführt wurden, daß diese unserem Gesetz über den Bundesrat zugestimmt haben und daß bei den Bund-Länder-Finanzverhandlungen durch eine Erhöhung des Umsatzsteuervolumens für die Länder sichergestellt worden ist, daß die große Aufgabe der Schaffung von Kindergartenplätzen durch die Lander ausgeführt werden kann
und teilen Sie meine Auffassung, daß es ein wirkliches Versäumnis der Länder und Kommunen über Jahre hinweg ist, daß bis heute jedes zweite deutsche Kind vom dritten Lebensjahr an keinen Kindergartenplatz vorfindet?
Ich kann Ihnen bestätigen, Frau Kollegin Würfel, daß die Mehrheit der Länder im Bundesrat dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz und damit dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 1996 zugestimmt hat. Ferner möchte ich noch einmal hervorheben, daß die Länder damals im Bundesrat betont haben, daß sie umgehend einen Gesetzentwurf einbringen werden, mit dem die finanziellen Folgen des vom Deutschen Bundestag beschlossenen Schwangeren- und Familienhilfegesetzes auf alle Ebenen angemessen verteilt werden sollen. Dies ist nicht geschehen. Aber es hieß weiter, dazu solle zumindest der Anteil der Länder an der Umsatzsteuer zu Lasten des Bundes erhöht werden. In der Folge dieser Bundesratssitzung ist eine Erhöhung des Umsatzsteueranteils von 37 auf 44 % im Bund-Länder-Finanzausgleich neu geregelt worden.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin Würfel, ist bei einer Frage leider nicht möglich, wenn Sie nicht selber die Fragestellerin sind. Das sagt unsere Geschäftsordnung.
Eine Zusatzfrage, Kollege Mahlo.
Frau Staatssekretärin, könnten Sie vielleicht die Fragesteller oder einige Fragesteller darüber belehren, daß die Gemeinden und Länder durch den Rückgang der Asylsuchenden um ungefähr zwei Drittel — —
Herr Kollege Mahlo, unsere Geschäftsordnung sagt für die Fragestunde, daß wir nicht im Dreieck fragen. Zum zweiten belehrt die Bundesregierung in keinem Fall das Parlament. Manchmal ist es umgekehrt.
Frau Staatssekretärin, können Sie — —
Frau Staatssekretärin — —
— Entschuldigen Sie bitte. Würden Sie, Frau Präsidentin — —
Jetzt hat überwiegend der Kollege Mahlo das Wort zu einem zweiten Ansatz für seine Frage. — Herr Kollege Mahlo.
Vielen Dank. — Frau Staatssekretärin, könnten Sie mich vielleicht darüber informieren, ob der Rückgang von Asylsuchenden in Deutschland, die ja in einem großen Umfang Sozialhilfe bezogen haben, auch zu so spürbaren Ersparnissen für die Kommunen beigetragen hat, daß es in diesem Zusammenhang erwähnt werden sollte?
Ich kann Ihnen bestätigen, daß die Neuregelung des Asylrechts und die dadurch eingetretene Verringerung der Asylbewerberzahlen vor Ort zu einer Entlastung der Kommunen geführt haben. Im übrigen weise ich in diesem Zusammenhang darauf hin, daß auch in dieser Woche weitere Maßnahmen im Rahmen des Konsolidierungsprogramms — ich nenne den Sozialbereich mit unmittelbaren Auswirkungen, aber auch durch die Pflegeversicherung — geplant sind, um Kommunen zu entlasten.
