Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 182. Sitzung des Deutschen Bundestages. Ich darf zu Beginn der ersten Sitzung im neuen Jahre Ihnen allen herzliche Wünsche für Ihr persönliches Wohlergehen und für Ihre — nein, ich muß wohl sagen: für ,unsere gemeinsame politische Arbeit in diesem Hause aussprechen.
Am 7. Januar habe ich zusammen mit den Herren Vizepräsidenten dem Herrn Bundespräsidenten die Glückwünsche des Deutschen Bundestages zum neuen Jahr übermittelt, und der Herr Bundespräsident hat zu unserer Freude dabei Gelegenheit genommen, die Arbeit des Bundestages zu würdigen und darauf hinzuweisen, daß der Bundestag angesichts der Kritik, der er in der Öffentlichkeit begegne, im Bewußtsein seiner geleisteten Arbeit mehr Selbsvertrauen haben und auch zeigen dürfe. Ich darf annehmen, meine Damen und Herren, daß die Mitglieder des Deutschen Bundestages diesen Hinweis des Herrn Bundespräsidenten mit Aufmerksamkeit und Dankbarkeit zur Kenntnis genommen haben, nicht deshalb, weil wir Wert darauf legten, unsere Arbeit in der Öffentlichkeit um unserer selbst willen anerkannt zu sehen, sondern weil wir um der uns aufgetragenen Verantwortung und um der politischen Stabilität unseres Volkes willen Wert darauf legen müssen, daß der Deutsche Bundestag in seinen ihm verfassungsmäßig zustehenden Aufgaben in unserem Volke anerkannt und geachtet wird. Wir erwarten nicht, meine Damen und Herren, daß die Menschen, die aus grundsätzlicher Feindschaft gegen ein demokratisches Staatswesen oder aus politischer Ahnungslosigkeit das Parlament überhaupt ablehnen, sich überzeugen lassen; wir hoffen aber, daß die gutwilligen und verantwortungsbereiten Menschen des deutschen Volkes ihrem Parlament die Achtung bezeugen, die es um seiner staatsrechtlichen Funktion willen beanspruchen darf und, meine Damen und Herren, wie ich meine, auch um der Arbeit willen, die es in diesen beiden Jahren geleistet hat.
Wir stehen vor einem Jahre schwerer Aufgaben, und die Frage, die an mich gerichtet worden ist, ob der Deutsche Bundestag sein Arbeitstempo mäßigen könne, um nicht wieder in die Lage zu kommen, jeden zweiten Tag ein Gesetz beschließen zu müssen, fürchte ich leider mit „nein" beantworten zu müssen. Wir stehen vor großen Aufgaben innen-und außenpolitischer Art und müssen uns in dem Kreis des Möglichen bewegen, der uns und unserem Volke in dieser Situation gezogen ist. Ich bin sicher, daß alle Mitglieder des Bundestages ihre Kräfte an diese Arbeit und diese Aufgabe setzen, daß .sie sie verstehen als einen Beitrag zur weiteren Festigung unseres Staatswesens, aber auch zur Wahrnehmung der Verantwortung für das ganze deutsche Volk und für den Frieden und die Freiheit der Welt.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich auch zu Beginn des neuen Jahres wieder die Aufgabe, eines aus dem Leben abgerufenen Abgeordneten dieses Hauses zu gedenken.
Am 6. Januar erlag der Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion des Deutschen Bundestages Hermann Stopperich im Wattenscheider Marien-Hospital einem schweren Herzleiden. Herr Abgeordneter Stopperich ist am 21. September 1895 in Dahlhausen an der Ruhr als Sohn eines Bergmanns geboren. Er hat nach einer Tätigkeit in der Industrie und in der Landwirtschaft am ersten Weltkriege teilgenommen. In der Weimarer Republik war er Funktionär der Sozialdemokratischen Partei und des Beamtenbundes, dem er als Finanzbeamter angehörte. 1946 ist er Mitglied der Ratsversammlung der Stadt Lauterberg und Mitglied des Kreistages des Kreises Osterode geworden. In den Bundestag ist er als Vertreter der Sozialdemokratischen Partei im Wahlkreis 31, dem niedersächsischen Wahlkreis Harz, gewählt worden. In diesem Hause hat er eine wesentliche Arbeit als Mitglied des Ausschusses für Beamtenrecht, als Mitglied des Ausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge und als stellvertretendes Mitglied des Petitionsausschusses und des Kriegsopferausschusses geleistet.
Meine Damen und Herren, ich glaube in Ihrer aller Namen zu sprechen, Wenn ich sowohl seiner Fraktion wie seinen Angehörigen das tiefe Mitgefühl des Deutschen Bundestages ausspreche und unser aller große Bewegtheit, daß wieder einmal ein Mann in der Vollkraft seiner Jahre aus unserem Kreise abberufen worden ist. — Sie haben sich zu seinen Ehren von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich habe weiterhin zwei neue Abgeordnete im Deutschen Bundestag zu begrüßen. Anstelle des Herrn Abgeordneten Degener der Fraktion der CDU, der infolge seiner Ernennung zum Senator der Freien und Hansestadt Bremen sein Amt niedergelegt hat, ist der Abgeordnete Herr Ernst Müller-Hermann in den Bundestag eingetreten. Anstelle des Herrn Abgeordneten Dr. von Campe, der infolge seiner Ernennung zum Deutschen Botschafter in Santiago de Chile sein Mandat niedergelegt hat, ist der Herr Abgeordnete Robert Jaffé in die Fraktion der Deutschen Partei eingetreten. Meine Herren, ich heiße Sie im Deutschen Bundestag herzlich willkommen und wünsche Ihnen in unserem Kreise eine erfolgreiche und Sie befriedigende Arbeit.
Ich habe weiterhin darauf hinzuweisen, daß ich dem Herrn Bundeskanzler anläßlich seines 76. Geburtstages herzliche Glückwünsche für seine politische Arbeit und sein persönliches Wohlergehen ausgesprochen habe.
Ich darf ihm diese Glückwünsche auch hier in diesem Hause zum Ausdruck bringen.
Zu unserer großen Freude ist soeben die Nachricht eingetroffen, daß die 12 verschütteten Bergleute auf der Zeche „Bismarck" sämtlich gerettet worden sind.
Ich darf Ihr Einverständnis voraussetzen, daß ich den Geretteten unsere herzlichen Glückwünsche und denjenigen, die an dem Rettungswerk beteiligt waren, unseren herzlichen Dank für ihren Einsatz zum Ausdruck bringe.
Ich freue mich, daß der Herr Abgeordnete Mensing, der monatelang durch einen Unfall von der Teilnahme an den Bundestagssitzungen abgehalten war, wieder in unserer Mitte ist.
Ich darf weiterhin — ich denke, im Namen des ganzen Hauses — die herzlichsten Wünsche für die Wiederherstellung der Gesundheit des Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher aussprechen.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen
der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Der Herr Präsident hat Urlaub erteilt für drei Tage den Abgeordneten Vesper, Schmitz, Mayer , Dr. Weiß, Dr. Dorls und Hilbert.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Bodensteiner und Dr. Zawadil.
Meine Damen und Herren, damit sind wir mit den geschäftlichen Mitteilungen am Ende. Die übrigen geschäftlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung in das Protokoll aufgenommen:
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 20. Dezember 1951 beschlossen, den folgenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
Gesetz zur Änderung des Erbschaftsteuergesetzes in der Fassung vom 30. Juni 1951;
Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft;
Gesetz zur Änderung des Wahlgesetzes zum ersten Deutschen Bundestag und zur ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Juni 1949;
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes;
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin";
Gesetz über das Handelsabkommen vom 20. Juli 1951 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Peru;
Gesetz gegen unbegründete Nichtausnutzung von Einfuhrgenehmigungen;
Gesetz über die Börsenzulassung umgestellter Wertpapiere;
Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter — Mutterschutzgesetz;
Gesetz über die einstweilige Außerkraftsetzung von Vorschriften des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften;
Gesetz zur Ordnung des Schornsteinfegerwesens;
Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Internationalen Fernmeldevertrag Atlantic City 1947;
Gesetz über die Stellung des Landes Berlin im Finanzsystem des Bundes — Drittes Überleitungsgesetz;
Gesetz zur Bewertung des Vermögens für die Kalenderjahre 1949 bis 1951 — Hauptveranlagung 1949;
Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts;
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Leistungen aus vor der Währungsreform eingegangenen Renten-und Pensionsversicherungen.
In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat beschlossen, zum Gesetz über die Errichtung eines Bundesgesundheitsamtes und zum Gesetz über die Feststellung von Vertreibungsschäden und Kriegssachschäden die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes zu verlangen.
. Er hat weiter beschlossen, dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes nicht zuzustimmen.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 21. Dezember 1951 die Anfrage Nr. 171 der Abgeordneten Strauß, Kemmer, Dr. Jaeger und Genossen betreffend Wohnungsbauprogramm für die Besatzungsmächte — Drucksache Nr. 2027 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2958 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 14. Dezember 1951 die Anfrage Nr. 218 der Fraktion des Zentrums betreffend Regelung der schuldrechtlichen Verhältnisse des Unternehmens der Reichsautobahn — Drucksache Nr. 2689 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2778 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 28. Dezember 1951 die Anfrage Nr. 235 der Fraktion der SPD betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten und Vorlage eines Heilpraktikergesetzes — Drucksache Nr. 2898 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2960 verteilt.
