Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung und rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksachen 12/3421, 12/3405 —
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Bauminister der ostdeutschen Länder und der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, daß die Altschulden der Wohnungswirtschaft im Zusammenhang mit den übrigen einigungsbedingten Schulden gesehen und entsprechend zu behandeln sind , und ist sie bereit, die von den ostdeutschen Bauministern am 11. Oktober 1992 beschlossenen Eckwerte für eine vorläufige Lösung der Altschuldenfrage zu akzeptieren?
Teilt die Bundesregierung die öffentlich vom Bundesminister der Finanzen vertretene Auffassung, daß der Kapitaldienst für Altschulden der Wohnungswirtschaft auch nicht teilweise aus dem Bundeshaushalt finanziert werden wird , oder teilt sie die von der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ebenfalls öffentlich geäußerte Auffassung, das Schuldenmoratorium müsse bis Ende 1996 verlängert und der auflaufende Kapitaldienst auf den Kreditabwicklungsfonds übertragen werden (Handelsblatt vom 6. Oktober 1992; Frankfurter Rundschau vom 13. Oktober 1992)?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Echternach, bitte.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Küster, wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich gem die Fragen 1 und 2 zusammen beantworten.
— Ich beantworte die Fragen jetzt im Zusammenhang, weil sie, wie ich glaube, zusammengehören.
Für die Bedienung der Altschulden in der Wohnungswirtschaft der neuen Bundesländer besteht bis Ende 1993 ein Moratorium. Rechtzeitig vor Ablauf des Moratoriums und um den Instandsetzungs- und Modernisierungsprozeß auch in der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungswirtschaft so schnell wie möglich in Gang zu setzen, hat die Bundesregierung bereits im Februar dieses Jahres den neuen Bundesländern Gespräche über die Lösung des Problems der Altschulden in der Wohnungswirtschaft angeboten.
Innerhalb der Bundesregierung haben die Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und der Bundesminister der Finanzen den Auftrag für Gespräche mit den Ländern erhalten. Die Bundesregierung hat den Ländern Überbrückungshilfen angeboten und im Finanzplan des Bundes hierfür 700 Millionen DM eingestellt.
Die Gespräche mit den neuen Bundesländern in der ersten Jahreshälfte haben nicht zu Ergebnissen geführt. Die neuen Bundesländer waren insbesondere nicht bereit, sich an entsprechenden Hilfen zu beteiligen, obwohl sie finanzverfassungsrechtlich für die Altschuldenfrage zuständig sind.
Inzwischen gibt es erstmals konkretere Vorstellungen aus den neuen Bundesländern zur Lösung der Altschuldenfrage. Die Bundesregierung hat sich hierzu noch nicht eine einvernehmliche Meinung gebildet. Sie wird ihre Haltung unverzüglich klären. Sie spricht sich für eine zügige Fortsetzung der Verhandlungen mit den Ländern aus.
Herr Dr. Küster, eine Zusatzfrage.
Ich habe zunächst zu meiner ersten Frage eine Zusatzfrage. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Bundesbauministerin, daß es zu ersten Konkursen von Wohnungsunternehmen kommen wird, wenn diese nicht rasch von den Altschulden entlastet werden? Wie viele Wohnungsunternehmen wären in diesem Fall vom Konkurs bedroht, bzw. wie viele Wohnungen wären von diesen Konkursen betroffen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Mieter?Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Küster, es gibt, wie Sie wissen, ein Moratorium bis Ende 1993. Das Ablaufen dieses Moratoriums wollen wir allerdings nicht abwarten, insbesondere weil es zur Zeit einen dringenden Investitionsbedarf gibt und weil wegen des Investitionsbedarfs die Kreditfähigkeit der Unternehmen hergestellt sein sollte.
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9530 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992
Parl. Staatssekretär Jürgen EchternachAus diesem Grunde haben wir noch vor Ablauf des Moratoriums, nämlich im Februar dieses Jahres, die Beschlüsse gefaßt, die Sie kennen, um ungeachtet der unterschiedlichen rechtlichen Positionen von Bund und Ländern hier zu einer schnellen Lösung und damit zu einer stärkeren Investitionstätigkeit der Wohnungsunternehmen zu kommen.
Herr Dr. Küster, die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, um wieviel höher wäre nach Einschätzung der Bundesregierung das Investitionsvolumen im Wohnungsbau, wenn die Wohnungsunternehmen von den Altschulden befreit wären? Wie viele Arbeitsplätze wären dadurch zusätzlich entstanden, und wie viele Wohnungen hätten zusätzlich instand gesetzt oder neu gebaut werden können?
Herr Staatssekretär.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Küster, dies läßt sich natürlich nicht im Detail quantifizieren. Aber ganz sicher wäre die Investitionstätigkeit der Wohnungsunternehmen wesentlich größer, und zwar insbesondere wegen der verbesserten Kreditfähigkeit der Unternehmen.
Wie Sie wissen, gewährt der Bund vielerlei Hilfen, um die Modernisierungstätigkeit trotzdem in Gang zu setzen. Wir geben in der Zwischenzeit schon 15 Milliarden DM an günstigen Darlehen über das KfWProgramm aus. Wir haben im Programm Aufschwung Ost von seiten des Bundes zweimal 700 Millionen DM bereitgestellt, um die Modernisierungstätigkeit mit Zuschüssen zusätzlich zu unterstützen. Auch die 1 Milliarde DM an Neubauvolumen kann für Modernisierungsaktivitäten eingesetzt werden. Das alles hat zu dem Ergebnis geführt, daß in der Zwischenzeit bereits 20 % der Wohnungen in den neuen Bundesländern in diese Modernisierungshilfen des Bundes einbezogen werden konnten.
Die dritte und die vierte Frage, bitte,
Zu meiner zweiten Frage stelle ich eine Zusatzfrage. Bedeutet die Aussage des Staatssekretärs Carstens, die Wohnungsunternehmen müßten auf mittlere Sicht ihren Kapitaldienst aus eigenen Einnahmen decken, und die zum 1. Januar 1993 beschlossene Mietanhebung sei ein erster Schritt in diese Richtung, daß die Bundesregierung davon ausgeht, daß bereits die kommenden Mietanhebungen zumindest zum Teil zum Abtragen der Altschulden verwendet werden, also nicht, wie ursprünglich vorgesehen, in die Instandsetzung und die Modernisierung des Bestandes gehen sollen, oder ab wann sollen die Wohnungsunternehmen nach Meinung der Bundesregierung aus Mieteinnahmen Altschulden bedienen?
Dr. Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Küster, in dem Beschluß der Bundesregierung vom Februar dieses Jahres heißt es ausdrücklich, daß die Bundesregierung bereit ist, gemeinsam mit den
Ländern und den Gemeinden Überbrückungshilfen zu gewähren, allerdings nur für die Defizite, die den Wohnungsunternehmen nach Ausschöpfung ihrer Mieterhöhungsmöglichkeiten und nach Ausschöpfung aller Rationalisierungsmöglichkeiten entstehen. Dazu gehört expressis verbis auch die Möglichkeit, über Privatisierung außerordentliche Erlöse zu vereinnahmen. Es ist also vorgesehen, daß die Überbrükkungshilfen des Bundes erst gewährt werden, nachdem die Wohnungsunternehmen ihrerseits alle Anstrengungen unternommen haben, um mit den Verpflichtungen, die sich aus den Altschulden ergeben, fertig zu werden,
I Zerr Staatssekretär, welche Chancen rechnet sich die Bundesregierung angesichts der in den alten Bundesländern extrem angespannten Haushaltslage für den Vorschlag des Finanzministers aus, die finanziellen Altlasten, also insbesondere Kreditabwicklungsfonds/Treuhand, teilweise auf die alten Länder abzuwälzen?
Dr. Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Küster, dies ist ein Teil der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Insofern ist es jetzt sicherlich zu früh, irgendwelche Prognosen abzugeben. Dies wird erst am Ende der Verhandlungen zu bewerten sein.
Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, gehe ich fehl in der Annahme, daß Gläubiger der Altschulden über die Treuhand der Bundesfinanzminister ist, so daß Ihr Hinweis auf die Bundesländer von der eigentlichen Frage, nämlich ob der Bundesfinanzminister der Forderung der Bundesbauministerin entgegenkommt, diese Altschulden zu löschen, ablenkt? Wann, glauben Sie, wird dieser offene Dissens in der Bundesregierung beigelegt werden?
Dr. Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Es gibt keinen Dissens in der Bundesregierung darüber, daß die Altschulden zu Recht bestehen. Insofern gibt es nur einen Dissens zwischen Bund und Bundesländern. Die neuen Bundesländer stellen sich auf den Standpunkt, daß sie nicht verpflichtet seien, diese Schulden zu tragen. Aber aus der Sicht der Bundesregierung
da gibt es keinen Dissens innerhalb der Bundesregierung — bestehen die Altschulden zu Recht.
Herr Staatssekretär, Sie weichen meiner Frage aus. Ich habe gefragt, wer Gläubiger ist. Der Gläubiger ist verantwortlich dafür, ob er auf der Begleichung der Schulden besteht oder ob er auf diese Begleichung verzichtet. Sind Sie sich darüber im klaren, daß die ostdeutsche Bauwirtschaft nicht in Bewegung kommen wird, solange diese Schulden auf den Unternehmen lasten und deren Kreditwürdigkeit herabsetzen?Dr. Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, unabhängig davon, wie die Eigentumsverhältnisse der Kreditinstitute im Einzelfall sein mögen, ist es so, daß den Forderungen der Kreditinstitute auf der einen Seite entsprechende Verpflich-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992 9531
Parl. Staatssekretär Dr. Jürgen Echternachtungen, die sie haben, auf der anderen Seite gegenüberstehen. Es wäre nicht möglich, wie Sie es andeuten, diese Schulden etwa willkürlich zu streichen. Dies bedeutete nämlich, daß der Bund — oder wer immer eine solche Entscheidung treffen würde — den Kreditinstituten dafür einen entsprechenden Gegenwert zur Verfügung stellen müßte.
Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, verschärft die Uneinigkeit der Bundesregierung die Wohnungsnot in den fünf neuen Bundesländern, und beabsichtigt nach Ihrer Kenntnis der Bundeskanzler, durch Inanspruchnahme seiner Richtlinienkompetenz dieser Uneinigkeit ein Ende zu machen?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es geht nicht um Neubauten, sondern darum, wie die Altschulden von schon erstellten Bauvorhaben zu bedienen sind. Es gibt einen gemeinsamen Beschluß der Bundesregierung. Es gibt Gespräche mit den Ländern, die bisher zu keinem Ergebnis geführt haben. Es gibt seit wenigen Tagen eine relativ konkrete Position der neuen Bundesländer, jedenfalls der fachlich zuständigen Minister der neuen Bundesländer, und die Bundesregierung wird unverzüglich, wie ich vorhin schon sagte, um eine einvernehmliche Position ihrerseits gegenüber den neuen Vorschlägen besorgt sein.
Herr Abgeordneter Maaß.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Frage zum Bereich Ihrer ersten Antwort. Ist die Bundesregierung bereit, die Forderungen der ostdeutschen Bauminister zu erfüllen, die in ihrem Sinne gekappten Schulden ab dem 1. Januar 1997 mit 1 % Tilgung und 1 % Zinsen zu bedienen, um damit die Schulden auf den Wohnungen in den neuen Ländern in etwa so zu behandeln wie Wohnungsdarlehen im sozialen Wohnungsbau in den westlichen Bundesländern?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Maaß, auch wir kennen diese Vorschläge erst seit wenigen Tagen. Diese Vorschläge werfen noch eine Fülle von Fragen auf, aber sie werden natürlich in die Meinungsbildung der Bundesregierung einbezogen, weil wir uns um eine einvernehmliche Lösung bemühen. Wir werden auf dieser Basis sicher die Gespräche in der nächsten Zeit fortsetzen.
Herr Abgeordneter Diederich.
Herr Staatssekretär, Sie verweisen richtigerweise darauf, daß diese Schulden und Forderungen zu Recht bestehen und daß man sie nicht einfach streichen kann. Aber wir müssen uns doch darüber klar sein, daß das im Rahmen des Einigungsprozesses festgeschrieben worden ist. Angesichts dieser Tatsache frage ich Sie, ob Sie es für gerechtfertigt halten, daß diese Kredite zunächst zu Marktzinsen — wie ich hoffentlich richtig unterrichtet bin — bedient werden müssen. Warum hat man hier nicht schon längst im Vorgriff auf spätere Regelungen einen Weg gefunden, der — etwa entsprechend der Frage des Kollegen Maaß — erheblich verbilligte Zinssätze vorsieht?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Die Kreditinstitute setzen die Zinsen entsprechend den Kapitalmarktgegebenheiten fest. Wenn diese Zinsen reduziert werden sollen, stellt sich natürlich die Frage: Wer trägt dann die Kosten, die durch diese Reduzierung entstehen? Dies ist ein Teil des Gesamtkomplexes, der zwischen Bund und Ländern einvernehmlich zu regeln sein wird.
Ich stelle noch eine Zusatzfrage. Dabei betone ich, daß mich Ihre Antwort nicht befriedigt. Diesbezüglich müßte man ebenfalls noch tiefer nachfassen.
Die andere Frage bezieht sich auf folgendes: Sie haben darauf hingewiesen, daß sich die Wohnungsbau unternehmen durch Veräußerungen außerordentliche Erträge verschaffen können. Können Sie uns etwas darüber sagen, ob diese außerordentlichen Erträge ausreichen, um die auf die Wohnungen umgelegten Altschulden tatsächlich abzudecken? Denn sonst würden wir die Kommunen ja, ohne daß sie noch eine Substanz haben, mit zusätzlichen Verpflichtungen belasten, die sie gar nicht abdecken können.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Diederich, ich glaube nicht, daß außerordentliche Privatisierungserlöse für diesen Gesamtkomplex ausreichen würden. Es können nur entlastende Maßnahmen sein. Das ergibt sich auch daraus, daß die Bundesregierung, obwohl sie außerordentliche Erlöse für die Privatisierung in ihrem Beschluß vom Februar dieses Jahres ebenfalls berücksichtigen wollte, von 700 Millionen DM per annum ausgegangen ist, die sie selber trotzdem bereitstellen muß, wenn sie ein Drittel der Überbrückungshilfen aufzubringen hat. Das heißt, es kann sich nur um teilweise Entlastungen handeln. Auch das wird sich von Wohnungsunternehmen zu Wohnungsunternehmen unterschiedlich darstellen, weil die Bestände sehr unterschiedlich sind und nicht alle für die Privatisierung in Frage kommen.
Das würde also bedeuten, daß in jedem Falle erst eine Regelung da sein müßte, bevor die Unternehmen verkaufen können?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Nein, das können sie unabhängig davon und sollten sie auch tun; denn derartige Erlöse dienen ja nicht nur einer Lösung der Altschuldenproblematik, sondern auch dazu, die Kapitalausstattung der Unternehmen selber zu verbessern.
Frau Abgeordnete Gleicke, bitte.
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9532 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992
Herr Staatssekretär Echternach, kann die Bundesregierung die Rechnung der Bundesbauministerin bestätigen, aus der sich ergibt, daß bei der Verwirklichung des Konzepts des Bundesfinanzministers die Mietbelastung allein für die Altschuldenbedienung im Durchschnitt 3 DM/m2 betragen und in Spitzen sogar über 10 DM/m2 liegen würde, und das bei einer durchschnittlichen Miete von 4 DM/m2, daß also drei Viertel der Miteinnahmen ausschließlich in die Schuldenbedienung flössen? Welche Belastungen ergäben sich demgegenüber dann, wenn den Vorschlägen der ostdeutschen Bauminister Rechnung getragen würde?
Jürgen Echternach, Part. Staatssekretär: Frau Kollegin, diese Zahlen sind zutreffend. Aber das ist ja auch der Anlaß gewesen, weswegen die Bundesregierung ausdrücklich vorgesehen hat, und zwar im Rahmen ihres Beschlusses vom Februar dieses Jahres, daß Überbrückungshilfen nach Auslaufen des Moratoriums, also ab 1994, gezahlt werden, die nicht etwa von den Mietern und den Wohnungsunternehmen aufzubringen sind, sondern von Bund, Ländern und Gemeinden übernommen werden sollen und insofern ausdrücklich die Mieter von den entsprechenden Belastungen freistellen.
Ich habe eine zweite Frage, Herr Kollege Echternach. Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, daß die Mieter heim Kauf, beim Erwerb dieser Wohnungen de facto erstens für die hohen Sanierungs- und Modernisierungskosten der gezwungenermaßen jahrelang bewohnten heute noch unzulänglichen Wohnungen, zweitens für die auf diesen Wohnungen lastenden Altschulden und drittens für die künftigen Kosten für Instandhaltung und Verwaltung bezahlen müssen?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Kaufpreisfestsetzung liegt nicht bei der Bundesregierung, sondern ist vom Eigentümer, in diesem Falle also von den Kommunen, vorzunehmen. Wir sind zur Zeit dabei, mit einer ganzen Reihe von Modellvorhaben es sind mehr als 30 Modellvorhaben —, zusammen mit den Kommunen und den Wohnungsbaugesellschaften unterschiedliche Modelle zu erproben, wie eine solche Privatisierung auf der einen Seite für die Mieter und künftigen Erwerber möglichst sinnvoll gestaltet werden kann und wie umgekehrt auch die Kaufpreisfestsetzung so erfolgen kann, daß auch die Wohnungsunternehmen am Ende aus dieser Privatisierung noch einen angemessenen Gegenwert erzielen.
Wir sollten das Ergebnis dieser Modellvorhaben abwarten, um dann eine endgültige Bewertung vorzunehmen. Aber schon jetzt läßt sich sagen, daß die Privatisierungstätigkeit nicht zuletzt wegen der Modellvorhaben immer stärker in Gang gekommen ist. Die Hilfen, die der Bund gewährt, sind in diesem Jahr deutlich stärker abgeflossen als im letzten Jahr. Insofern gehe ich davon aus, daß auch eine Bereitschaft vieler Mieter vorhanden ist, bei entsprechenden Angeboten ihre Wohnung auch tatsächlich zu kaufen.
Herr Schwanitz.
Herr Staatssekretär, welche Kosten würden denn dem Bund entstehen, wenn eine Lösung der Altschuldenfrage Platz griffe, wie sie die ostdeutschen Bauminister in ihren Eckwerten jetzt vorgeschlagen haben, und wie wäre denn die Kostenbelastung, wenn der Vorschlag realisiert würde, den die Bundesbauministerin unlängst vorgestellt hat?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: I lerr Kollege, würde man das Zinsmoratorium so verlängern, wie dies von den östlichen Bauministern vorgeschlagen worden ist, würden ab 1997 jährlich Kosten in Höhe von 2,8 Milliarden DM entstehen. Es gibt einen Bleichlautenden Vorschlag der Bundesbauministerin. Wenn man eine Kappung bei den hochverschuldeten Unternehmen von 400 DM/m2 vornähme, dann ergäben sich, wenn dies unternehmensbezogen geschähe, wie dies die Bundesbauministerin vorgeschlagen hat, ab 1997 Kosten von etwa 400 Millionen DM. Würde man objektbezogen eine Kappungsgrenze von 250 DM/m2 vorsehen, wie dies die östlichen Bauminister vorschlagen, ergäbe dies Kosten ab 1997 von jährlich 1,5 Milliarden DM. Wenn man dann, wie die östlichen Bauminister dies vorschlagen, ab 1997 eine Tilgung von 1 % und eine Zinszahlung von 1 % vorsähe, die aus der Miete zu bedienen wären, so ergäben sich Kosten für die dann notwendige Kapitaldiensthilfe ab 1997 von jährlich 1,6 Milliarden DM.