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor.Vielleicht sollte man noch der guten Ordnung halber darauf hinweisen, daß den Begleitmaßnahmen des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes das gesamte Plenum bei unterschiedlichen Gesetzentwürfen zugestimmt hat, daß es hier keine kontroversen Abstimmungen gab und daß manche Kollegen sogar der Meinung waren, man sollte noch deutlich mehr tun — was ich vom Prinzip her auch für richtig halte.Wir sind damit am Ende der Fragen zu diesem Geschäftsbereich angekommen. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.Die Fragen 5 und 6 des Kollegen Dr. Ilja Seifert sind zurückgezogen worden.Auch die Fragen 7 und 8 des Kollegen Reinhard Weis aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Forschung und Technologie wurden zurückgezogen.Wir sind damit beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren. Zur Beantwortung steht der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15635
Vizepräsidentin Renate SchmidtHerr Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.Die Fragen 9 und 10 der Kollegin Ingrid Köppe sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen zur Frage 11 des Abgeordneten Ortwin Lowack:Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Flüchtlinge aus Kriegsgebieten in Kroatien wegen des Ablaufes der Duldungsfrist zum 30. September 1993 in ihre oft völlig zerstörte und immer noch durch kriegerische Handlung höchst gefährdete Heimat abgeschoben werden sollen, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, schon aus Gründen einer christlichen, aber auch allgemein menschlichen Haltung, diesen Grausamkeiten, zumindest durch zeitlich befristeten Aufschub, ein Ende zu bereiten?
Herr Kollege Lowack, die Antwort lautet wie folgt: Der von der Ständigen Konferenz der Innenminister und Innensenatoren der Lander am 22. Mai 1992 beschlossene Abschiebestopp für kroatische Bürgerkriegsflüchtlinge, die bis zum gleichen Tag in das Bundesgebiet eingereist waren, ist zwischenzeitlich von den Ländern im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern über den 30. September 1993 hinaus letztmalig bis zum 31. Januar 1994 verlängert worden. Gleichzeitig ist festgelegt worden, daß nach Auslaufen des Abschiebestopps mit der Rückführung geduldeter kroatischer Staatsangehöriger mit Ablauf des 30. April 1994 begonnen wird.
Bisher ist aus diesem Grund kein in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommener Flüchtling aus Kroatien in sein Heimatland abgeschoben worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Lowack.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, würde das bedeuten, daß ein Landratsamt falsch entschieden hat, wenn die Abschiebung einer jungen Kroatin, deren Elternhaus in Zadar zerstört wurde, die bei einer deutschen Familie als Hausmädchen Zuflucht gefunden hat, dort den blinden Hausherrn und dessen behinderte Frau betreut und der Sozialhilfe in keiner Weise zur Last liegt, nicht rechtens wäre?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lowack, ich bin außerstande, zu konkreten Einzelfällen aus dem Stegreif und ohne nähere Kenntnisse der Umstände kommentierend Stellung zu nehmen.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Lowack.
Lieber Kollege Lintner, ich habe „zum Beispiel" gesagt. Ich habe diesen Fall generalisiert und würde deswegen eine Antwort darauf erhoffen, ob in solchen Fällen die Bundesregierung nach dem, was Sie gesagt haben, eine Auffassung hat oder nicht.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Auch hypothetische Fallgestaltungen ändern nichts an der Problematik einer Antwort auf solche konkreten Umstände. Deshalb bitte ich um Verständnis, daß ich mich weigere, sozusagen aus dem Stegreif zu solchen Dingen Stellung zu nehmen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Bindig.
Sind Sie denn bereit, sich um den konkreten Fall, der von dem Kollegen Lowack erwähnt worden ist, zu kümmern, wenn Ihnen der konkrete Fall von dem Kollegen übermittelt werden wird?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir gehen selbstverständlich jeder Bitte eines Abgeordneten nach, die uns unterbreitet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir kommen dann zur Frage 12 des Kollegen Dr. Egon Jüttner. — Er ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Damit sind wir, Herr Kollege Lintner, schon am Ende Ihres Geschäftsbereichs angekommen. Herzlichen Dank für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz.
Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Manfred Kolbe werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zu der Frage 15 des Kollegen Jürgen Koppelin:
Will die Bundesregierung bei Gesetzesvorhaben die Linie verfolgen, daß Homosexuelle als Minderheit auch die damit verbundenen Nachteile tragen müssen, wie dies bereits öffentlich geäußert wurde ?
