Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, einen schönen guten Morgen. — Die Sitzung ist eröffnet.
Ich teile zunächst mit, daß interfraktionell vereinbart woren ist, von der in der Geschäftsordnung vorgesehenen Frist für den Beginn der Beratung bei Tagesordnungspunkt 1 a und b sowie bei Tagesordnungspunkt 2a und b abzuweichen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe dagegen keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
a) aa) — Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union
— Drucksache 12/3334 —
— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung eines Volksentscheids über die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in einer Europäischen Union und die Ratifizierung des Maastrichter Vertrages über eine Europäische Union
— Drucksache 12/3353 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Sonderausschusses „Europäische Union "
— Drucksache 12/3895 — Berichterstattung:
Abgeordnete Heidemarie Wieczorek-Zeul
Peter Kittelmann
Ulrich Irmer
Dr. Hans Modrow
Gerd Poppe
bb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht) "
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Wider den Rückfall in den Nationalismus — Für ein demokratisches Europa mit stabiler Währung
zu dem Antrag der Gruppe der PDS/Linke Liste
Maastrichter Vertrag über die Europäische Union
zu dem Antrag der Abgeordneten Gerd Poppe, Werner Schulz , Dr. Wolfgang Ullmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stillstand führt zum Rückschritt — Hin zu einer demokratischen, ökologischen und sozialen Union Europa
zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zum Europäischen Rat von Lissabon
zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu den Folgen des in Dänemark durchgeführten Referendums über den Vertrag vom 7. Februar 1992
— Drucksachen 12/3366, 12/3322,
12/3367, 12/3129, 12/3004, 12/3895 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Heidemarie Wieczorek-Zeul
Peter Kittelmann
Ulrich Irmer
Dr. Hans Modrow
Gerd Poppe
b) — Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache 12/3338 —
10810 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Peter Kittelmann, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Dr. Franz Möller, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/ CSU sowie den Abgeordneten Ulrich Irmer, Detlef Kleinert , Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
— Drucksache 12/3614 —
— Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Unterrichtung und Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union
— Drucksache 12/3609 —
— Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union
— Drucksache 12/3540 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Sonderausschusses „Europäische Union "
— Drucksache 12/3896 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Friedrich Adolf Jahn
Dieter Wiefelspütz
Ulrich Irmer
Detlef Kleinert
Dr. Renate Hellwig
Ludwig Stiegler
Dr. Hans Modrow
Gerd Poppe
c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum
— Drucksache 12/3202 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/3743 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hermann Schwörer
d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Abkommens vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum
— Drucksachen 12/3319, 12/3724 — aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/3752 —
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Fritz Gautier
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/3753 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Hans-Werner Müller
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Von der Einheitlichen Europäischen Akte zu der Zeit nach Maastricht
Ausreichende Mittel für unsere ehrgeizigen Ziele
— Drucksachen 12/3407 Nr. 3.1, 12/3449 , 12/3664 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Hans-Werner Müller
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu der Mitteilung der Kommission „Von der Einheitlichen Europäischen Akte zu der Zeit nach Maastricht: Ausreichende Mittel für unsere ehrgeizigen Ziele"
— Drucksachen 12/3003, 12/3666 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Hans-Werner Müller
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft in der Zeit bis 1997
— Drucksachen 12/3240 Nr. 3.4, 12/3665 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Hans-Werner Müller
h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Kommission über das System der Eigenmittel
— Drucksachen 12/2774 Nr. 2.4, 12/3667 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Hans-Werner Müller
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10811
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des EG-Ausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zum Entwurf des Vertrags über die Politische Union und die Wirtschafts- und Währungsunion
— Drucksachen 12/1788, 12/3792 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Kittelmann Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Helmut Haussmann
j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Beitrittsantrag Österreich — Stellungnahme der Kommission —— Drucksachen 12/1339 Nr. 2.1, 12/3397 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Friedrich Vogel Karsten D. Voigt (Frankfurt)
Ulrich Irmer
k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des EG-Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
zur Erklärung der Bundesregierung zur aktuellen Entwicklung in der Europapolitik
— Drucksachen 12/3311, 12/3849 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Kittelmann Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Helmut Haussmann
1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des EG-Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zur Erklärung der Bundesregierung zur aktuellen Entwicklung in der Europapolitik
— Drucksachen 12/3310, 12/3850 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Kittelmann Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Helmut Haussmann
m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des EG-Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Perspektiven der europäischen Integration — Drucksachen 12/2813, 12/3851 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Kittelmann Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Helmut Hausmann
n) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Europäischen Union und zur Ratifizierung des Vertrags von Maastricht
— Drucksache 12/3602 — Überweisungsvorschlag: EG-Ausschuß Auswärtiger Ausschuß l. mb Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
Interfraktionell wird vorgeschlagen, für die Aussprache zunächst fünf Stunden vorzusehen. Ich gehe davon aus, daß wir um etwa 15 Uhr mit den Abstimmungen beginnen. Es werden drei namentliche Abstimmungen durchgeführt: zum Vertragsgesetzentwurf, zu einem Entschließungsantrag sowie zur Grundgesetzänderung.
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung sollen erst aufgerufen werden, nachdem alle Abstimmungen durchgeführt sind.
Sind Sie damit einverstanden? — Auch dagegen sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stimmen heute über einen großen internationalen Vertrag ab, der heftig diskutiert wurde, der viele verunsichert hat und über den sehr viel Unzutreffendes berichtet wurde. Vor diesem Hintergrund haben wir im Sonderausschuß Europäische Union besonders intensiv und auch kontrovers diskutiert, eigene Bedenken formuliert, vor allem aber Sorgen und Ängste der Bevölkerung aufgenommen. Wir haben eine gewissenhafte Prüfung des Vertrages vorgenommen und natürlich auch Unwägbarkeiten des Vertragstextes herausgearbeitet.
Wir wissen aber, daß es gerade die enormen Chancen des Vertrages sind, die diese Unwägbarkeiten aufwiegen. Ich bin froh darüber, daß sowohl CDU/ CSU als auch Sozialdemokraten und Freie Demokraten die Arbeit im Sonderausschuß mit einem überzeugten Ja zu Europa abschließen konnten.
Dieses Ja zu Europa ist ein Gewinn: ein Gewinn für unser Land, ein Gewinn für die Menschen.
Im Grundgesetz hat sich Deutschland das Ziel gesetzt — ich zitiere —, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen" . Heute nun verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland in Fortführung dieses Auftrags auf eine Politik, die sich am Ziel einer Europäischen Union ausrichtet. Diese Zielrichtung dokumentiert sich im neugeschaffenen Europaartikel, der die Mitwirkung an der europäischen Integration als Staatsziel verankert — ein wichtiger und ein ernsthafter Schritt.
Wir sollten uns davor hüten, diese Verantwortung zu unterschätzen. Die Bürger unseres Landes verlangen nach Lösungen der anstehenden Probleme. Wenn die Mitarbeit an der Europäischen Union für uns zur Handlungsmaxime wird, dann muß sie auch einen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten, und sie tut
10812 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Peter Kittelmann
dies, meine Damen und Herren: All das müssen wir vermitteln.
Die Union beginnt mit einer gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik. Danach verlangen die Menschen, denn sie erfahren die Hilflosigkeit der Gemeinschaft angesichts des fortdauernden Krieges im früheren Jugoslawien.
Die Union verstärkt die Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik, um schließlich das Asylrecht zu harmonisieren und die Flüchtlingspolitik abzustimmen. Jeder weiß, wie dringend der Handlungsbedarf in dieser Frage ist.
Die Union verankert das Subsidiaritätsprinzip; Entscheidungen sollen bürgernah getroffen werden, so daß sie jeder nachvollziehen kann.
Nicht zuletzt unsere Verfassungsänderung und gesetzlichen Regelungen, die wir im Ausschuß erarbeitet haben, kommen einem bürgernahen Europa entgegen. Die Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates in Fragen der Europäischen Union, die Einrichtung des Regionalausschusses, daß Erfordernis der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates mit Zweidrittelmehrheit bei Übertragung von Hoheitsrechten, das erforderliche zustimmende Votum des Deutschen Bundestages vor Eintritt in die dritte Strophe
— Strophe hätte auch gepaßt —, in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, all dies sind Aspekte einer föderalen, bürgernahen und transparenten Gesellschaft.
Wir schaffen das neue Europa vor allen Dingen für die junge Generation. Kritisch möchte ich anmerken, daß es uns nicht immer gelungen ist, die Jugend für unsere Ideen zu gewinnen und sie in unser politisches Handeln einzubinden. Die vielen Demonstrationen, in denen sich die Ablehnung der gewalttätigen Ausschreitungen gegen unsere ausländischen Mitbürger zeigt, die Initiativen in Schulen und Universitäten, all dies dokumentiert überdeutlich, daß unsere Jugend nicht so unpolitisch ist, wie viele annehmen. Die meisten jungen Menschen haben einen genauen Sinn für Recht und Demokratie, für friedliches Miteinander und gemeinschaftliches Handeln.
Meine Damen und Herren, erkennen wir doch, daß Europa dem Rechnung trägt und wir darum besonders die Jugend für Europa begeistern können und müssen!
Der Vertrag über die Europäische Union antwortet viel mehr auf die aktuellen Fragen, als viele es ahnen, weist viel mehr Wege auf, als viele meinen, und eröffnet sehr viel mehr Perspektiven, als viele glauben. Die Europäische Union ist die Zukunft, die sich für uns alle und vor allen Dingen für unsere Jugend lohnt. Einer der Gründungsväter, Robert Schuman, wußte dies schon zu Anfang der Gemeinschaftsgeschichte. Er sagte:
Europa kommt es zu, einen neuen Weg aufzuzeigen durch das Akzeptieren einer Vielfalt von Zivilisationen, von denen jede der anderen mit gleicher Achtung begegnet.
Meine Damen und Herren, Robert Schumans Credo ist aktueller denn ja. Er sagte weiter:
Der Respekt vor dem Recht des anderen ist der Frieden für alle.
Wenn wir doch alle erkennen, daß sich die europäische Idee durch Toleranz, Konsens und gemeinschaftliches Handeln definiert, heißt dies nicht, daß wir eigene Ansprüche und legitime nationale Interessen vergessen sollen. Keineswegs! Wir haben unsere eigenen Interessen, unsere Tradition, unsere Kultur. Die will Europa uns nicht nehmen, sondern garantieren. Wir sollten darum auch bereit und in der Lage sein, diese Interessen selbstbewußt zu vertreten.
Europa ist seit langem kein abstraktes Phänomen mehr. Wir leben längst in einem Europa der Tatsachen. Heute entwickeln wir mit demVertrag weiter, was unser tägliches Leben schon lange positiv bestimmt: in der Wirtschaft, in der Reisefreiheit, im kulturellen Austausch und in zahlreichen anderen Bereichen. Unser Wohlstand gründet sich auf der europäischen Zusammenarbeit. Ich habe den Eindruck, viele vergessen das häufig.
Unsere Ideale vom Frieden zwischen den Völkern und der Freiheit sind durch die Europäische Gemeinschaft im westlichen Europa seit langem Wirklichkeit geworden. Wir müssen das Erreichte jetzt sichern und über die Gemeinschaft hinaus weiterführen. Auch dieses Anliegen wird durch den Vertrag gesichert.
Wir müssen die europäische Frage vor allen Dingen den Menschen in den neuen Bundesländern vermitteln und sie an Europa heranführen. So sehr der Vertrag über die Europäische Union Gewinn und Chance ist, so sehr ist er Verpflichtung — besonders für uns Parlamentarier — zur Selbstdisziplin und dazu, sich viel mehr als bislang mit der europäischen Frage zu beschäftigen und in einen ständigen Dialog mit den Bürgern zu treten, Gemeinschaftsinteresse zu wahren und zugleich nationale Aufgaben zu vertreten.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns durch die gemeinsame Zustimmung zum Vertrag unseren Partnern einen Impuls geben, um die Voraussetzung für die Ratifizierung dort zu schaffen, wo dies bisher nicht geschehen ist. Wir haben in den letzten Jahrzehnten erfahren, daß vieles überhaupt erst durch das gemeinsame Europa möglich wurde. Die großen Probleme des kommenden Jahrzehnts werden wir nur durch die Europäische Union bewältigen können. Nutzen wir heute diese historische Chance!
Danke schön.
Als nächste ergreift die Abgeordnete Frau Wieczorek-Zeul das Wort.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10813
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Beginn dieser Europadebatte steht unser Bekenntnis zu den Grundsätzen der Aufklärung, die für Europa Verpflichtung sind: der prinzipiellen Gleichheit und der Würde aller Menschen, gleich welcher Nationalität; steht unser Bekenntnis zu Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit.
Es ist kein „Verdienst", daß wir als Deutsche geboren wurden, wie es auch nicht in der Verantwortung von Türken, Rumänen, Engländern, Franzosen oder Schweizern liegt, daß sie in ihre jeweilige Nationalität hineingeboren wurden. Uns alle aber eint die gleiche Würde des Menschseins und die Verantwortung für den Bruder oder die Schwester anderer Nationalität.
Deshalb richten wir uns gerade am Tag der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages an die Menschen anderer Nationalität in Deutschland und an unsere europäischen Nachbarn und sagen ihnem mit den Worten Willy Brandts: „ Wir wollen ein Volk unter Nachbarn sein, im Inneren und nach außen."
Wir schämen uns der feigen Mörder und Gewalttäter. Sie zerstören mit ihren schrecklichen Taten die Substanz und die Grundlage menschlichen Zusammenlebens und das Ansehen unseres Landes. An die Adresse der Gewalttäter sagen wir: Wer Molotowcocktails wirft, ist ein Mörder und muß mit unnachsichtiger Verfolgung und Bestrafung durch den Staat rechnen.
An die Adresse derjenigen, die vielleicht innerlich klammheimliche Freude empfunden oder danebengestanden haben, sagen wir: Seht nicht weg, wo Unrecht geschieht! Wer sich nicht entschlossen der Gewalt entgegenstellt, muß damit rechnen, daß sie sehr schnell die eigene Türschwelle überschreitet.
Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auf: Stellt euch den Steine- und Brandbombenwerfern entgegen, greift ein und verteidigt die demokratische Substanz unserer Gesellschaft, unseren demokratischen Rechtsstaat, wie die vielen Tausenden von Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten zu Kundgebungen zusammengekommen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als am 9. November 1989, am Tag des Falls der Mauer, junge Leute die Mauer stürmten und, Herr Kollege Kittelmann, statt des „Deutschland-Liedes" sangen: „So ein Tag, so wunderschön wie heute ... ", da war ich überzeugt, daß niemand in Europa vor diesen jungen Deutschen wieder Angst zu haben brauchte. Vielleicht sind es nicht dieselben jungen Deutschen, die heute mit Sieg-Heil-Rufen durch die Straßen marschieren, Ausländer verprügeln oder Heime für Asylbewerber in Brand setzen; vielleicht aber auch doch. Der Nationalismus, den manche von uns nach der deutschen Einheit befürchteten, hat sich nicht nach außen gewandt. Er wendet sich nach innen.
Ob die stärkere Einbindung der Deutschen in Europa auf diesen gewalttätigen, primitiven Nationalismus nach innen Einfluß haben wird, weiß ich nicht. Aber ich weiß: Sollte die europäische Integration zurückfallen oder gar scheitern und Deutschland sich selbst überlassen bleiben, würde der alte Ungeist wieder in großem Umfang gesellschafts- und politikfähig werden. Die europäische Integration ist auch ein Anker für die politische Stabilität Deutschlands.
Dies ist der Hauptgrund, warum viele in meiner Fraktion, die Maastricht durchaus kritisch sehen, dem Vertrag und den notwendigen Verfassungsänderungen dennoch zustimmen werden. Unsere Fraktion macht mit der Ratifizierung des Maastricht-Vertrages deutlich: Deutschland ist ein verläßlicher Partner. Wir wollen klar und deutlich machen: Europa hat zur deutschen Einheit ja gesagt; wir sagen ja zur europäischen Einigung.
Ich denke, das Beste — neben der Ratifizierung —, was wir in unserem Land in diesen Tagen für Europa tun können, ist dafür zu sorgen, daß die Situation in unserem Land wieder in Ordnung kommt. Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Integrationsprozeß. Angesichts dieser letzten schrecklichen Ereignisse betonen wir in der Europadebatte des heutigen Tages die Idee der kulturellen Gemeinsamkeit Europas, die ich als einen Beitrag Europas zur Weltkultur verstehe. Wir setzen als Europäer auf das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen — eine Tradition, die friedlich macht —, auf die Idee der Toleranz, der Menschenrechte, der gewaltlosen Konfliktregelung.
Es hat Symbolwert, daß wir mit der Zustimmung zum Maastricht-Vertrag heute das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger und Unionsbürgerinnen beschließen, die in unserem Land leben. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung dies in Maastricht ausgehandelt hat. Meine Fraktion bedauert aber, daß der Vertrag nicht zum Anlaß genommen wurde, das Kommunalwahlrecht allen Bürgerinnen und Bürgern, gleich welcher Nationalität, die länger in einem anderen Land leben, einzuräumen.
Die Forderung der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung im 18. Jahrhundert lautete: „No taxation without representation" — kein Steuernzahlen ohne politische Repräsentation. Wie lange sollen über
10814 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Heidemarie Wieczorek-Zeul
4 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus NichtEG-Staaten in unserem Land, die zum großen Teil schon in der zweiten Generation bei uns leben, die alle Pflichten teilen und Steuern zahlen, weiter vom Wahlrecht, selbst vom Kommunalwahlrecht, ausgeschlossen bleiben? Daß diese Menschen angeblich nur vorübergehend bei uns wohnen und arbeiten, ist die Lebenslüge einer verfehlten Ausländerpolitik. Diese Menschen sollen und müssen sich in unsere Gesellschaft integrieren. Dann müssen sie auch die Mitspracherechte erhalten, die für diese Integration notwendig sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir „Maastricht" heute ratifizieren, so sei damit auch ein Rückblick auf die Stufen europäischer Integration in den letzten Jahrzehnten geworfen. Die Sozialdemokratie hat den Römischen Verträgen 1957 zugestimmt, obwohl wir daran kritisierten, daß sie nur die wirtschaftliche Zusammenarbeit beinhalteten. Uns ging es bei unserer Forderung nach den Vereinigten Staaten von Europa schon 1924 immer um die Schaffung einer politischen Einheit Europas, einer gemeinsamen Außenpolitik. Ich erinnere daran, daß bereits im Jahre 1969 der damalige Bundeskanzler Willy Brandt auf dem Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs erste Vorschläge für eine derartige Politische Union unterbreitete.
Damals wurden Vorstufen einer gemeinsamen Außenpolitik entwickelt. Es begann die Zusammenarbeit der Außenminister im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit.
Schon 1940 hatte Willy Brandt, der Deutsche, der sich als Europäer verstand, in Norwegen über das „neue Europa" geschrieben und zur Überwindung des Nationalismus aufgerufen.
Willy Brandt hat mit seiner Ost- und Entspannungspolitik, die er westeuropäisch absicherte, die Voraussetzungen für den Wandel in Mittel- und Osteuropa geschaffen, der sich 1989 Bahn brach, und damit die deutsche Einheit, aber auch die Chance für die europäische Einheit vorangebracht. Deutsche Einheit und europäische Einheit gehörten für ihn zusammen. Wir danken dem deutschen Patrioten und großen Europäer Willy Brandt dafür, daß er die deutsche und die europäische Einheit entscheidend gefördert und Europa in seiner Person gelebt hat.
Wenn wir heute den Maastricht-Vertrag ratifizieren, signalisieren wir nicht nur, daß wir uns einbinden wollen, sondern wir signalisieren — an die Adresse unserer dänischen und ebenfalls an die unserer englischen Nachbarn — auch: Wir wollen kein Kleineuropa und kein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Das Votum des Deutschen Bundestages heute sollte in Dänemark und in Großbritannien so verstanden werden, daß wir wollen, daß sie mit zur Europäischen
Union gehören. Wir möchten sie ermutigen, den Schritt mit uns gemeinsam zu tun und „Maastricht" zu ratifizieren.
Maastricht ist — die Präambel macht es deutlich — ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einem vereinten Europa. Wenn wir dem Vertrag heute zustimmen, dann stimmen wir beidem zu: dem Vertrag, wie er vor uns liegt, aber auch dem Ziel einer immer engeren Integration. Dies machen wir — der Kollege Kittelmann hat das vorhin betont — durch die Einfügung eines Europaartikels in unsere Verfassung deutlich.
Es muß deutlich werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß nur ein stärker miteinander verbundenes Europa die weltwirtschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre bestehen und seine eigenen sozialen Traditionen und die Ziele einer ökologischen Marktwirtschaft bewahren und entwickeln kann. Der zunehmende Wettbewerb und der wachsende Austausch mit anderen Wirtschaftsregionen in Amerika und in Asien bleiben für Europa nicht ohne Folgen, das gilt auch für unsere sozialen Traditionen.
Sie haben, wie Jacques Attali es ausgedrückt hat, in der Gesellschaft den Typ des „modernen Nomaden" geschaffen, der — von dem Band der Nation und Familie befreit — die Effizienz entfaltet, die für das Bestehen in einem Wettbewerb nötig ist. Sie haben aber auch viele Menschen ratlos zurückgelassen, die sich durch den rasanten Wandel in allen Lebensbereichen überfordert fühlen und die sich ins gesellschaftliche Aus gedrängt sehen.
Die Diskussion über Maastricht hat gezeigt: Die Menschen haben Angst vor dem Verlust ihrer eigenen kulturellen und sozialen Identität. Sie haben Angst, daß sich die Politik ihnen immer mehr entzieht und daß ihnen die demokratische Kontrolle entgleitet.
Dabei wird Europa, wird der Binnenmarkt zu Unrecht für Probleme haftbar gemacht, die durch Weltmarktentwicklungen verursacht werden. Europa ist vielmehr notwendig, um Weltmarktentwicklungen gestalten zu können, damit dieser Prozeß nicht gegen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und gegen Bürger und Bürgerinnen läuft.
Ich erinnere daran: In den 70er Jahren handelten viele einzelne EG-Mitgliedstaaten nach den Ölpreisschocks nach dem Prinzip: „Rette sich, wer kann!" Die Konsequenz war hohe Arbeitslosigkeit in allen EG-Mitgliedsländern. Wir dürfen heute den Fehler des Rückfalls in die Desintegration aus politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen nicht wiederholen. Die Gefahr, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist groß: Stichwort GATT, Stichwort Veto, Stichwort EWS. Deshalb ist heute unser Appell, deutlich zu machen, daß wir in dem von uns geschaffenen Europa der Arbeitslosigkeit gemeinsam entgegenwirken und einen neuen Aufschwung für unsere gemeinsame Region Europa schaffen wollen.
Der deutsche Arbeitnehmer, die dänische Angestellte, der französische Bauer und der walisische
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10815
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Bergmann werden ihren Arbeitsplatz, ihr Einkommen, ihre Lebensweise und ihren Ruhestand nur sichern können, wenn es den Europäern gelingt, ihr Modell einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft auch in den nächsten Jahrzehnten politisch und wirtschaftlich zu verteidigen und zu entwickeln.
Gemessen an diesen Zielen, liebe Kolleginnen und Kollegen, fehlt es dem Maastricht-Vertrag an der Verankerung des Ziels einer Sozialunion und einer Umweltunion. An dieser Stelle muß sich auch Premierminister John Major sagen lassen, daß der Labour Party die Zustimmung zum Vertrag sicher leichter fiele, wenn sich seine Regierung nicht aus der gemeinschaftlichen Sozialpolitik ausgeklingt hätte.
So ist das Abkommen über die Sozialpolitik wegen der britischen Verweigerungshaltung nur unter elf Mitgliedstaaten zustande gekommen. Deshalb appellieren wir in einem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD und F.D.P. heute aus Anlaß der Ratifizierung des Maastricht-Vertrags an das zwölfte Mitgliedsland Großbritannien, sich diesem Abkommen über die Sozialpolitik anzuschließen und damit dazu beizutragen, daß die Sozialpolitik, die Sozialunion Europa eine Chance hat.
Wichtig ist, daß die Möglichkeiten, die der EGVertrag bereits vor Maastricht bot, voll ausgeschöpft werden und daß wir die Fortschritte im Kreis der elf Mitgliedstaaten auch in dieser Übergangsphase nutzen. Es geht um die Gestaltung der Sozialunion auf höchstem Niveau. Vorschläge für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen dürfen nicht länger in den Schubladen liegen. Sie müssen politische Wirklichkeit in Europa werden.
Die Regierungskonferenz von Maastricht hat sich leider nicht dazu durchringen können, die Umweltunion mit der nötigen Klarheit in den Zielkatalog des Vertrages aufzunehmen. Gerade hier hätte eine Europäische Union große Chancen. Sie hätte den großen Markt und die Instrumente der Rechtsetzung dazu. Sie könnte — dafür engagieren wir uns — Innovationen schaffen, weltweit ein Beispiel setzen und in der Ökologie Vorbildliches für ihre Bürger und Bürgerinnen sowie für die Länder des Südens leisten.
Dieses Ziel muß in der weiteren Umweltpolitik der EG und in einem revidierten Vertrag bei der nächsten Nachfolgekonferenz dringend verankert werden.
Zu den zentralen Kritikpunkten am Maastricht-Vertrag zählt, daß die Balance zwischen Politischer Union und Europäischer Wirtschafts- und Währungsunion nicht ausreichend hergestellt, daß die Politische Union unzureichend entwickelt ist. Vor allem aber, liebe Kolleginnen und Kollegen — da sind wir alle gefordert —, sind die europäischen Gesetzgebungsprozesse nicht ausreichend durchschaubar; sie geben dem Europäischen Parlament bisher noch nicht das letzte Wort in der Gesetzgebung.
Wir konnten den Vertrag von Maastricht nicht nachträglich ändern. Aber wir haben uns in den Beratungen im Sonderausschuß Europäische Union, als wir den Vertrag bewertet haben, dafür engagiert, den Bundestag stärker in die Kontrolle der europäischen Gesetzgebung und der Rolle der Bundesregierung im Ministerrat einzubringen. Wir verabschieden heute gemeinsam ein Rechtsstellungsgesetz für den Bundestag, mit dem der Deutsche Bundestag die Bundesregierung künftig vor entsprechenden Festlegungen im Ministerrat auf eine bestimmte Linie verpflichten will. — Darm kann es z. B. nicht mehr passieren, daß die Bundesregierung im EG-Ministerrat der Mehrwertsteuererhöhung auf 15 % zustimmt und anschließend nach Hause kommt und behauptet, ursächlich dafür sei das vorrangige EG-Recht, während sie in Wirklichkeit selber diese Linie vertreten hat. —
Dazu haben wir im Grundgesetz einen Europaaus-
schuß verankert, der der Bundesregierung künftig
auch in diesen Fragen stärker auf die Finger schaut.
Darüber hinaus fordern wir, daß Ministerratssitzungen endlich öffentlich stattfinden, damit Bürger und Bürgerinnen selber beurteilen können, wie europäische Gesetzgebung zustande kommt.
Ich bin überzeugt: Wenn die Bürger und Bürgerinnen zusehen könnten, wäre die Regelungswut im Ministerrat, wofür die nationalen Regierungen verantwortlich sind, eingedämmt.
Vor allem aber haben wir Art. 23 im Grundgesetz eingefügt. Er legt fest, daß die Europäische Union „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen" entsprechen muß. Gleichzeitig legen wir in Abs. 1 dieses Artikels fest, daß Hoheitsrechtsübertragungen künftig nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat möglich sein werden. Damit ist der bisherigen — ich sage — undemokratischen Praxis ein Ende gesetzt, mit der nach dem Art. 24 und mit einfacher Mehrheit zentrale Kompetenzen auf die EG übertragen wurden, ohne daß dort gleichzeitig ausreichend parlamentarische Kontrolle und Entscheidung beim Europäischen Parlament vorhanden gewesen wären. Auf diese Art und Weise ist ein Demokratiedefizit in der Europäischen Gemeinschaft entstanden.
Für uns ist klar: Wenn die Demokratisierung auf EG-Ebene nicht vorankommt, wenn das Europaparlament nicht volle Entscheidungsrechte in der Gesetzgebung erhält, dann ist eine weitere Übertragung von Hoheitsrechten der Bundesrepublik Deutschland auf die EG nicht mehr zu akezptieren.
Dies gilt für so sensible Bereiche wie die Innenpolitik, die Rechtspoliltik und ganz besonders die Verteidigungspolitik. Diese Bereiche verbleiben nach dem Maastrichter Vertrag in der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit und dürfen nicht vergemeinschaftet werden. Für uns als sozialdemokratische Bundestagsfraktion war wichtig, daß unabhängig vom Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags der Art. 23 Abs. 1 gilt,
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Heidemarie Wieczorek-Zeul
d. h. künftige Hoheitsrechtsübertragung nur mit Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat. Entweder die EG wird demokratischer, oder es gibt keine weitere Übertragung von Hoheitsrechten.
Deshalb, der Demokratisierung wegen, muß die nächste Regierungskonferenz vorgezogen werden. Auch das sagen wir in einer Gemeinsamen Erklärung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Drängen nach der Verankerung eines Parlamentsvorbehalts beim Übergang in die dritte Stufe zu Wirtschafts- und Währungsunion hat Erfolg gehabt. Wir haben immer gesagt, es darf keinen Automatismus beim Übergang von der zweiten Stufe zur dritten Stufe der Europäischen Währungsunion geben. Mit diesem Parlamentsvorbehalt — ich habe es in der ersten Lesung am 8. Oktober gesagt — wollten wir eine Sperre setzen, mit der die Aufweichung der harten D-Mark verhindert werden kann.
Die CDU — die CSU nicht — und die F.D.P. haben sich unserer Forderung nach einer erneuten Entscheidung des Deutschen Bundestages lange wiedersetzt. Sie haben sich im Sonderausschuß jetzt unserer Position angeschlossen.
Wir begrüßen das.
Mit der heutigen Erklärung des Deutschen Bundestages zur Wirtschafts- und Währungsunion wird die Bundesregierung aufgefordert, diesen Parlamentsvorbehalt einer erneuten Entscheidung des Deutschen Bundestages zu respektieren und ihn den EG-Partnern sowie der EG-Kommission mitzuteilen.
Frau Wieczorek-Zeul, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kittelmann?
Ja, wenn es nicht von der Zeit abgeht.
Frau Kollegin, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß sich die CDU/CSU und die F.D.P. nie dagegen gewandt haben und immer wieder gesagt haben, daß wir gemeinsam wollen, daß der Deutsche Bundestag vor Eintritt in die dritte Stufe die Entscheidung der Bundesregierung überprüft, und daß genau dies jetzt von uns gemeinsam verabschiedet worden ist, und daß Ihre Vorstellung von dem Parlamentsvorbehalt und von einer Art Opting-out niemals Wirklichkeit geworden ist und auch in der Resolution nicht zum Ausdruck kommt?
Verehrter Herr Kollege Kittelmann, der Unterschied zwischen Ihrer Position — der Position der CDU-Fraktion, sage ich ausdrücklich — in dieser Frage aus der letzten Debatte und der Position von F.D.P., SPD und CSU — muß man ja sagen — ist der zwischen Befassung — ich erinnere daran, in der letzten Debatte hat Kollege Lambsdorff gesagt, wenn es nur Befassung ist, dann können wir gleich Kaffee trinken gehen — und der Tatsache, daß wir jetzt im Text die Forderung haben, daß die Bundesregierung ein zustimmendes Votum des Deutschen Bundestages braucht, damit der Übergang in die dritte Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wirklich erfolgt, und daß sie dieses respektieren muß.
Wenn die Stabilitätskriterien 1996 und 1999 nicht stimmen, wird der Deutsche Bundestag keinem Übergang in die dritte Stufe zustimmen. Das heißt, die Wirtschafts- und Währungsunion in der dritten Stufe kommt nur, wenn die ökonomischen und die stabilitätspolitischen Kriterien stimmen.
Der Bundesrat wird am 18. Dezember eine gleichlautende Resolution verabschieden.
Frankfurt muß der Sitz der Europäischen Zentralbank sein. Auch dies betont die Bleichlautende Erklärung. Wir erwarten vom anstehenden Gipfel in Edinburgh eine entsprechende Entscheidung. Sie könnte in der Bundesrepublik das Vertrauen zu einer künftigen europäischen Währung eindeutig stärken. Deshalb ist eine solche Entscheidung für uns so wichtig und notwendig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir begrüßen die breite öffentliche Debatte über Demokratie, Föderalismus, Subsidiarität und Bürgernähe auch zu der heute vorliegenden Resolution. Diese Debatte ist eine Debatte über unsere Verfassung Europas. Sie hätte im Vorfeld von Maastricht stattfinden müssen, um in den Vertrag einzufließen.
Ob letztlich der Vertrag von Maastricht in Kraft tritt, ob ihn auch die Partner Dänemark und Großbritannien noch ratifizieren, steht augenblicklich dahin. Jenseits dieser Entscheidung sollten wir diese Debatte über eine künftige europäische Verfassung führen und deutlich machen, daß wir die Beteiligung von Bürgern und Bürgerinnen an diesen Entscheidungen brauchen.
An die Adresse der Bundesregierung sei die Warnung gerichtet: Wenn Maastricht im Laufe des nächsten Jahres nicht zustande kommt, dann sind j eden-falls keine kleineuropäischen Lösungen angesagt. Vor allem werden wir uns allen Versuchen widersetzen, die Ziele, die im Vertrag stehen, in Form zwischenstaatlicher Zusammenarbeit zwischen Regierungen zu verwirklichen, die sich weitgehend der parlamentarischen Kontrolle entzieht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa — das ist in diesen ganzen Diskussionen in den letzten Wochen und Monaten ein wenig in Vergessenheit geraten — ist eine Chance für junge Menschen. Es eröffnet ihnen Möglichkeiten neuer Kontakte, Erfahrungen anderer Länder, Regionen, Lebensweisen, Sprachen. Ihre Eltern haben davon nur träumen können. Daß es keines äußeren oder inneren Feindes bedarf, um
Heidemarie Wieczorek-Zeul
selber stark zu sein, das müssen wir ihnen als unsere Erfahrung vermitteln. Daß Zusammenleben mit anderen Nationalitäten Chance und nicht Gefährdung bedeutet, müssen sie selber erfahren.
Daß es dabei Konflikte gibt, ist klar. Daß sie zivil ausgetragen werden müssen, muß unsere Gesellschaft sicherstellen. Willy Brandts Versprechen „Wir wollen ein Volk guter Nachbarn sein, im Inneren und nach außen" ist für uns eine Verpflichtung von ungeheurer Aktualität.
Ich bedanke mich.
Als nächster spricht der Abgeordnete Irmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Draußen vor dem Wasserwerk weht neben der deutschen Fahne die Europafahne mit zwölf goldenen Sternen auf blauem Grund. Ich vermisse sie in diesem Saal. Vielleicht können wir sie demnächst auch hier hissen.
Gleichwohl, die Fraktion der F.D.P. wird dem Vertrag von Maastricht zustimmen.
Wir kennen die Bedenken, die aus Fachkreisen, aber auch bei Bürgern gegen das Vertragswerk vorgetragen werden. Leider, muß ich sagen, hat die Bundesregierung hier die Chance einer besseren Information vertan. Es wäre nützlich und notwendig gewesen, daß man nach Abschluß des Vertrags an die Öffentlichkeit gegangen wäre und versucht hätte, die Bedenken, die zum Teil berechtigt sind, zu zerstreuen.
Wir haben bei der Arbeit des Sonderausschusses alle Befürchtungen und Sorgen sehr ernst genommen und sorgfältig geprüft. Der Bericht des Sonderausschusses ist deshalb kein Jubelepos. Er ist eine nüchterne Bestandsaufnahme dessen, was ist, dessen, was sein wird, und auch dessen, was bei dem Vertrag noch fehlt. Der Bericht erwähnt auch, wo Maastricht Mängel hat und wo nach Maastricht eine Weiterentwicklung stattfinden muß.
Daß es Mängel gibt, ist im übrigen nicht Schuld der Bundesregierung. Ganz im Gegenteil: Die Bundesregierung hat bei den Verhandlungen getan, was sie konnte, um auch das durchzusetzen, was wir heute noch vermissen,
z. B. eine stärkere Ausgestaltung der Rechte des Europäischen Parlaments als eines der wichtigsten Elemente.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei Herrn Bundeskanzler Kohl und bei Herrn Bundesfinanzminister Waigel. Ich bedanke mich bei Hans-Dietrich Genscher, dem früheren Bundesaußenminister, dessen Verdienste um das europäische Einigungswerk bereits in die Geschichte eingegangen sind.
Seine Rolle ist von Klaus Kinkel übernommen worden, der ebenfalls als leidenschaftlicher Europäer versucht, die Einigung voranzutreiben.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit besonderen Dank der Staatsministerin Ulla Seiler-Albring aussprechen, die das Alltagsgeschäft in den europäischen Räten zu erledigen hat und dies mit großem Geschick und Engagement tut.
Ich sprach von den Sorgen und Bedenken der Bevölkerung. Ich rede nicht von Ängsten; ich vermeide dieses neumodische Wort. Angst ist Angst; da braucht es keinen Plural. Wenn aber von Sorgen und vielleicht sogar von Angst die Rede ist, dann richtet sich dies in erster Linie auf die Gefahr, die Deutsche Mark könne verlorengehen.
Zum Thema Wirtschafts- und Währungsunion wird nachher mein Kollege Helmut Haussmann in Einzelheiten Stellung nehmen. Ich möchte nur eines sagen: Der Vertrag von Maastricht schreibt die härtesten Stabilitätskriterien für die gemeinsame europäische Währung fest. Gegen die Befürchtung, diese Kriterien könnten aus politischen Gründen ausgehöhlt werden, haben wir im Ausschuß Vorkehrungen getroffen.
Wir haben zweierlei getan. Wir haben zum ersten gesagt, daß sich der Deutsche Bundestag vorbehalten wird, das Vorliegen der Kriterien vor Eintritt in die dritte Stufe noch einmal zu überprüfen.
Dies ist entgegen dem, was Sie, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, hier soeben gesagt haben, nicht die Möglichkeit, politisch zu entscheiden: „Wir wollen nicht", sondern es ist die objektive Überprüfung, ob die Kriterien vorliegen oder nicht. Dies ist eine objektive Feststellung, die wir allerdings unabhängig von der Bundesregierung noch einmal vornehmen werden.
Wir haben noch ein Weiteres getan: Wir haben in unserem Grundgesetz die Stabilität verankert. Der neue Art. 88 des Grundgesetzes spricht von der Europäischen Zentralbank, die unabhängig und dem vorrangigen Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist.
Damit hat die Geldwertstabilität auf europäischer Ebene bei uns nationalen Verfassungsrang. Das halte ich für ganz entscheidend.
Wir werden also auch hier weiterhin sehr wachsam sein und können deshalb unseren Bürgern versprechen: Zur Währungsunion kommt es nur, wenn die europäische Währung, die Euro-Mark, so stabil sein wird, wie wir es von unserer Deutschen Mark gewöhnt sind.
Es gibt des weiteren Befürchtungen, die sich mit der Bürokratie in Brüssel beschäftigen. Man fürchtet den Zentralismus, man fürchtet Regelungswut anonymer Instanzen, man fürchtet den Verlust nationaler und regionaler Identität.
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Ulrich Irmer
Diese Gefahren bestehen in der Tat. Wir sollten sie nicht als klein darstellen. Aber wer jetzt sagt, diese Gefahren würden durch Maastricht vergrößert, der unterliegt einem gewaltigen Mißverständnis; denn gerade der Vertrag von Maastricht ist der erste ernsthafte Versuch, derartigen Fehlentwicklungen nachhaltig entgegenzuwirken.
Fehlentwicklungen werden durch Maastricht korrigiert.
Ich erinnere an das Subsidiaritätsprinzip. Was bedeutet das? Der Ausdruck ist unverständlich. Viele Bürger wissen gar nicht, was sie damit anfangen sollen. Die Briten haben es neulich einmal so definiert, daß sie gesagt haben: Die EG soll sich nicht in Dinge einmischen, die sie nichts angehen. Ich möchte es auf die gute deutsche Formel bringen: Subsidiarität ist die Forderung: Laßt die Kirche im Dorf; regelt die Dinge dort, wo sie geregelt gehören, wenn sie überhaupt geregelt werden müssen!
Ich meine, daß wir auch nach Einführung des Subsidiaritätsprinzipes sehr sorgfältig darauf achten sollten, daß nicht infolge einer wohlgemeinten Deregulierung die Regulierungswut möglicherweise noch größer wird, als es bisher der Fall gewesen ist.
Subsidiarität regelt die Dinge dort, wo sie geregelt gehören. Das bedeutet praktisch: Macht um Gottes willen in Brüssel keine Schulpolitik und keine Familienpolitik! Das heißt aber ebenso: Laßt um Gottes willen in München die Finger von der Außenpolitik! Das ist nämlich ausschließlich Sache des Bundes.
Vieles, was unsere Bürger bedrängt, wird in Maastricht beantwortet. Wir schaffen den Einstieg in eine Zusammenarbeit in der Innen- und der Rechtspolitik auf der europäischen Ebene. Es ist dringend erforderlich, daß wir in den Flüchtlings- und Asylfragen zu gemeinsamen europäischen Regelungen kommen.
Dies wird durch Maastricht ermöglicht.
Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Drogenmafia — das Drogenunwesen breitet sich in unseren Städten wie die Pest aus — kann demnächst europäisch in Angriff genommen werden. Allein schaffen wir es ja nicht.
Wir erreichen durch Maastricht die Unionsbürgerschaft. Jetzt will ich, Frau Wieczorek-Zeul, eines sagen: Natürlich müssen Nicht-EG-Bürger, die seit langen Jahren bei uns hier leben, besser integriert werden; das ist gar keine Frage. Das sollte dadurch geschehen, daß wir ihnen anbieten, nach einer Reihe von Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, auch unter Inkaufnahme von Doppelstaatsangehörigkeiten.
Ich meine aber, daß Wahlrecht nach wie vor etwas mit Staatsangehörigkeit zu tun hat. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt.
Dies hat zur Konsequenz, daß wir die Unionsbürgerschaft auf Unionsbürger beschränken müssen. Für das Wahlrecht hat das allerdings die Konsequenz, daß wir auf längere Sicht den Unionsbürgern die Wahlrechte auch auf anderen Ebenen geben müssen, nämlich das Wahlrecht für die Landtage und für den Deutschen Bundestag,
abhängig von ihrem Wohnsitz — dies natürlich unionsweit auf Gegenseitigkeit.
Sie sind mit mir alle einig, daß die Demokratisierung der Union weitergetrieben werden muß. Was Maastricht zum Europäischen Parlament sagt, ist noch unbefriedigend. Inzwischen müssen wir Mitwirkungsrechte und Kontrollrechte von Bundestag und auch von Bundesrat verstärken. Dies geschieht, obwohl wir uns darüber klar sein müssen, daß all dies natürlich die Ausweitung der Rechte des Europäischen Parlaments nicht ersetzen kann.
Die Beteiligung des Bundesrats nach den von uns vorgeschlagenen Verfassungsänderungen ist im übrigen in keiner Weise unproblematisch. Durch die Grundgesetzänderungen wird das Verfassungsgefüge unseres Staates nachhaltig zugunsten des Bundesrats verschoben. Ich sage hier ganz eindeutig, daß wir von seiten des Bundesrates bei den Verhandlungen unter einem erheblichen Druck standen, nämlich der Drohung, Maastricht gegebenenfalls nicht zu ratifizieren, wenn wir nicht bereit gewesen wären, über das hinauszugehen, was wir von uns aus zuzugestehen bereit waren.
Daß dies so war, bürdet dem Bundesrat in Zukunft eine besondere Verantwortung auf.
Erstens. Die Handlungsfähigkeit des Bundes und der Bundesregierung darf nicht blockiert werden. Der Bundesrat muß jeder Versuchung in dieser Richtung energisch widerstehen.
Zweitens. Das Subsidiaritätsprinzip gilt auch im Verhältnis der Länder zu den Städten und Gemeinden. Das muß ernstgenommen werden.
Drittens. Das Demokratiedefizit, das wir alle beklagen, wird durch diese Regelungen im Bereich der Länder erweitert; denn Rechte haben nach den Neu-
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Ulrich Irmer
regelungen nur die Regierungen der Bundesländer, nicht die Landtage.
Ich fordere die Kollegen in den Landtagen auf, Druck zu machen, damit sich dieses ändert.
Glaubwürdigkeit des Bundesrates in Sachen Demokratie, Föderalismus und Subsidiarität stehen auf dem Prüfstand. Wir werden dies sorgfältig beobachten.
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir jubeln nicht zu Maastricht und den Grundgesetzänderungen. Aber wir sind trotz aller Bedenken für Maastricht; denn ich sage Ihnen eines: Der Vertrag von Maastricht ist auch ein Bollwerk gegen die Angst. Rings um uns herum brechen vertraute Strukturen zusammen. Das Gespenst der Apokalypse ist zwar gebannt, aber plötzlich stellen wir fest: Krieg in Europa ist wieder möglich.
Da kann doch unsere Antwort nur die sein: Halten wir an dem Erreichten, an dem Erstrittenen, an dem Bewährten fest, und bauen wir es zu noch größerer Stabilität, zu noch größerer Verläßlichkeit aus.
Die Vereinigung Deutschlands war nur durch den Verzicht auf deutsche Alleingänge möglich. Maastricht ist auch und gerade für die Rolle des vereinten Deutschlands unverzichtbar; denn Maastricht schafft die unwiderrufliche Einbindung unseres Landes in überstaatliche Strukturen. Dies ist das beste Mittel auch gegen übersteigerten Nationalismus.
Was wir heute Tag für Tag, Nacht für Nacht in unserem Lande erleben, ist schandbar. Wir müssen die Antwort geben, natürlich die Täter zu verfolgen und alle rechtsstaatlichen Mittel einzusetzen. Aber wir müssen auch die politische Antwort geben, daß wir unsere Integration in Europa verstärkt vorantreiben.
Wir alle beobachten mit Erschütterung und Trauer die Ereignisse in Jugoslawien. Hier ist der EG vielfach vorgeworfen worden, sie hätte versagt. Ich sage Ihnen: Sie konnte nicht viel mehr tun, weil sie nicht die Instrumente und nicht die Strukturen zu ihrer Verfügung hatte. Dem dient das Kapitel über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik inklusive der Perspektive einer europäischen Verteidigungspolitik mit auf längere Sicht auch einer gemeinsamen europäischen Verteidigung.
Gegen den Vertrag von Maastricht ist vielmals gesagt worden, er sei das Papier nicht wert, auf dem er steht. Auch bei der Schlußakte von Helsinki hat man das gesagt — und Helsinki hat sich als der Treibsatz für die Umwälzungen in Europa in Richtung Freiheit und Demokratie entwickelt. Maastricht kann und wird dieselbe Wirkung haben.
Lassen Sie mich mit zwei Zitaten schließen. HansDietrich Genscher hat immer Thomas Mann zitiert, und Thomas Mann hat gesagt: Wir wollen kein deutsches Europa, . wir wollen ein europäisches Deutschland.
Hans-Dietrich Genscher selber hat gesagt: Deutsche Politik ist um so nationaler, je europäischer sie ist.
Handeln wir in diesem besten Sinne heute national, und handeln wir in diesem besten Sinne heute deutsch! Ratifizieren wir den Vertrag von Maastricht!
Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Modrow.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch die PDS/Linke Liste will die europäische Einigung.
Gerade deshalb wird sie dem Vertrag von Maastricht nicht zustimmen; denn unser Ziel ist ein friedliches, nicht militaristisches, demokratisches, rechtsstaatliches, soziales und ökologisches Europa. Wenn wir „Europa" sagen, meinen wir Europa und nicht nur einen Teil davon, einen Kontinent, auf dem die Staaten, Völker und Regionen freiwillig und gleichberechtigt zusammenarbeiten. Dabei kann und soll man in diesem Sinne die EG verändern, soll sie eine Rolle spielen.
Wir sind gegen den Vertrag nicht zuletzt wegen des Verfahrens, mit dem er zustande kam und das allzu sehr an das Modell des Zusammennagelns erinnert, das deutsche Einheit genannt wird. So etwas können und dürfen wir uns schon gar nicht leisten, wenn es um Europa geht.
In kaum einer anderen Sache sind die Meinungen in Europa so gegensätzlich wie zu Maastricht. Verantwortungsvolle Politiker sollten das ernst nehmen, statt zu versuchen, trickreich darüber hinwegzutäuschen. Es ist mehr als kurzsichtig, diejenigen, die Bedenken anmelden, zu verunglimpfen und als Europa-Gegner abzustempeln, statt sich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen.
Ich denke, eine der wichtigsten Ursachen ist, daß viele Menschen Grund haben, zu glauben, Maastricht schaffe einen bürokratisch-zentralistischen Überstaat, der ihre demokratischen Rechte abbaut, ihre soziale Lage verschlechtert, ihre kulturelle Identität zerstört, Europa, selbst Westeuropa, eher spaltet, statt es zu integrieren.
Genau das ist doch der Punkt. Zu viel spricht dafür, daß Maastricht Europa gleich mehrfach spaltet: zwischen Ost und West, Nord und Süd, Arm und Reich, zwischen den Regierungen und den Bürgerinnen und Bürgern. Genaugenommen gilt das schon jetzt. Mehr noch wird das bei der nächsten Stufe der Integration
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Dr. Hans Modrow
gelten, deren Bedingungen mit Sicherheit nicht von allen Ländern erfüllt werden können, nicht einmal von allen Gründungsmitgliedern.
So verstehen viele Millionen Menschen sehr gut, daß Maastricht über die offene Marktwirtschaft der freien Konkurrenz den Weg für die Stärksten und dabei insbesondere für eine Vorherrschaftsrolle des größer gewordenen Deutschlands freimachen soll.
Der beängstigende Rechtsruck in unserem Land, der um sich greifende Rassismus und Neofaschismus, zügelloser Fremdenhaß und Antisemitismus machen den Stimmungsumschwung, die Ablehnung von Maastricht in anderen Ländern um so verständlicher.
Was in der bisherigen Ratifizierungsdebatte und auch heute hier im Bundestag geschieht, ist eigentlich paradox: In den vergangenen Wochen wurde der Vertrag mit ernst zu nehmenden Argumenten so richtig auseinandergenommen. Das gilt auch für den größeren Teil der Arbeit im Sonderausschuß. Sein Bericht liest sich in beträchtlichen Passagen wie die Aufzählung gravierender Mängel des Vertrags. Eigentlich hätte er mit der Beschlußempfehlung schließen müssen, den Vertrag abzulehnen und Neuverhandlungen zu fordern. Aber keine der Parteien mit Ausnahme der PDS, die Ihnen dazu einen Antrag vorlegt, konnte sich zu einer solchen Schlußfolgerung durchringen.
— Das wird sich zeigen, wie dumm die Dinge sind. Sie leben heute tief genug in Konflikten und Problemen. Über manche Dummheit, über Fehler, die Sie gemacht haben, sprechen Sie heute ja schon offen genug.
Zumindest an die SPD muß die Frage gestattet sein, worin sie ihre Oppositionsrolle sieht, wenn sie ihre ernsten und sehr berechtigten Bedenken zu Protokoll gibt, aber schon zuvor erklärt, sie werde zustimmen.
Das Mindeste, was bei einem solchen für das Leben der Bürger so entscheidenden Vertrag verlangt werden muß, ist, vor dessen endgültigem Inkrafttreten das Volk demokratisch nach seinem Willen zu fragen. Schließlich soll sich die Bundesrepublik laut Vertrag zu einem Gliedstaat eines supranationalen Gemeinwesens entwickeln, das weitaus mehr als eine zwischenstaatliche Organisation ist. Selbst wenn man das so oder so bewertet, zielt es auf eine grundsätzliche Umgestaltung der deutschen Staatlichkeit, über die nur das Volk selber entscheiden kann. Wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Ihm zufolge sollen die Bürgerinnen und Bürger über eine Europäische Union frei entscheiden können.
Zugleich sind wir dafür, daß in einer zweiten Frage über den Weg dorthin entschieden wird. Die Menschen wollen kein Europa des bürokratischen Zentralismus, der politischen Eliten, sondern ein Europa schöpferischer Vielfalt und regionaler Identität, ein Europa der Bürger und der Demokratie.
Es gibt noch andere gewichtige Gründe, Maastricht abzulehnen. Das damit vorgelegte Integrationskonzept beschränkt sich auf Kriterien der finanziellen Rentabilität, auf einen währungspolitischen Kernbereich, dem sich alle anderen Politikbereiche unterzuordnen haben. Die Gemeinverträglichkeit der sich vollziehenden Prozesse wird in wesentlichen Bereichen grob verletzt. An eine Wirtschaftsunion ist längst nicht zu denken. Die Sozialunion wird gänzlich ausgeklammert. Umweltschutzmaßnahmen stehen hintan. Hat denn die deutsche Einheit nicht deutlich genug gezeigt, welche kolossalen Schwierigkeiten vor allem für die Bürgerinnen und Bürger entstehen, wenn die Währungsunion aus politischen Gründen an den Anfang gestellt wird?
Der Abstand zwischen reicheren und ärmeren Regionen wächst, statt sich zu verringern. Strukturpolitik und Sanierung haben keine Chance. Maastricht mag die Stärksten in Westeuropa für den Konkurrenzkampf mit den USA und Japan wappnen, wird aber in Westeuropa mehr ärmere Regionen entstehen lassen, zur Lateinamerikanisierung Osteuropas beitragen und die Ausbeutung der Dritten Welt verstärken.
Es ist ein Täuschungsmanöver zu behaupten, daß die EG für die Bereiche Sozialpolitik und Arbeitsrecht und bezeichnenderweise auch für den Umweltschutz ja Mindestvorschriften erlassen werde und jedes Mitglied selbst höhere Standards verwirklichen könne. Unter Berufung auf ebendiese Mindeststandards der EG und die Notwendigkeit der Bewahrung des Industriestandorts Deutschland werden schon heute sogenannte Abschmelzbewegungen vollzogen bzw. in Aussicht genommen, die sich letztlich auf dem untersten Niveau einpendeln sollen. Man braucht doch bloß zu erklären, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht zu halten, die Produktion nicht mehr absetzbar und die Arbeitslosenheere die Folge seien, wenn die sozialen und die demokratischen Standards nicht reduziert würden. Wer das verhindern möchte — wer will das nicht? —, muß dem Sozial-und Demokratieabbau dann zustimmen.
Wir negieren nicht, daß dem europäischen Parlament mit Maastricht ein paar Rechte mehr als bisher zugebilligt werden. Aber das Entscheidende ist, daß die Zuständigkeiten für wichtige Bereiche der Politik abgegeben werden sollen, ohne dafür auf der Europaebene demokratische Entscheidungsstrukturen und eine hinreichende Kontrolle zu schaffen, Die Bundesregierung kann damit über den Umweg von Brüssel immer mehr zu ihrem eigenen Gesetzgeber werden. Das aber widerspricht selbst dem neuen Art. 23 des Grundgesetzes, den die Koalitionspartner gemeinsam mit der SPD vorschlagen und der voraussetzt, daß die Europäische Union demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet ist.
So positiv gegenüber der bisherigen EG die Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips an sich sein mag, mit seinen verschwommenen Formulierungen kann man alles und nichts begründen. Kollege Irmer, wenn Sie von der Kirche im Dorf sprachen, sage ich: Wo die Glocken klingen und wie sie klingen, ist mit dem
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Dr. Hans Modrow
Subsidiaritätsprinzip überhaupt nicht geklärt und festgelegt.
Auch der vorgesehene Regionalausschuß kann nur beratend tätig werden.
Für besonders gefährlich an Maastricht halten wir, daß die Bundesregierung sicherheitspolitisch die Grundlagen dafür schaffen will, weltweit eine militärische Rolle zu spielen. Trotz des Fehlens jeder militärischen Bedrohung der EG-Länder wird nicht die schrittweise Reduzierung der Rüstungen und eine Demilitarisierung Europas, sondern die Schaffung einer gemeinsamen Militärmacht in den Mittelpunkt gerückt. Dabei ist doch völlig zweitrangig, ob dies unmittelbarer Bestandteil des Vertrages ist oder nur als Ziel anvisiert wird.
Auch eine gemeinsame Polizeipolitik ist doch nicht etwa darauf gerichtet, die Rechtsstaatlichkeit zu erhöhen und Bürgerrechte zu entfalten. Unter dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung lassen sich sehr wohl polizeistaatliche Methoden durchsetzen, läßt sich der Datenschutz verletzen, und man kann sich dabei noch mit dem Hinweis auf Brüssel herausreden.
Wer Maastricht ablehnt, muß sich natürlich die Frage gefallen lassen: Wie dann? Werden nicht die bisherigen Integrationsergebnisse in Frage gestellt? Werden nicht die Tendenzen des Nationalismus, Rechtsextremismus und des Fremdenhasses zusätzlich Auftrieb erhalten? Ich wiederhole: Auch aus unserer Sicht gibt es zu einem vereinten Europa keine ernst zu nehmende Alternative. Wie oft wurde vom europäischen Haus gesprochen, in dem alle friedlich zusammenleben wollen? Es besteht aber die Gefahr, daß eben die überstürzten Entscheidungen von Maastricht solche dramatischen Fehlentwicklungen einleiten können, die langfristig zu schweren Belastungen, wenn nicht sogar zu Schlimmerem führen werden. Wir fordern deshalb für die europäische Einigung einen anderen Ansatz.
