Protokoll:
12120

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 12

  • date_rangeSitzungsnummer: 120

  • date_rangeDatum: 12. November 1992

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:00 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/120 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 120. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 Inhalt: Erweiterung, Abwicklung und Änderung der Tagesordnung sowie Absetzung von Tagesordnungspunkten 10133A, D Begrüßung einer Parlamentarierdelegation aus Pakistan aus Mitgliedern der Nationalversammlung und dem Staatsminister Chaudhey Asad-ur Rehmann 10193A Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (Drucksache 12/2766) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 5. Mai 1989 über das grenzüberschreitende Fernsehen (Drucksache 12/3375) c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rolf Schwanitz, Achim Großmann, Robert Antretter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche — Verlängerung des Kündigungsschutzes für gewerblich genutzte Räume oder gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke (Drucksache 12/3447) d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Peter Conradi, Dr. Eckhart Pick, Achim Großmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuches —§ 22a (Drucksache 12/3626) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1992 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1992) (Drucksache 12/3629) f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wiesloch), Karsten D. Voigt (Frankfurt), Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zusammenarbeit mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und den mittel- und osteuropäischen Staaten in Bildung, Wissenschaft und Kultur (Drucksache 12/3368) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Adolf Ostertag, Ursula Burchhardt, Gerd Andres und weiterer Abgeordneter: Kein Weiterbau der A 44 (Drucksache 12/3627) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Drucksache 12/3684 [neu]) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Dionys Jobst, Horst Gibtner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Tarife im Güterverkehr (Tarifaufhebungsgesetz) (Drucksache 12/3701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ökologische Verkehrswende — Wege in eine gesunde Mobilität (Drucksache 12/3659) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Helmut Sauer (Salzgitter), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Michaela Blunk (Lübeck), Günther Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Die Zukunft der Vereinten Nationen: Aktive deutsche Mitwirkung an Stärkung und Reform (Drucksache 12/3702) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Karl Lamers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Günther Bredehorn, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Die zukünftige Rolle der Bundesrepublik Deutschland im System der Vereinten Nationen (Drucksache 12/3703) 10133 D Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" (Drucksachen 12/3376, 12/3679, 12/3680) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistiken der öffentlichen Finanzen und des Personals im öffentlichen Dienst (Finanz- und Personalstatistikgesetz) (Drucksachen 12/3256, 12/3705) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (FGO-Änderungsgesetz) (Drucksachen 12/1061, 12/3676) d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgesetzes (Drucksachen 12/3356, 12/3596) e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der anderweitigen Verwendung von Berufssoldaten und Beamten des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung (Verwendungsförderungsgesetz) (Drucksachen 12/3159, 12/3707, 12/3709) f) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes (Drucksachen 12/2686, 12/3571, 12/3572) g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes (Drucksachen 12/2658, 12/3553) h) — Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Januar 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kap Verde über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 12/2997) — Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. April 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Swasiland über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 12/2998) — Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 6. Dezember 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Kooperativen Republik Guyana über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 12/2999, 12/3673) i) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Dezember 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 III land und der Republik Ungarn über die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen (Drucksachen 12/3049, 12/3671) j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Wahlkreiskommission für die 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 Bundeswahlgesetz (BWG) (Drucksachen 12/2276, 12/3560) k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft — zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung — zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. — zum Entschließungsantrag der Gruppe der PDS/Linke Liste Jahreswirtschaftsbericht 1992 der Bundesregierung (Drucksachen 12/2018, 12/2077, 12/2063, 12/2488) l) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur ersten Änderung der Richtlinie 88/344 des Rates vom 13. Juni 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden (Drucksachen 12/2257 Nr. 3.56, 12/3604) m) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses: Übersicht 7 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 12/3472) n) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 78 zu Petitionen (Drucksache 12/3621) o) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 79 zu Petitionen (Drucksache 12/3622) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 6 b: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Einlagensicherungssysteme (Drucksachen 12/3182 Nr. 7, 12/3475) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz-Alfred Steiner, Dr. Andreas von Bülow, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbesserung der Wohnungsfürsorge für Angehörige der Bundeswehr (Drucksachen 12/2547, 12/3603) 10135A Tagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages zum Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" (Drucksachen 12/8520, 12/3658) Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) CDU/ CSU 10139B Wolf-Michael Catenhusen SPD . . . . 10141A Dr. Christoph Schnittler F.D.P. . . . . 10143 C Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminister BMFT . . . . . . . . . . . . . . . . . 10144 D Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . . 10146D Gudrun Schaich-Walch SPD . . . . . . 10147 C Heinrich Seesing CDU/CSU 10148B Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F.D.P. . . 10149D Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . 10151A Horst Seehofer, Bundesminister BMG . . 10152A Dr. Marliese Dobberthien F.D.P. . . . . . 10154 B Christian Lenzer CDU/CSU . . . . . . 10155 D Josef Vosen SPD 10157 A Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F D P 10157 D Dr. Paul Hoffacker CDU/CSU . . . . . 10158 C Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Gesetzen auf dem Gebiet des Rechts der Wirtschaft (Drucksachen 12/3320, 12/3542, 12/3636) Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi . 10160B Albert Pfuhl SPD. 10161 B Renate Blank CDU/CSU 10162 D Ernst Hinsken CDU/CSU 10163 A Albert Pfuhl SPD 10163 D Josef Grünbeck F.D.P. 10165 C IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 Tagesordnungspunkt 9: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Angelika Barbe, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gedenkstätten ehemaliger NS-Konzentrations- und Vernichtungslager in Osteuropa (Drucksache 12/3178) h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegfried Vergin, Freimut Duve, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Leitlinien zu den Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 12/3179) Siegfried Vergin SPD 10167 A Dr. Roswitha Wisniewski CDU/CSU 10168A Freimut Duve SPD . . . . . . . . . . . 10169 A Wolfgang Lüder F.D.P. 10169 B Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 10170B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10170D Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) (Drucksachen 12/ 3532, 12/3677, 12/3678) Dr. Ulrich Böhme (Unna) SPD 10171D Eva-Maria Kors CDU/CSU . . . . . . 10172 C Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. . . . . . 10173 C Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 3 D Tagesordnungspunkt 2: Befragung der Bundesregierung (Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1992; Fünfter Immissionsschutzbericht der Bundesregierung; Bericht der Bundesregierung zur Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. Juni 1986 zu Gewalt gegen Frauen; weitere aktuelle Fragen) Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . . . 10174D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . 10175D Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . . . 10176A Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein CDU/CSU 10176C Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . . 10176C Horst Sielaff SPD 10176D Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . . 10177A Freimut Duve SPD . . . . . . . . . . 10177 B Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . 10177C Jan Oostergetelo SPD . . . . . . . . . . 10177 D Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . . 10178A Klaus Harries CDU/CSU 10178B Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . . 10178B Siegfried Hornung CDU/CSU 10178C Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . . 10178D Karl Stockhausen CDU/CSU 10179A Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . . 10179A Jan Oostergetelo SPD 10179B Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . . 10179C Walter Kolbow SPD 10179D Friedrich Bohl, Bundesminister (ChefBK) 10179D Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde (Fortsetzung) — Drucksache 12/3656 vom 6. November 1992 — Verlegung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes zusammen mit dem Bundesarchiv-Militärarchiv von Freiburg nach Berlin-Gatow; Kosten für Neubau und Umzug MdlAnfr 31, 32 Gernot Erler SPD Antw PStSekr Bernd Wilz BMVg 10180B, 10181B ZusFr Gernot Erler SPD . . . 10180C, 10181C ZusFr Walter Kolbow SPD 10180D ZusFr Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . 10181A Gleichbehandlung von verheirateten und in einer eheähnlichen Verbindung lebenden wehrpflichtigen Familienvätern bei der Einberufung zum Wehrdienst MdlAnfr 34, 35 Doris Odendahl SPD Antw PStSekr Bernd Wilz BMVg . 10182A, C ZusFr Doris Odendahl SPD 10182B, D ZusFr Siegfried Hornung CDU/CSU . . . 10182B ZusFr Gernot Erler SPD 10183A ZusFr Karl Stockhausen CDU/CSU . 10183B Schicksal der vom DDR-Patentamt erteilten Wirtschaftspatente MdlAnfr 1 Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ 10183 C ZusFr Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU 10183D Ermittlungsverfahren und Verurteilungen gem. §§ 86 und 86a StGB seit Januar 1990 MdlAnfr 2, 3 Hans-Joachim Hacker SPD Antw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ 10184A, 10185 C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 V ZusFr Hans-Joachim Hacker SPD 10184A, 10185C ZusFr Wolfgang Lüder F.D.P. 10184 B ZusFr Dr. Hans de With SPD 10184 C ZusFr Johannes Singer SPD 10184 C ZusFr Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . 10184 D ZusFr Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10185A Strafzumessungspraxis in Verfahren gemäß §§ 86 und 86a StGB; Herkunft, Alter und Motivation der Verdächtigen MdlAnfr 4, 5 Hermann Bachmaier SPD Antw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ 10186A, 10187 D ZusFr Hermann Bachmaier SPD 10186A, 10188B ZusFr Dr. Hans de With SPD 10186C, 10189B ZusFr Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . 10186 D ZusFr Freimut Duve SPD . . . 10187A, 10189D ZusFr Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . 10187 B ZusFr Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . 10187C, 10189 C Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Augustinowitz, Ulrich Adam, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Günther Friedrich Nolting, Jürgen Koppelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Humanitäre deutsche Hilfe durch Minenräumen in Staaten der „Dritten Welt" (Drucksache 12/3348) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Hilfe bei der Räumung von Minen in ehemaligen Konfliktregionen als Beitrag zum Schutz von Menschen, zum Wiederaufbau von Lebensgrundlagen und zur Bekämpfung von Fluchtursachen (Drucksache 12/3694) Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . 10190C Hans Wallow SPD . . . . . . . . . . . 10191 D Ulla Jelpke PDS/Linke Liste . . . . . . . 10193 B Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . 10193 D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10194D Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin AA 10195C Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 12/2866, 12/3711) Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 10197A Erika Simm SPD 10198B Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. 10199C Petra Bläss PDS/Linke Liste 10200 D Josef Hollerith CDU/CSU 10201 D Ralf Walter (Cochem) SPD 10201D Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . . 10204 C Tagesordnungspunkt 13: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes (Drucksachen 12/2021, 12/3669) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Conradi, Freimut Duve, Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: EG-Klage gegen das Zweite Gesetz zur Änderung des Filmförderungsgesetzes (Drucksachen 12/2214, 12/3669) Peter Conradi SPD (zu einer Berichtigung) 10206 A Dr. Albert Probst CDU/CSU . . . . . 10206 B Peter Conradi SPD 10207 B Josef Grünbeck F.D.P. . . . . . . . . 10208 C Angela Stachowa PDS/Linke Liste . . 10209B Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . 10209 D Freimut Duve SPD . . . . . . . . . . 10210 D Tagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und vorläufigen Fortführung der Datensammlungen des „Nationalen Krebsregisters" der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Krebsregistersicherungsgesetz) (Drucksachen 12/3198, 12/3682, 12/3683) Dr. Else Ackermann CDU/CSU 10211D Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . 10212C Dr. Bruno Menzel F.D.P. . . . . . . . 10214 A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 10214 D Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin BMG 10215 C Tagesordnungspunkt 15: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auswir- VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 kungen aus dem Uranbergbau und Umgang mit den Altlasten der Wismut in Ostdeutschland (Drucksachen 12/2671, 12/3309) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verantwortung für die Hinterlassenschaften aus fünf Jahrzehnten Uranabbau — Vorsorge für Jahrtausende (Drucksache 12/3648) Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . 10217 A Dr. Michael Luther CDU/CSU 10219A Siegrun Klemmer SPD 10219D Jürgen Türk F.D.P. . . . . . . . . . . 10220 C Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste 10221A Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . 10222 A Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Ingeborg Philipp, Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Anschubfinanzierung für Produktion des weltweit ersten FCKW-FKW- freien Serienkühlschranks aus dem Bundeshaushalt — keine Abwicklung der Kühlgeräteherstellerfirma dkk Scharfenstein GmbH (Drucksache 12/3160) Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 10224 B Monika Ganseforth SPD . . . . . . . . 10225 B Wolfgang Engelmann CDU/CSU . . 10226A Dr. Jürgen Starnick F.D.P. . . . . . . 10227 A Freimut Duve SPD 10227 B Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . 10228 A Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 10229A Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Peru (Drucksache 12/3704) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rückkehr zur Demokratie in Peru (Drucksache 12/3710) Rainer Eppelmann CDU/CSU . . . . . . 10230A Freimut Duve SPD . . . . . . . . . . . 10231 A Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . 10232 B Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . 10233A Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 10233D Zusatztagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) (Drucksache 12/3685 [neu]) Norbert Geis CDU/CSU 10235 A Johannes Singer SPD 10235 D Jürgen Koppelin F.D.P. 10236 C Dr. Hans de With SPD 10237 A Dr. Reinhard Göhner F.D.P. . 10237A, 10238 C Norbert Geis CDU/CSU 10238B Dr. Walter Hitschler F.D.P. . . . . . 10238 C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 10239C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10240C Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . 10241 A Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 10242B Nächste Sitzung 10242D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10243* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu den Zusatztagesordnungspunkten 8 und 9 (Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Peru und Antrag der Fraktion der SPD und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rückkehr zur Demokratie in Peru) Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10243* C Anlage 3 Ausreichende Rechtskenntnisse zur Wertung der Strafwürdigkeit von Verstößen gegen § 86a StGB MdlAnfr 6 — Drs 12/3656 — Dr. Eckhart Pick SPD SchrAntw PStSekr Dr. Reinhard Göhner . 10244* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 VII Anlage 4 Aufklärung der Bevölkerung und der Strafverfolgungsbehörden über den Inhalt der §§ 86 und 86a StGB MdlAnfr 7, 8 — Drs 12/3656 — Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10244 * C Anlage 5 Aufnahme von Bestimmungen in den Strafrechtskatalog zur Verfolgung von Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau MdlAnfr 9, 10 — Drs 12/3656 — Uta Würfel F.D.P. SchrAntw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10245* A Anlage 6 Kosten der Umrüstung und Möglichkeiten zu einer Nachrüstung durch die Türkei MdlAnfr 30 — Drs 12/3656 — Uta Zapf SPD SchrAntw PStSekr Bernd Wilz BMVg . . 10245* C Anlage 7 Stationierung französischer Streitkräfte noch 1995 in den bisherigen Standorten; zivile Nutzung der Standorte in Baden-Baden, Rastatt und Bühl nach dem Truppenabzug MdlAnfr 33 — Drs 12/3656 — Dr. Olaf Feldmann F.D.P. SchrAntw PStSekr Bernd Wilz BMVg . 10245* D Anlage 8 Verhinderung der Veröffentlichung des kritischen Beitrags eines Bundesbahnbediensteten über den Transrapid durch den Vorstand der Bundesbahn MdlAnfr 36, 37 — Drs 12/3656 — Eckart Kuhlwein SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 10246* A Anlage 9 Einflußnahme des Vorstandes der Bundesbahn auf die Veröffentlichung eines kritischen Beitrags eines Mitarbeiters über den Transrapid MdlAnfr 38, 39 — Drs 12/3656 — Ulrike Mehl SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 10246* B Anlage 10 Veröffentlichungsverbot für einen kritischen Beitrag eines Mitarbeiters der Bundesbahn über den Transrapid MdlAnfr 40 — Drs 12/3656 — Dr. Margrit Wetzel SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 10246* C Anlage 11 Auswirkungen der Schließung des Bundesbahn-Ausbesserungswerks SaarbrückenBurbach MdlAnfr 41, 42 — Drs 12/3656 — Ottmar Schreiner SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 10246* D Anlage 12 Umsetzung der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer stärkeren Präsenz von Bundesbehörden im Saarland vor der Schließung des Bundesbahn-Ausbesserungswerks Saarbrücken-Burbach MdlAnfr 43, 44 — Drs 12/3656 — Elke Ferner SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 10247* B Anlage 13 Umsetzung von Mitarbeitern des Bundesbahn-Ausbesserungswerks in Kaiserslautern in das Werk von Saarbrücken-Burbach MdlAnfr 45 — Drs 12/3656 — Michael Habermann SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 10247* C Anlage 14 Einbeziehung betrieblicher Vergleichsdaten der Bundesbahn-Ausbesserungswerke Kaiserslautern und Saarbrücken in die Entscheidung über die Schließung des Werks in Saarbrücken-Burbach MdlAnfr 46, 47 — Drs 12/3656 — Jutta Müller (Völklingen) SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 10248* A Anlage 15 Umsetzung von Bundesbahnbediensteten bei Schließung des Bundesbahn-Ausbesserungswerks Saarbrücken nach Kaiserslautern und umgekehrt MdlAnfr 48, 49 — Drs 12/3656 — Lothar Fischer (Homburg) SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 10248* C VIII Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 Anlage 16 Zeitpunkt des Inkrafttretens der Wärmenutzungsverordnung MdlAnfr 50 — Drs 12/3656 — Monika Ganseforth SPD SchrAntw PStSekr Dr. Bertram Wieczorek BMU 10249* A Anlage 17 Vorwurf von Bundesminister Dr. Klaus Töpfer an die SPD wegen der Verhinderung eines energiepolitischen Konsenses angesichts der Blockierung der „UeberhorstKommission" durch die CDU/CSU MdlAnfr 51, 52 — Drs 12/3656 — Hans Georg Wagner SPD SchrAntw PStSekr Dr. Bertram Wieczorek BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10249* B Anlage 18 Verhinderung des Verkaufs von in der Bundesrepublik Deutschland verbotenen Anlagen für die chemische Reinigung an Drittländer MdlAnfr 53, 54 — Drs 12/3656 — Dr. Norbert Rieder CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Bertram Wieczorek BMU . . 10249 * D Anlage 19 Ergebnisse des Besuchs von Bundesminister Dr. Klaus Kinkel in China hinsichtlich der Menschenrechtssituation in China und Tibet; Beitrag des Besuchs von Bundesminister Dr. Klaus Kinkel in Pakistan zur Lösung des Kashmirproblems MdlAnfr 55, 56 — Drs 12/3656 — Dr. Klaus Kübler SPD SchrAntw StMin'in Ursula Seiler-Albring AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10250 * B Anlage 20 Verweigerung der Übernahme von DDR- Verpflichtungen durch die Bundesregierung, insbesondere der Lieferung von Milchpulver an Kuba; Probleme mit den vom VN-Sondergesandten Mohammed Sahnoun kritisierten Hilfslieferungen für Somalia MdlAnfr 57, 58 — Drs 12/3656 — Hans Wallow SPD SchrAntw StMin'in Ursula Seiler-Albring AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10250* D Anlage 21 Stellung von Asylanträgen durch in Familien untergebrachte Flüchtlinge aus Jugoslawien zur Erlangung von Sozialhilfe MdlAnfr 59, 60 — Drs 12/3656 — Erich G. Fritz CDU/CSU SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 10251* B Anlage 22 Zunehmende Verwendung nationalsozialistischer Symbole durch Rechtsradikale; Nichteinschreiten der Polizei trotz des Verdachts einer Straftat nach § 86a StGB MdlAnfr 61, 62 — Drs 12/3656 — Dr. Hans de With SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 10251* D Anlage 23 Gegenmaßnahmen bei Verstößen gegen § 86a StGB MdlAnfr 63 — Drs 12/3656 — Dr. Eckhart Pick SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 10252* A Anlage 24 Untersuchung des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien über die Situation der rumänischen Roma als einzige Unterlage für die Verhandlungen mit Rumänien über den Abschiebungsvertrag MdlAnfr 64, 65 — Drs 12/3656 — Freimut Duve SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 10252* B Anlage 25 Angebot des Deutschen Anwaltvereins zum Einsatz von Rechtsanwälten zur Beschleunigung der Asylverfahren MdlAnfr 66 — Drs 12/3656 — Ludwig Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 10253* A Anlage 26 Verteilung der Asylbewerber auf die Bundesländer MdlAnfr 67, 68 — Drs 12/3656 — Adolf Ostertag SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 10253* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 10133 120. Sitzung Bonn, den 12. November 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker-Inglau, Ingrid SPD 12. 11. 92 Beckmann, Klaus F.D.P. 12. 11. 92 Berger, Johann Anton SPD 12. 11. 92 Bindig, Rudolf SPD 12. 11. 92* Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 12. 11. 92 Bulmahn, Edelgard SPD 12. 11. 92 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 12. 11. 92 Peter Harry Francke (Hamburg), CDU/CSU 12. 11. 92 Klaus Gattermann, Hans H. F.D.P. 12. 11. 92 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 12. 11. 92 Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 12. 11. 92 Gries, Ekkehard F.D.P. 12. 11. 92 Großmann, Achim SPD 12. 11. 92 Hämmerle, Gerlinde SPD 12. 11. 92 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 12. 11. 92 Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 12. 11. 92 Jäger, Claus CDU/CSU 12. 11. 92 Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 12. 11. 92 Kittelmann, Peter CDU/CSU 12. 11. 92 Kolbe, Regina SPD 12. 11. 92 Koschnick, Hans SPD 12. 11. 92 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 12. 11. 92 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 12. 11. 92 Marten, Günter CDU/CSU 12. 11. 92 Marx, Dorle SPD 12. 11. 92 Meißner, Herbert SPD 12. 11. 92 Dr. Meseke, Hedda CDU/CSU 12. 11. 92 Mischnick, Wolfgang F.D.P. 12. 11. 92 Molnar, Thomas CDU/CSU 12. 11. 92 Oesinghaus, Günther SPD 12. 11. 92 Paterna, Peter SPD 12. 11. 92 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 12. 11. 92 Poppe, Gerd BÜNDNIS 12. 11. 92 90/DIE GRÜNEN Rempe, Walter SPD 12. 11. 92 Reuschenbach, Peter W. SPD 12. 11. 92 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 12. 11. 92 Ingrid Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 12. 11. 92 Schmidt (Fürth), CDU/CSU 12. 11. 92 Christian Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 12. 11. 92 Andreas Schmidt (Nürnberg), SPD 12. 11. 92 Renate Schmidt (Salzgitter), SPD 12. 11. 92 Wilhelm Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 12. 11. 92 Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 12. 11. 92 Uldall, Gunnar CDU/CSU 12. 11. 92 Dr. Ullmann, Wolfgang BÜNDNIS 12. 11. 92 90/DIE GRÜNEN Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Vogel (Ennepetal), CDU/CSU 12. 11. 92 * Friedrich Weisskirchen (Wiesloch), SPD 12. 11. 92 Gert Wimmer (Neuötting), SPD 12. 11. 92 Hermann Wissmann, Matthias CDU/CSU 12. 11. 92 Zierer, Benno CDU/CSU 12. 11. 92 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu den Zusatztagesordnungspunkten 8 und 9 (Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Peru und Antrag der Fraktion der SPD und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rückkehr zur Demokratie in Peru)*) Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schritt für Schritt wird die erst vor kurzem zum unverzichtbaren Bestandteil der deutschen Entwicklungs- und Außenpolitik erklärte Menschenrechtspolitik zur Makulatur. Belege dafür gibt es bereits mehrere. Bisher deutlichstes Beispiel ist die China-Politik der letzten Monate. Minister Kinkel äußerte vergangene Woche in China angesichts der Fortdauer von Verhaftungen gewaltfreier Oppositioneller und Menschenrechtsaktivisten, von Folter und von Hunderten teils öffentlich vollstreckter Todesurteile, die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und China seien „normal". Wenige Tage später scheiterte ein Antrag aller Fraktionen zu Peru, in dessen Begründung die bedrückenden Berichte peruanischer Menschenrechtler während einer Anhörung in Bonn eingegangen waren. Dank dieser gemeinsamen Informationen gab es keine Kontroversen um den Antrag, bis - so heißt es - auf ausdrückliche Intervention von Minister Spranger eben diese Begründung von den Koalitionsfraktionen zurückgezogen wurde. Sie bildet jetzt den Inhalt des ergänzenden Antrags, der von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeinsam gestellt wird. Denn erst dort wird die gegenwärtige Situation der Menschenrechte in Peru angesprochen, aus der sich die berechtigte Weigerung des Bundestages herleitet, parlamentarische Beobachter während der Wahlen zur Verfassungs- und Gesetzgebenden Versammlung dorthin zu entsenden. Folgen die Rückschritte in der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung auch noch keinem erklärten Konzept, so läßt sich der inhaltliche Zusammenhang zwischen den Äußerungen des Außenministers und der des Ministers für Wirtschaftliche Zusammenarbeit doch kaum mehr leugnen. *) Vgl. Seite 10234D 10244* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 Die Darstellungen der peruanischen Menschenrechtsorganisationen haben erschreckend deutlich gemacht, daß zwischen dem Terrorismus des Sendero Luminoso und dem ohne parlamentarische und gerichtliche Kontrolle agierenden Regime Fujimoris die demokratischen Kräfte, die Gewerkschaften und die Bauernligen ebenso zerrieben zu werden drohen wie die Selbsthilfegruppen in den Elendsvierteln und die Vereinigungen zum Schutz der Menschenrechte. Sie alle bedürfen jetzt vernehmbarer europäischer und deutscher Solidarität. Stellvertretend für andere will ich drei Gruppierungen nennen; willkürlich verhaftet wurden im Juni dieses Jahres die gewählten Vertreter der Bauerngemeinschaft von San Ignacio in der Provinz Catamarca, Menschen, die ihr legales Recht auf Kritik des gegenwärtigen Regimes wahrgenommen und die keinerlei Beziehungen zu subversiven oder terroristischen Gruppen haben. Peruanische Menschenrechtsorganisationen wurden in den letzten Wochen durch den Präsidenten Fujimori wiederholt als „nützliche Idioten" des Sendero Luminoso diffamiert. Europäische Peru-Solidaritäts-Gruppen wurden in diese Hetzkampagne gleich mit eingeschlossen. Erst im September, also im Vorfeld der anstehenden Wahlen, haben sich die verschiedensten demokratischen Gruppen und Einzelpersönlichkeiten, von Christen über Sozialdemokraten und Basisgruppen aus den Elendsvierteln bis zur Vereinigten Linken zu einer Demokratischen Plattform zusammengeschlossen mit dem Ziel, im Kongreß ein Minimum von Kontrolle des zunehmend diktatorischen Regimes durchsetzen zu können. Diesen und allen anderen demokratischen Gruppen und Organisationen muß unsere und muß die Unterstützung deutscher Menschenrechtspolitik insgesamt gelten. Das ist auch das Ziel des ursprünglichen gemeinsamen und jetzt unseres Antrags: Hilfe bei der Verteidigung der Menschenrechte gegen Terroristen und Diktatoren zu sein. In diesem Zusammenhang erst bekommt auch die Verweigerung von demokratischen Feigenblättern für undemokratische Strukturen, z. B. von Wahlbeobachtern für die Wahlen zu Scheinparlamenten, ihren Sinn. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Reinhard Göhner auf die Frage des Abgeordneten Dr. Eckhart Pick (SPD) (Drucksache 12/3656 Frage 6) Hält die Bundesregierung das Rechtsbewußtsein und die Rechtskenntnisse der Bevölkerung sowie der Polizeibeamten für hinreichend, um die Strafwürdigkeit der Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen zu erkennen und Verstöße gegen § 86a StGB zu verfolgen? Die Bundesregierung kann nicht ausschließen, daß die Strafbarkeit insbesondere der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, z. B. des Hakenkreuzes und des sog. Hitlergrußes, nicht in allen Bevölkerungsteilen, insbesondere nicht in den neuen Ländern, in gleicher Weise bekannt ist. Sie geht jedoch davon aus, daß die öffentliche und politische Diskussion über Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit die Sensibilität und auch die Kenntnisse hinsichtlich der Verwendung solcher Kennzeichen in der Bevölkerung erhöhen. Die gemeinsame Konferenz der Innen- und Justizminister am 17. Oktober 1991 hat eine Aufklärungskampagne beschlossen. Sie hat nach Angaben der Landesjustizverwaltungen auch erste Wirkungen gezeigt. Die Strafbarkeit von Handlungen nach § 86a StGB ist Bestandteil jeder polizeilichen Aus- und Fortbildung. Insoweit dürften alle Polizeibeamten über genügende Rechtskenntnisse und Rechtssicherheit verfügen. Darüber hinaus wird in polizeilichen Einsatzbesprechungen — insbesondere in Vorbereitung von Einsätzen anläßlich von Demonstrationen — fortlaufend auf die Strafbarkeit von Handlungen nach § 86 a StGB und auf die Notwendigkeit polizeilichen Einschreitens hingewiesen. Anlage 4 Antwort des Pari. Staatssekretärs Dr. Reinhard Göhner auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 7 und 8) Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die Bevölkerung und die Strafverfolgungsbehörden über den Inhalt der §§ 86 und 86a StGB und die Folgen eines Verstoßes gegen diese Vorschriften aufzuklären? Welche weiteren — politischen und rechtlichen — Mittel wird die Bundesregierung einsetzen, um — der Bedeutung des § 86 a StGB als Staatsgefährdungsdelikt entsprechend — andere Begehungsformen (Herstellen, Vorrätighalten und Einführen von Gegenständen, die verfassungswidrige Kennzeichen enthalten) zu unterbinden? Zu Frage 7: Die Bundesregierung geht davon aus, daß den Strafverfolgungsbehörden die Vorschriften der §§ 86, 86a StGB bekannt sind. Im übrigen ist die Bundesregierung der Auffassung, daß insbesondere durch eine rasche und unnachsichtige Strafverfolgung von Straftaten der angesprochenen Art das Bewußtsein der Bevölkerung für diesen Kriminalitätsbereich sensibilisiert werden kann. Darüber besteht mit den Ländern, in deren Zuständigkeit die Verfolgung von Straftaten nach den §§ 86, 86a StGB fällt, völlige Übereinstimmung. Im übrigen verweise ich auf meine Antwort auf das von den Innen- und Justizministern beschlossene Aktionsprogramm und insoweit auf meine Antwort zu der Frage des Kollegen Dr. Pick (Frage 14). Besondere Maßnahmen zur Aufklärung der Strafverfolgungsbehörden sind nach Meinung der Bundesregierung nicht erforderlich. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 10245* Zu Frage 8: Das Herstellen, Vorrätighalten und Einführen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ist bereits nach geltendem Recht (§ 86a Abs. 1 Nr. 2 StGB) unter Strafe gestellt. Die Überwachung des Einfuhrverbotes ist durch das Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote sichergestellt. Darüber hinaus erwägt die Bundesregierung, § 86 a StGB dahin zu ergänzen, daß auch die Verwendung von verfremdeten und verzerrten Kennzeichen, die den in § 86a Abs. 2 StGB aufgeführten Kennzeichen zum Verwechseln ähnlich sind, unter Strafe gestellt wird. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Reinhard Göhner auf die Fragen der Abgeordneten Uta Würfel (F.D.P.) (Drucksache 12/3656 Fragen 9 und 10): Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Strafrechtskatalog nicht ausreicht, um Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau wirksam zu bestrafen? Wie gedenkt die Bundesregierung wirksame Mittel im Strafrecht zu verankern, damit Straftaten, die die Intimsphäre der Frau mißachten und verletzen, strafrechtlich sanktioniert werden können? Zu Frage 9: Der Bundesregierung ist aus der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur bekannt, daß bestimmte Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen von den geltenden Straftatbeständen nicht oder nur unvollkommen erfaßt werden. Die Bundesregierung hat hierzu zuletzt in ihrem Bericht zur Entschließung des Europäischen Parlamentes vom 11. Juni 1986 zur Gewalt gegen Frauen Stellung genommen; dieser Bericht wird voraussichtlich heute [ 12. November 1992] von der Bundesregierung gebilligt. Zum einen sind im Bereich der Tatbestände der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung — die das Erzwingen sexueller Handlungen mit Gewalt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Strafe stellen — Fälle aufgetreten, in denen weder das Tatbestandsmerkmal „Gewalt" noch das Tatbestandsmerkmal „Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben" erfüllt waren, obwohl diese Fälle ebenso strafwürdig erscheinen wie bei Anwendung von Gewalt oder Drohungen durch den Täter. Schwierigkeiten bereitet auch die Erfassung sexueller Übergriffe von Therapeuten gegenüber ihren Patienten im Rahmen psychotherapeutischer Behandlungen. Nicht unter die geltenden Straftatbestände fallen schließlich Fälle, in denen der Täter das Einverständnis des Opfers mit sexuellen Handlungen durch falsche Angaben — z. B. durch die Behauptung, er sei Krankenpfleger und müsse an dem Opfer Untersuchungen vornehmen — erschleicht, sowie Fälle, in denen das Opfer mit Hilfe einer Videokamera heimlich in intimen Situationen beobachtet wird. Ich darf aber darauf hinweisen, daß der weitaus überwiegende Teil strafwürdiger Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen durch die geltenden Straftatbestände erfaßt wird. Die Bundesregierung prüft demnach für jeden der genannten Bereiche, ob und welche Ergänzungen oder Korrekturen des geltenden Rechts erforderlich sind. Zu Frage 10: Zu Ihrer zweiten Frage darf ich zunächst auf die Antwort der Bundesregierung vom 12. Februar 1992 auf Ihre damaligen Fragen verweisen. Mit einer entsprechenden Strafvorschrift würde strafrechtliches Neuland betreten; die dabei entstehenden Probleme sind gegenwärtig — auch wegen anderer vorrangiger Gesetzesvorhaben (v. a. Schwangeren- und Familienhilfegesetz; Organisierte Kriminalität; Kinderpornographie) — noch nicht gelöst. Es ist aber vorläufig an eine vorsichtige Erweiterung des § 185 StGB (Beleidigung) in dem Sinne gedacht, daß auch das Eindringen in die Intimsphäre durch entwürdigende Handlungen strafbar wird. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Bernd Wilz auf die Frage der Abgeordneten Uta Zapf (SPD) (Drucksache 12/3656 Frage 30) Welche militärischen Fähigkeiten werden diese umgerüsteten/modernisierten RF-4E Phantom bei Lieferungen an die Türkei haben, und ist eine Nachrüstung der RF-4E Phantom durch die Türkei auf eine Kampfrollenbefähigung möglich? Die Flugzeuge werden die Fähigkeit zu optronischer und radargestützter Aufklärung besitzen. Sie verfügen waffentechnisch nicht über eine „Kampfrollenbefähigung". Eine diesbezügliche Nachrüstung durch die Türkei kann ohne fremde Unterstützung ausgeschlossen werden. Sie könnte nur mit hohem baulichem Aufwand durch Staaten mit entsprechendem technischen Niveau (USA, Israel, Deutschland) durchgeführt werden. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Bernd Wilz auf die Frage des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.) (Drucksache 12/3656 Frage 33) Wie viele französische Soldaten werden an den bisherigen Standorten in Deutschland jeweils im Jahr 1995 noch stationiert sein, und inwiefern wirkt die Bundesregierung darauf hin, daß der französische Truppenabzug dazu führt, daß möglichst viele städtebaulich und wirtschaftlich attraktive Standorte in BadenBaden, Rastatt und Bühl einer zivilen Nutzung zugeführt werden können? 10246* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 Im Rahmen des bereits Ende 1990 zwischen Deutschland und Frankreich begonnenen Konsultationsverfahrens über den Abzug der französischen Streitkräfte aus Deutschland hat die deutsche Seite ihren französischen Gesprächspartnern regelmäßig die Anregungen und Wünsche der betroffenen Landesregierungen zu den jeweils anstehenden Abzugsphasen übermittelt und sich für ihre Berücksichtigung eingesetzt. In den bisher durchgeführten Abzugsphasen I (1991) und II (1992) wurde diesen Wünschen und Anregungen weitestgehend entsprochen. Zu dem für 1993 vorgesehenen Abzug (Phase III) haben die Kosultationen gerade erst begonnen. Die entscheidende Gesprächsrunde ist für Januar 1993 in Bonn vorgesehen. Hiervon werden weitere Informationen von der französischen Seite zur künftigen Entwicklung erwartet. Deshalb ist zur Zeit eine Aussage zur Anzahl der im Jahre 1995 noch in Deutschland stationierten französischen Soldaten nicht möglich. Ihre Anzahl wird davon abhängen, in welchem personellen Umfang sich Frankreich am geplanten Europäischen Korps beteiligt. Was die angesprochenen Standorte anbelangt, so hat Frankreich die Absicht bekundet, 1993 weitere Liegenschaften in Baden-Baden und Bühl aufzugeben. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fragen des Abgeordneten Eckart Kuhlwein (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 36 und 37): Trifft ein Pressebericht (Frankfurter Rundschau vom 3. November 1992) zu, nach dem der Vorstand der Deutschen Bundesbahn die Veröffentlichung eines kritischen Beitrags über den „Transrapid" in der Fachzeitschrift „Internationales Verkehrswesen" durch Druck auf den beamteten Autor verhindert hat, und welche Beweggründe hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn gegebenenfalls dafür gehabt? Ist die Deutsche Bundesbahn bereit, der Veröffentlichung des Beitrags eventuell in einer anderen Publikation bzw. Form zur Unterrichtung der Öffentlichkeit zuzustimmen, ohne daß dem Autor dadurch Nachteile entstehen? Zu Frage 36: Nach Mitteilung des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn trifft dieser Pressebericht nicht zu. Zu Frage 37: Ja, wenn gleichzeitig die Haltung des Vorstandes veröffentlicht wird. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fragen der Abgeordneten Ulrike Mehl (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 38 und 39): Inwieweit ist es üblich, daß der Vorstand der Deutschen Bundesbahn — wie im Fall eines kritischen Beitrags zum „Transrapid" (Frankfurter Rundschau vom 3. November 1992) —auf Veröffentlichungen von Mitarbeitern in Fachzeitschriften Einfluß nimmt, soweit sie nicht die offizielle Auffassung ihres Dienstherrn vertreten? Trifft es zu, daß der Autor in seinem Beitrag zum „Transrapid" zu dem Ergebnis kommt, der Einsatz „dieser neuen sehr speziellen und für den klassischen Güterverkehr ungeeigneten Spurführungstechnik inmitten eines dichten und modernisierungsfähigen Eisenbahn-Netzes" sei „nicht zu empfehlen", und wie beurteilt die Bundesregierung diese Einschätzung? Zu Frage 38: Der Vorstand der DB hat mir mitgeteilt, daß er den Mitarbeiter keineswegs daran gehindert habe, seinen Artikel zu veröffentlichen. Dieser habe vielmehr die Veröffentlichung des Artikels in der dafür vorgesehenen Fachzeitschrift von sich aus zurückgezogen, um das einheitliche Auftreten des Unternehmens in der Öffentlichkeit zu wahren. Zu Frage 39: Dies trifft zu. Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, die private Auffassung des Autoren zu kommentieren. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Frage der Abgeordneten Dr. Margit Wetzel (SPD) (Drucksache 12/3656 Frage 40): Wie beurteilt die Bundesregierung, daß der Vorstand der Deutschen Bundesbahn einem leitenden Mitarbeiter die Veröffentlichung eines kritischen Beitrages zur Magnetschwebebahn „Transrapid" in der Fachzeitschrift „Internationales Verkehrswesen " verboten hat und der Bericht im letzten Moment aus dem Heft genommen wurde (vgl. Frankfurter Rundschau vom 3. November 1992)? Der Vorstand der DB hat nach seinen Aussagen seinem leitenden Mitarbeiter die Veröffentlichung des Beitrags nicht verboten. Vielmehr habe dieser in eigener Entscheidung den Beitrag zurückgezogen, nachdem deutlich geworden war, daß seine persönliche Meinung von der im Vorstand beschlossenen Meinung abwich. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fragen des Abgeordneten Ottmar Schreiner (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 41 und 42) Inwieweit sind die erheblichen Anstrengungen der Belegschaft im Bundesbahnausbesserungswerk (BAW) SaarbrückenBurbach für eine nachhaltige Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Werkes bei der Entscheidung des Bahnvorstandes, das BAW Saarbrücken-Burbach auf die Liste der zu schließenden Werke zu setzen, gewürdigt worden? Welche Auswirkungen hat die Entscheidung des Bahnvorstandes auf die Zahl der Ausbildungsplätze und die Möglichkeiten der Übernahme dieser Auszubildenden nach ihrer Ausbildung? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 10247* Zu Frage 41: Wegen der außerordentlich angespannten wirtschaftlichen Lage beider Deutschen Bahnen und der Überkapazitäten im Bereich der Fahrzeug-Instandhaltung in den Ausbesserungs- und Betriebswerken hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn unternehmensintern Auftrag erteilt, den Werkstättendienst langfristig organisatorisch neu zu ordnen, die Personal- und Anlagenkapazitäten sozialverträglich innerhalb eines Zeitraums von mehr als 10 Jahren an den Bedarf anzupassen und die Instandhaltungskosten für das rollende Material auf Dauer nachhaltig zu senken. Da der nach § 12 Bundesbahngesetz erforderliche Beschluß der Verwaltungsräte von der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zu den Untersuchungsergebnissen erst für die Dezember-Sitzungen dieser Organe vorgesehen ist, sind dem Bundesminister für Verkehr derzeit weder generelle noch Detailaussagen zu der bislang internen Untersuchung selbst bzw. zu einzelnen Dienststellen möglich. Dies gilt gleichermaßen für alle Ausbesserungs- und Betriebswerke im Bereich beider Bahnen. Zu Frage 42: Die von Ihnen zitierte Entscheidung hat gar keine Auswirkungen, weil diese Vorlage erst noch mit Ländern, Hauptpersonalrat und Gewerkschaften zu diskutieren ist und dann im Dezember den beiden Verwaltungsräten zur Beschlußfassung vorgelegt wird. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fragen der Abgeordneten Elke Ferner (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 43 und 44): Warum steht das Güterwagenausbesserungswerk Saarbrükken-Burbach nach dem Vorschlag des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn auf der Liste der zu schließenden Werke? Inwieweit wurde bei den regional- und strukturpolitischen Kriterien die Tatsache berücksichtigt, daß das Verfassungsgerichtsurteil vom 27. Mai 1992 zur extremen Haushaltsnotlage des Saarlandes ausdrücklich eine stärkere Präsenz von Bundesbehörden und -einrichtungen im Saarland gefordert hat? Zu Frage 43: Wegen der außerordentlich angespannten wirtschaftlichen Lage beider Deutschen Bahnen und der Überkapazitäten im Bereich der Fahrzeug-Instandhaltung in den Ausbesserungs- und Betriebswerken hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn unternehmensintern Auftrag erteilt, den Werkstättendienst langfristig organisatorisch neu zu ordnen, die Personal- und Anlagenkapazitäten sozialverträglich innerhalb eines Zeitraumes von mehr als 10 Jahren an den Bedarf anzupassen und die Instandhaltungskosten für das rollende Material auf Dauer nachhaltig zu senken. Da der nach § 12 Bundesbahngesetz erforderliche Beschluß der Verwaltungsräte von der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zu den Untersuchungsergebnissen erst für die Dezember-Sitzungen dieser Organe vorgesehen ist, sind dem Bundesminister für Verkehr derzeit weder generelle noch Detailaussagen zu der bislang internen Untersuchung selbst bzw. zu einzelnen Dienststellen möglich. Dies gilt gleichermaßen für alle Ausbesserungs- und Betriebswerke im Bereich beider Bahnen. Die der Untersuchung des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zugrundeliegenden Kriterien und Gesichtspunkte werden nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn von anderen Ausbesserungswerken besser erfüllt. Zu Frage 44: Sollten Vorstand und Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn eine Stillegung des Ausbesserungswerkes Saarbrükken-Burbach beabsichtigen, so können zu gegebener Zeit regionale und strukturelle Gesichtspunkte sowie das Urteil des Verfassungsgerichts vom Mai 1992 im Rahmen der vorgeschriebenen Anhörung der Landesregierung des Saarlandes gemäß § 44 Bundesbahngesetz gewürdigt werden. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Frage des Abgeordneten Michael Habermann (SPD) (Drucksache 12/3656 Frage 45): Wie viele derzeit im Bundesbahnausbesserungswerk (BAW) Kaiserslautern beschäftigte Mitarbeiter wohnen im Saarland, und wie viele könnten bei Erhaltung des BAW SaarbrückenBurbach und der Erweiterung um die 3. Stufe der Radsatzaufbereitung nach Saarbrücken umgesetzt werden? Wegen der außerordentlich angespannten wirtschaftlichen Lage beider Deutschen Bahnen und der Überkapazitäten im Bereich der Fahrzeug-Instandhaltung in den Ausbesserungs- und Betriebswerken hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn unternehmensintern Auftrag erteilt, den Werkstättendienst langfristig organisatorisch neu zu ordnen, die Personal- und Anlagenkapazitäten sozialverträglich innerhalb eines Zeitraumes von mehr als 10 Jahren an den Bedarf anzupassen und die Instandhaltungskosten für das rollende Material auf Dauer nachhaltig zu senken. Da der nach § 12 Bundesbahngesetz erforderliche Beschluß der Verwaltungsräte von der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zu den Untersuchungsergebnissen erst für die Dezember-Sitzungen dieser Organe vorgesehen ist, sind dem Bundesminister für Verkehr derzeit weder generelle noch Detailaussagen zu der bislang internen Untersuchung selbst bzw. zu einzelnen Dienststellen möglich. Dies gilt gleichermaßen für alle Ausbesserungs- und Betriebswerke im Bereich beider Bahnen. Im Saarland haben derzeit 50 Mitarbeiter des Ausbesserungswerkes Kaiserslautern ihren Wohnsitz. Da der Vorstand beider Bahnen einen Antrag auf Stillegung des Ausbesserungswerkes Saarbrücken-Burbach kurzfristig nicht beabsichtigt, stellt sich die Frage 10248* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 etwaiger Personalumsetzungen zwischen Kaiserslautern und Saarbrücken derzeit nicht. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fragen der Abgeordneten Jutta Müller (Völklingen) (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 46 und 47): Welche Rolle hat bei dem Vorschlag des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn, das Bundesbahnausbesserungswerk (BAW) Saarbrücken-Burbach auf die Liste der zu schließenden Werke zu setzen, die Tatsache gespielt, daß im BAW Saarbrükken-Burbach bereits die Radsatzaufbereitung existiert und für die Durchführung der 3. Stufe ca. 3 Millionen DM an Investitionsmitteln notwendig sind, während im Werk Kaiserslautern, das derzeit nicht über eine Radsatzaufbereitung verfügt, rund 60 Millionen DM an Investitionsmitteln aufgewendet werden müßten, um die Radsatzaufbereitung durchführen zu können, und wie kann ein um das 20fache höherer Investitionsbedarf unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten begründet werden? Welche betrieblichen und kalkulatorischen Vergleichsdaten der Werke Kaiserslautern und Saarbrücken-Burbach wurden bei der Entscheidung des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn, das BAW Saarbrücken-Burbach auf die Liste der zu schließenden Werke zu setzen, in die Entscheidung miteinbezogen, und wie sehen diese Vergleichszahlen aus? Zu Frage 46: Wegen der außerordentlich angespannten wirtschaftlichen Lage beider Deutschen Bahnen und der Überkapazitäten im Bereich der Fahrzeug-Instandhaltung in den Ausbesserungs- und Betriebswerken hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn unternehmensintern Auftrag erteilt, den Werkstättendienst langfristig organisatorisch neu zu ordnen, die Personal- und Anlagenkapazitäten sozialverträglich innerhalb eines Zeitraumes von mehr als 10 Jahren an den Bedarf anzupassen und die Instandhaltungskosten für das rollende Material auf Dauer nachhaltig zu senken. Da der nach § 12 Bundesbahngesetz erforderliche Beschluß der Verwaltungsräte von der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zu den Untersuchungsergebnissen erst für die Dezember-Sitzungen dieser Organe vorgesehen ist, sind dem Bundesminister für Verkehr derzeit weder generelle noch Detailaussagen zu der bislang internen Untersuchung selbst bzw. zu einzelnen Dienststellen möglich. Dies gilt gleichermaßen für alle Ausbesserungs- und Betriebswerke im Bereich beider Bahnen. Bei den Planungen zur langfristigen Neuordnung des Werkstättendienstes (LWO) hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn folgende Kriterien bewertet: 1. Technische und betriebliche Eignung der Werkanlagen, 2. Zustand der Anlagen und künftiger Investitionsbedarf, 3. Lage im Schienennetz, 4. möglichst schnelle Realisierung des wirtschaftlichen Erfolges, 5. sozialverträgliche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit der Mitarbeiter, 6. möglichst gleichmäßige Verteilung der Fahrzeugwerke und der DB-Arbeitsplätze in den Regionen. Diese Gesichtspunkte galten gleichermaßen für alle 39 untersuchten Ausbesserungswerke im Bereich der Deutschen Bahnen. Der künftige Investitionsbedarf war für den Vorstand demnach nur ein Kriterium unter vielen. Zu Frage 47: Dem Bundesminister für Verkehr liegen die vorläufigen betrieblichen und kalkulatorischen Vergleichsdaten aus der Bewertung der internen VorstandsArbeitsgruppe nicht vor, weil die Organe der beiden Deutschen Bahnen, Vorstand und Verwaltungsräte, die Langfristplanung für den Werkstättendienst bisher weder ausreichend beraten noch einen Beschluß dazu gefaßt haben. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fragen des Abgeordneten Lothar Fischer (Homburg) (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 48 und 49): Wie viele Mitarbeiter müßten nach Kaiserslautern umgesetzt werden, und welche erhöhten Fahrzeiten zum Arbeitsplatz müßten diese Mitarbeiter in Kauf nehmen, wenn dem Vorschlag des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn, Bundesbahnausbesserungswerk (BAW) Saarbrücken-Burbach auf die Liste der zu schließenden Werke zu setzen, entsprochen würde? Wie viele Mitarbeiter müßten im umgekehrten Fall (Erhalt des Werkes in Burbach — Schließung des Werkes in Kaiserslautern) nach Saarbrücken umgesetzt werden, und wie würden sich dann die Fahrzeiten dieser Mitarbeiter zum und vom Arbeitsplatz erhöhen? Zu Frage 48: Wegen der außerordentlich angespannten wirtschaftlichen Lage beider Deutschen Bahnen und der Überkapazitäten im Bereich der Fahrzeug-Instandhaltung in den Ausbesserungs- und Betriebswerken hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn unternehmensintern Auftrag erteilt, den Werkstättendienst langfristig organisatorisch neu zu ordnen, die Personal- und Anlagenkapazitäten sozialverträglich innerhalb eines Zeitraumes von mehr als 10 Jahren an den Bedarf anzupassen und die Instandhaltungskosten für das rollende Material auf Dauer nachhaltig zu senken. Da der nach § 12 Bundesbahngesetz erforderliche Beschluß der Verwaltungsräte von der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zu den Untersuchungsergebnissen erst für die Dezember-Sitzungen dieser Organe vorgesehen ist, sind dem Bundesminister für Verkehr derzeit weder generelle noch Detailaussagen zu der bislang internen Untersuchung selbst bzw. zu einzelnen Dienststellen möglich. Dies gilt gleichermaßen für alle Ausbesserungs- und Betriebswerke im Bereich beider Bahnen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 10249* Zu Frage 49: Die grundsätzlichen Aussagen zu Frage 48 gelten ggf. auch umgekehrt für die Mitarbeiter des Ausbesserungswerks Kaiserslautern. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Bertram Wieczorek auf die Frage der Abgeordneten Monika Ganseforth (SPD) (Drucksache 12/3656 Frage 50): Warum liegt die seit Jahren diskutierte und seit Ende 1991 im Entwurf vorliegende Wärmenutzungsverordnung, deren Umsetzung ein hohes CO2-Minderungspotential weitgehend betriebswirtschaftlich lohnend bewegen könnte, noch nicht vor, und wann ist mit der endgültigen Fassung und ihrem Inkrafttreten zu rechnen? In das Bundes-Immissionsschutzgesetz wurde 1985 eine Grundpflicht aufgenommen, nach der entstehende Wärme aus genehmigungsbedürftigen Anlagen, soweit technisch möglich und zumutbar, für Anlagen des Betreibers genutzt werden sollte. In einer Rechtsverordnung sollten die Anlagen bestimmt werden, bei denen nutzbare Wärme in nicht unerheblichem Umfang entstehen kann. Daraufhin hat das Umweltbundesamt ein umfangreiches Forschungsvorhaben zur Ermittlung eines Anlagenkatalogs vergeben, der den genannten gesetzlichen Voraussetzungen entspricht. 1989 hat der BMU auf der Grundlage der Ergebnisse dieses Vorhabens zunächst einen internen Verordnungsentwurf erstellt und hierüber auch Gespräche mit der Wirtschaft und den Ländern geführt. Durch Gesetz vom 11. Mai 1990 wurde die im Bundes-Immissionsschutzgesetz verankerte Grundpflicht wesentlich verändert. Es wurde die Pflicht der Nutzung von Abwärme unter näher bestimmten Voraussetzungen auf die Abgabe an Dritte ausgedehnt. Weiterhin sollten nun, neben der Bestimmung der Anlagen, die Anforderungen (technische Möglichkeit, Zumutbarkeit) an die Anlagen in der Rechtsverordnung näher konkretisiert werden. Nach Durchführung weiterer Forschungsarbeiten wurde 1991 ein erster Entwurf auf der veränderten gesetzlichen Grundlage erstellt. Zur Zeit laufen Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung im Hinblick auf die baldige Versendung des Verordnungsentwurfs an die beteiligten Kreise. Nach Auswertung der Anhörung wird ein Entwurf dem Bundeskabinett vorgelegt und anschließend dem Bundesrat zur Zustimmung zugeleitet. Danach soll sie baldmöglichst in Kraft treten. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Bertram Wieczorek auf die Fragen des Abgeordneten Hans Georg Wagner (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 51 und 52): Wie ist die Äußerung von Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Klaus Töpfer, zu verstehen „Nachdem die SPD 1982 Oppositionspartei im Deutschen Bundestag geworden ist, gibt es in diesem Land keinen energiepolitischen Konsens" (Grußwort vor der Gesellschaft für Reaktorsicherheit am 28. Oktober 1992 in Berlin), angesichts der Tatsache, daß die sog. „Ueberhorst-Kommission" zur Findung eines energiepolitischen Konsenses im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages erfolgreich von der Fraktion der CDU/ CSU blockiert wird? Ist der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit angesichts der Blockierung der „ Ueberhorst-Kommission " durch seine Fraktion wirklich der Meinung, die Schwierigkeiten eines energiepolitischen Konsenses lägen in der „ideologisch-fundamentalistischen Ablehnung der friedlichen Nutzung der Kernenergie", wie er der SPD vorwirft? Die Äußerung von Bundesminister Töpfer beschreibt die schlichte Tatsache, daß insbesondere in der Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie ein energiepolitischer Konsens nicht mehr besteht. Spätestens seit dem Nürnberger Parteitagsbeschluß der SPD von 1986 ist es Beschlußlage der SPD, aus der Kernenergie auszusteigen. Diese Linie der SPD ist in diversen Koalitionsvereinbarungen insbesondere mit den GRÜNEN auf Länderebene, entsprechenden Regierungserklärungen auf Länderebene sowie in vielfachen Versuchen der Umsetzung durch „ausstiegsorientierten" Vollzug des Atomgesetzes belegt. Diese Position steht in Widerspruch zur Haltung der Bundesregierung. Sollte beabsichtigt sein, mit den gestellten Fragen eine geänderte Position der SPD in der bisherigen grundsätzlichen ideologisch-fundamentalistischen Ablehnung der friedlichen Nutzung der Kernenergie und damit zur Konsensfrage zu signalisieren, wird dies von der Bundesregierung begrüßt. Bundesminister Töpfer hat in der in Bezug genommenen Rede die Notwendigkeit eines Konsenses hervorgehoben und dazu Vorschläge gemacht. Neben dem von Bund und Ländern eingesetzten Staatssekretärs-Arbeitskreis zur Lösung der Entsorgungsfrage sowie der Novellierung des Atomgesetzes soll auch die „Kommission für Energiefragen" dazu beitragen, den dringend notwendigen energiepolitischen Konsens auch in der Frage der Nutzung der Kernenergie herbeizuführen. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 22. Oktober 1992 dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages seine Absicht mitgeteilt, die bestehende Sperre im Hinblick auf das letztgenannte Vorhaben teilweise aufzuheben und hierzu um Einwilligung gebeten. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Bertram Wieczorek auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Norbert Rieder (CDU/CSU) (Drucksache 12/3656 Fragen 53 und 54): Kann die Bundesregierung Gerüchte bestätigen, daß derzeit in der Bundesrepublik Deutschland gebrauchte Anlagen zur chemischen Reinigung, die mit halogenierten Kohlenwasserstoffen arbeiten, aufgekauft werden, um in Drittländern zum Einsatz zu kommen? 10250* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 Sieht die Bundesregierung die Gefahr, daß durch den Betrieb solcher Anlagen in Drittländern die Bemühungen vieler Staaten, die klimaschädlichen Treibhausgase zu reduzieren, unterlaufen werden, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, einer solchen negativen Entwicklung wirksam zu begegnen? Zu Frage 53: Nach Auskunft eines maßgeblichen Anbieters von Chemischreinigungsanlagen sind ausländische Textilreinigungsbetriebe an den hochwertigen Anlagen, die derzeit in Deutschland eingesetzt werden, als gebrauchte Anlagen interessiert. Bis zu etwa 10 % der bei Neuinstallationen zurückgenommenen Anlagen gehen ins Ausland. Es handelt sich dabei um Anlagen für den Einsatz von Tetrachlorethen (Per). Für gebrauchte FCKW-Maschinen besteht so gut wie keine ausländische Nachfrage. Ein Handel in der Form, daß gebrauchte Anlagen zur chemischen Reinigung in Deutschland zum Zwecke des Verkaufs an Drittländer gezielt aufgekauft werden, ist der Bundesregierung nicht bekannt. In der Vergangenheit hat es in Süddeutschland eine Initiative zur Vermittlung von gebrauchten FCKW- Maschinen ins europäische Ausland gegeben. Diese ist aber offensichtlich nicht weitergeführt worden. Zu Frage 54: Die Bundesregierung sieht die in der Frage angesprochene Gefahr nicht. Die ins Ausland verkauften Per-Anlagen entsprechen einem vergleichsweise hohen Emissionsminderungsstandard. Der Beitrag der Per-Emissionen aus diesen Anlagen zum Treibhauseffekt ist unbedeutend. Der Verkauf der Anlagen steht den Bemühungen, die klimaschädigenden Treibhausgase zu reduzieren, nicht entgegen. Anlage 19 Antwort der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 55 und 56): Welche konkreten Ergebnisse zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in China und in Tibet hat der Besuch des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, in der Volksrepublik China gebracht, und wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse? Welche Haltung der Bundesregierung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, bei seinem Besuch in Pakistan zur Kashmirfrage vertreten, und wird die Bundesregierung ihrerseits Bemühungen unterstützen, daß es in absehbarer Zeit zu konkreten Verhandlungen zwischen Indien und Pakistan unter Beteiligung der Betroffenen zur Lösung des Kashmirproblems kommt? Zu Frage 55: Bundesminister Kinkel hat in seinen Gesprächen mit Außenminister Qian Qichen, Parteichef Jang Zemin und Regierungschef Li Peng Menschenrechts- und Demokratiefragen deutlich angesprochen. Die Bundesregierung führt das Gespräch über eine Verbesserung bei Menschenrechtsfragen mit China aus Überzeugung und Solidarität. Sie betrachtet Fortschritte zur Sicherung von menschenrechtlichen Mindeststandards auch als Bestandteil guter politischer Beziehungen zwischen Deutschland und China. Die Gesprächspartner von Bundesminister Kinkel haben das Gespräch mit ihm offen geführt. Sie waren damit einverstanden, daß dieser Dialog fortgesetzt wird. Dies ist ein wichtiges Ergebnis des Besuchs. Unter anderem soll es demnächst zu einem Treffen von Juristen beider Seiten kommen, die ein Menschenrechtssymposium abhalten werden. Bundesminister Kinkel ist im übrigen der Ansicht, daß Bemühungen um einzelne Betroffene am besten diskret unternommen werden. Zu Frage 56: Bundesminister Kinkel hat bei seinen Gesprächen in Pakistan zur Kaschmirfrage folgende Linie verfolgt: Deutschland verfolgt den Konflikt um Kaschmir mit großer Aufmerksamkeit, da sein Destabilisierungspotential über den Subkontinent hinaus Sicherheitsinteressen der ganzen Region berührt. Beide Seiten müssen alles tun, um eine Konfrontation wegen Kaschmir zu vermeiden. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß das Abkommen von Simla den geeigneten Ansatz für eine friedliche Lösung darstellt, da es für die Beilegung von Streitfällen bilaterale Gespräche vorsieht. Deutschland begrüßt alle vertrauensbildend en Maßnahmen zwischen beiden Staaten. Die Begegnung des indischen und pakistanischen Ministerpräsidenten und der Staatssekretäre haben in einzelnen Fragen konkrete Verbesserungen im bilateralen Verhältnis gebracht. Anlage 20 Antwort der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die Fragen des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 57 und 58): Wie begründet die Bundesregierung ihre Weigerung, die von der ehemaligen Regierung der DDR eingegangenen Verpflichtungen zu übernehmen, indem sie die vertraglich vereinbarten Lieferungen von Milchpulver an Kuba nicht ausführt? Welche konkreten Probleme sieht die Bundesregierung in den vom VN-Sondergesandten Mohammed Sahnoun als ineffizient kritisierten Hilfslieferungen für Somalia, der nach offizieller Rüge daraufhin zurückgetreten ist? Zu Frage 57: Die Bundesregierung hat in der Zeit vom 30. Oktober bis 2. November 1991 in Havanna gemäß Art. 12 Abs. 1 Einigungsvertrag Konsultationen über das Schicksal der DDR-Verträge mit Kuba durchgeführt. Dabei wurden einige Verträge, darunter auch das Abkommen vom 16. Oktober 1981 über den Austausch von Magermilchpulver gegen Futterhefe, der weiteren Erörterung durch Experten vorbehalten. Die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 10251* deutsche Seite wartet dazu auf einen Terminvorschlag der kubanischen Seite. Zu Frage 58: Die Bundesregierung hat den Rücktritt von Botschafter Sahnoun mit großem Bedauern zur Kenntnis genommen. Sie würdigt seine Bilanz als Vermittler zwischen den somalischen Kriegsparteien und als Koordinator der Tätigkeiten der VN vor Ort. Die Bundesregierung kommentiert weder die Ausführungen von Sahnoun noch die Personalentscheidung des VN-Generalsekretärs. Allerdings liegt auch der Bundesregierung daran, daß jede Möglichkeit zur Steigerung der Effizienz der Hilfslieferungen in Somalia genutzt wird. Die Reise von StM Schäfer nach Somalia im September 1992 diente dazu, der Bundesregierung ein unmittelbar eigenes Bild der Situation zu liefern. In diesem Zusammenhang ergab sich vor allem, daß weitere umfangreiche Hilfe und eine bessere Koordination notwendig sind. Daher hat die Bundesregierung ihre Teilnahme an der Luftbrücke nach Somalia verlängert und sich für die Abhaltung einer Koordinierungskonferenz eingesetzt. Diese hat im Oktober in Genf stattgefunden, und eine Folgekonferenz ist Ende November in Addis Abeba vorgesehen. Die Bundesregierung erwartet, daß Sahnouns Nachfolger Ismat Kittani die bisherigen Bemühungen der VN zur Sicherung der humanitären Lieferungen und zur Befriedung der Situation in Somalia mit der gleichen Tatkraft wie sein Vorgänger weiterverfolgen wird. Sie fordert nachdrücklich, die beabsichtigte weitere Stationierung von VN-Sicherheitskräften in Somalia schnellstmöglich durchzuführen, um den VN und den Nichtregierungsorganisationen zu ermöglichen, ihre wegen der Sicherheitslage bis zum Sommer 1992 verzögerten Lieferungen weiter zu leisten, Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fragen des Abgeordneten Erich G. Fritz (CDU/CSU) (Drucksache 12/3656 Fragen 59 und 60): Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß eine große Zahl von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die in Familien untergebracht werden, aus dem Grund Asylantrag stellt (auch von Gemeinden so beraten wird), um Sozialhilfe zu erhalten, wenn die Gastfamilie für den weiteren Unterhalt nicht mehr aufkommen kann? Denkt die Bundesregierung an eine besondere Regelung für Bürgerkriegsflüchtlinge, die die Gemeinden entlasten und gleichzeitig die unrechtmäßige Einleitung von Asylverfahren ändern könnte? Zu Frage 59: Die Innenministerkonferenz hat am 22. Mai 1992 beschlossen, aus humanitären Gründen Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina in Deutschland vorübergehend Aufnahme zu gewähren. Dazu gehört insbesondere auch die Regelung, daß Einreisen erlaubt werden, wenn hier lebende Verwandte oder Bekannte, Wohlfahrtsorganisationen oder Kirchen Obdach und Lebensunterhalt gewähren. Mit diesen Beschlüssen wird auch das Ziel verfolgt, bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Asylverfahren herauszuhalten. Diese Absicht ist allerdings gegen den Willen der Betroffenen nicht durchsetzbar, da die bestehende Rechtslage keinen Ausländer daran hindert, den Weg des Asylverfahrens zu beschreiten. Die Zugangszahlen zeigen indes, daß das Ziel, Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Asylverfahren herauszuhalten, bisher doch weitgehend erreicht worden ist. Wie die Statistik zeigt, ist die Zahl der Asylbewerber aus Bosnien und Herzegowina im Vergleich zur Gesamtzahl der Asylantragsteller aus dem früheren Jugoslawien relativ gering. In der Zeit vom 1. Juli bis 31. Oktober 1992 haben nämlich insgesamt 36 187 Personen aus dem früheren Jugoslawien Asyl beantragt, darunter aber nur 3 344 aus Bosnien und Herzegowina. Diese Zahlenentwicklung widerlegt auch die immer wieder erhobene Behauptung, daß viele Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina von den Gemeinden in das Asylverfahren gedrängt würden, wenn sie mangels Leistungsfähigkeit der Gastfamilie der Sozialhilfe zur Last fallen. Zu Frage 60: Nach geltendem Asylrecht kann kein Ausländer daran gehindert werden, Asyl in der Bundesrepublik Deutschland zu beantragen. Eine Änderung dieser Sachlage ist nur über eine Modifizierung des materiellen Asylrechts im Grundgesetz möglich. Erst nach einer Einschränkung der gegenwärtigen schrankenlosen Asylrechtsgewährleistung kann eine Sonderregelung für Bürgerkriegsflüchtlinge über einen Ausschluß dieses Personenkreises vorn Asylverfahren getroffen werden. Eine über die Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 22. Mai 1992 hinausgehende Sonderregelung ist deshalb zur Zeit nicht beabsichtigt. Diese Beschlüsse sehen eine vorübergehende Aufnahme von bestimmten Gruppen von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina vor. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hans de With (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 61 und 62): Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, daß in jüngster Zeit die Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB (z. B. Hakenkreuze, „Hitler/Kühnen"Gruß, Fahnen, Parolen etc.) bei öffentlichen Auftritten Rechtsradikaler (in Dresden und etlichen anderen Städten) in besorgniserregender und beschämender Weise zugenommen hat? 10252* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß trotz Verdachts einer Straftat nach § 86 a StGB in zahlreichen Fällen Polizeibeamte nicht eingeschritten sind, um die Fortsetzung dieses rechtswidrigen Handelns zu unterbinden und notwendige Ermittlungen nicht aufgenommen wurden? Zu Frage 61: Die Bundesregierung teilt diese Einschätzung. Dem Bundeskriminalamt wurden im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Staatsschutzsachen (KPMD-S) seit 1990 von den Bundesländern folgende Fälle der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86 a StGB gemeldet: 1990: 325 Fälle 1991: 565 Fälle 1992: 632 Fälle (bis 6. November 1992) Zu Frage 62: Der Bundesregierung liegen dazu keine Erkenntnisse vor. Eine Bewertung ist ihr deshalb nicht möglich. Nach Einschätzung der Bundesregierung mangelt es der Polizei weder an Rechtskenntnissen noch am Willen zum Einschreiten. Die Bundesregierung geht davon aus, daß der § 152 Abs. 2 StPO beachtet worden ist. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage des Abgeordneten Dr. Eckhard Pick (SPD) (Drucksache 12/3656 Frage 63): Durch welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in Verbindung mit den Landesregierungen sichergestellt, daß den bei öffentlichen Auftritten massenhaften Verletzungen des § 86a StGB in Zukunft wirkungsvoll — präventiv und repressiv — entgegengetreten wird? Die gewalttätigen Ausschreitungen und anderen strafbaren Handlungen rechtsextremistischer Täter waren mehrfach Gegenstand von Beratungen im Rahmen der Konferenz der Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern, zuletzt am 9. Oktober 1992 anläßlich der Gemeinsamen Sondersitzung der Innen- und der Justizministerkonferenz in Bonn. Hierbei standen Maßnahmen gegen Zuwiderhandlungen gegen den Straftatbestand des § 86a StGB jedoch nicht im Vordergrund. Die Strafverfolgung solcher Delikte obliegt den Strafverfolgungsbehörden der Länder. Auf das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO), das Polizei und Staatsanwaltschaft von Amts wegen zum Einschreiten verpflichtet, weise ich hin. Anlage 24 Antwort des Pari. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fragen des Abgeordneten Freimut Duve (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 64 und 65): Ist es zutreffend, daß die Bundesregierung beim Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und Internationale Studien (BIOst) in Köln eine Untersuchung über die Lage der rumänischen Roma in Auftrag gegeben hat? Hat sich die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen mit der rumänischen Regierung über den „Abschiebungsvertrag" ausschließlich der oben erwähnten Studie „Versuch über Geschichte, Gegenwart und soziale Probleme der Zigeuner Rumäniens" aus dem BIOst zu ihrer Information über die Situation der Roma bedient, oder haben ihr auch weitere Berichte vorgelegen? Zu Frage 64: Es trifft nicht zu, daß die Bundesregierung beim Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien eine Untersuchung über die Lage der rumänischen Roma in Auftrag gegeben hat. Richtig ist vielmehr, daß der für Südosteuropa zuständige wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts aus eigener Initiative im Rahmen der wissenschaftlich unabhängigen Arbeit des Instituts eine Studie mit dem Thema „,Romii' oder ,Tigani' — Versuch über Geschichte, Gegenwart und soziale Probleme der Zigeuner Rumäniens" verfaßt hat. Der Geschäftsführende Direktor des Instituts hat die Verteilung der Studie wegen einiger Formulierungen und Aussagen, die zu Mißdeutungen führen können, unterbunden. Im Bundesministerium des Innern ist die Existenz der Studie und deren Inhalt erst am 28. Oktober 1992 bekannt geworden. Zu Frage 65: Die in der Frage genannte Studie hat bei den Verhandlungen mit Rumänien über die am 1. November 1992 in Kraft getretene Rückübernahmevereinbarung dem für den Abschluß dieser Vereinbarung zuständigen Bundesminister des Innern nicht vorgelegen. Abgesehen davon besteht zwischen beiden wie auch mit etwaigen andern Berichten kein sachlicher Zusammenhang. Die Rückübernahmevereinbarung regelt nicht, ob und unter welchen Voraussetzungen rumänische Staatsangehörige aus dem Bundesgebiet abgeschoben werden dürfen. Diese Frage bestimmt sich allein nach dem deutschen Asyl- und Ausländerrecht und ist nicht Gegenstand irgendwelcher Vereinbarungen mit Rumänien. Die Rückübernahmevereinbarung betrifft also nicht die Rechtsbeziehung zwischen den einzelnen rumänischen Staatsangehörigen und der Bundesrepublik Deutschland, sondern ausschließlich die völkerrechtliche Beziehung zwischen Deutschland und Rumänien. Sie regelt auf der Basis der Gegenseitigkeit die Rückübernahme eigener Staatsangehöriger. Sie ist in keinem Punkt eine die Gruppe der Roma betreffende Sonderregelung, sondern entspricht vielmehr gleichartigen Abkommen mit anderen europäischen Staaten wie z. B. Benelux, Dänemark, Frankreich, Osterreich, Polen und Schweiz, indem sie lediglich den völkerrechtlichen Grundsatz konkretisiert, daß jeder Staat seine eigenen ausreisepflichtigen Staatsangehörigen rückzuübernehmen hat. Auch mit anderen Staaten werden derzeit entsprechende Abkommen vorbereitet. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 10253* Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) (Drucksache 12/3656 Frage 66) Wird die Bundesregierung das Angebot des Deutschen Anwaltvereins aufgreifen, wie bei den sogenannten Ostprojekten auch für die Beschleunigung der Asylverfahren dazu bereite Rechtsanwälte auf Zeit einzusetzen, und welche Gespräche wurden bisher mit dem Deutschen Anwaltverein darüber geführt? Die Bundesregierung ist daran interessiert, Asylverfahren durch jede geeignete Maßnahme zu beschleunigen. So hat bereits im Oktober dieses Jahres ein Gespräch mit Vertretern des Deutschen Anwaltsvereins stattgefunden, in dem die Möglichkeiten des Einsatzes von Rechtsanwälten — insbesondere auch dienst- und standesrechtliche Aspekte — erörtert worden sind. Mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen wurde vereinbart, daß das Gespräch im Laufe des November 1992 fortgeführt werden soll. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fragen des Abgeordneten Adolf Ostertag (SPD) (Drucksache 12/3656 Fragen 67 und 68): Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, daß durch das derzeit noch geltende umständliche und zeitaufwendige Verfahren zur gleichmäßigen Verteilung der Asylbewerber auf die Bundesländer nach dem alten Asylverfahrensgesetz die Übererfüllung einzelner Länder wie Nordrhein-Westfalen nicht wirksam abgebaut wird, da diese im Rahmen der Vorabverteilung gleichzeitig wieder Neuankömmlinge aufnehmen müssen, womit eine große finanzielle Mehrbelastung für die betroffenen Länder und ihre Gemeinden verbunden ist, und wie will die Bundesregierung unmittelbar Abhilfe schaffen angesichts der Tatsache, daß durch den langen Zeitraum der noch erfolgenden endgültigen Verteilung von zum Teil 6 bis 10 Monaten menschliche Härten, finanzielle Mehrbelastungen für die Sozialhilfeträger, doppelter verwaltungstechnischer Aufwand und Frustrationen bei den Betreuenden entstehen? Warum kann die Bundesregierung das in dem neuen Asylverfahrensgesetz vom 26. Juni 1992 bereits vorgesehene Verfahren eines sofortigen Länderquotenabgleichs durch eine zentrale Verteilungsstelle des Bundes (§ 46 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz neuer Fassung) erst zum 1. April 1993 umsetzen, während zum Beispiel Nordrhein-Westfalen bei der landesinternen Verteilung auf seine Gemeinden ein entsprechendes Verfahren bereits praktiziert und die gleichmäßige Verteilung durch zeitweise Zuteilungsstopps für überbelastete Gemeinden erreicht, wodurch sich Umverteilungen erübrigen, und wie reagiert die Bundesregierung auf die mehrfach geäußerten Forderungen von Kommunen, Kirchengemeinden, Bürgerinitiativen und des Landes Nordrhein-Westfalen, ein solches Verfahren auch im Verhältnis des Bundes zu seinen Ländern einzuführen? Zu Frage 67: Das Land Nordrhein-Westfalen ist seit mehreren Wochen kein Abgabeland mehr. Zu der Ihrer Frage zugrundeliegenden Situation ist es gekommen, weil das Land Verteilungsentscheidungen des Beauftragten der Bundesregierung in vielen Fällen erst Wochen oder gar Monate später in Zuweisungsentscheidungen umgesetzt hat. Die Bundesregierung bedauert, daß es zu dieser Situation gekommen ist. Die Bundesregierung und der ihrer Fachaufsicht unterstehende Beauftragte für die Verteilung der Asylbewerber haben keine Möglichkeit, für die den Gemeinden vorab zugewiesenen Asylbewerber eine Regelung zu treffen, die den Vorstellungen aller Beteiligten gerecht wird. Dies wäre allein dem Land Nordrhein-Westfalen möglich. Das Land müßte dem Beauftragten der Bundesregierung für die Verteilung in jedem Einzelfall mitteilen, daß der Asylbewerber nicht in die länderübergreifende Verteilung einzubeziehen, sondern auf die Landesquote anzurechnen ist. Die Verteilung würde dann nach Nordrhein-Westfalen erfolgen, und das Land könnte die Asylbewerber danach der jeweiligen Gemeinde endgültig zuweisen. Die angesprochenen negativen Folgen ließen sich so weitgehend vermeiden. Zu Frage 68: Das zum 1. Juli 1992 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens sieht vor, daß Asylbewerber, deren Asylanträge als „offensichtlich unbegründet" zu qualifizieren sind, im Regelfall für eine Dauer von bis zu drei Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder unterzubringen sind (§ 48 AsylVfG), um das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel einer Straffung und Beschleunigung der Asylverfahren zu erreichen. Bei der Schaffung dieser Regelung ist der Gesetzgeber vond er Prämisse ausgegangen, daß die Länder die für das neue Erstverteilungsverfahren (§ 46 AsylVfG) erforderlichen Unterbringungsplätze in Erstaufnahmeeinrichtungen bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens geschaffen haben. Bis zu dem politisch gewollten Termin für das Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli 1992 war dies jedoch nicht zu erreichen bzw. zu realisieren, so daß im Rahmender Übergangsregelungen (Artikel 5 des Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens) für einen befristeten Zeitraum bis zum 31. März 1993 die gesetzlichen Regelungen der tatsächlichen Lage angepaßt werden mußten.
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212000000
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich beginne mit den amtlichen Mitteilungen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde: Beitrag der zentralen Berliner Demonstration zum Abbau von Ausländerfeindlichkeit und Gewalt
2. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche — Drucksache 12/3684 (neu) —3. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Dionys Jobst, Horst Gibtner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Tarife im Güterverkehr (Tarifaufhebungsgesetz — TAufhG) — Drucksache 12/3701 —4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ökologische Verkehrswende — Wege in eine gesunde Mobilität — Drucksache 12/3659 —5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Helmut Sauer (Salzgitter) weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Michaela Blunk (Lübeck), Günther Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Frakbon der F.D.P.: Die Zukunft der Vereinten Nationen: Aktive deutsche Mitwirkung an Stärkung und Reform — Drucksache 12/3702 —6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Karl Lamers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Günther Bredehorn, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Die zukünftige Rolle der Bundesrepublik Deutschland im System der Vereinten Nationen — Drucksache 12/ 3703 —7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz-Alfred Steiner, Dr. Andreas von Bülow, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbesserung der Wohnungsfürsorge für Angehörige der Bundeswehr — Drucksachen 12/2547, 12/3603 —8. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P.: Peru — Drucksache 12/3704 —
9. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rückkehr zur Demokratie in Peru — Drucksache 12/3710 —10. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Hilfe bei der Räumung von Minen in ehemaligen Konfliktregionen als Beitrag zum Schutz von Menschen, zum Wiederaufbau von Lebensgrundlagen und zur Bekämpfung von Fluchtursachen — Drucksache 12/3694 —11. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) — Drucksache 12/3685 (neu) —12. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Leistungen der Sozialhilfe an Ausländer — Drucksache 12/3686 (neu) —13. Aktuelle Stunde: Die Folgen der Gesundheitspolitik der Bundesregierung am Beispiel der geplanten Schließung der Medizinischen Akademie Erfurt
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll abgewichen werden, soweit dies zu einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist.
Außerdem ist vereinbart worden, Tagesordnungspunkt 8 „Energieversorgungseinrichtungen" erst am Freitag nach Tagesordnungspunkt 18 und Tagesordnungspunkt 19 „Hilfe durch Minenräumen" bereits am Donnerstag nach Tagesordnungspunkt 10 aufzurufen.
Des weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 6a „Kreditwesen" und 11 „Entlastung der Rechtspflege" abgesetzt und der Tagesordnungspunkt 6 b „Einlagensicherungssysteme" ohne Debatte behandelt werden.
Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist dies so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 und die Zusatzpunkte 2 bis 6 auf:
3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
— Drucksache 12/2766 —



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 5. Mai 1989 über das grenzüberschreitende Fernsehen
— Drucksache 12/3375 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß
EG-Ausschuß
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rolf Schwanitz, Achim Großmann, Robert Antretter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche — Verlängerung des Kündigungsschutzes für gewerblich genutzte Räume oder gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke
— Drucksache 12/3447 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Peter Conradi, Dr. Eckhart Pick, Achim Großmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuches — § 22 a
— Drucksache 12/3626 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Rechtsausschuß
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1992 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1992 — BBVAnpG 92)

— Drucksache 12/3629 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wiesloch), Karsten
D. Voigt (Frankfurt), Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Zusammenarbeit mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und den mittel- und osteuropäischen Staaten in Bildung, Wissenschaft und Kultur
— Drucksache 12/3368 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Haushaltsausschuß
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Adolf Ostertag, Ursula Burchardt, Gerd Andres und weiterer Abgeordneter
Kein Weiterbau der A 44 („Dü-Bo-Do") — Drucksache 12/3627 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
ZP2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche
— Drucksache 12/3684 (neu)

Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß
ZP3 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Dionys Jobst, Horst Gibtner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Tarife im Güterverkehr (Tarifaufhebungsgesetz — TAufhG)
— Drucksache 12/3701 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ökologische Verkehrswende — Wege in eine gesunde Mobilität
— Drucksache 12/3659 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Helmut Sauer (Salzgitter) weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Michaela Blunk (Lübeck), Günther Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Die Zukunft der Vereinten Nationen: Aktive deutsche Mitwirkung an Stärkung und Reform
— Drucksache 12/3702 —Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
ZP6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Karl Lamers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Günther Bredehorn, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Die zukünftige Rolle der Bundesrepublik Deutschland im System der Vereinten Nationen
— Drucksache 12/3703 —Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes soll dem Finanzausschuß jedoch nicht überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 und 6 b sowie den Zusatzpunkt 7 auf:
4. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens"
— Drucksache 12/3376 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren (13. Ausschuß)

— Drucksache 12/3679 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Hildegard Wester Renate Diemers
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/3680 — Berichterstattung:
Abgeordnete Irmgard Karwatzki Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Dr. Konstanze Wegner

(Erste Beratung 114. Sitzung)

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistiken der öffentlichen Finanzen und des Personals im öffentlichen Dienst (Finanz- und Personalstatistikgesetz — FPStatG)

— Drucksache 12/3256 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 12/3705 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Reiner Eberhard Krziskewitz

(Erste Beratung 110. Sitzung)

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (FGO- Änderungsgesetz)

— Drucksache 12/1061 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 12/3676 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Detlef Kleinert (Hannover) Dr. Hedda Meseke
Dr. Hans de With

(Erste Beratung 41. Sitzung)

d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgesetzes
— Drucksache 12/3356 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß)

— Drucksache 12/3596 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein

(Erste Beratung 110. Sitzung)

e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der anderweitigen Verwendung von Berufssoldaten und Beamten des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung (Verwendungsförderungsgesetz)

— Drucksache 12/3159 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des
Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 12/3707 — Berichterstattung:
Abgeordnete Fritz Rudolf Körper Meinrad Belle
Heinz-Dieter Hackel
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/3709 — Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres
Ina Albowitz
Rudolf Purps

(Erste Beratung 105. Sitzung)

f) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes
— Drucksache 12/2686 —



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 12/3571 — Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Regenspurger
Fritz Rudolf Körper
Dr. Burkhard Hirsch
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/3572 — Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres
Ina Albowitz
Rudolf Purps

(Erste Beratung 97. Sitzung)

g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes — Drucksache 12/2658 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 12/3553 — Berichterstattung:
Abgeordnete Gerhard Schulz (Leipzig) Lydia Westrich

(Erste Beratung 97. Sitzung)

h) — Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Januar 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kap Verde über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
— Drucksache 12/2997 —— Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. April 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Swasiland über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
— Drucksache 12/2998 —— Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 6. Dezember 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Kooperativen Republik Guyana über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
— Drucksache 12/2999 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

— Drucksache 12/3673 — Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung (Erste Beratung 107. Sitzung)

i) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Dezember 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen
— Drucksache 12/3049 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 12/3671 — Berichterstattung:
Abgeordneter Reiner Eberhard Krziskewitz

(Erste Beratung 107. Sitzung)

j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Wahlkreiskommission für die 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 Bundeswahlgesetz (BWG) — Drucksachen 12/2276, 12/3560 — Berichterstattung:
Abgeordnete Franz Heinrich Krey Wolfgang Zeitlmann
Gerd Wartenberg (Berlin)

Dr. Burkhard Hirsch
k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

— zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
— zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
— zum Entschließungsantrag der Gruppe
der PDS/Linke Liste Jahreswirtschaftsbericht 1992 der Bundesregierung
— Drucksachen 12/2018, 12/2077, 12/2063, 12/2488 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung
l) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur ersten Änderung der Richtlinie 88/344 des Rates vom 13. Juni 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden
- Drucksachen 12/2257 Nr. 3.56, 12/3604 — Berichterstattung:
Abgeordneter Albert Deß
m) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)




Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Übersicht 7
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 12/3472 — Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Eylmann
n) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 78 zu Petitionen
— Drucksache 12/3621 —
o) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 79 zu Petitionen
— Drucksache 12/3622 —6. b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschussés (7. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Einlagensicherungssysteme
— Drucksachen 12/3182 Nr. 7, 12/3475 —Berichterstattung:
Abgeordneter Hermann Rind
ZP7 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz-Alfred Steiner, Dr. Andreas von Bülow, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbesserung der Wohnungsfürsorge für Angehörige der Bundeswehr
— Drucksachen 12/2547, 12/3603 — Berichterstattung:
Abgeordnete Claire Marienfeld
Heinz-Alfred Steiner
Es handelt sich um Beschlußempfehlungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 4 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens", Drucksachen 12/3376 und 12/3679. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Stimmenthaltung der SPD und der PDS/ Linke Liste angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Stimmenhaltung der SPD und der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Finanz- und Personalstatistikgesetzes, Drucksachen 12/3256 und 12/3705. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei 1 Enthaltung der PDS/ Linke Liste angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei 1 Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze, Drucksachen 12/1061 und 12/3676. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei 1 Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei 1 Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Rechtsausschuß die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung bei 1 Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 d: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des Absatzfondsgesetzes, Drucksachen 12/3356 und 12/3569. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei 1 Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Verwendungsförderungsgesetzes, Drucksachen 12/3159 und 12/3707. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der PDS/ Linke Liste angenommen.