Herr Kollege Koppelin, gesetzliche Regelungen mit der Intention, Homosexuelle als Einzelpersonen oder als Partner homosexueller Lebensgemeinschaften zu benachteiligen, hat die Bundesregierung weder in der Vergangenheit vorgeschlagen, noch wird sie dies in Zukunft tun.In der Öffentlichkeit wird eine Benachteiligung Homosexueller derzeit insbesondere unter dem Gesichtspunkt fehlender rechtlicher Regelungen für homosexuelle Paare diskutiert. Eine weitgehende Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften mit Ehen kommt jedoch nach Ansicht der Bundesregierung nicht in Betracht. Dies verbietet schon die Vorzugsstellung, welche die Ehe nach Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes genießt und welche nach den Ausführungen der 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts in ihrem jüngsten Beschluß vom 4. Oktober 1993 maßgeblich darin begründet liegt, daß die Ehe — ich zitiere — eine rechtliche Absicherung der Partner bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern ermöglichen soll.Eine andere Frage ist, ob eine rechtliche Absicherung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften nicht in einzelnen Rechtsbereichen erforderlich ist. Solche
Metadaten/Kopzeile:
15636 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Parl. Staatssekretär Rainer FunkeRegelungen kommen dort in Betracht, wo der maßgebende Grund für bestehende gesetzliche Regelungen nicht in erster Linie die Institution der Ehe, sondern die persönliche Verbundenheit der Partner oder deren Zusammenleben in persönlicher Verbundenheit ist, wie beispielsweise beim Zeugnisverweigerungsrecht oder auch beim Mietrecht. Insoweit wird eine Gleichstellung homosexueller und anderer Lebensgemeinschaften unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Gleichheitsgrundsatzes von der Bundesregierung zur Zeit geprüft.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für diese Auskünfte. Sind Sie oder ist die Bundesregierung bereit, bei der nächsten Konferenz der Justizminister den sächsischen Justizminister Heitmann auf diesen Standpunkt der Bundesregierung aufmerksam zu machen?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Was in der Justizministerkonferenz besprochen wird, bestimmen im wesentlichen die Lander. Denn es ist eine Länderjustizministerkonferenz. Entsprechende Anregungen sind aus dem Bereich der Länder bislang nicht an uns herangetragen worden.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es dringend notwendig erscheint, den sächsischen Justizminister auf den Sachverhalt, den Sie hier vorgetragen haben, aufmerksam zu machen, und teilen Sie weiter meine Auffassung, daß das, was der sächsische Justizminister zu diesem Bereich einmal gesagt und sogar schriftlich formuliert hat, als liberale Auffassung nicht zu bezeichnen ist?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist nicht die Auskunftsstelle für die jeweiligen Landesjustizministerien. Wir haben eine genaue Trennung zwischen den Justizverwaltungen der Länder und dem Bundesjustizministerium. Das ergibt sich auf Grund der Verfassung. Ich habe dem wohl nichts weiter hinzuzufügen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Dann sind wir auch am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jürgen Echternach zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Dr. Dietrich Mahlo:
Trifft es zu, daß der Präsident der Oberfinanzdirektion Berlin aus ehemaligem alliierten Wohnungsbestand für sich eine Villa in Dahlem angemietet hat, obwohl er mit Wohnraum in Berlin ausreichend versorgt war?
Frau Präsidentin! Herr Kollege! Es trifft zu, daß der Präsident der Oberfinanzdirektion Berlin ein großes Einfamilienhaus angemietet hat, das im Eigentum des Bundes steht. Bereits im Jahr 1991 hatte sich der Präsident um die Anmietung eines bundeseigenen Einfamilienhauses mit übergroßer Wohnfläche beim Bundesvermögensamt Berlin beworben. Er hat dann sein Interesse auf das in Berlin-Dahlem gelegene Objekt konkretisiert. Für dieses Objekt lagen vor und im Zeitraum der Freigabe durch die US-Streitkräfte keine anderen Bewerbungen auf Abschluß eines Mietvertrages vor. Dagegen gab es für andere vergleichbare Objekte Anmietungswünsche von Bundesbediensteten, die zwischenzeitlich erfüllt werden konnten.