Erstens sollen die grundlegenden Probleme der Entwicklung in Europa in einer vorwärtsweisenden, jeweils am fortschrittlichsten Standard ausgerichteten gesamteuropäischen Perspektive und unter Ausschluß jeglichen Vorherrschafts- und Dominanzstrebens gelöst werden. Im Kern zielt das auf ein Europa der Staaten, Völker und Regionen, die schrittweise eine wirtschaftliche, soziale und ökologische Angleichung auf einem hohen Niveau ohne Verlust der jeweiligen Identität anstreben, auf ein Europa, das die ost- und südosteuropäischen Staaten wirklich einbezieht und auf den Ausgleich mit der Dritten Welt gerichtet ist. Diese Prozesse der Angleichung müssen auf eine realistische Weise angegangen und durch eine unterstützende Umlenkung von Ressourcen gefördert werden.
Zweitens müssen die Interessen der großen Mehrheit der arbeitenden Menschen Europas in den Mittelpunkt gestellt werden. Die Einwirkungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten der Lohnabhängigen dürfen nicht an den bisherigen Landesgrenzen haltmachen. Parallel zur Vertiefung der Zusammenarbeit und Integration — nicht erst als weit in der Zukunft liegendes Ziel — muß eine Sozialunion geschaffen werden. An die Stelle des Protokolls von Maastricht müssen europaweit gültige, völkerrechtlich verankerte Grundrechte und garantierte Ansprüche treten, ohne die die europäische Zusammenarbeit nicht realisiert werden darf.
Ein besonderer Schwerpunkt jeglichen europäischen Vorgehens muß drittens die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sein. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, in der EG die Verpflichtung durchzusetzen, daß im Falle des Überschreitens einer bestimmten Schwelle der Arbeitslosigkeit — z. B. von 3 % — staatliche Beschäftigungsprogramme aufzulegen sind, die aus Sonderabgaben der großen Unternehmen und Kapitalgruppen bzw. aus der Friedensdividende zu finanzieren sind. Gleiches könnte erreicht werden, wenn ein europäischer Fonds zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geschaffen würde.
Viertens müssen nichtmilitärische, im wahrsten Sinne des Wortes friedenstiftende Rahmenbedingungen und Strukturen für die Entscheidungsmechanismen eines vereinten Europas festgelegt werden. Auch das Flüchtlings- und Asylantenproblem löst man nicht durch die Errichtung neuer Mauern, schon gar nicht mit Polizei und Militär, sondern nur durch eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung, die das Elend und den Hunger in der Dritten Welt beseitigt und die sozialen Probleme in Osteuropa lösen hilft.
In diesem ganzheitlichen Ansatz bei der Gestaltung Europas sollten sich sowohl gesamteuropäische als auch globale Aspekte in einer vernünftigen Synthese vereinen. Es geht um ganz Europa, nicht um Europa als europäischer Superstaat, auch nicht als zentralistisch geführte EG, sondern um eine freiwillige und gleichberechtigte Zusammenarbeit der Staaten, Völker und Regionen. Diese Zusammenarbeit muß sowohl über Verträge gewährleistet als auch durch gemeinsame Organisationen und Einrichtungen, die demokratisch zustande kommen und die kontrolliert werden, vorangebracht werden.
Wir wissen sehr wohl, daß solche Forderungen angesichts der heutigen Lage und um so mehr dann, wenn Maastricht Realität würde, beinahe einer Utopie gleichkommen. Sie müssen aber dennoch erhoben werden, denn sie entsprechen nicht nur einer moralischen Pflicht, sondern sie sind auch lebensnotwendig für die Völker.
Als nächster spricht der Abgeordnete Poppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Prager und Budapester Intelektuelle Mitte der 80er Jahre den Begriff Mitteleuropa wiederbelebten, der nach zwei Weltkriegen fast vollständig aus dem Sprachgebrauch verschwunden war, geschah dies wohl nicht nur in Auflehnung gegen 40jährige sowjetische Herrschaft, sondern erinnerte den Westen zugleich an seinen allzu nachlässigen Umgang mit dem Wort Europa, was damals — und leider ist es bis heute so — ausschließlich auf die EG-Staaten angewandt wurde
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Gerd Poppe
Wenig später kam es — bemerkenswerterweise im Westteil Berlins — zu einer Begegnung von Schriftstellern und Intellektuellen aus jenem „fernen" Mitteleuropa — sofern sie reisen durften oder emigriert waren — und aus Westeuropa. Die Veranstaltung hatte den Titel „Ein Traum von Europa". Wieder etwas später, nach den revolutionären Ereignissen von 1989/90, sollte nun darangegangen werden, den Traum in die Realität zu verwandeln: ein friedliches und freiheitliches Europa zu schaffen, eine zivile Gesellschaft. Jene nun etwas näher gerückten Mitteleuropäer verkündeten die „Rückkehr nach Europa".
Das Resümee nach drei Jahren: Statt des ersehnten Friedens herrscht Krieg in Europa. Statt erhoffter schneller gesamteuropäischer Integration wird diese auf eine ferne Zukunft verschoben. Der Westen hat mit zum Teil selbstgeschaffenen Krisenerscheinungen zu kämpfen. Mitteleuropa, der ersehnte Ort der Zivilisation, ist nach Morden und Brandanschlägen in Deutschland und anderswo erneut in Gefahr geraten, zum Ort der Barbarei zu werden. Wir sind aus unserem Traum von Europa erwacht und haben Maastricht bekommen.
Immerhin, so könnte man sagen.
Aber Skepsis ist allemal angebracht. Und so wird die große Mehrheit in diesem Hause, wenn sie heute für die Ratifizierung des Vertrages von Maastricht stimmt, dies wohl nicht mit großer Begeisterung tun, sondern eher trotz aller Bedenken. Es ist schon eine merkwürdige Situation: Man ist sich einig, daß dieses Werk sehr kritisch zu bewerten ist, meint aber, ihm als dem kleineren Übel die Zustimmung nicht entziehen zu können.
Die Bundesregierung hat sich ohne Wenn und Aber auf dieses Ergebnis festgelegt und hat die Parole ausgegeben: „Ohne Maastricht stirbt Europa."
Damit hat sie einen Mechanismus in Gang gebracht, den man eine sich selbst erfüllende Prophezeiung nennen könnte. Zwar weiß niemand, ob und wieso sie eintreffen sollte, aber es genügt der Glaube daran und der Druck, den er erzeugt. Glaubensbekenntnisse werden übrigens von allen Seiten verbreitet, von Befürwortern und Gegnern des Vertrages.
Bemerkenswert ist die Hektik, mit der die Bundesregierung und der Bundestag auf die Tatsache reagierten, daß der Vertrag nach den dänischen und britischen Entscheidungen nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt in Kraft treten kann, die fieberhafte Eile, mit der der Sonderausschuß gearbeitet hat, die heutige Sondersitzung.
Müssen wir uns Mut machen angesichts der bestürzenden Ereignisse? Oder wollen wir unseren Nachbarn signalisieren, daß wir zu einer noch festeren Einbindung in internationale Zusammenhänge entschlossen sind und sie uns nicht zu fürchten haben? Oder wollen wir nur die eigenen Zweifel am Erfolg von Maastricht überspielen? Wohl von allem etwas.
Zweifel sind in der Tat angebracht. Für eine kritische Sicht gibt es genügend Anlaß. Was heute verabschiedet werden soll, dient der Kontinuität der wirtschaftlichen Integration Westeuropas zu Lasten seiner Demokratisierung. Es ist der Zusammenschluß des reichen Teils Europas ohne und im ungünstigen Fall auch gegen seinen ärmeren Teil. Wenn das Ziel die Schaffung einer demokratischen Union, einer Umwelt- und Sozialunion und deren Erweiterung auf ganz Europa sein soll, dann ist zu fragen, ob die Besitzstandswahrung eines reichen Kerns in Westeuropa oder gar der Ausbau seiner Großmachtstellung als Mittel dafür tauglich ist.
Der Vertrag von Maastricht formuliert weder die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen als gleichrangiges Ziel neben dem Gemeinsamen Markt, noch gibt er den Einstieg in die dringend notwendige ökologische Steuerreform. Er bietet auch sozialpolitisch keine strukturgestaltende Dimension. Statt sich z. B. in Richtung auf eine existenzsichernde Grundversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger der Union und eine für alle Mitgliedstaaten rechtsverbindliche Konvention sozialer Grundrechte hin zu bewegen, kommt der Vertrag nicht über die traditionelle Umverteilungspolitik hinaus.
Zu viele Kompetenzen sind der Exekutive vorbehalten, zu wenige erhält das Europäische Parlament. Die Einwanderungs- und Asylpolitik gehört z. B. zu den Bereichen, die innerhalb der Regierungszusammenarbeit verbleiben und damit legislativen Beratungen entzogen sind, wodurch die Gefahr besteht, daß die europäischen Regierungen ohne Korrekturmöglichkeiten seitens des Europäischen Parlaments Vereinbarungen treffen, die unter der euphemistischen Überschrift der „Harmonisierung" die Vorzüge einer bisher offenen Gesellschaft in Frage stellen. Nicht zuletzt aber an der humanen und rechtstaatlichen Lösung der Probleme, die die aktuellen Wanderungsbewegungen aufwerfen, wird die Qualität europäischer Demokratie gemessen werden müssen.
Einen meiner grundsätzlichen Kritikpunkte habe ich durch meine Eingangsbemerkung schon angedeutet: den Begriff von Europa, der diesem Vertrag zugrunde liegt. Die andere Hälfte Europas wird in vielen Kommentaren zum Vertrag von Maastricht als Sicherheitsrisiko bezeichnet — zwar aus zugegebenermaßen guten Gründen, aber dennoch zu kurz greifend —, dem der Stabilitätsanker Europäische Union entgegengestellt werden soll. Stabilität wird aber nur dann erreichbar sein, wenn den ehemals sowjetisch dominierten Staaten eine klare Perspektive gegeben wird, wie sie ihrerseits eine stabile Entwicklung erreichen. Weder der Maastrichter Vertrag noch die bisherigen Regierungskonferenzen, noch die Assoziierungsabkommen bieten dafür eine ausreichende Konzeption.
Deshalb erneuere ich unsere Forderung nach deutlichen Signalen für die Eröffnung einer langfristigen Perspektive der Einbindung, die der „Gemeinsamen Erklärung der Außenminister der EG und der" — sogenannten — „Visegrad-Länder", also Polens, der Tschechischen und Slowakischen Republiken sowie Ungarns, vom 5. Oktober diesen Jahres entspricht: unverzügliche Einbeziehung dieser Staaten in die
Gerd Poppe
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und Herstellung eines Beobachterstatus im Europäischen Parlament.
Natürlich erstreckt sich diese Forderung auch auf die Sicherheitspolitik. Dazu sollten die gemeinsame Sicherheitspolitik und die längerfristig erwogene gemeinsame Verteidigungspolitik perspektivisch auf die KSZE als ein über die EG hinausreichendes Instrument bezogen werden, statt sie als Vehikel zum Ausbau der WEU zu benutzen. Die WEU-Option verweist doch zu sehr auf die traditionelle Vorstellung von einem westeuropäischen Militärbündnis gegen potentielle Feinde, aus welcher Himmelsrichtung sie auch kommen mögen. Die Alternative wäre ein kollektives Sicherheitssystem für ganz Europa, wie es mit der KSZE im Keim vorhanden und mit dem entsprechenden Willen ausbaufähig ist.
Der harte Kern des Unionsvertrages ist unstreitig die Wirtschafts- und Währungsunion. Auch hier und besonders hier erscheint als tragendes Element der Stabilitätsgedanke. Wir zweifelhaft diese Stabilität ist, zeigt der Umstand, daß schon die Bundesrepublik die vereinbarten Konvergenzkriterien für den Beitritt der Währungsunion gegenwärtig nicht erfüllen könnte. Nichts spricht dafür, daß sie dies in ein paar Jahren kann, am allerwenigsten die Haushaltspolitik der Bundesregierung.
Wenn die Währungsunion also schon vor ihrem Inkrafttreten an Unglaubwürdigkeit krankt, dann muß doch die Frage gestellt werden, welche Möglichkeiten diejenigen Staaten haben, die — wie schon jetzt abzusehen ist — außerstande sein werden, diese Kriterien zu erfüllen. Das wird eine Reihe jetziger EG-Mitglieder betreffen, erst recht aber die ostmitteleuropäischen Beitrittsanwärter. Erstere sind mittels Kohäsionsfonds noch einigermaßen abgesichert, letztere aber haben außer gutgemeinten Ratschlägen und vielen Absichtserklärungen wenig zu erwarten.
Es gibt, meine Damen und Herren, also gute Gründe, mit Maastricht unzufrieden zu sein. Wer die Ratifizierung ablehnt, muß nicht gegen Europa sein. Den Umkehrschluß jedoch — wer für Europa ist, muß gegen den Vertrag stimmen — halte ich für unzutreffend und irreführend. Wer so argumentiert, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, das beklagenswerte Defizit an öffentlicher Auseinandersetzung und Mitentscheidung sowie den daraus ableitbaren Akzeptanzmangel von Teilen der Bevölkerung auf billige Weise für die eigenen Ziele zu benutzen. Dies ist nicht weniger fragwürdig als der Versuch, Unsicherheit und Schweigen vieler Menschen als Zustimmung zu werten.
Geboten sind weder Schönfärberei noch Schwarzmalerei, sondern Transparenz und öffentlicher Diskurs. Wir bleiben bei unserer Auffassung, daß an dessen Ende ein Volksentscheid stehen sollte. Deshalb haben wir unseren diesbezüglichen Antrag aufrechterhalten und außerdem einen Gesetzentwurf zur Verankerung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid im Grundgesetz eingebracht.
Es ist richtig, daß die bisherigen EG-Regelungen bestehenbleiben, falls Maastricht scheitert. Dies würde jedoch nicht zwangsläufig bedeuten, daß die
EG auf lange Sicht so bliebe, wie sie ist, und daß beliebige Zeit für Neuverhandlungen zur Verfügung stünde. Ablehnung könnte zum Rückschlag führen, zur Rückkehr zu einer einseitigen Betonung nationalstaatlicher Politik innerhalb der EG. Sie würde darüber hinaus nationalistischen Kräften in Europa Auftrieb geben.
Angesichts des Völkermords in Bosnien und neonazistischer Mordbrennereien in der Bundesrepublik benötigen wir jedoch eindeutige Signale, Entscheidungen von großer Tragweite, die belegen, daß Nationalismus und Rechtsextremismus in Deutschland keine Chance haben. Die feste Einbindung in eine internationale, europäische Ordnung ist ein solches Signal. Sie ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Die heutige Ratifizierung ist nur der Beginn, die Absichtserklärung, sich auf die große historisch-politische Aufgabe einer gesamteuropäischen Union einzulassen. Weitere Verträge, die die soziale und ökologische Ausgestaltung, die Demokratisierung und die perspektivische Einbeziehung der ostmitteleuropäischen Staaten betreffen, müssen bald folgen. Nur eine demokratische, ökologische und soziale Union, die von der breiten Mehrheit der Europäer getragen wird, kann ein entscheidendes Gegengewicht gegenüber den nationalistischen Gefahren bilden.
Ich habe durchaus Zweifel daran, daß der Maastrichter Vertrag tatsächlich in die beschriebene Richtung führen wird. Mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit kann er dem auf längere Sicht sinnlosen Unterfangen des Ausbaus einer westeuropäischen Wohlstandsfestung dienen.
Der Abschlußbericht des Sonderausschusses, der heute im Falle einer Ratifizierung von Ihnen, meine Damen und Herren, mit bestätigt wird, überspielt die Schwächen des Maastrichter Vertrages nicht und verweist an vielen Stellen auf Möglichkeiten seiner Fortschreibung. Diesen Konsens der großen Bundestagsmehrheit vorausgesetzt, überwinde ich — im Gegensatz zu einigen meiner Kolleginnen und Kollegen — meine Skepsis und stimme der Ratifizierung zu in der Hoffnung, es eines Tages nicht bereuen zu müssen.
Es spricht jetzt der Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die Verfassungsväter und Verfassungsmütter unser Grundgesetz von 1949 endgültig formulierten, nahmen sie in die Präambel aus ihrer persönlichen Lebenserfahrung und aus der Erfahrung unseres Volkes bei den Heimsuchungen der Geschichte den Satz auf, daß das deutsche Volk „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt" dienen wolle. Bei aller Skepsis, bei all den Befürchtungen, die ich durchaus sehe, und bei all dem, was man an Kritik an dem Vertrag von Maastricht üben kann — er ist ein Kompromiß —, bin ich sicher, daß wir mit diesem Vertragswerk von Maas-
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Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
tricht dem Ziel der Präambel unseres Grundgesetzes ein entscheidendes Stück näher kommen.
Ich glaube, es ist wichtig, daß wir in dieser Stunde — und es ist in der Tat eine historische Stunde — an die Bemühungen einer ganzen Generation erinnern, die zu dieser Europäischen Union führen. Wir setzen damit eine Politik fort, die alle meine Amtsvorgänger und alle Bundesregierungen seit 1949 immer als einen wichtigen Auftrag deutscher Politik gesehen haben. Wir verwirklichen eine Vision — wir werden ja oft nach Visionen gefragt —, die von den großen Europäern der Nachkriegszeit — ich nenne für viele Robert Schuman, Alcide de Gasperi, Paul-Henri Spaak und Konrad Adenauer — entworfen worden ist. Es waren Männer und Frauen, die aus der leidvollen Geschichte Europas — vor allem in diesem Jahrhundert — mit Mut, mit Weitsicht und mit großem persönlichen Engagement die Konsequenzen gezogen haben.
Man muß schon die Spanne der Geschichte dieses Jahrhunderts durchschreiten, um sich einmal darüber klar zu werden, was diese Stunde auch für uns, die Deutschen, bedeutet. Ich spreche bewußt die Resolution der sozialdemokratischen Bewegung vor dem Ersten Weltkrieg an. Sie können das bei Bebel nachlesen. Sie können es bei dem ersten Gefallenen des Reichstags, dem Mannheimer Abgeordneten Frank, nachlesen. Sie können es in den Briefen gefallener Soldaten des Ersten Weltkriegs nachlesen. Sie finden es in vielen Zeugnissen der Zeit zwischen 1918 und 1933. Sie finden es in eindrucksvoller Weise in den Dokumenten des 20. Juli; wenn Sie etwa das nachlesen, was im Kreisauer Kreis gedacht und entworfen wurde.
All die, die Europa auf diesen Weg bringen wollten und jetzt endgültig bringen, wollten einen neuen Weg beschreiten. Sie haben — ich glaube, das darf man sagen — die Grundlage für eine beispiellose Erfolgsgeschichte gelegt; denn bei allen Notwendigkeiten, über europäische Agrarpolitik, über europäische Zölle, über die Probleme des Alltags zu reden, sollten wir eines nicht vergessen: daß wir heute in Westeuropa in der längsten Friedensperiode seit Mitte des 19. Jahrhunderts leben. Nur 21 Jahre nach dem Ende des Ersten begann der Zweite Weltkrieg. 43 Jahre nach der Reichsgründung 1871 brach der Erste Weltkrieg aus. Wir, die Heutigen, leben schon seit 47 Jahren in Frieden, und wir haben die sichere Gewißheit, daß dies auch weiterhin so bleiben kann. Das ist eine großartige Sache.
Dies ist nicht zuletzt auch das Verdienst der Europäischen Gemeinschaft. Sie hat mit dazu beigetragen, alte Feindschaften und nationale Rivalitäten, die es natürlich bis zum heutigen Tag gibt und immer geben wird, in Partnerschaft, ja sogar in Freundschaft zu überwinden. Sie hat uns die Chance gegeben, zu einer immer enger werdenden wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit zu kommen. Sie hat uns — darüber wird fast nie gesprochen — auch unter den Zwang gestellt, uns in die Vorstellungen unserer Partner hineinzudenken. Das gibt uns in Deutschland auch die — nicht von allen genutzte — Möglichkeit, darüber nachzudenken, was man dem anderen zumuten kann, dem Nachbarn, dem Partner.
Wir, die Deutschen, sollten vor allem eines nie vergessen: Ohne die feste Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die europäische Integration wäre auch die friedliche Vereinigung unseres Vaterlandes so schnell nicht möglich gewesen.
Ich erinnere mich an manches Gespräch im Jahre 1990, wenn Hans-Dietrich Genscher von den Zwei- plus-Vier-Verhandlungen zurückkehrte, wo unsere Argumente nicht immer die stärksten waren und wo unsere europäischen Partner geholfen haben, weil wir längst auf einem gemeinsamen Weg in Europa waren. Die deutsche Einheit und die europäische Einigung sind, so verstanden, zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Meine Damen und Herren, wir alle brauchen dieses Europa, wie alle in Europa, aber für uns Deutsche ist Europa die Schicksalsfrage schlechthin. Wer die Geschichte unseres Landes im letzten Jahrhundert, vor allem im Zeitalter des nationalstaatlichen Denkens, kennt, weiß, daß auf Grund unserer geographischen und geopolitischen Lage mehr als in allen anderen europäischen Ländern in der Mitte Europas unsere Probleme immer auch die Probleme Europas sind. Das, was hier geschieht — wir erleben es in diesen Tagen in einer leidvollen Weise — findet mehr Widerhall in der Welt und damit auch in Europa als das, was in irgendeinem anderen Land geschieht. Deswegen ist es uns nicht gleichgültig, sondern es ist schicksalhaft, welchen Weg Europa geht, ob wir, die Deutschen, uns unwiderruflich auf den wirtschaftlichen und politischen Zusammenschluß festlegen oder ob wir unsere Hand reichen zu einem Rückfall in vergangene Zeiten, in nationale oder gar machtpolitische Rivalitäten.
Dies ist in Wahrheit die Kernfrage der jetzigen Diskussion über die Europapolitik und über den Vertrag von Maastricht.
Angesichts des dramatischen Umbruchs in Mittel-, Ost- und Südosteuropa braucht unser Kontinent mehr denn je einen festen Anker der Stabilität und damit auch eine starke Europäische Gemeinschaft.
Die Aufgaben, vor die uns die internationale Lage stellt, können wir, auch wenn es manche immer noch glauben, nicht mehr mit den herkömmlichen Mitteln nationaler Politik lösen.
Wer sich einbildet, den deutschen Interessen, den Interessen unseres Volkes sei mit einer Rückkehr zu einer klassischen nationalen Politik am besten gedient, versteht nichts von der Gegenwart und verspielt die Zukunft. Kein europäisches Land ist mehr für sich allein imstande — obwohl viele in ihren Büros das
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noch nicht begriffen haben —, Frieden und Freiheit, wirtschaftlichen Wohlstand und soziale Stabilität zu sichern. Wir alle in Europa und vor allem die Deutschen brauchen aus ureigenstem Interesse die Einigung Europas.
Meine Damen und Herren, die konsequente Fortsetzung der Politik der europäischen Integration ist zugleich eine zukunftsweisende Antwort auf den immer wieder zu beobachtenden Nationalimus in Europa, auf Entwicklungen des Zerfalls in Teilen Europas. Es soll doch niemand — auch in Deutschland — glauben, das Gespenst des Nationalismus in Europa sei endgültig tot oder vagabundiere lediglich noch auf dem Balkan. Auch das westliche Europa ist nicht ein für allemal vor den bösen Geistern der Vergangenheit, vor nationalistischem Denken, vor Intoleranz oder Chauvinismus, gefeit.
Gerade deshalb ist es schlicht falsch, wenn hier und da behauptet wird, im Jahre 1992 oder generell in den 90er Jahren sei die Zeit noch nicht reif für eine Weiterentwicklung, wie sie der Vertrag von Maastricht vorsieht. Wenn wir jetzt nicht die Europäische Union schaffen, versagen wir vor der Zukunft,
und wir setzen leichtfertig aufs Spiel, was wir bisher erreicht haben.
Die Bundesregierung steht daher fest zu den Vereinbarungen und der Grundkonzeption des Vertrags von Maastricht. Es ist die jetzt mögliche Antwort — ich formuliere es so: die jetzt mögliche gemeinsame Antwort — auf die Veränderungen in Europa. Ich bin ganz sicher, daß wir mit dem Vertrag von Maastricht, auf den wir uns gerade vor einem Jahr beim Europäischen Rat verständigten, einen guten und tragfähigen Kompromiß gefunden haben.
Ich bekenne auch, daß an diesem Kompromiß das eine oder das andere ist, was ich mir sehr viel anders hätte vorstellen können. Manches ist erreicht worden, manches ist nicht erreicht worden. Aber, meine Damen und Herren, die ganze Dimension des Weges kann man erst erkennen, wenn man einen Moment innehält und sich die Frage stellt: Wäre ein solcher Vertrag vor 40, vor 30, vor 20 Jahren denkbar gewesen? Wenn man das bedenkt, kann man eigentlich nur dankbar dafür sein, daß das, was jetzt möglich wird, erreicht werden konnte.
Mit dem Maastrichter Vertrag haben wir ein ausbaufähiges Fundament für die Fortentwicklung gelegt. Ich sehe dieser Zukunft mit großem realistischen Optimismus entgegen. Vieles von dem, was wir heute beklagen, was wir heute für nicht ausreichend halten, wird sich dank der Kräfte des Faktischen verändern.
Da dies in den verfassungsrechtlichen Bereich geht, sage ich, meine Damen und Herren: Wie sehr sich die lebende Verfassung verändert, können Sie am besten erkennen, wenn Sie die Frühgeschichte unserer Bundesrepublik betrachten, wenn Sie sich noch einmal überlegen, wie beispielsweise im Jahre 1949 die Prognosen über die Bedeutung der Rolle von Bundestag und Bundesrat gelautet haben. Ich komme auf dieses Thema gleich noch einmal zu sprechen. Wir wissen, wie sich das im praktischen Leben zusammengefügt hat. Wir sind hier mitten im Strom der Entwicklung. Deswegen, so finde ich, haben wir nach all dem, was wir in 40 Jahren an Höhen und Tiefen auch der europäischen Politik erlebt haben, allen Grund zum Optimismus. Wer glaubt, er muß jetzt jeden Buchstaben gedruckt nach Hause tragen, der weiß nichts von der europäischen Geschichte.
Beide Teile des Vertrags — die Politische Union wie die Wirtschafts- und Währungsunion — haben gleiches Gewicht. Jeder sollte sich bewußt sein, daß wir die Vorteile der wirtschaftlichen Integration, die insbesondere auch uns Deutschen zugute kommen, auf die Dauer nur bewahren können, wenn wir sie politisch absichern. Es gibt kräftige Stimmen in Europa — ich denke an eine besonders kräftige Stimme in Großbritannien —, die aus dieser Europäischen Gemeinschaft eine Art gehobene europäische Freihandelszone machen möchten. Wer dies will, will ein ganz anderes Europa. Eine wirtschaftliche Einigung in Europa ohne eine politische Einbettung ist mit absoluter Sicherheit zum Scheitern verdammt, und genau dies wollen wir nicht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf ein paar wesentliche Punkte des Maastrichter Vertrags eingehen.
Erstens. Der Vertrag über die Europäische Union bindet die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft noch enger zusammen und schafft damit auch zusätzliche Sicherheit für uns alle. Zu den wesentlichen Errungenschaften des Maastrichter Vertrags gehört der Ausbau der außen- und sicherheitspolitischen Handlungsmöglichkeiten Europas. Gerade in den letzten 24 Monaten haben wir mehr als andere empfunden, daß Europa dringend eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik braucht, um Krisen vorbeugen zu können, um aktiver auf Ereignisse in unserem unmittelbaren Umfeld Einfluß nehmen zu können. All diejenigen, die die EG beschimpfen, sie täte im ehemaligen Jugoslawien nicht genug, sollten daran denken, daß die EG die notwendigen Mittel dazu bisher gar nicht hat. Gerade die Erfahrungen der letzten zwei Jahre sind ein Beweis für die Notwendigkeit einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.
Eine Politische Union muß auf Dauer auch über die Mittel verfügen, sich selbst zu schützen. Deshalb hat sich die Bundesregierung nachdrücklich dafür eingesetzt, im Vertrag von Maastricht auch das Ziel einer künftigen gemeinsamen Verteidigungspolitik festzulegen. Für uns ist es dabei ebenso selbstverständlich wie unverzichtbar, daß eine europäische Verteidigungspolitik in enger Verbindung und Zusammenar-
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beit mit der Atlantischen Allianz und vor allem auch den Vereinigten Staaten von Amerika steht.
Mancher, der diesen Weg zunächst mit Unverständnis oder auch mit Kritik aufgenommen hat, sieht sich jetzt Tag für Tag vor die Tatsache gestellt, daß auch in Amerika immer mehr Menschen diesen Weg mit Sympathie begleiten. Hier geht es doch nicht um eine Politik des Entweder-Oder, sondern, wie immer in den transatlantischen Fragen, um eine Politik des Sowohl-Als-auch.
Im Vertrag war es eine wichtige Weichenstellung, die Westeuropäische Union als integralen Bestandteil der Europäischen Union festzuschreiben. Als europäischer Pfeiler im Atlantischen Bündnis wird die WEU die NATO nicht schwächen, sondern ergänzen und stärken.
Zweitens. Von besonderer Bedeutung ist für uns Deutsche die Wirtschafts- und Währungsunion. Wer wie Deutschland rund ein Drittel seines Bruttosozialprodukts im Außenhandel erwirtschaftet, allein drei Viertel davon im Export nach Europa, kann auf die enge Verknüpfung mit den europäischen Märkten nicht verzichten. Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand in Deutschland sind auf das Allerengste mit der Entwicklung in Europa verbunden.
Die Wirtschafts- und Währungsunion ist die logische Ergänzung und Weiterentwicklung des Europäischen Binnenmarkts, der in wenigen Tagen, ab dem 1. Januar 1993, einheitliche Wettbewerbsbedingungen und Chancen für alle Unternehmer und Arbeitnehmer in allen Ländern der Gemeinschaft garantieren wird.
Viele Menschen in unserem Land -- das sollten wir verstehen und auch ernst nehmen — machen sich Sorgen, die künftige Europäische Währungsunion könne die Geldwertstabilität gefährden.
Ich habe in den Diskussionen in den europäischen Gremien meine Kolleginnen und Kollegen immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß diese Frage für uns Deutsche deswegen von besonderer Bedeutung ist, weil die noch lebende ältere Generation in Deutschland zweimal in ihrem Leben durch Inflation ihren Arbeitsertrag und ihr Erspartes verloren hat und weil unter vielen anderen Faktoren beim Aufkommen des Nationalsozialismus der Zusammenbruch der Währung nach dem Ersten Weltkrieg ein ganz wesentlicher Grund war. Weil die Deutschen hier besonders sensibel sind, erwarten wir das Verständnis unserer Nachbarn. Auch andere Völker haben zum großen Teil ihre eigenen Erfahrungen mit Geldentwertung machen müssen. Es ist auch deswegen wichtig, daß wir dieses Argument ganz ernst nehmen.
Ich will deutlich sagen: Wir haben in Maastricht durchgesetzt, daß die künftige europäische Währung eine sichere Stabilitätsgrundlage erhält. Eine zentrale Vorbedingung für die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion ist, daß sich die teilnehmenden Mitgliedstaaten in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung weitgehend einander annähern. Das ist noch ein langer Weg, aber auch hier muß man fairerweise bekennen: Das gleiche Argument vor zehn Jahren ausgesprochen, hätte Hohngelächter erweckt. Wenn Sie heute beispielsweise nur die Politik etwa Frankreichs oder Spaniens in dieser Hinsicht betrachten, werden Sie feststellen, daß die Gemeinsamkeit hier viel weiter vorangeschritten ist, als viele in Deutschland wahrhaben wollen.
Die Kriterien für die Qualifikation der einzelnen Lander zur Wirtschafts- und Währungsunion sind auf unser Betreiben so streng gefaßt worden, daß nur diejenigen Mitgliedstaaten an der Währungsunion werden teilnehmen können, die den Willen und die Fähigkeit zu einer strikten Stabilitätspolitik bewiesen haben. Die Länder müssen dies im einzelnen nachweisen; wir haben oft in diesem Kreis darüber gesprochen.
Diese Stabilitätskriterien sind nicht nur vage Vorgaben; an ihnen werden alle konsequent gemessen. Nur diejenigen Länder werden Mitglieder der Wirtschafts-und Währungsunion, die diese Kriterien erfüllen. Es muß klar sein — ich will das hier für die Bundesregierung aussprechen, weil es für uns eine Selbstbindung ist —: Ein Aufweichen der Stabilitätskriterien kann und darf es nicht geben. Das ist eine unverrückbare Position, an der wir gerade wegen deutscher geschichtlicher Erfahrung festhalten müssen.
Ich halte es in diesem Zusammenhang für besonders wichtig, daß wir gemeinsam — Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung — in den kommenden Jahren die Entwicklung der Wirtschafts- und Finanzpolitik in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft anhand dieser Stabilitätskriterien genau verfolgen. Ich möchte hinzufügen: Die im Vertrag von Maastricht formulierten Stabilitätskriterien, voran die Haushaltsdisziplin, werden maßgeblich für die spätere Politik in der Wirtschafts- und Währungsunion sein.
Meine Damen und Herren, was ich für einen besonderen Erfolg deutscher Politik halte, will ich hier herausstellen: In der Frage der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank konnten wir unsere Position entgegen manchen Erwartungen durchsetzen. Wer das vor fünf Jahren hier im Saal gesagt hätte, wäre ausgelacht worden. Auch das gehört zu den Erfahrungen.
Wir haben die künftige Europäische Zentralbank vorrangig auf das Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet. Darüber hinaus ist die für eine effektive Stabilitätspolitik der Europäischen Zentralbank entscheidende Unabhängigkeit von politischen Vorgaben in Wahrheit besser abgesichert, als dies für die Deutsche Bundesbank gewährleistet ist. Die Wirtschafts- und Währungsunion wird eine Union der Stabilität sein. Unser Ziel muß sein, daß diese Währung genauso sicher sein wird wie die Deutsche Mark.
Erleichterungen wie der Wegfall von teuren Umtauschverfahren und die entscheidend verbesserte Kalkulationssicherheit für Investoren werden allen in Europa Vorteile bringen. Mit dem gemeinsamen Währungsraum braucht dieses Europa für die
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Zukunft einen internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Wir werden damit für den härter werdenden internationalen Wettbewerb besser gerüstet sein als heute.
Dank der Maastrichter Vereinbarung ist die gemeinsame europäische Währung — ihre innere Stabilität und ihre große weltwirtschaftliche Bedeutung gehören in diesen Bereich — als ein Beitrag zu verstehen, das Weltwährungssystem zu stabilisieren.
Drittens. Wir müssen sicherstellen, daß die europäischen Institutionen einer effektiveren demokratischen Kontrolle durch das Europäische Parlament unterliegen. Wir können nicht ständig die mangelnde demokratische Kontrolle von Kommission und Rat beklagen, wenn wir in Europa insgesamt nicht bereit sind, dem Parlament mehr Rechte zu geben.
Das Eigenartige an dieser Diskussion ist, daß es zu einem großen Teil nicht mehr um Rechte geht, über die die nationalen Parlamente noch verfügen, sondern um Kompetenzen, die längst auf die europäische Ebene übergegangen sind, dort aber der parlamentarischen Kontrolle entzogen sind. Es ist auf diese Weise eine Art parlamentsfreier Raum entstanden. Ich halte es für absolut unverzichtbar, daß wir diesen nichtakzeptablen Zustand Schritt für Schritt überwinden.
Wir haben diese Position bei den Verhandlungen mit großer Entschiedenheit vertreten. Wir haben dabei — das ist einer der Punkte, wo wir uns nicht durchsetzen konnten — keine Mehrheiten gefunden. Aber, meine Damen und Herren, ich bin ziemlich sicher, daß noch in diesem Jahrzehnt, ungeachtet der Termine, die im Verrtag vorgegeben sind, deutlich werden wird, daß der jetzige Zustand so nicht bleiben kann und daß wir zu einem früheren Zeitpunkt, als viele meinen, zu einer Veränderung kommen werden. Ich möchte fast die Behauptung aufstellen: Wenn wir in dieser Woche über diese Frage den Vertrag auszuhandeln hätten, kämen wir zu anderen Mehrheiten, weil die Diskussionen der letzten Monate auch bei den Referenden ihre Wirkung getan haben.
Trotzdem ist festzuhalten, daß auch für das Europäische Parlament im Vertrag von Maastricht eine ganze Reihe von zusätzlichen Kompetenzen vereinbart wurde. Dies sind wichtige Mitentscheidungsrechte bei der Gesetzgebung, bei der Haushaltskontrolle und bei der Benennung der Kommissionsmitglieder. Darüber hinaus konnten wir bei der Verankerung des parlamentarischen Untersuchungsrechts, des Petitionsrechts und der Einrichtung eines Bürgerbeauftragten eine ganze Reihe von Fragen voranbringen. — Dies sind richtige und wichtige Schritte. Ich füge aber hinzu: Es sind aus meiner Sicht nicht ausreichende Schritte. Deswegen müssen wir weiterhin die notwendige Überzeugungsarbeit leisten.
Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, daß wir selbst die Position des Europäischen Parlaments in der deutschen Öffentlichkeit positiv beurteilen.
Die Kolleginnen und Kollegen leisten dort nach meiner festen Überzeugung gute Arbeit. Ich wünsche mir beispielsweise, daß diese Arbeit von den deutschen Medien besser und intensiver dargestellt wird.
Vielleicht könnten wir alle auch einen ganz persönlichen Beitrag leisten — ich sage das auch als Vorsitzender meiner Partei —, wenn wir in den Parteien dazu übergingen, auch die Arbeit der Abgeordneten im Europäischen Parlament besser zu würdigen, und wenn der gelegentliche Soupçon aufhörte: „Der geht nach Straßburg", mit all den Konsequenzen im innerparteilichen Betrieb: Wer geht nach Straßburg? Wer sollte nach Straßburg gehen, damit er weder in Bonn noch in einer Landeshauptstadt anderen in die Quere kommt? Dies sollte offen ausgesprochen werden: Wer so denkt und so handelt, darf sich nicht wundern, wenn die Öffentlichkeit eine entsprechende Reaktion zeigt.
Für die Bundesregierung ist es im übrigen selbstverständlich — —
— Ich denke, meine Damen und Herren, Sie alle haben das verstanden, was ich gesagt habe.
Alle Anwesenden haben sich nie an einer solchen Überlegung beteiligt; wir können unbefangen über andere reden.
— Herr Kollege Klose, wir müßten meine Redezeit um eine Stunde verlängern, wenn wir die Namen aufzählen wollten.
Meine Damen und Herren, für die Bundesregierung
— ich denke, für das ganze Haus — ist es selbstverständlich, daß die 18 Abgeordneten aus den neuen Bundesländern mit der nächsten Wahl zum Europäischen Parlament im Jahre 1994 das volle Stimmrecht erhalten werden.
Die dazu notwendige Entscheidung muß in Edinburgh auf alle Fälle getroffen werden;
sie duldet keine Verschiebung. Der Ehrlichkeit halber möchte ich aber hinzufügen: Abgesehen von dieser Frage bin ich mir nicht sicher, ob die anderen Fragen, die in Edinburgh mit Blick auf die zu vergebenden Sitze — Thema „Europäische Zentralbank" — anstehen, zur Abstimmung kommen.
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Ich will aber sagen, daß unsere Position im Blick auf Frankfurt und die Europäische Zentralbank eindeutig ist und daß Ideen, von denen ich gelegentlich höre, daß man sich am Beispiel der USA orientieren könnte, wo der Sitz der FED in Washington ist und die Geschäfte in New York gemacht werden, man also den Sitz in Deutschland haben und die Geschäfte in einer anderen schönen, großen Stadt, die an einem Fluß gelegen ist, machen könnte, für uns nicht akzeptabel sind.
Viertens. Es gibt viele Fragen, die nur in einem europäischen Rahmen in unserem Sinne geregelt werden können — ich nenne als ein Beispiel den Umweltschutz. Die Umweltverschmutzung macht eben nicht an den Grenzen halt. Wenn wir in ganz Europa einheitliche und strenge Bestimmungen einführen, können wir die Probleme besser lösen.
Als ein weiteres Beispiel nenne ich eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik. Die Wanderungsbewegungen aus dem Osten und Südosten Europas sowie aus dem südlichen Mittelmeerraum stellen uns alle in Europa vor schwierige Situationen. Niemand in Europa soll glauben, daß sei die Sache des Nachbarn. Ein solches Denken gibt es jetzt auch in der EG im Blick auf Deutschland. Nein, was hier geschieht, wird auch andere betreffen.
Es ist zwar wahr, daß sich die Wanderungsbewegungen im Augenblick vor allem hierher konzentrieren, aber auf die Dauer wird dies in einem Europa offener Grenzen ein gemeinsames Problem. Deswegen brauchen wir eine gemeinsame, eine abgestimmte europäische Asyl- und Einwanderungspolitik. Dafür müssen wir hier in Deutschland die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Wir dürfen hier nicht so handeln, daß wir dadurch europäischen Entscheidungen im Wege stehen.
Wir brauchen auch eine gemeinsame europäische Politik der inneren Sicherheit. Das ist ein Thema
— ich muß das ganz offen bekennen —, bei dem ich den Stand der Diskussion überhaupt nicht begreifen kann. Es gibt wenige Fragen, hinsichtlich derer wir uns in den letzten Jahren so schwertaten, ein Stück nationaler Souveränität, wie es manche verstehen
— ich nicht —, aufzugeben. Die Bekämpfung des internationalen Verbrechens, des Drogenhandels
— der Mafia — kann in keiner Weise erfolgreich sein, wenn sie in der nationalen Dimension erfolgt. Wer die Gefährdung in ihrem ganzen Umfang sieht, wer die Berichte aus den USA oder aus Südamerika wirklich einmal zur Kenntnis nimmt, der kann nur den Kopf darüber schütteln, wenn manche glauben, jeder in Europa könne das noch für sich selbst lösen.
Wenn der amerikanische Präsident in seinem diesjährigen Drogenbericht schätzt, daß der weltweite Drogenhandel 300 Milliarden Dollar beträgt, dann kann sich doch jeder denken, daß diese 300 Milliarden Dollar nicht in die wirtschaftlich schwächeren Länder Europas gehen, sondern dorthin, wo die Hartwährungen zu Hause sind — und jeder weiß, wo das ist.
Ich fürchte immer noch, daß sehr, sehr viele die wahre Dimension dieser Gefahr unterschätzen. Wir haben, weil in Maastricht eine Zusammenarbeit in Gemeinschaftskompetenz nicht durchsetzbar war, eine europäische Polizeibehörde beschlossen, deren Aufbaustab jetzt in Straßburg seine Arbeit aufgenommen hat. Aber ich erkläre hier ausdrücklich meine Unzufriedenheit mit dieser Lösung. Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber es ist ein Schritt, der zu schwach ist. Wir müßten hier wesentlich schneller vorankommen.
Fünftens. Diese Europäische Union kann nur entstehen, wenn sie von den Bürgern mitgetragen wird. Das müssen wir den Bürgern verständlich machen können. Das hat Konsequenzen für die Sprache — übrigens auch für die Sprache des Europäischen Parlaments und der Reden —, das hat aber auch für unsere eigene Diskussion zu diesem Punkt Konsequenzen. Wir müssen die Fähigkeit aufbringen, den Menschen klarzumachen, daß es ihr Europa ist, das hier entsteht, und nicht das von irgendwelchen Bürokraten, die machtbesessen sind.
Die Debatten der letzten Monate haben etwas anderes gezeigt, und ich finde, es ist gut, daß das deutlich geworden ist, nämlich daß die Menschen Sorgen um ihre nationale Identität haben, daß sie eben nicht einen europäischen Superstaat haben wollen, sondern daß sie als Deutsche oder als Franzosen, als Niederländer oder als Italiener dieses Europa bauen wollen. Deswegen müssen wir diese Vorbehalte und Besorgnisse ernst nehmen.
Ich persönlich bin überzeugt: Wenn wir zu dieser Frage in Maastricht noch bessere Formulierungen und Auskünfte gefunden hätten, wäre auch das eine, nicht positiv verlaufene Referendum anders ausgegangen.
Wir werden uns jetzt in Edinburgh und in der nachfolgenden Zeit intensivst mit diesem Thema beschäftigen müssen. Es muß deutlich sein — ich erhoffe das auch von den Überlegungen in Birmingham —, daß dieses Mißverständnis aus der Welt geschafft wird. Maastricht steht nicht für ein zentralistisches Europa, einen Überstaat, sondern für ein demokratisches und bürgernahes Europa, das die nationale Identität und die Kultur sowie die Traditionen der Regionen und der Mitgliedstaaten achtet. Wir wollen diesen Überstaat nicht. Wir wollen die Einheit in Vielfalt, übrigens einem Verfassungsverständnis und einem Verfassungsprinzip folgend, das doch auch weitgehend die Geschichte unserer Bundesrepublik bestimmt hat. Es war doch eine glückliche Entwicklung, die wir hier nach 1949 erlebt haben.
Im vereinten Europa wollen wir in Zukunft die Heimatregionen verwurzeln; ich sage es noch einmal. Gerade in einer Zeit, in der moderne Technologie und Technik den Menschen, den Staat und die Gesellschaft immer kälter erscheinen läßt, ist es ganz wichtig, daß sich der Begriff „Heimat" — ein unübersetzbares deutsches Wort — auch hier wiederfindet und daß Heimat und Europa nicht in einen Gegensatz geraten.
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Das heißt, die Menschen müssen sich in ihrer Weise mit dem Weg nach Europa identifizieren können. Dazu gehört natürlich vor allem auch, daß wir das, was wir immer verlangt haben, auch wirklich durchsetzen, nämlich die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Natürlich ist dieses Wort dem Verständnis dessen, worum es geht, nicht gerade förderlich. Deswegen müssen wir versuchen, es für die Praxis zu übersetzen.
Wir haben in Lissabon beschlossen, zur Ausfüllung des Prinzips Leitlinien und Kriterien auszuarbeiten, die in ein paar Tagen in Edinburgh, wie ich hoffe, nicht nur besprochen, sondern auch verabschiedet werden, um sie in eine feste Vereinbarung mit Kommission und Europäischem Parlament einzubringen. Ich bin sicher, daß wir hier die notwendigen Beschlüsse fassen.
In den Leitlinien muß klar und deutlich festgelegt werden, daß auf der europäischen Ebene nur das geregelt werden darf, was unabweisbar auf dieser Ebene geregelt werden muß, daß Entscheidungen von Verwaltungen und Regierungen so bürgernah wie möglich fallen, daß sie nachvollziehbar sind und daß auch der Sachverstand der jeweils unteren Ebenen — „untere Ebene" bedeutet hier keine Qualifikation — mit eingebracht werden kann.
Ich will hier übrigens etwas hinzufügen, was meistens nicht gesagt wird — vielleicht aus Respekt, aber vielleicht auch, weil ein Mißverständnis vorliegt —: Wenn wir über die europäischen Institutionen und über das reden, was sich zum Teil etwas bürgerfern gestaltet hat, muß ich auch den Europäischen Gerichtshof erwähnen. Auch dort fallen nicht wenige Entscheidungen, die beispielsweise tief in das soziale Leben unseres Landes eingreifen. Das ist eine Frage, die aus gutem Grunde die Gewerkschaften bei uns beschäftigt; sie haben dabei meine volle Unterstützung. Ohne die Souveränität des Gerichtes angreifen zu wollen, möchte ich hier diese Bemerkung machen: Man kann nicht nur über Kommission und Rat und Parlament reden, sondern wir haben auch auf dem Gebiet der sogenannten Rechtsfindung Entwicklungen zu registrieren, die ganz erhebliche Konsequenzen haben — in manchen Fällen wesentlich größere Konsequenzen als alles das, was das Parlament oder die Kommission beschließen.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt hier kein Klagelied anstimmen. Wenn aber über die europäische Entwicklung und einen Überstaat geklagt wird, sind wir, finde ich, nach dem Gebot der Fairneß dazu verpflichtet einzuräumen, daß ein Großteil der Initiativen, die dann anschließend nicht akzeptiert werden, nicht in Brüssel entstanden ist, sondern von nationalen Administrationen, von nationalen Interessengruppen — auch über Parlamente — nach Brüssel getragen wurde. Ich kenne nicht wenige Beispiele — übrigens auch aus Deutschland --,wo Interessen, die sich im Lande selbst nicht durchsetzen konnten, auf dem Umweg über Brüssel wieder ins Land gekommen sind. Fairerweise sollte man das in diesem Zusammenhang auch mit einbringen.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit Fehlentwicklungen sollte man in der Gemeinschaft jetzt auch ernsthaft überprüfen, ob nicht bereits ergangene Entscheidungen nicht nur überprüft werden, sondern, wenn es sinnvoll ist, auch zurückgenommen werden sollten.
Es würde die Glaubwürdigkeit europäischer Politik verstärken, wenn die zuständigen Stellen — ich sage das auch für den Rat — den Mut aufbrächten zu sagen: In diesem Punkt haben wir uns schlicht und einfach geirrt.
Meine Damen und Herren, es wird die Ratifikation des Maastrichter Vertrags in Großbritannien erleichtern und es auch der dänischen Regierung ermöglichen, ihren Bürgern bei einem neuen Referendum das Ja zu empfehlen, wenn wir in diesem Zusammenhang die notwendigen Entscheidungen treffen. Wir wollen — dazu stehen wir — den Vertrag gemeinsam mit all unseren Partnern in der Gemeinschaft in Kraft setzen, und zwar noch im ersten Halbjahr 1993. Zu Vertragsänderungen oder zu Sonderregelungen sind wir nicht bereit.
Ein Europa à la carte ist jedenfalls mit uns nicht zu machen.
Bei aller Bereitschaft zur Rücksicht auf die einzelnen Interessen kann auch nicht der Satz gelten, daß dieses Europa sich nach dem Tempo des langsamsten Schiffs im Geleitzug ausrichtet.
Meine Damen und Herren, die Vertiefung der Gemeinschaft muß aber auch durch ihre Erweiterung ergänzt werden. Das ist in ein paar Tagen ein wichtiges Thema. Die Europäische Gemeinschaft war nie als geschlossene Gemeinschaft zu verstehen, und wir waren immer der Meinung, daß wir offen sein müssen für weitere Erweiterungen, die das Konzept vervollkommnen.
Wir werden uns deshalb jetzt in Edinburgh mit Nachdruck dafür einsetzen, daß die Beitrittsverhandlungen mit den EFTA-Ländern nicht verschoben werden, bis der Vertrag wirksam wird, sondern ab Januar beginnen können.
Ich hoffe, daß die Länder, die einen Antrag gestellt haben, dann 1995 Mitglieder der Europäischen Union werden können. Der Beitritt dieser Länder — ob das Österreich, Finnland, Norwegen oder Schweden ist oder ob das möglicherweise die Schweiz ist — wird die Gemeinschaft ganz wesentlich stärken. Er wird ihre Leistungsfähigkeit nach außen steigern und nicht zuletzt — das ist eine wichtige Hoffnung, die ich damit verknüpfe — die Möglichkeiten beim Aufbau und der Stabilisierung Mittel- und Osteuropas verstärken. Aber auch Polen, Ungarn, Tschechen, Slowaken und andere Völker Mittel-, Ost- und Südosteuropas setzen
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ihre Hoffnung auf die Gemeinschaft, und wir dürfen diese Hoffnung nicht enttäuschen.
Gerade bei den eben genannten Ländern darf es nicht um eine ferne und vage Chance gehen, sondern um eine klare Beitrittsperspektive, die nach meiner Vorstellung, wenn sich alles so entwickelt, wie wir hoffen, zu Beginn des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts liegen kann. Ich füge hinzu — ich hoffe, daß dies unsere gemeinsame Meinung ist —, daß es für die Bundesrepublik Deutschland völlig inakzeptabel ist, daß die Ostgrenze Deutschlands auf Dauer die Ostgrenze der Europäischen Union sein könnte.
Polen liegt eben nicht — wie manche auch bei uns gedankenlos formulieren — in Osteuropa, sondern Polen ist ein Teil Mitteleuropas.
Nicht nur aus geographischen Gründen steht Polen uns nahe.
Meine Damen und Herren, ich bin auch fest davon überzeugt, daß die europäische Integration unsere bundesstaatliche Grundordnung nicht schwächen oder gar in Frage stellen wird. Der Vertrag von Maastricht stärkt die Rolle der Regionen — Regionen sind bei uns die Bundesländer —, und innerstaatlich tragen wir dem durch die angestrebte Grundgesetzänderung Rechnung. Mit dem künftigen Art. 23 des Grundgesetzes haben wir dafür gesorgt, daß die Interessen und Befugnisse der Länder gesichert werden und zugleich wichtige Grundlagen unserer gesamtstaatlichen Ordnung auch innerhalb der Europäischen Union fortgelten. In der Debatte der letzten Monate — das war ja auch in den letzten Stunden spürbar — gab es immer wieder eine Neuauflage jenes leichten Mißtrauens zwischen den beiden gesetzgebenden Körperschaften, zwischen Bundesrat und Bundestag.
Meine Damen und Herren, die einen befürchten, daß jetzt die Zentralgewalt entscheidend geschwächt wird, und die Damen und Herren auf dieser Seite des Hauses sagen, daß sie befürchten, daß ihre Position geschwächt wird. Ich verstehe — ehrlich gesagt — dies alles nicht. Wer die Geschichte der Bundesrepublik kennt, weiß, daß man im Alltag der Politik — und das ist gut so — vernünftige Lösungen und vernünftige Kompromisse gefunden hat. Sie mögen noch so viele Deklarationen abgeben — die Praxis des Lebens geht ganz andere Wege. Die parteipolitische Zusammensetzung und die Kombinationen der Koalition auf der Seite der Bundesregierung und die parteipolitischen Konstellationen auf der Seite des Bundesrates ändern sich.
Die, die meinen, daß sie ganz fest auf ihrem Stuhl sitzen, wissen gleichwohl, daß sie ihn zu irgendeinem
Zeitpunkt räumen müssen; das ist das Wesen von Demokratie.
So bleibt dem einen für eine ungewisse Zeit das Prinzip Hoffnung und dem anderen die Gewißheit, daß er für eine begrenzte Zeit noch in seinem Amt verbleibt. Also warum, meine Damen und Herren, sollen wir das nicht sehr viel entspannter miteinander betrachten?
Ich finde allerdings — ich füge das hinzu —, wer jetzt, da wir uns gegenüber Europa öffnen und auch verfassungspolitische Fragen diskutieren, die Gelegenheit nutzt, die Frage neu aufzuwerfen, ob die Bundesrepublik ein Bundesstaat oder ein Staatenbund ist, der handelt falsch. Diese Frage ist endgültig entschieden, und an der Entscheidung ist auch in gar keiner Weise zu rütteln.
Als gelernter Föderalist — ich habe einen wichtigen Teil meines Lebens in einem unserer Bundesländer gelebt und habe in jener Zeit auch gelegentlich mit Landespolitik zu tun gehabt, meine Damen und Herren —
möchte ich doch darauf hinweisen, daß Föderalismus sich ja nicht nur auf die Beziehungen von Bund und Ländern beschränken kann. Es ist völlig in Ordnung, daß zwischen Düsseldorf und Bonn und zwischen München und Bonn und zwischen Wiesbaden und Mainz und Bonn gerungen wird. Aber da gibt es halt auch die Beziehungen zwischen Düsseldorf und Köln und zwischen München und Nürnberg und zwischen Mainz und Ludwigshafen und — Herr Ministerpräsident, weil ich Sie gerade sehe — zwischen Wiesbaden und Kassel. Ich könnte die Liste beliebig fortsetzen.
Es ist wahr, es ist eine Lebenserfahrung — ich habe es ja auch gelernt —, daß sich mit der Veränderung der Position und dem Platznehmen auf anderen Stühlen auch der Betrachtungswinkel verändert. Aber, Herr früherer Bürgermeister von Hamburg, Ilerr Kollege Klose, unser gemeinsames Verständnis sollte doch sein, daß Föderalismus in Deutschland und Föderalismus in Europa nur funktionieren kann, wenn eben nicht nur auf den Bund und die Länder als die Regionen abgestellt wird, sondern auch die Gemeinden in das europäische Einigungswerk einbezogen werden.
Wie wollen wir eigentlich das Europa der Bürger schaffen, wenn wir nicht erreichen, was wir beispielsweise in der Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich erreicht haben, daß Hunderte von Städten, Gemeinden und Kreisen partnerschaftliche Beziehungen mit französischen Gemeinden haben? Da
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Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
nützt eben der Besuch des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz aus Mainz in der Partnerstadt Dijon und in den Departements, die dort die Partnerschaft tragen, allein nichts. Die Dörfer und die Gemeinden, die Sportvereine und die Schulen — das ist alles gemeindliches Leben — müssen zueinanderkommen.
Ich meine — das ist keine fixe Idee von mir —, daß unter 24 Mitgliedern, die aus Deutschland für diese Aufgabe bereitstehen und die die Regionen vertreten, drei Repräsentanten der gemeindlichen Ebene ihren sicheren Platz haben sollten. Das ist kein Anschlag auf das Verfassungsdenken, sondern das ist lebende Verfassung unseres Landes. Wir sollten das vernünftig regeln.
Es ist das Ziel der Bundesregierung, daß wir bei dem Kompromiß, von dem ich eben sprach, immer zwei Dinge im Auge behalten: die Länder angemessen an europäischen Entscheidungen zu beteiligen — „angemessen" heißt: mit voller Überzeugung, nicht aber: mit kleinlichem Feilschen; letzteres hielte ich nicht für eine gute Politik, denn ohne die Mitwirkung von Ländern und Regionen wird dieses Europa nichts werden — und zugleich die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung nach innen und nach außen zu erhalten.
Meine Damen und Herren, bei all dem, was wir diskutieren, sollten wir, glaube ich, von der Geschichte und der geschichtlichen Erfahrung ausgehen. Aber beim Betrachten der Geschichte sollten wir die junge Generation in Europa nicht vergessen. Vaclav Havel hat uns in diesen Tagen die Mahnung mit auf den Weg gegeben, die europäische Integration als Teil der gesamteuropäischen Verantwortung der Staaten Westeuropas nach vorne zu bringen. Er sagte:
Europa steht jetzt an einem historischen Kreuzweg: beide Hälften sind wie miteinander kommunizierende Röhren. Ob Desintegration oder Integration — es trifft uns alle. Maastricht ist eine große Prüfung.