Der Herr Bundeskanzler hat den Beschluß des Bundestages' in seiner 167. Sitzung betreffend Überwachung des Post- und Fernsprechverkehrs mit Schreiben vom 14. Dezember 1951 beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache Nr. 2954 verteilt.
In Ausführung des Beschlusses des Bundestages in seiner 180. Sitzung hat der Herr Bundesminister für Vertriebene unter dem 27. Dezember 1951 über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 2959 verteilt.
Ich komme dann zur heutigen Tagesordnung und rufe zunächst auf —
— Herr Abgeordneter Reimann, Sie wünschen einen Antrag zur Geschäftsordnung zu stellen. Sie werden mir gestatten, daß ich zunächst die Tagesordnung aufrufe:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Nrn. 2950, zu 2950 der Drucksachen);
;
b) Erste, zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des Gesetzes betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 .
Herr Abgeordneter Reimann wünscht das Wort zur Geschäftsordnung.
Im Namen der kommunistischen Bundestagsfraktion habe ich folgenden Antrag zu stellen: Der Bundestag wolle beschließen, die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl — Schuman-plan — wird von der Tagesordnung abgesetzt.
Der Bundestag lehnt es ab, an der Inkraftsetzung eines Vertrages mitzuwirken,
.
der das friedliche Zusammenleben der Völker stört,
der die Führung eines Angriffskrieges vorbereitet
und somit dem Art. 26 des Grundgesetzes zuwiderläuft.
Der Bundestag lehnt es ab, an der Inkraftsetzung eines Vertrages mitzuwirken, der die Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands für die Dauer von 50 Jahren gesetzlich festlegt und der somit den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens sowie der Präambel, dem Art. 24 und dem Art. 146 des Grundgesetzes zuwiderläuft. Der
Bundestag lehnt es ab, an der Inkraftsetzung eines Vertrages mitzuwirken, der deutsche Hoheitsrechte über lebenswichtige Rohstoffe und Industrien Westdeutschlands ausländischen Mächten überträgt, wobei die Übertragung nicht, wie Art. 24 des Grundgesetzes vorschreibt, der Wahrung des Friedens und dem Interesse einer „friedlichen und dauerhaften Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt", sondern der Vorbereitung eines Angriffskrieges dient. Der Bundestag erblickt in der Tatsache, daß die Pleven-Regierung mit dem Außenminister Schuman, dem französischen Verfechter des Planes, am 7. Januar 1952 vom französischen Volk und der Nationalversammlung gestürzt worden ist, einen Grund mehr, die Inkraftsetzung des Schumanplans abzulehnen. Der Bundeskanzler wird verpflichtet, dem Bundestag unverzüglich in der heutigen Sitzung den Inhalt aller von ihm mit den Vertretern der Atlantikpaktmächte in Paris, London und Straßburg geführten Verhandlungen über den sogenannten Generalvertrag und die mit ihm verbundenen Nebenverträge über die Schaffung der sogenannten Europaarmee sowie die von ihm bereits eingegangenen Verpflichtungen bekanntzugeben. Der Bundeskanzler wird ferner verpflichtet, dem Bundestag unverzüglich Auskunft zu geben über die laut AP am 6. Januar 1952 von alliierten Beamten abgegebene Erklärung,
1. daß vom Büro Blank Pläne ausgearbeitet worden sind, die es ermöglichen, rund 1 250 000 junge Männer im Alter von 18 bis 21 Jahren zum Wehrdienst einzuziehen,
2. daß man sich im Büro Blank auf eine Volksarmee geeinigt habe, die durch allgemeine Wehrpflicht aufgestellt werden solle, wie das der Bundeskanzler selbst bereits vor der amerikanischen Presse bekanntgegeben hat,
3. daß man auf alliierter Seite damit rechnet, daß in der ersten Zeit möglicherweise amerikanische Offiziere und Unteroffiziere als Instrukteure für die Ausbildung dieser Truppen verwandt werden.
Der Bundestag erklärt, daß er nicht gewillt ist, seine Rechte und Pflichten zur Wahrung der Interessen des Volkes preiszugeben und eine verhängnisvolle Geheimdiplomatie zu dulden, die zum Kriege treibt und die Spaltung Deutschlands verewigen soll. Der Bundestag besteht deshalb darauf, im Anschluß an den vom Bundeskanzler zu erstattenden Bericht unverzüglich eine Aussprache durchzuführen.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, im Interesse unseres Volkes diesem Antrage zuzustimmen, denn eine Diskussion heute über den Schumanplan bedeutet eine Vorentscheidung für den Schuman-plan und eine Entscheidung zu der Geheimdiplomatie, die Bundeskanzler Dr. Adenauer bisher getrieben hat. Stimmen Sie heute der Behandlung zu, dann ist dies auch eine Vorentscheidung für die Annahme des Generalvertrages der Geheimverhandlungen, die Dr. Adenauer geführt hat.
Herr Abgeordneter Reimann, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es unzweckmäßig ist, die Begründung von Anträgen in der Form von formulierten Anträgen zur Ge-
schäftsordnung zu bringen; es könnte sein, daß künftig daraus erhebliche geschäftsordnungsmäßige Schwierigkeiten erwachsen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete von Merkatz.
Namens der Fraktion der Deutschen Partei beantrage ich: Der Bundestag wolle beschließen, über den Antrag der kommunistischen Fraktion zur Tagesordnung überzugehen, weil er in seiner Zielsetzung und in seiner Begründung Wort für Wort wider besseres Wissen gegen die Wahrheit verstößt.
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies zur Geschäftsordnung.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion ist der Ansicht, daß die zweite Lesung des Schumanplans heute vorgenommen werden soll.
Wir glauben, daß dazu ein guter sachlicher Grund vorliegt. Durch die im Ältestenrat vereinbarte ausführliche Aussprache am heutigen und morgigen Tag wird es zum ersten Male möglich sein, der breitesten Öffentlichkeit eine genaue Kenntnis über den Inhalt des Schumanplans zu vermitteln;
denn das, was bisher — vor allen Dingen von amtlicher Seite — dazu gesagt worden ist, ging doch über allgemeine Deklamationen und Propagandaformeln nicht viel hinaus.
Da man aber über die dritte Lesung erst nach Schluß der zweiten Lesung entscheiden kann, haben wir unsere Anträge nach der Richtung hin dem Hohen Hause bereits unterbreitet.
Herr Präsident, wir haben den Wunsch, daß die Frage geteilt und zunächst darüber abgestimmt wird, ob die zweite Lesung heute stattfinden soll.
Das würde also heißen, Herr Abgeordneter Mellies, daß Sie zunächst eine Abstimmung darüber wünschen, ob die zweite Beratung von der Tagesordnung abgesetzt werden soll.
— Die Sache erledigt sich durch die Abstimmung von allein.
Von Herrn Abgeordneten von Merkatz ist Übergang zur Tagesordnung beantragt worden. Der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung geht den anderen Anträgen vor. Ich bitte die Damen und Herren, die für den Übergang zur Tagesordnung sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen ist gegen die Stimmen der KPD der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung angenommen worden. Damit ist der Antrag des Abgeordneten Reimann erledigt.
Meine Damen und Herren, wir kommen zu den aufgerufenen Punkten der Tagesordnung. Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Preusker. Ich darf bereits jetzt darauf hinweisen, daß im Altestenrat eine Vereinbarung darüber zustande gekommen ist, daß die Erörterung in der zweiten Beratung unter vier grundsätzlichen Gesichtspunkten erfolgen soll, wobei es den Fraktionen freisteht, die ihnen geeignet und notwendig erscheinende Zahl von Rednern dazu sprechen zu lassen:
1. wirtschaftspolitische Fragen,
2. sozialpolitische Fragen,
3. Rechtsfragen,
4. allgemeinpolitische Fragen.
Ich bitte freundlichst, davon Kenntnis zu nehmen. Ich werde diese 'Begriffe einzeln aufrufen und darf jetzt zunächst den Herrn Berichterstatter bitten, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entsprechend einem Beschluß des Wirtschaftspolitischen Ausschusses, des federführenden Ausschusses für den Schumanplan, hatte ich den Bericht bereits schriftlich zu erstatten.*) Sie brauchen nicht zu befürchten, daß ich Ihnen den ganzen Bericht hier noch einmal vortragen werde. Ich werde an vielen Stellen auf den schriftlichen Bericht verweisen können; aber angesichts des Wunsches, dem auch von dem Herrn Abgeordneten Mellies Ausdruck gegeben wurde, daß dem deutschen Volke Gelegenheit gegeben werden solle, die Problematik des ganzen Schumanplans erfassen zu können, werde ich hier doch etwas ausführlicher auf den Schuman-plan als Grundlage für unsere zweite, eingehende Beratung zu sprechen kommen müssen.
Der Deutsche Bundestag steht mit dieser Beratung des Schumanplans zweifellos vor der schwerwiegendsten Entscheidung, die er bisher im Laufe seiner Funktion zu treffen gehabt hat. Er soll sich darüber klar werden, ob er den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, den Schumanplan, in der vorliegenden Form oder unter bestimmten Auflagen und mit bestimmten Vorbehalten zu ratifizieren vermag oder nicht.