Es entspricht allgemeinen Grundsätzen über die Vermietung von Wohnungen der Vermögensverwaltung, freiwerdende Bundesmietwohnungen zunächst an Bundesbedienstete, die als Wohnungsbewerber auftreten, zu vermieten. Tritt kein weiterer Bewerber auf, ist die Frage der Angemessenheit seiner bisherigen Unterbringung ohne Bedeutung.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Darf ich fragen: Hat die Bundesregierung keine Skrupel, diesen Wohnraum nicht umzugsbezogen einzusetzen?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, normalerweise eignen sich Wohnungen mit einer Übergröße — das sind Wohnungen von mehr als 156 qm Wohnfläche — nicht für die Wohnungsfürsorge. Es gibt einige wenige Objekte, die der Bund auch in diesem Bereich hat. Außerhalb von Bonn und Berlin werden diese in der Regel veräußert. Hier behält der Bund angesichts der Besonderheiten des bisherigen Regierungssitzes und des künftigen Regierungssitzes erst einmal derartige Objekte. Wenn es dann konkrete Anmietungswünsche gibt, versucht er, diesen nach den Kriterien, die ich soeben skizziert habe, Rechnung zu tragen. In diesem Falle gab es keine weiteren konkreten Interessenten für dieses Objekt. Deswegen gab es von seiten des Bundes keine Bedenken, dieses Objekt dann an den einzigen Interessenten zu vermieten.
Eine zweite Zusatzfrage.
Damit kommen wir zur Frage 17 des Kollegen Mahlo:Wenn ja, mit welchem Aufwand an öffentlichen Geldern wurde dieses Objekt vor der Vermietung an den OFD-Präsidenten umgebaut und renoviert, und zu welcher Nettokaltmiete pro qm wurde die Villa dem Präsidenten der OFD vermietet?Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, für das bundeseigene Einfamilienhaus mit rund 230 qm Wohnfläche ist als Kaltmiete ein Betrag von 16,10 DM pro Quadratmeter Wohnfläche im Monat vereinbart. Daraus ergibt sich eine Gesamtgrundmiete von rund 3 700 DM, zu der noch Vorauszahlun-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15637
Parl. Staatssekretär Jürgen Echternachgen auf Betriebskosten kommen, so daß sich eine monatliche Gesamtbelastung von rund 4 100 DM ergibt. Die Mietkosten sind nach den von der Oberfinanzdirektion Berlin an Hand von vergleichbaren Objekten getroffenen Feststellungen ortsüblich.Um eine Vermietbarkeit des Objekts herzustellen, waren vom Bund umfangreiche Herrichtungsarbeiten vorzunehmen. Die Kostenschätzung für alle Herrichtungsarbeiten beläuft sich auf einen Betrag von 360 000 DM; hinzu kommen Kosten, die der Mieter selbst getragen hat. Hierzu rechnen u. a. alle Fliesenarbeiten, neue Fenster in einigen Räumen und das Abhängen von Decken in Bad und Küche.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank für die umfassende Beantwortung der Frage. Ich möchte nur noch die Frage anschließen, ob denn der Mieter lediglich für die Zeit seiner Tätigkeit als aktiver Beamter dort Wohnrecht hat oder ob das ein ganz normaler Mietvertrag ist, der normalerweise ein Leben lang und möglicherweise auch für die Nachfahren gilt.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt kein besonderes Kündigungsrecht für den Fall des Ausscheidens aus dem Dienstverhältnis, so daß insofern der Mietvertrag auf unbegrenzte Zeit abgeschlossen ist.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie Umbaukosten in Höhe von 360 000 DM für eine angemessene Aufwendung angesichts der Tatsache, daß man für diesen Preis in der Regel wohl auch eine Neubauwohnung errichten könnte?