Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Vorab habe ich Ihnen mitzuteilen:
Der Kollege Dr. Paul Laufs scheidet als ordentliches Mitglied der Gemeinsamen Verfassungskommission aus. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt als Nachfolger den Kollegen Dr. Friedrich-Adolf Jahn vor.
Sind Sie damit einverstanden? —Es erhebt sich kein Widerspruch. Damit ist Kollege Dr. Friedrich-Adolf Jahn als ordentliches Mitglied in der Gemeinsamen Verfassungskommission bestimmt.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, daß sich das Kabinett u. a. mit dem Gesetz zu dem Schengener Übereinkommen über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, mit Hilfen zur Entlastung von Altschulden der Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern und mit der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts durch die Bundesregierung wegen Nichtbefolgung einer Weisung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit durch das Land Hessen befaßt hat.
Ich erinnere an unsere Regeln, nach denen im Anschluß an die Behandlung dieser Themen Fragen auch zu anderen Bereichen gestellt werden können.
Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bundesminister des Innern, Rudolf Seiters. Herr Bundesminister, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat heute einvernehmlich den Entwurf eines Ratifizierungsgesetzes zum Schengener Abkommen vom 19. Juni 1990 verabschiedet und auf den parlamentarischen Weg gebracht.Ich darf daran erinnern, daß das Übereinkommen 1985 auf Initiative von Staatspräsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl geschlossen wurde. Die Regierungen Belgiens, Frankreichs, Luxemburgs, der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland haben sich daran beteiligt.Das Übereinkommen von 1990 dient der Durchführung. Dieses Übereinkommen regelt die vollständige Aufhebung aller Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Vertragsstaaten sowie die Ausgleichsmaßnahmen, die notwendig sind, damit durch den Verzicht auf Grenzkontrollen im Interesse der Bürger keine unverantwortbaren Sicherheitseinbußen entstehen. Zu diesen Ausgleichsmaßnahmen gehören u. a. einheitliche Kontrollen an den Außengrenzen, ein gemeinsames Fahndungssystem, Erleichterungen und Vereinfachungen im Bereich der internationalen Rechtshilfe und der Auslieferung sowie die Harmonisierung der Sichtvermerkspolitik und der Einreisebedingungen für Drittausländer. Weitere Maßnahmen, die im Schengener Durchführungsübereinkommen vereinbart werden, betreffen u. a. Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Observation und die sogenannte Nacheile durch die Polizei.Dies ist ein wichtiges Vertragswerk. Für die Bundesregierung wäre der Beitritt möglichst aller EG-Mitgliedsstaaten zum Schengener System das beste und schnellste Verfahren, Fortschritte auf dem Weg zum europäischen Binnenmarkt ohne Binnengrenzen im Rahmen der Zwölf zu verwirklichen. Italien, Spanien und Portugal sind dem Vertragswerk inzwischen beigetreten, wodurch die Schengener Gemeinschaft auf acht Staaten gewachsen ist. Griechenland beabsichtigt, in diesem Jahr beizutreten.Ziel der Vertragsparteien ist es, das Übereinkommen spätestens zum 1. Januar 1993 in Kraft zu setzen.Zur Umsetzung des Übereinkommens sind nur einige Änderungen im deutschen Recht erforderlich. Sie betreffen u. a. das Melderechtsrahmengesetz, das Ausländergesetz und das Waffengesetz.Was den asylrechtlichen Teil betrifft, regelt das Übereinkommen, welche Vertragspartei für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Dadurch soll erreicht werden, daß einerseits jedem Asylbewerber im Vertragsgebiet die Durchführung e in e s Asylverfahrens in einem Vertragsstaat garantiert wird, andererseits die Durchführung mehrerer Asylverfahren in verschiedenen Vertragsstaaten vermieden wird. Die Bestimmung der Zuständigkeit
Metadaten/Kopzeile:
6232 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Bundesminister Rudolf Seiterserfolgt nach bestimmten objektiven Kriterien wie Sichtvermerkserteilung, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Einreise über Außengrenzen, Asylantragstellung usw.Aus dem Übereinkommen der europäischen Staaten ergeben sich daher sowohl Übernahmeverpflichtungen als auch Abgabemöglichkeiten.Hinsichtlich der Übernahmeverpflichtungen ist über den gegenwärtigen Rechtszustand hinaus eine innerstaatliche Regelung erforderlich, die die Behandlung von Asylanträgen in den Fällen sicherstellt, in denen der Asylbewerber bereits in einem Vertragsstaat vor Verfolgung sicher war, die Bundesrepublik jedoch nach dem Übereinkommen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.Hinsichtlich der Möglichkeiten, einen Asylsuchenden an den zuständigen Vertragsstaat zu überstellen, sind in Deutschland die verfassungsrechtlichen Beschränkungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes zu beachten. Regelungen, die über das geltende Recht hinaus Möglichkeiten der Überstellung eines Asylbewerbers an einen zuständigen Vertragsstaat vorsehen, unterliegen deshalb verfassungsrechtlichen Risiken. Das bedeutet, daß ohne eine Ergänzung des Grundgesetzes eine volle und gleichberechtigte Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an den asylrechtlichen Bestimmungen des Schengener Übereinkommens nicht möglich ist. Deswegen ist heute vom Kabinett ein Gesetzentwurf verabschiedet worden, der jedes verfassungsrechtliche Risiko ausschließt und zunächst die Übernahmeverpflichtungen regelt.Es hat zwei Protokollerklärungen gegeben, und zwar der CDU/CSU-Minister und der FDP-Minister. Dabei ging es um die bekannten Standpunkte hinsichtlich der Frage, ob jetzt eine Grundgesetzänderung notwendig ist oder nicht; die Sachverhalte sind bekannt.Nach Einschätzung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft und der Schengener Vertragsstaaten trägt das Übereinkommen wesentlich dazu bei, die zum Abbau der Grenzkontrollen notwendigen Arbeiten der Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft zu erleichtern und voranzubringen. Die Schengener Vertragsparteien sehen in dem Übereinkommen einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung eines Raums ohne Binnengrenzen und nehmen es als Ausgangs- und Bezugspunkt für ihr weiteres Vorgehen im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft.Das waren, Herr Präsident, meine einleitenden Bemerkungen.
Danke, Herr Bundesminister.
Als erster Fragesteller ist mir der Kollege Penner angekündigt worden.
Herr Bundesminister, um auf den letzten Teil Ihrer Ausführungen zurückzukommen, frage ich Sie — damit wir alle es richtig verstehen —: Sie, der Bundesinnenminister, sind mit der Mehrheit des Kabinetts der Auffassung, daß der asylrechtliche Teil des Schengener Abkommens nicht ohne Grundgesetzänderung verabschiedet werden kann?
Ich habe gesagt, daß nach Auffassung der CDU/CSU-Minister eine volle und gleichberechtigte Teilhabe an diesem Schengener Übereinkommen ohne eine Grundgesetzergänzung nicht möglich ist.
Herr Kollege Penner, während der Regierungsbefragung ist im Regelfall nur eine Frage möglich.
Ich danke sehr für den Hinweis. Das ist bedauerlich, aber ich akzeptiere es.
Herr Kollege Vosen steht bereit. Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Innenminister, sind Sie bereit, mit wenigen Worten zu erläutern, weshalb Sie glauben, daß das Grundgesetz geändert werden muß? Können Sie das begründen?
Rudolf Seiters, Bundesminister: Ich will die Frage an drei Fallgestaltungen deutlich machen.
Erster Fall: Ein Libanese kommt mit einem italienischen Visum in die Bundesrepublik Deutschland.
Nach dem Schengener Vertragswerk wäre Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig. Die Frage ist, ob wir ihn ohne eine Ergänzung des Grundgesetzes nach Italien zurückschicken können oder nicht. Ich habe von den verfassungsrechtlichen Risiken gesprochen.
Zweiter Fall: Jemand reist als Ausländer durch Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland, wo er Asyl begehrt. Nach dem Schengener Abkommen wäre Frankreich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Auch hier verweise ich auf die verfassungsrechtlichen Schranken des Art. 16 des Grundgesetzes.
Dritter Fall: Jemand hat in einem Staat, der sich am Schengener Abkommen beteiligt, ein Asylverfahren durchlaufen. Dieses Verfahren ist beendet; der Antrag ist rechtskräftig abgelehnt. Diese Person kommt in die Bundesrepublik Deutschland und begehrt ein zweites Verfahren. Nach unserer Verfassungsrechtslage müßten wir ihm ein zweites Verfahren gewähren, wenn auch möglicherweise verkürzt.
In diesen drei Fallgestaltungen unterscheidet sich die verfassungsrechtliche Lage der Bundesrepublik Deutschland von der in anderen europäischen Staaten.
Herr von Larcher, bitte.
Herr Bundesminister, Sie sprachen jetzt von der Auffassung der CDU/CSU-Bundesminister. Ist damit eine Mehrheitsentscheidung im Kabinett gefallen, oder weicht die Stellungnahme der Bundesregierung davon ab?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6233
Die Bundesregierung hat einvernehmlich einen Gesetzentwurf beschlossen und ihn auf den parlamentarischen Weg gebracht, und zwar einen Gesetzentwurf, der verfassungsrechtlich ohne jedes Risiko ist. Darin stimmen CDU/CSU und FDP im Kabinett überein. Es geht ja bei der Ratifizierung des Gesetzentwurfes zum Schengener Abkommen um die Binnengrenzen und die Aufhebung der Personenkontrolle, es geht um die Frage der Ausgleichsmaßnahmen unter den sicherheitspolitischen Gesichtspunkten, von denen ich gesprochen habe, es geht um bestimmte Änderungen innerstaatlichen Rechts — Waffengesetz, Ausländerrecht —, und es geht um die Übernahme der Verpflichtungen, die wir im asylrechtlichen Bereich eingegangen sind. Jetzt ist dies beschlossen und geht auf den parlamentarischen Weg. Wir werden sicherlich noch über die Frage sprechen — auch im Laufe der kommenden Wochen und Monate —, wie weit wir uns über zusätzliche gesetzliche und verfassungsrechtliche Maßnahmen verständigen können. Aber dieser Gesetzentwurf ist einvernehmlich beschlossen. In dem einen ausgeklammerten Bereich hat es zwei unterschiedliche Protokollerklärungen gegeben.
Die nächste Frage stellt der Kollege Schily.
Herr Minister Seiters, Sie haben Ihre Worte, so glaube ich, sehr klar gewählt. Können wir Ihren Äußerungen also entnehmen, daß eine Ratifizierung des Schengener Abkommens ohne Änderung des Grundgesetzes möglich ist?
Ja, natürlich wäre, wenn das politisch gewollt ist, eine Ratifizierung des Gesetzentwurfes, den wir eingebracht haben, politisch möglich. Es bedeutet nur, daß ein nationaler Vorbehalt gegeben ist und daß — das ist meine Auffassung — eine volle und gleichberechtigte Teilhabe nicht möglich ist. Ich denke, das Parlament muß entscheiden, was es politisch will, wie weit es, um die volle und gleichberechtigte Teilhabe zu erreichen, bereit ist, einer Grundgesetzergänzung zuzustimmen oder nicht. Das werden die Beratungen der kommenden Monate ergeben.
Herr Kollege Bernrath.
Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen, daß Sie heute morgen einen Gesetzentwurf beschlossen haben, der eine Teilhabe am Schengener Übereinkommen, wenn auch nicht voll und gleichberechtigt, ohne verfassungsrechtliche Risiken ermöglichen soll. Wird der Inhalt dieses Gesetzentwurfes Einfluß auf den im Entwurf vorliegenden Gesetzentwurf für eine Neufassung des Asylverfahrensgesetzes haben?
Nein, ich habe immer, auch in den letzten Wochen — Herr Kollege Bernrath, das wissen Sie —, gesagt, daß das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz nach meiner persönlichen Meinung zwar die Probleme nicht löst, daß es unter verschiedenen Aspekten aber dennoch ein wichtiges Gesetzesvorhaben ist, daß ich als Bundesminister des Innern alles tun werde, damit der Bund die in den Zielvorstellungen vereinbarten Zusagen fair und voll erfüllt, und daß ich auch von den Ländern sowie den anderen politischen Parteien, die an dieser Zielvorstellung beteiligt waren, erwarte, daß diese Zusagen eingehalten werden. Ich möchte, daß dieses Beschleunigungsgesetz das Parlament möglichst rasch passiert und daß wir uns alle gemeinsam anstrengen, die Beschleunigung, die wir wollen, tatsächlich zu erreichen.
Herr Kollege Graf.
Herr Minister, können Sie einen kurzen Sachstandsbericht geben, wie weit die Bemühungen des Europäischen Parlaments hinsichtlich einer Vereinheitlichung der Regelungen des Flüchtlings- und Asylproblems fortgeschritten sind?
Die Innen- und Einwanderungsminister haben Anfang Dezember in Den Haag getagt; anschließend war der Gipfel in Maastricht. Es gibt eine, wie ich finde, übereinstimmende Bewertung der Minister in der Frage, daß wir zu dieser Harmonisierung des europäisches Asylrechts kommen müssen und daß die Anstrengungen hier zu forcieren sind. Wir haben als Bundesregierung ein elementares Interesse, daß es zu dieser Harmonisierung kommt, auch angesichts der Tatsache, daß sich 60 % aller Asylbewerber, die sich auf dem Gebiet der Europäischen Gemeinschaft aufhalten, derzeit auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland befinden und auch von daher die Lasten unterschiedlich verteilt sind. Wir wollen diese Beschleunigung. Ich sage nur — auch dies allerdings mit Blick auf den Umstand, daß ich hier nicht als Vertreter der CDU/CSU, sondern als Bundesminister des Innern spreche —: Wir müssen bei dem Prozeß der Harmonisierung und bei den Verhandlungen, die wir führen, natürlich auch sehen, von welcher verfassungsrechtlichen Lage wir dabei derzeit ausgehen.
Ich muß mich etwas vorsichtig ausdrücken; der Kollege Kinkel sitzt zu meiner Rechten und hört genau zu, was ich sage.
Herr Kollege Reuter.
Es ist gut, wenn auch innerhalb des Kabinetts eine Kontrolle stattfindet, Herr Kollege. Das ist für uns sehr befriedigend.
Herr Kollege Reuter, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß der Herr Bundesminister gesagt hat, der Kollege Kinkel sitze zu seiner Rechten.
Das ist immer eine Frage des eigenen Standpunkts, Herr Präsident.
Es ist hier eine sehr starke FDP-Präsenz, wie Sie feststellen werden.
Sie sind eingekeilt; wir sehen es.
Metadaten/Kopzeile:
6234 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Bernd ReuterHerr Minister, folgende Frage: Sie haben jetzt geschildert, daß dort Gespräche stattgefunden haben. Mich würde interessieren, welchen Zeithorizont Sie haben, um auf europäischer Ebene eine Vereinheitlichung der Gesetze vorzunehmen.
Das ist schwer zu sagen. Die Prioritäten sind ausgemacht: Definition von „sicheres Herkunftsland" und „ Erstaufnahmeland " und Vereinheitlichung in anderen Fragen. Es war vom ersten Halbjahr 1992 die Rede. Aber das Ganze wird sicherlich nicht im ersten Halbjahr 1992 abgeschlossen werden. Die Verhandlungen werden länger dauern; aber wir tun, was wir können. Nur, ich sage noch einmal: Wir führen diese Verhandlungen — auch das macht die Schwierigkeiten aus, vor denen wir stehen — derzeit auf der Grundlage einer bestimmten verfassungsrechtlichen Situation.
Herr Kollege Dr. Hitschler.
Herr Bundesminister, zu den drei Fallgestaltungen, die Sie geschildert haben: Können Sie uns bitte erklären, wie man in der Praxis die Überprüfung eines solchen Falles bei Wegfall der Grenzkontrollen nach dem Schengener Abkommen durchführen will, also beispielsweise des Falles, daß ein Asylbewerber durch ein anderes Land nach Deutschland reist und sich hier in irgendeiner Stadt meidet? Denn an der Grenze wird er nicht mehr kontrolliert. Wie will man den Nachweis führen, daß er durch Frankreich oder durch irgendein anderes Land hierher gekommen ist, und daraufhin eine eventuelle Abschiebung veranlassen? Wie stellt man sich die praktische Durchführung vor?
Was den Fall eins, also die Ausstellung eines Visums, anbetrifft, ist dies festzustellen; was den Fall drei, nämlich die Frage anlangt, ob ein bereits durchgeführtes Verfahren in einem anderen Land erfolgt ist, desgleichen. Bei dem zweiten Fall wird man in der Tat sehr genau zu prüfen haben: Durch welches Land ist er gekommen? Dazu wird der Betreffende seine Aussagen zu machen haben.
Herr Kollege Dr. Hirsch.
Herr Minister, wir werden noch reichlich Zeit und Gelegenheit haben, über den Sinn eines Verfassungsrechtes zu sprechen, wenn niemand es mehr in Anspruch nehmen kann, d. h. wenn es sozusagen leerläuft, weil wir von Demokratien geradezu umzingelt sind, deswegen keiner mehr die Bundesrepublik erreichen kann und das Asylrecht dann dieselbe Bedeutung hat wie das in der Bayerischen Landesverfassung.
Könnten Sie uns denn mitteilen, welche Schritte die Bundesregierung nun zu unternehmen gedenkt, nicht nur Flüchtlinge abzuwehren — alles, worüber Sie
reden, zielt auf die Abwehr von Flüchtlingen —, sondern irgendeinen wie auch immer gearteten Beitrag dazu zu leisten, daß es weniger Flüchtlinge in dieser Welt gibt? Denn das Abschieben von Flüchtlingen verlagert soziale Lasten nur auf andere, ändert aber nichts am Sachverhalt.
Auch dazu hat die Bundesregierung doch sicherlich entscheidende Anstöße und Vorstellungen entwikkelt. Könnten Sie uns darüber Auskunft geben?
Ich habe mich vorhin — der Kollege Schily hat das vorhin zur Kenntnis genommen und auch ausgedrückt — bei meiner Formulierung mit Blick auf die Kabinettsberatung, die wir heute gehabt haben, und auch mit Blick auf unterschiedliche Positionen von FDP und CDU/ CSU in diesem einen Punkte sehr zurückgehalten. Von daher möchte ich dies in der heutigen Regierungsbefragung, nachdem Sie die Sachlage sehr dezidiert dargestellt haben, gar nicht so gerne weiterführen. Ich muß auch zurückweisen, daß Sie die Bayerische Landesverfassung hier in einen Gesamtzusammenhang bringen, den ich für unangemessen halte.
— Ja, ja. Dann bin ich immer besonders aufmerksam, wenn Sie etwas rühmen, Herr Kollege Hirsch.Vielleicht können wir so verbleiben, daß ich sage: Niemand, so denke ich, in diesem Parlament will, daß das Asylrecht des Grundgesetzes angetastet wird. Wir alle wollen — auch mit Blick auf unsere eigene Geschichte und unsere eigenen geschichtlichen Erfahrungen —, daß die politisch Verfolgten, so wie das Grundgesetz dies vorsieht, Zuflucht und Heimstatt finden.
Aber ist es angesichts der Tatsache, daß im letzten Jahr 256 000 Asylbewerber in die Bundesrepublik gekommen sind, daß die Anerkennungsquote im Jahre 1991 bei 6,9 % gelegen hat,
daß wir im Januar 31 000 Asylbewerber bekommen haben und die Anerkennungsquote bei 5,5 % liegt,
wirklich so abwegig, daß man nach verfassungsrechtlich einwandfreien Wegen sucht, um dieses Asylrecht zwar in vollem Umfang zu erhalten, aber diejenigen Asylbewerber, die aus menschlich verständlichen Gründen — was ich ausdrücklich unterstreiche — kommen, aber eigentlich nicht unter die Asylverheißung des Grundgesetzes fallen, von einem auf wendigen Asylverfahren mit Bleiberecht, von der Verfolgung ihres Anspruches von deutschem Boden aus mit der Inanspruchnahme der sozialstaatlichen Leistungen auszuschließen, weil sie unseres Schutzes nicht bedürfen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6235
Bundesminister Rudolf SeitersDarüber werden wir sicherlich in Ruhe zu sprechen haben. Wenn wir mit gutem Willen darangehen, werden wir hoffentlich zu einer Lösung kommen.Daß wir im übrigen die Gründe für die Flucht und für die Wanderungsbewegung bekämpfen müssen, daß wir die Flüchtlingskonzeption der Bundesregierung aus dem Jahre 1990 fortschreiben müssen und daß wir auch mit finanziellen Mitteln an der Quelle helfen müssen, darüber sind wir uns alle, denke ich, im klaren.
Herr Kollege Singer.
Herr Minister, wollen Sie uns verraten, wie Sie jetzt schon für das laufende Jahr 1992, also für die ersten Wochen dieses Jahres, Anerkennungsquoten bekanntgeben können? Wird tatsächlich so schnell gearbeitet? Bisher ist das doch immer bestritten worden.
Ich muß mich — das gestehe ich gerne zu — auf das verlassen, was mir die Mitarbeiter des Innenministeriums gesagt haben. Ich habe — ich sage dies, wenn Sie es wünschen, gerne unter diesem Vorbehalt — die Zahl von 5,5 % für die im Januar entschiedenen Fälle mitgeteilt bekommen. Die andere Zahl für das Jahr 1991, die Anerkennungsquote von 6,9 %, steht fest und ist, glaube ich, auch nicht streitig.
Herr Kollege Schütz.
Herr Minister, wenn wir gewissermaßen einen Cordon sanitaire von demokratischen Staaten um uns herum haben, wie Kollege Hirsch es gerade gesagt hat, möchte ich Sie fragen: Ist es das Ziel Ihrer Flüchtlings- und Asylpolitik, diese Politik, die wir hier haben, auf die uns umgebenden Staaten zu verlagern, um quasi eine sichere Außenhaut zu schaffen?
Nein, ich bin schon der Meinung, daß die Bundesrepublik Deutschland auch künftig einen Teil der Lasten zu tragen hat. Nur denke ich in der Tat, daß die Verteilung, die es im Augenblick in der Europäischen Gemeinschaft gibt, nämlich daß 60 % der Asylbewerber, die nach Europa kommen, nach Deutschland einreisen, nicht angemessen ist. Hier müssen wir nach Wegen suchen; darum werbe ich.
Herr Kollege Seifert.
Herr Minister, Sie sprechen immer von den Lasten, die die Asylbewerber hier in Europa und natürlich auch in Deutschland verursachen. Stimmen Sie mit mir wenigstens darin überein, daß Menschen, die aus anderen Ländern und aus anderen Kulturen zu uns kommen, auch eine Bereicherung sein können, z. B. in kultureller und anderer Hinsicht?
Das ist ganz sicher so. Wir haben 5,4 Millionen Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, mit denen wir freundschaftlich, so denke ich, auch künftig zusammenleben. Aber Sie können doch an den Tatsachen nicht vorbeigehen. In den letzten Wochen hat auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Engelhardt auf die Frage, ob man dieses Thema nicht aus Wahlkämpfen oder aus dem politischen Streit heraushalten müsse, geantwortet: Dies ist ein Thema, das die Menschen ganz offensichlich bewegt, beunruhigt und teilweise auch ängstigt — aus welchen Gründen auch immer; aber er hat das als Analyse so dargestellt.
Jeder Kollege und jede Kollegin in diesem Saale wissen aus den Besprechungen vor Ort in ihren Gemeinden mit den Menschen, und alle Umfragen zeigen es, daß das Thema Asyl in den alten Bundesländern das wichtigste innenpolitische Thema ist. Ob man das für richtig hält oder nicht, spielt im Augenblick keine Rolle. Aber das ist doch ein Thema! Wenn ich in meinem Wahlkreis mit CDU- oder SPD-Bürgermeistern diskutiere, dann stelle ich fest, daß das Thema von allen gleichermaßen angesprochen wird, und zwar in der Erwartung, daß die Politiker hier in Bonn gemeinsam eine vernünftige Regelung zustandebringen. Das ist der Appell an uns. Darum geht es mir.