- 1,6 Milliarden DM, ja.
- Zusätzlich.
— Ja, zu den 1,5 Milliarden.
Im übrigen schlagen ja die östlichen Bauminister z. B. ein Instandsetzungs- und Modernisierungsprogramm für Plattenbauten mit einem Volumen von jährlich 1 Milliarde DM vor. Dabei wird aus den Beschlüssen der östlichen Bauminister nicht ganz klar, wie denn die Kosten auf Bund, Länder und Gemeinden verteilt werden sollen. Auch dazu bedarf es sicherlich noch einer weiteren Konkretisierung in weiteren Gesprächen.
Zusatzfrage.
Bezogen auf die zweite Frage von Dr. Küster möchte ich gern wissen, ob die Bundesregierung die Zahlen bestätigen kann, die der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft unlängst genannt hat. Danach konnten von den 87 000 Wohnungen, die die kommunalen Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland verkaufen wollten, 1991 lediglich 7 130 Wohnungen verkauft werden.Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann dies aus dem Handgelenk nicht bestätigen, aber ich bin gern bereit, das überprüfen zu lassen und Ihnen eine entsprechende Antwort zu geben.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992 9533
Ich sage jetzt zum Ablauf folgendes: Wir werden die anstehenden Zusatzfragen noch berücksichtigen; dann aber ist mit Blick auf die anderen Fragen der Fragestunde Schluß.
Herr Elmer, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn ich vorhin bei der Beantwortung der Frage des Kollegen Schily richtig zugehört habe, sind Sie da auf die Neubauten ausgewichen. Für uns besteht das Problem vor allem im Blick auf die Altbauten. Schon deswegen möchte ich die Frage in dieser Hinsicht gern wiederholen: Wird nicht die Wohnungsnot gerade dadurch gefördert, daß die Schulden bei den Altbauten so hoch sind, daß dort keine Kreditwürdigkeit mehr im Hinblick auf Sanierungsmaßnahmen besteht? Da müßte doch nun dringend von der Bundesregierung etwas getan werden, damit der Leerstand von Altbauwohnungen wegen dieser Problematik nicht anhält.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies ist für uns genau der Anlaß gewesen, das Ende des Moratoriums — Ende 1993 — nicht abzuwarten, sondern uns schon jetzt gemeinsam mit den Ländern urn eine dauerhafte Regelung zu bemühen, damit die Kreditfähigkeit der Wohnungsunternehmen hergestellt wird.
— Die können Sie in der Presse nachlesen.
Herr Elmer, Ihre zweite Frage.
Würden Sie mir in diesem Zusammenhang darin zustimmen, daß — so sehr wir die Struktur der Bundesverfassung schätzen und sie auch stärken wollen — dies in diesen Fällen leider dazu führt, daß die Verantwortung von einem Verantwortungsträger zum anderen geschoben wird, wie es uns eben vorgeführt wurde?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Ganz so ist es nicht. Der Bund stellt sich auf den Standpunkt, daß für diese Altschuldenfrage ausschließlich die Länder und Gemeinden zuständig sind. Die Länder stellen sich bisher umgekehrt auf den Standort, daß ausschließlich der Bund dafür zuständig ist. Aber auf beiden Seiten gibt es die Überzeugung, daß es nicht zu verantworten wäre, einen jahrelangen Rechtsstreit zu führen und diese Frage möglicherweise erst in vielen Jahren, so oder so, durch das Verfassungsgericht klären zu lassen. Wir wollen bereits jetzt eine Lösung. Auch wenn die Ausgangspunkte unterschiedlich sind, gibt es das gemeinsame Bemühen, eine einvernehmliche Lösung zu finden, die dann auch einvernehmlich von beiden Seiten zu tragen wäre.
Als nächster Fragesteller Herr Weis .
Herr Staatssekretär, bezogen auf die erste Frage von Herrn Dr. Küster möchte ich gern wissen, wie hoch der Kapitalanteil in der Miete der Sozialwohnungen in den westlichen Bundesländern ist und wie sich dieser Kapitalanteil in der Miete für genossenschaftliches und kommunales Wohneigentum in den neuen Bundesländern änderte, wenn die Vorstellungen des Kabinetts, vorgeschlagen von Herrn Waigel, in die Praxis umgesetzt würden.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wie hoch der Kapitalanteil ist, kann ich Ihnen so generell nicht sagen. Er ist natürlich von Objekt zu Objekt verschieden. Es ist auch von Land zu Land unterschiedlich, welche Bewilligungsmiete jeweils angestrebt wird. Aber auch die Kapitalkosten sind ja Kosten, die in die Miete im sozialen Wohnungsbau einfließen. Insofern ist das, was für manche in den neuen Bundesländern eine Überraschung ist, für die Bewohner von Sozialwohnungen in den alten Bundesländern nichts Ungewöhnliches, nämlich daß sie über die Miete auch zu den Kapitalkosten für die Erstellung des Bauvorhabens beitragen.
— Die ist, wie Sie wissen, ganz unterschiedlich.
Die zweite Frage.
Auch in dem Fall wurde nicht richtig, sondern ausweichend geantwortet.
Aber zu der zweiten Frage von Herrn Dr. Küster habe ich noch eine Nachfrage. Trifft es zu, daß die Mieter im Fall einer Privatisierung durch die Aufnahme von Krediten für den Erwerb der Wohnungen und die Übernahme der auf diesen Wohnungen lastenden Altschulden doppelt so hoch belastet werden wie durch die derzeitige Miete zuzüglich warmer und kalter Betriebskosten?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das kann ich so nicht bestätigen. Es hängt natürlich immer sehr entscheidend von der Höhe des Kaufpreises ab. Aber bei den Modellvorhaben, die wir in der Zwischenzeit durchgeführt haben und in deren Rahmen zum Teil schon alle Wohnungen verkauft worden sind, ergeben sich für die Mieter außerordentlich attraktive Konditionen.
Nicht zu Unrecht machen deshalb viele Mieter von diesen angebotenen Konditionen auch Gebrauch.
Die nächste Frage stellt Frau Lucyga.
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9534 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992
Herr Staatssekretär, es geht nicht nur um Wohneigentum; es geht auch um Mieten. Hält die Bundesregierung es für zumutbar, wenn die Mieter in den neuen Bundesländern gerade wegen der Belastung des Wohnungsbestands mit Altschulden künftig Mietbelastungen ertragen müssen und Mieten zahlen müssen, die deutlich über den Mieten in den alten Bundesländern liegen, und das, obwohl der Wohnungsstandard deutlich unter dem in den alten Bundesländern liegt?
Ist sich die Bundesregierung des weiteren bewußt, daß es gerade die Altschulden sind, die eine nachhaltige Verbesserung des Wohnungsbestands verhindern?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich wies vorhin schon darauf hin, daß immerhin 20 % der Wohnungen in den neuen Bundesländern dank der Modernisierungshilfen des Bundes bereits modernisiert werden konnten oder zumindest in ihrem Wohnstandard verbessert werden konnten.
Darüber hinaus bemühen wir uns ja um eine Lösung, die genau diese Modernisierungsaktivitäten der Wohnungsunternehmen verstärkt.
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte.
Ja, ich habe noch eine Zusatzfrage, und zwar zum zweiten Fragebereich, auch bezogen auf das Problem der Wohnungsprivatisierung. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Gesamtverbands der Wohnungswirtschaft, daß die Aussage, daß sich die Mieter nach dem Kauf ihrer Wohnungen besserstehen, ganz einfach falsch ist und daß es letztlich ein unmögliches Ansinnen ist, die Problematik der Altschulden auf dem Rücken der Käufer dieser Wohnungen zu erledigen?
Herr Staatssekretär.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Letzteres ist ja nicht der Fall. Das Problem der Altschulden muß gelöst sein, bevor eine Wohnung verkauft wird. Das verlangen wir ausdrücklich bei den Hilfen, die wir von seiten des Bundes für die Wohnungsprivatisierung geben. Diese Hilfen setzen voraus, daß die Mieter oder die künftigen Erwerber der Wohnung nicht etwa mit Altschulden belastet sind, daß dieses Problem also vorher im Rahmen des Gesamtkaufpreises gelöst ist.
Wir haben darüber hinaus den Ländern ganz spezielle Angebote gemacht, nämlich einen Teil der Altschulden zu übernehmen, wenn privatisiert wird. Dieses Angebot ist von den Ländern nicht angenommen worden. Auf jeden Fall aber muß das Problem der Altschulden gelöst sein, wenn ein Erwerber eine Wohnung übernehmen soll.
Herr Abgeordneter Dr. Meyer.
Herr Staatssekretär, trifft der in der „Süddeutschen Zeitung" von heute berichtete Vorwurf des Bundesfinanzministers Waigel zu, daß die Ministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau im Zusammenhang mit der Altschuldenproblematik Sachverhalte falsch dargestellt habe, insbesondere hinsichtlich der von ihr behaupteten Verwendung der Mieterhöhungen ab 1993?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß es einen Disput über die Frage gibt, inwieweit die gegenwärtig laufenden Mietanhebungen zum 1. Januar 1993 ausschließlich für die Instandsetzung von Wohnungen verwandt werden sollen oder auch für die Bedienung der Altschulden eingesetzt werden können. Da gibt es einen Auffassungsunterschied zwischen der Bundesbauministerin und dem Finanzminister.
Ich habe schon eingangs gesagt, daß wir uns bemühen, insoweit möglichst schnell zu einer einvernehmlichen Position zu kommen.
Herr Staatssekretär, nachdem die zweite Frage des Kollegen Dr. Küster belegt hat, daß es Auffassungsunterschiede innerhalb der Bundesregierung gibt, und nachdem Sie gerade solche Auffassungsunterschiede eingeräumt haben, halten Sie es nicht für erforderlich, daß die Bundesregierung das Gesamtproblem der dringlichen Fragen noch einmal prüft und dann mit einer Stimme spricht?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich sagte schon eben, daß wir dabei sind, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Es gab einen gemeinsamen Beschluß der Bundesregierung, um mit den Ländern zu einer Regelung zu kommen. Die Länder haben diesen Vorschlag nicht akzeptiert. Jetzt gibt es seit einigen Tagen einen neuen Vorschlag, der von seiten der Bauminister der neuen Bundesländer gekommen ist. Wir sind zur Zeit dabei, den Standpunkt der Bundesregierung zu diesem neuen Vorschlag einvernehmlich festzulegen.
Damit schließe ich diesen Geschäftsbereich ab und komme zum nächsten Geschäftsbereich. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Echternach.Ich muß noch zwei Dringlichkeitsfragen des Abgeordneten Müller aufrufen, die Fragen 3 und 4:Ist der Bundesregierung bekannt, wann die ukrainische Regierung die beiden im Frühjahr 1992 stillgelegten Reaktorblöcke in Tschernobyl wieder in Betrieb nimmt, und gibt es Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Inbetriebnahme?Sind der Bundesregierung die Ergebnisse der sicherheitstechnischen Überprüfung der ukrainischen Regierung bekannt, die diese bei diesen heiden Reaktorblöcken nach dem Unfall in Sosnovy Bor durchgeführt hat, und sieht die Bundesregierung unmittelbaren Handlungsbedarf?Das ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992 9535
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthBeantwortung erfolgt durch den Staatssekretär Dr. Paul Laufs.
Herr Kollege Müller, es gibt Anzeichen dafür, daß die beiden Reaktorblöcke bereits im November — jedenfalls vor Winterbeginn wieder in Betrieb genommen werden sollen. Ein genauer Zeitpunkt einer Wiederinbetriebnahme der Reaktorblöcke I und III des Kernkraftwerks Tschernobyl ist der Bundesregierung noch nicht bekannt. Auf Anweisung der Aufsichtsbehörde der Ukraine vom März 1992 wurden beide Blöcke als Folge des Störfalls im russischen Kernkraftwerk Sosnovy Bor abgeschaltet. Die Anweisung beinhaltete die Durchführung dringender Reparaturmaßnahmen und die Beseitigung bestimmter Schwachstellen.
Unbeschadet des Parlamentsbeschlusses, das Kernkraftwerk Tschernobyl 1993 stillzulegen, beschloß die ukrainische Regierung am 25. Mai 1992, die beiden Reaktorblöcke I und III nicht wieder in Betrieb zu nehmen. Zur Wirksamkeit dieses Beschlusses ist eine Bestätigung durch den Obersten Sowjet der Ukraine und des Präsidenten erforderlich. Diese Bestätigung des Außerbetriebnahmebeschlusses ist nicht erfolgt.
Dies und das Verhalten des Anlagenbetreibers, der die Maßnahme gemäß Anweisung vom 27. März 1992 durchführt, sind als Anzeichen dafür zu werten, daß die beiden Blöcke wieder in Betrieb genommen werden sollen. Die Bundesregierung hat gegenüber der ukrainischen Regierung, u. a. beim Besuch von Umweltminister Töpfer im Oktober vergangenen Jahres und bei neueren Gesprächen mit dem ukrainischen Umwelt-, dem ukrainischen Energieminister und dem Leiter der ukrainischen Kontrollbehörde, stets deutlich gemacht, daß das Kernkraftwerk abgeschaltet werden bzw. abgeschaltet bleiben sollte. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, daß das Abschalten bzw. der Weiterbetrieb des Kernkraftwerkes Tschernobyl eine souveräne Entscheidung der ukrainischen Regierung darstellt.
Erste Frage.
Wenn die Bundesregierung die Ansicht aufrechterhält, daß die Reaktorblöcke von Tschernobyl abgeschaltet bleiben sollen, wie bewertet sie dann die Tatsache, daß Strom von Tschernobyl nach Österreich geliefert werden soll?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat Kenntnis davon, daß ein Vertrag darüber abgeschlossen worden ist, Strom von der Ukraine nach Österreich zu liefern. Einzelheiten der Vertragsgestaltung sind der Bundesregierung allerdings nicht bekannt. Die Bundesregierung könnte einen Zusammenhang zwischen der Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerkes Tschernobyl und solcher Verträge vermuten.
Ist es richtig, daß in der Region um Kiew in den letzten Jahren die Energieversorgung zeitweise schon fast bis zum Nullpunkt heruntergeschraubt wurde? Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die Energieversorgung in der Region durch westliche Hilfe sicherzustellen?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, Sie wissen, daß das Problem der Energieversorgung in Mittel- und Osteuropa insgesamt eine Dimension hat, die Deutschlands Möglichkeiten, technische und finanzielle Hilfe zu leisten, bei weitem übersteigt. Hier geht es um eine Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft. Gerade dies war Thema auf dem Wirtschaftsgipfel in München. Das G-7-Kommuniqué hat Maßgaben dazu, wie die Staatengemeinschaft hier vorzugehen hat, aufgestellt, und zwar mit einem Aktionsprogramm.
Ich darf darauf hinweisen, daß die Koordinierungsstruktur der G-24-Staaten inzwischen verabschiedet worden ist. Wir müssen allerdings davon ausgehen, daß wegen der ungelösten Energieprobleme Kernkraftwerke in den mittel- und osteuropäischen Staaten für eine Übergangszeit noch am Netz bleiben werden.
Noch eine Frage.
Können Sie, bitte, vielleicht konkret sagen, wie der Stand der EG-Hilfe und der G-7-Länder ist und welche Kosten bei einem umfangreichen Hilfspaket auf die Bundesrepublik Deutschland zukommen würden?
Herr Staatssekretär.
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, diese Fragen waren Gegenstand zahlreicher Auseinandersetzungen im Umweltausschuß. Darüber ist auch hier im Bundestag wiederholt berichtet worden. Ich beziehe mich darauf. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß wir jetzt gerade im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Haushaltes 1993 ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die auch im Rahmen der G-24-Koordination, also auf EG-Ebene, hier einzuordnen sind, beraten.
Es ist schon bemerkenswert, daß z. B. Ihre Fraktion heute morgen im Umweltausschuß einem Antrag der Koalition, hier Mittel zu verstärken und Beratungshilfen aufrechtzuerhalten, so wie sie bisher waren und vorgesehen sind, und einen Haushaltstitel für einen Fonds zu begründen, der im Rahmen weiterer internationaler Maßnahmen in Zukunft eingerichtet werden wird, ablehnend gegenüberstand.
Herr Abgeordneter Kübler.
Herr Staatssekretär Dr. Laufs, Sie wissen, daß hier eine Zeitbombe tickt, und deshalb sind mir Ihre Ausführungen, daß der Bundesumweltminister in der Vorzeit mehrfach über dieses Thema gesprochen hat, nicht ausreichend. Frage: Ist der Bundesumweltminister oder vielleicht sogar darüber hinausgehend, weil die Gefährlichkeit der Situation überhaupt nicht deutlich genug beschrieben werden kann, bereit, kurzfristig und jetzt
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Dr. Klaus Kübleraus aktuellem Anlaß erneut, massiv und gegebenenfalls gemeinsam mit anderen EG-Ländern zu intervenieren?Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kübler, die Bundesregierung hat stets nachdrücklich die Position vertreten, daß die RBMK-Reaktoren insbesondere des Tschernobyl-Typs so schwerwiegende Sicherheitsmängel aufweisen, daß sie auf Dauer nicht nachgerüstet werden können, sondern stillgelegt werden müssen. Diese Position der Bundesregierung ist der ukrainischen Regierung sehr wohl bekannt. Dies muß nicht noch einmal vorgetragen werden. Aber ich muß Sie darauf hinweisen, daß es sich hier um eine innerukrainische Angelegenheit handelt.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie noch einmal fragen: Ist die Bundesregierung nicht bereit, auf Grund dieser neuesten aktuellen Meldungen, daß eine Wiederinbetriebnahme unmittelbar bevorsteht — dies ist ja insofern neu —, erneut zu intervenieren?
Herr Staatssekretär.
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung prüft dies gegenwärtig.
Herr Müller hat noch eine Frage.
Herr Staatssekretär, können Sie vielleicht zugestehen, daß das Scheitern dieser europäischen Politik gegenüber den Ländern der GUS bei der Nachrüstung von Kernkraftwerken u. a. auch darin begründet ist, daß keine energiepolitischen Alternativen angeboten worden sind? Und können Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, daß unsere Kritik an dem Beschluß der Koalitionsfraktionen gerade darin liegt, daß sie wirklich nur die Einfallslosigkeit der Nachrüstung sahen?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, um das letzte aufzugreifen: Die Bundesregierung hat immer die Position vertreten, daß eben diese RBMK-Typen nicht nachrüstbar sind und daß sie stillgelegt werden müssen, weil sie eben so grundsätzliche, schwerwiegende Sicherheitsmängel aufweisen.
Die Staatengemeinschaft setzt in der Tat — ich verweise auf das G-7-Kommuniqué — ihren Schwerpunkt bei der Umstrukturierung der Energiewirtschaft an. Auch die Europäische Energiecharta will energiewirtschaftliche Handlungsspielräume schaffen. Die Aufgabe hat allerdings — lassen Sie mich das noch einmal betonen — eine Dimension, die weit über die Möglichkeiten eines Staates wie der Bundesrepublik Deutschland hinausgeht.
Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, es sei das souveräne Recht der Republik Ukraine, diesen Reaktor wieder in Betrieb zu setzen. Meinen Sie nicht, daß eine solche völkerrechtliche, nach meiner Überzeugung falsche Beurteilung dazu beträgt, daß die falschen Entscheidungen getroffen werden? Denn ich glaube, daß es auch eine völkerrechtliche Verbindlichkeit der Staaten gibt, nicht Reaktoren in Gang zu setzen, die weit über die Grenzen der Ukraine hinaus die Menschen gefährden.
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Kollege Schily, ich glaube nicht, daß die Staatengemeinschaft die falschen Beschlüsse gefaßt hat.