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es handelt sich ja nicht um Umbaukosten, sondern es handelt sich um Renovierungs- und Herrichtungskosten für ein Objekt, das natürlich dementsprechend in seinem Wert gesteigert wird. Es liegt ja in einer relativ guten Wohnlage. Derartige Herrichtungskosten wirken ja auf lange Sicht und werden sich bei der relativ hohen Miete, von der ich soeben gesprochen habe, nach einer gewissen Zeit amortisieren. In erster Linie sind die Installationsleitungen in den Bereichen Sanitär, Heizung und Elektro erneuert worden. Außerdem waren später umfangreiche Putz- und Beiputzarbeiten vorzunehmen, da sich bei den Bauarbeiten herausgestellt hat, daß sich der Innenwandputz infolge fehlender Haftbrücken großflächig vom Untergrund löste. Daraus ergeben sich die relativ hohen Herrichtungskosten. Ich darf darauf verweisen, daß der Mieter selber über 100 000 DM in das Objekt aus eigenen Mitteln hineingesteckt hat.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Dr. Jürgen Meyer sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wann hört die Verantwortung der Treuhandanstalt für privatisierte Betriebe auf: nach Unterzeichnung des Kaufvertrages, nach Anmeldung der Grundbucheintragung oder nach erfolgter Grundbucheintragung, und besteht bei betrügerischen Handlungen von Käufern der Unternehmen nach Auffassung der Bundesregierung eine Rücknahmepflicht der Treuhandanstalt, oder nach welchen Kriterien soll eine Rücknahme erfolgen?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Schumann, mit Abschluß eines rechtsgültigen, regelmäßig notariell beurkundeten Vertrages zählt ein Treuhandbetrieb als privatisiert. Die unmittelbare wirtschaftliche Verantwortung der Treuhandanstalt endet dabei mit dem von den Parteien im Privatisierungsvertrag vereinbarten Übergang der Rechte und Pflichten bzw. der Nutzen und Lasten. Eine Rücknahme von privatisierten Unternehmen durch die Treuhandanstalt kommt nach Auffassung der Bundesregierung als Ultima ratio in Betracht, wenn der hinreichende Verdacht besteht, daß der Erwerb eines Unternehmens der Treuhandanstalt in strafrechtlich relevanter Weise zustandegekommen ist und infolge des strafbaren Verhaltens der Privatisierungszweck vereitelt wird bzw. der Treuhandanstalt oder dem noch sanierungsfähigen Unternehmen infolge des strafbaren Verhaltens weiterer Schaden erwächst und der weitere Schaden nur durch eine Rücknahme verhindert oder gemindert werden kann.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Eine Zusatzfrage: Wer sollte die Voraussetzungen für eine Rücknahme von veräußerten Treuhandbetrieben, die Sie eben erläutert haben, nach der Auffassung der Bundesregierung kontrollieren?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Neben das Privatisierungsmanagement der Treuhand tritt ja das Vertragsmanagement. Dabei ist eben die Überwachung der Einhaltung der vertraglichen Verpflichtung Sache der Treuhandanstalt. In so besonderen Fällen, wie ich sie jetzt skizziert habe, wird sicher auch eine Rückkoppelung mit dem Bundesfinanzministerium erfolgen.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Darf ich daraus entnehmen, daß Sie generell die Kontrolle durch die Regierung, speziell durch das Ministerium der Finanzen, ausschließen, die ja die Aufsichtspflicht über die Treuhandanstalt übernommen hat?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Nein. Ich habe soeben versucht, das Gegenteil deutlich zu machen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.Wir kommen zu der Frage 21 des Kollegen Ludwig Stiegler:
Metadaten/Kopzeile:
15638 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993
Vizepräsidentin Renate SchmidtWie viele deutsche Arbeitnehmer werden die US-Streitkräfte nach den Erkenntnissen der Bundesregierung im kommenden US-Haushaltsjahr in Deutschland, insbesondere in Bayern, beschäftigen, und was wird die Bundesregierung unternehmen, um die Zusage einzufordern, einen möglichst hohen Beschäftigungsstand deutscher Arbeitnehmer bei den US-Streitkräften durchzusetzen?Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, die veränderte Situation in Europa hat eine Umstrukturierung der US-Stationierungsstreitkräfte und damit auch eine deutliche Reduzierung des örtlichen Zivilpersonals zur Folge.Bekanntlich sollen die bisher in Deutschland stationierten 350 000 amerikanischen Soldaten auf unter 100 000 reduziert werden.Nach den bisherigen Ankündigungen der US-Streitkräfte über einen weiteren Personalabbau, insbesondere im Rahmen der Umstrukturierung der US-Armee, rechnet die Bundesregierung damit, daß sich die Zahl der Beschäftigten von gegenwärtig rund 34 800 auf rund 23 000 bis 24 000 bis Ende 1994 reduzieren wird. In Bayern sind derzeit 9 500 deutsche Angestellte beschäftigt. Diese Zahl wird möglicherweise auf rund 7 000 Angestellte zurückgehen.Die Bundesregierung geht davon aus, daß der angekündigte Personalabbau bei dem örtlichen Zivilpersonal der Zusage der amerikanischen Regierung bezüglich der Beschäftigung dieses Personals nicht widerspricht.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Zahl der Zivilbeschäftigten nicht nur deswegen zurückgeführt wird, weil die Truppen reduziert werden, sondern weil zunehmend deutsche Arbeitnehmer durch Familienangehörige der Streitkräfte ersetzt werden? Was unternehmen Sie denn, um hier entgegenzuwirken und hier auch auf die Einhaltung von Zusagen zu pochen?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen selber, wie die Aufteilung der finanziellen Verantwortlichkeiten zwischen dem Entsendestaat und dem Aufnahmestaat geregelt ist. Die Kosten für die Beschäftigung des Zivilpersonals trägt der Entsendestaat. Deswegen sind die Möglichkeiten der Bundesregierung begrenzt.
Aber selbstverständlich versuchen wir auf den Ebenen, auf denen Gespräche laufend stattfinden, auch darauf hinzuwirken, daß die in Aussicht gestellten Zahlen eingehalten werden.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, auf welchen Ebenen finden denn diese Gespräche statt? Auf welchen Ebenen wird z. B. die Implementierung des Notenwechsels zu dem Zusatzabkommen und zum NATO-Truppenstatut, wo ja ein hoher Beschäftigungsstand in Aussicht gestellt wird, vorgenommen?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Gespräche finden auf den unterschiedlichsten Arbeitsebenen der verschiedenen Ressorts statt.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Frage 22 des Kollegen Stiegler:
Wie wird sich nach den bisherigen Erkenntnissen der Bundesregierung nach der US-Finanzplanung die deutsche Zivilbeschäftigtensituation bei den US-Streitkräften entwickeln, und inwieweit ist die Bundesregierung bisher aufgefordert worden, ähnlich wie bei den Finanzbeiträgen von Korea und Japan einen Beitrag zur Finanzierung deutscher Arbeitnehmer bei den US-Streitkräften zu leisten?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, bisher ist nicht bekannt, ob die US-Streitkräfte über 1994 hinaus einen weiteren Personalabbau planen. Die Frage einer Kostenbeteiligung der Bundesregierung an den Personalkosten für das örtliche Zivilpersonal ist mit der US-Regierung nicht erörtert worden. Sie war auch nicht Gegenstand der Verhandlungen zur Änderung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, gab es denn entsprechende Forderungen an die Bundesregierung oder Andeutungen auf der politischen Ebene?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Derartige Forderungen der amerikanischen Regierung gegenüber unserer Regierung sind mir nicht bekannt.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Stiegler.
Herr Staatssekretär, werden Sie sich mit Ihrem Kollegen im Bundesministerium der Verteidigung in Verbindung setzen und nachfragen, wie die Gespräche über eine höhere deutsche Finanzbeteiligung verlaufen?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage von finanziellen Lasten, die im Zusammenhang mit der Stationierung von NATO-Truppen in Deutschland entstehen, sind, glaube ich, abschließend geregelt. Es gibt, glaube ich, von unserer Seite aus keinen Grund, dieses Thema anzusprechen.