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Dann ist der Gesetzentwurf bei 1 Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 f: Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes, Drucksachen 11/2686 und 11/3571. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei 1 Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei 1 Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 g: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des SteuerbeamtenAusbildungsgesetzes, Drucksachen 12/2658 und 12/3553. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der SPD und der PDS/Linke Liste angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der SPD und 1 Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 h: Zweite Beratung und Schlußabstimmung von drei Vertragsgesetzentwürfen der Bundesregierung über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen mit der Republik Kap Verde, mit dem Königreich Swasiland und mit der Kooperativen Republik Guyana, Drucksachen 12/2997 und 12/2999.
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 12/3673, die drei Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über die drei Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. — Dagegen gibt es keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich bitte diejenigen, die den Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit sind die drei Gesetzentwürfe bei einer Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 i: Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Vertragsgesetzentwurf mit der Republik Ungarn über die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen, Drucksache 12/3049. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/3671, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? —Enthaltungen? —Damit ist der Gesetzentwurf bei 1 Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 4j: Beratung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Bericht der Wahlkreiskommission, Drucksachen 12/2276 und 12/3560. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei 3 Gegenstimmen und 1 Enthaltung angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 k: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zum Jahreswirtschaftsbericht 1992 der Bundesregierung sowie zu den Entschließungsanträgen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. und der Gruppe PDS/Linke Liste zu diesem Bericht. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt unter Nr. I seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/2488, den Jahreswirtschaftsbericht 1992 der Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der SPD und der PDS/Linke Liste angenommen.
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/2488, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. auf Drucksache 12/2077 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der SPD und der PDS/Linke Liste angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. III, den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/2063 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei 1 Gegenstimme der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 41: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu einem Richtlinienvorschlag der EG über Lösungsmittel bei der Herstellung von Lebensmitteln, Drucksache 12/3604. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei 2 Enthaltungen der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 m: Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht, Drucksache 12/3472. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 n und 4 o: Beratung der Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 12/3621 und 12/3622; das sind die Sammelübersichten 78 und 79. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind bei 2 Enthaltungen der PDS/Linke Liste angenommen.



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Tagesordnungspunkt 6 b: Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Richtlinienvorschlag der EG über Einlagensicherungssysteme ab, Drucksache 12/3475. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist bei 2 Enthaltungen der PDS/Linke Liste angenommen.
Zusatztagesordnungspunkt 7: Wir stimmen jetzt noch über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Verbesserung der Wohnungsfürsorge für Angehörige der Bundeswehr ab, Drucksachen 12/2547 und 12/3603. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist bei 3 Enthaltungen der PDS/Linke Liste angenommen.

(Störung der Sitzung durch Lautsprecheranlage außerhalb des Plenarsaals)

— Was ist das? — Vielleicht kann das ausgeschaltet werden, damit ich nicht dagegen anreden muß.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung (20. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages zum Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie"
— Drucksachen 11/8520, 12/3658 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Heinrich Seesing Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Christoph Schnittler
Zum Bericht der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3706 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Dagegen sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Dr. Hans-Peter Voigt.

Dr. Hans-Peter Voigt (CDU):
Rede ID: ID1212000100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit auch nur in Konturen abzulesen ist, welche Auswirkungen die Gentechnik als Methode einmal haben wird, begleitet die Politik die Diskussion um die Gentechnik, ihre Anwendung und ihre Einführung in die wirtschaftlichen Entwicklungsprozesse. Ich glaube, daß Parlament und Regierung in dieser Zeit ein gutes Beispiel dafür gegeben haben, wie man Politikberatung entwickeln und gestalten kann.
Von Anfang an hat die Regierung die Entwicklung in diesem Bereich kritisch beobachtet. Das Parlament hat sich der Technikfolgenabschätzungsmechanismen bedient, indem es eine Enquete-Kommission einberufen hat. Wir haben in den letzten Jahren durch Anhörungen immer wieder versucht, die weitere Entwicklung zu beobachten. Zum Schluß hat sich auch
das Büro für Technikfolgenabschätzung mit der Sicherheit der Gentechnik beschäftigt.
Wenn man diese Ergebnisse zusammenfassend berücksichtigt, dann ist es, so glaube ich, berechtigt, den Antrag einzubringen, den die CDU/CSU zusammen mit der F.D.P. formuliert hat — einen Antrag, der das Ziel hat, die gesetzlichen Regeln, die wir alle gemeinsam aufgestellt haben, in dem Sinne zu novellieren, daß sie den Realitäten, den Sicherheitsvorkehrungen der heutigen Zeit entsprechen. Das, was wir aus der Technikfolgenabschätzung im weitesten Sinne gelernt haben, beinhaltet auch, daß wir Verantwortung für die Wirtschaft und für die Menschen dieses Landes haben. Auch müssen wir uns der Verantwortung für die Entwicklung von neuen Medikamenten oder anderen Produkten stellen, die zu einer großen Chance für die Menschheit werden können.
In den 18 Jahren, in denen es die Gentechnik gibt, hat sich die Sicherheitsphilosophie, die hinter unserem Gentechnikgesetz steht, eindeutig bestätigt. Es gibt überhaupt keine Veranlassung, im Interesse der Sicherheit für Mensch und Umwelt zu verschärften Regeln zu greifen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen versuchen, eine Erleichterung für die in diesem Bereich Arbeitenden zu schaffen. Das ist das Ziel unseres Antrages. Wir sind der Meinung, daß die Sicherheitsstufen, so wie ihre Einordnung jetzt ist und wie sie Voraussetzung für das Arbeiten auf diesem Gebiet sind, gelockert werden müssen und daß wir darüber hinaus zu Deregulierungen kommen müssen, die die bürokratischen Hemmnisse abbauen.
Es gibt auch heute noch Unentwegte — ich weise darauf gleich am Anfang meiner Ausführungen hin —, die den Streit über „additive" oder „synergistische" Modelle weiterhin unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit führen wollen. Ich glaube, daß die Komplexität biologischer Zusammenhänge es verbietet, über diese Fragen weiter in der Form zu diskutieren, in der uns das immer wieder aufgezwungen wird.
Die Kritiker der Gentechnik führen im Grunde etwas anderes im Schilde. Sie wollen diese Technik generell diffamieren und greifen dabei auch zu Methoden wie der, daß sie z. B. die Synthese von Tryptophan als Gespenst an die Wand malen oder das Arbeiten mit der „nackten" DNA für gefährlich erklären. Doch das alles sind Techniken, die seit Jahrzehnten bekannt sind und im Grunde nichts mit der Gentechnik zu tun haben.
Aus dem Grunde erwähne ich noch einmal, daß wir der Auffassung sind, daß wir in dieser Frage die Komplexität biologischer Zusammenhänge sehen müssen und aus diesem Grunde auch zu den Schlüssen kommen können, die wir in unserem Antrag formuliert haben.
In Deutschland werden gentechnische Arbeiten in ca. 1 000 Laboratorien, davon etwa 100 in der Industrie, durchgeführt. Gegenwärtig gibt es in Deutschland aber nur drei Produktionsstätten, die in Betrieb sind, während z. B. in einem Land wie Dänemark bereits mehr als sieben großvolumige Produktionen durchgeführt werden. In Japan gibt es sogar 130 Produktionsstätten; in 76 Anlagen davon werden pharmazeutische Produkte hergestellt. Schauen wir in die



Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim)

USA, so stellen wir fest, daß das Bild dort noch deutlicher ist.
Also, die Gentechnik ist den Kinderschuhen seit langem entwachsen, und wir alle haben Veranlassung, über neue Formen im Umgang mit ihr nachzudenken.
Noch ein Blick auf die Freisetzungsproblematik: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland bisher zwei Freisetzungsexperimente durchgeführt, begleitet von öffentlichen Diskussionen, die zweifelsohne nicht ermutigen, in Zukunft weiterzumachen. Während in den USA 500 Freisetzungsexperimente durchgeführt worden sind — die ersten Produktionsgenehmigungen für Freisetzungen sind bereits erteilt worden —, diskutieren wir in Deutschland weiterhin eine Technik, die es zweifelsohne verdient, gewürdigt zu werden.
Die industrielle Praxis hat in den letzten Jahren gezeigt, daß die Industrie mit Mikroorganismen und mit den unterschiedlichsten Produkten umgehen kann. Wir sollten diese Erfahrungen nutzen und uns nicht durch die „Rhetorik der Angst" ständig wieder in eine Diskussion verwickeln lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sowohl theoretisch als auch aus praktischer Erfahrung ist ein gentechnisch veränderter Organismus nicht grundsätzlich gefährlich. Ich glaube, diese Philosophie sollten wir immer wieder erwähnen, weil die Pathogenität und damit eventuell krankmachende Potentiale ganz anders gelagert sind, als wir sie uns in der Diskussion immer wieder aufdrängen lassen. Drängende Probleme, meine sehr verehrten Damen und Herren, z. B. Krebs und AIDS, werden wir nur dann lösen, wenn wir der Gentechnik den Raum einräumen, den sie braucht.
Die Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland — darauf möchte ich etwas näher eingehen — haben einen hohen Stellenwert. Wir haben in unserem Land in den letzten zehn Jahren eine hohe Qualität beim forschenden Nachwuchs erreicht. Wir sollten dessen Arbeit nicht weiterhin durch restriktive Gesetze behindern. Ob wir auf die Großforschungseinrichtungen wie die Max-PlanckGesellschaft oder auf die Universitäten schauen: Überall finden wir in der Zwischenzeit hochqualifizierten Nachwuchs, der Probleme mit der Antragstellung, Probleme mit der Bürokratie bei der Genehmigung von gentechnischen Arbeiten hat. Hier haben die großen Einrichtungen Vorteile gegenüber den kleinen. Gerade der Forscher im universitären Bereich kann es sich nicht leisten, jemanden zu beschäftigen, der die 100 Seiten Antragsformular bearbeitet. Er muß es selber tun und damit mehr Kraft in die bürokratische Bewältigung seiner Forschungsarbeiten als in die Forschung selbst stecken. Hier stehen wir vor einer großen Verantwortung, der wir uns nicht entziehen sollten.
In vielen industriellen Bereichen müssen wir bereits feststellen, daß die Industrie ins Ausland gegangen ist oder vor Ort, wie die Firma Hoechst mit einem 70-Millionen-Projekt, in ihrer Arbeit inhibiert wird. Wir sollten nicht zulassen, daß der forschende Nachwuchs der Bundesrepublik Deutschland gezwungen ist, ins Ausland zu gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie einmal den Zitatenindex in „Science" beobachten, stellen Sie fest, daß die Bundesrepublik Deutschland eine blühende Forschungslandschaft ist und nach den USA den höchsten Stellenwert hat. Das, mein sehr verehrter Herr Minister Riesenhuber, ist das Verdienst Ihrer Politik in den zurückliegenden zehn Jahren. Wenn Sie nicht mit so viel Engagement und Verständnis gerade für diese Problematik die Forschung in der Bundesrepublik Deutschland vorangetrieben hätten, dann wären wir nicht auf dem hohen Stand, auf dem wir heute weltweit sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es geht also darum, für unseren Nachwuchs die Regeln so zu ändern, daß er damit auch in Zukunft leben kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist der Zeitpunkt gekommen, in dem wir die Diskussion über die Akzeptanz der Gentechnologie in dem Sinne führen müssen, daß wir sie positiv besetzen. Wir sollten für ein Klima sorgen, in dem die Gentechnik nicht weiter verteufelt, sondern als ein Bereich anerkannt wird, der ungefährlich ist, wenn er sich bestimmten, von uns vorgegebenen Regeln unterwirft.
Es muß dazu kommen — auch das muß Ziel unseres Antrages sein —, daß der Oberschüler im Leistungskurs Biologie in Zukunft gentechnische Arbeiten durchführen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nur so kann er, dessen Grundkenntnisse weit über das hinausgehen, was die Kritiker der Gentechnik manchmal zu bieten haben, diese Technik wirklich verstehen. Wenn er damit in der Schule umgehen lernt, wird er feststellen, daß diese Schlüsseltechnologie beherrschbar und akzeptabel ist, daß sie eine Technologie ist, die ihm das Verständnis der Naturwissenschaften vermittelt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Unter diesem Gesichtspunkt ist es notwendig, daß auch die Studenten an den Hochschulen im Fach Biologie, im Bereich der Naturwissenschaft mit dieser Technik umgehen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, so sagen uns wenigstens die Hochschullehrer, ist der bürokratische Aufwand viel zu groß, als daß man etwa einem Medizinstudenten während seiner Ausbildung diese Technik näherbringen könnte.
Ich rufe Sie auf, meine sehr verehrten Damen und Herren: Diskutieren Sie mit uns den Gesetzentwurf, dessen schnelle Vorlage wir von der Bundesregierung erwarten! Diskutieren Sie mit uns — diese Bitte geht vor allem an die Opposition — emotionsfrei und konstruktiv!

(Josef Vosen [SPD]: Das tun wir doch immer!)




Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim)

— Herr Vosen, das ist richtig, das kenne ich von Ihnen überhaupt nicht anders.

(Heiterkeit)

Ich bin sicher, Herr Minister Seehofer: Wenn Sie ihre Gesundheitsstrukturreform hinter sich haben, werden Sie angesichts Ihrer gegenwärtigen Arbeitslast ganz bestimmt Entzugserscheinungen haben, so daß Sie sich mit Vehemenz auf die Vorbereitung der Novellierung des Gentechnikgesetzes stürzen werden, um uns den Entwurf so bald wie möglich vorzulegen. Ich wünsche mir das und wünsche Ihnen bei dieser Arbeit viel Freude.
Vielen Dank, daß Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212000200
Als nächster spricht zu diesem Thema der Abgeordnete Wolf-Michael Catenhusen.

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1212000300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gentechnik als universal einsetzbare wissenschaftliche Methode ist aus unseren Hochschulen, aber auch aus den Forschungsabteilungen der chemischen und pharmazeutischen Industrie heute nicht mehr wegzudenken. Sie wird überall da genutzt, wo wir an Lebewesen forschen, experimentieren, sie analysieren und zu verändern versuchen. Es gibt bei uns in Deutschland mittlerweile schätzungsweise 1 900 gentechnische Anlagen. Seit Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes sind fast 800 gentechnische Arbeiten angemeldet worden. 730 dieser Verfahren sind abgeschlossen worden.
Die Gentechnik hat schon jetzt unser Wissen über das Leben auf molekularer Ebene revolutioniert. Sie besitzt ein hohes Innovationspotential von strategischer Bedeutung. Wir wollen dieses Potential auch in Deutschland nutzen.
Mit moderner Bio- und Gentechnik wurde 1991 ein Weltumsatz von mehr als 4 Milliarden Dollar erzielt. Die wirtschaftlichen Hoffnungen, die sich mit der Nutzung der Gentechnik verbinden, sind zur Zeit wieder „in". Einen Bioboom hatten wir Anfang der 80er Jahre, einen Bioboom hatten wir Mitte der 80er Jahre — die Hoffnungen erfüllten sich seinerzeit nicht —, jetzt ist die nächste Aufschwungphase da.
Die „Business Week" sprach unlängst von der Gentechnik als „America's dream machine", d. h. als einer Maschine, die große Erwartungen und Hoffnungen, vielleicht auch Träume erzeugt. Investoren in den USA setzten 1991 wie nie auf die Gentechnik, kauften für 4,5 Milliarden Dollar Aktien von Gentechnikfirmen. Sie spekulierten dabei auf die Entwicklung von Diagnostika und lebensrettenden Medikamenten zur Behandlung von Erkrankungen des zentralen Nervensystems, von Autoimmunkrankheiten wie rheumatischer Arthritis, von Bluthochdruckkrankheiten, von Herz-Kreislauf-Krankheiten, von Krebs und AIDS. Sicherlich gibt es viele in diesem Raum, die hoffen, daß aus dieser Spekulation auch Wirklichkeit werden kann. Im laufenden Haushalt der USA wurden 4 Milliarden Dollar an öffentlichen Fördermitteln für diesen Bereich bereitgestellt. Die Steigerungsrate betrug in diesem Bereich 1991 19 % und 1992 7 %. Man vermutet, daß die industriellen Forschungs- und
Entwicklungsausgaben in der Biotechnologie in Deutschland 1,1 Milliarden DM betragen, die Ausgaben des Staates insgesamt 450 Millionen DM. Das ist etwa ein Vierzehntel der in den USA ausgegebenen Summe, Herr Riesenhuber. Die Bundesrepublik Deutschland ist offensichtlich das einzige große Industrieland, in dem die öffentlichen Ausgaben für Bio- und Gentechnik real rückläufig sind. Auch das gehört zu dieser Diskussion.
Wir sollten in der Gentechnik nicht einfach Hoffnungen oder Wunschträume zur Prognose erklären. Dies tut das Institut der deutschen Wirtschaft, wenn es davon spricht, daß bis zum Jahre 2000 in Europa 2 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Das ist Phantasterei. Wir müssen auch hier auf realistischem Boden bleiben.
Die Gentechnik ist für uns keine Risikotechnologie. Sie ist nicht schlechthin gefährlich. Mit der Nutzung der Gentechnik in der Forschung — bei Laborarbeiten ebenso wie bei Freisetzungsversuchen — und auch in der industriellen Anwendung kann es aber im Einzelfall Risiken für Mensch und Umwelt geben, die eine rechtliche Rahmensetzung für Wissenschaft und Industrie verlangen. Bei der Forschung im Labor, bei Freilandversuchen, bei der Herstellung von Impfstoffen, Medikamenten, Enzymen und Nahrungsmittelzusätzen muß ein wirksamer Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet werden.
Dazu haben wir in der Bundesrepublik Deutschland ein Gentechnikgesetz geschaffen. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß dieser Schritt richtig, notwendig und unvermeidbar war.

(Dr. Hans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/ CSU]: Das ist ein gutes Gesetz!)

Wir verbinden mit dem Gentechnikgesetz drei Ziele. Es geht uns zum einen um die Festschreibung eines hohen Sicherheitsstandards im Umgang mit der Gentechnik in Deutschland. Es geht uns zum anderen um die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung. Es geht uns drittens um die Schaffung von Rechtssicherheit für alle Beteiligten, übrigens auch für die kritische Öffentlichkeit.
Der Gesetzgeber hat mit dem Gentechnikgesetz Neuland betreten. Wir brauchen gerade in einem Gesetzgebungsbereich, der auch Wissenschaft reguliert, ein Gesetz, das die Gewährleistung von Sicherheit mit Praktikabilität verbindet. Der bürokratische Aufwand und die Zeitdauer eines Verfahrens müssen in angemessenem Verhältnis zum Risikopotential des jeweiligen gentechnischen Vorhabens stehen und müssen — das füge ich hinzu — auch im internationalen Vergleich erträglich bleiben.
Wie sieht nun die Bilanz nach gut zwei Jahren aus? Die Schutzziele des Gesetzes sind erreicht. Wir haben im internationalen Vergleich ein hohes Sicherheitsniveau im Umgang mit der Gentechnik. Es gibt auch aus der praktischen Erfahrung keinen Anlaß für eine grundsätzliche Verschärfung des Gentechnikgesetzes.
Wir halten auf der anderen Seite das im Gesetz verankerte Mindestmaß - das uns in einigen Berei-



Wolf-Michael Catenhusen
chen zuwenig war — an Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung nach wie vor für sinnvoll und notwendig. Wir sind gegen den Abbau der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Freisetzungsversuchen. Es geht nämlich hier auch um Fragen der Akzeptanz.
Das Gentechnikgesetz hat zu einer differenzierteren Bewertung von Chancen und Risiken der Gentechnik in Deutschland beigetragen. Nach einer Meinungsumfrage hatten sich noch 1985 52 % der befragten Bürger in Deutschland gegen eine staatliche Förderung der Gentechnik ausgesprochen. Diese Quote ist in Westdeutschland auf 41 % gesunken; in Ostdeutschland liegt die Ablehnungsquote bei 30 %. Es ist sehr wichtig, daß 74 % — viele von der Industrie nehmen das offensichtlich bis heute nicht zur Kenntnis — der Befragten ausdrücklich die Förderung der Gentechnik bejahen, wenn sie ein „Nutzen für die Menschheit" sei. Dies gilt vor allem für den Einsatz der Gentechnik im medizinischen und pharmazeutischen Bereich.
Nach wie vor bestehen Fragen und Vorbehalte gegenüber dem Einsatz der Gentechnik im Freiland; nach wie vor verspüren deutsche Verbraucher keinen großen Appetit auf gentechnische Lebensmittel.

(Dr. Hans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/ CSU]: Selber schuld!)

Wir sollten aber darüber im kritischen Dialog reden, statt an solchen Stellen die Beteiligung der Öffentlichkeit vorbeugend abzuschaffen.
Es besteht Handlungsbedarf, das Gentechnikgesetz so zu überarbeiten, daß wir das Ausmaß des bürokratischen Aufwands und die Dauer bei der Sicherstellung der Schutzziele des Gesetzes abbauen. Auch die Mängelrüge der EG-Kommission zwingt uns zum Handeln.
Wir sehen vor allem in folgenden Fragen Handlungsbedarf:
Erstens. Wir wollen eine weitgehende Entbürokratisierung und zeitliche Straffung der Verfahren für die 80 % der gentechnischen Arbeiten, die in der Sicherheitsstufe I durchgeführt werden. Es geht um Arbeiten, die nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik kein Risiko für Mensch und Umwelt bringen, wenn sie in einem Labor durchgeführt werden. Allerdings muß hier nach wie vor die Inaktivierung des biologischen Materials im Rahmen eines Anmeldeverfahrens sichergestellt sein, damit es nicht zu einer Freisetzung von gentechnischen Materialien in die Umwelt kommt. Wir wollen durch die Einführung einer 14-Tage-Frist die zeitliche Kalkulierbarkeit dieses Vorgangs sicherstellen.
Zweitens. Wir sind auch zur Verfahrensvereinfachung im gewerblichen Bereich der Sicherheitsstufe I und bei Forschungsvorhaben der Sicherheitsstufe II bereit. Wir wollen aber durch Beibehaltung der im Gesetz vorgesehenen Anmeldungs- und Genehmigungsverfahren sicherstellen, daß jedes gentechnische Vorhaben der Sicherheitsstufen II und III, wo es um konkrete Risikofragen geht, weiterhin im Rahmen eines Anmelde- oder Genehmigungsverfahrens der Risikobewertung unter Einschaltung der ZKBS unterliegt. Wir sind hier nicht zu einer Deregulierung bereit.
Drittens. Wir wollen den Begriff des „kleinen Maßstabes" aus dem Gesetz streichen, da er allein nicht die Zuweisung gentechnischer Arbeiten zu den unterschiedlichen Zulassungsverfahren begründen kann. Die Beteiligung der Öffentlichkeit soll damit auch auf die Durchführung von Produktionsvorhaben begrenzt bleiben. Dies wird sicherlich auch positive Konsequenzen für die Entwicklung gentechnischer Produkte in Deutschland haben.
Viertens. Wir wollen den Vorrang des Schutzes von Mensch und Umwelt auch bei Entscheidungen über Freisetzungsvorhaben sicherstellen. Es ist nicht sinnvoll und auch nach EG-Recht nicht möglich, vom Ziel des Schutzes von Mensch und Umwelt unter Hinweis auf vorrangige Forschungsziele eines Freisetzungsvorhabens Abstriche zu machen.
Fünftens. Wir wollen einen Beitrag zur Schaffung von Transparenz und Öffentlichkeit durch ein für jedermann zugängliches Register schaffen, in dem unter Beachtung des Datenschutzes jeder Informationen über in Deutschland genehmigte gentechnische Vorhaben einsehen kann.
Wir haben darüber hinaus eine Reihe von praktischen Vorschlägen unterbreitet, die zur Erleichterung der Rahmenbedingungen für die gentechnische Forschung und Entwicklung, aber auch für die Produktion in Deutschland beitragen können. Sie gehen auf viele Anliegen aus Wissenschaft und Industrie ein und werden sicherlich auch die Basis für den Versuch bilden können, hier zu einer gemeinsamen Verständigung im Parlament zu kommen.
Unsere Vorschläge sind keine abschließende Liste. Wir bieten mit unserem Antrag die Zusammenarbeit an der Verwirklichung praktischer, schnell greifender Erleichterungen für die Gentechnik am Standort Deutschland an. Wir erwarten nun von der Regierung — ich betone das ausdrücklich —, daß kompetente Vorarbeiten für die notwendigen Veränderungen des Gentechnikrechts im Gesetz und in den Rechtsverordnungen geleistet werden.
Wir raten Ihnen dringend, von Anfang an die Lander mit ihren Erfahrungen im Genehmigungsvollzug an den Vorarbeiten zu beteiligen. Hier sind unentschuldbare Fehler bei den Vorarbeiten zum Gentechnikgesetz passiert, die sich meiner Ansicht nach im Interesse aller Betroffenen nicht wiederholen dürfen und die auch Grundlage dafür waren, daß wir auch aus Gründen der schlechten gesetzestechnischen Arbeit diesem Gesetz 1990 nicht zugestimmt haben.

(Dr. Hans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/ CSU]: Na, na!)

Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß ich die Sachkompetenz vieler Genehmigungsbeamter in den Bundesländern sehr schätzen gelernt habe. Zu einer pauschalen Kritik an den Genehmigungsbehörden der Länder besteht kein Anlaß, auch wenn es berechtigte Klagen in Einzelfällen gibt.
Aber zur Abrundung des Bildes gehört etwa auch die Feststellung von Professor Willmitzer aus Berlin.



Wolf-Michael Catenhusen
Er sagte: „Von seiten der Wissenschaftler gibt es keine nennenswerten Probleme in der Zusammenarbeit mit der Berliner Verwaltung. Die Erfahrungen sind durchweg positiv." Ich wünschte mir natürlich solche Aussagen auch von hessischen Wissenschaftlern gegenüber ihren Genehmigungsbehörden.
Die Koalition hebt in ihrem Antrag auch auf eine grundsätzliche Änderung der EG-Richtlinien ab. Wir meinen, daß wir gegenüber der EG-Kommission praktisch vorgehen müssen. Eine Strategie der allgemeinen Deregulierung der EG-Richtlinien findet nicht unsere Unterstützung. Sie wird auch nichts zur Lösung der anstehenden Probleme kurzfristig beitragen können.
Wir wollen mit unserem Antrag kein Signal zu einer allgemeinen Deregulierung in der Gentechnik im Wettlauf mit den USA und Japan geben. Wir beteiligen uns nicht an einem Wettlauf, wer am schnellsten in der Welt die Sicherheitsstandards in der Gentechnik senkt.
Wir Sozialdemokraten wollen in Deutschland einen verantwortbaren Umgang mit der Gentechnik sicherstellen. Dazu gehört der Abbau bürokratischer Hemmnisse. Wissenschaft und Industrie brauchen zeitlich kalkulierbare und handhabbare Rahmenbedingungen.
Wir sollten aber auch nicht die Argumente derjenigen ungeprüft übernehmen, die das Bild des Standorts Deutschland für die Gentechnik schwarz in schwarz malen.
Wir brauchen innovationsorientierte Standortpolitik für die Gentechnik in Deutschland. Von einem solchen Konzept vermag ich bei der Bundesregierung bisher nichts zu sehen.
Wir müssen uns dabei mit der Frage auseinandersetzen: Können wir daran etwas ändern, daß die deutsche pharmazeutische und chemische Industrie seit Anfang der 80er Jahre wie alle Unternehmen in dieser Branche aus Europa ihr Engagement in der Gentechnik am Standort USA konzentriert hat? Die USA bieten durch eine anhaltende massive öffentliche Förderung der Gentechnik eine einzigartige Forschungslandschaft und gewährleisten durch ihre Risikokapitalfirmen einen einzigartigen schnellen Transfer von Ergebnissen der Grundlagenforschung in die industrielle Praxis.

(Zurufe von der F.D.P.)

Bei uns fehlt eine innovationsorientierte Strategie für die sinnvolle Anwendung der Bio- und Gentechnik. Wir sind das einzige Industrieland, in dem die öffentlichen Fördermittel für Bio- und Gentechnik gekürzt werden.
Wir wollen in der weiteren Diskussion über die Gentechnik die Aufforderung von Hans Jonas ernstnehmen. Wir wollen Maßstäbe für einen verantwortbaren Umgang mit der Gentechnik setzen. Wir halten uns an den Weg, den die Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnik" 1987 gezeigt hat. Wir wollen die Chancen der Risiken der Gentechnik verantwortlich und mit gesellschaftlicher Akzeptanz nutzen, gegenüber denkbaren Risiken vorsichtig
sein und erkennbare Gefahren weitestgehend ausschließen.
An diesen Maximen orientieren wir unser politisches Handeln. So leisten wir unseren Beitrag dazu, daß das Innovationspotential der Gentechnik in akzeptablen Bereichen am Standort Deutschland in Forschung und Entwicklung und Produktion gestärkt werden kann.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der F.D.P.: Wer bestimmt denn, was akzeptabel ist?)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212000400
Als nächster spricht Professor Christoph Schnittler.

Dr. Christoph Schnittler (FDP):
Rede ID: ID1212000500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir leben nicht nur politisch in einem faszinierenden Jahrhundert. Moderne Naturwissenschaft ist in Geheimnisse eingedrungen, die noch vor gar nicht langer Zeit dem menschlichen Geist auf ewig verborgen schienen. Sie hat die Struktur des Atomkerns aufgeklärt und damit eine Energiequelle geschaffen, die unerschöpflich scheint. Sie hat grundlegende Mechanismen des Lebens aufgeklärt. Sie schickt sich heute an, die Evolution nach menschlichen Bedürfnissen zu beeinflussen. Gentechnik schafft neue Heilmittel und Impfstoffe, maßgeschneiderte Kulturpflanzen, bessere und billigere Naturstoffe.
Freilich haben damit Naturwissenschaft und Technik auch ihre Unschuld verloren; haben sie doch Gefahren heraufbeschworen, die eine ganz neue Dimension besitzen: Kernwaffen und andere Massenvernichtungsmittel, Müll, Schmutz, Belastungen unserer Atmosphäre usw. Die Konsequenzen der Gentechnik erscheinen vielen Menschen noch gänzlich unüberschaubar.
Wen wundert es, daß sie darauf nicht nur mit Zuversicht, sondern auch mit Angst reagieren. Wir wären als Politiker schlecht beraten, wenn wir nicht auch die Angst der Menschen ernstnähmen.
Angst wird aber heute auch ganz bewußt herbeigeredet, bis zur Hysterie. Die Medien wirken dabei leider intensiv mit. Die schwer durchschaubare Gentechnik eignet sich dazu natürlich vorzüglich. Zur Illustration einige Agenturmeldungen; sie stammen alle vom 8. September dieses Jahres:
ddp, 10.06 Uhr: BUND — gemeint ist der Bund für Umwelt und Naturschutz — warnt vor gentechnisch hergestellten Lebensmitteln.
dpa, 12.44 Uhr: BUND ist gegen Hochglanztomaten und chipsgerechte Kartoffeln.
AP, 13.42 Uhr: BUND warnt vor Bier mit genmanipulierter Hefe. Untertitel: Bundestag soll EG-Verordnungen stoppen.
AP, 16.51 Uhr: Gleicher Titel, aber Untertitel jetzt anders; wohl als erste Erfolgsmeldung: Brauer-Bund dementiert Einsatz von Genhefe.
So kann man natürlich auch erfolgreich Panik machen.



Dr. Christoph Schnittler
Der BUND steht leider nicht allein. Ich gebe noch ein Beispiel:
ddp, 22. September: Die IG-Metall hat der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion vorgeworfen, das derzeitige Gentechnikgesetz „unter dem Druck mächtiger Industriezweige" ändern zu wollen.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Unglaublich! — Christian Lenzer [CDU/CSU]: Das ist ja fast ein Kompliment!)

Die Arbeitsplätze scheinen die IG-Metall wenig zu kümmern, schon gar nicht in anderen Industriezweigen. Diesen Eindruck habe ich.
Die Aufgabe des Gesetzgebers ist es, Gefahren für Mensch und Umwelt durch rechtliche Regelungen zu vermeiden und Rechtsgüter zu schützen. Er hat das mit dem zu Beginn des Jahres 1991 in Kraft getretenen Gentechnikgesetz gründlich getan; zu gründlich. Denn wie die Fachleute übereinstimmend ausführen, ist dabei das nicht minder wichtige Ziel verfehlt worden, auch Forschung, Entwicklung und schließlich industrielle Nutzung der Gentechnik zu fördern.
Schon der äußere Umfang des Gesetzeswerks ist für Forscher und Anwender — gelinde gesagt — wenig ermutigend: 17 DIN-A4-Seiten Gesetzestext, dazu sechs Verordnungen mit 73 weiteren Seiten, umständliche Antragsformulare und zusätzlich EG-Richtlinien, die nicht mit unserem Gesetz kompatibel sind und im übrigen auch geändert werden sollten.
Die Entscheidungsgremien sind einfach überfordert. Entscheidungen ziehen sich hin. Die Bundesländer interpretieren die Regelungen unterschiedlich, wobei oft politische Standpunkte vor Sachfragen rangieren. Im Ergebnis kann z. B. das von zahlreichen Diabetikern sehr dringend benötigte Humaninsulin wohl in Dänemark, in Frankreich, in der Schweiz, in den USA und in Japan gentechnisch produziert und natürlich nach Deutschland exportiert werden, aber Hoechst wartet in Hessen seit Jahren auf die Genehmigung für eine Anlage, die völlig ungefährlich ist.
Dringender Handlungsbedarf ist hier gegeben, soll nicht der Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland für die Gentechnik endgültig verspielt werden. Das Gentechnikgesetz muß entscheidend vereinfacht werden. Das ist der wesentliche Gegenstand der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Bericht der Bundesregierung. Ich bitte im Namen der F.D.P.-Fraktion um Ihre Zustimmung hierzu.
Es ist bei dieser komplizierten Materie wohl richtig, mit der Novellierung des Gentechnikgesetzes die Bundesregierung zu beauftragen. Dennoch hat der Ausschuß bereits 13 Punkte fixiert, in denen Vereinfachungen des Gesetzes besonders naheliegend und dringlich erscheinen. Sie sollten jedoch eher exemplarisch sein; denn es kommt darauf an, jetzt alle Vereinfachungsmöglichkeiten auszuschöpfen, die der Stand der Wissenschaft gestattet. Daß dabei keine Abstriche am erforderlichen Schutz von Mensch und Umwelt gemacht werden dürfen, darüber sind wir uns alle, auch mit der Opposition, sicher einig.
Das Gentechnikgesetz umfaßt nur den Bereich gentechnisch veränderter Organismen. Der Bericht der Bundesregierung geht aber weit darüber hinaus. Er schließt insbesondere den sehr sensiblen Bereich der Humangenetik ein. Daß dieser in Zukunft durch ein eigenes Gesetz geregelt werden muß, darüber besteht wohl Übereinstimmung.
Wie kompliziert das alles ist, kann man am Beispiel der pränatalen Diagnostik verdeutlichen. Mit ihrer Hilfe ist es heute möglich, noch vor der Geburt schwere genetische Schäden eines heranwachsenden Kindes zu erkennen. Ein Schwangerschaftsabbruch kann hier natürlich unendliches Leid verhindern.
Freilich ist diese Diagnostik an ein bestimmtes Stadium der Schwangerschaft gebunden. Man kann das durch künstliche Befruchtung im Reagenzglas umgehen. Sie gestattet es, bereits drei Tage danach Gendefekte nachzuweisen.
Ich will das alles nicht werten. Sie sehen, welche elementaren ethischen Probleme damit verbunden sind. Dazu brauchen wir einen breiten gesellschaftlichen Diskurs, der aber bis heute nicht vorliegt. Deswegen sollten wir uns bei der Regelung dieser komplizierten Fragen — etwa im Rahmen eines Humangenetikgesetzes — keineswegs unter Zeitdruck setzen lassen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212000600
Als nächster spricht der Bundesminister für Forschung und Technologie, Dr. Heinz Riesenhuber.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1212000700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich bei dieser Debatte besonders, daß wir im Grundsatz ein sehr weitgehendes Maß an Übereinstimmung haben, in einzelnen Vollzugspunkten müssen wir es uns noch erarbeiten. Dies ist im wesentlichen ein Verdienst der Arbeit der Enquete-Kommission. Sie hat in einem ziemlich einzigartigen Arbeitsprozeß mit Wissenschaft und Politik Fragen aufgearbeitet und fast 200 Empfehlungen gegeben. Der Ausschuß hat sich damit beschäftigt und Beschlüsse gefaßt. Der Bundestag hat 1989 beschlossen. Die Bundesregierung hat daraufhin einen Bericht gegeben, der jetzt der Aussprache zugrunde liegt. Wenn wir heute den Sachstand der Verhandlungen betrachten, haben wir für die ganze Fülle der Fragen ein sauberes, durchgearbeitetes und strukturiertes Konzept, das Entscheidungen erlaubt.
Dies war ein enormer Aufwand. Aber er war dadurch gerechtfertigt, daß wir auf diesem Gebiet eine sehr beachtliche Wissenschaft in Deutschland haben; Kollege Voigt hat darauf mit eindrucksvollen Zahlen hingewiesen. Hier wird darüber gesprochen, ob wir eine hinreichend klare Strategie haben und ob das Geld reicht; ich werde gleich darauf eingehen. Dazu möchte ich vorweg nur einige Vergleichszahlen nennen. Wir hatten 1982 im Forschungshaushalt für Gentechnologie 7 Millionen DM, wir haben zehn Jahre später, 1992, 100 Millionen DM. Das ist eine Steigerung um 1 500 %. Diese Steigerung ist größer



Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber
als die Steigerung des Forschungshaushalts im Durchschnitt, wie allgemein bekannt ist.
Wir haben eine Strategie angelegt, die die Ausgaben gesteigert, gleichzeitig aber Strukturen verändert hat.
Die Genzentren, die wir für die grüne, die graue und die rote Gentechnologie in Köln, in Heidelberg, in Berlin, in München gegründet haben, haben sich in einer beeindruckenden Weise bewährt. Die Jahrgänge der Nachwuchswissenschaftler sind breiter geworden; sie sind tüchtig und bringen exzellente Arbeit. Kollege Voigt hat darauf hingewiesen, daß nach dem Science-Citation-Index unter den besten Labors deutsche Labors sind; unter den ersten zwölf sind es vier einschließlich des europäischen molekularbiologischen Labors bei Heidelberg.
Das heißt, wir haben eine starke Position. Wir haben eine Struktur entwickelt, die als Infrastruktur steht. Wir haben die Genzentren, wir haben zahlreiche Institute an Universitäten, Institute der Max-PlanckGesellschaft, Großforschungseinrichtungen, BlaueListe-Institute und in den neuen Bundesländern sechs neu gegründete Institute, die in diesem Bereich exzellent arbeiten. Hier haben wir die Infrastruktur und die Strategie, nach der Catenhusen verlangt.
Aufgabe der Bundesregierung ist es nicht, Industriepolitik so zu machen, daß sie Produkte und Prozesse vorbestimmt. Es ist nicht die Aufgabe, Verantwortung von Unternehmen wegzunehmen. Die Aufgabe ist, eine Infrastruktur zu schaffen, die der Wirtschaft ein starker und lebendiger Partner ist, und Rahmenbedingungen für eine dynamische Entwicklung zu schaffen.
Es wird hier darüber gesprochen, daß wir das Geld in diesem Jahr ein bißchen zurückgenommen haben. Ich kann dies erläutern. Wir haben über die Jahre die Genzentren ständig gefördert. Wir haben schon vor zehn Jahren gesagt, daß es jetzt auslaufen wird. Die Aufgabe des Forschungsministers ist nicht eine Dauersubvention von Landschaften, wo die Länder ihrer Verantwortung auch in der Grundfinanzierung der Universitäten gerecht werden müssen. Der Bund kann nicht für die Verantwortung der Länder eintreten. Wir können Anstöße geben und neue Strukturen schaffen; aber dann müssen die Länder aus ihrer eigenen Verantwortung die Grundfinanzierung voranbringen. So muß es angelegt sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn wir die Strukturen so geändert haben, wie es von der Sache her geboten ist, bin ich bereit, die Beträge wieder in dem Maß zu erhöhen, wie es der Haushalt überhaupt erlaubt.
Wenn Sie über die Erfolge sprechen, dann können Sie genauso darüber sprechen, daß wir bei Patenten in den USA in der Periode 1985 bis 1989 inzwischen gut dastehen. Die USA sind mit 42 % immer noch eine Spitzennation; die Japaner haben 18 %; die Deutschen hatten schon 1985 bis 1989 11 % der Patentanmeldungen bei einer sehr kräftig steigenden Tendenz. Dies zeigt, daß sich die Landschaft stark entwikkelt.
Insofern ist die von Catenhusen erwähnte Entscheidung von Unternehmen, in die USA zu gehen, schlüssig. Ich will überhaupt nicht dagegen argumentieren, daß deutsche Unternehmen in anderen Ländern arbeiten und forschen. Im Gegenteil, wir brauchen in den besten und stärksten Communities der Welt, in den USA und in Japan, Produktion und Forschung unserer Unternehmen. Wir müssen die Infrastruktur nutzen.
Aber wir brauchen gleichzeitig im eigenen Land die Unternehmen, und sie müssen im eigenen Land Wissenschaft und Forschung und Technik voranbringen. Was wir heute diskutieren, ist im Grunde die Frage, wie in einer komplementären Verantwortung von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat die Bedingungen für den Standort Deutschland so aufgebaut werden, daß wir hier nicht schlechter als in irgend einem anderen Land erfolgreich Wissenschaft betreiben können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich möchte die Fülle von Möglichkeiten und Ergebnissen j etzt nicht umfassend darstellen. In der Medizin gibt es das erste Bündel von marktfähigen Produkten; vor allem gibt es unmittelbare Problemlösungen. Es gibt Hilfe für den Menschen. Ich nenne die Interleukine, die Interferone, die Möglichkeit, aus Naturstoffen Arzneimittel herzustellen, die anders nur in Minimalmengen zugänglich sind; das Insulin ist genannt worden. Sie können das über die Frühdiagnostik weiterführen.
Herr Professor, Sie haben darauf hingewiesen, was sich hier auch an ethischen Fragen ergibt. Aber auch bei diesen Fragen haben wir vom Grundsatz her über die letzten zehn Jahre bedacht, was wir können, was wir dürfen, und wo der Staat die Grenzen zu setzen hat. Das Embryonenschutzgesetz ist das strengste Gesetz, das wir in Europa haben. Es ist als Voraussetzung für verantwortliches Handeln notwendig.
Aber es wäre grotesk, wenn wir die strengsten Gesetze schaffen und dann nicht das geschehen kann, was notwendig ist. Es wäre falsch, wenn wir den Rechtsstaat zum Rechtsmittelstaat degenerieren ließen. Es wäre falsch, wenn wir mit einem Riesenaufwand prüften, was möglich und notwendig ist und danach in der schieren Administration das steckenbliebe, was wir kompetent können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine lieben Kollegen, ich will jetzt nicht im einzelnen über die verschiedenen Bereiche sprechen. Ich will nicht über die Züchtung nachwachsender Rohstoffe sprechen, den Einsatz von gentechnologischen Methoden, um stärkehaltige Kartoffeln als einen Rohstoff mit hohem Gehalt an unlöslicher Stärke zu bekommen. Ich will nicht darstellen, was zur Bodensanierung geleistet werden kann. Hier ist eine sanfte Chemie verlangt worden. Nur die Gentechnologie kann dies sein: bei niedrigem Druck, bei niedrigen Temperaturen, bei geringen Abfällen, bei zielgenauen Prozessen. Wir haben eine völlig neue Welt einer möglichen Strategie, wenn wir sie nutzen.
Dem sollte das Gesetz dienen. Das Gesetz war nach dem Konzept ein Schutzgesetz ebenso wie ein Fördergesetz. Die Förderung der Rahmenbedingungen für



Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber
die Gentechnik ist ausdrücklich Bestandteil des Gesetzes. Mit dem Schutz waren wir erfolgreich. Die Förderung ist steckengeblieben. Es kann nicht sein, daß wir uns vor Risiken dadurch bewahren, daß die Technik nicht mehr stattfindet. Wir können den Schutz nicht so ausführen, daß wir Technik in der Praxis nicht mehr durchführen lassen.
Darum bin ich sehr dankbar, daß die Koalitionsfraktionen einen sehr konkreten Antrag zur Novellierung des Gesetzes vorgelegt haben, um das zu ermöglichen, was wir wollen. Niemand will die Sicherheit von Mensch und Umwelt in irgendeiner Weise mindern. Aber inzwischen wissen wir so viel über Gentechnik, daß dies mit einem Mehr an Vernunft und einer kleineren Bürokratie erreicht und aufgebaut werden kann.
Daß wir es nicht erreicht haben, ist offenkundig: Seit 1984 liegt der Antrag von Hoechst für eine Insulinfabrik vor, und sie ist immer noch nicht fertig. In Deutschland hat sich nicht ein einziges ausländisches Unternehmen angesiedelt, daß mit gentechnischen Produkten arbeitet. Die Praktiker an den Universitäten haben praktisch keine Arbeiten zu S1 und S2, was bedeutet, daß junge Wissenschaftler in einer Wissenschaft, die für einen großen Bereich konstitutiv sein wird, als halbe Analphabeten in die Praxis gehen. Es können praktisch keine Diplomarbeiten, Semesterarbeiten zu S2 gemacht werden, weil die Anmeldefristen nicht eingehalten werden können.
Dies alles ist doch nicht das rationale System einer erfolgreichen Wissenschafts- und Industrienation, die sich aufmacht, die Zukunft zu erobern. Wir müssen die Gesetze ändern, um die Möglichkeiten und die Grundlagen für eine dynamische Wissenschaft zu schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht — ich wiederhole das — um die Frage des Standorts Deutschland. Wir sind sehr stark darin, die Probleme zu erkennen und sie abzuwägen. Wir sind sehr stark darin, vorsichtig abzutasten, was eventuell riskant sein könnte. Dies ist wichtig, normal und vernünftig; wir sprechen nicht dagegen. Aber es nicht gut, wenn nicht beides zugleich bedacht wird: Weil Hans Jonas zitiert worden ist — der muß in jeder dieser Debatten vorkommen, lieber Herr Catenhusen —, möchte ich darauf hinweisen, daß Hans Jonas in einer großen Tradition des ethischen Denkens zu Recht darauf hingewiesen hat, daß gleichermaßen zu verantworten ist, ob man etwas tut oder etwas unterläßt, daß das Tun ebenso wie der Verzicht Gegenstand der sittlichen Verantwortung ist.
Wenn wir darauf verzichten, eine Technik, die wir machen und verantworten können, einzusetzen, dann sind wir verantwortlich für das, was wir in einer begrenzten Welt voll Problemen an Chancen vergeben haben, an Problemlösungen nicht geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Daß dies eine Arbeit ist, bei der sehr viele mitmachen müssen, ist klar. Daß die Politik das Ihre zu tun hat, um diesen Standort in klarer Weise zu sichern,
ist offenkundig. Aber auch die Wirtschaft ist gefordert. Die Wirtschaft muß deutlich machen, daß sie für diesen Standort kämpft, daß sie den jungen Wissenschaftlern, die jetzt ausgebildet sind und mit hoher Qualifikation zur Verfügung stehen, bei der Arbeit eine Chance gibt. Auch die Wissenschaft ist gefordert. Es genügt nicht, daß die Wissenschaft in ihren elfenbeinernen Türmen sagt, was an vorzüglichen Erkenntnissen da ist. Auch sie muß hinaus und das Klima gestalten. Wenn hier darauf hingewiesen worden ist, daß die Akzeptanz in den letzten Jahren gestiegen ist, muß ich sagen, daß das wesentlich auch ein Erfolg von Leuten aus der Wissenschaft und aus den Unternehmen ist, die hinausgegangen sind und in der Öffentlichkeit aus ihrer Erfahrung und Kompetenz heraus gesagt haben, was möglich und notwendig ist und was gemacht werden muß.
Das Klima ist nicht etwas, was vom Himmel regnet. Es ist nicht etwas, was man an die Politik delegieren kann. Das Klima ist etwas, wofür alle Bürger in diesem Land verantwortlich sind — je mehr, desto mehr Kompetenz jemand in seinem Fachbereich besitzt. Er darf nicht glauben, daß seine Verantwortung an den Grenzen seines Instituts oder seines Unternehmens endet. Er muß hinaus in die öffentliche Diskussion.
Wenn von den wissenschaftlichen Organisationen über die Organisation der Wirtschaft bis hin zur IG Chemie, Herr Rappe, eindeutig und übereinstimmend gesagt wird, daß wir hier für diese Arbeit einstehen müssen, dann, meine ich, ist es an der Politik, zu handeln, aber auch an jedem anderen, über die Grenzen seines Arbeitsvertrages hinaus einen lebendigen und starken Standort Deutschland mitzugestalten, der aus Kompetenz und Verantwortung Zukunft sichert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212000800
Als nächste spricht die Abgeordnete Frau Ingeborg Philipp.

Ingeborg Philipp (PDS):
Rede ID: ID1212000900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zur ethischen Verantwortung, in der wir alle stehen, einige Gedanken beitragen.
Um die Jahrhundertwende herum studierte Albert Schweitzer ein Semester in Berlin. Die Theologiestudenten der damaligen Zeit waren von Lew Tolstoi begeistert. Er sprach ihnen aus den Herzen, weil er die Mißstände in der Kirche benannte und einen klaren Glauben vorlebte, ähnlich wie Eugen Drewermann heute.
Zutiefst beunruhigt war Albert Schweitzer von den Schriften Nietzsches und der Tatsache, daß kein Zeitgenosse da war, der einen klaren Widerspruch wagte. Diese Situation war der Ausgangspunkt für seinen Entschluß, eine Kulturethik zu schreiben, die er im Ersten Weltkrieg zu Papier brachte.
Lew Tolstoi hatte festgestellt, daß sich alle europäischen Gelehrten um die Jahrhundertwende herum einig darin waren, daß sie keine Religion mehr brauchten. Diese Einstellung hat das 20. Jahrhundert geprägt und prägt es noch heute. Wissenschaft war Trumpf; so ist es auch mit der Gentechnik.



Ingeborg Philipp
Zweifellos ist sie eine faszinierende Wissenschaft, eine Forschung, die in die allerfeinsten Bausteine des Lebens eindringen und sie verändern kann, eine Verfahrenstechnik, die elegante Produktionsverfahren ermöglicht, auch zur Herstellung von Kampfstoffen, die die Menschheit noch nicht kennt. Wenn dieses Arbeitsgebiet im Gentechnikgesetz auch ausgeschlossen wird, so ist keine sichere Gewähr gegen einen Mißbrauch gegeben.
Gefährliche Atomtechnik kann durch gefährliche Gentechnik ergänzt und erweitert werden. Diese Ängste sind da. Das ist ein Fluch der Wissenschaft, die die Religion verdrängt hat. Die ethische Bindung der Menschen an Gott ist verlorengegangen. Auch deshalb ist die Situation so gefährlich für die ganze Menschheit geworden.
Im Namen der Wissenschaft werden die Menschen innerlich ausgehöhlt und arm gemacht. Es wird ein Fortschrittsfetischismus praktiziert, der die Grenzen des menschlichen Vermögens ignoriert. Die Erkenntnisse der Genforschung zeigen aber, daß jeder Mensch genetisch bedingte Grenzen hat. Jeder Mensch bleibt den anderen Menschen etwas schuldig, weil er anders als alle anderen ist. Das ist keine Schuld, sondern nur ein Anderssein, das in der Einmaligkeit eines jeden Menschen begründet ist.
Die Prioritäten unserer Entwicklung dürfen nicht von der Wissenschaft allein gesetzt werden. Dafür ist die eben genannte Erkenntnis ein Beweis. Wenn, genetisch bedingt, jeder Mensch anderen Menschen nicht gleicht und ihnen deshalb immer etwas schuldig bleiben muß, dann ist das christliche Gebot der Nächstenliebe eine aus den Ergebnissen der modernen Forschung abzuleitende soziale Notwendigkeit.
Diese Grundhaltung der Nächstenliebe verpflichtet zu einer Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben, wie Albert Schweitzer sie nicht nur niedergeschrieben, sondern auch vorgelebt hat. Diesem Anspruch müssen wir uns stellen. Wir müssen eine Forschung betreiben, die das Wohl der Menschen nie aus dem Auge verliert und die sich der Verantwortung für die ganze Menschheit ständig bewußt ist.
Wenn sich die Gelehrten vor hundert Jahren einig darin waren, daß sie keine Religion mehr brauchen, so müssen wir uns heute einig darin werden, daß wir eine Religion brauchen, die dem Menschen inneren Halt gibt und die ihm die wahren Prioritäten für sein Leben zeigt. Die Gentechnik zeigt uns die Einfachheit und gleichzeitige Komplexität der Bausteine von unser aller Leben, die wir uns mit tiefer Ehrfurcht und großer innerer Freude oft vorstellen sollten, auch mit der Blickrichtung, daß jeder von uns geborgen ist in einer Welt Gottes, deren größte Bindungskraft die Liebe ist.
Daran sollten wir oft denken, damit wir immer eine ausreichende Widerstandskraft gegen Fehlentwicklungen aufbringen können. Sie ist in hohem Maße vonnöten.
Danke.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212001000
Als nächste spricht die Abgeordnete Frau Gudrun Schaich-Walch.

Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1212001100
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In 1 900 Labors in der Bundesrepublik wird gentechnisch gearbeitet. Ich denke, daraus kann man schließen, daß die Situation nicht so schlecht ist, wie das häufig aufgezeigt wird. Das ist gut, und wir sind froh darüber. Wir sind mit Ihnen aber einer Meinung, daß man einiges in dem Bereich verbessern kann.
Was ich aber auch sehr deutlich machen will, ist, daß, wer Gentechnik kritisch gegenübersteht, sie deshalb, wie das häufig gesagt wird, nicht gleichzeitig ablehnen muß. Allerdings, denke ich, sind Chancen und Risiken wirklich sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Der Schutz des Menschen und der Umwelt darf nicht zweitrangiges Gut werden, nachgeordnet nach dem Anspruch auf Forschung, Produktion und Ausbau von Industrie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der PDS/Linke Liste)

Dieser Ansatz ist erklärtes Ziel des bisherigen Gentechnikgesetzes. Ich meine, in der Qualität muß es bei dieser Aussage bleiben. Gleichwohl, wie ich schon sagte, sind wir bereit, Änderungen vorzunehmen, um Arbeitsmöglichkeiten zu verbessern.
Ich möchte aber im Rahmen dieser Diskussion heute auf einen anderen Bereich eingehen, nämlich den der Humangenetik, der noch relativ ungeregelt ist. Im Bereich der Medizin wird heutzutage Beachtliches geleistet. Gleichzeitig stößt die Medizin aber in ihrer traditionellen Forschungsweise im Bereich von Diagnostik und Therapie immer wieder an ihre Grenzen, was an einigen Krankheitsbildern wie Aids, Krebs oder auch der unbewältigten Problematik der HerzKreislauf-Erkrankungen deutlich wird. Darüber hinaus verlangt die rasante Kostenentwicklung im Gesundheitswesen nach der Begrenzung von Ausgaben und damit auch nach neuen Lösungswegen.
Diese beiden Entwicklungen scheinen nun zwangsläufig den Weg in den Bereich der Gentechnologie zu weisen. Dort sollen neue Möglichkeiten gefunden werden, um präventiv und kurativ tätig werden zu können.
Für den präventiven Bereich möchte ich auf die Anwendung der Genomanalyse im Arbeitsbereich eingehen. Getestet werden kann z. B. auf DNA-Ebene das Louis-Bar-Syndrom. Das ist eine ganz besondere Empfindlichkeit gegen Strahlung. 2 bis 4 % der Bevölkerung weisen diese Besonderheit auf.
Aus Sicht der Humangenetiker könnte dieser Test bei Einstellungsuntersuchungen im Hinblick auf Arbeitsplätze mit Strahlenbelastung angewendet werden. Das kann nützlich sein, das kann aber auch zur Folge haben, daß Arbeitsschutz nicht weiter verstärkt wird, sondern Selektion der Menschen als geeignet oder ungeeignet für die Tätigkeit auf Grund ihrer genetischen Disposition erfolgt. Hier kann der Präventionsgedanke, der sehr zu begrüßen ist, leicht zum Opfer des Selektionsgedankens werden, der durch ein bestehendes Überangebot von Arbeitskräften verstärkt zur Geltung kommen könnte.
Humangenetik, im Bereich der Prävention verankert, kann so auch zur Ausblendung der sozialen und umweltbedingten Einflüsse beitragen. Die Notwen-



Gudrun Schaich-Walch
digkeit der Eindämmung von Gefahren, die aus Arbeit, Umwelt oder auch aus Eigenverantwortung resultieren, könnte vernachlässigt werden. Die Ausgrenzung von Menschen, der Solidarentzug, kann die Folge sein. Auf solche Folgen sollten wir als Parlamentarier unser Augenmerk ganz besonders lenken.
Ich möchte noch einen zweiten Bereich ansprechen. Ich denke, wir sollten selber unsere Erwartung, die wir an diese neue Technologie haben, nicht zu hoch ansetzen. Einerseits ist die Erwartung an das Angebot an Hilfen der Diagnostik, das wir erwarten, hoch. Aber es kann durchaus auch sein, daß die Erwartungen nicht alle erfüllt werden. Andererseits erwarten wir eine Verbesserung der Kostensituation. Ich bezweifle allerdings, ob diese Erwartungen in dem Umfang, wie sie häufig gehegt werden, erfüllt werden können.
Gleichwohl glaube ich aber, daß Chancen nicht verbaut und neue Wege nicht verschlossen werden dürfen. Notwendige Abwägungen sind zu treffen. Ich möchte an Sie alle appellieren: Diese Abwägungen sind nicht im stillen Kämmerlein zu treffen, sondern in offener und kritischer Diskussion. Nur Offenheit gerade in diesem Bereich baut Mißtrauen innerhalb der Bevölkerung ab oder läßt Mißtrauen in vielen Bereichen, wenn die Diskussion mit der nötigen Offenheit und Sachlichkeit geführt wird, erst gar nicht entstehen.
Im Zuge fortschreitender Modernisierung haben die Menschen erleben können, daß Technik nicht nur Segen bringt, sondern auch Probleme, die wir verursacht haben. Deshalb glaube ich, daß wir gerade bei der Realisierung von Gentechnologie sehr kritisch sein müssen und nicht sagen können, ethisches Bewußtsein bei unseren Forschern wird ausreichen. Vielmehr müssen wir sagen: Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Das heißt für mich: Die Zielsetzung im Bereich der Humangenetik muß in nächster Zukunft sein, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen die Sicherheit von Mensch und Umwelt sowie der Schutz des Individuums erste Priorität genießen. Daneben muß den Ansprüchen von Forschung und Industrie Rechnung getragen werden.
Dieses von mir angesprochene Humangenetikgesetz muß bundeseinheitlich sein. Daher müssen wir bei der anstehenden Verfassungsänderung die Kompetenz für diesen Bereich auf den Bund verlagern. Mit den Vorarbeiten aber sollten wir jetzt schon beginnen.

(Beifall bei der SPD, der F.D.P. und der PDS/Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212001200
Als nächster spricht der Abgeordnete Heinrich Seesing.

Heinrich Seesing (CDU):
Rede ID: ID1212001300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Welt redet über Chancen und Risiken der Gentechnologie, vorwiegend aber über die Chancen. Und Deutschland? Ich will einmal versuchen, es so zu formulieren: In Deutschland sprechen wir mehr darüber, unter welchen Bedingungen nicht möglicherweise an einem Punkt der Anwendung der Gentechnik, an dem nach
langjähriger Erfahrung überhaupt keine Gefahren bestehen, doch noch irgendein Ereignis eintreten kann, das unter Umständen vielleicht zu einer gewissen Gefährdung eines noch nicht benennbaren Teiles der Natur führen könnte.
Genauso undurchsichtig, wie ich es jetzt formuliert habe, ist oft unser Sprechen und Tun in Deutschland. Das nennen wir dann Technikfolgenabschätzung, und wir versuchen, uns mit Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, Erlassen und Verfügungen dagegen zu wehren.
Dann gibt es immer noch eine geringe, aber lautstarke Minderheit in unserem Lande, die Gentechnik am liebsten verbieten und ausrotten möchte. Wer sich für die Anwendung gentechnischer Verfahren einsetzt, muß damit rechnen, daß er von gewissen Medien als gewissenloser Lobbyist einer bornierten Wissenschaft und einer auf Gewinnmaximierung bedachten Industrie angesprochen wird. Das letztere bin ich gerne bereit in Kauf zu nehmen; ich fühle mich da in einer Runde mit z. B. Wolf-Michael Catenhusen sowie einigen anderen Kollegen der SPD-Fraktion.
Die von mir geschilderte politische Situation müssen wir ändern. Dem müssen die heutige Debatte und die weiteren Diskussionen im Deutschen Bundestag dienen. Wissen, das in der Welt ist, werden wir nicht ausrotten können. Technische Verfahren, die in fast jedem Land der Erde angewandt werden, kann man nicht national ausgrenzen.
Von der Gentechnologie wissen wir alle, daß sie als Schlüsseltechnologie eine immer wichtiger werdende Rolle für den Strukturwandel in vielen Ländern spielt. Das gilt insbesondere für die großen Industrienationen. Bisher haben wir uns immer zu ihnen gezählt. Nun kann es ja möglich sein, daß große Teile unseres Volkes, besonders aber der Politik in eine neue Bescheidenheit versinken wollen und daß wir uns mit einem stark abgesenkten Bruttosozialprodukt zufriedengeben. Dann bräuchten wir uns allerdings um die Entwicklung neuer Technologien und Techniken keine Gedanken mehr zu machen, auch nicht um die Gentechnik. Ich gehe aber einmal davon aus, daß das deutsche Volk uns alle dafür strafen würde, wenn wir nicht mehr für Wohlstand, Arbeit und Sicherheit kämpfen würden.
Nun gibt es aber auch Menschen, die sich ernsthaft Gedanken darüber machen, ob die Gentechnologie ein derartiger Eingriff in die Natur, die Pflanzen- und Tierwelt sowie die menschliche Existenz ist, daß man dadurch Gott als den Schöpfer aller Dinge übertrumpfen könnte. Diesen Menschen gebe ich zu bedenken: Der gläubige Mensch weiß doch, daß dem Menschen ein Gestaltungswille mitgegeben ist, der ihn praktisch dazu zwingt, an der Ausgestaltung der Erde, ja der ganzen Schöpfung mitzuwirken.
Diese Kreativität führt allerdings nicht immer zum Guten. Viele Ergebnisse menschlichen Nachdenkens haben gleichzeitig zu Wohltaten und zu Katastrophen geführt. Ich brauche gar nicht auf Dinge wie Schießpulver, Dynamit oder Kernenergie hinzuweisen. Wenn wir z. B. nur an das Auto und den Alkohol denken, genügt uns das auch schon. Es kommt immer darauf an, wie verantwortungsvoll der Mensch mit



Heinrich Seesing
den Ergebnissen seiner Erfindungen und Entdeckungen umgeht. Das gilt genauso für die Gentechnologie.
Weltweit erkennt man, daß ohne Gentechnik in vielen Bereichen nichts mehr laufen wird. Hinweisen möchte ich nur auf die schon erwähnten vier Bereiche Aids- und Krebsforschung, die Entwicklung neuer Umwelttechnologien, z. B. zur Reinigung von Abwässern, die molekulare Pflanzenzüchtung sowie die Entwicklung und Herstellung von Medikamenten. Wir tun uns schwer mit bzw. in dieser Technologie. Da wir ein Land sind, in dem praktisch jede Regung eines Menschen oder Gegenstandes durch Gesetze und Verordnungen geregelt ist, kommen wir auch für den Bereich der Gentechnologie nicht ohne rechtliche Regelungen aus.
Am 1. Juli 1990 sind in der Bundesrepublik Deutschland das Gentechnikgesetz und die dazugehörigen Verordnungen in Kraft getreten. Damals hatten wir die Hoffnung, dadurch zu Rechtssicherheit und beschleunigter Durchführung von Genehmigungsverfahren beitragen zu können. Diese Hoffnungen sind enttäuscht worden. Das Gegenteil ist eingetreten: Die hochqualifizierte Forschung im Bereich der Gentechnologie ist durch Hemmnisse und Schwierigkeiten beim Vollzug des innerstaatlichen Gentechnikrechts und insbesondere durch die lange Verfahrensdauer gefährdet.
Die Forschung stößt in Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen auf das strengste und am umfassendsten geregelte Gentechnikrecht sowie auf eine Bürokratie, welche verbleibende Spielräume auf der Vollzugsebene weiter einengt. Dazu kommen die allgemein bekannten, nicht gerade günstigen Innovations- und Investitionsbedingungen. So ist es kein Wunder, daß die deutsche Industrie ihre gentechnische Forschung und Produktion ins Ausland verlagert. Investitionen ausländischer Firmen in Deutschland aus dem Bereich Gentechnik sind mir nicht bekannt. Meine größte Sorge ist, daß wegen der unzumutbaren Verfahrensregelungen deutsche Gentechnikforscher verstärkt Möglichkeiten wahrnehmen werden, im Ausland tätig zu werden.
In diesen Tagen, meine Damen und Herren, beklagen wir das starke Ansteigen von Gewalt in unserem Lande. Ich erinnere mich daran, daß ich mich vor 20 Jahren oft in Diskussionen getummelt habe, in denen es um die Frage ging, ob Gewalt gegen Sachen etwas Gutes oder Schlechtes sei. Meist bin ich mit meiner Meinung in der Minderheit geblieben, nämlich daß Propagierung von Gewalt gegen Sachen als ein Instrument der Bürger im Kampf gegen den Moloch Staat irgendwann zu Gewalt gegen Menschen führen werde. Leider haben sich meine Befürchtungen bewahrheitet. Seitdem ist Gewalt bei uns gesellschaftsfähig geworden.
Viele Leute halten es für eine gute Tat, sich mit Gewalt gegen Gentechnik und Gentechniker zu wenden. Erkennbar ist z. B. auch die gesellschaftliche Ausgrenzung von Gentechnikern. Oft unerträgliche Angriffe in einem Teil der Medien führten nicht gerade zu gesteigerter Lust dieser Frauen und Männer, ihren Arbeitsplatz in Deutschland beizubehalten.
In nicht allzu ferner Vergangenheit hat es nicht selten Ausschreitungen auch gegen die Familien und das Eigentum von Forschern und Mitarbeitern der Forschungseinrichtungen und der betroffenen Industrie gegeben. Ich meine, es ist an der Zeit, daß wir alle gemeinsam um die Akzeptanz der Gentechnologie ringen, da wir, wenn wir ehrlich sind, wissen, daß es ohne Gentechnik nicht mehr gehen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich rufe dazu auf, § 1 des Gentechnikgesetzes ganz umzusetzen. Darin ist nicht nur vom Schutz von Mensch, Natur und Umwelt sowie von der Gefahrenvorbeugung die Rede, sondern auch von Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten.
Es ist an der Zeit, die offenkundigen Probleme der Gentechnologie in Deutschland zu lösen. Was die Anwendung dieser Schlüsseltechnologie bei Viren, Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren angeht, wollen wir durch eine Änderung des Gentechnikgesetzes und der dazugehörigen Verordnungen den richtigen Weg weisen. Wir bitten deswegen, dem Beschlußvorschlag der Koalitionsfraktionen zu folgen.
Ich hatte geglaubt, daß eine längere Beratung der Beschlußvorschläge von SPD, CDU/CSU und F.D.P. unter Umständen zu einem gemeinsamen Antrag hätte führen können. Der heute vorliegende Änderungsantrag der SPD-Fraktion bringt allerdings meinen Glauben ins Wanken. Teile der Rede von WolfMichael Catenhusen wiederum geben mir neue Hoffnung.
Deswegen empfehle ich der Bundesregierung, für ihre notwendigen Gespräche mit den Ländern und den Betroffenen auch den Antrag der SPD als Material heranzuziehen.
Gleichzeitig darf ich ankündigen, daß die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion zu Beginn des Jahres 1993 die Anwendung gentechnischer Verfahren am Menschen diskutieren will. Sie bittet die anderen Fraktionen und Gruppen, mit uns gemeinsam auch für die dabei auftretenden Probleme nach Lösungen zu suchen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212001400
Als nächstem erteile ich dem Abgeordneten Professor Dr. Karl-Hans Laermann das Wort.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1212001500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich heute in der Debatte darauf beschränken, mich mit den Genehmigungsverfahren im Zusammenhang mit dem Gentechnikgesetz auseinandersetzen.
Ich stimme mit Frau Kollegin Schaich-Walch durchaus überein, daß es im Bereich der Humangenetik noch eine Fülle von Diskussionsbedarf gibt. Ich bitte darum, daß wir das heute aussparen; denn es läuft noch die Untersuchung über die Genomanalyse, die der Forschungsausschuß in Auftrag gegeben hat. Wenn im Frühjahr der Bericht vorliegt, wird das, glaube ich, eine gute Arbeitsgrundlage sein, die



Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Diskussion über dieses Thema getrennt und gesondert, der Bedeutung entsprechend, aufzunehmen.
Die öffentliche Anhörung des Forschungsausschusses, die er gemeinsam mit dem Gesundheitsausschuß im Februar dieses Jahres durchgeführt hat, hat doch wohl unmißverständlich deutlich gemacht, daß das Gentechnikgesetz in der bestehenden Form nur theoretisch zu mehr Schutz von Mensch und Umwelt beiträgt. Es führt in der Praxis zu einem unverhältnismäßig hohen administrativen Aufwand in den Genehmigungsverfahren für gentechnische Arbeiten. Diese Genehmigungsverfahren laufen so langwierig und schleppend ab, daß sowohl die Forschung als auch die industrielle Produktion z. B. von Arzneimitteln — wie Insulin, Interferon — und Impfstoffen, aber auch die Arbeiten in der Pflanzenzüchtung in nicht vertretbarer Weise behindert — um nicht zu sagen: verhindert — werden.
In der Folge suchen Wissenschaftler — darauf ist heute morgen wiederholt hingewiesen worden — zunehmend ihr Tätigkeitsfeld im Ausland, verlagern deutsche Unternehmen ihre gentechnischen Produktionsstätten ins Ausland — ich glaube, verehrter Herr Kollege Catenhusen, das liegt nicht an der fehlenden Forschungsförderung, sondern das liegt an den Bedingungen insgesamt, unter denen die deutschen Industrieunternehmen zu leiden haben — oder steigen, wie wir das im Rheinland erlebt haben, aus der Gentechnik gänzlich aus.
Damit werden wissenschaftliche und wirtschaftliche Chancen verspielt, droht unser Land auf einem weiteren Gebiet innovativer Zukunftstechnologien den Anschluß an die Entwicklung in anderen Ländern in Europa wie auch in den USA und in Japan zu verlieren. Dies kann nicht hingenommen werden.
Deshalb muß auf Grund der bisherigen Erfahrungen das Gentechnikgesetz hinsichtlich der Vorschriften, die das Genehmigungsverfahren betreffen, überarbeitet werden, und zwar — um es noch einmal deutlich und unmißverständlich zu sagen — unter Wahrung der Schutzinteressen von Mensch und Umwelt. Deswegen fordern die Koalitionsfraktionen in der vorliegenden Beschlußempfehlung die Bundesregierung auf, umgehend eine Novellierung des Gentechnikgesetzes vorzunehmen.
Auch die SPD-Fraktion hat einen entsprechenden Antrag vorgelegt, der in den meisten Punkten — das betone ich ausdrücklich — mit dem Koalitionsantrag übereinstimmt. Über einige abweichende Positionen können wir uns wohl noch verständigen. Ich bin deshalb zuversichtlich, daß wir bei der Beratung des nun von der Bundesregierung vorzulegenden Entwurfs einer Novelle zur Sicherung der wissenschaftlichen und technologischen Positionen der Bundesrepublik im wohlverstandenen gemeinsamen Interesse zu einem gemeinsam getragenen Ergebnis kommen.
Wegen früherer Erfahrungen mit neuen technologischen Entwicklungen war es notwendig und richtig, daß der Gesetzgeber frühzeitig — in einem noch weitgehend wissenschaftlich bestimmten Entwicklungsprozeß, in einem Stadium, in dem noch nicht auf gesicherte konkrete Erfahrungen zurückgegriffen
werden konnte — Regelungen zur Abwehr von möglichen Risiken und Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit im weitesten Sinne beschlossen hat. Es mußte aber jedermann klar sein, daß mit fortschreitender Entwicklung und zunehmender Erfahrung eine Anpassung des gesetzlichen Regelungswerkes unvermeidbar sein würde.
Inzwischen liegen vielfältige Erfahrungen vor, aus denen der Schluß gezogen werden kann, daß viele anfangs vermutete Risiken und Befürchtungen unbegründet sind. Auch deswegen können die restriktiven Vorschriften gelockert werden, was in anderen Ländern schon geschehen ist oder zunehmend geschieht.
Zumindest gilt die Feststellung zur notwendigen Lockerung der Vorschriften für die Sicherheitsstufen 1 und 2 des Gentechnikgesetzes in bezug auf gentechnisch veränderte Organismen. Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, daß in einigen europäischen Ländern bereits seit einigen Jahren in mehr als einem Dutzend Anlagen Arzneimittel und Impfstoffe hergestellt werden, mit steigendem Umsatz auch in der Bundesrepublik. Wir behindern hier die Produktion und importieren die so hergestellten Arzneimittel, Impfstoffe und Medikamente. Das macht doch am Ende keinen Sinn. Wenn das durch die Verfahrensprozeduren begründet ist, dann müssen wir diese Prozeduren ändern.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Veranlaßt durch den PDS-Antrag, möchte ich auch das Problem der Freisetzungen ansprechen. Ich denke, auf Grund der bisherigen weltweiten Erfahrungen können wir dieses Problem entspannter betrachten. Das hat sicherlich etwas mit Akzeptanz zu tun; aber es ist unsere Aufgabe, diese Akzeptanzproblematik zu lösen. Wir sollten nicht wehleidig bejammern, daß wir nun lachsrote Petunien haben, sondern wir sollten einen Schritt nach vorne in den Bereich der Pflanzengenetik tun, die für uns unerläßlich zu sein scheint, wenn wir an die zukünftigen oder schon gegenwärtigen Welternährungsprobleme und an die Aufgaben denken, die da auf uns zukommen.

(Beifall bei der F.D.P.)

In den USA geht man inzwischen beim Vollzug gesetzlicher Vorschriften mit hohen Sicherheitsstandards, wie sie dort gegeben sind, mit sehr viel Pragmatismus vor. So hat jüngst das US-Landwirtschaftsministerium seine Absicht verkündet, nach Erfahrungen mit über 300 Freisetzungen genetisch veränderter Pflanzen das Genehmigungsverfahren zu entbürokratisieren, um den Transfer von biotechnologischen Forschungsergebnissen in den Markt zu beschleunigen und damit — so die Begründung — einen Beitrag dafür zu leisten, daß die amerikanische Landwirtschaft ihre Wettbewerbsposition in der Welt behaupten kann. Ich will auf die Einzelheiten nicht näher eingehen.
Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zur EG-Richtlinie sagen: Die F.D.P.-Fraktion geht davon aus, daß erstens alle rechtlichen Möglichkeiten unter Einhaltung des derzeitigen EG-Rechts ausgeschöpft werden, die zu einer Vereinfachung und Beschleuni-



Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
gung des Genehmigungsverfahrens führen, daß sich zweitens die Bundesregierung im Lichte der inzwischen gewonnenen Erkenntnisse auch um eine Anpassung der EG-Richtlinie bemüht und daß sie sich drittens dafür einsetzt, daß in allen EG-Ländern die Vorschriften der Richtlinie beachtet und umgesetzt werden, damit gleiche Wettbewerbsbedingungen und Arbeitsbedingungen in allen EG-Ländern hergestellt werden.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212001600
Als nächste spricht die Abgeordnete Dr. Ursula Fischer.

Dr. Ursula Fischer (PDS/LL):
Rede ID: ID1212001700
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das deutsche Gentechnikgesetz ist 1990 auf Druck der Industrie entstanden. Es sollte die rechtliche Grundlage für den Einsatz der Gentechnologie in großem Rahmen schaffen und dabei zugleich für eine Akzeptanzsteigerung innerhalb der Bevölkerung sorgen.

(Zuruf von der F.D.P.)

— Ich denke schon, daß ich mich darüber schon einmal ausführlich ausgelassen habe. — Keinesfalls war jedoch damals der Schutz der Bevölkerung und Natur das alleinige oder auch nur vorrangige Interesse.
Folgerichtig konnte ein Consultingunternehmen im Auftrag der Industrie 1990 zufrieden bilanzieren, daß die „rechtliche Voraussetzung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Pharmaindustrie wiederhergestellt" sei.
Wenig später jedoch begann eine große Propagandaoffensive von Wirtschaft und Wissenschaft mit dem Ziel, die gerade getroffenen gesetzlichen Bestimmungen aufzuweichen. Natürlich hat es nicht lange gedauert, bis sich CDU/CSU, aber zu meinem Leidwesen auch SPD diese Forderung der Lobby zu eigen machten.
Die Gefahren der Gen- und Biotechnologie werden heute anscheinend geringer eingeschätzt als damals. Wir teilen diese Einschätzung allerdings nicht, da sie jeglicher Grundlage entbehrt. Im Gegenteil: Wir sind der Auffassung, daß die Gefahren derart groß sind, daß eine Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen nicht in Betracht kommen sollte.
Allen sollte zu denken geben, daß der Kölner Freilandversuch mit gentechnisch manipulierten Petunien ein von niemandem vorhergesehenes Ergebnis erbracht hat. Daran kann man sehen, wie hoffnungslos das Unterfangen ist, für die Gefahr negativer Auswirkungen auf Mensch und Natur einen Risikofaktor zu berechnen. Auf diese Weise werden die Gefahren der Gentechnologie lediglich verdrängt.
Es ist ja auch nicht wahr, daß es noch keinen Unglücksfall zu beklagen gäbe. Die gentechnisch hergestellte Aminosäure L-Tryptophan hat in den USA zahlreiche Todesfälle und Erkrankungen verursacht, obwohl Medikamente, die diese Aminosäure
enthielten, zuvor bei einer Verträglichkeitsprüfung für unbedenklich erklärt worden waren.
Dies sollte Anlaß sein, sich die Gefahren der Gentechnologie bewußt zu machen, denn auch bei einer Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen an Pflanzen und Tieren ist die weitere längerfristige Wirkung dieser Organismen größtenteils ungeklärt. Eine DNS z. B. kann sich bis zu zwei Monate im Erdboden erhalten, und über die Prozesse, die sich dort vollziehen, ist sehr wenig bekannt.
Vollkommen ungeklärt ist z. B. auch, wie sich insektenresistente Nutzpflanzen bei Verzehr im Magen und Darm des Menschen verhalten. Dies sind nur zwei Beispiele von offenen Fragen, mit denen wir es zu tun haben.
Wenn wir alle diese Gefahren sehen, müssen wir natürlich auch nach dem Nutzen solcher Technologien fragen. Da gibt es große Versprechungen: Bekämpfung der Armut und des Hungers in den Entwicklungsländern, Bekämpfung von Krankheiten, größere Kartoffeln und Tomaten und vieles mehr.
An dieser Stelle sollten wir einhalten und konkret fragen: Welchen Nutzen haben wir von Rindern mit einem Wachstumshormon — in diesem Zusammenhang ist nach den Auswirkungen auf den Menschen zu fragen — angesichts des EG-Fleischberges und der Fehlernährung auf Grund des hohen Fleischkonsums in Deutschland? Welchen Nutzen haben herbizidresistente Pflanzen, die einen hohen Chemikalieneinsatz nach sich ziehen? Ich konnte mir das in der Dritten Welt sehr genau angucken. Ich bin auch entwicklungspolitische Sprecherin meiner Fraktion. Welchen Nutzen erzielen wir mit gentechnisch manipulierten Einheitspflanzen, die die Überlebensfähigkeit der Art und die Ökosysteme gefährden?
Der Nutzen, den ich sehe, sind Profite für die Chemie- und Pharmaindustrie, internationale Reputation für Wissenschaftler, die kaum einen Blick über ihre Fachgrenzen hinweg wagen, und Gefahren für Mensch und Natur.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Die sanieren mit dem Geld in Bitterfeld!)

— Ja, natürlich, Herr Dr. Rüttgers.
Alle positiven Ziele hingegen, die mit Hilfe der Gen- und Biotechnologie angestrebt werden, sind auf andere Weise gefahrloser und sozialökologisch verträglicher zu erreichen. Armut und Hunger in der Dritten Welt werden nicht durch Gentechnologie, sondern durch eine radikale Umgestaltung der weltwirtschaftlichen Strukturen verringert und bekämpft. Der Abwehr und Vorbeugung vor Krankheiten dient die Durchsetzung von sozial und ökologisch verträglichen Arbeits- und Lebensweisen, nicht aber die Gentechnologie.
Insgesamt lehnen wir das Konzept, welches hinter der in dem vorliegenden Bericht vertretenen Auffassung von Gen- und Biotechnologie steht, nämlich soziale und ökologische Probleme auf technischem Wege zu lösen, ab. Dieses Denken fordert zu Reparaturmaßnahmen an Menschen, Tieren und Pflanzen auf, anstatt nach den Strukturen unseres Zusammenlebens zu fragen, und verschleiert auf diese Weise die



Dr. Ursula Fischer
Sicht auf die wahren Ursachen unserer wachsenden Probleme.
Alles in allem halten wir die von großen Teilen dieses Hauses, von Wirtschaft und Wissenschaft propagierte Technologie für so gefahrvoll, daß wir auf ihre Anwendung unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen verzichten möchten. Ich darf Ihnen sagen: Ich weiß, wovon ich rede. Ich wollte Genchirurgin werden, und ich bin Kinderärztin. Ich weiß auch das andere. Ich warne noch einmal, den im Gesetz vorgeschlagenen Änderungen zuzustimmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212001800
Als nächster spricht der Bundesminister für Gesundheit, Herr Horst Seehof er.

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1212001900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Wochen erschien in einer großen deutschen Wochenzeitung ein Artikel zum Thema Gentechnik. Neben diesem Artikel war das Bild eines kleinen Mädchens zu sehen, das mit fröhlichem Gesicht Klavier spielt. Die Bildunterschrift lautete: „Musisch oder sportlich — Bald werden wir Talente mit Genmanipulationen bestimmen." — In dem Beitrag wird eine Gesellschaft gemalt, in der Maschinen Kinder auf die Welt bringen, in der Eltern aus einem Talentkatalog die Eigenschaften ihrer Kinder bestellen können. Leihmütterzentren, Ei- und Samenbanken, so hieß es dann weiter, würden bald zum täglichen Leben gehören wie heute Kaufhäuser oder Kinos.
Meine Damen und Herren, ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß die Chancen und Risiken der Gentechnik zum Teil sehr kontrovers diskutiert werden, denn kaum eine andere Wissenschaft wird die Humanmedizin und die Gesellschaft insgesamt so nachhaltig beeinflussen wie die Gentechnik. Aber ich habe kein Verständnis dafür, daß mit solchen Homunkulus-Geschichten Ängste geschürt werden. Das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer sich dem Thema Gentechnik auf diese Weise widmet, der bereitet das Feld für irrationale Diskussionen. Dieses Thema eignet sich nicht für Mystifizierungen oder Dramatisierungen.

(Dr. Ursula Fischer [PDS/Linke Liste]: Das macht auch keiner!)