Das betrifft G 7, G 24 und auch die Europäische Gemeinschaft. Nur, eines müssen Sie sich vor Augen halten: Es braucht seine Zeit, diese gewaltige Umstellung vorzunehmen.
— Die Einschätzung, die Sie hier vortragen, wird von den Franzosen, den Briten, den Amerikanern nicht geteilt. Diese sehen die Gefahrensituation nicht so akut, wie Sie sie darstellen. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit ihrer Position, die in der Tat im Rahmen der Staatengemeinschaft schon exponiert ist, nicht in der Lage, das Problem allein zu schultern.
Herr Staatssekretär, ich nehme an, daß die Bundesregierung in ihrer Haltung, die Sie hier kundgetan haben, daß dieser Reaktor nicht wieder in Betrieb genommen werden soll, davon ausgeht, daß dies eine erhebliche Gefahrenlage herbeiführen würde. Wir wissen ja alle, daß auch noch andere Reaktoren des Tschernobyl-Typs in Betrieb sind. Meinen Sie nicht, daß das Damoklesschwert, das mit diesen Reaktoren sozusagen über Europa schwebt, so groß ist, daß die finanziellen und außenpolitischen Anstrengungen der Bundesregierung sich dagegen als nicht ausreichend erweisen?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Dies muß ich als Ihre Position so stehenlassen. Wir alle können nicht in die Zukunft sehen. Wir können nur feststellen, daß die ukrainische Regierung zugesichert hat, daß die Wiederinbetriebnahme erst dann erfolgt, wenn entsprechende Ertüchtigungsmaßnahmen erfolgt sind.
— Wissen Sie, Herr Kollege Schily, diese Art der einfachen Schuldzuweisung kann ich so nicht akzeptieren.
Herr Weis.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß Sie hinsichtlich der Ablehnung meiner Fraktion ein falsches Bild gezeichnet haben, indem Sie unsere Intentionen und unsere Alternativforderungen im Zusammenhang mit der Ablehnung Ihres Haushaltspostens hier der Versammlung verschwiegen haben?Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Es ist nicht meine Aufgabe, Ihre politischen Positionen hier zu
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992 9537
Parl. Staatssekretär Dr. Paul Laufsverteidigen. Ich stelle nur fest, daß Sie sich dort, wo jetzt konkret gehandelt werden muß, in einer ganz wichtigen Angelegenheit verweigert haben.
Eine zweite Frage.
Sind Sie nicht auch der Meinung, daß sofort schneller und billiger auf anderen Gebieten als der Sanierung der Kerntechnik in den osteuropäischen Ländern, die teilweise sogar nach Ihrer Meinung nicht nachrüstbar ist, geholfen werden könnte?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Richtig. Auch die Bundesregierung hat bilaterale Hilfsprojekte betrieben, betreibt sie. Ich darf nur auf die Erweiterung und Ertüchtigung eines Kohlekraftwerkes in der Ukraine hinweisen. Wir haben in dem Vertrag über die dort vorgenommenen Maßnahmen festgestellt, daß die Erweiterung dieses Kraftwerkes dazu dient, auch die Stromerzeugung in Tschernobyl zurückzufahren. Wir nehmen in der Tat jede Gelegenheit wahr, um in Ihrem Sinne hier tätig zu werden.
Herr Lowack.
Herr Staatssekretär, lieber Herr Kollege, gibt es aus Ihrer Erkenntnis heraus irgendeine außenpolitische oder Gesamtkonzeption der Bundesregierung, wie und zu welchen Punkten man in Zukunft mit der Ukraine verhandeln will und deutsche Hilfe anbieten kann, so daß sich dieses Problem in diesen Gesamtzusammenhang einpassen und eventuell lösen ließe?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Aber selbstverständlich gibt es ein Konzept der Bundesregierung im Umgang mit den Staaten Mittel- und Osteuropas im Bereich der Kernenergienutzung. Die Kontakte sind vielfältig. Sie haben ihren Schwerpunkt im Bereich der Beratungshilfen. Sie umfassen die Unterstützung beim Aufbau von Sicherheitskontrollbehörden, die Überlassung von Analysehilfsmitteln, die Starthilfe zum Aufbau von Systemen zur Überwachung der Umweltradioaktivität, Radioaktivitätsmessungen im Raum Tschernobyl und in anderen Räumen, Unterstützung beim Schutz von Anlagen und Transporten von Kernmaterial, Hilfeleistung für den Problemkreis der nuklearen Ver- und Entsorgung, zur Thematik von abgerüstetem Kernwaffenmaterial. Das alles sind Facetten eines Konzepts, das allerdings, wie dargestellt, den Schwerpunkt im Bereich der Beratungshilfen hat. Die anderen Hilfen müssen sich in Maßnahmen der Staatengemeinschaft einordnen. Ich habe hier wiederholt betont, daß wir uns überfordern, würden, wenn wir als Deutsche uns daran machten, die dramatischen Fragen der Energieversorgung in der Umstellung auf die marktwirtschaftliche Ordnung und in der Umstellung auf andere Techniken hier allein schultern zu wollen.
Vielen Dank.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär I lerrn Haschke.
Wir kommen zur Frage 1 des Abgeordneten Bredehorn:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob aus dem Brüsseler Agraretat in diesem Jahr dreistellige Millionensummen für die Obst- und Gemüsevernichtung ausgegeben werden sollen, so wie es in einer Pressemitteilung der Verbraucherpolitischen Korrespondenz , Nr. 36 vom 8. September 1992, S. 3, dargestellt wird, und wenn ja, wie hoch werden die Ausgaben sein?
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Bredehorn, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Für Rücknahmemaßnahmen stehen im Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaft für Obst und Gemüse in diesem Haushaltsjahr 334 Millionen Ecu zur Verfügung. Mit diesen Mitteln wird ein Finanzausgleich insbesondere für folgende Maßnahmen gewährt: die Entschädigung der Erzeuger für die vom Markt genommenen Mengen, z. B. die kostenlose Verteilung an Wohltätigkeitseinrichtungen, karitative Stiftungen, Schulkantinen und Justizvollzugsanstalten, die Verwendung als Futtermittel und die Verarbeitung zu Alkohol über 80 %. Es handelt sich nicht um Maßnahmen der Vernichtung, auch wenn ein Verderb nicht immer verhindert werden kann. Die Gemeinschaft unternimmt erhebliche Anstrengungen, um den Verderb möglichst gering zu halten.
Herr Bredehorn.
Herr Staatssekretär, was sagen Sie denn zu der Aussage der AGV in derselben „Verbraucherpolitischen Korrespondenz", daß die Verbraucher und die Steuerzahler durch die aus ihrer Sicht falschen Interventionsregelungen für Obst letztendlich Milliardenbeträge aufbringen müßten?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Der Verbraucherverband setzt die Intervention immer mit der Vernichtung der aus dem Markt genommenen Waren gleich, weil ein Teil der Erzeugnisse, besonders in den südlichen Ländern, wegen entsprechender Temperaturen verdirbt, bevor er einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden kann. Diese Sichtweise ist nicht zutreffend, weil die Gemeinschaft erhebliche Anstrengungen unternimmt, um den Verderb möglichst gering zu halten.
Herr Kollege Bredehorn.
Herr Staatssekretär, die Tatsache, daß Sie die Vernichtung von Obst bestreiten, veranlaßt mich zu der Nachfrage, ob die AGV — vielleicht können Sie auch dazu etwas sagen —, die mit Bundesmitteln gefördert wird, hier denn wirklich Verbraucheraufklärung betreibt.
Herr Staatssekretär.Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Es wäre durchaus sinnvoll, wenn eine gute Verbraucheraufklärung erfolgen würde. Es ist auch zu erwähnen, daß die Bundesregierung, selbstverständlich in Überein-
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Parl. Staatssekretär Gottfried Haschkestimmurig mit der Europäischen Gemeinschaft, alles unternommen hat, um die erhöhte Produktion nicht noch zu honorieren, sondern daß sie im Gegenteil Rodeprämien für entsprechende Obstanlagen gezahlt hat, was sich natürlich besonders in den neuen Bundesländern ausgewirkt hat.
Vielen Dank. Eine Zusatzfrage von Herrn Irmer,
Ich möchte noch wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Verteilungsaktion, die eben geschildert worden ist, und der dann zurückgehenden Nachfrage nach denselben Produkten gibt, ob also durch die Verteilungsaktionen die Nachfrage am Markt wiederum reduziert wird, so daß dann nichtverkäufliche Produkte zurückbleiben.
Herr Staatssekretär.
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Die Verteilungsaktion kann zum Teil kleine Auswirkungen auf den Markt haben; das möchte ich nicht abstreiten. Bloß eines steht fest: daß der Rücknahmepreis, wie er sich nennt, jährlich neu festgelegt wird, daß auf keinen Fall ein Anreiz vorhanden ist, weil dieser Preis erst dann, wenn er unter den Interventionspreis heruntergeht, wirklich zur Anwendung kommt, und daß kein einzelner Erzeuger Antragsteller sein kann, sondern nur Erzeugergemeinschaften. Hiermit soll ein Mißbrauch ausgeschlossen sein.
Veranlaßt Sie das zu einer zweiten Frage?
Gibt es einen Überblick über die Kosten, die durch die Verteilungsaktion entstehen? Wer verwaltet dieses? Nach welchen Kriterien wird verteilt?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Dazu bin ich nicht auskunftsfähig. Die Gesamtsumme, die aus Ausgleichsmitteln gezahlt werden kann, hatte ich eingangs schon genannt. Aber die Kosten der Verteilungsaktion im einzelnen sind jahreszeitlich unterschiedlich und vor allen Dingen auch von den Wachstumsbedingungen abhängig. In diesem Jahr waren gerade bei den Pflaumen die Preise so niedrig, daß hier Rücknahmemaßnahmen einsetzen mußten. Das gleiche kann auch noch bei Äpfeln eintreten.
Herr Tappe.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung solche Vernichtungsaktionen, so sie denn solche sind, angesichts des Hungers in der Welt überhaupt für verantwortbar, und welche alternativen Verwendungsmöglichkeiten gibt es nach Vorstellungen der Bundesregierung für diese Lebensmittel?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Zu Hilfslieferungen in Krisengebiete eignen sich Obst und Gemüse nun wirklich nicht. Erstens können diese Produkte sehr schnell verderben. Zweitens haben sie einen geringen Kaloriengehalt. Ich glaube, es ist doch sinnvoller, daß man dann, wenn man Notleidenden helfen will, konzentrierte Lebensmittel dafür verwendet, die nicht verderben und die sich leicht transportieren lassen,
Vielen Dank.
Im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung werden die Frage 2 des Abgeordneten Jürgen Koppelin und die Frage 3 der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard-Schmid schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ebenfalls wird die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Wolfgang Weng aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Senioren schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation auf. Die Beantwortung der Fragen erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Wilhelm Rawe.
Wir kommen zunächst zur Beantwortung der Frage 5 des Abgeordneten Friedhelm Julius Beucher:
Weiß die Bundesregierung, daß die Deutsche Bundespost POSTDIENST eine Sondermarke zur Rettung des tropischen Regenwaldes herausgegeben hat und über die Verwendung des zu erwartenden Erlöses von 15 Mio. DM weder eine Entscheidung getroffen hat, noch weiß, welches Gremium darüber entscheiden soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, wenn der Kollege Beucher einverstanden ist, würde ich gerne beide Fragen im Zusammenhang beantworten.
Dann rufe ich auch noch die Frage 6 des Abgeordneten Friedhelm Julius Beucher auf:Ist es richtig, daß die Deutsche Bundespost für die erwähnte „Regenwald-Sondermarke" auf der einen Seite mit großen Zeitungsanzeigen wirbt und andererseits nach wie vor Tropenholz verba ut, so wie zum Beispiel am Hamburger Fernsehturm, wo im Juni 1992 50 reparaturbedürftige Fenster gegen Teakholzfenster ausgetauscht wurden?Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Am 11. Juni 1992 wurde das erste Sonderpostwertzeichen mit Zuschlag für den Umweltschutz — Motiv: „Rettet den tropischen Regenwald" — herausgegeben. Dieses Wertzeichen wird zwei Jahre lang an den Schaltern der Deutschen Bundespost Postdienst zum Verkauf angeboten. Es wird ein Spendenaufkommen von ca. 2,5 Millionen DM erwartet. Die Hochrechnung von 15 Millionen DM ist von der Auflagenhöhe von Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag, die im allgemeinen 30 Millionen beträgt, abgeleitet worden. Aber Sonderpostwertzeichen mit Zuschlag werden meistens nur nach Bedarf gedruckt. Wir gehen nach den bisherigen Erfahrungen davon aus, daß eine Auflage von ca. 5 Millionen erreicht werden kann. Das würde den Betrag von 2,5 Millionen DM ergeben.Bis heute ist ein Erlös von 1 225 480 DM erzielt und an den Bundesumweltminister weitergeleitet worden. Ein beirn Bundesumweltminister angesiedeltes Gremium hat in seiner ersten Sitzung am 15. September 1992 über die Verteilung der bis jetzt eingegangenen Erlöse entschieden. Dies erfolgte auf der Grundlage
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Parl. Staatssekretär Wilhelm Rawevon Anträgen der Naturschutzverbände bzw. von Naturschutzgruppen.Im übrigen trifft es zu, daß am Fernsehturm in Hamburg Teakholzfenster eingebaut wurden. Der Einbau dieser Fenster erfolgte, wie uns die Generaldirektion der Telekom mitgeteilt hat, aus gestalterischen wie auch aus konstruktiven Gründen. Das Betriebsgebäude ist von Anfang an mit Teakholzf en-stern ausgestattet worden. Die jetzt neu hinzugekommenen Fenster mußten daher den ursprünglichen angepaßt werden, um den Gesamteindruck des Gebäudes zu erhalten. Um Fenster dieser Größenordnung — es handelt sich um die Größe 1,75 x 3,75 m — herzustellen, ist aus konstruktiver Sicht ein möglichst standfestes und tragfähiges Holz zu verwenden. Diesmit den üblicherweise verwendeten Kiefern- bzw. Fichtenhölzern nicht möglich, daß sie den besonderen Anforderungen nicht genügen.Was Sie aber vermutlich viel mehr interessieren wird, ist, daß die im Fernsehturm eignebauten Fenster aus indonesischem Java-Teakholz hergestellt sind, das nicht aus dem tropischen Regenwald entnommen wird, sondern aus forstlich bewirtschafteten Wäldern stammt, wodurch gewährleistet ist, daß entsprechende I lölzer nachwachsen.
Herr Beucher, bitte,
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Bundespost eigentlich beim Umgang mit Spendengeldern nicht angemessen gehandelt hat, wenn sie zum einen den Eindruck erweckt, mit dein Kauf der Regenwaldbriefmarke würde man unmittelbar dem Regenwald nützen, zum anderen unter ästhetischen Gesichtspunkten ihre eigenen Baumaßnahmen rechtfertigt und dann erst auf öffentlichen Druck hin ein Gremium einsetzt, das zwar nach Ihrer Aussage Naturschutzgruppen mit ihren Anregungen berücksichtigen will, aber Naturschutzgruppen, wie z. B. Greenpace, von der Beschlußfassung a usschließt?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will gern versuchen, das Bündel Ihrer Fragen einigermaßen sachgerecht zu beantworten.
Erstens ist das Gremium nicht eingesetzt worden, nachdem Teakholz eingebaut worden ist. Sie haben ganz offensichtlich meinen unter Umweltschutzaspekten richtigen Zusatz nicht richtig aufgenommen. Wie wollen Sie denn Wald künftig überhaupt wirklich schützen, wenn Sie einen forstlich bewirtschafteten Wald nicht so nutzen, daß er Erträge abwirft, damit er weiter forstlich genutzt werden kann und tatsächlich dem Naturschutz dient?
Das zweite ist: Sie können der Deutschen Bundespost/Postdienst und auch meinem Hause keinen Vorwurf machen. Wir sind einer Anregung gefolgt, eine solche Zuschlagmarke aufzulegen. Wir haben das getan. Wir haben den Erlös dem Umweltminister, der ja wohl für solche Aufgaben zuständig sein sollte, zur Verfügung gestellt.. Er hat die Mittel in der Tat über ein fachmännisches Gremium an Institutionen gegeben, die in dem einschlägigen Bereich tatsächlich tätig werden. Zwei Projekte liegen, soweit ich das
weiß, im Regenwald. Der Regenwald liegt ja nicht nur in Brasilien, sondern es gibt ihn auch an anderen Stellen in der Welt. Zwei Projekte werden von der Universität Hanoi in Vietnam betrieben; bei einem dritten, in Kamerun, geht es um Unterrichtsmaterialien. Das sind durchaus Gebiete, deren Schutz wir uns widmen sollten.
Herr Beucher, bitte.
Ist es denn nicht richtig, was der Bundesminister für Umwelt und Naturschutz gesagt hat, daß nämlich der Erlös der Marken für Umweltbildung im weitesten Sinne verwendet werden würde? So konnte ich es der Pressemitteilung entnehmen. Ich dachte, es sei entscheidend, daß das Geld unmittelbar zur Rettung des Regenwaldes verwendet würde. Das entnahm ich der Anzeigenkampagne der Post. Ich begrüße es, wenn Umweltbewußtsein auf diese Art und Weise geweckt wird. Ich dachte eben, daß es unmittelbar verwendet würde.
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie noch bessere Vorschläge für die Verwendung der Mittel machen können, als ich sie jetzt gerade vorgetragen habe, dann bin ich ganz sicher, daß der Umweltminister gern darauf eingeht.
Frau Abgeordnete Ganseforth, bitte.
Wenn das Teakholz schon aus den Wäldern Indonesiens, aus Java, kommt — das sind ja auch Tropenwälder; wir von der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" haben diese Wälder besucht —, dann könnte ich Ihnen einen guten Vorschlag machen, wo Sie in Indonesien forstwirtschaftlich und bei der Regenwaldnutzung helfen könnten. Es gibt im Rahmen der deutschindonesischen Zusammenarbeit ein Projekt auf Borneo — —
Wollten Sie eine Frage stellen?
Ja, ich wollte fragen, ob Sie in dieses Bildungsprojekt, in diese Universität Gelder aus der genannten Quelle hineinstecken könnten. Als wir dort waren, haben wir gehört, daß man große Probleme hat, weil die zeitliche Ausdehnung der forstwirtschaftlichen Untersuchungen länger ist, als die Entwicklungsmittel reichen. Das wäre ein Projekt. Wenn Sie keine andere Möglichkeit kennen, möchte ich Sie fragen, oh Sie dieses mit in die Prüfung einbeziehen können.Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, ich bitte freundlich um die Erlaubnis, antworten zu dürfen, auch wenn ich keinen unmittelbaren Sachzusammenhang sehe.Erstens habe ich ganz deutlich gesagt: Mit dem am Fernsehturm verwendeten Teakholz wird Umwelt-
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Parl. Staatssekretär Wilhelm Raweschutz betrieben. Sie müssen nämlich ganz folgerichtig zu Ende denken. Wie wollen Sie denn überhaupt noch Wälder erhalten, wenn Sie forstwirtschaftlich genutzte Wälder nicht in die Lage versetzen, Erträge zu erzielen, damit sie weiter für den Umweltschutz vorhanden sind?Weiterhin habe ich — ich bitte um Nachsicht — schon gesagt: Die Zuständigkeit liegt nicht beim Bundesminister für Post und Telekommunikation, sondern beim zuständigen Fachminister, dem Umweltminister. Dem will ich Ihre Vorschläge gern zuleiten.
Sie haben noch eine Zusatzfrage?