Deswegen sage ich: Wir müssen auch daran denken, was die Öffentlichkeit bewegt. Wir müssen auch an die Akzeptanz in der Öffentlichkeit denken, und wir müssen auch an die Probleme denken, die sich in den Gemeinden und auch in den Ländern ergeben. Darüber, daß wir uns in einer Situation befinden, in der Handlungsbedarf besteht, waren sich alle Teilnehmer des Gesprächs der Ministerpräsidenten und der Vertreter der Parteien beim Bundeskanzler am 10. Oktober im klaren. Der Handlungsbedarf wird auch heute von den Fraktionen des Deutschen Bundestages und auch von den Ländern durchaus anerkannt. Es geht jetzt um die Frage, welcher Weg der richtige ist. Darüber streiten wir.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Dauer der Regierungsbefragung ist an sich auf 35 Minuten festgesetzt. Uns bleiben also noch zehn Minuten für die Behandlung der beiden anderen Themen und, falls noch Zeit bleibt, weiterer Themen. Wenn Sie einverstanden sind, schließen wir diesen Komplex jetzt ab. Herr Bundesminister, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen sodann zu dem Thema „Hilfen zur Entlastung von Altschulden der Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern" . Die SPD-Fraktion hat bereits den Kollegen Großmann als ersten Fragesteller angemeldet.
Vielen Dank, Herr Präsident!Frau Ministerin, hat das Kabinett heute angesichts der Tatsache, daß die Wohnungswirtschaft in den neuen Ländern finanziell mit dem Rücken an der Wand steht, angesichts der Tatsache, daß ausweislich der Testate, die die Wirtschaftsprüfer über die Bilanzen des letzten Jahres aufstellen müssen, die ersten
Metadaten/Kopzeile:
6236 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Achim GroßmannKonkurse drohen, und angesichts der Tatsache, daß den Mietern nach Ablauf des Moratoriums hohe Mietsteigerungen drohen, Lösungen gefunden, die dazu führen, daß die Altschulden gestrichen werden können? Wie sehen diese konkreten Lösungen aus, und — vor allen Dingen — in welchem Zeitrahmen werden diese Lösungen jetzt umgesetzt?
Bitte sehr, Frau Bundesministerin.
Vielen Dank, Herr Präsident!
Das Bundeskabinett hat sich heute mit der Frage der Altschulden der Wohnungswirtschaft in der ehemaligen DDR befaßt und den Bundesfinanzminister und die Bauministerin beauftragt, Gespräche mit den Finanzministern und den Wohnungsbauministern der neuen Länder aufzunehmen, die das Ziel haben, eine Überbrückungshilfe festzuschreiben, die die Wohnungsunternehmen nach Auslaufen des Zinsmoratoriums Ende 1993 in die Lage versetzen soll, auf einer vernünftigen wirtschaftlichen Basis weiterzuarbeiten.
Diese Überbrückungshilfe soll so ausgestaltet sein, daß sie auch heute schon einen Charakter hat, der als bilanzwirksam bezeichnet werden kann. Das heißt: Es soll eine verläßliche Grundlage geschaffen werden, auf der die Wohnungsunternehmen ihre eigene Belastung in der Zukunft kalkulieren können.
Bei den jetzt aufzunehmenden Gesprächen mit den neuen Ländern über die Ausgestaltung der Überbrükkungshilfe ist allerdings auch davon auszugehen, daß die Wohnungsunternehmen, bevor sie eine solche Überbrückungshilfe in Anspruch nehmen können, alle Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisieren müssen. Das betrifft zum einen ihre eigene Geschäftsführung, die natürlich so sparsam wie möglich sein muß; das betrifft zum anderen aber auch die Mobilisierung von Reserven aus dem Privatisierungspotential im Wohnungsbestand der östlichen Bundesländer.
Eine Streichung der Altschulden kommt für die Bundesregierung nicht in Frage. Sie kennen die Rechtspositionen: Die Bundesregierung war und ist der Meinung, daß diese Schulden rechtmäßig sind. Sie sind mit dem Einigungsvertrag auf die Kommunen übergegangen, weil sie den Kommunen zusammen mit dem kommunalen Wohnungsbestand zugeordnet worden sind. Was die Wohnungsbaugenossenschaften anbetrifft, so liegen diese Altschulden bei den Wohnungsbaugenossenschaften, die im übrigen selbstverständlich in die Gewährung einer solchen Überbrückungshilfe einbezogen werden müssen.
Wir kennen die Rechtsposition der neuen Länder. Wir rechnen auch damit, daß es zu einem Verfassungsstreit hinsichtlich der Frage kommen wird, welchen Rechtscharakter die Altschulden haben. Aber wir haben mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß die zuständigen Minister der östlichen Bundesländer an einer politischen Lösung dieser Frage interessiert sind. Deswegen rechnen wir damit, daß es schon binnen kurzem zur Aufnahme konstruktiver
Gespräche mit den dafür zuständigen Ministern der östlichen Länder kommt.
Herr Parlamentarischer Geschäftsführer, bitte sehr.
Frau Ministerin, haben Sie schon Schätzungen, inwieweit Zinsendienst und Kapitaldienst die Mieten in den neuen Bundesländern belasten würden, wenn 1993 das Moratorium ausläuft?
Die Kalkulation des notwendigen Geldes, das die Wohnungsunternehmen brauchen, um die Altschulden zu bedienen, belaufen sich im Durchschnitt auf 3 DM pro Quadratmeter. Das kann, vor allen Dingen bei neueren Beständen, bis zu 7 DM pro Quadratmeter hochgehen. Aber im Schnitt ist es ein Betrag von 3 DM pro Quadratmeter. Allein die Tatsache, daß die Bundesregierung den Auftrag erteilt hat, mit den Ländern darüber zu verhandeln, wie eine Überbrückungshilfe für die ostdeutschen Wohnungsunternehmen ausgestaltet sein könnte, spricht dafür, daß die Bundesregierung zumindest nicht ausschließen kann, daß bis zum Auslaufen des Moratoriums die wirtschaftliche Lage der Wohnungsunternehmen und der Wohnungsgenossenschaften in den neuen Ländern nicht so gestaltet ist, daß sie aus eigener Kraft diese Belastung aufbringen können. Deswegen auch unser Interesse, möglichst noch bis Mitte des Jahres zu konkreten Vereinbarungen mit den neuen Ländern über die Ausgestaltung einer solchen Überbrückungshilfe zu kommen. Darüber hinaus ist völlig unbestritten, daß — wie im Einigungsvertrag vorgesehen — weitere Mietanpassungsschritte nach der Einkommensentwicklung der Bürger in den östlichen Bundesländern vorzusehen sind. Dieses wird zu gegebener Zeit zu prüfen sein.
Herr Kollege Dr. Seifert.
Frau Ministerin, abgesehen davon, daß ich ein bißchen traurig bin, daß Sie nur beschlossen haben, Gespräche zu führen, möchte ich doch fragen, wie nach Ihrer Vorstellung die Wohnungsbaugesellschaften und selbstverständlich auch die Genossenschaften und die privaten Wohnhausbesitzer auf dem Gebiet der ehemaligen DDR überhaupt in die Lage versetzt werden sollen, neue Wohnungen — und zwar massenhaft neue Wohnungen — zu bauen, wenn Sie verlangen, daß sie bis an den Rand ihrer Möglichkeiten gehen, um die eigenen Potenzen auszuschöpfen, zumal sie ohnehin — das wurde vorhin bereits gesagt — nicht nur am Rande der Existenzmöglichkeiten sind, sondern zum Teil schon kurz vor dem Ruin stehen.Also meine Frage: Wie sollen diese Gesellschaften und die Genossenschaften neue Wohnungen bauen? Denn darum geht es doch: Wir brauchen neue Wohnungen und nicht nur eine Umverteilung der Schulden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6237
Verzeihung, Frau Bundesministerin, ich muß leider eine geschäftsleitende Bemerkung machen. Diese Regierungsbefragung soll eigentlich aus Fragen an die Bundesregierung bestehen. Es gilt die angelsächsische Methode: kurze Fragen, kurze Antworten. Wenn aber Fragen von so allgemeiner Breite einschließlich Debattenbeitrag und Standortbestimmung gestellt werden, sieht sich die Regierung natürlich auch gezwungen, ebenso breit zu antworten. Das bedeutet, daß wir am Tage einer Kabinettssitzung gerade mit einem Thema und vielleicht noch mit zwei, drei Fragen zum nächsten Thema durchkommen werden und hier manche Kollegen nicht zum Zuge kommen, die zu anderen Themen auch noch gerne gefragt hätten. Ich sage das jetzt für die nächste Regierungsbefragung. Wir werden heute ein paar Minuten verlängern, damit wir wenigstens das andere Thema auch noch anschneiden können.
Bitte sehr, Frau Bundesministerin.
Herr Präsident, ich will versuchen, es so kurz wie möglich zu machen.
Herr Kollege, in den östlichen Bundesländern steht nach wie vor die Instandsetzung und die Modernisierung des Wohnungsbestandes im Vordergrund. Sie wissen, daß es dazu umfangreiche Hilfen der Bundesregierung gibt: zinsverbilligte Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau, 20 %ige Investitionszuschüsse, Abschreibungsmöglichkeiten, die auch in die Zukunft verlagert werden können, von denen die Wohnungsunternehmen dann auch in einem Zeitraum Gebrauch machen können, der nach unseren Vorstellungen ausreichend lang bemessen ist.
Der Neubau, den wir zweifellos auch brauchen, muß sich, wirtschaftlich gesehen, zu einem sehr viel größeren Teil aus den zu erzielenden Mieten tragen, als das beim Altbaubestand der Fall ist. Deswegen ist im Einigungsvertrag auch vorgesehen, daß im Neubau die Mietenbeschränkungen, die für den Altbaubestand derzeit gelten, keine Gültigkeit haben.
Im Vordergrund für uns steht allerdings das Bewohnbarmachen der etwa 1 bis 1,5 Millionen Wohnungen, die derzeit Leerstehen, weil sie unbewohnbar sind, aber eine Bausubstanz aufweisen, die es nicht nur lohnend macht, sie zu restaurieren, also wieder bewohnbar zu machen, sondern die auch für die Stadtentwicklung und für das Befinden der Menschen in ihrer Stadt ungeheuer wichtig sind. Deswegen sehen wir hier die Prioritäten.
Herr Kollege Dr. Knaape.
Frau Ministerin, wie sind die Vorstellungen über die anteilsmäßige Übernahme der Schuldenlast seitens des Bundes, der Länder und der Kommunen?
Herr Kollege, der Bund ist bereit, sich an einer Überbrückungshilfe zusammen mit den Ländern und Gemeinden zu gleichen Teilen zu beteiligen. Im übrigen stellen wir
uns eine Regelung vor, nach der diese Überbrükkungshilfe je nach Unternehmen unterschiedlich hoch ausfällt. Das bedeutet, daß wir zum einen den Anteil an besonders hoch mit Schulden belasteten neuen Wohnungen berücksichtigen, also Wohnungen, die erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre gebaut worden sind, daß wir darüber hinaus aber auch berücksichtigen, ob ein Unternehmen z. B. einen hohen Anteil an privatisierungsfähigen Wohnungen hat, der nicht nur nach unseren Vorstellungen, sondern auch nach dem Einigungsvertrag zu privatisieren ist. Die daraus erzielten Erlöse müssen selbstverständlich in die Wirtschaftlichkeitsrechnung des Unternehmens einbezogen werden.
Danke, Frau Bundesministerin. Jetzt stelle ich die Frage, ob es noch Fragen zum dritten Themenbereich gibt. —
Herr Umweltminister, wir haben heute schon darüber diskutiert; lassen Sie mich deshalb eine zusammenfassende Frage stellen: Sie haben das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eingeleitet. Wir haben heute die Aussage des hessischen Umweltministers gehört, daß bis zum Freitag vormittag mit einem nicht unwichtigen Gutachten zu rechnen ist. Ich frage jetzt, ob Sie bereit sind, dieses Gutachten in Ihre Überlegungen einzubeziehen.
Herr Bundesminister Professor Töpfer, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Kübler, ich habe noch einmal darauf hinzuweisen, daß wir zunächst eine Nichtbefolgung der Weisung festzustellen haben. Als Termin für den Vollzug der Weisung war der 5. Februar festgesetzt. Sie ist nicht vollzogen worden. Deswegen liegt ein verfassungswidriger Zustand vor. Wir waren daher genötigt, einen entsprechenden Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht einzuleiten.
Wir sind darüber informiert, daß der Kollege Fischer weitere gutachterliche Stellungnahmen angefordert hat. Wir werden ganz sicherlich auch alle anderen Informationen berücksichtigen. Nur, an der Notwendigkeit des Vollzugs der Weisung ändert das nichts.
Herr Kollege Schily.
Herr Minister Töpfer, gesetzt den Fall, der Gutachter kommt zu dem Ergebnis, der Vollzug Ihrer Weisung ist mit einem strafrechtlichen Risiko für die Beamten, die sich daran beteiligen müssen, verbunden: Würden Sie dann Ihre Auffassung aufrechterhalten, daß der Vollzug notwendig ist?
Herr Kollege Schily, wir haben ebenfalls vor der Weisung, wie Sie sich vorstellen können, diese Frage sehr umfassend und auch nach gutachterlicher Beratung erörtert. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß es ein solches strafrechtliches Risiko nicht gibt. Sonst hätten wir die Weisung gar nicht erlassen.
Metadaten/Kopzeile:
6238 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Bundesminister Dr. Klaus TöpferWenn ein anderer Gutachter den Kollegen Fischer anders berät, dann wird es sicherlich die Meinung des Herrn Kollegen Fischer sein, seinerseits zum Bundesverfassungsgericht gehen zu sollen.
Letzte Frage, Herr Kollege Schütz.
Herr Minister, darf ich noch einmal nachfragen: Sie haben ja erst heute im Kabinett entschieden, zum Verfassungsgericht zu gehen. Normalerweise wird die Umsetzung eines solchen Verfahrens ein oder zwei Tage dauern, weil man noch einmal schreiben muß usw. Das wären faktisch ein oder zwei Tage, bevor Ihnen das Gutachten auf dem Tisch liegt.
Ist es da nicht vernünftiger zu sagen: Ich schaue dort einmal hinein und entscheide erst dann? Herr Fischer hat heute gesagt — Sie wissen das —, daß das für ihn eine Sache von einer Woche sei. Diese zwei oder drei Tage, die dann noch offen sind, für eine Prüfung zu nutzen halte ich für angemessen.
Ich kann Ihnen Ihre Meinung nicht absprechen, Herr Kollege Schütz. Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, daß ein verfassungswidriger Zustand vorliegt. Herr Kollege Fischer hat sehr deutlich gesagt, daß er seine Handlung davon abhängig machen wird, was in diesem Gutachten steht.
Ich wiederhole: Dies ist von uns abschließend geprüft; deswegen ist die Weisung zu vollziehen. Das ist ein ganz normaler Vorgang, der in Art. 85 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Ich möchte nur klargestellt haben: Ein verfassungswidriger Zustand ist zu beseitigen. Dies haben wir hiermit getan. Es steht jedem frei, eine andere Meinung zu haben. Dann muß er dies vor den zuständigen Gerichten entsprechend anhängig machen und ein Urteil darüber bekommen.
Wir haben es — auch das möchte ich deutlich sagen — überhaupt nicht an einer auch sehr zeitaufwendigen Diskussion mit dem Kollegen in Hessen fehlen lassen. Wir haben den vorgeschriebenen Verfahrensgang sehr extensiv genutzt und alle Fragen im bundesaufsichtlichen Gespräch sehr intensiv erörtert. Es kann also von einer zeitlichen Hektik überhaupt nicht die Rede sein.
Wenn der Kollege Fischer der Meinung ist, hier sei ein strafrechtliches Risiko vorhanden, so hätte er sich in den letzten Monaten ein Gutachten anfertigen lassen müssen, dessen Erstellung, wie wir jetzt sehen, praktisch nur eine Woche dauert. Eine solche Überlegung hätte man vorher sicherlich genausogut anstellen können.
Herr Bundesminister, da ein sehr erfahrener Schriftführerkollege, der hier schon oft selbst unter Zeitüberschreitungen gelitten hat, noch eine Frage auf dem Herzen hat, bitte ich darum, daß der Herr Kollege Reuter diese Frage noch stellen darf. Sie ist sicher ganz wichtig.
Schönen Dank, Herr Präsident. Ich bemühe mich, die Frage kurz zu formulieren.
Herr Minister, mir fiel bei Ihrer Antwort an den Kollegen Kübler auf, daß Sie sagten, daß Sie das Ergebnis des Gutachtens, das der Kollege Fischer in Auftrag gegeben hat, in Ihre Überlegungen einbeziehen, daß Sie aber kurz darauf dem Kollegen Schily antworteten, daß für Sie ganz unerheblich ist, was in dem Gutachten steht; die Weisung werde auf jeden Fall vollzogen. Klären Sie uns bitte über diesen Widerspruch auf.
Zunächst einmal, Herr Präsident, darf ich Ihnen bestätigen, daß der Kollege Reuter nicht nur als Schriftführer große Erfahrungen hat, sondern auch im Zusammenhang mit dem hier in Rede stehenden Sachkomplex. Wir haben unsere Meinungen an vielen Stellen immer wieder austauschen können.
Dieses ist überhaupt kein Widerspruch. Es ist ganz eindeutig: Wir haben eine Rechtsauffassung, die wir auch dem Kollegen Fischer vorgetragen haben, die wir ihm sogar in der Weisung vorgegeben haben.
Auf der Grundlage dieser unserer Rechtsauffassung kann es kein strafrechtliches Risiko geben. Wenn jemand eine andere Rechtsauffassung zugrunde legt, dann kann er möglicherweise zu einem anderen Ergebnis kommen. Dieses Gutachten werden wir dann natürlich ebenfalls mit durchzusehen haben.
Wir haben uns unsere Meinung gebildet und in der Weisung auch niedergelegt. So ist es nun einmal in unserer Verfassungsordnung festgelegt: Diese Weisung ist zu vollziehen. Wer sie nicht vollzieht, stellt sich in einen Gegensatz zur Verfassung. Deswegen ist das vor dem Bundesverfassungsgericht auszutauschen. Einen Widerspruch kann ich darin überhaupt nicht sehen.
Die für die Regierungsbefragung vorgesehene Zeit ist damit abgelaufen.Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 12/2051 —Als erster Bereich steht der Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf der Tagesordnung. Die Frage 1 des Kollegen Ostertag wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Damit kommen wir gleich zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6239
Vizepräsidentin Renate SchmidtIch rufe die Frage 2 des Kollegen Hans Wallowauf:Wie beurteilt die Bundesregierung die zunehmenden Gewaltdarstellungen im Fernsehen, besonders im Hinblick auf ihre Wirkung auf Jugendliche?
Die Bundesregierung begrüßt es, daß das Thema der Gewaltdarstellung im Fernsehen in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Sie beobachtet mit Sorge den hohen und offenbar steigenden Anteil von Beiträgen mit gewalttätigen Inhalten im Programmangebot vieler Fernsehanbieter.
Nach unserer verfassungsmäßigen Ordnung kann die Bundesregierung keine unmittelbare Beeinflussung der Medien vornehmen. Die Bundesregierung hat aber bereits mit dem Bericht der Gewaltkommission die Forderung nach einer drastischen Reduzierung der Gewaltdarstellungen für die Unterhaltungsprogramme erhoben.
Letztlich kommt es auf eine verantwortungsbewußte Haltung der Medienverantwortlichen an. Daneben ist es Aufgabe der Eltern, dafür Sorge zu tragen, daß Kinder keine Sendungen sehen, deren Bewältigung ihre altersgemäßen Fähigkeiten übersteigt.
Die Bundesregierung fördert im Rahmen ihrer Zuständigkeit auf der Grundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes Maßnahmen der außerschulischen Jugendbildung einschließlich der Medienpädagogik.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Verfaßtheit unserer Gremien, die Selbstverwaltung der Sender — das ist mir schon klar. Hat die Bundesregierung nach Ihren Festellungen — die, zieht man einmal die regierungsfreundlichere Interpretation ab, in etwa mit dem übereinstimmen, was ich auch beobachte einzelne Initiativen unternommen — beispielsweise in Richtung der Aufsichtsgremien, die ja einen gesetzlichen Auftrag haben — und, wenn ja, welche?
Peter Hintze, Parl Staatssekretär: Herr Kollege Wallow, nach der im Grundgesetz niedergelegten Kompetenzverteilung sind für das Rundfunkwesen grundsätzlich die Länder zuständig. Diese haben die entsprechenden Regelungen in einem am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland getroffen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich will noch einmal zu dem Ausgangspunkt meiner Frage zurückkehren. Die ständige Wiederholung von Gewalt im Fernsehen — nicht nur abends, sondern auch zu Zeiten, wo hauptsächlich Kinder vor dem Fernseher sitzen —führt meines Erachtens wie alle kontinuierlichen Einflüsse zu sozialem Lernen. Damit wird Gewalt auch als Problemlösung angeboten. Wie sieht die Bundesregierung diese im Grunde genommen Dauerberieselung von Gewalt? Wie schätzt sie ihre Wirkung auf Kinder ein?
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär: Die heftige und zunehmende Darstellung von Gewalt in den Unterhaltungsprogrammen gerade auch zur frühen Stunde wird von der Bundesregierung sehr kritisch beurteilt, wie ich bereits in der Antwort auf Ihre Frage ausgeführt habe, aber auch gerne wiederhole. Es ist eine Herausforderung, der sich die Medienverantwortlichen, die Medienschaffenden, die Aufsichtsgremien im Rahmen der Selbstkontrolle zu stellen haben. Die Bundesregierung hat hier keine unmittelbare Eingriffsmöglichkeit.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Knaape.
Herr Staatssekretär, Ihrer Formulierung war zu entnehmen, daß die Bundesregierung offenbar davon ausgeht, daß mit zunehmender geistiger Reife ein gewisses Maß an Gewalteinwirkung der Erziehung der Kinder und Jugendlichen zuträglich ist. Auf welche wissenschaftlichen Untersuchungen gründen Sie das, und sind Sie bereit — da das in Ihrer Formulierung enthalten war —, das schriftlich zur Kenntnisnahme vorzulegen?
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da ich diese Interpretation, die Sie mir anbieten, nicht teile, kann ich Ihnen dafür auch keine Begründung liefern.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Herzlichen Dank, Herr Hintze.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Dr. Sabine Bergmann-Pohl zur Verfügung.
Ich rufe Frage 66 der Frau Kollegin Regina SchmidtZadel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf Grund des Intensivpflegekräftemangels in der Herzchirurgie für Kinder Operationstermine abgelehnt bzw. verschoben werden und daß wegen dieser Verzögerungen Kinder sterben?
Frau Kollegin, der Bundesregierung sind Pressemitteilungen bekannt, wonach Operationstermine in der Herzchirurgie für Kinder verschoben werden müssen. Daß Kinder wegen der Verzögerungen sterben müssen, wurde von keiner seriösen Zeitung berichtet. Es entspräche auch nicht der ärztlichen und pflegerischen Wirklichkeit.