Wer von uns im Sommer dieses Jahres unterwegs war, der konnte bei Treffen junger Leute in Europa dieses lebendige Europa überall erkennen. Ich habe das auf der Karlsbrücke in Prag erlebt. Es waren dort junge Russen und junge Ukrainer, Italiener, Deutsche, Briten und viele andere. Ich habe mich bei ihrem Anblick gefragt — auch bei Gesprächen mit jungen Leuten in unserem Land frage ich mich das immer wieder —, ob wir nicht hinter einer Entwicklung herlaufen, die die junge Generation in Europa längst vollzogen hat.
Dieses Lebensgefühl kennzeichnet die riesige Mehrheit der jungen Generation — nicht die paar Rabauken, die uns jetzt Sorgen machen und Abscheu erregen — in den europäischen Ländern seit langem.
Es ist wichtig, daß die Verträge in Ordnung sind. Es ist wichtig, daß die Akten und die Dossiers in den Ministerien gut geordnet sind. Es ist aber noch wichtiger, meine Damen und Herren, daß die in der Politik Verantwortlichen — das sind besonders wir, Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung — erkennen, wie die Zeichen der Zeit stehen. Die Zeichen der Zeit werden heute mehr als je zuvor von jungen Leuten gegeben. Sie bestehen auf der politischen Einigung Europas und darauf, daß wir in einem vereinigten Europa auch zukünftig unsere Heimat haben, daß Deutschland unser Vaterland und Europa unsere Zukunft ist. Diesem Ziel dient der Maastrichter Vertrag. Ich bitte um Ihre Unterstützung.
Als nächster spricht der Abgeordnete Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ereignet sich hier heute morgen etwas Wichtiges und auch Seltenes. Es zeigt sich nämlich, daß es für unser Land eine ganz grundsätzliche Orientierung gibt, die über das normale Gegeneinander von Regierung und Opposition und über die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen politischen Parteien und Gruppen weit hinausreicht. Ich glaube, es ist wichtig, daß diese gemeinsame Orientierung Europa gerade heute hier so deutlich zum Ausdruck kommt.
Ohne dieses — das will ich bei dieser Gelegenheit bemerken — hätten wir es in dem Sonderausschuß gar nicht geschafft, Ihnen heute Beschlußempfehlungen vorzulegen. Die Bundesregierung hat uns da ein ganz schönes Stück Arbeit auf den Tisch gelegt. Daß wir das in so wenigen Wochen hinbekommen haben, war nur deshalb möglich, weil wir das gemeinsame Ziel gehabt haben, ein deutliches und überzeugendes Signal von dieser Debatte vor dem Gipfel in Edinburgh ausgehen zu lassen.
Ich möchte all denjenigen herzlich danken, die am Erfolg der Arbeit dieses Sonderausschusses mitgewirkt haben, und ich möchte etwas tun, was vielleicht ein bißchen ungewöhnlich, in diesem Falle aber angemessen ist, nämlich im Plenum des Deutschen Bundestages ausdrücklich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu danken, die dem Sonderausschuß zur Verfügung gestellt wurden und uns in Tag- und Nachtarbeit zur Seite gestanden haben.
Meine Damen und Herren, schon bevor der Vertrag in Kraft getreten ist, hat er positive Wirkungen entfaltet; denn endlich ist in Europa Europa wieder zu einem großen Thema geworden. Bei unseren Nachbarn und bei uns findet eine Debatte statt, in der es einmal nicht um die Widrigkeiten des politischen Alltags in Europa
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Günter Verheugen
geht, sondern um die ganz fundamentalen Fragen. Die Krise, in der Europa steckt, kann sich so vielleicht als heilsam erweisen. Wir sind in einer Lage, in der für Europa gekämpft werden muß. Wenn auch der Debattenstil heute etwas ruhiger ist als gewöhnlich, so heißt das ja nicht, daß weniger Leidenschaft oder weniger Überzeugungskraft dabei am Werke wären; denn Leidenschaft, Gestaltungskraft und ein Stück europäische Utopie sind verlangt. Mit einem in festen Ritualen erstarrten Mechanismus kommen wir nicht mehr weiter. Wir sollten Kritik am Vertrag von Maastricht, Zweifel an der Haltbarkeit dieser Konstruktion nicht als lästige Begleiterscheinungen dieser neuen Integrationsstufe betrachten, sondern als Herausforderung, die europäische Idee gegenüber einer oftmals zweifelnden Öffentlichkeit überzeugend zu begründen.
Ich halte es für ganz verkürzt, zu sagen: Es gibt keine Alternative zu Europa. Es gibt immer eine Alternative,
sie muß auch benannt werden. Sie muß deshalb benannt werden, weil sie rückwärtsgewandt ist, weil sie gefährlich ist und weil sie unhistorisch ist.
Die Alternative zur europäischen Einigung heißt Auflösung und Zerfall, Rückkehr zum Egoismus der Nationalstaaten, Wiederkehr von Hegemoniebestrebungen und Achsenbildungen. Die Alternative, meine Damen und Herren, zum vereinten Europa ist das nicht vereinte Europa.
Wenn es die Idee der europäischen Einigung nicht schon gäbe, müßte sie spätestens jetzt nach der Auflösung der Blockkonfrontation und nach der Überwindung der europäischen Teilung erfunden werden. Denn gerade die Völker Europas, die ihre endgültige Ordnung noch nicht gefunden haben und autoritäre und totalitäre Systeme losgeworden sind, brauchen doch jetzt eine andere Perspektive als die des klassischen Nationalstaates, der in Krisensituationen immer in der Gefahr schwebt, nationale Identität durch einen rabiaten Nationalismus zu ersetzen.
Wie sollte Europa anders als mit vereinten Kräften auf die gewaltigen Aufgaben reagieren können, die das Armutsgefälle, die ökologische Belastung und die Entfesselung jahrelang aufgestauter Konfliktpotentiale mit sich bringen. Für Deutschland als das Land in der Mitte Europas ist Europa die Schicksalsfrage schlechthin. Ein starkes, geeintes Deutschland kann leicht — die Geschichte lehrt es — eine Gefahr für sich selbst und für andere werden. Ein schwaches, zerrissenes Deutschland war jahrhundertelang der Schauplatz der Kriegsführung fremder Mächte.
Die für Deutschland richtige Antwort auf dieses historische Dilemma ist die Einbindung in eine größere europäische Staatengemeinschaft. Auch wenn die Einigung Europas mit der Wirtschaft anfing, so war doch nicht ökonomischer Zwang das Leitmotiv. Die Grundidee war vielmehr die Sicherung des Friedens. Daran muß jetzt, wo der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, erinnert werden. Wenn die europäische Einigung bisher schon nicht mehr bewirkt hätte als vier Jahrzehnte Frieden in unserem Teil Europas, allein dadurch hätte sie sich schon tausendfach bewährt.
Die Erschütterungen nach dem Abschluß des Vertrages über die Europäische Union müssen in ihren Ursachen und Auswirkungen sehr genau beobachtet werden. Wenn es wahr ist, daß viele Menschen in Europa fürchten, sie könnten in einem europäischen Superstaat ihre nationale Identität verlieren, dann muß man das Verhältnis zwischen europäischer und nationaler Identität neu durchdenken. Es wäre ganz falsch zu verlangen, ein guter Europäer müßte seine nationale Eigenart aufgeben. Ich glaube eher, daß das Gegenteil richtig ist. Wer seine nationalen Wurzeln verleugnet, kann nur ganz schwer ein guter Europäer sein.
Der Gegensatz zwischen nationaler und europäischer Identität ist künstlich. Warum können wir denn nicht Deutsche und Europäer, Franzosen und Europäer, Holländer, Spanier, Italiener und Europäer zugleich sein? Wir sind es, und wir wollen es bleiben.
Ich rate zu etwas Vorsicht bei dem Versuch, endgültige europäische Ziele zu definieren. Was bei uns ganz harmlos und friedlich gemeint ist, wenn wir z. B. vom europäischen Bundesstaat reden, kann andernorts Angst und Mißtrauen auslösen. Gerade die kleineren europäischen Staaten fürchten, in einer Superstruktur völlig unterzugehen. Ich kann mir ohne weiteres ein Europa vorstellen, in dem die Nationalstaaten noch für lange Zeit sinnvolle Aufgaben erfüllen.
Das Europa der Regionen ist ein anderer Begriff, der unschuldsvoll gebraucht wird, aber ganz unterschiedliche Gefühle weckt. Hier sind es die traditionellen Nationalstaaten, die fürchten, nach Art des früheren deutschen Partikularismus zerlegt und zergliedert zu werden.
Ich meine, wer dem Nationalismus keine Chance bieten will, darf die Nation nicht verachten.
Die Europäische Union beantwortet die Frage nach dem Endziel des europäischen Einigungsprozesses nicht. Eine immer engere Union der Völker Europas wird angestrebt. Darunter kann und soll man sich wohl auch sehr Verschiedenes vorstellen. Wahrscheinlich ist die Zeit noch nicht reif, verbindlich zu
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Günter Verheugen
sagen, in welcher Form sich die Einigung eines Tages vollenden wird. Man muß einem so ungeheuren, einmaligen Experiment wie der europäischen Einigung auch Zeit lassen, ihre bewußtseinsbildende und identitätsstiftende Kraft zu entwickeln.
Wir sollten uns deshalb nicht auf einen einzigen Zukunftsentwurf für Europa festlegen, sondern die Einigung als einen dynamischen Prozeß begreifen, der aus sich selbst heraus immer wieder neue Entwicklungskräfte freisetzt.
Über europäische Optionen nachzudenken, dazu haben wir allerdings Anlaß genug. Es hat ja keinen Sinn, so zu tun, als sei schon garantiert, daß die Union von Maastricht Wirklichkeit wird. Was überall ausgesprochen und hin und her gewendet wird, verdient wohl auch im Deutschen Bundestag beim Namen genannt zu werden: Das Risiko des Scheiterns ist groß. Heute weiß niemand, ob Bedingungen geschaffen werden können, die auch in Dänemark die Ratifizierung ermöglichen. Ungewiß ist auch der Ausgang der Beratungen in Großbritannien. Unklar ist die zukünftige Finanzierung der Gemeinschaft. Auch GATT erweist sich als ein Thema mit Sprengwirkung.
Der Bundeskanzler ist darüber — bei all dem vielen Bemerkenswerten, was er heute morgen gesagt hat — ein bißchen leicht hinweggegangen und hat versucht, das mit reinem Optimismus zu überspielen. Ich hoffe, daß es nicht nur Zweckoptimismus ist.
Wenn Maastricht scheitert, kann man ja verschiedene Optionen diskutieren. Man kann sagen: Wir machen es doch; dann aber mit Zehn oder Elf. Man kann auch sagen: Wir entwickeln die Union in einer Politik der kleinen Schritte, klein genug, daß immer alle den jeweils nächsten Schritt mitmachen können. Man kann auch sagen: Wir kehren zur Ursprungsidee zurück; die Länder, die es können und wollen, bilden eine politische Union und vertrauen auf dieselbe Sogwirkung, die schon die Wirtschaftsgemeinschaft ausgelöst hat.
Der Punkt ist für uns heute der: Welche Option schließlich gewählt wird, sollte kein Europäischer Rat hinter verschlossenen Türen diskutieren,
sondern diese Entscheidung muß in einem offenen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern entwickelt werden. Ich will über keine der Möglichkeiten heute entscheiden müssen. Wir brauchen heute eine andere Entscheidung, nämlich die, daß es keinen Stillstand geben darf und daß der Rückwärtsgang nicht eingelegt werden darf.
Wenn der Einigungsprozeß seine Dynamik verliert, dann zerbröselt er, dann zerfasert er. Dann droht das, was der Bundeskanzler soeben mit Recht „Europa á la carte" genannt hat: Jeder sucht sich aus, was ihm an Integration gefällt, und allem anderen verweigert er sich. Ein solcher Integrationsstil könnte nicht von Dauer sein.
Für die deutsche Sozialdemokratie war es ein Leitgedanke bei ihrer Bewertung des Vertrages von Maastricht, daß die Dynamik der Einigung nicht aufgehalten werden darf. Ich bin in den letzten Wochen mehr als einmal — auch aus den Reihen der Regierungsparteien — gefragt worden, warum die SPD so früh und so entschieden ihr Ja zur Europäischen Union gesagt hat. Die Defizite des Vertrages sind uns sehr wohl bewußt. Wir verkennen auch nicht, daß die Union von Maastricht eher die europapolitische Philosophie der 80er Jahre ausdrückt, als daß sie eine Antwort auf die revolutionären Umwälzungen in Europa wäre.
Die Detailkritik am Maastrichter Vertrag, die wir geleistet haben, ist notwendig, nicht aus Beckmesserei, sondern um sichtbar zu machen, welche Aufgaben noch gelöst werden müssen. Es hat aber wenig Sinn, einen mit Mängeln behafteten Vertrag kaputtzureden, wenn man das eigentliche Ziel bejaht.
Ein solcher Vertrag ist naturnotwendig ein Kompromiß. Er enthält das, wozu die Vertragspartner beim Abschluß gemeinsam in der Lage waren. Daß einige mehr wollten -- wir z. B. — und andere weniger, ist doch kar. Aber wir können an internationale Verträge nicht nach dem Motto herangehen: Wenn es nicht genau nach unserer Mütze geht, dann machen wir eben nicht mit. Darauf hätten alle anderen gerade noch gewartet, daß wir sagen: Ganz Europa hört auf unser Kommando. —Ein Vertrag unter Gleichen kann kein Diktat sein.
Wir hatten also nicht zu bewerten, ob der Vertrag in allen Einzelheiten perfekt ist, sondern ob er Europa nach vorn bringt oder nicht. Wir glauben, die Europäische Union bringt eine neue Qualität der Einigung.
Die europäische Tradition der Sozialdemokratie ist alt und bewährt. Hätte sie sich früher durchgesetzt, Europa wäre viel erspart geblieben.
Ein so reiches historisches Erbe verrät man nicht. Es mag für einen ganz kurzen Augenblick reizvoll sein, sich vorzustellen, wie die Lage wäre, wenn die SPD den Vertrag von Maastricht heute als eine innenpolitische Waffe gegen die Bundesregierung verwenden würde. Überlegen Sie es einen kleinen Augenblick. Ein solches rein machtpolitisches Denken hätte furchtbare Folgen für Deutschland, für Europa und auch für uns selbst. Deshalb kann man wirklich nur einen ganz kleinen Augenblick daran denken.
In einem historischen Moment wie diesem kann man nicht mit einem „nicht so" oder „nicht jetzt" argumentieren. Die CDU/CSU hat das an einer anderen entscheidenden Wegmarke unserer Politik einmal erfahren müssen.
Ein wohlbegründetes Nein zu Maastricht ist denkbar, aber es würde zu einem Nein zu Europa umge-
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Günter Verheugen
deutet werden. Es würde als ein Signal verstanden, daß das vereinte Deutschland die europäische Einbindung verlassen und Politik wieder auf eigene Rechnung betreiben will. Mißtrauen und Isolierung wären die Folgen.
Die nationale und internationale Verantwortung, die wir als Opposition genauso zu beachten haben wie die Regierung, läßt uns keine andere Wahl. Ich achte und respektiere die Motive derjenigen, die dennoch nein sagen werden. Man muß deshalb kein schlechter Europäer sein. Aber hier ging es nicht um eine individuelle Entscheidung. Hier ging es um die Frage, ob die Europäische Union in Deutschland oder an Deutschland scheitern darf. Das darf sie eben nicht.
Es kommt noch etwas hinzu: Rechtsradikaler Terror läßt bei unseren Nachbarn alte Ängste wieder aufleben. Gewiß, Gewalttaten gegen Ausländer gibt es auch anderswo, aber nur bei uns weckt das Erinnerungen an Massenmord. Darüber sollten wir nicht jammern, dem haben wir uns zu stellen. Ein klares Bekenntnis zu Europa ist für mich ein Bekenntnis zu seinen Grundwerten, zu Humanität, Toleranz und Brüderlichkeit und damit ein ebenso klares Bekenntnis gegen Nationalismus und Gewalt.
Ich bedaure es, daß der Bundeskanzler heute morgen die Chance verpaßt hat, in diesem Zusammenhang das notwendige klare und deutliche Wort gegen den rechtsradikalen Terror in unserem Lande zu sagen.
Es wäre auch — an die Adresse unserer europäischen Partner gerichtet — notwendig gewesen, dies hier an dieser Stelle und gerade im Zusammenhang mit dem Vertrag von Maastricht zu tun.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Beratungen heute zeigen zwei Seiten derselben Medaille, die außenpolitische und die innenpolitische. Dabei hat uns in den letzten Wochen und Monaten die innenpolitische Seite mehr, vielleicht sogar über Gebühr beschäftigt. Mit der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht sind Verfassungsänderungen verbunden, die nicht ohne Berechtigung als qualitativ vergleichbar mit der Wehrverfassung, der Notstandsverfassung und der Einheit betrachtet werden. Im Grundsatz ging es darum, unser nationales Verfassungsrecht vor dem Hintergrund eines europäischen Qualitätssprungs zu überprüfen.
Wir haben die europäische Integration bisher auf der Grundlage der Ermächtigung des Art. 24 Abs. 1 Grundgesetz verfassungsmäßig abgesichert. Diese Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten durch Gesetz auf zwischenstaatliche Einrichtungen reicht für „Maastricht" nicht mehr aus. Ich nenne die Gründe:
Erstens. Die Europäische Union mit ihren weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten und mit ihren eigenen Organen, vor allen Dingen mit ihren Rechtsetzungsbefugnissen, ist keine zwischenstaatliche Einrichtung mehr.
Zweitens. Das bisher praktizierte Verfahren der Übertragung von Hoheitsrechten hat Verfassungsdurchbrechungen in großem Ausmaß erlaubt, jedenfalls ermöglicht, die bis in den absolut geschützten Kernbereich unseres Grundgesetzes vorgedrungen sind. Aus dem Verfassungstext jedenfalls läßt sich keine Ermächtigung mehr herauslesen, Teile unserer Gesetzgebungshoheit auf europäische Ebene zu transferieren, ohne daß auf dieser Ebene das Demokratieprinzip dieselbe Gültigkeit hätte wie hier.
Drittens. Die bisherige innerstaatliche Gestaltung des Integrationsprozesses hat die nach dem Grundgesetz ausgewogene Balance zwischen den Verfassungsorganen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung empfindlich und nachhaltig gestört. Betroffen sind der Bundestag und die Länder. Sie geben Kompetenzen ab. Selbst die Gesetzgebungskompetenz wird dann auf europäischer Ebene von der Exekutive, der Bundesregierung, wahrgenommen. Gleichzeitig wird so der föderative Staatsaufbau ausgehöhlt, weil Länderrechte ohne durch Mitwirkungsrechte kompensiert zu werden nach Europa wandern.
Deshalb stellen die in der Gemeinsamen Verfassungskommission und im Sonderausschuß gefundenen Problemlösungen einen wirklichen Durchbruch dar. Ich wehre mich dagegen, Herr Kollege Irmer, daß Sie hier darstellen, dies sei in der Art eines armenischen Teppichhandels unter unzulässigem Druck der Länder geschehen. Ich sage Ihnen für die sozialdemokratische Fraktion: Wir haben das getan, weil unser Grundgesetz das von uns verlangt, und aus keinem anderen Grund.
Ich bedaure es, daß es uns bei unseren Überlegungen nicht gelungen ist, die Tendenz zum reinen Regierungsföderalismus zurückzudrängen. Auf Länderebene sind es die Landtage, die Teile ihrer Gesetzgebungskompetenz verlieren. Die Mitwirkungsrechte werden aber durch den Bundesrat wahrgenommen und fallen allein den Landesregierungen zu. Dasselbe Problem des Machtzuwachses der Exekutive zu Lasten der Gesetzgebungsorgane, das wir auf europäischer Ebene beklagen, haben wir auf nationaler Ebene auch. Hier konnte der Bundesgesetzgeber keine Abhilfe schaffen. Die Landtage müssen sich ihre Rechte selbst holen, wozu ich sie auffordere.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Es sind besorgte Fragen laut geworden, ob die neuen Bestimmungen dazu führen könnten, daß die Bundesregierung in Brüssel verhandlungsunfähig wird. Diese Gefahr besteht nicht. Die Bundesregierung wird vom Bundestag am Beginn eines Verhandlungsprozesses und nur politisch gebunden. Das den Ländern eingeräumte Beteili-
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Günter Verheugen
gungsverfahren steht unter der Einschränkung der gesamtstaatlichen Verantwortung. Ich glaube nicht, daß etwas mehr Einfluß der nationalen Parlamente auf Entscheidungen ihrer Regierungen in Brüssel schädlich sein wird. Im Gegenteil, mancher europäische Irrweg wäre vermieden worden. Der Vorwurf der Bürgerferne wäre nicht so massiv erhoben worden, wenn sich die nationalen Parlamente stärker eingeschaltet hätten. Dies bedeutet keine Renationalisierung der europäischen Demokratie. Die Forderung nach mehr Rechten des Europäischen Parlaments bleibt vorrangig. Aber auch wenn diese Rechte geschaffen werden, sollten Bundestag und Bundesrat nicht auf ihre Rechte verzichten. Zuviel Demokratie kann es in Europa gewiß nicht geben.
Meine Damen und Herren, wir haben die Aufgabe, die wir uns.gestellt haben, noch nicht gelöst. Es wird notwendig sein, daß wir für die Zustimmung unserer Wählerinnen und Wähler zur Europäischen Union kämpfen. Das haben wir bisher nicht getan. Ich bin sicher, daß wir die Deutschen von Europa überzeugen können. Aber dies geschieht nicht von allein. Dieser Aufgabe haben wir uns noch über diesen Tag hinaus zu stellen.
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärigen, Herr Dr. Kinkel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist zweifellos ein sehr wichtiger Tag für dieses Parlament. Die Entschließung, die Bundestag und Bundesrat feierlich fassen wollen und die von den großen demokratischen Kräften über die Grenzen von Koalition und Opposition hinweg getragen wird, dokumentiert: Wir sind entschlossen, die bewährte Politik der europäischen Einigung gemeinsam fortzusetzen.
Ich möchte — wie es Herr Verheugen vor mir getan hat — allen Beteiligten sehr herzlich danken. Der Bundestag hat in grundlegenden, schwierigen Fragen dieses Staates schnell, effizient und zukunftsorientiert gearbeitet. Der Sonderausschuß Europäische Union und die mitberatenden Ausschüsse haben das umfassende Regelungswerk rasch und engagiert aufgearbeitet und aufbereitet.
In der Exekutive waren und sind es aber vor allem zwei Personen, über die heute in diesem Zusammenhang gesprochen werden muß. Die eine Person ist der Bundeskanzler und die andere Person war und ist Hans-Dietrich Genscher, der 18 Jahre lang die deutsche Außenpolitik gestaltet hat und sich ungeheuer — genauso wie der Bundeskanzler für dieses Europa und natürlich zuletzt auch für die Maastrichter Verträge eingesetzt hat.
Ich kann beurteilen, was es bedeutet, so etwas unermüdlich, zäh und ohne sich durch Rückschläge beirren zu lassen, durchzudrücken. Beide haben dies getan. Ich hätte es meinem Vorgänger — ich bin sozusagen erst spät ins Spiel eingewechselt worden —gegönnt, daß er heute an diesem wichtigen Tag das Land als Außenminister von diesem Pult aus hätte vertreten können. Ich muß es jetzt sozusagen für ihn versuchen.
Der Bundeskanzler hat am 17. Oktober dieses Jahres Willi Brandt zitiert, der heute schon mehrfach zu Recht zitiert wurde:
Wir haben die Einheit Deutschlands im Inneren zu vollenden, die Einigung Europas voranzubringen und unserer gewachsenen Mitverantwortung in der Welt gerecht zu werden.
Ja, Herr Bundeskanzler, Sie haben es vorher nochmals gesagt: Der Vertrag von Maastricht ist ein Stück Verwirklichung dieser Vision.
Deutschland hat zusammen mit Frankreich unsere Partner in der Gemeinschaft für diese Politik gewonnen, getreu der Verpflichtung der Gründungsverträge einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen. Die deutsche und die europäische Einigung sind Teile eines einzigen Prozesses. Wir verankern die europäische Ausrichtung der deutschen Politik heute in unserer Verfassung. Die neue Staatszielbestimmung Europa tritt mit Verfassungsrang an die Stelle des alten Art. 23 des Grundgesetzes, der auf die deutsche Einigung zielte. Sinn der neuen Bestimmung ist es, die europäische Einigung im Einklang mit unserer Verfassung voranzubringen. An der Entwicklung der Europäischen Union wirken künftig der Bundestag und verstärkt auch die Länder über den Bundesrat mit.
Gewiß, der Bundesrat muß dem Vertrag zustimmen. Aber Sie werden es dem Bundesaußenminister nicht übelnehmen, wenn er fragt: Waren die Länder wirklich gut beraten, diese Lage zu benutzen,
um ihre Beteiligungsrechte über das notwendige Maß hinaus auszudehnen?
Ich bin jedenfalls nicht sicher.
Die neuen Beteiligungsrechte werfen in der Praxis schwierige Probleme auf; diese Probleme können nur kooperativ, flexibel und vor allem gemeinschaftstreu bewältigt werden. Ich vertraue darauf, daß uns dies gemeinsam gelingt. Unser Wille zur Fortsetzung europäischer Integrationspolitik muß sich auch in Zukunft im konkreten Handeln bewähren.
Herr Minister Kinkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Conradi?
Dr. Klaus Kinkel, Bundesmaster des Auswärtigen: Bitte.
Herr Minister, wären Sie so freundlich zu präzisieren, daß es sich hier nicht um
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Peter Conradi
Länderrechte handelt, sondern um Rechte der Länderregierungen, die einhergehen mit einer weiteren Schwächung der Länderparlamente?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe den Eindruck, daß dieses Hohe Haus und auch die Bundesratsbank sehr wohl verstanden haben, was ich präzis sagen wollte.
Ich darf wiederholen: Im Bundesstaat, wie wir ihn in Deutschland haben, gilt der Grundsatz der Bundestreue. Dazu bekennen sich ja Bund, Länder und Gemeinden. In der Gemeinschaft gilt der Grundsatz der Gemeinschaftstreue. Er ergibt sich aus dem Vertrag über die Europäische Union und aus der Staatszielbestimmung des Grundgesetzes. Das bedeutet eben Rechte und Pflichten — meint erhöhte Mitverantwortung auch für die Länder.
Mit der politischen Grundentscheidung für Maastricht kann Deutschland zum Europäischen Rat nach Edinburgh gehen. Wir werden das tun, um Europa für seine großen Zukunftsaufgaben weiter zu stärken. Wir werden zu den zehn Mitgliedstaaten gehören, die vor Ende des Jahres ratifiziert haben.
Wir wollen — ich sage das auch noch einmal — alles tun, damit wir letztendlich zu zwölft durchs Ziel gehen.
Wir sind durchaus bereit, Besorgnissen in Dänemark Rechnung zu tragen. Aber — der Herr Bundeskanzler hat es bereits angedeutet — das, was da kommen kann, eventuell kommen muß, muß unterhalb der Vertragsänderung liegen. Die Botschaft von Edinburgh muß sein: Die europäische Einigung schreitet voran, und Dänemark und Großbritannien sind dabei.
Die geschichtliche Weichenstellung, meine Damen und Herren, nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs für die Westintegration und die europäische Einigung hat zu einer beispiellosen Erfolgsgeschichte geführt. Das wird leicht vergessen. Sie hat nicht nur einen unglaublichen wirtschaftlichen Aufschwung ausgelöst, sondern nach 40 Jahren auch die Auflösung der Blöcke und die deutsche Einigung unter einem europäischen Dach gebracht.
Die Europäische Gemeinschaft hat uns seit Ende des Zweiten Weltkriegs 47 Jahre des Friedens, des Wohlstands und der wirtschaftlichen Stabilität gebracht — die längste Periode des Friedens der Neuzeit im alten Kontinent. In unmittelbarer Nähe unserer Grenzen herrscht leider erneut ein menschenverachtender Krieg. In unserem eigenen Lande gibt es Gewalt von Menschen, die ihren Mitmenschen das Daseinsrecht bestreiten und vor Verbrechen nicht zurückschrecken. Ich finde, das gerade macht deutlich: Die europäische Idee hat ihren Dienst noch längst nicht vollständig getan.
Vieles bleibt zu tun; gerade angesichts der Instabilitäten im östlichen Teil unseres Kontinents und der kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien, aber auch eben im Hinblick auf die Ereignisse in unserem Land.
Die europäische Einigung hat sich in Stufen entwikkelt. Der große Binnenmarkt, der mit dem neuen Jahr beginnt, ist ein wichtiger Teil dieses Stufenprozesses. Weitere evolutive Schritte sind im Vertrag über die Europäische Union angelegt; am deutlichsten im stufenweisen Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion, einem Kernstück des Vertrages.
Schon jetzt müssen die Mitgliedstaaten mit aller Kraft an der notwendigen Konvergenz arbeiten, strikte Haushaltsdisziplin üben und ihre Finanzpolitik auf die Entwicklung zur Währungsunion hin ausrichten. Wie wichtig das ist — ich nehme an, daß der Kollege Waigel darauf noch eingehen wird —, haben die Unruhen der letzten Monate und die notwendigen Anpassungsschritte im europäischen Währungssystem wahrhaftig gezeigt.
Aber gerade als früherer Bundesjustizminister weise ich darauf hin, daß Europa eben nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsunion ist, sondern auch eine Rechts-, Handlungs- und politische Gemeinschaft. Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik — der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen — setzt Europa künftig nicht nur in den Stand, mit einer Stimme zu sprechen, sondern eben auch gemeinsam zu handeln. Es kann damit seiner gewachsenen Verantwortung in der Welt besser gerecht werden und die europäischen Kräfte sinnvoll bündeln, um die Handlungsfähigkeit der Union zu stärken.
Aber — das sage ich als Außenminister — auch, wenn wir den Blick in den Nahen Osten, den Maghreb, das Horn von Afrika, Angola, Südafrika oder andere Teile der Welt richten, zeigt sich, daß diese Gemeinschaft das Instrumentarium für eine gemeinsame Außenpolitik dringendst braucht.
Neuland betritt der Vertrag mit der Perspektive einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die — wie es im Vertrag heißt — zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen soll. Vorerst wird die Westeuropäische Union als Verteidigungskomponente der Europäischen Union tätig werden, solange die Europäische Union selbst keine entsprechenden Befugnisse hat. Das wird zur Stärkung des europäischen Pfeilers der Atlantischen Allianz beitragen.
Die Bundesregierung wird die Möglichkeiten zu evolutiver Fortentwicklung, die der Vertrag bietet, entschlossen nutzen und gegebenenfalls die Zustimmung des Parlaments einholen. Schon jetzt ist für das Jahr 1996 eine Revisionskonferenz fest vereinbart.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10837
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Meine Damen und Herren, das Europäische Parlament steht an vorderster Stelle derjenigen Kräfte, die mit uns für eine demokratische und transparente Gemeinschaft eintreten. Durch den Vertrag von Maastricht erhält das Europäische Parlament einen Zuwachs an Befugnissen, die schrittweise weiter ausgebaut werden müssen. Wir haben ja von der Bundesrepublik aus versucht, dies stärker voranzutreiben. Leider haben wir uns nicht durchgesetzt.
Die Europäische Union, um die wir uns bemühen, die wir mit dem Vertrag von Maastricht schaffen wollen, muß die gemeinsame Sache aller Bürger sein. Europa ist eben nicht nur ein Europa der Verträge; es muß aus dem Herzen und dem Verstand der Menschen kommen. Das wird nur der Fall sein, wenn wir die Sorgen, die allenthalben aufgetaucht sind, tatsächlich auch ernst nehmen.
Ich weiß ganz genau, daß das Vertrauen unserer Bürger in eine gemeinsame europäische Zukunft mit Erklärungen der Europäischen Räte allein nur schwer zu gewinnen ist. Worum geht es eigentlich? Es ist vorher schon angesprochen worden: Es geht darum, daß wir diese Union ganz einfach deshalb brauchen, weil kein europäischer Staat allein — auch wir nicht, die wir relativ stark sind — mehr in der Lage ist, die auf uns alle zukommenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu bewältigen. Die Zeit nationaler Politik ist vorbei.
In Edinburgh wird auch über das Delors-II-Paket zu entscheiden sein. Wir müssen dabei einen Kompromiß finden zwischen engen nationalen Haushaltszwängen und der Notwendigkeit, der Gemeinschaft die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Wir müssen uns natürlich jetzt auch endgültig zum GATT durchringen.
Ich hoffe sehr, daß uns das gemeinsam mit unseren Partnern gelingt.
Wir müssen uns vor allem auch bewußt bleiben, daß die Veränderungen in Mittel- und Osteuropa im Vertrauen darauf eingeleitet worden sind, daß die Reformstaaten — zumindest langfristig — an den politischen und wirtschaftlichen Werten und Fortschritten Westeuropas teilhaben werden,
Vor allem: Nur der Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft in diesen Staaten ist eine Garantie für die Unumkehrbarkeit der in Gang gekommenen Prozesse, hin zu rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen Strukturen.
Für die Festigung dieser jungen Demokratien bleibt Europa eine entscheidende Perspektive.
Manche meinen, mit dem Wegfall der Ost-West-Auseinandersetzung sei auch die europäische Einigung sozusagen zweitrangig geworden. Aber der Zusammenschluß Europas war eben nicht eine Reaktion auf den Eisernen Vorhang, er war vor allem die Reaktion auf jahrhundertelange Bruderkämpfe hier in Europa.
Meine Damen und Herren, wir erleben zur Zeit eine Welle von Fremdenhaß und Gewalt in unserem Land. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, obwohl es an anderer Stelle angebrachter wäre, als Außenminister zu sagen, daß alle Demokraten in diesem Lande zusammenstehen müssen, um mit diesem Phänomen fertig zu werden. Es ist nicht allein Aufgabe der Regierung, es ist nicht allein Aufgabe des Parlaments, es ist vor allem auch Aufgabe der Medien und aller gesellschaftlichen Kräfte, wie Kirchen, Gewerkschaften, Schulen und Universitäten, dafür zu sorgen, daß wir das, was wir mühsam in langen Jahren an demokratischen Strukturen in diesem Lande aufgebaut haben, nach drinnen, ich sage aber als Außenminister: vor allem aber auch nach draußen um Gottes willen jetzt nicht vom rechten Pöbel zerschlagen lassen.
Ich habe große Sorge vor allem auch, was unser Ansehen im Ausland anbelangt. Bitte, helfen Sie alle mit, daß das Bild Deutschlands nach drinnen und draußen wieder unbefleckt erscheint!
— Es geht in der Tat nicht nur um das Bild, es geht darum, daß wir nach drinnen und draußen unbefleckt sind, nicht nur im Bild, aber auch im Bild.
Die Probleme der Flüchtlingsströme aus dem ehemaligen Jugoslawien und dem Osten Europas, wo uns unsere europäischen Partner — ich sage das von diesem Pult aus — doch in mancher Beziehung sehr im Stich gelassen haben, aber auch der krisenbedingte Zuwanderungsdruck aus Nachbarregionen wie Maghreb sind nicht auf Deutschland begrenzt. Wir Europäer müssen gemeinsam handeln. Unseren eigenen Interessen ist von jeher am besten durch die Verwirklichung der europäischen Einigung gedient worden. Mit der Europäischen Union, die in einer europäischen Verfassung münden sollte, streben wir Einheit in Vielfalt an, europäische Gemeinsamkeit und Achtung der nationalen Identität.
Zwei Sätze zum Schluß: Jean Monnet, einer der Gründerväter der Gemeinschaft, hatte erkannt, daß die Menschen nicht gern auf neue Ideen hören, solange sie die Hoffnung haben, die Dinge könnten gleich bleiben. Aber die Dinge bleiben nicht gleich. Der Vertrag von Maastricht ist das Konzept für die neue Situation. Er ist das unverzichtbare Korrelat der deutschen Einigung für die Fortsetzung der Friedenspolitik in Europa und in der Welt. Er ist, wie schon Walter Hallstein über den EWG-Vertrag sagte, ein
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Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Unterpfand für unsere politische Freiheit, ja für die Existenz unseres Volkes.
Nun hat der Abgeordnete Karsten Voigt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Recht steht heute der Maastricht-Vertrag im Mittelpunkt unserer Beratungen. Aber ich möchte am Eingang meiner Bemerkungen doch sagen, daß der Vertrag über den Einheitlichen Europäischen Wirtschaftsraum in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Maastricht-Vertrag steht und daß er nicht in den Hintergrund unserer Debatte rücken darf.
Denn die Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft hin zur Europäischen Union, die wir heute ratifizieren wollen, ist sozusagen die Voraussetzung für die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, der Europäischen Union um die Mitgliedstaaten, die aus den EFTA-Staaten der Europäischen Union beitreten wollen. Insofern ist die Ratifizierung des Vertrages über den Einheitlichen Europäischen Währungsraum eine wichtige Ergänzung zu dem Vertrag von Maastricht selbst.
Ich hoffe übrigens, daß in Edinburgh die dort versammelten Regierungschefs die Kraft haben, nicht nur den Mitgliedstaaten der EFTA, soweit sie es wollen, Verhandlungen ab Januar anzubieten, sondern gleichzeitig den Polen, den Tschechen, den Slowaken und Ungarn ein klares Signal zu geben, daß sie, wenn auch nicht sofort, doch schließlich über mittlere Frist die Perspektive einer Vollmitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft haben.
Die Beratung über die Außen- und Sicherheitspolitik einer künftigen Europäischen Union unterscheidet sich insofern von den Beratungen über andere Aspekte des Maastricht-Vertrages, als es hier nicht nur Konsens, sondern auch Dissens gibt. Es gibt Konsens über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, so wie sie in Maastricht vereinbart worden ist. Wir sind für diese stärkere Integration und Koordinierung der Außen- und Sicherheitspolitik, besonders beim KSZE-Prozeß, bei der Abrüstungsund Rüstungskontrollpolitik, bei vertrauensbildenden Maßnahmen. Wir sind dafür, daß insbesondere auch stärkere Restriktionen beim Rüstungsexport gemeinsam eingeführt werden. Aber wir sagen auch dort, daß wir wünschen, daß unsere osteuropäischen Nachbarn, wenigstens von Fall zu Fall, frühzeitig bei den Beratungen der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union beteiligt werden sollen.
Der Dissens bezieht sich nicht auf das, was in Maastricht vereinbart worden ist. Deshalb ratifizieren wir auch. Der Dissens bezieht sich auf zwei Aspekte der Perspektiven oder möglicher Perspektiven der künftigen Außen- und Sicherheitspolitik einer Europäischen Union. Das ist die Frage der Weiterentwicklung der Westeuropäischen Union, und das ist die Frage einer demokratischen Kontrolle einer möglichen, künftig integrierten europäischen Verteidigungspolitik.
Unser Vorbehalt gegen die Europäische Union wendet sich nicht gegen die Westeuropäische Union als solche. Soweit die Westeuropäische Union verteidigungspolitischen Zwecken dient und ein europäischer Pfeiler in einem transatlantischen Bündnis sein soll, um eine wirkliche transatlantische Partnerschaft von Gleichberechtigten zu ermöglichen, findet sie unsere Zustimmung.
Wogegen wir aber nicht nur unseren Vorbehalt, sondern unser Nein wenden, ist ein Westeuropa, das mit den Mitteln der Westeuropäischen Union zu einer europäischen Interventionsmacht werden will. Das wollen wir nicht.
Deshalb haben wir Wert darauf gelegt, daß das Protokoll zur WEU und die Petersberger Erklärung der Westeuropäischen Union nicht Gegenstand der Ratifizierung sind. Die Petersberger Erklärung wird unsere Zustimmung nicht finden. Wir danken dem Bundesaußenminister — aber wir haben es auch für nötig gehalten —, daß er in einem Brief an den Fraktionsvorsitzenden festgestellt hat, daß die gemeinsame Erklärung der WEU-Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Maastricht nicht Teil des zu ratifizierenden Vertrages sind. In dem Schreiben, das ich ausdrücklich verlesen möchte, heißt es:
Die deutsche Zustimmung zum Vertrag über die Europäische Union erstreckt sich nur auf die WEU-Mitgliedstaaten. Die beiden Erklärungen der WEU-Mitgliedstaaten sind als solche nicht Gegenstand der parlamentarischen Zustimmung.
Ich sage noch einmal: Auf diesen Hinweis haben wir Wert gelegt, nicht aus Kritik an der WEU selber, nicht aus einer Kritik am europäischen Pfeiler in der NATO, aber aus Sorge, daß die Bundesregierung über nichtratifizierte Verfahren und Erklärungen der Westeuropäischen Union durch die Hintertür bei uns parlamentarische Beratungen über „Out-of-area"-Einsätze zu umgehen versucht und versucht, schrittweise einen Druck auf eine parlamentarische Gruppierung auszuüben, nämlich die SPD, wo in Wirklichkeit aus verfassungspolitischen Gründen ein Konsens zwischen Regierung und Opposition, ein innerparlamentarischer Konsens erforderlich ist. Den Mangel an inner-parlamentarischem Konsens und Kompromißfähigkeit bei uns im Parlament kann man nicht durch Hinweis auf solche Erklärungen wie die Petersberger WEU-Erklärung umgehen, um über die Zustimmung von Regierungen zu dieser Erklärung bei uns einen parlamentarischen Prozeß zu vermeiden. Das lehnen wir ab.
Der zweite Vorbehalt — und der ist noch wichtiger — bezieht sich auf die Frage der parlamentarischen Kontrolle. Über Jahre hinweg haben wir bei jeder Kompetenzübertragung auf die Europäische Gemeinschaft, jetzt auf die Europäische Union, gesagt: Wir hoffen, daß die Übertragung von nationalen Kompetenzen begleitet wird von einem Mehr an
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Karsten D. Voigt
parlamentarischen Rechten für das Europäische Parlament. Dies ist bisher noch völlig unzureichend geschehen.
Ich sage für die SPD, daß eine Übertragung von verteidigungspolitischen Kompetenzen auf die WEU oder auf eine Europäische Union, die nicht verbunden ist mit parlamentarischen Kontrollrechten in bezug auf den verteidigungspolitischen Bereich, wie sie bei uns im Bundestag gelten, für uns nicht zustimmungsfähig wäre.
Die SPD hat seit ihrer Gründung — seit August Bebel —, später über den Magdeburger Parteitag 1929, dann mit Fritz Erler und Helmut Schmidt immer darauf gedrungen, daß die Bundeswehr voll mit der demokratischen Gesellschaft versöhnt ist und daß sie voll durch das Parlament kontrolliert wird. Deshalb die Institution des Wehrbeauftragten, das Recht des Verteidigungsausschusses, sich jederzeit in einen Untersuchungsausschuß umzuwandeln, und die starke parlamentarische Kontrolle des Haushalts des Bundesverteidigungsministeriums.
Wenn man nicht in der Lage ist, auf europäischer Ebene zu vereinbaren, daß die Rechte, die wir jetzt im Bundestag haben, künftig durch das Europäische Parlament ausgeübt werden, dann werden wir nicht um einer europäischen Verteidigungspolitik willen auf die demokratische Kontrolle bei uns verzichten. Dieser Einwand ist nicht ein Einwand gegen eine Europäisierung. Er ist aber ein Einwand gegen ein Europa, das mit einer Verminderung an Demokratie in der Verteidigungspolitik verbunden sein würde.
Ich möchte diesen Punkt ganz deutlich in den Vordergrund unserer Diskussion bringen. Ich bitte, daß unsere Nachbarstaaten diesen Vorbehalt deutlich verstehen. In dieser Frage lassen deutsche Sozialdemokraten mit sich auf Grund der deutschen Geschichte nicht handeln.
In dieser Frage wird es keine faulen Kompromisse geben.
Das bedeutet, daß Sie, nachdem Art. 23 so eindeutig festgelegt hat, daß solche Kompetenzübertragungen nur mit einer Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat möglich sind, von vornherein bei den Verhandlungen und bei der Definition von Positionen unserer eigenen Regierung den Nachbarstaaten sagen müssen, daß sie eine europäische Verteidigungspolitik in der integrierten Form nur mit einem Mehr an Demokratie für das Europäische Parlament bekommen, was gleichzeitig ein Mehr an Demokratie bedeutet, als die meisten Nachbarstaaten in bezug auf Verteidigungspolitik bei sich zu Hause haben. Aber es wird nicht mit einem Weniger an Demokratie gehen, als wir es heute im Bundestag nach langem heftigen Streit in einem wehrpolitischen Konsens Anfang der 50er Jahre mühsam errungen haben.
Zum Schluß: Entschuldigen Sie etwas meine rauhe, heisere Stimme. Ich bin verschnupft, aber nicht über Sie und nicht über Maastricht, wohl aber durch das Wetter, das meine Gesundheit angeschlagen hat.
Vielen Dank.
Nun hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel, das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich dem Kollegen Voigt eine gute Besserung auch für die Stimme wünschen, vor allen Dingen, weil er klar erklärt hat, er sei nicht über Maastricht und nicht über den Vertrag verschnupft.
Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des Vertrages von Maastricht im Deutschen Bundestag und der abschließenden Erklärung im Bundesrat am 18. Dezember 1992 setzen wir ein wichtiges Signal für die wirtschaftliche und politische Stabilität in Deutschland und Europa.
Die Ratifizierung des Vertrages von Maastricht und der zuletzt erzielte Kompromiß in der Uruguay-Runde des GATT sind auch Antworten auf weltweite Wachstumsverlangsamung und die unverändert drängenden Entwicklungsprobleme in der Dritten Welt und im früheren kommunistischen Machtbereich. Was, wenn nicht Europa, wenn nicht der Binnenmarkt, wenn nicht die Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft, wenn nicht ein stabiles, auf Stabilität ausgerichtetes Europa soll sonst einen Wachstumssprung, soll sonst Wachstumsspielräume in Europa und damit auch für die deutsche Volkswirtschaft eröffnen?
Die Vereinbarung von Maastricht liegt jetzt rund zwölf Monate zurück. Wir haben diese Zeit für eine intensive, auch kontroverse, aber doch vor allem konstruktive Debatte genutzt. Jeder Deutsche hatte die Chance, sich über die Vorteile und die sich ergebenden Veränderungen durch die Europäische Währungsunion zu informieren. Natürlich hätte man vieles noch intensiver und besser machen können. Nur, wenn aus dem Bereich der Publizistik und der Presse immer wieder die Klage kommt, wir hätten zuwenig getan, ist dem entgegenzuhalten: Seit es den Delors-Bericht gibt und auch zuvor haben wir bei jeder Konferenz und bei j eder Verhandlungsrunde die Presse informiert. Man wußte Bescheid. Jetzt, nach drei, vier Jahren, so zu tun, als wäre man darüber nicht informiert gewesen, ist schlichtweg nicht richtig.
Die Debatte über den Vertrag von Maastricht hat die Verantwortung der demokratischen Parteien bei der Lösung entscheidender Zukunftsfragen unseres Landes unter Beweis gestellt. Auch im Verhältnis von Bund und Ländern hat die Aussprache über zunächst strittige Fragen der Vertragsratifizierung zu positiven Ergebnissen geführt. Der deutsche Föderalismus hat damit gerade vor dem Hintergrund der europäischen Integration seine Vitalität erneut bewiesen. Die Verbände der deutschen Wirtschaft, die Gewerkschaften, die Kirchen und wichtige andere gesellschaftliche Gruppen haben ebenfalls ihre Zustimmung und ihre
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Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Unterstützung zum europäischen Einigungswerk unterstrichen.
Mit den abschließenden Entscheidungen von Bundestag und Bundesrat ist allerdings die Debatte über die Zukunft Europas nicht beendet. Es bleibt noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber die Diskussion ist auf dem richtigen Weg, und unser intensives Werben für die europäische Idee beginnt, sich auszuzahlen.
Der Vertrag von Maastricht gewinnt gerade durch die derzeitige weltweite Wachstumsverlangsamung an zusätzlicher Aktualität; denn die Wachstumsschwäche zeigt, wie verletzlich jedes unserer Länder für sich genommen ist.
Wir alle sind auf offene Weltmärkte, auf das Wachstum in anderen Ländern und auf die Stabilität der Finanzmärkte angewiesen. All dies wird durch eine Gemeinschaft der Zwölf sichergestellt, eine Gemeinschaft, die sich auch nach außen noch weiter öffnet und die Zusammenarbeit mit den anderen großen Wirtschaftsregionen ausbaut und festigt.
Meine Damen und Herren, wenn schon die Abstimmung in Dänemark und die knappe positive Abstimmung in Frankreich zu solchen Problemen und Turbulenzen auf den Märkten geführt haben, was würde erst in Europa und weltweit passieren, wenn dieser Prozeß grundsätzlich in Frage gestellt würde? Das sollten sich alle Kritiker gut überlegen, wenn sie diese Dimensionen miteinander vergleichen.
Schonjetzt sind die europäischen Staaten durch den Vertrag von Maastricht enger zusammengerückt. Die Übereinstimmung in den grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Zielen und in der Auswahl der Instrumente ist weit fortgeschritten. Kaum ein Land fordert noch kreditfinanzierte Konjunktur- und Beschäftigungsprogramme. Die aktuellen Wachstumsstrategien beziehen sich vielmehr auf angebotsseitige Verbesserungen, die Begrenzung der Lohn- und Gehaltskosten, den Abbau der strukturellen Staatsdefizite, auf Privatisierung und den Abbau bürokratischer Regulierungen sowie auf die Förderung von Infrastruktur und Mittelstand.
Eine gemeinschaftliche Wachstumsinitiative muß vor allem auf den nationalen Eigenanstrengungen beruhen. Gezielte Initiativen auf EG-Ebene, z. B. bei der Förderung privater Investitionen, können eine wichtige Ergänzung der nationalen Eigenanstrengungen sein. Aber sie sind kein Instrument, fehlende nationale Expansionsspielräume auf der Ausgabenseite zu ersetzen.
In den veränderten wachstumspolitischen Leitlinien zeigt sich die feste Verankerung des marktwirtschaftlichen Gedankens im Europäischen Einigungswerk. Diese Entwicklung sollte all denjenigen zu denken geben, die fälschlicherweise im Vertrag von Maastricht den marktwirtschaftlichen Sündenfall sehen. Tatsächlich haben wir durch den Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion ein hohes Maß an ordnungspolitischer Verläßlichkeit gewonnen.
Ein bekannter Journalist, den ich sehr schätze, hat in seinem Kommentar damals vor der Unterzeichnung in Maastricht die Frage gestellt, ob dem Theo Waigel angesichts dessen, was er unterschreibt, nicht die Feder zittern müsse. Nein, meine Damen und Herren, die Feder hat mir nicht gezittert, weil ich mit voller Überzeugung und mit Freude und in dem Bewußtsein, etwas Wichtiges für Deutschland unterschrieben zu haben, diese Unterschrift geleistet habe.
In Deutschland beruht die Soziale Marktwirtschaft auf einer Reihe von Grundrechten und Einzelgesetzen. Demgegenüber steht in Art. 3a des Vertrages über die Europäische Union konzentriert und klar:
Die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 umfaßt die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.
Das ist eine eindeutige Abmachung.
Ich halte es für unzutreffend, eine solche Vereinbarung als unwesentlich oder unzureichend abzuwerten; denn wer völkerrechtlich bindenden Verträgen nicht traut, lehnt gleichzeitig jede Form der internationalen Zusammenarbeit ab.
Man muß wissen, daß die Konstitution und die Unabhängigkeit z. B. der Deutschen Bundesbank und ihr Auftrag auf einfachem Bundesgesetz beruht. Wenn wir jetzt die Unabhängigkeit, die Verpflichtung auf Geldwertstabilität und alle anderen Konvergenzkriterien in einem völkerrechtswirksamen Vertrag — für uns wirksam, aber auch für andere bindend — verankern, dann verleihen wir der Unabhängigkeit und der Stabilitätsausrichtung der Deutschen Bundesbank und einer künftigen europäischen Zentralbank ein größeres Gewicht, als es jetzt die Konstitution in Deutschland auszeichnet.
In mindestens vier Bereichen haben wir unsere Wirtschafts-, Währungs- und Sozialverfassung in den Vertrag von Maastricht hineingeschrieben. Einmal: Der bereits zitierte Art. 3a des Vertrages definiert die Wettbewerbsfreiheit. Die Konvergenz- und Stabilitätskriterien legen eindeutig fest, in welchem Umfang Budgetdisziplin und Preisstabilität erreicht sein müssen, bevor der Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion überhaupt möglich ist.
Finanzdisziplin und Stabilitätspolitik sind also nicht erst Aufgabe der zukünftigen Europäischen Union, sondern klare Zugangsvoraussetzungen für alle, die von Anfang an dabeisein wollen.
Auch die Unabhängigkeit der nationalen Notenbanken muß bis zur Währungsunion sichergestellt sein. Die Souveränität der Bundesbank wird entsprechend der ausdrücklichen Klarstellung durch den Sonderausschuß Europäische Union nur auf eine völ-
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Bundesminister Dr. Theodor Waigel
lig unabhängige und auf Preisstabilität verpflichtete europäische Zentralbank übertragen.
Ein weiteres Kernelement der Sozialen Marktwirtschaft, die Subsidiarität, wurde ebenfalls im Maastrichter Vertrag, Art. 3 b, fest verankert. Schließlich wurde im Vertrag auch die soziale Dimension vereinbart.
Mancher befürchtet, die klaren vertraglichen Vereinbarungen würden schließlich durch einen politischen Kompromiß in Frage gestellt, der möglichst allen Mitgliedstaaten den frühzeitigen Beitritt zur Union ermöglichen sollte. Tatsächlich ist der Zugang aber nur von der Einhaltung der Stabilitätskriterien abhängig.
Die Europäische Gemeinschaft wird in ihrem Zusammenhalt nicht gefährdet, wenn die Integration der einzelnen Mitgliedsländer in die enger werdende Zusammenarbeit Schritt für Schritt erfolgt; denn durch die Annäherung neuer Mitgliedsländer — zunächst aus dem EFTA-Raum, dann aus Mittel- und Osteuropa — muß die Gemeinschaft ohnehin organisch zusammenwachsen.
Ebenso wie die vorangehende Assoziierung neuer Mitgliedstaaten keine Diskriminierung darstellt, bedeutet auch der spätere Eintritt in die Währungsunion keine Abwertung im Verhältnis zu anderen Mitgliedsländern.
Natürlich ist der möglichst frühzeitige Beitritt zur Währungsunion auch eine Frage des nationalen Prestiges. Aber darin liegt ja gerade der Wert des Maastrichter Vertrages; denn schon lange vor der Verwirklichung der Union erreichen wir große Stabilisierungserfolge in allen Mitgliedsländern, die sich den Beitritt zum Ziel gesetzt haben.
Für diejenigen, die die Stabilitätskriterien kurzfristig nicht erreichen, ist es auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse besser, der Wirtschafts- und Währungsunion erst später beizutreten; denn bei festen Wechselkursen und übernational bestimmter Geldpolitik gibt es keine Chance mehr, lohn- oder finanzpolitische Sünden durch Abwertung oder eine laxere Geldpolitik unter Inkaufnahme inflationärer Konsequenzen kurzfristig zu bereinigen.
Nicht die Geldpolitik, sondern die Lohnpolitik wird künftig unter massiven Druck geraten. Keine Tarifpartei wird künftig noch auf die Alimentierung überzogener Lohnabschlüsse durch eine expansive Geldpolitik rechnen können.
Auch darin liegt einer der entscheidenden Vorteile der europäischen Stabilitätsgemeinschaft, die wir in Maastricht vertraglich vereinbart haben.
Das beantwortet auch die Frage: Was passiert denn, wenn sich ein Land aus der Stabilität verabschieden sollte? Es schadet sich selber: Seine Löhne werden niedriger sein, seine Wettbewerbsfähigkeit wird geringer, seine Arbeitsplätze wandern woandershin. Darum wird kein Land, wenn es diese Erfolge der Stabilität erreicht hat, um beitreten zu können, diese Stabilität noch einmal in Frage stellen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ullmann?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, wie bewerten Sie die Tatsache, daß die Sozialpolitik Bestandteil nur des Protokolls und nur unter Zustimmung von elf Vertragsstaaten Teil des Maastricht-Vertrages ist?
Das hängt damit zusammen, daß ein Teil der Mitgliedstaaten noch nicht so weit wie z. B. das soziale Netz in der Bundesrepublik Deutschland ist, weil die das noch nicht finanzieren können und wir auf der anderen Seite nicht bereit sind, von unserem Niveau nach unten zu gehen. Insofern sind solche differenzierten Lösungen unumgänglich.
In der künftigen Gemeinschaft wird sich auch niemand darauf verlassen können, tarif-, wirtschafts-und finanzpolitische Fehlentscheidungen über den Haushalt der EG ausgleichen zu können. Es gibt ausdrücklich keine Haftung der Gemeinschaft für die Finanzen der einzelnen Mitgliedstaaten. Der EG selber fehlt es selbst bei überproportionalem Anstieg des Gemeinschaftshaushaltes bei weitem an Mitteln, um die massive regionale Subventionierung, zu hohe Löhne oder zu geringe Strukturflexibilität auch nur annähernd ausgleichen zu können.
Es ist erstaunlich, wenn einige der Kommentatoren, die sonst besonders kritisch unsere Finanz- und Haushaltspolitik begleiten, zugleich um den Verlust deutscher Stabilitätskultur in der künftigen Europäischen Gemeinschaft fürchten. Denn wenn wir so stabil sind, wie es die Kommentatoren sagen — und das ist richtig —, dann braucht man auf der anderen Seite unsere Stabilitäts- und Finanzpolitik nicht anzugreifen. Insofern, glaube ich, sind wir auf einem ganz guten Weg.