Angesichts der ungewöhnlichen Bedeutung der Entscheidung des Bundestages über den Schuman-plan für die zukünftige deutsche Entwicklung und das zukünftige europäische Schicksal sei noch einmal kurz an seine Vorgeschichte erinnert. Deutschland konnte das ihm einseitig durch das Londoner Abkommen auferlegte Ruhrstatut stets nur als eine schwerwiegende Diskriminierung kraft machtstaatlichen Siegerrechts empfinden und mußte in ihm den sichersten Weg zur Verhinderung einer europäischen Einigung erblicken. Erst am 9 Mai 1950 schien die Zeit für eine die Vergangenheit überwindende und in die Zukunft weisende Initiative in Europa reif zu sein. An diesem Tage nämlich hat namens der französischen Regierung der französische Außenminister Robert Schuman sein Programm entwickelt, dessen wichtigste Punkte ich noch einmal kurz zitieren möchte:
Der Weltfriede kann nur erhalten bleiben,
— so lautete die Erklärung der französischen Regierung —
wenn man den Gefahren, die ihn bedrohen, mit schöpferischen Leistungen begegnet. Friedliche Beziehungen sind ohne ein geordnetes lebensvolles Europa ... undenkbar ... Europa kann nicht auf einmal oder als ein umfassender Bau erstehen, ... Voraussetzung für den Zusammenschluß der europäischen Nationen ist aber die Beseitigung des jahrhundertealten Gegensatzes zwischen Frankreich und Deutschland ...
*) Schriftlicher Bericht Siehe Anlage Seite 7629,
Die französische Regierung schlägt daher vor, die gesamte französisch-deutsche Kohle- und Stahlerzeugung in einer den anderen europäischen Ländern offenstehenden Organisation einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen.
Das Zusammenlegen der Kohle- und Stahlerzeugung wird zwangsläufig zur ersten Etappe des Europäischen Staatenbundes, der sofortigen Schaffung gemeinsamer Grundlagen für den Ausbau der Wirtschaft, und zu einem Wandel im Geschick dieser Länder führen .. . Mit dem so erzielten Zuwachs an Mitteln kann dann Europa an die Verwirklichung einer seiner wesentlichen Aufgaben herangehen, nämlich die Erschließung des afrikanischen Kontinents .. .
Schon kurze Zeit später, am 3. Juni 1950, erklärten die französische, die deutsche, die niederländische, die belgische, die luxemburgische und die italienische Regierung ihr Einverständnis mit der Aufnahme von Verhandlungen über dieses weitgesteckte Programm. Leider war die britische Regierung nicht bereit, sich im voraus in gleicher Weise zu binden.
Die Verhandlungen begannen am 20. Juni 1950. Als Beweis für die Gründlichkeit, mit der dieses schwierige Problem erörtert wurde, mag der Hinweis dienen, daß erst am 12. April 1951 der Vertrag so weit gediehen war, daß anschließend in letzten gemeinsamen Beratungen der Außenminister der sechs beteiligten Staaten, die noch weitere sechs Tage währten, am 18. April 1951 die Unterzeichnung des Vertragswerkes erfolgte, das uns, dem Deutschen Bundestage, heute und in den nächsten Tagen zur Ratifizierung vorliegt.
Deutschland besaß, obwohl es gleichberechtigter Partner in diesen europäischen Verhandlungen war, während des Zeitraumes der Verhandlungen politisch noch nicht die Voraussetzungen, überhaupt die Verfügungen zu treffen, die ihm in dem Schumanplan als Vertragsaufgabe gestellt waren. Es bestand insbesondere noch in vollem Umfange das Londoner Abkommen vom 28. April 1949 und die daraufhin errichtete Ruhrbehörde; es bestand die in dem Abkommen über die beschränkten und verbotenen Industrien vom 3. April 1951 niedergelegte Begrenzung der deutschen Stahlproduktion und Stahlkapazität; es bestanden die sich darauf beziehenden Eingriffsrechte des alliierten Sicherheitsamtes in Koblenz und es bestanden die Alliierten Kohle- und Stahlkontrollgruppen, deren wichtigste Aufgabe die Durchführung des alliierten Entflechtungsgesetzes Nr. 27 bildet, die aber darüber hinaus auch im Bereich der gesamten Kohle-und Stahlproduktion wichtige Kontroll- und Eingriffsrechte besitzen. Es bestand schließlich zwisehen Deutschland und Frankreich das immer noch ungelöste Saarproblem.
Die Bundesregierung konnte daher den Schuman-plan nur unter der Voraussetzung unterzeichnen, daß die einseitigen siegerstaatlichen Maßnahmen auf dem Gebiet von Kohle und Stahl spätestens im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des in Aussicht genommenen gemeinsamen Marktes ein Ende finden würden und daß ferner die Unterzeichnung dieses Vertrages über die Montan-Union keinerlei Präjudizierung des Saarproblems bedeuten durfte. Frankreich war nur einer der Vertragsstaaten der Ruhrbehörde und der übrigen alliierten Abmachungen. Amerika und England stehen außerhalb des Schumanplans. Deshalb konnte zunächst die französische Regierung nichts anderes tun, als ihrerseits ihren festen Willen zu bekunden, daß sie sich
dafür einsetzen werde, daß die Deutschland kraft
siegerstaatlichen Rechts einseitig auferlegten Maßnahmen beseitigt würden. Dies ist in einem Brief,
der der Begründung zu dem Vertragswerk beigefügt worden ist, durch den französischen Außenminister Schuman geschehen. Ich bitte Sie, diesen
Brief in seinem Wortlaut noch einmal dort nachzulesen. Andererseits bestand das Problem der
Saar zwischen Frankreich und Deutschland allein.
Hier war es das dringende Anliegen der Bundesregierung, ausdrücklich von der französischen Regierung bestätigt zu erhalten, daß durch die Unterzeichnung des Schumanplans der Regelung des
Saarproblems in keiner Weise vorgegriffen würde.
Dem Vertrag selbst ist dieser Briefwechsel und
das Antwortschreiben des französischen Außenministers als Anlage beigefügt. Ich darf aus diesem Antwortschreiben des französischen Außen
ministers kurz den wesentlichen Inhalt zitieren:
Die französische Regierung erblickt in der
Unterzeichnung des Vertrages durch die Bundesregierung keine Anerkennung des gegenwärtigen status der Saar durch die Bundesregierung. Sie ist nicht der Auffassung, daß
der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl dem
endgültigen status der Saar vorgreift, der
durch einen Friedensvertrag oder durch einen
an Stelle des Friedensvertrags abgeschlossenen
Vertrag zu regeln ist.
Das waren also die Unterlagen und der politische und wirtschaftliche Ausgangspunkt der Debatten im Ausschuß für Wirtschaftspolitik und dann auch im Außenpolitischen Ausschuß. Es lagen nur diese Versprechen und Zusicherungen im politischen Bereich vor, deren Erfüllung zunächst außerhalb der alleinigen Macht der französischen Regierung lag.
Dementsprechend wurde im Ausschuß der Antrag gestellt, die Beratungen über den Schumanplan bis zur Klärung dieser politischen Fragen auszusetzen. Dieser Antrag wurde mit 13 gegen 12 Stimmen in dem Sinne abgelehnt, daß zunächst einmal das Vertragswerk so auf seinen materiellen Inhalt, seine Funktionsmöglichkeiten und seine zu erwartenden Auswirkungen geprüft werden sollte, als ob alle einseitigen siegerstaatlichen Maßnahmen entsprechend den gemachten Zusicherungen bereits in Fortfall gekommen wären. Der Ausschuß hat aber in seiner großen Mehrheit keinen Zweifel darüber gelassen, daß er sich die in der Bundesratsdrucksache sowie die in der in Punkt 1 gleichlautenden Drucksache Nr. 2484 der Fraktion der SPD niedergelegten Forderungen in vollem Umfange zu eigen gemacht hatte und für seine endgültige Entscheidung die vorherige Erfüllung dieser französischen Zusicherungen von maßgeblicher Bedeutung sein wird.
Bei der Prüfung des Vertrags war zunächst die Frage zu beantworten, was die einzelnen Mitgliedstaaten des geplanten Vertragswerks in die MontanUnion einbringen würden, welche besonderen Vor-oder Nachteile in ihrer Ausgangsposition zu erblicken seien und wie man im einzelnen die verschiedenartigen Interessen der Vertragspartner zu beurteilen habe.
Im Gebiet der sechs Schumanplan-Länder Frankreich, Deutschland, Niederlande, Belgien, Luxemburg und Italien wohnen zur Zeit 155 Millionen Menschen. Deutschland hat daran einen Anteil von
31%. In diesem Gesamtgebiet betrug die Steinkohlenförderung im Jahre 1950 217 Millionen t. Zum Vergleich nenne ich Großbritannien mit allein 214 Millionen t, also fast derselben Menge, oder die USA mit 497 Millionen t, also weit mehr als dem Doppelten. Hiervon entfielen auf Deutschland etwas über die Hälfte, genau 51 %, auf die Saar weitere 7 %, auf Frankreich 23,4 %, auf Belgien 12,5 %, auf die Niederlande 5,6 % und schließlich auf Italien 0,5 N. Deutschland hatte also bei weitem den größten Anteil an der Steinkohlenförderung innerhalb der Montan-Union aufzuweisen. Deutschland und die Saar und daneben Belgien sind auch die beiden einzigen Länder, die in größerem Umfang als Kohle- und Koksexporteure auftreten, während die übrigen vier Länder, Frankreich, die Niederlande, Italien und Luxemburg, in erster Linie an dem Import von Kohle und Koks interessiert sind. Immerhin ist es von Bedeutung, zu wissen, daß die gesamte europäische Montan-Union noch 'ein Ausfuhrgebiet für Kohle — 1950 allerdings in geringerem Umfang, aber doch in erheblicherem Umfang für Koks, nämlich 5,8 Millionen t — ist.