Ist Ihnen bekannt, daß die forstwirtschaftliche Nutzung in Indonesien und anderen Ländern durchaus zum Raubbau beiträgt, weil weder die Kontrollen ausreichen noch die Umlaufzahlen für die Wälder, wie wir vor Ort gesehen haben? Was Sie als umweltschonende forstwirtschaftliche Nutzung beschreiben, entspricht keinesfalls der Wirklichkeit. Ist Ihnen das bekannt?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Sie werden es mir nachsehen, wenn ich eine solche Behauptung einer Wertung nicht unterziehe.
Herr Abgeordneter Irmer, bitte.
Ich möchte den Staatssekretär gern fragen, ob er denn ausschließen kann, daß bei der Herstellung des Papiers, auf das diese Briefmarken gedruckt worden sind, Holz aus tropischen Regenwäldern verwendet worden ist.
Wilhelm Rawe, Par]. Staatssekretär: Ich denke, das kann ich deswegen ausschließen, weil das Papierholz im allgemeinen aus Europa kommt.
Damit ist diese Frage beantwortet.
Ich gehe zum nächsten Geschäftsbereich über, zu dem des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Jürgen Echternach.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer auf:
Erwägt oder plant die Bundesregierung Maßnahmen, um dem gestiegenen Baulandbedarf — vor allem in Ballungsräumen —Rechnung zu tragen ?
Frau Präsidentin, Herr Kollege Dr. Meyer, die Bundesregierung bereitet zur Zeit den Entwurf eines Wohnbaulandgesetzes vor. Das Gesetzgebungsverfahren soll Anfang nächsten Jahres eingeleitet werden. Das Wohnbaulandgesetz wird den Kommunen Instrumente zur vereinfachten und beschleunigten Ausweisung von Wohnbauland, insbesondere auch in den Ballungsräumen, zur Verfügung stellen.
Herr Dr. Meyer, bitte.
Herr Staatssekretär, ist in diesem Gesetzentwurf auch daran gedacht, die Problematik der Nutzungsdichte in vorhandenen Wohngebieten anzugehen, etwa dadurch, daß man Instrumente zur Baulückenschließung und zur Nachverdichtung schafft? Denkt man in diesem Zusammenhang auch an die Einführung einer Höchstwohnfläche pro Kopf der Bevölkerung.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das letztere ist wohl kaum möglich. Ansonsten beziehen wir zur Zeit alle Möglichkeiten in die Überlegungen ein, wie die Ausweisung von Bauland für die Gemeinden erleichtert werden kann. Ich kann jetzt noch nichts zum Gesetzentwurf sagen, weil er bisher erst vorbereitet wird, aber noch nicht beschlossen ist.
Zweite Frage.
Herr Staatssekretär, gibt es denn Überlegungen zu dem aktuellen Problem des Flächenrecyclings, also der Bebaubarmachung von umweltgeschädigten Industriebrachen, etwa dadurch, daß man nach dem Vorbild einzelner Bundesländer auch seitens der Bundesregierung an Bodenfonds denkt, die diese Aufgabe lösen helfen könnten?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir sehen das von Ihnen angesprochene Problem durchaus als schwerwiegend an und versuchen, seine Lösung im Rahmen der Städtebauförderung mit zu unterstützen, indem wir erhebliche Mittel dafür bereitstellen. Allerdings müssen hier auch die Länder und die Kommunen entsprechende Prioritäten setzen. Dort, wo derartige Vorhaben von den Ländern in ihre Prioritätenliste aufgenommen werden, unterstützen wir sie mit Städtebauförderungsmitteln.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit. Die Beantwortung der Fragen erfolgt durch die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl.
Ich rufe Frage 8 des Abgeordneten Werner Ringkamp auf.
In welchen Ländern des europäischen Auslandes wird das deutsche medizinische Staatsexamen als Berufsqualifikation noch anerkannt, und welche zusätzlichen Zeugnisse werden in den außereuropäischen Ländern von deutschen Medizinern verlangt, bevor sie als Arzt beruflich tätig werden dürfen?
Herr Kollege Ringkamp, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Anforderungen für die Zulassung zur ärztlichen Berufsausübung sind weltweit sehr unterschiedlich. So müssen beispielsweise in den USA, in Australien, in Brasilien, in El Salvador, in Malta, in Sri Lanka und Thailand Ärzte, die ihre Ausbildung im Ausland
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992 9541
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohlabsolviert haben, generell eine Zusatzprüfung in dem betreffenden Land ablegen, um dort ärztlich tätig werden zu können. Dies gilt allgemein für ein im Ausland absolviertes Medizinstudium, nicht nur für das deutsche medizinische Staatsexamen.In den übrigen außereuropäischen Staaten erfolgt eine Anerkennung der ausländischen Diplome durch die zuständige Behörde. Wie hier im Einzelfall mit dem deutschen medizinischen Staatsexamen verfahren wird, ist nicht bekannt.
Herr Ringkamp.
Beabsichtigt die Bundesregierung, auf Bundesländer oder Hochschulen hinzuwirken, damit solche im außereuropäischen Ausland anerkannten Zusatzqualifikationen für Ärzte auch schon in Deutschland erworben werden können, und zwar insbesondere im Hinblick darauf, daß ja ab 1999 der Zugang zum Arztberuf durch das Gesundheits-Reformgesetz geändert werden soll?
Ich glaube, Herr Kollege Ringkamp, das ist für die außereuropäischen Staaten sehr schwierig, weil die Bedingungen für das Tätigwerden als Arzt in diesen Staaten sehr unterschiedlich sind. Ich glaube, man muß im Einzelfall prüfen, welche zusätzlichen Ausbildungen notwendig sind. Daran sollte sich eine Oberprüfung anschließen, ob diese zusätzlichen Ausbildungen in Deutschland möglich sind.
Ich rufe Frage 9 des Herrn Abgeordneten Werner Ringkamp auf:
Welche Möglichkeiten gibt es für deutsche Medizinstudenten in Deutschland, Nachweise zu erwerben, damit sie im außereuropäischen Ausland als Ärzte tätig werden können?
Herr Kollege Ringkamp, die zusätzlichen Nachweise für das Tätigwerden als Arzt, die in einigen außereuropäischen Ländern neben einer ausländischen ärztlichen Ausbildung verlangt werden, müssen in der Regel in dem betreffenden Land selbst erworben werden. Möglichkeiten, diese in der Bundesrepublik Deutschland zu erwerben, gibt es allgemein nicht.
Die Frage 10 des Abgeordneten Ludwig Stiegler und die Frage 11 des Abgeordneten Ortwin Lowack werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Die Beantwortung der Fragen erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Wolfgang Gröbl.
Ich rufe Frage 12 der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel auf:
Welche Gründe bewegen den Bundesminister für Verkehr, sich einer persönlichen Kenntnisnahme der politischen Forderungen von Seemannsfamilien zur Verbesserung der Arbeits-und Lebensbedingungen an Bord von Seeschilfen zu verweigern?
Frau Kollegin, der Bundesminister für Verkehr verweigert sich nicht der Kenntnisnahme dieser Forderungen, sondern er hat vielmehr dem Verband der Seemannsfrauen bereits eingehend sachlich geantwortet. Darüber hinaus hat er einen weiteren Gedankenaustausch mit der Abteilung Seeverkehr des Bundesverkehrsministeriums angeboten, wie er ja schon mehrfach stattgefunden hat. Diese Begegnung ist für den 11. Januar 1993 vereinbart.
Frau Wetzel.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es inzwischen einen weiteren Schriftwechsel zwischen dem Bundesminister für Verkehr und dem Verband der Seemannsfrauen gegeben hat, in dem diese ihrer Enttäuschung darüber Ausdruck verliehen haben, daß der Minister offensichtlich nicht bereit war, ihre Sorgen und Ängste um das Leben und die Gesundheit ihrer Männer an Bord und angesichts der Probleme, die sich mit der zunehmenden Ausflaggungswelle und auch mit der Verdrängung der deutschen Seeleute vom Arbeitsmarkt durch ausländische Arbeitskräfte ergeben, zur Kenntnis zu nehmen? Die Seemannsfamilien haben den Eindruck, der Bundesminister müßte sich in intensiverer und geeigneterer Form ihrer Sorgen annehmen. Sie lehnen es deshalb ab, die Unterschriftenlisten, um die es geht, auf unterer Ebene abzugeben. Ich verzichte auf die zweite Zusatzfrage, weil diese Zusatzfrage so lang ist. Meine Frage an Sie ist —
Jetzt wird erst einmal diese Zusatzfrage beantwortet. — Herr Staatssekretär.
Wolfgang Gröbl, Part, Staatssekretär: Die von Ihnen geschilderte Enttäuschung wird sicherlich gemildert oder gar aufgehoben, wenn die Seemannsfrauen durch Sie erfahren, was der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages heute an Finanzhilfen für die Seeschiffahrt beschlossen hat.
Ich füge ein Zweites hinzu. Wenn Ihnen meine Ebene hoch genug erscheint, um dieses Gespräch zu führen, dann biete ich das gerne an.
Zweite Frage.
Ich bedanke mich für das Angebot. Genau dies wollte ich in Fortsetzung der ersten Zusatzfrage in Erfahrung bringen. Ich wollte Sie nämlich fragen, ob Sie, stellvertretend für den Minister, bereit sind, die von den Seemannsfamilien gesammelten Unterschriften gegebenenfalls im Rahmen dieser Fragestunde in Empfang zu nehmen, um damit den Mangel des Ministers auszugleichen.
Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär: Von einem Mangel des Ministers kann nicht die Rede sein. Aber selbstverständlich nehme ich gerne die Gelegenheit wahr, Unterschriften von Ihnen entgegenzunehmen.
Die Fragen 13 und 14 der Abgeordneten Elke Ferner werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
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Präsidentin Dr. Rita SüssmuthIch rufe Frage 15 des Abgeordneten Horst Kubatschka auf:Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor über den zusätzlichen Kraftstoffverbrauch und die Schadstoffemissionen im Luftverkehr, die durch die Wartezeiten im überfüllten deutschen Luftraum verursacht werden, und bereitet sie entsprechende Initiativen vor, um diese Umweltbelastung zu begrenzen?Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Gesamtzahlen für den deutschen Luftraum waren in der Kürze der Zeit nicht verfügbar. Nach Angaben der Deutschen Lufthansa wurde im Bereich des Passagierverkehrs der Deutschen Lufthansa im Jahr 1991 bei insgesamt etwa 260 000 Flügen rund 10 000 Stunden in Warteschleifen geflogen. Hochrechnungen ergeben hierfür einen Brennstoffverbrauch, der etwa 1 % des Gesamtbrennstoffverbrauchs der Deutschen Lufthansa ausmacht. Der jährliche Gesamtbrennstoffverbrauch beträgt rund 3,2 Millionen t Kerosin.Ausführliche Angaben zu den bei der Verbrennung von Kerosin auftretenden Reaktionsprodukten hat die Bundesregierung bereits in der Antwort in Drucksache 12/2183 vom 4. März 1992 zur Kleinen Anfrage der SPD zum Thema „Forschungsvorhaben zur Umweltverträglichkeit des Luftverkehrs" gemacht.Ich komme nun zum zweiten Teil Ihrer Frage. Initiativen zur Verbesserung der Situation betreffen vor allem national die Organisationsprivatisierung der Flugsicherung zum 1. Januar 1993 sowie international die Harmonisierung und die Integrierung benachbarter Flugsicherungssysteme; hierzu nenne ich das Stichwort Eurocontrol. Auch hierzu darf ich auf die Antwort der Bundesregierung in Drucksache 12/1877 vom 27. Dezember 1991 zur Kleinen Anfrage der SPD zum Thema „Emissionsminderung beim Flugverkehr" verweisen.
Herr Kubatschka.
Herr Staatssekretär, in einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung" vom 21. September wird davon gesprochen, daß europaweit 116 000 Flugstunden pro Jahr verlorengehen. Das ergibt einen finanziellen Verlust von 5 Milliarden Dollar. Wenn keine Abhilfen geschaffen werden, würden sich diese Zahlen bis zum Ende des Jahrzehnts verdoppeln. Wie beurteilt die Bundesregierung diese Situation?
Wolfgang Gröbl, Parl, Staatssekretär: Ich kann die Zahlen von hier aus nicht nachprüfen. Aber unabhängig davon, ob diese oder ähnliche Zahlen richtig sind, wird sehr deutlich die Notwendigkeit aufgezeigt, den Flugraum noch besser zu ordnen, als es gegenwärtig der Fall ist. Das ist der Grund für die sehr intensiven Bemühungen auf nationaler und internationaler Ebene.
Der wirtschaftliche Schaden ist die eine Seite, der ökologische Schaden ist die andere Seite. Beides ist sehr hoch zu bewerten,
Herr Kubatschka.
Herr Staatssekretär, da Sie gerade den wirtschaftlichen Schaden angesprochen haben, frage ich Sie: Können Sie beziffern, wie hoch die finanziellen Verluste der Lufthansa auf Grund des überfüllten Luftraums sind?
Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das müßte man ausrechnen, wobei sicherlich nicht nur der Kerosinverbrauch anzusetzen ist, sondern auch der Schaden, den eine Fluggesellschaft dadurch hat, daß ihre Flugzeuge nicht so pünktlich sein können, wie das von der Fluggesellschaft vorgesehen ist. Auch das hat Auswirkungen auf das Passagierverhalten. Ich bin gerne bereit, die Lufthansa diesbezüglich zu befragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. Paul Laufs zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Horst Kubatschka auf:
Wie hoch sind die durch die Abgabe radioaktiver Stoffe mil der Abluft und dein Abwasser bei den atomaren Zwischenlagern, z. B. beim Transportbehälterlaqer und beim Faßlager Gorleben, der EVU-Lagerhalle Mitlerteich und dem Zwischenlager Karlsruhe, hervorgerufenen Strahlenexpositionen der in der Umgebung lebenden Personen, und werden die in der Verordnung über die Gewährleistung von Atomsicherheit und Strahlenschutz festgelegten Grenzwerte eingehalten?
I lerr Kollege Kubatschka, soweit bei atomaren Zwischenlagern überhaupt radioaktive Stoffe mit Abluft oder Abwasser in die Umwelt abgegeben werden, sind diese so gering, daß sie keine nennenswerte Strahlenexposition der in der Umgebung lebenden Bevölkerung zur Folge haben.
Die Dosisgrenzwerte der Strahlenschutzverordnung und der Verordnung über die Gewährleistung von Atomsicherheit und Strahlenschutz werden eingehalten.
Herr Kubatschka.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Frage: Wird das, was Sie gerade gesagt haben, durch Messungen nachgewiesen?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Aber selbstverständlich gibt es dazu Untersuchungen. Mir ist bekannt, daß im Kernforschungszentrum Karlsruhe Untersuchungen und Hochrechnungen durchgeführt worden sind. Sie ergeben dort eine maximale Dosisbelastung von 0,36 Mikrosievert pro Jahr, also einen völlig vernachlässigbaren Wert.
Herr Kubatschka.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung diese Werte zukünftig in ihren jährlichen Bericht über Umwelt, Radioaktivität und Strahlenbelastung aufnehmen? Bisher ist dies nämlich nur teilweise, nur zum kleinsten Teil geschehen.Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich werde das prüfen,
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Die Fragen 17 und 18 der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Die Frage 19 des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler, die Frage 20 des Abgeordneten Ortwin Lowack und die Frage 21 des Abgeordneten Joachim Tappe werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
lch rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Freimut Duve werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten HansJoachim Fuchtel auf:
Was ist der Bundesregierung über kommerzielle Schlepperorganisationen zum Zwecke der Einreise als Asylbewerber bekannt?
Herr Kollege Fuchtel, die Antwort lautet: Für die Wanderungs- und Flüchtlingsströme auf dem europäischen Kontinent besitzt Deutschland als Ziel- und Transitland seit Jahren eine besondere und ständig zunehmende Anziehungskraft. Die steigende Zahl von Asylbewerbern 1989: 121 314, im Jahre 1992 bis zum 30. September: 319 674 — und von an den Grenzen festgestellten illegal eingereisten Ausländern — 1989: 8 531, im Jahre 1992 bis zum 30. September: ca. 32 000 belegen diese Tendenz sehr eindrucksvoll.
Nach vorliegenden Erkenntnissen gelingt weit mehr als der Hälfte der Ausländer die illegale Einreise mit Unterstützung von Schleusern. Dabei stellen humanitäre oder verwandtschaftliche Hilfeleistungen nur in relativ wenigen Fällen das Motiv für das Handeln der Schleuser dar. Weit häufiger stehen andere Beweggründe im Vordergrund, wie z. B. finanzielle Anreize durch hohe Schleuserentlohnungen, Ausnutzung der Geschleusten für Begleit- und Folgekriminalität bis hin zum Aufbau krimineller Organisationen in Deutschland.
Darüber hinaus verfügt die Bundesregierung auf Grund bei der Grenzschutzdirektion Koblenz und den Grenzschutzämtern durchgeführter Ermittlungsverfahren über Erkenntnisse bzw. Hinweise zu weltverzweigten Schleuserorganisationen mit Zentralen im In- und Ausland, von denen aus in strenger Hierarchie und in klar voneinander getrennten Handlungsbereichen Schleusungsaktivitäten koordiniert und straff organisiert werden.
Vielfach handelt es sich daher um Bereiche der organisierten Kriminalität, die sich aber aus folgenden Gründen nur schwer nachweisen lassen.
Die Drahtzieher auf der sogenannten Chef- und Managementebene hallen sich überwiegend im Ausland auf und schotten sich weitgehend zur eigentlichen Aktionsebene ab. Die Handlungsbereiche auf der Aktionsebene zeichnen sich innerhalb der ethnischen Gruppen ebenfalls durch starke innere und äußere Abschottung aus. Die Geschleusten werden sowohl während der Reise als auch später im Inland durch Drohungen mit Repressalien zum Schweigen gezwungen bzw. sind durch ihr eigenes kriminelles Verhalten erpreßbar, so daß es an wertvollen Zeugenbeweisen mangelt. Die räumliche Distanz zwischen Einreise- und Aufenthaltsort sowie die Vielfalt der durch eingeschleuste Ausländer begangenen An- schlußdelikte erschweren zunehmend die Festlegung von Ermittlungszuständigkeiten bei Polizei und Justiz.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fuchtel.
Herr Staatssekretär, wie sieht der weitere Kurs der Bundesregierung bezüglich der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes aus, wonach ausländische Fluggesellschaften nicht mehr mit einer finanziellen Belastung belegt werden sollen, wenn sie Leute ohne Visum mitnehmen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Wir haben mit den ausländischen Fluggesellschaften regelmäßig Gespräche geführt. Wir sind noch zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen. Wir hoffen, daß diese Gespräche zu einem einsichtigen Verhalten und den entsprechenden Gegenmaßnahmen der Fluggesellschaften führen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fuchtel, bitte.
Gilt diese Regelung, Leute nur mit Visum mitzunehmen, auch für die Lufthansa, oder gibt es da Sonderregelungen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Nein, das gilt auch für die Lufthansa.
