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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/126 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 126. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1: a) aa) — Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union (Drucksache 12/3334) — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung eines Volksentscheids über die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in einer Europäischen Union und die Ratifizierung des Maastrichter Vertrages über eine Europäische Union (Europa-Abstimmungsgesetz) (Drucksachen 12/3353, 12/3895) bb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht) " zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Wider den Rückfall in den Nationalismus — Für ein demokratisches Europa mit stabiler Währung zu dem Antrag der Gruppe der PDS/Linke Liste: Maastrichter Vertrag über die Europäische Union zu dem Antrag der Abgeordneten Gerd Poppe, Werner Schulz (Berlin), Dr. Wolfgang Ullmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stillstand führt zum Rückschritt — Hin zu einer demokratischen, ökologischen und sozialen Union Europa zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum Europäischen Rat von Lissabon zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zu den Folgen des in Dänemark durchgeführten Referendums über den Vertrag vom 7. Februar 1992 (Drucksachen 12/3366, 12/3322, 12/3367, 12/3129, 12/3004, 12/3895) b) — Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache 12/3338) — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Peter Kittelmann, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Dr. Franz Möller, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ulrich Irmer, Detlef Kleinert (Hannover), Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Drucksache 12/3614) — Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Unterrichtung und Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union (Drucksache 12/3609) II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 — Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (Drucksachen 12/3540, 12/3896) c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) (Drucksachen 12/3202, 12/3743) d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Abkommens vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Ausführungsgesetz) (Drucksachen 12/3319, 12/3724, 12/3752, 12/3753) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Von der Einheitlichen Europäischen Akte zu der Zeit nach Maastricht Ausreichende Mittel für unsere ehrgeizigen Ziele (Drucksachen 12/3407 Nr. 3.1, 12/3449 [Berichtigung], 12/3664) f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zu der Mitteilung der Kommission „Von der Einheitlichen Europäischen Akte zu der Zeit nach Maastricht: Ausreichende Mittel für unsere ehrgeizigen Ziele" (Drucksachen 12/3003, 12/3666) g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft in der Zeit bis 1997 (Drucksachen 12/3240 Nr. 3.4, 12/3665) h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Kommission über das System der Eigenmittel (Drucksachen 12/2774 Nr. 2.4, 12/3667) i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des EG-Ausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum Entwurf des Vertrags über die Politische Union und die Wirtschafts- und Währungsunion (Drucksachen 12/1788, 12/3792) j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Beitrittsantrag Österreich — Stellungnahme der Kommission — (Drucksachen 12/1339 Nr. 2.1, 12/3397) k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des EG-Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung zur aktuellen Entwicklung in der Europapolitik (Drucksachen 12/3311, 12/3849) 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des EG-Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Erklärung der Bundesregierung zur aktuellen Entwicklung in der Europapolitik (Drucksachen 12/3310, 12/3850) m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des EG-Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Per- spektiven der europäischen Integration (Drucksachen 12/2813, 12/3851) n) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zur Europäischen Union und zur Ratifizierung des Vertrags von Maastricht (Drucksache 12/3602) Peter Kittelmann CDU/CSU 10811 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . 10813 A Peter Kittelmann CDU/CSU 10816B Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . 10817 A Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . 10819C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10821D Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler BK , 10823D, 10851 A Günter Verheugen SPD 10831 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 10835 B Peter Conradi SPD . . . . . 10835D, 10864 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD , . , 10838A Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 10839 C Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . 10841 C Dr. Norbert Wieczorek SPD . . . . . . 10842 D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 III Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 10845 C Dr. Helmut Haussmann F D P 10847 B Hans Eichel, Ministerpräsident des Landes Hessen 10848C, 10852D Dr. Renate Hellwig CDU/CSU . . . . 10849 C Dr. Thomas Goppel, Staatsminister des Freistaates Bayern 10853 B Peter Conradi SPD 10854 A Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10856A Dieter Schloten SPD . . . . . . . . . 10856 C Karl Lamers CDU/CSU 10857 D Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . 10858C Ortwin Lowack fraktionslos . . . . . . 10859 D Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . 10861 C Dr. Fritz Gautier SPD 10862 B Ulrich Heinrich F D P 10863 C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 10864D Dr. Franz Möller CDU/CSU 10866C Dr. Hermann Scheer SPD . . . . . . . 10868A Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 10869D Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . . 10870A Ludwig Stiegler SPD 10870B Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . 10872 A Dr. Renate Hellwig CDU/CSU 10872D Jan Oostergetelo SPD 10873D Otto Schily SPD 10874 B Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 10875C Ulrike Mehl SPD 10877 B Namentliche Abstimmungen 10879A, D, 10882B Ergebnisse . 10880A, 10882C, 10885B, 10888C Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) . . 10884 D Tagesordnungspunkt 2: a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen an das Gemeinschaftsrecht sowie zur Änderung anderer Gesetze (Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz) (Drucksachen 12/3432, 12/3773, 12/3893, 12/3894) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Joachim Poß, Hans Gottfried Bernrath, Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wirksame Investitionszulage für die neuen Bundesländer zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/12/ EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Drucksachen 12/3531, 12/3747 Nr. 2.2, 12/3893) Dankwart Buwitt CDU/CSU 10891A Gunter Weißgerber SPD 10892 C Hermann Rind F.D.P. . . . . . . . . . 10893 D Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 10894 D Gerhard Schulz (Leipzig) CDU/CSU , . 10895C Tagesordnungspunkt 3: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts der Enquete-Kommission „Zukunft der älter werdenden Generation" zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zukunftssicherung unserer älter werdenden Gesellschaft — Herausforderungen des demographischen Wandels" zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Michalk, Hans-Joachim Fuchtel, Dr. Joseph-Theodor Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel, Hans A. Engelhard, Dr. Eva Pohl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Chancen und Zukunftsperspektiven der älter werdenden Generation" (Drucksachen 12/2272, 12/3460, 12/3717) . . . . . . . . . . . . . . 10896 D Nächste Sitzung 10897 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10899' A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Fritz Gautier (SPD) als Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses zum EWR-Ausführungsgesetz (Tagesordnungspunkt 1 d) . 10899' D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Eckart Kuhlwein, Friedhelm Julius Beucher, Lieselotte Blunck, Edelgard Bulmahn, Ursula Burchardt, Hans Martin Bury, Dr. Eberhard Brecht, Marion Caspers-Merk, Wolf-Michael Catenhusen, Dr. Marliese Dobberthien, Dr. Peter Eckardt, IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 Dr. Konrad Elmer, Monika Ganseforth, Michael Habermann, Reinhold Hiller (Lübeck), Susanne Kastner, Karl-Heinz Klejdzinski, Horst Kubatschka, Dr. Klaus Kübler, Detlev von Larcher, Klaus Lennartz, Ulrike Mascher, Christoph Matschie, Jutta Müller (Völklingen), Michael Müller (Düsseldorf), Renate Rennebach, Gudrun Schaich-Walch, Horst Schmidbauer (Nürnberg), Dr. Werner R. Schuster, Dietmar Schütz, Ernst Schwanhold, Antje-Marie Steen, Uta Titze, Ralf Walter (Cochem), Dr. Margrit Wetzel, Barbara Weiler, Reinhard Weis (Stendal), Uta Zapf, Siegmar Mosdorf (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) 10899* D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Günther Heyenn, Ottmar Schreiner, Ulrike Mascher, Renate Jäger, Adolf Ostertag, Renate Rennebach, Barbara Weiler, Ursula Burchardt, Hildegard Wester, Hans-Eberhard Urbaniak, Antje-Marie Steen (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) 10900 A Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) Dr. Cornelia von Teichman SPD 10901' A Joachim Clemens CDU/CSU 10901' C Dr. Ruprecht Vondran CDU/CSU . . . 10902* A Dr. Uwe Jens SPD 10902* C Dr. Liesel Hartenstein SPD 10903' B Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . 10904' B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 10904* D Wolfgang Schulhoff CDU/CSU 10905' B Dr. Peter Paziorek CDU/CSU 10907' A Albrecht Müller (Pleisweiler) SPD . . . 10907' C Renate Schmidt (Nürnberg) SPD . . . 10908* C Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 10908' D Anlage 6 Amtliche Mitteilungen 10909* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10809 126. Sitzung Bonn, den 2. Dezember 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bi einschließlich Antretter, Robert SPD 02. 12. 92 * Barbe, Angelika SPD 02. 12. 92 Bartsch, Holger SPD 02. 12. 92 Baum, Gerhart Rudolf F.D.P. 02. 12. 92 Bayha, Richard CDU/CSU 02. 12. 92 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 02. 12. 92 Wilfried Dr. von Bülow, Andreas SPD 02. 12. 92 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 02. 12. 92 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 02. 12. 92 Peter Harry Daubertshäuser, Klaus SPD 02. 12. 92 Dr. Dobberthien, SPD 02. 12. 92 Marliese Erler, Gernot SPD 02. 12. 92 Eylmann, Horst CDU/CSU 02. 12. 92 Falk, Ilse CDU/CSU 02. 12. 92 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 02. 12. 92 ' Formanski, Norbert SPD 02. 12. 92 Funke, Rainer F.D.P. 02. 12. 92 Gattermann, Hans H. F.D.P. 02. 12. 92 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 02. 12. 92 Dr. Glotz, Peter SPD 02. 12. 92 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 02. 12. 92 Grünbeck, Josef F.D.P. 02. 12. 92 Dr. Grünewald, Joachim CDU/CSU 02. 12. 92 Dr. Gysi, Gregor PDS/LL 13. 11. 92 Hämmerle, Gerlinde SPD 02. 12. 92 Hampel, Manfred Eugen SPD 02. 12. 92 Hollerith, Josef CDU/CSU 02. 12. 92 Homburger, Birgit F.D.P. 02. 12. 92 Dr. Janzen, Ulrich SPD 02. 12. 92 Köhler (Hainspitz), CDU/CSU 02. 12. 92 Hans-Ulrich Dr. Kolb, Heinrich F.D.P. 02. 12. 92 Leonhard Kolbe, Manfred CDU/CSU 02. 12. 92 Koschnick, Hans SPD 02. 12. 92 Kuessner, Hinrich SPD 02. 12. 92 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 02. 12. 92 Karl-Hans Leidinger, Robert SPD 02. 12. 92 Lenzer, Christian CDU/CSU 02. 12. 92 Marten, Günter CDU/CSU 02. 12. 92 * Marx, Dorle SPD 02. 12. 92 Dr. Matterne, Dietmar SPD 02. 12. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 02. 12. 92 * Müller (Zittau), Christian SPD 02. 12. 92 Nolting, F.D.P. 02. 12. 92 Günther-Friedrich Oesinghaus, Günther SPD 02. 12. 92 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 02. 12. 92 Pfuhl, Albert SPD 02. 12. 92 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Purps, Rudolf SPD 02. 12. 92 Rempe, Walter SPD 02. 12. 92 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 02. 12. 92 Ingrid von Schmude, Michael CDU/CSU 02. 12. 92 * Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 02. 12. 92 Dr. Schumann PDS/LL 02. 12. 92 (Kroppenstedt), Fritz Schuster, Hans Paul F.D.P. 02. 12. 92 Hermann Dr. Seifert, Ilja PDS/LL 02. 12. 92 Dr. Soell, Hartmut SPD 02. 12. 92 ' Dr. Sonntag-Wolgast, SPD 02. 12. 92 Comelie Steiner, Heinz-Alfred SPD 02. 12. 92 * Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 02. 12. 92 Vosen, Josef SPD 02. 12. 92 Wieczorek (Duisburg), SPD 02. 12. 92 Helmut Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 02. 12. 92 Zierer, Benno CDU/CSU 02. 12. 92 * Dr. Zöpel, Christoph SPD 02. 12. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Fritz Gautier (SPD) als Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses zum EWR-Ausführungsgesetz (Tagesordnungspunkt 1 d) *) Als Berichterstatter des federführenden Wirtschaftsausschusses zum EWR-Ausführungsgesetz bitte ich für den Ausschuß die Bundesregierung, so bald wie möglich dem Bundestag einen Bericht zu erstatten, ob die Vorschriften des Art. 76 EWRAusführungsgesetzes praktikabel sind oder ob es nicht sinnvoller wäre, anstelle des gespaltenen Marktes für Einzelfuttermittel zu einheitlichen Vorschriften für alle Verwendungsbereiche zu kommen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Eckart Kuhlwein, Friedhelm Julius Beùcher, Lieselotte Blunck, Edelgard Bulmahn, Ursula Burchardt, Hans Martin Bury, Dr. Eberhard Brecht, Marion Caspers-Merk, Wolf-Michael Catenhusen, Dr. Marliese Dobberthien, Dr. Peter Eckardt, Dr. Konrad Elmer, Monika Ganseforth, *) Vgl. Seite 10863C 10900* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 Michael Habermann, Reinhold Hiller (Lübeck), Susanne Kastner, Karl-Heinz Klejdzinski, Horst Kubatschka, Dr. Klaus Kübler, Detlev von Larcher, Klaus Lennartz, Ulrike Mascher, Christoph Matschie, Jutta Müller (Völklingen), Michael Müller (Düsseldorf), Renate Rennebach, Gudrun Schaich-Walch, Horst Schmidbauer (Nürnberg), Dr. R. Werner Schuster, Dietmar Schütz, Ernst Schwanhold, Antje-Marie Steen, Uta Titze, Ralf Walter (Cochem), Dr. Margrit Wetzel, Barbara Weiler, Reinhard Weis (Stendal), Uta Zapf, Sigmar Mosdorf (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) Wir machen uns die Rede der Abgeordneten Ulrike Mehl ) (SPD) als Erklärung zur Abstimmung zu eigen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Günther Heyenn, Ottmar Schreiner, Ulrike Mascher, Renate Jäger, Adolf Ostertag, Renate Rennebach, Barbara Weiler, Ursula Burchardt, Hildegard Wester, Hans-Eberhard Urbaniak, Antje-Marie Steen (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) **) Die Fraktion der SPD hat zu Beginn der Beratungen des Vertrags von Maastricht festgestellt, die Europäische Union dürfe nicht an Deutschland und werde nicht an der SPD scheitern. Diese Festlegung hat unter dem Eindruck der jüngsten Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland besondere Bedeutung gewonnen. Es darf keinen Rückfall der Politik in den Nationalismus geben und nicht denen Vorschub geleistet werden, die die notwendige Debatte um den Vertrag von Maastricht für die Verbreitung von rechtsradikalem Gedankengut mißbrauchen. Wir stimmen daher aus grundsätzlichen innen- und außenpolitischen Gründen dem Vertrag zu. Dies bedeutet allerdings nicht, daß der Vertrag von Maastricht trotz Fortschritten in vielen Bereichen alle Fragen im Zusammenhang mit der weiteren europäischen Integration zufriedenstellend regelt. Dazu gehören nach unserer Auffassung insbesondere die unzureichende Verankerung der sozialen Dimension der Gemeinschaft und die weiterhin völlig ungenügenden parlamentarischen Befugnisse des Europäischen Parlaments. Der bisherige europäische Integrationsprozeß bis hin zur Herstellung des Europäischen Binnenmarktes ist in ganz entscheidendem Maße von ökonomischen Interessen und Zielsetzungen dominiert worden. *) Vgl. Seite 10877B **) Vgl. Seite 10878D Obwohl bereits die Römischen Verträge die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet hatten, auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte hinzuwirken und dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen, blieb der Sozialpolitik in der Gemeinschaft — bei allen unbestreitbaren Einzelerfolgen — eine eigenständige, wirklich bestimmende Rolle versagt. Bezeichnenderweise enthielt das Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes keinen sozialpolitischen Teil. Auch wenn die Verabschiedung der Charta der sozialen Grundrechte 1989 durch den Rat einen ersten Schritt zur Stärkung der sozialen Dimension darstellte und als Aufforderung für ein Aktionsprogramm zur konkreten Umsetzung der in dieser Charta definierten Rechte anzusehen war, sind — sieht man von wirklich bedeutenden Fortschritten beim Gesundheitsschutz und bei der Sicherheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz ab — entscheidende Durchbrüche bis heute ausgeblieben. Das Fehlen einer eindeutigen Rechtsgrundlage für eine gemeinsame Sozialpolitik und die bislang vorhandenen Möglichkeiten einzelner Mitgliedstaaten, die Verabschiedung von Richtlinien im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts zu blockieren, machten es geradezu zwingend, im Rahmen der Maastrichter Verträge für die Verwirklichung der sozialen Dimension neue Perspektiven zu eröffnen. Leider sind die Ergebnisse von Maastricht im sozialpolitischen Bereich völlig unbefriedigend. Wie schon so oft in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft blieb die Sozialpolitik zugunsten von Kompromissen in anderen Bereichen erneut auf der Strecke. Das als Kompromiß zustandegekommene Protokoll zur Sozialpolitik wird weder den Erfordernissen gerecht, noch ist akzeptabel, daß es nur von 11 Mitgliedstaaten paraphiert wurde. Gerade für Sozialpolitiker ist zudem enttäuschend, daß der Vertrag kaum Schritte zum Abbau des demokratischen Defizits auf europäischer Ebene beinhaltet. Dies trifft um so mehr, als es in der Vergangenheit vor allem das Europäische Parlament war, das sich der Interessen der Menschen in der Gemeinschaft in besonderer Weise angenommen und Kommission und Rat immer wieder gedrängt hat, endlich zugunsten der Verbesserung der sozialen Bedingungen und der Angleichung der Lebensverhältnisse innerhalb der Gemeinschaft tätig zu werden. Daß nunmehr die weitere Übertragung nationaler parlamentarischer Befugnisse auf den Rat ohne einen adäquaten Zuwachs an europäischer parlamentarischer Kontrolle erfolgen soll, ist für uns nur schwer hinnehmbar. Unsere Zustimmung zu dem Vertrag verbinden wir daher mit der Aufforderung, in den weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene in Fragen der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der sozialen Situation der Bürger in der Gemeinschaft auf rasche und sichtbare Fortschritte zu drängen. Vor allem ist sicherzustellen, daß von einem Binnenmarkt ohne Grenzen nicht nur die Wirtschaft profitiert, sondern auch die Arbeitnehmer und die Bürger der Mitgliedstaaten einen Nutzen haben. Zugleich muß alles unternommen werden, um die mit dem Ausscheiden Großbritanniens aus der gemeinschaftlichen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10901* Sozialpolitik eingeleitete Auseinanderentwicklung in diesem Bereich alsbald zu korrigieren. Die für alle Mitgliedstaaten geltenden wettbewerblichen Wirtschaftsbedingungen müssen durch eine für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen verbindliche gemeinschaftliche Sozialpolitik flankiert werden. Es darf nicht hingenommen werden, daß einzelne Mitgliedstaaten in Zukunft soziale Mindeststandards haben werden, die unterhalb des verbindlichen Gemeinschaftsniveaus liegen. So unabdingbar für die Zukunft ein geeinigtes Europa auch ist, so unstrittig ist, daß es nur dann mit einer Akzeptanz und Identifikation der Menschen rechnen kann, wenn es außer von Gemeinsamkeiten in Wirtschafts-, Handels-, Währungs- und Finanzfragen von im alltäglichen Leben deutlich sichtbaren demokratischen und sozialen Konturen geprägt wird. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag vom 7. Februar 1992 fiber die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) *) Dr. Cornelia von Teichman (SPD): Die hier zur Abstimmung stehende Änderung des Grundgesetzes bildet die Voraussetzung für eine zeitgerechte Zustimmung des Bundesrates zum Ratifizierungsgesetz des Maastrichter Vertragswerkes. Um diese Ratifizierung nicht zu gefährden, stimme ich der Grundgesetzänderung trotz schwerer Bedenken zu. Ich möchte die Bedenken hier wie folgt festhalten: Bei dem Art. 23 GG geht es um tiefe Eingriffe in das bundesstaatliche Gefüge, die das bisher so gelungene verfassungsrechtliche Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern dauerhaft zugunsten der Länder zu verschieben drohen. Die europäische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik wird dadurch erheblich beeinträchtigt, aber die Auswirkungen reichen weit über die Europapolitik hinaus. Letztlich besteht hier die Gefahr, daß sich die Bundesrepublik vom Bundesstaat zum Staatenbund entwickelt. Als besonders fragwürdig empfinde ich den Umstand, daß der Bundestag den geplanten „Ausschuß für die europäische Union" (Art. 45 neu), „ermächtigen" (!) kann, seine Rechte gem. Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Hier entmachtet sich das Parlament selbst zugunsten eines exklusiven Klubs von Insidern — gewiß keine Maßnahme, die der ständig im Munde geführten Bürgernähe der Politik im allgemeinen und der Europapolitik im besonderen dient. Wenn ich mich in meinem Abstimmungsverhalten gleichwohl nicht von diesen Bedenken leiten lasse, so ausschließlich aus dem übergeordneten Interesse, den *) Vgl. Seite 10878D weiteren Fortgang der europäischen Einigung nicht durch eine Verzögerung oder ein Scheitern der Maastrichter Ratifizierung zu gefährden. Joachim Clemens (CDU/CSU): Bei der Abstimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf zum Vertrag vom 7. Februar über die Europäische Union werde ich mich der Stimme enthalten. Ich bin mir der Bedeutung der Einigung der europäischen Staaten bewußt. Nicht zuletzt der Zusammenhalt in der europäischen Gemeinschaft hat uns in den vergangenen Jahrzehnten Frieden und Freiheit bewahrt und Wohlstand geschaffen. Ebenso sehe ich die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit in der Gemeinschaft zu verstärken. Auf Dauer werden wir Probleme wie Zuwanderung, Kriminalitätsbekämpfung oder Umweltschutz nur gesamteuropäisch lösen können. Den Weg, der durch Teilbereiche des Maastrichter Vertrages vorgezeichnet wird, kann ich jedoch nicht unterstützen. Meine Bedenken beziehen sich vor allem auf die geplante Währungsunion. Für den Eintritt in die Endstufe der Währungsunion hat man strenge Kriterien vorgesehen. Niemand glaubt aber ernsthaft, daß diese Kriterien in auch nur annähernd der gleichen Zeit von den Mitgliedstaaten erfüllt werden können. Dennoch wird stets darauf bestanden, daß es kein Europa der zwei Geschwindigkeiten geben werde. Ich sehe daher die ernste Gefahr, daß die vorgesehenen Regelungen auf entsprechenden Druck der noch nicht integrationsfähigen Länder aufgeweicht werden. Opportunismus dieser Art haben wir auf europäischer Ebene schon mehrfach erlebt. In bezug auf die Währungspolitik wäre er fatal. Darüber hinaus kommt diese Währungsunion zu früh. Die Währungsunion trifft auf eine Europäische Gemeinschaft, deren politische Ausgestaltung noch in den Sternen steht. So gibt der Vertrag von Maastricht keine befriedigende Antwort auf die Frage: Gemeinschaftseuropa oder Europa der Staaten? Die Väter der Römischen Verträge sahen die Währungsunion stets als die Krönung der europäischen Einigung an, nicht jedoch als deren Wegbereiter. Erst wenn das Ziel definiert ist, sollte man sich auf den Weg machen. Solange wir dieses Ziel nicht eindeutig — beispielsweise in einer europäischen Verfassung — festgelegt haben, werden wir keinem Bürger wirklich verständlich machen können, warum er statt der vertrauten D-Mark künftig den ECU im Geldbeutel haben wird. Auch hat man es im Maastrichter Vertrag erneut nicht geschafft, Außen- und Sicherheitspolitik sowie wichtige Bereiche der Innen- und Rechtspolitik (z. B. die Asylgesetzgebung) unter das Dach der Gemeinschaft zu bringen. Auf den Gebieten, wo Koordinierung dringend nötig ist, werden viele Mitgliedstaaten also weiterhin ihre nationalen Egoismen pflegen. Auf der anderen Seite werden sie jedoch alle Vorteile einer durch die wirtschaftlich starken Staaten gestützten Euro-Währung genießen. Aus den genannten Gründen kann ich dem Gesetz zum Vertrag von Maastricht meine Zustimmung nicht erteilen. 10902* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 Dr. Ruprecht Vondran (CDU/CSU): Die EG-Stahl-krise darf nicht zum Menetekel für „Maastricht" werden. Ein wichtiges Ziel des Vertrages von Maastricht ist es, die gemeinsamen europäischen Entscheidungskompetenzen zu stärken. Darauf zielen viele der heute zur Abstimmung stehenden vertraglichen Vereinbarungen. Mit hinreichender Genauigkeit kann heute noch niemand voraussehen, wie sich die vertraglichen Veränderungen in der politischen Praxis auswirken werden. Allerdings gibt es einige Hinweise. Sie können leider nicht zuversichtlich stimmen. So besitzt die Europäische Kommission bereits heute weitreichende Vollmachten im Bereich einiger Industrien. Der Pariser Vertrag, durch den die Montan-Union begründet worden ist, hat einen stark ausgeprägten Integrationscharakter. Daran gemessen haben die nachfolgenden Römischen Verträge, die die Zusammenarbeit auf eine breitere Grundlage gestellt haben, deutlich weniger an europäischer Substanz. So gesehen lebt die Stahlindustrie schon seit 40 Jahren in der „NachMaastricht-Zeit" . Die in der Montan-Union gesammelten Erfahrungen könnten einen Hinweis geben, in welche Richtung die Entwicklung laufen wird. Trotz weitreichender Kompetenzen hat es die Europäische Kommission bisher nicht vermocht, für die ihr im Rahmen der Montanunion in besonderem Maße bereits anvertrauten wirtschaftlichen Sektoren eine in sich schlüssige Politik zu entwickeln. Dazu lediglich zwei Beispiele: In den letzten Jahren hat die Europäische Kommission die Zahlung von 120 Milliarden DM an Subventionen, mit denen nationale Regierungen in den Markt interveniert haben, genehmigt oder stillschweigend toleriert. Sie hat es dabei hingenommen, daß der Wettbewerb grob verzerrt worden ist. Der Marktmechanismus ist dadurch fast völlig außer Funktion gesetzt worden. Dies hat in so schwere Krisen geführt, wie sie im Augenblick die europäische Stahlindustrie erschüttern. Trotz aller Vollmachten hat die Europäische Kommission nicht die Kraft gehabt gegenzusteuern, als dies möglich und notwendig war. Für politische Entscheidungen auf nationaler Ebene ist andererseits kaum noch Raum, weil die Kompetenzen bereits seit langem nach Brüssel abgegeben worden sind. In der europäischen Stahlindustrie herrschen nahezu chaotische Verhältnisse. Das kostet die betroffenen Unternehmen viel an Substanz. Zehntausende Arbeitsplätze werden verlorengehen. Wir müssen alles daransetzen, daß die europäische Stahlkrise nicht zu einem Menetekel für „Maastricht" wird. Eines erscheint sicher: Durch Zuweisung zusätzlicher Kompetenzen an Brüssel wächst das Risiko, daß die Politik an Handlungsfähigkeit verliert. Darüber hinaus wiegt der Mangel an demokratischer Legitimation noch schwerer als zuvor. Andererseits stellt „Maastricht" natürlich auch eine Chance dar, den europäischen Gedanken weiter zu entwickeln. Der Name dieser Stadt ist mittlerweile zu einem Synonym für europäischen Fortschritt geworden. An dieser politischen Tatsache kann niemand vorbeigehen. Eine Stimme gegen Maastricht könnte als eine Stimme gegen Europa mißverstanden werden. Einem solchen Mißverständnis möchte auch ich keinen Vorschub leisten. Trotz erheblicher Bedenken habe ich deshalb meine Stimme für eine Ratifizierung des Vertrages gegeben. Dr. Uwe Jens (SPD): Die ständig stärker gewordene Kritik am Maastrichter Vertrag hat zweifellos Verbesserungen zur Folge gehabt. Erwähnen will ich nur den von Sozialdemokraten durchgesetzten Parlamentsvorbehalt. Danach wird es für den Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion eine erneute Bewertung und Entscheidung des Bundestages geben. Geprüft wird, ob die in Maastricht festgelegten Kriterien für eine stabile europäische Währung wirklich eingehalten werden können. Klargestellt wurde auch, daß die Bundesregierung vor ihrer Zustimmung zum Übergang in die dritte Stufe der Währungsunion eines zustimmenden Votums von Bundestag und Bundesrat bedarf. Dennoch sind meine ökonomischen Bedenken gegen die zur Zeit praktizierte EG-Politik und einige Vertragsbestimmungen so groß, daß ich dem Vertragsentwurf nicht zustimmen kann. Meine Kritik richtet sich nicht gegen das Ziel einer Europäischen Union, meine Kritik richtet sich ausschließlich gegen den Vertrag, der schlecht