Wer ernsthaft über die Chancen und Risiken nachdenken will, der ist zur Sachlichkeit verpflichtet.
Frau Kollegin Fischer, wenn Sie hier sagen: Das macht auch keiner, dann sage ich Ihnen: Die Beispiele, die Sie mir genannt haben, haben mit der Gentechnik auch nicht das geringste zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das alles ist der Chemie oder der Biologie zuzuordnen.
Zu dieser Versachlichung, denke ich, hat das Parlament mit den Beratungen der Enquete-Kommission
Gentechnologie und durch den Erlaß des Gentechnikgesetzes wesentlich beigetragen. Davon können wir jetzt profitieren, wenn wir versuchen, die bestehenden Regelungen zu verbessern. Dabei geht es nicht nur um die aktuellen Änderungen des Gentechnikgesetzes, sondern es geht auch um wichtige Themen wie die Genomanalyse im Bereich der Humangenetik und die Gentherapie, denn diese Bereiche haben unmittelbar Wirkung auf die Gesundheitspolitik der Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wissenschaftliche Untersuchung der menschlichen Erbsubstanz geht schneller voran, als das noch vor kurzer Zeit zu erwarten war. Mittelfristiges Ziel ist es, eine Karte vom menschlichen Genom zu bekommen, die es erlaubt, neu entdeckte Gene bzw. Genfragmente unmittelbar im Genom zu lokalisieren. Bereits jetzt ist das kleinste Chromosom Nummer 21 voll kartiert. Es gibt Schätzungen, daß vielleicht schon bis Ende nächsten Jahres eine grobe Karte für das menschliche Genom fertig sein könnte. Damit werden die Möglichkeiten der medizinischen Grundlagenforschung, der Diagnose und auch der Behandlung von Krankheiten erheblich wachsen.
Wir werden vielleicht in naher Zukunft in der Lage sein, mit Hilfe der neuen gentechnischen Methoden bislang für unmöglich gehaltene Therapien — z. B. gegen Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen — erfolgreich durchführen zu können. Allerdings — auch dies gehört zur Wahrheit — wächst durch die vielfältigen Möglichkeiten der gentechnischen Verfahren auch die Notwendigkeit, einem möglichen Mißbrauch und Fehlgebrauch der neuen Methoden entgegenzutreten.
So wurde bereits ausführlich darüber diskutiert, wo jetzt Handlungsbedarf besteht. Insbesondere die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Genomanalyse hat hier wertvolle Vorarbeiten geleistet. Der Themenkatalog dieser Arbeitsgruppe enthält auch so wichtige Bereiche wie die Genomanalyse im Versicherungswesen und Untersuchungen von Arbeitnehmern. Gerade der letzte Punkt ist ja bereits heftig diskutiert worden. Ich möchte jedenfalls für meine Person deutlich feststellen — aber das gilt wohl insgesamt für die Koalition —: Es darf nicht dazu kommen, daß eine Auslese der Arbeitnehmer auf Grund einer Genomanalyse erfolgt.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Durch das Votum der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat ist geklärt worden, daß dem Bund die Gesetzgebungskompetenz u. a. für die Untersuchung und künstliche Veränderung von Erbinformationen zugesprochen werden soll. Damit ist die Voraussetzung für bundeseinheitliche Regelungen in diesem sachlich, ethisch und rechtlich schwierigen Bereich geschaffen worden. Ich begrüße dies ausdrücklich.
Was für die Genomanalyse gilt, gilt auch für die Gentherapie. Mit ihr verbinden viele Menschen Hoffnungen, aber auch Ängste. Deshalb sage ich hier in aller Deutlichkeit: Es bleibt beim Verbot der Keimbahntherapie. Dafür hat das Embryonenschutzgesetz



Bundesminister Horst Seehofer
gesorgt. Wir wollen eine Veränderung des menschlichen Erbgutes ausschließen, die auch noch auf nachfolgende Generationen übertragen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es gibt bei der Gentherapie aber auch große Chancen. Damit meine ich insbesondere die somatische Gentherapie. Dies ist eine neue medizinische Behandlungsmethode, bei der an kranken Körperzellen eines Patienten Korrekturen mit Hilfe genchirurgischer Verfahren vorgenommen werden können. Eine Weitergabe der übertragenen Informationen an den Nachkommen wird dabei ausgeschlossen. In Amerika sind in den vergangenen eineinhalb Jahren erste somatische Gentherapien mit gutem Erfolg durchgeführt worden. Ich erinnere hier insbesondere an den Erfolg bei der Behandlung der angeborenen Schwäche des Immunsystems. Sie alle kennen jene schrecklichen Bilder von kleinen Kindern, die wegen dieser angeborenen Schwäche lebenslang unter einem Plastikzelt leben müssen. Sie können nicht mit Spielkameraden toben, sie werden nie erfahren, wie es draußen aussieht. Für sie gibt es nur die kalte, sterile Welt, in der es keine menschliche Zuwendung gibt. Greifarme versorgen sie mit keimfreier Kost; völlige Isolierung, das ist ihr Schicksal, heute — lebenslang.
In Amerika ist es nun gelungen, eines dieser Kinder mit Hilfe der somatischen Gentherapie von diesem schrecklichen Schicksal zu befreien. Eines dieser Immunschwäche-Kinder hat dank dieser Behandlungsmethode nicht nur dieses Isolationszelt verlassen können, es kann heute sogar in eine normale öffentliche Schule gehen.
Wenn wir über Gentherapie reden, sollten wir nicht nur von den Risiken reden, sondern auch diese positiven Beispiele ins Bewußtsein der Bevölkerung bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dieser Erfolg ist ermutigend, und was in diesem speziellen Fall möglich war, ist in Zukunft vielleicht auch bei den anderen Volkskrankheiten möglich. Ich stimme Ihnen zu, Herr Professor Laermann, wir sollten nicht darauf warten, daß wir diese Erfolge in die Bundesrepublik Deutschland importieren können, sondern sollten uns bemühen, daß solche Erfolge auch bei uns selbst durch Forschung und Entwicklung möglich werden.
Dem amerikanischen Krebsforscher Stephen Rosenberg sind z. B. bereits gute Erfolge bei der Therapie des malignen Melanoms, eines häufigen bösartigen Hauttumors, gelungen. Demnächst wird es in den USA auch eine Studie über Behandlung von bisher nicht therapierbaren Hirntumorpatienten geben.
Das zeigt: Die somatische Gentherapie stellt für viele kranken Menschen eine enorme Chance dar, obwohl auch hier natürlich gilt: Wir müssen die Risiken analysieren und Mißbrauch ausschließen. Zu diesem Zweck ist bekanntlich eine Bund-LänderArbeitsgruppe eingerichtet worden, und ich bin zuversichtlich, daß sie sich bewähren wird.
Meine Damen und Herren, dem Gesetzgeber wird immer der Vorwurf gemacht, er reagiere nur im Schneckentempo auf Ereignisse. Solche Urteile hören Sie nicht nur an den Stammtischen. Doch diese Behauptungen treffen nicht zu. Die Politik hat gerade in der Gentechnik bewiesen, daß sie Neuentwicklungen und Neu-Techniken sorgfältig begleiten kann und tatkräftig dort eingreift, wo es das Gemeinwohl erfordert. Das zeigt die Arbeit der Enquetekommission, das zeigen die Beratungen und Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Genomanalyse, das zeigt das Embryonenschutzgesetz, und das belegt nicht zuletzt auch das Gentechnikgesetz, das nun zum erstenmal novelliert werden soll.
Das Gentechnikgesetz kam im Sommer 1990 genau zum richtigen Zeitpunkt. Die internationale Diskussion und unsere nationalen Erfahrungen mit den Genrichtlinien waren eine hinlänglich sichere Grundlage auch für gesetzliche Regelungen. Das Gentechnikgesetz konnte also kommen, und es mußte kommen, weil die weitere Anwendung der Gentechnik die Ablösung der unverbindlichen Genrichtlinien notwendig machte. Wir können heute feststellen, daß die doppelte Zielsetzung des Gentechnikgesetzes, sowohl für die Sicherheit von Menschen und Umwelt zu sorgen als auch die Rechtssicherheit der weiteren Entwicklung der Gentechnik in Forschung und Praxis zu garantieren, grundsätzlich erreicht worden ist.
Der Umgang mit der Gentechnik in der Bundesrepublik ist sicher. Wir kennen — und das muß man auch betonen — keinen einzigen Fall, in dem Menschen oder die Umwelt durch die Gentechnik zu Schaden gekommen wären. Spötter könnten natürlich jetzt sagen, das liege auch daran, daß es bei uns gar keine Gentechnik mehr gibt.

(Heiterkeit)

Das ist natürlich nicht der Fall. Die gentechnische Forschung in der Bundesrepublik liegt nach wie vor weltweit auf einem Spitzenplatz, und wir wollen nicht, daß die Bundesrepublik im Bereich dieser Schlüsseltechnologie gegenüber dem Ausland ins Hintertreffen gerät. Deshalb muß das Gentechnikgesetz jetzt an neue Entwicklungen angepaßt werden, und das ist völlig normal bei einem Gesetz auf einem Gebiet, auf dem rasante Fortschritte erzielt werden. Wir verfügen heute über Erfahrungen, die wir vor zwei Jahren noch nicht hatten. Damals war es durchaus richtig, zunächst etwas mehr Vorsicht walten zu lassen.
Meine Damen und Herren, ich bin hier aufgefordert worden, auch vom Herrn Kollegen Dr. Voigt, rasch zu handeln. Es gehört zu meinen Grundsätzen, rasch, eindeutig und nach Möglichkeit auch richtig zu entscheiden,

(Zurufe von der SPD)

und ich begrüße ausdrücklich, daß neben den Koalitionsfraktionen auch die SPD einen Antrag vorgelegt hat, der in weiten Punkten mit unseren Absichten übereinstimmt, parallel geht.

(Widerspruch bei der SPD)

Wir werden diesen Grundsatz vom raschen Handeln
auch hier anwenden. Ich warte allerdings nicht, Herr
Kollege Voigt, bis ich Entzugserscheinungen nach



Bundesminister Horst Seehofer
Erledigung des Gesundheitsstrukturgesetzes habe. Wir haben die Vorarbeiten bereits eingeleitet. Wir werden die Bundesländer natürlich daran beteiligen. Aber ich möchte auch hier eindeutig sagen, daß die Bemühungen um die Novellierung des Gentechnikgesetzes aus meiner Sicht ausdrücklich auch die Bemühungen um entsprechende Änderungen der EG-Richtlinien einschließen müssen, Herr Catenhusen. Das möchte ich eindeutig sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn sich ein Thema in der Bundesrepublik Deutschland zur Deregulierung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft eignet, dann, meine ich, sollten wir an diesem Thema ernst machen. Deshalb bemühen wir uns, parallel zu unseren nationalen Gesetzgebungen auch die EG-Richtlinien entsprechend zu verändern. Daß dies unheimlich schwer ist, muß mir niemand sagen.
Wenn wir uns jetzt auf den Weg zur Novellierung des Gentechnikgesetzes machen, sollten wir alle ein gemeinsames Interesse daran haben, optimale Lösungen zu finden. Ich glaube, daß die Voraussetzung dafür sehr günstig ist, denn in breiten und wesentlichen Bereichen gibt es zwischen den heute vorliegenden Anträgen — insbesondere dem, was sie gesagt haben, Herr Catenhusen — und den Anträgen der Koalition Parallelen.
Bei allen Verschiedenheiten in manchen Details sind die Anträge offen und flexibel genug für weitere Diskussionen und möglicherweise Konsens. Wenn wir die neue Sachlichkeit in der Argumentation, die wir auch heute wieder hier im Parlament erlebt haben, was die Gentechnik und ihre Regelung betrifft, auch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens und im fruchtbaren Diskurs mit den Ländern bewahren, haben wir gute Aussichten, nicht nur die Novellierung des Gentechnikgesetzes zu einem guten Abschluß zu bringen, sondern auch die damit zusammenhängenden Fragen der Zukunft angemessen beantworten zu können. Chancen nutzen und Risiken ausschalten — das war bisher unsere Devise, und das wird auch unser Motto für die Zukunft bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1212002000
Als nächstes spricht die Abgeordnete Frau Dr. Marliese Dobberthien.

Dr. Marliese Dobberthien (SPD):
Rede ID: ID1212002100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gentechnik-Wissenschaftler und Industrievertreter haben sich gut vorbereitet. Bereits im Januar 1992 hatten sie zum parlamentarischen Abend geladen, um unmißverständlich ihren Unmut fiber das deutsche Gentechnikgesetz zu äußern: Zuviel Bürokratie, zuviel Formulare, zu lange Genehmigungszeiten und noch immer ein gravierender Mangel an öffentlicher Akzeptanz, hieß es. In einer öffentlichen Anhörung im Februar konnte die Kritik im Detail vorgetragen werden.
Im Oktober wurde erneut massive Kritik laut, diesmal von der chemischen Industrie. Vernichtend wieder das Urteil über das deutsche Gentechnikgesetz. Es sei zu einem — ich zitiere — „Vehikel für die Blockade verkommen und behindere massiv die Anwendung der Gentechnik", beklagt Wolfgang Hilger, Präsident
des VCI und Vorstandsvorsitzender der Hoechst AG. Und so verlangt er eine umfassende Deregulierung, aber nicht nur des deutschen Gentechnikgesetzes, sondern gleich auch der weitgehend strengeren EG- Vorschriften. Die unverhohlene Drohung, ihre gentechnische Forschung und Produktion ins Ausland zu verlegen, findet prompt ein offenes Ohr bei der Bundesregierung, insbesondere angesichts rückläufiger Konjunkturdaten, und daher ist auf Regierungsseite in der Tat Deregulierung angesagt,

(Widerspruch bei der CDU/CSU) obwohl die EG genau das Gegenteil verlangt.

Am 6. August fordert die EG-Kommission die Bundesregierung zur gesetzlichen Nachbesserung auf, die bereits vor einem Jahr in nationales Recht hätte umgesetzt sein müssen. Nach Brüsseler Auffassung verstößt deutsches Recht in 14 Punkten gegen zwei EG-Richtlinien. Deutsche Expertinnen und Experten bestätigen die Kommissionsauffassung in vielen Punkten.
Z. B. fehle im deutschen Recht eine Bestimmung für den Transport von Mikroorganismen; die Pflicht zur Entwicklung von Notfallplänen mit Unterrichtung der Öffentlichkeit fehle ebenso wie eine behördliche Unfallunterrichtung. Oder: Die EG erlaubt die Marktfreigabe eines Gentechnikprodukts nur dann, wenn es zuvor in Feldversuchen in betroffenen Ökosystemen praktisch erprobt wurde. In der deutschen Gesetzgebung fehlt ein derart gestuftes Verfahren.
Angesichts der EG-Klagedrohung und sachlichen Kritik: Was macht die Bundesregierung? Der Umweltminister fühlt sich offenbar nicht angesprochen.

(Josef Vosen [SPD]: Er ist ja nicht da!)

— Er ist nicht einmal da. — Die Zweimonatsfrist zur Beantwortung der EG-Kritik ist schon verstrichen, ehe überhaupt geantwortet wird. Aber die Koalitionsfraktionen preschen vor, jedoch mitnichten in Richtung Anpassung an EG-Recht, sondern in Richtung Anpassung an Industriewünsche. Herr Bundesminister Seehofer, Sie hatten gerade bestätigt, daß Deregulierung der EG-Richtlinien von Ihnen auch gewünscht ist. Gegen Brüssel wird eine breite Front aufgebaut. Nicht das deutsche Gentechnikgesetz soll gemäß der Brüsseler Anmahnung nachgebessert werden, sondern umgekehrt soll EG-Recht den Wünschen von Industrie und Forschung angepaßt werden.
Wenn es nach dem Willen der Koalitionäre ginge, soll z. B. der Ex- und Import gentechnisch veränderter Organismen zu Forschungszwecken genehmigungsfrei werden. Dürfen dabei etwa — vergleichbar den USA — Warensendungen mit gentechnischem Inhalt per Post kreuz und quer durch Europa befördert werden? Bedeutet das, daß auch pathogene und kanzerogene Viren und Bakterien zum Versandgut werden? Da aber nicht einmal Herr Schwarz-Schilling bestreitet, daß Postsendungen beschädigt werden oder gar verlorengehen können, bedarf es keiner besonderen Phantasie, die damit verbundenen Gefährdungspotentiale zu erahnen.



Dr. Marliese Dobberthien
Die Fraktionsvorschläge sind denn auch alles andere als geeignet, den beklagten Akzeptanzmangel der Gentechnik zu mildern.

(Beifall der Abg. Dr. Ursula Fischer [PDS/ Linke Liste])

Wenn z. B. die Aufzeichnungspflicht und das Formularwesen auch bei der Sicherheitsstufe 2 abgeschafft und durch ein schlichtes Laborbuch ersetzt werden sollen, wird ein Stück Transparenz und Möglichkeit zur differenzierten Bewertung aufgegeben.

(Beifall des Abg. Wolf-Michael Catenhusen [SPD])

Wer glaubt, die Akzeptanz dadurch zu erhöhen, daß strengere Vorschriften z. B. bei der Genehmigungspflicht von S2-Anlagen gelockert werden, irrt. Spätestens seit Tschernobyl wissen wir, wieviel billiger und umweltverträglicher es ist, hochriskante Technologien rechtzeitig, kritisch und realistisch zu bewerten. Jeder spätere Korrekturversuch ist extrem teuer und meist nicht mehr durchsetzbar.
Oder sehen Sie nicht einmal die Notwendigkeit eines Verbots gentechnologischer Forschung zu militärischen Zwecken, insbesondere nach dem Ende des Ost-West-Konflikts? Nicht schweigen, sondern Nachbesserung tut hier not.
Weitere Fragen nach Zweck und Ziel gentechnischer Entwicklung müssen gestattet sein. Mag in der Medizin die Gentechnik ihren Platz finden; in anderen Fragen gibt es noch weitaus mehr offene Fragen. Zum Beispiel: Wem nützt die Gentomate mit Anti-Weichmacher-Gen, das zwar die Festigkeit der Tomate erhöht, nicht aber die Frische verlängert? Wem nützt die herbizidresistente Nutzpflanze, die zwar die Giftdusche überlebt, dafür aber den sorgloseren Umgang mit Herbiziden oder Pestiziden geradezu provoziert?

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Wem nützt das Insulin?)

Ist die schädlichkeitsresistente Nutzpflanze mit gentechnisch eingebautem Skorpiongift der menschlichen Gesundheit zuträglich, und warum sollen wir so etwas überhaupt essen? Welchen Sinn macht es, Vanille gentechnisch zu erzeugen und damit zu riskieren, daß der Dritten Welt die wenigen Absatzmärkte noch weiter verlorengehen? Wo werden mögliche Risikopotentiale seriös und konsensual beschrieben?
Das Gentechnikgesetz hat noch nicht einmal das Schutzniveau unserer Abwasserverwaltungsvorschrift erreicht, die eine vollständige Inaktivierung aller gentechnisch veränderten Organismen durch Sterilisation des Abwassers vorsieht. Das Gentechnikgesetz fordert diese nur für die Sicherheitsstufen 3 und 4. Das heißt, gut 95 % aller Labors werden von dieser Regelung gar nicht erst betroffen und dürfen ihr Wasser ohne Vorbehandlung und auch nach unvollständiger Inaktivierung einleiten.

(Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Neuere Erkenntnisse lassen in der Tat keine Zweifel aufkommen, daß sich gentechnisch veränderte Mikroorganismen in Abwässern und Kläranlagen besonders
wohl fühlen. Es ist jedoch in den wenigsten Fällen möglich, Gefahren eines bestimmten gentechnischen veränderten Mikroorganismus genau zu beschreiben, da das Verhalten von gentechnisch veränderten Organismen und rekombinanten DNA in Ökosystemen bisher unzureichend erforscht sind. Schon eine solche gravierende Wissenslücke rechtfertigt die strikte Einhaltung aller möglichen Vorsichtsmaßnahmen.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Was folgt? Aus sozialdemokratischer Sicht unverzichtbar ist der Erhalt hoher Sicherheitsstandards und die Förderung von Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung. Mit uns wird es keine Deregulierung geben. Es ist schwer nachzuvollziehen, daß zwar bei Umweltgesetzen wie dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und dem Abfallgesetz eine Anhörung beteiligter Kreise vor Erlaß einer Rechtsverordnung vorgesehen ist, nicht aber beim Gentechnikgesetz. Dadurch werden Mißtrauen und Widerstand geradezu geschürt. Es darf nicht sein, daß die zentrale Risikobewertung gentechnischer Arbeiten und die Bestimmung der Sicherheitsmaßnahmen ohne die Beteiligung potentiell Betroffener erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich bitte solcherart Bedenken nicht einfach vom Tisch zu wischen. Die zeitige, ernsthafte und nachdenkliche Auseinandersetzung mit offenen Fragen und Befürchtungen ist unverzichtbar. Vorgänge nicht mehr steuern zu können oder neue irreversible Schäden an Mensch, Natur und Umwelt zu riskieren: eine Schreckensvision für uns alle. Vor möglichen Fehlentwicklungen schützen uns nicht Industrieinteresse und Forschungseifer, sondern nur die ständige Einbeziehung allen verfügbaren Sachverstands unseres Landes, gepaart mit Transparenz, Glasnost, Offenlegung und Risikobewußtsein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212002200
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Christian Lenzer.

Christian Lenzer (CDU):
Rede ID: ID1212002300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin etwas bestürzt. Denn bis vor wenigen Minuten hatte ich noch den Eindruck, daß wir in aller Sachlichkeit über diese Initiative reden könnten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber nach dem letzten Beitrag und auch nach dem Beitrag der Kollegin von der PDS, in denen alle Nebelkerzen geworfen wurden, derer man fähig sein kann,

(Dr. Ursula Fischer [PDS/Linke Liste]: Ein bißchen Licht im Nebel!)

weiß ich jetzt wirklich nicht mehr, ob es tatsächlich noch dieses große Ausmaß an Übereinstimmung—ich beziehe mich auf die Äußerungen des Kollegen Catenhusen — zwischen den Koalitionsfraktionen und zumindest der SPD-Fraktion gibt, welches auch in dieser Debatte von den verschiedenen Rednern immer wieder beschworen worden ist.



Christian Lenzer
Niemand von uns, Frau Kollegin Dobberthien, denkt daran, etwa das Gesetz nicht einhalten zu wollen. Sie haben das angemahnt. Bitte stellen Sie es nicht als Scheinalternative hin, als ob zwangsläufig immer wieder eine Diskrepanz zwischen den Interessen der Politik und ihrem Regelungsanspruch und den berechtigten Interessen von Wissenschaft und Wirtschaft bestünde. Ich darf Ihnen, um auf das eigentliche Thema zurückzukommen, aus dem § 1, der den Zweck des Gentechnikgesetzes beschreibt, zitieren:
Zweck dieses Gesetzes ist,
1. Leben und Gesundheit von Menschen, Tiere und Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen und
2. den rechtlichen Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten der Gentechnik zu schaffen.
Das alles steht in einer kleinen Broschüre. Sie ist sehr gut lesbar und läßt sogar noch Raum für etwas Lyrik und Erklärungen am Anfang.
Um nicht mehr und nicht weniger geht es, als z. B. die Gefährdung der Forschung abzuwehren, indem Hemmnisse und Schwierigkeiten beim Vollzug des Gesetzes dort beseitigt werden sollen, wo das möglich und gerechtfertigt ist, und den Schutz der Umwelt, wie das in § 1 des Gesetzes beschrieben wurde, nach wie vor vor wirtschaftlichen Interessen prioritär einzuordnen — soweit ich weiß, verlangen weder Wirtschaft noch Wissenschaft etwas anderes — und schließlich der Tatsache eingedenk zu sein, daß wir nicht allein auf der grünen Wiese mit Wissenschaft und Wirtschaft herumfuhrwerken, sondern daß wir in einem sehr scharfen internationalen Wettbewerb stehen. In diesem internationalen Wettbewerb geht es darum, für Chancengleichheit zu sorgen.
Sie haben von der EG-Richtlinie gesprochen und gesagt, in 14 Fällen weiche dieses Gentechnikgesetz davon ab. Frankreich z. B. hat bis heute noch kein Gesetz zur Umsetzung dieser EG-Richtlinie. Bis heute wird dort alles genehmigt, was beantragt wurde.
Die Hoechst AG muß sich dagegen immer noch, trotz einer Genehmigung — am 1. Juli dieses Jahres wurde sie erteilt —, mit dem Antrag zum gentechnisch erzeugten Insulin herumschlagen, weil eine Umweltgruppe aus formalen Gründen Einspruch erhoben hat.

(Zurufe von der CDU/CSU: In Hessen!)

— In Hessen. Dagegen produziert eine andere Firma, die Firma Boehringer Mannheim in Penzberg — in Bayern bekanntlich — über 100 verschiedene gentechnisch erzeugte Substanzen zu Diagnosezwecken: Proteine, Enzyme usw. Diese Ungleichheit kann doch nicht so bleiben.
Oder anders herum: In Dänemark gibt es in Umsetzung dieser EG-Richtlinie ein sehr strenges Gentechnikgesetz. Aber auch dort wird — das erzählt man doch hinter vorgehaltener Hand — alles genehmigt, was beantragt wird.
So weichen Theorie und Praxis voneinander ab. Wir wollen nur mit unseren Wettbewerbern gleichziehen. Wir wollen die schlechteren Innovations- und Investitionsbedingungen so ändern, daß das Schutzziel voll erhalten bleibt, aber das Gesetz in seiner Praktikabilität gesteigert wird.
Ich gebe ein Beispiel, wie Forschungsvorhaben immer wieder behindert werden: die Freisetzung transgener Pflanzen. Auch das wird immer als eine große Gefahr hingestellt. Auch hier kann man natürlich der Meinung sein, eine bestimmte Farbe bei einer Blume sei nicht so ausschlaggebend. Das sollten wir nicht entscheiden. Das wollen wir doch dem Verbraucher, das wollen wir dem Markt überlassen. Wir haben doch nur Rechts- und Mißbrauchs- und Zweckmäßigkeitsaufsicht auszuüben, daß alles im Sinne des Gesetzes respektiert wird.
Im Zeitraum von 1986 bis 1991 sind z. B. in Nordamerika 193 Freisetzungen erfolgt, davon in den USA 141 und in Kanada 52, in der EG 172, in Frankreich im genannten Zeitraum 83 und in Deutschland 2. Jetzt kann man sagen: Das ist alles unnötig. Man sollte dies aber als ein warnendes Zeichen für eine Wettbewerbsverzerrung sehen; denn die Konsequenz ist, daß letztlich in diesem Bereich Forschung bei uns überhaupt nicht mehr möglich sein wird,
Ich weise auf weitere Auswirkungen der heutigen Rechtslage hin, die auch dadurch zu erklären sind — das räume ich gerne ein —, daß das Gesetz unter einem erheblichen Zeitdruck verabschiedet wurde, um es damals über die Hürden des Bundesrates zu heben.
Die gute Förderung der Biotechnologie durch die Bundesregierung wird konterkariert. Bundesminister Riesenhuber hat, was die Fördermittel betrifft, mit Recht auf die Situation, die er 1982 vorfand, und die Situation heute hingewiesen. Die gute Förderung der Biotechnologie wird konterkariert, wenn danach in Forschung, in Entwicklung, in Produktion nichts mehr folgen kann.
Die Heranbildung eines qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses stagniert. Die Kollegen haben schon auf dieses Problem hingewiesen. Der Standard der deutschen Forschung droht im Bereich der Gentechnik in der Tat auf das Niveau eines Entwicklungslandes abzusinken.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Na! Na!)

Das mag heute alles noch anders sein. Aber mit diesem Gesetz leiten wir doch Tendenzen ein, die sich sehr schnell verstärken können. Wenn auch nur ein einziges Unternehmen in der augenblicklichen schwierigen wirtschaftlichen Situation gezwungen wäre, ins Ausland abzuwandern, weil es sich hier eingeengt fühlt, dann ist das nicht nur unerwünscht, sondern dann müssen wir dazu beitragen, daß auch hier noch eine Chance für Forschung und Entwicklung im Bereich der Hochtechnologie — und die Gentechnik ist eine solche Hochtechnologie — bestehenbleibt.
Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal auf den Ausgangspunkt meiner Rede zurück. Ich hatte mich über ein hohes Maß an Übereinstimmung mit der SPD-Fraktion gefreut. Der Kollege Catenhusen hat



Christian Lenzer
das betont. Wir kennen uns aus jahrelanger Zusammenarbeit im Forschungsausschuß. Wir wissen, wo der Dissens ist. Wir wissen aber auch, wo wir miteinander glauben zusammenarbeiten zu können. Es gibt eine weitgehende Übereinstimmung. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß die SPD zu einer einheitlichen Haltung findet und daß tragfähige Lösungen gefunden werden, die dann auch vor dem Bundesrat Bestand haben werden; denn darauf kommt es auch an.
In diesem Sinne freuen wir uns auf eine sehr interessante Diskussion. Wir haben es ja heute erst nur mit einem Einstieg in das parlamentarische Verfahren zu tun. Der Weg ist etwas ungewöhnlich gewesen. Aber die Angelegenheit ist eilbedürftig. Deswegen haben wir den Weg der Einbringung in dieses Parlament über eine Beschlußempfehlung des Forschungsausschusses gewählt.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212002400
So, nun unternehme ich den zweiten Versuch: Herr Kollege Vosen, Sie haben das Wort.

(Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Herr Abgeordneter Vosen, hören wir jetzt die vierte Position der SPD-Fraktion!)


Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1212002500
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Zuruf von der CDU/CSU: Es ist nicht der 11. 11.!)

— Das war gestern. Was die SPD dazu sagt, das kann man auch in unserem Antrag nachlesen.

(Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Auf Wiedersehen!)

Genau das ist sehr differenziert und sehr vernünftig aufgeschrieben, und das ist die Haltung der SPD. Daß es unterschiedliche Meinungen in diesem gesamten Feld gibt, ist doch eigentlich auch leicht nachzuvollziehen. Natürlich gibt es Menschen, die Sorge und Angst vor Technik haben. Die hat es übrigens immer gegeben. Die anderen hat es auch immer gegeben, die immer bedenkenlos auf Technik gesetzt haben, ohne nachzufragen, was das für Wirkungen hat. Daß Technik Wirkungen hat, zeigt auch unsere Diskussion um das Klima, zeigt Tschernobyl, zeigt vieles andere. Irgendwo dazwischen, zwischen dem bedenkenlosen Ja und dem absoluten Nein, muß der Gesetzgeber handeln, damit Technik verantwortbar geschehen kann.
Ich sage Ihnen, Herr Kollege Laermann, da machen wir uns als Sozialdemokraten eben mehr Gedanken als andere, und auch die richtigen. Wir sagen nicht absolut nein, und wir sagen nicht absolut ja,

(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Vielleicht!)

sondern wir machen uns Gedanken, die dann gehen und verantwortbar sind.
Sie reden von Gemeinsamkeiten. Als ich sie bat, uns mit dieser Sache heute etwas Zeit zu lassen, damit wir
in Ruhe die gegensätzlichen Positionen, die es bei uns gibt und die ich nicht leugne, diskutieren können, haben Sie das nicht gemacht. Sie haben geglaubt, wir wären nicht dazu in der Lage, innerhalb von 14 Tagen die unterschiedlichen Meinungen innerhalb der SPD zusammenzuführen. Nun liegt das auf dem Tisch.

(Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Das war doch Ihr Vorschlag!)

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist also schiefgegangen, daß Sie die SPD hier vorführen wollten.

(Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Das will niemand!)

Was in dem Antrag der SPD herausgekommen ist, ist sehr vernünftig.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihr führt euch selbst vor!)

Dazu kann man stehen, und dazu kann auch die Wirtschaft stehen. Damit kann die Wissenschaft leben. Damit können wir auch die Menschen zufriedenstellen, die in Sorge sind. Auch das ist gut. Damit kann man auch in den Bundesrat gehen.
Sie haben das Memorandum der Industrie und der Wissenschaft genommen und haben Ihren Kopf darübergesetzt und haben es hier eingebracht, ohne selbst allzuviel — ich nehme den Kollegen Seesing einmal aus — Gedanken darauf zu verwenden, das ist auch eine Möglichkeit. Ich meine, unter uns gesagt, wir haben in einem harten Arbeitsprozeß hier etwas eingebracht, was sich sehen lassen kann. Darauf sind wir sogar stolz.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212002600
Herr Abgeordneter Vosen, das veranlaßt Herrn Professor Laermann, eine Zwischenfrage zu stellen, von der ich hoffe, daß Sie sie beantworten.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1212002700
Aber gern, Herr Kollege. — Auf die Zeit rechnen sie es mir nicht an?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212002800
Ihnen nicht.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1212002900
Herzlichen Dank. — Bitte schön.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1212003000
Herr Kollege Vosen, Sie haben behauptet, die Koalitionsfraktionen hätten das Memorandum der Industrie abgeschrieben. Stimmen Sie mir zu, daß der Antrag der SPD-Fraktion — ich sage einmal vorsichtig — zu 80 % mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen übereinstimmt? Dann haben Sie doch offensichtlich auch das Memorandum der Industrie weitgehend abgeschrieben, nur den letzten Absatz nicht.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1212003100
Sehr geehrter Herr Kollege Laermann, wir haben das Memorandum natürlich sehr ernstgenommen. Ein von Wissenschaft, Industrie und allen Gewerkschaften verfaßtes Memorandum muß man doch ernst nehmen. Aber wir haben dann nicht gesagt, daß wir das übernehmen, sondern wir haben darüber nachgedacht, wo noch Handlungsbe-



Josef Vosen
darf ist. Das ist der Unterschied, das ist der kleine Unterschied!

(Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Aber ihr habt es doch genommen!)

Sie müssen mit uns zusammenarbeiten, weil das auch eine Angelegenheit des Bundesrates ist. Herr Seehofer, wir haben schon einmal erlebt, wie das ist. Das hat Ihnen im übrigen ja gar nicht geschadet. Daher sage ich Ihnen: Hören Sie gut zu und lesen Sie gut nach, was die SPD dazu sagt. Das kann ich Ihnen nur raten. Sie sind von der Amtszeit her ein noch junger Minister und haben sicherlich noch nicht alles im Griff. Wir können Ihnen also wirklich helfen. Das kann ich Ihnen zusagen. Wir werden das Gesetz so gestalten, daß wir in Deutschland damit arbeiten können. Das ist ganz wichtig.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir werden euch beim Wort nehmen!)

Aber wir werden es so machen, Frau Kollegin, daß dabei nichts Schlimmes passiert. Ich denke, daß wir von daher auf einem guten Wege sind.
Ich möchte noch eines sagen: Es ist ja nicht so, daß die Industrie an dem bisherigen Gesetz unbeteiligt gewesen wäre. Sie hat an dem bisherigen Gesetzentwurf sehr intensiv mitgearbeitet. Und wenn die Industrie heute sagt, daß da nichts laufe, dann frage ich umgekehrt: Wie kommt es denn, daß man das jetzt erst merkt? Hätte man nicht schon bei der Entstehung des Gesetzes diese Sorgen formulieren können?
Ich mache da niemanden einen Vorwurf. Das ist ein neues Gesetz und eine neue Technologie. Da können Fehler passieren. Da kann man auch — so möchte ich sagen — in großer Sorge zuviel tun. Gut, dann muß man das Gesetz eben nachbessern. Dabei sind wir jetzt.
Ich möchte Sie, Herr Seehofer — Sie sind federführend —, wirklich bitten, gut zuzuhören. Herr Töpfer ist nicht da.

(Heinrich Seesing [CDU/CSU]: Der Staatssekretär sitzt dort hinten!)

— Dann bitte ich den Staatssekretär, gut zuzuhören.
Diese Sache ist wirklich eilig, und wir müssen sie ziemlich schnell einvernehmlich über die Bühne bringen; denn die Länder und die Regierungspräsidenten legen dieses Gesetz, wenn man so will, sehr unterschiedlich aus. Es gibt ängstliche Beamte, es gibt sehr mutige Beamte. Von leichtfertigen Beamten will ich nicht sprechen, denn leichtfertig darf ein Beamter nicht sein. Es gibt sachkundige und weniger sachkundige Beamte. Deswegen brauchen wir klare Regelungen für unsere Wirtschaft und unsere Forschung. Und ich glaube, daß unser Antrag, so wie wir ihn vorgelegt haben, solche Handlungsfelder eröffnet.
Deswegen bleibe ich dabei, Herr Kollege Christian Lenzer: Das, was die SPD im Interesse der Sache dazu beitragen kann, liegt auf dem Tisch, und ich habe keine Angst, auf Kongressen der Gewerkschaften, der Wissenschaft oder auch der Industrie dieses Papier vorzulegen. Damit können wir leben. Ich habe aber auch keine Angst davor, bei Bürgerinitiativen, die in großer Sorge sind, mit dieser Unterlage zu erscheinen.
Ich glaube, sie ist verantwortbar, sie ist hart erarbeitet. Die Sorgen und der Sachverstand von Politikerinnen und Politikern aller beteiligten Ausschüsse haben in diesem Papier ihren Niederschlag gefunden. Daher glaube ich, daß es auch die Grundlage des zukünftigen Gesetzes sein wird.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212003200
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Paul Hoffacker.

Dr. Paul Hoffacker (CDU):
Rede ID: ID1212003300
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir freuen uns sehr, daß alle in diesem Hause die Novellierung des Gesetzes wollen. Herr Vosen hat das ja gerade auch für die Opposition noch einmal betont. Wenn die Denkprozesse bei der Opposition noch nicht so weit gediehen sind, so daß sie zur Zeit noch bei einem „Jein" stehenbleibt, gehen wir davon aus — und die Hoffnung trügt uns nicht —, daß auch die Opposition noch lernfähig ist und schließlich ein Ja zu unserem Antrag und auch zu unseren Vorstellungen sagen wird, die in diese Novellierung einfließen sollen. Denn Unentschiedenheit und auch Enthaltung in solchen Punkten, die jetzt unbedingt entschieden werden müssen, sind kontraproduktiv. Deshalb muß jetzt gehandelt werden.
Ich darf meinen Dank an die Enquete-Kommission und auch an das Bundesministerium und an den Forschungsausschuß richten, die hier eine so hervorragende Arbeit geleistet haben, daß wir jetzt auf dem Fundament dieser Erkenntnisse auch die Novellierung des Gesetzes vollziehen können. Herzlichen Dank für diese Vorarbeit!
Dieses Gesetz und seine Novellierung stehen in dem Spannungsrahmen von Leben und Gesundheit von Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt, andererseits aber auch in dem Spannungsbogen der Förderung der Forschung und der Anwendung der Technik. Und dies, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht denjenigen überlassen, die mit Panikmache eine Stimmung erzeugen, in der die Akzeptanz bei der Bevölkerung weiter zurückgeht.
Es darf auch nicht so bleiben, daß nur ein kleiner Expertenkreis über diese Fragen spricht, sondern wir müssen dafür sorgen, daß nunmehr endlich eine flächendeckende Information und Orientierung breiter Bevölkerungsschichten über diese Gesamtthematik einsetzt. Ich hoffe, daß uns dies mit dieser Diskussion auch gelingt; denn die Gentechnik ist nicht an sich schlecht, und deshalb darf sie nicht verteufelt werden. Vielmehr müssen — so meine ich — die Chancen genutzt werden. Wir müssen unbefangener darüber sprechen und die Möglichkeiten zur Bekämpfung schwerer Krankheiten und zur Therapie nutzen.
Herr Bundesminister Seehofer hat auf die Herausforderungen, die uns gerade im Gesundheitsbereich erwarten, hingewiesen. Ich denke, daß wir alle diese Herausforderungen annehmen und sie auch unterstützen.



Dr. Paul Hoffacker
Die Aspekte von Sicherheit, Gesundheit und Umwelt sowie die Forschung und die wirtschaftliche Nutzung von Gentechnik sind in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. Meine Damen und Herren, dabei ist unstreitig, daß bei etwaigen Zielkonflikten letztendlich immer zugunsten von Mensch und Tier und damit immer zugunsten von Leben und Umwelt entschieden werden muß.
Das Gentechnikgesetz ist grundsätzlich als rechtlicher Rahmen für eine sichere, effiziente und zukunftsorientierte Anwendung und Nutzung der Gentechnik geeignet. Tatsache ist jedoch, daß die bisherigen Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz bzw. mit den zu seiner Ausführung erlassenen Verordnungen belegen, daß dieses Ziel des Gesetzes nicht erreicht worden ist. Das lag sicherlich daran, daß wir vor drei Jahren noch nicht über so viele Erfahrungswerte verfügten, wie das heute der Fall ist. Aber es lag auch daran, daß in dieses Gesetz Zeitgeistströmungen eingeflossen sind, die uns in der weiteren Forschung und Entwicklung wie auch in der öffentlichen Meinung nicht gedient haben. Das Gesetz muß von diesem Zeitgeist befreit werden, damit wir den Blick offenhalten für eine Entwicklung, die zukunftsorientiert ist.
Wenn sich ein renommiertes Forschungsinstitut wie beispielsweise die Max-Planck-Gesellschaft veranlaßt sieht, darauf hinzuweisen — und ich darf das zitieren —, daß „auf Grund der herrschenden Rahmenbedingungen für die gentechnische Forschung sowohl in der Wissenschaft als auch in der Industrie irreversible negative Folgen zu befürchten" sind, dann ist Handlungsbedarf nicht mehr zu bestreiten. Dies gerade war ja eines der Ergebnisse in der gemeinsamen Sachverständigenanhörung im Gesundheits- und im Forschungsausschuß, die wir im Februar dieses Jahres durchgeführt haben.
Von denjenigen, die handeln wollen und auch handeln müssen, ist immer wieder thematisiert worden, daß hier die Barrieren, die Blockaden beseitigt werden, damit der Blick auf die Zukunft nicht mehr verstellt wird.
Dieser Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen schließt diese zukunftsorientierte Vision mit ein, und die Novellierung, die wir jetzt vorhaben, dient ebenfalls der Sicherung des Forschungs- und Industriestandorts Deutschlands, weil diese Sicherung gerade in dieser Zeit unverzichtbar ist. Eine Reihe von Kollegen hat hier schon deutlich gemacht, daß mit der Novellierung dieses gesamte Spannungsfeld eingefangen werden muß.
Die gentechnische Forschung geschieht zum Nutzen unserer Gesundheit. Es geht eben nicht allein um den Schutz von Mensch und Umwelt vor den Gefahren der Technik, sondern auch um die Nutzung der Möglichkeiten, die Technik für unser aller Gesundheit einzuspannen.
Ich nenne hier nur das Stichwort Arzneimittelforschung. Es kann ja niemand behaupten und in unserem Kreis davon ausgehen und verantworten, daß wir beispielsweise gentechnische Forschungen zur Bekämpfung der Krankheiten Aids oder Krebs einengen. Alles Mögliche muß unternommen werden, um diese Forschungsergebnisse gerade zur Linderung
und zur Bekämpfung dieser Krankheiten auch zur Anwendung zu bringen.
Meine Damen und Herren, ich darf in Erinnerung bringen, was das Ziel der von uns erarbeiteten und im Gesundheitsausschuß beratenen Fragen auf dem Hintergrund des Gesundheitsstrukturgesetzes ist: Alle diese Beratungen dienen ja gerade dem Ziel, Hochtechnologie in der Forschung wie auch in den Produkten, also bei den Arzneimitteln, einsetzen zu können, damit der Bürger in diesen schwierigen Fragen nicht auf die Finanzsituation verwiesen wird und darauf, daß diese Mittel etwa nicht bereitgestellt werden können.
Meine Damen und Herren, die Gentechniknovelle muß schnell kommen und sich gegenüber den Vorstellungen durchsetzen, die uns auf der EG-Ebene hemmen könnten. Wir wollen keine Unterwerfung unter EG-Vorschriften, die den Standort Deutschland gefährden. Wir wollen Chancen- und Verpflichtungsgleichheit im Sinne der Menschen, und zwar in der Forschung und in der Anwendung der Forschungsergebnisse.
Der Antrag weist in Ziffer 3 deutlich darauf hin, daß wir darauf hinwirken sollen, eine Novellierung der entsprechenden EG-Normen zu erreichen. Bundesminister Seehofer hat hier deutlich bekannt, daß das sein Ziel ist. Aber er hat auch nicht verkannt, wie schwer solche Veränderungen auf der EG-Ebene durchzusetzen sind. Deshalb finde ich es gut, daß die Bundesregierung nicht nur diese Bereitschaft erkennen läßt, sondern in der bewährten Form weiterarbeitet. Ich bin sicher, daß Bundesminister Riesenhuber und Bundesminister Töpfer gemeinsam an einem Strang ziehen werden, damit die Anwendung der Forschungsergebnisse uns weiterbringt.
Meine Damen und Herren, uns liegt an einer weitgehenden Übereinstimmung in diesen Fragen. Wir müssen uns der wissenschaftlichen Forschung und der Anwendung ihrer Ergebnisse stellen, wenn wir nicht in den Verdacht geraten wollen, eine technologiefeindliche Nation zu werden. Hier muß sich unser Denken zukunftsorientiert wandeln. Es gilt das Sprichwort „Wer rastet, der rostet". Deshalb dürfen wir nicht stehenbleiben, sondern müssen in diesen Fragen weitergehen, auch was die industrielle Produktion betrifft.
Es ist Eile geboten, keine Hektik. Wir sollten im Interesse aller Beteiligten das tun, was Herr Vosen schon signalisiert hat, nämlich zu einem möglichst breiten Konsens in unseren Ergebnissen für die Novellierungsphase kommen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212003400
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung, der auf Drucksache 12/3658 vorliegt. Dazu kommt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion. Er liegt auf Drucksache 12/3696 vor, ist heute morgen nicht angekündigt



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
worden, steht aber selbstverständlich mit zur Abstimmung.
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der SPD- Fraktion? — Wer stimmt dagegen? — Gibt es Enthaltungen? — Damit ist der Änderungsantrag gegen den Rest des gesamten Hauses abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/ CSU und der F.D.P. angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3706. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Gesetzen auf dem Gebiet des Rechts der Wirtschaft
— Drucksachen 12/3320, 12/3542 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

— Drucksache 12/3636 —
Berichterstattung: Abgeordneter Albert Pfuhl

(Erste Beratung 110. Sitzung)

Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer halben Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Ich eröffne die Debatte.
Zunächst einmal hat der Parlamentarische Staatssekretär Kolb das Wort.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es handelt sich um einen Regierungsentwurf, um die dritte Beratung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Gesetzen auf dem Gebiet des Rechts der Wirtschaft. Normalerweise pflegt der Antragsteller die Gesetze zu begründen, und ich bitte Sie, nicht nur den Wünschen des Präsidenten zu folgen, sondern auch der Tradition, die wir zu Recht in diesem Hause entwickelt haben.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1212003500
Herr Präsident! Ich werde gern der Tradition dieses Hauses folgen und den Gesetzentwurf begründen.
Ein Hauptziel des Entwurfs ist größere Gerechtigkeit bei den Beiträgen für die Industrie- und Handelskammern. In der Vergangenheit wurde durch wiederholte Anhebung der Freibeträge beim Gewerbeertrag und beim Gewerbekapital eine Verschiebung der Beitragsbelastung, zunehmend zu Lasten der leistungsfähigen mittleren und größeren Unternehmen, erreicht. Der Hauptanteil der Kammerfinanzierung wird heute von weniger als einem Drittel der 2,5 Millionen Kammerzugehörigen getragen. 1,6 Millionen sind Kleingewerbetreibende, d. h. nicht im Handelsregister eingetragene Unternehmen. Davon zahlen 75 % derzeit keine Beiträge, der Rest ermäßigte Grundbeiträge. Mithin ist festzustellen, daß auf Kleingewerbetreibende nur zwei bis drei Prozent der gesamten Kammerfinanzierung entfallen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat der IHK-Beitragsregelung verfassungsrechtliche Risiken bescheinigt. Ich zitiere:
Je mehr die Gewerbesteuer aus wirtschaftspolitischen Gründen auf die größeren Unternehmen verlagert wird, um so weniger können die Gewerbesteuermeßbeträge den entscheidenden Maßstab für die Mitgliedsbeiträge einer Kammer bilden. Wann insoweit die Grenze des Zulässigen erreicht ist, braucht nicht entschieden zu werden, da die hier maßgeblichen Freibeträge für 1978 noch nicht zu durchgreifenden Bedenken Anlaß geben.
Meine Damen und Herren, diese Grenze könnte mittlerweile allerdings überschritten sein. Deswegen sieht der Gesetzentwurf vor: Die Unterscheidung zwischen Handelsregisterfirmen und Kleingewerbetreibenden wird aufgegeben, da die Eintragung im Handelsregister nichts über die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens aussagt. Die Beitragsbemessung wird vom einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf den Gewerbeertrag bzw. den Gewerbegewinn umgestellt. Dies sind Kriterien, die die Leistungsfähigkeit am zuverlässigsten widerspiegeln. Und schließlich: Jeder Kammerzugehörige — ich betone: jeder — soll unter Berücksichtigung seiner Leistungsfähigkeit zu einem Kammerbeitrag herangezogen werden. Hierdurch soll die Finanzierung der Kammeraufgaben auf einer breiten Basis gesichert werden.
Mehreinnahmen der Kammern wird es dadurch nicht geben; weiterhin wird der Hauptanteil der Beitragslast bei den Großunternehmen liegen. Auch Kleinunternehmen sollen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit Beiträge zahlen, denn jeder Kammerangehörige hat Vorteile aus der Pflichtmitgliedschaft. Auch bei anderen Kammern gibt es keine beitragsbefreiten Mitglieder.
Natürliche Personen und Personengesellschaften werden günstiger gestellt als Kapitalgesellschaften. Der Gewerbeertrag oder Gewinn wird um 15 000 DM gekürzt. Liegt dieser unter 15 000 DM, sind sie von der Umlage befreit. Sie sollen aber einen ihrer Leistungsfähigkeit entsprechenden Grundbeitrag bezahlen, der sich in einem moderaten Rahmen von derzeit 50 DM bis 100 DM jährlich bewegt.
Gestatten Sie einige Anmerkungen zu den Vorschlägen der SPD.
Erstens. Herr Kollege Pfuhl, die Einbeziehung des Gewerbekapitals in die Beitragsbemessung wird abgelehnt. Die Gefahr einer Manipulation der Erträge über Konzernverrechnungspreise, die von Ihnen angeführt wird, sehen wir nicht,
Wenn möglicherweise auch die Praxis der Konzernverrechnungspreise im Einzelfall zu mißbräuchlichen Ausweisungen niedrigerer Gewinne führen kann, so bleiben angesichts der gefestigten und international



Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
anerkannten Praxis die Konzernverrechnungspreise aber ein bewährtes Institut.
Mithin ist die Furcht unbegründet, daß Unternehmen, um dem Kammerbeitrag auszuweichen, eventuell Korrekturen an ihren Konzernverrechnungspreisen vornehmen. Die Leistungskraft eines Unternehmens dokumentiert sich in erster Linie im Ertrag. Ertragsunabhängige Komponenten wie das Gewerbekapital sollten nach unserer Auffassung vermieden werden. Das Gewerbekapital ist zudem eine wenig sichere Bemessungsgrundlage, wie auch die Diskussion um ihre Abschaffung beim Steueränderungsgesetz 1992 gezeigt hat.
Zweitens. Eine Umlagebefreiung bis 36 000 DM Gewerbegewinn für natürliche Personen und Personengesellschaften, wie die SPD sie fordert, würde das Gesetzesziel konterkarieren. 70 dieser Kammerzugehörigen haben einen Gewerbeertrag unter 15 000 DM. Bei einer Anhebung auf 36 000 DM wären noch weit mehr von der Umlage befreit.
Drittens. Ein absoluter Höchstbetrag von 120 DM jährlich als Grundbeitrag, also 10 DM pro Monat, würde notwendige Anpassungen an die wirtschaftliche Entwicklung in Zukunft unmöglich machen, da der Gesetzgeber hier eigens bemüht werden müßte.
Ich komme zum Schluß und möchte nur noch darauf hinweisen, daß das Gesetz darüber hinaus weitere Regelungen enthält, insbesondere den Antrag, die Frist des § 57 des DM-Eröffnungsbilanz-Gesetzes zu verlängern, um die Liquidation insbesondere der ostdeutschen Braunkohleuntemehmen zu verhindern. Diese konnten ihre Eröffnungsbilanzen bisher nicht feststellen, weil unklar war, ob und in welchem Umfang Rückstellungen für die Sanierung ökologischer Altlasten gebildet werden sollten. Dieser Sachstand war von den Unternehmen nicht zu vertreten. Der Gesetzentwurf reagiert darauf in, wie ich denke, angemessener Weise.
Ich bitte um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Schönen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Dr. Uwe Jens [SPD]: Der Entwurf paßt richtig in die Landschaft! Die Kleinen werden belastet, und die Großen werden entlastet! Das ist für diese Regierung passend!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212003600
Herr Abgeordneter Jens, ich wollte jetzt eigentlich dem Abgeordneten Pfuhl das Wort erteilen. Bitte sehr.

Albert Pfuhl (SPD):
Rede ID: ID1212003700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, zum erstenmal in diesem schönen Saal sprechen zu dürfen, dann auch noch unter Ihrer Regie, Herr Präsident, auf der Kommandobrücke. Nur: Mir fehlen noch einige Passagiere.
Das vorliegende Artikelgesetz enthält in einer Reihe von Artikeln Bestimmungen, die völlig unstrittig sind. Dies gilt beispielsweise für die vorgesehene Vereinfachung des Organisationsrechts der Handwerkskammern und der Industrie- und Handelskammern, für die Klärung der datenschutzrechtlichen Fragen bei den Industrie- und Handelskammern
sowie auch für die Anpassung des Eichgesetzes und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Darüber brauchen wir uns hier nicht zu streiten.
Strittig sind dagegen die von der Regierungskoalition beabsichtigten Neuregelungen zur Beitragszahlung für die Industrie- und Handelskammern, die nach unserer Auffassung kleine Unternehmen unangemessen belasten. Strittig ist auch die vorgesehene Fristverlängerung für die Erstellung der Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark in den neuen Bundesländern, die nach unserer Meinung zu kurz greift.
Ich hätte mir gewünscht, daß wir den vorliegenden Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag einvernehmlich behandeln können. Dies wäre auch leicht möglich gewesen. Die Regierungskoalition und die Bundesregierung hätten beispielsweise bei der Neuregelung der Beiträge für die Industrie- und Handelskammern nur das zu tun brauchen, was sie sonst stets in ihren Sonntagsreden verkünden. Sie hätten zeigen können, daß sie ihre Lippenbekenntnisse für kleine und mittlere Unternehmen und für den Mittelstand ernst nehmen. Aber dies ist leider nicht geschehen, im Gegenteil.
Um was geht es hier im Klartext? Die Regierungskoalition will mit diesem Gesetz alle Gewerbetreibenden, die Mitglieder einer Industrie- und Handelskammer sind, völlig unabhängig von der Höhe ihres Gewerbeertrags oder ihres Gewinns dazu verpflichten, einen Grundbeitrag an die Kammern zu zahlen. Dies bedeutet konkret, daß zusätzlich über eine Million Kleingewerbetreibende, die bisher von einem Grundbeitrag befreit waren, zur Zahlung eines Beitrags an die Kammern verdonnert werden.
Besonders bemerkenswert finde ich die Begründung, die von der Regierungskoalition dafür vorgebracht wird.

(Josef Grünbeck [F.D.P.]: Die ist sehr gut!)

— Es wäre besser gewesen, Sie hätten es anders gemacht, Verehrter.
Die Begründung lautet, die Beitragszahlung von Kleinstbetrieben sei sachlich gerechtfertigt, weil diese die Leistungen der Kammern in besonderem Maße in Anspruch nähmen,

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie selbst wirklich daran glauben. Oder sind Sie der Auffassung, daß Kleingewerbetreibende die Dienste der Industrie- und Handelskammern beispielsweise auf den Gebieten der Technologieberatung, der Umweltberatung, der allgemeinen Rechtsberatung oder aber bei der Vorbereitung auf den europäischen Binnenmarkt tatsächlich überproportional in Anspruch nehmen? Glauben Sie, daß dies bei Gewerbetreibenden, die weniger als 15 000 DM Gewinn im Jahr haben, also weniger als 1 250 DM im Monat, wirklich der Fall ist? 1 250 DM entsprechen dem Sozialhilferichtsatz für eine Familie mit einem Kind. Wir sind froh darüber, daß es viele Gewerbetreibende gibt, die sich auf diesem Wege ihr tägliches Brot verdienen und nicht der Sozialhilfe zur Last fallen.
Im übrigen halte ich diese Begründung auch für ausgesprochen dürftig. Auf der einen Seite sind die



Albert Pfuhl
Gemeinden im ländlichen Raum — der Kollege Hinsken kommt genauso wie ich aus einem Wahlkreis im ländlichen Raum — daran interessiert, ihre kleinen Tante-Emma-Läden zu erhalten. Sie stunden ihnen die Miete bzw. zahlen monatliche Zuschüsse, damit diese kleinen Läden erhalten bleiben. Aber wir wollen auf der anderen Seite hingehen und sie mit einem Mindestbeitrag für die Industrie- und Handelskammer belasten. Ich frage mich, wo Tante Emma mit ihrem Lädchen bei der Industrie- und Handelskammer um Beratung nachsucht.
Im übrigen war die Bundesregierung anfangs unserer Meinung, denn die erste Fassung des Gesetzentwurfs hat ausdrücklich vorgesehen — wie in unserem Antrag gefordert —, daß Betriebe erst ab einem Gewinn von 15 000 DM im Jahr einen Grundbeitrag zahlen sollten. Die Koalition hat diese Regelung dann zu Lasten der Kleinbetriebe geändert. Anscheinend war der Druck der Industrie- und Handelskammern stärker. Man hat euch, liebe Freunde, ganz schön über den Tisch gezogen!

(Beifall bei der SPD)

Die Regierungskoalition will zusätzlich das Gewerbekapital als Bemessungsgrundlage für den Kammerbeitrag streichen. Dies entlastet eindeutig die Großbetriebe. Es wird gesagt, im Beitragsaufkommen bei den Kammern solle sich unter dem Strich nichts verändern, also auch nichts verbessern.
Mit anderen Worten: Die Regierungskoalition und die Bundesregierung belasten die Kleingewerbetreibenden, die bis zu 1 250 DM Gewinn im Monat machen, zugunsten der Großbetriebe, die entlastet werden. Herr Staatssekretär, ich möchte bezweifeln, daß dies sozial gerecht ist.
Wir haben Verständnis dafür, daß auf Grund der Rechtsprechung eine Verbreiterung des Beitragsaufkommens ermöglicht werden soll. Deshalb war und ist unsere Forderung, ab 15 000 DM Gewinn diejenigen, die bisher freigestellt waren — bis 36 000 DM bzw. zukünftig aufgrund des Gewerbesteuerfreibetrags bis 48 000 DM Gewinn —, zumindest mit einem Grundbeitrag von 120 DM zu belasten.
Damit wäre eine Verbreiterung des Beitragsaufkommens durch die Masse der Mitglieder in den Industrie- und Handelskammern garantiert. Es handelt sich ja um Pflichtmitglieder; die Masse würde austreten, wenn sie nicht gezwungen wäre, dort Mitglied zu sein.
Wir haben uns bei den Beratungen des Gesetzentwurfs nachdrücklich für eine Beschränkung dieser Beitragsbelastungen stark gemacht. Wir sind der Meinung, daß das Gewerbekapital ebenso wie bei der Gewerbesteuer auch weiterhin in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden muß.
Meine Damen und Herren, ich warne jeden davor, hier Unterschiede zu machen, denn das ist der Einstieg zur Abschaffung des Gewerbekapitals als einer Grundlage zur Berechnung der Gewerbesteuer. Diese Absicht steht bei Ihnen, Herr Kollege Grünbeck, ja dahinter. Sie haben es geschafft, daß die CDU/CSU mit auf diesen Wagen gesprungen ist. Ich beglückwünsche Sie, daß Ihnen die CDU/CSU wieder einmal gefolgt ist.
Mit diesen Regelungen wird die Beitragsbelastung für Kleinbetriebe, die in aller Regel bisher keine Beiträge an die Industrie- und Handelskammern gezahlt haben, nach unseren Vorstellungen deutlich begrenzt. Ich bitte Sie darum, dem so zuzustimmen.
Im übrigen gibt es ja Proteste. Hier liegt mir ein Schreiben des Deutschen Schaustellerverbandes vor, der mitteilt, daß die Masse seiner Mitglieder nunmehr zusätzlich zu dem belastet wird, was schon in der Vergangenheit an Steuer-, Beitrags-, Gebührensteigerungen auf sie zugekommen ist, Leute, die so in der Größenordnung von 15 000 Mark im Jahr teilweise vegetieren, um das mal deutsch zu sagen.
Ich bin im übrigen der Meinung, daß wir — damit komme ich zum Schluß dieses Themas — uns hier wirklich einmal überlegen sollten, was wir damit tun, wenn wir die Kleinstgewerbetreibenden tatsächlich mit einem Mindestbetrag belasten zugunsten derjenigen, die es dort oben viel besser tragen können, nämlich die Großbetriebe, die höhere Beiträge leisten können.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ein weiteres Thema ist die Frage, die hier in dem Artikelgesetz ansteht, inwieweit wir diese Frist, die hinsichtlich des Themas Eröffnungsbilanzgesetz vorgesehen war, schon 1991 abgelaufen war, schon einmal um ein Jahr verlängert wurde und jetzt noch einmal um ein Jahr verlängert wird, nicht gleich um zwei Jahre verlängern sollten, weil — und da spreche ich hier meinen Kollegen an, der aus der Praxis kommt — wir genau wissen, daß ein Großteil gerade der Betriebe, die drüben davon betroffen sind, nämlich gerade im Braunkohlebereich, wahrscheinlich auch im nächsten Jahr nicht in der Lage sein werden, die Eröffnungsbilanz vorzulegen. Wir sollten es da gleich um zwei Jahre machen, sollten das als Ausschlußfrist setzen und würden denen so die Möglichkeit geben, sich in diesen zwei Jahren vorzubereiten.
Meine Damen und Herren, wir habe Ihnen zwei Änderungsanträge vorgelegt. Ich würde mich freuen, wenn Ihre Vernunft nunmehr über Ihre Koalitionsabsprachen siegen und Sie uns zustimmen würden.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212003800
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Frau Renate Blank das Wort.

Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1212003900
Kollege Pfuhl, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich als kleines Mitglied einer Vollversammlung auch mit dafür gestimmt habe, daß diese Beiträge erhoben werden. Auch als kleines Mitglied nimmt man die Dienste einer Kammer in Anspruch. Ich weiß nicht, ob Sie das jemals gemacht haben. Bei den von Ihnen genannten Ein-



Renate Blank
kommensgrenzen, möchte ich sagen, ist sowieso niemand überlebensfähig.

(Beifall bei der CDU/CSU — Albert Pfuhl [SPD]: Aber es gibt sie doch!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212004000
Danke schön. — Herr Kollege Pfuhl, auf einer Kurzintervention kann nicht mit einer Kurzintervention geantwortet werden. Aber Sie waren der Redner, insofern ist es egal.
Der Abgeordnete Hinsken hat das Wort.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1212004100
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Hinweis vom Kollegen Jens von vorhin ist ein bißchen besser als der vom Kollegen Roth, aber doch von uns nicht nachzuvollziehen und gutzuheißen, nämlich daß die Kleinen mehr belastet werden und die Großen entlastet werden. Dieser Hinweis stimmt einfach nicht, Kollege Jens.
Und Kollege Pfuhl, Ihnen sei zunächst gleich ins Stammbuch geschrieben: Hier Neidkomplexe zu entwickeln ist wahrlich nicht angebracht, und die Aussage Große gegen die Kleinen auszuspielen, ist ganz, ganz weit hergeholt.
Ich möchte mir ersparen, meine sehr verehrten Damen und Herren, näher auf den Inhalt des Gesetzes einzugehen, weil das in bewährter Weise bereits Herr Staatssekretär Dr. Kolb gemacht hat. Ich gehe insbesondere auf das Artikelgesetz ein, in dem es heißt, daß die Kaufmannseigenschaften von Handwerkern aufgehoben und somit das Beitragsrecht der Industrie- und Handelskammern auf eine gleichmäßigere und gerechtere, an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unternehmen orientierte Verteilung der Beitragslast umgestellt werden soll.
Bisher war es so, daß die Handwerkskammern für jeden kammerzugehörigen Handwerkerkaufmann 10 % des Handwerkskammerbeitrages an die zuständige Industrie- und Handelskammer abführen mußten. In Zukunft werden Doppelmitgliedschaften der Handwerkerkaufleute bei der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer und die damit verbundenen Ausgleichszahlungen entfallen.

(Albert Pfuhl [SPD]: Das ist doch ein Nebenkriegsschauplatz!)

Beitragsbemessungskriterien sollen statt des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrages nach Gewerbekapital und Gewerbeertrag künftig der Gewerbeertrag bzw. der Gewinn aus dem Gewerbebetrieb sein. Hiermit soll abgestellt werden auf die Bemessungskriterien, die sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientieren.
Gleichzeitig sollen die bisher weitgehend beitragsfreien Kleingewerbetreibenden zur Beitragspflicht herangezogen werden, soweit der Gewerbeertrag bzw. Gewerbegewinn mehr als 15 000 DM beträgt.
Und jetzt kommt etwas Entscheidendes für Sie, meine Kollegen von der SPD, insbesondere für den Kollegen Pfuhl. Mit dieser Angelegenheit hat sich nämlich auch der Bundesrat eingehend befaßt und seinen Entwurf vorgelegt. Der Drucksache 12/3542 ist
zu entnehmen, daß der Bundesrat die Bundesregierung gebeten hat — und jetzt zitiere ich —:
... im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob das mit dem Gesetzentwurf angestrebte und von den Bundesländern unterstützte Ziel, das Beitragsrecht der IHK gerechter und die IHK- Finanzierung sicherer zu gestalten, mit der im Gesetzentwurf vorgesehenen Verbreiterung der Finanzbasis erreicht wird.
Das heißt, man hat gebeten zu prüfen, und die Bundesregierung ist diesem Wunsch nachgekommen. Man ist zu einem Schluß gekommen, den ich jetzt im Nachfolgenden vortragen möchte; denn dieser Prüfungspflicht ist die Bundesregierung nachgekommen. Wir von der CDU/CSU und der F.D.P.-Fraktion haben das, was seitens der Bundesregierung hier vorgelegt wurde, einstimmig mitgetragen und mitgebilligt.
Derzeit leisten nämlich 52 % der Kammerzugehörigen keinen Beitrag zur Kammerfinanzierung. Das Ziel des Gesetzentwurfs wird dann, wenn natürliche Personen und Personengesellschaften mit einem Gewerbeertrag oder Gewinn aus Gewerbebetrieb von weniger als 15 000 DM von der Umlage und dem Grundbeitrag befreit sind, nicht erreicht.
Repräsentative Berechnungen durch die Industrie- und Handelskammern in einigen Bundesländern, die erst jetzt durchgeführt werden konnten, haben ergeben, daß ca. 65 % der Kammerzugehörigen, natürliche Personen und Personengesellschaften, einen Gewerbeertrag oder Gewinn aus Gewerbebetrieb unter 15 000 DM aufweisen und damit, wie schon nach geltendem Recht, auch nach der im Entwurf vorgesehenen Neuregelung weiterhin 50 % der Kammermitglieder ganz aus der Beitragspflicht herausfallen würden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212004200
Herr Abgeordneter Hinsken, Sie sind doch sicherlich bereit, dem Herrn Abgeordneten Pfuhl eine Zwischenfrage zu gestatten.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1212004300
Selbstverständlich, dem Kollegen Pfuhl immer.

Albert Pfuhl (SPD):
Rede ID: ID1212004400
Herr Kollege Hinsken, stimmt es nicht, daß der erste Entwurf der Bundesregierung eine Freigrenze bei 15 000 DM angesetzt hat und erst später durch den Antrag der Koalition diese Summe abgesetzt und die Beitragspflicht von Anfang an festgeschrieben wurde? Und worauf führen Sie diesen Sinneswandel der Bundesregierung zurück?

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1212004500
Herr Kollege Pfuhl, es stimmt, es war zunächst so, und dies hat mit beinhaltet, daß der Grundbeitrag nicht bezahlt werden muß. Aber auf Grund der Prüfung, die durch den Bundesrat veranlaßt wurde, ist die Bundesregierung zu der Überzeugung gekommen: Um leistungsfähige Kammern zu bekommen, die auch die verschiedenen Dienstleistungen für die Kleinbetriebe erbringen sollen, müssen die finanziell in die Lage versetzt werden, diesem Auftrag nachzukommen. Deshalb war man dann auch bereit, dem Rechnung zu tragen und eben diesen Grundbeitrag einzuführen.




Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212004600
Herr Abgeordneter Pfuhl, Sie fassen noch einmal nach. Bitte schön.

Albert Pfuhl (SPD):
Rede ID: ID1212004700
Herr Kollege Hinsken, könnten Sie mir als Gewerbetreibender, der Sie ja auch jetzt noch Mitglied der IHK sind, vielleicht mal an Hand Ihres Betriebes klarmachen, wo die großen Leistungen der IHK für Ihren Betrieb und Ihren Berufsstand liegen?

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1212004800
Das kann ich Ihnen sagen. Wenn ich bei meiner Kammer anrufe oder wenn Petenten zu mir in die Sprechstunde kommen — und das ist öfter der Fall —,

(Albert Pfuhl [SPD]: Aber das sagen Sie als Abgeordneter!)

dann rate ich den Petenten, zunächst bei der IHK nachzufragen, und die bekommen dann nicht nur eine telefonische Auskunft, sondern können dort auch Beratungen bekommen, die sie sicher meistens kostenlos in Anspruch nehmen dürften.

(Albert Pfuhl [SPD]: Aber ich habe Sie nicht als Abgeordneten, sondern als Gewerbetreibenden gefragt!)

— Ich habe gesagt, daß sowohl ich die Leistungen in Anspruch nehme als auch einfache Mitglieder, die ihre Kammerzugehörigkeit in Zukunft auch beitragsmäßig erfahren dürfen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212004900
Ich habe keinen Zweifel, daß der Bäckermeister Hinsken den Geschäftsführer seiner Kammer vielseitig in Anspruch nimmt, womit ich mich aber nicht in die Diskussion einmischen will.
Nun fahren Sie bitte in Ihrer Rede fort.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1212005000
Es ist doch so, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß sich dieser Beitrag für die Kleingewerbetreibenden in Zukunft nur in der Größenordnung von 50 bis 100 DM bewegen dürfte. Das ist für die Serviceleistungen, die erbracht werden, ein tatsächlich angemessener Betrag.

(Zuruf von der CDU/CSU: Viel zu gering!)

Schauen Sie, Kollege Pfuhl: Wenn Sie heute Mitglied eines Sportvereins sind oder die kleine Krämerin in irgendeinem Dorf Mitglied im Frauenklub oder Gott weiß wo ist, dann zahlen Sie und dann zahlt sie auch jährlich 60 DM, 70 DM oder 80 DM.

(Albert Pfuhl [SPD]: Aber freiwillig!)

Ich glaube, daß wegen dieser Beitragsbelastung von 50 DM bis 100 DM wahrlich niemand vor die Hunde geht. Das ist ein Betrag, der durchaus zugemutet werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben selbstverständlich die Frage danach gestellt, warum Kleingewerbetreibende überhaupt zu einem Grundbeitrag herangezogen werden müssen. Hierzu möchte ich bemerken, daß von den 2,5 Millionen kammerzugehörigen Gewerbetreibenden ca. 1,6 Millionen sogenannte Kleingewerbetreibende sind. Von diesen Kleingewerbetreibenden zahlen
nach derzeitigem Beitragsrecht rund 75 % überhaupt keinen Beitrag.
Der Grund hierfür liegt darin, daß sie nicht zur Gewerbesteuer veranlagt worden sind. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Beitragsgerechtigkeit bedenklich; denn der Eintrag im Handelsregister sagt über die Leistungsfähigkeit der Unternehmen nichts aus. Es gibt doch Gewerbe- und Kleingewerbetreibende, die höhere Gewerbeerträge haben als im Handelsregister eingetragene Unternehmen. Die Denaturierung der Gewerbesteuer in eine Großbetriebsteuer läßt diese Steuer nicht mehr als Grundlage für die Kammerfinanzierung zu.
Auf der anderen Seite gibt es unter den Gewerbetreibenden viele, die das Gewerbe nur nebenberuflich betreiben, oder auch solche, die ein Gewerbe — lieber Kollege Pfuhl, hören Sie genau zu! — nur angemeldet haben, um z. B. bei einer Großhandlung einkaufen zu können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Schließlich soll erreicht werden, daß eine gleiche Heranziehung wie bei den Handwerkskammern zustande kommt, um die Beitragsgerechtigkeit bei den Kammern zu fördern.
Wichtig, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, scheint mir auch zu sein, darauf zu verweisen, daß das Gesetz vorsieht, daß natürliche Personen und Personengesellschaften bei der Beitragsbemessung günstiger behandelt werden als Kapitalgesellschaften. Dieser Personenkreis ist mit dem bisherigen der Kleingewerbetreibenden nicht identisch. Weil nur noch auf die Höhe des Gewerbeertrags abgestellt wird, können auch im Handelsregister eingetragene Unternehmen unter die Regelung fallen, wenn sie in einem Jahr mit Verlust arbeiten. Das entspricht dem Prinzip der Beitragsbemessung nach der Leistungskraft.
Meine Damen und Herren von der SPD, lassen Sie mich noch etwas zu den Vorschlägen von Ihnen, von der SPD, sagen. Sie wollen ja die Kapitalkomponente als Beitragsgrundlage beibehalten. Meine Fraktion ist dagegen. Warum?
Erstens. Eine Bevorzugung der Großindustrie, wie Sie das immer behaupten und heute auch wieder gesagt haben, ist bei der Regelung im Gesetz nicht vorhanden.

(Albert Pfuhl [SPD]: Doch, das kann sein!)

Zweitens. Eine Beitragsbemessung nach ertragsunabhängigen Kriterien ist mit dem Prinzip der Leistungskraft nicht zu vereinbaren. Leistungskraft dokumentiert sich aber in erster Linie im Ertrag. Ertragsunabhängige Komponenten sollen vermieden werden. Gerade Sie von der SPD sollten sich vor Augen halten, daß Ihr Vorschlag in erster Linie kapitalstarke, aber ertragsschwache Unternehmen träfe.
Drittens. Die Kapitalkomponente im Hinblick auf die künftige Entwicklung ist eine unsichere Basis.
Viertens. Auch die Handwerkskammern beabsichtigen — das ist auch wichtig, Kollege Pfuhl —, von der Beitragserhebung nach dem einheitlichen Gewerbe-



Ernst Hinsken
steuermeßbetrag auf eine Beitragsbemessung nach Gewerbeertrag überzugehen.
Ihr Antrag im Wirtschaftsausschuß, nach dem der Freibetrag beim Gewerbeertrag bzw. beim Gewinn aus Gewerbebetrieb für natürliche Personen und Personengesellschaften von 15 000 DM auf 36 000 DM erhöht werden soll, um den Kleinunternehmern einen Dienst zu erweisen, trifft schon im Ansatz nicht, weil die Höhe des Ertrags mit der Größe des Unternehmens nur bedingt etwas zu tun hat.
Abgesehen davon haben repräsentative Erhebungen in verschiedenen Teilen des Bundesgebiets, unter Heranziehung von Unterlagen der Finanzbehörden, ergeben, daß 70 % der kammerzugehörigen natürlichen Personen und Personengesellschaften einen geringeren Ertrag als 15 000 DM erwirtschaften. Ein wesentliches Ziel der Novelle, alle Kammerzugehörigen nach dem Maßstab ihrer Leistungsfähigkeit zu einem Kammerbeitrag heranzuziehen, würde damit verfehlt werden.
Lassen Sie mich schließlich noch darauf verweisen, meine Damen und Herren, daß die Entscheidung über die Höhe der Beiträge von den Vollversammlungen getroffen werden kann, die von allen Kammerangehörigen getragen werden, also auch von den Kleingewerbetreibenden. Die wählen ihre Leute. Die setzen auch die einzelnen Beiträge fest. Man hat es also zum Teil selbst in der Hand, und das wollten wir auch so haben.
Wir als Gesetzgeber schaffen lediglich den Ordnungsrahmen. Dazu sind wir verpflichtet; denn schließlich handelt es sich bei den IHKs um Körperschaften des öffentlichen Rechts, d. h. es werden staatliche Aufgaben in Übertragung ausgeführt. Deshalb liegt es auch auf der Hand, daß der Staat gezwungen ist, die finanzielle Voraussetzung für die Kammern zu schaffen, damit diese ihrer Aufgabe überhaupt nachkommen können.
Die Gesetzesinitiative geht von beiden Kammerorganisationen aus. Das ist ja nicht von uns erfunden worden, sondern die Kammerorganisationen sind an uns herangetreten.

(Wolfgang Roth [SPD]: Dann können wir ja gleich Gesetze so machen!)

Nach unseren Informationen haben die Mitglieder aus ihren Reihen mit dem Ziel einer größeren Beitragsgerechtigkeit darauf gedrängt. Meine Kollegin Blank hat das vorhin in ihrer Kurzintervention zum Ausdruck gebracht und noch einmal bestätigt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich meine, daß mit diesem Gesetz den Bedürfnissen Rechnung getragen wird, und möchte Sie, meine Damen und Herren, deshalb bei der abschließenden Beratung und Abstimmung um Zustimmung bitten.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212005100
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Josef Grünbeck das Wort.

(Wolfgang Roth [SPD]: Jetzt kommt der Konzernchef!)


Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1212005200
Ich war noch nie in einem Konzern — wie Sie, Herr Roth —, und ich bin auch kein Konzernchef. Ich rede über den Hauptpunkt dieses Gesetzes, also über die Neuregelung der Beiträge zu den Industrie- und Handelskammern.
Derzeit stellt sich die Lage wie folgt dar:
Kleingewerbetreibende sind Mitglieder der IHK, und zwar, wie der Kollege Hinsken deutlich gemacht hat, wahlberechtigte Mitglieder. Jedoch zahlen mehr als 70 % dieser Kleingewerbetreibenden keinen Beitrag an die IHK, weder einen Grundbeitrag noch eine Umlage. Das bedeutet aber, daß mehr als 50 % — in manchen Kammern mehr als 70 % — der Kammerangehörigen keinerlei Beiträge zahlen.
In meiner Kammer, der IHK Schwaben, drückt sich das in Zahlen wie folgt aus: Bei 1,3 Millionen Einwohnern in unserem Kammerbezirk sind 24 500 ohne jede Beitragsleistung. Ich bin selbst im IHK-Vorstand vertreten. Wir müssen fast jeden Monat in sozialen Härtefällen oder in Anwendung der Sozialklausel Totalerlasse aussprechen. Das funktioniert ohne jegliche Hilfe der SPD, meine Damen und Herren, die ihr Herz für die Kleingewerbetreibenden hier offensichtlich neu entdeckt hat.
Gerade die kleineren Betriebe sind auf die Beratungsleistungen der IHK vielfach angewiesen,

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

im Gegensatz zu den Konzernen. Künftig sollen deshalb alle Kammermitglieder, also auch alle Kleingewerbetreibende, ihrer Leistungskraft entsprechend Beiträge zahlen.
Für natürliche Personen und Personengesellschaften ist dabei eine Erleichterung eingebaut. Bei der Berechnung der Umlage erhalten sie einen Freibetrag von 15 000 DM. Bei einem Gewerbeertrag oder Gewinn unter 15 000 DM im Jahr zahlen sie keine Umlagen, sondern nur einen Grundbeitrag. Dieser Grundbeitrag kann nach Leistungsfähigkeit gestaffelt werden und wird im einzelnen Betrieb zwischen 50 DM und 100 DM im Jahr ausmachen, also vielleicht 5 DM oder 6 DM im Monat betragen.

(Zuruf des Abg. Albert Pfuhl [SPD])

Aber Sie machen hier einen Zirkus, als ob Sie mit diesen Einwänden irgend etwas Ernsthaftes bewegen könnten!

(Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD])

Die SPD fordert, den Freibetrag zu erhöhen. Tatsache ist aber, daß von den natürlichen Personen und Personengesellschaften, die Mitglied einer IHK sind, etwa 70 % unter 15 000 DM erwirtschaften.
Nun lassen Sie mich, sehr geehrter Herr Kollege, hochgeschätzter Herr Kollege, etwas zu der ordnungspolitischen Struktur Ihrer Darlegungen bezüglich der höheren Bewertung des Gewerbekapitals und des Gewerbeertrags sagen. Es ist mit Sicherheit eine



Josef Grünbeck
völlig falsche Betrachtung, wenn Sie dem Gerwerbekapital die allererste Priorität einräumen; denn man kann mit einem niedrigen Gewerbekapital einen relativ hohen Gewerbeertrag erwirtschaften, und dann liegen Sie mit Ihren ganzen Berechnungen daneben.

(Zuruf des Abg. Albert Pfuhl [SPD])

— Doch! Die Zauberkünstler beispielsweise haben sehr niedrige Kapitaleinsätze, aber sehr hohe Erträge. Es kommt mir eigentlich so vor, als müßten Sie dieser Zunft morgen beitreten; dann hätten Sie nämlich den Weg, den Sie wollen.
Was Sie wollen, ist im Grunde genommen ein Schritt in die Richtung der Gleichmacherei. Was wir wollen, ist ein Schritt in Richtung Beitragsgerechtigkeit.

(Zurufe von der SPD)

Wenn Sie schon über die Großen so schimpfen, meine Damen und Herren, wo die Kleinen tatsächlich im Nachteil sind — aber darüber ist mit Ihnen ja überhaupt nicht zu reden —: Das ist bei unseren Verhandlungen über die Tarifverträge so. Da sitzen die großen Gewerkschaften und die großen Unternehmen an einem Tisch, und die kleinen — — Aber darüber, daß wir dieses Faktum ändern, wollen Sie ja gar nicht reden.
Das, was Sie hier vorlegen, ist ein Schaufensterantrag. Das ist wirklich Schaufensterpolitik! Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, daß die SPD ihr Herz für die kleinen Gewerbetreibenden entdeckt hat. Wir sind schon seit Jahrzehnten die Partner aller kleinen und mittelständischen Betriebe und werden deshalb diesem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212005300
Meine Damen und Herren, ich benötige jetzt Ihre Aufmerksamkeit. Wir kommen zur Abstimmung, und die ist relativ kompliziert, weil es zu verschiedenen Vorschriften Änderungsanträge gibt, die die SPD eingebracht hat. Die SPD hat Einzelabstimmung verlangt.
Ich rufe zunächst Art. 1 und Art. 2 Nr. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Dann haben wir das einstimmig angenommen.
Ich komme nun zu Art. 2 Nr. 2. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Sozialdemokraten auf Drucksache 12/3699 vor. Wer diesem Änderungsantrag der Sozialdemokraten zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Ich lasse nunmehr über den Art. 2 Nr. 2 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung des Abgeordneten Weiß ist die Vorschrift mit den Stimmen der Mehrheitsfraktionen gegen die Stimmen der SPD in der Ausschußfassung angenommen worden.
Ich rufe nunmehr Art. 2 Nr. 3 und 4 auf. Diejenigen, die zuzustimmen wünschen, bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Bei unterschiedlichem Stimmverhalten der SPD-Fraktion — Enthaltungen und Gegenstimmen — und gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste sind diese Bestimmungen mit der Mehrheit der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Ich rufe nunmehr Art. 2 Nr. 5 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nunmehr Art. 2 Nr. 6 — § 13a Abs. 1 — auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? —Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 6 — § 13a Abs. 2 — auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 7 auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Ich rufe Art. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/3695 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über Art. 3 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt die Art. 4 bis 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung des Abgeordneten Weiß einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
und die Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünschen, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei unterschiedlichem Stimmverhalten der SPD gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste und bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) angenommen worden.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 9 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Angelika Barbe, Ingrid BeckerInglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Gedenkstätten ehemaliger NS-Konzentrations- und Vernichtungslager in Osteuropa
— Drucksache 12/3178 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegfried Vergin, Freimut Duve, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Leitlinien zu den Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 12/3179 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer halben Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich das als beschlossen feststellen und erteile dem Abgeordneten Siegfried Vergin das Wort.

Siegfried Vergin (SPD):
Rede ID: ID1212005400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1989 forderte die SPD-Fraktion einen Fonds für Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung. 250 000 DM standen 1990, 1 Million DM im Jahre 1991 zur Verfügung. 1992 werden Buchenwald und die Wannsee-Villa vom Bund zu 50 % getragen.
In einer veränderten historischen Situation wollen und müssen wir der Gedenkstättenarbeit im vereinten Deutschland neue Impulse geben. 1992 fliegen in Deutschland Molotow-Cocktails auf Asylbewerberunterkünfte. Jüdische Friedhöfe und Mahnmale werden geschändet, in den Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück Brände gelegt.

(Freimut Duve [SPD]: Eine Schande!)