Deutschland war bisher das einzige dieser sechs Länder, das seine Vorkriegsleistung auf dem Gebiet der Steinkohlenförderung noch nicht erreicht hat. Seine Schichtleistung lag noch um 32 % unter dem Vorkriegsstand, während sie beispielsweise in Frankreich, das ebenfalls noch nicht ganz herangekommen war, nur noch um 11 % darunter lag. Die Ursachen für diese besondere Benachteiligung Deutschlands sind vom Ausschuß eingehend erörtert warden. Sie sind einmal in dem durch zwei Weltkriege bedingten Raubbau an der deutschen Kohle zu sehen. In den letzten fünfzig Jahren wurden rund 100 Normalfelder à 2,5 Millionen t Kohle abgebaut, aber nur ganze elf Felder neu abgeteuft. Die Ursachen sind weiter zu erblicken in der erheblichen Überalterung der deutschen bergmännischen Bevölkerung, und sie sind schließlich in den erheblichen Kriegszerstörungen an Bergarbeiterwohnungen zu suchen. Auch das Fehlen der Rechtsträger kraft der alliierten Eingriffe durch die Maßnahmen, die schließlich im Gesetz Nr. 27 kodifiziert worden sind, haben ein Übriges zu dieser Benachteiligung der deutschen Entwicklung im Steinkohlenbergbau beigetragen.
Es soll auch nicht vergessen werden, zu erwähnen, daß beispielsweise Frankreich mit seinem Anteil- von nur 23% an der europäischen Steinkohlenförderung allein 1,1 Milliarden DM an Marshallplanmitteln für den Steinkohlenbergbau erhielt, während Deutschland nur 0,33 Milliarden DM in dem gleichen Zeitraum bekommen hat.
Aber trotz dieser enormen Handikaps des deutschen Steinkohlenbergbaus ist sowohl die geologische als, auch die Kostenlage des deutschen Bergbaus auch gegenwärtig weitaus günstiger als die der anderen Teilnehmerstaaten der MontanUnion, mit der alleinigen Ausnahme der im Gesamtrahmen .nicht bedeutenden Niederlande. In Belgien beträgt die Schichtleistung nur rund zwei Drittel der deutschen, und in Italien, dessen sardinischer Bergbau allerdings von ganz geringer Bedeutung ist, liegt sie noch weit darunter.
Nun besteht in sämtlichen Ländern der MontanUnion seit Ende 1950 eine erhebliche Kohlenknappheit. Sie ist am stärksten in Deutschland in Erscheinung getreten, weil man in Deutschland durch die Auflagen der Ruhrbehörde eine ungleichmäßige Benachteiligung in der Kohlenversorgung herbeigeführt hatte. Auf der anderen Seite hat aber der Ausschuß eindeutig feststellen können, daß bei zielbewußter Finanzierungs-, Investitions- und Wohnungsbaupolitik in keinem anderen Land der Montan-Union die Aussichten für eine Steigerung der Steinkohlenförderung so günstig sind wie in Deutschland.
Auf dem Gebiet der Eisenerzförderung ist im Rahmen der Montan-Union allein Frankreich mit seinen lothringischen Minettevorkommen Überschußgebiet. Es hat damit einen Anteil von rund 66 %. In Deutschland spielt die Eisenerzförderung immerhin eine gewisse Rolle. Wir fördern rund 10,9 Millionen t Eisenerz und haben damit doch noch einen Anteil von 24 %. Allerdings ist Deutschland nach der ganzen Ausrichtung seiner Stahlindustrie in allererster Linie auf die Einfuhr von Schwedenerzen angewiesen. Es hat im Jahre 1950 4,8 Millionen t einführen müssen, und die Aufrechterhaltung dieser Schwedenerzeinfuhr im Austausch gegen Ausfuhr von deutscher Kohle und deutschem Koks ist eine Lebensfrage für Deutschland; denn diese Schwedenerze bilden die Grundlage für die Erzeugung der hochwertigen SiemensMartin-Stähle, auf die Deutschland im wesentlichen Umfange spezialisiert ist.
Deutschland steht mit dieser Interessenlage in der Erzeinfuhrfrage innerhalb der Montan-Union nicht allein. Auch Belgien, Luxemburg und die Niederlande sind in gleicher Weise an der Einfuhr von Schwedenerzen interessiert, so daß hier die Interessenlage innerhalb der Montan-Union erheblich anders und günstiger für Deutschland zu beurteilen ist als in der Kohlenfrage. Die deutsche Eisenerzförderung kann ohne Zweifel noch erheblich gesteigert werden. Andererseits darf aber nicht außer acht gelassen werden, daß nur wenige deutsche Erzgebiete mit den Schwedenerzen wirtschaftlich konkurrieren können. Die Kosten verhalten sich im Gesamtdurchschnitt wie etwa 1 zu 5. Ferner ist aber auch zu beachten, daß die deutsche Eisenerzförderung gegenüber den Kosten der lothringischen Minetteförderung durchaus nicht so benachteiligt ist, daß sie diesen Wettbewerb zu scheuen hätte.
An Rohstahl — der zweiten großen Säule der geplanten Montan-Union — wurden im Jahre 1950 in ihrem Bereich 31,7 Millionen t erzeugt. Wenn wir das wiederum mit den Zahlen von Großbritannien und den USA vergleichen, so ergibt sich, daß in Großbritannien im gleichen Jahre eine Rohstahlerzeugung von 16,6 Millionen t stattfand, während gleichzeitig in den USA fast 88 Millionen t Rohstahl produziert wurden und im Jahre 1951, in dem die Erzeugung an Rohstahl innerhalb der Montan-Union etwa 35 Millionen t erreicht hat, in Amerika bereits die 100-Millionen-t-Grenze überschritten werden konnte. Der deutsche Anteil an der Rohstahlproduktion der Montan-Union beträgt gegenwärtig rund 36 %, liegt also auch hier an erster Stelle, während der französische Anteil zur Zeit 27 % beträgt.
Es konnte nicht außer acht gelassen werden, daß infolge der gerade in der deutschen Eisen- und Stahlindustrie durchgeführten Demontagen und der Verhinderung von Investitionen kraft besatzungsrechtlicher Maßnahmen der deutsche Anteil in der Stahlerzeugung von vor dem Kriege knapp 50 % auf diese 36 % zurückgefallen ist. Auf der andern Seite hat Frankreich aber auch nur etwa die Hälfte dieses deutschen Anteilsverlustes durch seine Investitionen über Monnet-
Plan und Marshallplan-Hilfe als Zuwachs erhalten. Die restliche Hälfte ist vor allem ein Kapazitätszuwachs der kleineren Länder Luxemburg, Belgien, Niederlande und auch Italien.
Während also Frankreich ohne Zweifel in die Montan-Union mit einem stark modernisierten Produktionsapparat, insbesondere im Besitz von zwei Breitbandwalzstraßen hineingeht, ist Deutschland hier wesentlich benachteiligt. Seine Anlagen weisen ein Durchschnittsalter von 38 Jahren auf, und ihm wurde bisher die Errichtung einer Breitbandstraße ständig versagt. Trotz dieses außerordentlichen Handikaps, das weit schwerer wiegen mag als auf dem Gebiet der Steinkohle, ist aber auch wiederum festzustellen gewesen, daß Deutschland innerhalb der Montan-Union mit seiner Stahlproduktion, bisher in vollem Umfange wettbewerbsfähig geblieben ist, auch dann noch wettbewerbsfähig geblieben ist, als es, um die Exportauflage der Ruhrbehörde auszugleichen, in erheblichem Maße die doppelt so teure amerikanische Kohle für seine Stahlindustrie verwenden mußte. So betragen gegenwärtig die Preise für die Tonne Formstahl in Frankreich 353,75 DM, in Belgien 352,80 DM, in Deutschland dagegen nur 325,50 DM. Für die Tonne Grobbleche liegen die Dinge noch günstiger: in Frankreich 430,30 DM, in Belgien 396,90 DM, in Deutschland nur 348,60 DM. So zieht sich ein ähnliches Verhältnis in einem Gefälle zugunsten Deutschlands durch alle übrigen Walzwerkserzeugnisse hindurch.