Wenn Sie über zusätzliche Informationen verfügen, daß möglicherweise gegenüber anderen Häusern derartige Forderungen geltend gemacht worden sind, wäre ich für eine Information dankbar. Dann bin ich gern bereit, diesen Informationen nachzugehen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs angelangt. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Hier werden die Fragen 23 und 24 der Kollegin Ursula Schmidt , die Frage 25 des Kollegen Simon Wittmann (Tännesberg) sowie die Fragen 27 und 28 der Kollegin Dr. Elke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1993 15639
Vizepräsidentin Renate SchmidtLeonhard-Schmid schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 26 des Kollegen Dr. Fritz Schumann auf:Was hält die Bundesregierung von der Schaffung von Sonderwirtschaftsgebieten in den neuen Bundesländern?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schumann, Sonderwirtschaftsgebiete stellen gegenüber dem übrigen Wirtschaftsgebiet eines Landes klar abgegrenzte Räume dar, in denen zur Förderung wirtschaftlicher Tätigkeiten besondere Regelungen oder Vorzugsbehandlungen gelten. Sonderwirtschaftsgebiete gibt es zur Zeit vor allem in China. In anderen Staaten wird ihre Einrichtung diskutiert, z. B. in der früheren Sowjetunion. Die Einrichtung von Sonderwirtschaftsgebieten beschränkt sich damit weitgehend auf Wirtschaftsordnungen, in denen komplizierte planwirtschaftliche Regelungen die Entfaltung privater Initiative bisher verhindert haben.
In den neuen Bundesländern sind mit der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft die zur Entfaltung unternehmerischer Initiativen notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen worden. Es gibt zudem eine Vielzahl von Förderprogrammen für die neuen Bundesländer, die dazu beitragen, private Investoren zu gewinnen.
Ab dem 1. Januar 1994 ist Ostdeutschland sogenanntes Ziel-1-Gebiet der EG-Regional- und Strukturpolitik, womit ihnen die höchste Förderintensität innerhalb der EG eingeräumt wird. Darüber hinaus gibt es gegenüber Westdeutschland eine Reihe von Sonderregelungen, die den besonderen Problemen Ostdeutschlands Rechnung tragen und insbesondere den schnellen Aufbau der Infrastruktur begünstigen sollen. Ich nenne hier als Beispiele die Regelungen zur Freistellung der Investoren von ökologischen Altlasten, die Regelungen der Altschulden im ostdeutschen Wohnungsbau und das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz.
Soweit mit Ihrer Frage der weitere Abbau investitionshemmender Vorschriften angesprochen ist, zeigt der Bericht zur Zukunftssicherung des Standorts Deutschland eine Reihe von neuen Möglichkeiten auf. Solche sinnvollen Maßnahmen sind allerdings nicht auf einzelne Gebiete Ostdeutschlands zu beschränken, sondern sind zur Stärkung der Wirtschaftskraft in ganz Deutschland zu nutzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Recht vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung. Eine Zusatzfrage: Können wir davon ausgehen, daß für die Einführung von Sonderwirtschaftsgebieten in den fünf neuen Ländern — Sie haben das eben zu begründen versucht — nach Meinung des Wirtschaftsministeriums keine Voraussetzungen gegeben sind? Oder bestehen Voraussetzungen, und, wenn ja, würden Sie sie zusammenfassend kurz erläutern?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schumann, wenn Sie so wollen, stellen die neuen Bundesländer eine Art Sonderwirtschaftsgebiet innerhalb der gesamten Bundesrepublik dar. Es macht überhaupt keinen Sinn, noch weitere Differenzierungen vornehmen zu wollen. Ziel der Arbeit der Bundesregierung ist und kann vielmehr nur sein, in ganz Deutschland die Rahmenbedingungen für das Wirtschaften insgesamt zu verbessern.
Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Schumann.
Herr Staatssekretär, würden Sie dennoch Voraussetzungen dafür sehen, daß z. B. das Instrumentarium der Gemeinschaftsaufgabe noch stärker den Bedingungen in den fünf neuen Ländern angepaßt werden müßte?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie, Herr Kollege Schumann, konkrete Vorschläge hätten, würden wir diese gerne prüfen. Aber ich gehe im übrigen davon aus, daß das, was bisher an Maßnahmen in den neuen Bundesländern auf dem Weg ist, sehr gut geeignet ist, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Aber ich betone nochmals: Wir sind für weitere Anregungen jederzeit offen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen und damit auch am Ende dieser Fragestunde. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Donnerstag, den 21. Oktober 1993, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.