Zusatzfrage des Abgeordneten Tappe.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Zusatzfrage zu Ihrer Antwort auf die erste Frage. Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse über die I-Iöhe von Zahlungen an Schlepperorganisationen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Nur sehr vage. Es gibt Schätzungen zwischen 3 000 und 30 000 DM.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Hans-Joachim Fuchtel auf:Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung zur Unterbindung dieser Aktivitäten?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Grenzschutzdirektion Koblenz und seit dem 1. April 1992 a uch die regional zuständigen Grenzschutzpräsidien haben zur Bekämpfung der illegalen Einreise von Ausländern im allgemeinen und der Schleuserkrimi-
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9544 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
verstärkte Grenzfahndung und -überwachung an den erkennbaren Brennpunkten entlang der deutsch-polnischen und der deutschtschechoslowakischen Grenze; Ausbildungs- und Einsatzmaßnahmen in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit, den Landes- und örtlichen Arbeitsämtern zur Bekämpfung des Teilkomplexes der grenzüberschreitenden Arbeitnehmervermittlung und -überlassung; Beschulung von eigenen und ausländischen Grenzschutzbeamten sowie Personal der deutschen Auslandsvertretungen und Luftverkehrsgesellschaften zum besseren Erkennen von Urkundenfälschungen; Intensivierung der Zusammenarbeit mit den benachbarten ausländischen Grenzpolizeien.
Darüber hinaus hat die Innenministerkonferenz im Mai dieses Jahres auf Vorschlag einer Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des Bundesministers des Innern eine „Richtlinie für den Informationsaustausch Schleuser" beschlossen. Außerdem ist die Einrichtung einer bundesweiten Arbeitsdatei in Vorbereitung. Die Verbesserung des Informationsaustausches zwischen allen mit der Bekämpfung der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts von Ausländern und damit zusammenhängender Straftaten befaßten Dienststellen des Bundes und der Länder ist entscheidend, um die Erkenntnisdefizite über die Schleuserkriminalität zu verringern.
Auf internationaler Ebene werden auf der Grundlage bilateraler Verträge mit Polen, der CSFR, Ungarn und Bulgarien, auf der Basis von Absprachen mit den EG-Mitgliedstaaten sowie in Erfüllung der Beschlüsse der Berliner Konferenz vom 30./31. Oktober 1991 taktische Konzepte entwickelt, die gemeinsame und abgestimmte Bekämpfungsmaßnahmen zum Ziel haben.
Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Fuchtel.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß ein Pilot der Lufthansa die Rückbeförderung eines abgelehnten Asylbewerbers verweigert hat?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Dies ist mir nicht bekannt.
Weitere Zusatzfrage.
Welches sind die Fluggesellschaften, die am meisten Asylbewerber ohne Visum transportieren?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fuchtel, dies kann ich Ihnen im Augenblick aus den Unterlagen, die mir hier zur Verfügung stehen, nicht beantworten. Ich biete Ihnen an, Sie schriftlich zu informieren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kubatschka.
Herr Staatssekretär, Sie haben eine ganze Reihe von Maßnahmen — wie Kommissionsbildungen usw. — aufgeführt. Welchen Erfolg hatten diese Maßnahmen, auf deutsch: Wie viele Schleuser wurden erwischt?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß es bis zum 30. September ca. 32 000 waren.
Ich rufe nunmehr die Frage 26 des Abgeordneten Tappe auf:
Wie viele Menschen — differenziert nach deutschen und ausländischen Bürgern — wandern jährlich aus der Bundesrepublik Deutschland aus?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Tappe, nach den Ergebnissen der amtlichen Wanderungsstatistik hat sich die Zahl der Fortzüge über die Grenzen des Bundesgebietes nach dem Gebietsstand vor dem 30. Oktober 1990 in den Jahren 1987 bis 1990 wie folgt entwickelt: 1987: insgesamt 398 518; davon Deutsche: 64 534, Ausländer: 333 984. — Erlauben Sie, daß ich jetzt gleich die Zahlen für 1990 vortrage; sonst lese ich hier nur Zahlenkolonnen vor. 1990: insgesamt 574 378; davon Deutsche: 108 908, Ausländer: 465 470.
Unter Einschluß des Beitrittsgebietes betrug die Zahl der Fortzüge im Jahre 1991 insgesamt 582 240; davon entfielen auf Deutsche 84 764 und auf Ausländer 497 476.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tappe.
Ich habe zunächst die Bitte, daß Sie mir die Zahlen, die Sie hier jetzt nicht vorgetragen haben, schriftlich zur Verfügung stellen.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Das biete ich Ihnen hiermit an.
Danke schön. — Ich halte diese Zahlen für enorm hoch. Geht die Bundesregierung davon aus, daß sich dieser Trend es sind in der Zwischenzeit gut eine halbe Million pro Jahr — fortsetzt?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Es gibt keine Hinweise darauf, daß sich der Trend ändern könnte.
Weitere Zusatzfrage.
Welche Rückschlüsse und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesen Zahlen bezüglich der Entwicklung der Gesamtbevölkerung in unserem Lande?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Tappe, ich bin etwas überfordert, wenn ich Ihnen jetzt sagen soll, welche Statistiken sich im Hinblick auf die demographische Entwicklung unserer Bevölkerung in den kommenden Jahren ergeben und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Sie müssen bedenken, daß den rund 500 000 Fortzügen erhebli-
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerche Zuwanderungen gegenüberstehen. Das heißt, es dürfte sich in unserem Land alles in allem eher um eine wachsende und weniger um eine abnehmende Bevölkerung handeln.Über die Motive kann ich Ihnen nichts sagen. Ich nehme an, daß es häufig Familienzusammenzug ist bzw. hei den Ausländern darum geht, zu den Verwandten heimzuziehen.
Vielleicht hilft die Information, die man Ihnen jetzt gibt.
Aber inzwischen kann, Herr Staatssekretär, der Abgeordnete Schily seine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, können Sie die Zahl der Fortzüge noch etwas differenzierter darstellen, etwa nach Personengruppen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schily, ich habe hier keine Unterlagen vorliegen, die mir das ermöglichen würden. Aber ich gehe der Frage nach. Wenn es Material dazu geben sollte, werde ich es — das biete ich Ihnen an — für Sie heraussuchen lassen.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt auf: Aktuelle Stunde
Aktueller Stand der GATT-Verhandlungen im Rahmen der sogenannten Uruguay-Runde
Die Aktuelle Stunde zu dem vorstehenden Thema hat die Fraktion der SPD beantragt.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist eröffnet. Das Wort hat zunächst einmal der Abgeordnete Norbert Wieczorek.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Durchführung dieser Aktuellen Stunde über die gegenwärtige GATT-Runde ist wohl mehr als berechtigt; denn es ist nicht fünf vor zwölf, sondern eine Minute vor zwölf. Es hat aber trotzdem den Anschein, als würde nicht entschlossen genug gehandelt und entschieden.Ich darf daran erinnern: Die Bundesrepublik erwirtschaftet ca. ein Drittel ihres Sozialprodukts im Außenhandel. Unser Reichtum, unsere Wirtschaft lebt vom freien und geordneten Welthandel; dafür brauchen wir das GATT. Und mit dem neuen GATT-Abkommen sollen wichtige und erheblich bessere Regelungen für eben diesen Handel verbindlich festgeschrieben werden. Warum kommt es dann nicht zu diesem neuen Abkommen? Weil es nicht gebraucht wird? — Das kann ja wohl nicht sein; es ist dringlicher als je zuvor.
In allen Industrienationen haben wir im Moment eine mehr oder minder starke Rezession. Es zeichnet sich auch die Gefahr einer dauerhaften Wachstumskrise ab. Uns drohen Abwertungswettläufe — einiges davon haben wir schon erlebt —, der Protektionismus blüht auf, und die Anzeichen für Handelsblockbildungen in Nord- und Südamerika und in Asien nehmen zu; die Abkommen über die Schaffung einiger dieser Handelsblöcke sind schon verabschiedet.Die Entwicklungsländer, die in Genf große Konzessionen an die Industrieländer gemacht haben — ich erinnere etwa an den Schutz geistigen Eigentums —, fragen sich inzwischen: Warum haben wir eigentlich diese Konzessionen gemacht? Warum das alles? Alles nur, weil die EG und die USA sich über den Abbau von Agrarsubventionen und über Neuregelungen im Dienstleistungsbereich nicht einigen können?
Das stimmt ja wohl nicht! Die USA haben gerade in den letzten Tagen mehr als deutlich signalisiert — ich bitte, das sehr ernst zu nehmen —, daß sie bei der Regelung von Dienstleistungen zu einem Kompromiß bereit sind. Und die Spatzen pfeifen es von den Dächern, daß die Agrarproblematik durchverhandelt ist. Die Lösungen sind — auf der Basis der EGAgrarreformbeschlüsse — tatsächlich greifbar nahe. Es liegt also nicht am Inhalt der Verhandlungen, daß wir noch nicht zum Ende gekommen sind.Woran liegt es aber dann? Das deutsche Interesse — auch das Interesse der anderen vom Welthandel abhängigen Nationen — gebietet es — ich sage das in aller Deutlichkeit —, hier Roß und Reiter zu nennen. Bei aller engen Freundschaft zu Frankreich muß ich hier deutlich sagen: Es ist unerträglich, wenn die französische Regierung den möglichen GATT-Abschluß weiter verzögert und die EG-Kommission dieses französische Interesse in ihrer Verhandlungstaktik so stark berücksichtigt, wie sie das bisher getan hat.
— Das sage ich Ihnen gern: Es geht hier um die Interessen der Arbeiter — es geht letzten Endes, wenn es hier nicht vorangeht, um Beschäftigung —, und die haben im Vordergrund zu stehen.Es ist auch kein allgemeines französisches Interesse. Es ist das Interesse eines Teils der französischen Landwirtschaft, und es ist das Interesse — das sage ich ebenfalls sehr deutlich — einer geschwächten Regierung, die nicht mehr wagt, zukunftweisende Entscheidungen zu treffen, die im übrigen auch im Interesse ihrer eigenen exportstarken Industrie liegen würden. Es ist nicht zu verantworten, daß hier mit Verzögerung und Verschleierung weiter taktiert wird.
— Das tun wir, Herr Irmer. Nur, ich sage Ihnen jetzt, wer die eigentliche Verantwortung hat, nämlich diese Bundesregierung und der Bundeskanzler.
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9546 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992
Dr. Norbert WieczorekEr muß jetzt mit Mitterrand einmal Tacheles reden. Wir haben bei Maastricht alle möglichen Konzessionen gemacht. Wir haben bei der Stabilisierung des Franc alles Mögliche getan. Das war notwendig und richtig; ich kritisiere das nicht. Aber jetzt liegt es am Kanzler, Herrn Mitterrand zu sagen, daß es so nicht weitergeht. Es kann nicht sein, daß französische Partikularinteressen die Weltwirtschaft in eine noch tiefere Krise stürzen. Eigentlich sollten Sie der gleichen Ansicht sein, die ich hier vortrage, und sich nicht darüber amüsieren; denn die Lage ist sehr ernst. Die deutsch-französische Freundschaft kann im übrigen nicht bestehen, wenn sie aus blinder Rücksichtnahme besteht. Hier ist genau der Punkt, über den in aller Offenheit geredet werden muß; denn sonst hat diese Freundschaft auf die Dauer keine vernünftige Basis.
Am 16. Oktober werden wir den Gipfel in Birmingham haben. Wie man den Zeitungen entnehmen kann, ist da ja nicht viel übriggeblieben. Es ist dringend nötig, daß auf diesem Gipfel klar wird, daß das GATT-Abkommen hier und heute endgültig zu Ende gebracht werden muß.
Wenn der Kanzler das nicht schafft — auch das sage ich in aller Deutlichkeit —, dann werden nicht nur wir, sondern auch viele andere in der Welt sagen, daß die deutsche Bundesregierung mit daran Schuld trägt:
Schuld aber nicht nur am Scheitern dieses Vertrages, sondern auch daran, daß die Folgen für die Weltwirtschaft negativ sein werden, was wiederum negative Folgen für unsere Arbeitsplätze, aber auch für die Arbeitsplätze und Wirtschaftsinteressen unserer Handelspartner hat. Das sollte man ernst nehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Peter Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich befürchte, niemand in der Öffentlichkeit wird es uns heute abnehmen, wenn wir hier erneut einen erfolgreichen Abschluß der GATT-Runde beschwören und vor einem Scheitern der Verhandlungen warnen. Immer wieder abgebrochene und verschobene Verhandlungen, immer wieder neue Szenarien in der Presse und immer wieder neue Spekulationen über die Verhandlungspositionen — all das muß sich der Öffentlichkeit als ein unverständliches Spektakel darstellen, das sich durch seine permanente Wiederholung zu einem wirklichen Drama entwickelt, dem allerdings inzwischen die Glaubwürdigkeit abhanden gekommen ist. Man muß sich wirklich fragen, was die Öffentlichkeit von den andauernden Verhandlungen denken muß und welchen Eindruck unmittelbar Betroffene von diesem Szenario bekommen, etwa die betroffenen Wirtschaftsverbände.Die Bundesregierung, Herr Wieczorek, hat mehrfach unter Beweis gestellt, daß es nicht Deutschland ist, das ein Vorankommen der Verhandlungen blokkiert. In vielen Gesprächen und Briefen hat Bundeskanzler Kohl auf einen erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde gedrängt. Ihm ist es zu danken, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft bisher soweit gekommen sind.
nicht zu danken?!)Die CDU/CSU begrüßt diese Bemühungen und dankt der Bundesregierung — ich hoffe: gemeinsam mit der Opposition — sehr herzlich.
Meine Damen und Herren, wir haben in den vergangenen Wochen häufig über Europa gesprochen. In der letzten Woche haben wir bei der Diskussion um den Maastrichter Vertrag davor gewarnt, in allein nationalen Schrebergärtnerkategorien zu denken. Auch im Rahmen des GATT müssen wir davor warnen, in alte Nationalismen und Chauvinismen zurückzufallen.
Um so mehr müssen wir darum die Verhandlungspartner zu tatsächlichen Verhandlungspartnern und nicht zu Verhandlungsgegnern werden lassen. Geschieht dies nicht, ist es mit der Vorbildfunktion der Großen vorbei.Die CDU/CSU appelliert darum nachdrücklich an die Verantwortung Japans, der Vereinigten Staaten und der Europäischen Gemeinschaft. Die Öffentlichkeit erwartet Kooperation statt Konfrontation, Kompromiß statt Scheitern, Lösungen statt immer neuer Forderungen, Erfolg statt Abbruch. Die Öffentlichkeit erwartet dies zu Recht. Angesichts einer weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Lage, die gleichermaßen von Befreiung wie Zersplitterung gekennzeichnet ist und auf viele einen verunsichernden Eindruck macht, ist die Signalwirkung, die vom Abschluß der Uruguay-Runde ausgeht, gar nicht zu überschätzen. Die Verantwortung der Verhandlungspartner geht darum über die unmittelbar zur Disposition stehenden Verhandlungsinteressen weit hinaus.Tatsächlich werden wir bei einer erfolglosen Runde in ein Stadium zurückfallen, das weit vor dem Status quo liegt. Wir dürfen davon ausgehen, daß die Vereinigten Staaten unmittelbar im Anschluß mit Handelsbeschränkungen aufwarten würden. Bei einer weiteren Ausbildung von protektionistischen Handelsblökken wäre das Auseinanderdriften der Volkswirtschaften ebensowenig aufzuhalten wie rezessive Entwicklungen. Das Ende eines liberalen Welthandels käme für unser Land als einem exportorientierten Land einer Katastrophe gleich. Dies gilt übrigens besonders für das geplante Abkommen zur Liberalisierung des internationalen Handels mit Dienstleistungen.Erlauben Sie mir, darüber hinaus auch daran zu erinnern, daß bei einem Scheitern unsere Verantwortung gegenüber der Dritten Welt nicht mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis wäre. 3 %) des Bruttoinlandsprodukts — das ist mehr als die bisherige Ent-
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Peter Kittelmannwicklungshilfe — gingen den Entwicklungsländern verloren.Den fatalen Dominoeffekt von Exportrückgang, Arbeitslosigkeit und Rezession können wir uns weder leisten, noch können wir ihn verantworten — heute weniger denn je.Angesichts der amerikanischen Signale werden wir nicht länger argumentieren können, die Vereinigten Staaten wollten nicht verhandeln. Damit würde die EG nur der Sündenbock eines möglichen Scheiterns. Die Gemeinschaft muß im Gegenteil die Signale positiv aufnehmen, d. h. die USA beim Wort nehmen und ihre Kompromißbereitschaft einfordern. Ganz offensichtlich haben die Amerikaner Interesse an einem Abschluß, also muß die Gemeinschaft die Chance auch nutzen.Ich habe davon abgesehen, auf spezifische Verhandlungspositionen einzugehen, weil dies gleich noch von meinen Kollegen getan wird. Ich möchte in diesem Rahmen vor allen Dingen an das wirtschaftliche Desaster und die beschämende Auswirkung einer erfolglosen Verhandlungsrunde erinnern. Dann würden wir nämlich keine Gelegenheit mehr haben, hier vor einem Scheitern zu warnen; dann ist es nämlich nicht mehr eine Minute vor zwölf, sondern fünf nach zwölf. Um so mehr bauen wir auf ein positives Zeichen; denn die Unterbrechung, die es jetzt gegeben hat, läßt noch Hoffnung. In diesem Sinne wäre es besonders wichtig, daß die Regierungschefs bei dem Sondergipfel der Europäischen Gemeinschaft gleichermaßen für die Uruguay-Runde hoffnungsvolle Signale setzen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll.
herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße die Aktuelle Stunde zum aktuellen Stand der GATT-Verhandlungen im Rahmen der sogenannten Uruguay-Runde. Die 1986 in Punta del Este begonnene Verhandlungsrunde gestaltete sich bekanntlich sehr kompliziert. Bisher scheiterte ein neues GATT-Abkommen vor allem an unterschiedlichen Interessen auf den Weltmärkten für Agrarerzeugnisse. Da die Verhandlungen jedoch strikt geheim geführt werden und offenbar bei allen Turbulenzen vor ihrem Abschluß stehen, würden es fairerweise wenigstens die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie erfordern, daß der Deutsche Bundestag tatsächlich informiert wird, inwieweit der Abschluß der Uruguay-Runde — ich zitiere — „einen wesentlichen Beitrag zur Zukunft der Weltwirtschaft" darstellt — das wurde in der Wirtschaftserklärung der G 7 in München zugesichert —, inwieweit die Vereinbarungen den Reformprozeß in Osteuropa fördern, inwieweit sie neue Chancen für das Wohlergehen anderer Völker und insbesondere der Entwicklungsländer eröffnen — wieder München — und inwieweit das vom Münchener Weltwirtschaftsgipfel für Ende dieses Jahres in Aussicht gestellte Übereinkommen der Uruguay-Runde ein weltweit ausgewogenes Resultat darstellt.Meine Damen und Herren, wir stimmen dem Bundeskanzler durchaus zu, daß — ich zitiere ihn — „ein Erfolg der GATT-Runde wesentlich mehr bewirken kann als alles, was wir mit Entwicklungshilfe und anderen staatlichen Leistungen erreichen können"; so in München.