ausgehandelt wurde und der die Weichen für ein Europa der Zukunft falsch stellt. Der Maastrichter Vertrag dient in erster Linie der Einbindung der D-Mark und der Deutschen Bundesbank, vor allem auf Wunsch der Franzosen. Wenn die im Vertrag vorgesehenen Kriterien für die Europäische Währungsunion eingehalten und verwirklicht werden, wird die neue europäische Währung — aus meiner Sicht — nicht weniger stabil sein als die D-Mark. Dies führt jedoch zwingend zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten, bei dem nach jetziger Datenlage selbst Belgien und Italien nicht mehr zum Kern-Europa mit einheitlicher Währung gehören. Ich glaube im übrigen nicht, daß es sinnvoll ist, die monetaristische und zum Teil fehlerhafte Geldpolitik der Deutschen Bundesbank auf ein Kern-Europa zu übertragen. Dies kann jedenfalls keine sozialdemokratische Politik sein. Eine einheitliche Geldpolitik in einem Kern-Europa und eine nach dem Vertragstext abgestimmte Finanzpolitik erdrücken im übrigen die Lohnpolitik. Die Lohnpolitik wird auf diese Weise zum wichtigsten abhängig-variablen Politikbereich in der Volkswirtschaft. Dieses politische Korsett ist jedoch zu eng; es kann auf Dauer nicht halten; Verwerfungen sind zwangsläufig vorprogrammiert. Daß auf europäischer Ebene durch die Kommission in Zukunft Industriepolitik betrieben werden soll, ist völlig unakzeptabel. Mit einer europäischen Politik für bestimmte Wirtschaftszweige bzw. -bereiche hat die EG-Kommission bisher keinen Erfolg gehabt. Die Verkehrspolitik ist insbesondere deshalb nicht kritisierbar, weil sie weitgehend nicht stattgefunden hat. Die Agrarpolitik ist dagegen seit Jahren ein einziges Desaster, und dennoch kann die Kommission nur sehr zögerlich Korrekturen vornehmen. Wann wird die EG wohl begreifen, daß die Bundesrepublik mit ihren wettbwerbs- und industriepolitischen Grundsätzen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10903* bisher gut gefahren ist? Es ergibt wirklich keinen Sinn, merkantilistische Vorstellungen auf europäischer Ebene zum Tragen zu bringen. Der einzig richtig Weg wäre deshalb, die entsprechenden Bestimmungen über die Industriepolitik im Maastrichter Vertrag ersatzlos zu streichen. Das Vertragswerk von Maastricht stärkt im übrigen einseitig die europäische Exekutive, und dieser Weg muß bald beendet werden. Es mangelt an dem Ausbau demokratischer Mitgestaltungsrechte durch das Europäische Parlament; es mangelt an einer klaren Regelung über die Verantwortlichkeiten auf den verschiedenen politischen Ebenen; einer Verankerung des Subsidiaritätsprinzips. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß es für mich unerträglich ist, daß die GATT-Verhandlungen wegen kleinlichem Egoismus der Europäer nicht abgeschlossen werden konnten. Hieran, an dem Streit über Bananen-Importkontingente, an der lächerlichen protektionistischen Politik für einige Automobilhersteller, wird u. a. exemplarisch deutlich, wohin dieses Europa abdriften kann. Ich will kein französisches Europa und auch keine Festung Europa. Das Europa der Zukunft muß eine offene Völkergemeinschaft sein, die ihren Pflichten in der Welt nachkommt. Es wäre sicherlich gut, wenn Deutschland in ein Europa eingebunden wird, um einem aufkommenden Nationalismus die Schlagkraft zu nehmen. Eine Beseitigung eines möglichen deutschen Nationalismus durch einen europäischen Nationalismus, durch einen neuen Nationalismus auf vergrößertem europäischem Raum, ergibt jedoch auch keine zukunftsträchtige Perspektive. Zu einem neuen Europa gehört zwingend auch Osteuropa. Bevor wir die Vertiefung durch Maastricht betreiben, meine ich, muß es bindende Absprachen über die Erweiterung geben, und zwar nicht nur durch die ehemaligen EFTA-Länder, sondern insbesondere auch durch Polen, der zerfallenden CSFR und Ungarn. Dr. Liesel Hartenstein (SPD): „Europa kann nur entstehen, wenn es nicht nur in Verträgen, sondern auch in den Herzen seiner Bürger verankert ist." Diesem Satz — er stammt von Herrn Bundesaußenminister Dr. Kinkel — kann in diesem Hause sicherlich jeder zustimmen. Genauso ist es. Aber weil dies so ist, müssen Parlament und Regierung sich fragen, woher es denn kommt, daß in der Bevölkerung eine zunehmende Verunsicherung um sich greift, daß die Vorstellung „Europäische Union" häufig mehr Ängste und Sorgen als Hoffnungen auslöst, und das nicht nur wegen der weitverbreiteten Furcht um den Verlust der D-Mark. Wir haben es zugelassen, daß viele Menschen den Eindruck haben, „die da oben", d. h. Parlament und Regierung, handelten über ihre Köpfe hinweg. Das ist nicht gut. Für die übergroße Mehrheit unserer Bürger ist das Vertragswerk von Maastricht ein Buch mit sieben Siegeln. Bei der ersten Lesung am 8. Oktober haben viele Redner, von allen Seiten des Hauses, eine umfassende Aufklärungskampagne gefordert. Einverstanden. Wir brauchen den offenen Dialog mit den Bürgern, wenn Europa ein solides Fundament bekommen soll. Aber dieser Dialog hat bis jetzt nicht stattgefunden. Ein paar großformatige Anzeigen der Bundesregierung und die eine oder andere Broschüre genügen nicht. Wer die Wirtschafts- und Währungsunion, einschließlich der Politischen Union, wirklich will, muß die Menschen dafür gewinnen. Diese Arbeit ist aber erst noch zu leisten. Die Europa-Debatte hat erst begonnen, und die Ratifizierung eines solchen Vertragswerks sollte am Ende, nicht am Anfang dieses Prozesses stehen. Weder Frankreich noch Dänemark noch Großbritannien haben sich diese Prozedur erspart. Sie ist nicht nur da nötig, wo per Volksabstimmung entschieden wird. Sie ist um Europas willen nötig. Bei einer solchen öffentlichen Diskussion muß über die Vorteile und Ziele des Maastricht-Vertrags ebenso ausführlich geredet werden wie über dessen gravierende Schwächen und Mängel. Auch die Pferdefüße müssen aufgedeckt werden, und die Politik muß glaubhaft machen, daß sie bemüht ist, diese herauszuoperieren. Zu diesen Pferdefüßen gehört — und das ist mehr als ein Schönheitsfehler! —, daß der Vertrag die Ökologie in dieser Gemeinschaft nicht wirklich voranbringt. Er ist, ebenso wie das Binnenmarkt-Konzept, auf quantitatives Wirtschaftswachstum fixiert und zurrt damit die bisherige Grundstruktur der EG fest. Daran ändert auch die wohlwollende Hinzufügung des Wörtchens „umweltverträglich" in Art. 2 nichts. Man will künftig ein „beständiges (!), nichtinflationäres und umweltverträgliches Wachstum" erreichen. Von einer nachhaltigen oder dauerhaften Entwicklung im Sinne des Brundtland-Berichts ist nicht die Rede. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dieser überkommene Wachstumsbegriff, wie er bereits den EWG-Verträgen von 1957 zugrundeliegt, heute überholt ist. Er taugt nicht als Richtschnur für ein Europa des Jahres 2000. Dennoch hält Maastricht starr daran fest. Dem Vorrang des freien Warenverkehrs werden im Binnenmarkt alle anderen Belange untergeordnet, auch die ökologischen und sozialen. Dies gilt zum mindesten so lange, wie der Grundwiderspruch in Art. 100a Abs. 3 und 4 nicht aufgelöst ist. Da wird einerseits ein „hohes Schutzniveau im Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz " verlangt, andererseits können jedoch verschärfte Umweltanforderungen praktisch jederzeit als „Handelshemmnisse" diskreditert und damit abgeschmettert werden, wie diverse Urteile des Europäischen Gerichtshofes beweisen. Nur scheibchenweise erfahren die Menschen, wie tief Brüsseler Beschlüsse in ihren Alltag eingreifen und ihn verändern. Daß künftig bestrahlte und gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne klare Kennzeichnung in die Regale der Geschäfte kommen dürfen, beunruhigt nicht nur die Verbraucherverbände. Auch der sich bereits anbahnende ungeheuerliche Verkehrsboom, der im Binnenmarkt zu einer Verdoppelung der Zahl der Schwerlaster auf unseren Straßen führen wird, stärkt nicht gerade die Europafreundlichkeit der Bürger, insbesondere nicht derer, 10904 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 die direkt betroffen sind von mehr Luftverschmutzung und mehr Lärmbelastung. Es besteht kein Zweifel: die Regierungen, die Maastricht ausgehandelt haben, haben mit einer europäischen Umweltunion nichts im Sinn. Man kann nicht zuerst die Wirtschafts- und Währungsunion schaffen und dann den Umweltschutz hinten dranhängen. Ich bezweifle, ob diese verhängnisvolle Weichenstellung noch reparabel ist. Ich frage mich, und ich frage Sie: wie können die Europäer von der übrigen Welt, insbesondere von den Entwicklungsländern, eine ökologische Neuorientierung erwarten oder gar verlangen — d. h. eine Wende zu einer Wirtschaftsform, die weniger Energie verbraucht, weniger Rohstoffe verschwendet, weniger Abfälle erzeugt —, wenn sie selbst nicht bereit sind, die ersten Schritte zu tun? Maastricht ist eine politische Zäsur. Unsere Zukunft, besonders für uns Deutsche, kann nur zu einem gemeinsamen Europa führen. Dazu gibt es keine Alternative. Wir brauchen ein großes Ja unserer Bürger zu Europa, wir brauchen eine Perspektive, die aufzeigt, daß sich die EG nicht als rein wirtschaftlich orientierter Machtblock versteht, nur darauf angelegt, die Konkurrenz mit den USA und Japan aufzunehmen und erfolgreich durchzuhalten. Das künftige Europa muß als demokratisches, sozial gerechtes und ökologisch orientiertes Europa ausgestaltet sein. Nur dann kann es seine Verpflichtung erfüllen, Vorreiter eines neuen zukunftsfähigen Entwicklungsmodells zu sein. Der Vertrag von Maastricht eröffnet diese Perspektive nicht. Hier wird eine große Chance vertan. Deshalb werden wir darauf hinarbeiten, daß ein revidiertes Maastricht endlich diese Voraussetzungen schafft. Ich werde mich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): 1. Meine Zustimmung zu dem Vertrag beruht auf dem Vorbehalt, daß es sich bei der Politischen Union in Europa nicht um die Bildung eines Bundesstaates handelt. Auch wenn bestimmte Souveränitätsrechte an Europa abgegeben werden, darf dies auf keinen Fall zu einer Verringerung von Demokratie und Kontrolle durch nationale Parlamente führen. Mein Ziel ist ein vereintes Europa der Vaterländer und nicht ein europäischer Bundesstaat mit einer zentralen EG-Regierung. Die nationale Identität der jeweiligen Staatsbürger muß strikt gewahrt bleiben. Durch die derzeitige vertiefende europäische Politik darf ein baldiger Beitritt von EFTA-Staaten und ein langfristiger Beitritt von mittel-und osteuropäischen Staaten nicht verhindert werden. 2. Besonders wichtig ist die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips. Europa darf wirklich nur das gemeinsam regeln, was Europa nachweislich besser regeln kann als die Nationalstaaten. 3. Bei der Währungsunion sind die Stabilitätskriterien strikt einzuhalten, und jegliche politische Beeinflussung ist zu unterbinden. Nur die Mitgliedstaaten dürfen eine Europäische Währungsunion bilden, die hierzu auch wirklich reif sind. Die Europäische Zentralbank muß unabhängig und der Preisstabilität verpflichtet sein. Es ist wichtig, daß die Bundesregierung für ihr Stimmverhalten zum Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion der Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf. Es darf keine automatische Entwicklung zu einer einheitlichen europäischen Währung gebe. Erst am Ende eines Prozesses, in dem die Volkswirtschaften, die Haushaltspolitik und die Stabilitätspolitik sich angeglichen haben, darf nach einem Beschluß des Deutschen Bundestages die europäische Währung eingeführt werden. Und dies nur dann, wenn wirklich nachgewiesen ist, daß eine europäische Währung genau so stabil ist wie die Deutsche Mark. Die D-Mark ist für mich mehr als eine Währung. Sie ist ein nationales Symbol, ein Symbol für den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufstieg Deutschlands aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs. 4. Die Einführung eines Ausländerwahlrechtes halte ich für bedenklich. Ein Ausländerwahlrecht bei Kommunalwahlen ist kein Mittel zur Integration von bei uns lebenden Ausländern. Vielmehr ist das Wahlrecht eines der vornehmsten Rechte eines Staatsbürgers, das nur der ausüben sollte, der auf Dauer der Schicksalsgemeinschaft einer Nation zugehört. Statt dessen wäre es notwendig, die Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit für — über viele Jahre in Deutschland lebende — Ausländer zu erleichtern. 5. Neue finanzielle Mittelanforderungen für die EG dürfen die eigene deutsche Leistungsfähigkeit nicht überschreiten. In Deutschland sind die Sonderbelastungen aus der Aufarbeitung von 40 Jahren kommunistischer Diktatur zu berücksichtigen. 6. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es besser gewesen wäre, an der sogenannten Krönungstheorie festzuhalten, die besagt, daß die Währungs- und Wirtschaftsunion eben den Abschluß einer engen europäischen Zusammenarbeit bildet und nicht den Anfang. 7. Es ist wichtig, daß die Grundgesetzänderungen, die tatbestandlich an die Existenz der Europäischen Union anknüpfen, erst dann anwendbar sind, wenn diese Europäische Union entstanden ist. 8. Der Vertrag und seine innerstaatliche Umsetzung stellen einen Kompromiß dar. Nach langer Abwägung meiner z. T. erheblichen Bedenken stimme ich dem Vertrag dennoch zu. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ich empfinde eine immer größer werdende Unruhe darüber, in welcher schnellen, zum Teil umfangreichen und oft nicht ausreichend untersuchten Weise der Deutsche Bundestag in dieser Zeit staatliche Grundsätze „über Bord kippt" , die über viele Jahre Grundpfeiler unserer Demokratie gewesen sind. Ich will eine weitere Fortführung der europäischen Einigung. Dennoch merke ich an: Der Maastrichter Vertrag über die Weiterführung der Europäischen Union wird durch die vorbereitete Beschlußfassung vom Deutschen Bundestag vollinhaltlich übernommen. Lediglich in Zusatzerklärun- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10905' gen und Entschließungen werden besondere deutsche Interessen und politische Ansichten formuliert. Auf die formale Wirkung der Vertragsinhalte hat dies aber keine konkreten Wirkungen. Daraus ergeben sich für mich eine Reihe von Problemen, die bei ehrlicher Betrachtung viele Sorgen bestehen lassen. Die Demokratie in Deutschland auf der Basis des Grundgesetzes hat sich bewährt. Für mich ist es unverständlich, daß über den Vertrag mit wachsender Tendenz Hoheitsrechte von demokratischen Organen in Deutschland auf nicht demokratisch legitimierte Organe der EG übertragen werden. Das ist aus meiner Sicht möglicherweise sogar verfassungswidrig, auf jeden Fall aber politisch nicht zu akzeptieren. Viele problematische Entwicklungen in Deutschland und im übrigen Europa, insbesondere der wachsende Nationalismus, werden durch den Vertrag nicht im Ansatz ernsthaft angegangen. Die notwendigerweise im europäischen Rahmen zu klärende Asylrechts-Lösung ist noch weit entfernt. In allen EG-Mitgliedsländern sind die Bedenken aus den unterschiedlichsten Gründen sehr stark in den Vordergrund gerückt. Der Maastrichter Vertrag nimmt darauf keine Rücksicht, durch die Ratifizierung in Deutschland und anderen Ländern werden die noch zurückhaltenden oder ablehnenden Länder vielmehr stark unter Druck gesetzt, was ein schlechter Ausdruck von Partnerschaft ist und sich künftig als „Bumerang" erweisen könnte. Insbesondere die weiter ungehemmt umweltbelastende und meist auf vordergründige kurzfristige Wirtschaftsinteressen ausgerichtete Europapolitik wird durch die Vertragsbestimmungen keiner strukturellen Veränderungen zugeführt. Im Vertrag nicht zu finden sind sozialorientierte Aspekte. Daß die EG-Sozialunion erst weit später auf den Weg gebracht werden soll, ist in der Zeit hoher Arbeitslosigkeit und großer sozialer Belastungen für viele Millionen Menschen in Europa nicht hinnehmbar. Obwohl es die derzeitige Verfassungslage nicht hergibt, hätte ich es für angemessen gehalten, in dieser sehr bedeutsamen Entscheidung über die weitere Entwicklung — wenigstens informell — eine Bürgerbefragung durchzuführen. Nicht nur aus deutscher Sicht ist festzuhalten: Die Bundesregierung hat diesen Vertrag zweifellos schlecht verhandelt. Trotzdem stimme ich dem Ratifizierungsgesetz und damit dem Vertrag zu. Ich erwarte jedoch, daß Regierung, Bundestag und Bundesrat intensiv für Nachbesserungen auf dem weiteren Weg zu einem geeinigten Europa eintreten. Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Bis zur Abstimmung über die Maastrichter Verträge in Dänemark hat man sich eigentlich mit Europa und den weiteren Integrationsschritten wenig beschäftigt. Wenn man sich politisch mit Europa befaßte, war es meist Thema exklusiver Kreise, des Europäischen Parlaments, der Administrationen, der Regierungschefs, des Ministerrats oder der direkt durch Beschlüsse Betroffenen, wie z. B. der Bauern, und da wurde das Thema gleich negativ belegt. Die Bürger in ihrer Mehrzahl nahmen das politische Europa weitgehend nur bei den Wahlen zum Europäischen Parlament wahr, aber meistens nicht ernst. Anders war es bei den alltäglichen Begegnungen von Bürger zu Bürger. Da wurde Europa zu etwas Selbstverständlichem. Man reist von Land zu Land, ohne sich behindert zu fühlen, man genießt die Vielfalt der einzelnen Länder und Regionen, entschließt sich sogar, anderswo seßhaft zu werden. Aus der Fremde wird dann oft Heimat. Deshalb ist es unstreitig, daß die Bürger in Europa aufeinander zugegangen sind und das ohne Zwang in Freiheit. Hier unterscheidet sich der westliche Integrationsprozeß wesentlich vom östlichen Zwangszusammenschluß. Ein knappes Nein in Dänemark und ein knappes Ja in Frankreich — die Stimmung in Deutschland ist nicht anders — malmen, innezuhalten. Die Menschen in Europa haben nämlich begriffen, daß wir uns jetzt in einer Entscheidungsphase von grundsätzlicher Bedeutung befinden, und reagieren sensibler als Politiker. Sie haben Angst, ihre Identität zu verlieren. Der freiwillige Integrationsprozeß droht in Zwang überzugehen. Diese Sorgen und Nöte der Bevölkerung müssen ernst genommen werden. Es geht nicht nach dem Motto „Augen zu und durch", denn sowohl ein Scheitern von Maastricht als auch ein bloßes Durchpauken hinterlassen gleich große Schäden, deshalb war es richtig und wichtig, daß sowohl die Diskussion im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen als auch die Arbeit im Sonderausschuß Europäische Union breiten Raum eingenommen haben. Wichtig war dies auch schon deshalb, um dem Anschein zu begegnen, die Maastrichter Verträge sollten in einem Hau-Ruck-Verfahren ratifiziert werden. Aktionismus schafft kein Einheitsgefühl. Europa sollte Hoffnungen wecken, aber keine Angst erzeugen. In diesem Zusammenhang kann man die Ankündigung unseres Außenministers Kinkel nur begrüßen: „Wir müssen die Probleme mit einer Erklärung oder Entscheidung auffangen, die das enthält, was wir dazugelernt haben." Dies ist durch die Arbeit am Maastrichter-Vertrag und die daran anschließende ausführliche Berichterstattung überzeugend gelungen. Das intensive Nachdenken über Europa hat erfreuliche Ergebnisse gezeitigt. Weitgehend ist man sich nämlich einig, daß einiges bisher schiefgelaufen ist. Die institutionalisierte Gemeinschaft hat sich nämlich anders entwickelt, als wir es uns gewünscht haben: nicht als ein freiheitliches, innovatives und damit zutiefst demokratisches Europa, sondern viel mehr als ein Gebilde unsinniger bürokratischer und unifizierender Reglementierungen, bei der die Vielfalt teilweise auf der Strecke bleibt. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Rüttgers, stellte kürzlich zutreffend fest, daß die Bürger Europapolitik fast ausschließlich als Kabinettspolitik wahrnehmen, in der zum Perfektionismus neigende Technokraten fernab jeder parlamentarischen Kontrolle über die Köpfe der Bürger hinweg entscheiden. Das Zusam- 10906* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 menspiel zwischen EG-Kommission, Ministerrat und Europäischem Parlament ist nicht mehr nachzuvollziehen. Es ist aber noch viel schlimmer. Die europäische Bürokratie läßt die Gemeinschaft zu einem durch Dirigismus und Planwirtschaft bewegungsunfähigen Moloch verkümmern. Hier muß zuallererst angesetzt werden. Der Reparaturbedarf ist immens. Trotzdem bleiben noch Restbedenken, die durchaus erwähnt werden müssen: 1. Die Einführung des Subsidiaritätsprinzips in die Verträge dürfte der richtige Ansatzpunkt sein. Jedoch bestehen hier erhebliche Bedenken, ob dieser Begriff von allen Mitgliedstaaten gleich definiert wird (Dieter Grimm) . Die Sozialenzyklika „Quadragesimo anno" bezieht das Subsidiaritätsprinzip auf Tätigkeiten, der EG-Vertrag auf Ziele. Da der EG durch ihre Aufgabenstellung, der Schaffung eines gemeinsamen Marktes, kein Aufgabengebiet, sondern ein Zukunftsziel zugewiesen ist, fällt potentiell alles in ihre Kompetenz (Allzuständigkeit); das Subsidiaritätsprinzip wird dadurch begrenzt. Als nicht justiziable Norm ist das Subsidiaritätsprinzip zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten umstritten, jeder definiert es aus seinen traditionellen Ordnungsvorstellungen anders. Während Briten und Deutsche sich erhoffen, daß die Aktivitäten der EG dadurch limitiert werden, glauben andere Staaten, daß die Lösung der Probleme durch ein Verlagern nach Brüssel besser gelöst würde. Fazit: Das Kräfteverhältnis zwischen Einzelstaat und Gemeinschaft und deren Aufgabenverteilung ist durch das Subsidiaritätprinzip nicht gelöst. Hier muß Klarheit geschaffen werden, damit nicht der Europäische Gerichtshof zu anderen Ergebnissen kommt, als wir sie aus unserem erlebten Subsidiaritätsverständnis mit tragen können. Im übrigen muß über die Rolle des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere die Wirkungsbreite seiner Entscheidungen intensiv nachgedacht werden. Auch auf europäischer Ebene sollte das Gewaltenteilungsprinzip außer Frage stehen. 2. Der Prozeß europäischer Beschlußfassung muß demokratischer und transparenter werden. Dies gilt sowohl für die EG-Kommission wie auch für die nationalen Administrationen. Die Parlamente sind schon im Vorfeld der Entscheidung mit zu berücksichtigen, ja, sie müssen künftig darüber entscheiden, was harmonisiert wird. Hier wäre auch zu überlegen, inwieweit die Kompetenzen des Europäischen Parlaments zu erweitern sind. 3. Wir verlassen mit der vorgezogenen Währungsund Sozialunion den Weg der Krönungstheorie. Es ist ein fataler Trugschluß, daß man mit der Währungsunion nun glaubt, über die Fehlentwicklungen im ökonomischen und währungspolitischen Bereich — die Bedenken der 60 namhaften Nationalökonomen sind sehr ernst zu nehmen — hinwegtäuschen zu können. Einer der großen Gestalter der Römischen Verträge, Müller-Armack, sah immer die Währungsunion als die Krönung des europäischen Integrationsprozesses und niemals als dessen Motor. Dieser bedeutende Nationalökonom wußte, warum er erst nach vollzogener politischer Integration eine gemeinsame Währung einführen wollte. Was ökonomisch richtig ist, kann politisch nicht falsch sein. Wenn man diesen umgekehrten Weg nun einschlagen will — der Vertrag dürfte wohl hier nicht mehr grundsätzlich zu ändern sein —, muß jedoch gewährleistet werden, daß neben einer gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik auch die Finanz- und Wirtschaftspolitik stärker als bisher koordiniert wird. 4. Wenn dieser Vertrag so in Kraft treten wird, wie er konzipiert wurde, wird es automatisch ein Europa mehrerer Geschwindigkeiten geben, denn nur wenige Länder werden die Konvergenzkriterien bis zum Ende dieses Jahrhunderts erfüllen können. Dies muß jetzt in aller Deutlichkeit angesprochen werden, damit es später nicht zu unnötigen Reaktionen führt. Die Konvergenzkriterien dürfen auch aus politischem Opportunitätsdenken nicht verändert werden. 5. Es muß allen Partnern noch einmal deutlich gemacht werden, daß eine europäische Zentralnotenbank nur der Geldwertstabilität verpflichtet sein darf. Sie muß wie die Deutsche Bundesbank unabhängig sein und bleiben. 6. Nach Vollzug einer Währungsunion — mit wie vielen Staaten auch immer — muß institutionell garantiert werden, daß die Konvergenzkriterien auch zukünftig bindend bleiben. 7. Die ordnungspolitischen Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft müssen Grundlage auch der europäischen Wirtschaftspolitik werden. Die im Vertrag geforderte Industriepolitik paßt nicht in dieses Konzept. Vor Vollzug der Währungsunion muß hierüber Klarheit geschaffen werden. Wir Deutschen können und dürfen uns nicht mit planwirtschaftlichen Regelungsmechanismen abfinden. Eine Marktordnung (Agrarmarkt) ist schon zuviel. Es zeigt sich, daß das Schiff Maastrichter Vertrag, mit dem wir uns auf die Reise in die Deutsch-Europäische Zukunft begeben wollen, eine Reihe von Konstruktionsfehlern aufweist. In den letzten Monaten, insbesondere in den intensiven Beratungen im Sonderausschuß Europäische Union — ich erwähnte es bereits —, konnten wir nicht die Fehler der Ingenieure beheben; dafür war der Bau des Schiffes zu weit vorangekommen. Wir haben aber für klare Interpretationen gesorgt, die für die Auslegung später wichtig sind. Somit haben wir versucht, uns die Werkzeuge zu beschaffen, die notwendig sind, die sich schon jetzt abzeichnenden Reparaturen — notfalls auf hoher See — auszuführen. Wir haben des weiteren versucht, Mechanismen zu entwickeln, die das Vertrauen der Passagiere, der Menschen Europas, für die gewagte Reise gewinnen und die eine Panik auf hoher See von vorneherein ausschließen. Nicht zuletzt haben wir — ich meine, erfolgreich — auch versucht, dem Parlament ungehindert Zugang zur Brücke zu verschaffen, um notfalls nicht unbedingt den Weg zurück, aber einen anderen Kurs durchzusetzen: mit dem sogenannten „Parlamentsvorbehalt", auf dessen Eindeutigkeit ich persönlich immer großen Wert gelegt habe. Mir ist bewußt, daß dieser Vorbehalt völkerrechtlich auf schwankendem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10903' Boden steht, da er nicht notifiziert wird. Also hat er de jure nur eingeschränkte Bindungswirkung. Aber de facto ist er so schwerwiegend, daß keine Regierung an ihm vorbeikommt. Dies führt letztlich dazu, daß das Parlament über die dritte Stufe dei Währungsunion noch zu entscheiden hat. Nicht zuletzt werde ich trotz meiner Bedenken dem Vertrag zustimmen müssen, weil ich von der Politik des Bundeskanzlers und seiner Vision, daß die Europäische Integration zu unser aller Zukunftssicherung weiter fortschreiten muß, zutiefst überzeugt bin. Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Mit der Ratifizierung des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung vom 7. Februar 1992 (Maastricht-Vertrag) durch den Deutschen Bundestag wird ein entscheidender Schritt zur weiteren Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft unternommen. Es handelt sich um eine folgenreiche Entscheidung, die die europäische Gemeinschaft immer stärker zu einer politischen Union ausgestaltet, wodurch sich das bisherige europäische Staatensystem qualitativ verändern wird. Aus meiner Sicht weist der Vertrag viele Schwächen an den Stellen auf, in denen die Elemente der politischen Union beschrieben werden. Trotz dieser offenkundigen Schwächen werde ich dem Vertrag zustimmen. Der Vertrag vom 7. Februar 1992 kann m. E. nur die Grundlage darstellen, auf der die politische Union Europas aufzubauen ist. Dieser Aufbau der Europäischen Union wird nur dann erfolgreich sein, wenn auch in Deutschland die Bevölkerung diese Weiterentwicklung bejaht. Gegen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung werden wir Europa nicht gestalten können. Ich halte es daher für dringend geboten, beim Umsetzungsprozeß zum Vertrag von Maastricht folgendes zu berücksichtigen: 1. Es muß alles vermieden werden, was auf die Schaffung eines europäischen Zentralstaates oder eines Bundesstaates mit bundesstaatlichen Kompetenzen im Sinne einer Überregierung hinausläuft. Damit stellt sich die Frage nach der inneren verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Europäischen Union. Es ist zu begrüßen, daß der Grundsatz der Subsidiarität in Art. 3 b des Vertrages niedergelegt worden ist. Entscheidend wird aber sein, welche Bedeutung dieser Grundsatz bei der Lösung der anstehenden Detailfragen erhält. Europa wird nur dann seine innere Kraft bewahren können, wenn es die nationale Identität, Kultur und Lebensweise eines jeden Landes achtet und diese Gesichtspunkte bei der Ausgestaltung der inneren Verfassung berücksichtigt. 