Bei medizinischen Engpässen, die es leider auch in anderen Bereichen gibt, werden lebenserhaltende Eingriffe vorgezogen. Notfalls wird auch auf Kapazitäten im Ausland zurückgegriffen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben darauf hingewiesen, daß solche Meldungen bisher von keiner seriösen Zeitung veröffentlicht worden sind. Mir sind entsprechende Berichte bekannt, und auch Angehörige haben mir derartiges
Metadaten/Kopzeile:
6240 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Regina Schmidt-Zadelgesagt. Ich weiß nicht, was Sie unter seriöser Presse verstehen bzw. von welcher Presse Sie reden, aber ich würde gerne wissen, ob Sie hinsichtlich dieser Tatsache auch andere Nachforschungen angestellt haben.
Frau Kollegin Schmidt-Zadel, wenn Sie mir konkrete Fälle nennen können, in denen Kinder nicht operiert worden und deshalb verstorben sind, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Wir würden dieser Sache gern nachgehen.
Weitere Zusatzfrage? —
Dann kommen wir zur Frage 67 der Frau Kollegin Schmidt-Zadel:
Wenn ja, mit welchen Sofortmaßnahmen gedenkt die Bundesregierung diesen unglaublichen Mißstand zu beheben?
Nach § 6 Krankenhausfinanzierungsgesetz stellen die Länder die Krankenhauspläne mit dem Ziel auf, eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Wenn eine solche Versorgung wegen bestehender Personalengpässe nicht möglich ist, ist es Aufgabe der Länder, gegebenenfalls auch mit Sofortmaßnahmen für Abhilfe zu sorgen. Auch die Krankenhäuser, Krankenhausträger und Krankenkassen müssen für eine ausreichende und angemessene Personalausstattung sorgen und in Extremfällen gegebenfalls auch entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Die Bundesregierung kann mittelfristig helfen, indem sie im Rahmen des § 19 Krankenhausfinanzierungsgesetz Maßstäbe und Grundsätze zur Personalbedarfsermittlung in diesem Bereich entwickelt und als Personalverordnung mit Zustimmung des Bundesrates erläßt. Voraussetzung für die Zuständigkeit der Bundesregierung zum Erlaß dieser Personalverordnung war, daß sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung in dieser Frage innerhalb der Jahresfrist nach § 19 Abs. 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht einigen konnten. Eine entsprechende Verordnung kann jedoch nicht als Heilmittel zur Lösung spezieller Personalprobleme angesehen werden. Hier bleiben auch die oben genannten Entscheidungsträger in der Verantwortung.
Die Bundesanstalt für Arbeit entwickelt ebenfalls zahlreiche Initiativen zur Gewinnung von zusätzlichem Pflegepersonal im Krankenhaus.
Zusatzfrage zu dieser vergleichsweise langen Antwort.
Frau Staatssekretärin, Sie haben darauf hingewiesen, daß die Länder für diese Frage hauptverantwortlich sind. Ihnen ist sicher bekannt, daß es bei der Bundesregierung eine Expertenkommission zu diesem Schwerpunktthema gibt. Wie weit sind die Bemühungen dieser Kommission gediehen, in dieser an sich sehr schwierigen Situation — das haben Sie in Ihrer Antwort ja zugestanden — Abhilfe zu schaffen?
Frau Kollegin Schmidt-Zadel, wir haben das im Ausschuß besprochen. Die Expertenkommission ist bei der Arbeit; die Überprüfungen mit Blick auf die Personalverordnung laufen. Wir rechnen damit, daß diese Verordnung dem Bundesrat im ersten Halbjahr 1992 zur Zustimmung vorgelegt werden kann.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Dann kommen wir zur Frage 68 des Kollegen Klaus Kirschner:
Wie viele Krankenkassen mußten zum 1. Januar 1992 ihre Beitragssätze anheben, und um wieviel ist dadurch der durchschnittliche Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung angestiegen?
Herr Kollege Kirschner, nach den mir vorliegenden statistischen Angaben haben 301 von insgesamt 1 104 Krankenkassen in den alten Bundesländern ihre Beitragssätze zum 1. Januar 1991 angehoben. Gleichzeitig kam es bei 43 Krankenkassen zu Beitragssatzsenkungen. Beitragssatzveränderungen wurden überwiegend bei kleineren und mittelgroßen Krankenkassen durchgeführt. Der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz hat sich gegenüber Dezember 1991 von 12,20 % auf 12,46 % und damit um 0,26 Prozentpunkte erhöht.
In den neuen Bundesländern haben 107 Krankenkassen — darunter die meisten Betriebskrankenkassen und wenige Innungskrankenkassen — ihre Beitragssätze zum 1. Januar 1992 gesenkt. Die Beitragssatzsenkungen der Betriebskrankenkassen sind insbesondere darauf zurückzuführen, daß diese Kassen — wie in den alten Bundesländern — die Personalkostenanteile an den Verwaltungskosten ab 1992 auf die Arbeitgeber übertragen müssen. Die übrigen Krankenkassen, insbesondere die Allgemeinen Ortskrankenkassen und die Ersatzkassen, haben ihre Beitragssätze trotz Anhaltspunkten für eine insgesamt günstige Finanzentwicklung noch nicht verändert. Ursächlich dafür ist insbesondere die noch ungesicherte Datenlage erster Finanzschätzungen aus dem Jahre 1991.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kirschner.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir sagen, wie sich die Abstände zwischen den einzelnen Kassenarten in den alten Bundesländern dadurch verändert haben, und rechnet die Bundesregierung mit weiteren Beitragssatzanhebungen in diesem Jahr oder Anfang nächsten Jahres, speziell bei den großen Ersatzkassen?
Diese Frage kann ich Ihnen hier jetzt nicht im Detail beantworten. Sie wollen sicherlich eine genaue Zahlenangabe; diese würde ich Ihnen gern schriftlich zukommen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Kirschner.
Frau Staatssekretärin, welches sind denn nach Auffassung der Bundesregierung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6241
Klaus Kirschnerdie Gründe dafür, daß in den alten Bundesländern rund 300 Krankenkassen ihren Beitragssatz zum 1. Januar 1992 anheben mußten, obwohl doch das Gesundheits-Reformgesetz angeblich eine Beitragsstabilität, und zwar auf niedrigem Niveau, auf Dauer bringen sollte?
Herr Kollege Kirschner, Sie wissen daß die Ausgaben der Allgemeinen Ortskrankenkassen regional über der Entwicklung der Grundlohnsumme lagen und daß dementsprechend die Rücklagen nicht ausgereicht haben und Beitragssatzerhöhungen in kleinerem Maßstab vorgenommen werden mußten.
Zu dieser Frage liegen keine weiteren Zusatzfragen vor.
Wir kommen dann zur Frage 69 des Kollegen Klaus Kirschner:
Welche Verbindlichkeit mißt die Bundesregierung dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung bei, wie er in den beiden deckungsgleichen Gesetzentwürfen zur Strukturreform im Gesundheitswesen der Bundesregierung (Drucksache 11/2493) und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (Drucksache 11/2237) formuliert wurde?
Nach § 71 SGB V haben die Krankenkassen und die Leistungserbringer in den Vereinbarungen über die Vergütung der Leistungen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität zu beachten. Das bedeutet, daß die Vergütungsvereinbarungen so zu gestalten sind, daß Beitragssatzerhöhungen vermieden werden, es sei denn, die notwendige medizinische Versorgung ist auch unter Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven ohne Beitragssatzerhöhungen nicht zu gewährleisten.
Eine Zusatzfrage, Kollege Kirschner.
Frau Staatssekretärin, mit welchen Mitteln reagiert die Bundesregierung auf vertragliche Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Leistungsanbietern, die Ausgabensteigerungen oberhalb der Grundlohnentwicklung vorsehen?
Frau Staatssekretärin, ich erinnere an die Fragestunde vom 13. November 1991, in der Sie angekündigt haben, wenn bei solchen Vertragsvereinbarungen der Grundsatz der Beitragsstabilität nicht eingehalten werde, werde die Bundesregierung solche Verträge aufsichtsrechtlich prüfen und gegebenenfalls sogar beanstanden.
Herr Kollege Kirschner, ich stehe auch weiterhin zu meiner Antwort vom November 1991. Es sind bisher noch nicht alle Verträge abgeschlossen worden; die Vertragsverhandlungen laufen zum Teil noch. Die Verträge werden sehr sorgfältig daraufhin zu prüfen sein, ob sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.
Eine Zusatzfrage, Kollege Kirschner.
Frau Staatssekretärin, sind unter dem Grundsatz der Beitragsstabilität auch solche Überlegungen zu sehen, wie sie laut Agenturmeldungen anscheinend im Bundesministerium für Gesundheit von Frau Hasselfeldt angestellt werden, das bewährte Sachleistungsprinzip beim Zahnersatz in ein Kostenerstattungsprinzip bei gleichzeitiger Anhebung der Eigenbeteiligung der Versicherten umzuwandeln, um damit ein zusätzliches Mittel zu bekommen und Ausgabensteigerungen zu bremsen?
Herr Kollege Kirschner, ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar. Ich sehe mir die Pressemitteilungen immer sehr kritisch an. Wenn man sie genau liest, dann stellt man fest, daß Frau Ministerin Hasselfeldt nicht zugesagt hat, daß sie vom Sachleistungsprinzip abgehen wird; sie wird vielmehr die geforderte Kostenerstattung überprüfen lassen.
Weitere Zusatzfragen liegen derzeit nicht vor.
Damit kommen wir, nachdem die Frage 70 des Kollegen Wittmann schriftlich beantwortet wird — die Antwort wird als Anlage abgedruckt —, zur Frage 71 des Kollegen Horst Jaunich:
Welche inhaltlichen Vorstellungen hat die Bundesregierung hinsichtlich eines Gesetzes über Psychotherapeuten?
Ilerr Kollege Jaunich, nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll das Gesetz den Zugang zu den Berufen des Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten einschließlich des Schutzes der Berufsbezeichnung, des Status der Berufsangehörigen und der Ausbildung regeln. Die Frage der Einbindung dieser Berufe in das System der gesetzlichen Krankenversicherung wird zur Zeit noch geprüft.
Die Berufsangehörigen sollen berechtigt sein, Psychotherapie eigenverantwortlich auszuüben. Dabei soll vorausgesetzt werden, daß eine Behandlungsbedürftigkeit des Patienten wegen einer körperlichen Erkrankung durch den Arzt zuverlässig ausgeschlossen worden ist.
Eine Zusatzfrage, Kollege Jaunich.
Frau Staatssekretärin, könnten Sie ein wenig genauer sagen, was hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Psychotherapeut und gesetzlicher Krankenversicherung noch Gegenstand der Prüfung ist?
Herr Kollege Jaunich, wie ich ausgeführt habe, prüfen wir zur Zeit noch die Einbindung dieser Berufe in die gesetzliche Krankenversicherung.
Die zweite Zusatzfrage, Kollege Jaunich.
Kann man daraus schließen, daß Sie die Empfehlungen des Gutachtens — seinerzeit von der Bundesregierung angefordert — nicht in die Tat umsetzen möchten?
Metadaten/Kopzeile:
6242 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Herr Kollege Jaunich, eine Prüfung beinhaltet nicht, daß man etwas nicht in die Tat umsetzt,
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Knaape.
Frau Staatssekretärin, ist Ihrer Antwort zu entnehmen, daß die Bundesregierung weiterhin darauf besteht, daß das Delegationsverfahren von der ärztlichen Seite her beibehalten wird?
Herr Kollege Knaape, das Delegationsverfahren soll zu einem Kooperationsverfahren umgewandelt bzw. erweitert werden. Das heißt, eine Zusammenarbeit zwischen Psychologen, Psychotherapeuten und Arzt soll gewährleistet werden.
Nachdem zu dieser Frage keine weiteren Zusatzfragen vorliegen, rufe ich nunmehr Frage 72 des Kollegen Jaunich auf:
Welche zeitlichen Vorstellungen hat die Bundesregierung hinsichtlich des Gesetzgebungsverfahrens?
Herr Kollege Jaunich, ein Entwurf eines Psychotherapeutengesetzes soll im erste Halbjahr vorliegen. Die Beschlußfassung des Bundeskabinetts über einen Gesetzentwurf wird für das Jahr 1993 angestrebt.
Zusatzfrage, Kollege Jaunich.
Soll der von Ihnen, Frau Staatssekretärin, eben genannte Entwurf im ersten Halbjahr ein Referentenentwurf sein, oder welchen Charakter soll dieser Entwurf haben?
Es wird sich zunächst um einen Referentenentwurf handeln.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Frage 73 des Kollegen Ostertag wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Wieczorek zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Kollegen Dr. Klaus Kübler auf:
Kann die Bundesregierung die vor der Presse gemachte Zusicherung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Klaus Töpfer, bestätigen, wonach die riesige Menge des bei der Nuklearabrüstung der GUS aus Militärbeständen der ehemaligen UdSSR anfallenden Plutoniums nicht zur Verarbeitung nach Deutschland, z. B. nach I lanau, gebracht wird?
Herr Kollege Kübler, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß eine Verarbeitung des aus Waffenbeständen der ehemaligen Sowjetunion stammenden Plutoniums in der Bundesrepublik Deutschland unter keinen Umständen in Betracht kommt.
Zusatzfrage, Kollege Kübler.
Herr Staatssekretär, dies ist ja ein sehr großer Problembereich. Wie und durch wen kam diese Frage überhaupt auf?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kübler, ich bin jetzt etwas überfragt, denke aber, daß das durch die Medien geschehen ist. Ich muß das aber noch recherchieren; ich kann das jetzt nicht genau sagen.
Es gibt allerdings, wie auch Ihnen bekannt ist, Hilfsersuchen der Staaten der ehemaligen Sowjetunion an einen der führenden Kernwaffenstaaten, nämlich die USA, beim Abbau der atomaren Bewaffnung und bei der Vernichtung von Atomwaffen behilflich zu sein.
Zweite Zusatzfrage, Kollege Kübler.
Ihnen liegen also keine Informationen darüber vor, daß eventuell deutsche Firmen dieses Angebot gemacht haben?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Nein. Ich hatte das bei der Beantwortung der Frage eben ausdrücklich eingeschlossen.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage liegen nicht vor.
Ich rufe Frage 4 des Kollegen Dr. Klaus Kübler auf:
Hat die Bundesregierung Kenntnis von Atommüll-Lagerstätten in Tibet, und ist ihr etwas bezüglich berichteter Nuklearentsorgungspläne zwischen der Republik China und der Volksrepublik China von einer Einbeziehung Tibets bekannt?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kübler, der Bundesregierung ist aus Presseberichten bekannt, daß die Volksrepublik China und Taiwan künftig bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle zusammenarbeiten wollen. Laut Presseberichten sind beide Regierungen gegenwärtig auf der Suche nach gemeinsamen Lagerstätten für Nuklearabfälle auf dem chinesischen Festland. Die Bundesregierung hat keine Hinweise darauf, daß in Tibet radioaktive Abfälle endgelagert werden oder dort endgelagert werden sollen.
Zusatzfrage, Kollege Kübler.
Herr Staatssekretär, betrachtet die Bundesregierung Tibet in diesem Zusammenhang als Teil des Staatsgebietes von China?Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kübler, diese Frage kann ich mit Nein beantworten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6243
Weitere Zusatzfrage, Kollege Kübler.
Keine weitere Zusatzfrage. Vielen Dank.
Ich rufe Frage 5 des Kollegen Heinz-Jürgen Kronberg auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Umweltfreundlichkeit der sich seit einiger Zeit im Handel befindlichen Platten aus gebrauchten Getränkeverpackungen bzw. Tetrapack-Tüten?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kronberg, die im Handel befindlichen Erzeugnisse aus Getränkeverpackungen werden nach Informationen des Umweltbundesamtes bisher ausschließlich aus unverschmutzten Verbundkartonproduktionsabfällen hergestellt. Verbundkartonabfälle sind ein Verbund aus Papier, Polyethylen und Aluminium.
Hinsichtlich dieser Werkstoffe sind relevante Umweltbelastungen weder bei der Herstellung noch beim Gebrauch oder bei der Entsorgung von Platten aus gebrauchten Getränkeverpackungen zu befürchten. So müssen die Platten die gleichen Testkriterien der Bundesanstalt für Materialprüfung bestehen wie Platten aus anderen Materialien auch, wobei ich nochmals erweitere: Es handelt sich hier um Dämmplatten.
Zusatzfrage, Kollege Kronberg? — Nein. Weitere Zusatzfragen liegen dazu nicht vor.
Ich rufe Frage 6 des Kollegen Heinz-Jürgen Kronberg auf:
Welche heute technisch möglichen Wiederverwendungsmöglichkeiten von gebrauchten Getränkeverpackungen bzw. Tetrapack-Tüten hält die Bundesregierung bei Berücksichtigung der Ökobilanz der entstehenden Produkte für umweltpolitisch sinnvoll?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kronberg, für die stoffliche Verwertung gebrauchter Verbundkarton-Verpackungen kommen prinzipiell drei Verfahren in Betracht: erstens ein Verpressen der Verbundkarton-Verpackungen ohne Auftrennung des Verbundes, z. B. die soeben erwähnten Dämmplatten, zweitens die Rückgewinnung eines gebrauchsfähigen Papierfasermaterials, drittens die Trennung des Verbundes in alle drei Fraktionen, nämlich Papier, Aluminium und Polyethylen.
In Raubling in Bayern wurde vor kurzem die erste Produktionsanlage in Betrieb genommen, die jetzt schon die Verbunde in Papier und Polyethylen trennt. Im Sommer dieses Jahres wird eine zusätzliche Gewinnung von Aluminium aus Verbundverpackungen möglich sein. Die Anlage wird in der Endausbaustufe eine Jahresleistung von 30 000 t haben. Weitere Anlagen unterschiedlicher Betreiber sind in Planung.
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, ob eine vergleichende Beurteilung der genannten Verwertungsalternativen durchgeführt wurde. Nach Vorliegen der vom Bundesumweltminister beim Umweltbundesamt in Auftrag gegebenen Ökobilanz Getränkeverpackungen werden auch für diesen Bereich erste Aussagen möglich sein. Zur Zeit kann eine
abschließende Bewertung im Sinne der Fragestellung nicht erfolgen.
Rein unter dem Aspekt der Ressourcenschonung gesehen, scheint jedoch in der Rückgewinnung der jeweiligen Einzelkomponenten und ihrem Wiedereinsatz in werkstoffspezifischen Anwendungen die sinnvollere Verwertungsmöglichkeit gegenüber dem Verfahren Nummer 1, also dem Verpressen von Formteilen ohne Auftrennung des Verbundes, zu liegen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schwanhold.
Herr Staatssekretär, haben Sie in diesem Zusammenhang Erfahrungen vorliegen, die das De-inking-Verfahren der bedruckten Verpackung einbeziehen, das ja unter ökologischen Aspekten nicht unproblematisch ist? Dieses Verfahren läuft seit langer Zeit; dazu müßte Ihnen eigentlich etwas bekannt sein.
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur wiederholen, daß zur Zeit im Bundesumweltamt vergleichende Betrachtungen zur Ökobilanz der Getränkekartonverbundverpackung und vor allem der Mehrwegverpackung wie z. B. von Glasflaschen angestellt werden. Dazu gab es auch eine Diskussion des Umweltausschusses in Berlin. Die Ergebnisse müssen wir abwarten.
Wir kommen zu der Frage 7 des Abgeordneten Horst Kubatschka:Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie des bayerischen Staatsministers Dr. Gauweiler, der „Grüne Punkt" des „Dualen Systems Deutschlands" stelle eine „Mogelpackung" dar, da hierdurch den Verbrauchern eingeredet werde, durch den Kauf von Produkten mit dem „Grünen Punkt" umweltbewußt zu handeln?Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kubatschka, die Bundesregierung erachtet es heute als verfrüht, eine ökologische Bewertung der Verpackungen vorzunehmen, die das Lizenzzeichen „Grüner Punkt" der „Dualen System Deutschland GmbH" tragen. Durch den Aufdruck des Zeichens „Grüner Punkt" allein wird eine Verpackung noch nicht umweltfreundlicher. Entscheidend hierfür ist es, daß Verpackungen nicht mehr zu Abfall werden, sondern z. B. nach Gebrauch stofflich verwertet werden.Die Duales System Deutschland GmbH hat begonnen, ein flächendeckendes endverbrauchernahes Erfassungssystem für gebrauchte Verkaufsverpakkungen aufzubauen und damit die ansonsten nach § 6 Abs. 1 der Verpackungsverordnung vom 12. Juni 1991 bestehende Rücknahmeverpflichtung am Laden, die grundsätzlich zum 1. Januar 1993 eingreift, zu ersetzen.Die Bundesregierung hat der Wirtschaft diese Option in der Verpackungsverordnung eingeräumt, da die Ziele der Verpackungsverordnung durchaus auch erreicht werden können, wenn die Erfassung der gebrauchten Verkaufsverpackungen direkt beim Endverbraucher erfolgt und nicht erst einen Rücktransport der gebrauchten Verpackung vom Endverbraucher zum Laden erforderlich macht.
Metadaten/Kopzeile:
6244 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Parl. Staatssekretär Dr. Bertram WieczorekWährend der Aufbauphase des Dualen Systems kann es zu Irritationen von Verbrauchern kommen, da bundesweit vertriebene Produkte zum Teil bereits mit dem Grünen Punkt gekennzeichnet sind, Erfassungssysteme für gebrauchte Verpackungen aber erst teilweise, zur Zeit für ca. 11 Millionen Bürger, eingerichtet sind.
Zusatzfrage, Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe gefragt, ob Sie die Meinung des bayerischen Staatsministers Gauweiler teilen, der „Grüne Punkt" sei eine „Mogelpackung". Teilen Sie diese Meinung nicht?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Ich habe das im ersten Satz vornehm umschrieben. Wir teilen diese Meinung nicht.
Die zweite Zusatzfrage, Kollege Kubatschka.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß eine mit hohem Energieaufwand erzeugte Aluminiumdose einen „Grünen Punkt" erhält, die wirklich umwelt- und rohstoffschonende Pfandflasche hingegen nicht und daß diese Flasche darüber hinaus vom „Dualen System" ausgemustert oder überhaupt nicht angeboten wird?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kubatschka, Sie wissen, daß sich die Bundesregierung mit der Verpackungsverordnung auf den sehr schwierigen Pfad des Ausstiegs aus der Wegwerfgesellschaft begibt. Entscheidend ist, daß diese von Ihnen angesprochene Aluminiumdose mit dem „Grünen Punkt" der nicht impliziert, daß Aluminium umweltfreundlich ist — zunächst einmal aus dem Bereich „Abfall" herausgenommen wird, über die entsprechende Tonne — in diesem Fall die gelbe Tonne — zu einem Wertstoff erklärt wird und stofflich verwertet oder wiederverwendet — je nach Möglichkeit — werden muß.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Steffen Kampeter.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort darauf hingewiesen, daß bundesweit bereits eine Anzahl von Produkten das Lizenzzeichen in Form des „ Grünen Punktes " trägt, gleichzeitig die Erfassung durch das „Duale System Deutschland" noch nicht bundesweit erfolgt. Dies wird von vielen Betroffenen äußerst kritisch beurteilt. Wie steht die Bundesregierung zu einer entsprechenden Kritik?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Ich sagte, daß wir mit der Verpackungsverordnung und der Umsetzung in den drei bekannten Etappen erst am Anfang stehen. Seit dem 1. Dezember des letzten Jahres werden Transportverpackungen zurückgenommen. Diese Nagelprobe im Bereich der Verkaufsverpackungen werden wir erst ab 1. Januar nächsten
Jahres erleben. Dann muß sich auch beweisen, ob die Wirtschaft über ihre Organisation „Duales System Deutschland" in der Lage war, entsprechende Systeme zu organisieren, und ob die entsprechenden Verpackungen einer Verwertung zugeführt werden können.