Auf besonderen Wunsch Italiens wurde schließlich auch der Schrott, allerdings in etwas eingeschränktem Umfang, mit in die Montan-Union einbezogen. Innerhalb der Montan-Union fielen im Jahre 1950 rund 20 Millionen t Schrott an, davon innerhalb Deutschlands 11 Millionen t, innerhalb Frankreichs etwas über 5 Millionen t. Deutschland und Frankreich waren gleichzeitig Schrottexportländer, Deutschland dabei allerdings nicht in vollem Umfange freiwillig. Aber die gesamte MontanUnion kommt mit ihrem Schrottbedarf und Schrottaufkommen annähernd dorthin, wohin sie bei einer gewissen Steigerung ihrer Erzeugung kommen muß, so daß von dieser Seite her keine ernste Problematik befürchtet zu werden braucht.
Abschließend läßt sich also als Ergebnis der eingehenden Prüfung der rein volkswirtschaftlichen Ausgangspositionen feststellen, daß der Schlüssel zur Wertung der einzelnen Faktoren unter deutschen und zugleich europäischen Aspekten in der Frage liegt, wie schnell es Deutschland gelingen wird und gleichzeitig gestattet ist, seine Kohleförderung wesentlich zu erhöhen und die notwendigen Nachholinvestitionen in seiner Eisen- und Stahlindustrie durchzuführen, damit wirklich die Voraussetzungen für einen gemeinsamen europäischen Markt erfüllt werden können.
Inwieweit nun der Schumanplan diese lebenswichtigen deutschen und zugleich im besten Sinne europäischen Zielsetzungen zu begünstigen oder zu behindern geeignet und überhaupt funktionsfähig erscheint, sollte in der zunächst durchgeführten Überprüfung des Vertrages unter Ausklammerung der offengebliebenen politischen Fragen geklärt werden. Der Schumanplan stellt als seine wesentlichste Aufgabe in Art. 2 heraus — und lassen Sie mich das wörtlich zitieren —:
Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist dazu berufen, im Einklang mit der Gesamtwirtschaft der Mitgliedstaaten . . . zur Ausweitung der Wirtschaft, zur Steigerung der
Beschäftigung und zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten beizutragen ...;
sie hat hierbei dafür zu sorgen, daß keine
Unterbrechung in der Beschäftigung eintritt,
und zu vermeiden, daß im Wirtschaftsleben
der Mitgliedstaaten tiefgreifende und anhaltende Störungen hervorgerufen werden.
Der Vertrag will diese Ausweitung der Wirtschaft und Beschäftigung sowie die Hebung des Lebensstandards in den Unterzeichnerstaaten erreichen: einmal durch die Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl lediglich auf der Grundlage des höchsten wirtschaftlichen Effekts; zweitens durch die Ausschaltung aller wettbewerbsverfälschenden Faktoren politischer oder sonstwie diskriminierender Art, wie Zölle, Kartelle, übermäßige Machtzusammenballungen, Subventionen, Sonderlasten oder sonstige privatwirtschaftliche wettbewerbsbehindernde Abreden; zum dritten durch die Verankerung des Prinzips der staatlichen oder überstaatlichen Nichtintervention in diesen Markt in Zeiten eines relativen wirtschaftlichen Gleichgewichts oder aber in Zeiten einer wirtschaftlichen Krisenlage durch eine möglichst gering bleibende staatliche oder überstaatliche Intervention; und viertens durch den gemeinsamen Einsatz der Finanzierungsmöglichkeiten aller sechs Montanunion-Länder und auf der Grundlage dieser Gemeinsamkeit noch durch dieMobilisierung zusätzlicher Mittel dritter Staaten zugunsten der Erweiterung der Kapazität der europäischen Kohle- und Stahlerzeugung. Seine Absichten können also kurz als die Gewährleistung eines geordneten und fairen Wettbewerbs, mithin als das Gegenteil eines überstaatlichen Dirigismus zentralverwaltungswirtschaftlicher Prägung oder als das Gegenteil eines Superkartells alter Prägung bezeichnet werden.
Da der Schumanplan bewußt die Ebene herkömmlicher zwischenstaatlicher Abmachungen verläßt und an ihre Stelle überstaatliche Einrichtungen setzen will, auf die allerdings nur Teile der einzelstaatlichen Souveränität der Unterzeichnerländer übergehen sollen, hat er die Problematik, die sich hieraus ergeben mußte, in der Weise zu lösen versucht, daß er im voraus berücksichtigt hat, welche gesetzgeberischen Notwendigkeiten während der Laufzeit dieses Vertrages entstehen könnten, und dieses gesamte Gesetzgebungswerk bereits in den Vertrag hineingelegt.
So sind die Exekutivrechte der Hohen Behörde, der wichtigsten überstaatlichen Einrichtung des Schumanplans, und damit die möglichen Auswirkungen der einzelstaatlichen Souveränitätsverzichte von vornherein genau abgegrenzt und übersehbar, so daß in dieser Richtung jeder der beteiligten Staaten von Anfang an weiß, womit er im äußersten und im günstigsten Fall rechnen muß oder rechnen kann. Es ist allerdings eine andere Frage — die den Ausschuß sehr beschäftigen mußte —, inwieweit die Wirklichkeit des wirtschaftlichen Lebens und der politischen Entwicklung der Völker während 'der vorgesehenen Dauer des Vertrages in den vorgezeichneten Bahnen verlaufen wird.
Dieser relativ starren Vertragskonstruktion entsprechend sind die legislativen Funktionen der Organe, die diese Funktionen in einem Staatswesen ausüben würden, nur sehr schwach ausgebildet. Der Rat wird im wesentlichen auf eine Mitwirkung bei der Exekutive, die Versammlung auf die Kontrolle der Exekutive beschränkt. Nur im Revisionsfalle erhalten sowohl der Rat als auch die Versammlung gewisse echte gesetzgeberische Voll-
machten. Der Ausschuß hat in seiner Gesamtheit diese der natürlichen Entwicklung und einer lebensvollen europäischen Integration zweifellos nicht sehr gut angepaßte außerordentliche Beschränkung der Legislative der Schumanplan-Organe als einen erheblichen Mangel empfunden und hat mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß es immer wieder die Bemühungen der Bundesregierung während der Vertragsverhandlungen waren, die hier einen stärkeren Durchbruch zu einer dauernden gesetzgeberischen Funktion der Organe erreichen wollten. -
Im Gegensatz zu der schwachen Ausprägung der legislativen Organe ist die richterliche Gewalt des Vertrags mit so weitgehenden Befugnissen ausgestattet worden, daß in ihr tatsächlich eine echte überstaatliche Institution geschaffen worden ist.
Das Exekutivorgan, die Hohe Behörde, soll nun aus neun Mitglieder bestehen, von denen nicht mehr als zwei der gleichen Staatsangehörigkeit sein dürfen. Die Mitglieder der Hohen Behörde sind verpflichtet, keinerlei Weisungen von irgendeiner Regierung, auch nicht der, deren Staatsangehörigkeit sie besitzen, entgegenzunehmen; sie sind obendrein gebunden, mindestens bis drei Jahre nach ihrem Ausscheiden aus ihrer Funktion keinerlei geschäftliche Verbindung mit irgendeinem Eisenoder Stahlunternehmen zu haben. Ihre Unabhängigkeit und ihre Entscheidungsfreiheit in einem wirklich überstaatlichen, übernationalen Sinn soll also so stark sichergestellt werden, wie es durch Paragraphen und Buchstaben überhaupt geschehen kann.
Der Ausschuß hat die verhältnismäßig hohe Zahl von neun Mitgliedern für weniger günstig gehalten als die während der Vertragsverhandlungen einmal genannte Zahl von fünf Mitgliedern. Er hat aber zur Kenntnis genommen, daß man hier einem dringenden Wunsch der kleinen Staaten entsprechen mußte, die bei nur fünf Mitgliedern nicht einmal vollzählig in der Hohen Behörde durch eigene Vertreter hätten mitwirken können.
Die Mehrheit der Mitglieder des Ausschusses war dann noch besonders daran interessiert, zu erfahren, ob innerhalb der Hohen Behörde auch eine ausreichende gewerkschaftliche Repräsentanz in Aussicht genommen sei. Es konnte durch die Bundesregierung bestätigt werden, daß darüber während der Vertragsverhandlungen in Paris eingehend gesprochen worden ist und daß man sogar schon einen führenden, mit Namen genannten Gewerkschaftsvertreter eines der Montanunion-Länder für die Hohe Behörde in Aussicht genommen hat.
Die Beschlüsse der Hohen Behörde müssen mit absoluter Mehrheit gefaßt werden, d. h. also immer mit mindestens 5 zu 4 Stimmen, wobei sie im einzelnen Entscheidungen sein können, d. h. mit in allen Teilen verbindlicher Rechtswirkung ausgestattete Rechtsverordnungen, oder sie können Empfehlungen sein; das sind zwar in ihren Zielen ebenso verbindliche Rechtsakte, aber sie lassen denjenigen, an die sie sich richten — ob das nun Staaten oder einzelne Unternehmen sind —, die Wahl der Mittel völlig frei. Schließlich kann die Hohe Behörde auch mit bloßen Stellungnahmen ihre Wünsche äußern. Diese Stellungnahmen sind weder hinsichtlich der Ziele noch hinsichtlich der Wahl der Mittel verbindlich. Wesentlich ist — und das unterscheidet nach der Meinung des Ausschusses die Hohe Behörde im stärksten Maße von einer Art Kartell —, daß die Hohe Behörde zum Zwecke der Nachprüfung ihrer Maßnahmen und der Objektivität, mit der diese Maßnahmen überparteilich und wirklich übernational getroffen sind, ihre Entscheidungen zu begründen hat und daß diese Begründungen auch zu veröffentlichen sind. Sie hat außerdem in allen wesentlichen Fällen, in denen sie nach dem Vertrag etwas unternehmen kann, zuvor einen Beratenden Ausschuß zu hören. Dieser Beratende Ausschuß, dem 30 bis 51 Mitglieder angehören, welche vom Rat aus Vorschlagslisten der Unternehmerverbände, der verarbeitenden Industrien, der Gewerkschaften der Unterzeichnerstaaten ausgewählt werden müsssen, muß paritätisch zusammengesetzt sein, d. h. je zu einem Drittel Vertreter der Gewerkschaften, der Unternehmensverbände aus Kohle und Stahl und der Verbände der verarbeitenden Industrien enthalten.