Tatsächlich wissen wir alle: Auch Deutschland wird vor dem Hintergrund der unverändert hohen Investitionen in die deutsche Einheit nur mit großen Anstrengungen die von uns selbst mit errichteten Hürden vor der Europäischen Union überwinden können. Wir werden sie vor allem nur dann überwinden können, wenn alle, die wirtschafts- und finanzpolitische Verantwortung tragen, am gleichen Strang ziehen.
Als einziges Mitgliedsland der Gemeinschaft ist die Bundesrepublik Deutschland ein wirklicher Bundesstaat. Die Bundesregierung allein kann deshalb die vereinbarten Referenzwerte einer niedrigen Neuverschuldung und einer vertretbaren Gesamtverschuldung nicht sicherstellen.
Wir haben in Art. 2 des Gesetzes zum Vertrag über die Europäische Union eine tragfähige Grundlage geschaffen, um die alle öffentlichen Haushalte betref-
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Bundesminister Dr. Theodor Waigel
fende Verpflichtung zur Einhaltung der Budgetdisziplin wirksam zu erfüllen.
Wir alle — das ist heute klar zum Ausdruck gekommen — wollen Frankfurt als Sitz der Europäischen Zentralbank. Aber dann müssen wir auch gemeinsam die Voraussetzungen zur Stabilität erfüllen, mit der allein wir unseren Standortwunsch durchschlagend und erfolgreich begründen können.
Meine Damen und Herren, die Währungsunion ist ein wichtiger Schritt, der tiefgreifende Veränderungen mit sich bringt. Deshalb wird sich die Bundesregierung, bevor dieser Schritt vollzogen wird, der Rückendeckung der gesetzgebenden Gremien versichern. Das haben auch Bundestag und Bundesrat in ihren übereinstimmenden Entschließungen gefordert, in denen von einem zustimmenden Votum gesprochen wird. Das ist keine zweite Ratifizierung. Aber unser Verfahrensvorschlag, den ich auch unseren Partnern in der Gemeinschaft mitteilen werde, schafft Klarheit und Vertrauen für alle Beteiligten.
Wir sollten uns nicht vor künftigen Veränderungen fürchten, sondern die europäische Integration als große Zukunftschance begreifen.
Vor uns liegt eine schwierige Wegstrecke. Wir müssen unsere innere Einheit und den inneren Frieden finden. Wir müssen auch noch unsere Beziehungen zu unseren Nachbarn endgültig ordnen, um den Platz einzunehmen, der uns in Europa durch Geschichte und Geographie zugewiesen ist. Wir brauchen gerade jetzt gute Freunde und verläßliche Partner.
Die schrecklichen Ereignisse in Mölln liegen erst wenige Tage hinter uns. Wir werden alles tun, damit sich Mord und Brandstiftung gegen unschuldige Mitbürger nicht wiederholen.
Der Staat ist jetzt gefordert. Er muß seine Stärke zeigen — nach rechts und nach links.
— Nicht nur der Staat, wir alle. Aber der Staat, Herr Kollege Klose, kann nicht gegen sich selber demonstrieren. Der Staat muß handeln. Das ist meine Meinung und mein Grundverständnis.
Ich wiederhole: Der Staat ist jetzt gefordert, denn Toleranz gegen Feinde der Demokratie ist lebensgefährlich und unverantwortlich. Darum kämpfen wir für einen starken Rechtsstaat und für die wehrhafte Demokratie.
Wir können die zugrunde liegenden Probleme lösen. Wir werden die wirtschatlichen Anpassungsprozesse in Ostdeutschland bewältigen und die viel zu hohe Zuwanderung in den Griff bekommen. Aber um erfolgreich zu sein, brauchen wir Zeit und Solidarität. Nichts wäre für das wiedervereinigte Deutschland gefährlicher als schleichende Isolation und zunehmendes Mißtrauen in der Welt.
Europa kennt uns. Wir sind seit über 40 Jahren verläßlicher Partner und Verbündeter. Wir sind Produzent und Empfänger von Waren, Gast und Gastgeber im internationalen Tourismus. Tausende, ja, Millionen Freundschaften haben den Graben der letzten Kriege überwunden und dauerhafte Verständigung bewirkt.
Wenn wir in diesen Wochen den Vertrag von Maastricht endgültig ratifizieren, dann beweisen wir unsere Treue zu Europa. Wir beweisen: Deutschland bleibt durch die Wiedervereinigung der friedliche Nachbar und der kooperative Partner. Niemand braucht sich vor uns zu fürchten.
Was wir gemeinsam mit Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Italien vor über 30 Jahren begonnen haben, werden wir in der größer werdenden Gemeinschaft zu Ende bringen. Darüber stimmen wir ab, und das ist der entscheidende Beitrag, den wir heute zum europäischen Einigungswerk leisten.
Robert Schuman, mit Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer einer der Gründungsväter der Gemeinschaft, hat einmal formuliert:
Europa sucht sich und weiß, daß seine Zukunft in seinen eigenen Händen liegt. Noch niemals war es dem Ziel so nahe. Gott gebe, daß es seine Schicksalsstunde, die letzte Chance seines Heils, nicht verpaßt.
Meine Damen und Herren, wir werden das Vermächtnis der europäischen Gründungsväter erfüllen — im Interesse der Menschen, die sich mit großer Hoffnung nach einer besseren Zukunft sehnen.
Ich danke Ihnen.
Nun spricht der Kollege Norbert Wieczorek zu uns.
Meine Damen und Herren! Es ist zu Recht gesagt worden, daß die Ratifizierung der Maastrichter Verträge und ihre Verwirklichung nach der Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der wichtigste Integrationsschritt für uns ist. Mit der Ratifizierung machen wir klar, daß wir die Zukunft Europas in weiterer Integration sehen und uns gegen wiedererwachende Nationalismen stemmen. Ich glaube, daß das in der gegenwärtigen Situation der Bundesrepublik sehr wichtig ist. Dies liegt im Interesse der Sicherung des Friedens, aber auch im Interesse der Sicherung des Wohlstands. Damit schaffen wir aber auch die Möglichkeit, insbesondere unseren östlichen Nachbarländern den Zugang zu einer besseren Zukunft zu eröffnen. Es sind diese Zielsetzungen, die — bei aller Kritik und Wachsamkeit im Detail — den Schritt zu einer Wirtschafts-und Währungsunion rechtfertigen.
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Dr. Norbert Wieczorek
Die Wirtschafts- und Währungsunion ist ohne Zweifel das Kernstück der Maastrichter Verträge. Es hat seit den frühen fünfziger Jahren immer wieder Versuche gegeben, von Jacques Rueff angefangen, zu einer engeren währungspolitischen Zusammenarbeit in der EG zu kommen. Viele dieser Versuche sind an den politischen und ökonomischen Realitäten gescheitert. Selbst der Erfolg des EWS wurde in den letzten Wochen in Frage gestellt. Dies ist in den zugrunde liegenden, lange voraussehbaren, aber ignorierten Verwerfungen und den Folgen, die an den Märkten daraus resultierten, begründet. Es kann aber keinen Zweifel daran geben, daß das EWS ein wertvolles Instrument war und ist und daß es wieder voll funktionsfähig werden wird. Nur so kann ich die gestrigen Außerungen von Bundesbankpräsident Schlesinger verstehen, die wir heute in der Zeitung lesen konnten. Aber festzuhalten ist auch, daß die Verpflichtung zu einer Wirtschafts- und Währungsunion hier und heute eines besonderen Engagements für die europäische Zusammenarbeit bedarf.
Als 1988 beim Gipfel in Hannover die Idee der Wirtschafts- und Währungsunion geboren wurde, wurde sie als logische Fortsetzung des Binnenmarktkonzepts 1992 betrachtet. Es ist daher auch kein Zufall, daß sich zunächst mehr die Zentralbanker als die Politiker damit beschäftigt haben.
Der Delors-Bericht ist dafür ein klares Beispiel. Aber es war auch der Delors-Bericht, der auf den unauflösbaren Zusammenhang zwischen einer Wirtschafts- und Währungsunion und einer Politischen Union hinwies. Bis wenige Tage vor Maastricht konnten auch wir im Deutschen Bundestag davon ausgehen, daß beide Unionen — die Wirtschafts- und Währungsunion und die Politische Union — im Gleichschritt weiterentwickelt würden. Dies haben Sie, Herr Bundeskanzler, wenn ich mich recht entsinne, in der letzten Debatte vor Maastricht am 6. Dezember 1991 zugesagt. Wir, die SPD-Fraktion — ich glaube, auch die Kollegen aus den anderen Fraktionen —, bedauern, daß die Fortschritte in der Politischen Union in Maastricht weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind
und wir jetzt nur noch auf die Folgekonferenz 1996 hoffen können, von der wir allerdings wünschen, daß sie vor dem Jahr 1996 stattfindet.
Weil dies so ist, ist die Wirtschafts- und Währungsunion jetzt nicht mehr nur eine Fortsetzung des Binnenmarktkonzepts, sondern sie ist auch zu einem Symbol für den weiteren politischen Einigungswillen in der Gemeinschaft geworden. Dies ist Chance und Risiko zugleich.
Die Chance liegt darin, daß der feste Wille zur wirtschafts- und währungspolitischen Zusammenarbei die Differenzen über die Vorstellungen zu einer Politischen Union und das Zögern bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaftsebene zu überwinden hilft. Das kann helfen, die Politische Union zu befördern.
Das Risiko liegt darin, daß die Wirschafts- und Währungsunion ohne politischen Überbau und ohne politische Basis bleibt, daß die bei den Bürgerinnen und Bürgern vorhandene Skepsis, die wir ja nicht leugnen können, nicht in Akzeptanz umgewandelt wird und zum Sprengstoff für den erreichten Grad der Integration werden kann. Wer dies vermeiden will, muß den weiteren Maastricht-Prozeß realistisch betrachten. Unsere Aufgabe wird es sein, nach der Ratifizierung auch für die Verwirklichung die richtigen Weichen zu stellen. Wenn von manchem gesagt wird, der Vertrag solle ratifiziert werden, und dann gehe es schon irgendwie weiter, dann glaube ich nicht, daß das eine seriöse Haltung ist.
Wir müssen zunächst dafür sorgen, daß die wirtschaftliche und politische Konvergenz in der EG nicht ein Schlagwort bleibt oder daß man sich in Diskussionen über Haushaltsmittel der EG verzettelt. Dabei ist richtig: Konvergenz kann nicht über einen Finanzausgleich erreicht werden. Der Kohäsionsfonds darf und kann nicht mehr als eine Hilfe zur Selbsthilfe sein. Wir haben das im Finanzausschuß deutlich gemacht.
Hier muß auch einem Mißverständnis vorgebeugt werden: Konvergenz und Kohäsion haben zwar das Ziel einer Annäherung der Wirtschaftskraft und des Wohlstands in den Regionen der Gemeinschaft, aber dies ist ein Ideal, das nie völlig erreicht werden wird. Es gibt ja auch bei uns in der Bundesrepublik — das galt auch schon für die alte, kleinere Bundesrepublik — durchaus erhebliche regionale Unterschiede, die auch ein Finanzausgleich nie ganz beseitigt hat und beseitigen wird. Das gilt erst recht für ein so wenig homogenes Gebilde wie die Gemeinschaft. Hier sind eher die USA als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, wo es zwischen den Einzelstaaten und in ihnen ein ganz erhebliches Wachstums- und Wohlstandsgefälle gibt. Trotzdem kann eine einheitliche Währungs- und Geldpolitik gemacht werden, wenn und weil es eine starke politische Klammer und eine gleichgerichtete wirtschaftspolitische Grundauffassung gibt. Das ist der Kern von Konvergenz.
Deshalb ist die eigentliche Gefahr nicht die Reichtumsdifferenz, sondern die eigentliche Gefahr liegt hier und heute darin, daß in einer Zeit schwacher Konjunktur und wachsender Arbeitslosigkeit die realen wirtschaftlichen Entwicklungen zwischen und in den Partnerländern auseinanderlaufen.
Daraus müssen wir in der Bundesrepublik die Konsequenz ziehen, unsere Haushaltspolitik zu ordnen. Das ist vor allen Dingen Aufgabe des Finanzministers. Bisher hat er das ja wohl nicht geschafft, wie wir in der letzten Woche gesehen haben.
Wir müssen ferner den Wiederaufbau Ostdeutschlands über Investitionen zu einem Konjunkturmotor nicht nur für die gesamte Bundesrepublik, sondern auch für Europa insgesamt und für die Gemeinschaft machen. Wir müssen zuerst unsere eigenen Hausaufgaben machen. Darin werden Sie mir zustimmen, Herr Kollege Faltlhauser.
Strukturelle und konjunkturelle Maßnahmen könnten und sollten in Absprache mit unseren Partnern in
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Dr. Norbert Wieczorek
der Gemeinschaft erfolgen. Die Idee einer abgestimmten Konjunkturförderung für die Gemeinschaftsländer und in den Gemeinschaftsländern macht bei der gegebenen Verflechtung unserer Wirtschaften viel Sinn. Sie sollte und muß mit Leben erfüllt werden. Wenn ich Sie, Kollege Waigel, richtig verstanden habe, haben Sie so etwas im Sinn. Es gilt dann aber auch, dieses in die Tat umzusetzen.
Zudem gilt: Was wir nach dem Regierungswechsel in den USA bisher über die neue Wirtschaftspolitik gehört haben und was in Japan von der Regierung auf Grund der dortigen schwierigen Situation angekündigt wurde, läßt hoffen, daß ein gemeinsamer Ansatz zur Wiederbelebung der Weltwirtschaft Aussicht auf Erfolg hat. Das ist nicht selbstverständlich. Denn wenn wir die gegenwärtige französische Haltung zum GATT als Warnsignal begreifen, dann wissen wir auch, daß es anders kommen könnte. Hier sind Koordination und Kooperation angesagt.
Eine solche Kooperation in der Wirtschaftspolitik im Rahmen der Gemeinschaft muß durch engere politische Zusammenarbeit gesichert werden. Es ist richtig — dies wird nicht nur von der Bundesbank gesagt —, daß es in der Geschichte aller Münz- und Währungsunionen noch nie einen dauerhaften Erfolg gegeben hat, wenn es nicht zu einer politischen Union gekommen ist. Erst sie ermöglicht gleichgerichtete Wirtschafts-, Fiskal- und Beschäftigungspolitik. Vertreter nationaler Regierungen im Ministerrat können dies auf Dauer weder garantieren noch durchsetzen. Es ist zwar richtig, daß eine Vergemeinschaftung für diesen Bereich hier und heute zu früh wäre. Aber die Wege dahin müssen geebnet werden.
Der Grund hierfür ist, daß mit der durch den Vertragstext geforderten Stabilität bei den Wechselkursen im EWS als Voraussetzung für den Eintritt in die Währungsunion und erst recht nach der Bildung der Währungsunion realwirtschaftliche Differenzen nicht mehr durch Wechselkursanpassungen aufgefangen werden oder werden können. Die nationalen Regierungen sind aber abhängig vom Wählerwillen. Und es wird doch hier im Hause wohl niemand daran zweifeln, daß bei einer schlechten wirtschaftlichen Entwicklung die Rücksichtnahme auf die eigenen Wähler in jedem Land im Zweifel zunächst größer sein wird als die Rücksichtnahme auf das Gesamtinteresse der Gemeinschaft. Ich darf nur noch einmal das gegenwärtige französische, aber auch das britische Beispiel erwähnen.
Nach dem Eintritt in die Währungsunion wird das neue Zentralbanksystem ohne politische Konvergenz gegenüber den Regierungen der Mitgliedsländer entweder übermächtig — und deshalb wegen mangelnder demokratischer Legitimation in Frage gestellt werden —, oder aber es wird das Ziel der Preisstabilität nicht effizient verfolgen können. Dies liegt daran, daß die nationalen Regierungen versuchen werden, die Lasten in ihren Ländern über ihre Budgetpolitik — und dann mittelbar über die Geldpolitik — auf die Partnerländer zu verschieben.
Der wesentliche Anpassungsfaktor wird dann die Haushaltspolitik, vor allem aber die Einkommens-und Lohnpolitik sein. Diese drückt sich jedoch nicht nur in Tarifabschlüssen aus, sondern auch in den Sozialeinkommen und dem Stand der Beschäftigung, was für jede politische Stabilität besonderen Sprengsatz bedeutet. Hier liegt der zentrale Punkt der Forderung nach engerer politischer Verknüpfung in einer Politischen Union. Hier ist auch die Warnung begründet, den sehr ehrgeizigen Zeitplan des Maastrichter Vertrages nicht wichtiger zu nehmen als die Sache selbst.
Dies führt zu der logischen Schlußfolgerung, daß der Deutsche Bundestag und — nach unserem Verhandlungsergebnis — auch der Bundesrat den Prozeß bis hin zur Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion positiv, aber kritisch begleiten werden. Dies hat zu der vorliegenden Resolution geführt, an der wir, die SPD, maßgeblich beteiligt waren. Sie begründet unsere gemeinsame Forderung, daß die Bundesregierung uns ab 1994 über die tatsächliche Konvergenzentwicklung regelmäßig unterrichten soll. Konvergenz ist ein Prozeß, der sich nicht nur in nackten statistischen Daten niederschlägt. Es handelt sich vielmehr auch und gerade um einen Gleichlauf der Politikansätze und ihrer Realisierung.
Dies hat außerdem zu der wichtigen Forderung geführt, daß wir innerhalb der Bundesrepublik — ich betone: innerhalb der Bundesrepublik — und im Innenverhältnis mit und zu der Bundesregierung bei der endgültigen Entscheidung über den Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion ein eigenständiges Entscheidungsrecht beanspruchen. Ich freue mich, daß die Bundesregierung dies inzwischen akzeptiert. Das war nicht immer so.
— Kollege Faltlhauser, Sie waren hilfreich dabei. Ich darf mich dafür bedanken. — Es darf weder am Wortlaut noch am tatsächlichen Gehalt der Konvergenzkriterien und damit an einem Kernstück des Vertrages gezweifelt und gerüttelt werden. Dies ist nicht nur Voraussetzung, um mehr Akzeptanz für den Inhalt des Vertrages in der deutschen Bevölkerung zu finden — so groß ist sie ja noch nicht —, sondern das ist auch Voraussetzung dafür, daß die Wirtschafts- und Währungsunion tatsächlich funktionieren wird.
Es ist also nicht Sturheit, wenn die strikte Erfüllung der Kriterien eingeklagt wird. Dies wird auch deshalb notwendig sein, weil der Druck, politische Bewertungen vorzunehmen, stark sein wird. Dies gilt nicht nur für das eine oder andere Kriterium — etwa den Anteil der Gesamtverschuldung am Bruttoinlandsprodukt —, sondern gerade auch dann, wenn Länder aus ihrer Geschichte heraus gern dabei sein wollen, aber die Kriterien nicht erfüllen. — Das wird deutlich, wenn wir südlich der Alpen schauen. — Denn es geht letzten Endes auch darum, daß sich ein Kern der wirtschaftlich erfolgreichen Länder in der Gemeinschaft — nämlich die, welche die WEU als Anfangsmitglieder gründen — durch die Kriterien von den anderen Ländern auch formal abheben wird. Es muß deshalb in diesem
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Dr. Norbert Wieczorek
Zusammenhang deutlich davor gewarnt werden, die Kriterien und den Maßstab ihrer Erfüllung zu mißbrauchen, um in der Gemeinschaft ein Kerneuropa zu bilden, das politisch nicht trägt.
Das lose Gerede — ich bezeichne es bewußt so — über eine kleine Wirtschafts- und Währungsunion als Ersatz für einen an Dänemark oder England scheiternden Maastricht-Vertrag gibt Anlaß zu dieser Warnung. Man kann eine kleine Kerngemeinschaft wollen. Nur, dann soll man das klar sagen und sie nicht durch die Hintertür der Währungspolitik herbeiführen wollen.
Für uns muß der Vertrag von Maastricht und der Prozeß von Maastricht ein Integrationsfaktor der gesamten Gemeinschaft bleiben; beides darf im weiteren Verlauf nicht zum Sprengsatz werden. Unabhängig von diesen Kriterien gilt es daher für uns alle, den politischen Prozeß der weiteren Integration zu betrachten. Dies bezieht sich darauf, wie das Spannungsverhältnis zwischen Subsidiarität einerseits und Harmonisierung andererseits in der Praxis tatsächlich gelöst wird.
Da sieht es etwas schwieriger aus, als man so allgemein hört.
Wir werden daran arbeiten müssen, die Gemeinschaft stärker zu demokratisieren. Die neuen Rechte des Bundestages und des Bundesrates verlagern einen Teil der demokratischen Kontrolle in den innerstaatlichen Bereich. Dies ist aber kein Ersatz für die Demokratisierung der Gemeinschaftsinstitutionen.
Die Zielsetzung muß bleiben, eine demokratische Kontrolle auf gemeinschaftlicher Ebene zu schaffen. Nach meiner Auffassung verlangt dies allerdings eine Reform der EG-Institutionen: Kommission, Parlament und Rat. Statt über Brüssel und Straßburg zu lamentieren, sollte Energie darauf verwendet werden, die Institutionen so zu reformieren, daß sich die Staaten und Völker mit ihnen identifizieren können.
Von daher ist auch die Forderung nach einer europäischen Verfassung wohlbegründet. Diese Forderung entspricht nicht nur unserer Zielsetzung einer stärkeren europäischen Integration, sie ist auch und gerade notwendige Voraussetzung, um die Wirtschafts- und Währungsunion mit Leben zu erfüllen und sie — um es klar und deutlich auszudrücken — dauerhaft machbar zu machen. Es ist richtig: Die Politik kann nicht ohne ökonomische Basis leben. Aber die ökonomische Basis und die unterschiedlichen und zum Teil gegensätzlichen ökonomischen Interessen lassen sich auf die Dauer nur dann zum Ausgleich bringen, wenn eine starke politische Klammer vorhanden ist.
Nachdem der Ost-West-Konflikt beseitigt ist, kann diese Klammer nicht mehr in der gemeinsam empfundenen Bedrohung liegen, sondern nur im positiven Integrationswillen aller Partnerländer. Hierin liegt unsere Zustimmung zum Vertrag wesentlich mitbegründet.
Ich danke Ihnen.
Nun hat der Kollege Dr. Kurt Faltlhauser das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine große Tageszeitung hat vor einiger Zeit formuliert, die Politik habe bei Maastricht überstürzt gehandelt und „das Resultat den Menschen übergestülpt" . Überstürzt? —
Richtig ist, daß sich gerade die Währungsunion mindestens bis zum Jahre 1962 zurückverfolgen läßt, daß bereits vor zwanzig Jahren mit dem Werner-Plan ein erster Anlauf gewagt wurde, der nur durch das Scheitern von Bretton Woods abrupt abgebrochen werden mußte. Nein, die Währungsunion, so wie sie nach dem Maastrichter Vertrag angelegt worden ist, ist weiß Gott nicht aus der Hosentasche gezaubert, ist nicht über Nacht gekommen, sondern ist das Ergebnis eines langen — wenn auch sicherlich nicht immer leicht zu verfolgenden — Diskussionsprozesses. Und ich füge hinzu: Es ist ein sorgfältig formuliertes Ergebnis. Theo Waigel hat in Maastricht exzellente Arbeit geleistet. Wir sollten dies am heutigen Tag der Ratifikation anerkennen.
Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages hat das Ergebnis von Maastricht sehr sorgfältig in seinem währungspolitischen Teil geprüft. Der Bericht wurde gemeinsam formuliert und praktisch einstimmig — nur die PDS hat sich der gemeinsamen Sachbeurteilung entzogen — verabschiedet. Wir waren uns nicht nur in den Grundsätzen, sondern auch in der Vielzahl der fachlichen Einzelbeurteilungen einig.
Ich hätte mir gewünscht, daß die Gemeinsamkeit zwischen den Fraktionen am heutigen Tag eine Ergänzung in der Gemeinsamkeit von Bundestag und Bundesrat gefunden hätte. Ich persönlich empfinde es als einen Mangel der heutigen Sitzung, daß der Präsident des Bundesrates oder zumindest sein Vertreter an diesem wichtigen Tag nicht präsent ist —
und dies nach den Diskussionen über Art. 23!
Ich will aus den Einzelpunkten, die wir diskutiert haben, drei herausgreifen.
Erstens die Konvergenzkriterien:
Die in Zahlen zu messenden Maßstäbe für die wirtschafts- und finanzpolitischen Stabilitätserfolge der einzelnen Vertragspartner — offenbar zur besseren Verständlichkeit für den Mann auf der Straße mit dem Kunstwort „Konvergenzkriterien" verschleiert — sind nach unserer Auffassung nicht grober Orientierungsrahmen, sondern feste Grundlagen für das Fort-
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Dr. Kurt Faltlhauser
schreiten des Integrationsprozesses. Wir sollten durch die Turbulenzen im Europäischen Währungssystem gewarnt sein. Politische Festlegungen am grünen Tisch können die Unerbittlichkeit der ökonomischen Grunddaten nicht negieren. Deshalb heißt es richtigerweise auch in unserer Entschließung, die wir heute verabschieden wollen, daß diese Kriterien beim Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion „eng und strikt" auszulegen sind.
Dabei erscheint uns wichtig, daß die Prüfung der Stabilitätskriterien nicht auf eine Momentaufnahme abstellt. In der Entschließung weisen wir ausdrücklich darauf hin, daß die Entscheidung für den Übergang zur dritten Stufe nur auf der Grundlage erwiesener Stabilität, des Gleichlaufs bei den wirtschaftlichen Grunddaten und erwiesener dauerhafter haushaltsund finanzpolitischer Solidität der teilnehmenden Mitgliedstaaten getroffen werden darf. Gerade weil einzelne Kriterien in gewissem Umfang kurzfristig manipulierbar sind, z. B. Wechselkursrelationen oder die Zinsen, muß auf eine dauerhafte Erfüllung des Konvergenzprozesses abgestellt werden.
Die Maßstäbe, die für eine stabilitätsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik im Maastrichter Vertrag zugrunde gelegt worden sind, sind sicherlich nicht bis ins letzte perfekt — es gibt keine mechanistisch perfekte Urteilsmaschinerie —, aber die vorgelegten Kriterien sind eine gute Urteilsbasis.
Unterstrichen werden muß dabei, daß beim Kriterium der Verschuldung auch Sonder- und Nebenhaushalte mit einfließen müssen. An dieser Stelle muß erneut an die Länder und Kommunen appelliert werden, sich in gleicher Weise wie der Bund zu bemühen. Es kann nicht angehen, daß der Bund seine Ausgaben auf 2,5 % beschränkt — jetzt im Haushalt 1993 wieder dokumentiert — und eine ganze Reihe von Großkommunen mehr als 10 % drauflegen.
Ich frage mich, wie wir den Gleichklang der Konsolidierungsbemühungen herstellen können, ohne Art. 109 des Grundgesetzes zu ändern. Hier kann die Diskussion am heutigen Tag nicht beendet sein. Im Gegenteil: Die Diskussion zu diesem Problem muß erst beginnen.
Zweitens zur Beteiligung des Bundestages: Es entspricht praktischer Lebenserfahrung, daß einfache und überschaubare Sachverhalte Vertrauen geben können, Sachverhalte von komplexer Unübersichtlichkeit aber Anstoß für Mißtrauen geben. Und wenn sich komplexe Sachverhalte dann noch über einen langen Zeitraum prozeßhaft entwickeln, dann wächst Vorsicht zur Angst, wird Zurückhaltung zur Ablehnung.
So ist es auch mit dem höchst komplizierten Prozeß der Europäischen Währungsunion. Daß sich in einem Zeitraum von sieben Jahren, in vorweg festgelegten
Prozeduren, in einem umfänglichen Vertragswerk niedergelegt, ein ökonomisches Verfahren vollziehen soll, das scheinbar automatisch ablaufen soll — das muß Widerwillen bei denen hervorrufen, die nicht selbst politische Mechaniker im Maschinenraum des europäischen Schiffes sind. Die Bürger in unserer demokratischen Gesellschaft wollen, daß politische Prozesse nicht irreversibel sind. Sie wollen Automatismus nicht für viele Jahre, sondern wollen die Verantwortlichen zeitnah kontrollieren und beeinflussen. Deshalb ist die legitimierende Beteiligung des Deutschen Bundestages nicht auf die heutige Zustimmung zum Maastrichter Fahrplan zu beschränken, sondern dieses Votum muß sich auf den gesamten ökonomischen Weg in die dritte Stufe der Währungsunion beziehen.
Es ist nicht nur legitim und unerläßlich, sondern zur Stützung der dann entscheidenden Regierungschefs auch nützlich, daß sich der Deutsche Bundestag 1996 und ein zweites Mal 1998 eine eigenständige Beurteilung der ökonomischen Situation zutraut und sie auch umsetzt. Das ist kein Vorbehalt gegenüber dem Vertragstext. Das ist keine Option für Neuverhandlungen, wie der Finanzminister bereits deutlich gemacht hat. Das ist kein Mißtrauen gegenüber der Qualität des Vertrages, sondern die eigenständige Beurteilung der ökonomischen Situation an Hand der in diesem Vertrag festgelegten Urteilsmaßstäbe. Es ist eine eigenständige Beurteilung, wie sie jedem freien Parlament zusteht. Und, Frau Wieczorek-Zeul: Das ist kein „Parlamentsvorbehalt". Dieser Begriff würde das Mißtrauen unserer Partner zu Recht wecken. Wir wollen unsererseits eine Beurteilung vornehmen, wir wollen keine Opting-out-Klausel!
Weil wir die Befürchtungen der Bevölkerung dadurch einigermaßen dämpfen können, sollten wir diese Haltung auch heute dokumentieren. Wir tun es mit unserem Entschließungsantrag.
Lassen Sie mich noch zu einem dritten Punkt etwas sagen: zum gemeinsamen Geld.
Die Lehrbücher der Volkswirtschaftslehre beschreiben drei unabdingbare Elemente einer Währungsunion: erstens uneingeschränkt konvertible Währungen, zweitens vollständig liberalisierten Kapitalverkehr und drittens irreversible Fixierung der Wechselkursparitäten.
Nicht zu den unabdingbaren Elementen einer Währungsunion gehört das einheitliche Geld. Genaugenommen wäre eine Union nur mit den erstgenannten drei zwingenden Elementen eine Wechselkursunion. Diese aber hat die gleichen ökonomischen Effekte wie eine Währungsunion mit gemeinsamem Geld, wenn man einmal die Transaktionskosten beiseite läßt.
Diese Beleuchtung der theoretischen Grundlagen ist deshalb wichtig, weil die Bevölkerung gegen den Maastrichter Vertrag nichts mehr eingenommen hat als die Aussicht auf den Verlust des eigenen Geldes, der D-Mark. Dabei wird für das einheitliche Geld im
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Dr. Kurt Faltlhauser
Vertrag weder ein Termin fixiert, noch drückt der Vertrag dazu einen klaren Wunsch aus.
Der Finanzausschuß hat sich dazu verstanden, daß diese Frage vor allem auf Art. 16 der Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken abstellen soll. Dort heißt es ausdrücklich, daß das europäische Zentralbankensystem „soweit wie möglich die Gepflogenheiten bei der Ausgabe und der Gestaltung der Banknoten" berücksichtigt. Diese Regelung gibt die Möglichkeit, bei der Frage des gemeinsamen Geldes sowohl zeitlich als auch in der technischen Ausgestaltung sehr viel variabler zu verfahren, als es in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Wir stellen auf den Vorrang der Konvergenzentwicklung ab und nicht auf die Technik gemeinsamer Münzen und gemeinsamer Banknoten. Kurz gesagt: Die Währungsunion muß kommen, die D-Mark muß nicht verschwinden.
Der Weg der D-Mark ist eine Erfolgsgeschichte, meine Damen und Herren: vom „Besatzungskind" des Jahres 1948 zur weltweit anerkannten, harten Währung und zum finanziellen Anker der Europäischen Gemeinschaft. Mit dem Maastrichter Vertrag wird diese Erfolgsgeschichte nicht beendet, sondern fortgesetzt. Wir geben nichts auf, sondern gewinnen etwas hinzu. Die Stabilität der D-Mark wird Meßlatte und Fundament in einer Währungsunion sein. Deshalb sagen wir nicht nur ja zu Europa, sondern auch ja zur Europäischen Währungsunion in dem Vertrag von Maastricht.
Ich bedanke mich.
Nun hat der Kollege Dr. Helmut Haussmann das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird kein gutes Europa werden, wenn es von uns nicht mit wirklich ehrlicher Grundüberzeugung getragen wird. Leider stelle ich bei einigen Kollegen fest, daß sie diesem Europavertrag nach dem Motto zustimmen: Ich stimme zwar zu, aber doch mit sehr vielen Aber. — Ich empfinde es als einen Mangel, daß wir in dieser international wichtigen Diskussion hier allzusehr die Vorbehalte der nationalen Fachpolitiker — die im Sonderausschuß ihren Sinn haben — vortragen, so daß manchmal der Eindruck entsteht, als hätten wir nur Vorbehalte und als sei es im Grunde nur außenpolitisch notwendig, jetzt ja zu Europa zu sagen.
Jeder weiß, daß die europäischen Vorteile die vielen nationalen Nachteile weit überwiegen.
Hoffentlich wird heute jedem Deutschen klar, daß wir gerade angesichts der aktuellen innenpolitischen Lage ein solches Angebot zur Mitarbeit, zur Integration in Europa mit diesen Konditionen nicht mehr bekommen würden.
Das ist meine Überzeugung. Das zeigen auch viele Diskussionen in Dänemark und in anderen Ländern.
Als Ökonom möchte ich folgendes sagen: Wir Abgeordneten brauchen der Wirtschafts- und Währungsunion nicht mit schlechtem Gewissen zuzustimmen. Der Vertrag ist auch hier sehr viel besser, sehr viel langfristiger, sehr viel weiser, als viele provinzielle Kritiker sowohl in den Parteien — leider — als auch in den Medien, u. a. bei führenden Zeitungen, zugeben.
Denn die von uns Deutschen ersonnenen und auch durchgesetzten Konvergenzkriterien, von denen man nicht geglaubt hat, daß elf andere Lander ihnen zustimmen, werden heute von uns mit einem klaren Ja belohnt.
Es ist eben so, wie Theo Waigel ausgeführt hat: Dieser Vertrag belohnt die zustimmenden Regierungen, aber auch die entsprechenden Parlamente in ihrer Haushaltspolitik mit dem Aufstieg in die Euroliga der Stabilität und mit allen Vorteilen der Mehrbeschäftigung, der sozialen Stabilität und zusätzlicher ausländischer Direktinvestition.
Der Vertrag bestraft all diejenigen Parlamente und Regierungen mit dem Abstieg in die Regionalliga der Instabilität, die ihre Hausaufgaben nicht lösen.
Was die Mitwirkung von uns Parlamentariern beim Eintritt in die dritte Stufe angeht, so ist völlig klar: Ohne unser Ja läuft dies nicht. Jede Regierung wäre verrückt, wenn sie sagte: Trotz des negativen Votums stimmen wir dem zu.
In der Realität Ende der 90er Jahre wird sich die Lage so darstellen: Lösen wir im deutschen Parlament und in den Länderregierungen nämlich nicht unsere Hausaufgaben der Deregulierung, der Privatisierung und der Wachstumsstabilisierung, dann werden wir nicht dabeisein. Das ist die Realität.
Die Auswirkungen wären in doppelter Hinsicht negativ: Wir hätten dann unsere heute noch gute nationale D-Mark auch ohne Europäische Währungsunion instabil gemacht. Zweitens hätten wir dem vereinigten Europa wirklich einen Bärendienst erwiesen, denn ohne die D-Mark fehlt in Europa die Ankerwährung. Es käme damit durch unser Verschulden zu keiner echten Eurowährung.
Täuschen wir uns nicht, meine Damen und Herren: Im internationalen Wettbewerb kann man auf Dauer
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Dr. Helmut Haussmann
nicht mit einer gehobenen Freihandelszone bestehen.
Wir machen uns viel zuwenig klar, daß wir es in Amerika mit 240 Millionen Menschen zu tun haben, die seit Jahrzehnten in einer Wirtschafts- und Währungsunion leben.
Dasselbe gilt für Japan. Dort leben 120 Millionen tüchtige und sparsame Menschen seit Jahrzehnten in einer Wirtschafts- und Währungsunion. Wir haben angesichts dieser Triade gar keine andere Wahl, als diese Freihandelszone zu einer wirklichen Wirtschafts- und Währungsunion weiterzuentwickeln.
Ich möchte Herrn Wieczorek, aber auch Herrn Barbier von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zurufen: Verabschieden wir uns auch von der Illusion, daß wir Deutschen in einer Welt der offenen Grenzen, der offenen Güter- und Kapitalmärkte, der sich international finanzierenden Konzerne unsere D-Mark ausschließlich mit nationaler Geld- und Kreditpolitik schützen können.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Es macht Sinn — das liegt im deutschen Interesse —, wenn wir uns mit gleichgerichteten stabilen Währungen im Zentrum Europas zu einer wirklichen dauerhaften Stabilitätsgemeinschaft verbünden, was auch außenpolitisch von allergrößter Bedeutung ist.
Lassen wir auch bitte den erhobenen deutschen Zeigefinger unten! Ein Land, das derzeit auf Platz sechs der Euro-Stabilitätsliga rangiert, hat andere im Moment nicht zu belehren.
Deshalb auch ein Wort zu den Sozialdemokraten. Sie pochen — völlig zu Recht — auf Ihre Mitsprache beim Eintritt in die dritte Stufe. Tun Sie aber jetzt auch Ihre Pflicht, um diese dritte Stufe zu erreichen!
Machen Sie mit im Solidarpakt! Wirken Sie auf Ihre Ministerpräsidenten ein, meine Damen und Herren!
Ohne den Abbau der hohen Staatsverschuldung in den Ländern, ohne konsequenten Subventionsabbau, ohne eine flexible Tarif- und Arbeitszeitpolitik wird Deutschland die Stabilitätsliga nicht erreichen.
Nein, meine verehrten Kollegen, wir brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn wir der Wirtschafts- und Währungsunion zustimmen. Im Gegenteil: Wir haben jetzt unsere Chance zu nützen,
Ein Letztes: Antworten wir heute europäisch auf die Herausforderung auch des neuen Amerikas unter Clinton und ebenso auf die ökonomische Herausforderung aus Japan. Geben wir der Jugend Europas eine europäische Vision, lassen wir nicht die alten europäischen Zweifel aufkommen, übernehmen wir Europäer endlich den Teil an Mitverantwortung, der von uns erwartet wird und der uns auch zusteht!
Die F.D.P. wird daher diesem Vertrag aus Überzeugung zustimmen.
Und nun hat der Ministerpräsident des Landes Hessen, Hans Eichel, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag will heute den Vertrag von Maastricht, die dazu notwendigen Grundgesetzänderungen und -ergänzungen und die dazu wiederum erforderlichen einfachen Gesetze verabschieden. Der Bundesrat wird sich mit diesem Fragenkomplex am 18. Dezember beschäftigen.
Was ist zu dieser Zeit in Europa los? — Ethnische Konflikte und Bürgerkriege in Jugoslawien, die Tschechoslowakei aufgelöst, Konflikte in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die zu harten Kriegen werden können, und — der Bundeskanzler hat Recht — ein Wiederaufflackern nationalistischer und auch separatistischer Tendenzen in Westeuropa.
Was ist in Deutschland los? — Menschen aus anderen Ländern, auch Menschen aus jenen Ländern, mit denen wir jetzt die Europäische Union begründen wollen, leben in unserem Lande nicht mehr sicher, werden in diesem Lande gejagt, verfolgt und auch zu Tode gebracht.
Wir haben Anzeichen der Desintegration, eines rückwärtsgewandten Nationalismus und auch des Separatismus — allenthalben in Europa.
Die Antwort darauf kann nur eine offensive Politik der Integration nach innen und nach außen sein.
Die deutschen Länder — ich sage das völlig unabhängig von den parteipolitischen Positionen der Landesregierungen — sind — ich wünschte mir, auch der Bundesaußenminister hörte das — nachdrücklich für eine solche „Politik der offensiven Integration". Sie sind trotz mancher Bedenken, die es zum Vertragswerk von Maastricht gibt, die auch im Bundestag vorhanden sind und die sich in der Entschließung niederschlagen, die sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat verabschieden werden, ausdrücklich für die Verabschiedung des Vertragswerks von Maastricht, weil sie der Meinung sind: Der Prozeß der europäischen Integration darf nicht gestoppt, sondern muß — im Gegenteil — vorangetrieben werden.
— Ich komme gleich auf Einzelheiten zu sprechen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10849
Ministerpräsident Hans Eichel
Deswegen möchte ich dem Bundesaußenminister zunächst eine Angst nehmen: Wenn die Bundesländer künftig am Prozeß der europäischen Integration stärker beteiligt sein werden, so werden sie im Sinn des Vorantreibens, nicht etwa im Sinn einer Bremse davon Gebrauch machen.
Allerdings — auch das sage ich dem Bundesaußenminister — wollen wir über Kulturfragen, über Fragen der Bildungspolitik, über Fragen der Medienpolitik, über Fragen der Gesundheitspolitik oder gar des Fremdenverkehrs, was nach unserem Willen nicht in Brüssel geregelt werden soll und vernünftigerweise dort vielleicht nicht geregelt würde, nicht den Bundesaußenminister entscheiden sehen; denn das sind Angelegenheiten der Länder. Wenigstens in diesen Bereichen wollen wir sagen, was gemacht wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage das an einige aus der F.D.P.: Von einer Außenpolitik der Länder und von der Umwandlung des Bundesstaates in einen Staatenbund war zu keiner Zeit die Rede. Wir wollen aber dezidiert nicht, daß auf dem Altar der europäischen Einigung Kompetenzen, die vernünftigerweise bei den Ländern liegen, geopfert werden. Weil man die großen Fragen Europas noch nicht lösen kann, bedient man sich bei den Kompetenzen der Länder. Das wollen wir nicht.
— Herr Bundeskanzler, wir sind gar nicht unterschiedlicher Meinung. — Das macht Europa bürgerferner. Es ist gerade der Beitrag, den die deutschen Länder leisten können, daß Europa näher bei den Bürgern ist.
Damit bin ich bei der Zusammensetzung des Regionalausschusses. Es gibt zwei Konfliktpunkte, die noch nicht ausgeräumt sind.
— Ich rate, in Ruhe darüber zu reden.
Der Regionalausschuß — ich denke, jeder, der Föderalist ist, versteht das — ist aus der Sicht der Länder die Option dafür, unterhalb der nationalen Ebene ein Europa mit starken Regionen zu bauen.
In den Regionen gibt es und wird es, wenn der Föderalismus überhaupt funktioniert, eine starke kommunale Selbstverwaltung geben.
Eines aber ist klar: Diesen Regionalausschuß mit der Option der Beteiligung an der Gesetzgebung in Europa werden Sie nicht erreichen, wenn er aus verschiedenen Ebenen zusammengesetzt ist. Das ist das eigentliche Problem, mit dem wir es zu tun haben. An dieser Stelle weiß ich mich mit den Vertretern aller Regionen Europas einig; denn die Vereinigung der
Regionen Europas hat diese Position dezidiert formuliert.
Dies sagt nun nicht, Herr Bundeskanzler, daß es keinen Weg gibt, wie die Länder Vertreter auch aus den Kommunen in den Kommunalausschuß bringen. Es ist aber eine Wahrheit — das sage ich gerade an die F.D.P. —, daß sich die Länderebene um die kommunale Selbstverwaltung schon deswegen viel mehr bekümmert, weil das Wohlergehen oder Nichtwohlergehen der Kommunalhaushalte unmittelbare Folgen für die Landeshaushalte hat, während ich das Entsprechende nicht immer auf der Seite des Bundes entdekken kann. Ich könnte eine Reihe von Beispielen aus der Finanzgesetzgebung nennen.
Herr Ministerpräsident, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern.
Bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, können Sie mir zustimmen, daß beim Vorläufer des Regionalausschusses, von der Kommission eingerichtet, ursprünglich nur die Kommunen vertreten waren und sie den Ländern aus Mitgefühl einen Platz gegeben haben
und daß sie im Europaausschuß darüber geklagt haben, eine vergleichbare Bereitschaft, ihre Standpunkte jetzt in den Regionalausschuß hereinzunehmen, hätte eigentlich selbstverständlich sein sollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es war Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz — darüber habe ich auch mit Herrn Delors geredet, und er hat die Zusage gegeben —, daß der Regionalbeirat künftig nur aus Vertretern der kommunalen Selbstverwaltung besetzt wird, weil wir die kommunale Selbstverwaltung in Europa — da hat Deutschland übrigens auch etwas einzubringen — wollen.
Ich sage aber noch einmal — dazu gibt es eine dezidierte Position der Ministerpräsidenten, die in Deutschland übrigens verfassungsrechtlich abgesichert ist —: Die entscheidende Frage ist, was der Regionalausschuß künftig eigentlich sein soll. Soll er nur ein Beratungsgremium sein — das ist nicht unsere Position —, dann können Sie so argumentieren, wie Sie es soeben getan haben. Wenn er aber künftig in die europäische Gesetzgebung eingebaut werden soll, um auch die regionale Ebene zu sichern, dann allerdings wird man über die Zusammensetzung anders nachdenken müssen. Ich sage Ihnen nur, was die einvernehmliche Position der Ministerpräsidenten in dieser Frage ist.
Im übrigen sage ich Ihnen mit aller Zurückhaltung: Die kommunale Selbstverwaltung — ich wiederhole das — wird von den Ländern schon aus Eigeninteresse nachhaltig gefördert, soweit es überhaupt möglich ist. Wir könnten das hier intensiv diskutieren; ich will es aber nicht vertiefen.
10850 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Ministerpräsident Hans Eichel
Zur Beteiligung der Länder an der innerstaatlichen Willensbildung im Zusammenhang mit Art. 23 GG: Ich möchte ausdrücklich herzlichen Dank all denen sagen, die daran mitgewirkt haben. Ich sage ausdrücklich, Herr Bundeskanzler, daß wir sehr wohl zur Kenntnis genommen haben, daß Sie überzeugter Föderalist sind.
Ich sage großen Dank an die SPD-Fraktion, an meine eigene Partei, die hier eine föderalistische Position bezogen hat, was wir in der Ministerpräsidentenkonferenz sehr gern zur Kenntnis genommen haben. Ich danke auch den Damen und Herren in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Ihnen, Herr Professor Scholz, die Sie diesen Weg mit eröffnet haben.
Ich sage noch einmal: Die Länder haben begriffen — das allerdings bitte ich auch Sie alle zu sehen —, daß es ein Ausweis des enormen Fortschritts der Europapolitik ist, daß Europapolitik Innenpolitik geworden ist. Dann aber muß auch gelten, daß, wenn Kompetenzen übertragen werden, die im innerdeutschen Recht nicht nur an die Zustimmung der Länder, sondern an Zweidrittelmehrheiten gebunden sind, dieses Quorum auch in Europa gilt. Das ist der qualitative Sprung.
Deswegen finde ich die Fortentwicklung unseres Grundgesetzes erfreulich, daß ein neuer Art. 23 an die Stelle des bisherigen gesetzt wird. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu.
Ich bedauere, daß das, was wir ursprünglich gemeinsam wollten, nämlich daß am 1. Januar dieses Jahres das neue Bund-Länder-Verhältnis in Sachen Europa in Kraft tritt, nicht ganz so verwirklicht wird. Wir haben uns aber einvernehmlich darüber verständigt, wie es geschehen soll.
Ich kündige ausdrücklich an, daß bei Art. 6 des Beteiligungsgesetzes des Bundestages, soweit es um die Frage geht, welches Votum entscheidend ist, noch kein Einvernehmen, so vermute ich, mit dem Bundesrat besteht. Das werden die Diskussionen der nächsten Tage zeigen.
Wir jedenfalls halten uns an die Absprachen, die am 13. November dieses Jahres zwischen Bund und Ländern getroffen worden sind. Ich wäre sehr dankbar, wenn das überall in diesem Hause geschähe. Dann würden wir diesbezüglich keine Probleme bekommen, auf die wir keinen Wert legen.
Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die europäische Integration muß offensiv vorangetrieben werden. Ich sage noch einmal ausdrücklich: In diesem Punkt gibt es überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten, jedenfalls nicht mit den deutschen Ländern.
Ich bin nicht sicher, ob die Diskussion der letzten Monate, die eher auf Rückzug zielte, Brüssel solle nicht so viel machen, schon hinreichend war, um die neue Offensive einzuleiten. Ich glaube, daß die Diskussionen über die Ausgestaltung einer europäischen Verfassung, um die Beseitigung des Demokratiedefizits — Themen, die der Bundeskanzler vorhin in seiner
Regieningserklärung sehr intensiv angesprochen hat — uns weiter voranbringen werden.
Was Integration nach außen notwendig macht, macht ebenso Integration nach innen notwendig. Wir werden nicht europafähig sein, wenn wir nicht fähig sind, in unserem Lande mit den Europäern gleichberechtigt zusammenzuleben.
Ganz unabhängig von Maastricht — es gibt eine Reihe europäischer Länder, die z. B. das Kommunalwahlrecht für Ausländer lange vorher eingeführt haben — wird es aus Gründen unseres inneren Friedens und auch um uns europafähig zu machen, notwendig, daß wir endlich alle Menschen, die im Staatsgebiet Deutschland auf Dauer und zu Recht leben, gleichberechtigt als Bürger in diesem Land ansehen,
daß wir ihnen über den Weg des Ausbaus zur europäischen Staatsbürgerschaft Wahlrechte geben, daß wir über den Weg der Doppelstaatsbürgerschaften und über erleichterte Einbürgerungen auch anderen die Möglichkeit geben, sich vollberechtigt zu beteiligen, da zu Recht auch davon die Rede war, Europa dürfe seine Grenze nicht an der Oder-Neiße-Linie finden.
Deswegen müssen wir unseren Begriff der Nation und des Staatsvolks — das ist, glaube ich, ein Zukunftsprojekt, das wir noch leisten müssen — für die Zukunft noch einmal überprüfen.
Der romantische Begriff der Nation — soweit Kulturnation, z. B. mit einer einzigen Sprache gemeint war — ist so lange unproblematisch, als daraus nicht die Forderung abgeleitet wird, das müsse dann auch ein einziges Staatsgebiet sein. Das ist in Europa grundsätzlich unmöglich, war aber auch in der Vergangenheit nicht der Fall; es kann in Deutschland, das in der Mitte Europas liegt und auf das natürlich viele Wanderungsströme gerichtet sind, in Zukunft überhaupt nicht der Fall sein.
Also müssen wir den Begriff des Staatsvolks von diesem Nationenbegriff befreien. Wir werden dazu kommen müssen, wie übrigens auch andere Länder in Europa, daß zum Staatsvolk der gehört, der auf Dauer in unserem Staat lebt;
sonst werden wir, fürchte ich, keinen inneren Frieden haben.
Gute Nachbarn anderer Völker in Europa können wir nur dann sein, wenn wir gute Nachbarn der Angehörigen dieser Völker — nebenan in derselben Straße, auch hier bei uns — sind.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10851
Das Wort hat der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich nicht gern zur Legendenbildung beitragen möchte, Herr Ministerpräsident.
Zunächst einmal komme ich zu den Punkten, in denen wir völlig übereinstimmen. Ich denke, eines sagen wir alle aus Überzeugung: Dieses Europa muß eine föderale Ordnung haben, denn ohne sie kann es nicht gedeihen. Wer einen stringenten europäischen Zentralstaat wünscht, muß wissen: Er will etwas unternehmen, was gegen den Sinn und die Lehre der Geschichte spricht.
Es ist nicht denkbar — wenn ich die Entwicklung etwa bis Ende 1996 bedenke —, daß wir von Stockholm oder Helsinki bis nach Palermo oder Edinburgh auf dem weiten Feld aller politischen und gesellschaftlichen Gebiete, die die Menschen bewegen, eine Einheitsform schaffen; das wäre — um das klar und deutlich auszusprechen — ein schlimmes Europa.
Das heißt, ich bin völlig mit Ihnen einverstanden, daß wir beispielsweise die kulturelle Dimension Europas — die ich sowieso sehr viel lieber weiter vorn in der Sprache unseres Europadenkens und -handelns und -redens sähe — nicht von dem trennen, was kulturelle Tradition von Regionen, von überschaubaren Größen ausmacht, wie es in den letzten Jahrzehnten unsinnigerweise auch schon geschehen ist. In der Kulturlandschaft Deutschlands herrscht keine völlige Einmütigkeit, Gott sei Dank. Das ist eine breite Palette, denken Sie an Schleswig-Holstein, an Mecklenburg-Vorpommern oder an Bayern; das alles ist ein Stück Deutschland. Wir sind glücklich, daß sich diese Farbigkeit erhalten hat.
Das ist auch der Schatz der föderalen Ordnung, die viel mit unserer Geschichte zu tun hat und die während der Verfassungsgebung in den Jahren 1948 und 1949 von einem Teil der damaligen Besatzungsmächte zur Schwächung Deutschlands gedacht war.
In diesen Tagen ist ein hochinteressantes Buch erschienen, das den amerikanischen Hochkommissar jener Zeit würdigt. Da kann man sehr genau nachlesen, warum der eine oder andere den Verfassungsvätern und -müttern damals aufgegeben hat, daß die föderale Ordnung möglichst ausgeprägt sein sollte. Das, was als Schwächung gedacht war, hat sich als Stärke erwiesen.
Ich kann nur sagen: Wer das ändern will, ist schlicht und einfach ein Narr oder ein Tor. Das kann nicht unsere Politik sein.
Wir haben es in Europa mit vielen ausgeprägten Nationalstaaten zu tun. Italien beispielsweise ist heute in einer starken Weise stolz auf seine nationalstaatliche Tradition. Trotzdem haben die Wahlen der letzten zwei Jahre gezeigt, daß sich nicht nur in
Südtirol, sondern auch in anderen Gebieten Italiens regionale Tendenzen offenbaren, die den Nationalstaat zwar nicht zerstören wollen, die aber die Farbigkeit der einzelnen Provinzen und Regionen deutlicher werden lassen.
Charles de Gaulle hat das Wagnis eines Referendums über die Regionalisierung unternommen und ist daran gescheitert. Das hat auch etwas mit der Entwicklung des Regionalbewußtseins zu tun gehabt. Probleme haben auch die Spanier.
Ich bin kein Prophet; aber wenn Sie die latenten Konflikte, die sich im Raum Großbritanniens und auch in der Nachbarschaft entwickelt haben und die wir dauernd zur Kenntnis nehmen müssen, lösen wollen, müssen Sie sie regional lösen.
Daß das Südtirol-Paket zustande gekommen ist, hat etwas damit zu tun, daß man endlich begriffen hat, mit einem nationalstaatlichen Denken der 20er und 30er Jahre nach der Völkerwanderung, die man dort erzwungen hatte, keine befriedende Lösung finden zu können. Das ist die Lehre der Geschichte. Deswegen müßten wir wirklich Narren sein, wenn dieses Europa nicht eine föderale Ordnung hätte. Föderale Ordnung heißt auf unsere Verhältnisse bezogen, daß die Regionen durch die Bundesländer verkörpert werden.
Im übrigen, Herr Ministerpräsident, gibt es in anderen EG-Ländern nichts, was mit unseren Bundesländern vergleichbar ist. Aber ich bin ziemlich sicher, daß sich die Regionen und die Länderordnungen einander annähern werden. Ich glaube, in Europa ist ein Prozeß in Gang gekommen, und wir können ihn nur begrüßen, in dem wir uns auch in solchen staatsrechtlichen Formationen einander annähern, die vor 20 bis 30 Jahren in den betreffenden Ländern für völlig undenkbar gehalten wurden. Ich glaube, in dem Punkt sind wir einig.
Ich sage noch einmal verbindlich für die Bundesregierung — Sie haben in dem Punkt völlig zu Unrecht den Bundesaußenminister angesprochen, meine Damen und Herren —: Wir haben eine klare Position. Wir wollen die föderale Ordnung in unserem eigenen Land.
Sie werden erleben, daß sich der Bundesaußenminister — genauso wie ich jetzt — in Edinburgh und in der Zeit danach nicht zuletzt an diesem Gesichtspunkt ausrichtet, wenn es darüber zu reden gilt, ob bestimmte Richtlinien der EG, die wir für unnötig, auch für töricht halten, zurückgenommen werden.
Die EG hat auf Vorschlag vieler Richtlinien erlassen — das ist nicht nur eine Schuld von Brüssel —, die auf deutsche Verhältnisse übertragen, in Deutschland sehr viel besser auf Länderebene ergangen wären.
Ich bin im übrigen bei einer Reihe dieser Richtlinien der Meinung, es hätte überhaupt keiner Richtlinie bedurft.
Ich könnte mir vorstellen, daß es viele Landräte und Oberbürgermeister in Deutschland gibt, die das sehr viel besser machen können als beispielsweise Brüssel, Bonn, Wiesbaden oder München.
10852 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Ich finde, das, was wir hier brauchen, ist doch ein neuer Aufbruch zu einer Art Dezentralisierung. Es geht dabei um Bürgernähe im besten Sinne des Wortes und im übrigen auch um ein Stück Machtdezentralisation. Daß die Geschichte der Bundesrepublik alles in allem glücklich verlaufen ist, hat doch etwas damit zu tun — das kann man doch aussprechen —, daß es zwar auf dieser Seite des Hauses — sprich: auf der Regierungsbank — unterschiedliche Koalitionen gab, aber daß das nie dazu führte, daß durch entsprechende neue Mehrheiten in den Ländern und im Bundesrat über Nacht eine völlig uniforme Situation wie in einem Zentralstaat eingetreten ist.
Das war eben auch nicht so wie in Großbritannien mit seinem Mehrheitswahlrecht. Die Dezentralisation von Macht hat sich doch bei uns gut ausgewirkt.