Aus logistischen Gründen — das ist eine Frage, die man an die Wirtschaft stellen muß — ist es natürlich schwierig, bei einer breiten Verteilung von entsprechenden Verpackungen im Bundesgebiet den „Grünen Punkt" nur regional, auf einzelne Produkte oder an einzelnen Stellen, an denen das „Duale System" schon arbeitet, zu verteilen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Ernst Schwanhold.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung denn vorausschauend hinsichtlich der Verpackungsverordnung eine Bilanzierung vorgenommen, die die mögliche Wiederverwertung aufzeigt? Wie sehen die ersten Erfahrungen im Vergleich zu dieser vorausschauenden Betrachtung, die Sie sicherlich vorgenommen haben, aus?
Gibt es zwischenzeitlich Erfahrungen ich weiß, Frau Präsidentin, daß dies eine Doppelfrage ist —, wie sich das auf den Preis ausgewirkt hat? Das ist ja sehr handgreiflich.
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: In der Verpackungsverordnung ist festgehalten, daß den
obersten Landesbehörden selbstverständlich die entsprechenden Nachweise gemeldet werden. Deshalb
wird man nach dem 1. Januar 1993 zum erstenmal eine Bilanz ziehen können.
Es gibt erste Erfahrungen, die aber sehr subjektiv sind. Zum Beispiel gibt es in der Stadt Bonn eine sehr hohe Erfassungsrate von über 75 % und eine Verunreinigungsrate von maximal 25 %. Eine abschließende Bewertung wird man aber erst dann machen können, wenn ab dem nächsten Jahr flächendeckend Verkaufsverpackungen erfaßt werden.
Die Frage, inwieweit sich die Einführung des „Dualen Systems " schon auf den Preis ausgewirkt hat, kann ich Ihnen heute nicht beantworten. Wir können aber recherchieren und Ihnen schriftliche Informationen zuleiten.
Auch ohne besonderes Wohlwollen der Präsidentin ist die Verbindung von zwei kurzen Fragen zulässig.
Eine weitere Zusatzfrage hat die Kollegin Jutta Müller.
Herr Staatssekretär, ich möchte auf das Wort „Mogelpackung" zurückkommen und eine Frage aus der Sicht eines Verbrauchers stellen. Flächendeckend werden diese Produkte mit „Grünem Punkt" angeboten. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es noch kein „Duales System" — d. h. man bezahlt schon die teurere Verpackung; und es ist teurer geworden, obwohl gar nicht getrennt eingesammelt wird , oder es gibt schon das „DSD" — nämlich dort, wo getrennt eingesammelt wird —, so daß man dort fairerweise die normalen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6245
Jutta Müller
Müllgebühren in dem Maße, wie man sie über die Verpackung einbehält, für die Verbraucher senken müßte. Denn sonst ist es doch eine Mogelpackung.Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Müller, ich muß wiederholen, daß wir uns in diesem Fall auch an die Wirtschaft wenden müssen, denn dieses „Duale System" und die entsprechenden Verträge — sowohl im Sinne der Erfassung und Sortierung als auch der Verwertung — betreffen die Wirtschaft selbst.Ich habe vorhin ausgeführt, daß gewisse logistische Probleme dazu führen werden, daß Produkte mit dem „Grünen Punkt" auch schon in Supermärkten zu finden sind — ich kann das auch für die ostdeutschen Bundesländer bestätigen —, wo die Erfassung noch nicht möglich ist.Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die Kosten für das „Duale System" natürlich erst dann auf den Verbraucher übertragen werden sollten, wenn die stoffliche Verwertung funktioniert; das müßte spätestens ab 1993 erfolgen.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Marion Caspers-Merk.
Herr Staatssekretär, wie steht die Bundesregierung zu den Vorwürfen von Verbraucherverbänden, daß durch die Verpackungsverordnung zwar sehr wohl Verwertungsquoten festgelegt werden, aber keine einzige Verpackung vermieden wird?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Ich möchte noch einmal ausführen, daß die Verpackungsverordnung der erste Schritt ist, um Verpackungen aus dem Abfallbereich in den Bereich der Wertstoffe zu bringen und damit einer stofflichen Wiederverwertung zuzuführen. Selbstverständlich muß der nächste Schritt sein — das haben wir mit den Quoten bezüglich der Getränkemehrwegverpackungen, wie sie in der Verpackungsverordnung stehen und auch in der in Vorbereitung befindlichen Getränkemehrwegverordnung enthalten sind, bereits festgelegt —, zu einer Wiederverwendung und damit natürlich auch zur Vermeidung von Verpackungen, die dann unnötig sind, zu kommen.
Weitere Zusatzfrage, Kollege Ulrich Heinrich.
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß Ladenketten, die Mehrwegflaschen, insbesondere für Wein, bisher akzeptiert haben, zusehends dazu übergehen, nur noch Verpackungen, die mit dem Grünen Punkt gekennzeichnet sind, anzunehmen, so daß hier praktisch ein Ausschluß der Mehrwegverpackungen aus dem Verkaufsregal stattfindet?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben auch aus dem Bereich der Brauereien derartige Informationen. Ich kann hier nur wieder auf die entsprechenden Paragraphen der Verpackungsverordnung verweisen: Die regional üblichen Mehrwegquoten, auch bei Weinflaschen, sind einzuhalten. Wenn sie unterschritten werden, treten die entsprechenden Maßnahmen der Verpackungsverordnung in Kraft.
Im nächsten Schritt der Verpackungsverordnung werden wir uns diesem Problem ganz besonders widmen. Ich will Ihnen aber sagen, daß wir mit der Getränkemehrwegverordnung aus Wettbewerbs, gründen im EG-Recht große Schwierigkeiten bekommen können, die wir bei der Verpackungsverordnung gerade noch umsegeln konnten. In der Getränkemehrwegverordnung sind selbstverständlich auch die Weinflaschen, die Sie eben angesprochen haben, mit sehr hohen Quoten, die erreicht werden sollen, enthalten.
Nachdem Sie bereits eine Frage gestellt haben, kann ich leider Gottes eine weitere Zusatzfrage von Ihnen, Kollege Heinrich, nicht zulassen. Aber vielleicht finden Sie ja einen Kollegen, der sie übernimmt.
Nun eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Siegrun Klemmer.
Herr Staatssekretär Wieczorek, ich denke, Sie sind mit mir der Meinung, daß es unbefriedigend ist, daß nur 5 % der Kunststoffe wiederverwertet werden. In welche Richtung werden Sie sich bewegen, um das schleunigst zu ändern? Denn ich bin der Meinung, Sie müssen das mit mir zusammen für sehr unbefriedigend halten.
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, da sind wir uns beide einig. Es kommt bei der Erfassung und vor allen Dingen bei der Trennung von Plasten darauf an, die einzelnen Polymere, die einzelnen Plastsorten, wieder zu verwenden oder zu verwerten. Bei der jetzigen Mischung von verschiedenen Polymeren das ist Ihnen bekannt; im Bereich der Joghurtbecher gibt es z. B. fünf bis sieben verschiedene Plaste — ist das nicht möglich. Die Wirtschaft arbeitet zur Zeit an solchen Verfahren. Wir möchten natürlich, wenn wir schon hei Plasteverpackungen bleiben, daß möglichst nur noch wenige Polymere verwandt werden, um dieses dann besser wiederverwerten zu können.
Dieses war die letzte Zusatzfrage.
Die Frage 8 des Kollegen Kuhlwein wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär Wieczorek.
Gilt die mit Datum vom 3. Dezember 1991 von der Generaldirektion der Deutschen Bundespost POSTDIENST mit der Dienstverfügung 422-1 7981-0 erlassene Regelung, daß zukünftig Dienstwohnungen der Deutschen Bundespost und Bundesmiet-
Metadaten/Kopzeile:
6246 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Vizepräsidentin Renate Schmidtwohnungen bei Freiwerden nicht mehr neu zu belegen seien und unverzüglich dienstlichen Verwendungen zugeführt werden sollen, für das gesamte Bundesgebiet, und wie viele Wohnungen sind von dieser Verfügung betroffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Caspers-Merk, ich denke, es wird Sie erfreuen, wenn ich Ihnen mitteile, daß nach Auskunft der Generaldirektion der Deutschen Bundespost Postdienst die in Ihrer Anfrage genannte Verfügung vom 3. Dezember 1991 zurückgezogen wird.
An Stelle dieser Verfügung soll eine Regelung treten, daß dann, wenn in Dienstgebäuden Wohnungen frei werden, auch geprüft wird, ob ein dienstlich zu befriedigender Bedarf vorhanden ist.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Caspers-Merk.
Ich wollte mit dieser Frage das Problem ansprechen, daß Wohnungen, die für Postbedienstete vorgesehen waren, auf Grund dieser Verfügung, die es offensichtlich gab, aus diesem Bereich herausgezogen wurden, d. h. diese Wohnungen hätten für diese Mitarbeiter nicht mehr zur Verfügung gestanden. Sehen Sie, wenn Sie jetzt prüfen lassen, ob diese Gebäude nicht doch eventuell für dienstliche Belange benötigt werden, nicht auch das Risiko, daß dadurch unter Umständen Wohnraum dem Markt entzogen wird, und das vor allem zu Lasten kleiner und mittlerer Beamter des Postdienstes, die sich auf dem freien Wohnungsmarkt nicht eindecken können?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß sich die Verfügung zunächst grundsätzlich nur auf Dienstgebäude beziehen wird. Das heißt, es dreht sich nur um solche Wohnungen, die sich in Dienstgebäuden befinden. Ich bitte um Verständnis, daß die Generaldirektion Postdienst natürlich darauf achten muß, daß sie, wenn sie in diesen Dienstgebäuden zusätzlich einen Bedarf an Räumen für dienstliche Zwecke hat, dem nachkommt. Die Frage, die sich die Generaldirektion auch stellen muß, ist, was sie tut, um Dienstwohnungen wieder zur Verfügung zu stellen. Das ist klar.
Weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Ich hatte in meiner Frage auch wissen wollen, wie viele Wohnungen insgesamt bundesweit von dieser Regelung betroffen sein könnten oder sind.
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich konnte diese Frage deswegen nicht beantworten, weil mir die Auskunft so schnell nicht erteilt werden konnte. Ich hatte ja gesagt, es handele sich nur um Wohnungen in Dienstgebäuden. Aber ich bin gerne bereit, Ihnen das nachzureichen, wenn Sie einverstanden sind.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Fragen 10 und 11 von Herrn Kollegen Ebert werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit schon am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen. Herzlichen Dank, Herr Rawe.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 23 von Herrn Dr. Günther Müller:
In welcher Größenordnung hat die Bundesregierung im 1. Halbjahr 1990 noch Warenlieferungen an die Regierung der ehemaligen DDR für den Freikauf politischer Gefangener finanziert?
Herr Kollege Müller, humanitäre Maßnahmen, insbesondere Häftlingsfreikäufe, endeten 1989. In Erfüllung der dadurch entstandenen Verpflichtung erfolgten bis in das erste Halbjahr 1990 die letzten Warenlieferungen in die DDR, und zwar in einer Größenordnung von 65 Millionen DM.
Zusatzfrage, Herr Kollege Müller.
Herr Staatssekretär, zu welchem Zeitpunkt wurde die letzte dieser Lieferungen vorgenommen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Nach den Unterlagen, die mir vorliegen, ist der letzte Kontrakt über VW-Transporter, Erdöl, Kupfer und dergleichen am 23. Januar 1990 abgeschlossen worden.
Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Müller.
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß der Kontrakt erst am 23. Januar, also etwa zwei Monate nach Öffnung der Mauer und nachdem es keine politischen Gefangenen mehr gab, abgeschlossen wurde?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Der Kontrakt über die Waren! Häftlingsfreikäufe hat es 1990 nicht mehr gegeben.
Zusatzfragen liegen nicht mehr vor.
— Ich war jetzt etwas verdutzt. Das passiert mir selten, Herr Kollege Lintner.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Schwanhold.
Herr Staatssekretär, habe ich Ihre Antwort soeben richtig verstanden, daß Sie im Zusammenhang mit Häftlingsfreikäufen direkt auf die Warenlieferungen hingewiesen haben, und habe ich in Ihrer zweiten Antwort richtig verstanden, daß dies nicht miteinander in Zusammenhang gestanden hätte? Könnten Sie eine Aufklärung hierüber herbeiführen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6247
Eduard Lintner, Parl Staatssekretär: Es war früher üblich, daß die Beträge, die im Zusammenhang mit Häftlingsfreikäufen ausgehandelt worden waren, nicht in Geld gezahlt, sondern in Waren geliefert worden sind. Daraus erklärt sich dieser Zusammenhang.
Nun kommt die Frage 24 des Kollegen Dr. Günther Müller:
Welche Art von Waren wurden im Laufe dieser Geschäfte, nach Öffnung der Mauer, an die verschiedenen Regierungen der früheren DDR geliefert, und welche Firmen in der Bundesrepublik Deutschland waren an diesen Geschäften beteiligt?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Es wurden im ersten Halbjahr 1990 — wie in der Vergangenheit — noch Kupfer und Erdöl, aber auch Südfrüchte und Kleintransporter geliefert. Die damit beauftragten Firmen waren Vertragspartner des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Zusatzfrage vom Kollegen Müller,
Herr Staatssekretär, da ich fast wie auch die Frau Präsidentin vorhin verwirrt war, möchte ich die Zusatzfrage stellen, ob bei diesen Verträgen immer die gleichen Firmen berücksichtigt wurden und ob bei diesen Verträgen auch Provisionen gezahlt wurden.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil die Bundesregierung nicht unmittelbarer Vertragspartner war. Das könnte Ihnen also nur das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche beantworten. Konkrete Firmen sind uns nicht genannt worden, weil sie unter Berufung auf Datenschutz üblicherweise nicht öffentlich erwähnt werden.
Zweite Zusatzfrage des Kollegen Dr. Müller.
Herr Staatssekretär, verstehe ich die Situation richtig, daß Verträge zwischen dem Diakonischen Werk und Firmen abgeschlossen wurden und daß die Bundesregierung lediglich die entsprechenden Gelder ohne Überprüfung der einzelnen Verträge zur Verfügung gestellt hat?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, die Tendenz, die in der Frage enthalten ist, kann ich nicht unterstützen. Es ist vielmehr so gewesen, daß die Bundesregierung im Grundsatz über die Art der Geschäfte informiert war. Es gibt keinen Anlaß, jetzt mißtrauisch zu werden, ob tatsächlich irgendwelche Besonderheiten, die Sie durch Ihre Frage offensichtlich bestätigt wissen wollen, entstanden sind.
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Abgeordneten Otto.
Herr Staatssekretär, hat denn das Diakonische Werk für diese Einschaltung bei diesen Geschäften eine irgendwie geartete Gegenleistung oder einen irgendwie gearteten Vorteil seitens der Bundesregierung erhalten?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Meines Wissens nicht.
Zusatzfrage des Kollegen Ernst Schwanhold.
Herr Staatssekretär, liegen denn der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob tatsächlich Waren geliefert worden sind und ob auch tatsächlich Häftlinge in Gegenleistung freigekommen sind? Oder ist auch dieses nicht bekannt?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Das war ja Sinn des Geschäfts, und bis Dezember 1989 sind auf diese Art und Weise, wie ich es bereits geschildert habe, tatsächlich Häftlinge freigekauft worden.
Die Fragen 25 und 26 des Kollegen Hartmut Koschyk sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen dann zur Frage 27 der Kollegin Siegrun Klemmer:
Geht die Bundesregierung davon aus, daß der Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991 sowie der Ministerpräsidentenbeschluß vom 4. Juli 1991 und die Protokollerklärung aller Länder zu Artikel 5 § 3 Abs. 2 verwirklicht werden können, und wird dies von der Bundesregierung befürwortet?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Klemmer, der Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991 fällt in die alleinige Kompetenz der Länder. Die Bundesregierung ist hieran zu keinem Zeitpunkt beteiligt gewesen und kann zur Frage seiner Verwirklichung nicht Stellung nehmen.
In dem Beschluß der Ministerpräsidenten vom 4. Juli 1991 sowie in der Protokollerklärung zu Art. 5 § 3 Abs. 2 des Staatsvertrages haben die Regierungschefs der Länder ihre Vorstellungen über die zukünftige Gestaltung des nationalen Hörfunks niedergelegt. Inwieweit diese Pläne zu verwirklichen sind, hängt von den Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern zur Neuordnung des nationalen Hörfunks ab.
Die Vorstellungen des Bundes hierzu weichen von der in den oben genannten Beschlüssen dargelegten Position ab, da der Bund die Errichtung einer selbständigen Anstalt als die beste Lösung ansieht. Die Bundesregierung hat allerdings den Eindruck, daß inzwischen auch im Bereich der Landesregierungen andere Modelle diskutiert werden.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Klemmer.
Herr Staatssekretär, ich habe den ersten Teil Ihrer Antwort fast vermutet. Sie können sicher sein, daß mir klar war, was in wessen Kompetenz- und Verantwortungsbereich gehört.Nichtsdestotrotz eine Nachfrage: Da sich die Verteilung von Frequenzen, Sendegebieten und Übernahmen in rechtlich-öffentliche Verhältnisse in den neuen Ländern damit auch in der Rundfunklandschaft des ehemaligen West-Berlins schwierig gestaltet, möchte ich Sie fragen: Meinen Sie nicht, daß in dieser
Metadaten/Kopzeile:
6248 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Siegrun Klemmerschwierigen Phase, wo es doch auch darum geht, eine unvoreingenommene Meinungsbildung zu fördern und nicht das Feld nur den Privaten zu überlassen, eine gewisse Einwirkung und Mithilfe auch finanzieller Art der Bundesregierung gut angestanden hätte?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Länder wehren sich in der Regel eifersüchtig dagegen, daß der Bund seine Kompetenzen überschreitet und beispielsweise in den Kompetenzbereich der Länder eingreift. Daran haben wir uns zu halten.Im übrigen hat die Bundesregierung ihre Vorstellungen bezüglich der Neuordnung deutlich formuliert. Sie sind auch in der Öffentlichkeit diskutiert worden, so daß ich den Vorwurf einer unangemessenen Zurückhaltung nicht akzeptieren kann.
Eine weitere Zusatzfrage von Frau Kollegin Klemmer? — Nein. Dann hat der Kollege Otto eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, treffen Presseberichte aus jüngster Zeit zu, wonach die Bundesregierung für den Fall, daß in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über das künftige Organisationsmodell des nationalen Hörfunks keine akzeptablen Ergebnisse erzielt werden können, die dauerhafte Fortführung des Deutschlandfunks als Bundesrundfunkanstalt vorbereitet und daß aus diesem Zweck die Bundesregierung den Deutschlandfunk bereits zur Vorbereitung des Haushalts 1993 aufgefordert hat?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Otto, Sie greifen den Dingen, glaube ich, jetzt zu weit voraus. Wenn ich die Pressemeldungen richtig verstanden habe, so besagen sie, daß sich die Ministerpräsidenten demnächst im Rahmen ihrer Kamingespräche mit der Thematik erneut befassen wollen. Die Bundesregierung wird vor Kenntnis der Ergebnisse dieser Gespräche sicher keine weitergehenden Pläne machen.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage liegen nicht vor.
Dann kommen wir zu Frage 28 der Frau Kollegin Klemmer:
Unterstützt die Bundesregierung die Meinung, daß RIAS Berlin als ein Programm, das in den schwierigen Jahren der Teilung sich grolle Verdienste erworben hat und das noch heute in seinem Hauptsendegebiet in der Region Berlin-Brandenburg das meistgehörte Programm ist, ebenso erhalten werden sollte wie DS Kultur, das sich nach der Wende als eigenständiges Kulturprogramm entwickelt hat?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die nationale Hörfunkanstalt durch Integration der Sender Deutschlandfunk, RIAS Berlin und DS Kultur gebildet werden sollte, wobei an ein Informationsprogramm aus Köln und ein Informations- und Kulturprogramm aus Berlin gedacht wird.
Die Programme des nationalen Hörfunks sollen nach der wirtschaftlichen und politischen Einigung Deutschlands dem inneren geistigen Prozeß des Zusammenwachsens dienen und mit dazu beitragen, daß sich die Lebensverhältnisse im ganzen Bundesgebiet angleichen. Durch die Einbeziehung von RIAS Berlin, dessen unzweifelhaft großen Verdienste während der letzten Jahrzehnte angemessen gewürdigt werden, sowie von DS Kultur in die nationale Hörfunkanstalt soll das Ziel der inneren Einheit Deutschlands unterstützt werden.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Klemmer.
Herr Staatssekretär, können Sie im Fall RIAS etwas konkreter werden und etwas über die mögliche Zukunft von RIAS 2 sowie über die mögliche Ausweitung des Sendegebiets sagen und möglicherweise auch etwas konkreter auf die Vergabe von Frequenzen eingehen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann Ihnen dazu nur Bekanntes wiederholen. Ich glaube, ich habe die Vorstellungen der Bundesregierung in den Antworten eingangs bereits erläutert.
Bezüglich der Frequenzen sind wir an das tatsächlich Machbare gebunden. Danach steht im Moment, glaube ich, nur eine Frequenz zur Verfügung; möglicherweise kann noch eine zweite mobilisiert werden.
Ansonsten glaube ich, daß in dem Modell, das die Bundesregierung favorisiert, die Rolle des RIAS in der Vergangenheit ausreichend gewürdigt wird.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? — Nein.
Frage 29 des Kollegen Stiegler soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ganz herzlichen Dank, Herr Kollege Lintner.
Wir kommen sodann zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rainer Funke zur Verfügung.
Ich rufe Frage 30 des Kollegen Dr. Dietrich Mahlo auf:
Welchen Fortgang haben die bilateralen Verhandlungen um Abschluß eines Vollstreckungshilfe-Vertrages mit dem Königreich Thailand seit September 1991 genommen, und welches sind ggf. die konkreten Hinderungsgründe dafür, daß eine Unterzeichnung bis heute nicht erfolgt ist?
Herr Kollege, eine Paraphierung des nach dreitätigen Verhandlungen im September/Oktober 1991 erarbeiteten Entwurfs eines Vollstreckungshilfe-Vertrages zwischen dem Königreich Thailand und der Bundesrepublik Deutschland scheiterte an einem zentralen Punkt, nämlich an der Frage, ob ein deutsches Gericht bei dem für die Vollstreckung einer ausländischen strafrechtlichen Erkenntnis in Deutschland erforderlichen Exequaturverfahren auch dann an die Höhe der von einem thailändischen Gericht ausgeworfenen zeitigen Freiheitsstrafe gebunden sein soll, wenn diese nach unserem Recht das Höchstmaß der Freiheitsstrafe für die betreffende Handlung übersteigt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6249
Parl. Staatssekretär Rainer FunkeDieser Frage kommt insbesondere auch deshalb praktische Bedeutung zu, weil das thailändische Recht Freiheitsstrafen bis zu 50 Jahren kennt und die thailändischen Gerichte diese Spanne auch ausschöpfen.Die von der thailändischen Seite geforderte Bindung an die Höhe der von einem thailändischen Gericht ausgeworfenen zeitigen Freiheitsstrafe auch in den Fällen, in denen diese das Höchstmaß der Freiheitsstrafe nach unserem Recht für die betreffende Handlung übersteigt, widerspricht dem Musterübereinkommen der Vereinten Nationen über die Überstellung von ausländischen Strafgefangenen, den entsprechenden einschlägigen Konventionen der ehemaligen Ostblockstaaten und dem im Rahmen des Europarats erarbeiteten und von uns zwischenzeitlich ratifizierten Übereinkommen vom 20. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen.Darüber hinaus hat eine eingehende Überprüfung ergeben, daß eine derartige Vereinbarung verfassungsrechlich nicht unbedenklich ist, da die Bindung an Freiheitsstrafen bis zu 50 Jahren dem Schuldgrundsatz widerspricht und nur schwerlich mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gleichbehandlungsgebot in Einklang zu bringen ist.Schließlich dürften in der Praxis beim Vollzug derartiger — nach unserem Rechtsverständnis unverhältnismäßig hoher — Strafen nicht unerhebliche Probleme auftauchen.Vor diesem Hintergrund soll in einer zweiten Verhandlungsrunde in Thailand versucht werden, eine Lösung zu finden, die für beide Seiten annehmbar ist.Ob die thailändische Seite in diesem Punkt kompromißbereit ist, läßt sich derzeit nicht einschätzen. Bis auf Finnland haben alle sonstigen Staaten, die mit dem Königreich Thailand eine bilaterale Vereinbarung über Vollstreckungshilfe geschlossen haben, die für uns nicht unproblematische Bindung an das thailändische Strafmaß akzeptiert.Ich entschuldige mich für die Länge der Antwort, aber es ging aus rechtlichen Gründen nicht anders.