Die im wesentlichen auf die Kontrolltätigkeit beschränkte Versammlung soll ihrerseits aus 78 Mitgliedern bestehen, die aus der Mitte der Parlamente oder in direkter Wahl der Einzelstaaten zu ermitteln sind. Deutschland, Frankreich und Italien, die drei großen Partner des vorgesehenen Vertrags, sollen in dieser Versammlung mit je 18 Mitgliedern, Belgien und die Niederlande mit je 10 und schließlich Luxemburg mit 4 Mitgliedern vertreten sein. Da sich die Bundesregierung dem von der sogenannten „Saarregierung" vorgebrachten Wunsch nach einer eigenen Repräsentation und einer selbständigen Partnerschaft in diesem Montanunions-Vertrag erfolgreich widersetzen konnte, gibt es also keine unmittelbaren Vertreter der Saar; wohl aber sind entsprechend den Formulierungen des Art. 79 des Vertrags, nach dem Frankreich zur Zeit die außenpolitischen Belange der Saar mit vertritt, die drei auf die Saarbevölkerung treffenden Vertreter in die Frankreich zugestandene Zahl von 18 Delegierten eingerechnet, wobei es Frankreich überlassen bleibt, ob es nun tatsächlich Vertreter der Saarbevölkerung entsenden will oder nicht.
Das wichtigste Recht der Versammlung im normalen Vertragsablauf besteht in der Möglichkeit, die Hohe Behörde in jedem Jahre auf Grund der Erörterung des von ihr vorzulegenden gesamten Tätigkeitsberichtes mit einer Zweidrittelmehrheit, mindestens der Majorität der Mitglieder der Versammlung zu stürzen.
Der Rat, das bundesratsähnliche Organ im Schumanplan, setzt sich aus sechs Mitgliedern zusammen. Und zwar soll jeder einzelne Mitgliedstaat je einen Vertreter seiner Regierung in diesen Rat entsenden. Wenn in dem vorliegenden Vertrag eine Zustimmung des Rates zu irgendeiner Maßnahme der Hohen Behörde vorgesehen ist, so muß diese Zustimmung — wenn nicht, wie bei allen wesentlichen Akten, eine Einstimmigkeit erforderlich ist — mit der absoluten Mehrheit der Mitglieder erfolgen. Dabei ist noch die weitere Erschwerung eingebaut worden, daß innerhalb dieser absoluten Mehrheit sich mindestens die Stimme eines Landes befinden muß, das 20 % der Kohle- und Stahlerzeugung der Montan-Union auf sich vereinigt, d. h. also entweder die Stimme von Deutschland oder von Frankreich. Ergibt sich eine Stimmengleichheit, dann müssen sich sowohl die Stimmen Deutschlands als auch Frankreichs innerhalb der Stimmen der Länder befinden, die zugestimmt haben. Deutschland und Frankreich zusammen können also innerhalb der Montan-Union niemals überstimmt werden; wohl aber besteht theoretisch die
Möglichkeit, daß eines der beiden Länder, Deutschland oder Frankreich, innerhalb der Montan-Union im Rat überstimmt wird.
Hier greifen nun aber als Sicherung die Vollmachten des Gerichtshofs ein. Der Gerichtshof besteht aus sieben auf die Dauer von sechs Jahren in gemeinsamem Einvernehmen der Unterzeichnerstaaten ernannten unabhängigen Richtern, die sich ihren Präsidenten jeweils für drei Jahre selbst bestellen. Ist ein Mitgliedstaat der Ansicht, irgendeine Handlung oder Unterlassung der Hohen Behörde, die durch eine Zustimmung des Rates ermöglicht wurde, sei geeignet, tiefgreifende ,und anhaltende Störungen in seiner Wirtschaft auszulösen, und ergreift die Hohe Behörde auf Grund dieser Ansicht des betreffenden Staates keine gegenteiligen Maßnahmen, um diesen Sachverhalt abzustellen, dann ist der Gerichtshof nach Art. 37 verpflichtet, die zugrunde liegende, von dem einen Staat angeführte materielle Rechtslage im vollen und uneingeschränkten Umfang nachzuprüfen. Hierzu wurde ausdrücklich durch die Bundesregierung bestätigt und auch auf die entsprechenden französischen Kommentare hingewiesen, daß damit der Gerichtshof in bewußter Abweichung von den Formulierungen in den anderen Artikeln, insbesondere in Art. 33, auch für die Würdigung der wirtschaftlichen Tatsachen oder Umstände zuständig ist, die den angefochtenen Entscheidungen der Hohen Behörde zugrunde gelegen haben, auch ohne daß der Hohen Behörde erst ein Ermessensmißbrauch nachgewiesen werden muß. In allen Fällen, in denen der anfechtende Staat daraufhin vom Gerichtshof ein obsiegendes Urteil erhält, ist die Hohe Behörde zur Wiedergutmachung und im Falle einer entsprechenden Verurteilung durch den Gerichtshof zur Schadensersatzzahlung verpflichtet. Es sind also auch nach dieser Richtung hin sehr weitgehende Sicherungen gegen einen Mißbrauch hinsichtlich der Objektivität und Überparteilichkeit der Hohen Behörde und des Rates in den Vertrag eingebaut worden.
Der Ausschuß hat diese Sicherungen gegen eine willkürliche Majorisierung Deutschlands oder irgendeines anderen Partnerstaates der MontanUnion durch die Hohe Behörde und den Rat in seiner Mehrheit für ausreichend angesehen, um derartige Entwicklungen, die außerdem dem Prinzip der Nichtdiskriminierung und den ganzen Zielen der Montan-Union völlig zuwiderlaufen würden, überhaupt nicht entstehen zu lassen.
Wenn die vorstehend skizzierten gemeinsamen Organe ihre vertraglich vorgesehenen Aufgaben wahrnehmen, welcher Raum bleibt dann noch für eine einzelstaatliche Wirtschaftspolitik, wie wird es insbesondere in den einzelnen Staaten aussehen, wenn es bei Kohle und Stahl einen gemeinsamen Markt gibt und wenn die übrigen Bereiche der Volkswirtschaften nach wie vor innerhalb der nationalstaatlichen Gebundenheit bleiben sollen? Die Erzeugung und Verteilung von Kohle und Stahl innerhalb eines auf diesen begrenzten Ausschnitt abgestellten gemeinsamen Marktes müssen ja zwangsläufig alle Bereiche der Wirtschaftspolitik -- Devisen-, Handelspolitik, Sozialpolitik, Finanzpolitik, Lohnpolitik — berühren. Der Vertrag mußte also, wenn er die mögliche Gesetzgebung des gesamten Vertragsablaufs vorwegnehmen wollte, hierüber bestimmte Gedanken festlegen. Er tut das in der Weise, daß er grundsätzlich die einzelstaatliche Souveränität auf dem Gebiet der Verkehrs-, der Finanz-, der Lohnpolitik usw. proklamiert und in den Fällen, in dènen auf diesen Gebieten Rückwirkungen durch den Vertrag ausgelöst werden, den Staaten die Möglichkeit eröffnet, indirekte Ausgleichsmaßnahmen durchzuführen.
Die Tätigkeit der Hohen Behörde soll sich in der Normallage des Schumanplans auf die eines Garanten eines geordneten und fairen Wettbewerbs beschränken; aber dabei sollen, wie es in dem Vertrag heißt, die sich frei bildenden Preise innerhalb der Gemeinschaft möglichst niedrig sein, jedoch nicht in irgendeiner Form Dumpingpreise darstellen. Der Vertrag will diese möglichst niedrigen Preise dadurch erreichen, daß er zwar jedem einzelnen Unternehmen gestattet, seine Preise so festzusetzen, wie es ihm nach der Beurteilung der Markt- und Kostenlage zweckdienlich erscheint, aber festlegt, daß kein Unternehmen das Recht hat, innerhalb der Montan-Union in anderen Märkten höhere Preise in Anspruch zu nehmen, als bei Abzug der Mengenrabatte und der Frachtkosten unter Zurückführung auf die eigenen Preise am Ort des Unternehmens gegebenenfalls zulässig wären. Umgekehrt darf aber jedes Unternehmen — ich möchte an den konkreten Fall, sagen wir einmal, des verstärkten Wettbewerbs der lothringischen Eisen-und Stahlindustrie und der Ruhrstahlindustrie auf dem süddeutschen Markt erinnern — in die niedrigeren Preisangebote von anderen Unternehmen der Montan-Union eintreten. Ja, jedes Unternehmen darf sogar, wenn von außerhalb der Gemeinschaft noch niedrigere Angebote auf irgendeinem Markt in den sechs Ländern erfolgen, auch in diese niedrigeren Preise eintreten, in dem letzten Fall unter Anzeige an die Hohe Behörde. Für die deutschen Grundstoffindustrien bedeutet diese Regelung der Preisbildung trotz ihres produktionsmäßigen Handikaps in der Ausstattung und in der Produktionsentwicklung keinerlei Benachteiligung, wie wir schon aus dem Vergleich der derzeit bestehenden Preisverhältnisse gesehen haben.