Also, wir sind uns, wie ich denke, einig. Jetzt öffnen wir das Tor weit für Europa; wir nehmen einen neuen Anfang. Ich sprach — und es ist so — von einer geschichtlichen Stunde. Jetzt streiten wir uns, ob bei 24 Sitzen im Regionalausschuß drei dieser Sitze von Vertretern der Gemeinden besetzt werden können. Wir schließen hier, Herr Ministerpräsident, nicht den Westfälischen Frieden von Münster ab, und es geht auch nicht um die Frage, ob wir acht-, sechs- oder vierspännig vorfahren. Wir leben im Jahr 1992. Daher frage ich Sie, den langjährigen verdienten Oberbürgermeister von Kassel, und alle Ihre Kollegen —
— ich sage das jetzt sehr ernst —: Ist das wirklich ein Europa der Bürger, wenn wir jetzt darüber streiten? Die Länder haben 21 Sitze, nach Größenordnungen verteilt. Man kann auch darüber reden, ob das der richtige Schlüssel ist. Sie haben ohnedies einen Nachholbedarf auf Grund der deutschen Einheit. Sie haben sich da nämlich durch einen kleinen Streich die Stimmenverteilung anders zurechtgelegt, als sie seit 1949 im Bundesrat waren. Das ist hier eine gute Gelegenheit, dies einmal anzubringen. Das liegt mir seit langem auf der Seele.
Jetzt komme ich zu meinem Vorschlag, daß wir nicht darüber streiten sollten, wer die 24 Vertreter im Regionalausschuß vorschlägt; das sollen die Länder tun. Dem Denken entsprechend dem Protokoll des Friedens von Münster/Westfalen ist also Rechnung getragen.
Ich sage als Zweites dazu: Unser Wunsch ist ein Europa der Bürger, und zu dem Europa der Bürger gehört die kommunale Dimension.
Sehen Sie, Herr Ministerpräsident: Hier sind jetzt die großen demokratischen Parteien versammelt, und jeder von uns hat ein Parteiprogramm. Wenn ich jetzt nicht so freundlich gesinnt wäre, würde ich die Parteiprogramme vorlesen. Da steht alles drin, was wir von der Gemeinde halten: daß sie den Bürger an die Aufgaben heranführt. Man bekommt die richtige Feiertagsstimmung, wenn man diese Texte liest, und über dem Raum schwebt der Geist des Freiherrn von Stein.
Aber sehen Sie, meine Damen und Herren: Es geht jetzt doch darum, drei Mandate an diese Gemeinden zu vergeben. Der Vorschlag lautet, daß die deutschen Gemeinden mit ihren Spitzenverbänden — und ich habe das Vertrauen, daß die das können; auch dazu muß ich nichts sagen — dann je einen Landrat, einen Bürgermeister und einen Oberbürgermeister vorschlagen. Sehen Sie, es kann ja sogar sein, daß der Oberbürgermeister gestern Minister war und morgen wieder Minister ist; es kann ja hin und her gehen. Es sind ja Leute, die das können.
Mein weiterer Vorschlag war, daß sie das nicht direkt an die Bundesregierung zur Weitermeldung geben, sondern an die Ministerpräsidentenkonferenz, die dann den Gesamtvorschlag macht. Den, der darin jetzt ein verfassungsrechtliches Problem sieht, verstehe ich beim besten Willen nicht.
Meine Herren vom Bundesrat, ich war ja lange genug Mitglied dieses Gremiums und weiß sehr wohl den Sachverstand und das Bemühen um die gesamtstaatliche Entwicklung zu schätzen. Ich sage das ohne jeden Unterton. Ich weiß, wie wichtig das alles ist. Aber überlegen Sie bitte doch einmal die Proportionen. Wir verabschieden den Vertrag von Maastricht. Es ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat geben eigens aus diesem Anlaß eine Art feierliche Erklärung, eine Deklaration dazu ab, daß das ein wichtiger Punkt ist. Und wir streiten uns am Ende im Vermittlungsausschuß womöglich, ob drei Leute aus dem kommunalen Bereich, die doch Bürgernähe praktizieren, dabei sein dürfen oder nicht. Meine Bitte ist nur: Tun wir uns das gegenseitig nicht an!
Ich erteile dem Ministerpräsidenten des Landes Hessen, Eichel, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ich glaube, Sie haben jetzt mit Ihrer Intervention der Sache ein größeres Gewicht gegeben, als ich gemeint habe. Ich habe mich zurückblickend auf das geäußert, was es an Gesprächen zwischen Bund und Ländern gegeben hat.
Jedes Land muß das für sich entscheiden; da kann ja keines für das andere entscheiden. Wie der Bundesrat am 18. Dezember entscheidet, werden wir sehen. Ich kann mir aber vorstellen — viele meiner Kollegen können es sowieso, wie ich weiß —, daß wir uns da ganz glatt verständigen.
Eines geht nicht: im Gesetz eine Regelung zu treffen, die dies wider die Verfassungsordnung in
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10853
Ministerpräsident Hans Eichel
Deutschland festlegt. Das ist das Problem: Wir haben den Bund, wir haben die Länder, und die kommunale Seite wird durch die Länder vertreten.
— Das wäre ja ein Weg.
Wir haben ansonsten praktisch möglicherweise gar nicht den Streit, Herr Bundeskanzler. Aber dann wird es verfassungsrechtlich in der Tat interessant, und dann geht es um sehr tiefgreifende Fragen des deutschen Verfassungsverständnisses.
Da werden dann die Länder, vermute ich, ihre Position insgesamt zu wahren wissen. Praktisch — ich sage das, weil Sie vorhin darüber gesprochen haben — hätten wir, glaube ich, eine gute Chance, zusammenzukommen. Ich jedenfalls werde dafür werben, daß das geschieht.
Weil ich da ein paar Zwischenrufe gehört habe, meine sehr verehrten Damen und Herren, sage ich: Ich finde es sehr schön, daß hier aus der Mitte des Bundestages der Verfall der Rechte der Landesparlamente beklagt wird. Ich sage Ihnen für die weiteren Diskussionen in der Verfassungskommission: Lassen Sie uns uns einmal darüber verständigen, ob und wo wir Mischtatbestände auflösen und ob und wo wir wirklich wieder originäre Länderrechte herstellen. Dann haben wir etwas für die Landtage getan.
Es spricht der Minister für Europa- und Bundesangelegenheiten des Freistaates Bayern, Thomas Goppel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Ich bedanke mich für die Gelegenheit, daß ich aus der Sicht des Bundesrats eine zweite Stimme laut werden lassen darf. Es ist ja außerordentlich schwierig, bei aller leisen Zuhörbereitschaft von über vier Stunden in fünf Minuten alles aufzuarbeiten, was Sie allein an Zwischenrufen in fünf Minuten zu leisten imstande sind. Aber lassen Sie mich sagen, daß ich glaube, an einem Tag wie heute beschränkt sich für den Bundesrat, der selbst entscheiden wird, alles auf drei Gesichtspunkte.
Wir müssen gemeinsam das Verbindende unterstreichen, Herr Bundeskanzler. Wir müssen die Umorientierung, die mit Maastricht verbunden ist, vorantreiben — das ist unsere gemeinsame deutsche Aufgabe —, und wir sollten das Trennende beseitigen.
Das Verbindende zu unterstreichen bedeutet aus meiner Sicht erstens die Verpflichtung, daß wir gemeinsam anerkennen, daß der Art. 23 und die Begleitgesetze ein Paket sind, das vom inneren
Zusammenwirken her in Richtung Europa unsere neue Zusammenarbeit formiert und formuliert.
Das zweite ist, daß wir konstatieren müssen, Herr Bundesaußenminister — und das allein war jetzt wiederholt Gegenstand einer Diskussion, zum Teil in Ihrer Abwesenheit —, daß Europapolitik in Teilen Innenpolitik ist oder wird.
— Ist oder wird; es gibt ja im wirtschaftspolitischen Bereich längst schon solche Elemente.
Wenn sich mit dem 1. Januar 1993 und den nächsten sechs Jahren Konstellationen ergeben, in denen die Länder plötzlich kräftig in ihren Zuständigkeiten betroffen sind, dann sollte nicht schon von vornherein in der Diskussion vermutet werden, sie wollten mehr. Diese Diskussion war gelegentlich leider doch so angelegt, daß man die Vermutung hatte, daß der sonst überhaupt nicht zu schmälernde Charme der Bundestagsabgeordneten zu Hause gelassen worden ist. Das war im Sonderausschuß ab und zu durchaus ein Thema.
Wenn in einem Haus, in dem wir zusammenleben, das Herrenzimmer auf gemeinsamen Beschluß zum Eßzimmer verändert wird, dann mag zwar im Herrenzimmer in Zukunft all das andere festgelegt werden, im Eßzimmer aber hat die Köchin mitzureden. Wenn Sie erlauben, dann sind die Länder so etwas wie die Köche in Deutschland. Ganz sicher haben sie im Herrenzimmer nichts verloren, jedenfalls nicht, wenn sie nicht eingeladen sind. Sie machen das ja durch die Redeordnung an einem solchen Tag deutlich: Die Köchin ist nur dann hochwillkommen, wenn Sie sie ausdrücklich einladen. Im Eßzimmer hat sie aber mitzubestimmen, wann serviert wird.
Herr Bundesaußenminister, das gilt für alle Entwicklungen der Zukunft; und dabei sollte man nicht nur vorsichtig, sondern auch ein Stück entgegenkommend sein.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede heute sehr ausführlich über das Entgegenkommen gesprochen, und dafür bin ich sehr dankbar. Ich will das unterstreichen, weil es vorhin zu kurz gekommen ist. Sie haben eine so offene und so positive Definition der Subsidiarität in diese Diskussion eingebracht, daß sie den Ländern nur recht sein kann, wenn sie denn das Bundespresseamt auch in allen Anzeigen aufnimmt. Wenn Sie die heutige lesen, steht dort, es bleibe bei der alten „Besser"-Klausel; das ist jedenfalls so formuliert. Ich bin überzeugt: Da ist lediglich das unterblieben, was Sie heute hier im Bundestag drei- oder viermal anders formuliert haben; dafür bin ich dankbar.
Was die Tätigkeit des Regionalausschusses anbelangt, sind wir uns ja einig, daß er einen Anfang darstellt. In dieser Phase des Anfangens ist es unsere gemeinsame Überlegung, wie wir ihn bestmöglich bestücken, auf daß er eines Tages wirklich im födera-
10854 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Staatsminister Dr. Thomas Goppel
len Konzept Europas eine entscheidende Rolle spielen kann.
Sie wissen, Herr Bundeskanzler, daß wir in dieser Diskussion ein innerstaatliches Verhältnis haben, in dem die Kommunen den Ländern zugeordnet sind. An dieser Stelle ist die Frage für uns gemeinsam lediglich: Wie sind in den zurückliegenden 30 Jahren Bund und Länder hier miteinander umgegangen? Herr Bundeskanzler, die Gelassenheit, mit der Sie das gesagt haben, hat mir mein ganzes Taschentuch verhauen. Es ist pitschnaß, weil ich natürlich auch die Tränen weine, die den Kommunen hinterherzuweinen sind.
Aber Sie gestatten auch, daß ich hinzufüge: Es ist interessant, daß in den letzten 30 Jahren bei Wünschen, die die Länder geäußert haben, sehr häufig die ablehnende Begründung gegeben wurde: Das ist verfassungsrechtlich nicht möglich, ihr bleibt schön brav draußen, obwohl es eigentlich einen guten Grund gäbe, etwas zu tun. Im Rat könnte längst jemand mitreden bzw. könnte in der Diskussion berücksichtigt werden, was aus deutscher Sicht mit zehn Stimmen eingebracht werden darf. Es war nie die Rede davon, hat es nie gegeben.
Im Blick auf die Diskussion, die Herr Irmer heute früh geführt hat, könnten wir ohne weiteres darüber diskutieren, daß der Bundestag ein Stück jener Mitbestimmung in der Diskussion des Bundes gegenüber Europa haben könnte, die Sie für die Landtage reklamiert haben. Es ist nie geschehen. Ich muß Ihnen sagen, daß ist es, was den Herrn Ministerpräsidenten Eichel ad personam und mich heute stellvertretend für andere ein wenig stört: daß Sie uns in einem Bereich, in der die Länder Zuständigkeit besitzen, Vorschläge unterbreiten, die Sie selber in der Praxis der Vergangenheit so großzügig nicht gehandhabt haben.
— Nein, Herr Bundeskanzler, das ist nicht wahr. Die Länder haben in den zurückliegenden Jahren von der Großzügigkeit der letzten Monate, die ich nicht bestreite, von einer offenen Diskussion nie etwas verspürt. Sie erwarten von uns einen Lernprozeß in wenigen Minuten, für den die Bundesregierung und der Bundestag in dieser Diskussion viele Jahre gebraucht haben.
Ich meine, wir sollten sehen, daß wir unseren jeweiligen Part in der Diskussion zu Ende führen — Sie heute und wir am 18. Dezember 1992 — und daß wir gemeinsam sehen, daß das Verbindende im Vordergrund steht, daß die Umorientierung unsere Aufgabe ist und wir uns wegen des uns Trennenden nicht aufreiben.
Das Wort hat nunmenr der Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir nicht leicht, anders zu reden und anders abzustimmen als meine Fraktion.
Wer den Vertrag von Maastricht kritisch beurteilt und sich nach reiflicher Prüfung zu einem Nein entscheidet, muß damit rechnen, daß einige der Befürworter des Vertrags ihn in eine rechtsnationale Ecke abschieben wollen. Freundlichere Kolleginnen und Kollegen warnen mich vor dem Beifall von der falschen Seite. Enzensberger hat vor 30 Jahren geschrieben, man mache mit dem Argument des Beifalls von der falschen Seite in Wirklichkeit den Gegner zum Schiedsrichter des eigenen Denkens und Redens. Es geht dann nicht mehr um die Sache, es geht dann nur darum: Was dem Gegner nützt, ist verboten, was der eigenen Seite nützt, ist erlaubt. Solches Argumentieren ist totalitär, sagt Enzensberger.
Ich habe nichts zu tun mit jenen, die unser Land unter dem Motto „Deutschland den Deutschen" aus der Gemeinschaft gesitteter Völker in eine Festung einmauern wollen, seien das deutschnationale Intellektuelle oder sei das der braune Mob auf der Straße. Ich will die Vereinigten Staaten von Europa, ich will ein Europa der guten Nachbarn, ich will europäische Zusammenarbeit. Aber ich will ein demokratisches Europa; denn ohne Demokratie wird es die Europäische Union nicht geben.
Wer meine Haltung in der Nähe der Gauweilers, Lummers oder gar Schönhubers rücken will, der handelt unredlich.
Wer in der EG das Sagen hat, ist nicht vom Volk gewählt, und wer vom Volk gewählt ist, hat in der Gemeinschaft nichts zu sagen.
Dazu ein Zitat:
Demokratie bedeutet, daß Gesetze von der Volksvertretung und nicht von den Regierungen gemacht werden, wie das in der EG noch weitgehend der Fall ist. ... Es ist keine Demokratie, wenn der Bürger einen Privatdetektiv beschäftigen muß, um herauszufinden, wer für welche Entscheidung in der Europäischen Gemeinschaft verantwortlich ist. Dies ist keine Demokratie, denn es gibt keine Möglichkeit abzuwählen.
So der SPD-Abgeordnete Gerhard Schmid vor dem Europäischen Parlament im April dieses Jahres. Klarer kann man das demokratische Defizit der EG nicht beschreiben.
Drei bedeutende ehemalige Verfassungsrichter — Ernst Benda, Konrad Hesse und Helmut Simon — finden die Demokratiemängel des Vertrags „gefährlich, beunruhigend". Von Rätediktatur ist die Rede, von einem „undemokratischen Oberstaat" . Helmut Simon:
Ich halte die Übertragung von Hoheitsrechten, welche die EG-Behörden ermächtigen, in Grundrechtsbereiche unserer Staatsbürger einzureifen, ohne parlamentarischen Unterbau für verfassungswidrig.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10855
Peter Conradi
Es ist erstaunlich, daß weder die Verfassungskommission noch der Sonderausschuß diese ehemaligen Verfassungsrichter angehört haben.
Im Kern geht es um die Übertragung von Hoheitsrechten der Legislative auf die Exekutive, von Rechten des Parlaments auf die Regierung. Hoheitsrechte sind nicht schrankenlos; sie sind gebunden an die Verfassung, an Recht und Gesetz, an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, an das Gleichheitsprinzip, an das Bestimmheitsgebot und natürlich an den Grundsatz der Gewaltenteilung.
Kann man Hoheitsrechte, z. B. unsere Gesetzgebungsbefugnisse, ohne diese Bindungen übertragen? Das kommt mir so vor, als wollten wir ein Grundstück ohne die darauf lastenden Hypotheken und Grunddienstbarkeiten verkaufen. Aber das habe ich von den Juristen gelernt: Niemand kann mehr Rechte übertragen als er hat.
Meine Frage ist: Haben wir als Abgeordnete, die das Volk als seine Volksvertreter gewählt hat, damit sie die Gesetze unseres Zusammenlebens beschließen, das Recht, unsere Gesetzgebungsbefugnisse einem Ministerrat zu übertragen?
Würden wir das im Inland machen, würden wir unser Recht, Gesetze zu beschließen, einem Rat aus Bundes-und Landesministern — der dann auch noch geheim tagt — übertragen mit der Maßgabe, wir wollen frühzeitig informiert werden, wir wollen Stellung nehmen, und der Bundesminister solle dann unsere Stellungnahme „berücksichtigen" — so haben Sie das in dem neuen Artikel 23 des Grundgesetzes formuliert —, dann wäre das ohne jeden Zweifel ein Bruch unserer Verfassung.
Das Parlament hat nicht das Recht, das Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung aufzuheben; es würde sich damit selber aufgeben. Wenn das im Inland verfassungswidrig ist, warum sollte es gegenüber einer überstaatlichen Institution, die ja erst auf dem Weg zur Staatlichkeit ist, zulässig sein? Ich sehe jedenfalls als Abgeordneter keine Möglichkeit für mich, die mir von den Wählern übertragenen Rechte und Pflichten an Dritte abzugeben.
Nun sagen mir gute Freunde — deren Urteil mir wichtig ist —, wir müßten den Maastrichter Vertrag trotz aller schweren Mängel, die ja niemand ernsthaft bestreiten kann, jetzt ratifizieren, um damit ein Zeichen gegen den an vielen Stellen in Osteuropa und auch bei uns wieder aufbrechenden Nationalismus zu setzen, ein Zeichen auch für den Frieden in Europa. Das sind ernsthafte, gewichtige Argumente, zumal auch bei uns die Ewiggestrigen mit ihrem tumben Nationalismus wieder sichtbar und hörbar werden.
Zwei Argumente will ich dagegensetzen. Erstens, die Antwort auf einen drohenden Rechtsruck, auf das Abrutschen weiter Teile Europas in einen neuen Nationalismus kann doch nicht ein Abbau von Demokratie sein. Unsere gemeinsame Zukunft in Europa liegt darin, daß wir nationale Souveränität abgeben.
Aber wo immer diese Souveränität hingeht, sie muß Volkssouveränität, Volksherrschaft 'bleiben, Demokratie.
Zweitens. Wir machen doch unseren Wählern etwas vor. Da mag der Herr Außenminister noch so tapfer im europäischen Walde pfeifen, der Maastrichter Vertrag werde in Dänemark und England dann doch noch ratifiziert. Herr Kinkel, in allen europäischen Hauptstädten pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß dieser Vertrag gescheitert ist. Mit diesem halbtoten Vertrag, der schwerwiegende Mängel hat, wollen wir den aufkommenden Rechtsnationalismus in Europa eindämmen? Das kommt mir so vor, als wollte man ein Feuer, das zu einem Großbrand werden kann, mit einem löchrigen Eimer ohne Henkel und Boden löschen. Nein, der Vertrag von Maastricht ist die falsche Antwort auf Rechtsradikalismus und neuen Nationalismus.
Wenn dieser Vertrag endgültig gescheitert ist, ist Europa nicht am Ende. Dann müssen die Mitgliedstaaten der EG einen neuen Anlauf nehmen. Es wäre sinnvoller, statt sich mit diesem mißratenen Vertrag hier herumzuplagen, über die Grundlage für diesen neuen Anlauf zu diskutieren.
Die Europäische Gemeinschaft braucht jetzt den Entwurf einer europäischen Verfassung, und die muß zwei Fragen beantworten: Erstens. Wie wird das Subsidiaritätsprinzip inhaltlich und verfahrensmäßig ausgestaltet? Was muß zwingend europäisch und was national geregelt werden? In der Sprache des Godesberger Programms meiner Partei: so viel europäisch regeln wie notwendig, so viel national regeln wie möglich. Ohne eine ausgeformte, gesicherte Subsidiarität wird es keine Union geben. Zu Recht wehren sich nicht nur Engländer und Dänen gegen das Ausmaß bürokratischer Fremdbestimmung, das ihnen Maastricht eröffnet.
Zweitens. Wie wird die Demokratie, d. h. Volksherrschaft durch Wahlen und Abstimmung in Europa gesichert? Wir wollen keine Rätediktatur geheim tagender Minister. Das zu große Europäische Parlament allein wird das nicht schaffen. Möglicherweise brauchen wir eine kleinere erste europäische Kammer, einen europäischen Senat, in dem jedes Land dieselbe Anzahl von Sitzen hat. Darüber müssen wir reden, denn die politische Union Europas wird eine demokratische und föderalistische Union sein, oder sie wird nicht sein.
Aus einer solchen Verfassungsdiskussion könnte der Schwung für einen neuen Aufbruch in Europa kommen. Unser Motto sollte sein: Maastricht ist tot, aber es lebe das demokratische Europa!
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld und bitte um Verständnis dafür, daß ich diesem Vertrag nicht zustimmen werde.
Nunmehr hat die Abgeordnete Ingrid Köppe das Wort.
10856 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch aus unserer Gruppe wird es nicht nur Zustimmung zum Maastrichter Vertrag geben. Vier von uns, nämlich Frau Schenk, Herr Weiß, Herr Feige und ich, werden gegen den Vertrag stimmen. Ich möchte Ihnen im folgenden unsere Ablehnungsgründe nennen.
Erstens. Bei diesem Vertrag handelt es sich um die Errichtung eines Bollwerks westeuropäischer Staaten, die sich anmaßend als Europäische Union bezeichnen, Osteuropa aber dabei ignorieren. Das klassische militärische Blockdenken wird mit dem Maastrichter Vertrag wirtschaftspolitisch fortgeschrieben. Gerade weil wir aus dem Osten kommen, ist das für uns besonders schmerzlich.
Zweitens. Der Vertrag als Ausdruck eines wirtschaftlich und politisch starken Staatenbundes — stark gegen wen? — beinhaltet kein Programm, mit dem eine Verantwortung für die Wirtschafts- und Armutsprobleme der Welt übernommen wird. Darum wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nach innen den Effekt haben, Grenzwälle gegen die Ökonomien der sogenannten Dritten Welt zu errichten.
Drittens. Die beabsichtigte gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik, die in eine gemeinsame Verteidigungspolitik münden soll, ist in dem Kontext gemeinsamer deutsch-französischer Streitkräfte und der geplanten Grundgesetzänderung zum internationalen Einsatz der Bundeswehr zu sehen. Eine solche Verteidigungspolitik kann keinen internationalen Frieden bringen.
Viertens. Der Prozeß von Maastricht ähnelt dem Vereinigungsprozeß beider deutscher Staaten. Weder werden die davon betroffenen Bürgerinnen und Bürger inhaltlich beteiligt noch die geforderte Volksabstimmung zur Willensbildung und Legitimierung durchgeführt. Es werden wie beim deutsch-deutschen Währungsvertrag eine Stichtagsregelung und ein Modus für die Konvertibilität der Währungen vereinbart, ein Gemeinsamer Markt hergestellt, eine spezifische Freizügigkeit vereinbart usw. mit dem Ergebnis, daß die wirtschaftlich Schwachen noch schwächer werden und die wirtschaftlich Starken noch stärker.
Fünftens. Der Superstaat Westeuropa bleibt trotz geringfügiger Korrekturen ein Westeuropa der Regierungen. Es wird kein demokratisch, über die Parlamente kontrolliertes und gestaltetes Westeuropa, geschweige denn ein Westeuropa der Bürger-und Bürgerinnenkontrolle. Dieses demokratische Defizit ist für uns unerträglich.
Sechstens. Der rechtliche Status der Bürgerinnen und Bürger dieses Westeuropas ist nach einem Dreiklassenwahlrecht konstruiert: weitestgehende Rechtlosigkeit der nichtwesteuropäischen Ausländer, wie z. B. der Türken, ein Minimalstandard, z. B. kommunales Wahlrecht für die EG-Bürger und Bürgerinnen, und die Privilegierung nach bekanntem Muster für Bürger und Bürgerinnen der jeweiligen Nationalstaaten. Dieses Dreiklassensystem wird in Zukunft für neuen politischen Sprengstoff sorgen.
Siebentens. Schließlich finden die innenpolitischen Normierungen dieses Vertrages, hier vor allem der Aufbau eines europäischen Kriminalamtes Europol, nicht unsere Zustimmung. Durch das in den Vertragsstaaten sehr unterschiedliche Datenschutzniveau entsteht hier auch ein Eldorado für den Einbruch in die Intimsphäre von Bürgern und Bürgerinnen, was mit den bei uns mühsam erreichten Schutzrechten unvereinbar ist.
Die Hoffnung all jener, die trotz inhaltlicher Bedenken — oft schwerer Bedenken — heute den Vertrag unterstützen werden, können wir nicht teilen. Der Maastrichter Vertrag ist für uns eine entscheidende Weichenstellung, allerdings aber unserem Anspruch auf ein demokratisches, antimilitaristisches, ausländerfreundliches Europa gleichberechtigter Menschen genau entgegengesetzt. Deshalb lehnen wir diesen Vertrag ab.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dieter Schloten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir ratifizieren heute das Maastrichter Vertragswerk. Ab morgen liegt es an uns, dem Einigungsprozeß in Europa die neue Qualität zu verleihen, die der Vertragstext ermöglicht. Wir werden dabei auf dasselbe Problem stoßen, das wir mit unserem Grundgesetz haben: Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit sind nicht immer identisch, sondern klaffen zuweilen auseinander. Obwohl der Vertrag ein Fortschritt auf dem Wege zu einem demokratischeren — ich sage nicht: demokratischen — Europa ist, findet es bisher bei den Bürgern nicht die entsprechende Akzeptanz.
Nun hat das Maastrichter Vertragswerk selbst erstmals zwei Gegenstände zu Gemeinschaftsaufgaben erklärt, die auf dem Wege zu einer wirklichen Unionsbürgerschaft eine wichtige Rolle spielen, und zwar Kultur und Bildung. Dabei ist die geplante Förderung der kulturellen Vielfalt Europas gewiß bedeutsam. Genauso wichtig dürfte es jedoch sein, daß wir Politiker, daß unsere öffentlichen und privaten Verwaltungen und Behörden in ihrer Informationspolitik und vor allem im Umgang mit den Bürgern zu einer überzeugenden politischen Kultur finden.
Aber auch die Bürger der zukünftigen Europäischen Union sollen die Chance haben, sich in dieses Europa zu integrieren. Der Vertragstext sieht hier in erster Linie die Förderung von Sprachen vor. Sprachkenntnisse dienen der Verständigung, der Überwindung von Grenzen sowie der Verbesserung der beruflichen Chancen. Aber das reicht nicht aus. Der bildungspolitische Sprecher des Deutschen Industrie-und Handelstages, Jörg Feuchthoven, äußerte sich am 28. Oktober dieses Jahres in einer Sendung des Deutschlandfunks folgendermaßen dazu:
Ich sage es ganz hart: Allein mit dem Lernen von ein, zwei oder drei Fremdsprachen ist es hier bestimmt nicht getan. Das zeigen ja die jüngsten Entwicklungen — soweit es hier um den Umgang mit Ausländern geht — in unserem eigenen Staat.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10857
Dieter Schloten
Was wir brauchen, ist der Bildungsauftrag der allgemeinbildenden Schulen über einen längeren Zeitraum, der mühsame Prozeß, eines eher weltbürgerlichen Denkens zu vermitteln, Toleranz, Offenheit gegenüber Andersdenkenden, anderen kulturellen Gegebenheiten.
Befragungen und Untersuchungen an zahlreichen deutschen Schulen in verschiedenen Bundesländern zeigen aber ein Riesendefizit an europäischen Kenntnissen und an europäischem Bewußtsein. Das kann man nur zum geringen Teil den Lehrern anlasten. Sie haben seit Jahrzehnten hervorragende Arbeit zur Integration von ausländischen Schülern geleistet.
Aber sie beklagen zu Recht, daß sie zur Behandlung der jüngsten Geschichte zuwenig Zeit im Lehrplan haben. Da fällt das Thema Europa aus unterrichtsökonomischen Gründen allzuoft unter den Tisch.
Dieselben und viele andere Lehrer unternehmen jedoch mit ihren Schülerinnen und Schülern Studienfahrten ins europäische Ausland, und unzählige deutsche Schulen pflegen einen entsprechenden Schüleraustausch. Das sind wichtige Veranstaltungen, aber sie tragen kaum zur Bildung eines europäischen Bewußtseins bei. Ich zitiere als Beispiel eine Schüleräußerung aus der soeben erwähnten Sendung des Deutschlandfunks. Der Schüler sagt:
Bei einem Austauschschüler aus England denke ich nicht an Europa, weil für mich der Schüleraustausch mit Wolgograd genauso war wie mit den Engländern.
Diese Äußerung läßt erkennen, daß unsere politische Konstruktion des EG-Europas zur Zeit noch ein abstraktes, bürgerfernes Gebilde ist, mit dem viele nichts anfangen können.
Unsere Kultusminister, die Bildung und Kultur fest im föderalen Griff wähnen, sollten sich mit den mageren Ergebnissen ihrer europäischen Dimension im Unterricht intensiver beschäftigen. Sie sagen — ich zitiere aus der Kultusministerkonferenz —, „daß die in den Ländern genehmigten Schulbücher wesentliche Aspekte der europäischen Thematik ausführlich behandeln" . Wenn nicht einmal genügend Zeit für den Unterricht über europäische Themen vorhanden ist, wird diese Behauptung der Kultusminister als Schönfärberei entlarvt.
Es ist allerdings zur Entwicklung europäischer Lernziele kontraproduktiv, wenn Harald Kästner, stellvertretender Leiter der Schulabteilung der Kultusministerkonferenz, fordert — ich zitiere —, guter Unterricht über Europa müsse zu europäischer Loyalität erziehen. Soweit, so gut. Aber er fährt fort: Dazu gehörten eine deutliche Abgrenzung des Europas der Gemeinschaft gegenüber den Nichtmitgliedstaaten sowie „die Bereitschaft zur militärischen Reaktion und
Intervention". Hier wird ein neuer Nationalismus unter europäischer Flagge propagiert.
Wir brauchen keine Festung Europa. Polen gehört genauso zu Europa wie Deutschland und Frankreich.
Deshalb hat der Sonderausschuß Europäische Union in seinem Bericht hervorgehoben, daß die Reformstaaten Mittel- und Osteuropas in die Gemeinschaftsprogramme für Bildung und Kultur einbezogen werden sollen.
Die Gustav-Heinemann-Schule in meiner Heimatstadt Mülheim an der Ruhr, eine typische Ruhrgebietsschule mit zeitweise Kindern aus 20 Nationen, leistet im Rahmen eines vom nordrhein-westfälischen Kultusminister geförderten Schulversuchs „Lernen für Europa" praktische Arbeit zur Akzeptanz von Fremdheit und Andersartigkeit. Hier wird nicht der Versuch gemacht, eine Wir-Identität mit einem institutionalisierten Europa pädagogisch zu konstruieren. Vielmehr werden im Geographiekurs der 11. Klasse gemeinsam mit einer Partnerklasse aus dem niederländischen Nijmegen Wasseruntersuchungen an der Maas und an der Ruhr durchgeführt. Schülerinnen und Schüler waren bei Befragungen von Bauern, in Betrieben, bei der Auswertung von Untersuchungsergebnissen, bei der Abfassung des Berichtes sowie bei Übernachtungen in Gastfamilien sprachlich, sachlich und menschlich aufeinander angewiesen. Es gibt ferner jedes Jahr ein gemeinsames Betriebspraktikum in Deutschland und in Frankreich.
Das tägliche Miteinander im Praktikum und bei der Projektarbeit fördert die sozialen und die sprachlichen Fähigkeiten. Unterschiede werden verglichen, Vorurteile werden abgebaut. Grenzüberschreitendes, gemeinsames praktisches Lernen, die Lebenswirklichkeit der europäischen Mitbürger kennenzulernen, auch die Erfahrung zu machen, selbst Ausländer zu sein, sind wichtige Elemente der europäischen Dimension von Bildung und Kultur.
In den Mitgliedstaaten der Union sollten sich die Bürger Europas unter Wahrung ihrer regionalen und nationalen Identitäten auf die Notwendigkeit und die Chance einlassen, auf der Grundlage von Maastricht zusammen ein gemeinsames Europa zu bauen. Meine Damen und Herren, damit muß man von unten anfangen.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler hat heute morgen gesagt, daß es vor allen Dingen zwei Bereiche gibt, derentwegen wir den Vertrag von Maastricht, derentwegen wir eine gemeinsame europäische Politik brauchen. Er hat die Innenpolitik, insbesondere Asyl und Zuwanderung, und die Außen-
10858 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Karl Lamers
politik genannt. Ich möchte gern einige Worte zu dem letzteren sagen und gebe zu Beginn gerne zu, daß auch dieser Bereich im Vertrag von Maastricht nicht so geregelt ist, daß — wie soll ich sagen? — die schönsten europäischen Blütenträume in Erfüllung gegangen wären. Aber es ist ohne Zweifel ein Fortschritt gegenüber der sogenannten GASP.
Wer hätte das vor einiger Zeit für möglich gehalten: Zwar gibt es nur einstimmige Entscheidungen, wenn es darum geht, was gemeinsam behandelt werden soll, aber es gibt immerhin die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen bezüglich der Durchführung solcher Maßnahmen. Das ist ein Fortschritt.
Ich meine aber, Herr Außenminister, daß das Instrumentarium insgesamt noch nicht annähernd ausreichend ist und daß wir beispielsweise — ich bitte Sie, dies einmal zu überlegen, weil wir dazu keinen neuen Vertrag brauchen — einmal vorschlagen und mit unseren Partnern überlegen sollten, ob wir nicht einen gemeinsamen Planungsstab einrichten. Die gemeinsame Außenpolitik der Gemeinschaft sollte ja nicht nur in der Reaktion bestehen, sondern sollte ganz dezidiert auch in der Vorbeugung bestehen. Daß es genügend Fälle gibt, die sich für die Untersuchung durch einen solchen Planungsstab anbieten, brauche ich nicht näher auszuführen.
Außenpolitik ist ganz gewiß mehr als Sicherheitspolitik, und Sicherheitspolitik ist ganz gewiß mehr als Verteidigung. Aber wir haben eine geradezu absurde und beängstigende Lage in Europa. Die unmittelbare Bedrohung vor allen Dingen der westlichen Länder unseres Kontinents gibt es nicht mehr. Wir haben das alle oft gemeinsam festgestellt. Gleichzeitig hat der militärische Faktor jedoch an Bedeutung gewonnen. Es gibt heute Krieg in Europa. Es drohen weitere gewaltsame Konflikte.
Verteidigung ist heute für die westlichen Nationen auf unserem Kontinent weniger Notwehr als Nothilfe. Dieses Europa muß sich überlegen, wie es denjenigen, die Opfer solcher Entwicklungen werden, helfen kann. Die dringende Notwendigkeit hat sich durch die Entwicklung im früheren Jugoslawien mehr als deutlich gezeigt. Hier ist die Lage in der Tat so, daß auch die Deutschen noch — um mit dem Bundeskanzler zu reden — ihre Hausaufgaben machen müssen.
Herr Kollege Voigt, ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, daß Sie den Dissens zwischen Ihrer Fraktion und den anderen, die im Sonderausschuß zusammengearbeitet haben, deutlich markiert haben. Es gibt einen Dissens. Dieser lautet im Grunde, daß Sie die gemeinsame europäische Verteidigung zu Ihren, zu den Bedingungen der SPD wollen. Das wird es nicht geben.
Frau Kollegin Matthäus-Maier hat sehr hübsch und zutreffend gesagt: Es wird etwas dauern, bis Europa auch den letzten Spiegelstrich des letzten SPDBezirksparteitags angenommen haben wird. Das wird nicht nur etwas dauern, das wird es nie geben.
Das könnte den Abgeordneten Voigt zu einer Zwischenfrage veranlassen. Herr Kollege Lamers, Sie beantworten die auch? — Bitte.
Herr Kollege Lamers, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es einen Unterschied gibt zwischen der gemeinsamen Verteidigung — auch der gemeinsamen Verteidigung Europas, die wir bejahen — und einer Interventionspolitik, die wir so, wie Sie sie sich vorstellen, nicht bejahen und die Sie erst recht nicht am Deutschen Bundestag vorbei durch irgendwelche internationale Vereinbarungen erzwingen können, ohne daß es hier eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit dafür gibt?
Für diese Zwischenfrage bin ich Ihnen wirklich ausgesprochen dankbar, Herr Kollege Voigt.
Daß Sie mir und meiner Fraktion unterstellen, wir seien an einer Interventionspolitik interessiert, ist nicht das eigentlich Interessante, sondern das Interessante ist, daß Sie befürchten, unsere europäischen Partner könnten uns Deutsche zu einer solchen Politik veranlassen. Ich erinnere mich sehr gut daran, was Sie von dieser Stelle aus im Blick auf Frankreich und Großbritannien gesagt haben. Sie haben gesagt, diese könnten insofern für Deutschland kein Vorbild sein. Ich frage Sie ganz ernsthaft: Was eigentlich veranlaßt Sie zu glauben, daß unsere engsten Partner, daß diejenigen, mit denen wir so etwas wie eine politische Ehe eingehen wollen, uns zu irgendwelchen Abenteuern veranlassen könnten? Wenn Sie das glauben, müßten wir allerdings den Prozeß der europäischen Integration noch einmal gründlich überdenken.
Herr Abgeordneter Lamers, der Abgeordnete Voigt erhält jetzt das Wort, um eine Frage zu stellen, aber nicht, um die Ihre zu beantworten. Sonst wird das zu kompliziert. Bitte schön.
Herr Kollege Lamers, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß bei aller Solidarität mit Frankreich und Großbritannien oder auch, soweit es außereuropäische Mächte betrifft, mit den USA das Suez-Abenteuer der Briten und Franzosen und die Tschad-Intervention nicht gerade die geglücktesten Beispiele für eine nicht aggressive Interventionspolitik sind?
Wenn ich die Zeit dafür hätte, würde ich gerne einen gewissen Unterschied zwischen dem Suez-Abenteuer und der Tschad-Intervention machen. Die Tschad-Intervention war eine Maßnahme, die von der großen Mehrheit der arabischen Staaten unterstützt wurde, Herr Kollege Voigt. Das kann sehr wohl als im europäischen Interesse gelegen angesehen werden.
— Suez, in der Tat. Aber, Herr Kollege Voigt, nun möchte ich Sie doch mit allem Nachdruck bitten: Wer würde uns denn für den denkbar unwahrscheinlichen Fall, daß eine solche Maßnahme noch einmal von
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10859
Karl Lamers
europäischen Nationen ins Auge gefaßt würde, zwingen, daran teilzunehmen? Es ist doch völlig klar, daß wir nicht automatisch, d. h. gezwungenermaßen, an solchen Aktionen teilnehmen würden. In Wirklichkeit steckt hinter Ihrer Position der Versuch, immer eine oberste Instanz zu haben, irgend etwas zu haben, das Ihnen die Entscheidung abnimmt:
sei es die Verfassung, sei es die jetzige Interpretation der Verfassung, sei es eine neue verfassungsrechtliche Bestimmung, sei es die reformierte UNO, das Gewaltmonopol oder wer auch immer. Sie wollen sich selber vor Entscheidungen drücken.
Ich sage Ihnen: Das geht nicht. Wir müssen bereit sein, ja oder nein, nein oder ja in jedem Einzelfall zu sagen.
Sie wissen sehr gut, daß wir, die Deutschen, unbeschadet einiger Nuancierungen, die es bei uns geben mag,
immer diejenigen sein werden, die mit Abstand am zurückhaltendsten sein werden, wenn es um den Einsatz militärischer Mittel geht. Aber wir können keine grundsätzlich andere Position einnehmen als alle unsere Verbündeten. Darum geht es. Wenn wir das tun, dann werden wir nie eine gemeinsame europäische Verteidigung haben.
Wissen Sie, es mutet mich schon merkwürdig an, wenn Sie unter anderem hier heute morgen Sorge vor der Entwicklung der europäischen Verteidigung begründet haben mit der Sorge um die Zukunft der Allianz, um die Rolle der Vereinigten Staaten in Europa. Abgesehen davon, daß gerade die jüngste Entwicklung mit dem Eurokorps, das Sie ja auch heftig befehdet haben, zeigt, daß diese Besorgnis absolut unzutreffend ist, daß es im Gegenteil so ist, wie der Bundeskanzler gesagt hat, daß das auch die Allianz stärkt, mutet es wirklich sehr merkwürdig an, wenn Sie auf der anderen Seite im Zusammenhang mit Ihrer Forderung nach einer Reform der Vereinten Nationen Ihr tiefes Mißtrauen gegenüber den Vereinigten Staaten zum Ausdruck bringen, indem Sie sagen: Diese Supermacht mißbraucht die UNO.
Ich frage Sie, übrigens im Zusammenhang mit der jüngsten Entwicklung in Somalia: Was hätten wir denn ohne diese Supermacht? Dann würde auch in Somalia nichts geschehen.
Im übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, daß das ja schon ein in jeder Hinsicht interessanter Vorgang ist, meine verehrten Kollegen. In Europa engagieren sich die Vereinigten Staaten bei solchen Konflikten wie jetzt im früheren Jugoslawien nur äußerst zurückhaltend, aus mir verständlichen Gründen, während sie nach Somalia 20 000 bis 30 000 Soldaten zu entsenden bereit sind.
Zeigt das denn nicht mit aller Deutlichkeit die Notwendigkeit, daß wir eine gemeinsame europäische Streitmacht bekommen, die in der Lage ist, mit solch schrecklichen Konflikten eher fertigzuwerden, als das bislang der Fall ist? Nein, es führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben, die eben auch die Verteidigung einschließt. Eine gemeinsame europäische Verteidigung gibt es nicht nach deutschem Gusto. Es wäre ja auch mehr als merkwürdig, wenn man sich vor Augen führt, daß die Position, die wir und die vor allem die verehrten Kollegen und Kolleginnen von der SPD einnehmen, eine weltweit einzigartige ist. Niemand, aber ausnahmslos niemand in der ganzen Welt, nimmt eine solche Position ein. Wieso eigentlich sollten sich unsere europäischen Partner nach dieser in der Tat abwegigen, um nicht zu sagen bizarren Einstellung zu Fragen der Verteidigung richten? Es wird schon so sein müssen, daß wir uns bequemen; aber selbstverständlich. Das ist doch ganz klar. Das heißt nicht, daß wir automatisch an allem teilnehmen, wo wir meinen, es sei nicht angebracht. In jedem Einzelfall müssen wir uns entscheiden, ja oder nein zu sagen. Ich fordere uns auf, daß wir endlich mal den Mut dazu haben und uns nicht hinter irgendwelchen juristischen Konstruktionen oder hinter einer Schimäre einer Weltregierung verstecken.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Ortwin Lowack.
Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag! Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst eine Bitte an die Protokollanten, mich nicht immer als „fraktionslos" zu bezeichnen. Fraktionslos klingt so ähnlich wie heimatlos. Das bin ich nicht. Vielleicht wäre die Bezeichnung „frei und unabhängig" besser;
denn das Grundgesetz spricht ja vom freien und unabhängigen Abgeordneten.
— Es spricht nicht, lieber Kollege Kittelmann, von der Fraktion. Das kommt nicht ein einziges Mal im Grundgesetz vor, und die Fraktionen sind Gott sei Dank auch nicht immer der Maßstab aller Dinge.
Vor allem halte ich es für wichtig, darauf hinzuweisen, nachdem dieses Parlament ja dabei ist — vielleicht ist das einigen noch gar nicht so bewußt —, auf Dauer auf Rechte zu verzichten, die leider nicht zu mehr parlamentarischer Kontrolle von Entscheidungsprozessen in Europa führen, sondern im Gegenteil zu mehr Zentralismus und Bürokratie.
Ich bin manchmal schon erstaunt darüber, daß wir schon wieder in einer Epoche sind, die sich leider nicht nur durch Selbstgeißelungssucht auszeichnet, sondern offenbar auch hier beim Parlament — ich bedaure, das sagen zu müssen — in eine Art parlamentarisches Selbstkastratentum ausartet.
10860 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Ortwin Lowack
Ich lehne Maastricht ab und kann leider nur einige Argumente dazu vortragen, aber ich möchte es versuchen.
Zur Währungsunion: Kolleginnen und Kollegen! Die Währungsunion enthält einen festen Zeitplan. Ich halte das bei der mangelnden Koordinierung der Stabilitätspolitik der Mitgliedsländer für Unsinn. Schon der Termindruck kann Prozesse auslösen, die wir überhaupt nicht mehr unter Kontrolle haben. Wir erleben doch gerade in Deutschland die Probleme aus der deutschen Währungsunion. Die Probleme werden sich in und mit Europa — ich behaupte: unnötig -dramatisieren. Wir haben in Deutschland eine große Stabilitätskultur. Das ist einer der wichtigsten Faktoren unserer wirtschaftlichen Kraft. Wir sind kein reiches Land mehr. Mit dem Verlust auch nur eines kleineren Teils unserer Stabilität gehören wir weltweit zu den Hauptverlierern.
Wenn die Europäische Kommission immer härter die Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa verlangt, dann wird doch eines Tages der Metallarbeiter bei Daimler-Benz oder sonstwo — vielleicht in Madrid oder in Lissabon — das gleiche Einkommen haben wollen wie sein Kollege in München. Dann werden wir die Probleme, die wir heute in Deutschland haben, in einem viel größeren Maßstab in Europa zu Lasten Deutschlands haben. Hier kommen erneut riesige Zahlungen auf gerade die Generation in Deutschland zu, die sich ohnehin schon wegen den Lasten, die sich in ihre Zukunft auftürmen, kaum noch bewegen kann.
Ich bin ein bißchen erstaunt, daß hier der Bundeskanzler so auftreten kann, als komme er mit den Argumenten der Vergangenheit und sehe nicht, was unmittelbar vor uns liegt.
Zu der Behauptung, wir würden in Europa eine unabhängige europäische Zentralbank bekommen, frage ich Sie: Warum haben die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft, wenn sie davon überzeugt sind, nicht längst den Weg zu einer entsprechenden Unabhängigkeit ihrer eigenen nationalen Zentralbanken gemacht? Das wäre doch ein Signal für Stabilitätspolitik. Wo ist hier die deutsche Intervention?
Ich frage: Wo hat sich der Herr Bundeskanzler mit Vehemenz, wie das notwendig wäre, gegen die Äußerung von Mitterrand gewandt, die Europäische Zentralbank habe die Aufträge des Europäischen Rates durchzuführen, d. h. gerade nicht eine unabhängige Rolle zu spielen? Wenn man schon die Europäische Zentralbank unter Abänderung unseres Grundgesetzes beschließen will, müßte dann nicht wenigstens festgelegt werden, daß, wenn man Stabilitätspolitik gleichzeitig braucht, damit das funktioniert, das Geldmengenziel an der Produktivität orientiert sein muß?
Ich frage weiter: Wo ist denn das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft in Maastricht verankert? Wiederholen wir nicht mit der Zentralisierung der
Industriepolitik und der Planung schwere geschichtliche Fehler?
Was ist das für ein Subsidiaritätsprinzip, das keinerlei klare Zuordnungen kennt und die Kompetenz der Brüsseler Zentrale allein an die Behauptung knüpft, die Europäische Gemeinschaft könnte etwas besser machen? Wer entscheidet denn darüber, wer etwas besser machen kann — etwa der Europäische Gerichtshof? Hier haben wir unsere Erfahrungen gemacht. Gerade das würde ich dem Gerichtshof nicht überlassen wollen.
Warum gibt es kein Mitwirkungsrecht des Parlaments bei der Feststellung der Konvergenzkritierien? Es ehrt ja Sie alle, die heute einen leidenschaftlichen Appell dafür abgegeben haben, daß das deutsche Parlament noch einmal entscheiden solle, wenn es denn soweit wäre. Aber im Vertrag steht doch überhaupt nichts drin. Wir haben im Vertrag den Automatismus anerkannt.
Und noch etwas, liebe Kolleginnen und Kollegen: Glaubt denn ein einziger hier im Saal, der einigermaßen die Dinge kennt, es würde in diesem Zeitpunkt in Deutschland noch jemanden geben können, der sich darauf berufen könnte, daß wir Deutschen nicht die Konvergenzkriterien erfüllten? Da wäre doch genau wieder der große Krach in Europa los nach dem Motto: Schaut, die Deutschen wollen mit Europa gar nichts zu tun haben. Diese Diskussion wird niemand durchstehen. Das ist eine Alibi-, eine Scheindiskussion, die wir hier führen.
Maastricht ist ein Unrechtsvertrag, ich habe daran nie einen Zweifel gelassen. Und ich frage: Wie oft wird die Bundesregierung noch gegen das Prinzip der Gerechtigkeit im Inneren wie im Äußeren verstoßen?
— Peter Kittelmann, du kannst mich ja gerne widerlegen, das wird dir nicht gelingen.
Maastricht verstößt gegen das Leistungsprinzip. Es treibt die Inflation an. Wir werden es erleben. Und es treibt die deutschen Aktienkurse in den Keller, auch das werden wir erleben müssen.
Und was wird eigentlich aus dem Europäischen Binnenmarkt, der viel wichtiger als Maastricht wäre? Wie steht es mit der Erfüllung der etwa 282 noch ausstehenden konkreten Maßnahmen, die bis zum Jahresende beschlossen werden sollen? Was ist mit den gleichen rechtlichen Rahmen-Marktbedingungen in Europa, die die Wirtschaft so dringend brauchte? Was ist mit dem Versprechen der Deregulierung, wenn mit Maastricht völlig neue zentralistische Regulierungsmechanismen eingeführt werden? Was ist mit der mit dem Europäischen Binnenmarkt versprochenen Steuerharmonisierung? Wo ist sie denn?
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10861
Ortwin Lowack
Wer dringt denn darauf, daß sie sich endlich entwikkelt?
Das Grundgesetz schreibt in Art. 29 zwingend vor
— Sie werden sich noch wundern, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer in Zukunft recht bekommt. Ihr denkt zu kurzfristig, das ist mir klar.
Das Grundgesetz schreibt in Art. 29 zwingend vor, daß jede Neugliederung des Bundesgebietes — ich zitiere — „der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf". Muß das nicht viel mehr gelten, wenn die rechtliche Stellung des Bundesbürgers unabänderlich und unkündbar schlagartig verändert wird, ohne daß der Bürger jemals dazu gehört wurde und auch keinerlei Gelegenheit hatte, bei Wahlen, bei denen das bisher nie thematisiert war, darauf Einfluß zu nehmen?
Ich sage voraus: Das Ratifizierungsgesetz wird als ein Maastricht-Machtmißbrauchsgesetz in die Geschichte eingehen. Auch hier werden Sie sich noch wundern.
Wenn vorhin darauf hingewiesen wurde, daß wir eine gemeinsame Außenpolitik brauchten, daß dadurch vielleicht die Entwicklung in Bosnien hätte verhindert werden können — liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hätten genauso eine gemeinsame Außenpolitik machen können, wenn Europa im Innern dazu in der Lage gewesen wäre. Die Konflikte zwischen Deutschland und Großbritannien und Frankreich liegen doch ganz woanders als darin, daß man zu keiner gemeinsamen Außenpolitik, etwa wegen Maastricht und weil es noch nicht verabschiedet war, hätte kommen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Statt des unbezahlbar teuren Vertrags von Maastricht brauchen wir weniger Protektionismus, Zentralismus und Leistungstransfer und viel mehr Offenheit, Regionalisierung, lebendige Konkurrenz und Einsatz der Ressourcen in den Köpfen und Herzen der Menschen, nicht in Institutionen.
Vor allem brauchen wir ein Europa des Rechts und des Rechtsbewußtseins, der Bereitschaft zur Verteidigung unserer Wertvorstellungen und der geistigen Freiheit. Maastricht enthält darüber nichts. Maastricht, das ist für mich ein Europa der Regierungen und der Bürokratie. Vielleicht haben deswegen die Regierungsvertreter so eine besondere Affinität dazu.
Wenn Sie schweren Schaden vermeiden wollen, stimmen Sie heute mit Nein oder enthalten Sie sich der Stimme.
Ich möchte es in Versform beenden: Kolleginnen und Kollegen,
mit Maastricht bauen wir Europa nicht,
mit Maastricht verbauen wir noch mehr die Sicht
auf die Ziele, die einst Europäer vereinten, die Europa sagten und Grundrechte meinten. Europa braucht Freiheit, nicht Bürokratie.
Vergeßt mit Maastricht Eure Pflichten nicht!
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hartmut Koschyk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht alles, was man sagt, lieber Ortwin Lowack, hat gleich den Anspruch, ein Gedicht zu sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, wir sollten uns bei dieser Debatte — das sage ich denjenigen, die Maastricht nicht zustimmen können — vor deutscher Hybris hüten.
Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, zwei Völker in Europa haben nach leidenschaftlichen Debatten und Volksabstimmungen Ja zu Maastricht gesagt. Zehn Parlamente werden mit dem Deutschen Bundestag, wenn er heute ratifiziert, ja sagen. Wenn wir heute meinen, daß unsere Bedenken und unsere Kritik an dem einen oder anderen, was wir uns in Maastricht anders gewünscht hätten, Maßstab aller Dinge sei, dann halte ich dies für ein Stück deutschen Hochmuts, meine Damen und Herren.
Maastricht war das, was unter zwölf Regierungen, auch unter zwölf politischen Klassen in Europa momentan zu erreichen war. Ich wundere mich eigentlich, daß diejenigen, die das heute als Ergebnis ablehnen, mit keinem Wort darüber sprechen, daß nur, wer jetzt an diesem Prozeß teilnimmt, auch die Chance hat, im Hinblick auf die Revisionskonferenz 1996 bereits heute darüber nachzudenken, um einbringen zu können, was man an diesem Prozeß verbessern kann.
Ich finde es auch nicht gut — ich will dies zu Frau Köppe sagen —, daß sie sich bei ihrem Nein zu Maastricht auf die Empfindungen unserer Nachbarn in Mittel- und Osteuropa beruft. Ich war an dem Wochenende des französischen Referendums, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Polen. Ich habe gemerkt, daß diejenigen, die in Polen zu Anfang der Revolution für Freiheit, Menschenrechte und Bürgerrechte in Europa gewesen sind und die heute dort politische Verantwortung tragen, Angst hatten, daß die Franzosen nein zu Maastricht sagen, weil sie genau gespürt haben, daß ein französisches und — ich sage jetzt auch — ein deutsches Nein ihnen den Weg in die Europäische Gemeinschaft verbaut.
10862 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Hartmut Koschyk
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unser Ja, das wir heute sagen, jetzt natürlich auch in unserer Bevölkerung offensiv vertreten. Wir müssen auch ein Stück dafür sorgen, daß Europa nicht mehr mies gemacht und — ich sage das auch an die Adresse der schreibenden Zunft — nicht mehr mies geschrieben wird.
Meine Damen und Herren, wir können auch als Abgeordnete des Deutschen Bundestages dadurch einen Beitrag hierzu leisten, daß wir Schluß damit machen, daß alles das, was vielleicht Unvermögen nationaler Politik ist, auf Europa geschoben wird. Ich sage das auch im Hinblick auf die Identitätsdiskussion. Wer sich über seine Identität als Deutscher in Europa und der Welt nicht im klaren ist, der wird am Schluß nur noch die Deutsche Mark als Zeichen seiner Identität haben. Ich sage, es wäre eine schwache deutsche Identität, die allein auf die Deutsche Mark gebaut wäre.
Natürlich gibt es auch eine Reihe von anderen Dingen, neben aller Gemeinsamkeit, die wir heute haben. Es ist sehr gut und es ist Vertrauen erweckend, daß es mit einer großen Gemeinsamkeit auch unter Zustimmung der Sozialdemokraten zu diesem Ja zu Maastricht kommt, aber wir werden uns über eine Reihe von Dingen zu streiten haben, die über die Europafähigkeit der Deutschen entscheiden.
Wir können unseren Bürgern nicht länger sagen, ein Europa ohne Grenzen schafft weniger Sicherheit vor illegaler Zuwanderung und vor dem organisierten Verbrechen, wenn wir nicht bereit sind, in Europa unsere Hausaufgaben in diesem Zusammenhang zu machen. Dasselbe gilt natürlich auch für eine sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Europas in dem Sinne, in dem der Kollege Lamers das gerade beschrieben hat.
Wenn wir heute aus dem Parlament herausgehen, sollten wir den Mut haben, uns zu unserem Ja zu diesem Europa nach Maastricht zu bekennen, denn nur wer Mut hat, macht auch anderen Mut. Ich sehe die Diskussion heute im Parlament auch als Chance, das europapolitische Defizit, das Defizit an tiefgreifender europäischer Diskussion über die Stellung Deutschlands in Europa und der Welt, über die Stellung der Deutschen in Europa und der Welt zu beseitigen, aber auch als Chance, diesen europapolitischen Dialog jetzt ins Volk zu tragen und dort offensiv zu diskutieren.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Fritz Gautier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Grund der fortgeschrittenen Zeit wurde mir nahegelegt, mich etwas kürzer zu fassen, als vorgesehen ist. Ich möchte das gerne machen.