Es ist immerhin schon fein, daß Entschuldigungen kommen. Ich bedanke mich.
Zusatzfrage, Herr Kollege Mahlo?
Ich bedanke mich für die sorgfältige Erwiderung. Ist der Bundesregierung klar, daß, wenn es zu einem Abbruch und nicht zu einer weiteren Verfolgung der Verhandlungen kommt, damit auch alle anderen Möglichkeiten des Strafvollzugs für deutsche Gefangene oder deutsche Einsitzende in Bangkok und anderen thailändischen Orten nicht möglich sind? Das heißt, daß durch die gegenwärtige Schlechterstellung — nur eine Mahlzeit für Deutsche und drei Mahlzeiten für thailändische gefangene Insassen oder keine Verurteilung auf Bewährung usw. — alle anderen Möglichkeiten der Verbesserung des Schicksals dieser Gefangenen damit aufgegeben werden.
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir sind uns der besonderen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem thailändischen Strafvollzug voll bewußt. Die deutsche Botschaft ist ständig dabei, den deutschen einsitzenden Staatsangehörigen behilflich zu sein, einschließlich möglicher Erleichterungen im Strafvollzug.
Zusatzfrage.
Ist denn die Fortsetzung der Verhandlungen schon terminiert, oder ist gesichert, daß sie überhaupt fortgesetzt werden?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Sie werden mit Sicherheit fortgesetzt. Sie sind noch nicht terminiert. Wir haben den Eindruck, daß auch die thailändische Seite durchaus interessiert ist, mit uns die Verhandlungen fortzusetzen.
Die Fragen 31 und 32 der Kollegin Würfel werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen dann zu der Frage 33 der Frau Kollegin Michalk:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß sich die Realeinkommen in den neuen Bundesländern nach Untersuchungsergebnissen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung erhöht haben, und hält sie in diesem Zusammenhang die mit der 4. Verordnung über die Anpassung und Erhöhung von Unterhaltsrenten für Minderjährige vorgesehenen unterschiedlichen Regelsätze in den alten und neuen Bundesländern für gerechtfertigt?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, gestatten Sie bitte, daß ich die Antworten auf Ihre beiden Fragen zusammenfassend gebe, weil sie den gleichen Sachverhalt betreffen.
Dann rufe ich auch die Frage 34 der Abgeordneten Frau Michalk auf:Gibt es Überlegungen der Bundesregierung, wenigstens anteilmäßig auch in den neuen Bundesländern die Unterhaltssätze für Minderjährige anzuheben, und zu welchem Zeitpunkt ist ggf. eine derartige Gleichstellung zu erwarten?Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Um die Unterhaltsrenten von Kindern der wirtschaftlichen Entwicklung im Beitrittsgebiet anpassen zu können, wurden im Einigungsvertrag die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnungen den Regelbedarf eines nichtehelichen Kindes festzusetzen und den Prozentsatz zu bestimmen, um den die Unterhaltsrenten ehelicher und nichtehelicher minderjähriger Kinder angepaßt werden können.Auf Grund der Ermächtigung in Art. 234 § 9 EGBGB in der Fassung des Einigungsvertrages haben die neuen Länder und Berlin für den Ostteil der Stadt im Frühjahr vergangenen Jahres einheitlich eigene, den besonderen Verhältnissen entsprechende Regelbedarfssätze auf der Grundlage von Daten aus dem beigetretenen Teil Berlins festgesetzt. Die Sätze betragen derzeit etwa zwei Drittel der in den alten Bundesländern geltenden Sätze. Die Senatsverwaltung für die Justiz Berlin und die Landesjustizverwaltungen der neuen Länder wollen demnächst gemeinsam erörtern, ob die Regelbedarfssätze in den neuen
Metadaten/Kopzeile:
6250 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Parl. Staatssekretär Rainer FunkeLändern und im beigetretenen Teil Berlins zum 1. Juli 1992 zeitgleich mit dem geplanten Inkrafttreten der Vierten Anpassungsverordnung in den alten Ländern erhöht werden sollen. Dabei ist beabsichtigt, die Sätze in den neuen Ländern schrittweise an die Sätze in den alten Ländern anzugleichen.Von der im Einigungsvertrag geschaffenen Ermächtigung, nämlich in Art. 234 § 8 EGBGB in Verbindung mit § 1612a BGB, Unterhaltstitel prozentual anzupassen, haben die Landesregierungen im Beitrittsgebiet noch keinen Gebrauch gemacht, vor allem weil hinreichend gesichertes Datenmaterial fehlt. Eine Anpassung kann insoweit — wie in den alten Ländern — gemäß § 323 ZPO erfolgen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Michalk?
Herr Staatssekretär, ich freue mich, daß die Angleichung zum 1. Juli 1992 in Aussicht gestellt ist. Dennoch möchte ich nachfragen, welche Überlegungen dazu geführt haben, bei der jetzigen Novellierung nicht wenigstens um die Hälfte anzuheben. Das heißt der Unterschied in der Differenz zwischen alten und neuen Bundesländern ist beträchtlicher geworden. Die Erhöhung beim ersten Kind beträgt jetzt im Schnitt 40 DM. Wäre dann nicht die Anhebung um 20 DM wenigstens ein Entgegenkommen gewesen?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Diese Fragestellung betrifft ja nicht die Bundesregierung. Ich habe deutlich gemacht, daß diese Veränderungen von den jeweiligen Landesregierungen vorzunehmen sind. Ich habe betont, daß den Landesregierungen die Daten für eine mögliche Erhöhung noch nicht hinreichend erschienen und die Anhebungen wohl aus diesem Grunde noch nicht erfolgt sind.
Wenn im Einzelfall ein Änderungsbedarf besteht, weil auf der einen Seite der Bedarf und auf der anderen Seite beispielsweise die Leistungsfähigkeit des Vaters zu berücksichtigen sind, dann kann dies nach § 323 ZPO erfolgen. Dies ergibt sich insoweit aus dem einheitlichen Recht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 35 des Kollegen Zierer wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs — herzlichen Dank, Herr Staatssekretär — und damit auch am Ende der Fragestunde angelangt.
Ich rufe den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Dramatische Abnahme der Ozonschicht und politische Konsequenzen
Die Fraktion der SPD hat diese Aktuelle Stunde gefordert.
Als erster Redner hat der Kollege Michael Müller das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutigen Entscheidungsträger in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bestimmen mit ihrem heutigen Verhalten und mit ihren heutigen Entscheidungen unser aller Zukunft. Die meisten dieser Entscheidungsträger werden allerdings nicht mehr am Leben sein, wenn die Konsequenzen ihres Handelns oder Nichthandelns in voller Breite sichtbar werden. — Dieser Satz stammt aus der Brundtland-Kommission und ist sozusagen das Motiv für unsere Aktuelle Stunde; denn mehr denn je muß angesichts der besorgniserregenden Meßergebnisse bezüglich der Ozongefahren über der nördlichen Erdhalbkugel gefragt werden, was heute verantwortliche Politik ist. Können wir, die wir heute nach wie vor unzureichend und halbherzig auf solche Trends reagieren, wirklich unserer Verantwortung gerecht werden, den Weg in die ökologische Verrottung der Erde zu stoppen?Der alarmierende Anstieg der Chlorkonzentration straft alle offiziellen Verharmloser Lügen.
Dabei kommt die Entwicklung keinesfalls überraschend. Sie kommt nur sehr viel schneller, als sie selbst in pessimistischen Prognosen vorhergesagt worden ist. Und was noch viel schlimmer ist: Die entscheidende Spitze der Ozonzerstörung steht erst bevor; denn die Ozonkiller brauchen in der Regel 10 bis 15 Jahre, um überhaupt mit ihrem Schadenswerk beginnen zu können. Deshalb muß endlich Schluß sein mit Ausflüchten, mit halbherzigen Maßnahmen.Ich will auch ganz deutlich sagen: Ich sehe es als eine intellektuelle Verwirrung an, wenn man noch nicht einmal das Notwendige tut, das aber als umweltpolitische Vorreiterrolle bezeichnet.
Worum es in Wahrheit geht, ist die Wiedergutmachung durch die Länder, die den meisten Schaden angerichtet haben. Dies ist eine ethische, moralische Pflicht; dies zu tun ist keine Vorreiterrolle.
Meine Damen und Herren, auch die Bundesrepublik ist einer der Hauptverantwortlichen für die Ozonzerstörung. Sie hat während der gesamten 80er Jahre mit einem Produktionsanteil von immer mindestens 10 % an der weltweiten Herstellung von FCKW diesen Prozeß beschleunigt und verantwortet.Die Langsamkeit der Politik steht in einem krassen Gegensatz zur Geschwindigkeit des Ozonabbaus. Zum Stichtag 1. Januar 1992 kam — und dies ist ein Skandal — die Verschärfung des unzureichenden Montrealer Protokolls zum Schutz der Ozonschicht nicht zustande, weil keine ausreichende Zahl von Regierungen — nämlich 20 — bereit war, diese Protokollverschärfung zu unterstützen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6251
Michael Müller
Meine Damen und Herren, es ist erschreckend, daß auch die Mehrheit der EG-Länder nicht unterschrieben hat.
— Die Bundesregierung war kurz vor Toresschluß, nämlich erst im Dezember, dazu bereit.Wir müssen deshalb sehr deutlich in Richtung Bundesregierung sagen: Wir fordern Sie auf, verlangen Sie eine Dringlichkeitssitzung mit dem Ziel, daß die Unterzeichnerstaaten dieses wirklich eklatante Versagen schnell beseitigen und zu einer Verschärfung kommen.
Wir verlangen ebenfalls, daß nicht nur die bekannten acht für den Ozonabbau verantwortlichen Stoffe, die bisher in den Regelungswerken stehen, berücksichtigt werden, sondern auch die weiteren zirka zwölf Stoffe, die bisher keiner Regelung unterliegen.Wir müssen ganz klar und eindeutig sagen — auch an diesem Tabuthema muß endlich gerüttelt werden —: Auch der Flugverkehr in größeren Höhen ist für die Zerstörung der Ozonschicht mitverantwortlich. Dies ist nicht hinzunehmen.Meine Damen und Herren, angesichts der konkreten Fakten fordern wir von der Bundesregierung endlich das Sofortverbot. Dieses Sofortverbot ist seit 1989 in der politischen Diskussion. Wir wissen seit dieser Zeit, auch durch die Studie des Bundesumweltamtes, daß ein Sofortverbot möglich ist. Wenn wir unsere Verantwortung in der Politik ernst nehmen, müssen wir endlich zum Sofortverbot kommen.
Leider müssen wir feststellen, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit diesen Fragen wertvolle Zeit vergeudet hat. Sie hat erstens auf die Selbstverpflichtung gesetzt, statt zu einer gesetzlichen Grundlage zu kommen. Das war der erste Fehler.Als man schließlich doch eine gesetzliche Grundlage schuf, hat man bei den Anwendern angesetzt. Dies sind Tausende von Firmen. Wir haben immer gefordert, bei der Produktion anzusetzen, also bei den Herstellern. Dabei handelte es sich früher um nur zwei Firmen, inzwischen sind es drei Firmen. Dies wäre eine saubere, klare, vernünftige Regelung gewesen.
Man war dazu aus ideologischen Gründen nicht in der Lage. Es hilft auch nicht, Herr Töpfer, wenn Sie in „Bild am Sonntag" sagen, daß Sie sich mit denen an einen Tisch setzen wollen. Es geht nicht mehr darum, daß man sich miteinander an einen Tisch setzt, sondern darum, daß endlich gehandelt wird.
Als nächster hat der Kollege Klaus Harries das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist im Gegensatz zu vielen anderen in der Vergangenheit wirklich voll gerechtfertigt. Das Ergebnis des NASA-Untersuchungsprogramms ist in der Tat dramatisch, was die jetzt veröffentlichten Werte über die Veränderung der Ozonschicht in der nördlichen Hemisphäre, aber auch in mittleren Breitengraden, angeht. Handlungsbedarf besteht; das ist überhaupt keine Frage.Sicher sind weitere wissenschaftliche Fragen zu stellen und entsprechende Untersuchungen durchzuführen. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, welche Zusammenhänge zwischen den Vulkanausbrüchen und der dramatisch zunehmenden Chlorkonzentration bestehen, die in der Tat von Menschen verursacht ist. Daran gibt es gar nichts zu deuteln. Das ist keine Verharmlosung der Situation. Es besteht also ein Handlungsbedarf.Die FCKWs sind im Deutschen Bundestag wiederholt ein Thema gewesen. Der Bundestag hat vor einem Vierteljahr einstimmig das Ratifizierungsgesetz beschlossen. Es konnte Ende 1991 verabschiedet werden. Herr Müller, ich bin genauso erschüttert darüber, daß unsere EG-Nachbarn nicht bereit waren, die Ratifikation pünktlich vorzunehmen.
Ich finde es bemerkenswert, daß die Vereinigten Staaten, die bezüglich der Produktion von FCKWs auch nicht ganz harmlos sind, bereit sind, bereits 1995 — über dieses Datum müßte neu geredet werden; dieser Meinung bin ich auch — ein Ratifikationsverfahren zu beginnen.Meine Damen und Herren, wir sollten auch daran denken, daß in einigen Monaten die Konferenz in Rio stattfindet. In Rio sind die Industrienationen gefordert. Wir werden dort mit Sicherheit zu hören bekommen, daß diejenigen, die diese gefährlichen, bedauerlichen, abzulehnenden Entwicklungen in der nördlichen Hemisphäre bewirkt haben, nicht in der Lage sind, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Dieser Frage müssen wir uns stellen. Wir stellen uns ihr auch.Es genügt nicht, meine Damen und Herren, daß wir auf unsere Vorreiterrolle auch in diesem wichtigen Punkt verweisen. Im Gegensatz zu allen anderen Ländern haben wir für die Produktion und die Verwendung von FCKWs das Jahr 1995 festgelegt.
Wir alle sind der Auffassung, daß über diesen Termin jetzt neu nachgedacht werden muß.Im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, bin ich der Auffassung, daß der Bundesumweltminister mit der Akzeptanz der Selbstverpflichtung der produzierenden Industrie den richtigen Weg beschritten hat. Warum immer Gesetze, warum Verordnungen, wenn die Bereitschaft der
Metadaten/Kopzeile:
6252 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Klaus HarriesIndustrie vorhanden ist, mitzumachen und zu zeigen, daß gehandelt werden kann?
Ich nehme das Angebot der drei betroffenen Produzenten in der Bundesrepublik sehr ernst. Wir werden sie allerdings zu kontrollieren haben. Wir werden zu beobachten haben, ob diese Frist eingehalten wird und ob auch das nächste Gespräch, Herr Bundesumweltminister, das Sie wegen der Anwendung führen wollen, die Ergebnisse bringt, die angesichts dieser dramatischen Entwicklung zu erwarten sind.Ich bin im Gegensatz zu Ihnen, Herr Müller, keineswegs der Auffassung, daß ein Sofortausstieg und ein Sofortverbot möglich sind. Das halte ich für irreal; das geht nicht. Wir sollten einmal darüber nachdenken, was es denn überhaupt nützt, wenn wir sofort aussteigen, sofort verbieten, während in China — ich nenne einmal ein Beispiel —
eine Fabrik gebaut wird, die 80 000 t FCKW herstellt und auf den Markt bringt; denn Käufer wird es genügend geben.Unser Ziel ist es jetzt also, durch Selbstverpflichtung und notfalls durch staatliche Maßnahmen die Frist von 1995 mindestens auf 1993 zu verkürzen. Wir haben weiter die Aufgabe, daß auf der nächsten terminierten Sitzung der Unterzeichnerstaaten des Montrealer Abkommens in diesem Jahr in Kopenhagen nicht nur von uns, sondern von allen Ländern, die es angeht, von den Industrienationen gesagt wird: Wir verkürzen die Frist.Meine Damen und Herren, wir brauchten nicht aufgeweckt zu werden. Wir wissen, worum es geht. Die Regierung handelt. Wir sind aber gemeinsam der Auffassung, daß die Frist verkürzt werden muß und auch verkürzt werden kann.Schönen Dank.
Als nächste hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde lautet „Dramatische Abnahme der Ozonschicht und politische Konsequenzen". Die politischen Konsequenzen, Herr Kollege Harries, habe ich in Ihrer Rede leider vermißt.
Während über dem Südpol die Zerstörung der Ozonschicht schneller voranschreitet, als ursprünglich erwartet, hat es uns nun auch auf der Nordhalbkugel eiskalt erwischt. Neueste Meldungen — auch darüber haben Sie u. a. ja gesprochen — berichten von einer dramatischen Reduzierung der Ozonkonzentration auch über der Arktis mit Ausläufern weit nach Europa, Asien und Nordamerika hinein. Im Treibhauseffekt und in der Zerstörung der Ozonschicht — beide Vorgänge werden teilweise von identischen Stoffen, allen voran dem FCKW, verursacht, die in die Atmosphäre eingebracht werden — bündeln sich sämtliche ökologische Fehlentwicklungen moderner Industriegesellschaften.Gerade für die Ozonzerstörung ist eine Chemiesierung nahezu sämtlicher Lebensbereiche der Menschen in den Industriestaaten, allen voran Nordamerika, den EG-Staaten und Japan, verantwortlich. Das betrifft nicht nur Reinigungs- und Lösungsmittel sowie FCKW in Kühl- und Klimaanlagen. Ein Beispiel möchte ich einmal herausgreifen. Es betrifft die sogenannten Montageschäume, die mit FCKW oder teilhalogenierten Treibmitteln von der FCKW-Halon-Verbotsverordnung vorläufig ausgenommen sind. In riesigen Mengen werden heute Montageschäume in der Bauwirtschaft verwendet. Es scheint niemand mehr in der Lage zu sein, Fenster und Türen eines Hauses mit herkömmlichen Dämmstoffen, also weitgehend chemiefrei einzusetzen und zu isolieren. Die Schnellmontage mittels Montageschaum bringt schnelles Geld für die Bauwirtschaft und die Chemieindustrie auf Kosten nicht nur der Ozonschicht; denn diese Stoffe emittieren auch für Menschen schädliche Gase.Zur Aufklärung der Wirkung solcher Baustoffe auf das Ökosystem ist noch viel Forschungsarbeit notwendig. Die geforderte Chemie-Enquetekommission kann hier einiges an Aufklärung leisten. Allerdings hoffen wir auf mehr Folgen als bei der Klima-Enquete-Kommission.Doch zurück zur aktuellen Lage: Alle Pläne einerstufenweisen Reduzierung werden angesichts der neuesten Meßergebnisse plötzlich zu Makulatur. Selbst konservative Zeitgenossen reden vom sofortigen Ausstieg — ein Wort, das die Regierung ja nicht allzu gerne hört — aus Produktion und Anwendung der Ozonkiller. Und da reicht es eben nicht, bestimmte vollhalogenierte FCKW durch teilhalogenierte zu ersetzen. Hier würde die Lösung des Problems lediglich verlangsamt, das Problem selbst aber würde nicht gelöst werden.Es ist z. B. nicht einzusehen, warum Reinigungsmittel aus Methylchloroformen — wie von der Bundesregierung vorgesehen — erst im Jahre 2000 aus dem Verkehr gezogen werden sollen.
Und die vorgeschriebene Kennzeichnung weiter verwendeter Sprays, Kältemittel etc. mit der Aufschrift „Enthält ozonabbauenden FCKW" erinnert mich fatal an die Schildbürgerei mit dem Grünen Punkt. Wieder wird dem Verbraucher der Schwarze Peter zugeschoben.
Ich denke, die wichtigste und politische Konsequenz, die aus der aktuellen Situation gezogen werden sollte, ist die, daß die Gewinne der Chemieindustrie kein Tabu mehr sein dürfen. Wir müssen raus aus der Chlorchemie, und zwar so schnell wie möglich. Das kostet natürlich etwas. Wenn es jedoch heißt,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6253
Dr. Dagmar Enkelmannzwischen hohen UV-Konzentrationen am Boden und den bereits nachweisbaren Folgen — das geht u. a. aus dem „Spiegel"-Artikel hervor — für Flora und Fauna oder den hohen Chemiegewinnen zu wählen, sollte uns die Wahl nicht schwerfallen.Die PDS/Linke Liste fordert daher eine Überarbeitung der FCKW-Halon-Verbotsverordnung vom 6. Mai 1991 mit erheblich kürzeren Ausstiegszielen und eine Politik, die sich zur ersatzlosen Streichung von solchen Produkten durchringen kann, die nicht umweltverträglich herzustellen sind. Die Bundesregierung sollte sich darüber hinaus im Rahmen der noch in diesem Jahr geplanten Revision des Montrealer Abkommens für einen früheren Ausstieg aus der Produktion und Anwendung von FCKW weltweit einsetzen. Die Zeichen stehen auf Sturm und sind unübersehbar.Wir dürfen nicht so tun, als ob uns das heute alles nichts angeht, so nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Es geht um unsere Kinder und Enkelkinder.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächste hat Frau Kollegin Marita Sehn das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die von der NASA jüngst veröffentlichten Daten über die fortschreitende Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht, die unsere Erde umgibt, haben die Diskussion über Maßnahmen zum Klimaschutz weltweit neu entfacht.
Dies ist auch gut so. Aber, meine Damen und Herren, dieser Diskussion müssen globale — ich betone hier: globale — Maßnahmen folgen. Große, dichtbesiedelte Regionen mit für die Welternährung bedeutsamen landwirtschaftlichen Nutzflächen sind von dem Verlust des Ozonfilters direkt bedroht.
Der Verlust der schützenden Ozonschicht wird ein Leben außerhalb der Ozeane unmöglich machen. Neben der rapiden Zunahme an Hautkrebserkrankungen, Schädigungen der Sehorgane und der Schwächung des Immunsystems beim Menschen sind auch Auswirkungen der extrem schädlichen UV-Strahlung auf die Pflanzenwelt vorprogrammiert.
Verlangsamtes Wachstum, verringerte Ernteerträge, das Aussterben zahlreicher Pflanzenarten und nicht zuletzt die Verschiebung des Artenspektrums werden folgen. Dies wird uns angesichts des stetigen Bevölkerungswachstums der Völkergemeinschaft zukünftig vor unlösbare Probleme stellen.
Meine Damen und Herren, der Ozonabbau hat seinen Höhepunkt weltweit noch lange nicht erreicht. Der Gehalt an ozonzerstörenden Chlorverbindungen in der Atmosphäre beweist dies; wir sollten uns
darüber im klaren sein. Entsprechende Vorhersagen der NASA belegen dies zunächst für den Zeitraum der nächsten zehn Jahre. Hoffen wir, daß sich diese Abschätzungen in naher Zukunft nicht erneut als deutlich zu niedrig erweisen.