Wir hätten in der Tat nicht treffender die Entwicklungspolitik dieser Bundesregierung beschreiben können. Sie bewirkt angesichts der derzeitigen ungerechten Weltwirtschaftsordnung tatsächlich nicht sehr viel. Um so spannender ist es natürlich zu erfahren, worin nun der Erfolg der achten GATT-Runde besteht, daß sie mehr bewirken soll als die Entwicklungshilfe.Natürlich würde man vor allem angesichts der Lage in den Entwicklungsländern jeden Fortschritt bei den GATT-Verhandlungen im Interesse der Menschen dieser Länder begrüßen wollen. Aber sind nicht auch Zweifel angebracht, ob das Allgemeine Zoll- und I landelsabkommen als Instrument überhaupt in der Lage ist und ob dessen Gestalter willig sind, solche handelspolitischen Voraussetzungen zu schaffen, die eine dauerhafte Verbesserung der weltökonomischen Positionen der Entwicklungsländer sichern?Besteht nicht vielmehr eine reale Gefahr darin, daß beim stets wachsenden Entwicklungsgefälle zwischen Nord und Süd, zwischen Nord und Ost eine vermehrte Abhängigkeit ganzer Weltregionen über den sogenannten freien Mandel durchgesetzt wird?Um es deutlich auf den Punkt zu bringen: Worin sieht die Bundesregierung die Gewähr dafür, daß der erfolgreiche Abschluß der achten GATT-Runde und die Einbeziehung des Agrarsektors in das GATT-System eines offenen Welthandels nicht wiederum die Schwächsten der Weltwirtschaft, die Entwicklungsländer, die Länder Ost- und Südosteuropas benachteiligt?Sieht die bevorstehende Übereinkunft ein Mehr an Demokratie im Weltwirtschaftssystem vor? Ohne größere Mitsprache- und Kontrollrechte der Länder der Dritten Welt und auch der anderen Nicht-OECDLänder in solch entscheidenden internationalen Organisationen wie dem IWF und der Weltbank rücken die Überwindung von Massenarmut und Not sowie die Lösung globaler Probleme in weite Ferne. Das würde sich jedoch nicht nur verheerend für die Länder der Dritten Welt, sondern für alle Menschen auf der Erde auswirken.Sehr geehrte Damen und Herren! Sicher wurde mit der jüngst beschlossenen EG-Agrarreform ein Haupthemmnis bei den GATT-Verhandlungen aus dem Wege geräumt. Die Dauerhaftigkeit und Verläßlichkeit der mit der Reform beschlossenen Ausgleichszahlungen an Landwirte akzeptieren weder GATTGeneraldirektor Dunkel noch die USA.
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9548 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992
Dr. Barbara Höll— Es ist nur die Frage, inwieweit das tatsächlich umgesetzt wird.Deshalb meine Frage an die Regierung: Gibt es hier wirklich neue Positionen, die umgesetzt werden, oder wurde hinter den Kulissen einem Abbau der Ausgleichszahlungen zugestimmt? Das ist die Frage für die Bauern in Deutschland und in anderen EG-Mitgliedstaaten; es ist für sie eine Kardinalfrage.Es wäre sowohl für Europa als auch für die Entwicklungsländer von Nutzen, wenn sich die EG mit ihrer landwirtschaftlichen Erzeugung auf ihren eigenen Markt beschränkte und künftig Dumpingexporte zu subventionierten Billigpreisen unterließe, zumal diese Exporte die traditionelle einheimische Nahrungsmittelproduktion vieler Entwicklungsländer beeinträchtigt und zerstört haben. Zugleich verursacht das künstliche Drücken von Weltmarktpreisen Einbußen bei den agrarexportierenden Entwicklungsländern.Es gibt also viele Fragen und Probleme, zu denen vor Abschluß der laufenden GATT-Verhandlungen die Bundesregierung diesem Parlament und der Öffentlichkeit dieses Landes Aufklärung geben sollte.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Klaus Beckmann,
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, wir sind alle davon überzeugt, daß es ein vitales gesamtwirtschaftliches deutsches Interesse an einem erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde gibt. Gerade das geplante Abkommen zur Liberalisierung des internationalen Handels mit Dienstleistungen ist für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands von größter Bedeutung. Produktion, Beschäftigung und auch Handel zeigen in diesem Bereich überdurchschnittliche Wachstumsraten. Deutschland ist mit 10,1 Millionen Erwerbstätigen und Exporten in Höhe von ca. 90 Milliarden DM nach den USA, Frankreich und Großbritannien der viertgrößte Dienstleistungsexporteur der Welt. Die weltweit vorhandenen Wachstumspotentiale können jedoch nur dann optimal genutzt werden, wenn der Dienstleistungshandel — ebenso wie in den letzten 40 Jahren der Warenhandel — im GATT-Rahmen liberalisiert wird.
Das hierfür vorhandene Rahmenabkommen ist auch akzeptabel. Fast 60 GATT-Länder haben konkrete Liberalisierungsangebote vorgelegt und damit ihre Bereitschaft zur Beteiligung am Liberalisierungsprozeß bewiesen. Die noch offenen Fragen, vor allem zu weitgehenden Meistbegünstigungsausnahmen, u. a. der USA, erscheinen aus meiner Sicht lösbar, wenn in der Agrarfrage Einvernehmen erzielt wird.
Das geplante GATT-Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte — auch das will ich erwähnen — ist für die deutsche Wirtschaft ebenfalls von größter Bedeutung. Es sieht erhebliche Verbesserungen im weltweiten Schutz aller Arten geistiger Eigentumsrechte vor und wird von den in der deutschen Industrie Tätigen positiv beurteilt. Nach ihrer Auffassung macht allein dieses Verhandlungsergebnis den erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde erforderlich.
Meine Damen und Herren, für den Fortschritt der Agrarverhandlungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika gewinnt die EG-Agrarreform verstärkt Bedeutung. Die Beschlüsse des EG-Agrarrates vom 21. Mai dieses Jahres zur EG-Agrarreform sind ein wichtiger Beitrag der EG zu den Agrarverhandlungen des Europäischen Rates in der Uruguay-Runde. Mit dem Beschluß, die Stützpreise für Getreide um ein Drittel zu senken, hat die EG ihre Bereitschaft zur EG-Agrarreform sowie zur Übernahme multilateraler Verpflichtungen zum Subventionsabbau bewiesen. Wir sind damit in Vorleistung getreten.
Im Hinblick auf den Gipfel in Birmingham sage ich folgendes: Der Durchbruch in den Verhandlungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten muß jetzt erzielt werden.
Die Gemeinschaft hat ihre Bereitschaft zu einem zügigen Abschluß auf dem EG-Rat in Lissabon übereinstimmend bekräftigt. Die Staats- und Regierungschefs haben auch auf dem Wirtschaftsgipfel in München die Erwartung ausgedrückt, daß ein UR-Erfolg noch vor Ende 1992 erreicht werden kann. Auch die USA haben gegenüber der Gemeinschaft die Initiative ergriffen und vorgeschlagen, noch vor den US-Präsidentschaftswahlen einen erneuten Versuch zu einem Durchbruch in den noch offenen Fragen zwischen der EG und der USA zu versuchen.
Die EG muß jetzt alles daransetzen, noch in diesem Monat mit den USA einen politischen Durchbruch in den Verhandlungen zu erreichen. Die US-Regierung ist dazu auch bereit. Sie hat gegenüber der Kommission ihre Entschlossenheit zum Durchbruch in den bilateralen Verhandlungen bekräftigt. Sie hat diese Bereitschaft, wie ich höre, auch gegenüber der Bundesregierung bestätigt.
Es kann deswegen nicht länger behauptet werden, die USA könnten oder wollten nicht verhandeln. Ich weise in diesem Zusammenhang alle diejenigen, die noch zurückhaltend sind, darauf hin, daß Frau Hills die Retorsionsliste im Umfang von einer Milliarde DM in der Hinterhand hält und dies zu einer Bedrohung unserer Handelsbeziehungen werden kann.
Wir können eine Lösung also nur im Rahmen der bisher vorliegenden UR-Verhandlungsergebnisse erreichen. Ich sage zum Schluß: Die verbleibende Zeit für einen Durchbruch der Verhandlungen und einen Abschluß der Runde ist außerordentlich knapp bemessen. Gefordert ist jetzt der politische Wille, zum Abschluß zu gelangen. Deswegen unterstützt die F.D.P.-Fraktion die Bundesregierung in ihrer Entschlossenheit, den Durchbruch und den Abschluß der Runde zu erreichen.
Im Hinblick auf das Treffen in Birmingham heißt das:
Wir haben die Kommission aufgefordert, schnell und
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Klaus Beckmann
intensiv zu verhandeln, um einen politischen Durchbruch mit den Vereinigten Staaten zu erreichen, der dann schließlich den Weg zu einem Abschluß der Uruguay-Runde insgesamt öffnet.
Vielen Dank.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hält einen baldigen Abschluß der sogenannten Uruguay-Runde für dringend erforderlich. Wir würdigen durchaus die deutlichen Bemühungen der Bundesregierung, zu einem baldigen Abschluß der GATT-Verhandlungen zu kommen.Bei aller Kritik und Skepsis bietet das GATT zur Zeit den einzigen ernstzunehmenden Ansatz, den Welthandel gerechter und verantwortlich zu gestalten. Die derzeit praktizierten internationalen Handelsbeziehungen als „Freihandel" zu bezeichnen, ist, gelinde gesagt, eine Irreführung. Bilaterale Selbstbeschränkungsabkommen, Präferenzsysteme oder eine kleine Anzahl von transnationalen Unternehmen regeln, nein, beherrschen 75 % des Welthandels. Lediglich 7 % des Welthandels stehen, laut Human Development Report, in vollständiger Übereinstimmung mit den GATT-Prinzipien.Derselbe Report beziffert die Verluste der Entwicklungsländer durch Formen des Protektionismus auf 500 Milliarden US-$ jährlich. Das ist das Zehnfache dessen, was die Entwicklungsländer als Auslandshilfe erhalten.Der jüngste „Bananenstreit" macht den Konflikt zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern, zwischen Freihandel und nationalen Interessen exemplarisch deutlich. Wir unterstützen die konsequente Haltung der Bundesregierung in dieser Frage.Die Praxis einiger Länder, insbesondere Frankreichs und Spaniens, Importe aus Mittelamerika nicht zuzulassen, um ihre eigenen, erheblich teurer produzierenden Bauern in Überseeprovinzen oder auf den Kanarischen Inseln zu privilegieren, zeigt, in welchem Maße nationale Interessen dominieren.
Diese Praxis widerspricht den Zielen der Uruguay-Runde und schädigt Verbraucher und Entwicklungsländer gleichermaßen.
Der alles überschattende Agrarstreit innerhalb der Uruguay-Runde ließ bislang andere Verhandlungsthemen in den Hintergrund treten. Für die Entwicklungsländer sind die Verhandlungen über die Dienstleistungen, die jetzt in einem eigenen Abkommen, GATS, geregelt werden sollen, genauso wie die Verhandlungen über die Trade Related Intellectual Property Rights und Trade Related Investment Measures von zentraler Bedeutung.
Von der Liberalisierung der Dienstleistungen können sich Schwellenländer noch gewisse Vorteile erhoffen; ärmere Länder jedoch werden in ihrer Souveränität geschwächt. Das formale Prinzip der Reziprozität scheitert an der mangelnden Konkurrenzfähigkeit dieser Länder. Malawi — um ein Beispiel zu nennen — kann sich eben nicht durch das Anbieten von Versicherungssystemen in Deutschland einen Gewinn erhoffen.Die Einbeziehung der TRIPs in das GATT-Regelwerk soll den internationalen Schutz von geistigen Leistungen mit I lilfe von Eigentumsrechten an Patenten und Lizenzen erhöhen. So schutzwürdig die intellektuelle, geistige Leistung ist und bleiben muß: Entwicklungsländer brauchen Unterstützung auch dadurch, daß ihnen Patente und Lizenzen — wenn schon nicht kostenlos, so doch zu Vorzugsbedingungen überlassen werden. Hier müssen insbesondere Unternehmen und Institute, deren Forschungsarbeit oft auch durch die öffentliche Hand gefördert wird, mehr als bisher ihren Verpflichtungen gerecht werden.Das sich jetzt abzeichnende Ergebnis würde eine schwere Belastung für die Entwicklungsländer bedeuten. Unseres Erachtens sollten die TRIPS nicht Gegenstand der GATT-Verhandlungen sein, sondern gesondert geregelt werden. Dem Ziel, dauerhaften Entwicklungsprozessen in der Dritten Welt eine Grundlage zu geben, kommt man doch nur näher, wenn der Zugang zu zukunftsträchtigen Technologien, insbesondere in den Bereichen von Medizin und Umweltschutz, für diese Ländergruppen künftig erleichtert, nicht erschwert wird.Die Einbeziehung der TRIMMs ins GATT beurteilt meine Fraktion ebenfalls außerordentlich kritisch. Die Liberalisierung dieses Bereichs des Welthandels zielt darauf ab, daß sich alle Vertragsparteien dazu verpflichten, Auslandsinvestoren im Inland nicht anders zu behandeln als einheimische Unternehmen. Konkret bedeutet dies, daß es keine Möglichkeit mehr gibt, ausländischen Unternehmen besondere Auflagen hinsichtlich der Investitions- oder Forschungstätigkeit, der Beschäftigungspolitik, der Gewinnabführung usw. zu machen. Gerade für die armen Entwicklungsländer bedeutet das eine weitere Auslieferung an die Macht der multilateralen Unternehmen.Außerordentlich kritisch bewerten wir nach wie vor die mangelnde ökologische Ausrichtung des GATT. Arthur Dunkel, Generalsekretär des GATT, bestätigt, daß viele Umweltschutzabkommen durch das GATT, wie es sich jetzt abzeichnet, wieder anfechtbar werden. Bestehende Umweltschutzabkommen werden durch diese Freihandelsideologie ausgehebelt.Nach Auffassung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN muß es Ziel der GATT-Verhandlungen sein, stabile Grundlagen für einen fairen und freien Wettbewerb zu schaffen. Die Richtung aber, die jetzt eingeschlagen wurde, trägt zur weiteren Verschärfung des Gegensatzes zwischen Arm und Reich bei und wird den Anforderungen an eine gerechtere und ökologisch verantwortliche Weltwirtschaftsordnung nicht gerecht.
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9550 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992
Konrad WeiB Vielen Dank.
Ich erteile nun dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft Dr. Kolb das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die EG-Kommission hat mit der amerikanischen Regierung vom 11. bis zum 13. Oktober bilaterale Verhandlungen über die zwischen der EG und den USA noch offenen Fragen in der Uruguay-Runde geführt. Dabei ging es um die Agrarproblematik, zugleich aber auch um den Handel mit Dienstleistungen und um Fragen des Marktzugangs.
Die EG-Kommission wird die Mitgliedstaaten heute nachmittag über die Ergebnisse dieser Gespräche unterrichten. Nach erstem vorläufigem Eindruck scheinen sich die Standpunkte einander deutlich angenähert zu haben.
Die Bundesregierung, deren Haltung in der Frage des erfolgreichen Abschlusses der Uruguay-Runde seit langem bekannt ist, begrüßt und unterstützt diese Entwicklung ausdrücklich. Es ist an der Zeit, nach sechsjähriger Verhandlungsdauer in der Uruguay-Runde zu einem positiven Abschluß zu kommen. Die weltwirtschaftliche Entwicklung erfordert dringend einen positiven Impuls. Er kann nicht besser erfolgen als durch einen Durchbruch in den Verhandlungen der Uruguay-Runde und deren endgültigen Abschluß noch vor Jahresende 1992, wie von den Staats- und Regierungschefs der G 7 auf dem Wirtschaftsgipfel in München empfohlen.
Wir dürfen die günstige Gelegenheit, die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Gemeinschaft und unsere eigenen zu fördern, nicht versäumen. Sonst verzichten wir nicht nur auf den Erfolg der Uruguay-Runde, sondern müssen befürchten, daß sich bestehende Handelskonflikte mit den USA gefährlich zuspitzen, möglicherweise bis hin zu handelsbeschränkenden Maßnahmen der USA.
Wenn sich der erste Eindruck bestätigt — wir sehen der Bewertung der Gespräche durch die Kommission mit größtem Interesse entgegen —, muß die eindeutige Priorität für die Bundesregierung die sehr schnelle Zustimmung zu diesem erhofften Durchbruch zwischen EG und USA sein. Damit muß der Auftrag an die EG-Kommission verbunden werden, unverzüglich den multilateralen Verhandlungsprozeß mit den anderen Teilnehmern in Genf mit dem Ziel des Abschlusses der Uruguay-Runde bis Ende 1992 wieder aufzunehmen, und zwar auch dann, wenn es Widerstände bei dem einen oder anderen unserer europäischen Nachbarn gibt.
Wir haben sehr viel Verständnis für politische Schwierigkeiten. Gleichwohl hat der Bundeskanzler in einem Brief an die europäischen Staats- und Regierungschefs appelliert, entschlossen und in konstruktivem Geist die Verhandlungen bis zum Jahresende zum Abschluß zu bringen. Das ist und bleibt das Ziel.
Die Folgerung kann daher heute nur sein: Der Zeitpunkt für eine Entscheidung ist gekommen. Der Wechsel vom Wirtschaftsgipfel in München ist jetzt einzulösen. Andernfalls droht der politischen Glaubwürdigkeit irreparabler Schaden. Der Verlust politischer Glaubwürdigkeit wiegt schwerer und schadet mehr als da und dort vielleicht unpopuläre Entscheidungen. Dies gilt um so mehr, wenn Entscheidungen wie in der Uruguay-Runde gesamtwirtschaftlich und politisch notwendig sind.
Die deutsche Wirtschaft, die darum kämpft, die wirtschaftlichen Folgen der Teilung zu überwinden, die Wirtschaft in der EG insgesamt ebenso wie die Weltwirtschaft brauchen den Erfolg der Runde. IWF und Weltbank haben den Abschluß dringend angemahnt.
Schließlich ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt: Der Preis für einen erfolgreichen Abschluß würde durch ein weiteres Hinauszögern nicht geringer; er kann dadurch vielmehr nur höher werden, möglicherweise gar unbezahlbar werden. Das hat der Mißerfolg der Abschlußkonferenz in Brüssel im Dezember 1990 eindringlich verdeutlicht.
Die sich jetzt abzeichnenden Ergebnisse erscheinen als ein guter Handel für alle Beteiligten. Wenn der erste Eindruck hält, was er verspricht, sollte dieser politische Durchbruch sehr schnell ein positives Echo der Gemeinschaft erfahren.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Roth.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich eine Schande, daß Dienstag nacht, nachdem Europa und die USA einander so nahegekommen waren, die Verhandlungen erneut — hoffentlich nur vorübergehend gescheitert sind.
Ich habe in der vorigen Woche gefragt: Warum sind die Leute so sauer auf EG-Europa?
Jetzt sind auch noch die Treuesten, nämlich die Exporteure, durch das Verhalten der EG-Kommission, der beiden Kommissare, in dieser Woche enttäuscht worden. Da braucht man sich nicht länger zu wundern, daß wir eine solche Distanz zu der Europäischen Gemeinschaft bekommen,
Ich habe über dieses Thema auch vor anderen Kreisen schon oft geredet. Vordergründig ist Handelspolitik eine strohtrockene, scheinbar bürokratische Angelegenheit. Vordergründig! Wir wissen aber aus der Geschichte, daß Protektionismus, daß Hindernisse für den freien Handelsverkehr sehr erhebliche soziale, wirtschaftliche und sogar politische Folgen haben können. Es gab ja nicht wenige Kriege als Folge von Handelskonflikten.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992 9551
Wolfgang RothDeshalb ist das Thema GATT und GATT-Erfolg
eine ganz entscheidende politische Frage, die nach meiner Überzeugung bei uns unterbewertet wird.
Das gilt nicht nur für die Frage der Arbeitslosigkeit und der Wirtschaftskrisen.Das GATT-System kann nur dann gesichert werden, wenn Fortschritte erzielt werden. Wenn es auch nur ein einziges Mal blockiert wird, ist der Rückschritt in Richtung Handelskriege und Wirtschaftskrisen sicher.
Ich bin darum froh, daß wir in der Uruguay-Runde doch einen Schritt nach vorn getan haben, falls wir jetzt abschließen.Ich bin im übrigen sicher, daß wir — dazu danke ich ausdrücklich für die Anregungen der Herren Hauchler und Schily vor dieser Debatte — auch den nächsten Schritt im GATT-System machen müssen, indem wir die Frage der ökologischen Handelsbedingungen einbeziehen. Das ist ganz wichtig.