Ich möchte zu einem Punkt reden, der heute ebenfalls auf der Tagesordnung steht und der neben der
Maastricht-Debatte vielleicht etwas vergessen wird, nämlich zu den Gesetzentwürfen, die wir zur Ratifizierung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und die Umsetzung des Abkommens in nationales Recht vorliegen haben. Dies ist ein wichtiges Abkommen.
Worum geht es dort? Wir haben nach 1985 mit der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte und der Zielsetzung Binnenmarkt bis 1992 und in den Folgejahren der erklärten Zielsetzung, die Politische Union Europas herbeizuführen, was heute in der Maastricht-Vertragsratifizierung kulminiert, auch die Diskussion gehabt: Wie gehen wir eigentlich mit den restlichen EFTA-Staaten um? Wie regeln wir das Verhältnis zu Island, zu Norwegen, zu Schweden, zu Finnland, zu Österreich und zu der Schweiz?
Noch 1988 und 1989 konnten weder Österreich noch die Schweden gedanklich dem Konzept, der Gemeinschaft beizutreten, nahetreten, bezogen auf ihre eigene Positionsbestimmung hinsichtlich der Neutralität ihres Landes. Die Geschichte hat sich mit einer solchen rasanten Geschwindigkeit über die damaligen Probleme hinweggesetzt, nämlich daß die Neutralität heute für die Länder keine Rolle mehr spielt, weil sie durch die geschichtlichen Ereignisse einfach überflüssig geworden ist, daß alle diese Länder bis auf Island, also Schweden, Österreich, die Schweiz, Finnland und Norwegen, Anträge auf Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft gestellt haben. Ich glaube, wir sollten dies alles begrüßen.
Es wurde schon heute morgen, auch von Regierungsseite, gesagt, daß wir die Verhandlungen über die Aufnahme der Mitgliedstaaten so zügig wie möglich in Angriff nehmen sollten, so daß wir wirklich Mitte der neunziger Jahre diese Länder als Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft begrüßen können.
Wir erledigen heute hier im Deutschen Bundestag einen sehr wichtigen Zwischenschritt, nämlich die Beratung über das Abkommen über den sogenannten Europäischen Wirtschaftsraum. Wir verstehen das jetzt als Zwischenschritt, obwohl es 1988/89 in der Konzeption als dauerhaftes Kooperationsmodell gedacht war.
Was soll hier heute beschlossen werden? Wir wollen mit dem Abkommen über einen Europäischen Wirtschaftsraum die jetzigen EFTA-Länder und, hoffentlich, zukünftigen Mitglieder der Gemeinschaft rechtlich so stellen, als wenn sie vollwertige Teilnehmer am Europäischen Binnenmarkt wären. Das heißt, die gesamten Binnenmarktvorschriften der Europäischen Gemeinschaft werden auf diese Lander ausgedehnt.
Wir haben zweitens in diesem Abkommen den Grundsatz, daß auch die Wettbewerbsregeln der Europäischen Gemeinschaft von den EFTA-Staaten akzeptiert werden und wir ein funktionsfähiges Wettbewerbsrecht in den Staaten haben.
Wir haben drittens in dem Abkommen — das begrüße ich außerordentlich — auch gemeinsame
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10863
Dr. Fritz Gautier
Vorschriften zur Umweltkooperation. Ich glaube, daß die Gemeinschaft insgesamt von den positiven Erfahrungen insbesondere der nordischen Länder im Bereich ihrer Umweltpolitik her befruchtet werden kann. Ich meine, daß dies eine sinnvolle Erweiterung der Politik der Gemeinschaft mit den EFTA-Staaten ist.
Last but not least leisten die Staaten des EFTA-Blocks einen wichtigen Beitrag zur Regionalpolitik der Gemeinschaft, weil sie erkannt haben, daß die Teilhabe an den Vorteilen des Europäischen Binnenmarktes auch damit verbunden sein muß, daß sie finanziell ihren Beitrag dazu leisten, die Unterschiede in den Regionalentwicklungen auszugleichen — eine außerordentlich begrüßenswerte Sache, die in dem Vertragswerk niedergelegt ist, daß wir nicht nur aus dem Bereich des Haushalts der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch aus Sonderfinanzmitteln von Schweden, von Norwegen, von Finnland, von Österreich und der Schweiz die Südregion der Gemeinschaft finanziell stärker unterstützen können.
Von daher sehen wir dieses Abkommen, das heute hier zur Abstimmung ansteht, als einen positiven Beitrag an. Wir denken, daß dies ein Zwischenschritt ist, damit die Staaten 1995 vollwertige Mitglieder der Gemeinschaft sind.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein letztes Wort zu den osteuropäischen Staaten sagen. Auch diese wurden heute morgen häufig erwähnt. Es ist völlig klar, daß weder Polen noch Ungarn, noch die Tschechoslowakei auf die Dauer außerhalb der Gemeinschaft stehen können.
Es ist völlig klar — heute morgen hat der Bundeskanzler Prag und die Karlsbrücke erwähnt; auch ich war einmal da —, daß Prag natürlich im Zentrum Europas liegt und selbstverständlich zur Europäischen Gemeinschaft gehören soll.
Hier ist die Frage der Zeitperspektive zu nennen. Ich möchte in dieser Diskussion anregen, ob nicht das, was wir jetzt in dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum mit Schweden und mit Norwegen machen, ein Modell sein kann, wie wir die Staaten wie Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei über die jetzigen Assoziierungsabkommen hinaus näher an die Gemeinschaft heranführen können, nämlich für eine vertiefte Zusammenarbeit, und zwar auf einer ausreichenden juristischen Grundlage.
Ich halte dies für eine Überlegung, die man anstellen sollte, damit die Frage der längerfristigen Perspektive des Beitritts dieser Länder zur Europäischen Gemeinschaft sich vertraglich entsprechend darstellt.
Meine Damen und Herren, ich möchte es bei diesen kurzen Bemerkungen bewenden lassen und noch einen kurzen Satz als Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses zu diesem ganzen Thema sagen. Es wird sehr viel über Bürokratie, die immer nur in Brüssel stattfindet, in diesem Hause geredet. Wenn Sie sich einmal das EWR-Abkommen und das Umsetzungsgesetz anschauen und feststellen, was wir hinsichtlich des Eichgesetzes und hinsichtlich der Verordnung XYZ machen, dann fallen Ihnen die Haare aus.
In meiner Funktion als Berichterstatter will ich zu dieser Bürokratie noch etwas beitragen. Wir ändern mit dem EWR-Umsetzungsgesetz auch das deutsche Futtermittelrecht. Ich möchte über die Frage der Futtermittelverordnung jetzt nicht in Details gehen, sondern hier eine Erklärung als Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses zu Protokoll geben,' ) damit die Bundesregierung unter Umständen einige Anregungen, die wir noch einzubringen haben, beim Futtermittelrecht aufnehmen kann.
Recht herzlichen Dank.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Ulrich Heinrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich bei meiner Fraktion ganz herzlich bedanken, daß ich noch ein paar Minuten Redezeit bekommen habe; denn die Diskussion ist ja schon sehr weit fortgeschritten. Aber ich meine, man kann hier auch einmal einen Bericht und einen Beitrag aus der Praxis hören. Hier darf ich einmal etwas aus der Agrarpolitik sagen. Die Agrarpolitik ist selber in diesem Vertrag nicht direkt angesprochen. Aber wir sind natürlich durch das Subsidiaritätsprinzip und vor allen Dingen durch die Währungspolitik, die hier mit eingeführt werden soll, tangiert.
Wir stehen hier heute an einer wichtigen Wegmarke. Der Maastrichter Vertrag, der eine Zwischenstation zu einer Europäischen Union darstellt, kann in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wir stehen heute an einer Weiche für eine Europäische Union, die weit mehr ist als nur ein Binnenmarkt. Wir stellen heute die Weichen für ein weiteres, engeres Zusammenwachsen mit der Konsequenz, daß Kompetenzen von den Nationalstaaten abgegeben werden müssen hin zu der höheren Ebene, zu den europäischen Institutionen.
Wenn ich mich an dieser Stelle ganz besonders mit der Agrarpolitik beschäftige, so möchte ich damit unterstreichen, daß gerade in der Vergangenheit die Agrarpolitik, die Klammer des Europäischen Einigungsprozesses war und heute noch immer ist.
Die Agrarpolitik, die von vielen auch hier in diesem Hause als eine lästige Angelegenheit angesehen wird und bei der es nach weit verbreiteter Meinung nur um eine Verteilung von Subventionen geht, wird in ihrer eigentlichen Bedeutung häufig unterschätzt.
*) Anlage 2
10864 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Ulrich Heinrich
Ich möchte heute hier ganz deutlich zum Ausdruck bringen, daß es gerade die europäischen Landwirte sind, die in diesem Einigungsprozeß als erste Gruppe das vollzogen haben und am Leib tagtäglich verspüren, was es heißt, wenn Kompetenzen abgegeben werden müssen. Wer eine Europäische Union will, kann sich an diesen teilweise sicher sehr schmerzhaften Prozessen nicht vorbeimogeln. Genau diese Erfahrungen werden die anderen Bereiche, die heute ebenfalls sehr intensiv diskutiert werden, noch machen müssen. Ich kann hier aus unserer Erfahrung sagen, daß wir aber trotzdem alle in der Agrarpolitik voller Erwartung in Richtung Europäische Union blikken.
Herr Abgeordneter Heinrich, der Abgeordnete Conradi erlaubt sich, eine Zwischenfrage zu stellen. Ich gehe einmal davon aus, daß Sie sie gerne beantworten.
Bitte schön.
Herr Kollege, wollen Sie im Ernst behaupten, daß ein Abgeordneter dieses Hauses diesen Gesetzentwurf gelesen hat, in dem so wichtige Fragen geregelt sind wie die Regelung mit Alkohol stummgemachten Mosts aus frischen Weintrauben, die Regelung über die Pest der kleinen Widerkäuer, die Herstellung von Pfeifenköpfen und die Herstellung — man höre und staune — von Feuerzeugen mit piezo-elektrischer Zündung? Wollen Sie wirklich behaupten, daß ein Abgeordneter dieses Hauses dies alles gelesen hat?
Herr Kollege Conradi, Sie geben mir eine hervorragende Chance, darauf einzugehen, was wir unter Subsidiarität verstehen, wie sich nach unserem Verständnis eine Bürokratie eben nicht entwickeln soll. Dazu darf ich noch ein paar Sätze aus meiner vorbereiteten Rede hier zu Gehör bringen.
Wir erwarten, daß den Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Rechtsakten unter Vermeidung von nicht hinnehmbaren Wettbewerbsverzerrungen ein größtmöglicher Gestaltungsspielraum eingeräumt wird. Das heißt auf gut deutsch: Wir sind gegen eine immer weiter ausufernde Eurobürokratie.
Wir wollen, daß die Durchführungsverordnungen, die selbstverständlich den regionalen Belangen Rechnung tragen müssen, die Ausführungsbestimmungen z. B. über Flächenstillegungen oder die Einrichtung verschiedener Ertragsregionen in nationalstaatlicher und bei uns selbstverständlich auch in Länderhoheit verbleiben müssen.
Meine Damen und Herren, ich bin furchtbar eng in der Zeit. Ich möchte nur noch einige Sätze zur Wirtschafts- und Währungsunion sagen, und dies ganz besonders aus agrarpolitischer Sicht. Es gibt kaum einen Bereich, der so von schwankenden Währungskursen betroffen ist wie die Landwirtschaft. Ich möchte daran erinnern, daß wir bereits heute in der EG einheitliche Preise, Stützungen, Beihilfen und Prämien haben und daß sich natürlich entsprechende Währungsschwankungen bei Aufwertungsländern in niedrigen Preisen und bei Abwertungsländern in höheren Preisen niederschlagen.
Da die Bundesrepublik Deutschland immer zu den Aufwertungsländern gehört hat, haben sich bei uns die Preisveränderungen immer negativ, zu Lasten unserer Landwirtschaft ausgewirkt. Der gewährte Ausgleich konnte die negativen Auswirkungen nie total wettmachen; denn er kam in der Regel zu spät, oder es gab selbstverständlich auch eine Abbaupflicht. Wir unterstützen deshalb nachdrücklich eine möglichst frühe Einführung einer einheitlichen europäischen Währung.
Ich sehe, hier leuchtet schon das rote Licht; ich möchte daher schließen. Ich möchte aber zum Schluß noch folgendes hinzufügen: Europa wird nur dann eine vernünftige Entwicklung in Richtung Europäische Union nehmen, wenn alle Bevölkerungsgruppen voll dahinterstehen können. Leider Gottes haben wir derzeit in Europa eine Entwicklung in der Landwirtschaft zu verzeichnen, bei der wir unterstellen müssen, daß viele nicht mehr dahinterstehen können. Ich bitte, daß die Politik doch so gestaltet wird, daß auch unsere Bauern wieder voll hinter Europa stehen können.
Herzlichen Dank.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Dr. Barbara Höll das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der letzten Lesung zum Maastricht-Vertrag im Oktober dieses Jahres hat meine Kollegin Petra Bläss auf ein ganz entscheidendes Defizit des Maastrichter Vertrages hingewiesen. Sehr zum Unwillen einiger Abgeordneter sprach sie damals als einzige Rednerin die fehlenden Aussagen zu frauenpolitischen Belangen an.
Obwohl das Europäische Parlament die Maastrichter Regierungskonferenz dringend aufgefordert hatte, den Art. 119 des EWG-Vertrages dahin gehend zu ändern, daß in die Gemeinschaftsaktion auch die Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in allen Bereichen eingezogen werden soll, blieb Frauenpolitik im Prozeß der europäischen Einigung bisher auf der Strecke.
Wenn man den Verlauf der heutigen Debatte, die vor allem von Männern getragen wurde, bewerten möchte, so kann man sagen, daß diese Tendenz leider auch von der Mehrheit des deutschen Parlamentes mitgetragen wird.
Während Anfang der 80er Jahre dank der verstärkten Repräsentanz von Frauen im Europaparlament eine beschleunigte Gangart in puncto Gleichbehandlungspolitik eingeschlagen und dafür mit Aktionsprogrammen der Gemeinschaft auch neue Instrumente geschaffen wurden, scheint sich in den letzten Jahren eine Art länderübergreifende Verzögerungstaktik bei der Verwirklichung der bereits existierenden Richtlinien durchzusetzen, wobei nicht unerwähnt bleiben darf, daß sich diese Richtlinien bisher
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10865
Dr. Barbara Höll
ausschließlich auf die Problematik der Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Erwerbsleben beschränkten.
So wichtige Aspekte einer tatsächlichen gesellschaftlichen Gleichstellung wie die Familienfragen, die Gleichstellung von Alleinerziehenden usw. bleiben nach wie vor ungeklärt und der nationalen Regelung überlassen.
Über die Probleme der Kinderbetreuung haben wir ja vor kurzem schon diskutiert, und wir haben auf die gravierenden Mängel der Empfehlung des Rates hingewiesen. Bezeichnenderweise geht das gesamte dritte Aktionsprogramm der Gemeinschaft hinter die ohnehin geringe Verbindlichkeit der vorhergehenden beiden Programme sogar noch zurück. Das äußert sich z. B. darin, daß das dritte Aktionsprogramm nicht von einer Entschließung des Rates begleitet wurde und auch hinsichtlich der Finanzen der neuen Lage in Europa nicht entspricht.
Dennoch will auch ich nicht verkennen, daß sich in den letzten 20 Jahren auf europäischer Ebene ein fundamentaler Wandel hinsichtlich der Ideen der wirtschaftlichen Gleichstellung von Frauen vollzogen hat: weg von der ausschließlichen Hausfrauenorientierung hin zur Frau, die „ihren Mann steht" . Genau da liegt der Hase im Pfeffer: Die Frau soll auf individueller Ebene den Mann ein- und überholen, ohne daß die strukturellen Voraussetzungen dafür überhaupt gegeben sind.
Wenn die Frauen aus Brüssel aufgefordert werden, sich marktgerecht zu entwickeln, ohne daß man ihre strukturelle und systematische Diskriminierung in jedem Land beseitigt, und wenn man statt dessen wesentliche kollektive Frauenrechte abbaut, stehen die Verliererinnen dieser Art von Arbeitsmarktwettbewerb von vornherein fest.
Angesichts dieser frauenpolitischen Misere ist die Aussparung von Festlegungen zur Weiterentwicklung der Gleichstellung von Frau und Mann im Maastrichter Vertrag ein so grundsätzlicher Mangel, daß eine Zustimmung schon aus diesem Grunde nicht vertretbar ist.
Von den bereits mehr als 180 Millionen Frauen, die damit vergessen werden, ist in dem uns vorliegenden Dokument in keiner einzigen Zeile die Rede.
Dabei stellen sich angesichts der über Europa hereinbrechenden politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen für die weitere Entwicklung der weiblichen Bevölkerungsmehrheit viele Fragen: Wie werden die Frauen vom Europäischen Binnenmarkt, von der am 1. Januar in Kraft tretenden Stufe der Einigung, betroffen?
Welche Auswirkungen hat die europäische Umstrukturierung auf die Arbeitsmarktchancen der Frauen innerhalb der Festung Europa, wo sie bereits heute 80 % der teilzeitarbeitenden und 90 % der ungeschützt Beschäftigten ausmachen? Welche Auswirkungen ergeben sich für Arbeitsimmigrantinnen und Frauen aus der sogenannten Dritten Welt und Osteuropa?
Wird das geplante gemeinsame Haus Europa ein unwirtliches Herrenhaus im vergrößerten Männerland, oder wird es ein auch für Frauen bewohnbares Zuhause?
Für letzteres spricht angesichts der undemokratischen Art und Weise, in der zwölf patriarchale Gesellschaften zusammengenagelt werden sollen, sehr wenig.
Aus der Perspektive der Brüsseler Machtpolitiker scheinen die Frauen auch weiterhin ein Heer unbezahlter Familienarbeiterinnen und Hausfrauen, unterbezahlter Erwerbstätiger oder eine flexibel verfügbare Arbeitskraftreserve zu sein,
die je nach Marktlage mal erwerbstätig ist und mal an Heim und Herd zurückgeschickt wird. Erforderlichenfalls werden Frauen auch für Kriegsdienste in Uniformen gesteckt oder mit regenerativen Aufgaben zugedeckt. Die Zauberformel, mit der all das mit Frauen gemacht werden kann, heißt Vereinbarkeit von Familie und Beruf und fällt nach Brüsseler Ansicht in die Zuständigkeit der Einzelstaaten.
Ende 1990 hat der Ausschuß für die Rechte der Frau einen Bericht vorgelegt, in dem er feststellte — ich zitiere
Alle bereits von der EG-Kommission, vom Wirtschafts- und Sozialausschuß und vom Europäischen Parlament ausgearbeiteten Berichte über Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, soziale Sicherheit, Armut und gesellschaftliche Zurücksetzung enthielten Hinweise auf die deutliche Schlechterstellung der Frau in den Mitgliedstaaten, die in den Randgebieten der Gemeinschaft noch ausgeprägter ist. Es ist infolgedessen zu prüfen, welche Maßnahmen getroffen werden sollten, um den Rückstand vor 1992 aufzuholen und negative Auswirkungen des großen europäischen Binnenmarktes auf die Situation der Frauen zu vermeiden.
Daß die Hohen. Vertragsschließenden Seiten diese Aufforderung in den Wind geschlagen und die durch Klassenunterschiede, Rassismus und Sexismus gesicherte Ungleichbehandlung der Menschen fortgesetzt haben, ist für uns einer der Gründe, weshalb wir beim Nein zu Maastricht bleiben.
Ein zweiter, sehr wesentlicher Mangel ist die mit dem Maastrichter Vertrag vertiefte Abkoppelung der Wirtschafts- und Währungsunion von der erforderlichen Sozialunion. Die Festlegungen im Maastrichter Vertrag werden einschneidende Folgen für das soziale Beziehungsgefüge in den Mitgliedsländern haben, ohne daß dafür Regelmechanismen vorgesehen sind. Der Sozialpolitik, die als Stiefkind in das Anhangprotokoll verbannt wurde, kommt hier die
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Dr. Barbara Höll
Aufgabe zu, zumindest schadensbegrenzend zu wirken. Notwendig wäre allerdings, der Sozialpolitik im europäischen Einigungsprozeß eine Gestaltungsaufgabe zu übertragen.
Das vereinte Europa wird zwar zur Revitalisierung der Entwicklung beitragen, dabei aber ein wirtschaftliches, soziales, qualifikatorisches und kulturelles Gefälle in Kauf nehmen. Schon die gegenwärtige Entwicklung in der Bundesrepublik weist darauf hin, daß Deregulierungskonzepte immer stärker in den Mittelpunkt der Sozialpolitik treten und sie sich damit zum Pendant der neokonservativen Wirtschaftspolitik mausert.
Bis in die 90er Jahre fand in allen europäischen Ländern eine Ausrichtung auf eine Zweidrittelgesellschaft statt. Ökonomische Strukturunterschiede wurden dabei ebenso in Kauf genommen wie Armut und Verarmung.
Bis in liberale Kreise hinein wird jetzt die Befürchtung geäußert, daß durch den sich vergrößernden Arbeitsmarkt und zunehmenden Konkurrenzdruck ein Verdrängungswettbewerb der abhängig Beschäftigten in Europa droht. Bedroht werden davon vor allem diejenigen, die mit einer geringen Qualifikation um ihren Verbleib im Erwerbsleben konkurrieren müssen. Es wird im Zuge des europäischen Binnenmarktes zu größeren Wanderungsbewegungen der Beschäftigten kommen. Dies eröffnet vielen die Chance zur besseren materiellen Absicherung, ist aber auch mit dem Verlust der sozio-kulturellen Identität verbunden.
Dem europäischen Regional- bzw. Sozialfonds liegt der Gedanke notwendiger Steuerung zugrunde. Diese kann aber bei der dürftigen finanziellen Ausstattung der Fonds ernsthaft nicht stattfinden. Sie machen lediglich die marktgerechte Entwicklung komfortabler. Wenn, wie viele erwarten, tiefgreifende soziale Verwerfungen im Gefolge des großen Binnenmarktes eintreten, verkommen die Fonds zu bloßen Reparaturmechanismen.
Der sozialpolitische Ansatz im Maastrichter Vertrag ist ohnehin rein kompensatorischer Natur; er konzentriert sich auf das Arbeitsleben und den Erhalt der Arbeitsfähigkeit. Weder dem gestalterischen Auftrag noch dem sichernden Aspekt von Sozialpolitik wird im Maastrichter Vertrag Raum gegeben. Das Subsidiaritätsprinzip hat ebenso Vorrang wie die Privatisierung sozialer Risiken.
Eine Differenzierung, die den sozio-kulturellen und ökonomischen Besonderheiten der jeweiligen Länder entspricht, ist nicht vorgesehen. Die PDS/Linke Liste ist der Auffassung, daß die Bundesregierung die Pflicht hat, die Versäumnisse im Maastrichter Vertrag wenigstens durch ein offensives Vorgehen bei der Verabschiedung von Richtlinien auszugleichen. Gerade im Bereich Arbeit, Umwelt und Gesundheit erwarten wir von der Bundesregierung konkrete Vorschläge. Eine europäische Verständigung über Arbeitsbedingungen, über Mitbestimmungsrechte der abhängig Beschäftigten und ihrer Vertretungen, über Arbeitsschutz und Integration von aus dem Erwerbsleben Ausgegrenzten ist enorm wichtig für den Einigungsprozeß. Hier sind Initiativen gefragt.
Gerade weil für die Entscheidungsebenen im zukünftigen Europa ein demokratisches Vakuum entsteht, sind Zielvorgaben für die Richtlinienpolitik durch die Mitgliedstaaten dringend geboten.
Frau Abgeordnete, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Hinweis beachten würden.
Ich komme zu meinem letzten Satz. — Auf dem Gebiet der Frauenpolitik versuchen die betroffenen Organisationen Druck für die Verabschiedung verbindlicher Gleichstellungsrichtlinien zu entfalten; auf dem Gebiet der Sozialpolitik fehlen diese Initiativen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Franz Möller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch das Vertragswerk von Maastricht erreicht der Prozeß der europäischen Einigung in Gestalt der Europäischen Union eine Entwicklungsstufe, die eine Angleichung des Grundgesetzes an die veränderten politischen und rechtlichen Gegebenheiten notwendig macht. Wir haben das heute schon gehört.
Bereits in der Gemeinsamen Verfassungskommission und später auch im Sonderausschuß „Europäische Union" hat von Anfang an Konsens darüber bestanden, daß es verfassungspolitisch wünschenswert ist, einen eigenen Europa-Artikel als Ermächtigungsgrundlage für die Übertragung weiterer Hoheitsrechte auf die Europäische Union in das Grundgesetz aufzunehmen. Es bot sich an — das haben wir Ihnen auch vorzuschlagen —, als Standort dafür Art. 23 des Grundgesetzes auszuwählen, der seine ursprüngliche Aufgabe als Artikel der deutschen Wiedervereinigung Gott sei Dank erfüllt hat. Ihn mit einem neuen, nunmehr europäischen Inhalt zu füllen ist eine politische Botschaft unserer Verfassung nach innen, aber auch nach außen.
Diese Botschaft lautet: Die deutsche Wiedervereinigung findet ihre Vollendung in der Einigung Europas. Das vereinte Deutschland ist gewillt, seine historische Rolle bei der Integration Europas weiter zu erfüllen — zum Nutzen unserer europäischen Partner, aber auch zum eigenen Nutzen Deutschlands.
Der neue Europa-Artikel enthält deshalb das Staatsziel „Verwirklichung eines vereinten Europas" und unterstreicht damit das Bekenntnis des deutschen Volkes in der Präambel des Grundgesetzes, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.
Der Bundeskanzler hat heute zu Beginn seiner beeindruckenden Rede gerade auf die Präambel des Grundgesetzes verwiesen.
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Dr. Franz Möller
Der neue Art. 23 verbindet die Ausrichtung unseres Gemeinwesens auf ein vereintes Europa mit einer Aussage über die Verfassungsarchitektur der Europäischen Union. Die Europäische Union soll demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und auch dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet sein. Sie soll ferner einen dem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleisten.
Mit dieser sogenannten Struktursicherungsklausel ist nicht etwa der Anspruch verbunden, daß wir damit der Europäischen Union das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland überstülpen wollen. Wohl aber soll durch die Nennung dieser Grundsätze die Bundesregierung darauf verpflichtet werden, im weiteren Integrationsprozeß den, Kernbereich unserer Verfassungsordnung zum Maßstab ihrer Politik zu machen und für das vereinte Europa die Grundprinzipien, wie sie in Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes niedergelegt sind, anzustreben. Das ist Inhalt der Struktursicherungsklausel und ihre politische Botschaft.
Der neue Europa-Artikel trägt dem Umstand Rechnung, daß die Europapolitik nicht mehr klassische Außenpolitik, sondern ein Aliud, eine Daueraufgabe zwischen Außen- und Innenpolitik geworden ist. Wir sind auf dem Wege zu einer europäischen Innenpolitik, die die innerstaatliche Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen Bundesregierung und Bundestag in vielfältiger Weise berührt.
Im Zuge der fortschreitenden europäischen Integration werden immer mehr Regelungsmaterien der nationalen Kompetenz entzogen und europäisiert. Durch diesen Vergemeinschaftungsprozeß erfahren Bundestag und Bundesländer einen entscheidenen Verlust ihrer legislativen Aufgaben, während der Bundesregierung diese Aufgaben im Rahmen ihrer Mitwirkung an der Rechtsetzung der Europäischen Union zuwachsen. Deshalb bestimmt Art. 23 Abs. 2 folgerichtig, daß in Angelegenheiten der Europäischen Union der Bundestag und — durch den Bundesrat — auch die Länder mitwirken sollen.
Die Länder haben bereits sehr frühzeitig ihre Mitwirkungsrechte eingefordert, ich will nicht sagen: eingeklagt. Bereits in der Verfassungskommission ist es gelungen, die weitgehenden, streckenweise als überzogen betrachteten Maximalforderungen der Länder auf ein für den Bund noch akzeptables Maß zurückzuschrauben.
Ich muß auch hier sagen, daß die Länder — wenn auch nach anfänglichem Zögern — überzeugend mitgemacht haben.
Die Mitwirkungsrechte der Lander sind nunmehr in ihrer Intensität abgestuft und orientieren sich an der innerstaatlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach Maßgabe des Grundgesetzes. Dort, wo schwerpunktmäßig Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen. Das bedeutet, daß die Länder hier ein Letztentscheidungsrecht haben. Das ist, meine Damen und Herren, auch sachgerecht und entspricht dem föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland. Der Bundeskanzler hat eben dazu das Richtige gesagt. Wo die Länder bisher Gesetzgebungszuständigkeiten hatten, sollen sie in Zukunft die deutschen Verhandlungspositionen bei der europäischen Rechtssetzung mitbestimmen können.
Ich freue mich darüber, daß die Gemeinsame Verfassungskommission und der Sonderausschuß eine Anregung von mir aufgegriffen haben, auch die Mitwirkungsrechte des Bundestages in europäischen Angelegenheiten klarzustellen und zu stärken.
Ich glaube, daß das ein wichtiger Schritt war. Die Rechte des Bundestages werden also ebenfalls im neuen Art. 23 verfassungsrechtlich verankert. Zu ihrer institutionellen Absicherung wird ein Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union eingerichtet, der in Art. 45 Verfassungsrang erhält. Der Bundestag kann diesen Ausschuß — das ist etwas parlamentarisch Neues — ermächtigen, seine Mitwirkungsrechte gegenüber der Bundesregierung selbst wahrzunehmen.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang des Art. 23 spielt gerade das Subsidiaritätsprinzip des Maastrichter Vertrages eine wichtige Rolle. Es hat deshalb auch Eingang in die genannte Struktursicherungsklausel gefunden. In der Gemeinsamen Verfassungskommission und im Sonderausschuß „Europäische Union" waren wir uns darin einig, Herr Kollege Dr. Scholz und Herr Kollege Verheugen, daß das Subsidiaritätsprinzip die kommunale Selbstverwaltung mit umfaßt. Im Maastrichter Vertrag ist für die europäische Entwicklung ein Ausschuß der Regionen vorgesehen, der die besonderen Belange und den Erfahrungsschatz der kommunalen Selbstverwaltung in den Meinungsbildungsprozeß der Europäischen Union einbringen soll.
Der Sonderausschuß hat beschlossen, daß die kommunalen Spitzenverbände mit je einem Mitglied im Ausschuß für die Regionen Europas beteiligt sein müssen. Ich finde das eine gute Regelung. Ich finde es auch gut, daß in Zukunft Vertreter des Städte- und Gemeindebundes, des Deutschen Städtetages und des Deutschen Landkreistages an dieser Arbeit für Europa teilnehmen können.
Meine Damen und Herren, gegen die Mitwirkungsrechte der Bundesländer, aber auch des Bundestages sind vielfach Bedenken geltend gemacht worden. Ich will das nicht verhehlen. Ich meine aber, sie sind ein wohlaustarierter Kompromiß zwischen den Interessen von Bund und Ländern einerseits und von Bundestag und Bundesregierung andererseits. Sie stellen insbesondere die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland in den Gremien der Europäischen Union nicht in Frage, Herr Bundesaußenminister; sie verhindern, daß sich die vertikale und horizontale Gewaltenteilung und Gewaltenbalancierung in unse-
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Dr. Franz Möller
rer Verfassungsordnung verschiebt. Wir nehmen dabei in Kauf, daß der Art. 23 vielleicht nicht höchsten verfassungsästhetischen Ansprüchen genügt. Doch war es uns wichtiger, daß sich die Interessen aller Beteiligten in dieser Vorschrift wiederfinden konnten. Ich glaube, daß uns das gelungen ist.
Deshalb, meine Damen und Herren, kann ich und können wir Maastricht mit gutem Gewissen ratifizieren.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Hermann Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die elementare Bedeutung demokratischer Entscheidungsprozesse ist, daß allein diese die Lernfähigkeit einer politischen Ordnung gewährleisten, indem die dauernde Möglichkeit zur Selbstkorrektur von Fehlentwicklungen und zur Einstellung auf neue Herausforderungen gegeben ist, und daß über die für die gesamte Gesellschaft verbindlichen Rechtsakte von gewählten Repräsentanten entschieden wird, mit nachvollziehbaren Verantwortlichkeiten und im durchschaubaren Verfahren. Nur so erhält und behält eine politische Ordnung ihre innere Zustimmung. Die Demokratiegeschichte lehrt uns, daß — um mit Dolf Sternberger zu sprechen — unverzichtbare Legalität nicht aufrechterhalten werden kann ohne Legitimität, die immer wieder neu im demokratischen Verfahren erworben werden muß. Wer diese Grundlagen einer politischen Ordnung ignoriert, risikiert deren Bestand.
Daß diese Hinweise nicht so selbstverständlich sind, wie sie sein müßten, zeigt sich seit Jahren am europäischen Integrationsprozeß. Seit Jahren wird die Demokratisierung der Europäischen Gemeinschaft gefordert. Schon mit der Zunahme der gesetzgeberischen Entscheidungskompetenz des Ministerrats auf der Basis der Einheitlichen Europäischen Akte, die vor fünf Jahren in Kraft trat, war die zwingende Notwendigkeit gegeben, dem seit 1979 direkt gewählten Europaparlament diejenige Entscheidungskompetenz zu geben, die die nationalen Parlamente abgeben müssen.
Mit dem Beschluß über einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt, dessen Gesetze bereits die Mehrzahl der die Wirtschaft betreffenden Fragen zu solchen des Ministerrats machen, wurde das demokratische Erfordernis dringlicher. Noch dringlicher wird es mit dem Vertrag von Maastricht.
Aber die Realität ist, daß zwar die Rechte des Europäischen Parlaments geringfügig verstärkt werden, demgegenüber aber ein enormer Kompetenzzuwachs des Ministerrats steht. Statt weiterer Demokratisierung ist das Ergebnis deshalb ein Substanzverlust an Demokratie, also das Gegenteil des prinzipiell Geforderten und Erforderlichen.
Daneben fehlt es auch an einer durchdachten Aufteilung der Gestaltungskompetenz zwischen den politischen Institutionen der Gemeinschaft und denen der Mitgliedsländer, wie sie für jede föderale Ordnung unverzichtbar ist. Zwar sieht der Vertrag das Subsi- diaritätsprinzip vor, aber es bleibt im Konkreten unausgefüllt. Der Ministerrat kann, wenn er sich einig ist, künftig viel mehr Kompetenzen an sich ziehen, als es etwa der Bundesregierung gegenüber den Bundesländern erlaubt wäre.
Mit der Grundgesetzänderung werden sich der Bundestag und der Bundesrat zwar das konkrete Recht einräumen, beliebigen Kompetenzverlagerungen einen Riegel vorzuschieben. Aber die Fragen bleiben, welchen praktischen Stellenwert das haben wird, wenn wir auf der nationalen Ebene immer wieder einem psychologischen Zustimmungszwang zu mühselig ausgehandelten Ministerratskompromissen ausgesetzt bleiben, weil im Falle der Ablehnung Europa angeblich stets insgesamt gefährdet sei, und was mit den jetzt schon korrekturbedürftigen EG-Gesetzen geschieht, die weder von nationalen Parlamenten noch vom Europaparlament korrigiert werden können.
Keiner kann heute wissen, ob und wann es zu einem dem Vertrag von Maastricht folgenden weiteren Vertrag kommt, der die grundsätzliche Demokratielücke überwindet. Bis dahin sind in der EG demokratische Rechte auf schwerwiegende Weise vom Ministerrat usurpiert — möglicherweise, wenn es keinen weiteren Vertrag gibt, ad infinitum.
Weil das Bestehen einer Demokratielücke Legitimationsverlust bedeutet, befürchte ich, daß diese Lücke gerade im jetzigen Stadium des Integrationsprozesses den Keim für Desintegration, für antieuropäische Protestbewegungen, für kommende Spaltungs- oder gar Abspaltungstendenzen bilden kann. Ich hoffe, daß dies so nicht eintritt, aber es gibt schon Anzeichen aus dem letzten Jahr, die genau in diese Richtung weisen.
Es ist deshalb ein historischer Punkt erreicht, an dem man sich nicht länger mit dem Versprechen auf eine eventuelle demokratische Struktur Europas bei künftigen Vereinbarungen vertrösten lassen darf. An Worten mangelte es nie, wohl aber an vehementem Einsatz. Oft erleben wir in der Gemeinschaft hartnäkkige und zugespitzte Konflikte um Agrarpreise, Währungsfragen oder das Welthandelsabkommen. Aber nie wurde versucht, die alles überragende Demokratieforderung zu einem solchen zugespitzten Streitfall zu machen.
Die Vereinigten Staaten von Amerika verdanken ihre Existenz den Integrationsmitteln der gemeinsamen Sprache, demokratischen Bundesinstitutionen und festgeschriebenen Gestaltungskompetenzen ihrer Staaten.
Die einheitliche Sprache in Europa wird es nie geben können. Die Mitgliedsländer der EG werden in manchen zentralen Fragen künftig erst einmal weniger originäre Kompetenzen haben, als amerikanische Bundesstaaten sie haben, aber eben auf unabsehbare Zeit ohne demokratische Gemeinschaftsinstitutionen inmitten eines historisch einmaligen Strukturwandels mit vielfachem, ständigem Entscheidungsbedarf.
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Dr. Hermann Scheer
Weil die vorhandene Demokratielücke wahrscheinlich schon aktuell nicht folgenlos bleibt, muß man befürchten, daß wir wegen der deshalb eintretenden und teilweise bereits eingetretenen inneren Turbulenzen in der Gemeinschaft in manchen Ländern nie bei den auch von mir ersehnten Vereinigten Staaten von Europa ankommen.
Der erste große Versuch zu einer europäischen Friedensordnung, das Metternichsche Europa des Wiener Kongresses, scheiterte am Legitimationsdefizit der obrigkeitlich verfaßten europäischen Großstaaten. Diese Ordnung war gegen die junge Demokratiebewegung gerichtet, weil man von dieser ein Zerbrechen der inneren und der äußeren Stabilität befürchtete. Die Demokratiebewegungen sprengten dieses Europa, aber sie lösten auch — größtenteils ungewollt — das Zeitalter nationalistischer Exzesse aus. Die Vermutung liegt nahe, daß ein integriertes Europa, das sich durch ein demokratisches Minus ausweist, deshalb gesprengt werden könnte und das ungewollte Ergebnis nationalistische Rückfälle wären. Deren tiefere Ursache wird dann sein, daß der Integrationsprozeß der Europäischen Gemeinschaft im Jahr nach dem demokratischen Aufbruch in Osteuropa und in Ostmitteleuropa in demokratischer Geschichtsvergessenheit konstruiert wurde.
Um seiner unaufschiebbaren demokratischen Grundrechte willen hätte nach meiner Auffassung das Europaparlament gegen den Vertrag stimmen müssen. Keiner hätte ein solches Votum als nationalistisch mißinterpretieren können. Nie wurden parlamentarische Demokratierechte verliehen. Immer mußte man dafür kämpfen, Brüche und Verfassungskonflikte riskieren.
Ich werde mich der Stimme beim MaastrichtVertrag enthalten, weil ich damit verdeutlichen will, daß keinesfalls demokratische Parlamentsrechte länger suspendiert werden dürfen und ihre Suspendierung schon gar nicht ausgeweitet werden darf. Ich stimme dabei nicht in erster Linie als deutscher Staatsbürger mit parlamentarischem Mandat, sondern als europäischer Bürger. Wäre ich Italiener, Franzose oder Brite, würde ich zu demselben Ergebnis kommen.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Rupert Scholz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Kollege Dr. Möller hat die verfassungsrechtlichen Positionen der CDU/CSU hier bereits sehr deutlich vorgetragen. Ich möchte lediglich einige ergänzende Bemerkungen machen.
Das Vertragswerk von Maastricht bedeutet den Einstieg in die Europäische Union. Es bedeutet damit auch einen fundamentalen Wandel in unserer nationalen Verfassungsstaatlichkeit. Man kann es auch so sagen: Der nationale Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland wächst hinüber in eine supranationale Verfassungsstaatlichkeit Europäische Union.
Dies, meine Damen und Herren, muß verfassungsrechtliche Konsequenzen haben. Dies hat vor allem zu dem bereits heute vielfältig diskutierten und mit viel Zustimmung bedachten Art. 23 geführt.
Eigentlich könnte man natürlich sagen: Alles das, was vor allem in jener Struktursicherungsklausel im Art. 23 gesagt ist, ist ein Thema, das in eine europäische Verfassung hineingehört. In der Konsequenz muß das auch so sein.
Diese Europäische Union muß ein Verfassungsstaat werden, und der braucht eine Verfassung. Das heißt, die europäische Verfassung muß der nächste Entwicklungsschritt sein.
Dieser Entwicklungsschritt, meine Damen und Herren, muß aber auch von den entscheidenden, aus deutscher Sicht maßgebenden verfassungspolitischen Vorgaben begleitet und vorbereitet sein. Dazu gehören die Grundprinzipien der Grundrechte. Es geht auf Dauer nicht, daß Grundrechte in der Europäischen Union, in der Europäischen Gemeinschaft allein auf Richterrecht beruhen — Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes. Es geht nicht, daß das Subsidiaritätsprinzip, daß ein entsprechend dezentrales Europa letztlich an einer Kompetenzkompetenz der Europäischen Gemeinschaft selbst hängt.
Wir haben bekanntlich auch jetzt versucht, den Art. 235 EWG-Vertrag etwas weiter einzufangen, man könnte auch sagen: zu disziplinieren. Aber das ist nur ein Beispiel. Es geht nicht, daß dieses Europa kein föderatives ist. Deshalb haben wir ausdrücklich in Art. 23 das Prinzip des Föderalismus aufgenommen. Föderalismus bedeutet hier zweierlei, meine Damen und Herren. Es bedeutet, daß das Europa der Zukunft ein dreistufiges sein muß: Union, Mitgliedstaaten, Regionen, in unserer Sprache: Bundesländer. Es bedeutet zum anderen, daß innerstaatlich auch unser Föderalismus erhalten und gewahrt sein muß. Deshalb natürlich auch die vielfältig kritisierten, aber offen diskutierten und letztlich zum Kompromiß geführten Regelungen im Rahmen der künftigen Beteiligungen. Meine Damen und Herren, auch das ist natürlich etwas grundlegend Neues.
Der Bundeskanzler hat vorhin darauf hingewiesen: Der Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland darf natürlich kein Staatenbund werden.
Das ist absolut richtig, und das stand nie und steht auch jetzt nicht zur Diskussion. Aber eines muß man dabei immer wissen: Ein Kompromiß dieser Art muß inhaltlich, materiell-rechtlich und auch verfahrensrechtlich tragbar sein. Er muß — mit anderen Worten — auch funktionieren. Denn auch die Funktionsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der Union muß natürlich erhalten bleiben. Aber ich denke, daß wir in diesem Sinne das Prinzip der gesamtstaatlichen Belange, der gesamtstaatlichen Interessen, ausdrücklich in Art. 23 aufgenommen haben. Dieses Prinzip bedeutet, daß Außenpolitik, Sicherheitspolitik und insbesondere Integrationspoli-
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Dr. Rupert Scholz
tik genuine gesamtstaatliche, also vom Bund zu repräsentierende Interessen und Schutzgüter bleiben.
Herr Kollege Dr. Scholz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klejdzinski?
Selbstverständlich.
Bitte sehr, Herr Kollege Klejdzinski.
Herr Kollege Scholz, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Sie haben eine Reihe von Fragen an die Bundesregierung gestellt. Darf ich Sie fragen: Gab es nicht vorher Möglichkeiten, Ihre Gedanken, in denen Sie zum Ausdruck bringen, daß dieses und jenes nicht geht bzw. fehlt, in die Regierungsvorlage einfließen zu lassen?
Sie wissen, glaube ich, Herr Kollege, daß ich nicht Mitglied der Bundesregierung bin. Wir leben bekanntlich in einer Gewaltenteilung. Ich bin Mitglied des Parlaments, ebenso wie Sie. Wie Sie wahrscheinlich auch wissen, hat die Gemeinsame Verfassungskommission, der anzugehören ich das Vergnügen habe, hier ganz entscheidende Vorarbeiten geleistet, im übrigen im wesentlichen Konsens gerade auch mit Ihrer Partei.
Meine Damen und Herren, eines muß bei alledem gesehen und beachtet werden. Um es noch einmal aufzunehmen: Es kommt auf die Inhalte an, vor allem auf die Inhalte im Bereich der Zuständigkeiten. Und es kommt auf die Verfahren an. Unser Föderalismus ist schon von unserem Grundgesetz auf das Prinzip des kooperativen Föderalismus festgelegt. Das heißt, es geht um faire Kooperation. Es geht um Bundestreue auf beiden Seiten. Wir haben darüber hinaus künftig ein Verfahren, das notwendig ist. Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat, alle drei Verfassungsorgane treten im Rahmen der europäischen Entwicklungsund Umsetzungsprozesse in ein sehr viel dichteres, zuständigkeitsmäßig konkretisierteres Verhältnis. Hier geht es künftig ganz entscheidend um das, was wir Organtreue nennen, Organtreue auch insofern: faires Verfahren, Rücksichtnahme allseitig und Rücksichtnahme vor allem auch auf die jeweils von der Bundesregierung, vom Bundesrat und vor allem vom Bundestag zu wahrenden Rechte und Zuständigkeiten.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, eine kurze Bemerkung zur Geschäftslage: Nach den mir jetzt hier vorliegenden Wortmeldungen wird die erste namentliche Abstimmung etwa um 16 Uhr erfolgen.
Nun erteile ich das Wort unserem Kollegen Ludwig Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier wurde viel vom demokratischen Defizit gesprochen. Alle meinten damit das demokratische Defizit betreffend die Rechte des Europäischen Parlaments. Ich glaube, wir müssen uns Rechenschaft darüber ablegen, daß die innerdeutsche Entwicklung auf Europa hin und der gegenwärtige Zustand ebenfalls durch ein demokratisches Defizit gekennzeichnet sind.
Wir haben am Rande der Legalität im Rahmen von Art. 24 des Grundgesetzes immer mehr Rechte an die Bundesregierung und die Europäischen Gemeinschaften abgegeben, ohne daß die nationale parlamentarische Kontrolle entsprechend gewährleistet war. Es ist gut, daß wir uns an Hand der Diskussion über Maastricht über unsere innerstaatliche Verantwortung und über unser innerstaatliches demokratisches Defizit wieder klargeworden sind.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die europäische Integration die gesamte Statik des Grundgesetzes schwer belastet, um nicht zu sagen: in eine Schieflage gebracht hat. Die Länder haben Kompetenzen abgegeben, ebenso der Bundestag an die Bundesregierung. Wir hatten im Grunde nur noch einen Gesetzgeber, nämlich die Bundesregierung. Hier geht es nicht immer nur um die Ministerräte, sondern oft sind es die Ministerialräte, die die täglichen Geschäfte betreiben. Es ist wichtig, daß der neue Art. 23 die parlamentarische Verantwortung und die Verantwortung der Länder wieder betont.
Hier wurde wiederholt der Bundesrat gescholten. Es wurde mehrfach gesagt, die Länder hätten sich mehr Rechte geholt, als ihnen zusteht. Ich meine, die Länder waren im Ergebnis außerordentlich kooperativ. Es kann keine Rede davon sein, daß sie über den Zaun gefressen hätten.
Hier ist beispielsweise in der Kontroverse zwischen dem Bundeskanzler und Ministerpräsident Eichel über die Frage gesprochen worden, warum sich die Länder darüber beschwert haben, daß jetzt auch die Vertretung der Gemeinden durch Bundesgesetze ausdrücklich vorgeschrieben wird. Ich kann die Länder verstehen. Wer den Bundeskanzler in seiner zweiten Intervention gehört hat, weiß, daß er sehr nahe an einem dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff ist.
So aber ist es nicht ausgestaltet. Wir haben nun einmal die Vertretung der Gemeinden durch die Lander. Ich glaube, man hätte den Ländern durchaus vertrauen können, daß sie selber in der Lage sind, die geeigneten Entscheidungen zu treffen.
Meine Damen und Herren, wir gehen davon aus, daß die Mitbeteiligungsrechte ein Surrogat für die Abgabe der Gesetzgebungskompetenzen von Bundestag und Bundesrat an die europäischen Institutionen und innerstaatlich an die Bundesregierung sind. Wir legen Wert auf die Feststellung, daß durch Art. 23 des Grundgesetzes nicht etwa Rechte des Bundestags neu begründet wurden, sondern die originären Rechte des Bundestags bekräftigt wurden. Wir meinen, daß durch das, was in den Ausführungs- und in den
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Ludwig Stiegler
Begleitgesetzen steht, der Spielraum des Bundestags längst nicht voll ausgeschöpft ist.
Wir haben gesehen: Durch die Begleitentschließung zur Wirtschafts- und Währungsunion ist klargestellt worden, daß der Bundestag in seiner Stellungnahme soweit gehen kann, daß er die Bundesregierung an ein zustimmendes Votum binden kann. Darum müssen wir uns erinnern. Ich verstehe wirklich nicht, wieso gerade das Auswärtige Amt seine alleinige Verhandlungskompetenz mit Zähnen und Klauen verteidigen wollte.
Wir brauchen uns nicht zu wundern, daß in der Öffentlichkeit die europäischen Dinge nicht mit der gebotenen Akzeptanz versehen sind, wenn alles im Arkanbereich der Bundesregierung bleibt. Parlamentarisierung bedeutet öffentliche Diskussion, bedeutet Beteiligung der Opposition, bedeutet Beteiligung der Länder und volle Öffentlichkeit. Deswegen haben wir hier eine stärkere Beteiligung des Bundestags durchgesetzt.
Ich bedaure es, daß die Kollegen der Union nicht noch mutiger waren. Sie hätten sich gern mehr getraut, haben aber sozusagen unter dem Druck der Regierung, vor allem unter dem Druck der Koalition, leider Gottes nicht das getan, was viele von ihnen gern getan hätten.
Ich muß sagen: Der Bundesrat hat dadurch, daß er so frei war, sich seine Rechte zu nehmen, dem Bundestag geholfen, seine Rechte ebenfalls deutlich zu machen. Es war wie bei zwei Kindern: Wenn sich das eine auf seine Rechte besinnt, kommt das andere plötzlich auch auf die Idee, daß es Rechte hat. Ohne die „Unverschämtheit" des Bundesrates, seine Rechte geltend zu machen, hätte sich der Bundestag gar nicht getraut, künftig Beteiligungsrechte im Rahmen des Art. 235 geltend zu machen. Insofern gebührt der Länderseite Dank dafür, daß sie dein Bundestag auf die Sprünge geholfen hat, aber kein Tadel.
Wir werden in Zukunft mit dem Ausschuß deutlich machen müssen, daß wir zumindest in der Zeit, solange das Europäische Parlament nicht die vollen Rechte hat, das demokratische Defizit auch auf der nationalen parlamentarischen Seite ausgleichen müssen. Wir müssen natürlich auch gegenüber dem Bundesrat dort — hier denke ich an die Frau Kollegin Dr. Hellwig —, wo der Bund seine Hauptkompetenzen hat, unser Vorrecht geltend machen. Deshalb haben wir, auch wenn die Länder darüber nicht glücklich sind, durchgesetzt, daß im Konfliktfall die Bundesregierung bei der Wahrnehmung der Rechte des Bundes vorrangig an den Bundestag gebunden ist. Wir wollen aber nicht etwa in das Krongut der Länder eingreifen. Dort, wo die Länder ihre Rechte zu wahren haben, sollen diese auch in Zukunft geachtet werden.
Meine Damen und Herren, hier wurde mehrfach mit beschwörendem Unterton bekräftigt, man müsse jetzt die Länder und auch den Bundestag sozusagen daran erinnern, daß die Bundesregierung international handlungsfähig bleiben müsse. Ich glaube, die Erfahrungen aus der Geschichte der Bundesrepublik rechtfertigen es in keiner Weise, den Verdacht zu erheben, Bundesrat oder Bundestag seien nicht bereit gewesen, dem Ziel des neuen Art. 23 Abs. 1 des Grundgesetzes, nämlich dem Staatsziel der Europäischen Union, näherzukommen. Bisher haben das alle durch ihre Praxis unter Beweis gestellt. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, daß die Länder ihre Rechte und ihre Interessen nicht aufgeben müssen. Wir müssen uns alle miteinander darauf einrichten, daß in Zukunft mit dem Europaausschuß die Europavorlagen nicht nur, wie es in der Vergangenheit häufig der Fall war, negligiert werden, daß sie vielleicht nur weitsichtig zur Kenntnis genommen werden und die Kollegen in furchtbare Aufregung verfallen, wenn Richtlinien umzusetzen sind. Wir müssen diese Rechte wahrnehmen und ernst nehmen. Auch das entspricht unserem innerstaatlichen Demokratiegebot. Wir können nicht erwarten, daß die Bundesregierung dies allein macht,
Wir müssen unsere politische Willensbildung, ob in den Parteien oder im Parlament, insgesamt umorientieren, und zwar weg vom reinen nationalen Blickwinkel hin zum europäischen Blickwinkel. Dazu gehören auch die Kooperation und die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen anderer nationaler Parlamente, aber auch mit unseren Landesparlamenten. Wir sind mehr als bisher gefordert, nicht nur zu klagen, sondern an den Vorlagen auch zu arbeiten.
Die Bundesregierung und gerade das Auswärtige Amt werden nicht in volle Verzweiflung verfallen müssen, daß sie in Zukunft womöglich nicht mehr handlungsfähig sind, sondern sie werden im Gegenteil national Rückendeckung bekommen. Es nützt ihnen ja nichts, in Brüssel die schönsten Dinge zu tun, aber zu Hause gibt es niemanden, der draußen in den Versammlungen dafür einsteht. Die Herren Ministerialräte gehen ja nicht in die Dörfer und verkünden die europäischen Wahrheiten. Das müssen die Abgeordneten machen, und sie müssen sich diesbezüglich ansprechen lassen. Sie müssen in der Lage sein, sozusagen die zusätzliche Legitimation zu geben.
Die Bundesregierung sollte sich als großzügig erweisen, wenn sich Maastricht anders verwirklichen sollte, als es geplant und gewünscht ist, wenn Art. 23 des Grundgesetzes und die Begleitgesetze schrittweise in Kraft treten sollen, und sie sollte nicht versuchen, die Rechte des Parlaments, die, wie Günter Verheugen immer sagt, längst schon bei der Einheitlichen Europäischen Akte hätten festgeschrieben werden müssen, engherzig abzuwehren, sondern es sollte vielmehr in Partnerschaft zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat versucht werden, unsere deutschen Interessen in europäischer Verantwortung einzubringen.
Vielen Dank.
Ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Wolfgang Ullmann.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An Gesagtes anknüpfend — ich hoffe, damit gegenüber Vorrednern nicht unhöflich zu sein —, möchte ich behaupten: Die Diskussion der europäischen Verfassung ist nicht gerade weit fortgeschritten. Sie fängt gerade erst an. Darum möchte ich mich speziell zu diesem Thema äußern.
Der Herr Bundeskanzler hat die Präambel des Grundgesetzes zitiert; er hätte auch auf Art. 24 verweisen können. Er hat es mit Recht getan. Ich möchte nun gegenüber der Skepsis, die in der Verfassungsdiskussion ständig hinsichtlich der Staatsziele verbreitet wird, eines unterstreichen, meine Damen und Herren: Wir sehen heute, daß Staatsziele politisch realisiert werden können, wenn man sie deutlich genug vor Augen hat und eine entsprechende Politik betreibt. Kann es eine bessere Besiegelung des deutschen Einigungsprozesses geben, als daß wir mit den Demokraten — ich hoffe, aller zwölf EG-Staaten — einen Schritt zur Verwirklichung des Staatszieles eines vereinten Europas gehen, das dem Frieden in der Welt dient?
Ich möchte zum Verfassungsproblem Europa Stellung nehmen und tue dies ganz anders als der Kollege Conradi und auch als meine Kollegin Köppe.
Ich glaube, daß die Vorwürfe bezüglich des Demokratiedefizites, wie sie von dieser Seite erhoben werden, nicht zutreffen. Ich brauche nicht noch einmal zu wiederholen, was von den Kollegen aus der Gemeinsamen Verfassungskommission vorgetragen worden ist: Wir haben Art. 23 so formuliert, um klarzumachen, daß die Grundnormen unserer Verfassung das Kriterium sind, an dem Maastricht und auch der weitere Integrationsprozeß unter unserer Mitwirkung gemessen werden müssen und gemessen werden. Ich verstehe einfach nicht, warum hier eine Kritik geübt wird, die sich eigentlich gegen die Gemeinsame Verfassungskommission richten müßte.
Punkt zwei ist, daß nach meinem Dafürhalten Maastricht an einer ganz wichtigen Stelle ein Demokratiedefizit aufzubrechen beginnt, an dem wir laborieren. Ich kann hier nur auf das verweisen, was von Ministerpräsident Eichel zum Unionsbürgertum als ersten Schritt in ein neues Staatsbürgerrecht auf der Basis nicht mehr der Nationalität, sondern der Zugehörigkeit — der Schritt vom sanguins zum ius soli — gesagt worden ist.
Nun aber komme ich zu dem Punkt, der mir der allerwichtigste ist. Meines Erachtens haben alle Kritiker, die vom Maastrichter Demokratiedefizit gesprochen haben, einen Punkt überhaupt nicht beachtet, daß nämlich das Entstehende eine Union der Völker Europas sein soll — so lautet der Maastrichter Vertrag selbst —, in der die Entscheidungen möglichst bürgernah getroffen werden. Das ist ein Verfassungstyp, der etwas ganz Neues darstellt.