Menschen werden gedemütigt, verletzt, totgeschlagen. Die Ergebnisse jüngster Umfragen belegen eine Zunahme von Antisemitismus und Gewaltbereitschaft und eine wachsende Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen.
Herr Bubis forderte eine ständige Bewachung der Gedenkstätten. In Buchenwald, meine Damen und Herren, ist dies auch sehr geboten. Insbesondere jüdische Bürgerinnen und Bürger fühlen sich an die Anfänge der Judenpogrome erinnert. Auch damals gab es Gleichgültigkeit und Beifall.
Mit unseren Anträgen zur Gedenkstättenarbeit möchten wir einen verantwortungsvollen Umgang mit der deutschen Geschichte erreichen. Sie sind in enger Abstimmung mit Überlebenden, Historikern und anderen Sachverständigen der Gedenkstätten im vereinten Deutschland entstanden.
Meine Damen und Herren, was können Gedenkstätten leisten? Sie halten das Wissen über die tödlichen Irrwege der Diktaturen wach, bewahren die
Spuren des Terrors, ehren und erinnern an die Opfer, fördern die Auseinandersetzung mit Bedingungen und Folgen von Diktaturen und leisten einen Beitrag zur Versöhnung.
Inzwischen hat die Bundesregierung dem Haushaltsausschuß die geforderte Gesamtkonzeption zur Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt. Wir begrüßen, daß diese bereits vor zwei Jahren von der SPD geforderte Gesamtkonzeption interfraktionell abgestimmt wurde, und hoffen, daß sie im Haushaltsausschuß gebilligt wird. Die drei Förderungsvoraussetzungen — exemplarischer Verfolgungskomplex, 50 %ige Finanzierung durch das Sitzland, positives Votum von Fachwissenschaftlern — haben unsere Zustimmung.
Mit den Leitlinien wollen wir darüber hinaus aber eine 50 %ige Beteiligung des Bundes an der politischen Bildungsarbeit in den Gedenkstätten erreichen. Gedenkstätten sind sowohl Stätten des Erinnerns und Mahnens; aber sie können und müssen auch Lernorte mit dem Lernziel Demokratie sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

1992 hat der Schüler Jan-Bernd Beßling aus Münster den international ausgeschriebenen Preis des israelischen Erziehungsministers gewonnen. In seiner Arbeit über den Besuch der Gedenkstätte Stutthof in Polen kommt er zu dem Ergebnis — ich zitiere —:
Gedenkstätten, diese Orte des Grauens, zu pflegen, für die Zukunft zu erhalten und vor allem zu besuchen, ist ... Aufgabe meiner und zukünftiger Generationen, damit diese Orte des Geschehens zum Mahnmal, zur Grundlage eines engagierten Engagements für Menschlichkeit und Völkerverständigung, zum Zentrum und Ausgangspunkt der Bekämpfung des Antisemitismus werden.
Meine Damen und Herren, als Rechtsnachfolger des Dritten Reiches muß sich die Bundesrepublik Deutschland auch zu ihrer Verantwortlichkeit für die Restaurierung und Erhaltung von Gedenkstätten im Ausland bekennen. Auschwitz und Treblinka nenne ich beispielhaft. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung für die nächsten vier Jahre eine Soforthilfe von 10 Millionen DM zur Erhaltung der Gedenkstätte Auschwitz bereitgestellt hat. Wir sind aber der Auffassung, daß ein eigener Haushaltstitel „Hilfen für Gedenkstätten ehemaliger NS-Konzentrations- und Vernichtungslager in Osteuropa" einzurichten ist, um die politische Bedeutung dieser Finanzierung zu dokumentieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Welt schaut in diesen Tagen aufmerksam auf Deutschland. Mit den vorgelegten Anträgen und unserer heutigen Debatte setzen wir sicher ein positives Zeichen. Dies zeigen erste Reaktionen aus Israel und Polen. Der israelische Botschafter bedankte sich ausdrücklich für die SPD-Initiativen; der polnische



Siegfried Vergin
Botschafter versicherte mir, „daß ein deutscher Beitrag zur Erhaltung von Gedenkstätten ehemaliger NS-Konzentrations- und Vernichtungslager auch in Polen als ein Zeichen des historischen Verantwortungsbewußtseins aufgenommen wird und damit auch das Vertrauen in das Nachbarland Deutschland festigt".
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Vorfeld dieser heutigen ersten Lesung unserer Anträge gab es bereits Übereinstimmung zwischen Regierung und Opposition über die Notwendigkeit, daß der Bund engagierter als bisher seine gesamtstaatliche Verantwortung für die Gedenkstätten wahrnimmt. Was bisher fehlt, ist eine gemeinschaftliche Willensbekundung des Parlaments. Ich appelliere deshalb an alle Mitglieder dieses Hohen Hauses, sich geschlossen hinter unsere Anträge zu stellen, um nach innen und nach außen zu signalisieren, daß der demokratische Gesamtstaat seine Verpflichtung aus der Geschichte für die Zukunft verantwortungsvoll übernimmt.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212005500
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Professor Wisniewski.

Prof. Dr. Roswitha Wisniewski (CDU):
Rede ID: ID1212005600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat so, Herr Vergin: In den letzten Wochen und Monaten ist die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland und ist die Welt durch Bilder des Hasses, der Gewalt und des politisch motivierten Terrors aufgeschreckt worden. Am letzten Sonntag wurde das deutsche Staatsoberhaupt von Linksextremisten mit Farbbeuteln beworfen. Vor wenigen Wochen wurden Teile der Gedenkstätte Sachsenhausen offensichtlich von rechtsextremistischen Tätern in Brand gesetzt. Die Ausschreitungen gegen Asylbewerber in Rostock und anderswo sind unvergessen.
Dies sind nur besonders markante Beispiele sich mehrender Zeichen, die in der Tat dazu veranlassen, daß sich der Deutsche Bundestag mit diesen Phänomenen beschäftigt und die notwendigen Maßnahmen ergreift. Wir Deutschen wissen aus den schrecklichen Erfahrungen unserer jüngeren Geschichte, daß Extremismus, Hass und Gewalt in Unheil und Not eines ganzes Volkes führen. Um drohende Gefahr für den inneren Frieden abzuwenden, muß sich unsere Demokratie mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zur Wehr setzen. Dazu gehört aber auch und vor allem verstärkte geistige Auseinandersetzung, und hierzu zähle ich die heutige Debatte über die Gedenkstätten; denn diese sind dauernde Zeugen geistiger Verirrungen, die auf ideologischen Irrtümern basieren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Die Herrschaft der Nationalsozialisten gründete sich auf eine Rassenideologie, für die man nur Verachtung empfinden kann.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Herrschaft der SED schuf auf der Grundlage des
Marxismus und Kommunismus unter maßgeblichem
Einfluß der Sowjetunion eine Diktatur, deren schreckliche Unterdrückungsmaßnahmen erst jetzt nach und nach sichtbar werden. Die bis dahin tabuisierte Existenz von teilweise zunächst nationalsozialistischen, dann sowjetischen und dann von der DDR benutzten Stätten des Todes, der Folter und des Unrechts wird jetzt nach der Wende in ihrem ganzen bestürzenden Ausmaß sichtbar.
Es gibt in Potsdam das Lindenhotel, das als ein Beispiel für diese unheilvolle Verkettung stehen kann. In der Zeit der Nationalsozialisten war es Gefängnis und Sitz des Erbgesundheitsgerichts, also des Sachwalters der berüchtigten Rassengesetze der Nationalsozialisten. Nach 1945 wurde es Sitz des sowjetischen Geheimdienstes und schließlich Untersuchungsgefängnis der Stasi, in deren Zellen und sogenannten Tigerkäfigen im Hof die Untersuchungsgefangenen zermürbend lange Monate hindurch auf ihren Prozeß warten mußten.
Für einen freiheitlichen Rechtsstaat muß es selbstverständliche Verpflichtung sein, Stätten dieser Art als Gedenkstätten zu bewahren. Sie dienen dem Andenken derer. die hier den Tod fanden oder Unrecht erleiden mußten. Gedenkstätten sollen aber auch Orte der Besinnung und der Mahnung für die Zukunft sein, um dazu beizutragen, daß sich ähnliche politisch gelenkte Verbrechen gegen die Menschlichkeit nie mehr wiederholen.
Der Deutsche Bundestag sollte sich bemühen, auf der Grundlage der von der Bundesregierung entwikkelten Gesamtkonzeption zur Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland, die sich der Bundestag insgesamt zu eigen machen sollte, gerade auch die Komponente der geistigen Überwindung und der Abkehr vom Totalitarismus in jeder Form bei der Gestaltung und gegebenenfalls bei der Verwendung der Gedenkstätten zur Geltung zu bringen. ich finde es also sehr wichtig, daß die politische Bildungsarbeit noch stärker als bisher in diese Gedenkstätten mit einbezogen wird.
Ebenso wie die Gesamtkonzeption der Bundesregierung, die hoffentlich vom Haushaltsausschuß, der sie ja verlangte, noch in diesem Jahr in der vorliegenden Form angenommen wird, bieten die beiden Anträge der SPD für diese Arbeit eine anregende und gute Grundlage.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Ich möchte abschließend aber auch von dieser Stelle aus an den Haushaltsausschuß die Bitte richten, trotz aller Sparbemühungen, die notwendig sind, dem Antrag des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zu folgen und für die Wiederherstellung der Gedenkstätte Sachsenhausen im Haushalt des Bundes für 1993 Mittel sofort bereitzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

Dies wäre ein Zeichen, das wir insbesondere unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern geben sollten, aber auch all denen, die voller Entsetzen befürchten, daß der alte rassistische Ungeist wieder zu



Dr. Roswitha Wisniewski
erwachen beginnt. Das darf nicht geschehen. In diesem Sinne befürwortet die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Überweisung der beiden von der SPD erarbeiteten Anträge an die Ausschüsse.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall hei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212005700
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Freimut Duve das Wort.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1212005800
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will nur ein paar Bemerkungen über diesen Gegenstand hinaus machen. Gestern hat der russische Präsident im Budapester Parlament um Verzeihung für den Überfall auf Ungarn gebeten. Gleichzeitig erleben wir, wie die Geschichte im ehemaligen Jugoslawien als Steinbruch für Mord und Totschlag benutzt wird. Mancher dort scheint seine Geschichte zu haben, die, wie er glaubt, ihn berechtigt, andere umzubringen.
Was wir Deutschen hier tun — ich möchte das auch unseren Zuhörern, unserem Publikum, unseren Wählerinnen und Wählern sagen —, hat auch eine Dimension der internationalen Politik. Es hat selten den Versuch gegeben, daß sich Völker selber bemühten, an ihre eigenen Untaten zu erinnern. In der Regel erinnern Völker an ihre Leiden und an ihre Heldentaten sowie an ihre Siege. Für die Geschichte und für das Miteinander der Völker wird es außerordentlich wichtig sein, daß wir in dieser Sache gemeinsam bleiben, daß niemand dieses Thema benutzt, um dem anderen eins auszuwischen, sondern daß wir sagen: Dies gehört nicht nur als Gegenstand zum inneren Frieden unseres Landes, sondern es ist ein Beitrag auch für den äußeren Frieden in Europa und anderswo. Wir wollen auch für andere Länder ein Beispiel geben, wie man mit der eigenen Geschichte in einer würdigen Form umgehen kann. Wenn wir uns da einig sind und möglicherweise auch dafür sorgen, daß wir alle hier in diesem Hause in dieser Überzeugung einig bleiben können und daß keine Gruppen in dieses Parlament kommen, die bei den Gedenkstätten ganz anderer Meinung sind, dann würden wir einen großen Dienst für die Demokratie auch mit diesen beiden Anträgen und mit dem, was die Kollegin von der CDU gesagt hat, leisten.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212005900
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Wolfgang Lüder das Wort.

Wolfgang Lüder (FDP):
Rede ID: ID1212006000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Meldungen des heutigen Tages zeigen die Akualität unseres Themas. Es ist mitgeteilt worden, daß im Haushalt des Auswärtigen Amtes ab dem nächsten Haushaltsjahr
Mittel zur Verfügung stehen, um die vom Verfall bedrohte Gedenkstätte des ehemaligen KZs Auschwitz als Gedenkstätte zu sichern. Es wird gemeldet: In der Bundeswehr gibt es rechtsextremistische Gewalttäter, die die politische Führung zum Handeln zwingen. Es wird berichtet: In Berlin lenkt der Strafprozeß gegen Honecker und andere die Aufmerksamkeit auf die Unrechtstaten des früheren DDR-Regimes. Die dort Angeklagten waren zunächst überwiegend Opfer nationalsozialistischer Gewalt. Später sperrten sie — als Täter von DDR-Unrecht — Unschuldige in die Haftanstalten, in denen sie selber gesessen hatten.

(Siegfried Vergin [SPD]: Sehr richtig!)

In Leipzig werden die unvorstellbar schlimmen Waldheim-Unrechtsprozesse aufgerollt, durch die Schuldige und Unschuldige gleichermaßen zu brutalen Strafen verurteilt wurden.
Deutsche Geschichte macht es schwer, zu gedenken, ohne Unrecht mit Unrecht aufzurechnen. Und doch ist Gedenken notwendig, soll nicht aus Gedankenlosigkeit neues Unrecht um sich greifen.
Die geschändeten Friedhöfe jüdischer Mitbürger, die alarmierenden Bilder der Panorama-Sendung über Rechtsextremisten in Deutschland, die unverhüllt ihre brutale Maske zeigten, die Brandstifter der Gedenkstätte des KZs Sachsenhausen zeigen, wie notwendig es ist, daß wir Gedenkstätten nicht in der Verantwortung der Länder regionalisieren. Nein: Hier ist die Verantwortung des Gesamtstaats gefordert.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der PDS/ Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die beiden SPD-Anträge, die wir heute an die Ausschüsse überweisen, geben — das will ich zu dem sagen, was Herr Vergin vorhin erklärt hat — eine gute Grundlage für den notwendigen Versuch, Einvernehmen über die richtige Konzeption zu erzielen, mit der deutsche Politik die eigene Vergangenheit im Bewußtsein mahnend und erinnernd wachhält. Wir sollten versuchen — jedenfalls setze ich mich dafür ein —, dieses Thema einvernehmlich zu behandeln. Die Debatte zeigt, daß alle Seiten dafür Bereitschaft signalisieren. Es gilt, über die Fraktionsgrenzen hinweg dieses Thema zu behandeln und einvernehmlich zu entscheiden, bei welchen Stätten gesamtstaatliches Engagement notwendig ist. Das erscheint mir auch möglich.
Das betrifft Gedenkstätten zur Erinnerung an das Unrecht in der DDR ebenso wie Gedenkstätten — die in dem Antrag noch nicht aufgeführt sind — zur Erinnerung an die Grausamkeiten, die der Stalinismus vor allem in der ersten Nachkriegszeit über Ostdeutschland gebracht hat. Auch dieser Bereich gehört dazu.
Das betrifft Stätten im Ausland wie insbesondere Auschwitz, dessen Erhaltung wir den Polen, den



Wolfgang Lüder
Opfern der NS-Verfolgung, doch nicht allein zumuten dürfen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der PDS/Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das betrifft Stätten im Inland wie Sachsenhausen und Ravensbrück. Ich bin dankbar, daß wenigstens die Bundesregierung die Anregung aufgenommen hat — die aus Brandenburg kam und die von uns sehr früh öffentlich unterstützt wurde —, daß Bund und Land gemeinsam für die geplante Stiftung im Land Brandenburg eintreten. Ich würde es begrüßen — ich höre, daß es dazu Signale gibt —, wenn sich auch andere Länder dem anschlössen. Das muß nicht nur bilateral zwischen dem Bund und dem Land Brandenburg getan werden.

(Beifall des Abg. Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.])

Meine Damen und Herren, das betrifft auch die Einigung darüber, daß beim Wiederaufbau oder beim Neubau einer Gedenkstätte in Sachsenhausen — vielleicht läßt man ja das Schandmal stehen — Bund und Land gemeinsam helfen. Wir sollten es nicht den Brandenburgern allein überlassen, die Schmach rechtsextremistischer Taten aus allen Ländern auszuwetzen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine behutsam entwickelte Konzeption für die nationale Gedenkstätte der Neuen Wache. Wir brauchen eine Konzeption, die an die demokratische Gestaltung zu Zeiten der Weimarer Republik anknüpft, die den Mißbrauch dieser Gedenkstätte nicht verdrängt und die zugleich der Opfer gedenkt, die vom deutschen Staat in den KZs ermordet wurden und deren Asche dort liegt.
Im April nächsten Jahres wird in Washington das Holocaust Memorial Museum eröffnet. Auch dort wird Asche von Menschen liegen, die vom deutschen Staat ermordet wurden. Wir müssen spätestens zum Zeitpunkt dieser Eröffnung wissen, wie wir gemeinsam an das Thema herangehen.
Gestatten Sie mir ein letztes Wort: Gedenkstätten sind auch dazu da, daß die Republik zu sich selbst findet. Zur Identität der Republik gehört das Gedenken. Wir wollen nicht geschichtslos dastehen.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212006100
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Dietmar Keller das Wort.

Dr. Dietmar Keller (PDS/LL):
Rede ID: ID1212006200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Den beiden Anträgen der SPD gilt meine uneingeschränkte Zustimmung; dies auch deshalb, weil ich als Mitglied der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte in den Wertungen und Formulierungen der Anträge einen ernstzunehmenden Diskussionsbeitrag für die Arbeit der Enquete-Kommission sehe.
Vergessen wir nicht, daß die faschistische Diktatur und der Zweite Weltkrieg den Boden bereiteten, daß im Osten Deutschlands unter Anleitung, Schutz und Druck einer Besatzungsmacht eine andere Diktatur entstehen konnte, die die einmalige historische Chance eines wirklichen Neubeginnens, einer wirklichen modernen historischen Alternative nicht nur nicht ermöglichte, sondern verhinderte.
Diesen Zusammenhang gilt es nicht zu vergessen, ohne damit Opfer gegen Opfer zu rechnen. Wir tragen die Pflicht und die Verantwortung, vor allen Opfern deutscher Geschichte, die Opfer der Verletzung von Menschenrecht und Menschenwürde gewesen sind, unseren Hut zu ziehen und dazu beizutragen, daß ihre Leiden und ihre Opfer nicht umsonst gewesen sind.
Ich betrachte das nicht nur als eine allgemeine Formulierung. Ich betrachte das auch als eine ganz persönliche Pflicht, meinen eigenen Beitrag dazu zu leisten, daß nicht vergessen wird und daß Geschichte für unsere Kinder und Kindeskinder so aufgearbeitet wird, daß Fehler und Opfer deutscher Geschichte nicht wiederholbar sind.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich stimme Ihnen, Herr Vergin, sehr zu. Gedenkstätten sind Stätten des Begreifens und des Lernens. Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate in Deutschland machen deutlich, daß dieser Lernprozeß kein einmaliger Akt sein kann. Es ist ein Prozeß, vor dem junge Menschen und ältere Menschen jeden Tag stehen, der uns alle in Deutschland in die Pflicht nimmt.
Danke.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212006300
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Konrad Weiß.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212006400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahr 1968 gründete Präses Lothar Kreyssig in Berlin die Aktion Sühnezeichen. Durch einfache Arbeiten in den ehemaligen Feindländern sollten junge Deutsche ein Zeichen des Umdenkens geben; sie sollten Sendboten des anderen Deutschlands sein. Aktion Sühnezeichen gab es immer in der DDR und in der Bundesrepublik. Immer, in all den Jahren nahm sich die Aktion Sühnezeichen auch der Gedenkstätten in ehemaligen Konzentrationslagern und auf jüdischen Friedhöfen an. Ich gehörte 1965 zur ersten Gruppe junger Deutscher, die dieses Zeichen der Versöhnung in Auschwitz gaben. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig das für die Annäherung zwischen Deutschen und Polen war. Zu einem Zeitpunkt, als im Westen noch niemand von einer neuen Ostpolitik sprach, öffneten 30 junge Leute aus Ostdeutschland Türen, die für immer verschlossen schienen. Als wir kamen, wurden wir angespuckt; als wir gingen, hatten wir Freunde gewonnen.



Konrad Weiß (Berlin)

Zahlreiche junge Deutsche aus Ost- und aus Westdeutschland haben sich durch diese Arbeit in Gedenkstätten aktiv mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt und sich politisch engagiert. Viele meiner Freunde aus der Bürgerbewegung haben ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht und haben daraus die Kraft zur Opposition gegen den Realsozialismus bezogen. Diese Gedenkstätten gehören zum Gedächtnis unseres Volkes. Gerade heute, wo manche dieses Gedächtnis zerstören möchten, muß das deutsche Parlament ein deutliches Zeichen setzen. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützt daher nachdrücklich den Antrag, der von der SPD eingebracht worden ist. Es ist richtig, daß Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung vor allem vom Bund zu fördern sind. Hierzu gehören natürlich nicht nur jene Erinnerungsstätten, die sich auf deutschem Boden befinden, sondern auch jene Orte, die von uns in unseren Nachbarländern geschändet und mißbraucht worden sind.
Ich werde demnächst einen Antrag zur Gedenkstätte im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz im Deutschen Bundestag einbringen. Ich weiß, daß die Bundesregierung bereits heute finanzielle Unterstützung leistet und weitere zugesagt hat. Aber soll nicht Gras über Auschwitz wachsen — kein deutscher Patriot kann das wollen -, sind wir für den Erhalt der Gedenkstätte verantwortlich und müssen weitere Mittel zur Verfügung stellen.
In den Jahren 1980/81 unternahm die Bundeszentrale für politische Bildung den Versuch, eine bundesweite Übersicht über die Gedenkstätten für die Opfer des nationalsozialistischen Terrors zu erarbeiten. Nach der Wiedervereinigung ist eine Weiterführung dieser Arbeit unbedingt erforderlich, damit nun auch die Mahnstätten in östlichen Bundesländern einbezogen werden. Wir müssen hierbei selbstverständlich auch jene Orte berücksichtigen, an denen Menschen von den Besatzungsmächten und von den Kommunisten gequält und getötet wurden. Ich rege ferner an, gemeinsam mit unseren Nachbarländern Übersichten über Mahn- und Gedenkstätten auf ihrem Territorium zu erarbeiten und diese verstärkt in die politische Bildungsarbeit einzubeziehen.
Ein Volk ohne Geschichte ist ein Volk ohne Zukunft. Gerade angesichts des Wiedererwachens des radikalen Ungeistes und der zunehmenden stillen Akzeptanz des Nationalsozialismus ist ein bewußter und verantwortlicher Umgang mit den Mahnstätten, die uns an die Opfer und an die Täter erinnern, notwendig. Von dieser Verantwortung kann uns und auch die kommenden Generationen niemand freisprechen. Nur wenn wir sie annehmen und aus dieser Verantwortung heraus Politik gestalten, hat die Demokratie in Deutschland eine Zukunft.

(Beifall im ganzen Hause)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212006500
Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/3178 und 12/3179 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse empfohlen.
— Es erhebt sich kein Widerspruch, so daß das beschlossen ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und
Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) — Drucksache 12/3532 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren (13. Ausschuß)

— Drucksache 12/3677 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ulrich Böhme (Unna) Eva-Maria Kors
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/3678 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Irmgard Karwatzki Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Dr. Konstanze Wegner

(Erste Beratung 115. Sitzung)

Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat eine Debattenzeit von einer halben Stunde vor. — Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich erteile zunächst dem Abgeordneten Ulrich Böhme das Wort.

Dr. Ulrich Böhme (SPD):
Rede ID: ID1212006600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein altes persisches Sprichwort sagt: „Nur der ist tot, der keinen guten Namen hinterläßt." Zahllose Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft konnten nicht einmal einen Namen hinterlassen. Das Gräbergesetz wurde im Jahre 1965 geschaffen, um die Opfer aus der Anonymität zu befreien und ihrer würdig zu gedenken. Für die vielen Toten aus den beiden Weltkriegen wurden Friedhöfe errichtet und staatlich finanziert. Dies trifft insbesondere auf Friedhöfe und Gedenkstätten für die Opfer des Faschismus zu. Jüdische Mitbürger, Demokraten, Christen, Kommunisten und andere Gegner des Faschismus starben einen grausamen Tod in Konzentrationslagern. Sie wurden hingerichtet, ermordet oder in ihrer Gesundheit so stark geschädigt, daß sie später an den Folgen starben. Deshalb sollen diese Friedhöfe uns alle, vor allem aber die jungen Menschen, die den Faschismus nicht miterlebt haben, nicht nur an die einzelnen menschlichen Tragödien erinnern, diese Gedenkstätten sollen Mahnstätten sein, auch Lernorte sollen sie sein. Unser Kollege Siegfried Vergin hat dies vorhin beeindruckend gesagt.
Das Vermächtnis dieser Stätten lautet: Nie wieder darf vom deutschen Volk ein Krieg ausgehen, nie wieder darf die ethnische Ausrottung von Minderheiten stattfinden, und nie mehr darf ein totalitäres Regime an die Macht kommen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)




Dr. Ulrich Böhme (Unna)

Diese Intention macht, meine Damen und Herren, wie das vorherige Thema, das Gräbergesetz so bedeutsam. Wir sprechen heute über dieses Gesetz, da es nach der deutschen Vereinigung unsere Pflicht ist, auch derer würdig zu gedenken, die durch den Stalinismus ums Leben gekommen sind. Auch die Namen der zahllosen Opfer dieses totalitären Regimes müssen in Erinnerung bleiben. Das geltende Gräbergesetz soll deshalb dahin gehend geändert werden, daß aller Opfer totalitärer Gewaltherrschaft gedacht wird. Hierzu gehören auch die durch sowjetische Militärtribunale aus politischen Gründen Verurteilte, die aus politischen Gründen Verhafteten, die in Haftanstalten der Besatzungsmacht oder der DDR ums Leben kamen, die Menschen, die im Auftrag von KGB oder MfS aus politischen Gründen liquidiert wurden, die Opfer beim Volksaufstand vom 17. Juni 1953, die Opfer der ehemaligen sowjetischen Internierungslager, die Menschen, die bei Fluchtversuchen über die Berliner Mauer oder die innerdeutsche Grenze ums Leben kamen. Es sollen die Gräber all derer gebührend erhalten und gepflegt werden, die auf Grund von rechtsstaatswidrigen Maßnahmen als Opfer des stalinistischen und poststalinistischen Regimes ums Leben gekommen sind oder Gesundheitsschäden erlitten haben, an deren Folgen sie gestorben sind. Diesen Opfern sind wir es schuldig, ihren leidvollen Tod als Mahnung zu begreifen.
Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung dafür gesorgt hat, daß die Gräberpflege bereits in den Einigungsvertrag aufgenommen wurde und daß die Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf eingebracht hat, urn das Gräbergesetz auf die neuen Bundesländer auszuweiten. Die Kosten für Verlegungen, Graböffnungen zum Zwecke der Identifizierung, Neuanlegungen sowie Instandsetzung und Pflege sollen zunächst durch Pauschalmittel, die der Bund den Ländern zuweist, abgedeckt werden. Diese Übergangsregelung soll nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung bis Ende 1996 andauern.
Insbesondere die Vertreter der neuen Bundesländer haben im Bundesrat bereits die Befürchtung geäußert, daß diese Pauschalsätze für eine Umsetzung des Gräbergesetzes nicht ausreichen könnten. Gerade weil die Nachforschungen noch gar nicht abgeschlossen sind, wie viele Opfer die kommunistische Gewaltherrschaft tatsächlich zu verantworten hat, halte auch ich eine Verkürzung der Übergangsregelung für erforderlich. Wir schlagen deshalb vor, die Übergangsregelung auf das Ende des Jahres 1994 zu verkürzen. Es könnte sonst dazu kommen, daß notwendige Maßnahmen im Sinne dieses Gesetzes aus finanziellen Gründen nicht durchgeführt werden.
Der Bundesrat hat sich deshalb eindeutig für eine Fristverkürzung ausgesprochen. Ohne Gegenstimme bei zwei Enthaltungen wurde im Bundesrat so votiert. Diesem Votum hat sich der federführende Ausschuß des Deutschen Bundestages, der Ausschuß für Familie und Senioren, quer durch alle Fraktionen einstimmig angeschlossen. Gerade in Zeiten, in denen neuer Ungeist wieder auflebt, muß des tragischen Todes der Opfer von Gewalt und Terror gedacht werden.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

Totalitäre Gewaltherrschaft zerstört das Individuum, tritt die Menschenrechte mit Füßen und vernichtet demokratische Freiheits- und Gleichheitsrechte. Die Folgen totalitärer Gewaltherrschaft — sei sie durch linksradikale oder rechtsradikale Ideologie gestützt — dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Aber ebensowenig dürfen in Vergessenheit geraten die mutigen, geschundenen Opfer, die möglicherweise erst jetzt wieder einen Namen erhalten und damit in unserem Gedenken weiterleben. Dies sind wir, so meine ich, den Opfern und ihren Angehörigen schuldig.
Ich bitte Sie deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie und Senioren zuzustimmen.

(Beifall im ganzen Hause)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212006700
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Eva-Maria Kors.

Eva-Maria Kors (CDU):
Rede ID: ID1212006800
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Einigungsvertrag war vorgesehen, das Gräbergesetz erst zum 1. Januar 1995 in den neuen Bundesländern in Kraft treten zu lassen. Die Verwaltungskraft der neuen Länder reicht aber bereits zum jetzigen Zeitpunkt zur Durchführung des Gesetzes aus, so daß bereits heute das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, kurz Gräbergesetz, beraten werden kann. Ein früheres Inkrafttreten des Gesetzes ist wünschenswert, ja sinnvoll.
Das neue Gräbergesetz trägt der veränderten Situation im vereinten Deutschland Rechnung, die es erforderlich macht, auch zur Erhaltung von Gräbern der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft neue Regelungen zu schaffen. So ist es wichtig und richtig, alle Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes einzubeziehen. Bislang bezog sich das Gesetz auf die Opfer von Fluchtversuchen an der deutsch-deutschen Grenze.
Die Neufassung verwendet bewußt den allgemeinen Begriff „Opfer des kommunistischen Regimes". Damit werden selbstverständlich die Maueropfer mit erfaßt, aber eben auch andere politische Opfer, wie von KGB oder MfS getötete Personen, Opfer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 oder Opfer der ehemaligen sowjetischen Internierungslager. Gerade auch diese Menschen, die im Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit und gegen Gewalt ihr Leben gelassen haben, dürfen wir nicht vergessen.
Für einen angemessenen Zeitraum wird den Ländern Gelegenheit gegeben werden, den Bestand an zu pflegenden Gräbern festzustellen. Auch privat gepflegte Gräber können von den neuen Ländern nachgewiesen werden, da bei diesen Grabstätten die Möglichkeit besteht, daß das Land die Instandhaltung — natürlich mit Zustimmung der Angehörigen — übernimmt. Für eine Übergangszeit weist der Bund den neuen Bundesländern Pauschalmittel für Grabverlegungen, Graböffnungen zum Zwecke der Identifizierung, Neuanlegung sowie Instandsetzung und Pflege zu.



Eva-Maria Kors
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß darf ich sagen, daß wir uns freuen, daß der Ausschuß für Familie und Senioren einen einstimmigen Beschluß gefaßt hat, diese Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1994 zu befristen. In der Stellungnahme des Bundesrates äußerten die neuen Bundesländer die Befürchtung, daß der Finanzbedarf der neuen Länder über die vom Bund in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Pauschalmittel hinausgehen könnte. Diese Befürchtung läßt sich nicht von der Hand weisen.
Auch sehen sich die neuen Länder in der Lage, die erforderlichen Feststellungen bis zum 31. Dezember 1994 zu treffen. Deshalb ist eine vollständige Gleichstellung der neuen mit den alten Ländern bereits zum 1. Januar 1995 nach unserer Auffassung Bach- und interessengerecht,

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Der Ausschußentwurf trägt diesen Überlegungen Rechnung und sieht Übergangsregelungen und andere hiermit in logischem Zusammenhang stehende Fristen nur bis zum 31. Dezember 1995 vor.
Als Kosten für das Gesetz sind in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes für 1993 11 Millionen DM und für 1994 12 Millionen DM vorgesehen. In diesen Beträgen sind die Kosten für ausländische Opfer im Beitrittsgebiet enthalten, die auf Grund internationaler Abkommen zu tragen sind. Damit Mittel in dieser Höhe den neuen Ländern zufließen können, werden die Pauschsätze für Instandsetzung und Pflege der Gräber in den alten Bundesländern durch die vorgesehene Pauschsatzverordnung nur maßvoll angehoben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen, daß wir von der CDU/CSU- Fraktion die Neufassung des Gräbergesetzes außerordentlich begrüßen. Dieses Gesetz bedeutet auf einem menschlich wichtigen Gebiet einen weiteren Schritt zur Verwirklichung der Einheit in unserem Land. Es mag sein, daß die Öffentlichkeit im Vergleich zu anderen, umfangreicheren Gesetzen weniger Notiz von dieser Neuregelung nehmen wird. Gerade aber am Umgang mit den Opfern der eigenen Geschichte und im Gedenken an sie läßt sich auch ein Stück Kultur und Ethik einer Nation ablesen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Mit den sicherlich begrenzten Möglichkeiten dieses Gesetzes wollen wir nicht nur die Opfer würdigen. Das Gesetz ist vielmehr auch ein Zeichen der Anerkennung, ja des Mitgefühls gegenüber den Angehörigen der Verstorbenen. Daher ist es notwendig, die Rechtslage hierzu in Gesamtdeutschland so schnell wie möglich anzugleichen. Ich bitte Sie deshalb, dem Ausschußentwurf Ihre Zustimmung zu geben, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall im ganzen Hause)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212006900
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Norbert Eimer das Wort.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1212007000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hatte ich erwartet, daß dieses Gesetz wie schon in der ersten Lesung ohne Aussprache über die Bühne geht; denn vieles, was zu dem vorherigen Tagesordnungspunkt mit großer Einmütigkeit quer durch alle Fraktionen gesagt worden ist, gilt selbstverständlich auch hier. Ich will damit nicht sagen, daß dieses Gesetz unbedeutend ist. Im Gegenteil: Es bringt, wie schon gesagt, die Ausdehnung auf die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft und eine Ausdehnung auf die neuen Bundesländer und damit auch ein Stückchen mehr innere Einheit.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Fahrt, die der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge organisiert hatte und an der ich teilnehmen durfte. Für mich war dieser Besuch der Gräber sehr eindrucksvoll. Ich halte diese Art der Verbeugung vor den Opfern für besser, als wenn ich heute hier eine lange Rede halten wollte.
Ich will den Ausführungen der Redner vor mir nicht sehr viel hinzufügen; denn das, was Sie, meine Kollegen, gesagt haben, war einvernehmliche Meinung im Ausschuß und ist, wie wir heute sehen, auch im Bundestag einvernehmliche Meinung. Dies betrifft auch die Änderung der Fristen.
Ich möchte mich deshalb bei meinen Kollegen sehr herzlich bedanken, daß es möglich ist, dieses Gesetz in so großer Einmütigkeit heute zu verabschieden. Wir werden dem Gesetz selbstverständlich ebenfalls zustimmen.
Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212007100
Ich erteile nunmehr der Ministerin für Familie und Senioren, Frau Hannelore Rönsch, das Wort.

Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1212007200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich, Herr Kollege Eimer, dem Dank anschließen und Ihnen, den Damen und Herren aus dem Ausschuß für Familie und Senioren, ein herzliches Dankeschön dafür sagen, daß Sie in dieser Einmütigkeit und mit tiefem Ernst die Novellierung des Gesetzes beschlossen haben; denn die Sorge um die Gräber der Toten von Krieg und Gewaltherrschaft ist, denke ich, eine zutiefst humanitäre Aufgabe. Internationale Abkommen, wie die Genfer Konvention, fordern uns zu ihrer Erfüllung auf.
Kriegsgräberstätten sind uns aber vor allem Mahnmal gegen den Krieg, für den Frieden, für Versöhnung und Verständigung. In diesen Wochen und Monaten der zahlreichen tätlichen Angriffe auf ausländische Mitbürger und Heime von Asylbewerbern, angesichts der Schändung jüdischer Friedhöfe und Mahnmale ist mir gerade dieser Gedanke besonders wichtig. Mit aller Kraft sind wir als wehrhafte Demokraten gefordert, Haß und Gewalt mit allen rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzutreten und die Würde aller Menschen in Deutschland zu schützen und zu wahren. Die Ruhestätten der Opfer staatlicher Gewalt mahnen uns zu friedfertiger Mitmenschlichkeit.



Bundesministerin Hannelore Rönsch
Das bestehende Gräbergesetz sichert seit Jahrzehnten den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft ein dauerndes Ruherecht. Die Sorge für die Gräber trägt der Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland. Er hat die Verantwortung übernommen, um die Würde dieser zu Lebzeiten von Unrechtsregimen geschundenen und gequälten Menschen in ihrem Tode wiederherzustellen und auch zu wahren. Es sind dies die Gräber der nationalsozialistischen Gewalt, der Opfer in den beiden Weltkriegen oder in Kriegsgefangenschaft gestorbener Soldaten, der zivilen Opfer der Bombenkriege, gestorbener Zwangsarbeiter und der Opfer von Flucht und Vertreibung.
Den überwiegenden Teil der Kasten der Grabfürsorge — insbesondere für die Neuanlegung sowie die Instandsetzung und Pflege der Gräber — trägt der Bund. Die Ausführung des Gesetzes liegt bei den Ländern.
Nach der Einheit Deutschlands fühlen wir uns verpflichtet, heute auch die Verantwortung für die Gewaltopfer im ehemals kommunistisch beherrschten Teil unseres Landes zu übernehmen.
Die vorliegende Novelle des Gräbergesetzes bezieht daher jetzt zu Recht ein: die Opfer der sowjetischen Internierungslager der Nachkriegszeit, die Opfer politischer Todesurteile oder aus politischen Gründen in Internierungslagern Verstorbene, diejenigen, die in Haftanstalten der sowjetischen Besatzungsmacht oder der DDR ums Leben gekommen sind und, was uns in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zutiefst berührt hat, die Menschen, die den Versuch, in Freiheit zu leben, bei ihrer Flucht über Mauer und Stacheldraht mit dem Leben bezahlen mußten. Sie alle sind unschuldige Opfer der totalitären sowjetischen Willkürherrschaft und des SED- Unrechtsregimes. Wir schulden ihnen unseren Respekt und unsere Dankbarkeit für den Mut, dem Unrecht unter Einsatz ihres eigenen Lebens entgegenzustehen.
Wir sind zutiefst betroffen, die Mehrzahl der Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft in Massengräbern mit Zehntausenden von Toten in der Nähe der elf ehemaligen sowjetischen Internierungslager zu finden. Erst in jüngster Zeit sind im Gelände der früheren Konzentrationslager Sachsenhausen und Buchenwald Massengräber aufgefunden worden. Die Namen der Toten erhoffen wir in nächster Zeit von russischer Seite zu erfahren. Lassen Sie mich dies hier auch sagen: Wir haben gerade mit der russischen Seite heute eine ausgeprochen konstruktive Zusammenarbeit, und man ist sehr bemüht, uns bei der Identifizierung der Toten behilflich zu sein.
Auch Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden zum Teil erst nach dem Fall der Mauer auf dem Gebiet der früheren DDR entdeckt. So sind auf dem sowjetischen Truppenübungsplatz bei Zeithain in Sachsen Massengräber in der Nähe früherer NS-Arbeitslager gefunden worden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts der Vielzahl der in den neuen Ländern gefundenen Grabstätten halte ich es für richtig und auch für erforderlich, das Gräbergesetz in den neuen Ländern bereits zum 1. Januar 1993 und nicht, wie zunächst im Einigungsvertrag vorgesehen, erst zwei Jahre später in Kraft treten zu lassen. Der Bund stellt in
den neuen Ländern für die Neuanlegung, Instandsetzung und Pflege sowie die notwendige Verlegung von Kriegsgräbern und Gräbern der Opfer von Gewaltherrschaft vorerst jährliche Pauschalbeträge zur Verfügung. Die Beträge sind genannt worden. Ich denke, daß wir damit sicherstellen können, die Opfer von Gewaltherrschaft in den neuen Bundesländern angemessen zu ehren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212007300
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Gräbergesetzes. Es handelt sich um die Drucksachen 12/3532 und 12/3677. Ich bitte all diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Enthaltungen? — Gegenstimmen? — Damit ist der Gesetzentwurf in der zweiten Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzes zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist das Gesetz in dritter Lesung angenommen worden.
Meine Damen und Herren, bis zur Kabinettsbefragung sind es noch einige Minuten. Ich unterbreche die Sitzung bis 13 Uhr. Dann wird mit der Kabinettsbefragung fortgefahren.
Herzlichen Dank.

(Unterbrechung von 12.56 Uhr bis 13.02 Uhr)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212007400
Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1992, Fünfter Immissionsschutzbericht, Bericht der Bundesregierung zur Entschließung des Europäischen Parlaments zu Gewalt gegen Frauen.
Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ignaz Kiechle.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212007500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ergebnisse der Waldschadenserhebung 1992 zeigen, daß sich der Zustand der deutschen Wälder leider wieder verschlechtert hat.
Ohne erkennbare Schadenmerkmale — solche Bäume würden wir als gesund betrachten — sind nach diesem Bericht noch 32 % der Bäume.
41 % der Bäume zeigen schwache Schäden, d. h. etwa einen Nadel- oder Blattverlust bis zu maximal 25 %. Wir nennen das die Warnstufe, weil dieser



Bundesminister Ignaz Kiechle
Verlust verschiedene Gründe haben kann und keineswegs ein Dauerverlust sein muß. Der Zustand kann sich — je nach Klima, Umständen, Jahreserscheinungen und ähnlichem — wieder ändern.
Der Anteil der deutlich geschädigten Bäume, die wir als langfristig geschädigt betrachten müssen, ist um zwei Prozentpunkte auf 27 % gestiegen. Wir haben damit den höchsten Stand der Kronenschäden in diesem Jahr seit Beginn der Erhebungen 1984 zu verzeichnen.
Die ungünstige Entwicklung ist entscheidend auf die lang andauernde Belastung durch Luftschadstoffe zurückzuführen. Das chemische Langzeitgedächtnis des Waldbodens tut hier seine Wirkung.
Daneben wirkten aber auch andere Faktoren, besonders die trocken-warmen Sommer 1991 und 1992, die ungewöhnliche Häufung der Jahre mit kräftezehrender Fruchtbildung, vor allem bei der Buche, und in Süddeutschland auch die Spätfolgen der Sturmschäden des Jahres 1990.
Die Ursachen dieser neuartigen Waldschäden sind sehr vielschichtig. Luftschadstoffen kommt dabei eine maßgebliche Rolle zu. Regionale Unterschiede der Schäden lassen sich aber nicht allein mit der jeweiligen Schadstoffbelastung erklären. Sie sind vielmehr das Ergebnis vielfältiger Einflüsse wie Standort, Bestand, Bewirtschaftung und anderer Belastungsfaktoren, etwa Trockenheit, Pilze, Insekten.
Die 1992 von der Bundesregierung im Rahmen des Aktionsprogramms „Rettet den Wald" eingeleiteten Maßnahmen zeigen inzwischen trotz allem deutliche Erfolge, besonders die Maßnahmen zur Verringerung der Luftschadstoffe und die flankierenden forstlichen Maßnahmen zur Stabilisierung der Wälder, etwa Unterbau, Aufforstung und Düngung.
Durch die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen wurde der Ausstoß an Luftschadstoffen in den alten Ländern bereits entscheidend reduziert. So gingen die Schwefeldioxidemissionen vor allem durch die Rauchgasentschwefelung der Kraftwerke von insgesamt etwa 2,9 Millionen t im Jahre 1982 um rund 68 % auf nun 940 000 t zurück. Auch bei den Stickstoffoxidemissionen insgesamt ist inzwischen eine Trendwende eingetreten. Sie wurden von rund 3 Millionen t 1986 auf rund 2,6 Millionen t 1990 verringert.
Auch in den neuen Ländern wurden inzwischen schon beachtliche Verringerungen der Schadstoffemissionen erreicht.
Bezüglich der verkehrsbedingt hohen Stickstoffoxidemissionen greift auch hier die Politik des schadstoffarmen Pkw. 97 % der hier neu zugelassenen Pkws mit Ottomotor bzw. 37 % des Gesamtbestandes dieser Fahrzeuge haben einen geregelten Dreiwegekatalysator. Rund 50 % des gesamten Pkw-Bestandes sind schadstoffarm und 60 % schadstoffreduziert.
Allerdings werden diese Erfolge durch die stark angestiegene Zahl der Kfz und die starke Zunahme der Gesamtfahrleistung bei Pkw und Lkw wieder gemindert.
Auch die Forstwirtschaft hat erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Wälder zu stabilisieren. Von 1984 bis 1991 wurden flankierende forstliche Maßnahmen mit insgesamt 420 Millionen DM gefördert. In diesem Jahr, 1992, sind weitere 82 Millionen DM dafür vorgesehen.
Um ein Beispiel zu nennen: Von der gesamten Waldfläche der alten und der neuen Länder zusammen wurden seit 1984 bereits rund 13 % zum Schutz des Waldbodens und des Trinkwassers gegen Säureeinträge gekalkt.
Wenn sich der Waldzustand trotz der erheblichen Anstrengungen noch nicht verbessert hat, dann erklärt sich dies vor allem damit, daß die Maßnahmen der Luftreinhaltung, gemessen an dem jahrzehntelangen hohen Ausstoß von Schadstoffen, erst seit vergleichsweise kurzer Zeit wirken, daß die Waldökosysteme auf Veränderungen außerordentlich langsam reagieren — wir haben hier Reaktionszeiten von mehreren Jahrzehnten —, daß sich die Schadstoffeinträge von Jahrzehnten in den Waldböden angesammelt haben und daß Luftschadstoffe nach wie vor in erheblichem Umfang auf die Waldökosysteme — man kann auch sagen: auf die Wälder — einwirken.
Unsere künftigen Handlungsschwerpunkte bei der Luftreinhaltung sind, die zügige Verringerung der Schadstoffemissionen aus Energieerzeugungs- und Industrieanlagen in den neuen Ländern, die weitere Herabsetzung der Stickstoffoxide und anderer Emissionen im Straßenverkehr und die Verringerung der Ammoniakemissionen aus landwirtschaftlichen Quellen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212007600
Herr Bundesminister, Sie sind schon ein gutes Stück über die vorgesehene Berichtszeit hinaus.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212007700
Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. Ich bitte bei diesem etwas diffizilen Punkt um Nachsicht.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Fortsetzung der Förderung von flankierenden forstlichen Maßnahmen zur Stabilisierung der Waldökosysteme gegen die neuartigen Waldschäden, wie gesagt: 1992 rund 82 Millionen DM.
Auf internationaler Ebene wird die Bundesrepublik Deutschland ihre bisherige Rolle als treibende Kraft und Vorreiter beim internationalen Umweltschutz weiterhin beibehalten.
Die Waldschadensforschung wird zunehmend durch Waldökosystemforschung ersetzt.
Ich danke Ihnen schön.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212007800
Vielen Dank, Herr Bundesminister.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde.
Als erster hat sich unser Kollege Michael Müller gemeldet.

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1212007900
Herr Präsident, ich habe zwei Fragen.



Michael Müller (Düsseldorf)

Meine erste Frage richtet sich an die Bundesregierung insgesamt. Wenn, wie Sie gesagt haben, Herr Bundesminister, der Anteil der Stickoxide immer noch bei etwa 2,6 Millionen t pro Jahr liegt, dann ist dies eine allgemeine Zahl, die nichts darüber aussagt, daß der Anteil der Stickoxide aus dem Verkehrssektor gegenüber 1982 insgesamt sogar angestiegen ist. Da Stickoxide einer der Hauptfaktoren für das Waldsterben sind, frage ich: Bedeutet dies, daß die Bundesregierung endlich bereit ist, ihre Verkehrspolitik im Hinblick auf Verkehrsvermeidung zu ändern?

(Zustimmung bei der SPD)

Die zweite Frage an Sie, Herr Bundesminister, — Sie haben von dem chemischen Langzeitgedächtnis der Böden geredet —, lautet: Ist es richtig, daß bei den Waldschadenserhebungen auch herausgekommen ist, daß der pH-Wert in vielen Regionen der Bundesrepublik bereits unter 4 abgesunken ist — was bedeutet, daß bei bestimmten Wetteränderungen, beispielsweise wenn Stürme auftreten, die Böden großflächig geschädigt werden können, weil die Wurzeln überhaupt keinen Halt mehr im Boden finden —, und welche Konsequenz zieht die Bundesregierung aus dem dramatischen Absinken der pH-Werte?

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212008000
Bitte, Herr Bundesminister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212008100
Es trifft zu, daß die Stickoxide eine erhebliche Belastung darstellen, während sich der Anteil von CO2 schon ganz erheblich verringert hat. Das bedeutet, daß auf diesem Gebiet weitere Maßnahmen notwendig sind. Das Schwergewicht muß wohl darauf liegen, die vorhandenen Autos so schadstoffarm wie nur irgend möglich zu machen. Die steigende Zahl der Zulassungen von Pkws, einschließlich aller anderen Kraftfahrzeuge, und damit auch die Zunahme der Fahrleistungen zeigen, daß der Bürger nach wie vor Auto fährt. Infolgedessen kann man nur an der Quelle, bei der Ursache ansetzen. Dabei sind schadstoffarme Autos das wichtigste Element.
Ich habe von dem chemischen Langzeitgedächtnis der Böden gesprochen. Das bedeutet: Böden speichern unter Umständen jahrzehntelang Einträge von Schadstoffen, ohne daß schon Verunreinigungen von Trinkwasser oder Schäden an Pflanzen, insbesondere an Bäumen, sichtbar werden. Meine Formulierung von einem Langzeitgedächtnis beruht im Grunde genommen auf der Erkenntnis, daß eine einmal eingetretene Reaktion ab einem bestimmten Zeitpunkt trotz Gegenmaßnahmen ziemlich lange vorhält. Damit ist ausgesagt, daß es Jahrzehnte dauern wird, bis die Sanierung oder auch nur eine Verbesserung dieses Zustandes erreicht wird.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212008200
Ich darf noch einmal einen kurzen technischen Hinweis an die Adresse aller Kolleginnen und Kollegen inklusive der Mitglieder der Bundesregierung geben. Die Firma, die für die Akustik in diesem Saal zuständig ist, hat in unserem hochindustrialisierten Land ein System geliefert, das, wenn man auf den Knopf drückt, erfordert, erst einmal zu warten, woraufhin sich ein Verzögerungseffekt von
mehreren Sekunden ergibt. An den Mikrofonen an Ihren Plätzen flackert dann das rote Licht. Erst wenn es aufgehört hat zu flackern, ist das Mikrofon eingeschaltet, und Sie können reden. Es tut mir leid, aber so fortschrittlich sind wir nun einmal in Deutschland.
Als nächster stellt der Kollege Carl-Detlev von Hammerstein eine Frage.

Freiherr Carl-Detlev von Hammerstein (CDU):
Rede ID: ID1212008300
Herr Minister, sind die Waldschäden in den fünf neuen Bundesländern schon genau analysiert? Ist auch in den fünf neuen Bundesländern festzustellen, daß die Laubwaldbestände mehr geschädigt sind als die Nadelhölzer?
Sie haben vorhin des weiteren die Aufkalkungen angesprochen. Ist die Bundesregierung bereit, in Zukunft weitere Mittel zur Verfügung zu stellen — der Kollege von der SPD hat das ja gerade angesprochen —, um in Anbetracht des geringen pH-Wertes weitere Maßnahmen zur Aufkalkung zu finanzieren?

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212008400
Bitte.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212008500
In den neuen Bundesländern konnten wir natürlich nur relativ kurzfristige Analysen der Art durchführen, wie sie bei uns seit 1984 durchgeführt werden. Aber diese Zeit reicht aus, um zumindest Tendenzen und Trends ziemlich zuverlässig zu ermitteln. Zwar entsprechen die Analysen von der Genauigkeit her vielleicht nicht ganz den in den alten Bundesländern durchgeführten Analysen, aber sie sind ausreichend genau und zeigen, daß die Laubwälder auch in den neuen Bundesländern zunehmend gefährdet sind.
Was die Aufkalkung betrifft, so werden wir im PLANAK vorschlagen, die Zuschüsse für diese Maßnahme ab 1993 zu erhöhen. Die Mittel werden durch Umschichtungen aufgebracht.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212008600
Die nächste Frage stellt der Kollege Horst Sielaff.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1212008700
Wird der Landwirtschaftsminister jetzt darauf drängen, Herr Kiechle, daß ein neues Verkehrskonzept erarbeitet wird? Sie haben ja darauf hingewiesen, welche Auswirkungen die Verkehrspolitik auf den Wald hat. Werden Sie sich in Kürze mit dem Verkehrsminister zusammensetzen, um neue Akzente zu setzen und zu verhindern, daß der Straßenbau noch weiter forciert wird, so daß wir nicht mit einem noch höheren Verkehrsaufkommen zu rechnen haben?
Ich habe noch eine zweite Frage: Ist sichergestellt, daß wir im federführenden Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausreichend Zeit und Gelegenheit haben, über den Inhalt des Waldschadensberichtes zu diskutieren?

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212008800
Herr Kollege Sielaff, die zweite Frage müssen Sie schon selber beantworten;



Vizepräsident Hans Klein
denn das ist eine Sache des Parlaments und nicht der Bundesregierung.

(Horst Sielaff [SPD]: Bei allem Respekt, aber wir haben in letzter Zeit häufig erlebt, daß die Zeit nicht ausreicht, um wichtige Themen ausreichend zu behandeln!)

— Aber das ist eine Frage der Organisation des Parlaments.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212008900
Herr Kollege, der Waldschadensbericht bzw. der Waldzustandsbericht wird Ihnen in Kürze zugeleitet. Der Ausschuß ist völlig frei, die Zeit aufzuwenden, die er für notwendig hält, um darüber zu diskutieren.
Auf Ihre Frage nach einem neuen Verkehrskonzept möchte ich Ihnen antworten, daß der Landwirtschaftsminister jede Maßnahme zu unterstützen bereit ist, die dazu führt, daß die Belastung der Umwelt und damit auch der Wälder durch den Straßenverkehr verringert wird.
Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen: Das Wichtigste sind schadstoffarme Autos. Was die Straßen betrifft, so möchte ich mich nicht in die Kompetenz eines Kollegen einmischen. Aber da Sie nach meiner Meinung gefragt haben, will ich wie folgt antworten: Die Entwicklung in Europa zeigt, daß wir schon seit langem ein Transitland sind. Wir werden neben einer Steigerung des Verkehrsaufkommens im Nord-SüdVerkehr eine Zunahme des Verkehrsaufkommens im Transit von Ost nach West zu verzeichnen haben, ganz zu schweigen davon, daß Verkehrskonzepte auch darauf Rücksicht nehmen müssen, daß genügend Arbeitsplätze in peripher gelegenen Regionen geschaffen werden, die nicht ausreichend von Zentren versorgt werden, die heute wirtschaftliche Schwerpunkte bilden. Eine optimale Anbindung an die Verkehrsnetze ist nun. einmal Voraussetzung dafür, daß sich Firmen in weiter entfernt liegenden Gebieten niederlassen; ich nenne das Stichwort: neue Bundesländer.
Man sollte allerdings darauf hinwirken, daß soviel Verkehr wie möglich, insbesondere Frachtverkehr, auf die Deutsche Bundesbahn übergehen kann — und zwar durch geeignete Maßnahmen, die ich hier nicht im einzelnen nennen möchte —, daß er sich nicht in zunehmendem Maße allein auf der Straße vollzieht. Ein Mischsystem werden wir aber immer haben und brauchen. Von daher müssen wir auch eine Möglichkeit suchen, einen Kompromiß zu finden zwischen den Bedürfnissen der Umwelt und der Notwendigkeit, den Menschen in unserem Lande Brot und Arbeit zu geben. Anders werden wir die Schwierigkeiten — das gilt für uns alle — nicht lösen können.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212009000
Herr Kollege Freimut Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1212009100
Herr Bundesminister — —

(Der Redner ist nicht über die Lautsprecheranlage zu hören)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212009200
Herr Kollege Duve, gerade bei Ihnen sage ich es nicht gern, aber der
Hinweis des Kollegen Lambinus war eigentlich ganz schlau: Das Warten auf das Blinken am Mikrofon gibt uns Gelegenheit, vor dem Sprechen nachzudenken.

(Heiterkeit)


Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1212009300
An sich soll man Gedanken auch beim Sprechen verfertigen können.
Herr Bundesminister, nicht nur der Boden — das schöne deutsche Wort „Erdreich" sagt ja darüber etwas aus — hat ein Langzeitgedächtnis, sondern auch wir Abgeordnete.

(Zustimmung bei der SPD)

Ist der Bundesregierung bekannt, daß meine Fraktion, aber auch andere Fraktionen seit 1981/82 um ein Bodenschutzkonzept kämpft, und hatten Sie heute morgen bei der Beratung in der Regierung den Eindruck, daß Ihre Kollegen die Dramatik der Bodenbelastung erkennen und daraus auch Konsequenzen für ihre eigenen Ressorts ziehen?

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212009400
Herr Kollege, der Bundesregierung ist diese Dramatik durchaus bekannt. Es ist nicht so, daß darüber nur diskutiert wird, sondern in vielen Fällen sind bereits Maßnahmen getroffen worden, von der TA Luft bis hin zu Gesetzen, die die Anwendung bestimmter technischer Hilfsmittel zum Schutz des Bodens in der Landwirtschaft betreffen.
Es kommt natürlich darauf an, nicht irgendwelche, sondern die richtigen Entscheidungen zu treffen, die auf sachlichen Erkenntnissen beruhen, weil Geschäftigkeit oder Hektik hier nichts nützt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212009500
Herr Kollege Jan Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1212009600
Herr Bundesminister, als Fachminister wissen Sie, wie wichtig es ist, Bodenverunreinigungen auf jedem Gebiet zumindest verringern zu helfen. Es ist für einen Fachminister sicher von Bedeutung, daß allgemein anerkannt wird, daß diese Verunreinigungen nicht nur von der Landwirtschaft herrühren.
Nun wissen wir, daß für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Waldschäden Luftverunreinigungen ursächlich sind, und der Kollege Müller hatte Ihnen die Frage gestellt, was Sie zur Geschwindigkeitsbegrenzung sagen. Sie haben diese Frage jetzt ein zweites Mal mit dem Hinweis auf schadstoffarme Verkehrsmittel beantwortet, da teilen wir Ihre Meinung. Aber wäre es nicht wirklich von Nutzen, von den Nachbarstaaten zu lernen —

(Zustimmung bei der SPD)

nicht nur, weil wir so viele Verkehrstote und -verletzte haben, sondern auch aus Gründen der Waldschädigung - und die Frage der Verkehrsgeschwindigkeitsbegrenzung endlich voranzutreiben?

(Zuruf von der CDU/CSU: Was hat das mit dem Waldschadensbericht zu tun?)




Jan Oostergetelo
Das muß doch auch in Ihrem Interesse als Fachminister liegen. Können wir da auf Ihre Hilfe hoffen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Unsinn! — Zuruf von der F.D.P.: Die Frage ist völlig unqualifiziert!)


Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212009700
Herr Kollege, ich habe vorhin zu erwähnen vergessen, daß die Bundesregierung den Entwurf eines Bodenschutzgesetzes vorgelegt hat. Ich habe im übrigen mit keinem Wort gesagt, daß die Landwirtschaft an der Verunreinigung des Bodens allein schuld sei, sondern vorhin darauf hingewiesen, daß Einträge aus allen möglichen Bereichen, insbesondere aber aus der Luft, den Boden geschädigt haben, über Jahrzehnte hinweg.
Nun hat mich bisher außer Ihnen kein Kollege nach meiner Meinung zum Tempolimit gefragt; aber ich will sie Ihnen gern sagen. Ich bejahe die Einführung eines Tempolimits nicht, und zwar aus ganz sachlichen Erwägungen.
In der alten Bundesrepublik Deutschland — die Zahlen für das vereinigte Deutschland habe ich leider nicht — hatten wir 480 000 km Straßen; davon sind mittlerweile 8 500 km Autobahnen. Auf 2 500 km haben wir schon Geschwindigkeitsbegrenzungen. Für alle übrigen Straßen — außer den verbleibenden 6 000 km Autobahn — gibt es ebenfalls ein Tempolimit: 50 km/h, 100 km/h. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, daß durch Geschwindigkeitsbegrenzung auf den restlichen 6 000 km Autobahn ein wesentlicher Beitrag zur Luftreinhaltung — wie auch immer bewertet — geleistet werden könnte. Das bewegt sich alles im 0,x-Prozent-Bereich.
Die übrigen Überlegungen hinsichtlich Unfällen usw. habe ich als Landwirtschaftsminister nicht zu bewerten. Ich weiß aber, daß die Zahl der Unfälle (jedenfalls der Unfälle mit tödlicher Folge) stetig abgenommen hat.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212009800
Herr Kollege Klaus Harries.

Klaus Harries (CDU):
Rede ID: ID1212009900
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung nicht auch der Auffassung, daß die bedauerlichen Waldschäden die eine Seite der Medaille darstellen, daß eine funktionierende Konjunktur aber die andere Seite ist und die von der Bundesregierung bereits eingeleiteten Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in den nächsten Jahren ohne Strukturbruch greifen werden?

(Freimut Duve [SPD]: Diese dramatische Frage sollte der Bundesumweltminister beantworten!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212010000
Herr Kollege Duve, die Frage ist an den Bundeslandwirtschaftsminister gerichtet, und er wird auch antworten.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212010100
Angesichts unserer großen Bemühungen, die Wirtschaft in den neuen Bundesländern faktisch neu aufzubauen, haben wir ein großes Interesse an einer funktionierenden Konjunktur. Überall, wo neue Investitionen getätigt werden,
sollte das so geschehen, daß die Schäden für die Umwelt so gering wie möglich gehalten werden. Folgenlose Eingriffe, etwa bei der Ansiedlung neuer Industrien, der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse usw., wird es nicht geben.
Wir sind ein Volk, bei dem 230 Menschen auf einem Quadratkilometer leben. Wir können uns daher kaum mit Ländern vergleichen, in denen es nur fünf, zehn, 20 oder 70 sind. Wir haben also ein gewisses Maß an Abwägung zu gewährleisten, wenn wir auf der einen Seite Eingriffe in die Natur vornehmen — die so gering wie möglich gehalten werden müssen — und auf der anderen Seite allen Menschen einen Arbeitsplatz — nach Möglichkeit auch noch einen guten — verschaffen wollen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212010200
Jetzt hat unser Kollege Siegfried Hornung das Wort.

Siegfried Hornung (CDU):
Rede ID: ID1212010300
Herr Bundesminister, wir sind dankbar, daß wir mit diesem Waldschadensbericht unseren Bürgern offen die Wahrheit darlegen können, einem Bericht, der übrigens rastergenau nachgeprüft wird und damit für uns eine große Sicherheit bezüglich der Schadensentwicklung darstellt. Können Sie sagen, ob es in Nachbarländern Europas oder in anderen Ländern ähnliche Materialien gibt, um den Bürgern ähnliche Berichte vorlegen bzw. um vergleichen zu können, wie sich die Anstrengungen der deutschen Bundesregierung bei der Wald- und Umweltschädenbegrenzung im Vergleich mit anderen Ländern niederschlagen?

(Freimut Duve [SPD]: Wir sind die Besten! — Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Haben Sie das bezweifelt?)


Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212010400
Herr Kollege, wir bemühen uns seit 1987, durch entsprechende Erhebungen ein möglichst genaues Bild zu bekommen. Die Europäische Gemeinschaft hat beschlossen, daß alle Mitgliedstaaten Stichproben machen sollen, und zwar auf einem sogenannten EG-Netz von 16x 16 km. Einzelne Länder haben erklärt, daß sie dieses Netz verdichten wollen. Wir machen über diese Vorschrift hinausgehend alle drei Jahre eine sogenannte Vollstichprobe auf einem Netz von 4x4 km, also einem sehr engen Netz. In der Zwischenzeit wird eine Unterstichprobe gemacht, wobei das EG-Netz von 16x 16 km benutzt werden kann.
Jede andere Behauptung, wie sie auch der Presse heute zu entnehmen ist, daß wir etwas nicht machen oder nur noch alle drei Jahre erheben oder gar etwas verschweigen wollen, entbehrt jeglicher Grundlage.
Im übrigen möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf folgendes hinzuweisen. Wir haben bei allen Sorgen, die wir mit dem Wald haben, in Deutschland nach wie vor eine Zunahme der Waldfläche zu verzeichnen. Die Waldfläche in Deutschland ist nach der in Skandinavien und Slowenien die größte in Europa. Sie hat in Deutschland in den letzten fünf Jahren um 50 000 ha zugenommen. Wir fördern die Erstaufforstung mit erheblichen Mitteln und wirken auf diesem Weg der vielleicht gelegentlich geringeren Umweltleistung



Bundesminister Ignaz Kiechle
des Waldes in manchen Regionen entgegen, und zwar mit großem Erfolg, wie ich meine.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212010500
Bitte, Herr Kollege Stockhausen.

Karl Stockhausen (CDU):
Rede ID: ID1212010600
Herr Minister, die Schäden, die wir heute feststellen, gehen auf jahrzehntelange Beeinträchtigungen zurück. Ich habe durch die Fragen der Kollegen von der linken Seite den Eindruck, daß das erst seit 1982 ein Problem sei. Können Sie mir sagen, welche Gesetze vor 1982 in diesem Bereich erlassen worden sind und welche nach 1982? Ich kann mich nämlich nicht erinnern, daß in diesem Bereich vor 1982 etwas Entscheidendes getan worden ist.

(Horst Sielaff [SPD]: Fragen Sie doch gleich nach der Erblast der DDR!)


Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212010700
Herr Kollege, ich habe schon darauf hingewiesen, daß diese Entwicklung schon seit Jahrzehnten andauert. Ich will nicht behaupten, daß sie nicht beachtet worden ist. Aber in vielen Fällen hatte man nicht die richtigen Erkenntnisse, um vor dreißig Jahren schon festzustellen, welche Auswirkungen bei Emissionen aus vielerlei Quellen den Wald schädigen.
Mir ist nur bekannt, daß vor dem Jahr 1982 der Bleigehalt des Benzins einmal gesenkt worden ist. Weitere Maßnahmen sind mit nicht bekannt.
Dagegen hat die Bundesregierung in den letzten gut zehn Jahren eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, und zwar erhebliche und einschneidende Maßnahmen, was die Kosten betrifft: von den Großfeuerungsanlagen bis hin zum Katalysator, der mit vielen Schwierigkeiten europaweit durchgesetzt worden ist. Oft ist das gegen den Willen vieler Wirtschaftskreise geschehen. Insoweit — ohne daß ich polemische Bemerkungen machen möchte — wären Vorwürfe an unsere Seite, wir täten nichts oder zu wenig, sachlich nicht gerechtfertigt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212010800
Gibt es zu diesem Themenbereich noch Fragen? Gibt es Fragen zum Immissionsschutzbericht oder zur Entschließung des Europaparlaments zu Gewalt gegen Frauen? — Das ist nicht der Fall.
Herr Kollege Oostergetelo, Sie haben das Wort.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1212010900
Herr Bundesminister, Sie haben auf die Frage nach der Geschwindigkeitsbegrenzung zu Recht geantwortet, daß wir weite Strekken im Verkehrsnetz mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung belegt haben. Wenn das auch die Regierung und die Länder für richtig halten, warum gibt es dann nicht global eine Geschwindigkeitsbegrenzung? Warum sind die Nachbarn bereit, das zu machen? Ich denke, auch die haben verantwortliche Regierungen und wissen ihren Wald zu schützen. Deshalb muß ich fragen, was die Regierung davon abhält, hier durchgreifend zu helfen.

(Jürgen Timm [F.D.P.]: Well es nutzlos ist! Deswegen! — Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Wo es keine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt, ist die Unfallzahl am geringsten!)


Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212011000
Da wir, Herr Kollege, wie ich schon dargelegt habe, auf rund 6 000 km Autobahn kein Tempolimit haben und auf über 480 000, vermutlich jetzt schon 483 000 km Tempolimits haben, ist das unter den genannten Aspekten — jedenfalls aus meiner Sicht — kein Element, das umweltnützend angewandt werden könnte. Ein globales Tempolimit ist dabei nicht mehr erforderlich, zumal wir sehr unterschiedliche Tempolimits haben: von 30 km/h über 50 km/h bis hin zu 80 km/h und 100 km/h und 120 km/h oder 130 km/h auf Autobahnen.
Was unsere Nachbarn betrifft, ist das einen Hinweis wert. Aber ein Argument ist es nicht. Wir machen vieles nicht, was unsere Nachbarn machen. Würden wir manches machen, was unsere Nachbarn machen, würde Ihnen vielleicht auch das nicht gefallen. Wir müssen selber entscheiden.
Es gibt auch einen ganz sachlichen Grund. Wenn in einem Land Autos auf einer bestimmten Kategorie von Straßen schneller fahren dürfen als in einem anderen Land oder im übrigen Bereich, ist die Industrie gezwungen, ihre Autos technisch so auszustatten, daß sie die angegebenen Geschwindigkeiten technisch bewältigen können, eingeschränkt durch das Ermessen des Fahrers und sein Können. Das macht ein Stück Qualität der deutschen Autos aus. Selbst die Autos, die zu uns exportiert werden, müssen darauf Rücksicht nehmen und sind daher besser.
Mit anderen Worten: Wir können sicher sein, daß unter diesen Umständen Autos, die 130 km/h oder 140 km/h fahren, technisch so ausgestattet sind, daß sie bei dieser Geschwindigkeit einwandfrei funktionieren und manches Unvermögen des Fahrers auszubügeln in der Lage sind. Das ist ein großer Vorteil für unsere Exporte und auch für die Anwendung hier.

(Beifall des Abg. Siegfried Hornung [CDU/ CSU] — Freimut Duve [SPD]: So spricht ein Landwirtschaftsminister! Agrarmobilminister!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212011100
Kollege Walter Kolbow, Sie haben das Wort.

Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1212011200
Herr Präsident, ich möchte zu einem anderen Thema fragen. Ich möchte von der Bundesregierung wissen, ob der Herr Bundesminister der Verteidigung die heutige Kabinettsitzung dazu genutzt hat, das Kabinett über rechtsradikale Ausschreitungen von wenigen Soldaten, allerdings zum Teil mit schwerwiegenden Folgen, zu informieren. Wenn ja: Zu welchen Ergebnissen haben diese Informationen im Kabinett geführt? Wenn nein: Hat der Herr Bundeskanzler den Herrn Bundesminister der Verteidigung aufgefordert, ihn über alle Fälle lückenlos zu informieren?

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212011300
Bitte, Herr Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1212011400
Herr Abgeordneter, der Bundesverteidigungsminister hat dazu im Kabinett nicht zu berichten brauchen, weil



Bundesminister Friedrich Bohl
der Bundeskanzler schon vorher umfassend informiert war. Der Bundeskanzler läßt sich ja laufend über den Stand der Dinge unterrichten.

(Abg. Freimut Duve [SPD] und Abg. Dr. Margrit Wetzel [SPD] melden sich zu Fragen)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212011500
Wir sind am Ende der Zeit für die Regierungsbefragung. — Es stimmt, Frau Kollegin; ich schwindele nicht.
Ich bedanke mich bei den Mitgliedern der Bundesregierung, die Auskunft gegeben haben.
Ich rufe den Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 12/3656 —
Ich rufe als erstes die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Herr Kollege Weiß und Herr Kollege Duve, ich nehme an, daß Sie in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit finden, Ihre Fragen zu stellen.
Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Bernd Wilz anwesend.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Frage 30 wird um schrifltiche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Gernot Erler auf:
Welche Überlegungen innerhalb des Bundesministeriums der Verteidigung haben dazu geführt, daß dem Bundesminister der Verteidigung in einer internen Entscheidungsvorlage neuerdings empfohlen wird, das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) möglichst zusammen mit dem zum Bereich des Bundesministers des Innern gehörigen Bundesarchivs-Militärarchivs (Ba-Ma) aus Freiburg abzuziehen und nach Berlin-Gatow (Berlin-West) zu verlegen, nachdem bisher stets mit Hinweis auf strukturpolitische Erwägungen zugunsten der neuen Bundesländer seitens des Bundesministeriums der Verteidigung ein Umzug in die Villa Ingenheim nach Potsdam favorisiert wurde?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung.

Bernd Wilz (CDU):
Rede ID: ID1212011600
Herr Kollege Erler, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Im Bundesministerium der Verteidigung wird gegenwärtig die abschließende Entscheidung über die Stationierung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes vorbereitet. Die bisherige Absicht, das MGFA nach Potsdam zu verlegen, besteht fort. Eine Entscheidungsvorlage an den Bundesminister der Verteidigung, als Standort Berlin-Gatow vorzusehen, gibt es nicht.
Allerdings sind im Vorfeld der noch ausstehenden abschließenden Entscheidung viele Alternativen untersucht worden. Die Entscheidung über die endgültige Stationierung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, möglichst in Verbindung mit der über das Bundesarchiv-Militärarchiv, soll baldmöglichst, d. h. noch in diesem Jahr, spätestens aber Anfang des kommenden Jahres, erfolgen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212011700
Zusatzfrage Herr Kollege Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1212011800
Herr Staatssekretär, ich bin überrascht darüber, daß Sie sagen, daß es keine Vorlage dieser Art gibt, weil mir diese Vorlage schriftlich zur Verfügung steht. Deshalb frage ich Sie: In welchem Umfang gibt es Überlegungen im Haus, das Militärgeschichtliche Forschungsamt zusammen mit dem Bundesarchiv-Militärarchiv auf dem in Zukunft frei werdenden Militärflughafen Berlin-Gatow unterzubringen?
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, ich habe geantwortet: Es gibt keine Entscheidungsvorlage. Die hätte ja auch einem der Staatssekretäre zur Unterzeichnung vorgelegt werden müssen. Das ist nicht der Fall. Im Vorfeld der Untersuchungen hat es Überlegungen und Anregungen dieser Art gegeben. Hier gibt es aber keine letztendlich detaillierten Absichten. Für das Haus bleibt die Planungsabsicht, nach Potsdam zu gehen.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1212011900
Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung bereits mehrmals eine Entscheidung auch im Sinne der Betroffenen der beiden Institutionen hier angekündigt hat und diese jetzt nach Ihren Angaben wiederum auf Ende dieses oder gar Anfang nächsten Jahres verschoben wird, darf ich Sie weiter fragen, wann denn zur Vorklärung die Begegnung des BMVg mit dem Innenminister zur Klärung der Standortidentitätsfrage jetzt endlich stattfinden wird.
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, von mir wird überhaupt nichts verschoben. Hier gibt es überhaupt nichts Neues im Zeitplan. Ich habe bereits vor der Sommerpause, dann erneut nach der Sommerpause und zuletzt noch einmal gestern im Verteidigungsausschuß mitgeteilt, daß wir alle Fragestellungen wie Bundeswehrplanung '94, Heeresstruktur 5 mit Modifizierungen, Stationierungsfragen mit Modifizierungen und auch Fragen der zentralen Bundeswehreinrichtungen aus einem Guß nach Möglichkeit im Dezember, spätestens im Januar, vorlegen wollen und werden.
Zu der anderen Frage: Wir sind in einem Abstimmungsprozeß mit dem Innenminister.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212012000
Zusatzfrage des Kollegen Kolbow.

Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1212012100
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wie der Bundesminister der Verteidigung die Unabhängige Föderalismuskommission am 5. November in dieser Angelegenheit unterrichtet hat?
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kolbow, da ich selber die Unterrichtung der Föderalismuskommission vorgenommen habe, weiß ich, was dort gesagt worden ist.

(Walter Kolbow [SPD]: Um so besser!)

Ich habe dort dargestellt, daß es hier Überlegungen gibt, daß eine solche Planungsabsicht besteht und daß mit endgültigen Entscheidungen im Dezember dieses Jahres oder im Januar nächsten Jahres zu rechnen ist.




Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212012200
Kollege Karl-Heinz Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1212012300
Herr Staatssekretär, darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob Sie neben den notwendigen strukturpolitischen Überlegungen auch die sogenannten sozialen Umfeldkosten mit berücksichtigt haben, die möglicherweise durch andere Ressorts zu erbringen sind, aber für das Zusammenleben und für die Verlegung der Betroffenen sehr, sehr wesentlich sind und teilweise mit D-Mark-Beträgen anzusetzen sind, die gegenwärtig noch nicht erfaßt sind?
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Klejdzinski, für uns ist es selbstverständlich, daß wir auch Fragestellungen im Zusammenhang mit der Sozialverträglichkeit oder den Kosten für das soziale Umfeld, wie Sie es sinngemäß bezeichnet haben, berücksichtigen. Wir hatten im Zusammenhang mit der Stationierungsplanung einen Kriterienkatalog. Hierzu zählte auch diese Frage. Wir werden bei unseren endgültigen Entscheidungen im Dezember oder Januar auch hier noch einmal kritisch hinterfragen. Wir werden insonderheit bei den neuen Bundesländern, wenn es um Fragestellungen der militärischen und zivilen Infrastruktur geht, auch dies noch einmal berücksichtigen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212012400
Ich rufe die Frage 32 auf, die ebenfalls der Kollege Gernot Erler gestellt hat:
Welche Kosten würden für einen Neubau des MGFA auf dem Militärflughafen Berlin-Gatow, für die notwendige Zwischenunterbringung des Amtes bis zur Fertigstellung des Neubaus sowie für den Umzug von Freiburg nach Berlin entstehen im Vergleich zu der kostengünstigsten Lösung einer Unterbringung des MGFA in dem freiwerdenden französischen Stabsgebäude in Freiburg („Panzerkreuzer"), wie sie aus forschungspolitischen wie sozialen Gründen seit langem von allen Vertretern der Stadt und des Landes sowie von den Freiburger Abgeordneten, egal welcher Partei sie angehören, nachdrücklich unterstützt wird?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, wie in der Antwort zu der Frage 31 dargelegt, ist eine etwaige Verlegung des MGFA nach Berlin-Gatow, ehemals West-Berlin, nicht Bestandteil der Planungsüberlegung des Bundesministeriums der Verteidigung. Aus diesem Grund sind detaillierte Kostenschätzungen für eine Umzugsplanung in den mit Ihrer Frage angenommenen Schritten Neubau, Zwischenunterbringung und Umzug nach Berlin-Gatow nicht angestellt worden.
Im übrigen sind die finanziellen Aspekte bei der ausstehenden Entscheidung wichtig, aber nicht allein ausschlaggebend. Gleichrangig müssen neben den struktur- und gesamtpolitischen Aspekten auch die regionalpolitischen Implikationen sowie die forschungspolitischen und nicht zuletzt die sozialen Erwägungen — danach hat soeben Kollege Klejdzinski gefragt — eingehend geprüft werden. Der Bundesminister der Verteidigung wird sich bei der Entscheidung über die künftige Stationierung der Truppenteile und Dienststellen der Bundeswehr auch von der Verantwortung für die Soldaten und zivilen Mitarbeiter leiten lassen, um, wo immer möglich, soziale Härten zu vermeiden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212012500
Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1212012600
Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt ausgeführt, daß in bezug auf Gatow keine Kostenüberlegungen vorgenommen worden sind, obwohl mir solche Kostenüberlegungen vorliegen. Ihr Haus denkt bereits seit anderthalb Jahren über diese Frage nach und berät darüber. Liegt Ihnen eine Schätzung über Kosten für die Villa Ingenheim, die ja offenbar immer noch im Gespräch ist, im Vergleich mit den Kosten für die andere sich anbietende Lösung vor, nämlich das MGFA in das Stabsgebäude der französischen Streitkräfte in Freiburg, den sogenannten Panzerkreuzern, zu verlegen?
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, erstens ist festzustellen, daß es keine detaillierten Kostenuntersuchungen gibt. Es hat Grobschätzungen gegeben. Grobschätzungen allein reichen aber nicht, sondern sie müssen unterfüttert werden. Dies geschieht gegenwärtig.
Das andere ist — ich will das noch einmal betonen —: Die Entscheidungen über Modifizierungen, die wir jetzt zu treffen haben, wollen wir aus einem Guß treffen. Denn wir hielten es nicht für gut, je nach Standort zu unterschiedlichen Zeitpunkten Einzelentscheidungen vorzunehmen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212012700
Die zweite Zusatzfrage.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1212012800
Herr Staatssekretär, ich bin wirklich überrascht und werde dieser Sache nachgehen, wenn Sie hier sagen, daß es keine detaillierten Kostenuntersuchungen gegeben hat. Es hat nämlich nach den mir vorliegenden Unterlagen sogar eine Begehung des „Panzerkreuzers" gegeben, um diese Kosten abschätzen zu können.
Ich frage Sie nochmals: Ist Ihnen bekannt, daß eine Lösung in kurzer Frist, die die kostengünstigste Lösung ist, nämlich schon zum Ende nächsten Jahres ein Einzug in den „Panzerkreuzer", in das Stabsgebäude der französischen Streitkräfte in Freiburg, möglich ist? Welche Rolle wird diese Möglichkeit bei den Überlegungen in Ihrem Hause spielen?
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, ich habe soeben geantwortet, daß es keine detaillierten Kostenuntersuchungen gibt. Ich habe aber gesagt, daß es grobe Schätzungen gibt. Wenn Sie diese Zahlen im einzelnen interessieren, bin ich gern bereit, sie Ihnen schriftlich oder mündlich mitzuteilen. Sie dürfen sicher sein, daß wir alle Aspekte berücksichtigen.
Aber ich habe soeben dargestellt, daß es nicht ausschließlich um Kostenfragen geht, sondern beispielsweise auch um die Frage, was wir im Rahmen der deutschen Einheit tun; denn auch die neuen Bundesländer müssen gerecht bedacht werden. Es geht auch um soziale Gesichtspunkte. Dies alles müssen wir miteinander verbinden. Ich bin sicher, daß wir zu einer guten Lösung kommen werden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212012900
Werden zu dieser Frage weitere Zusatzfragen gestellt? — Das ist nicht der Fall.



Vizepräsident Hans Klein
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die Frage 33 soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 34 auf, die unsere Kollegin Doris Odendahl gestellt hat:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Zahl der eheähnlichen Lebensgemeinschaften, auch mit gemeinsamen Kindern, ständig zunimmt, und welche Schlußfolgerungen zieht sie daraus im Hinblick auf die Gleichbehandlung von verheirateten und nicht-verheirateten wehrpflichtigen Familienvätern, deren Einberufung zum Wehrdienst noch aussteht bzw. nicht unmittelbar nach der Musterung erfolgt ist?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Odendahl, ich antworte wie folgt:
Die bestehenden Einberufungsanforderungen sehen unabhängig von der Entwicklung der Zahl der eheähnlichen Lebensgemeinschaften die Nichtheranziehung von verheirateten Vätern und alleinerziehenden Vätern mit Sorgerecht vor. Eine Ausdehnung dieser Regelung, die als Anordnung zur Ausübung des Einberufungsermessens unter dem Vorbehalt der anderweitig möglichen Deckung des Bedarfs an Grundwehrdienstleistenden besteht, ist derzeit nicht beabsichtigt. Bei bestehenden Härtefällen kann mit einer befristeten Zurückstellung geholfen werden.
Eine Ausweitung der Nichtheranziehungsregelung für Väter könnte deshalb allenfalls im Rahmen einer gesetzlichen Neuregelung des Sorgerechts für Eltern in nichtehelicher Lebensgemeinschaft in Betracht kommen.
Bei der derzeitigen Rechtslage ist es nicht vertretbar, verheiratete Väter und Väter nichtehelicher Kinder ohne Sorgerecht hinsichtlich der Nichteinberufung zum Grundwehrdienst administrativ gleich zu behandeln. Auf keinen Fall kann es zulässig sein, eine das Sorgerecht präjudizierende Entscheidung durch Änderung der Nichtheranziehungsregelung für Wehrpflichtige zu treffen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212013000
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1212013100
Herr Staatssekretär, können Sie Angaben darüber machen, wie viele Wehrpflichtige in nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben und wie viele dies als Begründung gegen eine Einberufung bereits geltend gemacht haben?

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht möglich!)

Bernd Wilz, Pari. Staatssekretär: Frau Kollegin, es liegen teilweise Zahlen vor. Ich betone: teilweise. Ich möchte Ihnen hier aber keine falschen Zahlen nennen. Deshalb würde ich es, wenn Sie detaillierte Zahlenangaben hören wollen, vorziehen, sie Ihnen schriftlich zuzuleiten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212013200
Frau Kollegin, wollen Sie eine zweite Zusatzfrage stellen? — Das ist nicht der Fall.
Bitte, Herr Kollege Hornung.

Siegfried Hornung (CDU):
Rede ID: ID1212013300
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß es überhaupt nicht
möglich ist, nachzuweisen, wie viele Familien nichtehelich zusammenleben, die Kinder haben, da es darüber keine Dokumentation gibt?
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dem Grundsatz nach kann ich dies bestätigen. Allerdings gibt es natürlich bei den Kreiswehrersatzämtern bestimmte Einlassungen, und nur aus diesen Einlassungen kann ich Erhebungszahlen vorlegen, wenn dies gewünscht ist.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212013400
Keine weiteren Zusatzfragen dazu.
Ich rufe die Frage 35 der Kollegin Doris Odendahl auf:
Haben die Kreiswehrersatzämter für solche Lebensgemeinschaften entsprechende Richtlinien, und auf welche Weise will die Bundesregierung in Zukunft gewährleisten, daß die Kreiswehrersatzämter solche bezüglich einer flexiblen Einberufung von wehrpflichtigen Vätern — ob verheiratet oder unverheiratet — so nutzen, daß es zu einer bundesweiten Gleichbehandlung kommt?
Ich bitte den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär um die Beantwortung.
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich antworte wie folgt:
Solange es nicht zu einer Neuregelung des Sorgerechts kommt, verfahren die Wehrersatzbehörden bundeseinheitlich nach der Nichtheranziehungsregelung für verheiratete Väter und alleinerziehende Väter mit Sorgerecht, die auch im Bereich des Zivildienstes für anerkannte Kriegsdienstverweigerer Anwendung findet. Väter, die nicht verheiratet sind bzw. nicht über das Sorgerecht für das Kind verfügen, werden wie die übrigen Wehrpflichtigen zum Grundwehrdienst herangezogen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212013500
Eine Zusatzfrage?

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1212013600
Herr Staatssekretär, können Sie mir Angaben darüber machen, wie bei Lebensgemeinschaften mit gemeinsamem Sorgerecht verfahren wird?
Bernd Wilz, Staatssekretär: Für uns ist zunächst entscheidend, daß eindeutig feststeht, daß der nichteheliche Partner das Sorgerecht hat. Wenn eindeutig ist, daß er das Sorgerecht hat, ist das für uns das entscheidende Kriterium.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212013700
Eine weitere Zusatzfrage?