Meine Damen und Herren, es besteht die Gefahr, von den Folgen unserer zahlreichen Eingriffe in das empfindliche Wirkungsgefüge unseres Klimahaushaltes überrollt zu werden. Es besteht sicherlich Einigkeit darüber: Ein weltweiter Ausstieg aus der Produktion aller ozonschichtschädigender Stoffe ist dringend erforderlich.
Das Montrealer Abkommen von 1987 hat erstmals eine Basis in der Staatengemeinschaft geschaffen, gemeinsam nach dem Vorsorgeprinzip zu handeln. Es bildet einen entscheidenden Grundstein, weil es das Instrumentarium schafft
— Herr Lennartz, wenn ich Sie beobachte, dann muß ich wirklich lachen —,
alle vier Jahre auf der Basis neuer Erkenntnisse Verschärfungen bei den Reduktionsfristen und eine Ausweitung auf weitere ozonschichtschädigende Stoffe vorzunehmen. Das Londonder Protokoll mit einer Verringerung um 85 % noch vor Ende dieses Jahrhunderts ist bereits eine Reaktion auf neue relevante Informationen zur Ozonproblematik.
Aber was nützen schärfere Vereinbarungen ohne die Ratifizierung der Unterzeichnerstaaten? Es ist bedauerlich, daß bislang erst 16 von 20 notwendigen Staaten diesen Schritt durchgeführt haben.
Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, ihren Einfluß auf internationaler Ebene für eine zügige Ratifizierung geltend zu machen. Überlegungen zu einem schnelleren Ausstieg aus der FCKW-Produktion bis Ende 1995, also fünf Jahre früher, als ursprünglich geplant, zeichnen sich auch auf amerikanischer Seite immer deutlicher ab. Die Orientierung anderer Industrieländer an der Normgebung der Bundesrepublik Deutschland für den Ausstieg aus der FCKW-Produktion ist offensichtlich. Die Bundesrepublik sollte mit einem Ausstieg bis Ende 1993 als Beispiel vorangehen.
Vielen Dank.
Als nächster hat der Kollege Albrecht Müller das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, haben in den letzten Monaten Dutzende von Briefen zum Thema § 218 erhalten, von Menschen, die sich um den Schutz des ungeborenen Lebens sorgen. Ich will die Sorgen dieser Menschen, die auch die Sorgen vieler von uns sind, nicht herabwürdigen. Aber ich frage auch jene, die uns Filme über Abtreibungen zugeschickt haben: Wo bleibt die Sorge um jene Millionen Ungeborener
Metadaten/Kopzeile:
6254 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Albrecht Müller
und Geborener, die Opfer des wachsenden Ozonlochs werden?
Wo bleibt der Protest gegen die stumpfe Untätigkeit der deutschen und europäischen Verkehrspolitik? Der Verkehr ist für ca. 70 % der Stickoxidemissionen und für ca. 20 % der CO2-Belastungen verantwortlich. Ich frage mich, warum nicht Herr Krause oder wenigstens einer seiner beiden Parlamentarischen Staatssekretäre heute hier ist; denn das gehört mit zu diesem Thema.Wir wissen, daß Straßen- und Luftverkehr eine fatale Doppelwirkung hat:Erstens. CO2 verstärkt den Treibhauseffekt. Dieser ist mitverantwortlich dafür, daß das schützende Ozon in der Stratosphäre abgebaut wird und ein Ozonloch entsteht.Zweitens. Durch das Ozonloch dringen verstärkt UV-Strahlen ein. Unter ihrer Einwirkung bilden die vom Verkehr emittierten Stickoxide am Boden das giftige Ozon.Die Gesundheitsschäden durch beide Folgen des Verkehrs sind gravierend.Die Lage wird durch die absehbaren Zuwächse des Verkehrs noch dramatischer. Es wird zu Zuwächsen um 37 % bei Pkw, und 100 % bei Lkw und um 150 % beim Luftverkehr kommen; so Krause vor zwei Tagenvor der Enquete-Kommission.Wenn die Schwellen- und Entwicklungsländer, wenn Brasilien, China und Indien auch nur Bruchteile unserer Motorisierung erreichen, dann ist diese Welt ruiniert. Wer das nicht will, muß mit gutem Beispiel vorangehen, und zwar sofort.
— Das ist ein Teil dieses Themas; vielleicht verstehen Sie das nicht. Das tut Ihnen am meisten weh.Wir fordern eine wirkliche Kurskorrektur in der Verkehrspolitik; wir fordern den Einsatz aller möglichen Maßnahmen; wir fordern ein umfassendes Tempolimit; wir fordern Maßnahmen zur Vermeidung unnötigen Verkehrs, und wir fordern die Anwendung des Vollkostenprinzips im Verkehr, also den Einsatz preispolitischer Maßnahmen in der Verkehrspolitik.
Der Verkehrsminister selbst hat in seiner Erklärung gegenüber der Enquete-Kommission vorgestern berichtet, solche preispolitischen Maßnahmen seien die einzige Chance, um zu der Verringerung der CO2-Emissionen zu kommen, die die Bundesregierung angestrebt hat.
Was geschieht? Nichts. Heute werden in Europa Güter und Personen unter Preis und hochsubventioniert hin- und hergeschleppt. Die Kosten des Transports von Gütern und Personen decken in weiten Bereichen nicht einmal die Wegekosten, geschweige denn die Kosten der Schädigung von Umwelt und Natur, von Klima und Ozonschicht, von Gesundheit und Leben der Menschen. Es ist ein Gebot der ökologischen und der ökonomischen Vernunft, endlich die Kosten dieser Belastungen in die Kalkulation hineinzuzwingen, um damit unnötigen Verkehr zu vermeiden.Was zu tun ist, das wissen wir. Aber wie so häufig bei dieser Bundesregierung besteht eine große Kluft zwischen Wissen und Tat. Wir haben verläßliche Prognosen; wir kennen die Gefahren; wir wissen, was zu tun wäre. Aber es geschieht nichts Entscheidendes.Herr Töpfer, Sie selbst haben am 14. November erklärt, was in diesem Bereich alles nötig wäre. Sie haben auch etwas zu der preispolitischen Seite gesagt. Aber es geschieht nichts.Als die Entdeckung des Ozonlochs über der nördlichen Halbkugel bekannt wurde, fragte mich meine siebenjährige Tochter: Was tust du gegen das Ozonloch?
— Lachen Sie nicht. Das ist eine ernste Frage, die an Sie alle gestellt ist. Jeder einzelne von uns, der in dieser dramatischen Situation, wie auch Sie es genannt haben, nicht zur politischen Tat bereit ist, macht sich mitschuldig an der Zerstörung der Zukunft unserer Kinder und auch an Krankheit und Tod vieler Menschen. Wir können uns nicht darauf hinausreden, wie das hei dieser Regierung häufig geschieht, die notwendigen Maßnahmen seien — das ist jetzt wörtlich Herr Krause — „politisch und ökonomisch nicht machbar".
Als nächste hat die Kollegin Frau Bärbel Sothmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Sonnenbaden verboten! " , wird das die Devise unserer Zukunft sein? —Wir sprechen von der Verschmutzung der Meere, von der Zerstörung der tropischen Regenwälder, von Klimaveränderungen durch die Erwärmung der Erdatmosphäre, also vom Treibhauseffekt, und seit langem von der Zerstörung der Ozonschicht.Die elementaren Grundlagen des Lebens sind gefährdet, weil der Mensch mit allen seinen Aktivitäten in die Abläufe der Natur eingreift. Dies gilt für Boden, Wasser, Luft und bei der Gewinnung und dem Verbrauch von Energie. Die Folgen der Zerstörung der Ozonschicht in der Stratosphäre sind — wir alle wissen das — für das Leben auf der Erde katastrophal.In den letzten Tagen wurde die Welt geradezu aufgerüttelt. Meßergebnisse der NASA und die neuesten Meßergebnisse der im November 1991 begonnenen europäischen Ozonforschungskampagne EASOE zeigen deutlich, daß die Ozonschicht nicht nur über der Antarktis, sondern auch über der Nordhemisphäre stark zerstört ist. Besonders über den mitt-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6255
Bärbel Sothmannleren geographischen Breiten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland ist die Ozonschicht stark ausgedünnt.Die jüngsten Forschungsergebnisse machen deutlich:Erstens. Wegen der Zunahme der Chlorkonzentration ist ein weiterer Ozonverlust in den nächsten Jahren zu befürchten.Zweitens. Bei den Untersuchungen der NASA und der EASOE wurden zusätzlich große Mengen gasförmiger Schadstoffe registriert, die 1991 beim Ausbruch des Vulkans Pinatubo auf den Philippinen hochgeschleudert wurden.Durch das Zusammenwirken von FCKW und den konstatierten Schadstoffen befürchten Wissenschaftler, daß bereits in den nächsten Wochen ein noch stärkerer Abbau der Ozonschicht erfolgen könnte. Diese dramatische Situation zwingt uns, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zu noch schnellerem Handeln.Bereits seit Mitte der 80er Jahre hat die Bundesregierung dem Schutz der Ozonschicht einen besonderen Stellenwert zugemessen. Wir haben weltweit die Vorreiterrolle übernommen.
— Herr Müller, wir haben sie Gott sei Dank übernommen, denn die anderen haben es nicht getan.Schon in den Jahren 1986 bis 1991 ist die Produktion von FCKW in Deutschland um gut die Hälfte reduziert worden.
— Nein, es reicht eben nicht; das wissen wir.Während 1986 noch 126 000 t FCKW produziert wurden, waren es 1991 nur noch 64 000 t. Das reicht aber nicht — das wissen wir selbst —, denn weltweit liegt die FCKW-Produktion jährlich bei mehr als 1 Million t.Die FCKW-Halon-Verbots-Verordnung, die seit dem 1. August 1991 in Kraft ist, wird dazu führen, daß in der Bundesrepublik Deutschland bis 1995 die Produktion von FCKW endgültig eingestellt wird.Auf kontinuierliches Drängen von Bundesumweltminister Töpfer haben sich die anderen EG-Staaten und die Vertragsstaaten des Montrealer Protokolls bereit erklärt, bis zum Jahre 1997 bzw. bis zum Jahre 2000 aus der FCKW-Produktion auszusteigen. Die jüngsten alarmierenden Erkenntnisse sind jedoch Veranlassung, die genannten Zeitvorgaben kritisch zu betrachten; das ist richtig.
Den Forderungen von Bundesforschungsminister Riesenhuber und von Bundesumweltminister Töpfer nach einem noch schnelleren weltweiten Stopp der FCKW-Produktion ist umgehend zu folgen.Für Deutschland bedeutet ein schnellerer Ausstieg aus der FCKW-Produktion einen Ausstieg vor 1995.Bundesumweltminister Töpfer sprach am 10. Februar mit Vertretern der deutschen chemischen Industrie. Diese haben ihren Willen bekundet, trotz der zu erwartenden Umstellungsprobleme alle Möglichkeiten zu nutzen, den Forderungen nach Einstellung der Produktion und des Verbrauchs von FCKW und Halonen schon vor 1995 nachzukommen.Bundesforschungsminister Riesenhuber fördert bereits seit vielen Jahren Projekte, deren Ziel es ist, ozonunschädliche Ersatzstoffe für FCKW und verwandte Stoffe zu entwickeln und zu testen. Erfolgversprechende Ergebnisse wurden bereits erzielt. Einen wichtigen Schritt weiter wird uns sicher auch der unter der Schirmherrschaft von Bundesumweltminister Töpfer stehende internationale wissenschaftliche Kongreß in der übernächsten Woche in Berlin „Alternativen zu FCKW und Halonen" bringen.Aber ich betone noch einmal: FCKW sind kein deutsches, sondern ein weltweites Problem.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Amerikaner wollen ebenfalls aussteigen. Wollen allein genügt nicht. Verbindliche Vereinbarungen müssen auf den Tisch, und zwar nicht nur mit den USA, sondern auch mit anderen Ländern in der Welt. Deshalb sind eine Verschärfung des Montrealer Abkommens und die Verabschiedung einer verbindlichen Weltklimakonvention auf der UNCED in Rio von größter Bedeutung. Der Technologietransfer in die Entwicklungsländer ist in diesem Zusammenhang von allergrößter Wichtigkeit. Wir brauchen dring end eine Nord- Süd-Umweltpartnerschaft.
Ich danke Ihnen.
Als nächste hat Frau Kollegin Professor Monika Ganseforth das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Wenn ich meine Vorrednerin richtig verstanden habe, könnte man denken, wir sprechen heute zum ersten Mal über dieses Thema.
Seit vielen Jahren warnen wir, stellen wir Anträge, untersuchen wir, zu beschreiben, wie die Situation ist. Es wird uns immer gesagt: Wir dramatisieren; man muß das alles sachlich sehen; es müssen erst einmal Ersatzstoffe dasein; das ist alles gar nicht so schlimm; es ist wissenschaftlich vielleicht noch nicht erhärtet.
Ich erinnere daran: Die erste Enquete-Kommission, die sich mit der Erdatmosphäre befaßt hat, hat emp-
Metadaten/Kopzeile:
6256 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Monika Ganseforthfohlen, den FCKW-Ausstoß in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 1992 um 80 % zu verringern. Aber die Bundesrepublik hat 1991 noch 50 % FCKW produziert, nämlich 64 000 t. Wir haben am 9. März 1989 hier einstimmige Beschlüsse dazu gefaßt. Es waren Kompromisse. Sie gingen nicht sehr weit.Es läuft immer nach demselben Schema: Die Regierung verhandelt. Die Industrie sagt: Es geht nicht; wir haben keine Ersatzstoffe; die Wirtschaft leidet darunter; es muß international gemacht werden. Dann einigt man sich auf einen Kompromiß. Dann heißt es: Wir sind die großen Vorreiter. Dann passiert wieder etwas. Messungen kommen auf den Tisch. Dann werden wieder Diskussionen eröffnet. So hieß es auch heute wieder. Auf einmal geht wieder ein bißchen mehr, freilich nicht alles. Ein Ausstieg geht natürlich nicht. Man muß auch realistisch bleiben. Wir müssen uns anpassen. Dann wird das wieder als Vorreiten gefeiert. Die Opposition meckert. Die Bürger und Bürgerinnen fragen: Warum macht ihr das nicht sofort? In diesem Schema geht es immer weiter.Nun ist wieder eine neue Situation da. Es ist nicht mehr nur die Antarktis, sondern es ist nun auch die Nordhalbkugel betroffen. Jetzt geht das Spiel in eine neue Phase. Es geht wieder von vorne los.
Unsere Ausstiegsanträge hätten schon vor Jahren, schon 1989 verabschiedet werden können. Dann wären wir erheblich weiter.Natürlich, es ist ein internationales Problem.
Aber wir haben im Augenblick 3,3 ppb Chloranreicherung in der Stratosphäre. Wie sehr ist die Bundesrepublik daran beteiligt? Wir sind in der Lage, Vorreiter zu sein. Wir müssen es sein. Wir müssen da etwas tun. Denn wir sind in der Verantwortung sehr viel mehr als China und andere Länder gefordert. Deswegen steht es uns gut an, Vorreiter zu sein und allein Schritte zu machen
und die anderen mitzunehmen. Wie wollen wir China überreden, daß es sich nicht ebenfalls an diesem lukrativen Geschäft beteiligt, wenn wir sagen: Wir können nicht so schnell; wir haben keine Ersatzstoffe? Also: Es steht uns an. Wir müssen das tun und müssen da einsteigen.Was hat sich an der Situation geändert? Es gibt drei Bedingungen für den Ozonabbau. Die eine ist die Chloranreicherung. Daran sind wir massenhaft beteiligt. Die zweite Bedingung sind die Wasserstoff- oder Schwefelaerosole. Sie kommen im Augenblick von dem Vulkanausbruch. Aber die Hintergrundaerosolkonzentration nimmt kontinuierlich zu, und zwar durch den Flugverkehr. Das ist das zweite, woran wir sehr stark beteiligt sind. Wir brauchen demnächst keinen Vulkanausbruch mehr; in 14 Jahren verdoppelt sich die Hintergrundkonzentration; es dauert nicht mehr lange, dann ist die Hintergrundkonzentration durch den Flugverkehr so groß wie heute durch den Vulkanausbruch.Das dritte sind die Temperaturen. Der Treibhauseffekt, der unten zu hohen Temperaturen und oben zu niedrigen Temperaturen führt, erleichert die Bedingungen für den Ozonabbau auch in den nördlichen Breiten. Das heißt, in den nächsten Jahren werden wir noch unser blaues Wunder erleben und vielleicht erneut die eine oder andere Debatte dazu führen. Dann liegen aber neue Ergebnisse vor, also müssen wir dem Ausstieg etwas näherkommen.Ich meine, Politik ist so nicht zu machen; sondern wir stehen in der Verantwortung
und dürfen, Herr Minister, nicht immer nur sagen, welche Vorreiter wir sind, sondern wir müssen unsere Verantwortung wahrnehmen und dann auf die anderen einwirken und sie mitnehmen; so wird daraus ein Schuh.Schönen Dank.
Als nächstes hat der Kollege Dr. Jürgen Starnick das Wort.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Es besteht kein Zweifel daran, daß das Ziel unserer Politik sein muß: FCKW müssen verschwinden! Lassen Sie mich trotzdem einige kritische Anmerkungen zu dem machen, was hier vorher gesagt worden ist.
Denn das, was hier gesagt worden ist, ist zum Teil ein fürchterliches Verquirlen der Problemlage gewesen.
Wenn man Politik machen will, indem man CO2, Ozon und nitrose Gase usw. so wunderschön durcheinanderbringt und dann klagt, die Politik käme nicht voran, dann darf man sich natürlich nicht wundern: Bei einem solchen Politikansatz kann auch nichts herauskommen.
Ich hatte vorige Woche die Gelegenheit, mit Herrn Riesenhuber nach Kiruna zu fliegen.
Wir haben uns das Ozonforschungsprogramm, das wir dort durchführen, darstellen lassen. Es war außerordentlich lehrreich. Vor allem wurde deutlich, daß wir doch etwas sauberer differenzieren müssen. In bezug auf das Ozonloch müssen wir zwischen dem, was wir langfristig tun müssen, und den akuten gegenwärtigen Gefährdungen unterscheiden. Ich muß Ihnen sagen: Noch ist das Ozon in der vollen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6257
Dr. Jürgen StarnickKonzentration — wie es bisher in jedem Winter der Fall war — vorhanden.
— Entschuldigung, in unseren Breiten ist es noch in der vollen Konzentration vorhanden.
— Nein! Ich habe alle Ozonkonzentrationskarten mitgebracht. Ich habe sie aufmerksam studiert und jüngsten Datums mit den Werten vom vorigen Jahr verglichen. Es ist so.
Es ist richtig, was Sie sagen, bezüglich des Äquators.
— Lassen Sie mich doch einmal ausreden, dann werden Sie es doch erfahren.Es ist richtig, wenn Sie sagen, daß die Ozonkonzentration am Äquator um 10 % abgenommen hat — die NASA hat das mit ihrem Satelliten festgestellt —; das ist ganz ungewöhnlich, weil die Ozonkonzentration am Äquator — es wird dort gebildet, und es wird dort durch Ozonolyse abgebaut — normalerweise konstant ist. Das ist dort ein stabiles System. Die Erklärung der NASA dazu ist eindeutig: Die Aerosole aus dem Pinatubo haben hier einen besonderen Effekt ausgelöst. Dieser besondere Effekt — das ist hier erwähnt worden — wirkt sich natürlich auch auf die NordHemisphäre aus.Es ist jedoch keine Entschuldigung zu sagen: Das Problem, das wir haben, sei in erster Linie ein natürliches Problem und kein anthropogenes Problem. Es ist ein anthropogenes Problem. Tatsache ist aber auch, daß in unseren Breiten noch die zweieinhalbfache Ozonkonzentration gegenüber der des Äquators vorhanden ist. Daraus kann man nicht ableiten, daß wir durch zu hohe UV-Strahlung unmittelbar einer Gesundheitsgefährdung ausgesetzt sind. Das können wir nicht. Das muß man der Öffentlichkeit mit aller Ehrlichkeit und Sauberkeit sagen.
Es ist nicht unsere Aufgabe, Politik mit Emotionen zu machen; wir müssen rationale Politik machen.
— Ich muß eine emotionale Rede halten, denn Sie haben mich mit Ihren Äußerungen im Grunde dahingehend provoziert.Was wir in diesem Falle tun müssen, ist, es als Verpflichtung von Politikern zu begreifen, auch der Bevölkerung deutlich zu machen, wo das Problem liegt. Das Problem ist nicht ein kurzfristiges, sondern ein langfristiges.
— Ja, das ist ja richtig. — Nun stellt sich natürlich die Frage, wie das notwendige politische Handeln eigentlich aussehen muß. Es ist nicht bestreitbar, daß die Bundesrepublik auf Grund dessen, daß die deutsche Industrie eine Selbstverpflichtung eingegangen ist, die FCKW-Produktion bis 1995 vollständig einzustellen — das ist der früheste Zeitpunkt, der von irgendeinem Land genannt worden ist —, in einer Vorreiterrolle ist.
Natürlich sollten wir im Einvernehmen mit der deutschen Industrie dahin kommen, daß das, was bis 1995 programmiert ist, schon 1993 erreicht werden kann.
Würden Sie dann bitte zum Ende kommen, Herr Kollege? Für die Aktuelle Stunde haben wir eine Redezeit von fünf Minuten vereinbart.
Ja, ich mache gleich Schluß.
Aber wir brauchen natürlich das Mitziehen der anderen Länder. Insofern bin ich sehr froh darüber, daß der amerikanische Präsident auf Grund des NASA-Berichtes deutlich gemacht hat, auch für die Vereinigten Staaten 1995 als endgültiges Ausstiegsziel ins Auge zu fassen. Das ist das wesentliche Signal, das wir für Kopenhagen brauchen. Darm sollen, bitte schön, alle europäischen Staaten sowie die anderen Industriestaaten endlich das tun, was sie in London vereinbart haben. Dann kommen wir in diesem Problem wirklich einen wesentlichen Schritt weiter.
Besten Dank.
Nun hat Herr Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die meisten Aktuellen Stunden im Bundestag finden erst dann statt, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. So ist es scheinbar auch heute.