Es ist vorhin schon darauf hingewiesen worden, daß wir uns damit in einem Bereich jenseits von Bundesstaat und Staatenbund bewegen. Eine Union der Völker — was ist denn das? Darüber müssen wir verfassungsrechtlich ganz neu nachdenken. Eine Verfassung dieser Union der Völker Europas kann nur eine Verfassung sein, die im Kern nicht mehr Staatsorganisation, sondern Organisation der Mitwirkungsmöglichkeiten von Bürgern und Bürgerinnen ist.
Ich greife gerne den Hinweis des Herrn Bundeskanzlers von heute vormittag hinsichtlich Kreisau auf. Das war sehr wichtig. Ich denke, es stünde dem Deutschen Bundestag sehr gut an, wenn er in diese Tradition eintritt.
Nur muß ich dem Wort des Kanzlers eines hinzufügen: Der Europaentwurf von Kreisau von Theodor Steitzer erfaßt die mittel- und osteuropäischen Nationen gleich im Ansatz, betrachtet sie nicht nur in einer Art Fernperspektive, freilich freundlicher Art, im kommenden Jahrtausend, sondern als integralen Bestandteile einer europäischen Union und der Völker.
Darum lassen Sie mich zum Schluß eines unterstreichen, meine Damen und Herren: Es gibt keine Alternative zu Maastricht, es sei denn die eine, die immer die der Republikaner sein wird, ganz gleich, von wo aus sie vorgebracht wird. Sie denunziert Maastricht als neues Versailles und leugnet damit die Tatsache, daß gerade jene Europäischen Gemeinschaften, auf denen Maastricht aufbaut, es gewesen sind, die die nationalistischen Erbfeindschaften im Westen Europas aufgelöst haben. Diese Kräfte der Demokratisierung gilt es mittels Maastricht nach Osteuropa zu leiten.
Wir müssen dabei unsere deutsche Verantwortung wahrnehmen; denn — das sage ich mit Nachdruck — deutsch sind nicht diejenigen, die auf der Straße herumschreien, durch ihre Untaten schließlich Frauen und Kinder ermorden und sich als Feiglinge den Gewalttaten hingeben, deutsch sind die, die mit Johann Gottfried Herder die Stimme der Völker zu hören vermögen, die nach Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Freiheit in einem vereinten Europa rufen.
Die Völker Mittel- und Osteuropas warten darauf, daß wir sie hören. Ich denke, Europa ist so stark, wie die Kraft ist, diese Völker zu hören.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Dr. Renate Hellwig das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines der Schlüsselworte im Zusammenhang mit Maastricht, mit denen wir versuchen, es unseren Bürgern attraktiv zu machen, ist das Wort Subsidiarität.
Der Präsident der Kommission, Herr Delors, hat einen Preis ausgesetzt — Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, können sich beteiligen. Er hat gesagt: Wenn jemand in der Lage ist, auf einer Schreibmaschinenseite das Wort „Subsidiarität" verbindlich zu definieren, dann bekommt er 10 000 DM. Bis jetzt hat sich noch niemand an diesem Preisausschreiben von Herrn Präsident Delors beteiligt. Das mag daran liegen, daß es natürlich in jeder Nation, in jedem Zuständigkeits-
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Dr. Renate Hellwig
bereich eigene Definitionen gibt, die Definition aber, die zumindest in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird, noch nicht gefunden ist.
Ich möchte es Ihnen an einem Beispiel zeigen. Es gibt viele Bereiche in der Umweltpolitik, in denen wir dringend europäische Regelungen einfordern, weil wir sagen: Mit nationalen Regelungen kommen wir nicht weiter — aus den verschiedensten Gründen: Der Wind weht über die Grenzen; zu strenge nationale Regelungen im Umweltbereich machen unsere Wettbewerbsfähigkeit kaputt. Eine europäische Regelung ist daher wünschenswert.
Andere, die Südeuropäer, sind hier ganz anderer Meinung. Sie sind gegen zu strenge Umweltnormen, weil sie glauben, diese wirtschaftlich nicht verkraften zu können.
Das Thema „Subsidiarität" wird uns dennoch sehr intensiv begleiten; denn es steht meines Erachtens in engstem Zusammenhang mit dem „Moloch Europa" und Überregelung.
Letztlich sind Maastricht und der Binnenmarkt überhaupt nicht auf Überregelung eingestellt. Sie sind eingestellt auf ein Abstreifen der nationalen Schutzhülle, indem man Waren in den Binnenmarkt, in die Union, hereinläßt, die nicht rein den nationalen Schutz-, Ver- und Gebotsgesetzen entsprechen, aber jetzt nicht aus Furcht davor, die eigenen nationalen Waren könnten nicht wettbewerbsfähig sein, verlangt, sicherheitshalber ein gesamteuropäisches Netz, ein verdichtetes europäisches Regelungskonzept, zu errichten, wodurch die nationale Schutzhülle sozusagen ersetzt wird. Wenn wir dieses Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, das jetzt da ist — Öffnung, aber Hereinlassen von Waren, die nach anderen Regelungen hergestellt sind —, tatsächlich durchhalten, dann tun wir etwas zugunsten der eigenen Identität, der Aufrechterhaltung und des Nicht-Zuviel an Regelungen.
Ich bin mal gespannt, ob der Bundestag mit den zusätzlichen Rechten, die er eigentlich schon immer hatte, die er jetzt zur Selbstverpflichtung festgeschrieben hat, um nicht erst bei der Umsetzung europäischer Regelungen in nationales Recht, wenn sie schon da sind, sondern schon bei ihrer Schaffung mitzureden, das nötige Maß an Interesse aufweist. Meine Damen und Herren, erinnern Sie sich bitte daran, wie es in Ihren Ausschüssen läuft. Ist dort das notwendige Maß an Interesse und auch Engagement im rechten Zeitpunkt vorhanden?
Es wird von uns ein zweiseitiges Engagement erwartet werden, einmal als Hüter der Subsidiarität zu sagen: Das muß nicht unbedingt europäisch geregelt werden, das kann auch national geregelt oder in Länderkompetenz bleiben. Wir werden uns auch mit diesen Fragen befassen, genauso wie der Bundesrat.
Wenn wir aber andererseits einsehen, daß eine europäische Regelung kommen muß, würde es auch unsere Aufgabe sein, den gefundenen europäischen Kompromiß, der nicht immer nur sein kann „An deutschem Wesen muß Europa genesen" , sondern der auch französische, englische und dänische Elemente mit aufnimmt, offensiv zu vertreten.
Meine Damen und Herren, das ist unsere Aufgabe; die können wir nicht allein den Europaabgeordneten überlassen.
Schauen Sie sich einmal die Aufteilung der Bundesrepublik an. Ein Europawahlkreis umfaßt sechs bis sieben Bundestags- und zehn bis zwölf Landtagswahlkreise. Das heißt, die Überzeugungsarbeit dieses einen Europaabgeordneten muß von den 14 bis 15 Landtags- und Bundestagsabgeordneten mitgetragen werden.
Ich sage dies für die noch sehr, sehr große Mehrheit in diesem Bundestag: Möge uns nicht die nächste Wahl eine antieuropäische, nicht zu unterschätzende Minderheit hier in den Bundestag hereinschwemmen.
Wir werden das offensiv nur verhindern können, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir, die wir hier im Bundestag und für Europa sind, vor diesen Schlechtwettermachern, die überall mit einem für mich erschreckenden Erfolg in unserem Volk herumlaufen und gegen Europa reden, nicht den Kopf einziehen, sondern hinausgehen zum Volk und für Europa, für diese sinnvollen Kompromisse werben.
Ihr Erfolg, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Hause, Ihre Wiederwahl, Ihr Wiedereinzug in diesen Bundestag hängt davon ab, ob Sie sich dieser Aufgabe ausreichend unterziehen oder nicht. Die Lage ist ernst; ich sage es mit allem Nachdruck.
Frau Kollegin Dr. Hellwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jan Oostergetelo?
Ja.
Bitte, Kollege Oostergetelo.
Frau Kollegin, gerade weil ich teile, was Sie zuletzt gesagt haben — auch was die Akzeptanz in der Bevölkerung und das Mitwirken der Abgeordneten des Bundestages und der Landtage betrifft —, frage ich Sie: Wäre es nicht wenigstens mittelfristig wünschenswert, uns auch über die Wahlmodusregelungen zu unterhalten? Denn ich denke, daß es nur Huckepack gibt und eigentlich nur ein paar Kollegen die Chance haben, zusätzlich hineinzukommen, daß man nur ein Kreuz auf der Liste macht und keiner nachrücken kann.
Wie kann eigentlich ein Wahlkampf positiv ablaufen, wenn es nur ein paar Betroffene gibt, die die Chance haben oder auch nicht haben? Müssen wir dann nicht etwas tun, damit die Bevölkerung bestimmen kann, wer nun hineinkommt und wer nicht?
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Lieber Herr Kollege, was die Wahl des Europäischen Parlaments anbelangt, stehen noch einige Formeln, die auch heute angesprochen worden sind, aus. Aber ich gebe gern zu: Das ist eine sehr, sehr schwierige Frage, und zwar deswegen, weil wir uns hier unter zwölf einigen müssen und weil es hier leider noch nicht in ausreichendem Maße das Bewußtsein für die Wichtigkeit, aber auch für die richtigen Wahlformeln — nicht national, sondern europäisch geregelt — des Europäischen Parlamentes gibt.
Der britische Außenminister sagte mir vor einiger Zeit, das englische Parlament habe hundert Jahre um seine Rechte kämpfen müssen, das Europäische Parlament habe annähernd so viel Zeit.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie ausdrücklich — wir alle haben auch europäische Parteien —: Werben Sie bei den Schwesterparteien in den Mitgliedsländern für die demokratische Kontrolle durch das Europäische Parlament, werben Sie dafür, daß das Europäische Parlament mehr Macht bekommt.
Ein wichtiger, aus meiner Sicht unverzichtbarer Aspekt der europäischen Einigung muß in der Diskussion im Vordergrund sein und bleiben — das ist der Friedensaspekt. Wir müssen unseren Bürgern bewußt machen, daß die Außenpolitik nicht mehr national zu machen ist. Seltsamerweise war unser Volk dieser Meinung, solange es die Bedrohung durch die Sowjetunion gab. Jetzt erscheint die Illusion, als könnte man noch national Außenpolitik machen.
Bitte werben Sie um den Frieden. Der Wohlstand ist im Eimer, wenn der Frieden im Eimer ist; Jugoslawien sollte uns ein drohendes Beispiel bleiben.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Otto Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Europäische Gemeinschaft hat in Europa Frieden gestiftet; das ist gewiß eine der größten politischen Leistungen dieses Jahrhunderts, der niemand seine Anerkennung versagen kann.
Angesichts des Wiedererwachens nationalistischrassistischer Kräfte auf unserem Kontinent gebe ich allen recht, die eine Verstärkung der europäischen Zusammenarbeit befürworten. Wir können uns also gemeinsam auf Europa vereidigen lassen. Europäische Eidgenossenschaft kann und darf aber nicht bedeuten, daß Kritik an den Verhandlungsergebnissen, die heute ratifiziert werden sollen, als europafeindlich abgetan werden.
Frau Kollegin Hellwig, ich stimme vielem von dem, was Sie soeben gesagt haben, zu. Aber wir werden gerade das, was Sie verhindern wollen, nicht vermeiden, wenn die Kritik hier im Parlament nicht unter den europafreundlichen Kräften geführt wird.
Einen „schlechten Vertrag des guten Willens" nannte eine große Tageszeitung zu Beginn dieser Woche das Maastrichter Abkommen.
In der Tat: Reichliche und gute Absichten, die mit dem Maastrichter Vertragswerk verbunden werden, sind nicht zu bestreiten. Ob die zahlreichen ökonomischen und währungspolitischen Bedenken, die gegen die konkreten Regelungen erhoben werden, deshalb gegenstandslos sind, ist zumindest zweifelhaft.
Die geäußerten Bedenken sind nicht zuletzt deshalb sehr ernst zu nehmen, weil z. B. in der Frage der Unabhängigkeit der künftigen Europäischen Zentralbank ein nur mühsam verdeckter Dissens zwischen den Vertragspartnern besteht.
Mit Recht wird aber auch von Umweltverbänden die Sorge geäußert, daß ungeachtet aller umweltfreundlichen Erklärungen, mit denen der Vertragstext dekoriert wurde, keine klare Zielvorgabe auf eine ökologische Ökonomie erkennbar ist.
Daß diese Skepsis wahrlich nicht unbegründet ist, beweist nicht zuletzt die dem Vertragswerk beigegebene Erklärung zur Beurteilung der Umweltverträglichkeit der Gemeinschaftsmaßnahmen. Mit dieser Erklärung wird die Europäische Kommission auf den Grundsatz „des nachhaltigen Wachstums" verpflichtet. Das ist ein Wechselbalg, der nichts Gutes verheißt.
Wer das Nachhaltigkeitsprinzip, das das Leitbild einer umweltverträglichen Wirtschaft sein sollte, im Sinne eines ewig währenden Wachstums verballhornt, hat von Ökologie nichts verstanden.
Die größten Bedenken gegen das Maastrichter Vertragswerk ergeben sich jedoch aus verfassungsrechtlichen Mängeln, die durch die Verfassungsänderungen, die heute verabschiedet werden sollen, nicht behoben werden. Ich verkenne nicht, daß dank der Initiativen der SPD-Bundestagsfraktion die heute zu verabschiedenden Grundgesetzänderungen einen Fortschritt bedeuten.
Das Demokratiedefizit, das auch nach Meinung der Bundesregierung unbestritten vorhanden ist — ich habe die entsprechenden Publikationen gelesen —, wird dadurch jedoch nicht ausgeglichen.
In der Plenardebatte vom 8. Oktober 1992 hat mein Fraktionskollege Verheugen wörtlich erklärt: „Weder der alte noch der neue Verfassungstext erhebt den Vertrag von Maastricht über den fundamentalen Einwand der Verletzung des Demokratiegebotes." Weil aber der Vertrag nicht mehr zu ändern sei, müssen wir uns nach Meinung von Günter Verheugen mit dem Demokratiedefizit abfinden. Das verbietet uns aber das Grundgesetz nach Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 20 GG.
Zu den tragenden Demokratieprinzipien unserer Verfassung gehört nach ständiger Rechtsprechung das Bundesverfassungsgerichts auch die Gewaltenteilung. Dem Parlament als der Legislative sind damit Rechte zugewiesen, die es nicht an die Exekutive
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10875
Otto Schily
abtreten kann. Die Europäische Union — das räumt die Bundesregierung ein — ist noch keine parlamentarische Demokratie, aber — so will man uns trösten — irgendwann werde sie es wohl sein.
Die Entparlamentarisierung der Politik kann aber auf diese Weise nicht gerechtfertigt werden. Der Verlust an Befugnissen des Bundestages zugunsten der europäischen Ebene könnte nur dadurch kompensiert werden, daß in gleichem Umfang ein Zuwachs an Kompetenzen des Europäischen Parlaments stattfindet; das ist jedoch bekanntlich nicht der Fall. Statt dessen haben wir mit dem Europäischen Rat ein mächtiges Exekutivorgan, das hinter verschlossenen Türen tagt und unzureichend kontrolliert wird.
Es heißt auch, die Kritiker seien zu spät aufgewacht, die Auszehrung der parlamentarischen Demokratie sei schon vor Maastricht weit fortgeschritten. Dieser Einwand ist nicht schlüssig. Wenn es stimmt — und ich glaube, daß es stimmt —, daß sich mit Maastricht eine ganz neue Dimension europäischer Politik eröffnet, dann erhält das Demokratieprinzip in dieser neuen Phase ein ganz neues Gewicht.
Wenn Parlamente in ihren Rechten so degradiert werden, daß sie bloß einen Anspruch auf rechtzeitige Information haben, verbunden mit den gütigen und etwas herablassenden Versprechen der Regierung, sie werde die Äußerungen des Parlaments bei ihren Entscheidungen angemessen berücksichtigen, ist die Balance der Gewaltenteilung gestört.
Aus diesem Grunde ist auch die Neufassung von Art. 23 Abs. 2 Grundgesetz, die heute verabschiedet werden soll, zu kritisieren.
Die verfassungsrechtliche Beurteilung der sich entwickelnden Strukturen ist gewiß dadurch erschwert, daß erhebliche Unklarheiten bestehen, was die Europäische Union ist und was aus ihr werden soll. Ist sie ein Bundesstaat, soll sie ein Bundesstaat werden, oder wird sie ein Staatenbund? Oder ist sie ein Zwitter? Wir haben leider versäumt, rechtzeitig die Arbeit an einer europäischen Verfassung aufzunehmen; da stimme ich Herrn Professor Ullmann ausdrücklich zu. Es ist dringend geboten, das Versäumte nachzuholen und uns mit den Fragen auseinanderzusetzen, die u. a. Dieter Grimm in seinem „Spiegel"-Essay „Der Mangel an europäischer Demokratie" aufgeworfen hat. Das nächste Europäische Parlament sollte daher als verfassungsgebende Versammlung gewählt werden.
Dann wird vielleicht deutlich werden, daß die künftige Struktur Europas nicht nur staatlich definiert werden kann.
Es ist gut, wenn sich Staaten entgrenzen und nationale Eigenbrötelei aufgeben. Es wäre aber schlecht, wenn an Stelle einer europäischen Demokratie nur ein europäisches Direktorat zustande käme. Europa ist viel zu wichtig, als daß wir es nur den
Regierungen und einer wuchernden Bürokratie überlassen dürften.
Maastricht oder Sarajevo — das ist die falsche Alternative. Die blutigen Ereignisse auf dem Balkan lehren uns, daß ein künstliches, undemokratisches Staatsgebilde, das nicht fest im Konsens der Völker verankert ist, einen übersteigerten Nationalismus wie eine Krankheit aus sich heraustreibt. Wer Europa gegen Nationalismus und Rassismus schützen will, muß es mit tragfähiger Architektur ausstatten. Das heißt, Europa muß sich in kultureller Autonomie, in wirtschaftlicher Kooperation und als vollständige Demokratie entfalten.
Ich danke Ihnen sehr.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Ulrich Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es besteht kein Zweifel: Mit den Verträgen von Maastricht wird die große europäische Idee regelrecht kleingekocht. Die Vision vom offenen, demokratisch-volksnahen, von der Vielfalt der europäischen Völker und Landschaften geprägten europäischen Gemeinwesen soll von einer bürokratisch-zentralistischen EG eingelöst werden, in der die wirtschaftlich starken Staaten den Rest Europas beherrschen. Diese Vision soll von einer EG eingelöst werden, mit der dieses Europa einen möglichst großen Teil der Welt ökonomisch beherrschen möchte.
Angesichts dieses Charakters der Maastrichter Verträge, die insbesondere über die Wirtschafts- und Währungsunion auch die deutsche Hegenomie festschreiben, muß man geradezu froh darüber sein, daß in der Innen- und Rechtspolitik, in der Sicherheits-und Verteidigungspolitik nicht der gleiche Integrationsgrad erreicht wurde wie in der Wirtschafts- und Währungspolitik. Überträgt man die ökonomische Organisationsform der Maastrichter Verträge nämlich auf andere Gebiete, so muß man sagen: Europa würde unter deutscher Führung ein militärisch noch stärker hochgerüstetes aggressives Mitglied der Triade USAJapan-Europa sein, als es das so schon ist.
Es würde sich noch stärker in eine Festung mit dem Ziel der Abweisung und der Abschreckung nach außen und insbesondere gegenüber dem armen Süden dieses Planeten verwandeln.
Nein, meine Damen und Herren, diese Maastrichter Verträge sind wahrhaftig nicht die Erfüllung des langjährigen europäischen Traums, jenes europäischen Traums, der aus Krieg und Zerstörung geboren wurde. Vergessen wir als Deutsche in dieser Zeit neuer deutscher Pogrome nicht, daß die größten politischen Verbrechen der Menschheitsgeschichte in jener Zeit des Krieges und der Zerstörung von Deut-
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Dr. Ulrich Briefs
schen im Namen Deutschlands begangen worden sind!
Diese Verträge sind nicht die rechtliche, die staatliche, die institutionalisierte, die politische Vollendung der gewünschten und teilweise längst Tatsache gewordenen Integration, die die europäischen Bevölkerungen in Teilbereichen inzwischen als Lebenswirklichkeiten leben. Die Menschen der europäischen Länder — zumindest die große Mehrheit — sind sich viel näher, als es in diesem bürokratisch-starren Vertragswerk erscheint, das von den Wirtschafts- und Machtinteressen der großen führenden europäischen Länder und deren Zentralen geprägt ist. Die reizvolle Vielgestaltigkeit Europas, die zum Teil so weit auseinanderliegenden kulturellen und historischen Traditionen der europäischen Regionen, die z. B. meine Familie, die im niederländischen Grenzgebiet ansässig ist, wenige Kilometer von der deutschen und der belgischen Grenze entfernt und auch wenige Kilometer vom französischen Sprachraum entfernt, alltäglich erlebt, diese Vielfalt und diese Vielfalt der Traditionen Europas werden — das ist zu befürchten — durch die Dampfwalze der ökonomischen Dynamik der führenden großen europäischen Länder und insbesondere Deutschlands weitgehend applaniert.
Dazu ist aber auch ein skeptisches Wort notwendig; an dieser Stelle deshalb eine Anmerkung zur Wirtschafts- und Sozialunion und zur gegenwärtigen Situation in Deutschland: Daß die deutsche Politik die EG nur unter dem Motto „DM, DM über alles" sieht, zeugt von besonders kleinem Geist in der vielberufenen politischen Klasse dieses Landes.
Im übrigen: Wenn die Pogrome in Deutschland weitergehen, wenn wir es zulassen, daß nationalsozialistische Kräfte hier wieder Politik machen können, dann ist es bald auch mit der harten DM aus. Ein internationaler Warenboykott z. B. gegen die Bundesrepublik würde die pralle DM — jenen Nationalstolz der Deutschen — schlaff werden lassen wie nur irgend etwas.
Wir wollen die europäische Zentralbank nach Frankfurt holen.
Wir vergessen aber, daß sich die ausländischen Mitarbeiter dieser europäischen Zentralbank in Deutschland unter Umständen gar nicht sicher fühlen können. Was bleibt von Europa, wenn die ausländerfeindlichen Übergriffe auch auf die Arbeitergruppen übergreifen, die z. B. aus europäischen Ländern zu uns gekommen sind?
Daß das Europäische Parlament in den Maastrichter Verträgen schlecht wegkommt, daß es kaum zusätzliche Rechte — außer bei Untersuchungen und Petitionen — erhält, ist dabei eher eine Randgeschichte. Damit die EG wirklich zu einem Europa der Bevölkerung wird, muß wohl die Tradition der europäischen Revolutionen irgendwie fortgeführt werden.
Ein Parlament für 320 Millionen Menschen kann so oder so kaum der Garant für kulturelle und regionale Vielfalt sein, aber diese Vielfalt wird sowieso in den
Verträgen dem ökonomischen Wachstum und der vereinheitlichenden strukturellen Gewalt der großen Konzerne geopfert. Bürgerliche und wirksame demokratische Rechte für überschaubare regionale Lebens-und Arbeitsgemeinschaften, von den Bürgerinnen und Bürgern möglichst direkt und in eigener Initiative ausgeübt, fehlen eben in den Verträgen. Bürgerfreundlichkeit ist ein Fremdbegriff für die Maastrichter Verträge. Die Maastrichter Verträge sind im Grunde ein Hohn auf Europa und seine vielfältigen Möglichkeiten. Sie sind das Ergebnis des konzertierten Egoismus und des ökonomischen Geschacheres der nationalen Regierungen, die zudem die politische Macht weiterhin fast vollständig für sich monopolisieren.
Und doch — das ist das Dilemma, in dem man in dieser Zeit steckt — ist es nicht möglich, die Maastrichter Verträge mit diesen riesigen Defekten zu diesem Zeitpunkt abzulehnen. Die Gründe liegen in der Rechtsentwicklung in den europäischen Ländern, insbesondere im Wiederauftauchen von Nationalismus und Nationalsozialismus, Rassismus, Antisemitismus und Ausländerhag in Deutschland, in diesem Land. Kein linker, kein sozial und politisch Verantwortlicher, kein historisch bewußter Zeitgenosse könnte es verantworten, daß Europa zerbricht und Deutschland, sich selbst überlassen, vollends den Weg in die 30er Jahre zurück beschreiten kann. Europa bedeutet gerade auch eine Sicherung gegen die Gefahr eines neuen deutschen Nationalismus. Deshalb darf Europa gerade auch aus der Sicht des humaneren, weltoffenen Deutschland nicht scheitern.
Deshalb, wenn auch mit großem Widerstreben wegen des undemokratischen, bürgerfeindlichen, wirtschaftsimperialistischen Grundcharakters der Maastrichter Verträge stimme ich als unabhängiger linker Abgeordneter, der dem ökologisch-alternativen Spektrum zugehörig ist, für die Ratifizierung der Verträge von Maastricht.
Damit aber beginnt sofort der weitere Kampf um Verbesserungen dieser Verträge, gerade und insbesondere um der weiteren Umweltzerstörung durch den Wirtschafts- und Industriegiganten Europas entgegenzuwirken.
Ökologische und soziale Ziele der Nach-Maastricht-Politik müssen sein:
Erstens. Die Müll-, Emissions- und Transportlawine in Europa muß gestoppt werden.
Zweitens. Ökologische Reformen und der ökologische Umbau müssen Vorrang haben vor dem weiteren Anheizen des wirtschaftlichen Wachstums,
Drittens. Arbeitsmarkt- und Arbeitsplatzprobleme müssen auf sozialverträgliche Weise, d. h. insbesondere durch Arbeitszeitverkürzung und durch einklagbare Rechte für die abhängig Beschäftigten, erreicht werden.
Viertens. Beschäftigungsinitiativen müssen in die Richtung sozial und ökologisch sinnvoller lokaler und regionaler Ansätze gelenkt werden, statt die prallvollen Kassen der Wirtschaft mit zusätzlichen Subventio-
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Dr. Ulrich Briefs
nen für umweltriskante High-tech-Entwicklungen auch aus EG-Töpfen noch voller zu machen.
Fünftens. In der Energiepolitik muß ein Paradigmenwechsel, d. h. weg vom Atomstrom und weg von den fossilen Energieträgern hin zur Effienzsteigerung der Energieerzeugung, zur Energieeinsparung und zu erneuerbaren Energieträgern, durchgesetzt werden.
Sechstens. In der europäischen Verkehrspolitik muß der Vorrang der Straße beseitigt werden; sonst steigen bis zum Jahre 2010 die verkehrsbedingten Kohlendioxid- und Schwefeldioxidemissionen um fast die Hälfte weiter an, die Stickoxid- und Kohlenwasserstoffemissionen um weerhin 10 % an.
Forschungs- und Technologiepolitik, Bildungs- und Wissenschaftspolitik der EG müssen als oberstes Ziel die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, vor allem aber die Verbesserung der Umweltbedingungen der Menschen in ihrer Region zum Ziel haben, statt unaufhörlich das weitere umweltzerstörerische wirtschaftliche Wachstum zu stimulieren.
Die europäischen Staaten und die Regionen müssen auch nach Maastricht das Recht auf eine eigene Umweltpolitik haben, die im Interesse eines wirksamen Umweltschutzes über die EG-Normen hinaus gehen kann. Die Maßnahmen der regionalen Wirtschaftsförderungspolitik müssen an Umweltverträglichkeitsnormen gebunden werden. Die ökonomische Dynamik und der Freihandel müssen durch ökologische Kriterien reguliert werden. Gerade mit den Verträgen von Maastricht gilt: Das ökologische Europa und auch das soziale Europa müssen erst noch erkämpft werden. Mit Maastricht wird im wesentlichen die Verwirklichung des Europa des Kapitals weiter vorangetrieben.
Aber, wie gesagt, mit dem steigenden Nationalismus in Europa und vor allem mit dem erneuten Hochkommen nationalistischer und nationalsozialistischer Kräfte in Deutschland ist selbst dieses unvollendete, dieses politisch so unbefriedigende, so mangelhafte Europa zu etwas geworden, was es zu bewahren gilt.
Deshalb stimme ich — mit großen Bauchschmerzen — den Verträgen von Maastricht zu.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Ruhe. Wir haben jetzt die letzte Wortmeldung.
Ich erteile das Wort unserer Frau Kollegin Ulrike Mehl.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um noch einmal einige grundsätzliche ökologischen Bedenken zur Konzeption der Europäischen Gemeinschaft darzulegen, die im Kern von der SPD-Fraktion im Sonderausschuß eingebracht worden sind. Ich spreche hier gleichzeitig für 39 Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion, die sich ausdrücklich meinem Text und meinen Positionen angeschlossen haben; die Namen gebe ich anschließend zu Protokoll. *)
s) Anlage 3
Die Fraktion der SPD hat zu Beginn der Beratungen des Vertrages von Maastricht festgestellt, die Europäische Union dürfe nicht an Deutschland und werde nicht an der SPD scheitern. Diese Festlegung hat unter dem Eindruck der jüngsten Entwicklung in der Bundesrepublik besondere Bedeutung gewonnen.
Auf dem Boden einer verfehlten Politik und neuer nationalistischer Parolen ist rechtsradikaler Terror gewachsen. Wir wollen keinen Rückfall der Politik in den Nationalismus und wollen denjenigen nicht Vorschub leisten, die die notwendige Debatte um den Vertrag von Maastricht für die Verbreitung von rechtsradikalem Gedankengut mißbrauchen.
Wir stimmen aus grundsätzlichen Erwägungen, und zwar innen- und außenpolitischer Art, diesem Vertrag zu. Unabhängig davon gibt es jedoch, ungeachtet einer Reihe von Fortschritten in der Zielsetzung und in den Instrumenten, im Bereich der Umweltpolitik erhebliche Defizite, deren Beseitigung wir für die weitere europäische Politik einfordern.
Die bisherige Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihre Fortschreibung zum europäischen Binnenmarkt ist von Anfang an — —
Ich könnte meinen Beitrag auch singen. Möglicherweise hören dann mehr zu;
aber mir fehlt jetzt die Melodie dazu. Ich probier's mal ohne Singen.
Die bisherige Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihre Fortschreibung zum europäischen Binnenmarkt ist von Anfang an auf hohes quantitatives Wirtschaftswachstum und damit auf einen unverantwortlichen Ressourcenverbrauch ausgerichtet gewesen. Umweltpolitische Erf order-nisse wurden lange Zeit überhaupt nicht berücksichtigt. Im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie wurde und wird im Zweifel in der praktischen Politik der Gemeinschaft stets zugunsten eines expansiven Wirtschaftswachstums entschieden. Auch der Vertrag von Maastricht führt in dieser Grundsatzfrage zu nur wenig verbindlichen Änderungen.
Der von der EG-Kommission in Auftrag gegebene Task-Force-Bericht über Umwelt und Binnenmarkt von 1990 kommt zu dem Ergebnis, daß ohne starken politischen Willen und ohne eine Neuorientierung der bisherig en Wirtschaftsformen der „schrankenlose Binnenmarkt mit einem schmutzigen Wachstum verbunden sein" wird. Es müsse befürchtet werden, daß die Chancen, die ökologischen Belange in die Regelungen des schrankenlosen Binnenmarktes mit einzubeziehen, vertan würden.
Der heutige Kenntnisstand reicht aus, um sicher zu wissen, daß unsere Industriestaaten den Wohlstand eben auf der Basis des Ausbeutens gewonnen haben und daß dieses unser Wirtschaftssystem die Welt in eine ökologische Katastrophe führen kann. Dieses
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Ulrike Mehl
Wissen wird heute von einer großen Mehrheit der Bevölkerung geteilt. Sie hat begriffen, daß es lebensbedrohende, weiter wachsende Ozonlöcher und von Menschen gemachte Klimaveränderungen mit kaum vorstellbaren Folgen gibt. Wir wissen, daß der unwiederbringliche Verlust von Tier- und Pflanzenarten ungebremst anhält, daß unser Trinkwasser — in einigen Regionen sogar dramatisch — knapp wird und außerdem zunehmend mit Schadstoffen belastet ist. Wir wissen, daß weltweit ungeheuer große Flächen durch falsche Nutzung unwiederbringlich verlorengehen, die wir angesichts der wachsenden Weltbevölkerung für Nahrungsmittelproduktion, aber auch für die Erhaltung natürlicher Lebensräume, dringend brauchen.
Da wir wissen, daß die Ursachen für die heute eintretenden ökologischen Schäden zum Teil Jahrzehnte zurückliegen, ist es höchste Zeit für eine grundlegede Wende in allen Politikbereichen:
von Verkehrs- über Energie- bis Naturschutzpolitik, von Abfall- bis Wasserpolitik, von Landwirtschafts- bis Lebensmittelpolitik.
Diese Chance ist mit dem Vertrag von Maastricht nicht genutzt worden. Von einer dringend notwendigen ökologischen Effizienzrevolution ist nichts in Sicht.
Zwar sieht der Vertrag von Maastricht im Vergleich zu den früheren Verträgen Verbesserungen für die Umweltpolitik in Europa vor, aber diese basieren nach wie vor in erster Linie auf Reparaturdenken, nicht jedoch darauf, Umweltverträglichkeit und ökologische Effizienz zur Grundlage unseres Wirtschaftens zu machen.
Bei den vorgesehenen Regelungen kann im übrigen keinesfalls davon ausgegangen werden, daß Europa jetzt auf einen — die Erde langfristig erhaltenden — neuen Weg einschwenken wird. Statt dessen bestimmen, wenn es um Konflikte im Spannungsverhältnis zwischen Ökologie und Ökonomie geht, weiterhin Wirtschaft, Wachstum und Währung die europäische Entwicklung. Dagegen bleibt der Umweltschutz schmückendes Beiwerk.
Im Sinne dieses Denkens ist zu befürchten, daß er häufig sogar als unakzeptables Handelshemmnis verdrängt wird. Wir können nicht akzeptieren, daß die Umweltpolitik nur ein rhetorisches Feigenblatt bleibt.
Vielmehr muß die Ökologie, d. h. eine dauerhafte Entwicklung im Gleichgewicht sozialer, ökonomischer und ökologischer Faktoren, Leitlinie und Ziel der europäischen Politik werden.
Die politische Wirklichkeit spiegelt sich auch in durch den Strukturfonds finanzierten, umweltzerstörerischen Großprojekten wider. Mangelnde ökologische Kenntnisse, schlechte Koordination der Verwaltungen und mangelhafte demokratische Entscheidungsabläufe lassen auch zukünftig häufige, katastrophale Mißgriffe befürchten.
In der Erkenntnis, daß Umweltschutz nur über Grenzen hinweg wirksam betrieben werden kann, erwarten wir, daß bei baldigen Verhandlungen zu einem Folgevertrag der Europäischen Union die Weichen in Richtung auf eine dauerhafte Entwicklung gestellt werden,
die die ökologischen Erfordernisse in die Vertragstexte und in das politische Handeln der Gemeinschaft — und das ist der wichtige Punkt — integriert.
Wir wollen ein geeinigtes Europa. Aber dieses Europa muß von einer ökologischen, demokratischen und sozialen Politik geprägt sein. Der Vertrag von Maastricht ist dafür noch keine ausreichende Grundlage.
Vielen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zu vier namentlichen Abstimmungen. Interfraktionell ist vereinbart worden, daß wir über — ich nenne die Stichworte — den Maastrichter Vertrag, den Entschließungsantrag „feierliche Resolution", den Entschließungsantrag zur Wirtschafts- und Währungsunion und über die Grundgesetzänderung namentlich abstimmen, und zwar in dieser Reihenfolge.
Es liegen 23 schriftliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung zur Abstimmung vor.* ) Lediglich vom Kollegen Konrad Weiß liegt eine Wortmeldung zu einer mündlichen Erklärung von fünf Minuten vor. Diese wird er nach der Abstimmung über den Maastrichter Vertrag — weil er dazu Stellung nehmen möchte — abgeben.
— Gut, dann wird er diese Erklärung nach den vier namentlichen Abstimmungen abgeben.
Ich rufe als erstes den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Vertrag über die Europäische Union auf den Drucksachen 12/3334 und 12/3895 in der Ausschußfassung auf. Ich mache darauf aufmerksam, daß nach der Einleitung zu diesem Gesetzentwurf für die Annahme die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages notwendig ist. Das sind 442 Stimmen.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die
*) Anlagen 4 und 5
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Vizepräsident Helmuth Becker
Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. — Das ist geschehen.
— Ich bitte Sie, sich an die Regeln des Hauses zu halten und das Transparent wieder einzurollen. Wir brauchen doch dafür nicht den Ordnungsdienst. —Danke.
Meine Damen und Herren, ist jemand im Saal, der noch nicht abgestimmt hat? — Das ist nicht der Fall. Dann ist der Abstimmungsvorgang geschlossen.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Bevor wir zur nächsten namentlichen Abstimmung kommen, haben wir eine Reihe von einfachen Abstimmungen vorzunehmen. — Meine Damen und Herren, ich bitte darum, die notwendige Übersicht und Ruhe herzustellen. Dann können wir zügig weitermachen; sonst geht das nicht. Das gilt ganz besonders für die linke Seite des Hauses. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Europaabstimmungsgesetzes der Gruppe PDS/Linke Liste. Der Sonderausschuß Europäische Union empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/3895, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3353 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Sonderausschusses Europäische Union zu dem Antrag der Fraktion der SPD „Wider den Rückfall in den Nationalismus — Für ein demokratisches Europa mit stabiler Währung" auf Drucksache 12/3366 ab.
Der Sonderausschuß empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/3895, diesen Antrag der Fraktion der SPD abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und einigen Stimmen auf der linken Seite des Hauses gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste und bei Stimmenthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 4 seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Sonderausschuß, den Antrag der Gruppe PDS/ Linke Liste auf Drucksache 12/3322 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Gegen die Stirn-
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men der PDS/Linke Liste und bei Stimmenthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ist die Beschlußèmpfehlung angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Sonderausschusses zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/3367 ab. Der Sonderausschuß empfiehlt unter Nr. 5 seiner Beschlußempfehlung, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung eines großen Teils der SPD-Fraktion angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlungen zu den Entschließungen des Europäischen Parlaments zum Europäischen Rat von Lissabon und zu den Folgen des in Dänemark durchgeführten Referendums ab. Das sind die Nrn. 6 und 7 der Beschlußempfehlung. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. für ein bürgernahes, starkes und handlungsfähiges Europa auf Drucksache 12/3905 ab.
Die CDU verlangt dazu namentliche Abstimmung. Ich stelle fest, die Urnen sind besetzt.
Dann ist der Abstimmungsvorgang eröffnet. —
Meine Damen und Herren, ist ein Mitglied im Saal, oder vorne in der Wandelhalle, das an der Abstimmung noch nicht teilnehmen konnte? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist der Abstimmungsvorgang geschlossen.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. —
Meine Damen und Herren, das Ergebnis auch dieser namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Ich möchte jetzt gern die dritte namentliche Abstimmung über einen Entschließungsantrag zur Währungsunion eröffnen. Dieser Entschließungsantrag ist von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. auf Drucksache 12/3906 vorgelegt worden. Er ist inhaltsgleich mit der Nr. 8 der Beschlußempfehlung des Sonderausschusses.
Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung über diesen Entschließungsantrag. Die Urnen sind wieder besetzt.
Ich eröffne die .Abstimmung. —
Meine Damen und Herren, ich darf fragen: Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? — Das ist offensichtlich der Fall.
Meine Damen und Herren, mir liegt das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung vor. Abgegebene Stimmen für
*) Seite 10882D
10880 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Vizepräsident Helmuth Becker
den Vertrag über die Europäische Union: 568. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt: 543.
Mit Nein haben gestimmt: 17 Mitglieder des Hauses. 8 Mitglieder des Hauses haben sich der Stimme enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 567; davon:
ja: 543
nein: 16
enthalten: 8
Ja
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich
Dr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter
Dr. Bauer, Wolf
Baumeister, Brigitte Bayha, Richard
Belle, Meinrad
Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate
Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter
Dr. Blüm, Norbert
Böhm , Wilfried Dr. Böhmer, Maria
Börnsen , Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler , Klaus Büttner (Schönebeck),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens , Manfred Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud
Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Ehrbar, Udo
Eichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen
Dr. Fell, Karl H.
Fischer , Dirk Fockenberg, Winfried Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert
Dr. Friedrich, Gerhard
Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim
Ganz , Johannes Geiger, Michaela
Dr. Geiger , Sissy Geis, Norbert
Gerster , Johannes Gibtner, Horst
Glos, Michael
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim Günther , Horst Harries, Klaus
Haschke , Gottfried
Haschke , Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser , Otto Hauser (Rednitzhembach),
Hansgeorg Hedrich,.Klaus-Jürgen
Heise, Manfred
Dr. Hellwig, Renate
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hinsken, Ernst
Hintze, Peter
Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Dr. Hoffacker, Paul
Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert
Jäger, Claus
Jaffke, Susanne Jagoda, Bernhard Dr. Jahn ,
Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin
Dr. Jobst, Dionys Dr. Jüttner, Egon
Jung , Michael Junghanns, Ulrich
Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen
Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Kiechle, Ignaz
Kittelmann, Peter
Klein , Günter Klein (München), Hans Klinkert, Ulrich
Dr. Köhler ,
Volkmar
Dr. Kohl, Helmut Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf
Dr. Krause , Günther
Dr. Krause ,
Rudolf Karl
Krause , Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf
Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert
Lamp, Helmut Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef
Lehne, Klaus-Heiner
Dr. Lehr, Ursula
Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha
Link , Walter Lintner, Eduard
Dr. Lippold ,
Klaus W.
Dr. Lischewski, Manfred Lohmann , Wolfgang
Louven, Julius
Dr. Luther, Michael
Maaß , Erich Männle, Ursula
Magin, Theo
Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Dr. Mayer ,
Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup,
Reinhard
Michalk, Maria Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Molnar, Thomas
Müller , Elmar Müller (Wadern),
Hans-Werner
Müller , Alfons Nelle, Engelbert
Dr. Neuling, Christian Neumann , Bernd Nitsch, Johannes
Nolte, Claudia Dr. Olderog, Rolf Ost, Friedhelm Oswald, Eduard
Otto , Norbert
Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Pesch, Hans-Wilhelm
Petzold, Ulrich Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton
Dr. Pfennig, Gero
Dr. Pflüger, Friedbert
Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann
Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter
Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter Harald
Rawe, Wilhelm
Reddemann, Gerhard Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert
Dr. Riedl , Erich Riegert, Klaus
Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode , Helmut Rönsch (Wiesbaden),
Hannelore
Romer, Franz
Rossmanith, Kurt J. Roth , Adolf Rother, Heinz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer , Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Scharrenbroich, Heribert Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Schartz , Günther Schemken, Heinz Scheu, Gerhard
Schmalz, Ulrich
Schmidbauer, Bernd Schmidt , Christian
Dr.-Ing. Schmidt ,
Joachim
Schmidt , Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
Dr. Schneider , Oscar
Dr. Schockenhoff, Andreas Graf von Schönburg-
Glauchau, Joachim Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer,
Reinhard
Schulz , Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan
Dr. Schwarz-Schilling, Christian
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich Seibel, Wilfried
Seiters, Rudolf
Sikora, Jürgen
Skowron, Werner H.
Dr. Sopart, Hans-Joachim Sothmann, Bärbel
Spilker, Karl-Heinz Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf
Steinbach-Hermann, Erika
Dr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd Stübgen, Michael
Dr. Süssmuth, Rita Susset, Egon
Tillmann, Ferdi
Dr. Töpfer, Klaus
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Verhülsdonk, Roswitha
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10881
Vizepräsident Helmuth Becker
Vogel , Friedrich Vogt (Düren), Wolfgang
Dr. Voigt ,
Hans-Peter
Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, Theodor
Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner , Herbert Wetzel, Kersten
Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek , Bertram
Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd
Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias Wittmann ,
Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Wolfgang
SPD
Andres, Gerd
Becker , Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Blunck, Lieselott
Dr. Böhme , Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni
Dr. Brecht, Eberhard
Büchler , Hans
Büchner , Peter Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Dr. Däubler-Gmelin, Herta Dr. Diederich , Nils Diller, Karl
Dreßler, Rudolf
Duve, Freimut
Dr. Eckardt, Peter
Dr. Ehmke , Horst Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad
Esters, Helmut
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer , Lothar Fuchs (Köln), Anke
Fuchs , Katrin Fuhrmann, Arne
Gansel, Norbert
Dr. Gautier, Fritz
Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Graf, Günter
Großmann, Achim
Haack ,
Karl Hermann
Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hanewinckel, Christel Hasenfratz, Klaus
Dr. Hauchler, Ingomar Heyenn, Günther
Hiller , Reinhold Hilsberg, Stephan
Dr. Holtz, Uwe
Horn, Erwin
1-luonker, Gunter Jäger, Renate
Janz, Ilse
Jaunich, Horst
Jung , Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, Susanne
Kastning, Ernst
Kirschner, Klaus
Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, Siegrun
Klose, Hans-Ulrich
Dr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbe, Regina
Koltzsch, Rolf
Kretkowski, Volkmar Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe
Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev Lennartz, Klaus
Dr. Leonhard-Schmid, Elke Lohmann , Klaus
Dr. Lucyga, Christine Maaß , Dieter Mascher, Ulrike
Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus
Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert
Dr. Mertens , Franz-Josef
Dr. Meyer , Jürgen Mosdorf, Siegmar
Müller , Michael Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Müntefering, Franz Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niehuis, Edith
Dr. Niese, Rolf
Odendahl, Doris Oostergetelo, Jan Opel, Manfred
Ostertag, Adolf
Dr. Otto, Helga
Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried Peter , Horst Dr. Pfaff, Martin Poß, Joachim
Rappe , Hermann Reimann, Manfred
von Renesse, Margot Rennebach, Renate Reschke, Otto
Reuschenbach, Peter W. Reuter, Bernd
Rixe, Günter
Roth, Wolfgang
Schanz, Dieter
Scheffler, Siegfried Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ,
Horst
Schmidt , Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen Schreiner, Ottmar Schütz, Dietmar
Schulte , Brigitte
Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig
Dr. Struck, Peter
Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Tietjen, Günther Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen Voigt , Karsten D. Wagner, Flans Georg Wallow, Hans
Waltemathe, Ernst Walter , Ralf
Walther , Rudi Wartenberg (Berlin), Gerd
Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, Axel
Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge
Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek , Helmut Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter
Wimmer ,
Hermann
Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, Hanna
Zapf, Uta
F.D.P.
Albowitz, Ina
Dr. Babel, Gisela
Beckmann, Klaus
Dr. Blunk, Michaela Bredehorn, Günther Cronenberg ,
Dieter-Julius
Eimer , Norbert Engelhard, Hans A.
van Essen, Jörg
Dr. Feldmann, Olaf
Friedhoff, Paul K.
Friedrich, Horst
Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret
Gallus, Georg
Ganschow, Jörg
Genscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard
Grüner, Martin
Günther , Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk
Dr. Haussmann, Helmut
Heinrich, Ulrich
Dr. Hitschler, Walter Dr. Hoth, Sigrid
Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich
Kleinert , Detlef Kohn, Roland
Koppelin, Jürgen
Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger,
Sabine
Lüder, Wolfgang Lühr, Uwe
Dr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang Möllemann, Jürgen W.
Dr. Ortleb, Rainer Otto ,
Hans-Joachim Paintner, Johann Peters, Lisa
Dr. Pohl, Eva
Richter , Manfred
Rind, Hermann Dr. Röhl, Klaus
Schäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), Arno
Dr. Schmieder, Jürgen
Dr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard
Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita
Seiler-Albring, Ursula
Dr. Semper, Sigrid
Dr. Solms, Hermann Otto
Dr. von Teichman, Cornelia Dr. Thomae, Dieter
Timm, Jürgen Türk, Jürgen
Walz, Ingrid
Dr. Weng , Wolfgang
Wolfgramm , Torsten
Würfel, Uta
Zywietz, Werner
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Poppe, Gerd
Schulz , Werner
Dr. Ullmann, Wolfgang
Fraktionslos
Dr. Briefs, Ulrich Henn, Bernd
Nein
SPD
Conradi, Peter Ebert, Eike
PDS/Linke Liste
Dr. Enkelmann, Dagmar
Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Höll, Barbara Jelpke, Ulla
Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg
10882 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Vizepräsident Helmuth Becker
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Enthalten
Dr. Feige, Klaus-Dieter CDU/CSU
Köppe, Ingrid
Schenk, Christina Clemens, Joachim
Weiß, , Konrad Lummer, Heinrich
SPD
Adler, Brigitte
Dr. Hartenstein, Liesel
Fraktionslos Müller , Albrecht
Dr. Scheer, Hermann
Schily, Otto
Lowack, Ortwin Toetemeyer, Hans-Günther
Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß wir über die Nr. 8 der Beschlußempfehlung des Sonderausschusses nun nicht mehr abzustimmen brauchen, nachdem über den inhaltsgleichen interfraktionellen Entschließungsantrag soeben abgestimmt wurde. — Ich stelle fest, das ist die Auffassung des Hauses.
Bevor wir die Beratungen fortsetzen, schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführer, die in der dritten namentlichen Abstimmung abgegebenen Stimmen auszuzählen *) und sich für die vierte schon bereitzuhalten.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes Drucksachen 12/3338 und 12/3896. Das ist der Tagesordnungspunkt 1b.
Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit einer sehr großen Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich weise darauf hin, daß nach Art. 79 des Grundgesetzes zur Annahme die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages erforderlich ist.
Die Fraktion der CDU/CSU und die Fraktion der SPD verlangen namentliche Abstimmung. Die Urnen sind besetzt.
Ich eröffne die vierte namentliche Abstimmung. —
Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß wir nach dieser namentlichen Abstimmung noch über eine ganze Reihe von weiteren Vorlagen abzustimmen haben.
Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob noch ein Mitglied hier im Saal oder in der Wandelhalle ist, das die Stimmkarte nicht abgegeben hat? — Sind alle Stimmkarten abgegeben? — Nein. — Ich stelle fest,
*) Seite 10885B
daß jetzt offenbar alle Stimmkarten abgegeben sind.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, auch mit dieser Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird später bekanntgegeben. )
Die Schriftführer arbeiten schnell. Deswegen kann ich Ihnen das Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. auf der Drucksache 12/3005, Stichwort: feierliche Erklärung, bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 569; ungültige Stimmen: keine; mit Ja haben gestimmt: 547 Mitglieder des Hauses; mit Nein haben gestimmt: 16; mit Enthaltung haben gestimmt: 6.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 568; davon:
ja: 547
nein: 15
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich
Dr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter
Dr. Bauer, Wolf
Baumeister, Brigitte Bayha, Richard
Belle, Meinrad
Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate
Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter
Dr. Blüm, Norbert
Böhm , Wilfried Dr. Böhmer, Maria
Börnsen , Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler , Klaus Büttner (Schönebeck),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens , Manfred Clemens, Joachim
Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjörgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen
*) Seite 10888 C
Ehlers, Wolfgang Ehrbar, Udo
Eichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Dr. Faltlhauser, Kurt
Feilcke, Jochen Dr. Fell, Karl H.
Fischer , Dirk Fockenberg, Winfried Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert
Dr. Friedrich, Gerhard
Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim
Ganz , Johannes Geiger, Michaela
Dr. Geiger , Sissy Geis, Norbert
Gerster , Johannes Gibtner, Horst
Glos, Michael
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim Günther , Horst Harries, Klaus
Haschke ,
Gottfried
Haschke , Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser , Otto Hauser (Rednitzhembach),
Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen
Heise, Manfred
Dr. Hellwig, Renate
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hinsken, Ernst
Hintze, Peter
Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Dr. Hoffacker, Paul
Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert
Jäger, Claus
Jaffke, Susanne Jagoda, Bernhard Dr. Jahn ,
Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10883
Vizepräsident Helmuth Becker
Dr. Jobst, Dionys Dr. Jüttner, Egon
Jung , Michael Junghanns, Ulrich
Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen
Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Kiechle, Ignaz Kittelmann, Peter Klein , Günter Klein (München), Hans Klinkert, Ulrich
Dr. Köhler ,
Volkmar
Dr. Kohl, Helmut Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf
Dr. Krause , Günther
Dr. Krause ,
Rudolf Karl
Krause , Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf
Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert
Lamp, Helmut Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef
Lehne, Klaus-Heiner
Dr. Lehr, Ursula
Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha
Link , Walter Lintner, Eduard
Dr. Lippold ,
Klaus W.
Dr. Lischewski, Manfred Lohmann , Wolfgang
Louven, Julius
Dr. Luther, Michael
Maaß , Erich Männle, Ursula
Magin, Theo
Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin
Dr. Mayer , Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard
Michalk, Maria Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Molnar, Thomas
Müller , Elmar Müller (Wadern), Hans-Werner
Müller , Alfons Nelle, Engelbert
Dr. Neuling, Christian Neumann , Bernd Nitsch, Johannes
Nolte, Claudia Dr. Olderog, Rolf Ost, Friedhelm
Oswald, Eduard Otto , Norbert Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter
Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton
Dr. Pfennig, Gero
Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter
Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm
Reddemann, Gerhard Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert
Dr. Riedl , Erich Riegert, Klaus
Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode , Helmut Rönsch (Wiesbaden),
Hannelore
Romer, Franz
Rossmanith, Kurt J. Roth , Adolf Rother, Heinz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer , Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Scharrenbroich, Heribert Schartz , Günther Schemken, Heinz Scheu, Gerhard
Schmalz, Ulrich
Schmidbauer, Bernd Schmidt , Christian
Dr.-Ing. Schmidt ,
Joachim
Schmidt , Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
Dr. Schneider , Oscar
Dr. Schockenhoff, Andreas Graf von Schönburg-
Glauchau, Joachim Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer,
Reinhard
Schulz , Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan
Dr. Schwarz-Schilling,
Christian
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich Seibel, Wilfried
Seiters, Rudolf
Sikora, Jürgen
Skowron, Werner H.
Dr. Sopart, Hans-Joachim Sothmann, Bärbel
Spilker, Karl-Heinz
Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf
Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans
Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd
Stübgen, Michael
Dr. Süssmuth, Rita
Susset, Egon
Tillmann, Ferdi
Dr. Töpfer, Klaus
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Verhülsdonk, Roswitha Vogel , Friedrich Vogt (Dünen), Wolfgang
Dr. Voigt ,
Hans-Peter
Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, Theodor
Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner , Herbert Wetzel, Kersten
Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek , Bertram
Dr. Wilms, Dorothee
Wilz, Bernd
Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias Wittmann ,
Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Wolfgang
SPD
Adler, Brigitte
Andres, Gerd
Becker , Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Blunck, Lieselott
Bock, Thea
Dr. Böhme , Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni
Dr. Brecht, Eberhard
Büchler , Hans
Büchner , Peter Bulmahn, Edelgard
Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Dr. Däubler-Gmelin, Herta Dr. Diederich , Nils Diller, Karl
Dreßler, Rudolf
Duve, Freimut
Dr. Eckardt, Peter
Dr. Ehmke , Horst Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad
Esters, Helmut
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer , Lothar Fuchs (Köln), Anke
Fuchs , Katrin Fuhrmann, Arne Gansel, Norbert Dr. Gautier, Fritz Gilges, Konrad Gleicke, Iris
Graf, Günter
Großmann, Achim Haack ,
Karl Hermann Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hanewinckel, Christel
Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus
Dr. Hauchler, Ingomar Heyenn, Günther
Hiller , Reinhold Hilsberg, Stephan
Dr. Holtz, Uwe Horn, Erwin
Huonker, Gunter Jäger, Renate
Janz, Ilse
Jaunich, Horst
Jung , Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, Susanne
Kastning, Ernst Kirschner, Klaus Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, Siegrun
Klose, Hans-Ulrich
Dr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbe, Regina
Koltzsch, Rolf
Kretkowski, Volkmar Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus
Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev
Dr. Leonhard-Schmid, Elke Lohmann , Klaus
Dr. Lucyga, Christine
Maaß , Dieter Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus
Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert
Dr. Mertens , Franz-Josef
Dr. Meyer , Jürgen Mosdorf, Siegmar
Müller , Michael Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Müntefering, Franz Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niehuis, Edith
Dr. Niese, Rolf
Odendahl, Doris Oostergetelo, Jan Opel, Manfred
Ostertag, Adolf Dr. Otto, Helga Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried Peter , Horst
10884 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Vizepräsident Helmuth Becker
Dr. Pfaff, Martin
Poß, Joachim
Rappe , Hermann Reimann, Manfred
von Renesse, Margot Rennebach, Renate Reschke, Otto
Reuschenbach, Peter W. Reuter, Bernd
Rixe, Günter
Roth, Wolfgang
Schanz, Dieter
Scheffler, Siegfried Schloten, Dieter
Schluckebier, Günter Schmidbauer , Horst
Schmidt , Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen Schreiner, Ottmar Schütz, Dietmar
Schulte , Brigitte Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo
Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig
Dr. Struck, Peter
Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Tietjen, Günther
Toetemeyer, Hans-Günther Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried
Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen Voigt , Karsten D. Wagner, Hans Georg Wallow, Hans
Waltemathe, Ernst Walter , Ralf
Walther , Rudi Wartenberg (Berlin), Gerd
Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, Axel
Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek , Helmut Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter
Wimmer ,
Hermann
Dr. de With, Hans Wittich, Berthold
Wohlleben, Verena Wolf, Hanna
Zapf, Uta
F.D.P.
Albowitz, Ina
Dr. Babel, Gisela
Beckmann, Klaus Dr. Blunk, Michaela Bredehorn, Günther
Cronenberg ,
Dieter-Julius
Eimer , Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg
Dr. Feldmann, Olaf Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst
Dr. Funke-Schmitt-Rink,
Margret
Gallus, Georg Ganschow, Jörg Genscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard Grüner, Martin
Günther , Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk
Dr. Haussmann, Helmut Heinrich, Ulrich
Dr. Hitschler, Walter
Dr. Hoth, Sigrid Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich
Kleinert , Detlef Kohn, Roland
Koppelin, Jürgen
Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger,
Sabine
Lüder, Wolfgang Lühr, Uwe
Dr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang Möllemann, Jürgen W.