Wir können künftigen Freihandel nicht auf der Basis von ökologischem Dumping zulassen. Das wird ein Thema der nächsten Jahre. Wir Sozialdemokraten packen auch diese schwierige Frage an.
Wir haben in den letzten Tagen gelesen, die Europäer, jedenfalls die Deutschen, hätten die ganze GATT-Geschichte als eine Art Wahlgeschenk für den Herrn Bush vorangetrieben. Das interessiert mich überhaupt nicht — im übrigen habe ich dazu meine Meinung —, wie die Ergebnisse in Amerika sind.
— Ich sage ja gar nichts dazu.Aber wenn die GATT-Runde nicht vor den amerikanischen Wahlen zum Erfolg kommt, könnte es durchaus sein, daß wir im nächsten Jahr wieder bei Null anfangen.
Das wäre für die Arbeitsplätze in Europa und für die Zukunft der deutschen Industrie ganz schlimm. Wir verhandeln jetzt mehrere Jahre in dieser GATTRunde. Ein Neuanfang im nächsten Jahr oder, anders ausgedrückt, eine Unterstützung der Protektionisten im amerikanischen Kongreß und Senat wären das Schlimmste, was uns passieren könnte. Herr Gebhard steht vor der Tür. Unsere französischen Freunde müssen wir in den nächsten Tagen noch ein bißchen bewegen. Wir haben da — Sie haben es gemerkt — eine Art Arbeitsteilung. Der Herr Wieczorek hat es ein bißchen härter ausgedrückt. Ich sage den französischen Parlamentarieren: Helft jetzt mit, daß Europaaus dieser Ecke herauskommt! Das ist dringend notwendig.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rudolf Sprung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit 1986 wird über die weitere Liberalisierung des Welthandels verhandelt. An Dramatik in den Verhandlungen hat es in dieser Zeit wahrlich nicht gefehlt. Immer wieder schienen sie vor ihrem Ende zu stehen, einem Ende ohne Erfolg. Dabei gibt es im Grundsatz und über das Ziel, das durch die Verhandlungen erreicht werden soll, keine Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten.Für die weitere Entwicklung des Welthandels und für die Zukunftsaussichten der Weltwirtschaft kann auf den erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde nicht verzichtet werden. Die Lösung der Sachprobleme, die in der Runde verhandelt werden, wird die internationale Arbeitsteilung und den freien Warenaustausch einen großen Schritt nach vorn bringen.Es handelt sich nicht nur um handelstechnische Fragen, es geht um nichts weniger als um den weiteren Ausbau der marktwirtschaftlichen Ordnung des Welthandels. Themen wie Marktzugang, Schutz des geistigen Eigentums, Einbeziehung von Dienstleistungen in das GATT, Rückgliederung des Textilsektors in das allgemeine GATT-System, Ausbau des GATT, Disziplinregelungen für Antidumping und Subvention sind Gegenstand der nunmehr seit sechs Jahren laufendenVerhandlungen und werden, wenn sie zur endgültigen Einigung führen, das Welthandelssystem entscheidend verbessern und funktionsfähiger machen.Meine Damen und Herren, es ist schon eine merkwürdige Situation: Seit fast einem Jahr, seit Dezember 1991, liegt ein vom Generaldirektor des GATT zusammengefaßtes Verhandlungsergebnis auf dem Tisch. Es enthält für eine Mehrzahl der 15 Verhandlungsfelder der Uruguay-Runde fertige und gerade für unsere wirtschaftlichen Interessen erfreuliche Verhandlungsergebnisse. Wir können die für die Bereiche „Schutz des geistigen Eigentums", „Streitschlichtung" und „institutionelle Fragen" erzielten Ergebnisse durchaus aktzeptieren.Beispiel: Schutz des geistigen Eigentums. Allein für die Bundesrepublik gingen rund 40 000 Arbeitsplätze durch Produktpiraterie verloren. Für andere Bereiche, z. B. für den Marktzugang — hier ist insbesondere, aber nicht allein, Japan angesprochen — und für den schon mehrfach erwähnten Bereich der Dienstleistungen, stehen endgültige Ergebnisse noch aus.Eins aber sollte doch klar sein: Alle Dienstleistungssektoren sind in die Liberalisierung einzubeziehen, auch die Finanzdienstleistungen und der Verkehrssektor, z. B. der Luftverkehr. Adressat hierfür sind die USA.
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9552 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992
Dr. Rudolf SprungErfreulich ist, meine Damen und Herren, daß die Anerkennung des Prinzips der Meistbegünstigung auch für den Dienstleistungsbereich inzwischen auch von den USA nicht mehr in Frage gestellt wird, was vor kurzem noch der Fall war.Meine Damen und Herren, mit großer Genugtuung sehen wir, daß in die seit fast einem Jahr festgefahrenen Verhandlungen mit den jetzt erneut aufgenommenen Gesprächen zwischen der US-Regierung und der EG endlich wieder Bewegung gekommen ist. Es ist sehr zu hoffen, daß dieser erneute Anlauf endlich den Durchbruch schafft, den wir alle erwarten. Daß die Verhandlungen auf das Ende der Woche verschoben, nicht aber wieder abgebrochen worden sind, bringt den Hoffnungsschimmer, daß vielleicht doch bald ein Ergebnis erzielt wird.Viel, wirklich sehr viel steht auf dem Spiel. Die Folgen eines endgültigen Scheiterns wären für uns alle katastrophal. Es wird auch vor dem zeitlichen Hintergrund des auslaufenden Verhandlungsmandats für die amerikanische Regierung höchste Zeit, daß die Verhandlungen endlich zu einem positiven Abschluß kommen.Im übrigen sollten wir bei aller Wahrnehmung unserer eigenen Interessen nicht vergessen, daß nicht nur wir, die EG und die Industrieländer, sondern auch die Entwicklungsländer, die sich in ihrer großen Mehrheit an den Verhandlungen aktiv und konstruktiv beteiligt haben, auf weitere Liberalisierungsschritte für den Welthandel hoffen.Auch sie haben erkannt, daß sie ebenso wie die Industrieländer aus der weiteren Liberalisierung des Welthandels beträchtliche Vorteile für ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung gewinnen können. Sie sehen mit steigendem Verdruß, daß ihnen durch die nicht enden wollenden Verhandlungen die Vorteile vorenthalten werden, die sie sich durch erhebliche Konzessionen und durch ein durchaus verantwortungsvolles Verhalten in den Verhandlungen verdient haben und die sie dringend benötigen.
Wir können uns vieles erlauben, eines aber können wir uns wahrlich nicht erlauben: ein Scheitern der Uruguay-Runde.Danke schön, meine Damen und Herren.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Ingrid Walz.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich glaube, wir sind uns alle einig, daß die GATT-Verhandlungen nicht zum Pokerspiel der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten oder der Parlamentswahlen in Frankreich degradiert werden dürfen. Katastrophal wäre es, wenn Partikularinteressen — ich möchte sie so nennen — den jetzt greifbaren Erfolg der Uruguay-Runde gefährden würden.Wir sind am Scheideweg angelangt — dieses Gefühl hat eigentlich jeder —; denn von einem Verhandlungserfolg hängt nicht nur die Zukunft der Weltwirtschaft, sondern auch der Reformprozeß in den Staaten Mittel- und Osteuropas und in der GUS ab. Genauso gravierend aber sind die Auswirkungen auf die Entwicklungsländer — sie wurden hier in verschiedenen Reden beschrieben —, denn auch sie benötigen eine weitere Liberalisierung des Welthandels, und zwar dringender als die Verwirklichung des hehren 0,7-%-Ziels. Ich muß das leider gestehen.
Wir müssen angesichts der vielen ausgebliebenen Wachstumschancen der Entwicklungsländer erkennen, daß sich unser Beitrag zur Überwindung von Armut und Unterentwicklung nicht länger auf den traditionellen Finanztransfer vom Norden in den Süden beschränken darf; denn diese Politik hat nur Abhängigkeiten geschaffen: Die Schuldenfalle ist zugeschnappt, wir haben nicht auf die dynamischen Kräfte des Marktes gesetzt.Meine Damen und Herren, zum ehrlichen partnerschaftlichen Miteinander gehört — die Länder des Südens und des Ostens bekennen sich inzwischen zur Marktwirtschaft — ein schwieriger Anpassungsprozeß. Doch der weltweite Protektionismus behindert diese Länder beim Absatz ihrer Produkte auf den internationalen Märkten. An dieser Stelle konterkarieren wir unsere Politik.
Die Weltbank stellt in ihrem Jahresbericht festdas geht mehr in die Richtung, die Sie gemeint haben, Herr Weiß —, daß durch diese Politik der Abschottung allein den Ländern des Südens — von den Ländern des Ostens möchte ich gar nicht reden — jährlich mehr als 100 Milliarden US-Dollar an Deviseneinnahmen verlorengehen. Dies macht mehr als das Doppelte der öffentlichen Entwicklungshilfe der Industrieländer aus. Dazu kommen Einkommensverluste der Entwicklungsländer in Höhe des zweifachen Betrags der Zinsen, die sie jährlich auf ihre öffentliche Auslandsverschuldung zu zahlen haben. Zur Modernisierung ihrer Volkswirtschaften, zur Rückzahlung ihrer Schulden aber sind die Länder des Südens und des Ostens auf eine Integration in die Weltwirtschaft und auf Absatzmärkte für ihre Produkte dringend angewiesen.Die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank, die eigentlich immer horrendere, fast nicht mehr zu vertretende Beträge verschlingen, machen doch erst dann einen Sinn, wenn sich daraus wirtschaftliche Erfolge ergeben.
Wirtschaftliche Erfolge der Entwicklungsländer und der Länder im Osten bedeutet: Deviseneinnahmen und zugleich die Chance, unsere — nämlich industrielle — Produkte und Dienstleistungen zu kaufen. Dies trifft sich natürlich mit den existentiellen Interessen der Bundesrepublik. Wir sind eine führende Industrienation; wir sind auf die Funktionsfähigkeit des inter-
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Ingrid Walznationalen Handels angewiesen, dies sogar mehr als jemals zuvor in einer Phase sich abschwächender wirtschaftlicher Entwicklung.Ich kann die Forderung des Bundesministers für Wirtschaft nur unterstreichen, der da sagt: Wir müssen durch gemeinsame Anstrengungen aller wirtschaftspolitisch Handelnden den wachsenden Risiken energisch entgegentreten.
Auch unsere europäischen Partner aber müssen begreifen, daß Wohlstand und Sicherung von Arbeitsplätzen nicht nur von einem 340 Millionen Menschen umfassenden Binnenmarkt abhängt, sondern sich Europa gegenüber einer sich immer stärker verzahnenden weltweiten Wettbewerbswirtschaft behaupten muß. Vor allem die Schwellenländer in Asien holen dynamisch auf und lehren uns schon bald das Fürchten. In Teilen haben sie dies schon getan. Vor allem aber dort eröffnen sich neue Märkte für unsere Produkte.Meine Damen und Herren, noch ein Thema: Angesichts einer bedrohlich abgeschwächten Weltkonjunktur, die in eine Weltwirtschaftskrise münden könnte, muß jetzt die gegebene Chance für einen positiven Wachstumsimpuls genutzt werden. Ein Scheitern der GATT-Verhandlungen könnte katastrophale Folgen nach sich ziehen. Das Szenario eines Handelskrieges haben wir alle beschrieben.Um es aber noch drastischer zu sagen: Unser Asylproblem ist nicht allein mit rechtlichen Vorschriften zu lösen. Die Ursachen von Flucht und Wanderung können nur durch wirtschaftliche und politische Stabilität in den Herkunftsländern beseitigt werden.
Marktwirtschaftliche Strukturen und der freie Welthandel sind dafür unabdingbar.Jetzt noch ein Ergebnis einer EG-Meinungsforschungsumfrage: Die Umfrage sagt uns, daß aus den mittel- und osteuropäischen Staaten bereits heute 13 Millionen Menschen nach Westeuropa auswandern würden. Sie können sich vorstellen, welche gewaltige Lawine von Einwanderungs- und Flüchtlingsströmen ein Scheitern des schwierigen Reformprozesses in diesen Ländern hätte. Es übersteigt das bisher Dagewesene.
Frau Abgeordnete, ich bin bei der Aktuellen Stunde gezwungen — —
Jawohl, nur noch einen Satz. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Gut.
Es geht nicht um Bush, um Mitterrand, sondern darum, daß Europa nicht Bremsklotz, sondern Motor bei der Schaffung einer globalen Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft sein muß.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Brigitte Adler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Ministererklärung von Punta del Este, mit der die Uruguay-Runde im September 1986 eingeläutet wurde, gaben sich die Vertragsparteien noch sehr optimistisch. Innerhalb von fünf Jahren sollte es gelingen, ein liberaleres Welthandelssystem durch den Abbau von handelshemmenden Strukturen zu schaffen. Von diesem versprachen sich alle Beteiligten neben einer Ausweitung des Welthandels zum Wohle aller gerade für den wirtschaftlichen Aufschwung der Entwicklungsländer positive Anschubeffekte.In der Zwischenzeit ist ein Abschluß der Verhandlungsrunde seit zwei Jahren überfällig. Die geopolitische Situation hat sich durch den Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen im Osten schlagartig verändert. Gewaltige politische und finanzielle Anstrengungen sind zur Unterstützung der Reformprozesse auch wegen eigener Sicherheitsinteressen notwendig.Die wirtschaftliche und soziale Lage in der Dritten Welt ist weiterhin kritisch, in Afrika hat sie sich sogar drastisch verschlechtert. Eine Steigerung der finanziellen Unterstützung ist derzeit nicht in Sicht, eher das Gegenteil, vor allem, weil auch die Industrieländer mit zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten umgehen müssen. Zusätzlich müssen wir immer deutlicher feststellen, daß unsere wirtschaftlichen und privaten Verhaltensweisen die Grenzen des Umweltverträglichen in vielen Fällen bereits überschritten haben. Eine weitere globale Herausforderung, die uns nicht allzuviel Reaktionszeit läßt, muß also bewältigt werden.In dieser Situation nehmen wir nach wie vor ein Welthandelssystem in Kauf, das erstens den internationalen Handelsaustausch maßgeblich behindert — jährliche Handelsverluste in Milliardenhöhe sind ebenso die Folge wie sich anbahnende Handelskonflikte —, zweitens durch den Protektionismus der Industrieländer den Entwicklungsländern den Marktzugang verwehrt, wodurch keinerlei Spielraum für eigenständige wirtschaftliche Entwicklungen bleibt — Unterentwicklung, Hunger und Armut werden somit systembedingt hingenommen —, und drittens die globalen Umweltprobleme sowie die sozialen Aspekte des Handels ignoriert.Um endlich aus der jetzigen Stagnationsphase herauszukommen, müssen die Agrarstreitigkeiten beendet werden. Dabei stellt das EG-Agrarreformkonzept, wie sich bei den jüngsten Verhandlungen zwischen den USA und der EG in Brüssel gezeigt hat, durchaus eine kompromißfähige Verhandlungsgrundlage dar. Die EG muß deshalb eine interne Lösung mit Frankreich finden, damit es nicht zum Scheitern der Verhandlungen kommt.
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9554 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992
Brigitte AdlerDer EG-Gipfel in Birmingham bietet letzte Gelegenheit, das Veto Frankreichs zu verhindern.Die Bundesregierung muß gegenüber Frankreich wie auch den USA für die Durchsetzung folgender Verhandlungsziele sorgen: Der Weltagrarmarkt muß durch einen EG-Exportsubventionsabbau entlastet werden, um so vor allem eine auf Ernährungssicherung ausgerichtete Landwirtschaft in den Entwicklungsländern zu fördern. Die im Rahmen der EG-Agrarreform beschlossenen Ausgleichszahlungen für die Landwirte müssen als nicht abbaupflichtige Subventionen im GATT anerkannt werden. Der Außenschutz für die EG-Landwirtschaft muß beibehalten werden, um die Gefährdung der ländlichen Räume zu vermeiden. Schließlich ist der Import von Getreidesubstituten aus ökologischen und sozialen Gründen einzuschränken.
Herr Abgeordneter Gallus, Sie haben nicht das Wort. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen.
Die Bundesregierung muß ihre bislang zu zögerliche Haltung aufgeben und in Birmingham Klartext reden, damit der Weg für eine Weiterentwicklung des Welthandelssystems frei gemacht werden kann.
Das EG-Agrarreformpaket selbst bedarf jedoch noch erheblicher Nachbesserungen. Zentrales Anliegen ist dabei eine Bindung der direkten Einkommenszahlungen an ökologische Mindeststandards. Anders sind die Agrarsubventionen gesamtgesellschaftlich nicht zu rechtfertigen.
Dieses Ziel kann selbstverständlich nur unter Beibehaltung des EG-Außenschutzes erreicht werden und demonstriert eine durchaus sinnvolle Protektionsform, die wir auch den Ländern des Südens für ihren wirtschaftlichen Aufbau zugestehen müssen.
Welche Auswirkungen zu weitgehende Liberalisierungsforderungen haben können, demonstrieren schon jetzt die Strukturanpassungsprogramme des IWF und der Weltbank. Diese verlangen weitgehende Marktöffnungen und einen drastischen Abbau von Subventionen. Die Folge sind drastische soziale Einschnitte für ohnehin in Armut lebende Menschen. Die Bundesregierung muß mit dafür sorgen, daß die inhaltliche Ausgestaltung der Anpassungsprogramme für die Länder des Südens gründlich überdacht wird.
Wie weit wir von fairen Handelsstrukturen entfernt sind, zeigt auch die jüngste Auseinandersetzung um die sogenannten Dollar-Bananen. Zu Recht hat die Bundesregierung gegen die geplante EG-Einfuhrbeschränkung opponiert
und weiß sich hier auch einig mit den billigpreisverwöhnten Verbrauchern. Die Bundesregierung hat
allerdings nicht gesagt, daß die niedrigen Preise nur
durch ökologisch schädliche Produktionsverfahren und häufig durch menschenverachtende Arbeitsbedingungen auf den großen Plantagen möglich sind. Kleinbauern können zu diesen Preisen nicht wirtschaf ten.
Regionale wirtschaftliche Kooperationen sind anzustreben. Diese können aber nur gedeihen, wenn die Handelsblöcke im Grundsatz die GATT-Regeln akzeptieren. Im Falle eines Scheiterns der GATT-Verhandlungen sind Handelskonflikte zwischen den Blöcken unvermeidbar. Afrika würde diese Entwicklung schwerstens treffen.
Frau Abgeordnete, ich möchte Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Ich komme sonst in Teufels Küche.
Herr Präsident, ich spreche meinen letzten Satz. — Eine Welthandelsordnung, die einen Ausgleich zwischen dem reichen Norden und dem Süden anstrebt, die ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt, ist unser aller Aufgabe für die Zukunft.
Ich muß bei der Aktuellen Stunde wirklich ein bißchen genauer auf die Zeit achten, als es sonst der Fall ist. — Nun hat der Abgeordnete Siegfried Hornung das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GATT-Verhandlungen stehen wieder ganz oben auf der Tagesordnung der Weltwirtschaft. Bei den Brüsseler GATT-Verhandlungen und bei den Gesprächen am vergangenen Wochenende konnte leider noch kein Durchbruch erreicht werden, wenngleich es gute Fortschritte gegeben hat. Ich gehe davon aus, daß sich auch die Regierungschefs der EG-Partner auf ihrem Gipfel am Freitag in Birmingham ganz vorn mit diesem Thema befassen werden.Die Landwirtschaft steht wie kein zweiter Wirtschaftszweig im Mittelpunkt der Diskussion. Ich möchte hierzu auf zwei Dinge hinweisen.Wir müssen erstens damit aufhören, die gesamte Problematik des GATT ausschließlich auf der Ebene der Landwirtschaft zu sehen;
denn es gibt auch noch andere Probleme, z. B. mit den USA hinsichtlich der Öffnung für Dienstleistungen. Andere Probleme sind hier schon genannt worden. Diese Probleme können ganz gravierend werden.Zweitens wollen wir als Landwirte nicht ein Scheitern der GATT-Verhandlungen. Die Landwirtschaft hat die GATT-Regelungen deshalb bisher auch niemals boykottiert. Was wir für unsere Bauern aber fordern, ist ein fairer Kompromiß, mit dem wir leben können.