Die Hohe Behörde kann, wenn sie glaubt, daß kurz vor einer Mangellage oder in einer solchen die Ordnung der Märkte mit keinem andern Mittel mehr aufrechtzuerhalten ist, Höchstpreise festsetzen, aber auch nur unter diesen Voraussetzungen, nicht während des normalen Marktablaufs. Diese Höchstpreise müssen dann aber unter Berücksichtigung der normalen Kosten einschließlich der Möglichkeit einer angemessenen Produktionserweiterung, Kapitalverzinsung und Hebung des sozialen Standards gebildet sein. Auch diese Bestimmung wurde von der Mehrheit des Ausschusses als grundsätzlich keine Gefahr darstellend angesehen.
Nun gehört zum gemeinsamen Markt auch die Beseitigung aller Ein- und Ausfuhrzölle sowie aller mengenmäßigen Beschränkungen für Kohle und Stahl innerhalb der Montan-Union. Im größeren Teil der Unterzeichnerstaaten hat es bei Kohle ohnehin keine Zölle gegeben; wohl aber bestehen bei Stahl zur Zeit sehr unterschiedliche Zollsätze bei den einzelnen Montan-Union-Ländern. Diese Lage mußte vom Ausschuß bezüglich der möglichen Auswirkungen natürlich besonders eingehend geprüft werden; denn es könnte ja sonst sehr leicht die Gefahr auftreten, daß dritte Länder zunächst einmal nach Belgien oder Holland oder Luxemburg einführen, die zur Zeit für Stahl nur einen Zoll von 1 °/o haben, um die Möglichkeiten des freien, gemeinsamen Marktes durch Weitereinfuhr nach Deutschland oder nach Italien oder Frankreich aus-
zunutzen. Der Vertrag hat auch diese Dinge geregelt. Zum Teil ist diese Regelung im Vertrag selbst enthalten, vor allem aber in den Übergangsbestimmungen, und zwar in der Weise, daß nach einer Übergangszeit von längstens sieben Jahren alle Staaten der Montan-Union praktisch auf einen Außenzollsatz für Stahl von 3 % hinuntergekommen sein müssen, also mehr oder weniger für Stahl zum Freihandelsgebiet geworden sind. Belgien und Luxemburg haben während dieser Zeit ihre Zollsätze von 1 auf 3 % heraufzusetzen.
Was bedeutet das nicht nur für Deutschland, sondern möglicherweise auch für die gesamte Montan-Union? Gegenüber Amerika ist Europa im Augenblick durchaus wettbewerbsfähig — insbesondere ist es Deutschland —, nicht aber gegenüber England. Die englischen Stahlpreise liegen gegenwärtig um etwa 15 bis 20 % unter den deutschen, allerdings — so hat der Ausschuß festgestellt — auf Grund von Tatsachen, die nach den Bestimmungen des Schumanplans zweifellos nicht als echte Wettb ewerbsmaßnahmen bezeichnet werden können. Der Schumanplan sieht deshalb auch ausdrücklich vor, daß während der Übergangszeit mit England Verhandlungen zu führen sind, um eine Regelung dieser schwierigen Frage zu erreichen. Wenn diese Verhandlungen nicht zu einer befriedigenden Lösung führen, dann besteht nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, innerhalb der Montan-Union die geeigneten Vorkehrungen gegen derartige, dann als Dumping anzusehende Maßnahmen zu treffen.
Sehr ernst mußte den Ausschuß aber die Frage beschäftigen: Wenn nun durch die Bildung des gemeinsamen Marktes die deutsche Kohle- und Stahlausfuhr, soweit sie nach Frankreich, Italien, Belgien, Holland oder Luxemburg geht, nicht mehr in dem gleichen Sinne Ausfuhr ist wie bisher, — gibt es dann nicht die Gefahr, daß wesentliche deutsche Interessen bezüglich der Versorgung mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln gefährdet werden könnten? Zunächst einmal war rein real festzustellen, daß die deutsche Gesamtausfuhr an Kohle und Stahl im ersten Halbjahr 1951 ganze 141/2 % von 1,56 Milliarden Dollar ausgemacht hat, daß also nach wie vor über 85 % der deutschen Gesamtausfuhr Gebiete darstellen, über die in Handelsvertragsabmachungen frei verfügt werden kann.
Zum zweiten war festzustellen, daß es sich im Zuge einer Politik, die sich ja doch bisher in ihrem Ziel zum mindesten als außerordentlich erfolgreich erwiesen hat und die die Abgeschlossenheit und die zweistaatliche Kompensation durch die, Liberalisierung des Außenhandels überwinden will, ohnehin ergeben hätte, daß auch Kohle und Stahl mit in diese Liberalisierung hineinkämen, mithin als besonderes Außenhandelsobjekt bei Handelsvertragsverhandlungen in Fortfall kommen müßten. Schließlich sind auch während der gegenwärtig noch bestehenden Geltung der Bestimmungen des Ruhrstatuts die deutschen Anstrengungen, Kohle und Eisen zu wertvollen Tauschgütern bei einer Handelsvertragsabmachung zu machen, in erheblichem Maße eingeschränkt; denn wir können ja nicht frei darüber verfügen.
Überhaupt stand diese Erörterung im Ausschuß etwas' sehr stark unter dem Eindruck der gegenwärtigen außergewöhnlichen Mangellage; sie stand unter dem Eindruck, als ob die derzeitigen Verbrauchs- und Produktionszahlen etwas Unabänderliches darstellten. Demgegenüber war die Mehrheit des Ausschusses, insbesondere unter Hinweis auf das Ziel, daß man doch nach der Überwindung dieser gegenseitigen Abschließung der einzelnen Volkswirtschaften strebe, der Auffassung, daß die deutsche Volkswirtschaft, wenn sie überhaupt glaubt, innerhalb der gesamten übrigen Volkswirtschaften wettbewerbs- und lebensfähig zu sein und diese Wettbewerbs- und Lebensfähigkeit erhalten zu können, dann auch bereit sein muß, sowohl die Chancen als auch die Risiken eines freien Güteraustauschs auf sich zu nehmen.
Die Aufhebung der Zölle und die Herstellung durchgehender Verkehrstarife innerhalb des Schumanplan-Bereiches stellen eine Voraussetzung für die Beseitigung aller wettbewerbsverfälschenden Faktoren dar. Ebenso mußte der Schumanplan auch Prinzipien für die soziale Ordnung innerhalb der Montan-Union aufstellen. Diese Berücksichtigung der sozialen Interessen der Arbeitnehmer, die schon in den Grundforderungen des Schumanplans zum Ausdruck kommt, nimmt dementsprechend auch innerhalb des Vertrages einen sehr breiten Raum ein. Ich habe bereits auf die Frage der Repräsentanz der Gewerkschaften in der Hohen Behörde sowie auf die paritätische Vertretung in dem Beratenden Ausschuß hingewiesen. Ich habe noch nicht darauf hingewiesen; daß es nach dem Vertrag außerdem noch beratende regionale Organe gibt, die sich ebenfalls in angemessener Weise aus den gleichen Gruppen zusammensetzen müssen und die ebenfalls jederzeit die Möglichkeit haben, ihre Sorgen sowie ihre Anträge an die Hohe Behörde heranzutragen, aber nur, wenn sie tatsächlich nicht nur Unternehmer, nur Verarbeiter oder nur Arbeitnehmer sondern in dieser angemessenen Weise alle drei umfassen.
Wichtig ist vor allem die Mußvorschrift des Vertrages und seiner Übergangsbestimmungen, daß die Hohe Behörde notfalls auch mit nicht rückzahlbaren Beihilfen eingreifen muß, wenn es infolge der Einführung des gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl in einem der Länder zu Schwierigkeiten in der Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern bei Kohle und Stahl kommt. Diese selbe Verpflichtung hat die Hohe Behörde nach Art, 56 auch während des ganzen übrigen Ablaufes des Schumanplans. Sie muß dafür sorgen, daß keinerlei Beschäftigungsminderung eintritt, notfalls sogar dadurch, daß sie Investitionen in anderen Industrien als Kohle und Stahl finanziert, um die Unterbringung freiwerdender Arbeitskräfte, z. B. verursacht durch technische Umwälzungen, zu ermöglichen.