2. Wesentlich für meine Zustimmung ist, daß der Bundestag hinsichtlich des Übergangs zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion einen Zustimmungsvorbehalt ausgesprochen hat. Die Deutsche Mark darf erst dann aufgegeben werden, wenn zu erwarten ist, daß die neue Europa-Währung so stabil ausgerichtet ist wie die Deutsche Mark. Eine Automatik auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion unter Aufweichung der Stabilitätskriterien lehne ich ab. Gegenüber unseren Vertragspartnern ist aus völkerrechtlichen Gründen zu erklären, daß die Bundesregierung dieses Votum des Deutschen Bundestages respektieren wird. 3. Durch die Verankerung der Industriepolitik in Art. 130 des Vertrages darf keine schleichende Aushöhlung des Grundprinzips der marktwirtschaftlichen Ordnung erfolgen. Die vorgesehene europäische Zentralbank muß mit einem solchen Instrumentarium ausgestattet werden, daß sie zu einer konsequenten Stabilitätspolitik befähigt ist. Sitz der europäischen Zentralbank sollte Frankfurt a. M. werden. Europa ist für uns alle eine wichtige politische Idee. Nur eine einige Gemeinschaft wird in der Lage sein, die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Das Ja zum Maastrichter Vertrag hat für mich aber nur dann einen Sinn, wenn es ausgeht von einem Bekenntnis zu der jeweiligen nationalen Identität der Mitgliedstaaten und einer konsequenten Stabilitätspolitik im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion. Albrecht Müller (Pleisweiler) (SPD): Ich bin vorbehaltlos für die europäische Einigung. Ich bin für die Zusammenarbeit der Völker in Europa und für die internationale Zusammenarbeit insgesamt, weil wir damit Nationalismus und völkisches Denken überwinden können. Engstirniger Nationalismus war zu häufig in unserer Geschichte das Elend der Völker Europas, der Anlaß von Streit und Krieg. Das zeigt sich leider auch heute wieder. Alles was möglich ist, um künftig solche Konflikte zu vermeiden, muß getan werden. Über dieses Ziel herrscht Einigkeit. Der Weg, der in den letzten Jahrzehnten mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeschlagen wurde, hat viele Erfolge gebracht. Es hat aber auch eine Vielzahl schwerwiegender Fehlentwicklungen gegeben. Die Änderung der Römischen Verträge und die Aushandlung des Vertrags über die Europäische Union wären eine gute Gelegenheit gewesen, über die strukturellen Mängel der Europäischen Gemeinschaft, ihrer Institutionen und ihrer Politik nachzudenken und sie zu korrigieren. Diese Chance ist nach meiner Einschätzung nicht ausreichend genutzt worden: Es ist die Chance nicht genutzt worden, die Willensbildung in der EG wirklich demokratisch zu gestalten. Die „Gewalt" der EG geht auch weiterhin vor allem von Regierenden und nicht vom Volke aus. Das Europäische Parlament wird weiterhin viel zu wenig Rechte haben. Es ist die Chance nicht genutzt worden, das „ Wertesystem" der Europäischen Gemeinschaft zu korrigieren. Bisher herrscht die ökonomische Sichtweise vor. Das hat schon nachteilige Folgen gehabt und wird weitere haben. Ich nenne ein Beispiel: Die Verbreitung von Informationen und Meinung im Fernsehen wird nach den Regeln des gemeinsamen Marktes als eine Ware/Dienstleistung wie jede andere betrachtet. Diese Sichtweise und ihre Durchsetzung hat in den letzten zehn Jahren wesentlich dazu beigetragen, das 10908' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 deutsche Rundfunkwesen zu kommerzialisieren und der „Amerikanisierung" des Fernsehens in Europa insgesamt den Weg zu bereiten. Die EG ist so mitschuldig daran, daß der Artikel 5 des Grundgesetzes (Meinungsfreiheit) und sein auf bitterer geschichtlicher Erfahrung in der Weimarer Zeit gründender Auftrag ausgehöhlt und zur Farce geworden ist. — So wie hier gibt es viele gute Gründe, die ökonomische Sichtweise der Europäischen Gemeinschaft zu korrigieren. Mit dem Maastrichter Vertrag wird dies nicht erreicht. Auch in den anderen Bereichen geht die Europäische Gemeinschaft bisher Wege, die moderne, soziale und ökologische Einsichten und Belange mißachten: Wieso sollen wir einen Weg weitergehen, der in der Verkehrspolitik nur das Ziel kennt, möglichst billig und unter Preis Transporte anzubieten, und der die tatsächlichen Kosten für Mensch, Umwelt und Klima so deutlich vernachlässigt, wie dies zur Zeit geschieht? Wieso sollen wir einen Weg weitergehen, der in der Umweltpolitik und im Verbraucherschutz allzuoft dringend notwendige Maßnahmen zu Wettbewerbshindernissen erklärt? Wieso sollen wir einen Weg weitergehen, der in der Sozialpolitik den abhängig Beschäftigten und den unteren Einkommensschichten eine ungleich größere Last der Harmonisierung aufbürdet als den Besserverdienenden? Während zur Wirtschafts- und Währungsunion klare Vorgaben und Automatismen niedergelegt sind, bleibt es im sozialen Bereich bei unverbindlichen Absichtserklärungen. Die Angst der Menschen mit geringem Einkommen und einer einfachen Ausbildung vor Lohndrückerei, Sozialdumping und erhöhtem Leistungsdruck ist sehr real. Diese Bedrohung wird auch nicht durch strukturpolitische und sozialpolitische Reparaturmechanismen auf EG-Ebene abgewendet. Die Spaltung Europas in Profiteure und Opfer der Wirtschafts- und Währungsunion wird der Verdrossenheit und der Hinwendung zu rechtsradikalen Ideen neue Nahrung geben. Wieso sollen wir den Weg zu einem Europa weitergehen, das im Kern auch darauf angelegt ist, die Organisation nationalstaatlichen Machtstrebens auf höherer Ebene und die Sicherung gegen den Rest der Welt durch Ausbau der ökonomischen und militärischen Stärke zu gewährleisten? Die Furcht vor der „Festung Europa" ist so unbegründet nicht. Auch ich liebe Europa für das, was es sein könnte und was es vielleicht trotz falscher Weichenstellungen in Maastricht werden kann. Heute sollen wir aber schließlich nicht über die Idee und über Möglichkeiten abstimmen, sondern über konkrete Bestimmungen und über die Realität der Gemeinschaft und ihrer Politik. Hierbei habe ich, wie gesagt, große Vorbehalte. Aus diesen und einer Reihe anderer Gründe stehe ich dem Vertragswerk und einigen der zugrundeliegenden Prinzipien skeptisch gegenüber. Ich enthalte mich der Stimme, weil ich es gerade im Moment für kritisch hielte, das Vertagswerk ausgerechnet an einem deutschen „Nein" scheitern zu lassen. Jenen Freunden der Einheit Europas, die den Weg von Maastricht aus guten Gründen skeptisch beurteilen, möchte ich aber signalisieren, daß ihre Sorgen auch im Deutschen Bundestag geteilt werden. Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Ich stimme der Ratifizierung des Vertrags von Maastricht zu, weil ich die Fortentwicklung der europäischen Einigung für so entscheidend halte, daß auch schwerwiegende Bedenken im einzelnen dahinter zurücktreten müssen. Aber diese Bedenken sind zu wichtig, als daß sie verschwiegen werden könnten. 1. Der Vertrag von Maastricht baut das Demokratiedefizit in Europa nicht ab, sondern schafft einen noch größeren demokratiefreien Raum. Bundesregierung und Landesregierungen haben ihre Rechte gesichert, Kommission und Rat erfahren einen Machtzuwachs, während die Rechte des Europäischen Parlaments, der nationalen und der Länderparlamente nicht entsprechend ausgebaut werden. Es entsteht ein Europa der Regierungen und nicht der Parlamente. Ich erwarte, daß spätestens bei der vorgesehenen Vertragsrevision die Parlamentsrechte geschaffen werden. 2. Der Unionsvertrag bewirkt nicht den Ausbau der Europäischen Union zu einer Sozial- und Umweltunion. Die Europäische Union bleibt unbefriedigend, solange nicht auch die soziale und ökologische Dimension gleichrangig neben der ökonomischen Dimension behandelt werden. 3. In den Begleitgesetzen zu den Verf assungsänderungen und in den Verfassungsänderungen selber wird die Rolle der Gemeinden in der europäischen Integration nicht gebührend berücksichtigt. Es wird die Tendenz zu einem Regierungsföderalismus verstärkt, während den Gemeinden — und auch den Landesparlamenten — eine eigenständige Rolle im Prozeß der europäischen Einigung verweigert wird. 4. Ich bedauere, daß es nicht möglich gewesen ist, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung eines Volksentscheids zum Unionsvertrag von Maastricht zu schaffen. Eine so weitreichende Entscheidung wie die Gründung der Europäischen Union und die deutsche Beteiligung daran kann nach meinem Verständnis nicht ohne direkte Legitimierung durch das Volk getroffen werden. Das gewählte Verfahren verstärkt den Eindruck der Bürgerferne. Für mich kann das vereinte Europa nicht von Regierungschefs hinter verschlossenen Türen geschaffen werden, sondern nur von den europäischen Völkern selber. Ich bin für die Einführung plebiszitärer Elemente in das Grundgesetz; Maastricht wäre ein geeigneter Beginn auf diesem Wege gewesen. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich stimme diesem historischen Vertrag zu, weil er Europa als Friedensgemeinschaft sichert, weil er eine ökonomische Stabilitätsgemeinschaft gewährleistet, weil er eine ökologische Gesamtstrategie möglich macht, weil Europa in der Welt damit eine wirkliche Vermittlerrolle einnehmen kann, weil demokratische Freiheiten in zwölf Ländern gestärkt und Menschen- und Bürgerrechte internationalisiert werden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10909* Dabei weiß ich, daß ein Demokratiedefizit bleibt, das Europäische Parlament gestärkt werden muß und die Ängste vieler Menschen vor einem Europa der dritten Generation nicht ausgeräumt sind. Deshalb gilt von jetzt an sorgfältig und umfassend eine Aufklärungs- und Werbekampagne für Europa in der Gemeinsamkeit der Zwölf zu beginnen, offen zu sein für die Bedenken des Königsreichs Dänemark und den Beitritt besonders auch der skandinavischen Staaten. Europa muß gelebt, darf nicht verwaltet werden, sonst verspielen wir diese historische Chance. Europa ist uns allen aufgegeben, wie es die Europa-Union seit vielen Jahrzehnten propagiert. Anlage 6 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 27. November 1992 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Gesetz zu dem Vertrag vom 3. April 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über den Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze In der Sektion III des Grenzabschnittes „Scheibelberg-Bodensee" sowie in einem Teil des Grenzabschnittes „Dreieckmark-Dandlbachmündung" und des Grenzabschnittes „Saalach-Scheibelberg" Gesetz zur Anderung veterinärrechtlicher, lebensmittelrechtlicher und tierzuchtrechtlicher Vorschriften Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende EntschlieBung gefaßt: In §47 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (Artikel 6 Nr. 11 des Gesetzes zur Änderung veterinärrechtlicher, lebensmittelrechtlicher und tierzuchtrechtlicher Vorschriften) ist vorgesehen, für Erzeugnisse, die aus anderen EG-Mitgliedstaaten stammen, jedoch bestimmten deutschen Rechtsvorschriften, die zum Schutz der Gesundheit erlassen wurden, nicht entsprechen, die Verkehrsfähigkeit durch Allgemeinverfügungen des Bundesministers für Gesundheit festzustellen, „soweit nicht zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen". Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die genannten Allgemeinverfügungen vor ihrem Erlaß intensiv mit den Ländern zu beraten und abzustimmen. Der Bundesrat hält in diesen Fällen ein enges Zusammenwirken von Bund und Ländern für unverzichtbar, da hier durch Verwaltungsakte die Verkehrsfähigkeit von Erzeugnissen festgestellt werden soll, deren Beschaffenheit geltendem, allerdings nicht harmonisiertem Recht zuwiderläuft, das darüber hinaus Ziele des gesundheitlichen Verbraucherschutzes verfolgt. Der Bundesrat nimmt im übrigen diese rechtlich und verbraucherpolitisch nicht bedenkenfreie Situation zum Anlaß, die Bundesregierung erneut aufzufordern, mit Nachdruck auf die rasche und vollständige Harmonisierung sämtlicher gesundheitsschutzbezogener Bereiche des Lebensmittelrechts unter Beibehaltung der in der Bundesrepublik Deutschland bisher vorhandenen Schutzniveaus hinzuwirken. Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 12/3132 Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen hat: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 12/1681 Nr. 3.10 Drucksache 12/2867 Nr. 2.16
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Peter Kittelmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stimmen heute über einen großen internationalen Vertrag ab, der heftig diskutiert wurde, der viele verunsichert hat und über den sehr viel Unzutreffendes berichtet wurde. Vor diesem Hintergrund haben wir im Sonderausschuß Europäische Union besonders intensiv und auch kontrovers diskutiert, eigene Bedenken formuliert, vor allem aber Sorgen und Ängste der Bevölkerung aufgenommen. Wir haben eine gewissenhafte Prüfung des Vertrages vorgenommen und natürlich auch Unwägbarkeiten des Vertragstextes herausgearbeitet.
    Wir wissen aber, daß es gerade die enormen Chancen des Vertrages sind, die diese Unwägbarkeiten aufwiegen. Ich bin froh darüber, daß sowohl CDU/ CSU als auch Sozialdemokraten und Freie Demokraten die Arbeit im Sonderausschuß mit einem überzeugten Ja zu Europa abschließen konnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dieses Ja zu Europa ist ein Gewinn: ein Gewinn für unser Land, ein Gewinn für die Menschen.
    Im Grundgesetz hat sich Deutschland das Ziel gesetzt — ich zitiere —, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen" . Heute nun verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland in Fortführung dieses Auftrags auf eine Politik, die sich am Ziel einer Europäischen Union ausrichtet. Diese Zielrichtung dokumentiert sich im neugeschaffenen Europaartikel, der die Mitwirkung an der europäischen Integration als Staatsziel verankert — ein wichtiger und ein ernsthafter Schritt.
    Wir sollten uns davor hüten, diese Verantwortung zu unterschätzen. Die Bürger unseres Landes verlangen nach Lösungen der anstehenden Probleme. Wenn die Mitarbeit an der Europäischen Union für uns zur Handlungsmaxime wird, dann muß sie auch einen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten, und sie tut
    10812 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
    Peter Kittelmann
    dies, meine Damen und Herren: All das müssen wir vermitteln.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Union beginnt mit einer gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik. Danach verlangen die Menschen, denn sie erfahren die Hilflosigkeit der Gemeinschaft angesichts des fortdauernden Krieges im früheren Jugoslawien.
    Die Union verstärkt die Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik, um schließlich das Asylrecht zu harmonisieren und die Flüchtlingspolitik abzustimmen. Jeder weiß, wie dringend der Handlungsbedarf in dieser Frage ist.
    Die Union verankert das Subsidiaritätsprinzip; Entscheidungen sollen bürgernah getroffen werden, so daß sie jeder nachvollziehen kann.
    Nicht zuletzt unsere Verfassungsänderung und gesetzlichen Regelungen, die wir im Ausschuß erarbeitet haben, kommen einem bürgernahen Europa entgegen. Die Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates in Fragen der Europäischen Union, die Einrichtung des Regionalausschusses, daß Erfordernis der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates mit Zweidrittelmehrheit bei Übertragung von Hoheitsrechten, das erforderliche zustimmende Votum des Deutschen Bundestages vor Eintritt in die dritte Strophe