Die halbe Nation und sämtliche Entscheidungsträger haben in aller Ruhe zugesehen, bis die Katastrophe da war.Es ist heute schon ein paarmal gesagt worden: Die NASA-Wissenschaftler und ihre Kollegen aus anderen Ländern haben endlich das sich entwickelnde Ozonloch um den Erdnordpol entdeckt, vor dem aber Experten schon seit Jahren, so glaube ich, sehr deutlich warnen. Aber niemand kann heute so tun, als sei das wirklich überraschend. Für mich ist das keine Aktuelle Stunde — die hätte eigentlich permanent stattfinden müssen —, es gibt nur einen aktuellen Anlaß. Es wurden endlich die Beweise gefunden, die Sie bei der letzten Diskussion zu diesem Thema gefordert haben. Es ist schon von Frau Ganseforth gesagt worden: Es gibt mehrere Anträge. Die letzte intensive Diskussion zu diesem Thema — da haben
Metadaten/Kopzeile:
6258 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Dr. Klaus-Dieter Feigewir einen Antrag eingebracht — fand am 31. Oktober 1990 statt. Dort ist nach Beweisen gefragt worden. Nun sind sie endlich da. Was also zwingt uns jetzt, diese Anträge, die damals aus genau diesen Gründen abgelehnt wurden, heute nicht anzunehmen?Es hat sich in der Zwischenzeit — außer dem Verstreichen „verwarteter" Zeit — nahezu nichts getan. Ganz im Gegenteil: Fast wie Voyeure, wie Schlüssellochgucker, haben nahezu alle auf das Ozonloch am Südpol geschaut und nicht mitbekommen, daß die Abgase ihrer eigenen Konsumhintern die Ozondecke über denselben längst perforiert haben. Gut, es gibt den FCKW-Ausstiegsbeschluß bzw. die Selbstverpflichtung, bis zum Jahre 1995 auszusteigen. Die Koalition ist selbstgerecht stolz: Deutschland ist zuerst FCKW-frei. Wenn es nur schon so wäre. Mir ist hierbei nicht zum Spaßen.Ich akzeptiere selbstverständlich die Gesprächsbemühung von Herrn Töpfer mit der Wirtschaft. Aber ich glaube, er kann nicht so naiv sein, wirklich davon auszugehen, daß es vor 1995 zu einer Produktionseinstellung kommen wird. Ich glaube, hier hilft tatsächlich nur ein sofortiges Produktionsverbot. Es kann Ausnahmen geben. Ich will das nicht bezweifeln. Sie würden aber dann nur diese grundsätzliche Regel bestätigen und müßten von einer befristeten Dauer sein.Wie ich gehört habe, ist in Hessen ein Kabinettsbeschluß, der dann auch in den Bundesrat hineinkommen wird, vorgelegt worden, der das bis zum 1. Januar 1993 machbar erscheinen 1äßt Ich denke, daß auch die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN kurzfristig einen Antrag in den Bundestag einbringen wird, der dann für Sie sicherlich nicht überraschend oder neu ist. Denn die Argumente und die Positionen sind gleich geblieben. Wir haben nur eine Aktualisierung vorzunehmen. Aber es ist genau das eingetreten, was ich Ihnen gesagt habe: Jetzt hilft kein Bagatellisieren mehr; die Argumente und Beweise sind da.Um auch den Vorwurf des Populismus wegzuwischen, sage ich Ihnen: Eine nochmalige Ablehnung würde zeigen, daß Sie einfach nicht wahrhaben wollen, daß diese Probleme so gravierend und deutlich sind.Schuldig machen sich auch all diejenigen, die bereits wieder beginnen, die Probleme zu bagatellisieren. Ich habe auch heute einiges dazu gehört. Wer z. B. argumentiert, daß selbst bei sofortigem weltweitem FCKW-Stopp die Stabilisierung der Atmosphäre erst nach 50 bis 100 Jahren erfolgt, vergißt, daß jedes weitere Jahr eines intensiven FCKW-Powers, der hemmungslosen Ozonkiller-Produktion, weitere zehn Jahre an Destabilisierung hervorbringen wird. Also ist es tatsächlich wichtig, zwei Jahre früher mit der Produktion aufhören zu können.Es werden nun natürliche Ereignisse, wie z. B. Vulkanausbrüche, als Ursache für den Ozonabbau herangezogen. Das ist klar, das ist okay. Das ist ja auch bewiesen. Aber diese hat es schon, glaube ich, seit Jahrmilliarden gegeben, und sie haben nicht zu einem Ozonkollaps geführt. Aber es ist wie bei einem kranken Menschen, daß genau dann, wenn er durch unsere eigene Produktion angeschlagen ist, der kleineHusten, der noch hinzukommt, wirklich Katastrophen hervorrufen kann.Ich habe ein bißchen das Gefühl, als wenn die Hektik um das Ozonloch, sicherlich kein unterzubewertendes Problem, ein entscheidendes anderes Problem verdeckt. Eigentlich geht es um etwas ganz anderes, nämlich um den Schutz der Erdatmosphäre insgesamt. Ferner geht es darum, daß die gesamte Frage der Berücksichtigung von Treibhausgasen, also der CO2-Emissionen, entscheidend ist und daß wir überhaupt keine andere Chance haben, als das Gefüge der Weltproduktion und der Weltwirtschaft neu zu ordnen und umzuändern.Es ist tatsächlich bemerkenswert: Wir haben gestern in der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" mit dem Bundesverkehrsminister Dr. Krause sehr intensiv die Komponenten der Umweltbelastung durch den Verkehr diskutiert, und auch er sagt, daß die Summe aller in einer PrognosStudie bestätigten Sorgen zeigt, daß uns jegliches Zögern Kopf und Kragen kosten wird oder kann. Insofern — das ist egoistisch — bin ich in der Verantwortung für meine Kinder und vielleicht auch einmal für meine Enkel, schonungslos dieses Umdenken bis hin zum Verzicht auf ein so gnadenloses Wirtschaftswachstum einzufordern. Wenn ich Herrn Krause als Kronzeugen hervorhole, dann kostet mich das wirklich ein bißchen Überwindung. Aber ich muß einfach sagen: Wenn ein anerkannter Umweltmuffel wie Dr. Krause gestern sinngemäß sagte, daß es Zeit wird, das Konsumverhalten und die Wirtschaftsweise auch in Deutschland generell zu ändern, dann muß es um unsere Welt wahrlich schlimm bestellt sein.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Dr. Klaus Töpfer, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Produktion und Verbrauch von Fluorchlorkohlenwasserstoffen und Halonen müssen national, europaweit und weltweit schnellstens beendet werden.
Zu dieser Überzeugung bedurfte es nicht neuer Zahlen.
Wir sind absolut in der Kontinuität der Politik, die wir bisher betrieben haben und die wir mit Nachdruck weiter voranbringen.
Es wäre nämlich — lassen Sie mich das dazusagen — nahezu zynisch und es würde unsere Gesprächsmöglichkeiten mit den Ländern der Dritten Welt, den Entwicklungsländern, enorm belasten, wenn der Ein-Deutscher Bundestag — 12, Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6259Bundesminister Dr. Klaus Töpferdruck entstünde, wir würden erst dann zum Handeln kommen, wenn auch bei uns die Probleme sind und solange sie über der südlichen Hemisphäre sind, wären wir etwas zurückhaltend gewesen. Genau dies ist es nicht. Wir bleiben in der Kontinuität dieser Politik.Weil wir dieser Überzeugung sind, haben wir von allem Anfang an bei dieser Frage einen nationalen Alleingang entwickelt und durchgesetzt. Wir sind froh und dankbar, daß wir durch unser Vorangehen andere zu einer schnelleren Gangart geführt haben. Ich freue mich darüber, daß gestern der amerikanische Präsident Bush mitgeteilt hat, daß man in den Vereinigten Staaten den 31. Dezember 1995 zum Datum des Ausstiegs aus Fluorchlorkohlenwasserstoffen und Halonen festgelegt hat.
Er hat in seiner Erklärung darauf hingewiesen, er hoffe, daß andere Staaten mitgehen. Wir können ihm sagen: Wir machen das bereits seit 1990, und zwar verbindlich. Wir können ihm dies sagen.
Weil wir dies in einem nationalen Alleingang sehr intensiv umgesetzt haben, sind wir in der Zwischenzeit natürlich in der Lage, dieses Ausstiegsdatum zurückzuverlagern, noch kürzere Zeiträume festzulegen. In dem Moment, wo wir dies mit allem Nachdruck und mit der Glaubwürdigkeit einer Verordnung und einer Selbstverpflichtungsbindung — ich komme darauf zurück — umgesetzt haben, sind die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten natürlich entsprechend unterstützt worden. So sind wir in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig in der Lage, etwa den Ersatzstoff R 134 a — das ist nicht ein teilhalogenierter Stoff, sondern ein Stoff ohne Chlor — anzubieten. Deswegen sind wir bereits so weit — vielleicht ist Ihnen das entgangen —, daß wir Halone überhaupt nicht mehr herstellen. Das ist doch eine positive Nachricht.Nur, die Tatsache, daß z. B. die Feuerlöschanlagen in Flugzeugen nach wie vor mit Halonen gefüllt sind und die in Deutschland nicht mehr hergestellten Halone jetzt durch eine Firma in einem anderen europäischen Land geliefert werden, zeigt doch, wie wichtig es ist, daß wir nicht nur ein Produktionsverbot bei uns haben. Vielmehr gibt es eine Selbstverpflichtung der beiden für diesen Bereich zuständigen deutschen Unternehmen, die sich nicht nur auf die Produktion in Deutschland, sondern auf die weltweite Produktion dieser Unternehmen bezieht. Das kann ich durch ein Verbot nicht erreichen.
Meine Damen und Herren, das muß doch auch dem Kollegen Müller und der Frau Kollegin Ganseforth aufgefallen sein. Mir liegt hier der Beschluß des Deutschen Bundestages vom 3. März 1989 zum Ersten Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" vor. Dort steht drin — Herr Kollege Müller, Sie werden das wissen; Sie haben es ja mit unterschrieben —:Der Bundestag erwartet, spätestens im Laufe des Jahres 1990 Produktion und Verbrauch der im Montrealer Protokoll geregelten Stoffe innerhalb der Bundesrepublik Deutschland um mindestens 50 % zu reduzieren und diese dann erreichte Verbrauchs- und Produktionsmenge bis zum 31. Dezember 1991 nicht zu überschreiten, . . .Ich kann Ihnen mitteilen: Dies ist abgearbeitet.
Zweitens steht darin:
... spätestens im Laufe des Jahres 1992 Produktion und Verbrauch der geregelten Stoffe um mindestens 75 % zu reduzieren. Diese dann erreichten Verbrauchs- und Produktionsmengen dürfen bis zum 31. Dezember 1994 nicht überschritten werden.Ich kann Ihnen mitteilen, Herr Kollege Müller: Dieses wird abgehakt.
Drittens steht darin:... spätestens im Laufe des Jahres 1995 Produktion und Verbrauch der geregelten Stoffe um mindestens 95 % zu reduzieren.Dieser Beschluß trägt auch die Unterschrift des Kollegen Müller, der hier eben gesprochen hat.
— Ich kann das doch nur zitieren.
Das kann ich Ihnen dazu nur sagen. Wir werden das sogar noch viel schneller erreichen.
— Ich habe doch nur zitiert, was Sie unterschrieben haben.
Ich halte noch einmal fest, daß wir die aus der Enquete-Kommission gekommenen Informationen nicht abgelehnt, sondern zur Grundlage unseres Handelns gemacht haben. Weil wir das gemacht haben, sind wir schneller vorangekommen, und weil wir schneller vorankommen, kann ich Ihnen heute mitteilen, daß wir die ursprünglichen Zeitspannen verkürzen können, nicht als Reaktion auf die Zahlen heute, sondern als Reaktion auf die Entscheidungen, die wir vorher getroffen haben und die es ermöglichen, daß man die Ersatzstoffe schneller einsetzt. Wir können
Metadaten/Kopzeile:
6260 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Bundesminister Dr. Klaus Töpferdie nationale Vorreiterrolle wirklich weiter spielen, indem wir das gesteckte Ziel vor 1995 erreichen.
Das ist das Ergebnis einer Politik, die richtig ist. Ich freue mich, daß der Kollege Fischer hier ist, weil dieses Thema die Länder betrifft. Ich wäre sehr dankbar, wenn er auch etwas zu der Frage der Genehmigungsverfahren für die Anlagen sagen würde, die die alternativen Stoffe herstellen; denn es kann natürlich nicht richtig sein, daß Genehmigungsverfahren so lange dauern, daß die Produktion der Ersatzstoffe nicht möglich ist und dann entsprechend andere Stoffe eingesetzt werden.
— Meine Damen und Herren, es tut mir leid, daß ich Sachargumente bringe, die Ihre vorgefaßte Meinung etwas verändern. Dennoch sind die Argumente nicht zu widerlegen.
— Es mag ja sein, daß das Ihre Überzeugung ist, Herr Kollege Müller.
— Ich werde bemüht sein, mich zu waschen.Meine Damen und Herren, wir halten nur fest, daß wir in diesem Ausstiegsszenario jetzt glücklicherweise von anderen mitgetragen werden; ich habe die USA erwähnt. Ich kann Ihnen sagen, daß durch die vorangegangenen Entscheidungen der schnellere Ausstieg bei uns möglich ist. Ich gehe davon aus, daß wir ihn 1993 erreichen. Ich gehe das deswegen an, weil wir durch Ersatzstoffe hoffentlich sehr schnell Abhilfe schaffen können. Dabei darf es nicht zu einem Ersatz eines in Deutschland hergestellten durch einen in einem anderen Land hergestellten Fluorchlorkohlenwasserstoff kommen; es muß sich vielmehr um einen wirklichen Ersatzstoff handeln, der auf keinerlei Bedenken — weder in bezug auf die menschliche Gesundheit noch in bezug auf die Ozonschicht noch in bezug auf den Treibhauseffekt — stößt, denn dies ist doch offenbar der Punkt.Wenn wir dies erreicht haben, dann können wir den nächsten, genauso bedeutsamen Schritt machen, denn dann können wir wieder sagen: Das wollen wir in der EG durchsetzen. In der EG steht nach wie vor das Datum 1997. Dann können wir im Herbst dieses Jahres in Kopenhagen alles daransetzen, die Frist des Montrealer Protokolls insgesamt zu verkürzen, denn darin steht immer noch das Jahr 2000. Wir sind der Meinung, daß die Zeit bis dahin um mindestens vier bis fünf Jahre verkürzt werden kann.
Ich kann darauf hinweisen, daß wir bis zur Fondslösung gegangen sind, um Entwicklungsländern auch finanziell die Möglichkeit zu geben, Ersatzstoffe einzusetzen, damit sie den schlechten Weg, den wirgegangen sind, hinterher nicht nachvollziehen müssen.
Dies ist eine ganzheitliche Politik.
Ich sage es noch einmal: Ich freue mich, wenn wir an vielen Stellen übereinstimmen. Das ist doch nicht mein Thema. Nur, ich bitte Sie ganz herzlich: Wir sind doch nicht erst jetzt auf diese Dinge gekommen. Wir haben uns in Enquete-Kommissionen und auch sonst, wie ich meine, sachverständig und vernünftig auseinandergesetzt. Wir haben gemeinsam Entscheidungen getragen, wir haben gemeinsam Dinge umgesetzt. Durch die Umsetzung ist eine eigene Dynamik entstanden. Das bringt uns in die Situation, heute mehr tun zu können, als wir 1990 tun konnten. Deswegen werden wir diesen Weg im Hinblick auf Produktion und Verbrauch weitergehen. Die Bundesrepublik Deutschland wird das erste FCKW-freie Land im Hinblick auf Produktion und Verbrauch sein.Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Als nächster hat der Kollege Harald B. Schäfer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigentlich schade, Herr Töpfer, in welcher — gestatten Sie mir den Ausdruck — kleinkarierten Selbstherrlichkeit wir dieses Thema hier heute abarbeiten.
— Ja, ich will ja versuchen, das in aller Sachlichkeit darzustellen.
Es ist wahr, es ist zutreffend, daß dieses Haus einstimmig jenen Beschluß gefaßt hat, aus dem Sie soeben zitiert haben. Das ist richtig. Zu diesem Beschluß stehen wir nach wie vor. Wahr ist aber auch, daß wir — das war gar nicht so einfach in meiner Fraktion — diesem Beschluß, der damals schon hinter unseren eigentlichen Forderungen zurückgeblieben ist, deswegen zugestimmt haben, um Ihnen im Kabinett die Rückendeckung zu geben, die Sie gebraucht haben, um wenigstens diese Zielmarge realisieren zu können.
Das ist doch die Wahrheit, meine Damen und Herren! Statt uns heute hier selbstgerecht auf die Schultern zu klopfen, hätte man doch sagen können: Das ist ein Beispiel, das zeigt, wie sinnvoll es sein kann und wie es der Bundesregierung auch international hilft, wenn man das, was uns hier normalerweise parteipolitisch trennt, um eines größeren Zieles willen zurückstellt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6261
Harald B. Schäfer
Ich hätte erwartet, daß Sie, Herr Töpfer, hier ein Wort der Anerkennung gesagt hätten, und daß Sie nicht als Klaus der Große auftreten.Meine Damen und Herren, im Grunde geht es doch um viel mehr als um das Verbot von FCKWs oder von Brom oder von Halonen oder wovon auch immer, Im Grunde geht es darum, daß uns immer mehr bewußt wird — dazu hätte es in der Tat der neuesten NASA-Erkundungen nicht bedurft, denn wir wissen es schon seit sechs, acht Jahren —, daß vor allem wir in den Industrienationen über unsere ökologischen Verhältnisse leben, daß unsere Art, zu produzieren und zu konsumieren, daß unser Lebensstil nicht vereinbar ist mit der Dauerhaftigkeit menschlichen Seins. Das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen,
nicht aber die Frage, ob wir beschlossen haben, zu diesem oder jenem Zeitpunkt um drei oder fünf Prozent zu reduzieren.
— Herr Klinkert, jetzt halten Sie bitte mal den Mund! Kommen Sie nachher hierher!
Weil dem so ist, sollten wir auch in diesem Hause probieren, das hinzukriegen — Herr Kollege Töpfer, ich spreche Sie jetzt ganz privat und persönlich an —, was uns gestern in einem anderen Gremium, nämlich im nationalen Komitee der Bundesrepublik Deutschland zur Vorbereitung der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, möglich war. Dort war es doch möglich, von den verschiedenen politischen Ausgangspunkten, von den verschiedenen gesellschaftlichen Ausgangspunkten und Organisationen her zu definieren, worin unsere Verantwortung, die Verantwortung der Industrieländer, besteht, nämlich in einer grundlegenden Änderung — ich wiederhole es — unserer Art, zu produzieren und zu konsumieren. Das ist das, was wir beklagen: Wir beklagen, daß die Lücke zwischen Wissen und Handeln immer größer wird
und daß wir uns in einer Debatte darüber, ob wir eine Vorreiterrolle einnehmen oder nicht, verzetteln. Wem es ernst ist, lieber Herr Schwarz, mit der Zukunftsfähigkeit der Industriegesellschaft, mit der Überlebensfähigkeit der Industriegesellschaft, mit der Verantwortung derer, die heute handeln — das sind nämlich wir, ob Regierung oder Opposition —, der muß an den Wurzeln anpacken.
Die Wurzel heißt: Endlich erkennen, daß wir, dieIndustrienation en, unser ökologisches Konto längstüberzogen haben und weiter dabei sind, es zu überziehen. Das ist die eigentliche Frage, vor der wir stehen, und nicht kleinkariertes Handeln.
Meine Damen und Herren, ich will noch einen anderen Bezug herstellen, der wichtig ist. Sie haben doch dieser Tage im Wirtschaftsteil fast aller Zeitungen gelesen, das Ende der Fahnenstange sei nunmehr erreicht. Mehr Umweltschutz sei für den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland aus Wettbewerbsgründen nicht mehr zuzumuten.
Sie haben deswegen darauf verzichtet, eine Klimaschutzsteuer national anzupacken. Das war die Begründung dieser Koalition. Ich sage ja. Sie haben recht. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht, aber in einem völlig anderen Sinne, als Sie meinen. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht in dem Sinne, daß die Belastbarkeit des Globus Erde, des Ökosystems Erde erreicht ist, daß wir heute anfangen müssen, sofort entsprechend umzusteuern, wenn wir die Lebensfähigkeit und Überlebensfähigkeit noch bewahren wollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was konkret die Maßnahmen angeht, so haben die Vorredner schon gesagt — ich muß es nicht wiederholen —: Sofortausstieg. Ich empfehle im übrigen, Herr Kampeter, wenn wir schon rechthaberisch sein wollen, den Antrag von 1986 hier im Deutschen Bundestag zum Verbot von Treibgasen nachzulesen. Das war ein Antrag der SPD-Fraktion. Es gab sonst nichts. Darauf haben wir einen gemeinsamen Antrag — Herr Knabe von den GRÜNEN war noch da auf Einrichtung der Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre aufgebaut.
Ausgangspunkt war zunächst die Zerstörung der Ozonschicht. Dann haben wir uns auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt, weil uns die Dimension der Herausforderung wichtiger ist als kleinkariertes Reden hier.
Herr Kollege Schäfer, kommen Sie bitte zum Ende.
Das ist mein letzter Satz. — Nein, meine Damen und Herren, wir werden insgesamt der anstehenden Aufgabe nur gerecht, wenn auch die Art und Weise, wie wir dieses Thema hier im Bundestag debattieren, der Herausforderung gerecht wird und nicht die kleinen Münzen zählen, was Sie, verehrter Herr Schwarz — Wehner würde sagen: Sie tragen Ihren Namen zu Recht —, hier demonstriert haben.
Metadaten/Kopzeile:
6262 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Harald B. Schäfer
Vielen Dank.
Als nächster hat der Kollege Dr. Peter Paziorek das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich halte den Vorwurf der Bagatellisierung, erhoben von Frau Ganseforth, Herrn Schäfer und Herrn Feige, in der Sache für völlig ungerechtfertigt und weise ihn auch namens meiner Fraktion eindeutig zurück.
Jeder hier im Saale ist sich doch der Dramatik bewußt. Wenn ich an die gemeinsame Diskussion im Umweltausschuß denke, dann weiß ich nicht, wo Sie die tiefere Begründung für ihren Vorwurf hernehmen wollen.
Bloß können wir eines nicht tun: Wir können der deutschen Öffentlichkeit nicht vorgaukeln, daß es sich hier nur um ein nationales Problem handelt, sondern leider ist es so, daß wir auch international die notwendigen Abstimmungsmaßnahmen erfolgreich vornehmen müssen.Damit es auch deutlich wird, daß hier keine Bagatellisierung betrieben wird, will ich ganz bewußt an den Anfang meiner Ausführung die Überschrift aus der „Süddeutschen Zeitung" setzen, die die Sache auf den Punkt gebracht hat mit der Überschrift: „Verschwindet die Ozonschicht, dann verbrennt das Leben." Es liegt auf der Hand, daß wir alles tun müssen, um eine solche Entwicklung zu verhindern. Die Schädigung der oberen Ozonschicht erfolgt insbesondere durch die FCKWs. Um eines deutlich zu sagen: Schon bei der gesamten Bandbreite des Einsatzes in Kühlschränken und Kühlanlagen und bei der Kunststoffverschäumung wird deutlich, daß es sich nicht nur um ein nationales Problem, sondern auch um ein internationales Problem handelt, das international abgestimmte Vorgehensweisen nach sich ziehen muß. Selbst unter den Bedingungen des Montrealer Protokolls in der Neufassung von London 1990 und unter der Annahme, daß alle Staaten den Vorgaben des Protokolls folgen, wird das Chlorniveau der Stratosphäre bis zum Jahre 2000 enorm ansteigen. Eine Rückkehr des Chlorgehaltes auf das Niveau vor Auftreten des Ozonlochs wird von einigen Wissenschaftlern nicht vor dem Jahre 2060 erwartet. Es ist einfach ein Skandal, daß die Neufassung des Montrealer Abkommens von London 1990 noch nicht in Kraft treten konnte. Erst 16 von 20 notwendigen Signatarstaaten, unter anderem auch Deutschland, haben ihre Unterschrift hinterlegt. Dies reicht zur Zeit leider nicht, um das Londoner Protokoll mit seinem weltweiten Ausstiegsziel für 1999 schon jetzt völkerrechtlich verbindlich werden zu lassen.Heute sollten wir uns hier in diesem Hause gemeinsam dafür einsetzen, für die Konferenz in diesem Jahrin Kopenhagen schon jetzt eine zweite Revision des Montrealer Protokolls zu fordern, auch wenn die erste Revision von London noch nicht in Kraft getreten ist.
Ziel für Kopenhagen muß eine Verkürzung der Zeitskala des FCKW-Ausstiegs im globalen Bereich um weitere drei Jahre sein.