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1212013800
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß es in dieser Hinsicht Härtefallregelungen gibt, und Auskunft geben, wie sie gehandhabt werden?
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe bei der Beantwortung der Frage 34 darauf hingewiesen, daß wir bei nichtehelichen Vätern ohne Sorgerecht in Härtefällen nicht freistellen, sondern zurückstellen können. Dies hängt wiederum davon ab — das ist administrativ so geregelt —, wie die Bedarfsdeckung der Bundeswehr sicherzustellen ist. Hier muß man also die Fragen gegeneinander abwägen. Sie dürfen aber sicher sein, daß wir uns dort, wo echte



Parl. Staatssekretär Bernd Wilz
Härtefälle vorlagen, in der Vergangenheit großzügig verhalten haben.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212013900
Bitte, Herr Kollege Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1212014000
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß angesichts des Problems, Wehrgerechtigkeit für die Bundeswehr in der Zukunft einzuhalten, unter Umständen in Zukunft eine großzügigere Regelung dieses Problems möglich sein sollte, weil es verglichen mit den tatsächlich benötigten Wehrpflichtigen, zu viele Wehrpflichtige geben wird?
Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, dies kann ich jedenfalls aus administrativer Sicht — ich rede nicht über mögliche gesetzliche Neuregelungen — nicht bestätigen. Die Sorge des Bundesministeriums der Verteidigung ist nicht, daß wir zu viele junge Männer hätten, sondern ganz im Gegenteil, daß wir zu wenige junge Männer haben.
Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, benötigen wir ab 1995 pro Jahr 155 000 junge Männer. Wir haben aber weit weniger junge Männer zur Verfügung, als wir in den alten Bundesländern in den 80er Jahren hatten. Damals standen uns im Jahresschnitt 480 000 zur Verfügung. In der Zukunft werden es nur rund 370 000 sein. Davon fallen etwa 20 bis 23 % aus, weil sie nicht wehrtauglich sind. Es gibt dann weitere gesetzliche Regelungen, so daß hier ein weiterer Ausfall auftritt. Von den verbleibenden 70 % geht ,etwa die Hälfte zur Bundeswehr, und die andere Hälfte geht zu Zivildienst, Polizei, BGS, Freiwilliger Feuerwehr und anderen Einrichtungen.
Wenn Sie dies alles hochrechnen, werden Sie mit mir der Auffassung sein, daß wir eher zu wenige als zu viele junge Männer haben.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212014100
Kollege Karl Stockhausen.

Karl Stockhausen (CDU):
Rede ID: ID1212014200
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß der betroffene Personenkreis das Problem am elegantesten lösen kann, indem er zum Standesamt geht?

(Heiterkeit bei der SPD)

Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockhausen, es ist richtig, daß derjenige von den jungen Männern, der das in seinem Sinne lösen will, heiraten und sich Kinder anschaffen muß. Das ist eine elegante, vom Gesetzgeber zugelassene Lösung.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212014300
Weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich bei Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Rainer Jork auf:
Was ist aus den „Wirtschaftspatenten" geworden, die vom ehemaligen Patentamt der DDR erteilt worden sind?
Ich bitte Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, um die Beantwortung.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1212014400
Herr Kollege Jork, die Wirtschaftspatente wurden zunächst nach den besonderen Bestimmungen des Einigungsvertrags zum gewerblichen Rechtsschutz mit ihren bisherigen Wirkungen auf ihrem bisherigen Schutzgebiet aufrechterhalten.
Wie Sie wissen, ist am 1. Mai dieses Jahres das Gesetz über die Erstreckung gewerblicher Schutzrechte in Kraft getreten. Seitdem gilt für alle gewerblichen Schutzrechte in Deutschland im wesentlichen einheitliches Recht. Die Schutzrechte gelten jetzt in ganz Deutschland.
Alle Wirtschaftspatente, also auch diejenigen, die, was nach altem DDR-Recht ja möglich war, ohne Prüfung erteilt wurden, gelten seit Inkrafttreten dieses Gesetzes nach § 7 Erstreckungsgesetz als Patente, für die eine Lizenzbereitschaftserklärung abgegeben wurde. Das bedeutet, daß jedermann die Erfindungen gegen angemessenes Geld benutzen kann.
Diese Konstruktion wurde gewählt, weil das Patent mit Lizenzbereitschaftserklärung nach § 23 des Patentgesetzes im Ergebnis die gleichen Wirkungen wie die hat, die das Wirtschaftspatent nach der Änderung des DDR-Patentgesetzes im Juli 1990 hatte.
Das Erstreckungsgesetz gibt dem Inhaber eines Wirtschaftspatents aber auch die Möglichkeit, durch den Widerruf der Lizenzbereitschaftserklärung sein Recht zu einem Ausschließungsrecht mit vollen Verbotsansprüchen zu machen, indem er die vom Gesetz fingierte Lizenzbereitschaftserklärung gegenüber dem Deutschen Patentamt widerruft. Das kann er allerdings nur, wenn es sich um ein geprüftes Patent handelt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212014500
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jork.

Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1212014600
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß der Geltungsbereich von der damaligen DDR auf die Bundesrepublik übertragen worden ist auch für den Fall, daß das damals dort nicht beantragt worden ist? Betrifft das auch die Gültigkeitsdauer der damaligen Wirtschaftspatente? Das ist ja terminlich befristet.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Grundsätzlich ist es so, daß mit dem Erstreckungsgesetz die Schutzrechte auf ganz Deutschland ausgedehnt werden. Ich habe eben darauf hingewiesen, daß die Frage geklärt ist, ob bei Aufrechterhaltung der Lizenzbereitschaftserklärung eine Geltung des Wirtschaftspatents im alten Umfang erfolgt. Der Betreffende kann dadurch, daß er diese Erklärung zurückzieht, wenn es ein geprüftes Patent ist, die Wirkung herstellen, die für das Wirtschaftspatent insgesamt nach dem Patentgesetz vorgesehen ist.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212014700
Gibt es weitere Zusatzfragen? — Nein. Besteht aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen der Wunsch nach einer Zusatzfrage? — Das ist nicht der Fall.



Vizepräsident Hans Klein
Dann rufe ich die Frage 2 des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker auf:
Wie hoch ist die Zahl der seit dem 1. Januar 1990 (jährlich) eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat gemäß §§ 86, 86a StGB (differenziert nach Bundesländern)?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hacker, nach den Angaben der Landesjustizverwaltungen, auf die wir angewiesen sind, wurden in den alten Bundesländern 1990 insgesamt 944, 1991 insgesamt 996 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach den §§ 86 und 86a StGB eingeleitet. Aus den neuen Bundesländern liegen uns noch keine Angaben vor.
Sie haben nach der regionalen Differenzierung gefragt. Ich könnte Ihnen im einzelnen die Zahlen für die Bundesländer vortragen. Ich darf vielleicht sagen: Die niedrigste Zahl hat 1990 Schleswig-Holstein mit 14 Verfahren, die höchste hat Berlin mit 268 Verfahren. 1991 hat wiederum Schleswig-Holstein die niedrigste Zahl mit zwölf Verfahren und Berlin die höchste Zahl mit 300 Verfahren. Die übrigen verteilen sich auf die anderen Länder. Wenn Sie einverstanden sind, reiche ich Ihnen die weitere regionale Aufschlüsselung nach.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212014800
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hacker.

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1212014900
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund der bildlichen Darstellung von Nazisymbolen und nazistischem Gedankengut in den Medien, vor allem in den neuen Ländern, möchte ich Sie fragen: Wie bewerten Sie die Wirkung der zur Ermittlung von Straftätern durchgeführten Maßnahmen? Ich beziehe das insbesondere auf die Fälle, die offenkundig wurden.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, soweit wir dies nach den Angaben der Landesjustizverwaltungen feststellen können, wird dort versucht, konsequent und entschieden gegen diese schändlichen Taten vorzugehen. Im übrigen wissen Sie, daß es Überlegungen gibt, auf die Verwendung von verwandten und ähnlichen Zeichen unter Umständen auch mit gesetzgeberischen Erweiterungen zu antworten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212015000
Kollege Lüder, eine Zusatzfrage.

Wolfgang Lüder (FDP):
Rede ID: ID1212015100
Herr Staatssekretär, Sie sagen, daß Sie noch keine Angaben aus den neuen Bundesländern haben. Dafür haben wir alle sicherlich Verständnis. Meine Frage ist: Sind Sie im Hinblick auf die aktuelle politische und justizpolitische Diskussion — „Panorama"-Sendung und anderes — bereit, durch Ihr Haus mittels Telefon oder Fax zusätzlich zu den vorliegenden Statistiken aktuelle Daten aus den neuen Bundesländern abzufragen?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir sind bereits dabei. Die besorgniserregende und beschämende Zunahme dieser Vorfälle hat bereits dazu geführt, daß es entsprechende Erörterungen mit den Innen- und Justizministern gegeben hat. Es wurden auch Gespräche mit den neuen Ländern darüber geführt, wie künftig die Meldungen über diese Delikte erfolgen werden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212015200
Herr Kollege de With, bitte.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212015300
Herr Staatssekretär, können Sie Zeitungsmeldungen bestätigen, nach denen es in diesem Jahr, d. h. bis September 1992, einen sehr krassen Anstieg der Monatszahlen gegeben hat? Ist das bei knapper Durchsicht möglich?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege de With, leider trifft dies zu. Auch wenn wir keine unmittelbaren Zahlen aus den Landesjustizverwaltungen zu den Ermittlungsverfahren oder gar Verurteilungen aus dem Jahr 1992 haben, wissen wir aus Einschätzungen, aus Gesprächen der Innen- und Justizminister, auch aus einer Einschätzung des Bundeskriminalamtes, daß diese Zahlen in erschreckendem Maße zugenommen haben. Wir alle haben Fernsehbilder vor Augen, die deutlich machen, daß hier ein entschlossenes und entschiedenes Handeln der staatlichen Organe erforderlich ist.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212015400
Kollege Johannes Singer, bitte.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1212015500
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich, daß entgegen den Auskünften der Landesjustizverwaltungen den Medien kaum entnommen werden kann, daß z. B. Ermittlungsverfahren gerade wegen Verwendung des Hitlergrußes in größerer Zahl anhängig sind?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das kann ich mir so auch nicht erklären. Ich verfolge nicht die gesamte Berichterstattung, kann also über sie nicht Auskunft geben. Nach dem aber, was uns an Berichten für 1990 und 1991 vorliegt — ich habe im Hinblick auf die Ermittlungsverfahren soeben die Zahlen genannt —, kann man ja nicht sagen, daß diese Delikte nicht entschlossen verfolgt würden. Bereits im Oktober sind diese Fragen in der Innen- und Justizministerkonferenz der Länder und des Bundes erörtert worden. Man hat diese Probleme sehr wohl gesehen und deshalb auch entsprechende Maßnahmen sowohl zur Aufklärung als auch zur Verfolgung vereinbart. Beispielsweise sind im Zusammenhang mit den extremistischen Gewalttaten wohl in allen — so glaube ich sagen zu können — Bundesländern generell entweder Sonderdezernate oder Sondereinheiten bei den Staatsanwaltschaften geschaffen oder Spezialbeauftragte eingesetzt worden, um entschlossen vorgehen zu können.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212015600
Herr Kollege Burkhard Hirsch, bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1212015700
Herr Staatssekretär, da die Zahl der Verurteilungen nichts über die Verfolgungsintensität aussagt, möchte ich Sie fragen, ob oder wann Sie uns Angaben darüber machen können, in wie vielen Fällen Ermittlungen bei der Polizei anhängig sind, in wie vielen Fällen Verfahren vor



Dr. Burkhard Hirsch
Gericht anhängig sind und wie die durchschnittliche Dauer der Gerichtsverfahren in diesen eklatanten Fällen, in denen die Täter ja in flagranti ertappt werden, ist?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, es gibt in den alten Ländern natürlich ein eingespieltes Meldeverfahren für Staatsschutzdelikte. Die Ergebnisse gehen bisher immer ungefähr ein halbes Jahr später ein, nachdem die Statistiken vollständig zusammengestellt sind. Im Hinblick auf die Verurteilungen — verständlicherweise differieren die Zahlen hier sehr; die nächste Frage richtet sich auf diesen Komplex —, ist die Situation ähnlich.
Ich gehe davon aus, daß wir nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Gesprächen über mögliche gesetzgeberische Maßnahmen in bezug auf §§ 86 und 86a StGB eine aktuelle Übersicht über die Strafverfahren und auch ein wenig über die Gegenstände benötigen. Denn wenn man Überlegungen dazu anstellt, beispielsweise den Tatbestand auf die Verwendung ähnlicher Symbole von verfassungsfeindlichen oder verbotenen Organisationen zu erweitern, setzt dies entsprechende Kenntnisse voraus. Das wird bei den weiteren Gesprächen eine erhebliche Rolle spielen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212015800
Herr Kollege Konrad Weiß, bitte.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212015900
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie die Tatsache, daß in jüngster Zeit Straftaten mit tödlicher Folge, die von linksradikalen Terroristen verübt worden sind, mit lebenslangen Freiheitsstrafen geahndet wurden, daß aber gleichgeartete Straftaten von rechtsradikalen Straftätern, z. B. in Eberswalde, mit geringfügigen Jugendstrafen geahndet wurden?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann jetzt beim besten Willen nicht ein einzelnes Strafurteil kommentieren. Neben der generalpräventiven Wirkung von Straftaten ist immer auch der täterbezogene, der individuelle Schuldgehalt zu berücksichtigen. Wenn beispielsweise das Jugendrecht anzuwenden ist, ergibt sich natürlich ein anderes Strafmaß.
Ich bitte Sie um Verständnis, daß ich hier nicht ein Urteil, das ich, wie ich Ihnen gestehen muß, auch nicht kenne, beurteilen kann. Aber eines ist klar: Es kann bei der Strafzumessung überhaupt keinen Unterschied aus Gründen der politischen Motivation geben, also danach, ob solche Gewalttaten von links oder rechts begangen werden. Sie erfordern dasselbe entschlossene Handeln der staatlichen Organe, auch der Strafverfolgungsbehörden..

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212016000
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit den Zusatzfragen — abgesehen davon, Herr Kollege Weiß, daß ein bißchen zweifelhaft war, ob noch ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang zu der Frage besteht — die nächste Frage weitgehend aufgearbeitet. Da Ihnen allen die Pläne vorliegen, wäre ich sehr dankbar, wenn Sie sich ein bißchen enger an die Frage hielten.
Ich rufe die Frage 3 auf, die ebenfalls der Kollege Hans-Joachim Hacker gestellt hat:
Wie hoch ist die Zahl der Verurteilungen wegen eines Verstoßes gegen die §§ 86, 86a StGB (differenziert nach Bundesländern) seit 1. Januar 1990 (jährlich)?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hacker, bei dieser Frage geht es um die Verurteilungen. Hier müssen wir uns auch auf die Angaben der Landesjustizverwaltungen stützen. Nach Berichten der alten Bundesländer wurden 1990 insgesamt 160 Personen, 1991 — ohne Berlin — insgesamt 77 Personen wegen einer Straftat nach § 86 und § 86a StGB verurteilt. Wenn Sie einverstanden sind, reiche ich Ihnen die Aufschlüsselung nach Ländern nach.
In Berlin, wo es die meisten Ermittlungsverfahren gab, ist natürlich auch die Zahl der Verurteilungen am höchsten. In einigen Ländern hat es keine Verurteilungen gegeben; dort gab es auch nur wenige Ermittlungsverfahren.

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1212016100
Herr Staatssekretär, ist Ihnen das Verhältnis zwischen eingeleiteten Ermittlungsverfahren und abgeschlossenen Strafverfahren bekannt? Wenn ja, wie bewerten Sie das Verhältnis zwischen diesen beiden Zahlen?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie die eben genannte Zahl der Ermittlungsverfahren mit der eben genannten Zahl der Verurteilungen ins Verhältnis setzen, ist in der Tat eine große Diskrepanz auffällig. Den Grund der Einstellungen kennen wir im Detail allerdings nicht. Ein wichtiger Grund könnte z. B. die Einstellung des Verfahrens wegen Nichtermittlung des Täters sein, beispielsweise bei Schmierereien. Es gibt zwar ein Ermittlungsverfahren, aber wenn kein Täter ermittelt werden kann, muß das Verfahren eingestellt werden. Ein Grund könnte auch sein, daß es sich um sehr junge Täter handelt, bei denen man erzieherische Maßnahmen ergreift und deshalb die Einstellung des Verfahrens erfolgt.
Ich muß aber sagen: Das bewegt sich im Bereich der Spekulation, weil wir keine genauen Unterlagen darüber haben, aus welchen Gründen die Einstellungen erfolgten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212016200
Sie wollen keine weitere Zwischenfrage stellen, Herr Kollege Hacker. Auch aus dem Kreis der anderen Kolleginnen und Kollegen wird keine Zwischenfrage gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 4 auf, die der Kollege Hermann Bachmaier gestellt hat.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1212016300
Herr Präsident, hier scheint eine Verwechslung vorzuliegen. Ich hielte es für sinnvoll, die Frage 5 vorzuziehen, weil die Logik diese Behandlung geradezu aufdrängt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212016400
Dann rufe ich zunächst die Frage 5 des Abgeordneten Hermann Bachmaier auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Strafzumessungspraxis in Verfahren wegen §§ 86, 86a StGB vor?



Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bachmaier, genaue Erkenntnisse über die Strafzumessungspraxis bei den §§ 86 und 86a StGB liegen uns nicht vor. Aus den Ergebnissen der Strafverfolgungsstatistik — nur aus dieser Statistik könnten wir die Zahlen entnehmen, wo allerdings die Verurteilungen nicht getrennt nach § 86 und § 86a StGB ausgewiesen sind; vielmehr werden die Verurteilungen nach den §§ 84 bis 90b StGB zusammengefaßt — schließen wir, daß jedenfalls bis zum Jahre 1990 in dieser Straftatengruppe vor allem Geldstrafen verhängt wurden. Das war 1990 bei 156 von insgesamt 172 Verurteilten der Fall. Die Freiheitsstrafen wurden meistens zur Bewährung ausgesetzt.
Dies sind Angaben aus der Statistik des Jahres 1990. Wir müssen diese Zahlen natürlich im Hinblick auf die Überlegungen, die Herr Kollege Hirsch und Herr Kollege Lüder vorhin angesprochen haben, aktualisieren.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212016500
Zusatzfrage Herr Kollege Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1212016600
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, resultieren Ihre Erkenntnisse ausschließlich aus der offiziellen Verurteilungsstatistik. Daraus möchte ich die Frage herleiten: Haben Sie Maßnahmen eingeleitet, Erkenntnisse über die jetzige Strafzumessungspraxis zu erhalten? Wenn ja, bis zu welchem Zeitpunkt liegen Ihnen repräsentative Erkenntnisse vor?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bachmaier, ich kann Ihnen beim besten Willen nicht präzise sagen, ob es darüber in absehbarer Zeit präzisere Aufschlüsselungen geben wird. Selbstverständlich wird über die Frage der Strafzumessung im Zusammenhang mit den Gesprächen mit den Landesjustizverwaltungen darüber, inwieweit §§ 86 und 86a StGB so gestaltet werden können, daß sie besser greifen, diskutiert. Wenn wir darangehen, gesetzgeberische Veränderungen vorzunehmen, stellt sich auch die Frage: Ist die Strafzumessung angemessen?
Insofern gehe ich davon aus, daß wir in den Gesprächen mit den Landesjustizverwaltungen detailliertere Erkenntnisse bekommen. Ich kann allerdings noch nicht sagen, ob die Landesjustizverwaltungen dazu in der Lage sind.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212016700
Zweite Zusatzfrage.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1212016800
Hält es die Bundesregierung nicht für geboten, möglichst schnell einen aktuellen Überblick über sämtliche Erkenntnisse zu erlangen? Das, was für 1990 und die Zeit davor vorliegt, gibt ja wohl nur in geringem Umfang Aufschluß über das, was wir an Antworten und Daten über die jetzigen Vorgänge benötigen.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege Bachmaier. Deshalb, so denke ich, wird es besonders aufschlußreich sein zu erfahren, was in dieser Phase, in der erkennbar eine besorgniserregende Zunahme dieser Taten zu beobachten ist, geschehen ist. Es entzieht sich meiner Kenntnis, inwieweit die Landesjustizverwaltungen in der Lage
wären und welcher Aufwand erforderlich wäre, um beispielsweise die Statistiken der Jahre 1990 und 1991 in diesem Sinne aufzuschlüsseln. Ich weiß nicht, ob die Urteile und die Ermittlungsakten neu herangezogen werden müssen, um das im einzelnen zu ermitteln.
Ich teile Ihre Auffassung, daß wir insbesondere im Hinblick auf etwaige gesetzgeberische Überlegungen im Gespräch mit den Landesjustizverwaltungen ermitteln müssen, inwieweit für diesen Zeitraum des besorgniserregenden Zuwachses entsprechende differenzierte Erkenntnisse verfügbar gemacht werden könnten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212016900
Nächste Frage, Herr Kollege de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212017000
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß auf Grund der Medienberichte in der Öffentlichkeit der Eindruck herrschen muß, hier werde am unteren Strafrahmen verfahren, obwohl beide Straftatbestände Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsehen, insbesondere mit Rücksicht darauf, daß es eine deutliche Zunahme der Zahl dieser Delikte gibt und die Intensität offenkundig wächst?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege de With, ich teile Ihre Sorge, daß solche Berichterstattungen ein bißchen den Eindruck nähren könnten, es handele sich um Delikte nicht besonders schwerer Art. Sie weisen zu Recht auf die Strafandrohung bei diesen Straftatbeständen hin.
Ich gehe, nebenbei gesagt, davon aus, daß die Fragen aus Ihrer Fraktion mit dazu beitragen sollen, hier ein stärkeres öffentliches Bewußtsein herbeizuführen. Ich denke, über die Frage der Strafzumessung muß im Rahmen etwaiger gesetzgeberischer Überlegungen auch in diesem Lichte nachgedacht werden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212017100
Zusatzfrage, Herr Kollege Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1212017200
Herr Staatssekretär, wenn wir leider feststellen müssen, wie gering die exakten datenmäßigen Kenntnisse über die in Rede stehenden Tatbestände sind, wenn wir weiterhin sehen, über welchen — entschuldigen Sie den Ausdruck — Mist statistische Erhebungen angestellt werden, z. B. über die Produktion von Obst in Streulagen und ähnliche Heldentaten: Muß man aus dieser Differenz nicht schließen, daß es bei den beteiligten Verwaltungen vielleicht an Problembewußtsein mangelt?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, darf ich selbstkritisch sagen: vielleicht auch von uns gemeinsam. Ich glaube, bisher hat niemand die Notwendigkeit gesehen, die Statistik über die Verurteilungen bei Delikten im Rahmen der §§ 84 bis 90 b StGB weiter zu differenzieren.
Ich denke, wir können auch aus den vorhandenen Unterlagen eines ablesen: Es hat schon 1990 und 1991 eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den §§ 86 und 86 a StGB gegeben. Es gab eine bemerkenswerte Anzahl von Verurteilun-



Parl. Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner
gen. Nach allen Beobachtungen gab es in der letzten Zeit eine Zunahme der Zahl dieser Tatbestände.
Sie brauchen vielleicht in der Statistik gar nicht auf Bereiche außerhalb der Justiz zurückzugreifen. Vielleicht stellt sich die Frage, ob bei vielem, was wir gemeinsam für erforderlich halten an statistischen Maßnahmen innerhalb der Justiz — wenn ich gerade an die neuen Länder denke, die eigentlich bei den Aufbauarbeiten für ihre Justiz ganz andere Aufgaben haben —, auch die Vorsicht gegenüber solchen neuen Statistik- und Aufzeichnungspflichten der Grund dafür ist, daß wir jetzt noch nicht in hinreichendem Maße differenzierte Erkenntnisse haben, die wir nun allerdings brauchen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212017300
Herr Kollege Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1212017400
Herr Staatssekretär, ich habe Anfang der achtziger Jahre die Sinus-Studie zu rechtsradikalen Meinungen in der Bundesrepublik veröffentlicht. Ist nicht die Armseligkeit der Kenntnisse der Bundesregierung über Hintergründe und Motive dieser Straftäter ein Zeichen dafür, daß anscheinend im letzten Jahrzehnt die Bundesregierung mit diesem enormen Material, was nur statistisch wahrgenommen worden ist, verharmlosend, vielleicht auch fahrlässig umgegangen ist?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Duve. Erstens ist das Material nicht armselig. Vielmehr ist das, was die Landesjustizverwaltungen — und nur diese — zusammentragen können — der Bund kann es überhaupt nicht —, durchaus aussagekräftig für das, was wir gemeinsam an Handlungsbedarf sehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Zweitens hat die Bundesregierung bereits entsprechende Maßnahmen ergriffen. Ich erinnere an das Aktionsprogramm des Bundesministeriums für Frauen und Jugend. Ich erinnere an die wissenschaftlichen Untersuchungen, die hierzu in Auftrag gegeben worden sind. Ich würde gern bei den Antworten auf die nachfolgenden Fragen dazu noch Näheres sagen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212017500
Eine Zusatzfrage, Professor Meyer.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1212017600
Herr Staatssekretär, nachdem Sie auf die Frage geantwortet haben, daß vor allem Geldstrafen verhängt worden sind, möchte ich Sie fragen, ob nach Ihrer Kenntnis überhaupt nicht — oder gegebenenfalls in welchem Maße — davon Gebrauch gemacht worden ist, Nebenfolgen auszusprechen, und zwar die Nebenfolge der Einziehung nach § 92b und vor allem — aus meiner Sicht besonders interessant — die Nebenfolge der Aberkennung des aktiven oder passiven Wahlrechts nach § 92a StGB.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meyer, ich muß Ihnen sagen, daß wir auch dazu keine detaillierten Erkenntnisse vorliegen haben. Das Einziehen halte ich persönlich allerdings für selbstverständlich. Ihre Frage wird uns veranlassen, hier noch einmal nachzufragen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß das unterbleibt.
Was die Anordnung von Nebenfolgen angeht, ist es natürlich so, daß dies im Rahmen der individuell bezogenen Zumessung berücksichtigt werden muß. Ich denke, wir sind uns darin einig, daß hier mit der vollen Härte des Gesetzes zugegriffen werden muß.
Allerdings möchte ich mir doch die Anmerkung erlauben, daß im Hinblick auf die Folgen, die Sie angesprochen haben, berücksichtigt werden sollte, daß es oftmals sehr, sehr junge Straftäter sind, wie auch noch aus Antworten auf nachfolgende Fragen hervorgehen wird. Gerade hier, denke ich, ist es schon erforderlich, daß eine entsprechende individuelle Strafzumessung oder die Verhängung auch von Nebenfolgen erfolgen sollte.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212017700
Herr Kollege Konrad Weiß.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212017800
Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung offenbar Schwierigkeiten hat, aktuelle Zahlen und Daten zu erfassen, wäre es nicht eine Möglichkeit, regionale Medien, regionale Zeitungen systematisch auszuwerten und auf diese Weise sehr schnell aktuelles Zahlenmaterial zu bekommen?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Weiß. Ich glaube, daß wir da keine zuverlässige Informationsquelle hätten.
Es ist schon so, daß die einzige zuverlässige Informationsquelle die Zusammenstellung dieser Berichte durch die Landesjustizverwaltungen ist. Das ist die einzige Stelle, die das präzise machen kann. Man muß ein gewisses Verständnis dafür haben — ich nehme noch einmal die neuen Länder, die bisher noch nicht gemeldet haben; die alten Länder tun dies routinemäßig halbjährlich —, daß die neuen Länder nebenbei wirklich auch noch ein paar andere Aufgaben haben, als in vielen Bereichen statistische Pflichten zu erfüllen.
Weil wir das aber hier für besonders wichtig halten, haben wir entsprechende Gespräche aufgenommen, bis ins Detail auch entsprechende Meldebögen besprochen, um detaillierte und differenzierte Angaben zu erhalten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212017900
Wir kommen jetzt zur Frage 4 des Abgeordneten Bachmaier.
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Herkunft, Alter und Motivation der Verdächtigen/Verurteilten?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Es wird Sie nicht mehr überraschen, daß ich Ihnen gestehen muß, daß bei den Landesjustizverwaltungen derzeit auch keine differenzierten und detaillierten Erkenntnisse im Hinblick auf Herkunft und Alter vorliegen.
Allerdings kann ich Ihnen in einer Hinsicht vielleicht doch etwas sagen, was auskunftsträchtig ist. Im bisherigen Verlauf dieses Jahres, 1992, wurden im Bundeskriminalamt insgesamt 2 094 Tatvertdächtige wegen Begehens fremdenfeindlicher Straftaten gemeldet. Das muß keine Identität sein, aber wir wissen, daß es hier Zusammenhänge gibt.
Bei diesen 2 094 Tatverdächtigen stellt sich heraus, daß die ganz überwiegende Zahl unter 20 Jahren ist.



Parl. Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner
Es sind also vornehmlich jüngere Täter. Eine genaue Aufstellung nach Alter und Geschlecht im Hinblick auf diese Tatverdächtigen könnten wir Ihnen gerne nachreichen. Es sind von diesen 2 094 Tatverdächtigen — wohlgemerkt, wegen Begehens fremdenfeindlicher Straftaten — im Alter bis zu 17 Jahren allein 651, im Alter von 18 bis 20 Jahren über 780. Hier zeigt sich, daß es eben vor allem sehr junge Straftäter sind, die in diesem Bereich auffällig sind. Aber wir haben speziell zu den Straftaten gegen die §§ 86 und 86a keine solche Statistik.
Im Hinblick auf die Motivation solcher Straftaten — Verstöße gegen die §§ 86 und 86a — muß man ja, zumindest teilweise, den Zusammenhang mit rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Haltungen und Handlungen sehen, ja man muß ihn wohl sogar überwiegend sehen. Zur Erklärung dieser rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen motivierten Straftaten gibt es natürlich eine Fülle von psychischen, sozialen, wirtschaftlichen und auch politischen Faktoren, die ja auch in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion bei der Ursachenforschung herangezogen werden.
Ich darf jetzt einfach nur stichwortartig ein paar dieser Faktoren nennen. Ich nenne Orientierungslosigkeit junger Menschen, Zukunftsängste, mangelnde Geborgenheit, wirtschaftliche Notlagen oder Befürchtungen über solche Notlagen, in den neuen Ländern sicher auch der plötzliche Wegfall einer staatlichen Lenkung des Lebens und des Lebensweges durch das Regime oder die fehlende Gelegenheit, Toleranz und friedliches Zusammenleben als zentrale demokratische Werte zu lernen.
Auf der politischen Ebene sehen wir gemeinsam mit Sorge das Erstarken rechtsextremer Parteien und Gruppierungen.
Man könnte sicher noch eine Menge an Motivationen nennen. Ich denke, daß diese Stichworte in diesem Zusammenhang genügen. Näheren Aufschluß über den sozialbiographischen Hintergrund — das ist, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Kollege Bachmaier, Ihre berechtigte Anfrage — und die Hintergründe für rechtsextremistische Haltungen und Handlungen sollen die Untersuchungen erbringen, die von der Bundesministerin für Frauen und Jugend in Auftrag gegeben sind.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212018000
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1212018100
Ich habe rein akustisch eine Ergänzung: Bis wann liegen diese Erkenntnisse, von denen Sie gerade gesprochen haben, vor?
Ich gehe davon aus, daß mir das nicht als Frage angerechnet wird. Ich habe das akustisch nicht genau gehört.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212018200
Und wenn, wäre es so gut gemacht, daß ich es nicht anrechnen könnte.

(Hermann Bachmaier [SPD]: Es geht um die Erkenntnisse fremdenfeindlicher Straftaten und die Untersuchungen, die die Bundesregierung dazu in Auftrag gegeben hat!)

— Da sind vor allem zwei zu nennen. Das eine ist die wissenschaftliche Begleitung des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt der Bundesministerin für Frauen und Jugend. Diese wissenschaftliche Begleitung wird uns laufend Berichte zur Verfügung stellen.
Zum zweiten geht es um eine Analyse von Strafverfahrensakten über ausländerfeindliche Ausschreitungen. Diese Untersuchung wird von Professor Eckert an der Universität Trier durchgeführt. Ich kann Ihnen nicht präzise sagen, wann diese Arbeiten abgeschlossen werden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212018300
Herr Bachmaier, jetzt erst einmal die erste Zusatzfrage.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1212018400
Welche Vorkehrungen, Herr Staatssekretär, hat — —

(Das Mikrophon funktioniert noch nicht)

— Ich weiß nicht, ob das mit dem Blinken der richtige Einstieg ist, Herr Präsident, ob man da nicht noch eine Nachbesserung vornehmen sollte, das irritiert.
Herr Staatssekretär, welche Vorkehrungen hat die Bundesregierung getroffen, um möglichst schnell Informationen über einen möglichen Wandel hinsichtlich der Gruppierungen der Täter, ihrer Herkunft, ihres Alters und ihrer Motivation zu erhalten? Denn erfahrungsgemäß hinken derartige wissenschaftliche Untersuchungen den Ereignissen zeitlich hinterher, so daß entsprechende Erkenntnisse lediglich zeitversetzt vorliegen und dann nicht selten lediglich weitgehend historischen Wert haben.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bachmaier, gerade im Hinblick darauf, daß die Beteiligung Jugendlicher besonders häufig ist, darf ich die verschiedenen Jugendstudien, die eben auch aus Ihrem Kreis schon angesprochen wurden, erwähnen und darauf hinweisen, daß diese Untersuchungen, z. B. „Aktionsprogramm gegen Gewalt" aus dem Bundesministerium für Frauen und Jugend, bereits in Auftrag gegeben sind, ebenfalls die wissenschaftliche Begleitung. Auch dieses Sondergutachten, das ich zuletzt genannt habe, ist bereits in Auftrag gegeben. Insofern reagieren wir nicht erst jetzt, sondern haben bereits auf frühere Entwicklungen Einfluß zu nehmen versucht.
Im übrigen brauchen wir ja nicht nur auf die Studien zurückzugreifen, die wir selbst in Auftrag geben. Ich erinnere — auch das ist vorhin schon erwähnt worden — an die Sinus-Studie oder die Shell-Studie. Heute lesen wir von entsprechenden Untersuchungen von Frau Noelle-Neumann.
Ich glaube, daß wir alle diese Untersuchungen aus dem wissenschaftlichen Bereich, die dort mit großer Aktualität angestellt werden, berücksichtigen sollten,



Parl. Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner
auch bei den politischen Konsequenzen, die wir zu bedenken haben.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212018500
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1212018600
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, daß das festzustellende oder nicht selten festzustellende Nichteinschreiten von Polizeibeamten möglicherweise stimulierende Wirkungen auf straftatbereite Jugendliche im Zusammenhang mit Demonstrationen und ähnlichen Erscheinungen hat?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Bachmaier, darüber liegen keine unmittelbaren Erkenntnisse vor. Aber dazu brauchen wir auch keine größeren Untersuchungen anzustellen.
Wenn man etwa sieht, daß in einer Demonstration Fahnen mit bestimmten Symbolen getragen werden, die unter die §§ 86 oder 86a fallen könnten, dann erwartet man im Rahmen des Legalitätsprinzips ein entsprechendes Einschreiten. Wenn dann aus polizeitaktischen Gründen möglicherweise einmal nicht sofort zugegriffen wird, wofür es ja Gründe geben kann, etwa in einer großen Demonstration, dann ist das sicherlich mißlich. Ich möchte aber doch sagen: Wir haben keinerlei Erkenntnisse darüber, daß das etwa generell so ist. Nach dem, was uns berichtet wird und uns an Erkenntnissen zur Verfügung steht, ist dann, wenn solche Verdachtsmomente auftreten oder entsprechend öffentlich auftreten, ein entschiedenes Handeln der Strafverfolgungsorgane sehr wohl jeweils zu verzeichnen. Ich möchte also dem Eindruck entgegentreten, als ob sozusagen häufig darüber hinweggegangen würde; ganz im Gegenteil.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212018700
Nächste Zusatzfrage. Herr Kollege de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212018800
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Bekämpfung derartiger rechtsradikaler Umtriebe nicht nur Aufgabe der Justiz- und Innenministerkonferenzen sein sollte, sondern auch der Kulturministerkonferenz, nachdem ja unsere bisherigen Erkenntnisse offenbar darauf hindeuten, daß junge Leute, die überwiegend daran beteiligt sind, erhebliche Defizite in der Analyse der Vorgänge des Dritten Reiches und natürlich dementsprechend auch erhebliche Defizite in der Verarbeitung dieser Erkenntnisse aufweisen, wobei es den Anschein hat, daß unser Aufklärungselan unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in diesem Bereich in den Schulen, aber wohl auch an den Universitäten — ich sage es ganz vorsichtig — nachgelassen hat?
Dr. Reinhard Göhner, Pari. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege de With, ich persönlich teile Ihre Einschätzung uneingeschränkt. Ich glaube, daß wir uns in der Tat im Hinblick auf diese Entwicklung nicht auf justiz-
und innenpolitische Maßnahmen beschränken dürfen. Die sind auch wichtig — das ist klar —, hier gibt es gravierende Rechtsverstöße, die gravierend geahndet werden müssen. Aber im Hinblick auf Bildung, Erziehung und Aufklärung sind, denke ich, zusätzliche Anstrengungen erforderlich.
Was der Innen- und Justizbereich hier tun kann und was aus dem Bereich der Bundesregierung — ich erwähnte es: Aktionsprogramm gegen Gewalt — getan werden kann, ist in die Wege geleitet. Aber ich halte Ihre Hinweise gerade auf die Schulen für wichtig.
Ohne jetzt wiederum der Antwort auf eine weitere Frage vorzugreifen, darf ich z. B. darauf hinweisen, daß das Bundesinnenministerium deshalb jetzt ganz aktuelle, auf Grund von Mitteln, die wir im Nachtragshaushalt bewilligt haben — entsprechende Ausgaben sind auch im nächsten Haushalt vorgesehen —, auch Aufklärungs- und Informationsmaterial speziell für die Schulen vorgesehen hat, und zwar für Schüler und Lehrer.

(Dr. Hans de With [SPD]: Vielen Dank!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212018900
Herr Kollege Konrad Weiß.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212019000
Herr Staatssekretär, ich habe eine unmittelbare Nachfrage zur Frage 4, zur Herkunft der Straftäter. — Der Herr Kanzleramtsminister hat uns vor wenigen Minuten erklärt, daß der Herr Bundeskanzler umfassend über die Straftaten von Offizieren und Bundeswehrsoldaten innerhalb dieses Komplexes rechtsradikaler Straftaten informiert ist. Sind Sie in der Lage, uns diese umfassenden Informationen weiterzugeben und die Zahlen, die von den Medien gestern genannt worden sind, zu verifizieren, insbesondere auch etwas Näheres über die Ereignisse in Kiel zu sagen, wo drei Offiziere und ein Offiziersanwärter eine Waffe aus den Beständen der Bundeswehr auf ein Asylbewerberheim geworfen haben, und gibt es Anzeichen dafür, daß in überproportionalem Maß Angehörige der ehemaligen Volksarmee oder des Staatssicherheitsdienstes an solchen Straftaten der Bundeswehr oder von Angehörigen der Bundeswehr beteiligt sind?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weiß, ich hoffe, es wird Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen sagen muß, daß ich Ihre Frage jedenfalls jetzt nicht beantworten kann. Aber natürlich ist es möglich, diese Informationen dem Bundestag zur Verfügung zu stellen. Gestern im Verteidigungsausschuß ist ja — wie ich von Vertretern aller Fraktionen gehört habe — umfassend und eingehend berichtet worden. Ich nehme an, daß diese Informationen im wesentlichen auch dem gesamten Haus zur Verfügung gestellt werden können.
Zu Ihrer zweiten Teilfrage, zur Beteiligung NVA oder ehemalige NVA, kann ich persönlich Ihnen keine Auskunft geben. Dafür bitte ich um Verständnis.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212019100
Herr Kollege Duve, Sie haben die nächste Zusatzfrage.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1212019200
Herr Staatssekretär, wir sind beeindruckt von der sorgfältigen Vorbereitung auf die Beantwortung unserer Fragen und haben uns natürlich auch über das Lob gefreut, daß Sie uns und den Kollegen für das Engagement in diesem Thema gezollt haben. Teilen Sie mit mir die Hoffnung, daß eine ähnliche Neugier an diesem Thema künftig auch



Freimut Duve
die Kollegen aus den anderen Fraktionen haben werden, die sich heute zu dieser Frage nicht zu Wort gemeldet haben?

(Zurufe — Unruhe)

Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, diese Erwartung teile ich schon deshalb, weil außerordentlich viele Kollegen aus dem Rechtsausschuß und aus dem Innenausschuß aus den anderen Fraktionen hier sind. Das ist ein ungewöhnliches Interesse, das sicherlich auch auf den Umfang dieser Fragen zurückzuführen ist.

(Unruhe — Freimut Duve [SPD]: Ich muß mich bei Herrn Hirsch entschuldigen! — Zuruf von der F.D.P.: Bei mir nicht? — Weitere Zurufe)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212019300
Das einzige, wofür sich Herr Duve zu entschuldigen hat, war der Gebrauch des Plurals.
Ich schließe die Fragestunde.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 und den Zusatzpunkt 10 auf:
19. Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Augustinowitz, Ulrich Adam, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Günther Friedrich Nolting, Jürgen Koppelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Humanitäre deutsche Hilfe durch Minenräumen in Staaten der „Dritten Welt"
— Drucksache 12/3348 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend)

Auswärtiger Ausschuß 1. mb
Verteidigungsausschuß
ZP10 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Hilfe bei der Räumung von Minen in ehemaligen Konfliktregionen als Beitrag zum Schutz von Menschen, zum Wiederaufbau von Lebensgrundlagen und zur Bekämpfung von Fluchtursachen
— Drucksache 12/3694 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend)

Auswärtiger Auschuß 1. mb
Ausschuß für Wirtschaft
Verteidigungsausschuß

(Unruhe)

— Könnten die verehrten Kollegen und Kolleginnen, die sich an der Debatte dieses Tagesordnungspunktes nicht beteiligen wollen, den Kolleginnen und Kollegen, die das wollen, die Chance geben, das zu tun?!
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Besteht Einverständnis? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Augustinowitz.

Jürgen Augustinowitz (CDU):
Rede ID: ID1212019400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland steht mit an der Spitze der Staaten, wenn es um Hilfsmaßnahmen für Gebiete geht, in denen auf Grund von Naturkatastrophen, aber auch auf Grund von menschlichem Einfluß die Bevölkerung in Not geraten ist. Das ist neben der Bundesregierung auch den zahlreichen nichtstaatlichen Organisationen zu verdanken, die auf vielfältige Weise eng mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten. Sie planen und führen effizient, schnell und mit großem Engagement Hilfsmaßnahmen in den betroffenen Gebieten durch.
Wer von uns hat nicht die Bilder im Kopf, welche Not entsteht, wenn Naturkatastrophen die Infrastruktur eines Landes zerstören, Menschen obdachlos werden und es zu Seuchen und Tod kommt. Die anderen Katastrophen werden vom Menschen verursacht. Wir kennen alle die lang anhaltenden Folgen von Kriegen, Bürgerkriegen und sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen. Sie werden uns gerade jetzt im ehemaligen Jugoslawien oder in Somalia deutlich vor Augen geführt.
Ein gravierendes Problem ist dabei durch die unsystematische Verlegung von Landminen entstanden. Diese Minen sind die Hinterlassenschaft von schrecklichen Kriegen und Bürgerkriegen. Sie töten und verstümmeln auch jetzt noch nach Beendigung der Kriege die Menschen. Unsystematische Verlegung von Minen, das bedeutet, niemand weiß genau, wo welche Minen liegen. Minenpläne gibt es nicht, so daß schon ein Fehltritt tödlich sein kann. Das bedeutet auch, daß eine Aktion zur Minenräumung schwierig ist.
Minen sind in den verschiedensten Ländern eingesetzt worden. Beispielsweise in Angola, in Somalia, in Äthiopien, in El Salvador, in Afghanistan, in Pakistan. Die Liste ist noch viel länger.
In einer Rede über die neuen Chancen und Gefahren nach dem Kalten Krieg sagte der britische Außenminister Douglas Hurd vor der UN-Vollversammlung am 22. September: „Die Förderung freier Wahlen und demokratischer Einrichtungen ist ein Schlüsselfaktor der Friedenschaffung ebenso wie die Minenräumung. Minenbeseitigung muß einen hervorragenden und herausragenden Platz in unserer Agenda einnehmen. " Soweit der britische Außenminister.
Gerade Dritte-Welt-Staaten sind betroffen, Länder also, die schon von genug anderen Strukturproblemen gebeutelt sind. Weil niemand auch nur annähernd genau weiß, wie und wo diese Minen verlegt worden sind, ist es gewiß, daß etliche Menschen immer wieder darauf treten und schwere körperliche Verletzungen davontragen oder sogar sterben. Die Rehabilitierung von Minenopfern ist langwierig und teuer, die Wiederansiedlung von Menschen wird erheblich verzögert.
In Angola, einem Land, in dem Minen verlegt worden sind und in dem das Notärztekomitee „Kap Anamur" Minen geräumt hat, haben vor einigen Wochen Wahlen stattgefunden. Nur indem man manche Wege überhaupt minenfrei und annähernd sicher begehbar machte, war es der Bevölkerung möglich, ihr Wahlrecht auszuüben.



Jürgen Augustinowitz
In Afghanistan haben sowjetische Soldaten etliche Minen von Hubschraubern abgeworfen, so daß niemand sagen kann, wann in diesem Land eine ordentliche Land- und Viehwirtschaft wieder möglich sein wird. Es gibt Bilder von Schafherden, die über ein Gebiet getrieben werden, damit es anschließend für Menschen begehbar ist.
In Kambodscha werden Minen auch jetzt noch von den Roten Khmer in ihrem Kampf benutzt, so daß ein Einsatz hier einer meist vergeblichen Arbeit gleicht, aber trotzdem angegangen werden muß.
Wie ich höre, hat auch die ägyptische Regierung ein Interesse daran, daß die britischen, italienischen und deutschen Minen in der Wüste, die dort als Folge des Afrikafeldzuges noch liegen, geräumt werden.
Die weltpolitische Lage hat sich nach der Beendigung des Ost-West-Konflikts Gott sei Dank grundlegend Bändert, so daß Hilfe leichter möglich ist. Minenräumen ist dabei sicherlich ein wichtiger Baustein.
In den letzten Monaten hat ein Minenräumeinsatz des Notärztekomitees „Kap Anamur" in Angola stattgefunden. Ein weiterer Einsatz in Kambodscha ist in der Vorbereitungsphase. Dem Komitee ist für diesen Einsatz sehr zu danken. Grausamkeiten konnten so vermindert werden. Beide Male stellte das Verteidigungsministerium Minenräumgeräte, die nichts, aber auch gar nichts mit Waffen zu tun haben, zur Verfügung. Natürlich gab es in der Anlaufphase einer solchen neuartigen Aktion einige Probleme, aber daraus können wir wichtige Schlüsse ziehen.
Es gilt, auf die aufgetretene Frage grundsätzlich zu antworten. Und genau dies bereitet der von der CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion hier vorgelegte Antrag vor. Wir nehmen hier die Vorreiterrolle ein. Der Antrag stellt fest, daß Präventivmaßnahmen besser sind als die nachträgliche Behandlung von Minenopfern. Hier sollten wir unsere Hilfe ansetzen. Die Bundeswehr hat vor allem aus alten NVA-Beständen genügend Geräte zur Verfügung, die sofort verwandt werden können. In Angola sind umgerüstete Fahrzeuge aus diesen Beständen benutzt worden.
Ich möchte hier feststellen: Es ist ein besonders anschauliches und gelungenes Beispiel für Rüstungskonversion von ehemaligen Waffen, die jetzt friedlichen Zwecken dienen. Ein Hauptansatzpunkt ist die Ausbildung von einheimischen Soldaten oder Zivilisten durch die Bundeswehr. Mit der Ausbildungshilfe steht uns hier ein sehr geeignetes Instrument zur Verfügung. Diese Ausbildung kann sowohl in Deutschland als auch in dem jeweiligen Dritte-WeltLand stattfinden.
Von besonderer Bedeutung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber auch die logistische Unterstützung der einheimischen Minenräumer durch deutsche Experten vor Ort. Im übrigen können wir hier auch wichtige Erkenntnisse für neue Einsätze dieser Art gewinnen. Ich selbst habe vor einiger Zeit die Pionierbrigade 80 in Storkow in Brandenburg besucht. Dort habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Minenräumer in einer mehrwöchigen Ausbildungsphase dort auf den Einsatz gut vorbereitet werden konnten, auch in der Bedienung der Geräte. Eine solche Ausbildungseinrichtung ist auch in Zukunft dringend notwendig. Um dauerhaft und nachhaltig helfen zu können, benötigen wir eine Koordinierungsstelle in Deutschland. Hier müßte das Verteidigungsministerium Ansprechpartner sein, aber darüber hinaus auch das BMZ und das Auswärtige Amt.
Selbstverständlich ist mit einem solchen Antrag kein Automatismus verbunden, daß nun auf Anforderung allen NGOs Geräte zur Minenräumung zur Verfügung gestellt werden. Die notwendige Kontrolle bei der Zusammenarbeit muß in jedem Fall gewahrt bleiben. Aber ich glaube, daß eine ordentliche und kurzfristige Prüfung des Vorhabens jeweils einen positiven Bescheid einschließen kann. Zu enge Fesseln sollte man sich jedenfalls nicht auferlegen, sonst haben wir viel über das Problem geredet, aber in der Sache wenig erreicht. Außerdem sind wir gut beraten, bei diesen humanitären Aktionen besonders den Sachverstand, die Erfahrung und die Organisationskapazitäten von privaten Unternehmen zu nutzen.
Ich will an dieser Stelle festhalten: Der Schutz von Leib und Leben der Minenräumer vor Ort hat Vorrang vor dem Einsatz. In vielen Ländern sind Hilfseinsätze wegen zu großer Gefahr nicht möglich. Stabile, friedliche Verhältnisse sind Voraussetzung für einen solchen Einsatz. Um gleich einen Einwand vorwegzunehmen: Das Argument, daß die Kosten für solche Einsätze nicht abzusehen sind, sticht nicht. Die Kosten für die Realisierung wären um ein Vielfaches höher, ganz abgesehen davon, daß das Kostenargument in diesem Zusammenhang ziemlich menschenverachtend wirkt.
Wir sind mit unserer Politik den Menschen verpflichtet. Mit welcher Methode letztlich die Minen geräumt werden, ist zweitrangig. Um eine großflächige Minenräumung auch auf Dauer ausführen zu können, müssen sich die einzelnen betroffenen Staaten auch selbst darum kümmern. Wir können die Staaten und Länder durch Ausbildung und Hilfe vor Ort unterstützen. Ich finde, wir stehen hier erst am Anfang. Wir sollten am gegebenen Ort das Notwendige tun, um Menschen zu helfen. Das, was wir bisher erreicht haben, ist ermutigend. Minenräumen ist dabei eine besonders kluge und notwendige Maßnahme.
Die Beseitigung von Waffen ist eine große Aufgabe der Zukunft. Wir sollten uns daran beteiligen und somit einen besonderen deutschen Beitrag der Glaubwürdigkeit leisten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212019500
Ich erteile dem Kollegen Hans Wallow das Wort.

Hans Wallow (SPD):
Rede ID: ID1212019600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Minen gehören zu den grauenhaftesten Waffen, die Kriegswaffenhersteller und Kriegsgegner heute hauptsächlich gegen die Zivilbevölkerung, gegen das humanitäre Völkerrecht einsetzen. Die sogenannten unterschiedslos wirkenden Waffen töten wahllos noch nach Beendigung des Krieges spielende Kinder, Soldaten oder zerfetzen nach Jahren den



Hans Wallow
pflügenden Bauern auf dem Land. Wir alle wissen das selbst aus der Vergangenheit unseres eigenen Landes. Ich habe selber erlebt, daß Spielkameraden von mir, Klassenkameraden von mir durch Stabbrandbomben und anderes Dreckszeug die Arme abgerissen wurden.
Wenn man sich das millionenfache Sterben und Leiden vorstellt, welches durch diese Tötungsautomaten in 176 Kriegen seit 1945 verursacht wurde, dann ist das kaum faßbar. Ich gebe meinem Vorredner, Herrn Augustinowitz, deswegen recht: Es ist richtig, daß unser Land dazu beiträgt, Minen zu beseitigen oder zu zerstören.
Ich darf an dieser Stelle auch dem Notärztekomitee „Kap Anamur" für seine nicht ungefährliche Arbeit danken. Diese Aufgabe entspricht genau dem, was ich in der Debatte um die Somaliahilfe gesagt habe, daß die Bundesrepublik, unser Land, ihre neue Weltrolle als ein helfendes Volk verstehen sollte.
Doch zum Lebenretten gehört mehr, als in Ihrem Antrag steht. Sie schreiben in der Begründung Ihres Antrags — ich zitiere —:
Statt die Folgen der Gewalt mit hohem Mitteleinsatz zu lindern, sollten besser mit vergleichsweise geringen Mitteln die Ursachen des großen Leidens, das die Minen bewirken, bekämpft werden.
Einverstanden! Doch zur Bekämpfung der Ursachen dieses großen Leidens gehört nicht nur die Minenräumung, sondern auch, daß die Bundesrepublik Deutschland das im September 1992 beschlossene Waffenabkommen der Vereinten Nationen zur Ächtung der unterschiedslos wirkenden Waffen wie Minen dadurch unterstützt, daß sie grundsätzlich keine Genehmigung zum Export solcher Tötungsapparate erteilt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Leben retten heißt auch, daß die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Außenpolitik zur weltweiten Ächtung von Produktion, Export und Anwendung solcher unterschiedslos wirkenden Waffen, die hauptsächlich gegen Zivilisten gerichtet sind, eintritt. In Ihrem Antrag verzichten Sie darauf, dieses Übel bei der Wurzel zu packen. Warum eigentlich? Sie sollten in der späteren Beratung unseren Absatz 5, der das aufgreift, und unseren Absatz 6 aufnehmen. Sie wollen die Bundeswehr weltweit an Minenräumaktionen beteiligen, ohne daß dafür die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen vorhanden sind. Wir sind damit nicht einverstanden.
Da wir im Ziel einig sind, Herr Augustinowitz, fordern wir deswegen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen auf, mit uns gemeinsam diese verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine personelle Beteiligung der Bundeswehr an Minenräumprogrammen im Rahmen der humanitären Hilfeleistungen der Vereinten Nationen zu schaffen. Der Gesetzentwurf der SPD zur Änderung der Grundgesetzartikel 24 und 87 a liegt vor — ich darf ihn kurz zitieren —:
Der Bund kann den Vereinten Nationen Angehörige der Streitkräfte nur für friedenserhaltende Maßnahmen ohne Kampfauftrag unterstellen. Den Vereinten Nationen oder den betroffenen Staaten sollen auf Anforderung unbewaffnete Angehörige der Streitkräfte zur Bekämpfung von Umweltschäden, für humanitäre Hilfeleistungen und Maßnahmen der Katastrophenhilfe zur Verfügung gestellt werden.
Minenräumen ist mit großem Risiko behaftet, und niemand darf dazu gezwungen werden. Die Gratwanderung zwischen einem militärischen Einsatz und der humanitären Hilfe ist schmal. Nach Einstellung der Kämpfe liegt nach Ihrer und auch nach unserer Definition eine humanitäre Maßnahme vor; aber was ist bei Wiederaufflammen des Krieges, der Kämpfe? Dann kann Minenbeseitigen dazu dienen, ein umkämpftes Land passierbar zu machen, und in der konkreten Situation kann das eben auch bedeuten, daß das von den Konfliktparteien, die ja dann nicht verschwunden sind, als ein militärischer Einsatz gewertet wird.
Konstruieren wir also hier keine neue Grauzone, in der die Bundeswehr dann später ohne Rechtsklarheit operieren soll. Wir sind uns doch darüber im klaren: Es bleibt nicht bei den Minen; es geht dann über zu Granaten. Unser Nachbarland Österreich ist dabei, im Irak Scud-Raketen zu entschärfen. Diese Aufgabe beginnt mit den Minen und wird mit Sicherheit erweitert werden. Deswegen ist vorher absolute Rechtsklarheit notwendig.
Völlig abzulehnen ist — und das haben Sie vergessen, Herr Augustinowitz, uns deutlich zu sagen —, daß es sich bei der Ausstattungshilfe in Ihrem Antrag um eine militärische Ausstattungshilfe handelt, die wir einzelnen Staaten bilateral gewähren sollen. Das heißt konkret und im Klartext: von Militär zu Militär und daß dort dann auch Pioniere ausgebildet werden. Es ist aber einfach naiv, zu glauben, daß diese von der Bundeswehr bilateral ausgebildeten Pioniere dann nicht später auch militärisch eingesetzt werden können.
Die gesamte militärische Ausbildungshilfe ist nach unserem Verständnis ein Relikt aus dem überkommenen Ost-West-Konflikt. Die Bundesregierung sollte sie schleunigst einstellen und die dabei freigewordenen Mittel vollständig zur Aufstockung der humanitären Hilfe einsetzen.
Mit der Analyse der auftauchenden Probleme ist keine Ablehnung von unserer Seite verbunden. Wir sind im Ziel einig. Im Gegenteil, wir wollen mit der Bildung eines Friedenscorps, das in der Umwelt erhaltend und schützend tätig ist, also eine „ Grünhelmfunktion " übernimmt, in der Katastrophenhilfe und bei erweiterten humanitären Aktionen einsetzbar ist, noch etliche Schritte weitergehen, als es in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt.
Wir sind heute — ich darf es etwas lax sagen — von Demokratien umzingelt, und nach der Beendigung des Ost-West-Konfliktes sind neue Feindbilder in den Vordergrund gerückt. Ich sehe — und eigentlich auch die Bevölkerung — als neue Unsicherheitslage Hungersnöte, Umweltschäden, Erdbeben, Überschwemmungen, Tankerunglücke, Industriekatastrophen wie



Hans Wallow
Bhopal zum Beispiel oder Tschernobyl, auf die die Industrieländer überhaupt nicht vorbereitet sind, Dürren und wieder Flüchtlingsströme und Armutswanderungen. Das bedeutet, wenn man den Gesamtkomplex sieht, daß ein Friedenscorps in Zukunft dringend aufgestellt werden sollte.
Wir werden nach den jüngsten rassistischen Ausschreitungen von der Welt genau darauf hin beobachtet, was wir in Zukunft mit unserer neu gewonnenen Souveränität anfangen. Da ist das, was Sie vorschlagen, im Ziel richtig. Ich denke, niemand in diesem Hause und in der Bundesregierung sollte die „Rolle rückwärts" versuchen. Die Normalität unter den Völkern ist, daß man sich unterscheidet, und es ist sicherlich keine Sonderrolle, wenn wir unsere Identität in solchen mehr lebenserhaltenden Aufgaben und in ziviler Weltverantwortung finden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212019700
Meine Damen und Herren, bevor ich der Kollegin Ulla Jelpke das Wort erteile, erlauben Sie mir den Hinweis, daß auf der Besuchertribüne eine Parlamentarierdelegation aus Pakistan aus Mitgliedern der Nationalversammlung und dem Staatsminister Chaudhey Asad-ur Rehmann Platz genommen hat. Wir begrüßen Sie sehr herzlich.

(Beifall)

Das paßt in den Zusammenhang unserer Debatte. Pakistan hat über viele Jahre des Afghanistan-Konflikts hinweg Hunderttausenden von Menschen, die nicht zuletzt auch durch Minen, die im Afghanistankrieg ausgelegt worden waren, verletzt waren, Aufnahme und Unterkunft geboten. Seien Sie uns herzlich willkommen!
Frau Kollegin Jelpke, Sie haben das Wort.

Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1212019800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge berühren ein äußerst drängendes Problem. In der Tat stellen Minen in ehemaligen und aktuellen Konfliktregionen eine ständige Bedrohung für das Leben der Zivilbevölkerung in diesen Gebieten dar. Die umgehende, fachgerechte und vollständige Räumung dieser Minen ist eine wichtige Aufgabe, bei deren Bewältigung die betroffenen Länder massiver Unterstützung bedürfen. Von der Problemstellung her stimmen wir durchaus überein.
Unsere Zustimmung gilt auch der finanziellen und technischen Unterstützung von Minenräumprogrammen der UNO, wie sie im Antrag der SPD ausgeführt werden, der die Unterstützung nicht staatlicher Hilfsorganisationen bei der Durchführung von Minenräumaktionen beinhaltet. Wir können allerdings der mehr oder weniger explizit geforderten Schaffung verfassungsrechtlicher Grundlagen für die personelle Beteiligung der Bundeswehr an derartigen Aktionen nicht zustimmen.
Der Antrag der SPD selbst liefert die entsprechenden Gegenargumente. Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen derartigen Einsatz der
Bundeswehr bei Minenräumaktionen sind nicht gegeben, und eine zusätzliche Ausbildung und neue Ausrüstung des Fachpersonals wären ebenfalls notwendig.
Was spricht also dagegen, Personal ziviler Hilfsorganisationen entsprechend auszubilden und technisch auszurüsten und die Verfassung so zu belassen, wie sie ist?

(Vorsitz: Vizepräsident Helmuth Becker)

Natürlich wird versucht, über das Bild des Sanitätssoldaten in Bangladesch, dessen persönlicher Einsatz durchaus anerkennenswert ist, oder der minenräumenden Bundeswehrspezialisten in der Öffentlichkeit Akzeptanz für den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Bündnisgebiets zu schaffen.
Warum wird immer wieder der Eindruck erweckt, daß Aufgaben aus dem Bereich der Kastastrophenhilfe und humanitärer Hilfe in Krisengebieten unbedingt militärischer Strukturen bedürfen? Im Sinne von Konversion und Entmilitarisierung ist eine Ausweitung der Aufgaben der Bundeswehr eindeutig kontraproduktiv.
Der Einsatz ziviler Organisationen im Kastastrophenschutz und der humanitären Hilfe — Minenräumungen eingeschlossen — und eine verstärkte materielle Unterstützung der entsprechenden UNO-Programme erfüllen den gleichen Zweck und wären ein glaubwürdiger Schritt in Richtung Demilitarisierung und Friedensförderung.
Nichtstaatliche Hilfsorganisationen möglichst schnell und unbürokratisch in den Stand zu versetzen, daß sie Minenräumaktionen in ehemaligen Krisengebieten sachgerecht durchführen können, ist ein unterstützenswertes Anliegen.
Dennoch können wir den vorliegenden Anträgen so nicht zustimmen.
Danke.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste — Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Warum?)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212019900
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Jürgen Koppelin.

Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1212020000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einer sehr eindrucksvollen Debatte über humanitäre Hilfe in der Dritten Welt, die wir in der letzten Woche hatten, begrüße ich es, daß wir uns bereits in dieser Woche mit einem Antrag der Koalitionsparteien beschäftigen können, in dem humanitäre deutsche Hilfe durch Minenräumen in den Staaten der Dritten Welt gefordert wird.
Es ist leider wahr, was Außenminister Kinkel hier am 5. November 1992 gesagt hat: Die Krisen sind schneller gewachsen als die Instrumente, um mit ihnen fertigzuwerden.

(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wohl wahr!)

Ich will bei dieser Gelegenheit noch einmal ausdrücklich den deutschen Beitrag zu Hilfsleistungen insgesamt würdigen. Überall, wo deutsche Hilfe



Jürgen Koppelin
gewünscht und notwendig ist, waren wir in der Vergangenheit bereit zu helfen. Dafür gebührt auch der Bundesregierung ausdrücklich Dank.

(Beifall bei der F.D.P.)

Ein besonderer Dank — das möchte ich an dieser Stelle sagen — auch den vielen Angehörigen der Bundeswehr!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Oft sind die Angehörigen der Bundeswehr unter Einsatz ihres Lebens bereit, Hilfsgüter jeglicher Art in die entlegensten Gebiete zu bringen. Bei der Diskussion um die Bundeswehr insgesamt — so finde ich jedenfalls — kommt dieser Einsatz leider sehr oft viel zu kurz. Wir sollten vielmehr auch in der Öffentlichkeit diesen humanitären Einsatz unserer Bundeswehrsoldaten würdigen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Und: Ich will ausdrücklich hervorheben, daß es für die Angehörigen der Bundeswehr selbstverständlich ist, wie z. B. in Kambodscha, wo sie als Sanitätssoldaten tätig sind, sich nicht nur um die ärztliche Versorgung der dort befindlichen UN-Soldaten zu kümmern, sondern daß sie auch bereit sind — ohne Ausnahme —, die ärztliche Versorgung der Bevölkerung dort wahrzunehmen, was sicher nicht immer ganz einfach ist.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wo immer unsere Soldaten im humanitären Einsatz sind, da sind sie, so meine ich, auch Friedensbotschafter Deutschlands. Sie verdienen sich damit die Anerkennung im Namen der Menschlichkeit, aber genauso machen sie sich um Deutschland im Ausland verdient.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Antrag der Koalition wollen wir beginnen, ein Hauptübel von vielem menschlichen Leid an den Wurzeln zu packen. Wir alle kennen das Bild: hungernde Menschen aller Altersschichten und immer wieder das Bild von Menschen mit Verstümmelungen, die überwiegend durch Minen verursacht worden sind. Eine der vielen Grausamkeiten in den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Dritten Welt ist das Verlegen breiter Landstriche mit Minen. Selbst wenn kriegerische Handlungen beendet sind, sind die Flüchtlinge dann oft aus Angst vor den verlegten Minen nicht bereit, in ihre Heimat zurückzukehren.
Die Lieferung von Nahrungsmitteln, von Medikamenten und von Zelten ist nach wie vor wichtig. Aber genauso wichtig ist es, daß wir unsere Bereitschaft erklären, beim Räumen von Minen unsere Hilfe anzubieten. Daher ist der Satz in dem Antrag der Koalition nur zu unterstreichen. Minenräumen in befriedeten Gebieten ist eine humanitäre Aktion, da sie direkt dem Menschen nutzt.
Bei diesen Aktionen kommt es auf jeden Tag an; denn jeder Tag, den wir tatenlos verstreichen lassen, kostet Menschen das Leben, oder sie nehmen Schaden. Unsere Forderung an die Bundesregierung: umgehend den Vereinten Nationen mit all unseren Möglichkeiten Unterstützung beim Minenräumen anzubieten. Jedoch sollten wir unser Angebot nicht nur den Vereinten Nationen machen, sondern wir
sollten auch bereit sein, humanitären Organisationen Minenräumgeräte zur Verfügung zu stellen. Da unterscheide ich mich etwas von dem Kollegen Augustinowitz. Ich bin der Auffassung: Es kann nicht angehen, daß wir nur veraltetes NVA-Material zur Verfügung stellen, wie das in der Vergangenheit geschehen ist, sondern wir müssen selbstverständlich bereit sein, voll funktionsfähiges Material zur Verfügung zu stellen. Das kann dann allerdings auch durchaus von der NVA sein.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich sage hier auch in aller Deutlichkeit: Gegebenenfalls muß geprüft werden, ob durch die Bundesregierung weiteres Minenräumgerät beschafft werden muß. Trotz knapper Finanzen sollten wir uns nicht scheuen, hierfür Mittel im Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen.
Es wird jedoch in der Zukunft kein Weg daran vorbeigehen, daß wir nicht nur Minenräumgeräte zur Verfügung stellen, sondern wir müssen uns — das ist vom Kollegen Augustinowitz richtig gesagt worden — auch an der Ausbildung von Minenräumeinheiten beteiligen.
Da die notwendige Hilfe dringend ist, können wir es nicht dabei belassen, auf Minenräumgeräte oder Ausbildungsmöglichkeiten der Bundeswehr zurückzugreifen. Wir brauchen auch den Sachverstand, die Erfahrung und die organisatorischen Kapazitäten von Privatunternehmen.
Unser Wille zu humanitären Einsätzen ist ungebrochen; auch wenn in einigen Staaten der Dritten Welt das Elend durch Krieg und Bürgerkrieg und bewaffnete Auseinandersetzungen so groß ist, daß man manchmal verzweifeln muß und denkt, das sei ja doch alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich meine, wir sollten trotzdem in unserem Engagement nicht nachlassen. Dabei wird die Forderung nach Verstärkung der Hilfeleistung nicht ausreichen — das sage ich auch einmal in Richtung SPD —, wenn wir nicht gegebenenfalls in der Zukunft auch bereit sind, durch militärische Absicherung diese humanitäre Hilfeleistung zu stützen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Verschließen wir die Augen nicht davor, daß es notwendig sein wird, daß sich auch Deutschland an solchen militärischen Absicherungen in der Zukunft beteiligt. Wir tun das alles nicht für Regierungen oder Kriegsparteien, sondern wir tun dies für die betroffenen Menschen, egal welcher Religion oder Nationalität sie angehören.
Vielen Dank für Ihre Geduld.

(Beifall bei der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212020100
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Konrad Weiß.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212020200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgewachsen. Zu meinen Kindheitserinnerungen gehören die ständigen Mahnungen der Erwachsenen, ja nicht mit



Konrad Weiß (Berlin)

Fundmunition zu spielen und nicht bestimmte, mit einem Totenkopf gekennzeichnete Wald- oder Feldstücke zu betreten, wo Minen und Bomben vermutet wurden. Zu den Erinnerungen gehören auch die Schulkameraden, die von Minen zerfetzt und getötet oder von Fundmunition verstümmelt worden sind.
An all das wurde ich erinnert, als ich vor wenigen Wochen zur Wahlbeobachtung in Angola war und dort am Rande eines Flugplatzes die rostigen Köpfe von Tretminen im Boden sah. Auch die schreckliche Wirkung dieser Minen war allenthalben zu beobachten: Menschen mit verstümmelten Gliedmaßen und Amputierte gehören zum Straßenbild in Luanda und Huambo.
Deshalb unterstütze ich nachdrücklich die Initiative der Koalitionsparteien und der SPD, humanitäre Hilfe durch Minenräumen zu leisten. Ich kann mir keinen wirksameren Beitrag zur Befriedung und zum Wiederaufbau eines durch Krieg und Bürgerkrieg zerstörten Landes denken.

(Beifall bei der F.D.P.)

Nachdrücklich spreche ich den mutigen Männern meinen Respekt und Dank aus, die unter Gefahr für Leib und Leben diese wichtige Arbeit leisten.

(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Nach meinem Verständnis ist ausschließlich wichtig, daß diese Arbeit getan wird und daß diese existentielle Hilfe möglichst schnell und weiträumig geleistet wird. In der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gibt es jedoch Bedenken, diese Aufgaben nichtstaatlichen Organisationen zu übertragen, es sei denn, die Vereinten Nationen übernehmen dafür die Verantwortung und Kontrolle.
Abweichend davon bin ich der Meinung, daß auch private Hilfsorganisationen und nationale Hilfskorps tätig werden sollten. Die Arbeit der Hilfsorganisation Cap Anamur in Angola bietet dafür ein eindrucksvolles Modell. Solche privaten Hilfsorganisationen und nationalen Hilfskorps sind viel schneller einsatzfähig als die trägen und oftmals ineffizienten UNO-Strukturen.

(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist leider wahr!)

Jeder Tag, der ungenutzt ins Land geht — und bei der UNO muß man nun mal mit Wochen und Monaten rechnen, bevor Beschlüsse gefaßt und wirksam werden —, kostet unzählige Opfer.

(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Leider wahr!)

Natürlich muß gewährleistet sein, daß private oder nationale Organisationen ausschließlich nichtmilitärisch eingesetzt werden und daß das eingesetzte Gerät auf keinen Fall wieder zu militärischen Zwecken gebraucht oder umgebaut werden kann.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Natürlich müssen auch die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben sein. Es muß berücksichtigt werden, daß nicht einzelne Regionen oder gar Großgrundbesitzer von der Arbeit der Minenräumer profitieren, sondern die Prioritäten müssen in Absprache mit den nationalen Regierungen festgelegt werden.
Den Vorstellungen der Koalitionsparteien, Minenräumung aus Mitteln der Ausstattungshilfe zu finanzieren, muß ich allerdings widersprechen. Alle Erfahrungen mit diesem Instrument der Entwicklungshilfe sind sehr zwiespältig. Ich schlage daher vor, für die Minenräumung einen eigenen Haushaltstitel zu schaffen und dafür z. B. Mittel aus dem Etat des Bundesministers der Verteidigung vorzusehen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Dann werde ich den Antrag, Herr Kollege Augustinowitz und Herr Kollege Pflüger, sehr gerne unterstützen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie des Abg. Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU])


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212020300
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, unserer Kollegin Frau Ursula Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1212020400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der SPD haben sich mit den vorliegenden Beschlußanträgen eines ganz bedeutenden humanitären Problems angenommen. Leben und Gesundheit zahlloser Menschen in der Dritten Welt werden auf Jahre hinaus von Minen gefährdet werden. Der Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Länder werden behindert. In Afghanistan z. B. beeinträchtigen ca. 10 Millionen Minen die Rückkehr von mehreren Millionen Flüchtlingen in ihre Dörfer. 300 Menschen werden Monat für Monat in Kambodscha durch Minen verletzt oder getötet. Die Vereinten Nationen sehen sich dort mit dem Problem der Räumung von bis zu 2 Millionen Minen konfrontiert.
Auch Mittelamerika und Afrika sind betroffen. Besonders gilt dies für Somalia, wo 1 600 km Straßen und Pisten vermint und mehr als 50 Ortschaften von Minengürteln umgeben sind. Die Gesamtzahl der Minen in diesem geschlagenen Land wird von Experten auf über 1 Million Stück geschätzt. Die Zahl der Minen in Angola, Mosambik und Äthiopien ist unübersehbar.
Um dieses Problem zu lösen, sind langfristige und nachhaltige Bemühungen der gesamten internationalen Gemeinschaft erforderlich. Regionale Ansätze zur Bewältigung des Minenproblems verdienen besondere Aufmerksamkeit.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])

Die Bundesregierung hat soeben die Organisation amerikanischer Staaten mit 100 000 DM aus Mitteln der Ausstattungshilfe des Einzelplans 05 unterstützt, damit Planungen des Interamerikanischen Verteidigungsrates zur Räumung von Minen in Nicaragua umgesetzt werden können.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Den Vereinten Nationen fällt in diesem Zusammenhang eine ganz entscheidende Rolle zu. Die Bundes-



Staatsministerin Ursula Seiler-Albring
regierung begrüßt deshalb nachdrücklich die kürzlich erfolgte Berufung eines Koordinators für die Aktivitäten der Vereinten Nationen bei der Minenräumung im Rahmen ihrer friedenserhaltenden und humanitären Maßnahmen. Mängel, die etwa in der wichtigen Arbeit ONUCAs, in Afghanistan, aber auch bei anderen Maßnahmen der Vereinten Nationen bei der Räumung von Minen deutlich wurden, sollten künftig im Interesse der Betroffenen vermieden werden.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist bereit, im Rahmen der Vereinten Nationen, aber auch bilateral und durch Unterstützung deutscher Nichtregierungsorganisationen Beiträge zur Lösung des Minenproblems zu leisten.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Möglichkeiten privater Unternehmen, Minenräumaufgaben zu übernehmen, sollten genutzt werden. Alle Hilfsmaßnahmen müssen sich allerdings an unseren rechtlichen, finanziellen, personellen und materiellen Möglichkeiten orientieren. Es ist selbstverständlich, daß alle Hilfsmaßnahmen, auch diejenigen, bei denen die Bundeswehr beteiligt wird, im Rahmen unserer Verfassung bleiben müssen.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])

Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß die Bundesregierung zur Hilfeleistung durch Ausbildungsmaßnahmen sowie logistische und materielle Unterstützung bereit ist. Die Typenvielfalt der verlegten Minen, die ganz unterschiedlichen lokalen Bedingungen, unter denen sie verlegt wurden, und das nicht geringe Sicherheitsrisiko der Minenräumung erlauben keine Patentlösungen. Jeder Einzelfall muß, wie das auch die Ziffer 3 des vorliegenden Antrags der Koalitionsfraktionen hervorhebt, gründlich geprüft werden, bevor über die erforderlichen Materialhilfen und gegebenenfalls Ausbildungsleistungen entschieden werden kann. Dies liegt auch im Interesse eines effizienten Gebrauchs der aufzuwendenden Mittel.
Die Bundesregierung hält die Schaffung eines Umwelt- und Katastrophenhilfskorps in diesem Zusammenhang für nicht geeignet, um zur Bewältigung des Minenproblems beizutragen.

(Beifall des Abg. Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU])

Die Bundesregierung sieht im VN-Waffenübereinkommen zur Ächtung von unterschiedslos wirkenden Waffen den besten Ansatz, um den Schutz der Zivilbevölkerung vor dem Einsatz von Minen völkerrechtlich abzusichern. Sie tritt für die universelle Respektierung dieses Instrumentes ein und wird darauf hinwirken, bei der Weiterentwicklung des humanitären Kriegsvölkerrechtes die bereits bestehenden Einsatzverbote für Landminen zu verstärken.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundesregierung weiß sich mit allen Mitgliedern dieses Hauses darin einig, daß mehr geschehen muß, um durch präventive Minenräumung Menschen vor Verletzung und Verstümmelung zu bewahren und die Entwicklung in vom Krieg gezeichneten Ländem zu ermöglichen. Die Räumung von Minen ist jedoch nicht mit vergleichsweise geringem Mitteleinsatz möglich. Minenräumung ist personalintensiv. Sie erfordert einen hohen Materialeinsatz. Sie verlangt einen hohen Sicherheitsaufwand. Sie dauert lange. Sie ist deshalb sehr teuer. Der von den Vereinten Nationen allein für Afghanistan geschätzte Mittelbedarf für 1992 beläuft sich auf 15 Millionen US- Dollar.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, ermöglicht u. a. durch ganz erhebliche Materialhilfen die Minenräumtätigkeit des Komitees der deutschen Nichtregierungsorganisation Cap Anamur in Angola. Daß diese humanitäre Tätigkeit auf Grund der kriegerischen Auseinandersetzungen in diesem Land nach unserem Wissen zur Zeit unterbrochen ist, müssen wir mit Bedauern zur Kenntnis und in Kauf nehmen.
Ich möchte aber darüber hinaus bekräftigen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung in dem oben aufgezeichneten Rahmen aufgeschlossen und zügig Möglichkeiten der Unterstützung bei der Beseitigung von Minen nutzen wird. Wir werden damit auch den Menschen der Dritten Welt, die von Bürgerkriegen betroffen waren, besser helfen können,
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212020500
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/3348 und 12/3694 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend vom Überweisungsvorschlag in der Tagesordnung soll die Federführung jeweils beim Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit liegen. Der Auswärtige Ausschuß soll jeweils erster mitberatender Ausschuß werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch
— Drucksache 12/2866 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Frauen und Jugend (14. Ausschuß)

— Drucksache 12/3711 —
Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink
Josef Hollerith
Erika Simm

(Erste Beratung 100. Sitzung)

Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Bundesministerin für Frauen und Jugend, unserer Kollegin Angela Merkel, das Wort.




Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1212020600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag berät heute die erste Novelle des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Fast zwei Jahre sind inzwischen vergangen, seit das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz in Kraft getreten ist. Diese zwei Jahre haben gezeigt, das Kinder- und Jugendhilfegesetz hat sich in der Praxis bewährt. Es hat in vielen Kommunen für eine heilsame Unruhe gesorgt. Der präventive, familienunterstützende Ansatz des Gesetzes, sein Dienstleistungscharakter für Kinder, Jugendliche und Eltern, stieß auf breite Zustimmung, obgleich damit ein Umdenken in der täglichen Arbeit verbunden war.
Die Praxis der Jugendhilfe hat sich in den vergangenen zwei Jahren spürbar geändert. Die Sensibilität für die Interessen von Kindern, Jugendlichen und ihrer Eltern ist deutlich gewachsen. Die Aufgaben der Jugendhilfe haben vielerorts einen höheren Stellenwert erhalten. Das Jugendamt hat zunehmend sein polizei- und ordnungsrechtliches Image verloren. Es wird von Kindern, Jugendlichen und Eltern wie von jungen Volljährigen als Anbieter sozialer Dienstleistungen in Anspruch genommen.
Vor allem in folgenden Bereichen ist für mich das Leistungsangebot der Jugendhilfe spürbar verbessert worden: Es werden mehr Tagespflegestellen, die sogenannten Tagesmütter, durch die Jugendämter vermittelt und finanziert. Insbesondere in den ersten Lebensjahren eines Kindes wird damit die Tagespflegestelle zur gleichwertigen Alternative von anderen Tageseinrichtungen.
Die Angebote zur Beratung in Trennungs- und Scheidungssituationen werden in den Jugendämtern stark nachgefragt. Die Eltern werden dabei beraten, wie sie nach einer Trennung ihrer Verantwortung für ihre Kinder am besten gerecht werden können. Das Jugendamt tritt dabei als Helfer und Berater in einer schwierigen Lebenssituation auf, und es wird nicht mehr länger als Ermittlungsbehörde für das Gericht erlebt.
Ein anderer Punkt ist, daß die verbesserten Angebote der Jugendhilfe für junge Volljährige, wie z. B. das betreute Wohnen einschließlich der Sicherung einer beruflichen Ausbildung, von einem größeren Kreis von jungen Menschen in Anspruch genommen werden, als das früher der Fall war. Wenn diese jungen Menschen diese Angebote nicht hätten, wären sie auf Sozialhilfe angewiesen oder sie könnten sogar auf Dauer nicht gesellschaftlich integriert werden.
Natürlich war dieses Gesetz insbesondere für die neuen Bundesländer, in denen dieses Gesetz früher in Kraft trat, ein ganz hoher Anspruch. Nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes, das die Jugendhilfe natürlich als Teil des sozialistischen Bildungssystems begriff, wurde durch dieses Gesetz der Aufbau neuer Strukturen in der Jugendhilfe gefördert und überhaupt erst möglich.
Der Bund läßt die Jugendhilfe in den neuen Ländern in der schwierigen Auf- und Umbauphase finanziell nicht im Stich, obwohl sie bekanntlich nicht zu den originären Aufgaben des Bundes gehört. So fließt ein erheblicher Teil aus Mitteln des Bundesjugendplanes in Projekte in den neuen Bundesländern. Wir wissen
aus vielen Untersuchungen, daß eine gute Erziehung für Kinder im Elternhaus, eine kindgerechte Förderung in Tageseinrichtungen sowie natürlich auch entsprechende Freizeitangebote für Jugendliche die beste Prävention gegen Gewalt, Drogenmißbrauch und das Abgleiten in Sekten und Subkulturen sind.

(Beifall der Abg. Ilse Falk [CDU/CSU])

Deshalb appelliere ich von dieser Stelle aus noch einmal an die Städte, Gemeinden und Kreise in den alten und in den neuen Bundesländern: Stellen Sie trotz schwieriger Haushaltssituation ausreichende Mittel für die verschiedenen Angebote der Kinder-und Jugendhilfe zur Verfügung! Vernachlässigungen im Jugendbereich zahlen sich nicht aus. Die Investitionen ersparen nicht nur später notwendige Aufwendungen, z. B. im Jugendstrafvollzug oder in der Drogentherapie. Sie sind vor allem ein wesentlicher Beitrag zur Integration junger Menschen in die Gesellschaft. Es wäre deshalb kurzsichtig und verhängnisvoll, wenn in Zeiten knapper Kassen zuerst und vor allem bei den Ausgaben für Kinder und Jugendliche gespart würde.
Wir können bei den gewalttätigen Ausschreitungen, die wir zur Zeit erleben, auf die Mittel des Jugendstrafrechts nicht verzichten. Besser und wirksamer sind jedoch allemal präventive Ansätze, so wie sie im Kinder- und Jugendhilfegesetz in umfassender Weise zur Verfügung stehen.
Im Rahmen des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes hat das neue Kinder- und Jugendhilferecht bereits eine erste entscheidende Verbesserung erfahren. Was im ersten Anlauf bei der Verabschiedung des Gesetzes nicht gelang, ist im Zusammenhang mit der Reform des § 218 StGB nachgeholt worden: die bundesgesetzliche Verankerung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz.
Ich weiß, daß die Umsetzung dieses Rechtsanspruchs, der in den neuen Bundesländern bereits Realität ist, in den alten Bundesländern Schwierigkeiten macht; denn zur Umsetzung werden erhebliche finanzielle Anstrengungen nötig sein. Auch die Bereitstellung der notwendigen Erzieherinnen für die zusätzlichen 600 000 Kindergartenplätze wird nicht einfach sein. Dennoch ist die Entscheidung des Gesetzgebers ein Meilenstein in der Kinder- und Familienpolitik. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Mit dem Änderungsgesetz, das der Deutsche Bundestag heute berät, werden erste Erfahrungen aus der praktischen Anwendung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes aufgegriffen. Ich betone noch einmal: Die Zielsetzung des Gesetzes und das differenzierte Leistungsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern finden breite Zustimmung und werden von niemandem in Frage gestellt. Es geht deshalb lediglich um verfahrensrechtliche Fragen, mit denen sich diese Novelle beschäftigt.
So soll durch präzisere Regelung erreicht werden, daß zeitraubende Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Jugendämtern vermieden und unverzüglich die notwendigen Leistungen gewährt werden können. Überarbeitet worden sind auch die



Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Bestimmungen über die Kostenerstattung zwischen den verschiedenen Jugendämtern. Da die Jugendhilfe in der Bundesrepublik kommunal finanziert wird, liegt den Jugendämtern natürlich viel daran, nur die Kosten für die Leistungen an junge Menschen und ihre Eltern zu übernehmen, die in ihrem Bereich ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, und im übrigen die aufgewendeten Kosten von den jeweiligen Heimatjugendämtern erstattet zu bekommen. Hier versucht das Änderungsgesetz Lücken zu schließen, die im Kinder- und Jugendhilferecht offengeblieben sind. Darüber hinaus enthält das Gesetz zahlreiche weitere punktuelle Verbesserungen.
In den Beratungen der Ausschüsse des Deutschen Bundestages ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung an vielen Stellen verändert und verbessert worden. Eingeflossen sind auch die Ergebnisse einer Sachverständigenanhörung im Ausschuß für Frauen und Jugend. Bei manchen Positionen — wie etwa bei der Frage des Datenschutzes in der Jugendgerichtshilfe — hätte ich mir allerdings gewünscht, daß wir noch mehr Erfahrungen mit den bisher geltenden Bestimmungen sammeln, bevor es zu einer Neuregelung kommt, die am Ende vielleicht weder die Justiz noch die Jugendhilfe zufriedenstellt.
Insgesamt meine ich jedoch, daß mit dem ersten Änderungsgesetz die rechtlichen Grundlagen der Kinder- und Jugendhilfe weiter verbessert und damit freie und öffentliche Träger in die Lage versetzt werden, Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern sowie auch volljährigen jungen Leuten fachgerechte Hilfe in unterschiedlichen Lebenslagen zu leisten. Insofern denke ich, daß dieses Gesetz in den nächsten Jahren weiter umgesetzt und in seinen vielfältigen Möglichkeiten in den Kommunen erprobt werden muß.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212020700
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Frau Kollegin Erika Simm.