    (Heiterkeit — Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/ CSU]: Peter, damit kommst du morgen in die Zeitung!)

    — Strophe hätte auch gepaßt —, in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, all dies sind Aspekte einer föderalen, bürgernahen und transparenten Gesellschaft.
    Wir schaffen das neue Europa vor allen Dingen für die junge Generation. Kritisch möchte ich anmerken, daß es uns nicht immer gelungen ist, die Jugend für unsere Ideen zu gewinnen und sie in unser politisches Handeln einzubinden. Die vielen Demonstrationen, in denen sich die Ablehnung der gewalttätigen Ausschreitungen gegen unsere ausländischen Mitbürger zeigt, die Initiativen in Schulen und Universitäten, all dies dokumentiert überdeutlich, daß unsere Jugend nicht so unpolitisch ist, wie viele annehmen. Die meisten jungen Menschen haben einen genauen Sinn für Recht und Demokratie, für friedliches Miteinander und gemeinschaftliches Handeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, erkennen wir doch, daß Europa dem Rechnung trägt und wir darum besonders die Jugend für Europa begeistern können und müssen!
    Der Vertrag über die Europäische Union antwortet viel mehr auf die aktuellen Fragen, als viele es ahnen, weist viel mehr Wege auf, als viele meinen, und eröffnet sehr viel mehr Perspektiven, als viele glauben. Die Europäische Union ist die Zukunft, die sich für uns alle und vor allen Dingen für unsere Jugend lohnt. Einer der Gründungsväter, Robert Schuman, wußte dies schon zu Anfang der Gemeinschaftsgeschichte. Er sagte:
    Europa kommt es zu, einen neuen Weg aufzuzeigen durch das Akzeptieren einer Vielfalt von Zivilisationen, von denen jede der anderen mit gleicher Achtung begegnet.
    Meine Damen und Herren, Robert Schumans Credo ist aktueller denn ja. Er sagte weiter:
    Der Respekt vor dem Recht des anderen ist der Frieden für alle.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn wir doch alle erkennen, daß sich die europäische Idee durch Toleranz, Konsens und gemeinschaftliches Handeln definiert, heißt dies nicht, daß wir eigene Ansprüche und legitime nationale Interessen vergessen sollen. Keineswegs! Wir haben unsere eigenen Interessen, unsere Tradition, unsere Kultur. Die will Europa uns nicht nehmen, sondern garantieren. Wir sollten darum auch bereit und in der Lage sein, diese Interessen selbstbewußt zu vertreten.
    Europa ist seit langem kein abstraktes Phänomen mehr. Wir leben längst in einem Europa der Tatsachen. Heute entwickeln wir mit demVertrag weiter, was unser tägliches Leben schon lange positiv bestimmt: in der Wirtschaft, in der Reisefreiheit, im kulturellen Austausch und in zahlreichen anderen Bereichen. Unser Wohlstand gründet sich auf der europäischen Zusammenarbeit. Ich habe den Eindruck, viele vergessen das häufig.
    Unsere Ideale vom Frieden zwischen den Völkern und der Freiheit sind durch die Europäische Gemeinschaft im westlichen Europa seit langem Wirklichkeit geworden. Wir müssen das Erreichte jetzt sichern und über die Gemeinschaft hinaus weiterführen. Auch dieses Anliegen wird durch den Vertrag gesichert.
    Wir müssen die europäische Frage vor allen Dingen den Menschen in den neuen Bundesländern vermitteln und sie an Europa heranführen. So sehr der Vertrag über die Europäische Union Gewinn und Chance ist, so sehr ist er Verpflichtung — besonders für uns Parlamentarier — zur Selbstdisziplin und dazu, sich viel mehr als bislang mit der europäischen Frage zu beschäftigen und in einen ständigen Dialog mit den Bürgern zu treten, Gemeinschaftsinteresse zu wahren und zugleich nationale Aufgaben zu vertreten.
    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns durch die gemeinsame Zustimmung zum Vertrag unseren Partnern einen Impuls geben, um die Voraussetzung für die Ratifizierung dort zu schaffen, wo dies bisher nicht geschehen ist. Wir haben in den letzten Jahrzehnten erfahren, daß vieles überhaupt erst durch das gemeinsame Europa möglich wurde. Die großen Probleme des kommenden Jahrzehnts werden wir nur durch die Europäische Union bewältigen können. Nutzen wir heute diese historische Chance!
    Danke schön.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächste ergreift die Abgeordnete Frau Wieczorek-Zeul das Wort.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10813