Die deutsche Industrie wird aufgefordert, auf ihre Selbstverpflichtung zum FCKW-Ausstieg noch einmal draufzusatteln und von sich aus kürzere Ausstiegszeiträume anzubieten. Wir begrüßen es, daß der Bundesumweltminister Töpfer in dieser Frage das Gespräch mit der deutschen Industrie gesucht hat.Wir brauchen darüber hinaus eine intensive Förderung der Einführung von chlorfreien FCKW-Ersatzstoffen mit genügend niedriger Lebensdauer.Wir sollten auch alles tun, um unseren westlichen Partnern zu verdeutlichen, daß wir eine verschärfte internationale Gangart beim FCKW-Ausstieg benötigen.
Unser Land will als Vorreiter bis 1995 Produktion und Verwendung von FCKW einstellen. Unterstützen wir doch den Bundesumweltminister bei seinem Bemühen, dies zu einem Orientierungsrahmen für das europäische und internationale Vorgehen zu machen.Es ist nur zu begrüßen, daß der Bundesminister für Ende Februar eine internationale Konferenz nach Berlin eingeladen hat, auf der über den Verzicht auf ozonabbauende Stoffe beraten wird.
Leider ist die Hoffnung auf Ersatzstoffe in manchen Fällen trügerisch, so insbesondere bei den teilhalogenisierten Ersatzstoffen. In 1990 wurden als weitere Ersatzzusatzstoffe rund 22 000 t Butan und Propan eingesetzt, die aber in anderer Weise die Bildung des bodennahen Ozons mitbewirken, was wiederum nicht nur gesundheitsgefährdend ist, sondern letztlich auch zum Treibhauseffekt beiträgt.Dennoch gilt: Wir müssen bei unseren Produktionsprozessen raus aus den FCKW-Stoffen, und zwar nicht nur aus der Produktion, sondern auch aus der Verwendung.Und wir müssen uns fragen, wie wir z. B. Indien helfen können, das erst kürzlich mit der Produktion von FCKW begonnen hat, um seine Kühlkapazität zu erweitern. Man kann doch von einem Entwicklungsland nicht erwarten, daß es seine Anlagen, in die es gerade erst investiert hat, aufgibt, um ohne internationale Entschädigung wieder von vorne zu beginnen. Das Ozonloch wird uns somit auch zu einer verstärkten Entwicklungshilfe zwingen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6263
Dr. Peter PaziorekEines steht für uns fest — Herr Schäfer ist im Augenblick nicht mehr anwesend; es wäre sehr schön gewesen, wenn er noch hiergeblieben wäre; dann hätte er sehen können, daß der Zwischenruf gegen unseren Kollegen Klinkert gar nicht berechtigt war —: Wir können unsere gewohnte Lebensweise nicht weiter fortsetzen; denn sonst wird über kurz oder lang unsere eigene Lebensgrundlage zusammenbrechen.
Das Wort hat der Staatsminister für Umwelt, Energie und Bundesangelegenheiten, Herr Joschka Fischer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man dieser Debatte lauscht sie ist bitter notwendig angesichts der aktuellen Situation —, dann muß man feststellen: Über alle Fraktionen hinweg ist der Bundestag in der Rhetorik ganz schön radikal geworden. An der Radikalität der Diagnose mangelt es nicht. In der Tat, die aktuelle Situation erzwingt eine solche Radikalität. Die Frage ist nur, ob — mit wenigen Ausnahmen seitens der FDP — diese Radikalität der Diagnose dann auch bei der Therapie durchgehalten wird. Da habe ich nach dem, was ich hier heute gehört habe, meine Zweifel.Es ist so, daß wir erst durch akute Bedrohungen oder gar Katastrophen wachgerüttelt werden. Das Problem ist ja seit längstem bekannt. Lassen Sie mich, wo doch immer gesagt wird, Politik, parlamentarische Politik, stehe in einem so üblen Rufe, ein Kompliment an das Haus machen: Was der Deutsche Bundestag mit der Enquete-Kommission zum Klimaschutz zustande gebracht hat, ist auch aus meiner Sicht als Landespolitiker eine hervorragende Leistung. Ich hoffe, daß die Enquete-Kommission Chemie eine ähnliche Leistung vollbringen wird. Sie haben als Haus insgesamt ein Recht, auf diese Leistung stolz zu sein.Aber diese Leistung macht Sie auch zu Wissenden. Die Probleme sind seit langem bekannt. Jetzt stellen wir durch aktuelle Untersuchungen eben eine Zunahme des Chlormonoxids in der nördlichen Hemisphäre fest, und dieses gibt in der Tat zu höchster Alarmstufe Anlaß.Wie ist die Situation? Da sitzt ein immer einsamer werdender Umweltminister. Alle Umweltpolitiker hier sind sich einig. Die Wirtschaftspolitiker, die etwas ganz anderes vertreten und offensichtlich über die Mehrheit bei der Regierungskoalition verfügen, sind nicht im Saale.
Ich versuche mir einmal vorzustellen, meine Damen und Herren, was hier im Deutschen Bundestag los wäre, hätten wir analoge Wirtschaftsdaten, wie wir jetzt Daten über die Rückbildung des Ozons in der nördlichen Hemisphäre bekommen haben. Dann säße hier nicht ein einsamer Umweltminister, sondern dann wäre die Regierungsbank voll besetzt, mit dem Kanzler vorneweg, und man riefe nach dramatischen Stützungsmaßnahmen. Wenn ich ernst nehme, was von allen Fraktionen hier geäußert wurde, muß ich zudem Ergebnis kommen, daß wir uns in einer analogen Situation befinden.Wir haben es mit einer Altlast ganz besonderer Art zu tun. Hier spielt ein Verzögerungseffekt von etwa zehn Jahren eine Rolle. Der Vorredner von der CDU hat eben zu Recht darauf hingewiesen, daß wir es noch mit einem Anstieg zu tun haben werden, und zwar noch längere Zeit. Selbst wenn die optimistischsten Ausstiegsprognosen Realität würden, was ich noch gar nicht sehe, hätten wir es noch mit einem dramatischen Anstieg zu tun. Da kann ich Ihnen nur recht geben. Wir diskutieren heute also sozusagen über die FCKW-Belastung von vor zehn Jahren, also von 1982. Gleichzeitig stellt sich hier jemand hin und rühmt sich der Leistungen, die seit 1990 erbracht werden. Ich möchte daraus keinen politischen Vorwurf ableiten, sondern nur das Problem und die Notwendigkeit verdeutlichen, hier unmittelbar zu handeln.Als Umweltpolitiker könnte man in der gegenwärtigen Situation manchmal verzweifeln, wenn man sich die Realitäten ansieht. Auf der einen Seite werden die Probleme klar analysiert und erkannt: unter dem Gesichtspunkt des Ozonlochs oder des Klimaschutzes; aber dieses Land ist offensichtlich nicht einmal in der Lage, mit Mehrheit ein Tempolimit zu beschließen. Gleichzeitig werden hier apokalyptische Reden gehalten.
Ich weiß, Herr Bundesumweltminister, wir beide sind da einer Meinung. Das Problem ist nur: Sie haben im Bundeskabinett für Ihre Meinung keine Mehrheit.
Das ist das entscheidende Problem. Dort setzt sich der Bundesverkehrsminister durch, der ganz entschieden gegen ein Tempolimit von 120 oder 130 Stundenkilometern ist. Andernfalls müßte man doch wenigstens dieses fast schon kleine Symbol realisieren können. Aber das ist nicht drin.Jetzt haben wir das Menetekel der Chlorindustrie in der Gestalt des auch in der nördlichen Hemisphäre aufreißenden Ozonlochs. Mag man bei der CO2-Problematik noch streiten, was ich nicht tue, so liegen im Zusammenhang mit den durch das Ozonloch hervorgerufenen Risiken Erfahrungen auch empirischer Art in Australien und Neuseeland vor. Da stehen wir unter einem unmittelbaren Handlungsdruck.Herr Bundesumweltminister, ich habe mit Freude gehört, daß Sie davon ausgehen, daß 1993 der Ausstieg aus den FCKWs zu schaffen ist. Nur: Wenn dem so ist, dann schlage ich vor, wir sollten uns nicht nur auf die Zusage der Industrie verlassen, sondern dies als Ziel vorgeben.
— Es mag ja sein, daß Sie dieses Zitat des Bundeskanzlers mittlerweile auswendig gelernt haben. Ich
Metadaten/Kopzeile:
6264 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Staatsminister Joseph Fischer
habe gelernt, Herr Schwarz, daß Sie „Schwarz" heißen. Sie sollten Ihren Erkenntnishorizont nicht allein auf das, was hinten rauskommt, reduzieren, sondern vielleicht auch mal Ihren Input optimieren. Das wäre vielleicht nicht schlecht.
Doch zurück zum Thema. Natürlich gehört dazu, diese Politik der Selbstverpflichtung mit verbindlichen Festlegungen zu überwinden. Ich wage die Behauptung: Wenn Sie in diesem Zusammenhang nicht auf energischen politischen Widerspruch im Kabinett stießen, würden Sie es sogar tun.Weil wir in Hessen davon ausgehen, daß das ehrgeizige Ziel, das Herr Töpfer hier formuliert hat, nämlich den Ausstieg 1993 zu realisieren, allein auf dem Weg allein der Selbstverpflichtung nicht erreichbar ist, hat das hessische Kabinett gestern beschlossen, mit einer entsprechenden Initiative auf Bundesebene anzustreben, daß die Bundesregierung zum 1. Juli 1992 den Entwurf einer Änderung der nationalen FCKW/Halon-Verbotsordnungen mit dem Ziel vorlegen soll, ab 1. Januar 1993 vollständig auf die Produktion und den Verbrauch aller ozonzerstörenden Verbindungen zu verzichten.
Bleibende Ausnahmetatbestände
müssen unglaublich restriktiv gehandhabt werden und, mit einer engen Fristsetzung, von einer unabhängigen Kommission vorgeschlagen werden.Ich sage nochmals: Wir haben hier die Möglichkeit, eine gemeinsame Position einzunehmen. Das darf sich aber nicht in der Radikalität von Rhetorik erschöpfen, sondern muß durch verbindliche Beschlüsse herbeigeführt werden.Ich kann nur zustimmen: Es handelt sich hier auch um ein internationales Problem, um ein EG-Problem. Insofern wollen wir die Bundesregierung auffordern, die Initiative zu übernehmen, auf EG-Ebene nicht wieder 1995 oder 1997 anzustreben, sondern auch dort 1993 zum Maßstab zu machen.
Was muß denn noch alles passieren?Selbstverständlich gilt das auch für die Ebene des Montrealer Protokolls. Die Konferenz in Kopenhagen im Herbst wurde ja bereits angeführt. Auch hier muß das ehrgeizige und zugleich durch die Gefährdung notwendige Ziel „Ausstieg 1993" zum Maßstab beim Handeln der Bundesregierung werden.Nur eines ist ganz klar — weil dann ja immer in Anlehnung an den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger das Beispiel mit China kommt
— und Indien —: Das heißt aber auch das Bekenntnis— dann wird der Bundestag entsprechend beschließen müssen — zur Ausweitung des Finanzvolumensdes Fonds zur Unterstützung der Entwicklungsländer— das ist ein ganz wichtiger und entscheidender Punkt —,
damit FCKW-freie Ersatzstoffe und entsprechende Technologien transferiert werden können. Denn ich glaube, niemand kann ein Interesse daran haben, daß es zu einer Verdrängung der Produktion in die Dritte Welt, in die Entwicklungsländer kommt.Meine Damen und Herren, wenn sich der Deutsche Bundestag, wenn sich die Mehrheit in diesem Hause- vielleicht eine Allparteienmehrheit —, wenn sich die Bundesregierung zu solchen verbindlichen Beschlüssen bekennen würde, dann würden wir mehr als radikale Reden üben. Dann zögen wir in der Tat die notwendigen Konsequenzen, die jetzt aus den aktuellen Erkenntnissen von Wissenschaftlern im politischen Handeln gezogen werden müssen. Eine entsprechende Initiative wird von dem Lande Hessen eingebracht. Wir würden uns freuen, wenn das auch im Deutschen Bundestag eine Mehrheit fände und eine solche Initiative hier ebenfalls zur Abstimmung käme.Danke schön.
- Frau Präsidentin, einen Satz noch. Das habe ichvergessen; ich hatte es mir notiert.In dem Moment, wo die Klimaneutralität von Ersatzstoffen — das ist ein ganz wichtiger Punkt — wissenschaftlich gesichert ist
— nein, das ist kein Fluchtpunkt; Entschuldigung, verehrter Herr Kollege Töpfer, wir wollen nicht wieder wie bei den FCKW Substitutstoffe, von denen wir in fünf oder zehn Jahren in Enquete-Kommissionen sagen, sie seien das große Problem —, ist es eine Selbstverständlichkeit, daß die Genehmigungsverfahren im Rahmen der bestehenden Gesetze zügig realisiert werden müssen, um die Substitutionsmittel genehmigt zu bekommen. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit.
Als nächster hat das Wort der Kollege Simon Wittmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr zweifelnder Minister Fischer, es ist ja ganz überraschend, daß Sie an einem Tag unseren hervorragenden Bundesumweltminister tadeln, nämlich am Vormittag, und ihm, nämlich am Nachmittag, sogar zur Seite springen. Bloß, das, was Sie angeboten haben, ist keine Lösung. Sie haben keine Alternativen aufgezeigt, sondern Sie wollen bloß wieder auf dem
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6265
Simon Wittmann
Weg der Verbotsregelung voranschreiten. Darauf kommt es aber gar nicht an. Es kommt darauf an, was am Schluß herauskommt.
Ich bin überzeugt, daß der Weg, den Minister Töpfer beschritten hat, zum Erfolg führen wird.
Wir haben ja erlebt, daß die SPD den Verkehr und natürlich das Tempolimit bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Thema macht.
— Sicher zu Recht, wobei man mit einem Tempolimit nicht die Verkehrsprobleme und auch nicht die Umweltbelastungsprobleme lösen kann.
Tatsache ist — das müssen Sie sich auch einmal sagen lassen —, daß alle entscheidenden nationalen Maßnahmen, die zu Erfolgen geführt haben, von dieser Koalition, von dieser Bundesregierung auf den Weg gebracht wurden
und daß auch die internationalen Anstöße aus dem Bereich der Bundesregierung gekommen sind bzw. kommen. Zu Zeiten der SPD war, was Umweltpolitik betrifft, insoweit Fehlanzeige. Das muß man einmal deutlich machen.
Meine Damen und Herren, ich hatte mir eigentlich vorgestellt, daß die heutige Diskussion über diese für die Menschheit ganz entscheidende Frage auch ein Beitrag dazu ist, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, auszuloten, wo wir noch Handlungsspielraum haben, nicht aber, daß es letztlich zu einer Debatte wird, die in Vorwürfen gipfelt. Die SPD, die noch am 30. Oktober des vergangenen Jahres nahezu einstimmig und im Konsens mit uns die Bundesregierung auf ihrem Weg unterstützt hat, hätte heute einen Beitrag dazu leisten können, daß wir hier ein Stück weiterkommen. Die Bundesrepublik hat mit der FCKW-Halon-Verordnung ein entsprechendes Zeichen gesetzt, das hoffentlich in der ganzen Welt seine Wirkung haben wird.Da Sie mit Vorwürfen nicht geizen, darf ich daran erinnern: Bundesumweltminister Töpfer hat auch in der Debatte am 30. Oktober vergangenen Jahres sehr deutlich gemacht, daß der Weg, den wir beschritten haben, daß die Station, die da erreicht wurde, nicht zufriedenstellen kann, sondern daß wir weitermachen und hier einen weiteren Schritt wagen müssen. Es ist sicher traurig, daß in der Politik manchmal Katastrophenmeldungen nötig sind, um guten Wegen und guten Ideen eine Chance zu geben. Ich wünsche Ihnen, Herr Minister, bei Ihren Gesprächen sowohl mit der Wirtschaft als auch im internationalen Bereich viel Erfolg, damit wir mehr erreichen, damit wir das erreichen, was Sie schon immer wollten.
Herr Minister Fischer, ich darf für Sie noch einmal ganz kurz auflisten, was wir wollen und was wir in den nächsten Monaten ganz deutlich vertreten werden: Wir wollen den nationalen Ausstiegstermin auf 1993 vorverlegen.
Dazu braucht man keine Verordnung, wenn die Wirtschaft mitmacht.
Dabei geht es auch darum, daß wir nicht nur aus der Produktion, sondern auch aus der Verwendung aussteigen.Bei dem Binnenmarkt, den wir zu erwarten haben, können wir über EG-Verbote nichts bewegen.
Vielmehr müssen wir versuchen, unsere Industrie über freiwillige Verpflichtungen so weit zu bringen, daß sie aussteigt, daß sie diese Stoffe nicht mehr verwendet.
Deshalb ist der Weg, der hier eingeschlagen wurde, richtig.Das zweite ist, daß der Termin für ein EG-weites FCKW-Verbot wesentlich vorgezogen werden muß. Ob wir eine Vorverlegung auf 1993 erreichen — das ist sicher ein Ziel —, müssen wir abwarten. Aber wir sollten das fordern; da stimme ich Ihnen zu.
Im übrigen sollten Sie sich mit Ihrem Kollegen Dr. Peter Gauweiler von der bayerischen Staatsregierung in Verbindung setzen, der diese Initiative mit heutigem Datum bereits entwickelt hat. Sie beschränken sich auf nationale Verbote, während Dr. Peter Gauweiler bereits dem zuständigen EG-Kommissar, Carlo Ripa di Meana, geschrieben hat, um ihn ganz gezielt aufzufordern, diese Initiative auf EG-Ebene mit voranzutreiben.Ein Drittes ist die internationale Ebene, auf der Professor Dr. Klaus Töpfer sehr deutlich gemacht hat, was seine Verhandlungsposition ist.Ich darf noch ein Viertes nennen — der Staatssekretär Hans-Peter Repnik hat vor kurzem darauf hingewiesen —: Wir müssen versuchen, die Ozonproblematik im Zusammenhang mit der Umweltpolitik in der Dritten Welt im Rahmen der Entwicklungshilfe verstärkt anzusprechen. Wir müssen im Rahmen unserer Möglichkeiten bereit sein - wir kennen ja dieProbleme -, entsprechende Gelder in Zukunftzusätzlich bereitzustellen. Denn die Entwicklungsländer werden das Problem wahrscheinlich nicht allein bewältigen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß, und zwar gleich.
Metadaten/Kopzeile:
6266 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992
Frau Präsidentin, ein letzter Satz. — Die alarmierende Meldung über die Schädigung der Ozonschicht ist ein Warnsignal für die Bedrohung der Atmosphäre insgesamt und damit für die Zukunft. Deshalb sollten wir auch in anderen Bereichen über alternative Energiegewinnung mehr nachdenken. Ich denke hier ganz bewußt an Sonnenenergie und an nachwachsende Rohstoffe.
Hier haben wir ein Riesenreservoir in Europa. Damit können wir einen guten Beitrag zur Energiesicherheit in der Zukunft leisten.
Ich bedanke mich.
Das war ein Satz von vierzig Sekunden, ein ganz arg langer Satz.
Sie haben eine Minute und sieben Sekunden überzogen.
Nun hat als letzter der Kollege Dr. Norbert Rieder das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer etwas schwierig, in einer Aktuellen Stunde als letzter Redner zureden. Das Manuskript, das man sich vorher gemachthat, kann man dann wegschmeißen. Es bleibt einem eigentlich nur noch übrig, das, was diskutiert worden ist, Revue passieren zu lassen.Ich glaube, wir sollten bei einem ganz wichtigen Aspekt, den alle anerkannt haben, beginnen, nämlich daß die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" exzellente Arbeit geleistet und ganz wesentlich dazu beigetragen hat, daß wir hier heute auf so relativ hohem Niveau — wenn man von der Polemik absieht, die von gewissen Kollegen gekommen ist — diskutieren können.
— Jetzt warten Sie mal, Herr Feige!Herr Töpfer konnte mit den Ergebnissen der Enquete-Kommission nicht nur im nationalen Bereich, sondern auch international im wahrsten Sinne des Wortes hausieren gehen.Ich erinnere weiterhin an Bernd Schmidbauer, den jetzigen Staatsminister, der mit den Ergebnissen der Enquete-Kommission wörtlich genommen als Wanderprediger durch die Lande gezogen ist und das Ganze bundesweit und darüber hinaus thematisiert hat.Ich glaube, wir müssen es als großartige Sache ansehen, daß der Bundeskanzler selbst den Schutz der Erdatmosphäre zur Chefsache erklärt hat und aufinternationalen Konferenzen in hervorragender Art und Weise das, was hier allgemein gefordert worden ist, als Thematik hereinbringt und entsprechende Vereinbarungen erreicht.
Wir wissen darüber hinaus — auch das ist wieder eine Binsenweisheit , daß der Beschluß der Bundesregierung, im Jahre 1995 aus der FCKW-Produktion auszusteigen, ein Kompromiß war; das wissen wir. Wir wissen ferner, daß wir alles daransetzen müssen, um die Grenze von 1995 auf 1993 herabzusetzen oder vielleicht sogar noch ein bißchen früher auszusteigen.
Ob das allerdings machbar ist, ist fraglich; es wird schwierig werden.Jetzt müssen wir noch eines ins Kalkül ziehen — auch das ist politische Wahrheit —: Wir stehen bei solchen Diskussionen immer vor dem Problem — da geht es uns in allen Parteien gleich — daß ein Thema irgendwann nicht mehr öffentlichkeitswirksam ist. Wir wissen, daß das Thema Erdatmosphäre eineinhalb Jahre lang in der öffentlichen Diskussion zwar keine Sendepause hatte, aber wenig beachtet wurde. Dann kam es zu einer voraussehbaren Situation; denn es steht bereits in den Berichten der Enquete-Kommission, daß irgendwann einmal in der Nordhemisphäre ebenfalls etwas passieren wird. Jetzt — das müssen Sie mir schlichtweg zugeben — ist der Ausbruch des Pinatubo ein verstärkendes Element, nicht mehr und nicht weniger.Nun hat Herr Riesenhuber, glaube ich, im richtigen Moment geschaltet; denn sein Flug nach Kiruna hat dieses Thema wieder in die Presse gebracht. Ohne Herrn Riesenhubers Flug säßen wir nicht hier und debattierten darüber.
Ich glaube, es ist genau die richtige Politik, im richtigen Moment ein Problem zu thematisieren, um auf diese Weise politische Ergebnisse zu erzielen. Herr Riesenhuber, Herr Töpfer und im Gefolge Herr Kohl leisten in Vorbereitung der Konferenz in Rio eine hervorragende politische Arbeit.
Es kommt noch ein weiteres Ergebnis hinzu, daß in den Berichten der Enquete-Kommission nicht in diesem Maße steht, das aber in den letzten beiden Jahren immer deutlicher wird und bei dem vor zwei Jahren noch sehr viele Wissenschaftler geglaubt haben, daß es harmloser ausgehen würde. Ich meine die Wirkungen der UV-B-Strahlung auf Organismen, speziell auf Wasserorganismen.
Dabei hat es — Herr Müller, das wissen Sie so gut wieich - in den letzten beiden Jahren entscheidendeneue Ergebnisse gegeben. Es war angedacht; aber die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1992 6267
Dr. Norbert Riederentscheidenden neuen Ergebnisse sind in den letzten beiden Jahren ermittelt worden. Das bringt das Ganze in eine neue Dimension, die uns zwingt, so schnell wie möglich aus der Sache auszusteigen.
Ich fordere nun alle politischen Kräfte auf, ohne Polemik mit dazu beizutragen, daß so schnell wie möglich weitestreichende Vereinbarungen weltweit erzielt werden.Vielen Dank.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung für morgen, Donnerstag, den 13. Februar 1992, 9 Uhr ein.