Erika Simm (SPD):
Rede ID: ID1212020800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als am 28. März 1990, also vor gut zweieinhalb Jahren, das Kinder- und Jugendhilfegesetz in zweiter und dritter Lesung behandelt wurde, sagte unser Kollege Konrad Gilges, dies sei ein Gesetz, mit dem wir recht oder schlecht in der Zukunft würden leben müssen und an dem vieles werde verändert werden müssen. Großer seherischer Fähigkeiten bedurfte es nicht, um dies vorauszusagen, war doch das KJHG trotz einer vorausgegangenen fast zwanzigjährigen Diskussion um die Reform des Jugendhilferechts mit heißer Nadel — ja, ich möchte sagen: mit allzu heißer Nadel — gestrickt worden.
So haben wir heute eine sogenannte Reparaturnovelle zum KJHG zu beraten, die eine Vielzahl von Redaktionsversehen berichtigt und insbesondere umfangreiche Regelungen zur Zuständigkeit und Kostenträgerschaft enthält und dadurch die Jugendhilfe nachträglich in den Stand versetzen soll, mit diesem Gesetz in der täglichen Praxis zu arbeiten.
Ich denke, einen guten Teil dieser Nacharbeit hätten wir uns sparen können, wenn wir bereits bei Verabschiedung des KJHG etwas mehr Zeit und Ruhe auf dieses eigentlich große Gesetzgebungsvorhaben verwandt hätten. Leider standen wir auch jetzt bei den Beratungen zur Reparaturnovelle wieder unter großem Zeitdruck. Einige Änderungsvorschläge kamen uns im federführenden Ausschuß für Frauen und Jugend gestern erstmals — jedenfalls im Wortlaut — auf den Tisch, so daß ich die Prognose wage, daß uns schon deswegen das KJHG noch öfter beschäftigen wird.
Die SPD wird diesem ersten Änderungsgesetz zum KJHG zustimmen, wie sie das trotz erheblicher und grundsätzlicher Bedenken auch 1990 bei der Verabschiedung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes getan hat, um der Praxis die Möglichkeit zu eröffnen, mit diesem Gesetz zu arbeiten, Erfahrungen damit zu sammeln und auf der Grundlage dieser Erfahrungen zu gegebener Zeit die Reform des Jugendhilferechtes weiter voranzutreiben.
Um aber nicht den Eindruck entstehen zu lassen, wir hätten über unserem gemeinsamen Bemühen, aus dem KJHG ein für die Praxis handhabbares Gesetz zu machen, unsere grundsätzlichen Einwendungen aufgegeben, möchte ich an dieser Stelle schon noch einmal ins Gedächtnis rufen, was unsere Forderungen für eine Jugendhilferechtsreform, die diesen Namen verdient, waren und nach wie vor sind.
Diese Forderungen sind: den Vorrang der Familie vor Kindern und Jugendlichen zugunsten eines besseren Gleichklanges beider Interessenfelder zurückzunehmen, der Jugendhilfe ein eigenständiges Erziehungsziel neben der Familie einzuräumen und das Recht des Kindes auf Erziehung im Gesetz zu verankern,

(Beifall bei der SPD)

das Ausländergesetz dahin gehend zu ändern, daß die Inanspruchnahme von Kinder- und Jugendhilfe keinen Ausweisungsgrund darstellt, für Kinder und Jugendliche ein eigenes Antragsrecht auf Leistungen zu schaffen, die Leistungen für junge Volljährige zu verbessern und die Jugendverbände ihrer Bedeutung entsprechend im Gesetz stärker zu berücksichtigen.
Unser Verlangen, im KJHG den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu verankern, ist mittlerweile an anderer Stelle, nämlich im Schwangerenhilfegesetz, eingelöst worden. Auch diesbezüglich erneuern wir allerdings unsere Forderung, daß sich der Bund im Rahmen des Bund-Länder-Finanzausgleichs an den Kosten für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen beteiligen muß.

(Beifall bei der SPD)

Tut er das nicht, so ist zu befürchten, daß der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz entweder nur auf dem Papier stehen wird oder aber wegen des mit seiner Umsetzung verbundenen enormen Finanzbedarfs für Länder und Kommunen in anderen Handlungsfeldern der Jugendhilfe erhebliche Mittelkürzungen erfolgen werden.



Erika Simm
Wie berechtigt unsere Forderung war, Kindern und Jugendlichen im KJHG eigene Ansprüche und Rechte einzuräumen, zeigt die gegenwärtig laufende Verfassungsdiskussion, in der ebenfalls Forderungen dahin gehend erhoben werden, die Rechtstellung von Kindern und Jugendlichen als Trägern eigener Rechte und Ansprüche stärker in der Verfassung zu verankern.
Was die nun zu verabschiedende Reparaturnovelle betrifft, so ist festzustellen, daß sie offenbar in der Praxis bestehende dringliche Änderungsbedürfnisse aufgreift und diesen Rechnung trägt. Vieles ist aus der Stellungnahme des Bundesrates, aus den Äußerungen der Fachverbände und aus einer Anhörung im Ausschuß Frauen und Jugend in Änderungsvorschlägen zum Regierungsentwurf aufgenommen und im Konsens zwischen den Fraktionen auch berücksichtigt worden. Allein die Änderungen zum Regierungsentwurf umfaßten 39 Seiten. Diese Arbeit wäre in der Kürze der uns zur Verfügung gestellten Zeit ohne die Unterstützung aus dem zuständigen Ministerium nicht möglich gewesen. Den Mitarbeitern des Ministeriums danke ich, auch als Abgeordnete der Opposition, herzlich für die offene Art der Zusammenarbeit, und ich denke, ich kann es auch im Namen unserer Ausschußvorsitzenden tun, die mich darum gebeten hat, gerade was die Fertigstellung auch des Ausschußvotums betrifft.

(Beifall bei der SPD)

Positiv vermerken möchte ich insbesondere, daß entgegen dem ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung die vorrangige Zuordnung der seelisch behinderten jungen Menschen zur Kinder- und Jugendhilfe erhalten geblieben ist.
Beim Kindergeld für Pflegefamilien haben wir uns auf einen vermittelnden Vorschlag geeinigt, wonach nur das Erstkindergeld angerechnet wird, was zugleich für die Jugendämter eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung bedeutet.
Zur Neufassung des § 69 Abs. 6 KJHG, der keine Änderung der seit langem unbestrittenen geltenden Rechtslage darstellt, haben wir in einem Ausschußvotum klargestellt, daß wir an mancherorts bestehenden gewachsenen Verwaltungsstrukturen, nämlich der Wahrnehmung von Aufgaben der Jugendhilfe durch den allgemeinen Sozialdienst, nichts ändern wollen, sofern die Fachaufsicht durch das Jugendamt gewährleistet ist und diese Aufgabenfelder damit auch im Einflußbereich der Jugendhilfeausschüsse bleiben.
Ärgerlich finde ich allerdings, daß sich die Mehrheit der Mitglieder aus den Fraktionen der Regierungsparteien im Ausschuß von den Sachargumenten aus Fachkreisen nicht haben überzeugen lassen, daß es einer Regelung des Datenschutzes und der Befugnis zur Datenerhebung für die Jugendgerichtshilfe dringend bedarf. Die nun in § 61 KJHG aufgenommene Verweisung auf diesbezügliche Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes ist, meine ich, ein trauriger Witz, da das Jugendgerichtsgesetz dafür überhaupt keine Regelungen enthält. Dies hat uns im Ausschuß u. a. der Bundesdatenschutzbeauftragte überzeugend dargelegt.
Das Ergebnis der nun getroffenen Regelung ist, daß wir die in der Jugendgerichtshilfe tätigen Sozialarbeiter mit dem Problem, was sie im Rahmen ihrer gegenüber dem Gericht bestehenden umfassenden Berichtspflicht erheben und verwerten dürfen, weiterhin alleinlassen. Ich hoffe, daß diese Fehlentscheidung vielleicht schon im Bundesrat, ansonsten baldmöglichst bei einer der uns sicher noch ins Haus stehenden weiteren Novellierungen des KJHG, revidiert werden kann.

(Beifall bei der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212020900
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Frau Kollegin Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink.

Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (FDP):
Rede ID: ID1212021000
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, das am 1. Januar 1991 in Kraft getreten ist, wurde der Perspektivenwechsel in der Jugendhilfe auf bundesrechtlicher Grundlage vollzogen. Das KJHG unterstreicht den Angebotscharakter der Leistungen für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern sowie junge Volljährige. Der zentrale Wesensgehalt liegt in der Beratung als handlungsleitendem Prinzip der Jugendhilfe.
In der nun vorliegenden Novelle zur Änderung des 8. Buches Sozialgesetzbuch geht es hauptsächlich um verfahrensrechtliche Verbesserungen zur Erfüllung der Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe. Ich nenne drei Schwerpunkte: erstens Fragen der Kostenerstattung und Änderungen der Zuständigkeitsregeln, zweitens Zuordnung der seelisch behinderten Kinder und Jugendlichen zur Jugendhilfe. Hierzu möchte ich sagen, daß die F.D.P. die Zuordnung aller seelisch behinderten Kinder und Jugendlichen zur Jugendhilfe in einem eigenständigen Paragraphen begrüßt. Auch die Vorrangstellung der Jugendämter müßte so geregelt werden, daß hier Abgrenzungsprobleme unterbleiben. Drittens nenne ich die Sicherstellung des Lebensunterhalts durch die Jugendhilfe, d. h. neue Regelungen für sozialpädagogische Hilfen, Lebensunterhalt und Krankenhilfe.
Meine Herren, meine Damen, eine wesentliche Änderung im KJHG, die auch meine beiden Vorrednerinnen schon genannt haben, möchte ich hier auch noch einmal erwähnen. Wir haben uns hier im Deutschen Bundestag im Juni dieses Jahres im Rahmen der Neuregelung des § 218 für ein Recht auf den Kindergartenplatz ausgesprochen. Auch ich halte diesen Beschluß für einen Meilenstein in der Frauen- und Familienpolitik. Nun sind aber die Länder und Kommunen gefordert, diesen Rechtsanspruch umzusetzen.
Meine Herren, meine Damen, die vorliegende Novellierung des KJHG ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Bundestag, Bundesrat und allen Fraktionen. Bis auf die Neufassung des § 61 Abs. 3 herrscht Konsens. Die F.D.P. hat sich den Empfehlungen des Bundesrates — nicht der Bundesregierung — angeschlossen, wonach bei der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch das Jugendamt bei der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren die Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes gelten sollen. Die F.D.P. vertritt die Auffassung,



Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink
daß die einschlägigen Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes, §§ 38 und 43, eine ausreichende Rechtsgrundlage sowohl für die Ermittlungstätigkeit wie für die Datenübermittlung an die am Jugendstrafverfahren Beteiligten darstellen. Da aber diese Interpretation umstritten ist, wie Sie ja schon gehört haben, und auch um jegliche Unsicherheit zu vermeiden, fordern wir das Bundesministerium der Justiz auf, im Zuge der Novellierung des Jugendgerichtsgesetzes bereichsspezifische Regelungen beim Datenschutz, insbesondere bei der Datenerhebung und Übermittlung, vorzunehmen.
Die hier vorliegende Novelle gibt mir die Gelegenheit, noch einmal auf den Kerngedanken des KJHG einzugehen: auf die Leistungsverpflichtung der Jugendhilfe in den Bereichen der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Jugendschutzes. Gerade in den neuen Bundesländern gilt es jetzt diese Rechtsvorschriften schnell in die Praxis umzusetzen. Dies ist vor dem Hintergrund zunehmender Frustrationen und Gewaltbereitschaft von Jugendlichen unerläßlich.
Vorbeugende Arbeit in der Jugendhilfe und Jugendarbeit muß den höchsten Stellenwert bekommen. Dies bedeutet einerseits eine bessere personelle und sächliche Ausstattung der Jugendämter, andererseits ein umfassendes Angebot gezielter Fortbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Jugendhilfe. Dies kostet Geld.
Kinder- und Jugendpolitik heißt einmischen in Verteilungsprozesse und ist deshalb auch Finanzpolitik. Diese finanzpolitische Debatte muß jetzt zugunsten der Jugendhilfe beendet werden.
Aber wie sieht derzeit die Realität aus? Nur ein Beispiel, Leipzig: Hier gab es noch zu Beginn des Jahres 1989 mehr als 80 Jugendklubs. Heute sind es gerade noch sechs. Im Bereich der Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen vollzieht sich gerade in den neuen Ländern ein Kahlschlag, dessen Folgen heute schon offensichtlich werden. Fehlt eine sinnvolle freizeit- und sozialpädagogische Arbeit gerade in sozialen Brennpunkten, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn Kinder und Jugendliche rebellieren.
Um nicht mißverstanden zu werden: Gewaltanwendung wird hier in keiner Weise gerechtfertigt. Aber was bisher in vielen Stadtteilen den Jugendlichen in Form von Treffs und vielfältigen Freizeitmöglichkeiten auch einen emotionalen Halt gab, ist plötzlich weggebrochen.
Daher ist die Weiterführung des AFT-Programms — Aufbau Freier Träger — zentral für eine kontinuierliche Jugendpolitik.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Erika Simm [SPD]: Wird es denn weitergeführt?)

— Ich kämpfe dafür.
In Leipzig z. B. gibt es eine gute Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen und den freien Trägern. Hier arbeiten, meist im Rahmen von AB-Maßnahmen, bereits mehr als 100 Vereine oder Verbände zum
Wohle von Kindern und Jugendlichen. Auch in Zukunft muß diese Arbeit gewährleistet werden.
Überall in den neuen Ländern laufen die ABM- Verträge aus. Der Kinder- und Jugendarbeit droht Gefahr, ohne qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu sein. Der Handlungsbedarf ist dringend. Ich wende mich hier direkt an den Haushaltsausschuß.
Zu kritisieren ist an den Novellierungsvorschlägen des KJHG, daß noch zu viele Kann-Bestimmungen und unbestimmte Rechtsbegriffe existieren, die dazu führen, daß sich niemand mehr zuständig fühlt, gerade in den Kommunen, wo der finanzielle Spielraum ohnehin eng ist. Jugendämter müssen aber in die Lage versetzt werden, Verantwortung für die präventive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu übernehmen.
Fazit: Das KJHG schreibt in den alten und neuen Ländern gleiche Standards an Jugendhilfeleistungen fest. Diese Aufgabe kann nur erfüllt werden, wenn Länder und Kommunen die notwendigen finanziellen Mittel für die Umsetzung aufbringen. Ein Ausbleiben dieser Mittel vor dem Hintergrund von Jugendgewalt und neofaschistischen Ausschreitungen wird verheerende Folgen haben.
Danke.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212021100
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Yzer, das Haus ist gerade erst fertig, und Sie fangen an, es schon wieder abzubrechen. Ich mache diese Bemerkung nur, weil ich genau gesehen habe, womit wir uns hier noch auseinanderzusetzen haben. Der Boden ist sehr schön — das wird jeder sagen —, aber er ist zu glatt.
Nun erteile ich unserer Frau Kollegin Petra Bläss das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1212021200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute zur Debatte stehende erste Novellierung des neuen Kinder- und Jugendhilfegesetzes hat verfahrensrechtliche Verbesserungen zur Erfüllung der Aufgaben nach dem Achten Buch des Sozialgesetzbuchs zum Ziel.
Im folgenden möchte ich nur auf einige wenige Punkte eingehen, die ich für novellierungsbedürftig halte. Ich beziehe mich dabei vor allem auf die Ausführungen der Sachverständigen bei der Anhörung im Ausschuß für Frauen und Jugend und möchte insbesondere auf Erfahrungen mit dem KJHG eingehen, die in den neuen Bundesländern gemacht wurden.
Da bin ich schon beim Problem Nr. 1: Das KJHG konnte und kann in vielen Teilen den Bedingungen in den neuen Bundesländern nicht entsprechen; denn Grundbedingung für eine volle Wirksamkeit ist eine langfristig gewachsene plurale Trägerstruktur. Deren Aufbau aber steht im Osten derzeit erst auf der Tagesordnung.
Wir sollten deshalb die heutige Debatte auch zum Anlaß nehmen, mit Blick auf die kommenden Haushaltsberatungen als Jugendpolitikerinnen und -politi-
Deutscher Bundestag — 1'2. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1992 10201
Petra Bläss
ker fraktionsübergreifend die notwendige Fortführung des AFT-Programms einzufordern.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD sowie der Abg. Dr. Margret Funke-SchmittRink [F.D.P.])

Die Praxis in den neuen Bundesländern sieht vielfach so aus, daß die 59 Kann- bzw. Soll-Bestimmungen lediglich als freiwillige Leistungen aufgefaßt und an die letzte Stelle verwiesen werden. Durch derart gesetzliche Unverbindlichkeiten kann insbesondere der präventive Charakter der KJHG nur wenig zum Tragen kommen und sich Jugendhilfe in den neuen Bundesländern über Sonderprogramme oft nur auf Randgruppen beziehen.
Gesetzgeberischen Handlungsbedarf sehe ich auch im Art. 9 des KJHG. Der Ausschluß von ausländischen Kindern und Jugendlichen, die nicht ausländerrechtlich geduldet sind, von Leistungen und der festgeschriebene Ausweisungstatbestand für die Inanspruchnahme von Hilfen sind nicht nur ein Verstoß gegen das Haager Minderjährigenschutzabkommen und die UNO-Konvention über die Rechte des Kindes, sie stellen auch die Jugend- und Sozialarbeiterinnen und -arbeiter insbesondere in den ostdeutschen Grenzregionen vor erhebliche Probleme.
Einen weiteren Aspekt aus der Sachverständigenanhörung, der über den vorliegenden Novellierungsentwurf hinausgeht, möchte ich noch nennen: Kinder- und Jugendkultur ist eine wichtige eigenständige Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Sie muß im SGB VIII eine analoge Wertung erfahren wie die bereits genannten Lebenswelten. Die bisherige Erfassung von Kultur stellt eine unzulängliche Reduzierung auf kulturelle Bildung dar. In der Praxis ergibt sich daraus ein fortdauernder Zuständigkeitsstreit zwischen Kultur- und Jugendamt, der sich hemmend auf Entwicklungen in diesem Bereich auswirkt.
Abschließend möchte ich noch einmal auf die grundsätzlichen Einwände der Sachverständigen, des Bundesrates, vor allem auch der betroffenen Verbände zu zwei von der Bundesregierung eingebrachten Novellierungsvorschlägen eingehen, die Einfluß auf die Endberatungen im Ausschuß nehmen konnten und zur Rücknahme der Vorschläge führten, was ich sehr begrüße.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah vor, daß Eingliederungshilfe bei seelisch behinderten jungen Menschen nur dann von der Jugendhilfe geleistet werden soll, wenn gleichzeitig Erziehungshilfe geleistet werden muß. Da es noch zu früh ist, um Aussagen über die Erfahrung der Jugendhilfe mit seelisch behinderten jungen Menschen treffen zu können, wäre eine neue Zuständigkeitsregelung, die obendrein den Wünschen aus der Praxis widerspricht, völlig unverständlich.
Was die ursprünglich vorgesehenen Bestimmungen zur Regelung der Erhebung personenbezogener Daten ohne Mitwirkung der Betroffenen anging, so mehrten sich die Stimmen, die vor einem Verstoß gegen den Datenschutz warnten. Unklare Rechtsnormen wie die vorgelegte eröffneten einen unvertretbaren Ermessensspielraum, der den Schutz der jugendlichen Persönlichkeit nicht mehr gewährleistet. Eine
Regelung zu diesen Fragen sollte ausschließlich dem Jugendgerichtsgesetz vorbehalten bleiben. Obendrein wäre mit der vorgesehenen Regelung der für die Wirksamkeit der Jugendgerichtshilfe unabdingbare Vertrauensschutz gefährdet.
Staatssekretär Willi Hausmann erklärte im Mai dieses Jahres, daß sich Jugendhilfe als Anwalt für Kinder, Jugendliche und ihre Familien verstehe, damit einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert habe und auch für die Gestaltung unserer sozialen Wirklichkeit von herausragender Bedeutung sei. Dem kann und will ich nichts hinzufügen. Damit ist die Regierung in die Pflicht genommen, was, wenn es an das Sparen geht, heißt — ich erinnere an die abschließenden Haushaltsberatungen —: Hände weg von der Kinder- und Jugendhilfe!
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD — Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Immer diese alberne Formulierung: Hände weg! Uralter Kommunistenspruch! — Widerspruch bei der PDS/ Linke Liste — Gegenruf des Abg. Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Aber es bleibt albern!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212021300
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Josef Hollerith.

Josef Hollerith (CSU):
Rede ID: ID1212021400
Herr Präsident, gestatten Sie mir vor Eintritt in meine Rede eine persönliche Bemerkung. Ich habe die Ehre und das Vergnügen, zum erstenmal in diesem wunderschönen neuen Plenarsaal reden zu dürfen.

(Erika Simm [SPD]: Das ging uns allen so!)

Ich verbinde damit — liebe Kollegin Simm, vielleicht stimmen Sie mir hier zu — die Hoffnung, daß wir noch sehr lange in diesem neuen, teuren, wunderschönen Hause Plenardebatten führen dürfen.

(Heiterkeit — Erika Simm [SPD]: Dem kann ich durchaus zustimmen!)

— Ich bedanke mich, Frau Kollegin, für die nette Form der Zustimmung, die Sie mir hier zuteil werden lassen.

(Weiterer Zuruf von der SPD)

— Auch dieses nehme ich als dankbares Anerkenntnis gerne an, daß wir alle hier — bei spärlicher Besetzung, wie ich feststellen darf — dieses neue, schöne Haus als ein „langes" Domizil wünschen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor uns liegt die Novellierung des Sozialgesetzbuches VIII. Vor uns liegt aber auch ein schönes Beispiel, wie schnell Erfahrungen aus zwei Jahren Vollzugspraxis Gesetzesform annehmen können.
Ein überkritischer — Frau Kollegin Simm —Betrachter mag sich daran stoßen, daß das erst am 1. Januar 1991 in Kraft getretene Achte Sozialgesetzbuch bereits 1992 geändert werden soll. Ich halte im Gegensatz dazu die im vorliegenden Antrag dargestellten Änderungen und Ergänzungen für ein Zei-



Josef Hollerith
chen, daß unsere Gesetzesmühle schnell und effektiv gemahlen hat.
Änderungen sind dringend notwendig; das hat uns die Praxis gezeigt. Die Verantwortung des Bundesgesetzgebers für einen praktikablen Vollzug zwingt uns, veranlaßt uns zu diesem Schritt.
Den bei der Sachverständigenanhörung am 29. Oktober 1992 deutlich gewordenen Herausforderungen wurde Rechnung getragen. Auch die Anregungen des Bundesrates haben wir weitestgehend berücksichtigt. Ich meine, wir werden mit dieser Novellierung in vorbildlicher Weise unserer Verantwortung als Bundesgesetzgeber gerecht.
Ich möchte diese Überzeugung durch einige Beispiele, die mir besonders am Herzen liegen, belegen:
Erstens. Seelisch behinderte Kinder und Jugendliche werden nach dem Entwurf der Bundesregierung nur dann der Jugendhilfe zugeordnet, wenn sie gleichzeitig Erziehungshilfe benötigen. Für alle anderen Kinder und Jugendlichen, die behindert sind, bleibt die Sozialhilfe zuständig.
Zu Recht hat der Bundesrat und haben die Fachverbände die bisherige Lösung kritisiert. Wir sind dem Einwand gefolgt und haben deshalb die Regelung der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche von der Erziehungshilfe abgekoppelt und in einen eigenen Tatbestand gefaßt. Damit wird auch der vielfach vertretenen Ansicht entsprochen, daß einer seelischen Behinderung nicht in jedem Fall erzieherische Defizite zugrunde liegen.
Zweitens. Der Regierungsentwurf sieht vor, daß Beurkundungen und Beglaubigungen nur von Personen vorgenommen werden dürfen, die mindestens die Befähigung für den gehobenen Verwaltungsdienst besitzen. Der Bundesrat schlägt vor, die Feststellung der Befähigung im Einzelfall dem Jugendamt selbst zu überlassen. Dies erfolgt nach Maßgabe einer Landesverordnung. Auch diesem Vorschlag sind wir gefolgt, denn in der Praxis hat sich gezeigt, daß viele Personen die notwendigen Kenntnisse auf andere Weise erworben und Beurkundungen und Beglaubigungen korrekt durchgeführt haben. Außerdem könnten in den neuen Bundesländern Beurkundungen und Beglaubigungen in vielen Jugendamtsbereichen nicht vorgenommen werden, weil Absolventen der entsprechenden Ausbildungsgänge nicht zur Verfügung stehen.
Drittens. Die Koalitionsfraktionen haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der die Anrechnung des Kindergeldes auf das Pflegegeld auf die Höhe des Erstkindergeldes beschränkt. Der sehr hohe Verwaltungsaufwand, auf den in der Sachverständigenanhörung hingewiesen wurde, wird so verringert. Einnahmeausfälle bei den kommunalen Gebietskörperschaften werden durch die wesentlich vereinfachte Berechnung in der Praxis kompensiert.
Viertens. Der Gesetzgeber will alle Aufgaben in einem Amt zusammenfassen, ohne daß eine Dezentralisierung in größeren Städten ausgeschlossen wird. Es muß sichergestellt werden, daß Aufgben, die anderen kommunalen Organisationseinheiten übertragen wurden, nicht dem Zugriff des Jugendhilfeausschusses und damit der Mitbestimmung durch die freien Träger entzogen werden; denn der Jugendhilfeausschuß ist Teil des Jugendamtes.
In der Praxis hat sich zu dieser vom Gesetzgeber gewollten Allzuständigkeit des Jugendamtes ein gewisses Spannungsverhältnis entwickelt. Verschiedene Kommunen haben einzelne Aufgaben einem allgemeinen Sozialdienst zugewiesen, der außerhalb des Jugendamtes organisiert ist. Dem Leiter des Jugendamtes muß die Fachaufsicht für die Wahrnehmung aller Aufgaben nach dem Achten Buch des Sozialgesetzbuchs erhalten bleiben. Die Beteiligung des Jugendhilfeausschusses muß in vollem Umfang gesichert sein. Nur unter diesen Voraussetzungen ist eine Organisation des allgemeinen Sozialdienstes neben dem Jugendamt rechtlich vertretbar.
Ich begrüße ganz ausdrücklich, daß die Ausschußmehrheit dem Vorschlag des Bundesrates, § 61 Abs. 3 zu ergänzen, gefolgt ist. Durch Einfügung der Passage „Für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch das Jugendamt bei der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren gelten die Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes" konnten Streitigkeiten und Unsicherheiten beseitigt werden.
Die §§ 38 und 43 des Jugendgerichtsgesetzes enthalten im übrigen ausreichende Befugnisnormen, die die enge Zusammenarbeit zwischen Jugendgerichtshilfe und Bewährungshilfe regeln. Dem Datenschutz wird neben den allgemeinen Datenschutzbestimmungen, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 gelten, durch eine alsbald ins Auge zu fassende Novellierung des Jugendgerichtsgesetzes Rechnung getragen.
In die allgemeine positive Entwicklung des vorliegenden Novellierungstextes mischt sich für mich persönlich ein Wermutstropfen. In § 17 des Achten Buches des Sozialgesetzbuchs sind Kann-Leistungen geregelt, die ab 1. Januar 1995 in Anspruchstatbestände überführt werden. Aus meiner ganz persönlichen Sicht hätte es uns auf Grund der angespannten Haushaltslage bei den Kommunen gut angestanden, wenn wir diese Frist bis zum 31. Dezember 1999 verlängert hätten. Wir können nicht die Solidarität der Kommunen und der Länder zur Haushaltsdiziplin einfordern, um den Aufschwung im Osten zu finanzieren, und gleichzeitig den fachlich zwar begründeten Forderungen nachgeben, aber dem gesamtwirtschaftlich schädlichen Egoismus frönen,
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212021500
Der nächste Redner ist unser Kollege Ralf Walter.

Ralf Walter (SPD):
Rede ID: ID1212021600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Dieses Gesetz schafft die Basis für eine Kinder- und Jugendhilfe, die durch vorbeugende Maßnahmen die Familie unterstützt und ergänzt. Es will jungen Menschen das Hineinwachsen in die Gesellschaft erleichtern und Müttern, Vätern und Kindern Rat und Hilfe in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen anbieten. " — So schreibt die Jugendministerin in



Ralf Walter (Cochem)

ihrem Vorwort zur Broschüre der Bundesregierung über das Kinder- und Jugendhilfegesetz.
Wir beraten über eine Novellierung dieses Gesetzes zu einer Zeit, in der viele Jugendliche die Gesellschaft, in die sie hineinwachsen sollen, nicht mehr verstehen. Viele fühlen sich vergessen und vernachlässigt. Es fehlt die Orientierung in einer komplizierter werdenden Welt. Einige wissen mit ihrer Freizeit nichts Sinnvolles anzustellen. Die Alternative „Gehen wir ins Kino, oder ziehen wir vors Asylantenheim?" wirft ein sicher nicht repräsentatives, aber erschrekkendes Bild auf die Situation im Herbst 1992.
Andere können nicht glauben, daß eine Welt, die noch vor zwei Jahren in eine friedlichere Zukunft zu weisen schien, jetzt so stark von Haß, Angst, Neid und Geiz bestimmt sein soll. Fast allen ist gemeinsam, daß sie sich von der Politik unverstanden und enttäuscht fühlen.
Schon 1983 stand im Schlußbericht der EnqueteKommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" — ich zitiere —:
Eine nennenswerte Zahl von Jugendlichen, darunter auch viele Kinder von Ausländern, erhält heute in unserer Gesellschaft kaum eine Chance, überzeugende Zukunftsaussichten zu entwikkeln. Dieser Teil ist heute glücklicherweise noch relativ klein, würde aber weiter wachsen, wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zunähmen. Auf Dauer kann dies zur Herausbildung eines zahlenmäßig bedeutsamen jugendlichen Subproletariats führen, das nichts zu verlieren und auf normalen Wegen auch nichts zu gewinnen hat, zum Nährboden für Gewalt und Kriminalität und zum Sammelbecken links- und rechtsextremistischer Gruppen wird.
Heute, fast zehn Jahre später, sieht man, daß dies nicht ernst genommen wurde, denn die damals prognostizierte Situation zeigt sich immer stärker. Dabei wäre seit Jahren eine verläßliche, Orientierung gebende, das Mögliche ausführende Politik mit einer Perspektive, die die Zukunft lebenswert erscheinen läßt, notwendig und auch möglich gewesen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat hier versagt. Ihre Jugendpolitik zeichnet sich durch Kurzatmigkeit und interventionistischen Aktionismus aus. Es gibt keine langfristig angelegte, berechenbare Gestaltung, sondern reine Feuerwehrpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Als Reaktion auf die Anschläge von Jugendlichen auf Asylbewerberwohnheime fällt der Jugendministerin ein, daß die Jugendpolitik attraktiver werden muß. Jetzt erst? Und wie, konkret? Die Streichung der AFT-Mittel — sie ist ja allgemein beklagt worden —, die die Bundesregierung nach wie vor vorsieht, oder die reale Kürzung der Zuschüsse an die Jugendverbände sprechen eine deutliche, eine andere Sprache,

(Beifall bei der SPD)

Eine vernünftige Jugendpolitik, das wäre die erste und wichtigste Antwort auf die Gewalt der letzten Monate. Aber in der gesamten Diskussion über diese
Gewalt kam der Begriff Jugendpolitik fast nicht vor. Im Gegenteil! Der Entwurf des Bundeshaushaltes sieht das Auslaufen des AFT-Programms zur Förderung der freien Träger in den neuen Bundesländern nach gerade einmal einem Jahr und zu einem Zeitpunkt vor, da kaum irgend etwas so wichtig ist wie eine angemessene Betreuung von Jugendlichen, und zwar gerade dort, in den neuen Ländern. Welchen Sinn, so ist zu fragen, hat eine Kinder- und Jugendhilfe, die derart kurzatmig agiert, die auf die schnelle einmal ein paar Millionen — hier für das Aufbauprogramm für freie Träger — freigibt, um sie im nächsten Jahr wieder zu streichen?
In der Diskussion ist seit längerem — heute haben wir es auch mehrfach gehört — von dem Erfordernis einer präventiven Kinder- und Jugendhilfe die Rede. Das müßte in diesem Bereich aber sicherlich auch bedeuten, daß wir staatliches Handeln mit langfristigen Perspektiven versehen, daß wir uns bemühen, Berechenbarkeit in der Jugendhilfe deutlich zu machen, daß wir nicht hektisch auf Vorfälle reagieren wie im letzten Jahr nach Hoyerswerda mit einem Programm gegen Gewalt und in diesem Jahr eventuell doch noch, so hoffen wir, mit der Mehrheit dieses Hauses beim AFT. Das erfordert, daß wir nicht hektisch reagieren, sondern Warnungen ernst nehmen und Politik vorausschauend konzipieren.

(Beifall bei der SPD)

Der Innenminister dieser Bundesregierung hat gewisse Vorstellungen. Er möchte langgehegte Wünsche nach Verschärfung der Gesetze durchdrücken und darüber hinaus mit Anzeigenwerbung, Informationsmaterial und Jugendpresseseminaren der Lage Herr werden. Es gibt keinen Zweifel: Gegen die Gewalttäter muß konsequent vorgegangen werden. Ein Armutszeugnis ist es allerdings, zu glauben, daß man Jugendliche nur propagandistisch richtig beeinflussen müsse.
Es ist Zeit für eine Politik, die die Jugendlichen ernst nimmt, die die Realität ungeschminkt darstellt und dann Perspektiven eröffnet, auch wenn dazu Durststrecken zu durchlaufen sind, eine Politik, die Orientierung und Hilfestellung gibt, indem man deutlich macht, daß man die wirklichen Probleme anpackt, nämlich Wohnungen schafft und Arbeitsplätze vorhält sowie Freizeiteinrichtungen und Gesprächspartner wie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter anbietet, die die Jugendlichen da aufsuchen, wo sie sind, und sie an ihren Problemen abholen.

(Beifall bei der SPD)

Kinder und Jugendliche brauchen gerade in den sozialen Problembereichen jemanden, der sich um sie kümmert, jemanden, der sinnvolle Gemeinsamkeit, sinnvolle Freizeit und eine sinnvolle Bewältigung von Alltagsproblemen zu organisieren hilft. Sie brauchen Jugendhilfe, keine Anzeigenkampagnen!

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch eine komische Welt, in der wir auf die wuchernden Probleme nicht etwa mit deeskalierenden Maßnahmen im sozialpolitischen Bereich reagieren, sondern ganz im Gegenteil allenthalben sehen, daß an die Stelle der Deeskalation eine Tatenlosigkeit



Ralf Walter (Cochem)

tritt, die mittel- und langfristig verheerende Konsequenzen haben wird.
Wenn es denn stimmt, daß die Randalierer der letzten Monate nicht alle eingefleischte Rechtsextremisten und Rassisten sind, dann haben wir es doch augenscheinlich mit dem Problem mangelnder Orientierung und der Unfähigkeit zu sinnvoller Eigeninitiative zu tun. Kann die Aufgabe der Jugendhilfe noch klassischer formuliert werden? Und daß das dünne Eis, das diese Erscheinungen noch unter der Decke gehalten hat, auch im Westen längst gebrochen ist, soll hier nicht verschwiegen werden.
In einer solchen Situation verhält sich die Bundesregierung so, als sei die Jugendpolitik als die hinterletzte Nische der Sozialpolitik zu vernachlässigen. Diese Prioritätensetzung der Bundesregierung entspricht nicht den Herausforderungen, vor denen wir hier und heute stehen; denn für eine effiziente Jugendarbeit sind nun einmal Finanzmittel erforderlich, die die Bundesregierung vorerst noch zu verweigern scheint. Wir hoffen, daß die Mehrheit des Ausschusses für Frauen und Jugend, die sich ja für eine Fortführung der Hilfsmaßnahmen für den Aufbau in den neuen Ländern ausgesprochen hat, die Bundesregierung noch umstimmen kann bzw. von der Bundesregierung noch Rückendeckung bekommt.
Jugendarbeit läßt sich nicht mit Öffentlichkeitsarbeit im Vorbeigehen erledigen. Das Fazit kann nur lauten: In der Jugendpolitik wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht!

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist eine falsche Behauptung, Herr Kollege!)

— Ja, daß Sie das so sehen, glaube ich Ihnen gern. Aber hier ist ja sehr viel Falsches gesagt worden. Sie fordern z. B., überall Kindergartenplätze einzurichten. Wenn wir aber sehen, daß gerade Bayern sich anschickt, den Anspruch auf einen Kindergartenplatz nicht erfüllen zu wollen,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

dann weiß ich, wo hier Wahrheit und wo Unwahrheit gesprochen wird;

(Beifall bei der SPD)

da brauchen Sie mir wahrlich keine Vorträge zu halten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da sind Sie wieder im Irrtum, Herr Kollege!)

Das Fazit lautet: In der Jugendpolitik wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht. Wer aber hier versagt, der verspielt unsere Zukunft. Tatenlosigkeit und Ablenkungsmanöver angesichts der grassierenden Gewaltbereitschaft — ich fürchte, das ist eine Hypothek, deren langfristige Kosten uns teuer zu stehen kommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Köln fand Anfang der Woche eine große Fete gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, an der 100 000 Menschen teilnahmen, statt. Sie stand unter dem Motto — Herr Präsident, ich zitiere jetzt —: „Arsch huh, Zäng ussenander! " — für Nicht-Rheinländer frei übersetzt mit: Gesäß lupfen, Farbe bekennen! —
Dieses Motto möchte ich auch der Bundesregierung für ihre zukünftige Jugendpolitik gern ans Herz legen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Zuruf von der CDU/CSU: Ein schwacher Beitrag!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212021700
Nun hat als letzte Rednerin in dieser Runde unsere Frau Kollegin Ilse Falk das Wort.

Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1212021800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Gesetz steht heute auf dem Prüfstand, das nach über 30jähriger Reformdebatte vor knapp zwei Jahren in Kraft getreten ist und damals das alte Jugendwohlfahrtsgesetz abgelöst hat.
Mit diesem Gesetz wurde ein völlig neuer Ansatz in die bis dahin übliche Jugendfürsorge gebracht. Nicht mehr die klassische Erziehungshilfe in Form der Unterbringung von auffällig gewordenen Jugendlichen in Heimen oder Pflegefamilien steht im Vordergrund, sondern Kinder und Jugendliche sollen in ihrer Entwicklung umfassend gefördert werden; die Leistungen der Jugendhilfe sollen die Erziehung in der Familie unterstützen und ergänzen, und zwar nicht erst dann, wenn die Erziehung in der Familie ernsthaft gefährdet ist.
An die Stelle des autoritären Erziehungsgedankens ist damit nicht das Laissez-faire der 60er und 70er Jahre getreten, sondern das wohldurchdachte Konzept einer umfassenden Jugendhilfe, die präventiven Charakter hat und vorrangig das Kind und den Jugendlichen in seinen Lebenszusammenhängen sieht.
Angebote und Leistungen orientieren sich an den verschiedenen Lebenslagen und an der körperlichen, seelisch-geistigen und sozialen Entwicklung, und — ganz wesentlich — sie betonen Selbstverantwortung und Mitarbeit als integrale Bestandteile der Hilfsangebote.
Trotz dieses völlig neuen Ansatzes haben wir es heute nur mit vergleichsweise wenigen Änderungsvorschlägen zu tun, zwar mit einem dicken Paket, aber es sind im wesentlichen Bedürfnisse der praktikablen Umsetzung damit nachvollzogen worden. Der Kollege Hollerith hat dies dargestellt und zugleich die vier wichtigsten Änderungen vorgestellt.
Es gab — auch dies ist hier verschiedentlich angesprochen worden — einen einzigen Punkt, der bis zum Schluß strittig war und nur mit sehr knapper Mehrheit in der vorliegenden Fassung beschlossen wurde. Ich will ihn noch einmal aufgreifen, weil die Diskussion mir grundsätzlicher Natur zu sein scheint.
Es geht um die Bestimmungen der §§ 61 und 62, die einen umfangreichen Meinungsstreit ausgelöst haben. Ich will hier nicht die ganze Argumentation noch einmal vortragen; dazu nur soviel: Es geht um die Befugnisse der Jugendgerichtshilfe zur Datenerhebung mit oder ohne Einwilligung des Beschuldigten sowie die Berichterstattung an Staatsanwaltschaft und Jugendgericht.



Ilse Falk
Hier scheint die Umkehrung des dem KJHG zugrunde liegenden und am Jugendlichen orientierten sozialpädagogischen Erziehungsansatzes vorzuliegen. Die Kritik wirft den geltenden §§ 61f. vor, die Jugendgerichtshilfe sei hier als eine Art Sozialanwalt der Jugendlichen oder Heranwachsenden definiert. Aus dem berechtigten Wunsch heraus, das Vertrauensverhältnis zwischen dem oder der Beschuldigten und dem Jugendgerichtshelfer bzw. der -helferin zu schützen, ist man aber offensichtlich über das Ziel hinausgeschossen, indem nach geltendem Recht der oder die Beschuldigte bestimmen kann, welche Informationen aus sogenannten einfachen Ermittlungsmaßnahmen dem Jugendgericht und der Jugendstaatsanwaltschaft mitgeteilt werden.

(Erika Simm [SPD]: Woher haben Sie das?)

Es ist also die Frage zu stellen, wem so oder so gefaßte Bestimmungen des Datenschutzes im Falle der Straffälligkeit wirklich dienen oder schaden.
In der Praxis ist es doch so - das wurde mir noch gestern von einem erfahrenen Jugendrichter wieder bestätigt —, daß gerade die möglichst umfassende Darstellung der Lebens- und Familienverhältnisse, des Werdegangs und des bisherigen Verhaltens des Jugendlichen eine angemessene Beurteilung durch den Richter möglich macht. Wie kann ein Jugendrichter sicher sein, ob er dem Jugendlichen überhaupt gerecht geworden ist, wenn er befürchten muß, daß er subjektive oder gefilterte Informationen bekommen hat, weil der Jugendgerichtshelfer seine Aufgabe nicht als Mittler zwischen Beschuldigtem und Gericht sieht, sondern vielmehr im Schutz des Jugendlichen vor dem Gericht? Hier kann die fatale Fehleinschätzung zum Tragen kommen, daß ein Vertrauensverhältnis zum Beschuldigten durch Offenheit gegenüber der Richterin oder dem Richter gefährdet wird. Ich glaube im Gegenteil, ein Jugendlicher muß auch lernen, daß die Autorität des Jugendgerichts nicht sein Feind ist, sondern daß in der Regel alle in der Jugendgerichtsbarkeit Tätigen nach einer Lösung zu seinem Wohle suchen. Ganz sicher spielt die Persönlichkeit der Beteiligten eine ganz wichtige Rolle, und ich gestehe zu, daß Jugendgerichtshelferinnen und -helfer durchaus auch in schwierigere, konfliktreiche Positionen zwischen Gerichten und Beschuldigten kommen können. Das ist aber nicht die Regel.

(Erika Simm [SPD]: Das ist doch nicht das Problem!)

Gerade deshalb sollten wir mit unserer Gesetzgebung diejenigen unterstützen, die kooperativ sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Änderung der §§ 61 f. durch die Novellierung könnte dazu führen, ein konstruiertes Gegeneinander von Richter auf der einen Seite und Gerichtshelfer und Jugendlichem auf der anderen Seite zugunsten einer vertrauensvollen Zusammenarbeit aufzulösen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212021900
Ich schließe die Aussprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir drei kurze Bemerkungen.
Die erste: Wenn wir den Zwischenruf des Kollegen Reddemann eben richtig verstanden haben, dann hat
er vom Parkett gesprochen, das glatt sein kann. Ich habe diesen Ausdruck bewußt vermieden und habe gesagt: Ich rede hier vom glatten Boden, damit es keine Mißverständnisse gibt.
Die zweite Bemerkung: Wenn der Kollege Hollerith sagt, daß er in diesem wunderschönen Saal noch möglichst lange reden möchte, will ich ihn nur an das erinnern, was wir am 20. Juni 1991 beschlossen haben.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Aber wenn er gewisse Zeitvorstellungen hat und etwa an ein halbes Jahrzehnt denkt, dann, so glaube ich, wird er mit den Wünschen, die er hegt, am Ende recht behalten.
Das Dritte: Ich möchte dem Kollegen Ralf Walter zu seiner ersten Rede nicht nur in diesem Hause, sondern im Bundestag überhaupt gratulieren

(Beifall im ganzen Hause)

und feststellen: Es war eigentlich gut. Er bekam Widerspruch und mußte reagieren. Ich kann an viele Kollegen erinnern, denen das nicht so ganz leichtfällt. Deswegen meine ich: Es war gut.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch auf den Drucksachen 12/2866 und 12/3711. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei drei Stimmenthaltungen der Gruppe PDS/Linke Liste und einer Ja-Stimme aus dieser Gruppe ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei den gleichen Abstimmungsverhältnissen wie in der zweiten Lesung ist der Gesetzentwurf angenommen.
Ich rufe nun Punkt 13 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes
— Drucksache 12/2021 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

— Drucksache 12/3669 — Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Albert Probst Peter Conradi

(Erste Beratung 88. Sitzung)




Vizepräsident Helmuth Becker
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Conradi, Freimut Duve, Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
EG-Klage gegen das Zweite Gesetz zur Änderung des Filmförderungsgesetzes
— Drucksachen 12/2214, 12/3669 — Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Albert Probst Peter Conradi
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, erteile ich dem Berichterstatter Peter Conradi zu einer Berichtigung des Ausschußberichts das Wort.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1212022000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Berichterstatter bitte ich um Berichtigung von zwei Schreibfehlern in der Beschlußempfehlung und dem Bericht des Ausschusses, Drucksache 12/3669.
In Art. 1 Nr. 21 Buchstabe b) ist unter Doppelbuchstabe cc) folgender Satz anzufügen:
In Satz 3 wird nach den Worten „Absatz 1" die Angabe „Nr. 2 b," eingefügt.
Außerdem wird in Art. 1 Nr. 4 Buchstabe b) „cc) unverändert" eingefügt.
Es handelt sich hier um die Beteiligung von Frauen beider Besetzung der Vergabekommission. Die Vermutung, der Berichterstatter der CSU habe das absichtlich weggelassen, wird mit Empörung zurückgewiesen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212022100
Vielen Dank, Herr Kollege Conradi. Das war eine Berichtigung, die wir zu Protokoll genommen haben.
Nunmehr kommen wir zur Aussprache. Ich erteile zunächst unserem Kollegen Dr. Albert Probst das Wort.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1212022200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es jetzt mit einem wichtigen Thema zu tun, das nicht wichtige politische Probleme des Alltags berührt, aber etwas, was für unseren kulturellen Stand in Europa und weltweit von großer Bedeutung ist, nämlich die wirtschaftliche Bedeutung des deutschen Films und die Bedeutung der deutschen Filmwirtschaft.
Wenn Sie heute den Fernseher einschalten, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, daß ein amerikanischer Film gezeigt wird; denn die machen weit über 90 % aus. In den Filmtheatern ist es ebenso. Es ist außerordentlich wichtig, daß auch für den deutschen Film eine Möglichkeit geschaffen wird, wirtschaftlich zu bestehen. Denn wie sollte er kulturell bestehen, wenn er es wirtschaftlich nicht kann?
Wir haben nunmehr den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes vorliegen. Das Filmförderungsgesetz hat sich bisher
bewährt. Es hat einige Praxiserfahrungen durchgemacht. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, daß in der Novelle einige wichtige Grundsätze neu gefaßt wurden bzw. einige Elemente neu eingeführt werden. Ich möchte sie in aller Kürze nennen.
Zunächst zum Themenbereich der Referenzfilmförderung: Hier soll es künftig nur noch eine einzige Form geben. Allerdings gibt es für Filme, die die Mindestzahl nicht erreichen — 50 000 Besucher —, eine Prädikatsberücksichtigung, wenn die Filme förderungswürdig sein sollen.
Es gibt eine besondere Begünstigung für Kinder-und Jugendfilme. Das ist außerordentlich wichtig. Wir sind den Fachleuten dankbar, die uns auf dieses Thema besonders aufmerksam gemacht haben. Hier gibt es einige Elemente der Verbesserung: eine längere Laufzeit und die Berücksichtigung von Zuschauerzahlen bei nicht gewerblichen Vorführungen.
Schließlich ist auch eine Stärkung der Struktur der Produzenten vorgesehen, da die Mittel der Referenzfilmförderung künftig auch als Stärkung der Eigenkapitalbasis der Produzenten oder auch für die Beschaffung besonders aufwendiger Filmstoffe verwendet werden können; so in § 28 Abs. 4. Es ist auch eine Stärkung der Verleihförderung durch eine Aufstokkung der möglichen Fördersummen von 100 000 DM auf 250 000 DM vorgesehen, in besonderen Fällen sogar auf 500 000 DM.
Ein neues Element ist auch die Förderung von jugendgeeigneten Videotheken und Videoprogrammen. Das ist bisher gar nicht gefördert worden. Das ist ganz neu im Gesetz. Die Abgabe der Videowirtschaft wird künftig nicht mehr durch die Programmbetreiber, d. h. die Videotheken gefordert, sondern durch die Programmanbieter. Der Anteil soll 2 % des Umsatzes betragen.
Das Bundeswirtschaftsministerium wollte die Vergabekommission anders zusammensetzen. Die beiden Sitze von Bundestag und Bundesrat sollten herausfallen. Das haben wir uns nicht gefallen lassen, Herr Kollege Conradi; denn ein bißchen möchten auch wir sehen, was sich da drinnen tut und welche Möglichkeiten wir haben.

(Zustimmung des Abg. Peter Conradi [SPD])

Parlamentarische Kontrolle ist auch hier geboten.
Meine Damen und Herren, bedauerlich ist, daß die Definition „deutscher Film" nicht mehr so geblieben ist, wie sie war. Die Definition wurde durch Einspruch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften geändert. Die jetzige Formulierung ist leider so vage, daß manch ein Film, der eigentlich mit deutschem Film gar nichts zu tun hat, auch zu dem Prädikat „deutscher Film" kommen kann und dann eine mögliche Förderung erfahren kann. Eine einfachere oder eine bessere Regelung ist allerdings einvernehmlich mit der Kommission nicht möglich gewesen.
Das bedeutet, daß man nun genau beobachten muß, wie sich die Praxis an dieser Frage ausrichten wird und wie sich die Möglichkeiten, die hier gegeben sind, bewähren. Deshalb möchten wir gerne, daß die



Dr. Albert Probst
Bundesregierung nach zwei Jahren berichtet, wie sich das ausgewirkt hat.
Als besonders bedauerlich empfinde ich auch, daß wir nicht zu einer einvernehmlichen Regelung gekommen sind, soweit es in diesem Gesetz zu einer rechtlichen Verpflichtung der Fernsehveranstalter kommen sollte. Das Bundesministerium für Wirtschaft und auch die F.D.P. waren nicht bereit, gemeinsam zu einer gesetzlichen Verpflichtung zu kommen. Die Gruppenhomogenität wäre hier von größter Bedeutung, weil das auch verfassungsrechtliche Auswirkungen haben kann.
Ersatzweise wurde uns signalisiert, daß die Rundfunkanstalten, auch die privaten Fernsehveranstalter, bereit sind, freiwillig eine vertragliche Bindung einzugehen. Das könnte zwar kein Ersatz, aber doch eine hilfreiche Möglichkeit sein, hier doch noch zu einer befriedigenden Lösung zu kommen. Ich gehe aber davon aus, daß es längerfristig nicht möglich sein wird, daß die Fernsehveranstalter aus dieser gesetzlichen Verpflichtung herausbleiben, während andere wie die Videowirtschaft selbstverständlich eine gesetzliche Verpflichtung eingehen müssen.
Ich möchte Ihnen heute empfehlen, der Beschlußvorlage des Ausschusses vom 4. November zuzustimmen. Die Beschlußempfehlung wurde einstimmig im Ausschuß gefaßt. Dabei dreht es sich um die Annahme des Gesetzentwurfes und darum, den Fraktionsantrag der SPD in Drucksache 12/2214 für erledigt zu erklären. Weiter geht es um die Annahme eines Entschließungsantrages, in dem der Wirtschaftsausschuß fordert, daß die Fernsehveranstalter bei ihren vertraglichen Regelungen erheblich mehr leisten müssen, als sie es bisher tun.
Ich möchte mich am Schluß ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe der Berichterstatter bedanken. Es war eine sehr, sehr erfreuliche Kooperation. Ich habe viele Gesetzesvorlagen mit beraten, aber das war eine der angenehmsten.
Ich möchte mich ganz herzlich auch bei den Mitarbeitern des Ausschusses für Wirtschaft, bei den Fachverbänden, die uns in einer langen Anhörung zur Verfügung gestanden und uns fachlich geholfen haben, und auch beim Bundesminister für Wirtschaft und den dortigen Mitarbeitern bedanken.
Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212022300
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Peter Conradi das Wort. Er spricht vom Platz aus.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1212022400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne die Filmförderung nach dem Filmförderungsgesetz gäbe es keinen deutschen Film mehr. Das war die Meinung aller Fachleute bei der Anhörung, ausgenommen die Filmjournalisten. Die waren anderer Meinung. Sosehr wir die Filmjournalisten und ihre Filmkritiken schätzen — vom Film verstehen sie etwas —, was die wirtschaftliche Seite des Films anbelangt, verlassen wir uns lieber auf das
Urteil der Produzenten, der Regisseure, der Verleiher, und der Kinobesitzer.
Das Gesetz und damit die Grundlage für die Filmförderungsabgabe würde Ende des Jahres auslaufen. Deswegen haben wir es novelliert und verlängern seine Geltungsdauer um weitere sechs Jahre.
Das Filmförderungsgesetz ist ein Wirtschaftsgesetz, sagen wir den Ländern; mit Kultur hat es überhaupt nichts zu tun. Das Filmförderungsgesetz ist ein Kulturgesetz, sagen wir der EG; mit Wirtschaft hat es überhaupt nichts zu tun. Denn eine Filmförderungsabgabe der Filmverbraucher für den deutschen Film ist in der EG nur aus kulturellen Gründen erlaubt. Wäre das Filmförderungsgesetz ein Wirtschaftsgesetz, würde die EG nicht zustimmen.
Wehe, wenn die Länder und die Euros merken, daß wir ihnen etwas Unterschiedliches erzählen. Dann werden die Länder wegen ihrer Kulturhoheit und die Euros wegen ihrer Fixierung auf die freie Marktwirtschaft gemeinsam den deutschen Film umbringen.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Erteilen Sie den Rat?)

— Ich mache mich lustig, Herr Kollege. Aber ich sehe, Sie haben das verstanden.
Die EG hat uns verboten, bei der Entscheidung darüber, was ein förderungswürdiger deutscher Film ist, an die deutsche Staatsangehörigkeit anzuknüpfen. Nun hat die Bundesregierung mit der EG eine Formulierung ausgehandelt, in der vom deutschen Film nicht mehr die Rede ist. Künftig ist ein Film bei uns förderungswürdig, wenn er in deutscher Sprache in Deutschland uraufgeführt worden ist.
Das heißt im Klartext, ein englischer Produzent, der eine Niederlassung in Deutschland hat, kann mit einem französischen Verleiher, mit einem spanischen und einem irischen Hauptdarsteller einen Film produzieren und hier dann auf Deutsch synchronisieren und uraufführen lassen — mit dem Ergebnis, daß dieser Film nach dem neuen Filmförderungsgesetz Anspruch auf Filmförderung hat.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Das ist die multikulturelle Gesellschaft!)

Die Franzosen sind da selbstbewußter: Ein französischer Film ist ein Film, der in französischer Sprache hergestellt wird. Dagegen hat die EG erstaunlicherweise keinen Einspruch erhoben. Unsere Regisseure und Produzenten wollen allerdings — und die Bundesregierung folgt ihnen da — weiterhin die Anziehungskraft ausländischer Stars, die sie dann synchronisieren. Aber wir haben Zweifel, ob diese Definition dem deutschen Film nützt. Vielleicht nützt sie dem Euro-Pudding-Film. Doch so haben wir uns die Kultur in Europa nicht vorgestellt.
Deshalb erwarten wir, daß die Bundesregierung in zwei Jahren berichtet, wie das dann mit den neuen Kriterien gelaufen ist. Gegebenenfalls werden wir dann wie die Franzosen das Gesetz dahin ändern, daß ein deutscher Film bei uns förderungswürdig ist, wenn er in deutscher Sprache gedreht worden ist.
Bis hierher waren wir uns im Hause einig. Nicht einig sind wir uns bei der Frage, ob die Fernsehan-



Peter Conradi
stalten in die gesetzliche Pflicht zur Filmförderungsabgabe einbezogen werden sollen. Bis jetzt zahlen die freien und die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten auf Grund eines freiwilligen Abkommens im Jahr knapp 15 Millionen DM, knapp 9 Millionen DM die öffentlich-rechtlichen, 6 Millionen DM die privaten. Das sind erbärmliche Summen. Ein ordentlicher Film kostet in Deutschland 10 bis 15 Millionen DM. Die Fernsehanstalten zeigen im Jahr 5 000 Filme. Sie zahlen aber als Abgabe gerade das, was ein guter Film kostet.
Wie wollen wir eigentlich den Kinobesuchern und den Kinobesitzern, wie wollen wir den Videokäufern und den Videohändlern klarmachen, daß sie eine Abgabe für den deutschen Film zu zahlen haben, das Fernsehen mit seinem Millionenpublikum aber ausgenommen ist und frei bestimmen darf, ob es eine Abgabe zahlen will oder nicht und wie hoch sie sein soll? Nach dem Gleichheitsgrundsatz halte ich das für nicht vertretbar. Wenn das Gesetz in Karlsruhe deshalb gekippt wird, werden wir die Bundesregierung und die Koalitionsparteien daran erinnen.
Die SPD hat im Ausschuß vorgeschlagen, die Fernsehanstalten in die gesetzliche Abgabepflicht einzubeziehen — wir wollten ihnen auch die Möglichkeit einer Pauschalierung eröffnen —, aber die Koalition hat das schnöde abgelehnt. Die F.D.P., weil sie ihrem Wirtschaftsminister nicht widersprechen will, mit dem zusammen sie Angst vor den Fernsehmächtigen hat — Männerstolz vor Fernsehthronen, Herr Grünbeck, in Festreden können Sie dann weiter von der Notwendigkeit bundeskultureller Regelungen reden. Die CDU/CSU, weil sie gegen besseres Wissen ihren Koalitionspartner nicht brüskieren wollte — das erinnert mich ein bißchen an die Geschichte mit dem Schwanz und dem Hund. Wir haben die Union mit Sirenengesängen zu betören versucht. Fast hätten wir den Probst herumbekommen, aber der Grünbeck ließ ihn nicht entkommen.
Ich habe von Ihnen, Herr Dr. Probst, gelernt, daß es heißt: Trauen hätten wir uns schon dürfen, aber — — Wie heißt es noch?

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU): Mögen hätten

wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns
nicht getraut!)
— Meine Damen und Herren, mir hätten Sie das nicht geglaubt, aber nachdem der Sprecher der Koalition das selbst gesagt hat, will ich es hier noch einmal wiederholen: Mögen hättet ihr schon wollen, aber trauen habt ihr euch nicht dürfen.

(Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt so nicht!)

So weit, so schlecht. In Karlsruhe sehen wir uns wegen dieser Sache wieder. Ansonsten ist es ein gutes Gesetz. Die SPD-Fraktion wird ihm zustimmen in der festen Absicht, es noch besser zu machen, wenn wir hier eine Mehrheit dafür haben.

(Beifall bei der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212022500
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Josef Grünbeck das Wort.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1212022600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, aus den Beiträgen meiner beiden Kollegen Probst und Conradi ist sichtbar geworden, daß die Beratung über dieses Gesetz innerhalb unserer Gruppe sehr ordentlich war, auch mit Humor gespickt, wie es jetzt Herr Conradi bewiesen hat. Herzlichen Dank dafür. Das wird der Sache gerecht.
Es handelt sich j a hier um ein Gesetz, in dem es zwar um Geld geht, ausnahmsweise aber nicht um Steuergelder. Die Mittel, die nach den Regelungen des Gesetzes zur Förderung des deutschen Films dienen, werden vielmehr von den Marktbeteiligten aufgebracht, die den Film nutzen: Fernsehen, Kinos und die Videowirtschaft.
Daß eine Förderung des deutschen Films, wie sie das Filmförderungsgesetz vorsieht, notwendig ist und auch weiterhin erfolgen soll, darüber waren sich bei der Beratung alle Beteiligten einig. Bei der sehr weit gefaßten Definition, was denn ein deutscher, also förderfähiger Film ist, sind allerdings durchaus Bedenken angebracht. Hier teile ich die Argumente meiner Vorredner. Diese Definition kam unter dem Zwang zustande, eine Einigung mit der EG-Kommission zu erzielen, um ein Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden. Wir hoffen, daß sich das Gesetz bewährt. An Hand des Berichts, den die Bundesregierung in zwei Jahren vorlegen soll, werden wir die praktischen Auswirkungen beurteilen können.
Der strittige Punkt war, ob die Fernsehanstalten einen freiwilligen Beitrag leisten oder ob wir das gesetzlich verankern sollen. Meine Damen und Herren, ich frage mich wirklich, warum wir nicht einmal grundsätzlich darüber nachdenken, ob wir denn alles erzwingen wollen oder ob wir nicht in der Freiwilligkeit die Frage der Verantwortung an die Fernsehanstalten stellen sollten.

(Beifall bei der F.D.P.)

Ich glaube, das ist der bessere Weg, zumal uns im Falle einer Zwangsabgabe eine Verfassungsklage ins Haus gestanden hätte, die dann möglicherweise dazu geführt hätte, daß wir zwei, drei Jahre vor dem Verfassungsgericht streiten und in dieser Zeit dann überhaupt keine Einnahmen für die Förderung des Films hätten. Das hat uns veranlaßt, auf der Freiwilligkeit zu beharren.

(Beifall bei der F.D.P.) Ich glaube, das war auch richtig.

Auf anderen Gebieten möchte ich allerdings das Fernsehen in die Pflicht nehmen. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit sagen, daß die Qualität des Programms uns schon Sorge macht.
Meine Damen und Herren, ich bin sehr froh darüber, daß wir hier eine Regelung zustande gebracht haben, die insbesondere den Jugendfilm in eine besondere Gliederung einbindet. Ich glaube aber, daß wir die Gelegenheit nutzen sollten, auch an das Fernsehen nicht nur wegen der Zahlung von Summen zu appellieren. Im übrigen ist die Steigerungsrate groß. Die Fernsehanstalten haben sich verpflichtet, mit 10 bis 12 Millionen DM aus dem öffentlichrechtlichen Bereich und 10 Millionen DM aus dem Bereich des Privatfernsehens zur Finanzierung beizu-



Josef Grünbeck
tragen. Wir hoffen, daß sie diese Beträge noch wesentlich steigern können. Darüber gibt es überhaupt keinen Streit.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Gelegenheit doch noch einmal nutzen: Wir haben gerade vor diesem Tagesordnungspunkt über die Jugendhilfe und über andere Dinge gesprochen, und wir reden mit Recht und in unserer eigenen Verantwortung dauernd über die Zunahme von Gewalt. Wir sollten wirklich in diesem Zusammenhang an die Fernsehanstalten appellieren, alles zu unterlassen, was die Gewalt fördert, und alles zu betreiben, was die Gewalt zurückdrängt. Das kann ja nur in unserem gemeinsamen Interesse sein.

(Beifall im ganzen Hause)

Es ist wichtig, daß wir der Qualität beim Fernsehen als Auswahlkriterium bei Produktion und Programmgestaltung eine große Bedeutung beimessen. Wir respektieren die Freiheit der Gestaltung, aber wir Liberalen erinnern auch daran, daß Freiheit unteilbar und mit Verantwortung verbunden ist. Diese Verantwortung erbitten wir von den Fernsehanstalten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212022700
Nunmehr hat unsere Kollegin Angela Stachowa das Wort.

Angela Stachowa (PDS/LL):
Rede ID: ID1212022800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sagte es bereits im April dieses Jahres: Filmförderung hat für mich nicht nur etwas mit Wirtschaftlichkeit und viel Geld zu tun, sondern sehr viel mehr mit Kultur. Dies setze ich unverändert an die erste Stelle.
Ein guter Film, der die Kultur im weitesten Sinne in der Welt bereichert, kann allerdings ohne Förderungsmaßnahmen in der Regel nicht auskommen. Die staatliche Filmförderung bleibt für den deutschen Film lebensnotwendig, vor allem für den tatsächlich deutschen Film. Ich schließe mich den Stimmen an, die kritisieren, daß die Definition dessen, was eigentlich ein deutscher Film ist, nicht befriedigend ist. Ich will in dieser Diskussion nicht der Deutschtümelei oder dem Heimatfilm, dem sicherlich auch seine Bedeutung zukommt, das Wort reden. Als notwendig erachte ich aber Standards und eine nationale Identität, die Deutschland künftighin mehr als Filmland präsentiert.
Ich bezweifle stark, daß die jetzigen Regelungen ausreichen, um die deutsche kulturelle Identität im Filmschaffen widerzuspiegeln und die Beteiligung deutscher Künstler hinreichend zu begünstigen.
Für problematisch halte ich auch die Verringerung der Projektförderung gerade für den Nachwuchs, für den Einstieg ins Filmgeschäft, wenn Referenzfilmförderung in der Regel noch nicht greift.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Sie wird aber nicht verringert!)

— Aber sie sollte erhöht werden. Das ist meine Auffassung dazu aus eigener Kenntnis der Sache.
Meine Damen und Herren, wenn heute Hollywoodfilme mit Durchschnittskosten von 30 bis 40 Millionen Dollar im deutschen Kino einen Marktanteil von rund 80 % haben, wie kann dann ein deutscher Film mit einem Durchschnittspreis von 2 bis 4 Millionen DM dagegenhalten? Sicher nur in Ausnahmefällen, nämlich dann, wenn der Film eine herausragende Produktion im künstlerischen oder aber im kassenfüllenden Sinn darstellt.
Ich bedauere es sehr, daß die Novelle zum Filmförderungsgesetz keine spezielle Aussage zur Filmförderung in den neuen Bundesländern enthält. Gerade dort, wo die Länderförderung noch in den Kinderschuhen steckt, wo einfach zuwenig Geld für zu viele Aufgaben da ist, hätte ich mir Aussagen zur übergangsweisen Unterstützung durch den Bund gewünscht. Wenn die Bundesvereinigung des Deutschen Films darauf hinweisen muß, daß bei der Anhörung des Wirtschaftsausschusses zum Filmförderungsgesetz niemand aus den neuen Bundesländern zu Wort kam, finde ich das — freundlich gesagt — befremdlich.

(Peter Conradi [SPD]: Die hatten auch keine Erfahrungen mit dem Gesetz! Was sollen sie uns denn sagen?)

— Gut, aber sie haben Filme gemacht.

(Peter Conradi [SPD]: Es geht doch um das Gesetz und nicht um Filme!)

— Aber das Gesetz betrifft doch die Filmemacher!

(Freimut Duve [SPD]: Ein bißchen recht haben Sie, Frau Kollegin!)

— Ich danke Ihnen.
Für unbedingt notwendig halte ich auch, daß die öffentlich-rechtlichen und die privaten Fernsehveranstalter als intensive Nutzer deutscher und ausländischer Spielfilme einen angemessenen Beitrag zur Stärkung des deutschen Films leisten. Die in den Ausschüssen erfolgte Ablehnung der Einführung einer gesetzlichen Abgabeverpflichtung sollte uns nicht daran hindern, die freiwilligen Beiträge der Fernsehstationen auch öffentlich zu machen. Ich erwarte, daß wir als Abgeordnete darüber und über die Verwendung dieser Summen regelmäßig informiert werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212022900
Meine Damen und Herren, ich erteile nunmehr das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, unserem Kollegen Dr. Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1212023000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, Herr Conradi, daß Sie so ungeduldig auf meine Rede warten. Aber der Respekt vor dem Präsidenten gebietet doch zu warten, bis man an das Pult vorgelassen wird.

(Freimut Duve [SPD]: Wir sahen Ihnen das Lampenfieber an!)




Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
Es ist für mich als Vertreter der Bundesregierung heute eine relativ leichte Sache, und ich freue mich, daß ich es beim Abschluß dieser zweiten und dritten Lesung des Filmförderungsgesetzes so leicht habe — bis auf die eine Frage, Herr Conradi, die Sie so ausführlich dargestellt haben. Ich freue mich, daß Übereinstimmung in bezug auf den sachlichen Inhalt der Novelle zum Filmförderungsgesetz festgestellt werden kann.
Das ist nicht immer so gewesen, aber es ist schön, daß es heute so ist. Deshalb möchte ich zunächst den Berichterstattern in allen Fraktionen für die intensive Beratung des Regierungsentwurfs danken,

(Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD])

zu der auch eine umfangreiche Anhörung von Sachverständigen gehört hat. Diese intensive Beratung ist dem Gesetzentwurf gut bekommen.
Meine Damen und Herren, in diesem Hohen Hause besteht Übereinstimmung über die Notwendigkeit des Filmförderungsgesetzes — trotz aller Schwächen, trotz aller Mängel, die auch im Förderungssystem liegen mögen. Dem Referentenentwurf ist vorgeworfen worden, er sei nicht der große Wurf, es müßte eine ganz andere Konzeption entwickelt werden, um dem deutschen Film auf die Beine zu helfen. Was ist das Ergebnis? Die Vorstellungen der Bundesregierung — so stelle ich fest —, wie sie im Referentenentwurf enthalten waren, sind weitgehend, und zwar einvernehmlich, umgesetzt worden.
Das zeigt für mich ganz deutlich: Es gibt bei der wirtschaftlichen Filmförderung des Bundes nicht etwas völlig Neues, sondern es geht darum, in mühevoller Kleinarbeit, zu der Sie alle beigetragen haben, neue Akzente zu setzen, die sich vielleicht in den nächsten Jahren positiv für den deutschen Film auswirken.
Es ist wahr, das fertige Produkt Film ist eine Show; jedenfalls soll es eine sein. Keine Show ist die Herstellung der Filme und ihre Förderung, sondern dies ist eine harte Kärrnerarbeit. Deshalb nützt es auch nicht viel, über die schwache Vorstellung und die mageren Einspielergebnisse, die der deutsche Film zur Zeit hat, zu lamentieren. Es geht einfach darum, durch ein paar neue Akzente die Schwerpunkte der Förderung so zu setzen, daß es dem deutschen Film in Zukunft ein wenig bessergehen kann. Ich sage ganz bewußt: ein wenig besser.
Wir sollten uns nichts vormachen. Auch das neue Filmförderungsgesetz kann die Strukturprobleme des deutschen Films, die er mit allen anderen nationalen Filmen in Europa mehr oder weniger gemein hat, nicht grundlegend ändern. Trotzdem war und ist die Bundesregierung der Auffassung, daß gerade zum jetzigen Zeitpunkt auf das Filmförderungsgesetz als das einzige nationale wirtschaftliche Förderinstrument nicht verzichtet werden sollte. Ich stelle mit Freude fest, daß dies die ganz überwiegende Mehrheit im Deutschen Bundestag genauso sieht.
Wir sind deshalb gerade im Interesse der Erhaltung eines Mittelstandes von Produzenten, Verleihern und Filmtheaterbesitzern ebenso wie im Interesse der Erhaltung und Stärkung der Chancen des deutschen Films nicht dem Rat z. B. von Herrn Lahnstein und
anderen Großen gefolgt, die wirtschaftliche Filmförderung des Bundes ganz aufzugeben. Wir haben vielmehr einvernehmlich eine Reihe wichtiger neuer Akzente im neuen Filmförderungsgesetz gesetzt. Der wichtigste ist die Ausrichtung des Filmförderungsgesetzes auf die Stärkung der Struktur der Filmproduktionsunternehmen.
Daß daneben auch die Projektförderung umgestaltet worden ist, daß die Verleihförderung verstärkt wird und daß auch eine Förderung von jugendgeeigneten Videotheken und des Vertriebs von entsprechenden Videoprogrammen stattfindet, ist von Ihnen schon hervorgehoben worden. Das letztere ist Neuland. Ich verspreche mir hiervon vernünftige Anstöße dafür, daß wir Kinder und Jugendliche stärker an das Medium des Films gewöhnen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dies alles, meine Damen und Herren, sind Akzente, die wie ich glaube, allgemein akzeptiert werden.
Lassen Sie mich noch etwas hervorheben. Nicht alles kann durch ein Filmförderungsgesetz des Bundes gelöst werden. Wir haben ja zum Glück auch mehrere Bundesländer, die sich verstärkt in der Filmförderung engagieren, und sie können damit eigene kulturpolitische Akzente setzen.
Herr Kollege Conradi, Herr Kollege Probst, ein Wort zur gesetzlichen Abgabeverpflichtung des Fernsehens. Es gibt genug Beispiele gerade im Bereich des Umweltschutzes, der Entsorgung, der Abfallbeseitigung dafür, daß freiwillige Maßnahmen, zu denen sich die Beteiligten zur Vermeidung von staatlichen Regelungen bereit erklären, zu viel besseren Ergebnissen als staatliche Reglementierung führen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212023100
Herr Kollege Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1212023200
Sehr gern.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1212023300
Ich hatte mich schon bei Ihrem vorigen Gedanken gemeldet und springe jetzt zurück. Sie haben hier unter unserem Beifall gesagt, daß wir verstärkt Bemühungen machen sollten, Kinder- und Jugendfilme zu fördern. Hat die Bundesregierung vor, nun Kinder- und Jugendfilme von der Bundesebene her etwa im Konzert mit den Ländern zu fördern, die das auch versuchen? In welchem Maße wäre das der Fall? Könnten Sie das präzisieren und Details dazu nennen?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1212023400
Herr Duve, Sie wollen jetzt eine Verquickung, eine Verbindung von zwei Elementen, die ich in meiner Rede gebracht habe. Zunächst einmal geht es in der Tat darum, Kinder und Jugendliche stärker an den Film, man müßte eigentlich sagen: an den guten Film zu gewöhnen. Inwieweit es möglich sein wird — hier bitte ich um Nachsicht und Verständnis —, dies durch Zusammenarbeit von Bund und Ländern in besonderer Weise zu fördern, bleibt abzuwarten. Soviel kann ich sagen: Die Bundesregierung ist auf jeden Fall dazu bereit.



Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
Nachdem Sie zurückgesprungen waren, Herr Kollege Duve, muß ich jetzt wieder nach vorn springen. Wir waren bei den besseren Ergebnissen, die freiwillige Vereinbarungen gegenüber staatlichen Regelungen bringen können. Dies gilt nach meiner Überzeugung auch für die gesetzliche Abgabeverpflichtung des öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehens. Wir unterscheiden uns von Ihnen nicht in bezug auf die Notwendigkeit eines Beitrags des Fernsehens, Herr Conradi und Herr Probst, sondern nur in bezug auf das Wie eines solchen Beitrags.
Wir Liberalen und die Koalitionsfraktionen setzen darauf, daß die öffentlich-rechtlichen und die privaten Fernsehveranstalter beim Wort genommen werden und zunächst einmal durch den Abschluß eines FilmFernseh-Abkommens zeigen, daß sie den Erwartungen des Bundestages entsprechen..

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das war bisher sehr mager!)

Dies bringt uns, Kollege Probst, die Filmförderungsanstalt und auch die Filmwirtschaft nach meiner Überzeugung weiter als Rechtsstreitigkeiten mit ungewissem Ausgang.
Ich fasse zusammen. Ich meine, daß mit dem neuen Filmförderungsgesetz ein Akzent von vielen notwendigen gesetzt wird, damit wir in ein paar Jahren wieder von einer blühenden deutschen Filmlandschaft sprechen können. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu dem Entwurf.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212023500
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Filmförderungsgesetzes, Drucksachen 12/2021 und 12/3669. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der vom Herrn Berichterstatter vorgetragenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Eine Gegenstimme vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten jetzt in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Dieselbe Gegenstimme wie eben. Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.

(Peter Conradi [SPD]: Wir hätten uns gefreut, wenn Herr Weiß dagewesen wäre! Er hat doch mit dem Film zu tun!)

Unter Ziffer II seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Ausschuß für Wirtschaft die Annahme seiner Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Unter Ziffer III seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Ausschuß für Wirtschaft, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2214 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei Stimmenthaltung des Kollegen Duve ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und vorläufigen Fortführung der Datensammlungen des „Nationalen Krebsregisters " der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Krebsregistersicherungsgesetz)

— Drucksache 12/3198 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (15. Ausschuß)

— Drucksache 12/3682 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Schmidbauer (Nürnberg)

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/3683 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Arnulf Kriedner
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Uta Titze

(Erste Beratung 107. Sitzung)

Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserer Frau Kollegin Dr. Else Ackermann das Wort.

Dr. Else Ackermann (CDU):
Rede ID: ID1212023600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Notwendigkeit eines Krebsregisters in Deutschland besteht bei Ärzten, Wissenschaftlern und Gesundheitspolitikern weitgehend Übereinstimmung. Bereits um die Jahrhundertwende hatten vorausschauende Ärzte und Gesundheitspolitiker im Zusammenhang mit der Meldepflicht für Infektionskrankheiten auch mit der Erfassung von Krebskranken im damaligen Reichsgebiet begonnen, weil die Sterbestatistik allein keine ausreichende Grundlage für eine Beurteilung des Krebsgeschehens war. So gab es in Deutschland bereits im Jahr 1900 die erste Krebserkrankungsstatistik. Knapp die Hälfte der Ärzte hatte damals die Erhebungsbögen ausgestellt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs nach dem Abklingen der Seuchen das Interesse an der Krebsbekämpfung. So wurden zwischen 1947 und 1950 in den Ländern Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin sogenannte Krebsgesetze geschaffen und Meldebögen entwickelt. Die Anforderungen an ein



Dr. Else Ackermann
Krebsregister gehen heute weit über eine Krankheitsstatistik hinaus. So hat der Wissenschaftsrat — ein Gremium westdeutscher Wissenschaftler, das über die ostdeutsche Wissenschaft zu befinden, sie also zu evaluieren hatte — die besondere Bedeutung von Krebsregistern für die Krebsbekämpfung und die Bewertung vorbeugender und heilender Maßnahmen hervorgehoben.
Weil das Krebsregister der damaligen DDR im internationalen Vergleich dasjenige mit der größten zugrunde liegenden Population war, sollten sein Erhalt und seine Weiterführung grundsätzlich zu fördern sein — so die unwidersprochene Stellungnahme des Wissenschaftsrats. Erhalt und Weiterführung dieser Einrichtung aus einem zentralistischen Staat sind aber in einem Staat mit einer von Anbeginn föderalen und demokratischen Struktur zwei verschiedene Dinge. Gegenwärtig gibt es keine gesetzliche Regelung, die die gespeicherten Daten vor Löschung schützt und sie unter Berücksichtigung bestehender datenschutzrechtlicher Regelungen einer Auswertung zugänglich macht. Auch für die aktuellen Meldungen fehlt eine rechtliche Grundlage. Deshalb bedarf es dieses Krebsregistersicherungsgesetzes.
Bis Ende 1994 muß jedoch geklärt werden, wie eine flächendeckende Krebsregistrierung künftig in Deutschland erfolgen soll. Was geschieht jetzt mit dem Krebsregister der ehemaligen DDR, das bis Ende 1990 dem Krebsforschungsinstitut in Berlin-Buch zugeordnet war? Es ist umgezogen und dem BGA unterstellt. Es ist jedoch nicht ohne weiteres auffindbar, wie ich selbst erleben mußte.
Auch Ärzte, die früher regelmäßig gemeldet hatten, kannten die neue Anschrift nicht. Erst im zweiten Anlauf hatte ich zwei ehemalige Kollegen am Telefon, die das Register gegenwärtig noch — nach ihrer „Abwicklung" — als ABM-Kräfte hüten und verwalten. Meine Befürchtungen wurden bestätigt: Im Vergleich zur Vorwendezeit gehen nur noch 40 bis 50 % der Meldungen ein. Als Gründe werden Unkenntnis der Datenschutzbestimmungen bzw. Unsicherheit im Umgang mit den neuen Regelungen und damit Angst vor Strafe sowie die Einwilligungsregelung angegeben, die die Ärzte bei einer Befragung, besonders im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung, in eine Konfliktsituation bringt.
Für die vollständige Erfassung von Daten über den Krankheitsverlauf kommt in den neuen Bundesländern folgendes erschwerend hinzu: Der Anteil der Obduktionen ist stark rückläufig. Die in der Pathologie erhobenen Befunde sind aber unerläßlich für die abschließende Beurteilung des Krankheitsverlaufes. Heute wird die Einwilligung zur Obduktion zunehmend verweigert, und darüber hinaus ist die Bezahlung nicht gesichert.
Es sind somit viele Faktoren, die die Weiterführung dieses Krebsregisters gefährden. Abhilfe tut also not. An der Meldepflicht erhitzen sich nun die Gemüter in Deutschland, und die Akzeptanz dieser Pflicht trennt Deutsche in Ost und West. Nationen sind eben Erfahrungsgemeinschaften, und mit Pflichten haben die Ostdeutschen nun einmal andere Erfahrungen als die Westdeutschen gemacht. Für uns im Osten gab es als
Alternative zur Pflicht nur die Verweigerung, und die wurde auf betimmten Ebenen des öffentlichen Dienstes als gesellschafts- und staatsgefährdend zur Abschreckung und damit zur Disziplinierung mit strafrechtlichen Konsequenzen geahndet. Vielleicht erklärt es sich daraus, daß vier neue Bundesländer an der Meldepflicht für ein zukünftiges Krebsregister festhalten wollen. Aber schließlich ist auch in gestandenen Demokratien wie Dänemark, Norwegen, Finnland, Österreich und sogar in einigen Staaten der USA, z. B. im Staat New York, die Meldepflicht für Krebserkrankungen vorhanden, so wie sie die WHO empfiehlt.
Die Weichen sind in Deutschland wegen unserer unseligen Vergangenheit wohl für eine Einwilligungslösung und nicht für eine Meldepflicht gestellt. Aber dazwischen liegt ja noch die Melderechtslösung. Der Rest ist ärztliche, wissenschaftliche und natürlich politische Überzeugungsarbeit. Alles spricht für ein Krebsregister, und deshalb sollten wir erst einmal sichern, was wir bereits haben, und das ist das Krebsregister in Ostdeutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212023700
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Horst Schmidbauer das Wort.

Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1212023800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Überschrift „DDR-Krebsregister gesperrt — Keine Daten für Untersuchungen der Leukämiefälle an der Elbe" ansieht, dann wird wohl einiges klar. Es heißt dort:
Wie der Vorsitzende der niedersächsischen Expertenkommission für die Untersuchung der Leukämiefälle in der Elbmarsch, Professor Erich Wichmann, jetzt in Hannover mitteilte, erhielt er bis Ende 1991 noch Auskünfte aus dem Register und erfuhr dadurch, daß es am Oberlauf der Elbe keine Häufung von Krebserkrankungen gibt, so daß eine Verseuchung des Flußwassers als Ursache wahrscheinlich ausscheidet.
Da die Leukämiefälle in der Elbmarsch nur wenige Kilometer vom Atomreaktor Krümmel in Schleswig-Holstein entfernt auftraten, erkundigte sich Wichmann in den vergangenen Tagen nach Vergleichszahlen in der Umgebung von Atomkraftwerken in Ostdeutschland. Er bekam die Antwort, die gewünschten Daten lägen vor, aber sie könnten nicht mehr herausgegeben werden.
Was will ich mit diesem Vorgang aufzeigen? Er soll zeigen, daß die Notwendigkeit eines Krebsregisters unbestritten ist. Es geht dabei nicht um ein abstraktes Statistikgebilde, an dem sich vielleicht vorrangig Wissenschaftler ergötzen, sondern ich denke, es geht um den Schutz für die Menschen; dies ist für die Bürgerinnen und Bürger gefragt. Wer also Krankheit verhindern will, braucht eben mehr Fakten; er braucht fundierte Daten.
Aber was zeigt dieser Vorgang noch? Dieses Krebsregister ist ein Schatz von Datenbeständen und Infor-



Horst Schmidbauer (Nürnberg)

mationen. Diesen Schatz gilt es zu sichern und zu heben, zu heben für die vorbeugende Gesundheitspolitik.
Die deutsche Einheit beschert uns mit dem „Nationalen Krebsregister" der DDR einen Schatz. Sein gesundheitspolitischer Wert ist sehr hoch. So wird er auch von der WHO eingeschätzt. Dieser Schatz wird international anerkannt. Er umfaßt mittlerweile 2,5 Millionen Informationen über Krebserkrankungen.
Viel hätte ja nicht gefehlt, liebe Kolleginnen und Kollegen, und der 40jährige Schatz Krebsregister wäre nicht mehr zu heben gewesen. Die Gründe sind schnell genannt: Im Einigungsvertrag wurde eine gesetzliche Regelung zum DDR-Register schlicht verschlafen, und in sechs Wochen müßten auf Grund unserer Datenschutzbestimmungen die nach DDR-Gesetzen gewonnenen und nicht anonymisierten Daten gelöscht werden. Und damit ginge die Arbeit verloren.
Das Krebsregistersicherungsgesetz ist deshalb ein erster Schritt, um die Gefahr zu bannen.
Für die SPD war zu prüfen: erstens, ob das Krebsregistersicherungsgesetz nur sichert — „sichert" heißt zumindest, daß die gespeicherten Daten weiter zur Verfügung stehen —, zweitens, ob das Krebsregister eine Zukunft hat. Das heißt: Wie kann es gepflegt und weiterentwickelt werden, und kann es als Grundstock für ein gesamtdeutsches Krebsregister dienen?
Die Prüfung führte zur Ernüchterung. Die Sicherung der Altbestände ist auf diesem Wege zwar gewährleistet, aber zur langfristigen Verwendung muß eine andere Sicherung, eine zusätzliche Sicherung vorhanden sein, und die heißt Fortschreibung mit der gleichen Qualität, Fortschreibung mit der gleichen Dichte der Erfassung. Gerade hier droht die Gefahr, gerade hier schlagen die Experten Alarm. Nach internationalem Standard muß nämlich die Meldedichte 90 bis 95 % betragen. Wenn das nicht der Fall ist, entstehen Ungenauigkeiten und Verzerrungen, und wenn das Ergebnis sehr schlecht ist, wird es in seiner Gesamtheit wertlos werden.
60 000 Meldungen erfaßte das Krebsregister in den Jahren, in denen es intakt war. Schon jetzt muß man feststellen, daß der Datenfluß durch die deutsche Einheit unterbrochen ist; die Kollegin Ackermann hat soeben darauf hingewiesen. Es stellt sich nun die Frage, ob diese Meldedichte von 90 bis 95 % mit einem Melderecht, wie es beabsichtigt ist, erreicht werden kann und ob mit einem Melderecht — nicht mit einer Meldepflicht — pro Jahr wieder weiterhin 60 000 Meldungen eingehen. Diese Frage ist offen.
Hier ist dringender Handlungsbedarf der Politik gefragt, dem wir leider nicht gerecht werden konnten. Wir hatten nicht die Zeit für eine fundierte parlamentarische Arbeit, und wir hatten nicht die Zeit, Experten zu hören. So mußte man sich in dieser Frage auf die Aussage des Ministeriums verlassen, wonach die von mir skizzierte Gefahr für den Fortbestand und für die Fortschreibung nicht gegeben sei.

(Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)

Wenn wir dem geänderten Gesetzentwurf heute trotzdem zustimmen, dann nur, weil ein Gesetz zu einem gesamtdeutschen Krebsregister in Kürze, d. h. 1993, beraten und verabscheidet wird. Durch den gemeinsamen Entschließungsantrag von heute, den meine Fraktion im Gesundheitsausschuß eingebracht hat, wird dies sichergestellt.
Mit der Aussage, der Bundestag wird 1993 ein gesamtdeutsches Krebsregister beraten, geht es jetzt nicht mehr um Jahre, sondern nur noch um Monate. Dadurch, Kolleginnen und Kollegen, konnten wir den Ziel- und Maßnahmekatalog im Gesetz etwas vernachlässigen. Dadurch haben wir die Gewähr, daß die eigentlichen zentralen Fragen dieser Arbeit zeitnah angegangen werden. Durch die Möglichkeit — unter Einschaltung von Fachleuten, unter Einbeziehung internationaler Erfahrungen, unter Einbeziehung der Länder —, ein gesamtdeutsches Krebsregister zu erarbeiten, gewinnen wir die Sicherheit, daß wir ohne Zeitdruck über die vielen Fragen beraten können, die anstehen.
Die SPD hat die Ziele eines Krebsregisters schon jetzt klar formuliert, und der Gesetzentwurf ist durch unseren Antrag ergänzt worden. Ich zitiere:
Ziel des Krebsregisters ist es, das Entstehen, das Auftreten und den Verlauf aller Formen von Krebserkrankungen zu beobachten, eine Grundlage der Gesundheitsplanung sowie der epidemiologischen Forschung zu bieten sowie
— das möchte ich betonen —
eine Bewertung präventiver und kurativer Maßnahmen zu ermöglichen.
Also, die Ziele sind klar und müssen auch klar sein. Für die Menschen in diesem Land muß sichtbar werden, was sie damit gewinnen. Ein solches Gesetzesvorhaben ist nicht gegen die Menschen oder an ihnen vorbei, sondern nur mit den Bürgerinnen und Bürgern realisierbar.
Gesetze über Krebsregistrierung und Datenschutz haben aber kein Eigenleben; sie sind immer zweckgebundenes Werkzeug. Eine Güterabwägung zwischen dem Schutz der Einzelperson und dem Wohl der einzelnen Mitglieder dieser Gesellschaft — das ist der zentrale Punkt, der uns bevorsteht. Im Klartext: Die Struktur des künftigen Krebsregisters wird wesentlich davon abhängen, welchen gesellschaftlichen Konsens wir herbeiführen.
In Finnland z. B. hat man diesen Konsens gefunden. Nur so ist erklärlich, daß in Finnland seit 1952 eine Meldepflicht für das Krebsregister besteht. Nur so ist erklärlich, daß die Daten dort nicht anonymisiert werden.
Die gesellschaftspolitische Aufgabe für uns als Gesetzgeber besteht also darin, zu verdeutlichen: Wo ist der Konsens bei uns notwendig? Wie und in welchen Bereichen ist er zu erreichen? Über die Notwendigkeit besteht sicherlich keine Unklarheit.
Mit der Frage des Krebsregisters ist ein weitaus größerer gesundheitspolitischer Bereich angesprochen, nämlich der der Prävention und der Gesundheitsförderung. Gesundheitsförderung und Prävention müßten den gleichen Rang wie die Behandlung eingeräumt bekommen. Der bloßen Reparatur der heutigen Zivilisationskrankheiten sind enge Gren-



Horst Schmidbauer (Nürnberg)

zen gesetzt; darüber hinaus verursacht sie erhebliche Kosten.
Uns fehlen im Bereich der Krebsforschung — aber nicht nur da — wesentliche Grundlagen, um endlich unsere Forderung nach Prävention, Früherkennung und Behandlung umsetzen zu können; wir brauchen hier den internationalen Anschluß.
Fassen wir zusammen: Die SPD stimmt dem Krebsregistersicherungsgesetz zu, weil nur so der Fortbestand der Daten gewährleistet ist, und wir stimmen heute dem von uns eingebrachten gemeinsamen Entschließungsantrag zu. Ich freue mich, wenn wir 1993 ein gesamtdeutsches Krebsregister auf den Weg bringen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212023900
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Bruno Menzel.

Dr. Bruno Menzel (FDP):
Rede ID: ID1212024000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie wissen, daß Krebsleiden zu den häufigsten Erkrankungen unserer Gesellschaft zählen. Rund 900 000 Menschen in Deutschland leiden an Krebs, jährlich kommen rund 300 000 Neuerkrankungen hinzu. Ich glaube, Erforschung und Behandlung von Krebs gehören somit zu den wichtigsten medizinischen Aufgaben. Es ist die Aufgabe der Gesundheitspolitik, dafür Rahmenbedingungen zu schaffen,, die der Bedeutung dieser Krankheit entsprechen.
Einen wichtigen Schritt in diese Richtung gehen wir heute mit der Verabschiedung des Krebsregistersicherungsgesetzes, welches dazu dient, eine der weltweit umfangreichsten und wertvollsten Datensammlungen im Bereich der Krebserkrankungen zu erhalten.
Seit dem Jahre 1956 bestand in der ehemaligen DDR die Pflicht, bei Krebserkrankungen personenbezogene und epidemiologische Daten an ein zentrales Register in Ost-Berlin weiterzuleiten. Dadurch wurde ein Informationsschatz zusammengetragen, der auch im geeinten Deutschland hinsichtlich der Erforschung der Krankheit Krebs, aber auch hinsichtlich der Vor- und Nachsorge äußerst wertvolle Dienste leisten und darüber hinaus die Grundlage für ein später zu errichtendes bundesweites nationales Krebsregister bilden kann.
Das heute zur Debatte stehende Gesetz bildet zunächst nur die legislative Grundlage für den Schutz, die Fortführung und den weiteren Gebrauch des Krebsregisters der ehemaligen DDR, das bisher lediglich durch ein bis Ende dieses Jahres geltendes Verwaltungsabkommen in Verwahrung genommen wurde. Ohne diese gesetzliche Grundlage, die das Krebsregister bis Ende 1994 in die Verantwortung der Bundesländer übergibt und deren Aufgaben durch das Bundesgesundheitsamt erfüllt werden, besteht die Gefahr des Verlustes des gesamten Datenmaterials, ein Risiko, das im Hinblick auf ein kommendes gesamtdeutsches Krebsregister, aber auch im Hinblick auf die hinter einem solchen Register stehenden Intentionen — begrenzte Nutzung der Daten für gesundheits- oder umweltpolitische Maßnahmen und nicht zuletzt für wissenschaftliche Zwecke im Bereich der Krebsforschung — nicht eingegangen werden darf.
Das Gesetz bildet aber auch die notwendige datenschutzrechtliche Grundlage für die Fortführung des Registers. In der DDR wurden die epidemiologischen und personenbezogenen Daten zusammen gespeichert — eine Praxis, die mit den Bestimmungen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts nicht zu vereinbaren ist. Durch das Gesetz wird nun erreicht, daß die bereits gespeicherten Personen- und Krankheitsdaten getrennt und anonymisiert werden und lediglich in klar definierten Ausnahmefällen eine zeitlich befristete Zusammenführung stattfinden darf. Zukünftig muß der Arzt vor der Datenübermittlung an das Register die Einwilligung des Patienten einholen. Durch die Regelungen des Gesetzes wird somit gleichzeitig datenschutzrechtlichen Erfordernissen und epidemiologischem Forschungsbedarf Rechnung getragen.
Trotz der großen Übereinstimmung aller Parteien bei den Beratungen im Gesundheitsausschuß hinsichtlich der Notwendigkeit eines Krebsregistersicherungsgesetzes und dessen inhaltlicher Ausgestaltung blieb die Frage nach einer Meldepflicht oder einer Meldeberechtigung des Arztes bis zuletzt umstritten. Sowohl für eine Meldeberechtigung als auch für eine Meldepflicht sprechen nachvollziehbare Gründe. Das Gesetz sieht vor, die Entscheidung über die Weitergabe der Daten in das eigene Ermessen des Arztes zu legen, wenngleich die konkrete Ausgestaltung der Meldepraxis gemäß § 6 Abs. 5 in die Länderkompetenz fällt, eine Meldepflicht somit möglich wäre. In jedem Fall aber muß gewährleistet sein, daß eine größtmögliche Erfassungsdichte von Krebserkrankungen erreicht wird, um die Aussagekraft und somit den Wert des Krebsregisters nicht unnötig zu gefährden.
Dieser in § 6 Abs. 5 angelegten Problematik kommt allerdings angesichts der begrenzten Geltungsdauer des heute zu verabschiedenden Gesetzes von zwei Jahren keine überragende Bedeutung zu. Allerdings geht die F.D.P. — und mit ihr die im Ausschuß vertretenen Parteien — davon aus, daß dieser Regelung im Zuge der Beratungen zu einem bundeseinheitlichen Krebsregistergesetz keine präjudizierende Wirkung zukommt. Der Ausschuß hat diesem Paragraphen insbesondere auch im Hinblick auf die gebotene Dringlichkeit des Gesetzes im Interesse des Datenerhalts zugestimmt; denn der Erhalt des Krebsregisters der ehemaligen DDR durch diesen heute vorliegenden Gesetzentwurf ist eine aus medizinischer Sicht sinnvolle und somit gesundheitspolitisch wertvolle Maßnahme.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212024100
Frau Kollegin Dr. Ursula Fischer, Sie haben das Wort.

Dr. Ursula Fischer (PDS/LL):
Rede ID: ID1212024200
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Krebsregister und die dafür erforderlichen gesetzlichen Grundlagen sind unerläßliche Voraussetzung für eine effektive Krebsbekämpfung. Das gilt für die Ursachenfor-



Dr. Ursula Fischer
schung ebenso wie für die Bewertung von Therapiefortschritten oder vorbeugenden Maßnahmen.
In der Welt dürfte es heute mehr als 100 solcher Datensammlungen geben. Die diesbezügliche Situa-hon in der Bundesrepublik Deutschland ist allerdings mehr als beklagenswert. Die in einigen Bundesländern erlassenen Krebsregistergesetze, z. B. im Saarland, in Hamburg, in Nordrhein-Westfalen, bieten keine ausreichende Voraussetzung für eine Arbeit, die dem internationalen Standard entspricht. Aktuelle Daten kann derzeit nur das Saarland liefern. Nach Einschätzung der Experten ist für repräsentative Aussagen aber die Einbeziehung von 15 %, besser sogar 30 % der Gesamtbevölkerung eines Staates erforderlich.
Das gesamtstaatliche „Nationale Krebsregister" der ehemaligen DDR, das als Mitglied der entsprechenden internationalen wissenschaftlichen Vereinigungen nach deren Regeln arbeitete, ermöglichte seit den 50er Jahren flächendeckende, repräsentative Aussagen zum Krebsgeschehen. Die gewonnenen Daten flossen dann regelmäßig in die erscheinenden internationalen Sammelbände ein. Sie wurden bekanntlich — wie in vielen anderen Ländern auch — auf der Basis einer allgemeinen ärztlichen Meldepflicht erhoben. Es ist schon eine bemerkenswerte Tatsache, daß die für dieses Register zuständigen Bearbeiter 1990 öffentlich feststellen konnten, daß in einer mehr als 35jährigen Praxis bei einer Sammlung von Daten von über zwei Millionen Krebspatienten kein einziger Fall bekanntgeworden ist, bei dem die Regeln der geltenden Schweigepflicht verletzt worden oder bei dem einem Patienten Nachteile entstanden wären.
Das vorliegende Gesetz ist notwendig, um das Krebsregister der DDR zu erhalten. Es hilft zugleich, die Chance zu wahren — nicht zuletzt durch eine Fortführung dieses vergleichsweise großen, exakten und kontinuierlich geführten Datenbestandes; darüber muß diskutiert werden —, die epidemiologische Krebsforschung auch in Deutschland an das internationale Niveau heranzuführen.
Insofern begrüßen wir das Gesetz, ohne allerdings seine Schwächen zu übersehen. Was ist zu fordern?
Erstens. Der Wert solcher Register steht und fällt mit einer möglichst lückenlosen, kontinuierlichen Datenerfassung. Die neuen Länder wären gut beraten, an einer ärztlichen Meldepflicht festzuhalten. Sie besitzen ja die Erfahrung, daß das mit den Rechten und den zu schützenden Interessen der Patienten und auch der Ärzte zu vereinbaren ist.
Zweitens. Zweifellos wäre es sachgerechter, das Register auch nach 1994 gemeinsam weiterzuführen, statt es in einzelne Länderregister zu spalten.
Drittens. Krebsregister dürfen für wissenschaftliche Forschung nicht tendenziell begrenzt, sondern müssen tendenziell offen sein. Nur das dient dem letztlich zugrunde liegenden gesellschaftlichen Interesse an der Krebsbekämpfung. Selbstverständlich müssen dabei Vorkehrungen gegen jedweden Mißbrauch getroffen werden.
Viertens. Ein so von den Ländern gemeinsam fortzuführendes Krebsregister der DDR sollte Teil eines leistungsgähigen Netzes von regionalen deutschen Krebsregistern sein, die auf der Basis übereinstimmender gesetzlicher und fachlicher Rahmenbedingungen ihre Arbeit zum Nutzen des einzelnen wie auch der Gesellschaft leisten können.
Ich erlaube mir, an der Stelle zu sagen, daß die Datenschutzfrage auch für einige Mitglieder meiner Gruppe sehr problematisch ist. Ich denke aber, daß alle diese Fragen im Rahmen der Vorbereitung eines gemeinsamen Gesetzes — deswegen stimmen wir auch dem Entschließungsantrag der SPD zu — mit Experten beraten werden können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212024300
Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, Dr. Sabine Bergmann-Pohl.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU):
Rede ID: ID1212024400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesundheitsausschuß empfiehlt dem Deutschen Bundestag, den Entwurf eines Krebsregistersicherungsgesetzes mit einigen — meines Erachtens wichtigen — Änderungen anzunehmen. Dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten ganz herzlich bedanken.
Die Änderungsanträge basieren zum Teil auf Vorschlägen des Bundesrats und enthalten wichtige Modifizierungen für den Vollzug des Gesetzes bzw. den Schutz der Daten der Patienten und die Nutzbarmachung vorhandener Daten.
Sie alle wissen — das ist heute schon von Frau Ackermann erwähnt worden —, daß sich der Wissenschaftsrat im Rahmen der Begutachtung der außenuniversitären Forschungseinrichtungen in der ehemaligen DDR für den Erhalt des Krebsregisters und seine Weiterführung auf entsprechender rechtlicher Grundlage ausgesprochen hat. Das hat er aus gutem Grund getan.
Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR bestand über mehrere Jahrzehnte eine Meldepflicht für jede Krebserkrankung, für den Tod jeder krebskranken Person. Der Einigungsvertrag — auch das ist bereits angemerkt worden — enthielt keine gesetzliche Grundlage für die Sicherung der Daten und die Fortführung des Registers. Deshalb hat der Bundesminister für Gesundheit mit den fünf neuen Ländern und Berlin für das Jahr 1992 zunächst ein Verwaltungsabkommen geschlossen, das regelt, daß das Bundesgesundheitsamt für die Länder die Daten in Verwahrung nimmt und vor unbefugtem Zugriff sichert.
Das Bundesgesundheitsministerium stellt wiederum — wie bereits bei Verwaltungsabkommen — den Ländern das Bundesgesundheitsamt für den Vollzug des Gesetzes zur Verfügung. Dabei verzichtet der Bund auf die Erstattung der Verwaltungskosten bis zur Höhe von jährlich 1 Million DM.



Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Mit diesem Gesetz werden insgesamt wichtige Weichen für die Zukunft gestellt. Vordringliche Aufgabe des Krebsregistersicherungsgesetzes ist es, die im „Nationalen Krebsregister" der ehemaligen DDR seit 1956 gesammelten Daten von mehr als 2 Millionen Patienten auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen und sie einer wissenschaftlichen Bearbeitung unter datenschutzrechtlichen Vorgaben zugänglich zu machen.
Die Krebsregistrierung dient der epidemiologischen Forschung und damit der Krebsbekämpfung. Sie ist für vielfältige Aufgaben, z. B. im Arbeits- und Umweltbereich, besonders wichtig. Sie kann wichtige Erkenntnisse über die Entstehung der Krankheit und ihren Verlauf vermitteln.
Herr Schmidbauer, ich bin Ihnen ganz besonders dankbar dafür, daß Sie auf die Aufgabe der Prävention und der Gesundheitsförderung eingegangen sind. Aber das kann natürlich nicht allein Aufgabe eines Staates, sondern das muß auch Aufgabe jedes einzelnen sein. Wir müssen immer wieder betonen, daß jeder einzelne eine Verantwortung gegenüber seiner eigenen Gesundheit hat.
An dem „Nationalen Krebsregister" der ehemaligen DDR zeigt sich, daß es für die Krebsbekämpfung nicht ausreicht, nur repräsentative Daten zu erheben, die zuverlässige Aussagen über das neue Auftreten und den Bestand von Krebsfällen ermöglichen. Vielmehr ist eine flächendeckende Erfassung, wie sie in diesem Register erfolgte und auch in unseren Nachbarstaaten Dänemark, Schweden oder Finnland gesetzlich verankert ist, aus folgendem Grund notwendig: Nur die Erfassung aller Regionen erlaubt es, Unterschiede in der Krebshäufigkeit zwischen einzelnen — auch kleineren — Gebieten zu erkennen und differierende Trendentwicklungen rechtzeitig zu bemerken. Deshalb ist die flächendeckende Erfassung für die Epidemiologie überaus wichtig.
Das Krebsregistersicherungsgesetz ist auf zwei Jahre befristet. Es wird Ende 1994 auslaufen. Daher muß noch während der Laufzeit des Gesetzes mit den Ländern geklärt werden, wie die Krebsregistrierung in Deutschland künftig aussehen soll. Wir haben hier schon einige Vorstellungen gehört.
Diese dringliche Frage greift der von der SPD im Gesundheitsausschuß vorgeschlagene und von den Koalitionsfraktionen unterstützte Entschließungsantrag auf. Auch ich begrüße diesen Antrag. Er zeigt, wie wichtig eine flächendeckende Krebsregistrierung in Deutschland ist. Gerade eine einheitliche Registrierung in den Bundesländern ist eine wichtige Voraussetzung für eine bundesweite Auswertung vergleichbarer Daten.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß mein Haus dafür bereits einen Referentenentwurf erarbeitet hat, der schon mit den Bundesressorts abgestimmt worden ist. Noch in diesem Jahr wird der Entwurf den Ländern zugeleitet. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß die Länder auf die Bevölkerung bezogene Krebsregister flächendeckend führen. Dabei wird ein Meldeverfahren bevorzugt, das für eine möglichst vollständige Erfassung innerhalb einer bestimmten Region sorgt. Gleichzeitig sieht der Gesetzentwurf vor, daß durch technische und
organisatorische Vorkehrungen ein Maximum an Datenschutz erreicht wird.
Ich möchte noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir nicht die Etablierung eines einzigen zentralen Registers beabsichtigen. Wir wollen eine Flächendeckung durch ausreichend viele Register in den Ländern erreichen, die aber natürlich eine Vergleichbarmachung von Daten gewährleisten müssen. Wir brauchen dabei einen einheitlichen Meldemodus, um die unabdingbare Vergleichbarkeit und damit die Zusammenführbarkeit der Daten zu gewährleisten.
Mit dem heute anstehenden Gesetz sichern wir den Fortbestand eines international anerkannten Krebsregisters, das insgesamt mit seinen auf die Länder bezogenen Datensammlungen auch ab 1995 ein wichtiger Bestandteil der Krebsregistrierung in Deutschland sein wird.
Das Bundesministerium für Gesundheit hat die Vorarbeiten dafür geleistet, daß noch während der Laufzeit des Krebsregistersicherungsgesetzes das neue Gesetz beraten wird. Wir wollen alles dafür tun, damit es pünktlich zum 1. Januar 1995 in Kraft treten und das Krebsregistersicherungsgesetz termingerecht ablösen kann. Ich möchte Sie und die Länder bitten, uns dabei zu unterstützen.
Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212024500
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Krebsregistersicherungsgesetzes, Drucksachen 12/3198 und 12/3682. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei 1 Stimmenthaltung ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich bitte erheben. — Gegenprobe! — Wer enthält sich? — Der Gesetzentwurf ist bei 1 Enthaltung einstimmig angenommen.
Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt außerdem die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt dafür? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Auswirkungen aus dem Uranbergbau und Umgang mit den Altlasten der Wismut in Ostdeutschland
— Drucksachen 12/2671, 12/3309 —



Vizepräsident Hans Klein
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortung für die Hinterlassenschaften aus fünf Jahrzehnten Uranabbau — Vorsorge für Jahrtausende
— Drucksache 12/3648 —
Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Wirtschaft (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Interfraktionell ist für die Aussprache eine FünfMinuten-Runde vereinbart worden; die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN soll 10 Minuten erhalten. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dr. Klaus-Dieter Feige das Wort.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212024600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im August 1785 reiste Johann Wolfgang von Goethe ins Erzgebirge, um Gesteinsproben zu sammeln. Ein in der Grube „Georg Wagsfort" gesammeltes Gesteinsstück, das Goethe in seine Mineraliensammlung aufnahm, hieß Pechblende. Vier Jahre später untersuchte der Apotheker und Chemiker Martin Heinrich Klaproth ein solches Stück Pechblende aus derselben Johanngeorgenstädter Grube und fand in diesem Mineral ein neues Element. Er gab ihm den Namen Uran.
200 Jahre später kennen wir die schrecklichen Wirkungen dieses Elements. Wir haben dieses Wissen nicht nur aus den Folgen des militärischen Mißbrauchs durch Atomwaffen erhalten, sondern oft genug auch durch die Hinterlassenschaften der sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie; Unfälle in Atomkraftwerken sind dabei eingeschlossen.
Große Landstriche wurden auf der Suche nach dem todbringenden Material rücksichtlos umgewühlt, riesige Halden und Schlammdeponien wurden für die anfallenden strahlenden Abfälle angelegt. Vieles von dem, was Goethe vor 200 Jahren besichtigen konnte, existiert heute nicht mehr; das Gesicht einer ganzen Region wurde bis zur Unkenntlichkeit verändert.
Heute befinden sich in den dicht besiedelten Bundesländern Sachsen und Thüringen die bisher größten Atommülldeponien der Welt, und zwar unter freiem Himmel und auf nicht abgedichtetem Untergrund.
Die Auswirkungen auf die Menschen in dieser Region sind vielfältig: Neben der in der unmittelbaren Umgebung von Halden und Absetzanlagen direkt einwirkenden GammaStrahlung ist die Atemluft mit erheblichen Mengen Radon, seinen Folgeprodukten und mit schwermetallhaltigen Stäuben belastet.
Dies führt oft genug zu einer schleichenden chronischen Belastung der Lunge. Im Trinkwasser sind vielerorts erhöhte Radiumwerte gemessen worden. In einigen Fällen mußte das so belastete Trinkwasser sogar mit normalem Wasser verdünnt werden, um
leidlich akzeptable Werte für dessen Genuß zu erhalten.
Die Antwort auf unsere Große Anfrage gibt über weite Strecken einen detaillierten und gründlichen Überblick über die Situation. Ich möchte mich an dieser Stelle bei all denen ausdrücklich bedanken, die dazu beigetragen haben, in einem relativ kurzen Zeitraum eine solch umfassende Zusammenstellung zu erarbeiten.
Meine Damen und Herren, drei Jahre nach Öffnung der Berliner Mauer und zwei Jahre nach der deutschen Vereinigung sehen wir uns einem gemeinsamen schrecklichen Erbe gegenüber. Es stellt eine ungeheure Herausforderung an die Bundesrepublik als Ganzes dar,
Diese Herausforderung ist aber der Bundesregierung offenbar zu groß. Sie versucht daher, sich dieser Verantwortung zu entledigen. Nach wir vor stellt sich die Regierung auf den Standpunkt, daß die in der früheren DDR „ordnungsgemäß" zurückgegebenen, belasteten Flächen von den heutigen Eigentümern — das sind vor allem die Kommunen — selbst zu sanieren sind. Dabei liegt es auf der Hand, daß diese mit einer solchen Aufgabe sachlich und finanziell völlig überfordert sind.
Der Bankrott vieler Kommunen wird somit billigend in Kauf genommen. Dies um so mehr, als solche Flächen von den Gemeinden weder genutzt noch verkauft werden können, wodurch der notwendige wirtschaftliche Aufschwung vor Ort weiter erschwert wird. Es genügt eben nicht, wenn die Bundesregierung ihre sogenannten Sanierungsanstrengungen nur auf die Kernbereiche, auf das unmittelbare Gebiet der heutigen Wismut ausrichtet.
In den letzten Monaten haben die Arbeiten zur Bereinigung der Altlasten einen nur unbefriedigenden Fortgang genommen. So dauert die Konzeptentwicklung für die Sanierung von Wismut länger als erwartet. Gleichzeitig unterbleiben notwendige Sofortmaßnahmen, weil sie von der Wismut nicht eigenständig vorbereitet bzw. von den Aufsichtsbehörden nicht eingefordert werden.
Hinzu kommt, daß sowohl die Wismut als auch die zuständigen Bundesbehörden Unterlagen über die Sanierungskonzepte äußerst restriktiv behandeln. Damit wird eine lange Tradition von Geheimhaltung und ungenügender Information und Transparenz aus der DDR ungebrochen fortgesetzt. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in den sachgerechten Fortgang der Sanierungsmaßnahmen sowie die Akzeptanz für notwendige Maßnahmen werden dadurch nicht gefördert; im Gegenteil. Ohne die Bevölkerung wird es dort nicht gehen.
Zusätzliches Mißtrauen kommt durch die Tatsache auf, daß die überwiegende Mehrheit der leitenden Mitarbeiter bereits vor der Wende als Führungskader der SDAG tätig waren. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern in Thüringen und Sachsen stößt das auf Unverständnis.
Die genannten Gründe verzögern und behindern den raschen Fortschritt der Sanierungsarbeiten. Sie verursachen vermeidbare Kosten und führen zu unnö-



Dr. Klaus-Dieter Feige
tig hohen radiologischen und materiellen Belastungen bei den Kommunen und der Bevölkerung.
Angesichts der Größenordnung der Hinterlassenschaft der ehemaligen SDAG Wismut und angesichts der vielfältigen Beeinträchtigungen und Risiken kann eine weitere Verschleppung der Sanierungsarbeiten nicht hingenommen werden. Die Sanierungsanstrengungen auf der Basis der bestehenden Rechtslage müssen als weitgehend gescheitert angesehen werden. Daher gibt es zu einer umfassenden gesetzlichen Regelung keine Alternative.
Die USA sind uns in dieser Hinsicht ein gutes Stück voraus. Bereits 1978 schuf der US-Kongreß die gesetzliche Grundlage für eine umfassende Sanierung der Altlasten des Uranabbaus, insbesondere der radioaktiven Schlämme.
Wir fordern die Bundesregierung daher auf, ein „Gesetz zur Beseitigung der Altlasten des Uranbergbaus der ehemaligen SDAG Wismut" vorzulegen, das insbesondere folgende Punkte regelt:
Die grundsätzliche Übernahme der finanziellen Gesamtverantwortung des Bundes für alle Sanierungsarbeiten, die im Zusammenhang mit dem Uranbergbau notwendig werden.
Die Verpflichtung der Wismut GmbH, mit den Eigentümern betroffener Grundstücke unentgeltliche Verträge zur Entsorgung kontaminierten Materials abzuschließen und geeignete Zwischenlager für kontaminierte Materialien aller Art zu errichten und für deren spätere ordnungsgemäße Endlagerung zu sorgen.
Die sinngemäße Übernahme der im Atomgesetz vorgesehenen Bestimmungen über Endlager für radioaktive Abfälle (Planfeststellung, Öffentlichkeitsbeteiligung usw.) für die Endlagerung aller kontaminierten Materialien.
Die Unterbindung der Beschäftigung ehemaliger Führungskader der SDAG Wismut in leitenden Funktionen der Wismut GmbH; hier sind lediglich beratende Funktionen zuzulassen.
Ein verbindliches Verbot der kommerziellen Urangewinnung durch die Wismut GmbH.
Trotz aller gegenteiligen Aussagen der Bundesregierung werden auch im Jahr 1992 unter dem Deckmäntelchen der Sanierung aus uranhaltigen Materialien noch rund 350 t „yellow cake" genannte Materialien hergestellt und über Euratom weiter an Atomkraftwerke veräußert. Das ist keine Sanierung, sondern Export von Umweltproblemen.
Angesichts der Sanierungserfordernisse ist die vorgesehene Kürzung der Mittel im kommenden Jahr um 200 Millionen DM für die Sanierung dieses Gebietes schlicht und ergreifend eine Katastrophe. Sie ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen dort, und sie macht einmal mehr deutlich, wie diese „Regierung der Beliebigkeit" am falschen Fleck und auf Kosten der Schwachen und der Natur den Rotstift ansetzt. Hier ist Sparen völlig falsch.
Angesichts der sprunghaft gestiegenen Kostenschätzungen für die Sanierungsmaßnahmen — im
merhin war Ende 1991 noch von 5 Milliarden DM die Rede, dann von 13 Milliarden DM, und mittlerweile spricht man hinter vorgehaltener Hand von allein für den Kernbereich 20 Milliarden DM — ist diese Kürzungsentscheidung rational nicht mehr nachvollziehbar.
Man muß sich einmal vorstellen — diese Regierung weiß das genau —, daß der Bundesumweltminister schon heute wegen des chronischen Geldmangels juristische Winkelzüge benötigt, um überhaupt noch Gutachten vergeben zu können. Oder trifft es etwa nicht zu, daß die Vergabe von Studien — hart an der Grenze der Legalität — statt aus regulären Haushaltsmitteln über Sanierungsmittel der Wismut erfolgt ist? Sind etwa Informationen falsch, wonach das Bundesamt für Strahlenschutz Messungen nur noch sporadisch und unvollständig durchführen kann?
Vielleicht ist dem einen oder anderen hier noch in Erinnerung, daß Staatssekretär Riedl anläßlich unserer Forderung nach einer genaueren Kostenabschätzung und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Finanzplanung des Bundes noch am 4. Juni vor diesem Hause erklärt hat, daß es die Bundesregierung in all ihrer Weisheit — das Wort hat er benutzt — nicht für erforderlich hält, weitere Festlegungen für die Verabschiedung des Bundeshaushalts 1993 zu treffen. Allmählich begreife ich, was er damit eigentlich gemeint hat. Diese Hinhaltetaktik brüskiert das Parlament.
Mit den gekürzten Mitteln jedenfalls kann der Sanierungsauftrag für die strahlende Hinterlassenschaft nicht erfüllt werden, schon gar nicht, wenn diese Mittel überwiegend, mindestens zu 80 %, für die Deckung von Fixkosten, etwa Löhnen, für Sozialpläne oder für die Sicherung von untertägigen Bauwerken benötigt werden. Mittel für eine obertägige Sanierung, also für Halden usw., sind praktisch nicht mehr vorhanden. Das ist ein Grund mehr, endlich eine gesetzliche Grundlage zu schaffen.
Angesichts dieser Situation sind wir gerne bereit, dem Bundeswirtschaftsminister den Rücken gegen seine CSU-Kollegen im Kabinett zu stärken. Sorgen Sie, Herr Möllemann — wenn er denn zuhört —, mit uns dafür, daß an den richtigen Stellen gestrichen wird! Lassen Sie uns gemeinsam den Rüstungsetat oder von mir aus den Verkehrsetat um — sagen wir einmal — 5 Milliarden oder 20 Milliarden DM kürzen! Ich glaube, dann hätten wir die Mittel, daß wir den Menschen in Sachsen und Thüringen helfen können.
Ich darf meine Rede frei nach Goethe beenden:
Über ein Ding wird viel geplaudert, viel beraten und lange gezaudert, und endlich gibt ein böses Muß
der Sache willen den Beschluß.
Also folgen Sie bitte unserem Antrag, bevor es zu spät ist!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)





Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212024700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Michael Luther.

Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1212024800
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die Anfrage an die Bundesregierung danken. Diese Anfrage stellt in ihrer Ausgewogenheit die Gratwanderung dar, die für das Problem notwendig ist; denn zum einen müssen wir darauf drängen, daß die Ausmaße des Wismut-Bergbaus festgestellt werden und die Bevölkerung, ohne sie zu verunsichern, aufgeklärt wird; zum anderen muß trotz dieser notwendigen Transparenz ein Investitionsklima geschaffen werden, so daß der Investor gerade in dieser Gegend investiert.
In 94 fachlichen Detailfragen wurde die Bundesregierung ausführlich zu den Auswirkungen des Uranbergbaus und zum Umgang mit den Altlasten der Wismut in meiner Heimat befragt. Die Antworten zeigen ein schonungslos offenes Bild der Umweltschäden, die der real existierende Sozialismus in menschenverachtender Art und Weise vollbracht hat. Sie zeigen aber auch, daß man mit viel Fach- und Sachverstand bemüht ist, entschlossen die Probleme anzugehen und Gefahren für die Bevölkerung abzuwenden.
Der Wismut-Sanierungsträger stellt jedoch auch fest, daß trotz Hinzuziehung weltweit verfügbarer Experten teilweise erst wissenschaftliche Untersuchungen angestellt werden müssen, die mögliche Sanierungswege zeigen.
Bei einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin kamen Experten im Mai dieses Jahres zu einem erschreckenden Ergebnis: Die WismutAltlast müsse allein wegen der freigesetzten Radioaktivität als drittgrößte atomare Verwüstung nach Hiroshima und Tschernobyl angesetzt werden.
Bei der Verabschiedung des Begleitgesetzes zum Regierungsabkommen für die Übernahme der Wismut in das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland wurde die Transparenz der Arbeit der Wismut bemängelt. In die Arbeitsgruppensitzungen der Bundesministerien und Landesämter werden heute die betroffenen Bürgermeister einbezogen. Die Transparenz ist also besser geworden.
Leider sind noch zu wenige Aktivitäten der Wismut zu sehen. Das liegt sicher auch daran, daß 1992 im wesentlichen Sicherungsmaßnahmen im unterirdischen Bereich vorgenommen werden mußten. 1993, so hoffe ich, werden überirdische Arbeiten, z. B. in Crossen und Oberrothenbach, sichtbar werden. Es gab und gibt jedoch eine Reihe von Hemmnissen, die einer zügigen Abarbeitung der anstehenden Aufgaben entgegenwirken.
So sind die Genehmigungsbehörden der Länder Sachsen und Thüringen zum Teil nicht in der Lage gewesen, zügig zu genehmigen, obwohl sich die Situation in Sachsen wesentlich verbessert hat. Deshalb konnten im Jahr 1992 100 Millionen DM nicht umgesetzt werden.
Wenn 100 Millionen DM nicht gebraucht werden, freut sich vielleicht der Finanzminister. Ich freue mich nicht;

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

denn die Brisanz der Aufgabe Wismut-Sanierung läßt keinen Aufschub zu. Niemand sollte auf die Idee kommen, daß das ein Anlaß zum Sparen ist. Eine Etatkürzung der Wismut würde dazu führen, daß notwendige Sanierungsschritte verlangsamt werden, daß Investoren verunsichert werden können und daß sich der Aufschwung in dieser Region noch schwieriger gestalten wird.
Das Bundesamt für Strahlenschutz betreibt die radiologische Erfassung, Untersuchung und Bewertung der bergbaulichen Altlasten. Nach Auswertung der ersten Projektphase werden ca. 250 km2 näher zu untersuchender Verdachtsflächen ausgewiesen. Die Wismut GmbH fühlt sich nach ihrer Rechtsauffassung nur für die Grundstücke verantwortlich, die ihr übertragen und sachlich zugeordnet worden sind. Für die Sanierung der vielen anderen Flächen sollen die heutigen Eigentümer verantwortlich sein, also die Kommunen.
Es handelt sich hier um eine gesamtdeutsche Aufgabe. Wir müssen lernen, das als gesamtdeutsche Aufgabe zu akzeptieren. Wir können die Kommunen und die Region hier nicht allein lassen.
Wir werden noch oft über dieses Thema hier reden. Wir werden auch im Ausschuß über den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reden müssen.
Heute möchte ich mich recht herzlich für die offene und ausführliche Beantwortung der Fragen durch die Bundesregierung bedanken.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212024900
Frau Abgeordnete Siegrun Klemmer, Sie haben das Wort.

Siegrun Klemmer (SPD):
Rede ID: ID1212025000
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich an dieser Stelle jetzt nicht mit den zahlreichen naturwissenschaftlichen Daten befassen, die in der Antwort der Bundesregierung enthalten sind. Ich kann nur hoffen, daß diese Daten einer fachkundigen Überprüfung standhalten werden.
Ich will aber dem Ton entgegentreten, in dem die Antwort gehalten ist und der den Eindruck erweckt, die Bewältigung der großen Sanierungsaufgaben in Ostdeutschland im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Wismut sei in guten Händen, und alles gehe seinen wohlgeordneten, für alle Seiten zufriedenstellenden Gang; denn dieser Eindruck ist völlig falsch.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Schon in der Vorbemerkung zur Antwort wird nämlich bestätigt, daß mindestens 250 km2 näher zu untersuchende Verdachtsflächen über die im Eigentum der Wismut befindlichen Liegenschaften hinaus existieren. Teilweise, so heißt es, sind Sicherungsvor-



Siegrun Klemmer
kehrungen getroffen worden, etwa Zugangsbeschränkungen. Darüber, was mit diesen Flächen geschehen soll, steht in der Antwort kein Wort.
Die Bundesregierung gibt mit ihrer Antwort unmißverständlich zu verstehen, daß ihr dieses Problem egal ist. Da wird von Gesetzen gesprochen, nach denen die Wismut und der Bund zur Sanierung dieser Flächen nicht verpflichtet seien. Anschließend wird die Frage abgehakt mit den Worten: Der Bundesregierung ist bekannt, daß diese Rechtsauffassung insbesondere von den Betroffenen nicht geteilt wird. Würde die Antwort wohl auch so lauten, wenn das WismutGelände vor den Toren Bonns läge und nicht 600 km entfernt in den neuen Bundesländern?
Die ostdeutschen Kommunen können mit dieser Altsanierungslast finanziell unmöglich fertig werden. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort selber schreibt, sind die Untersuchungen dieser Verdachtsflächen noch lange nicht abgeschlossen. Der Hinweis auf das Programm Aufschwung Ost zieht nicht, weil es ausläuft und Mittel daraus nicht mehr zur Verfügung stehen.
Auch das kürzlich vollmundig angekündigte Programm, mit dem sich der Bund zu 60 bis 75 % und insgesamt bis zu 1 Milliarde DM jährlich an Sanierungen beteiligen will, greift in diesem Fall nicht; denn diese Gelder stehen nur für die Sanierung von Firmen in Treuhandbesitz — auch inzwischen privatisierte — zur Verfügung. Der Kommentar aus dem Wirtschaftsministerium, damit sei das Problem der Altlasten in Ostdeutschland als Investitionshemmnis ein für allemal beseitigt, ist reine Hochstapelei.
Nein, die Antwort der Bundesregierung enthält keinerlei Hinweis darauf, wie den Kommunen bei der Sanierung der Altlasten auf dem ihnen gehörenden Gelände geholfen werden kann.
Um so mehr ist es ein Hohn, wenn es in der Antwort heißt, die Bundesregierung halte das Wismut-Gesetz vom 12. Dezember 1991 für eine ausreichende Grundlage für die erforderlichen Sanierungsarbeiten. Das Gesetz sagt nämlich zu diesem Problem überhaupt nichts.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Richtig!)

Deshalb ist dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zuzustimmen, der heute an die Ausschüsse überwiesen wird und die Bundesregierung zum Erlaß eines entsprechenden Gesetzes auffordert. Nach dem Antrag soll ein solches Gesetz nur einen Teil der dringend regelungsbedürftigen Fragen erfassen. Ich befürchte allerdings, daß der Bundesregierung schon die Inangriffnahme dieses Teilbereichs nicht der Mühe wert sein wird.
Die Weigerung der Bundesregierung, das Problem der Ostkommunen mit der Altlastensanierung adäquat zur Kenntnis zu nehmen, ist ein Skandal.

(Beifall bei der SPD)

Diese Weigerung wird auch nicht durch die katastrophale Finanzkrise gerechtfertigt, in die die Regierung geschliddert ist. Das Geld ist nämlich, zumindest in Teilen, schon vorhanden, und zwar im Etat der Wismut selber.
Wie wir von der Bundesregierung gerade gehört haben, soll dieser Etat um mindestens 150 Millionen DM gekürzt werden. An Bedarfsmangel kann es nicht liegen. Denn erstens ist der Bedarf dadurch charakterisiert, daß das Sanierungsprojekt, das dort zur Zeit noch weitgehend in der Untersuchungsphase steckt, in der Durchführungsphase mehr Geld verschlingen wird. Zweitens wird gerade durch die gesetzlichen Regelungen verhindert, daß das Geld dahin kommt, wo es gebraucht wird; und die Bundesregierung weigert sich standhaft, durch entsprechende Regelungen diesem Mißstand abzuhelfen.
Damit und mit Ihrer Antwort auf die Große Anfrage beweist die Bundesregierung das glatte Gegenteil von gutem Willen. Sie beweist Feigheit vor der Verantwortung und vor drängenden und manchmal natürlich auch schwierigen Entscheidungen und Versagen vor der Aufgabe, dem Osten unseres Landes die Last der DDR-Hinterlassenschaft zu erleichtern.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212025100
Das Wort hat der Abgeordnete Jürgen Türk.

Jürgen Türk (FDP):
Rede ID: ID1212025200
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hinsichtlich der Auswirkungen aus dem Uranbergbau der Wismut einschließlich der Altlastenbeseitigung erhöht den Druck, sich dieser wichtigen Umweltfrage mit immensen Auswirkungen auf soziale und wirtschaftliche Fragen zu stellen. Nicht nur die Fülle der Fragen, sondern auch die konkrete Form lassen kein Ausweichen auf Allgemeinplätze zu. Das ist richtig. Wir müssen zum argumentativen und damit zum konstruktiven Streit zurückfinden.
Ich habe den Eindruck, daß sich die Bundesregierung diesem Fragenkatalog in ihrer Antwort vom 24. September 1992 konkret gestellt hat. Gestatten Sie, daß ich auf das Wesentliche eingehe.
Erstens. Es ist festzustellen, daß der zur Zeit in Stillegung befindliche Uranerzbergbau in ein leistungsfähiges Sanierungsunternehmen umgewandelt wurde. Damit können und müssen wieder zumutbare Umweltverhältnisse hergestellt werden. Es wird seit ca. zwei Jahren saniert; es gibt Haldenverlagerung, Schadstoffbeseitigung in Gruben, Betriebsflächensanierung usw.
Zweitens. In Arbeit sind Untersuchungen in Form von Studien und Projekten.
Drittens. Die Durchführung der Untersuchungs-
und Sanierungsmaßnahmen steht unter der Kontrolle von Bundes- und Landesbehörden.
Viertens. Mit dem Sanierungsfortschritt steigen die Chancen für die wirtschaftliche Umstrukturierung. Darüber, daß das alles noch schneller gehen müßte, sind wir uns einig.
Für die Auflage eines Sonderprogramms und eines Gesetzes, wie es hier gefordert wird, scheint mir zur Zeit kein Handlungsbedarf. Es sind rechtliche Regelungen vorhanden. Es gibt einen Maßnahmenplan, der für 10 bis 15 Jahre 13 Milliarden DM vorsieht.



Jürgen Türk
Nun zur Kürzung des Haushaltsansatzes bei der Wismut GmbH um 150 Millionen DM im Jahr 1993 von 926 Millionen DM auf 776 Millionen DM. Ich muß Ihnen sagen, daß ich, aber nicht nur ich, erst einmal geschockt war; denn der hohe Bedarf in dieser Region ist ganz offensichtlich mehr als begründet.
Wenn ich allerdings davon ausgehe, daß laut Aussage des Haushaltsausschusses im Jahr 1992 100 bzw. 200 Millionen DM nicht abgeflossen sind, sieht die Ausgangsbasis doch etwas anders aus. Hier müssen künftig — die Mittel sind insgesamt nicht verloren — bessere, d. h. machbarere, Konzepte vorgelegt werden.
Das gilt insbesondere für die Verzahnung zwischen Wismut GmbH und Region. Das Instrument sollte durch Gründung einer regionalen Entwicklungsgesellschaft geschaffen werden, einer regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaft, die a us Wismut GmbH, Ländern und Kommunen bestehen sollte. Hier sollten auch alle Probleme, die Dr. Feige angesprochen hat, an Ort und Stelle gelöst werden. Ich bin sicher, daß damit ein effizienterer Mitteleinsatz möglich ist.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212025300
Als nächste hat die Abgeordnete Ingeborg Philipp das Wort.

Ingeborg Philipp (PDS):
Rede ID: ID1212025400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch den jahrzehntelangen Uranabbau und die Erzaufbereitung der SDAG Wismut im Süden der DDR wurden großflächige radiologische Verseuchungen eines Gebiets von zusammen über 1 200 Quadratkilometer verursacht.
Die atomgläubige Führung der DDR hatte dieses Kapitel der DDR-Geschichte mit einem Mantel des Schweigens umgeben. Nach dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik versucht die atomgläubige Bundesregierung, diese Tradition fortzusetzen. Die Akten über Strahlenerkrankungen der Bevölkerung und des Personals wurden der kritischen Öffentlichkeit bisher nicht zugänglich gemacht.
Der Grund hierfür ist: In keinem anderen Staat der Welt wurde über Personal und Anwohner des Uranbergbaus so lückenlos bezüglich Strahlenexposition und -erkrankungen Buch geführt wie in der DDR. Hierdurch ließen sich eindeutige Belege für die Gesundheitsschäden im Uranbergbau weltweit ableiten. Zu diesem weiteren Beweis der tödlichen Sicherheit der Atomenergie will es die Bundesregierung aber nicht kommen lassen.
Eine Erinnerung kommt mir in diesem Zusammenhang: Ende der 40er Jahre sah ich an der Technischen Hochschule eine Doktorarbeit durch, die sich mit der Energieversorgung des Erzgebirges befaßte. Darin wurde die Wasserführung ober- und unterirdisch mit betrachtet, und es wurde das Schicksal einer Familie genannt, die in einem Haus wohnte, das scheinbar vom Unglück verfolgt war, weil darin besonders die jungen Frauen sehr früh starben. Es stellte sich heraus, daß unterirdisch eine Wasserader verlief, die radioaktives Wasser führte. Das Schicksal dieser Familie ist mir bei bestimmten Gelegenheiten immer wieder ins
Gedächtnis gekommen. Wir sollten eine genauso hohe Sensibilität für das Massenschicksal haben, das heute so vielen Menschen dort droht.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)

Im Einigungsvertrag vom August 1990, der am 20. September geltendes Recht wurde, hat die Bundesregierung mit vorgesehenen Überleitungsregelungen die bundesdeutsche Strahlenschutzverordnung für den Uranbergbau und dessen Folgen auf dem Gebiet der DDR außer Kraft gesetzt. Die Grenzwertfestsetzung geschieht weiter nach DDR-Recht, das in diesem Fall offensichtlich nicht als Unrecht angesehen wird. Die DDR-Vorschriften bleiben in diesem Fall weit hinter den unzureichenden Vorschriften der BRD zurück. Es bleibt festzuhalten: Die Bundesregierung verstößt mit dem Außerkraftsetzen der bundesdeutschen Strahlenschutzverordnung gegen eigene Gesetzgebung wie auch gegen EG-Recht.
Bei konsequenter Anwendung des bundesdeutschen Atomrechts und der bundesdeutschen Strahlenschutzverordnung auf dem Gebiet der DDR müßten in einigen Landstrichen mit Sicherheit weitreichende Konsequenzen bis hin zu Evakuierungen ins Auge gefaßt werden.
Gegen diese Verbiegung des Atomrechts und der Strahlenschutzverordnung, die nur wegen der Situation im Wismut-Gebiet vorgenommen wurde, haben die Kommunen Ronneburg, Oberrothenbach und Crossen sowie Einzelpersonen bereits im vorigen Jahr Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt. Die Bewohner der Wismut-Region fühlen sich durch zweierlei Strahlenschutzbestimmungen und das Fehlen von Einspruchsmöglichkeiten als Menschen zweiter Klasse behandelt. Der Bürgermeister der am stärksten belasteten Gemeinde Oberrothenbach, Herr Carsten Schick, sagte zu den Zielen des Verfahrens:
Wir verlangen von der Bundesregierung eine neue Gesetzgebung, mit der die Altlastenprobleme des Uranbergbaus in den neuen Ländern auf dem gleichen Niveau des Schutzes von Gesundheit und Umwelt unter Beteiligung der Bürger gelöst werden wie in den alten Bundesländern. Zudem darf es nicht so bleiben, wie es früher schon war, daß die Wismut ihre Konzepte hinter verschlossenen Türen ohne rechtlich definierte Verfahren ausarbeitet und die betroffenen Gemeinden nicht mit einbezieht.
Dem ist nichts hinzuzufügen außer der Frage, wie sich die Bundesregierung dazu stellt.
Ich möchte hier keine Grenzwertediskussion führen. Aber der Skandal ist doch der: Während West-Bundesbürgern und Nicht-Wismut-Anwolmern eine Strahlenbelastung von jährlich 30 Millirem zugemutet wird, werden durch die Sonderregelung den Menschen der Wismut-Region 500 Millirem zugemutet. Dadurch erhöht sich das Krebsrisiko enorm. Es ist bemerkenswert, daß dies von der Bevölkerung so gelassen hingenommen wird. Das kann sich ändern. Aber die Menschen sind geduldig und haben immer die Hoffnung, daß es so schlimm nicht kommen kann. Gerade das fordert jedoch die Wahrnehmung unserer Verantwortung heraus.



Ingeborg Philipp
Den Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN werden wir unterstützen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212025500
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Heinrich Leonhard Kolb, das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1212025600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, zunächst ein Wort an die Kollegin Philipp zu richten. Ich bin Ihnen dankbar, Frau Philipp, daß Sie noch einmal das Schuldanerkenntnis ausgesprochen haben, daß die Regierung der ehemaligen DDR, die ja von der SED getragen wurde, deren Nachfolgepartei die PDS ist, die umfassende Verantwortung für das trägt, was im Gebiet Wismut und damit zusammenhängenden Betrieben geschehen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich finde es schlimm, wenn Sie in diesem Zusammenhang von einem Skandal sprechen, was das Verhalten der Bundesregierung anlangt. Der Skandal ist, daß Bürger in der DDR vier Jahrzehnte keine Chance hatten, sich derart frei zu den Vorgängen zu äußern, wie Sie heute hier das Recht und die Möglichkeit hatten, im Bundestag zu sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: So kann man von Problemen ablenken!)

— Ich komme auf die Probleme zu sprechen. Da brauchen Sie keine Befürchtungen zu haben.
Die Kollegen von der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben im Mai dieses Jahres einen umfassenden Fragenkatalog über die Altlasten des Uranbergbaus und deren Sanierung vorgelegt. In den Formulierungen ist eine, wie ich sagen muß, profunde Sachkenntnis der Fragesteller erkennbar. Dies muß an dieser Stelle ausdrücklich anerkannt und betont werden.

(Freimut Duve [SPD]: Haben Sie selber geprüft, ob das profund ist?)

— Ja; sonst würde ich es nicht sagen, Herr Duve. —
Die Bundesregierung — das ist auf jeden Fall sicher — ist dankbar, daß sie auf diese Weise Gelegenheit hat, gegenüber dem Parlament in Sachen Wismut Bilanz zu ziehen und ihre Haltung und die ihren Entscheidungen zugrunde liegenden Überlegungen ausführlich darzulegen.
Sie hat die Antworten auf den umfangreichen Fragenkatalog in einer, wie Sie mit Recht feststellen, Herr Feige, rekordverdächtigen Zeit von knapp vier Monaten vorgelegt. Das ist ein Beweis dafür, wie ernst und entschlossen die Bundesregierung an dieses hinsichtlich seiner Größe weltweit einmalige Umweltprojekt herangeht.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben geahnt, daß so etwas kommt!)

Ich bin auch dankbar, daß Sie ausdrücklich von detaillierter und gründlicher Arbeit gesprochen
haben. Es handelt sich bei den Folgen des Uranbergbaus in Ostdeutschland zwar um ein gravierendes Altlastenproblem. Es handelt sich — ich betone das — jedoch nicht, Herr Kollege Luther, um eine ökologische Katastrophe vom Ausmaß Tschernobyls oder gar um ein Ereignis, das mit den Atombombenabwürfen von 1945 vergleichbar wäre, wie immer wieder behauptet wird.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß durch die geordnete Stillegung der derzeit bestehenden bergbaulichen Einrichtungen und die Sanierung und Rekultivierung belasteter Betriebsflächen zwar nicht der ursprüngliche Zustand, aber doch weitgehend intakte Umweltverhältnisse in den betroffenen Regionen wiederhergestellt werden können.
Herr Feige sprach von einem nur unbefriedigenden Fortgang der Sanierung. Herr Feige, die Erfolge der bisherigen 22monatigen Sanierungstätigkeit sprechen für sich. Zahllose untertägige Grubenräume wurden mittlerweile von Schadstoffen befreit, für die langfristige sichere Verwahrung vorbereitet und zum Teil ordnungsgemäß geflutet; Halden wurden verlagert, sinnvoll an die Landschaft angepaßt und rekultiviert; ehemalige Betriebsflächen sind für industrielle Nutzungen und für Wohnungsbauzwecke saniert und freigegeben worden.
Durch Interimslösungen wie die Abdeckung stauberosionsgefährdeter Bereiche wurde bereits eine deutlich meßbare Reduktion der Strahlenbelastung erzielt. Darüber hinaus werden im Rahmen von Studien und Pilotprojekten unter Einbindung in- und ausländischer Experten Problemlösungen zu vielfältigen Fragen erarbeitet, um optimale Sanierungsmethoden anwenden zu können.
All dies zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Wenn trotzdem zuweilen Kritik am Sanierungsfortschritt geübt wird, so liegt dies auch daran, daß sich viele Sanierungsmaßnahmen naturgemäß auf den Untertagebereich konzentrieren mußten und deshalb von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden.
Die Bundesregierung hat in der Antwort auf die Große Anfrage dargelegt, daß es sich bei den Stillegungs- und Sanierungsarbeiten der Wismut GmbH um ein Großprojekt auf dem Gebiet des Bergbaus und des Umweltschutzes handelt. Für die Durchführung innerhalb der kommenden zehn bis 15 Jahre müssen nach heutigem Kenntnisstand ca. 13 Milliarden DM vom Bund bereitgestellt werden. Eine Alternative hierzu gibt es nicht. Auch diese Zahl macht deutlich, Frau Kollegin Klemmer, daß sich die Bundesregierung sehr wohl der Verantwortung stellt. Sie zeigt auch, in welchem Maße wir bereit sind, diese Herausforderung finanziell anzunehmen.
Die Bundesregierung hat darüber hinaus den Grundsatz bekräftigt, die Sanierungsarbeiten der Wismut GmbH unter Abwägung aller Umwelt- und Kostengesichtspunkte nach dem neuesten Stand der Wissenschaft und Technik durchzuführen. Die korrekte Durchführung der Sanierungsarbeiten wird durch Gutachtergremien im Auftrag des Bundeswirtschaftsministers und des Bundesumweltministeriums



Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
überprüft. Die staatliche Kontrolle wird in erster Linie durch die Landesbehörden und durch die berg- und strahlenschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren wahrgenommen.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212025700
Herr Feige, ich kann keine Frage mehr zulassen. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär hat bereits die Redezeit überschritten.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1212025800
Aber ich habe noch einen wichtigen Punkt.
Ziel der Sanierungsarbeiten ist es, für die in den betroffenen Regionen lebenden Menschen zügig die durch den Uranbergbau beeinträchtigten Umweltbedingungen zu verbessern. Entscheidend ist dabei, daß damit auch die wirtschaftlichen Strukturen gefördert werden und positive Impulse für den Arbeitsmarkt in der Region entstehen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212025900
Herr Kollege Kolb, bitte kommen Sie zum Schluß.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1212026000
Ich werde mich bemühen, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, in dem vorliegenden Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird abermals gefordert, ein Wismut-Sanierungsgesetz vorzulegen. Wir halten dies nicht für erforderlich. Wir sehen keinen Regelungsbedarf.

(Siegrun Klemmer [SPD]: Das ist keine Überraschung!)

Falls dies so wäre, würden wir selbstverständlich entsprechende Schritte vornehmen.
Nun möchte ich, Herr Präsident, noch auf eine wirklich wichtige Sache zu sprechen kommen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212026100
Es stellt sich natürlich die Frage, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ob Sie sich an die Vereinbarung halten wollen, die mit den Parlamentarischen Geschäftsführern getroffen worden ist,

(Beifall bei der SPD)

der zufolge Sie fünf Minuten Redezeit haben, oder ob Sie auf dem Rederecht der Bundesregierung beharren. Dann sprengen wir diese Vereinbarungen immer. Das hat natürlich auch interne Ablauffolgen. Sie haben Ihre Redezeit bereits um zwei Minuten überschritten.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1212026200
Das ist richtig. Ich weiß nicht, wieso Sie klatschen. Ich wollte jetzt noch auf die finanzielle Situation bei Wismut eingehen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212026300
Wenn der Präsident dem Redner sagt, daß die Redezeit überschritten ist, dann hat er im Regelfall nach einem Satz zu enden. Die
Regierung hat jederzeit Rederecht. Aber in der Verfassung steht „jederzeit" und nicht „jede Zeit".

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1212026400
Dann möchte ich dieses Recht in Anspruch nehmen, Herr Präsident, weil es sich hier wirklich urn eine wichtige Sache handelt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212026500
Herr Staatssekretär, Sie bringen mich und auch Ihre Fraktion in große Schwierigkeit.

(Freimut Duve [SPD]: Wir werden dem mit einer polemischen Rede entgegnen!)


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1212026600
Tun Sie das.
Lassen Sie mich auf die jüngsten Kürzungsbeschlüsse des Haushaltsausschusses des Bundestages eingehen. Hier sollten Sie wirklich zuhören. Die Streichung von 150 Millionen DM von den für die Altlastensanierungstätigkeit der Wismut GmbH vorgesehenen Zuwendungen wird — das muß ich ganz nüchtern feststellen — zu deutlich spürbaren Einschränkungen der Sanierungstätigkeit der Wismut GmbH führen. Einzelne Projekte werden verschoben werden müssen. Es wird letztlich sicherlich auch zu einer Verteuerung des Gesamtprojektes, das auf zehn bis 15 Jahre angelegt ist, führen können. Aber die Entscheidung ist vor dem Hintergrund der haushaltspolitischen Gesamtsituation zu sehen. Einsparungen sind oberstes Gebot in allen Bereichen des Bundeshaushaltes. Gerade für das Bundesunternehmen Wismut GmbH muß dies gelten.
Die Bundesregierung wird alle Anstrengungen unternehmen, die Folgen der Mittelkürzung für die betroffene Bevölkerung und die Region soweit wie irgend möglich zu begrenzen. Dies gilt ebenso für umweltpolitische wie für regional- und beschäftigungspolitische Konsequenzen. Wir werden deshalb die Wismut GmbH beauftragen, ihr Arbeitsprogramm unter dem Gesichtspunkt eiserner Spardisziplin zu überarbeiten.
Die Bundesregierung steht damit weiterhin in vollem Umfange zu ihrer — auch in der Antwort auf die Große Anfrage gegebenen — Zusage, die volle finanzielle Verantwortung für die ordnungsgemäße Stillegung der Bergbaubetriebe sowie für die Sanierung und Rekultivierung der Betriebsflächen der Wismut zu übernehmen. Ziel ist und bleibt, die verfügbaren finanziellen Ressourcen optimal unter ökologischen, aber auch wirtschaftlichen Gesichtspunkten einzusetzen.
Ich danke Ihnen und bitte um Nachsicht.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212026700
Es tut mir leid, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, dies ist ein einmaliger und ungewöhnlicher Vorgang.

(Siegrun Klemmer [SPD]: Vom Inhalt auch!)

Sie haben die doppelte Redezeit dessen beansprucht,
was angemeldet war. Der amtierende Präsident kann
einem Mitglied der Bundesregierung nicht das Wort



Vizepräsident Hans Klein
entziehen. Aber ich fürchte, das ist eine Frage, die wir im Ältestenrat und anderenorts zu besprechen haben werden.

(Franz Müntefering [SPD]: Das sehe ich allerdings auch so! — Weiterer Zuruf von der SPD: Er kennt die Uhr nicht!)

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/3648 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Ingeborg Philipp, Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Anschubfinanzierung für Produktion des weltweit ersten FCKW-FKW-freien Serienkühlschranks aus dem Bundeshaushalt — keine Abwicklung der Kühlgeräteherstellerfirma dkk Scharfenstein GmbH
— Drucksache 12/3160 —
Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine FünfMinuten-Runde vereinbart worden. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1212026800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung vorweg: Herr Staatssekretär Kolb, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß die Kollegin, die Sie vorhin auf sehr unsachliche Art und Weise beschimpft haben, zu keinem Zeitpunkt Mitglied der SED gewesen ist.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212026900
Frau Kollegin, Entschuldigung. Ich habe mich über den Parlamentarischen Staatssekretär zwar geärgert, aber beschimpft hat er niemanden. Er hat politische Kritik geübt.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1212027000
Na gut.

(Freimut Duve [SPD]: Er hat angenommen, die Biographie eines Menschen zu kennen, und hat sich vertan!)

— Herr Kollege Duve hat mich jetzt korrigiert.
Ich komme jetzt zu dem Antrag. Daß dieser Antrag, der am 12. August 1992 in den Bundestag eingebracht wurde, erst heute behandelt wird, liegt nicht an uns.
Wir haben im Bundestag in mehreren Debatten lang und breit über den Ausstieg aus der FCKW-Produktion debattiert, anderenorts aber wurde gehandelt. Die ostdeutsche Firma dkk Scharfenstein GmbH hat den ersten FCKW-FKW-freien Kühlschrank entwickelt, der nun serienreif ist. Während die Konkurrenz noch versucht, Kühlschränke mit weniger FCKW oder mit einem umstrittenen Ersatzmaterial zu bauen, ging man im Erzgebirge einen Schritt weiter: Das neue Modell kommt völlig ohne diese Stoffe aus.
Zur gleichen Zeit aber, als dieser Kühlschrank entwickelt wurde, hatte die Treuhand die Liquidation der Firma mit noch 950 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Stammbetrieb angedroht. Unter dem Eindruck der Diskussion in der Öffentlichkeit hatten Umweltministerium und Treuhandanstalt im August angekündigt, sich für den Erhalt der Firma aus dem Erzgebirge einzusetzen. Greenpeace hatte Anzeigen im Rundfunk und in den Zeitungen geschaltet. Im Ergebnis wurden bisher über 43 000 Ökokühlschränke für je 500 DM bestellt, obwohl das Gerät erst ab März 1993 lieferbar sein wird.
Der Staatssekretär im Umweltministerium, Clemens Stroetmann, erklärte nach einem Informationsbesuch in dem sächsischen Betrieb, die Ökobilanz des Gerätes sei offenbar besser, als bisher angenommen. Stroetmann sehe große Marktchancen für das Gerät und wolle sich bei der Treuhand für den Fortbestand des Unternehmens einsetzen, damit das dort vorhandene Entwicklungspotential nicht zerschlagen werde. Trotzdem werde ich den Eindruck nicht los, daß sich die Bundesregierung offensichtlich doch nicht mit den etablierten FCKW-FKW-Produzenten wie Hoechst und anderen und dem Gefriergerätekartell der Siemens-Bosch-AEG anlegen will.
In der Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 14. Oktober 1992 lehnten es die Regierungsparteien gegen die Opposition kommentarlos ab, eine Anschubfinanzierung der Produktion des neuen FCKW-FKW-freien Kühlschrankes der dkk Scharfenstein in Höhe von 10 Millionen DM aus dem Etat zur Förderung von Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen bereitzustellen.
Der in Scharfenstein entwickelte umwelt- und klimafreundliche Kühlschrank hat eine FCKW- und H-FCKW-freie Isolierung. Das Kühlmittel wurde durch ein Propan-Butan-Gemisch ersetzt, ein Stoff, der nicht nur erheblich umweltfreundlicher ist als heute favorisierte Ersatzstoffe, sondern der auch in der Produktion erheblich billiger ist.
Hinzu kommt: Propan und Butan sind Nebenprodukte der Erdölförderung und daher in großen Mengen verfügbar. Hier ist wohl auch ein Grund zu suchen, warum Hoechst und andere den Ökokühlschrank opponieren. Dem FCKW-Ersatzstoff H-FKW 134a liegen z. B. millionenschwere Patente zugrunde; weitere Millionen wurden in Produktionsanlagen investiert. Über 200 000 t jährlich sollen weltweit abgesetzt werden. Ein warmer Segen für die Aktionäre, für die Umwelt eine Katastrophe, eine Beutelschneiderei für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Eine Umstellung der Kühlgerätebranche auf Propan/Butan würde sich also vor allem auf die Taschen einiger Großindustrieller empfindlich auswirken.
Wir sagen: Die dkk Scharfenstein und ihr umweltfreundlicher Kühlschrank brauchen eine Chance.



Dr. Dagmar Enkelmann
Durch eine zeitlich befristete Stützung der Firma und eine Anschubfinanzierung für die Produktion des umweltfreundlichen Kühlschrankes besteht die Chance, das innovative Unternehmen und damit viele Arbeitsplätze in einer der strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands zu retten. Darüber hinaus könnte weltweit in der Kühlgerätebranche ein Signal in Richtung umweltfreundlicher Produktion gesetzt werden.
Übrigens: Ich habe heute mit einer der bekanntesten Versandfirmen — den Namen darf ich natürlich, damit man mit nicht Schleichwerbung vorwirft, hier nicht nennen — telefoniert. Diese Firma hatte sich schon vor Wochen bereit erklärt, den Vertrieb des Ökokühlschranks zu übernehmen. Jeder weiß also, wer gemeint ist.

(Freimut Duve [SPD]: Was meinen Sie, wie viele Firmennamen hier schon genannt wurden?)

Dieses Angebot besteht auch heute noch. Sollten Sie einen bestellen wollen, würde ich Ihnen gerne den Coupon übermitteln.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212027100
Im Gegensatz zum Fernsehen dürfen hier die Namen deutscher Firmen genannt werden.

(Heiterkeit im ganzen Hause — Freimut Duve [SPD]: Können Sie auch sagen, wem sie gehören?)

— Wenn Sie es dazusagen.
Als nächste hat das Wort die Kollegin Monika Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1212027200
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist noch einmal gutgegangen mit dem FCKW-freien Kühlschrank. Seit vielen Jahren ringen wir mit den Herstellern von FCKW um den Ausstieg aus den Chemikalien, die das Ozon zerstören und damit dazu beitragen, daß die ultraviolette Strahlung auf die Erde gelangt. Wir hören dann sowohl von den nationalen als auch internationalen Herstellern immer wieder, es gebe keine Ersatzstoffe, es müsse noch geforscht werden, es würde noch mehr Zeit benötigt, der Ausstieg gehe nicht so schnell.
Spätestens seit der internationalen Konferenz „Alternativen zu FCKW und Halonen-Technologien und Ersatzstoffe" im Februar 1992 in Berlin wissen wir, daß es viele Ersatzstoffe sowie viele Ersatzverfahren gibt: Luft als Kältemittel, Wasser als Kälte- und Kühlmittel, Kühlaggregate auf Zeolith-Wasser-Basis, Kühlanlagen auf Ammoniakbasis und natürlich, wie bei diesem Kühlschrank, um den es hier geht, auf Propan ButanBasis.

(Detlev von Larcher [SPD]: Und das weiß die Industrie nicht?!)

Die Entwicklung dieser Techniken wurde vor 40 Jahren abgebrochen, als die FCKW auf den Markt kamen. Jetzt muß da wieder angeknüpft werden. Aber warum geht das nicht voran? Die chemische
Industrie will das nicht. Sie denkt nur im Austausch Stoff gegen Stoff, sie denkt nur in chemischen Stoffen, mit denen man große Gewinne machen kann.

(Beifall bei der SPD)

Zuerst wollte sie im großen Maßstab auf den Stoff F22 ausweichen. F 22 ist ein teilhalogenierter Stoff, der noch ein Ozonzerstörungspotential hat, wenn auch ein etwas geringeres: um 5 % gegenüber den jetzt verwendeten FCKW-Chemikalien. Inzwischen weiß die Industrie, daß dieser Stoff nur als Übergang akzeptiert wird und daß die Industrie damit ins Gerede kommt. Sie hat sich auf einen neuen Ersatzstoff fixiert, nämlich R 134a, der in großem Umfang längerfristig eingeführt werden soll. Er hat zwar kein Ozonzerstörungspotential, trägt aber erheblich zum Treibhauseffekt bei. Außerdem ist er nicht ungefährlich; es bestehen da große Risiken.
Ich habe eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet und möchte Ihnen die Antwort dazu vorlesen, da sie so bezeichnend ist. Da schreibt die Bundesregierung:
Beim oxidativen atmosphärischen Abbau von R 134 a kann die Bildung von Trifluoressigsäure nicht ausgeschlossen werden. Inwieweit jedoch eine bakterielle Umwandlung von Trifluoressigsäure zu Monofluoressigsäure in Betracht kommt, ist der Bundesregierung nicht bekannt.
So lautete die Antwort vor zwei Monaten. Für die entsprechende Industrie ist das überhaupt kein Grund, davon abzusehen, dieses Mittel zu verwenden.
In dieser Situation tritt nun der Außenseiter dkk Scharfenstein aus Chemnitz auf und bietet einen FCKW-freien Kühlschrank an. Das war natürlich sehr unpassend, weil sich die chemische Industrie auf R 134a eingestellt hatte. Eineinhalb Jahre hat die Treuhand intensiv mit der Bosch-Siemens GmbH verhandelt, großzügige Angebote gemacht — ohne Erfolg.
Ich will ein Zitat aus den „VDI-Nachrichten" vom 14. August 1992, die einen Insider zitieren erwähnen. Da heißt es: „Die Kältetechnik ist weltweit vernetzt ..." — Frau Enkelmann hat darauf eben hingewiesen — „... keiner kann heute ausscheren, und die Branche scheint entschlossen, dem R 134a den Vorzug zu geben." So war die Lage. Beinahe wäre es ja auch gelungen, die größte Firma Sachsens plattzumachen. Dank Greenpeace, der Öffentlichkeit, und einer Firma — ich will sie nennen: Neckermann wird den Kühlschrank vertreiben — konnte diese „Abwicklung" verhindert werden.

(Freimut Duve [SPD]: Das ist eine Kooperation: Neckermann und Greenpeace!)

Der Antrag auf eine Anschubfinanzierung erübrigt sich damit. Jedoch fordere ich den Bundestag ebenso wie die Bundesregierung und alle Restaurants hier im Umfeld auf: Wir müssen dafür sorgen, daß dieser Kühlschrank hier eingeführt wird. Wir haben hier in den Büros Kühlschränke, und wenn wir nach Berlin umziehen, brauchen wir sowieso wieder neue.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)




Monika Ganseforth
Ich fordere dazu auf, nur noch diese FCKW-freien Kühlschränke zu verwenden; denn ihr Absatz ist jetzt der entscheidende Schritt.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212027300
Herr Kollege Wolfgang Engelmann, Sie haben das Wort.

Wolfgang Engelmann (CDU):
Rede ID: ID1212027400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne ein gerüttelt Maß an Industriearbeitsplätzen, ohne eigene Wertschöpfung würde es uns im Osten Deutschlands schwerlich gelingen, einen gesunden Mittelstand, ein Handwerk und Gewerbe aufzubauen. Deshalb bemühen sich die sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten um den Erhalt von Arbeitsplätzen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ohne auf Anträge der PDS/Linke Liste zu warten, haben wir es gemeinsam mit Arbeitnehmern, Betriebsräten und Politikern aller Ebenen geschafft, das Motorradwerk MZ Zschopau als Standort zu erhalten. In bescheidenem Maße wohl, aber mit steigender Tendenz wird produziert; neue Unternehmen siedeln sich im alten Stammwerk an.
5 km entfernt befindet sich die in die Schlagzeilen geratene dkk Scharfenstein GmbH. Was wird aus diesem Werk? Trotz intensiver Bemühungen seitens der sächsischen Politiker, vornehmlich des Ministerpräsidenten, des Bundeskanzleramtes und der Treuhand Berlin — auch meine Person hat sich da mit eingebracht —, konnte es uns nicht gelingen, die Bosch-Siemens-Haushaltsgruppe zu bewegen, unser dkk-Werk in Scharfenstein zu übernehmen.

(Monika Ganseforth [SPD]: Warum wohl?) — Ich komme noch darauf zu sprechen.

Wir mußten neue Konzepte entwickeln, und wir konnten neue Konzepte entwickeln; denn im dkk Scharfenstein wurde eine Neuentwicklung herausgebracht. Es wurde schon gesagt, daß wir einen FCKW- freien Kühlschrank, den Öko-Kühlschrank — also ein Sachsen-Know-how —, entwickelt haben.

(Freimut Duve [SPD]: Das coole Sachsen kühlt!)

Nachweislich belastet er weder die Umwelt noch vergrößert er das Ozonloch. Die Entsorgung bereitet keine Probleme. Um das zu wissen, bedurfte es auch keines Antrages der PDS/Linke Liste.
Anläßlich eines Informationsbesuches in meinem Wahlkreis Annaberg-Zschopau-Stollberg im Erzgebirge, nutzte ich die Gelegenheit, den Öko-Kühlschrank Bundesumweltminister Töpfer vorzustellen. Experten aus seinem Hause und des Bundesumweltamtes bestätigten in einer Mitteilung an Frau Breuel die großen Marktchancen dieses Kühlschrankes; nach einigen Verbesserungen sei die Verleihung des Umweltzeichens „Blauer Engel" sehr wahrscheinlich.
Durch diese Aussagen und die dringlichen Appelle von Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern, dieses Werk zu erhalten — auch im Hinblick auf seine standortbestimmende Struktur im Erzgebirge —, erklärte sich die Treuhand bereit, sowohl die Forschung als auch die laufende Produktion finanziell zu unterstützen.
Wir haben also schon gehandelt, bevor die PDS auf eine Antragsidee kam.

(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Die Beschäftigten der Firma haben gehandelt!)

— Sind Sie schon einmal dort gewesen? Wissen Sie, wie viele dort noch arbeiten, wieder arbeiten?

(Zuruf von der PDS/Linke Liste: Und das haben Sie gemacht?)

— In Verbindung mit allen Verantwortlichen.

(Monika Ganseforth [SPD]: Ohne Greenpeace wäre die Firma plattgemacht worden!)

— Ohne Geld kann Greenpeace auch nichts tun.

(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Greenpeace kann es öffentlich machen!)

— Das haben wir auch getan. Sie dürfen sich nicht nur immer links orientieren.
Durch unsere Aussagen erklärte sich die Treuhand, wie gesagt, dazu bereit, sowohl die Forschung als auch die laufende Produktion zu unterstützten. Nicht zuletzt haben die Haltung und das große Engagement der Geschäftsleitung und der Arbeitnehmer des erzgebirgischen Werkes die Entscheidung der Treuhand mit beeinflußt.
Monatlich werden dem dkk ca. 6 Millionen DM für die laufende Kühlschrankproduktion zur Verfügung gestellt, bis zum Zeitpunkt der Privatisierung, die spätestens im Dezember 1993 abgeschlossen sein wird. Weitere 6 Millionen DM sind als Zuwendung für die Forschung und Weiterentwicklung des Öko-Kühlschrankes vorgesehen.
Die Treuhandanstalt hat die Sanierungsfähigkeit des Betriebes anerkannt und unterstützt finanziell die Weiterführung der Produktion der bisherigen Kühlschrankreihen und die Entwicklung des Öko-Kühlschrankes.
Wir hatten bereits einen fertigen Verfahrensweg, als andere zum Denken ansetzten. Die CDU/CSU- Fraktion lehnt den vorliegenden Antrag hiermit ab.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt laufen intensive Privatisierungsgespräche mit einer Interessengruppe, zu der auch renommierte ausländische Investoren zählen. Es soll erreicht werden, daß die Privatisierung bereits zum Jahresende 1992 abgeschlossen wird.
Mit den Investoren wird abgesichert, daß die laufende Produktion übernommen wird und der ÖkoKühlschrank Bestandteil des Vertragswerkes ist.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212027500
Herr Kollege, Sie müssen Ihre Rede langsam auch abschließen.

Wolfgang Engelmann (CDU):
Rede ID: ID1212027600
Wirklich langsam?




Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212027700
Nicht langsam.

Wolfgang Engelmann (CDU):
Rede ID: ID1212027800
Ich habe noch zwei Sätze, Herr Präsident.
Ich betrachte den Fortbestsnd des dkk Scharfenstein durch die Annahme des Öko-Kühlschrankes optimistisch. Ich erwarte allerdings, daß die großen Kühlschrankhersteller — G 7 genannt — keinen weiteren Händlerbrief in Umlauf bringen, um den guten Ruf von Öko-Kühlschränken und von dkk Scharfenstein in Mißkredit zu bringen. Die ostdeutsche Wirtschaft kann nur gesunden, wenn ihr faire Chancen im Wettbewerb eingeräumt werden.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Freimut Duve [SPD]: Was haben Sie denn nun gegen den Antrag?)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212027900
Das Wort hat der Kollege Professor Jürgen Starnick.

Prof. Dr. Jürgen Starnick (FDP):
Rede ID: ID1212028000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Normalerweise schätzt sich ein Abgeordneter glücklich, wenn seine Fraktion ihn zum Redner zu einem bestimmten Tagesordnungspunkt im Plenum benennt; zumal das auch so wie bei einem Novizen ist, an diesem Pult reden zu dürfen. Daß ich diese Ehre mit etwas gemischten Gefühlen aufnehme, hat seinen Grund darin, daß ich mich frage, ob es wirklich zum Selbstverständnis eines Parlamentes gehört oder ob es für das Ansehen eines Parlaments in der Öffentlichkeit nützlich ist, wenn das Parlament über alles und jedes redet. Ich glaube nämlich, daß die Bevölkerung unsere parlamentarische Tätigkeit als um so bedeutungsloser einschätzt, je mehr wir uns in die Versuchung führen lassen, jeden Ball aufzufangen, der uns zugeworfen wird.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212028100
Herr Kollege Starnick, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve beantworten?

Prof. Dr. Jürgen Starnick (FDP):
Rede ID: ID1212028200
Aber gern, natürlich.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212028300
Herr Kollege Duve, normalerweise lassen wir bei den Fünf-Minuten-Runden allerdings keine Zwischenfragen zu.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1212028400
Herr Kollege, Sie haben eine sehr generelle Frage gestellt; im Ansatz stimme ich Ihnen zu. Aber ist es hier nicht von sehr grundsätzlicher Bedeutung, daß man auf einen bestimmten Betrieb in der ehemaligen DDR dann hinweist, wenn Gefahr besteht, daß seine innovatorischen Leistungen beiseite gedrückt werden?

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Prof. Dr. Jürgen Starnick (FDP):
Rede ID: ID1212028500
Sehr geehrter Herr Kollege Duve, wenn dem so wäre, stimmte ich Ihnen voll zu. Aber in Relation zu den wirtschaftlichen Problemen, die wir in den neuen Bundesländern insgesamt haben, ist dieses ein kleines.

(Freimut Duve [SPD]: Aber ein symbolisches!)

Dieser Tagesordnungspunkt steht also zur Diskussion. Aus Respekt gegenüber jedem Antragsteller — gleichgültig, welcher politischen Couleur — will ich auch einige Bemerkungen zur Sache machen.
Erstens. Wir Umweltpolitiker kritisieren zu Recht, daß sich die Industrie - und hier eben auch die Elektrogeräteindustrie — viel zu langsam von dem langfristig wirkenden und deshalb besonders gefährlichen Umweltschadstoff FCKW trennt. Zufrieden kann man jedenfalls nicht damit sein, daß die im Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie zusammengeschlossenen Firmen erst 1993 mit der Umstellung ihrer Produktion auf FCKW-freie Haushaltskühlgeräte beginnen.
Zweitens. In einer solchen Situation fühlen sich viele Erfinder dazu berufen, Alternativen vorzuschlagen. Daß dabei auch auf technische Entwicklungswege ausgewichen wird, die schon seit langem bekannt sind, aber letzten Endes wegen wirtschaftlicher Nachteile verworfen wurden, ist gleichermaßen naheliegend. Daß ein Erfinder aber das beste PublicRelations-Unternehmen, das es zur Zeit weltweit gibt, dazu gewinnen kann, diese seine Erfindung zu propagieren, ist für ihn sicherlich ein Glücksfall.

(Freimut Duve [SPD]: Der Deutsche Bundestag!)