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heidemarie Wieczorek-Zeul


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Beginn dieser Europadebatte steht unser Bekenntnis zu den Grundsätzen der Aufklärung, die für Europa Verpflichtung sind: der prinzipiellen Gleichheit und der Würde aller Menschen, gleich welcher Nationalität; steht unser Bekenntnis zu Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Es ist kein „Verdienst", daß wir als Deutsche geboren wurden, wie es auch nicht in der Verantwortung von Türken, Rumänen, Engländern, Franzosen oder Schweizern liegt, daß sie in ihre jeweilige Nationalität hineingeboren wurden. Uns alle aber eint die gleiche Würde des Menschseins und die Verantwortung für den Bruder oder die Schwester anderer Nationalität.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Deshalb richten wir uns gerade am Tag der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages an die Menschen anderer Nationalität in Deutschland und an unsere europäischen Nachbarn und sagen ihnem mit den Worten Willy Brandts: „ Wir wollen ein Volk unter Nachbarn sein, im Inneren und nach außen."

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir schämen uns der feigen Mörder und Gewalttäter. Sie zerstören mit ihren schrecklichen Taten die Substanz und die Grundlage menschlichen Zusammenlebens und das Ansehen unseres Landes. An die Adresse der Gewalttäter sagen wir: Wer Molotowcocktails wirft, ist ein Mörder und muß mit unnachsichtiger Verfolgung und Bestrafung durch den Staat rechnen.

    (Beifall im ganzen Hause)

    An die Adresse derjenigen, die vielleicht innerlich klammheimliche Freude empfunden oder danebengestanden haben, sagen wir: Seht nicht weg, wo Unrecht geschieht! Wer sich nicht entschlossen der Gewalt entgegenstellt, muß damit rechnen, daß sie sehr schnell die eigene Türschwelle überschreitet.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auf: Stellt euch den Steine- und Brandbombenwerfern entgegen, greift ein und verteidigt die demokratische Substanz unserer Gesellschaft, unseren demokratischen Rechtsstaat, wie die vielen Tausenden von Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten zu Kundgebungen zusammengekommen sind.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, als am 9. November 1989, am Tag des Falls der Mauer, junge Leute die Mauer stürmten und, Herr Kollege Kittelmann, statt des „Deutschland-Liedes" sangen: „So ein Tag, so wunderschön wie heute ... ", da war ich überzeugt, daß niemand in Europa vor diesen jungen Deutschen wieder Angst zu haben brauchte. Vielleicht sind es nicht dieselben jungen Deutschen, die heute mit Sieg-Heil-Rufen durch die Straßen marschieren, Ausländer verprügeln oder Heime für Asylbewerber in Brand setzen; vielleicht aber auch doch. Der Nationalismus, den manche von uns nach der deutschen Einheit befürchteten, hat sich nicht nach außen gewandt. Er wendet sich nach innen.
    Ob die stärkere Einbindung der Deutschen in Europa auf diesen gewalttätigen, primitiven Nationalismus nach innen Einfluß haben wird, weiß ich nicht. Aber ich weiß: Sollte die europäische Integration zurückfallen oder gar scheitern und Deutschland sich selbst überlassen bleiben, würde der alte Ungeist wieder in großem Umfang gesellschafts- und politikfähig werden. Die europäische Integration ist auch ein Anker für die politische Stabilität Deutschlands.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Dies ist der Hauptgrund, warum viele in meiner Fraktion, die Maastricht durchaus kritisch sehen, dem Vertrag und den notwendigen Verfassungsänderungen dennoch zustimmen werden. Unsere Fraktion macht mit der Ratifizierung des Maastricht-Vertrages deutlich: Deutschland ist ein verläßlicher Partner. Wir wollen klar und deutlich machen: Europa hat zur deutschen Einheit ja gesagt; wir sagen ja zur europäischen Einigung.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ich denke, das Beste — neben der Ratifizierung —, was wir in unserem Land in diesen Tagen für Europa tun können, ist dafür zu sorgen, daß die Situation in unserem Land wieder in Ordnung kommt. Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Integrationsprozeß. Angesichts dieser letzten schrecklichen Ereignisse betonen wir in der Europadebatte des heutigen Tages die Idee der kulturellen Gemeinsamkeit Europas, die ich als einen Beitrag Europas zur Weltkultur verstehe. Wir setzen als Europäer auf das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen — eine Tradition, die friedlich macht —, auf die Idee der Toleranz, der Menschenrechte, der gewaltlosen Konfliktregelung.
    Es hat Symbolwert, daß wir mit der Zustimmung zum Maastricht-Vertrag heute das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger und Unionsbürgerinnen beschließen, die in unserem Land leben. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung dies in Maastricht ausgehandelt hat. Meine Fraktion bedauert aber, daß der Vertrag nicht zum Anlaß genommen wurde, das Kommunalwahlrecht allen Bürgerinnen und Bürgern, gleich welcher Nationalität, die länger in einem anderen Land leben, einzuräumen.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Die Forderung der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung im 18. Jahrhundert lautete: „No taxation without representation" — kein Steuernzahlen ohne politische Repräsentation. Wie lange sollen über
    10814 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
    Heidemarie Wieczorek-Zeul
    4 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus NichtEG-Staaten in unserem Land, die zum großen Teil schon in der zweiten Generation bei uns leben, die alle Pflichten teilen und Steuern zahlen, weiter vom Wahlrecht, selbst vom Kommunalwahlrecht, ausgeschlossen bleiben? Daß diese Menschen angeblich nur vorübergehend bei uns wohnen und arbeiten, ist die Lebenslüge einer verfehlten Ausländerpolitik. Diese Menschen sollen und müssen sich in unsere Gesellschaft integrieren. Dann müssen sie auch die Mitspracherechte erhalten, die für diese Integration notwendig sind.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir „Maastricht" heute ratifizieren, so sei damit auch ein Rückblick auf die Stufen europäischer Integration in den letzten Jahrzehnten geworfen. Die Sozialdemokratie hat den Römischen Verträgen 1957 zugestimmt, obwohl wir daran kritisierten, daß sie nur die wirtschaftliche Zusammenarbeit beinhalteten. Uns ging es bei unserer Forderung nach den Vereinigten Staaten von Europa schon 1924 immer um die Schaffung einer politischen Einheit Europas, einer gemeinsamen Außenpolitik. Ich erinnere daran, daß bereits im Jahre 1969 der damalige Bundeskanzler Willy Brandt auf dem Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs erste Vorschläge für eine derartige Politische Union unterbreitete.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt müßten Sie den Bundeskanzler zitieren!)