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Siegfried HornungDie Landwirtschaft weiß, wie wichtig für die exportorientierte Bundesrepublik der alsbaldige Abschluß der GATT-Verhandlungen ist. Es gibt dazu keine Alternative. Die Landwirtschaft weiß auch, daß sie auf ein gutes gesamtwirtschaftliches Umfeld angewiesen ist.Gegenüber dem Verhandlungsstand bei GATT im Frühjahr 1992 sind mit den Beschlüssen zur EG-Agrarreform in erheblichem Maße Vorleistungen erbracht worden. Kernpunkt der Agrarreform ist die Umstellung des bisherigen Systems der Markt- und Preisstützung bei Getreide und Rindfleisch — um die wichtigsten Bereiche anzusprechen. Die Preise für Getreide werden in den nächsten drei Jahren um mehr als 30 % gesenkt. Damit verbunden ist eine quasi obligatorische Flächenstillegung in der Größenordnung von 15 %.Wir erreichen also eine Produktionsrückführung in allen EG-Staaten und eine Entlastung der Weltmärkte. Dadurch ist auch die wichtigste Forderung der Vereinigten Staaten, nämlich eine Verringerung der Preise und der Mengen um 24 % bzw. 36 %, weitestgehend erfüllt. Daß die EG dafür, wie in der Agrarreform vom 1. Juli 1992 beschlossen, einen Ausgleich leisten muß, haben Carla Hills und Eduard Madigan inzwischen wohl auch begriffen und akzeptiert.Die Rechnung kann aber nur aufgehen, wenn die Ausgleichsleistungen dauerhaft und verläßlich sind. Sie dürfen keinesfalls im GATT in die sogenannte Yellow Box, sondern müssen der Green Box zugeordnet werden,
damit sie nicht den Abbauverpflichtungen unterliegen. Deshalb ist es auch ein äußerst schlechtes Beispiel, wie sich die SPD im Bundestag und die SPD-regierten Länder beim Drei-Prozent-MehrwertsteuerAusgleich verhalten.Wir brauchen weiterhin einen wirksamen Außenschutz und Gemeinschaftspräferenz, und zwar ganz besonders auf dem Getreidesektor, damit unsere Bemühungen über den künftig niedrigeren Getreidepreis mehr Getreide in die Futtertröge zu bringen nicht durch die Einfuhr billiger Substitute und Futtermittel aus Übersee unterlaufen werden.Das hat nichts mit Abschottung zu tun. Die EG hat nämlich einen Importüberschuß an Agrargütern, der 1991 bei rund 22 Milliarden DM lag. Dabei ist Deutschland weltweit der größte Agrarimporteur. Mit über 60 Milliarden DM an Agrareinfuhren ist der Import an Nahrungsgütern höher als die Eigenproduktion.
Wir verlangen nichts anderes, als daß diese erheblichen Vorleistungen, die die Landwirtschaft in die Agrarreform eingebracht hinsichtlich Mengenrückführung, hinsichtlich des Abbaus von Subventionen hat, anerkannt werden.Deshalb brauchen wir, um eine umwelt-, tierschutzund landschaftsgerechte Landwirtschaft zu erhalten, auch unsere Landwirtschaft.Es ist möglich, daß nur noch die industriellen Großbetriebe übrigbleiben. Das darf nicht sein. EineLandwirtschaft, die unser Landschaftsbild vielgestaltig prägt, kann zu Weltmarktpreisen nicht leben. Wir haben die entsprechenden Ausgleichsleistungen gegeben. Wir stellen fest, daß die richtige Reihenfolge derzeit läuft. Weitere Forderungen können aber nicht erfiillt werden.Wir wollen, daß in Birmingham ein guter Abschluß erreicht wird, aber nicht um den Preis der europäischen Landwirtschaft.
Das Wort hat nunmehr Dr. Uwe Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich empfinde es als sehr angenehm, daß alle Seiten dieses Hauses sehr deutlich gemacht haben, daß die Agrarverhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde endlich zu einem Erfolg gebracht werden müssen. Das möchte ich festgehalten haben. Das möchte ich gern den Staatssekretären, die auf der Regierungsbank sitzen, mitgeben, damit sie das weiterreichen, entsprechend Druck machen und das, was das deutsche Parlament will, auch verwirklicht werden kann.
Es ist fast eine Binsenweisheit, aber Handel, wie wir ihn durch den Abschluß dieser Uruguay-Runde fördern wollen, steigert den Wohlstand, und zwar aller Beteiligten. Handel — davon bin ich fest überzeugt — ist auch eine friedenssichernde Kraft, die wir dringend brauchen, weil Völker, Menschen und Unternehmen, die miteinander Handel treiben, niemals auf die Idee kommen, miteinander Krieg zu führen.
Es gibt viele gute Gründe, daß diese Uruguay-Runde endlich zum Erfolg kommt. Ich mache mir Sorgen, wenn es so weitergeht. Von den Bananen wurde schon gesprochen. Die sollen in Deutschland auf Grund von Vorschlägen der EG-Kommission teurer werden.
Über Sojasubventionen wird kräftig gestritten. Jetzt werden noch nicht einmal die GATT-Verhandlungen zum Erfolg gebracht. Ich mache mir Sorgen, wie dann die Akzeptanz der Bürger gegenüber dem Vertrag von Maastricht gefördert werden soll. Das geht doch einfach nicht. Da erzeugt man doch Unwillen.
Europa darf keine Festung werden.
Aber eine Fehlleistung bei den GATT-Verhandlungen wäre ein entscheidender Schritt in Richtung einer Festung Europa, wie mir scheint.Ich gehe nicht so weit wie ein Kollege von mir. Die Franzosen sind nicht allein schuld, weshalb es jetzt nicht weitergeht. Auch die Deutschen haben — wenn ich richtig informiert bin; ich habe mich vergewis-
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Dr. Uwe Jenssert — dazu beigetragen, daß die Stützungspreise für Getreide — um die es vor allem geht —
nicht weiter abgesenkt werden. Die Franzosen wollten, daß sie niedriger gehalten werden. Das kann ich sehr gut verstehen. Aber das hat natürlich dazu geführt, daß die Menge an angebotenen Produkten erhöht worden ist.
Darauf weisen die Franzosen sehr wohl immer wieder hin. Auch das sollte man fairerweise festhalten.
Trotzdem müssen die Franzosen natürlich nachgeben, und zwar dort, wo es um die Agrarsubventionen, vor allem um die Exportsubventionen für Agrarprodukte geht.Die Franzosen haben Angst, daß ihre Leistungsbilanz nicht mehr ausgeglichen ist. Das ist geradezu grotesk. Auf der einen Seite unterstützen wir mit Hilfe der Verbraucher, mit Hilfe der Steuerzahler die Produktion von Agrarprodukten und den Verkauf dieser Agrarprodukte auf dem Weltmarkt,
und auf der anderen Seite wollen die Franzosen mit diesen stark subventionierten Produkten ihre Leistungsbilanz ausgleichen. So geht das beim besten Willen nicht. Darauf muß man hinweisen. Das muß abgestellt werden.
Meine Damen und Herren, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß wir uns in einer Aktuellen Stunde und nicht in einer Sitzung des Agrarausschusses befinden.
Herr Dr. Jens, fahren Sie bitte fort.
Wenn diese GATT-Verhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde nicht zum Erfolg gebracht werden, dann werden wir verstärkt Probleme — wir haben ja schon Probleme — im Rahmen der Weltwirtschaft bekommen. Die Weltwirtschaft lahmt bereits. Sie kann auch völlig zusammenbrechen. Wenn wir das verhindern wollen, müssen wir dafür sorgen, daß diese Uruguay-Runde jetzt endlich abgeschlossen wird.
Aber das reicht nicht aus. Wir brauchen — da gehe ich über die Forderungen der Uruguay-Runde hinaus — weltweit eine Zinsabrüstung.
Das heißt im Grunde, daß die Hauptschuldnerländer, die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten, dafür sorgen müssen, daß ihre Staatsausgaben endlich nicht mehr über Kredite finanziert werden,
sondern daß andere, seriösere Quellen für die Finanzierung ihrer Ausgaben erschlossen werden.
Wir brauchen aber nicht nur den Abschluß der GATT-Verhandlungen, nicht nur eine Zinsabrüstung, sondern wir brauchen drittens auch — das hören Sie, meine Damen und Herren, wahrscheinlich nicht gerne — eine weltweite Nachfragebelebung.
Die Länder, die sich so gewaltig verschuldet haben wie die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten, können keine zusätzlichen Kredite aufnehmen, um den weltwirtschaftlichen Handel und die weltwirtschaftliche Entwicklung in Schwung zu bringen. Aber die anderen Länder können es unter Umständen.
Wir sind aufgefordert, dafür zu sorgen, daß zusätzliche Mittel durch Beschneidung des Konsums, insbesondere bei den Besserverdienenden, hereinkommen und diese Mittel für investive Zwecke bei den Unternehmen und auch im staatlichen Bereich ausgegeben werden.
Diese drei Schritte sind zwingend notwendig, wenn wir wollen, daß unsere wirtschaftliche Entwicklung vorankommt,
wenn wir wollen, daß auch die Lösung des Problems der Vereinigung Deutschlands endlich entscheidend vorangebracht wird.
Schönen Dank.
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Freiherr von Hammerstein das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte als Landwirt und als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion ein klares Ja zu GATT sagen.Ich möchte ein klares Ja zu den GATT-Verhandlungen sagen. Ich hoffe, daß sie positiv abgeschlossen werden.
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Carl-Detlev Freiherr von HammersteinIch sage aber ein klares Nein zur einseitigen Belastung der deutschen und der europäischen Landwirtschaft; ich betone insbesondere: der europäischen Landwirtschaft. Unter diesen Voraussetzungen wird es sehr schwierig sein, überhaupt noch Landwirte in Europa zu finden, die bereit sind, Landwirtschaft zu betreiben.Ich stimme der SPD-Fraktion nicht zu, die behauptet, dem Steuerzahler würden Jahr für Jahr weit überhöhte Zahlungen für die Landwirtschaft und dem Verbraucher würden zu hohe Preise zugemutet.. Solange wir in der Bundesrepublik weniger als 16 % für die Lebensmittel ausgeben, d. h. weniger als für die Urlaubsansprüche, kann man uns als Landwirten in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa nicht vorwerfen, daß die Agrarprodukte zu teuer sind.
Ich lehne den Entschließungsantrag der SPD vom Dezember 1991 ab, in dem u. a. auch Agrarexperten der SPD gesagt haben, daß die Preisstützung in der Landwirtschaft nachhaltig abzubauen ist und die Preise zu senken sind. Wenn das wirklich geschehen sollte, gibt es in Zukunft keinen jungen Landwirt mehr, der bereit ist, Landwirtschaft zu betreiben.
Vor allem die Exportsubventionen der EG — auch das ist dort gesagt worden — sind auf das unbedingt notwendige Maß zurückzuführen. Diese letzte Maßnahme, liebe SPD-Fraktion, akzeptiere ich voll und ganz, allerdings nur dann, wenn die Amerikaner bereit sind, die Subventionen in der Landwirtschaft Amerikas abzubauen,
Die letzten Aussagen der amerikanischen Regierung und insbesondere des amerikanischen Präsidenten, nämlich die Subventionen für die amerikanischen Farmer vor der Wahl zu erhöhen, sind kritisch zu beurteilen.Ich denke hier an drei Maßnahmen: erstens vor den Wahlen am 3. November 1992 1 Milliarde Dollar auszugeben, um 20 Millionen t Getreide zu subventionieren, zweitens weitere Millionen Dollar für eine Subventionierung von 400 000 t Sojaöl — dies ist gerade von Ihnen, Herr Jens, angesprochen worden —bereitzustellen und drittens einem einzigen privaten amerikanischen Konzern in Decatour
700 Millionen Dollar, Herr Staatssekretär Gallus, auszuzahlen, um i Milliarde Gallonen Äthanol für die Zwangsbeimischung in das Benzin zu finanzieren.
Sie wissen, daß es in Amerika ein Gesetz gibt, nach dem die Städte mit über 500 000 Einwohnern — es sind 44 — 10 % Äthanol beimischen müssen, um den Kohlenmonoxidgehalt zu reduzieren,Dies sind Gründe, warum ich nicht einsehe, daß bei den GATT-Verhandlungen ausschließlich immer auf unsere Landwirtschaft geschimpft wird.Seit gestern scheinen neue Elemente für einen GATT-Kompromiß in Sicht zu sein. Man geht davon aus, daß sich am Freitag auf dem Sondergipfel in Birmingham die zwölf Staats- und Regierungschefs mit dem Stand der GATT-Verhandlungen beschäftigen werden.Ich bedauere, daß Frau Matthäus-Maier gerade jetzt nicht mehr da ist, die große Finanzexpertin der SPD,
—ja, Herr Roth —, die immer beklagt hat, der Kanzler habe sich nicht für einen Sondergipfel der EG eingesetzt. Er hat sich bisher immer dafür eingesetzt und auch nachhaltig auf die Wichtigkeit der GATT-Verhandlungen hingewiesen.
Nach neuesten Erkenntnissen sind die Amerikaner jetzt anscheinend bereit, einem Kompromiß zuzustimmen, der wie folgt aussieht: In Zukunft können den europäischen Bauern für den gewaltigen Subventionsabbau Ausgleichszahlungen gewährleistet werden. Ich glaube, es gibt sowohl in der Bundesrepublik als auch in Europa keinen Berufszweig, dem zugemutet wird, daß Preise gesenkt werden, wie es in der Landwirtschaft passiert, nämlich 35 bis 40 % Getreidepreissenkungen in Europa.Ich bitte die Sozialdemokratische Partei im Deutschen Bundestag, sich mit ihren Freunden, den Sozialisten in Frankreich, zusammenzusetzen, um dazu beizutragen, daß die GATT-Verhandlungen zügig vorangehen.
Ich glaube, das ist sehr wichtig. Deshalb fordere ich von allen Seiten Kompromißbereitschaft — und keine Taktiererei — zum Wohle unserer Wirtschaft, zum Wohle unserer Landwirtschaft und für alle Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.
Zum Schluß erteile ich dem Abgeordneten Friedhelm Ost das Wort,
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sollten erst einmal froh sein, daß doch eine so breite Einigkeit bei diesem Thema besteht. Wir haben mehrere Diskussionen gehabt. Irgendwie kommt es mir wie handelspolitische Schlangenbeschwörung vor. Leider sind wir noch nicht ganz zum Erfolg gekommen. Aber wir brauchen den Erfolg. Das ist zu Recht gesagt worden.
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9558 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Oktober 1992
Friedhelm OstDie Weltwirtschaft befindet sich in einer Flaute. In allen Weltwirtschaftszentren — Europa, Japan und Amerika — haben wir eine Stagnation mit der großen Gefahr, daß wir in eine Rezession geraten. Ich denke, rezessive Entwicklungen in der Weltwirtschaft hätten katastrophale Auswirkungen für die Entwicklungsländer und vor allem auch für die jungen Reformstaaten in Mittel- und Osteuropa.
Ich will — das ist dankenswerterweise auch in den Beiträgen der Kollegen aus der SPD-Fraktion angeklungen — hier und heute ausdrücklich denen danken, die die GATT-Runde jetzt wieder angeschoben haben. Ich glaube, wir sollten auch dem amerikanische Präsidenten Dank dafür sagen, daß er das Ganze nicht als billigen Wahlkampfgag, sondern in Sorge um die eigene Wirtschaft und vielleicht auch die Weltwirtschaft gemeinsam mit dem Kanzler angeschoben hat.
Wir brauchen — das ist richtig — einen Durchbruch. Wir haben nach den Gesprächen in dieser Woche sicherlich keinen Grund zur Euphorie, aber ich glaube, mit Blick auch auf die Gespräche, die in Toronto fortgeführt werden sollen, haben wir wieder einen Grund für etwas mehr Hoffnung, daß sowohl die USA als auch Europa diese Uruguay-Runde zu einem erfolgreichen Abschluß bringen wollen. Carla Hills war gestern in Bonn und hat in den Gesprächen gesagt, man sei nahe beieinander. Das ist sicherlich zumindest ein Fünkchen Hoffnung, daß wir vielleicht doch noch zum Erfolg kommen.Die weltwirtschaftliche Bedeutung der GATTRunde wird oft übersehen. Experten haben ausgerechnet, daß bei einem wirklichen Durchbruch in den nächsten zehn Jahren das Weltsozialprodukt um 7 bis 8 Billionen DM — 7 000 bis 8 000 Milliarden DM! — ansteigen wird. Das heißt, bei einem Durchbruch hätten wir pro Jahr weltweit einen Schub zwischen 1 und 2 % Wachstum. Das wäre ein großer Erfolg.Gerade für uns Deutsche — wir können das nicht oft genug sagen — ist diese GATT-Runde wichtig. Jeder dritte Arbeitsplatz hängt vom Export ab. In den USA ist es nur jeder zehnte, in Japan auch nur jeder achte.Natürlich sollten wir auch versuchen, den französischen Freunden Brücken zu bauen. Es ist — auch aus der innenpolitischen Sicht — natürlich schwierig, zu Ergebnissen zu kommen. Aber es wäre falsch, jetzt mit dem Finger nach Paris zu zeigen. Ich glaube, der Kollege Roth hat zu Recht gesagt, daß da noch einige Arbeit der Freunde aus der SPD, aber auch aus anderen Parteien, vielleicht auch aus der Regierung vor uns liegt. Missionsarbeit ist jetzt gefragt, ein bißchen „moral suasion", Psychologie. Ich glaube, „splendid isolation" , Isolierung von einigen Partnern und Ländern wäre das falsche Rezept. Das würde nicht zu einem Erfolg führen.Natürlich sind in die Uruguay-Runde neue Bereiche der globalen Wirtschaftsbeziehungen einbezogen worden. Hier ist zu Recht auf den Schutz des geistigen Eigentums oder eben auch auf die Dienstleistungen — ein ganz expansiver Sektor — hingewiesen worden. Wir sind in der Tat an der Weltwirtschaft auch im Dienstleistungssektor sehr stark beteiligt. Dies ist ein Zukunftswachstumssektor par excellence.Mir liegt es fern, zu dramatisieren oder auch schönzufärben, aber ein Scheitern dieser GATT-Runde könnte die Weltwirtschaft in der Tat rasch an den Abgrund einer Krise mit gefährlichen und negativen ökonomischen, möglicherweise auch politischen Konsequenzen bringen. Deshalb ermutige ich alle, zu einem Erfolg zu kommen. Ich hoffe, daß alle das lesen, was der diesjährige Nobelpreisträger Gary S. Becker über die Theorie des rationalen maximierenden Handelns geschrieben hat, und daß seine Grundannahme des Nutzenkalküls bei der GATT-Runde von allen in Amerika, Europa und anderswo mit Erfolg in die Praxis umgesetzt wird.Vielen herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde und gleichzeitig am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. Oktober, 9 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Restarbeitstag.
Die Sitzung ist geschlossen.