— Ein gutes Public-Relations-Unternehmen weiß eben, daß man zur rechten Zeit mit den rechten Themen kommen muß. Und so paßte es gut in die Zeit, um der noch FCKW verwendenden Elektrogeräteindustrie Beine zu machen.
Dies ist mir umweltpolitisch durchaus willkommen. Ich kann gleichwohl nicht akzeptieren, daß Greenpeace in diesem Fall suggeriert, sie allein seien im Besitz der umweltpolitisch seligmachenden Wahrheit. Eine möglicherweise zweit- oder drittbeste Lösung zu dem Ökokühlschrank hochzustilisieren, ist eine zumindest zweifelhafte Vorgehensweise.
Drittens. Daß das nun aber auch seine gute Seite findet und ein ansonsten sterbender ostdeutscher Betrieb mit Hilfe des Public-Relations-Geschicks von Greenpeace möglicherweise überleben kann, ist das Beste an diesem Vorgang. Er wird allerdings nur überleben, wenn er nicht darauf vertraut, daß Greenpeace ihm in Zukunft mit einer gut gesetzten Presseaktion nochmals aus der Patsche helfen kann.
Das Produkt, das Greenpeace ihm vermittelt hat, wird sich auf dem Markt behaupten müssen. Die Firma wird erhebliche Nachteile zu beheben haben, vor allem den wesentlich höheren Energieverbrauch pro Nutzraum, der nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein Nachteil für die Umwelt ist. Ich wünsche der Firma, daß ihr dieses gelingt.
Die Scharfenstein GmbH hat sich verpflichtet, den FCKW-Ersatzstoff R 134 a sofort als Übergangslösung einzuführen und diesen ab 1995 durch chlor- und fluorfreie Kältemittel abzulösen. Im Interesse der umweltpolitischen Glaubwürdigkeit dieser Firma wünsche ich mir ebenfalls, daß auch dieses gelingt.
Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)





Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212028600
Herr Kollege Dr. KlausDieter Feige, Sie haben das Wort.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212028700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Starnick, ich fühle mich immer sehr ehrenhaft behandelt, und bin mir auch der Ehre bewußt, wenn ich im Bundestag über Umweltprobleme sprechen kann. Wir müßten sehr oft und noch viel häufiger über solche Umweltprobleme sprechen. Ich denke, daß z. B. auch die fortgeschrittene Zeit, zu der wir über solche Themen diskutieren — sehr spät; mitunter nach Mitternacht — eigentlich ein Signal ist, daß wir diesen Problembereich noch nicht ernst genug nehmen.
Wenn Sie jetzt auf die Uhr schauen und meinen, es sei noch nicht sehr spät: Ich denke, daß wir z. B. über das Thema Wismut, das wir zuvor behandelt haben, und das Sie alle so sehr ernst genommen haben, in Übereinstimmung mit den Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion heute vormittag hätten diskutieren können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Angebot lag eindeutig vor, dieses in einer Zeit zu machen, in der es — weil es für die Bevölkerung so wichtig ist — medientransparenter dargestellt werden kann. Es waren die Koalitionsparteien, die im Altestenrat verhindert haben, daß wir heute vormittag darüber reden.
Es ist mir sehr wichtig, über solche Themen häufiger zu günstigerer Zeit zu debattieren, auch wenn angeblich die Redezeit immer knapp ist.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Der heute zur Debatte stehende Antrag der PDS nimmt bekannte Forderungen der Ökologie-Bewegung auf. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß wir die gute Absicht begrüßen.
Ich glaube, daß der in der Begründung genannte entscheidende Problempunkt bei dem Öko-Kühlschrank, wie er genannt wird, der Ersatz des Kühlmittels FCKW ist. Wir haben im Umweltausschuß und auch hier im Plenum schon häufiger über ein FCKW- Verbot diskutiert. Ich denke, daß wir in dieser Hinsicht da und dort bei der Bundesregierung Schritt für Schritt eine Annäherung an diese Position erkennen können. Sie werden sich erinnern: Sie haben noch vor wenigen Tagen ein generelles Verbot der Produktion und der Verwendung von FCKW in der Bundesrepublik Deutschland mit den Stimmen der Koalitionsparteien abgelehnt. Wenn wir heute so tun, als ob es angesichts der wunderbaren Situation jetzt keine Probleme mehr gebe, dann frage ich mich, ob wir nicht noch viel gründlicher und intensiver über derartige Anträge, die wir schon gemeinsam beraten haben, diskutieren müssen. Aber ich werte z. B. die Lobreden von Herrn Bundesminister Töpfer über diesen Kühlschrank als eine erste Entschuldigung für das Versehen, unseren damaligen Antrag abzulehnen.
In der Tat, mit dem ersten FCKW-freien und FCKW-
ersatzstofffreien Kühlschrank ist der dkk Scharfenstein eine ökologisch verträgliche Innovation geglückt. Ich hoffe, daß es Sie auch nicht irritiert, daß die
Vorläufer dieser Technologie bereits in der DDR entwickelt wurden. Ich hoffe auch, daß Sie das in der positiven Bewertung Ihres Anliegens, Herr Kollege, nicht nachteilig beeindrucken wird. Not hat eben auch schon in der DDR erfinderisch gemacht. In dieser Hinsicht ist es für mich viel wichtiger, daß wir öffentlich deutlich sagen können, daß immer mehr Produkte, die in diesem Sinne ökologisch sinnvoll sind, aus den neuen Ländern kommen.
Leider wird mit der Silbe „Öko" doch noch sehr oft Schindluder getrieben. Nicht auf allem, auf dem auch „Öko" draufsteht, ist auch „Öko" drin. Mit diesem Kühlschrank ist es tatsächlich das erste Mal gelungen. Leider kommt das noch viel zu selten vor. Selbst mit der Bezeichnung „grün" wird mitunter Schindluder getrieben. Ich möchte nicht unbedingt sagen, daß der Grüne Punkt irgend ewtas bewegen wird, aber daß er, nur weil der Punkt „grün" sein soll, direkt etwas mit Ökologie zu tun hat, wage ich zu bezweifeln.
Mir selbst ist um die Zukunft des Öko-Kühlschranks nicht bange. Ich glaube tatsächlich, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen eine Anschubfinanzierung nicht mehr notwendig ist, und zwar nicht etwa deswegen, weil wir so viel getan hätten und weil Herr Töpfer so gut geredet hat, sondern auch deshalb — ich glaube, das ist entscheidend — weil das Umweltbewußtsein der Bevölkerung in diesem Land gewachsen ist, so daß sie eigenständig entscheiden konnte, ob das Greenpeace-Votum gut ist oder nicht. In der Hinsicht hat Greenpeace nicht das Monopol auf Entscheidungen, aber ich denke, die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land sind durchaus in der Lage, unsere Argumentation nachzuvollziehen.
Die Kühlschrankproduktion aus Scharfenstein kann sich am Markt behaupten. Das wird aber auch nur dann der Fall sein, wenn die Treuhand ihren Widerstand gegen eine aktive und ökologisch ausgerichtete Strukturpolitik endgültig aufgibt. Es kann nicht Aufgabe der Treuhand sein, nun auch noch dem AEG-Konzern lästige Konkurrenz vom Hals zu schaffen. Der Versuch in Sachen Scharfenstein ist hoffentlich endgültig gescheitert. Die Öko-Kühlschrank-Produktion hat, wie gesagt, gute Aussichten, sich selbst zu tragen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sich das bereits genannte Versandhaus bereiterklärt hat, den Vertrieb zu übernehmen.
Wenn Sie kritisieren, Herr Starnick, daß gerade Greenpeace als Lobbyist für diesen Kühlschrank aufgetreten ist, dann muß ich sagen: Umweltfreundliche Produkte haben in diesem Land noch eine viel zu kleine Lobby. Deshalb ist es doch wirklich sehr gut, wenn wir selbst als Vertreter für diese Kühlschränke auftreten. Die von der Kollegin Ganseforth erhobene Forderung, wir selbst sollten mit gutem Beispiel vorangehen, finde ich toll. Ich würde Herrn Wieczorek vielleicht empfehlen zu prüfen, ob das Bundesumweltministerium, da sich Herr Töpfer so engagiert dafür eingesetzt hat, mit besonders gutem Beispiel vorangeht und jeden Kühlschrank, der dort ersetzt werden muß, tatsächlich durch einen derartigen Kühlschrank ersetzt. -- Ich finde es toll, daß Sie mir zunicken, Herr Wieczorek. Darum kommen Sie jetzt also nicht mehr herum.




Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212028800
Herr Kollege Feige, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212028900
Danke für diesen freundlichen Hinweis. Ich habe mich wieder zum Anwalt in einer ökologischen Problematik gemacht und habe dabei wieder meine Redezeit überschritten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212029000
Hier sprechen nur Anwälte für gute Sachen, Herr Kollege Feige.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212029100
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212029200
Das Thema kann nie eine Begründung dafür sein, daß die Redezeit überschritten wird, weil alle Seiten zu dem Thema sprechen.
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Joachim Grünewald, das Wort.

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212029300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Treuhandanstalt ist auch zu außergewöhnlichen Privatisierungs-
und Lösungsmöglichkeiten bereit, wie ja gerade dieser Einzelfall beweist, Herr Kollege Feige. Sie hat deshalb von Anfang an die Marketing-Aktivitäten von Greenpeace für einen Öko-Kühlschrank begrüßt. Frau Kollegin Dr. Enkelmann, Ihren ein wenig unfreundlichen Hinweis auf Schutzzäune für Hoechst und andere darf ich deshalb ebenso freundlich wie energisch zurückweisen. Die Treuhandanstalt hatte auch im Visier, daß es ihr gelingen könnte, Arbeitsplätze in Scharfenstein zu retten.
Bevor jedoch der Prototyp in die Serienfertigung gehen wird, müssen noch folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
Erstens. Die Betriebssicherheit muß zweifelsfrei sein. Es besteht hier nämlich das Problem der leichten Entflammbarkeit des Kühlmittelgemischs aus Propan-Butan.
Zweitens. Der Energieverbrauch muß gesenkt werden, um das sogenannte Gütesiegel Blauer Engel des Bundesumweltministers zu erhalten.
Drittens. Die Ergebnisse von Umfragen namhafter Marktforschungsinstitute müssen der Treuhandanstalt eindeutige Anhaltspunkte dafür geben, mit welcher Produktionskapazität der Öko-Kühlschrank in Serie gehen kann. Nun haben wir ja gerade von Ihnen, Frau Kollegin Ganseforth, erfahren — darüber freuen wir uns —: „Neckermann macht's möglich." — Insofern ist diese Voraussetzung möglicherweise schon erfüllt. Zu prüfen ist auch die Frage, inwieweit die dkk in die Produktion von Einbaukühlschränken einsteigen kann.
Nach Auskunft der Treuhandanstalt besteht jedoch kein Grund zu übereilten Entscheidungen, denn die Produktion durch dkk Scharfenstein wird bis Ende 1993 fortgesetzt. In der Zwischenzeit sollen intensive Vertragsverhandlungen mit Investoren mit dem Ziel geführt werden, die Produktion von Kühlgeräten und insbesondere von Öko-Kühlschränken im Unternehmen fortzuführen. Außerdem wird angestrebt, bis Ende 1992 endgültig zu rechtsgültigen Verträgen zu kommen.
Gestatten Sie mir zu dem technischen Gesichtspunkt noch eine kurze Anmerkung auch im Namen meines Ressortkollegen aus dem BMU: Für den Kühlschrank wird als einziges innovatives Element das Kältemittel, ein Gemisch aus den brennbaren Kohlenwasserstoffen Propan und Butan, eingesetzt. Die Idee, brennbare Kohlenwasserstoffe als Kältemittel in Haushaltsgeräten einzusetzen, wurde, Herr Kollege Müntefering, übrigens in unserem Lande NordrheinWestfalen, in Dortmund, geboren.
Bereits Anfang 1991 lautete die Auskunft der Erfinder, daß ihr Kältemittel ohne Umkonstruktion und ohne energetische Nachteile in einem Kühlschrank eingesetzt werden könne. Im Juli dieses Jahres wurde von unabhängiger Seite jedoch festgestellt, daß der Energieverbrauch um 40 % höher ist. Dies wäre ein Ergebnis, das umweltpolitisch nicht zu vertreten ist.
Jetzt zeigt sich aber die Richtigkeit des Slogans, Herr Kollege Engelmann, daß Sachsen helle sind. Nachdem mit Unterstützung von Greenpeace — das sei von der Treuhandanstalt und der Bundesregierung dankbar anerkannt — die dkk Scharfenstein und die Dortmunder Erfinder zusammengeführt wurden, entwickelte die dkk sehr schnell einen erfolgreichen Prototyp, auf dessen hoffentlich sehr erfolgreiche serienmäßige Produktion wir uns alle miteinander freuen.
Ich habe gerade gehört, daß sich mein liebenswerter Kollege Wieczorek noch vor Weihnachten über die Innovationsfähigkeit dieses — so gesehen — jungen Unternehmens vor Ort überzeugen will. Sicherlich ergeben sich in diesem Gespräch auch weitere in die Zukunft des Unternehmens reichende Aspekte.
Ich danke Ihnen sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der SPD: Und nur in fünf Minuten!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212029400
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/3160 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Dies ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
ZP8 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Peru
— Drucksache 12/3704 —
ZP9 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD und
der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rückkehr zur Demokratie in Peru — Drucksache 12/3710 —
Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vor-



Vizepräsident Hans Klein
gesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Rainer Eppelmann.

Rainer Eppelmann (CDU):
Rede ID: ID1212029500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die 90er Jahre haben es in sich! Das Ende der Ost-West-Konfrontation und das Nicht-mehr-Existieren der kommunistischen Supermacht haben das Leben der Staatsterroristen komplizierter gemacht. Die Zeiten sind vorbei, wo man die eine Großmacht gegen die andere ausspielen und als eigene Schutzmacht für seine Untaten und Menschenrechtsverletzungen einsetzen und mißbrauchen konnten
Inzwischen ist es in einer wachsenden Zahl von — hauptsächlich europäischen — Ländern guter Brauch, sich öffentlich zu Menschenrechtsverletzungen von Regierungen zu äußeren und sich um deren Abstellung zu mühen.
So hat z. B. der Deutsche Bundestag auf Antrag aller Fraktionen und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am 8. Mai 1992 in einer einmütig verabschiedeten Entschließung den Staatsstreich des peruanischen Präsident Fujimori gegen das eigene Parlament verurteilt. Leider ist der Präsident nicht den Aufforderungen der Parlamente und Regierungen vieler Staaten gefolgt, „umgehend zu einer demokratischen Ordnung unter Beteiligung aller demokratischen und politischen Kräfte zurückzukehren" , wie wir es eben am 8. Mai diesen Jahres gefordert haben.
Im Gegenteil: Nach der Auflösung von Senat und Abgeordnetenhaus, nach der Ausschaltung der Justiz und der Mißachtung der Menschenrechtsaspekte der Vereinten Nationen sowie der amerikanischen Menschenrechtskonvention hat Herr Fujimori leider auch noch die für Oktober dieses Jahres vorgesehenen Kommunalwahlen in das nächste Jahr verschoben. Es erscheint mir offenkundig, daß der Präsident ein demokratisches Plebiszit über seine Politik fürchtet. Nehmen wir, bitte, zur Kenntnis, daß die großen Parteien an der einseitig vorhandenen Wahl für eine verfassungsgebende Versammlung nicht teilnehmen! Sie nehmen aber sehr wohl an den Kommunalwahlen teil, die auf internationalen Druck hin jetzt doch Ende Januar 1993 stattfinden sollen — sofern die verfassungsgebende Versammlung auf Weisung von Herrn Fujimori nicht auch auf dieses Recht noch verzichtet und es ändert.
Es besteht die Gefahr, daß die Weltöffentlichkeit beruhigt und getäuscht wird durch die für den 22. November 1992 anberaumten Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung. Deswegen ist es wichtig, daß der Deutsche Bundestag deutlich sagt, daß dadurch seine Forderung nach Wiederherstellung der demokratischen Ordnung keinesfalls erfüllt ist.
Wir sind der Überzeugung, daß die Verfassungsorgane durchaus in der Lage sind, eine eventuell notwendige Reform der peruanischen Verfassung legal durchzuführen. Deswegen unterstützen wir moralisch weiterhin die parlamentarische Opposition. Wir begrüßen es, daß sich Senat und Abgeordnetenhaus auch nach der gewaltsamen Vertreibung aus ihren
Häusern versammelt und verfassungsgemäß ihren Präsidenten gewählt haben.
Wir ermuntern die demokratische Opposition und fordern alle demokratischen Staaten auf, den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung auch keine Scheinlegitimität durch Entsendung von Wahlbeobachtern zu verleihen; denn das Gesetzesdekret ist nicht das Ergebnis von Verhandlungen mit den Mitgliedern von Senat und Abgeordnetenhaus. Ja, mit einigen Ausnahmen haben nicht einmal die Parteien, die mit dem Ministerpräsidenten über die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung verhandelt haben, diesem Dekret zugestimmt.
Diese verfassungs- und gesetzgebende Versammlung erfüllt nicht die Mindestvoraussetzung für ein souveränes Parlament. Es mutet schon seltsam an, daß dieses Parlament die vom autoritären Regime Fujimori erlassenen Gesetzesdekrete nicht verändern darf. Die eingeschränkte Immunität der Mitglieder des Parlaments sowie das Fehlen einer regierungsunabhängigen obersten Wahlbehörde sind weitere entscheidende Mängel.
Der Unterausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat am 5. Oktober 1992 ein Hearing zur Menschenrechtslage in Peru durchgeführt. Für uns ist eindeutig, daß die Hauptursache für die verheerende Menschenrechtslage in Peru die Gewalttaten der Terroristen des „Leuchtenden Pfades" und der „ Tupakamorro " sind. Von daher fordern wir auch die Bundesregierung auf zu unterbinden, daß die Anhänger des „Leuchtenden Pfades" in Deutschland für ihre Terrororganisation werben können. Vorfälle wie die Besetzung des peruanischen Konsulats in Frankfurt am Main durch Anhänger des „Leuchtenden Pfades" dürfen sich nicht wiederholen. Umgekehrt ist aber auch wichtig, daß Oppositionelle innerhalb und außerhalb Perus nicht pauschal zu Anhängern des „Sendero Luminoso" gestempelt werden. Dies bedeutet für diese Menschen eine Gefährdung an Leib und Seele, Terror auch gegenüber den Familienangehörigen.
Besonders betonen möchte ich, daß wir von der peruanischen Regierung erwarten, daß die Persönlichkeiten, die auf dem Hearing des Unterausschusses für Menschenrechte Auskunft gegeben haben, nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat keinen Repressionen ausgesetzt sind.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Ich bin davon überzeugt, daß die Bundesregierung und insbesondere das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit weiterhin restriktiv bleiben bei der Verhandlung neuer Projekte für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ich bin sicher, daß die Kriterien des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auch in Peru ihre Anwendung finden.
Es steht außer Zweifel, daß den deutsch-peruanischen Beziehungen mittel- und langfristig am besten gedient wird, wenn die demokratischen Kräfte in Peru von Parlament und Bundesregierung weiterhin eindeutig unterstützt und die Menschenrechtsverletzungen angeklagt werden.



Rainer Eppelmann
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in unserem Bemühen und die Respektierung und Erhaltung der Menschenrechte trotz verbesserter Voraussetzungen nicht nachlassen!
Viele Probleme der letzten Monate machen erneut deutlich, daß nur bei großer Übereinstimmung der Völkergemeinschaft bei der jeweiligen Ächtung der Staatsterrorakte diese mit Aussicht auf Erfolg abzustellen oder zu verhindern sind. Darum ist es uns wichtig, daß die deutsche Position auch Zustimmung gefunden hat im Koordinierungskreis der europäischen Außenministerien, der Europäischen Politischen Zusammenarbeit. Deswegen erwarten wir auch, daß die europäischen Institutionen, vom Europaparlament bis zur Kommission, weiterhin die demokratischen Kräfte, z. B. in Peru, unterstützen.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212029600
Das Wort hat der Abgeordnete Freimut Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1212029700
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir müssen uns immer wieder klarmachen, warum wir das eigentlich machen: Wir hier in der Bundesrepublik mit all unseren Problemen kümmern uns um ein Land weit weg. Wenige kennen das. Was macht ihr da eigentlich?, wird jemand fragen.
An diesem Beispiel, glaube ich, kann man einmal sehr deutlich machen, was eigentlich auch die Rolle von demokratisch gewählten Parlamenten in einer freiheitlichen Demokratie ist, wenn wir so etwas erträumen wie Weltfrieden und auch Demokratie in der Welt.
Wir haben es hier mit einem sehr schwierigen Gegenstand und auch einem sehr schwierigen Land zu tun. Da ist in der Tat eine Terrororganisation tätig, die bisher 25 000 Menschen umgebracht hat, die diesen Staat an den Rand gebracht hat, so sehr an den Rand, daß man sich fragt: Ist es eigentlich ein in seiner eigenen Härte besonders starker Staat, oder ist es ein besonders schwacher Staat? Sind seine Menschenrechtsverletzungen aus Schwäche oder aus Stärke geschehen?
Das heißt, dieser Fall Peru — ich habe nicht genug Zeit, um es jetzt im einzelnen zu erläutern — zeigt, daß wir gar nicht mehr so einfach sagen können: der diktatorische Staat macht dieses oder jenes, sondern wir kommen immer mehr in Zustände, werden das wahrscheinlich auch in Osteuropa kommen, wo Staaten aus Schwäche grausam werden und wo andere Agenturen, die gar nicht staatlich sind, Menschenrechtsverletzungen in einem Ausmaß begehen, die erforderlich machen, daß etwa Amnesty International die Fragestellung an solche Gesellschaften verändern muß. Das alles kann man am Beispiel Peru sehen.
Es gibt einen wichtigen Grund, warum sich gerade das deutsche Parlament so engagiert. Denn wir haben in den letzten 25 Jahren den Entwicklungsprozeß Perus unter den verschiedensten Umständen — nicht immer nur demokratischen — ökonomisch unterstützt. Wir haben es immer mit der Hoffnung auf eine
wirtschaftliche Entwicklung, aber auch eine demokratische Stabilisierung getan. Die Demokratie ist gekommen. Es wurde eine zunächst kräftig erscheinende Demokratie. Aber sie ist durch den schon genannten Sendero Luminoso sozusagen kaputtgeschossen worden.
Nun hat Präsident Fujimori gesagt: Ich mache einen harten Staat. Ich löse das Parlament auf. Ich kann damit nicht mehr hart regieren und kann vor allen Dingen diesen Kampf nicht aufnehmen.
Wir haben darum im Frühjahr hier eine Debatte geführt. Sie ist vom Kollegen Eppelmann schon erwähnt worden. Wir haben gesagt: Wir akzeptieren deine ganzen Probleme. Aber wir wissen aus Erfahrung — ich kann das für mich sagen; ich beobachte diese Dritte Welt seit Ende der 50er Jahre —: Wenn Sie, Herr Fujimori, die Demokratie mit der Begründung abschaffen, den Terrorismus zu beseitigen, wird es eine Rückkehr zu freiheitlichen Bedingungen nicht geben, und der Entwicklungsprozeß, auch der wirtschaftliche, wird zutiefst gestört. Wir haben überall die Erfahrung gemacht, daß die Diktatur ökonomische Entwicklungen nicht schafft. Es gibt manchmal Anfangserfolge, aber in Wahrheit geht Marktwirtschaft nicht ohne demokratische Umstände.
Das ist der Grund, warum sich der Bundestag damit befaßt und gesagt hat: Wir üben Solidarität mit den entlassenen Parlamentariern. Einige Kollegen von uns sind im Sommer hingefahren. Es war eine sehr eindrucksvolle Reise. Wir haben die Parlamentarier besucht, die von heute auf morgen auf die Straße gesetzt wurden und denen alle Amtsrechte genommen worden sind, und haben uns öffentlich neben sie gesetzt: in einer Pressekonferenz. Wir haben gesagt: Wir stehen an eurer Seite.
Sehr eindrucksvoll war ein Gottesdienst in einem Armenviertel — Herr Irmer war dabei —, wo wir einem Armenbischof — wie man hier sagt — zugehört haben. Wir haben erlebt, welche Bedeutung es für eine Armenkommune hat, wenn sich zwei oder drei Parlamentarier im Elendsviertel so engagieren, daß sie auch den Gottesdienst würdigen. Ich jedenfalls bin sehr beeindruckt gewesen, in welcher bescheidenen Art unser Botschafter und andere Leute an diesem Gottesdienst teilgenommen haben.
Wir haben dann hier eine Anhörung zu dieser Sache gemacht. Wir haben jene Gesprächspartner der Menschenrechtsorganisationen und der Parlamente nach Deutschland eingeladen. Auch das war eine eindrucksvolle Anhörung. Sie fand statt, kurz nachdem der amerikanische Kongreß seinerseits eine Anhörung gemacht hatte. Sie fand statt, kurz nachdem es Fujimori gelungen war, den Gründer und Anführer des Sendero Luminoso, des Leuchtenden Pfades, zu verhaften. Das heißt, wir haben hier unter ganz besonderen Umständen getagt.
Ich möchte aus dem Gedächtnis zitieren, was uns ein Zeuge mitgeteilt hat, der sowohl bei den Amerikanern als auch bei uns ausgesagt hatte: Die große Gefahr besteht, daß diese Regierung, die alle demokratischen Rechte beseitigt hat und die zur Zeit ausschließlich auf dem Verordnungswege regiert, die Hoffnung, die mit der Beseitigung der Führungs-



Freimut Duve
gruppe des Sendero Luminoso im Lande entstanden ist, durch das Andauern immer autoritärerer und diktatorischerer Umstände zerstört.
Wir erleben jetzt, daß sich in Vorbereitung auf die schon erwähnten Kommunalwahlen neue Gruppen bilden. Wir beobachten das sehr. Wir sind nicht a priori dagegen, Wahlen zu beobachten, nein, im Gegenteil. Wir haben ein Modell für richtige Wahlbeobachtung entwickelt, die auch wirksam ist, die sozusagen eine Message an die jeweils Regierenden überbringt. Aber die Wahl, die jetzt vom Präsidenten organisiert wird, wollen wir nicht durch die Entsendung einer Delegation legitimieren. Darin sind wir uns alle einig. Das ist der Grund, warum wir den Antrag der Regierungsparteien, so wie er vorgelegt wird, heute schon verabschieden wollen. Das ist auch der Grund, warum wir bitten, daß der Antrag der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN die Chance bekommt, in den Ausschüssen beraten zu werden; denn wir wollen die Anhörung auswerten.
Ich habe jetzt ausführlicher gesprochen, weil wir eine Reihe von Zuhörern haben, die daran interessiert sind: Was machen die Deutschen, wenn sie sich in der weiten Welt engagieren? In jedem Land der Welt, wo es keine Freiheit gibt, gibt es die Sehnsucht, daß irgend jemand weiß, wie es ihnen ergeht. Ich habe viele Gefangene in Diktaturen besucht, übrigens nicht erst seit 1990, Herr Eppelmann. Wir waren uns in vielem hier sehr einig. Wir haben zahlreiche Gefangene in vielen Teilen der Welt besucht.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Er durfte ja vorher nicht!)

— Ich sage das zu Herrn Eppelmann, weil ich ihn besucht habe, als er praktisch Gefangener war. Wir kennen uns nämlich seit 1982 und sind seitdem befreundet. Darum kann ich ihm das sagen.
Wir haben immer wieder erlebt, daß gerade die Menschen, die wir in den Gefängnissen besuchen, sagen: Ihr seid das Signal, daß es draußen eine Welt gibt, die weiß, wie es uns ergeht. Darum müssen wir gerade im Hinblick auf die Unruhe im Osten und Südosten Europas an unserem parlamentarischen Auftrag festhalten, immer weiter dorthin zu gucken, wo die Freiheit, auch die parlamentarische Freiheit, abgeschafft werden soll.
Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall im ganzen Hause)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212029800
Ich erteile dem Kollegen Ulrich Irmer das Wort.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1212029900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen Eppelmann und Duve haben sehr viel Richtiges gesagt. Ich freue mich darüber, daß in diesem Hause beim Thema Peru große Übereinstimmung besteht, wo es um Menschenrechte und um Demokratie geht.
Herr Fujimori hat im April dieses Jahres das Parlament mit der Begründung nach Hause gejagt, es hindere ihn an der Lösung der Probleme des Landes. Das ist natürlich eine absolut absurde Begründung. Es ist ein reiner Zufall ich betone das — und hat nichts
mit der Entlassung des Parlaments zu tun, daß seither ein wichtiger Schlag gegen die Terrororganisation Sendero Luminoso geführt werden konnte, nämlich daß Herr Guzman verhaftet wurde. Das ist nicht darauf zurückzuführen, daß das Parlament nicht existierte. Es ist eine zufällige Übereinstimmung.
Im Gegenteil ist völlig richtig, was hier gesagt wurde: Man kann nicht erwarten, daß wirtschaftliche und soziale Probleme leichter zu lösen sind, wenn die Demokratie abgeschafft wird. Es ist ganz richtig: Eine rein formale Demokratie kann nicht funktionieren, wenn unüberwindliche wirtschaftliche und soziale Probleme bestehen. Aber umgekehrt können wirtschaftliche und soziale Probleme nicht besser gelöst werden als durch ein demokratisches System.
Deshalb wiederholen wir hier, daß wir den Staatsstreich von Präsident Fujimori verurteilen. Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrer Politik. Sie hat Konsequenzen aus dem Staatsstreich gezogen und gesagt: Die Entwicklungszusammenarbeit wird eingefroren, soweit es nicht um Bereiche geht, wo Menschen unmittelbar geholfen werden kann, und soweit es nicht um das Problem der Drogenbekämpfung geht. Wir haben es in Peru mit einer unheiligen Allianz zwischen Terroristen und Drogenhändlern zu tun. Die Terrorszene wird durch den Drogenhandel finanziert. Das macht die Bekämpfung so unglaublich schwierig.
Wir sollten keinen Zweifel daran lassen, daß wir Sendero Luminoso und MRTA, die andere Terrororganisation, verurteilen, daß wir auch nicht den Hauch von Verständnis oder Sympathie für sie haben. Sie geben ja nicht einmal vor, für soziale Verbesserungen zu kämpfen, sondern sie wollen lediglich zerstören, vernichten, Menschenleben auslöschen. Das ist der einzige Zweck dieser Organisation, weshalb sie ideologisch auch in keiner Weise einzuordnen ist. Sie hat keine Ideologie außer der des Blutvergießens.
Meine Damen und Herren, wir müssen nur auch sehen, daß Peru nicht nur vom Terrorismus dieser Organisationen gebeutelt wird, sondern auch vom Terrorismus des Staates.

(Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!)

Hier möchte ich darauf hinweisen, daß Staatsterrorismus eigentlich immer noch schlimmer ist als Terrorismus von anderen Organisationen,

(Beifall bei der F.D.P.)

weil nämlich der Staat eigentlich die berufene Instanz wäre, das Leben der Menschen zu schützen und für Ordnung im Lande zu sorgen. Wenn der Staat selbst Menschen verschwinden läßt, selbstübernommene Menschenrechtsverpflichtungen nicht mehr anerkennen will,

(Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD])

aus einem Menschenrechtspakt austritt, dann ist das um so schärfer zu sehen.
Deshalb mahnen wir heute nicht nur die Rückkehr zur Demokratie in Peru an, sondern wir mahnen auch die Menschenrechte an. Wir mahnen an, daß die Regierung Fujimori die Menschenrechte achtet und auch Menschenrechtsverletzungen der eigenen Poli-



Ulrich Irmer
zei, des eigenen Militärs verfolgt, wozu sie auch rechtlich verpflichtet ist.
Ganz generell muß man beklagen, daß in Südamerika, das insgesamt auf einem guten Weg zur Demokratie war und in weiten Teilen auch nach wie vor auf einem guten Weg zur Demokratie ist, gerade in dem Land Peru ein derartiger Rückschlag eingetreten ist. Natürlich — ich will dies am Schluß noch einmal betonen —, die Wiederherstellung der Demokratie alleine, die Bekämpfung des Terrorismus der Organisationen und des Staates alleine lösen die Probleme nicht. Tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Reformen müssen eingeleitet werden, damit die Menschen in Peru vielleicht eines Tages eine bessere Zukunft haben können.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212030000
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Fischer.

Dr. Ursula Fischer (PDS/LL):
Rede ID: ID1212030100
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits in der Bundestagsdebatte am 8. Mai dieses Jahres hat meine Gruppe den verordneten Staatsstreich des peruanischen Präsidenten Fujimori als unzulässiges und unangemessenes Mittel zur Lösung der sich zuspitzenden Probleme des Landes verurteilt. Unsere Haltung zu diesem Problem hat sich seitdem nicht geändert.
Die Anträge, die vorliegen, und der Zeitpunkt, zu dem sie quasi durch das Parlament gehen, machen allerdings noch einige Bemerkungen nötig. Während der Beschluß des Deutschen Bundestages vom Mai lediglich die umgehende Rückkehr zu einer demokratischen Ordnung unter Beteiligung aller demokratischen Kräfte fordert, versuchen die heutigen Anträge eine Art Schuldzuweisung, die ich so zumindest nicht unkommentiert lassen möchte.
Es heißt in dem Antrag, daß die Hauptursache der politischen Gewalt in Peru der Sendero Luminoso, aber auch die MRTA seien. Das halte ich zumindest für eine unzulässige Vereinfachung. Um Mißdeutungen vorzubeugen: Ich habe nicht die Absicht, die Vorgehensweise des Sendero Luminoso zu rechtfertigen oder zu beschönigen. Die PDS/Linke Liste lehnt politische Gewalt als menschenrechtswidrig, lebensverachtend und destruktiv ab. Aber wie wir bereits im Mai festgestellt hatten, war auch die peruanische Gesellschaft vor dem Autogolpe von Fujimori nicht frei von Menschenrechtsverletzungen.
Ganz im Gegenteil, Amnesty International beschäftigt sich seit 1982 mit den Menschenrechtsverletzungen in Peru. In der Amtszeit von drei Präsidenten sind traurige Rekorde staatlicher und außerstaatlicher Greueltaten zu verzeichnen.
Die Wirtschaftspolitik Fujimoris vor dem 5. April 1992 wurde von der westlichen Welt als anerkennenswert und in Ansätzen erfolgreich gewertet. Wenn Sie heute die sozialen Folgen dieser strikten Anpassungspolitik unerwähnt lassen, die zur weiteren Verelendung breiter Massen, zur extremen Polarisierung der
Gesellschaft in die Ausweglosigkeit und damit zu erhöhter Gewaltbereitschaft geführt hat, dann reden Sie irgendwo auch an den Tatsachen vorbei.
In der vergangenen Woche haben wir an dieser Stelle auch über Strukturanpassungsmaßnahmen gesprochen. Ich denke, daß besonders die Ereignisse in Peru die Folgen einer vergeblichen Gesundungspolitik illustrieren. Stabilisierung à la IWF löst keine Entwicklungsprobleme, sondern häuft sozialen Sprengstoff an und wirkt daher destabilisierend auch für demokratische Regierungen. Gewalt durch Militär und Polizei zur Durchsetzung dieser Maßnahmen hat zwangsläufig Gewalt als Form des Widerstandes gegen das drohende Elend zur Folge. Damit werden demokratisch gewählte Regierungen gefährdet, seien sie nun effizient, korrupt oder unfähig.
Angesichts der äußerst knapp bemessenen Redezeit möchte ich nur noch eine Anmerkung machen. Vor einer Woche sah sich der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit aus Rücksicht auf die Präsidentschaftswahlen in den USA nicht in der Lage, über die vorliegenden Kuba-Anträge abzustimmen. Der vorliegende Antrag zu Peru muß vor den Wahlen am 22. November behandelt werden, wobei ich auch hier eine versuchte Einflußnahme auf den Wahlausgang sehe, die sicher hier legitim ist. Aber der Zeitpunkt ist schon auffällig. Solche Manöver machen für mich das nicht glaubwürdig, aber vor allen Dingen weil solche Ursachen nicht genannt wurden wie Anpassungsmaßnahmen, IWF usw., die auch zu maoistischen Strömungen führen, zu Gewalt in Ländern. Aus diesem Grunde müssen wir uns bei den Anträgen leider der Stimme enthalten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212030200
Das Wort hat nunmehr der Staatsminister Helmut Schäfer.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1212030300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon sechs Monate nach der Debatte über Peru liegen uns heute wieder Entschließungsanträge im Deutschen Bundestag zu diesem Land vor. Sie bezeichnen das Interesse des Bundestages an Vorgängen auch in entfernten Ländern und auch unser Interesse an der gesamten Situation in Lateinamerika, was ich sehr gut finde.
Der Entwurf der Regierungskoalition, die Entschließung, mit der die Schlußfolgerungen aus der Anhörung des Unterausschusses für Menschenrechte gezogen werden, geht wesentlich weiter. Ich darf hier auch für die Bundesregierung sagen, daß sich der Unterausschuß seine Aufgaben nicht leichtgemacht hat, sondern zu der Anhörung nicht nur Vertreter der Menschenrechtsorganisationen und der Parteien eingeladen hat, die in Opposition zur Regierung stehen, sondern auch Vertreter der Regierung. Nebenbei bemerkt ist es erfreulich — das kann man wenigstens der peruanischen Regierung bescheinigen —, daß sie die Teilnahme von Vertretern der Opposition nicht verweigert hat. Wir haben andere Fälle gehabt, wo es sehr viel schwieriger war, Oppositionelle hierher zu bekommen.



Staatsminister Helmut Schäfer
Die Anhörung hat bestätigt, daß die Lage in Peru weiterhin bedrückend ist. Die Armut ist weit verbreitet. Seit vielen Jahren währt eine Wirtschaftskrise und währt darüber hinaus natürlich auch der blutige Krieg gegen einen brutalen Terrorismus einer wahnwitzigen und menschenverachtenden Ideologie.
Herr Kollege Eppelmann, übrigens hatte diese Ideologie nichts mit dem Osten zu tun. Ich glaube, das ist eine Fehlbeurteilung des Sendero Luminoso. Das hatte nie etwas mit Rußland oder den östlichen Weltmächten zu tun. Selbst Kommunisten waren sich nicht darüber im klaren, welchen vertrackten Vorstellungen diese Bewegung folgt. Selbst die Kubaner haben sich von dieser Bewegung distanziert, die, wenn man sie maoistisch nennt, schon hochbewertet wird. Auch hier glaube ich, sind die Vergleiche falsch.
Wir sind uns einig, daß die bedrückenden Verhältnisse in Peru durch die Beseitigung des demokratischen Systems nicht beseitigt werden können. Darauf haben alle Redner hier hingewiesen. Die Aufforderung in der Entschließung des Bundestages vom 8. Mai an Präsident Fujimori, nämlich umgehend zu einer demokratischen Ordnung unter Beteiligung aller demokratischen politischen Kräfte zurückzukehren, bleibt bestehen.
Wir wissen noch nicht, wie die Wahlen am 22. November ausgehen werden, ob sie fair und demokratisch vollzogen werden. Ich halte es auch für richtig, daß angesichts der ganzen Entwicklung — das wird in der Entschließung zum Ausdruck gebracht — der Bundestag keine Wahlbeobachter nach Peru entsenden wird, ebensowenig wie das das Europäische Parlament und die Parlamente in den anderen EG- Staaten tun.
Andererseits — und das ist ebenso wichtig — werden in diesem Antrag mit deutlichen Worten die terroristischen Aktivitäten der Guerillagruppen in Peru verurteilt, die auch nach der Verhaftung des ideologischen Anführers anhalten. Das ist nicht nur ein Gebot der Ausgewogenheit. Das brutale Vorgehen der Terroristen verlangt eine eindeutige Haltung von all denen, welche die Rückkehr zur Demokratie wollen. Mit terroristischer Gewalt, meine Damen und Herren, lassen sich weder die großen sozialen Probleme noch die Verelendung weiter Schichten des peruanischen Volkes beseitigen noch die politischen Probleme dieses Landes lösen.
Kampf gegen diesen Terrorismus ist legitim, aber es kann nicht angehen, daß extralegale Hinrichtungen, Verschwindenlassen von Personen und Foltern bei der Bekämpfung dieses Terrorismus an der Tagesordnung sind. Die Anhörung hat bestätigt, daß die Mehrzahl schwerer Menschenrechtsverletzungen in Peru zwar vom Sendero Luminoso zu verantworten ist, aber sie hat auch bestätigt, daß die peruanischen Ordnungskräfte schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Terror darf und kann nicht mit Terror bekämpft werden.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß am 22. November eine faire Wahl zustande kommt. Wir halten fest an der Forderung nach unverzüglicher Rückkehr des Landes zur Demokratie. Wir verkennen nicht die schweren Probleme Perus. Wir wissen, daß verkrustete und überholte Strukturen in diesem Land vorhanden sind — Herr Duve hat in der Debatte am 8. Mai darauf hingewiesen —, daß aber auch die heutige Opposition in Peru ein gerüttelt Maß zur Krise dieser Demokratie beigetragen hat.
Trotzdem muß man, glaube ich, ganz klar sagen: Die Entwicklung wird beobachtet, insbesondere auch von der Organisation Amerikanischer Staaten, die Beobachter entsenden wird. Wir sehen der weiteren Entwicklung mit großem Interesse entgegen. Wir werden unsere Haltung mit den Partnern in der EG abstimmen. Es liegt an Herrn Fujimori, die Voraussetzungen zu einer neuen, demokratischen Ordnung in Peru zu schaffen und durch eine überzeugende Politik der Rückkehr zur Demokratie auch den Weg für die Wiederaufnahme Perus in die von uns gewollte Ordnung und damit auch die Wiederaufnahme Perus in die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu ebnen. Ich glaube, das sind Forderungen, die wir weiterhin verquicken müssen.
Ich gehe davon aus, daß wir sehr bald sehen werden, ob Fujimori seinen Versprechungen folgt und ob in Peru durch die Wiederherstellung der Demokratie der Anfang zu einer neuen Ordnung gesetzt wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212030400
Meine Damen und Herren, bevor ich zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf der Drucksache 12/3704 komme, möchte ich noch ein kleines Problem lösen: Die Abgeordnete Frau Wollenberger hat mich gebeten, ihre Rede zu Protokoll zu geben. Das entspricht nicht unserer Geschäftsordnung, aber mit Zustimmung des Plenums darf ich das machen. Ich frage also, ob das Plenum damit einverstanden ist, daß diese Rede zu Protokoll gegeben wird. — Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist das so beschlossen, und ich lasse über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 12/3704 abstimmen.
Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der übrigen Fraktionen und Gruppen des Hauses angenommen.
Der Antrag der Fraktion der SPD und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/3710 soll an den Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden. Ist das Haus mit der Überweisung einverstanden? — Herr Abgeordneter Hörster, bitte.

Joachim Hörster (CDU):
Rede ID: ID1212030500
Zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit!

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212030600
Gibt es Einwendungen im Haus? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann wird also die Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorgeschlagen. Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Meine Damen und Herren, ich rufe nun den Zusatzpunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (KronzeugenVerlängerungs-Gesetz)

— Drucksache 12/3685 (neu) —Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß
Interfraktionell wird eine Debattenzeit von einer halben Stunde vorgeschlagen. Ergeben sich Einwände? — Das ist nicht der Fall. Dann darf ich das als beschlossen feststellen und dem Abgeordneten Norbert Geis das Wort geben.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1212030700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die derzeitige Kronzeugenregelung läuft am 31. Dezember dieses Jahres aus. Der Gesetzentwurf sieht vor, diese Regelung bis zum 31. Dezember 1995 zu verlängern.
In den letzten Wochen wurde in der Öffentlichkeit und auch in parlamentarischen Gremien über diese Verlängerung und überhaupt über die Kronzeugenregelung eifrig diskutiert. Es kam das alte Problem wieder auf die Tagesordnung, ob es richtig ist, eine solche Regelung einzuführen, ob es mit unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar ist.
Es geht um die Frage des Legalitätsprinzips, das besagt, daß die Staatsanwaltschaft und die Polizei verpflichtet sind, ohne Ansehung der Person die Strafverfolgung durchzuziehen und Strafurteile zu vollstrecken. Dies bedeutet, daß der Staat verpflichtet ist, mit den Mitteln des Strafrechts die Rechtsordnung zu wahren. Die Strafverfolgungsbehörden sind also nach diesem Legalitätsprinzip nicht grundsätzlich frei, ob sie in dem einen Fall verfolgen und den anderen Fall auf sich beruhen lassen, sondern sie sind grundsätzlich verpflichtet, jede Straftat zu verfolgen.
Die Kronzeugenregelung widerspricht zweifellos diesem Prinzip. Deshalb wird auch immer wieder behauptet, diese Regelung gefährde die Pflicht des Staates, für die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung einzustehen, sie verletze den Gleichheitsgrundsatz. In bestimmten Fällen, in denen man von Strafe absieht, weil ein Kronzeuge Hintergründe einer Tat offenbart und auf diese Weise Strafverfolgung in diesem Bereich erst möglich wird, komme — so wirft man der Kronzeugenregelung vor — ein Moment der Willkür in die Strafverfolgung hinein, und auf diese Weise würde das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung erschüttert.
Ich meine, daß dieser Einwand, der nach wie vor sein Gewicht hat, ernst zu nehmen ist und daß wir uns mit ihm auseinanderzusetzen haben. Aber wenn wir darüber nachdenken, ob wir die Kronzeugenregelung fortsetzen, möchte ich doch zunächst einmal die Feststellung treffen, daß wir bereits jetzt in der Strafverfolgung die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung haben, was nichts anderes bedeutet, als daß wir bei niederen und mittleren Straftaten jetzt schon die Möglichkeit haben, diese Straftaten vom Tisch zu bringen, ohne die Strafverfolgung bis zum Ende durchzuführen. Dies ist im Grunde genommen jetzt schon eine Einschränkung des Legalitätsprinzips, und niemand denkt daran, diese Einschränkung aufzuheben. Niemand denkt daran, davon abzulassen, obwohl man aus rein rechtsstaatlichen Gründen und bei rein rechtsstaatlicher Betrachtung eigentlich auch in diesen Fällen zu dem Ergebnis kommen müßte, die Strafverfolgung bis zum Strafurteil und dann auch bis zur Vollstreckung dieses Urteils durchzusetzen.
Mag der Staat — so wird uns entgegengehalten — in solchen Fällen der mittleren und unteren Kriminalität noch die Möglichkeit haben müssen, flexibel zu reagieren, so könne dies — so wird gesagt — doch nicht für die schwerste Kriminalität und bei Mord gelten. Und bei der Kronzeugenregelung haben wir es ja mit schwerster Kriminalität zu tun. Da geht es um schwere Terroranschläge und auch um Mord. Deshalb ist die Frage berechtigt: Kann man in diesen Fällen vom Legalitätsprinzip ablassen?
Ich meine, die richtige Antwort auf diese Frage finden wir nur, wenn wir die Gesamtaufgabe des Strafrechts in den Blick nehmen. Der Staat hat vor allem und zuerst die Pflicht, Straftaten zu verhindern. Diese Aufgabe übernimmt die Strafandrohung. Wenn die Strafandrohung aber nur auf dem Papier stehenbleibt, weil sie in der Praxis nicht durchgesetzt werden kann, weil beispielsweise die Aufklärungsquote zu gering ist, dann kann das Strafrecht diese Aufgabe nicht leisten. Wir haben es ja auch immer wieder erlebt, daß die Terroristen ihre Terroranschläge begehen konnten und ohne weiteres damit rechnen durften, daß diese Terroranschläge nicht so schnell aufgedeckt würden.
Diese geringe Aufklärungsquote in der Vergangenheit war für die Terroristen zweifellos ein großer Anreiz, es mit neuen Terroranschlägen zu versuchen. Deshalb kamen wir seinerzeit zu dem Ergebnis, dem Beispiel anderer Länder folgend die Kronzeugenregelung einführen zu sollen.
Bei dieser Regelung geht es um den Verzicht auf den staatlichen Strafverfolgungsanspruch wegen bestimmter Delikte, um weitergehende, gewichtigere Strafverfolgungsinteressen realisieren zu können.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212030800
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Singer hat den Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. Sind Sie bereit, sie zu beantworten?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1212030900
Ja, bitte.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1212031000
Herr Kollege, würden Sie dem Plenum bitte mitteilen, welcher RAF-Anschlag aus den letzten zehn Jahren seit Inkrafttreten der Kronzeugenregelung, d. h. mit ihrer Hilfe aufgeklärt worden ist?




Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1212031100
Herr Kollege, ich komme auf diese Frage im Laufe meiner Rede noch zu sprechen. Ich bitte um Geduld.

(Dr. Hans de With [SPD]: Sie können doch gleich sagen: Keine!)

— Nein, das ist nicht wahr. Dann kennen Sie beispielsweise die Antwort der Bundesregierung vom 18. Mai 1992 nicht.
Das Instrument der Kronzeugenregelung hatte damals seine Bedeutung, und heute stellt sich die Frage: Können wir diese Regelung auch in die Zukunft hinein fortsetzen, zumindest bis zum 31. Dezember 1995?
Hier ergibt sich zunächst einmal die Frage, die Sie gestellt haben, Herr Kollege: Hatte sie einen Wert, eine Wirkung in der Vergangenheit? Ich gebe Ihnen ohne weiteres zu, daß sich der Erfolg vielleicht nicht so eingestellt hat, wie wir ihn erhofft haben. Immerhin gibt es in der Antwort der Bundesregierung vom 18. Mai 1992 auf die Kleine Anfrage der PDS/Linke Liste eine beachtliche Aufzählung, die die Effektivität dieser Regelung bestätigt. Danach ist die Kronzeugenregelung bisher in den Strafverfahren gegen mehrere Mitglieder der Terrorszene angewendet worden. Anwendung fand sie auch im Strafverfahren gegen den PKK-Funktionär Ali Cetiner. Bei den Terroristen wurde die Anwendung der Kronzeugenregelung maßgeblich davon bestimmt, daß die Angeklagten durch ihre Aussagen Straftaten aufgeklärt haben. Das wissen wir. Es kam dadurch zu einer spürbaren Verunsicherung im Bereich der RAF, und zwar in der RAF selbst und in ihrem Umfeld.

(Zuruf von der SPD: Na, na!)

Das gleiche gilt für das Verfahren gegen Ali Cetiner. Die Kronzeugenregelung hat sich hier im Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Angehörige der PKK ausgewirkt.

(Johannes Singer [SPD]: Das ist doch Schönrednerei!)

Dabei sind die Strafen nicht so niedrig ausgefallen, wie das zunächst von uns allen befürchtet worden war. Die Gerichte haben sehr wohl zwischen dem Informationswert und der Höhe der Strafe im Einzelfall abgewogen, so daß dieser rechtsstaatliche Aspekt im Verlauf der Praxis ebenfalls Berücksichtigung fand.
Diese Erfahrungen der Vergangenheit haben uns ermuntert, auch für die Zukunft die Kronzeugenregelung beizubehalten. Die Sicherheit unserer Bevölkerung vor der RAF ist dabei von ausschlaggebender Bedeutung. Die Bedrohung ist nach wie vor vorhanden. Dies gilt auch für die Bedrohung durch ausländische terroristische Organisationen.
Darüber hinaus sollten wir nicht verkennen, daß wie früher auch jetzt noch eine starke Bedrohung auf dem linken terroristischen Feld vorhanden ist und eine neue Bedrohung auf dem rechtsextremistischen Feld auf uns zukommt. Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung mit der Bezeichnung „Nationales Einsatzkommando", die ja eindeutig auf eine rechtsterroristische Organisation hinweist, sowie gegen eine Teilorganisation des Ku-Klux-Klan auf deutschem Boden sind bereits eingeleitet worden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212031200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar eine Frage des Abgeordneten Koppelin?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1212031300
Ja, bitte.

Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1212031400
Herr Kollege, können Sie mir, da ich kein Fachmann bin, erläutern, warum Sie die Kronzeugenregelung um drei Jahre verlängern wollen? Warum sagen Sie nicht konsequenterweise: Überhaupt Kronzeugenregelung?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1212031500
Das ist eine sehr wichtige Frage. Wir haben diese Überlegung sehr wohl angestellt.

(Lachen bei der SPD)

Ich meine aber, daß die Entwicklung abgewartet werden muß. Immerhin — das wollen wir nicht verkennen — stellt die Kronzeugenregelung eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips dar, und deswegen fällt es uns nicht so leicht, diese Regelung für immer und ewig oder für eine längere, unabsehbare Zeit einzuführen. Wir wollen mit der Befristung erreichen, daß wir im Augenblick bei der Bedrohung sowohl von links als auch von rechts ein solches Instrument haben. Wenn die Bedrohung wegfällt, können wir darauf verzichten, die Regelung fortzusetzen oder nochmals zu verlängern. Dann läuft sie von selbst aus.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212031600
Sind Sie bereit, eine ergänzende Frage zu beantworten?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1212031700
Ja, bitte.

Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1212031800
Verstehe ich richtig, daß Sie grundsätzlich eine nochmalige Verlängerung ausschließen?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1212031900
Grundsätzlich kann ich eine nochmalige Verlängerung natürlich nicht ausschließen, aber ich gehe davon aus, daß die nächsten drei Jahre uns zwingen —

(Dr. Hans de With [SPD]: Ihr eiert hier rum!)

von der jetzigen Lage, von der Entwicklung der Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland her —, diese Kronzeugenregelung fortzusetzen. Was in drei Jahren sein wird, kann heute noch niemand sagen. Wenn in drei Jahren diese Bedrohung nicht mehr so stark wie im Augenblick ist, dann brauchen wir die Regelung nicht zu verlängern.

(Beifall des Abg. Joachim Hörster [CDU/ CSU])

Nach unserer Auffassung hat der Kronzeuge eine wichtige Bedeutung in der Bekämpfung des Verbrechens. Deshalb wollen wir an der Kronzeugenregelung bis zum 31. Dezember 1995 — das bedeutet eine Verlängerung um drei Jahre — festhalten.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212032000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hans de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212032100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte sehr gern auch die Frau Bundesministerin der Justiz oder einen ihrer beiden Parlamentarischen Staatssekretäre begrüßt — aha, da kommt ja Herr Göhner. Aber lieber wäre es mir gewesen, wenn die Frau Ministerin selbst anwesend wäre.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212032200
Herr Abgeordneter, ich muß Sie nachdrücklich unterstützen. Ich finde es unmöglich, daß das Justizministerium bei dieser Debatte nicht in angemessener Form vertreten ist. Ich bitte, dafür zu sorgen, daß die Justizministerin in Zukunft angemessen vertreten wird.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212032300
Ich bedanke mich für die Unterstützung, Herr Präsident.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212032400
Der Abgeordnete Göhner möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1212032500
Herr Kollege de With, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ein langfristig von der Ministerin zugesagter Termin heute abend gegenüber dieser kurzfristig angesetzten Debatte die Anwesenheit der Ministerin unmöglich macht? Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das BMJ unmittelbar, nachdem wir von diesem vorgezogenen Beginn der Debatte erfahren haben, aus der anderen Verpflichtung herausgegangen ist, um zu Ihrer Rede hier zu sein?

(Ingrid Köppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie dann die kurzfristige Rufsetzung verlangt?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212032600
Solche Entschuldigungsgründe werden sicher vom Hause akzeptiert; aber das Ministerium hat eine genügende, im allgemeinen eine zu große Anzahl von Staatssekretären. Man kann erwarten, daß sie zu Debattenbeginn pünktlich da sind.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Herr Abgeordneter, bitte fahren Sie fort.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212032700
Ich bedanke mich, Herr Präsident, für diese Unterstützung und füge hinzu: Natürlich wäre es wichtig gewesen, daß die Ministerin selbst hier anwesend ist. Sie steht hier besonders im Kreuzfeuer, nachdem sie, wie wir alle wissen, gestern von ihrer eigenen Fraktion überstimmt wurde. Es wäre angenehm gewesen, sie hier dazu befragen zu können.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Für Sie vielleicht!)

Wir haben gehört, und wir wissen, daß die Kronzeugenregelung bis zum 31. Dezember befristet ist. Ich komme noch einmal auf die Bundesministerin der Justiz zu sprechen. Seit ihrem Dienstantritt hat sie der Öffentlichkeit mit erfrischender Deutlichkeit — im
Gegensatz zu ihrem Vorgänger — jeweils klargemacht, daß sie von einer Verlängerung der Kronzeugenregelung überhaupt nichts hält.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sie ist noch nicht so lange im Amt; das kann man nicht übelnehmen!)

Das war in allen Zeitungen bis zum 6. November zu lesen, also noch vor wenigen Tagen. Und jetzt müssen wir erfahren, daß sie von ihrer eigenen Fraktion überstimmt wurde — peinlich in jederlei Hinsicht!
Aber es geht weiter. Am 10. November — hören Sie gut zu, Herr Hörster! — hat jeder von uns erstaunt zur Kenntnis nehmen müssen, daß die erste Lesung dieses Gesetzes heute stattfindet. Gestern konnten wir aus den Zeitungen erfahren, daß Jürgen Rüttgers, der Geschäftsführer der Unionsfraktion, als Konsequenz — man höre und staune — der Berliner Kundgebung drei Forderungen aufgestellt habe, und als erste nannte er die Verlängerung der Kronzeugenregelung. Was diese mit der Berliner Kundgebung zu tun haben soll, ist mir unerfindlich.

(Beifall bei der SPD, der F.D.P. und der PDS/Linke Liste)

Dabei haben wir — das füge ich sehr ernst hinzu — allen Grund, über die Wirkungen dieser Berliner Kundgebung nachzudenken, einer Kundgebung gegen Ausländerfeindlichkeit, die die größte der Nachkriegszeit war, die leider gestört wurde und über deren Störung mehr berichtet wurde als über die Bedeutung des Zusammenkommens von 350 000 friedvollen Bürgerinnen und Bürgern als lebendes Manifest gegen Ausländerfeindlichkeit. Das alles ist schon ein wenig verwirrend.
Ich wiederhole: Eine Ministerin, die nein gesagt hat und hinnehmen mußte, daß sie von ihrer eigenen Fraktion überstimmt wurde, muß die Verantwortung für die Bundesregierung übernehmen; ein Geschäftsführer der Unionsfraktion verknüpft die Verlängerung des Gesetzes mit der Großkundgebung gegen Rechtsradikalismus; und für die Beratung dieser Vorlage steht vor Auslaufen des Gesetzes nur noch sage und schreibe eine einzige Plenarwoche, nämlich die vom 7. bis 11. Dezember, zur Verfügung.
Aber es kommt noch schlimmer: Heute nachmittag wurde uns mitgeteilt, daß die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes sogar schon am 27. November stattfinden soll. Ich frage mich: Wann soll denn dann der Rechtsausschuuß noch Gelegenheit zur Beratung haben? Soll das heißen, daß der Bundestag dieses unsinnige Gesetz in einem Husarenritt verlängern soll, ein Gesetz, das von Anfang an umstritten war und durch die Praxis keineswegs weniger umstritten wurde?

(Beifall bei der SPD, der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

Die Kronzeugenregelung mit der Durchbrechung des Legalitätsprinzips ist ein Fremdkörper in unserem Rechtssystem — und ich hoffe, er bleibt dort nicht —, das sich gerade dadurch auszeichnet, daß jede Straftat verfolgt werden muß und die Einstellung des Verfahrens nur in ganz wenigen Fällen — meist solchen der



Dr. Hans de With
Kleinkriminalität — aus Opportunitätsgründen erlaubt.
Die Kronzeugenregelung aber gestattet im terroristischen Bereich die Verminderung von Strafe oder gar das Absehen von der Bestrafung. Es ist ohnehin klar, daß hiervon natürlich Völkermord ausgenommen ist. Aber auch — das ist der Punkt — bei Mord und Totschlag ist das bedingt möglich. Selbst bei Mord kann von der lebenslangen Freiheitsstrafe auf eine dreijährige Strafe, wie man so schön sagt, „heruntergegangen" werden. Wer sonst einen Mord begangen oder sich eines anderen schweren Verbrechens schuldig gemacht hat, fällt nicht unter die Gnade dieser Regelung. Jedermann wird sich fragen müssen: Was hat das noch mit Gerechtigkeit zu tun?
Nun haben die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien immer gesagt: Ziel der Kronzeugenregelung sei es ja — ich zitiere, was Sie damals verabschiedet haben —, die Begehung einer entsprechenden Straftat zu verhindern, dem Straftäter die Gelegenheit zu geben, über den eigenen Tatbeitrag hinaus die Aufklärung einer solchen Straftat zu fördern, oder bei der Ergreifung eines Täters oder Teilnehmers mitzuhelfen.
Prüfen wir, Herr Geis, die Fälle, in denen die Kronzeugenregelung angewandt worden ist, dann kann ich jedenfalls nicht feststellen, daß auch nur in einem einzigen Fall die Begehung einer terroristischen Straftat verhindert wurde.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS/Linke Liste)

Ebensowenig ist mir klar, wann die Kronzeugenregelung erwiesenermaßen zur Ergreifung eines Täters oder eines Teilnehmers bei einer terroristischen Straftat beigetragen hätte.
Es mag sein, daß eine Tat besser aufgeklärt werden konnte. Aber dies geschah immer nur im nachhinein; ich glaube, auch darüber sind wir uns im Kern einig. Wäre dies aber nicht ohnehin auch anderweitig möglich gewesen? Dazu, Herr Geis, haben Sie kein Wort gesagt. Hat die Kronzeugenregelung tatsächlich bei der Ermittlung derer, die nach der Wiedervereinigung entdeckt werden konnten, geholfen? In jedem Fall überwiegt der Schaden nach unserer Erkenntnis den Nutzen klar.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212032800
Herr Dr. de With, der Abgeordnete Geis möchte eine Zwischenfrage stellen,

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1212032900
Herr de With, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Kronzeugenregelung, nachdem sie im Zusammenhang mit den Terrororganisationen und den von ihnen begangenen Terroranschlägen erst vor kurzem eingeführt worden ist, gar nicht in der Lage war, solche Terroranschläge von Anfang an zu verhindern, sondern daß sie nur die Chance hat, zur Aufklärung solcher Terroranschläge in der Lage zu sein?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212033000
Herr Kollege Geis, ich weiß nicht, welche Zeitrechnung Sie im Gedächtnis haben. Wir haben diese Regelung gegen unseren Willen 1989 verabschiedet und es ist Ihre Sache, wenn Sie dreieinhalb Jahre für kurz halten. In diesen dreieinhalb Jahren ist nichts passiert, was auch nur die Tinte wert gewesen wäre, es abzudrucken.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212033100
Der Abgeordnete Dr. Hitschler möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1212033200
Herr Kollege de With, worin sehen Sie den Schaden, den Sie eben konstatiert haben, wenn die Kronzeugenregelung in so wenigen Fällen überhaupt angewendet worden ist?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212033300
Ich habe das schon dargelegt: Der Schaden besteht darin, daß eine ganz kleine Gruppe von Terroristen nach dem Gesetz gegenüber anderen Mördern privilegiert wird, was gegen das Gerechtigkeitsprinzip verstößt. Und niemand kann behaupten, daß dieses Einkaufen des Verstoßens gegen das Gerechtigkeitsprinzip auch nur für fünf Pfennig etwas gebracht hätte, was diesen Verstoß wert gewesen wäre.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212033400
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1212033500
Herr Kollege de With, bei allen Vor- und Nachteilen, die man bei einer solchen Regelung abwägen kann, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß durch die Anwendung der Kronzeugenregelung auf einen Angehörigen der terroristischen Organisation PKK dieses Terroristennetz in der Bundesrepublik Deutschland zerstört wurde und keine Anschläge mehr erfolgten?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212033600
Wenn Sie den Düsseldorfer Prozeß meinen, bin ich nicht sicher, daß das, was Sie sagen, zutrifft. Ich will nicht sagen, daß dies hier mehr oder weniger ein Reinfall gewesen sei, aber es war nicht gerade rühmlich. Wenn Sie das PKK-Kurdensystem schlechthin nennen, kann ich Ihnen auch nicht beipflichten. Ich meine, selbst wenn es in einigen Fällen zur Aufklärung kam, sind die Hauptpunkte dessen, was Sie in den Vordergrund schieben, nämlich daß erwiesenermaßen Straftaten, die in der Mache waren, verhindert wurden, nicht erreicht worden ist. Nach jedem Prozeßergebnis, das uns bekannt ist, kann uns das bisher niemand belegen.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1212033700
Herr Kollege de With, würden Sie mir denn zustimmen, daß es, seitdem dieser Kronzeuge weitere Mitglieder der PKK genannt hat, gegen die ja auch öffentliche Anklagen erhoben worden sind, jedenfalls keine Anschläge der PKK mehr gegeben hat, während sie sich vorher leider mehrfach ereignet hatten?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212033800
Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber Sie müssen uns belegen, daß hier ein Ursachenzusammenhang besteht, und das werden Sie nicht können.
Ich darf Ihnen auch noch einige Beispiele nennen. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat mit späterer Billigung des Bundesgerichtshofes im Fall Lotze



Dr. Hans de With
auf entsprechende Strafmilderungsabsichten des Staatsanwalts nicht reagiert. Offensichtlich war das Gericht völlig anderer Meinung als die Staatsanwaltschaft.
Herr Göhner, ich komme auf den sogenannten PKK-Kurdenprozeß zurück: Sie haben angedeutet, daß der Kronzeuge — um es höflich auszudrücken — eine nicht gerade hilfreiche Figur abgegeben hat. Und bei der Suche der Mörder von Herrhausen kann wohl niemand über den Kronzeugen Nonne glücklich gewesen sein. Er hat nur Ärger, aber keinen wirklich vernünftigen Hinweis gebracht, der die Ermittlungen vorangebracht hätte.
Der Generalbundesanwalt — das kündige ich schon jetzt an — wird uns im Rechtsausschuß sagen müssen, wieviel Anwendungsfälle der Kronzeugenregelung es gab und was dabei wirklich herausgekommen ist. Dafür müssen wir uns ein wenig Zeit nehmen. Aber auch er scheint ja von der Kronzeugenregelung nicht begeistert zu sein. Er will es — wie offensichtlich auch Sie in der Mehrheit der Koalitionsfraktionen — noch einmal probieren; aber was mehr als drei Jahre ohne Erfolg ausprobiert wurde, hat den Anspruch auf weitere Probejahre verwirkt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die erste Lesung des Gesetzes zur Verlängerung der Kronzeugenregelung erfolgte — ich sage das so — für alle überraschend, sehr kurz anberaumt und dann noch zu später Stunde als letzter Tagesordnungspunkt, so, als hätte sie das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie hätten die Mehrheit gehabt, zu sagen: Dies wird am Tag debattiert, wenn alle zuhören kommen und die Fernsehschirme eingeschaltet sind. Jetzt wird es versteckt und als letzter Punkt eingebracht.

(Erneuter Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

— Es war aber so! Aber sicher!

(Zuruf von der F.D.P.: Es ist 19.40 Uhr, von später Nacht keine Rede!)

— Es ist der letzte Tagesordnungspunkt!

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212033900
Herr Abgeordneter de With, ich darf aufklärend eingereifen. Erstens ist den ganzen Tag nichts übertragen worden. Zweitens ist es ein reiner Zufall, daß es der letzte Tagesordnungspunkt ist, da zwei weitere gestrichen worden sind; sonst wäre dieser Punkt normal innerhalb der Tagesordnung gewesen. Ich will mich nicht mit Ihnen streiten, das steht mir auch nicht zu aber vielleicht darf ich das Haus zumindest darüber aufklären, daß es normalerweise zwei weitere Tagesordnungspunkte gegeben hätte. Die wurden mehr oder weniger zufällig gestrichen.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1212034000
Ich nehme das gern entgegen, Herr Präsident. Aber soweit ich informiert bin, hatten wir ja alle mit einer Aktuellen Stunde gerechnet, und das Ende dieser Tagesordnung war ursprünglich für etwa 22 Uhr vorgesehen. Da kann ich sagen: Dann wäre dieser Tagesordnungspunkt unter
keinen Umständen frührer zur Debatte gekommen. Es bleibt — das ist jedenfalls meine Bewertung —, daß hier überraschend, für die Öffentlichkeit kaum verständlich zur letzten Stunde etwas behandelt wird, was eigentlich viele angehen sollte.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Meine sehr verehrten Damen und Herren, der getroffene Hund bellt. Das ist überall so, auch im Parlament.
Im Rampenlicht, denke ich, stehen die brutalen Taten Rechtsextremer. Hier vor allem gibt es Vollzugsdefizite, und hier — ich meine, wir sind in Übereinstimmung — muß mehr geschehen. Diese Geschehnisse sind jede Überlegung wert.
Wir sollten diese Überlegungen aber nicht damit beginnen — ich komme zurück auf Herrn Rüttgers —, daß wir zuerst und gewissermaßen in deren Schlagschatten rasch einmal die Kronzeugenregelung verlängern.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der bei der PDS/ Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212034100
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Jelpke.

Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1212034200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich den Ausführungen, die der Kollege de With hier gemacht hat, nur anschließen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Zitat der Strafverteidigervereinigungen zur Kronzeugenregelung beginnen:
Es entsteht ein Handel zwischen den Partnern. Der Generalbundesanwalt hat das Bestimmungsrecht darüber, welche Vorwürfe gegen den Kronzeugen erhoben werden. Der Generalbundesanwalt hat die Entscheidungskompetenz, welche Informationen in welchem Umfang geeignet sind, die Begehung einer Straftat zu verhindern, zur Ergreifung eines Täters zu führen und die Aufklärung zu fördern. Der Generalbundesanwalt hat die Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit zwischen Absehen von Strafe und Gewicht der Aufklärungshilfe. Der Kronzeuge gerät in eine unausweichliche Zwangslage, wenn die von ihm gegebenen Informationen nach Auffassung des Generalbundesanwaltes nicht ausreichen, von der Verfolgung abzusehen. Der Kronzeuge gerät in die Zwangslage der Nachlieferung von Informationen mit der unerträglichen Gefahr der Falschbelastung und damit einer Gefahr für die Mehrheitsfindung.
In den wenigen Minuten, die wir heute für diese Debatte haben, bleibt wenig Zeit, das umstrittene Kronzeugenregelungsgesetz hier ausführlich zu diskutieren. Herr de With hat dazu schon viel gesagt. Ich habe heute festgestellt, daß es übernächste Woche wieder auf der Tagesordnung ist. Ich denke, wenn Sie selber so viel Zweifel haben, müßte wenigstens die Zeit da sein, daß ein Ausschuß ausführlich darüber berät und versucht, Untersuchungen anzustellen, was



Ulla Jelpke
eigentlich mit diesem Gesetz in den vergangenen Jahren stattgefunden hat.
Die Argumente der Bundesregierung, der CDU/ CSU und der F.D.P. in der Begründung des Antrages sind daher auch nicht besonders logisch und überzeugend. Sie selber sprechen davon, daß die Erwartungen mit dem Kronzeugengesetz nicht erfüllt wurden. Ausnahmen bilden Ihrer Meinung nach die in die DDR geflüchteten RAF-Aussteiger und die Aussagen eines PKK-Funktionärs, wie wir auch heute hier von Herrn Geis gehört haben.
Was die RAF-Aussteiger betrifft, so ist zum einen deutlich zu machen, daß sie lediglich zur Aufhellung der Straftaten in der Zeit von 1977 bis 1981 beitragen konnten. Das war aber nicht das Ziel der Kronzeugenregelung. Vielmehr ging es in der Begründung darum — Zitat:
... in der terroristischen Ideologie noch nicht oder nicht mehr unverrückbar verfestigte Angehörige terroristischer Vereinigungen durch Gewährung weitgehenden Strafnachlasses als Gegenleistung für aufklärungsgeeignete Informationen aus der Vereinigung herauszubrechen und ihnen gleichzeitig die Rückkehr in die Gesellschaft zu erleichtern.
Alle in die Kronzeugenregelung eingebundenen RAF-Leute waren bereits, lange bevor sie festgenommen wurden, aus der RAF ausgestiegen. Daß diese auch ohne eine Kronzeugenregelung ihre Aussage gemacht hätten, zeigte der jüngste Prozeß in Stammheim. Dort haben mehrere RAF-Aussteiger — im übrigen auch die dort als Zeugen geladenen — bekanntgegeben, daß sie gegen ihren Willen in die Kronzeugenregelung durch die Bundesanwaltschaft und den Zweiten Strafsenat einbezogen wurden.
Im übrigen — das auch besonders an Herrn Geis —: Der PKK-Kronzeuge, der hier so erfolgreich von Ihnen zitiert worden ist, hat sich unlängst wegen Falschaussagen bei der Bundesanwaltschaft und beim OLG Düsseldorf angezeigt. Das angeblich 13 Tötungsdelikte und drei versuchte Tötungsdelikte aufgeklärt sein sollen, entspricht auch nicht der Wahrheit; denn keines dieser Verfahren ist bis heute rechtskräftig abgeschlossen, — was ich übrigens für sehr wichtig halte, Herr Geis, wenn man hier im Zusammenhang mit diesem PKK-Menschen schon solche Zitate bringt, der übrigens auch wegen mehrfachen Mordes vor Gericht stand und wegen der Kronzeugenregelung nur fünf Jahre bekommen hat, während diejenigen, die er jetzt belastet, wahrscheinlich lebenslang bestraft werden.
Die Strafverteidigerorganisation fordert den Bundestag in einer Presseerklärung dazu auf, die Kronzeugenregelung nicht zu verlängern, anderenfalls — ich zitiere —:
... wird ein Stück Unkultur des deutschen Strafprozeßrechts perpetuiert, obgleich diese Regelung fast einmütig von Praxis und Wissenschaft bereits bei ihrer Einführung abgelehnt wurde.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!)

Dem können wir uns nur anschließen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212034300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Ingrid Köppe.

Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212034400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist noch gar nicht lange her, da vermeldete der Generalbundesanwalt in den Medien sehr stolz, daß sich ein reuiger Terroristenhelfer bei den Sicherheitsbehörden gemeldet und das Attentat auf Herrn Herrhausen aufgeklärt habe. Diese Erfolgsmeldung um den Kronzeugen Siegfried Nonne ist inzwischen zerplatzt wie eine Seifenblase. Nonne widerrief seine Aussage, gab an, vom Verfassungsschutz kontaktet, für seine Aussage bei der Bundesanwaltschaft geschult und in eine Nervenheilanstalt gebracht worden zu sein. Doch das scheint erst ein Teil der stattgefundenen Inszenierung zu sein, mit der sich inzwischen in Hessen ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß befassen muß. Ich befürchte, daß wir demnächst noch weitere Einzelheiten dazu hören werden.
Die Befürworter der Kronzeugenregelung berufen sich — so heute auch hier geschehen — auf Erfolge durch Aussagen eines Zeugen gegen die kurdische PKK. Offensichtlich werden dabei viele Tatsachen auch verschwiegen, nämlich erstens: Dieser Kronzeuge ist nach den Feststellungen des Landgerichts Berlin „grenzdebil" und leidet an einer „schweren seelischen Abartigkeit". Zweitens hat sich dieser Kronzeuge vor kurzem selbst wegen einer gerichtlichen Falschaussage angezeigt. Drittens haben seine Einlassungen bisher noch zu keiner einzigen Verurteilung gemäß § 129a des Strafgesetzbuchs geführt. Viertens — entgegen seinen Mordvorwürfen und darauf gestützten hohen Strafanträgen der Bundesanwälte — sprach das Oberlandesgericht Düsseldorf z. B. vor fünf Wochen einen der fünf schwerbelasteten Angeklagten frei.
Ich frage Sie nun, Herr Geis, auch das Justizministerium: Spricht denn das alles für die Glaubwürdigkeit dieses Kronzeugen?

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist eine ganz andere Sache!)

Zu der Bilanz gehören auch noch die fünf RAF- Kronzeugen aus der DDR. Deren Aussagen zu weit zurückliegenden Vorfällen im Zeitraum 1977 bis 1981 lösten zwar zunächst 22 Ermittlungsverfahren gegen bereits anderweitig bekannte oder abgeurteilte Verdächtigte aus, aber zu aktuellen Fahndungsproblemen konnten sie nichts beitragen.
Die angebliche generelle Eignung der Kronzeugenregelung zur Verunsicherung des sogenannten RAF-Umfelds, auf die sich die Initiatoren schließlich noch berufen, ist in keiner Weise belegbar und muß an Hand der vorliegenden Erfahrungen in den Bereich der Legenden verwiesen werden:
Der hier vorliegende Gesetzentwurf ignoriert nicht nur diese Mißerfolgsbilanz, die ich eben genannt habe, sondern stellt sich auch gegen die gesamte deutsche Strafrechtswissenschaft und -praxis. Nach deren einhelliger Auffassung verletzt die Kronzeugenregelung das verfassungsmäßige Rechtsstaats-,



Ingrid Köppe
Gleichheits- und Legalitätsprinzip, den Unmittelbarkeits- und Waffengleichheitsgrundsatz. Meine Herren, Sie sollten sich die Zeit nehmen, denke ich, einmal in die gerade erschienene Neuauflage des Standardkommentars zur Strafprozeßordnung von Kleinknecht/Meyer-Goßner zu schauen. Für Tausende Rechtspraktiker und jede Jurastudentin im ersten Semester ist darin nachlesbar, daß diese Kronzeugenregelung, diese Ausgeburt ihrer rechtspolitischen Weisheit, einfach in der Luft zerrissen wird, und zwar in außerordentlicher direkter Sprache. Der Gesetzgeber wird darin zur Korrektur aufgefordert.
Sie tun uns allen einen Gefallen, denke ich, wenn Sie uns die weitere Peinlichkeit dieser Beratung hier im Bundestag ersparen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212034500
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Jörg van Essen.

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1212034600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P.-Fraktion unterstützt die Gesetzesinitiative zur Fortgeltung der Kronzeugenregelung. Es ist kein Geheimnis: In meiner Partei hat es verschiedene Auffassungen in dieser Frage gegeben. Ich halte es nicht für peinlich, Herr de With, daß in einer so meinungsfreudigen Fraktion, wie es die F.D.P.-Fraktion nun einmal ist — deshalb bin ich auch gern in dieser Fraktion —, verschiedene Positionen gibt.

(Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist insbesondere eingewandt worden, die Regelung sei ohne Erfolg geblieben, weil sie nur in einem Fall der PKK und im übrigen nur bei den sogenannten Altfällen der RAF gegriffen habe. Ich teile diese Auffassung nicht, insbesondere deshalb nicht, weil ich den Fall der PKK anders beurteile als Sie, Frau Jelpke, und auch als Sie, Frau Köppe. Die Tatsache, daß die Urteile noch nicht rechtskräftig sind, bedeutet nicht, denke ich — auch da sollten wir ehrlich sein —, daß man schon sagen kann: Das hat nicht gegriffen.
Wir sollten auch bei den Altfällen der RAF ehrlich sein, denke ich, weil auch da Tatbeteiligungen eindeutig geklärt werden konnten, was früher nicht der Fall war. Das ist für mich wahrlich keine Negativbilanz.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212034700
Herr van Essen, Professor Meyer möchte gern eine Zwischenfrage stellen.

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1212034800
Nein, ich möchte gern fortsetzen.

(Zuruf des Abg. Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212034900
Herr Professor Meyer, es ist das gute Recht des Abgeordneten, auch nein zu sagen, und damit ist das Kapitel erledigt.

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1212035000
Wenn hier der Fall Herr-hausen angesprochen wird, dann gehört zur Wahrheit einfach auch, dazu festzustellen, daß auf den Zeugen
Nonne die Kronzeugenregelung nie angewandt worden ist.
Entscheidender ist für mich jedoch folgende Überlegung:
Es gibt zahlreiche Anzeichen dafür, daß sich im rechtsextremistischen Bereich terroristische Strukturen bilden. Ich nehme das deshalb besonders ernst, weil ich als Staatsanwalt zwei Jahre lang insbesondere in diesem Bereich, nämlich im rechtsextremen Bereich, tätig war und auch damals schon Ansätze in dieser Richtung gesehen habe.
Der Generalbundesanwalt führt bereits ein Verfahren wegen des Verdachts von Organisationsdelikten. Wenn man sich die Materialien des Bundestags zur Kronzeugenregelung anschaut, fällt auf, daß zur Begründung für diese Regelung als wichtigste und vordringlichste Aufgabe die Erleichterung der Rückkehr in die Gesellschaft angeführt worden ist, damit eine Verfestigung der terroristischen Strukturen verhindert werden kann. Genau diese Aufgabe stellt sich im Bereich des sich abzeichnenden rechten Terrorismus. Es darf einfach nicht passieren, daß wir eine braune Ausgabe der RAF haben. Dagegen sollten wir alle Mittel bereithalten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Dr. Hans de With [SPD]: Da sind wir einig!)

Ich bin auch nicht der Meinung — auch wenn wir hier gegenteilige Ansichten gehört haben —, daß der Rechtsstaat wieder einmal baden geht. Bisher sind keine Fälle bekanntgeworden — auch wenn das hier wieder angeführt worden ist —, in denen jemand, um die eigene Haut zu retten, andere falsch bezichtigt hätte. Es gibt keinen Fall, den Sie nachweisen können.
Das Wichtigste: Es hat keine Entscheidungen gegeben, die als ungerecht in die öffentliche Diskussion gekommen sind. Die Altangehörigen der RAF haben für die von ihnen begangenen Morde Freiheitsstrafen von sieben bis zehn Jahren erhalten, also immer noch hohe Strafen. Sie haben die von ihnen begangenen Taten umfassend eingeräumt und auch im übrigen zur Tataufklärung beigetragen. Es ist eine Selbstverständlichkeit im Strafverfahren, daß ein freimütiges Geständnis, das Offenbaren der Tatbeteiligungen und auch der große zeitliche Abstand zur Tat strafmildernd mit einer Strafe am unteren Rand des Strafrahmens gewürdigt wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212035100
Herr van Essen, ich frage noch einmal, ob Sie eine Zwischenfrage von Professor Meyer zulassen.

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1212035200
Ich möchte gern fortsetzen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212035300
Ist das eine grundsätzliche Entscheidung?

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1212035400
Ja, eine grundsätzliche Entscheidung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212035500
Dann brauche ich nicht weiter nachzufragen. — Herr Professor Meyer, es ist also eine grundsätzliche Entschei-



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
dung. Damit ist es nicht mehr möglich, bei diesem Debattenbeitrag eine Zwischenfrage zu stellen.

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1212035600
Ich setze fort. — Bei Mord ist auf Grund der Bestimmung des § 211 StGB, nach der nur die lebenslange Freiheitsstrafe möglich ist, ein solcher Rahmen gerade nicht gegeben. Die Kronzeugenregelung hat hier zu einer auch nach meinem Rechtsgefühl gerechten Strafe geführt. Sie ist ein Signal an die noch aktiven Angehörigen der RAF — das möchte ich auch sagen —, daß die Gesellschaft ihnen nicht blind rächend gegenübertritt.
Ich gebe auch folgendes zu überlegen: In Nachbarstaaten, die ebenfalls unter einer terroristischen Bedrohung stark zu leiden hatten, nämlich in Italien und Frankreich, gibt es die Brigate Rosse und die Action Directe nicht mehr. Man hat mit der Kronzeugenregelung dort auch deshalb positive Erfahrungen gemacht, weil es einen breiten Konsens in der Politik und in der Justiz gegeben hat, mit dieser Regelung den Weg zurück in die Gesellschaft zu ebnen. Wir haben angesichts der Möglichkeit einer neuen terroristischen Bedrohung, von rechts nämlich, allen Grund, von unseren Nachbarn zu lernen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212035700
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Professor Meyer das Wort.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1212035800
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich nicht die Gelegenheit erhalten habe, Fragen zu stellen, was mich etwas gewundert hat, Herr Kollege van Essen, möchte ich folgende drei Gesichtspunkte, die in Ihrer Rede ausgeblendet worden sind, hier nachtragen.
Erstens zur Glaubwürdigkeit von Kronzeugen und dem geringen Erfolg, den dieses Instrument bisher hatte: Alles, was wir über die Auftritte von Kronzeugen wissen, steht unter dem Vorzeichen, daß es sich um Zeugen handelt, die um ihres persönlichen Vorteils willen tätig werden und die urn so mehr Vorteil erhoffen können, je mehr sie enthüllen.

(Jörg van Essen [F.D.P.]: Nennen Sie doch Beispiele, wo das geschadet hat!)

Dies hat zur Folge, daß das strukturelle Problem des Kronzeugen — das ist mein zweiter Punkt — in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine klare
Beantwortung gefunden hat. Herr Kollege van Essen, wenn Sie über die Glaubwürdigkeit von Kronzeugen reden, dann müssen Sie hinzufügen: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind diese Zeugen mit größter Vorsicht zu behandeln. Ihre Glaubwürdigkeit ist strengster Prüfung zu unterziehen. — Ja, der Bundesgerichtshof sagt das doch nicht umsonst!

(Zuruf von der F.D.P.: Was soll das denn? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese Rechtsprechung hat eben zur Folge, daß Kronzeugen in Strafprozessen in aller Regel bedeutungslos bleiben, was die Aufklärung von Straftaten angeht.
Mein dritter Punkt. Hier ist von Rechtsstaat und von Resozialisierung die Rede. Das bedeutet ja wohl auch eine menschlich angemessene Behandlung auch dieser Zeugen selbst. Ja, ist Ihnen denn nicht bekannt, daß in den USA, in denen es dieses Instrument schon länger gibt — darum haben wir ja mehr als dreijährige Erfahrungen —, Kronzeugen in aller Regel ein trauriges Schicksal haben, nämlich daß sie vor ihren früheren Komplizen überhaupt nicht geschützt werden können, und daß wir dies mitverantworten, wenn wir das Instrument des Kronzeugen in unserer Rechtsordnung lassen?
Schönen Dank.

(Jörg van Essen [F.D.P.]: Die Praxis widerlegt doch alle diese Behauptungen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212035900
Danke schön. — Damit sind wir am Ende dieser Debatte.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/3685 (neu) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Andere Vorschläge werden nicht gemacht. Damit ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 13. November 1992, 9.30 Uhr — die SPD-Fraktion hat noch eine Fraktionssitzung —, also eine halbe Stunde später als normal, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Restabend und schließe die Sitzung.