    Damals wurden Vorstufen einer gemeinsamen Außenpolitik entwickelt. Es begann die Zusammenarbeit der Außenminister im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit.
    Schon 1940 hatte Willy Brandt, der Deutsche, der sich als Europäer verstand, in Norwegen über das „neue Europa" geschrieben und zur Überwindung des Nationalismus aufgerufen.
    Willy Brandt hat mit seiner Ost- und Entspannungspolitik, die er westeuropäisch absicherte, die Voraussetzungen für den Wandel in Mittel- und Osteuropa geschaffen, der sich 1989 Bahn brach, und damit die deutsche Einheit, aber auch die Chance für die europäische Einheit vorangebracht. Deutsche Einheit und europäische Einheit gehörten für ihn zusammen. Wir danken dem deutschen Patrioten und großen Europäer Willy Brandt dafür, daß er die deutsche und die europäische Einheit entscheidend gefördert und Europa in seiner Person gelebt hat.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Wenn wir heute den Maastricht-Vertrag ratifizieren, signalisieren wir nicht nur, daß wir uns einbinden wollen, sondern wir signalisieren — an die Adresse unserer dänischen und ebenfalls an die unserer englischen Nachbarn — auch: Wir wollen kein Kleineuropa und kein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Das Votum des Deutschen Bundestages heute sollte in Dänemark und in Großbritannien so verstanden werden, daß wir wollen, daß sie mit zur Europäischen
    Union gehören. Wir möchten sie ermutigen, den Schritt mit uns gemeinsam zu tun und „Maastricht" zu ratifizieren.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU])

    Maastricht ist — die Präambel macht es deutlich — ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einem vereinten Europa. Wenn wir dem Vertrag heute zustimmen, dann stimmen wir beidem zu: dem Vertrag, wie er vor uns liegt, aber auch dem Ziel einer immer engeren Integration. Dies machen wir — der Kollege Kittelmann hat das vorhin betont — durch die Einfügung eines Europaartikels in unsere Verfassung deutlich.
    Es muß deutlich werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß nur ein stärker miteinander verbundenes Europa die weltwirtschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre bestehen und seine eigenen sozialen Traditionen und die Ziele einer ökologischen Marktwirtschaft bewahren und entwickeln kann. Der zunehmende Wettbewerb und der wachsende Austausch mit anderen Wirtschaftsregionen in Amerika und in Asien bleiben für Europa nicht ohne Folgen, das gilt auch für unsere sozialen Traditionen.
    Sie haben, wie Jacques Attali es ausgedrückt hat, in der Gesellschaft den Typ des „modernen Nomaden" geschaffen, der — von dem Band der Nation und Familie befreit — die Effizienz entfaltet, die für das Bestehen in einem Wettbewerb nötig ist. Sie haben aber auch viele Menschen ratlos zurückgelassen, die sich durch den rasanten Wandel in allen Lebensbereichen überfordert fühlen und die sich ins gesellschaftliche Aus gedrängt sehen.
    Die Diskussion über Maastricht hat gezeigt: Die Menschen haben Angst vor dem Verlust ihrer eigenen kulturellen und sozialen Identität. Sie haben Angst, daß sich die Politik ihnen immer mehr entzieht und daß ihnen die demokratische Kontrolle entgleitet.
    Dabei wird Europa, wird der Binnenmarkt zu Unrecht für Probleme haftbar gemacht, die durch Weltmarktentwicklungen verursacht werden. Europa ist vielmehr notwendig, um Weltmarktentwicklungen gestalten zu können, damit dieser Prozeß nicht gegen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und gegen Bürger und Bürgerinnen läuft.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich erinnere daran: In den 70er Jahren handelten viele einzelne EG-Mitgliedstaaten nach den Ölpreisschocks nach dem Prinzip: „Rette sich, wer kann!" Die Konsequenz war hohe Arbeitslosigkeit in allen EG-Mitgliedsländern. Wir dürfen heute den Fehler des Rückfalls in die Desintegration aus politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen nicht wiederholen. Die Gefahr, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist groß: Stichwort GATT, Stichwort Veto, Stichwort EWS. Deshalb ist heute unser Appell, deutlich zu machen, daß wir in dem von uns geschaffenen Europa der Arbeitslosigkeit gemeinsam entgegenwirken und einen neuen Aufschwung für unsere gemeinsame Region Europa schaffen wollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Der deutsche Arbeitnehmer, die dänische Angestellte, der französische Bauer und der walisische
    Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992 10815
    Heidemarie Wieczorek-Zeul
    Bergmann werden ihren Arbeitsplatz, ihr Einkommen, ihre Lebensweise und ihren Ruhestand nur sichern können, wenn es den Europäern gelingt, ihr Modell einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft auch in den nächsten Jahrzehnten politisch und wirtschaftlich zu verteidigen und zu entwickeln.

    (Beifall bei der SPD)

    Gemessen an diesen Zielen, liebe Kolleginnen und Kollegen, fehlt es dem Maastricht-Vertrag an der Verankerung des Ziels einer Sozialunion und einer Umweltunion. An dieser Stelle muß sich auch Premierminister John Major sagen lassen, daß der Labour Party die Zustimmung zum Vertrag sicher leichter fiele, wenn sich seine Regierung nicht aus der gemeinschaftlichen Sozialpolitik ausgeklingt hätte.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    So ist das Abkommen über die Sozialpolitik wegen der britischen Verweigerungshaltung nur unter elf Mitgliedstaaten zustande gekommen. Deshalb appellieren wir in einem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD und F.D.P. heute aus Anlaß der Ratifizierung des Maastricht-Vertrags an das zwölfte Mitgliedsland Großbritannien, sich diesem Abkommen über die Sozialpolitik anzuschließen und damit dazu beizutragen, daß die Sozialpolitik, die Sozialunion Europa eine Chance hat.
    Wichtig ist, daß die Möglichkeiten, die der EGVertrag bereits vor Maastricht bot, voll ausgeschöpft werden und daß wir die Fortschritte im Kreis der elf Mitgliedstaaten auch in dieser Übergangsphase nutzen. Es geht um die Gestaltung der Sozialunion auf höchstem Niveau. Vorschläge für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen dürfen nicht länger in den Schubladen liegen. Sie müssen politische Wirklichkeit in Europa werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Regierungskonferenz von Maastricht hat sich leider nicht dazu durchringen können, die Umweltunion mit der nötigen Klarheit in den Zielkatalog des Vertrages aufzunehmen. Gerade hier hätte eine Europäische Union große Chancen. Sie hätte den großen Markt und die Instrumente der Rechtsetzung dazu. Sie könnte — dafür engagieren wir uns — Innovationen schaffen, weltweit ein Beispiel setzen und in der Ökologie Vorbildliches für ihre Bürger und Bürgerinnen sowie für die Länder des Südens leisten.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieses Ziel muß in der weiteren Umweltpolitik der EG und in einem revidierten Vertrag bei der nächsten Nachfolgekonferenz dringend verankert werden.
    Zu den zentralen Kritikpunkten am Maastricht-Vertrag zählt, daß die Balance zwischen Politischer Union und Europäischer Wirtschafts- und Währungsunion nicht ausreichend hergestellt, daß die Politische Union unzureichend entwickelt ist. Vor allem aber, liebe Kolleginnen und Kollegen — da sind wir alle gefordert —, sind die europäischen Gesetzgebungsprozesse nicht ausreichend durchschaubar; sie geben dem Europäischen Parlament bisher noch nicht das letzte Wort in der Gesetzgebung.
    Wir konnten den Vertrag von Maastricht nicht nachträglich ändern. Aber wir haben uns in den Beratungen im Sonderausschuß Europäische Union, als wir den Vertrag bewertet haben, dafür engagiert, den Bundestag stärker in die Kontrolle der europäischen Gesetzgebung und der Rolle der Bundesregierung im Ministerrat einzubringen. Wir verabschieden heute gemeinsam ein Rechtsstellungsgesetz für den Bundestag, mit dem der Deutsche Bundestag die Bundesregierung künftig vor entsprechenden Festlegungen im Ministerrat auf eine bestimmte Linie verpflichten will. — Darm kann es z. B. nicht mehr passieren, daß die Bundesregierung im EG-Ministerrat der Mehrwertsteuererhöhung auf 15 % zustimmt und anschließend nach Hause kommt und behauptet, ursächlich dafür sei das vorrangige EG-Recht, während sie in Wirklichkeit selber diese Linie vertreten hat. —

    (Beifall bei der SPD)

    Dazu haben wir im Grundgesetz einen Europaaus-
    schuß verankert, der der Bundesregierung künftig
    auch in diesen Fragen stärker auf die Finger schaut.
    Darüber hinaus fordern wir, daß Ministerratssitzungen endlich öffentlich stattfinden, damit Bürger und Bürgerinnen selber beurteilen können, wie europäische Gesetzgebung zustande kommt.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Ich bin überzeugt: Wenn die Bürger und Bürgerinnen zusehen könnten, wäre die Regelungswut im Ministerrat, wofür die nationalen Regierungen verantwortlich sind, eingedämmt.
    Vor allem aber haben wir Art. 23 im Grundgesetz eingefügt. Er legt fest, daß die Europäische Union „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen" entsprechen muß. Gleichzeitig legen wir in Abs. 1 dieses Artikels fest, daß Hoheitsrechtsübertragungen künftig nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat möglich sein werden. Damit ist der bisherigen — ich sage — undemokratischen Praxis ein Ende gesetzt, mit der nach dem Art. 24 und mit einfacher Mehrheit zentrale Kompetenzen auf die EG übertragen wurden, ohne daß dort gleichzeitig ausreichend parlamentarische Kontrolle und Entscheidung beim Europäischen Parlament vorhanden gewesen wären. Auf diese Art und Weise ist ein Demokratiedefizit in der Europäischen Gemeinschaft entstanden.
    Für uns ist klar: Wenn die Demokratisierung auf EG-Ebene nicht vorankommt, wenn das Europaparlament nicht volle Entscheidungsrechte in der Gesetzgebung erhält, dann ist eine weitere Übertragung von Hoheitsrechten der Bundesrepublik Deutschland auf die EG nicht mehr zu akezptieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Dies gilt für so sensible Bereiche wie die Innenpolitik, die Rechtspoliltik und ganz besonders die Verteidigungspolitik. Diese Bereiche verbleiben nach dem Maastrichter Vertrag in der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit und dürfen nicht vergemeinschaftet werden. Für uns als sozialdemokratische Bundestagsfraktion war wichtig, daß unabhängig vom Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags der Art. 23 Abs. 1 gilt,
    10816 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1992
    Heidemarie Wieczorek-Zeul
    d. h. künftige Hoheitsrechtsübertragung nur mit Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat. Entweder die EG wird demokratischer, oder es gibt keine weitere Übertragung von Hoheitsrechten.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Deshalb, der Demokratisierung wegen, muß die nächste Regierungskonferenz vorgezogen werden. Auch das sagen wir in einer Gemeinsamen Erklärung.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Drängen nach der Verankerung eines Parlamentsvorbehalts beim Übergang in die dritte Stufe zu Wirtschafts- und Währungsunion hat Erfolg gehabt. Wir haben immer gesagt, es darf keinen Automatismus beim Übergang von der zweiten Stufe zur dritten Stufe der Europäischen Währungsunion geben. Mit diesem Parlamentsvorbehalt — ich habe es in der ersten Lesung am 8. Oktober gesagt — wollten wir eine Sperre setzen, mit der die Aufweichung der harten D-Mark verhindert werden kann.
    Die CDU — die CSU nicht — und die F.D.P. haben sich unserer Forderung nach einer erneuten Entscheidung des Deutschen Bundestages lange wiedersetzt. Sie haben sich im Sonderausschuß jetzt unserer Position angeschlossen.

    (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der F.D.P. — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wer war denn in der Vergangenheit der große Bremser?)

    Wir begrüßen das.
    Mit der heutigen Erklärung des Deutschen Bundestages zur Wirtschafts- und Währungsunion wird die Bundesregierung aufgefordert, diesen Parlamentsvorbehalt einer erneuten Entscheidung des Deutschen Bundestages zu respektieren und ihn den EG-Partnern sowie der EG-Kommission mitzuteilen.

    (Beifall bei der SPD)