Dr. Ortleb, Rainer Otto ,
Hans-Joachim Paintner, Johann Peters, Lisa
Dr. Pohl, Eva
Richter , Manfred
Rind, Hermann Dr. Röhl, Klaus
Schäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), Arno
Dr. Schmieder, Jürgen
Dr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard
Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita
Seiler-Albring, Ursula
Dr. Semper, Sigrid
Dr. Solms, Hermann Otto
Dr. Starnick, Jürgen
Dr. von Teichman, Cornelia Dr. Thomae, Dieter
Timm, Jürgen Türk, Jürgen
Walz, Ingrid
Dr. Weng , Wolfgang
Wolfgramm , Torsten
Würfel, Uta
Zywietz, Werner
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Poppe, Gerd
Schulz , Werner
Dr. Ullmann, Wolfgang
Fraktionslos
Henn, Bernd
Nein
SPD
Ebert, Eike
PDS/Linke Liste
Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Fischer, Ursula
Dr. Fuchs, Ruth Dr. Höll, Barbara Jelpke, Ulla
Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, Ingrid
Der Antrag ist damit angenommen. Das war das Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung.
Zu dieser letzten Abstimmung möchte ich Ihnen noch mitteilen, daß uns von Frau Dr. Cornelia von Teichmann eine Erklärung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben worden ist.* * )
Wir haben vereinbart, daß nunmehr unser Kollege Konrad Weiß zu den Abstimmungen das Wort erhält. Die Redezeit beträgt fünf Minuten; ich erinnere daran. Bitte, Kollege Weiß.
Vielen Dank. — Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sage entschieden ja zur Gemeinschaft der Europäer. Deswegen habe ich nein zu Maastricht gesagt; denn der Vertrag von Maastricht verfestigt eine westeuropäische Gemeinschaft, die halb Europa ausschließt und an der Oder endet.
Mir und vielen Ostdeutschen geht die westeuropäische Integration zu schnell. Wir sind noch nicht richtig in Deutschland angekommen und sollen es schon wieder verlassen. Es muß verheerende Folgen haben, wenn der mühsame Prozeß der inneren Vereinigung so abrupt unterbrochen wird.
Ich kann mir kein Europa vorstellen, zu dem nicht auch Warschau und Prag, Bratislava und Budapest gehören. Meine Freunde leben dort, nicht in London, Lissabon oder Lyon. Der Vertrag von Maastricht macht meine Freunde auf Jahrzehnte zu Europäern zweiter Klasse. Ihm zuzustimmen wäre aus meiner Sicht Verrat.
Den Deutschen wird das Recht vorenthalten, über Maastricht in einer Volksabstimmung zu entscheiden. Nach meinem Verständnis aber ist es allein Sache der Bürgerinnen und Bürger, über einen so weitgehenden
* *) Anlage 5
Schenk, Christina Weiß , Konrad
Fraktionslos Lowack, Ortwin
Enthalten
CDU/CSU
Lummer, Heinrich SPD
Conradi, Peter
Müller , Albrecht Dr. Scheer, Hermann
Schilly, Otto
Fraktionslos
Dr. Briefs, Ulrich
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10885
Konrad WeiB
Verzicht auf Souveränitätsrechte und eine so tiefgreifende Veränderung ihres Gemeinwesens zu entscheiden.
Der Vertrag selbst ist antidemokratisch. Das Europäische Parlament wird nicht tatsächlich gestärkt. Den nationalen Parlamenten werden Rechte beschnitten und dann an exekutive Organe übertragen. Den Regionen wird nicht wirklich neue Verantwortung gegeben.
Maastricht ist keine Absage an den Nationalstaat, sondern es schafft eine Hypernation, die alle Gefahren und Mängel der Nationalstaatlichkeit potenziert. Der Vertrag von Maastricht, so fürchte ich, wird die Gräben zu den armen Ländern der Erde vertiefen. Europa wird endgültig zur Wohlstandsfestung werden, die gegen die Mehrheit der Menschen im Süden und Osten Mauern errichten wird. Die Baupläne für diese Mauern sind im Vertrag von Maastricht bereits skizziert. Nicht ein einziger ernsthafter Vorschlag für ein humanes Asyl- und Einwanderungsrecht wurde ausgehandelt.
Ich habe gewissenhaft geprüft, ob in der gegenwärtigen Situation angesichts von Ausländerfeindlichkeit und radikalen Ausschreitungen ein Nein zu den Maastrichter Verträgen verantwortbar ist. Viele halten diese Verträge für das einzig taugliche Bollwerk gegen den Nationalismus. Ich hingegen fürchte, Maastricht wird neue Schleusen für nationale Heilslehren und nationalen Egoismus öffnen, nicht nur in Deutschland.
Ich bin überzeugt, daß dieser schlecht verhandelte embryonale Vertrag von Maastricht der Einigung aller Europäer schweren Schaden zufügen wird. Deshalb habe ich ihn abgelehnt.
Meine Damen und Herren, bevor wir in der Beratung fortfahren, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der dritten namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. auf Drucksache 12/3906, Stichwort: Wirtschafts- und Währungsunion, bekannt. Abgegebene Stimmen: 568; ungültig: keine; mit Ja haben gestimmt: 546, mit Nein: 15; Enthaltungen: 7.
Dr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter Dr. Bauer, Wolf
Baumeister, Brigitte
Bayha, Richard
Belle, Meinrad
Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate
Dr. Blens, Heribert
Bleser, Peter
Dr. Blüm, Norbert
Böhm , Wilfried
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566; davon:
ja: 545
nein: 14
enthalten: 7
Ja
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich
Dr. Böhmer, Maria
Börnsen , Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler , Klaus Büttner (Schönebeck),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens , Manfred Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud
Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Ehrbar, Udo
Eichhorn, Maria
Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen
Dr. Fell, Karl H.
Fischer , Dirk Fockenberg, Winfried Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim
Ganz , Johannes Geiger, Michaela
Dr. Geiger , Sissy Geis, Norbert
Gerster , Johannes Gibtner, Horst
Glos, Michael
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang
Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim Günther , Horst Harries, Klaus
Haschke , Gottfried
Haschke , Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser , Otto Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen Heise, Manfred
Dr. Hellwig, Renate
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hinsken, Ernst
Hintze, Peter
Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Dr. Hoffacker, Paul
Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert
Jäger, Claus
Jaffke, Susanne
Jagoda, Bernhard Dr. Jahn , Friedrich-Adolf Janovsky, Georg
Jeltsch, Karin
Dr. Jobst, Dionys
Dr. Jüttner, Egon
Jung , Michael Junghanns, Ulrich
Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen
Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Kiechle, Ignaz Kittelmann, Peter
Klein , Günter
Klein , Hans Klinkert, Ulrich
Dr. Köhler ,
Volkmar
Dr. Kohl, Helmut Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf
Dr. Krause , Günther
Dr. Krause , Rudolf Karl
Krause , Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf
Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert
Lamp, Helmut Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-Heiner Dr. Lehr, Ursula
Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha
Link , Walter Lintner, Eduard
Dr. Lippold ,
Klaus W.
Dr. Lischewski, Manfred Lohmann , Wolfgang
Louven, Julius
Dr. Luther, Michael
Maaß , Erich Männle, Ursula
Magin, Theo
Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Dr. Mayer ,
Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup,
Reinhard
Michalk, Maria Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Molnar, Thomas
Müller , Elmar Müller (Wadern),
Hans-Werner
Müller , Alfons Nelle, Engelbert
Dr. Neuling, Christian Neumann , Bernd Nitsch, Johannes
Nolte, Claudia Dr. Olderog, Rolf Ost, Friedhelm Oswald, Eduard
10886 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Vizepräsident Helmuth Becker
Otto , Norbert Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton
Dr. Pfennig, Gero
Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter
Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm
Reddemann, Gerhard Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika
Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert
Dr. Riedl , Erich Riegert, Klaus
Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode , Helmut Rönsch (Wiesbaden), Hannelore
Romer, Franz
Rossmanith, Kurt J. Roth , Adolf Rother, Heinz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer , Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Scharrenbroich, Heribert Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Schartz , Günther Schemken, Heinz Scheu, Gerhard
Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Schmidt , Christian
Schulz , Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan
Dr. Schwarz-Schilling, Christian
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich Seibel, Wilfried
Seiters, Rudolf
Sikora, Jürgen
Skowron, Werner H.
Dr. Sopart, Hans-Joachim Sothmann, Bärbel
Spilker, Karl-Heinz
Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf
Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans
Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd
Stübgen, Michael
Dr. Süssmuth, Rita
Susset, Egon
Tillmann, Ferdi
Dr. Töpfer, Klaus
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Verhülsdonk, Roswitha Vogel , Friedrich Vogt (Duren), Wolfgang
Dr. Voigt , Hans-Peter
Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, Theodor
Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner , Herbert Wetzel, Kersten
Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek , Bertram
Dr. Wilms, Dorothee
Wilz, Bernd
Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias Wittmann ,
Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Wolfgang
SPD
Adler, Brigitte
Andres, Gerd
Becker , Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Blunck, Lieselott
Bock, Thea
Dr. Böhme , Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni
Dr. Brecht, Eberhard
Büchler , Hans
Büchner , Peter Bulmahn, Edelgard
Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Dr. Däubler-Gmelin, Herta Dr. Diederich , Nils Diller, Karl
Dreßler, Rudolf
Duve, Freimut
Dr. Eckardt, Peter
Dr. Ehmke , Horst
Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad Esters, Helmut
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer , Lothar Fuchs (Köln), Anke
Fuchs , Katrin Fuhrmann, Arne Gansel, Norbert Dr. Gautier, Fritz Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Graf, Günter
Großmann, Achim Haack ,
Karl Hermann Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hanewinckel, Christel
Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus
Dr. Hauchler, Ingomar Heyenn, Günther
Hiller , Reinhold Hilsberg, Stephan
Dr. Holtz, Uwe
Horn, Erwin
Huonker, Gunter Jäger, Renate
Janz, Ilse
Jaunich, Horst
Jung , Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, Susanne
Kastning, Ernst Kirschner, Klaus Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, Siegrun
Klose, Hans-Ulrich
Dr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbe, Regina
Koltzsch, Rolf
Kretkowski, Volkmar Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus
Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev
Dr. Leonhard-Schmid, Elke Lohmann , Klaus
Dr. Lucyga, Christine Maaß , Dieter Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus
Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert
Dr. Mertens , Franz-Josef
Dr. Meyer , Jürgen Mosdorf, Siegmar
Müller , Michael Müller (Pleisweiler), Albrecht Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Müntefering, Franz Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niehuis, Edith
Dr. Niese, Rolf
Odendahl, Doris Oostergetelo, Jan Opel, Manfred Ostertag, Adolf
Dr. Otto, Helga
Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried Peter , Horst Dr. Pfaff, Martin Poß, Joachim
Rappe , Hermann Reimann, Manfred Rennebach, Renate
Reschke, Otto
Reuschenbach, Peter W. Reuter, Bernd
Rixe, Günter
Roth, Wolfgang
Schanz, Dieter
Dr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer , Horst
Schmidt , Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen Schreiner, Ottmar Schütz, Dietmar
Schulte , Brigitte
Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig
Dr. Struck, Peter
Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Tietjen, Günther
Toetemeyer, Hans-Günther Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen
Voigt , Karsten D. Wagner, Hans Georg Wallow, Hans
Waltemathe, Ernst Walter , Ralf
Walther , Rudi Wartenberg (Berlin), Gerd
Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, Axel
Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge
Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek , Helmut Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter
Wimmer ,
Hermann
Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, Hanna
Zapf, Uta
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10887
Vizepräsident Helmuth Becker
F.D.P. Walz, Ingrid
Dr. Weng ,
Albowitz, Ina Wolfgang
Dr. Babel, Gisela Wolfgramm ,
Beckmann, Klaus Torsten
Dr. Blunk, Michaela Würfel, Uta
Bredehorn, Günther Zywietz, Werner
Cronenberg ,
Dieter-Julius
Eimer , Norbert Fraktionslos
Engelhard, Hans A.
van Essen, Jörg
Dr. Feldmann, Olaf Henn, Bernd
Friedhoff, Paul K. Lowack, Ortwin
Friedrich, Horst
Dr. Funke-Schmitt-Rink,
Margret Nein
Gallus, Georg
Ganschow, Jörg SPD
Genscher, Hans-Dietrich
Gries, Ekkehard Ebert, Eike
Grüner, Martin
Günther , Joachim
Dr. Guttmacher, Karlheinz PDS/Linke Liste
Hackel, Heinz-Dieter
Hansen, Dirk Dr. Enkelmann, Dagmar
Dr. Haussmann, Helmut Dr. Fischer, Ursula
Heinrich, Ulrich Dr. Fuchs, Ruth
Dr. Hitschler, Walter Dr. Höll, Barbara
Dr. Hoth, Sigrid Jelpke, Ulla
Dr. Hoyer, Werner Dr. Keller, Dietmar
Irmer, Ulrich Lederer, Andrea
Kleinert , Detlef Dr. Modrow, Hans
Kohn, Roland Philipp, Ingeborg
Koppelin, Jürgen
Dr. Graf Lambsdorff, Otto
Leutheusser-Schnarrenberger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sabine
Lüder, Wolfgang Köppe, Ingrid
Lühr, Uwe Schenk, Christina
Dr. Menzel, Bruno Weiß , Konrad
Mischnick, Wolfgang
Möllemann, Jürgen W.
Dr. Ortleb, Rainer Fraktionslos
Otto ,
Hans-Joachim Dr. Briefs, Ulrich
Paintner, Johann
Peters, Lisa
Dr. Pohl, Eva Enthalten
Richter ,
Manfred CDU/CSU
Rind, Hermann
Dr. Röhl, Klaus
Schäfer , Helmut Clemens, Joachim
Schmalz-Jacobsen, Cornelia Lummer, Heinrich
Schmidt , Arno
Dr. Schmieder, Jürgen SPD
Dr. Schnittler, Christoph
Schüßler, Gerhard
Dr. Schwaetzer, Irmgard Schily, Otto
Sehn, Manta
Seiler-Albring, Ursula Dr. Semper, Sigrid
Dr. Solms, Hermann Otto BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Starnick, Jürgen
Dr. von Teichman, Cornelia Dr. Feige, Klaus-Dieter
Dr. Thomae, Dieter Poppe, Gerd
Timm, Jürgen Schulz , Werner
Türk, Jürgen Dr. Ullmann, Wolfgang
Der Antrag ist damit angenommen.
Wir fahren in den Beratungen fort und stimmen jetzt über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag sowie über den
Gesetzentwurf der Fraktion der SPD über die Unterrichtung und Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union ab. Es handelt sich um die Drucksachen 12/3614, 12/3609 und 12/3896.
Der Sonderausschuß Europäische Union hat die beiden Gesetzentwürfe in der Ausschußfassung zusammengeführt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei drei Gegenstimmen und einer Stimmenthaltung ist der Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Es handelt sich um die Drucksachen 12/3540 und 12/3896. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei vier Gegenstimmen und einer Stimmenthaltung ist der Gesetzentwurf mit der großen Mehrheit des Hauses angenommen.
Wir kommen zu dem Tagesordnungspunkt 1 c: Einzelberatung und Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum. Es handelt sich um die Drucksache 12/3202. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 12/3743, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei einzelnen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen ist der Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen zu dem Tagesordnungspunkt 1 d: Einzelberatung und Abstimmung über den Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum. Es handelt sich um die Drucksachen 12/3319 und 12/3752. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei einzelnen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
10888 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Vizepräsident Helmuth Becker
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei wenigen Stimmenthaltungen ist dieser Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 1 e bis h, und zwar zu den Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zur künftigen Ausgestaltung der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften auf den Drucksachen 12/3664 bis 12/3667. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über die vier Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Wir können so verfahren. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Bei einer Gegenstimme und zwei Stimmenthaltungen sind die Beschlußempfehlungen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 1 i, und zwar zu der Beschlußempfehlung des EG-Ausschusses zur Entschließung des Europäischen Parlaments zum Vertrag über die Politische Union und die Wirtschafts- und Währungsunion auf der Drucksache 12/3792. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Bei zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 1j, und zwar zu der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zur Stellungnahme der Kommission der EG zu dem Beitrittsantrag Osterreichs auf Drucksache 12/3397. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich kann — bei einer Stimmenthaltung — die einstimmige Annahme dieser Beschlußempfehlung feststellen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 1 k, und zwar zu der Beschlußempfehlung des EG-Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Regierungserklärung zur aktuellen Entwicklung in der Europapolitik auf Drucksache 12/3849. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag abzulehnen. Wir stimmen über diese Beschlußempfehlung ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 11, und zwar zu der Beschlußempfehlung des EG-Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Erklärung der Bundesregierung zur aktuellen Entwicklung in der Europapolitik auf Drucksache 12/3850. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Antrag abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Antragsteller angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 1m, und zwar zu der Beschlußempfehlung des EG-Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Perspektiven der europäischen Integration auf Drucksache 12/3851. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Antrag abzulehnen. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung ab. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 1 n. Die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Europäischen Union und zur Ratifizierung des Vertrags von Maastricht auf Drucksache 12/3602 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Ich sehe das nicht. Es ist so beschlossen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der vierten namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Grundgesetzes, Drucksache 12/3338, bekannt. Abgegebene Stimmen: 566; ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 547 Abgeordnete gestimmt; mit Nein haben 18 Abgeordnete gestimmt; Enthaltungen: eine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 565; davon:
ja: 547
nein: 17
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich
Dr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter
Dr. Bauer, Wolf
Baumeister, Brigitte Bayha, Richard
Belle, Meinrad
Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate
Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter
Dr. Blüm, Norbert
Böhm , Wilfried Dr. Böhmer, Maria
Börnsen , Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler , Klaus Büttner (Schönebeck),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens , Manfred Clemens, Joachim
Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud
Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate
Dörflinger, Werner
Doss, Hansjürgen
Dr. Dregger, Alfred
Echternach, Jürgen
Ehlers, Wolfgang
Ehrbar, Udo
Eichhorn, Maria
Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer
Dr. Faltlhauser, Kurt
Feilcke, Jochen
Dr. Fell, Karl H.
Fischer , Dirk Fockenberg, Winfried Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim
Ganz , Johannes Geiger, Michaela
Dr. Geiger , Sissy Geis, Norbert
Gerster , Johannes Gibtner, Horst
Glos, Michael
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin
Götz, Peter
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang
Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim Günther , Horst Harries, Klaus
Haschke , Gottfried
Haschke , Udo Hasselfeldt, Gerda
Haungs, Rainer
Hauser , Otto Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen Heise, Manfred
Dr. Hellwig, Renate
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hinsken, Ernst
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10889
Vizepräsident Helmuth Becker
Hintze, Peter
Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Dr. Hoffacker, Paul
Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert
Jäger, Claus
Jaffke, Susanne
Jagoda, Bernhard Dr. Jahn ,
Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin
Dr. Jobst, Dionys Dr. Jüttner, Egon
.Jung , Michael Junghanns, Ulrich
Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen
Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Kiechle, Ignaz
Kittelmann, Peter
Klein , Günter Klein (München), Hans Klinkert, Ulrich
Dr. Köhler , Volkmar
Dr. Kohl, Helmut Kors, Eva-Maria
Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf
Dr. Krause , Günther
Dr. Krause , Rudolf Karl
Krause , Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf
Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut
Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul
Laumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-Heiner Dr. Lehr, Ursula
Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha
Link , Walter Lintner, Eduard
Dr. Lippold , Klaus W.
Dr. Lischewski, Manfred Lohmann , Wolfgang
Louven, Julius
Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael
Maaß , Erich Männle, Ursula
Magin, Theo
Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Dr. Mayer ,
Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup,
Reinhard
Michalk, Maria
Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Molnar, Thomas
Müller , Elmar Müller (Wadern),
Hans-Werner
Müller , Alfons Nelle, Engelbert
Dr. Neuling, Christian Neumann , Bernd Nitsch, Johannes
Nolte, Claudia
Dr. Olderog, Rolf Ost, Friedhelm
Oswald, Eduard Otto , Norbert Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter
Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton
Dr. Pfennig, Gero
Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter
Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter I Iarald Rawe, Wilhelm
Reddemann, Gerhard Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert
Dr. Riedl , Erich Riegert, Klaus
Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode , Helmut Rönsch (Wiesbaden),
Hannelore
Romer, Franz
Rossmanith, Kurt J. Roth , Adolf Rother, Heinz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer , Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Scharrenbroich, Heribert Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Schartz , Günther Schemken, Heinz Scheu, Gerhard
Schmalz, Ulrich
Schmidbauer, Bernd Schmidt , Christian
Dr.-Ing. Schmidt ,
Joachim
Schmidt , Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
Dr. Schneider , Oscar
Dr. Schockenhoff, Andreas Graf von Schönhurg-
Glauchau, Joachim Dr. Scholz, Rupert
Frhr. von Schorlemer, Reinhard
Schulz , Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan
Dr. Schwarz-Schilling, Christian
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich
Seibel, Wilfried
Seiters, Rudolf
Sikora, Jürgen
Skowron, Werner H.
Dr. Sopart, Hans-Joachim Sothmann, Bärbel
Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf
Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans
Dr. Frhr. von Stetten,
Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd Stübgen, Michael
Dr. Süssmuth, Rita Susset, Egon
Tillmann, Ferdi
Dr. Töpfer, Klaus
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Verhülsdonk, Roswitha Vogel , Friedrich Vogt (Düren), Wolfgang
Dr. Voigt ,
Hans-Peter
Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, Theodor
Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner , Herbert Wetzel, Kersten
Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek , Bertram
Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd
Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias Wittmann ,
Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Wolfgang
SPD
Andres, Gerd
Becker , Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Blunck, Lieselott
Bock, Thea
Dr. Böhme , Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni
Dr. Brecht, Eberhard Büchler , Hans Büchner (Speyer), Peter
Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion
Catenhusen, Wolf-Michael Dr. Däubler-Gmelin, Herta Dr. Diederich , Nils Diller, Karl
Dreßler, Rudolf
Duve, Freimut
Dr. Eckardt, Peter
Dr. Ehmke , Horst Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad Esters, Helmut
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer , Lothar Fuchs (Köln), Anke
Fuchs , Katrin Fuhrmann, Arne Gansel, Norbert
Dr. Gautier, Fritz Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Graf, Günter
Großmann, Achim Haack , Karl Hermann
I labermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hanewinckel, Christel Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus
Dr. Hauchler, Ingomar Heyenn, Günther
Hiller , Reinhold Hilsberg, Stephan
Dr. Holtz, Uwe
Horn, Erwin
Huonker, Gunter Jäger, Renate
Janz, Ilse
Jaunich, Horst
Jung , Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, Susanne
Kastning, Ernst
Kirschner, Klaus Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, Siegrun
Klose, Hans-Ulrich
Dr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbe, Regina
Koltzsch, Rolf
Kretkowski, Volkmar Kubatschka, Horst Dr. Kühler, Klaus
Dr. Küster, Uwe
Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe
Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev
Dr. Leonhard-Schmid, Elke Lohmann , Klaus
Dr. Lucyga, Christine Maaß , Dieter Mascher, Ulrike
Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus
Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert
Dr. Mertens , Franz-Josef
Dr. Meyer , Jürgen Mosdorf, Siegmar
Müller , Michael Müller (Pleisweiler), Albrecht
10890 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Vizepräsident Helmuth Becker
Müller , Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Müntefering, Franz Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niehuis, Edith
Dr. Niese, Rolf
Odendahl, Doris Oostergetelo, Jan
Opel, Manfred
Ostertag, Adolf
Dr. Otto, Helga
Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried Peter , Horst Dr. Pfaff, Martin
Poß, Joachim
Rappe , Hermann Reimann, Manfred
von Renesse, Margot Rennebach, Renate Reschke, Otto Reuschenbach, Peter W. Reuter, Bernd
Rixe, Günter
Roth, Wolfgang
Schanz, Dieter
Dr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Schily, Otto
Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer , Horst
Schmidt , Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen Schreiner, Ottmar Schütz, Dietmar
Schulte , Brigitte Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo
Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig
Dr. Struck, Peter
Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Tietjen, Günther
Toetemeyer, Hans-Günther Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen Voigt , Karsten D. Wagner, Hans Georg Wallow, Hans
Waltemathe, Ernst Walter , Ralf
Walther , Rudi Wartenberg (Berlin), Gerd Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, Axel
Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge
Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek , Helmut Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter
Wimmer , Hermann
Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, Hanna
Zapf, Uta
F.D.P.
Albowitz, Ina
Beckmann, Klaus Dr. Blunk, Michaela Bredehorn, Günther
Cronenberg , Dieter-Julius
Eimer , Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jorg
Dr. Feldmann, Olaf Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst
Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret
Gallus, Georg
Ganschow, Jörg Genscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard
Grüner, Martin
Günther , Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk
Dr. Haussmann, Helmut Heinrich, Ulrich
Dr. Hitschler, Walter Dr. Hoth, Sigrid
Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich
Kleinert , Detlef Kohn, Roland
Koppelin, Jürgen
Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine
Lüder, Wolfgang Lühr, Uwe
Dr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang Möllemann, Jürgen W.
Dr. Ortleb, Rainer Otto , Hans-Joachim Paintner, Johann Peters, Lisa
Dr. Pohl, Eva
Richter , Manfred
Rind, Hermann
Schäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), Arno
Dr. Schmieder, Jürgen
Dr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard
Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita
Seiler-Albring, Ursula
Dr. Semper, Sigrid
Dr. Solms, Hermann Otto
Dr. Starnick, Jürgen
Dr. von Teichman, Cornelia Dr. Thomae, Dieter
Timm, Jürgen
Türk, Jürgen Walz, Ingrid
Dr. Weng , Wolfgang
Wolfgramm , Torsten
Würfel, Uta
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Poppe, Gerd
Schulz , Werner
Dr. Ullmann, Wolfgang
Fraktionslos
Dr. Briefs, Ulrich Henn, Bernd
Nein SPD
Conradi, Peter Ebert, Eike
F.D.P.
Dr. Röhl, Klaus
PDS/Linke Liste
Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Fischer, Ursula
Dr. Fuchs, Ruth Dr. Höll, Barbara Jelpke, Ulla
Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, Ingrid
Schenk, Christina
Weiß , Konrad
Fraktionslos Lowack, Ortwin
Enthalten SPD
Adler, Brigitte
Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen
Wir sind damit am Ende dieser umfangreichen Beratungen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Verbrauchsteuer-und anderen Gesetzen an das Gemeinschaftsrecht sowie zur Änderung anderer Gesetze
— Drucksachen 12/3432, 12/3773 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 12/3893 —
Berichterstattung: Abgeordnete Dankward Buwitt
Detlev von Larcher Hermann Rind
Gerhard Schulz
Gunter Weißgerber
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/3894 —
Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Wieczorek
Adolf Roth
Dr. Wolfgang Weng
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10891
Vizepräsident Helmuth Becker
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Joachim Poß, Hans Gottfried Bernrath, Dr. Ulrich Böhme , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Wirksame Investitionszulage für die neuen Bundesländer
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren
— Drucksachen 12/3531, 12/3747, Nr. 2.2, 12/3893 —
Berichterstattung: Abgeordnete Dankward Buwitt
Detlev von Larcher
Hermann Rind
Gerhard Schulz
Gunter Weißgerber
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem unserem Kollegen Dankward Buwitt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für alle Verfechter Europas in Deutschland ist heute mit Sicherheit ein großer Tag. Aber über die heftigen Beratungen und Debatten über die Ratifikation des Vertrags von Maastricht ist der Beginn des vollendeten Binnenmarkts schon im nächsten Monat in den Hintergrund geraten. Bei aller verständlicher Konzentration auf Maastricht darf die Aufgabe, den gemeinsamen Markt mit Leben zu erfüllen, nicht zu kurz kommen.
Ab 1993 werden wir eine Gemeinschaft ohne Grenzpfosten haben, in der jeder der 340 Millionen Einwohner Freizügigkeit und das Recht auf freie Wohnortwahl hat. Parallel zum Binnenmarkt wird ab Januar nächsten Jahres der Europäische Wirtschaftsraum zwischen der EG und den EFTA-Ländern verwirklicht werden. Der EWR wird mit 380 Millionen Einwohnern und einem Sozialprodukt von mehr als 7 Billionen US-Dollar der stärkste Wirtschaftsraum der Welt sein. Die gemeinsame Wirtschaftskraft wird selbst die der NAFTA, der Nordamerikanischen Freihandelszone, übertreffen.
Ab 1. Januar werden an den Binnengrenzen der EG keine Zölle mehr erhoben. Ab 1993 werden im inner-gemeinschaftlichen Warenverkehr die Kontrollen und Abfertigungen an den Binnengrenzen durch innerstaatliche — ich sage — aufwendige Mitteilungs- und Kontrollverfahren ersetzt.
Um jedoch Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und den Binnenmarkt somit überhaupt erst möglich zu machen, muß eine Annäherung der Steuerstrukturen und vor allem der Steuersätze erfolgen. Anfang dieses Jahres haben wir dies im Bereich der Mehrwertsteuer bereits geregelt.
Mit der Verabschiedung des uns vorliegenden Entwurfs des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes setzen wir die EG-Richtlinie, die die Harmonisierung der Verbrauchsteuern regelt, in unser nationales Recht um. Entgegen unserer Vorstellung gilt bei den Verbrauchsteuern in Zukunft das Bestimmungslandprinzip. Das heißt, daß die spezielle Steuer in dem Land zu entrichten ist, in dem das Produkt verbraucht wird. Dies ist nicht das endgültige Ziel; es ist kein Binnenmarkt, wie wir ihn kennen und für Europa wollen.
Mit dem Festhalten an den Steuersätzen des Bestimmungslandes ist keine wirkliche Beseitigung der steuerlichen Hindernisse im Binnenmarkt erfolgt. Die Logik des gemeinsamen Marktes hätte es erfordert, die Waren nach dem Ursprungslandprinzip zu besteuern, sie also wie einheimische Waren zu behandeln.
Das jetzt vereinbarte Verfahren ist ein Kompromiß. Auf EG-Ebene muß weiter daran gearbeitet werden, damit wir zu einem Binnenmarkt kommen, den wir wirklich als vollendet bezeichnen können.
Trotzdem denke ich, daß wir einen Weg gefunden haben, der uns unserem endgültigen Ziel ein großes Stück näherbringt.
Die spezielle Verbrauchsbesteuerung beschränkt sich in der EG in Zukunft auf Bier, andere alkoholische Getränke, Mineralöl und Tabakwaren. Als rein nationale, aber nicht harmonisierte Steuer bleibt uns die Kaffeesteuer erhalten. Die Steuern auf Schmierstoffe, Zigarettenpapier, Kau- und Schnupftabak werden ebenso abgeschafft wie schon im EG-Binnenmarktge;etz die Steuern auf Zucker, Tee, Salz und Leuchtmit:el. Im privaten innergemeinschaftlichen Reisever-ehr sowie im Versandhandel wird das Ursprungsandprinzip eingeführt, während, wie ich schon sagte, m gewerblichen Handel mit verbrauchsteuerpflichtijen Waren das Bestimmungslandprinzip beibehalten wird. Der Ausschuß empfiehlt, auf die wie im .ursprünglichen Entwurf vorgesehene generelle Sicherheitsleistung von seiten der abgebenden Firmen zu verzichten und diese nur dann zu erheben, wenn iie steuerlichen Belange gefährdet erscheinen.
Kommt man nun von den allgemeinen zu den speziellen Regelungen, ist es wichtig, zu erwähnen, laß der Weinhandel zwar grundsätzlich in das steueriche Überwachungssystem eingebunden wird, die Bundesrepublik aber darauf verzichtet hat, eine Weinsteuer zu erheben.
Wein wird bei uns also mit dem Mindeststeuersatz \\lull besteuert. Der Finanzausschuß schlägt hierzu edoch einstimmig vor, das im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene Konzept für die steuerliche Überwachung von Wein auf das unbedingt notwenlige Maß zurückzuführen.
10892 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Dankward Buwitt
Die Steueraufsicht soll sich dann nur noch auf den Weinhandel mit Abnehmern aus den anderen Mitgliedsländern erstrecken. Diejenigen, die nur innerhalb Deutschlands handeln, werden nicht erfaßt.
Bei den Beratungen der Änderung des Gesetzes über die Besteuerung von Schaumwein- und Zwischenerzeugnissen ist der Finanzausschuß darin übereingekommen, daß die Zahlungsfrist bei der Schaumweinsteuer gegenüber dem Gesetzentwurf um einen Monat verlängert werden soll.
Diese Änderung stellt sicher, daß die Steuern in aller Regel nicht vor dem Zahlungseingang beim Steuerschuldner abzuführen sind. Gerade beim Schaumwein, wo der Steueranteil einen beträchtlichen Anteil des Verkaufspreises ausmacht, schien uns diese Verlängerung angebracht.
Die Regelungen in bezug auf die Besteuerung der Feinschnittrollen, der sogenannten Steckzigaretten oder „Rolls" hat uns einiges Kopfzerbrechen bereitet und viel Zeit gekostet.
Es muß ein Kompromiß zwischen den arbeitsmarkt-, den wettbewerbs- und den haushaltspolitischen Erfordernissen gefunden werden. Anstelle der ursprünglich vorgesehenen Gleichbehandlung der Steckzigarette mit der gewöhnlichen Zigarette schon ab 1. Januar 1994 hat der Ausschuß mit großer Mehrheit beschlossen, ab 1. Februar 1993 einen bis Ende 1995 befristeten Zwischensteuersatz einzuführen. Die gleiche Anzahl an Steckzigaretten wird steuerlich deutlich günstiger angeboten, bei einer automatenüblichen Packung Fabrikzigaretten 70 Pfennig billiger.
— Dort ist nämlich der entsprechende Wahlkreis.
Es sind noch einige andere Änderungen bei diesem Gesetz beabsichtigt. Die kurze Redezeit ermöglicht es mir nicht, darauf einzugehen. Mein Kollege Schulz wird noch zu einem wesentlichen Punkt reden, nämlich der Investitionszulage.
Recht herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, bevor sich die Zahl der Zuhörer im Saal weiter verringert, wollte ich noch auf etwas Bemerkenswertes hinweisen. Unter den vier namentlichen Abstimmungen war keine, bei der es nicht wenigstens 82,3 % Zustimmung gab.
— 82,3 %.
Als nächstem erteile ich unserem Kollegen Gunter Weißgerber das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu dem hier behandelten Gesetzentwurf etwas sage, ein Wort zu der vorigen Abstimmung. Ich gehöre zu den Ostdeutschen, die im Herbst 1989 nicht nur für Deutschland, sondern vor allem für Europa auf die Straße gegangen sind.
Bei allen Problemen, die wir miteinander in diesem Haus sehen, möchte ich doch sagen: Dieser Schritt war ganz wichtig. Ich war immer neidisch, daß sich diese Entwicklung im Westen schon vollzogen hatte und wir davor standen.
Zum Thema: Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes soll die Harmonisierung der Verbrauchsteuern in der EG in nationales Recht umgesetzt werden. Vielfach wird behauptet, daß damit die letzten Hürden zur Verwirklichung des Binnenmarkts genommen sind.
Dies ist eine optische Täuschung. Ich erwähnte die Mängel, die wir da noch sehen. Immerhin werden Reisende auch nach dem 1. Januar 1993 Kontrollen über sich ergehen lassen müssen.
Die hehren Grundsätze und politischen Absichtserklärungen zur Verwirklichung des Binnenmarktes werden in den nächsten Monaten ihre Nagelprobe zu bestehen haben.
Was die einzelnen im Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz enthaltenen Maßnahmen betrifft, möchte ich nur einen einzigen Punkt ansprechen: die künftige Besteuerung von Steckzigaretten — obwohl ich eigentlich gar nicht dafür bin; ich sage lieber: Macht Aschenbecher zu Blumentöpfen! —. Ich glaube, wir haben hier einen tragbaren Kompromiß gefunden, indem für die Steckzigaretten bis Ende 1995 ein Zwischensteuersatz eingeführt wird.
Zur Investitionszulage. Erfreulich sind die Wege zur besseren Einsicht. Wir redeten uns bereits bei der Diskussion zum Steueränderungsgesetz 1991 die Lippen fusselig. Bereits im Mai 1991 forderte die SPD eine höhere Investitionszulage, damals 25 %.
Vernachlässigen wir die Differenz von 5 % zwischen der damals geforderten und heute erreichten Höhe, so kann ich den geistigen Vorsprung der SPD gegenüber der Koalition mit rund 18 Monaten beziffern. Da wir
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10893
Gunter Weißgerber
ohne den Aufstand der Ost-Abgeordneten in der CDU heute den großen Fortschritt in der Sache nicht beschließen könnten, möchte ich der Koalition zur späten Einsicht trotzdem gratulieren.
Den Opfern der langatmigen Förderpolitik, den Investitionswilligen im Osten, mein Beileid und meinen Trost. Es hätte noch länger dauern können. Scherz beiseite,
anzuerkennen ist der tatsächlich als Durchbruch zu bezeichnende Fortschritt, die Zulage für Ostdeutschland auf 20 % zu erhöhen und ein Fördervolumen von 1 Million DM zu bewilligen. Das läßt uns die Möglichkeit der Zustimmung zum Gesetz, obwohl es uns schon schmerzt, unsere weitergehenden Forderungen nicht durchgesetzt zu sehen.
Zur Erinnerung: Wir beantragen unter anderem die Aufnahme der zu betrieblichen Zwecken genutzten Gebäuden in die Zulage, ein Kumulationsverbot von Zulage und Sonder-AfA sowie den Ausschluß von Versicherungsvertretern, Notaren und Rechtsanwälten aus der Vergünstigung.
Gerade die Privilegierung von Notaren und Rechtsanwälten bei Diskriminierung der Tante-Emma-Läden ist nicht einsichtig.
Warum bemüht sich die Koalition um diese zusätzliche Förderung der genannten Berufe? Immerhin gab man sich schon in der verfehlten Eigentumspolitik alle Mühe, diesen Berufsständen die Konjunktur für die nächsten 30 Jahre zu sichern.
Die einen werden in Wohltaten ertränkt, die anderen — siehe Tante-Emma-Läden — dürfen sich in Luft auflösen. Abgesehen vom arbeitsmarktpolitischen Effekt geht es hier um den Verlust von Identität und um kulturelle Brache.
— Man kann ja lachen, aber muß bedenken: Der Tante-Emma-Laden war auf dem Dorf immer ein kulturelles Zentrum. Das ist jetzt gefährdet. Dies darf man nicht vergessen.
Schließlich stand auch ein Versorgungsnotstand zur Debatte.
Welcher Geschäftsinhaber soll denn bei Gewerberaummieten wie im Westen, bei Investitionskosten wie im Westen — und dies alles in Anbetracht von Einnahmen wie im Osten — Lust auf Investitionen verspüren? Eventuelle Kapitaldienste machen hier sicher keinen finanziellen Mut.
Was die abgelehnte Aufnahme von Gebäuden in die Zulage angeht, prophezeie ich wie schon im Ausschuß in wenigen Monaten dicke Köpfe zu diesem Problem. Dann wird man wohl oder übel zustimmen, aber leider wieder viel zu spät.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Bundesregierung aufzufordern, dieses heute verabschiedete Gesetz in Brüssel durchzusetzen, damit wir keine weitere Luftblase produziert haben.
Das Ansehen der Politik und das Vertrauen in die europäische Einigung stehen auf dem Spiel.
Ich komme zu einem weiteren Mangel. Befremdlich — nicht nur bei diesem Gesetz — ist für mich der Umstand, daß eine europäische Kommission aus nicht demokratisch gewählten Bürgern ein Gesetz, das durch demokratisch gewählte Abgeordnete verabschiedet wurde, so einfach zensieren kann. Das sehe ich als problematisch an. Trotzdem habe ich vorhin zugestimmt.
Ein letztes Wort zu den Kosten: Es wird teuer, sehr teuer; doch viel, viel teurer wird mit Sicherheit ein Abrutschen des Staates in Chaos oder Diktatur. Bei einem Schiefgehen des Aufschwungs in Ostdeutschland kann uns dies alles passieren. Rattenfänger mit einfachen Antworten stehen jedenfalls zur Genüge bereit. Verhindern wir durch Klugheit deren Erstarken!
Der nächste Redner ist unser Kollege Hermann Rind.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Verabschiedung des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes gibt Gelegenheit, noch einmal festzustellen, daß wir bereits mit dem Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz drei Verbrauchsteuern abgeschafft haben, nämlich die Leuchtmittel-, die Salz- und die Zuckersteuer. Wohltaten kann man nicht oft genug erwähnen.
Ich glaube, wir sollten dies bei der Verabschiedung des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes in Erinnerung rufen. Regelungsbedarf im Hinblick auf die Harmonisierung für den Binnenmarkt 1993 bestand daher nur noch für die Verbrauchsteuer auf Mineralöl, Tabak und alkoholhaltige Getränke.
Hinzuweisen ist darauf, daß deutsche Bürger ab 1. Januar 1993 für ihren privaten Bedarf Güter aus den anderen Ländern der Gemeinschaft einführen dürfen, ohne vom deutschen Zoll behelligt zu werden und ohne deutsche Verbrauchsteuern entrichten zu müssen; denn für den privaten Verbrauch gilt ab 1. Januar 1993 in der EG das Herkunftslandprinzip.
Anders sieht es beim Erwerb für unsere deutschen Unternehmen aus. Hier wird bei der Besteuerung von Mineralöl, Tabak, Alkohol und alkoholhaltigen Getränken das Bestimmungslandprinzip, also bei Einfuhren die Besteuerung mit deutschen Verbrauchsteuern, auf Dauer beibehalten.
10894 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Hermann Rind
Im Gesetzgebungsverfahren haben wir uns bemüht, den Eintritt in den Binnenmarkt für die deutsche Wirtschaft erträglich zu gestalten und Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft zu vermeiden. Dies gilt z. B. für Übergangsregelungen für die mittelständische Mineralölwirtschaft ebenso wie für die Zigarrenindustrie und für die schon ausführlich dargestellte Übergangsregelung bei den Steckzigaretten. Ich gelobe Ihnen: Für das nächste halbe Jahr habe ich heute zum letzten Mal das Wort Steckzigaretten erwähnt. Ich kann es nicht mehr hören.
Gleichzeitig haben wir dieses letzte in diesem Jahr zu verabschiedende Steuergesetz benutzt, um noch einige andere Regelungen anzufügen. Zu erwähnen ist die Umsatzsteuerbefreiung von Goldmünzen und Goldbarren, um die Verlagerung dieses Geschäfts in die benachbarten anderen Länder der EG zu vermeiden, sowie die Verlängerung der erhöhten Absetzung bei Aus- und Umbauten zur Schaffung neuer Mietwohnungen nach § 7c des Einkommensteuergesetzes.
Neben den Verbrauchsteuern betrifft die wichtigste Änderung dieses Gesetzes die Investitionszulage für die neuen Bundesländer. Die Verlängerung der 8%igen Zulage für Investitionen mit Investitionsbeginn vor dem 1. Juli 1994 und mit 5 % für Investitionen nach dem 30. Juni 1994 erfordert in den Jahren 1993 bis 1996 14,1 Milliarden DM Mittel. Durch Herausnahme von Banken, Versicherungsgesellschaften, dem Handel und Teilen der Energiewirtschaft konnte gegenüber dem Regierungsentwurf mit 16,8 Milliarden DM bier eine Einsparung von 2,7 Milliarden DM erreicht werden.
Ich bin mir darüber im klaren, daß die Herausnahme bestimmter Branchen, insbesondere des Handels, für so manchen Betrieb nicht unproblematisch ist. Wir waren jedoch zu dieser Maßnahme gezwungen, um die nun ins Gesetz aufgenommene Förderung mit einer 20%igen Zulage für Investitionen von Bürgern aus den neuen Ländern im produzierenden Gewerbe und Handwerk durchführen zu können
— und Handwerk; sagte ich, Herr Kollege Faltlhauser —; denn diese Maßnahme erfordert in den Jahren 1993 bis 1996 zusätzlich 10,4 Milliarden DM an Mitteln.
Unter Berücksichtigung der Einsparungen bei der Verlängerung der 8%igen Zulage von 2,7 Milliarden DM verbleibt also ein nicht gedeckter Betrag von 7,7 Milliarden DM in den Jahren 1993 bis 1996. Dieser Betrag — das möchte ich an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen — muß nach Überzeugung der F.D.P.-Fraktion ebenso wie noch zu beschließende weitere Fördermaßnahmen für die neuen Bundesländer aus Haushaltseinsparungen finanziert werden. Steuererhöhungen für dieses Maßnahmenpaket kommen für uns nicht in Frage.
Ebenso wie bei den internen Beratungen und im Finanzausschuß möchte ich hier für meine Fraktion erklären, daß wir die Notwendigkeit der besonderen Förderung ostdeutscher Betriebe und Existenzgründer bejahen. Ihnen muß Hilfe geboten werden, das gegenüber westdeutschen Investoren fehlende Eigenkapital zu ersetzen. Uns wären dabei andere Maßnahmen, insbesondere ein Ausbau des Eigenkapitalhilfeprogramms, lieber gewesen als die erhöhte Investitionszulage.
Ich freue mich deswegen ganz besonders, daß sich die Koalitionsfraktionen im Grundsatz bereits geeinigt haben, das Eigenkapitalhilfeprogramm zu verlängern und auszubauen.
Dabei sollen insbesondere Betriebsgebäude verstärkt gefördert werden. Dies zu dem Einwand, Kollege Weißgerber — der nicht unberechtigt ist —, daß Betriebsgebäude nicht in der Förderung im Zusammenhang mit der Investitionszulage enthalten sind. Wie gesagt, hier setzen wir auf das Eigenkapitalhilfeprogramm und seinen Ausbau.
Zusammenfassend ist trotz dieser Kritik festzustellen: Das umfangreiche Gesetzeswerk ist insgesamt gelungen und findet deshalb die Zustimmung meiner Fraktion.
Vielen Dank.
Ich erteile jetzt das Wort unserer Kollegin Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich in meinem kurzen Beitrag auf die Frage der Investitionszulage konzentrieren. Die PDS/Linke Liste unterstützt das Bestreben der Bundesregierung, mit diesem Instrument gezielt klein- und mittelständische Betriebe des verarbeitenden Gewerbes zu fördern. Aber dies ist leider nur ein zögerliches Bekenntnis zu staatlicher Wirtschaftspolitik.
— Das ist notwendig. Das Ergebnis sehen wir.
Es ist eine Tatsache, daß in Deutschland derzeit eine schwierige wirtschaftliche Situation besteht. Auf der einen Seite sind in den neuen Ländern 1,1 Millionen und
— Herr Faltlhauser, fragen Sie mich gerne etwas, aber ansonsten möchte ich reden — in Gesamtdeutschland über 3 Millionen Menschen ohne Erwerbsarbeit. Die Prognosen sagen ein weiteres Ansteigen voraus. Andererseits können Banken und deutsche Produktionsunternehmen auf beachtliche, überdurchschnittlich gestiegene Gewinne verweisen. Die Banken realisierten bekanntermaßen 1991 einen Jahresüberschuß von 27 Milliarden DM, und das Geldvermögen
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10895
Dr. Barbara Höll
des deutschen Kapitals wuchs seit der Wende um ein Viertel an.
Nicht allein 40 Jahre angeblicher sozialistischer Mißwirtschaft, sondern politische Konzeptionslosigkeit, Fehlentscheidungen, bewußte Zerstörung wirtschaftlicher Produktionseinheiten
und anderes als Ergebnis der Treuhandpolitik haben zur Folge, daß sich die Menschen in den fünf neuen Bundesländern mit solider Grundausbildung und einem Fundus von Kenntnissen und Erfahrungen in zahlreichen Technologiebereichen nicht mehr durch ihre eigene Arbeit selbst eine Existenzgrundlage erarbeiten und zur Vergrößerung des Wohlstands der Gesellschaft beitragen können.
Wir sind für diese Investitionspauschale. Wir sind aber dafür, bei der Frage der Finanzierung endlich auch einmal die Gewinner der deutschen Einheit zur Kasse zu bitten.
Wir sind für einen Solidarzuschlag für die Unternehmen in den alten Ländern zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den neuen Ländern, die Rücknahme der ab 1993 wirksamen Senkung der Vermögen- und Gewerbesteuer, die den Unternehmen zusätzliche Steuergeschenke von 4,5 Milliarden DM für die nächsten Jahre beschert, und wir sind für eine Anleihezeichnungspflicht für Banken und Versicherungen.
Eine andere Frage ist, ob allein die Erhöhung der Investitionszulage die erwünschte Entwicklung in den neuen Ländern bringen kann. Wir halten es für erforderlich: erstens die stärkere Einbeziehung der Länder und Kommunen einschließlich ihrer entsprechenden Ausstattung mit Mitteln. Ein entsprechender Antrag der PDS/Linke Liste liegt vor.
Zweitens fordern wir, daß die Förderung der Investitionen mit der Anzahl der entstehenden Arbeitsplätze gekoppelt wird. Da die Bundesregierung diese Forderung bisher abgelehnt hat, möchte ich ausdrücklich auf das Jahresgutachten des Sachverständigenrates verweisen, in dem gleichfalls eine solche Möglichkeit zur Berücksichtigung der Zahl der durch die Investition entstehenden Arbeitsplätze vorgeschlagen wird. Die Bundesregierung sollte nicht immer nur die Passagen zitieren, die in ihr Konzept passen.
Drittens würden wir es begrüßen, wenn nicht jede weitere Hilfe den „Wildwuchs" des Flusses von Steuergeldern verstärken würde, sondern an ihrer Stelle ein zusammenhängendes Förderkonzept entstehen würde. Dabei wäre auch das Gießkannenprinzip zu ersetzen durch eine in sich koordinierte Förderung zum Erhalt von Industriestandorten mit allen daraus erwachsenden Möglichkeiten für den Mittelstand, den Dienstleistungssektor, die Nahrungs- und Ernährungswirtschaft, weitere Bereiche und die Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte.
Das Beispiel der Tante-Emma-Läden ist sehr schlagend; denn wie Sie wissen, sind große Einkaufszentren, die in den neuen Bundesländern aus dem Boden schießen, wirklich wahre Hammer für die Umwelt und zerstören weitere große Bereiche, produzieren Verkehr und verbessern nicht die Versorgung der Bevölkerung. In einem solchen Konzept sollten unserer Meinung nach die Regionen ein besonderes Mitspracherecht erhalten.
Wir unterstützen den vorliegenden Gesetzentwurf trotz aller Mängel.
Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur letzten Wortmeldung zu diesem Tagesordnungspunkt. Es ist unser Kollege Gerhard Schulz , der jetzt das Wort erhält.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Barbara Höll, ich glaube nicht, daß unser Finanzminister etwas gegen den „Wildwuchs" beim Zufluß von Steuern hätte. Er würde wahrscheinlich sehr dankbar sein. Wild genug kann es nicht sein.
Mit der heutigen Verabschiedung dieses Gesetzes und der darin enthaltenen Änderung des Investitionszulagengesetzes von 1991 geht ein auch von mir langgehegter Wunsch in Erfüllung. Das will ich nicht verhehlen.
Die wichtigsten Punkte dieser Änderung sind — jetzt kommt das kurze Zahlenverwirrspiel —: Für Investitionen, die ab dem 1. Januar 1993 begonnen weiden und bis zum 31. Dezember 1994 abgeschlossen werden, und für Investitionen, die ab dem 1. Januar 1993 erfolgen und bis zum 31. Dezember 1996 abgeschlossen werden, besteht ein Anspruch auf eine Zulage in Höhe von 8 %. Für Investitionen, die ab dem 1. Juli 1994 begonnen werden und bis zum 31. Dezember 1996 abgeschlossen sind, besteht ein Anspruch auf eine Investitionszulage in Höhe von 5%.
Mit Ausnahme der Investitionen, die vor dem 31. Dezember 1992 begonnen und vor dem 1. Januar 1994 abgeschlossen werden, gilt das eben Gesagte, allerdings nicht für Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen, Elektrizitätsversorgungsunternehmen, Gasversorgungsunternehmen, den Handel und das ehemalige West-Berlin.
Ich empfehle, das noch einmal nachzulesen, damit die Zahlen nicht durcheinandergebracht werden.
Die Versicherungsvertreter und Makler wurden nicht aus der 8 %igen Förderung herausgenommen, weil diese Herausnahme eine Ausgrenzung eines speziellen Bereichs der Freiberufler bedeutet hätte, während sämtliche anderen Freiberufler davon hätten partizipieren können. Das ist schlicht und einfach nicht im Sinne dieses Gesetzes.
Zur Herausnahme des Handels aus dieser Förderung ist zu sagen, daß es starke Versuche gab, es auf den großflächigen Handel oder auf große Handels-
10896 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
Gerhard Schulz
unternehmen zu beschränken. Die Abgrenzung zwischen Großen und Kleinen aber hat sich Schlichtweg als unmöglich erwiesen. Im übrigen war man im Ausschuß der Ansicht, daß es dem Handel in den neuen Ländern so schlecht gar nicht geht. Wir weisen auch auf die Nutzung des Eigenkapitalhilfeprogrammes hin.
Als drittes besteht ein Anspruch auf eine Investitionszulage in Höhe von 20 %, wenn mit der Investition zwischen dem 1. Januar 1993 und dem 30. Juni 1994 begonnen und diese bis zum 31. Dezember 1996 abgeschlossen wird, die Investition je Wirtschaftsjahr 1 Million DM nicht übersteigt, die Inanspruchnehmer am 9. November 1989 — Fall der Mauer, ein bedeutsames Datum — ihren Wohnsitz in den neuen Bundesländern hatten und die Betriebe, für die die Investition gilt, zum verarbeitenden Gewerbe oder zum Handwerk zählen.
Mit dieser Regelung ist es möglich — das muß ich ganz deutlich sagen —, zwei empfindliche Lücken bei der Förderung von Handwerk und verarbeitendem Gewerbe in Ostdeutschland zu schließen. Eine Lücke besteht darin, daß ein überwiegender Teil dieser Unternehmen die sehr großzügig gestalteten Sonderabschreibungen nicht nutzen kann, weil sie schlichtweg noch nicht die Gewinne erwirtschaften, die notwendig sind, um Sonderabschreibungen wirksam werden zu lassen. Die andere Lücke besteht darin, daß es Gründern oder Betriebsweiterführenden an Eigenkapital mangelt und sie nicht in der Lage sind, die von den Banken gewünschten Sicherheiten zu bieten. Wer aber einen Rechtsanspruch auf die Auszahlung von 20 % seiner Investition hat, hat de facto auch 20 Eigenkapital.
Da es aus Kostengründen nicht möglich war, in diese Förderung auch Betriebsgebäude einzubeziehen, wurde mehrfach — auch von mir — der Wunsch ausgesprochen, parallel zur neuen Investitionszulagenregelung eine Aufbesserung und Umgestaltung des Eigenkapitalhilfeprogrammes vorzunehmen. In der Arbeitsgruppe „Finanzen" der CDU/CSU wurden Grundzüge für die Ausgestaltung des EKH beschlossen. Im Zusammenhang mit der Abstimmung im Finanzausschuß wurde fraktionsübergreifend — völlig richtig — auf Handlungsbedarf in diesem Bereich verwiesen. Hier besteht meines Erachtens die Möglichkeit, eventuelle Mängel des Investitionszulagengesetzes noch auszubügeln.
Zum Schluß noch einige Worte zur Begrenzung der förderungsfähigen Investitionssumme. Angesichts der Tatsache, daß die hier zur Rede stehenden Unternehmen 1992 durchschnittlich 71 000 DM je Betrieb investiert haben, ist der zur Verfügung stehende Rahmen von 1 Million DM alles andere als eine Begrenzung. Im Gegenteil: Jeder, der in den Genuß dieses Gesetzes kommt, kann im Bereich seiner Möglichkeiten, wenn man so will, aus dem vollen schöpfen. Ich hoffe sehr, er tut es.
Zu den Kosten: Sie betragen für die nächsten vier Jahre rund 25 Milliarden DM. Das ist eine Menge Geld, wie schon gesagt worden ist. Wenn diese 25 Milliarden DM aber wirklich ausgegeben werden, hat das zur Folge, daß allein im Handwerk und im verarbeitenden Gewerbe, also in diesem eng umgrenzten Bereich 125 Milliarden DM investiert werden.
Das ist eine Summe, die uns das Herz höher schlagen lassen sollte und die die Sorgenfalten auf den Stirnen der Ordnungspolitiker und auf der Stirn des Finanzministers glätten sollte.
Schönen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Entwurf eines VerbrauchsteuerBinnenmarktgesetzes auf den Drucksachen 12/3432, 12/3773 und 12/3893. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Eine weitere Frage erübrigt sich. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/3893 empfiehlt der Finanzausschuß, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3531 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stirn-men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Antragsteller angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Finanzausschuß schließlich, den Richtlinienvorschlag der EG in der aktuellen Fassung zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Eine weitere Frage erübrigt sich. Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts der Enquete-Kommission „Zukunft der älter werdenden Generation"
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zukunftssicherung unserer älter werdenden Gesellschaft — Herausforderungen des demographischen Wandels"
zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Michalk, Hans-Joachim Fuchtel, Dr. Joseph-Theodor Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel, Hans A. Engelhard, Dr. Eva Pohl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10897
Vizepräsident Helmuth Becker
Einsetzung einer Enquete-Kommission
„Chancen und Zukunftsperspektiven der älter werdenden Generation"
— Drucksachen 12/2272, 12/3460, 12/3717 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Keller Arne Fuhrmann
Hans A. Engelhard
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Die Fragen nach Gegenstimmen und Stimmenthaltungen erübrigen sich. Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich bestätige Herrn Kollegen Dr. Rüttgers, daß natürlich die Verwaltung, die vielfach viel besser arbeitet, als wir glauben, die Prozentzahl ausgerechnet hat.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 9. Dezember 1992, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.