Die Mehrheit des Ausschusses hat diese sehr weitgehenden vertraglichen Regelungen des Schumanplans zugunsten einer Mitwirkung der Arbeitnehmer bei allen Entscheidungen, zugunsten der Sicherung ihrer Arbeitsplätze, als einen weiteren Beweis für die Ernsthaftigkeit der positiven Ziele des Vertrages und insbesondere für den völligen Gegensatz zu kartellähnlichen Absprachen früherer Jahrzehnte angesehen. Ursprünglich, so wurde dem Ausschuß berichtet, hat sogar die Absicht bestanden, materiell völlig gleiche Lohnbedingungen schon zu Beginn des Vertrages innerhalb der ganzen Montan-Union zu schaffen. Man hat aber schließlich davon Abstand genommen, weil ja ein untrennbarer Zusammenhang zwischen sämtlichen Löhnen innerhalb einer jeden Volkswirtschaft gegeben ist. Wenn man bei den Bergarbeitern oder Stahlarbeitern Lohnänderungen eintreten läßt, so hat das sofort auch Rückwirkungen auf die Bauwirtschaft und alle übrigen Bereiche.
Der Vertrag hat einen indirekten Weg gewählt, um trotzdem binnen einer relativ kurzen Zeit zu dem gleichen Ziel zu kommen. Er hat nämlich die absolute Freizügigkeit der Bergleute und der Stahlfacharbeiter innerhalb der gesamten MontanUnion gefordert, und zwar haben diese Facharbeitskräfte der Kohle- und Stahlindustrie dann den Anspruch auf Ausschaltung jeder Diskriminierung sowohl in der Frage der Löhne als auch in der Frage der Sozialversicherung. Es ist vollkommen klar — das war für den Ausschuß ein ernstes Problem —, daß bei einer großen Ungleichmäßigkeit der sozialen Bedingungen zu Beginn des Schumanplans insbesondere bei der jetzt bestehenden Mangellage sofort ein starker Sog von Arbeitskräften in die Länder einsetzen würde, die die günstigsten sozialen Bedingungen aufzuweisen haben. Aus diesem Sog, den im Augenblick keines der Vertragsländer aushalten könnte, ist ein Zwang zum Ausgleichen der sozialen Bedingungen abzuleiten. Bei der gegenwärtigen Währungsdivergenz und den sonstigen Ungleichmäßigkeiten in den Lohn- und Sozialversicherungsbedingungen ist es sehr schwer, zu sagen, ob und inwieweit zur Zeit eine Ungleichmäßigkeit in der Entlohnung vorliegt. Der Ausschuß ist aber auf Grund der Unterlagen und der Auskünfte der Sachverständigen in seiner Mehrheit zu der Überzeugung gekommen, daß Deutschland hier zumindest weder weit unter noch weit über dem Durchschnitt liegt. Außerdem sind auch bereits eine Reihe von Gegenseitigkeitsabkommen auf dem Gebiet der Sozialversicherung abgeschlossen worden — so mit Frankreich, unmittelbar bevorstehend sind Abkommen mit Holland und Belgien —, um die vom SchumanplanVertrag geforderte Freizügigkeit auch wirklich durchzuführen.
Angesichts dieser tatsächlichen und rechtlichen Umstände hat sich daher die Mehrheit des Ausschusses die Auffassung der Bundesregierung zu eigen gemacht„ daß die Empfehlung des Bundesrates zu Punkt 4 bereits durch den Vertrag selbst wie auch durch die reale Lage auf dem Lohn- und Sozialversicherungsgebiet in den entscheidenden Unterzeichnerstaaten erfüllt ist.
Nun enthält der Schumanplan neben dem einen Postulat der grundsätzlich freien Preisbildung und dem zweiten der Freizügigkeit der Arbeitskräfte als drittes Postulat das der Freiheit in der Investitionstätigkeit. Werden Investitionen vorgenommen, ohne daß sie zu diesem Vertrag in Widerspruch stehende Subventionen, Beihilfen, Schutzmaßnahmen oder Diskriminierungen nach sich ziehen, so können sie zu jeder Zeit und an jedem Ort in jeder Form der Finanzierung, mit eigenen oder fremden Mitteln durchgeführt werden. Die Hohe Behörde hat nach dem hierfür maßgeblichen Art. 54 des Vertrages außer einem Auskunftsrecht keinerlei Verbots- oder negative Eingriffsmöglichkeiten, es sei denn, sie stellt fest, daß bestimmte Investitionen Subventionen, Beihilfen, Schutzmaßnahmen oder Diskriminierungen mit sich bringen. Aber auch dann kann sie eine solche Investition nicht generell verbieten, sondern nur ihre Finanzierung mit fremdem Kapital unterbinden. Sie kann also niemanden daran hindern, auch für unwirtschaftlichste Vorhaben sein eigenes Geld zu riskieren.
Dabei muß noch besonders darauf hingewiesen werden, daß die vereinzelt, von offenbar sehr oberflächlichen Lesern des Vertragswerkes 'in der Öffentlichkeit aufgestellte Behauptung, die Hohe Behörde könne Investitionen auch dann auf die ausschließliche Finanzierung durch Eigenkapital beschränken, wenn durch sie in anderen Ländern der Gemeinschaft eventuell Subventionen, Beihilfen und Schutzmaßnahmen heraufbeschworen werden könnten, in einem solchen Maße gegen die ganzen Grundprinzipien des Vertrages verstößt, daß sie schlechthin als unsinnig bezeichnet werden muß. Nach Art. 2 des Schumanplans ist es eines seiner wesentlichen Ziele, die rationellste Verteilung der Erzeugung auf dem höchsten Leistungsstande durch den gemeinsamen Markt mit freier Preisbildung und mit Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu sichern. Nach Art. 3 Buchstabe g) haben die Organe der Montan-Union — ich zitiere wieder wörtlich — „im gemeinsamen Interesse die geordnete Ausweitung und Modernisierung der Erzeugung unter Bedingungen zu fördern, die Schutzmaßnahmen aller Art gegen Konkurrenzindustrien ausschließen." In Art. 4 werden als diese Bedingungen das Verbot von Schutzmaßnahmen aller Art gegen die Auswirkungen des geordneten Leistungswettbewerbs, insbesondere von durch die Staaten bewilligten Subventionen oder Beihilfen, ausdrücklich zur Unterstreichung des obersten Vertragsprinzips der Nicht-Diskriminierung aufgeführt.
Der Ausschuß hat daher in seiner Mehrheit als eindeutig erwiesen angesehen, daß jede andere Art der Auslegung des Art. 54 als im Sinne einer begrenzten Möglichkeit der Hohen Behörde, lediglich aus einzelstaatlichen politischen Autarkievorstellungen heraus durchgeführte. Investitionen zu behindern, die nur mit Hilfe von dauernden Subventionen durchgeführt und mühselig am Leben erhalten werden könnten, absolut falsch ist. Diese Auffassung wurde auch durch die entsprechenden Formulierungen, wie sie in der französischen Parlamentsdebatte von den französischen Berichterstattern gebraucht worden sind, untermauert. So hat z. B. der französische Berichterstatter des Außenpolitischen Ausschusses hervorgehoben, daß es vollständig verkehrt ist, zu sagen, „daß die Hohe Behörde die Macht besitzt, Investitionsprogramme zu untersagen". Er hat erklärt: „Ein nationales Programm kann im Rahmen der Bedingungen des Vertrages immer ausgeführt werden. Die einzige Entscheidungsmacht, über die die Hohe Behörde in Investitionsfragen verfügt, ist die, alle Finanzierungsmittel außer denen, über die das Unternehmen selbst verfügt, zu verbieten, wenn sie entscheidet, daß das Programm antiwirtschaftlich ist." Der französische Berichterstatter des Ausschusses für die Industrieproduktion hat die gleiche Auffassung vielleicht noch pointierter vorgetragen, indem er gesagt hat, es könnten nur antiökonomische Investitionen bei geschlossenen Märkten behindert werden, und der Begriff der Subventionen und Protektionen des Art. 54 sei nur auf diesen Zustand, nicht auf die freie Konkurrenz anwendbar.
Nach dem Negativen hin ist also die Hohe Behörde nicht zum Verbot von Investitionen berechtigt. Sie ist im Gegenteil geradezu gehalten, Entwicklungen zu fördern, die auf Grund einer günstigeren Wettbewerbslage, einer günstigeren Kostenlage an dieser und nicht an einer anderen Stelle Investitionen zur Folge haben müßten. Diese positive Forderung, die der Schumanplan der Hohen Behörde in der Finanzierung auferlegt, gibt zwar keinen Rechtsanspruch, aber zum mindesten auch für Deutschland eine zusätzliche Chance. Und wenn der ganze Vertrag in seinen ganzen Bestimmungen sinngemäß angewandt wird, müßten auch gerade für die Finanzierung der deutschen Kohle- und
Stahl-Nachholinvestitionen Mittel der Hohen Behörde eingesetzt werden können.
Ich möchte zu diesem Teil ausdrücklich auf die Ausführungen in meinem schriftlichen Bericht verweisen und nur noch anfügen, daß der Ausschuß die von ihm geprüfte Frage, inwieweit eventuell die Remontagekredite oder gar die Investitionshilfe als solche nicht zulässigen Subventionen angesehen werden könnten, in seiner Mehrheit eindeutig verneinen konnte. Ich darf dazu darauf hinweisen, daß der einzige Vorteil der Remontagekredite ein etwas ermäßigter Zinssatz ist. Ich darf auf den Grundsatz der Gleichbehandlung innerhalb der Montan-Union hinweisen und darauf aufmerksam machen, daß gerade erst jetzt bei der Ratifizierung in Frankreich besondere Verbilligungen für die Finanzierung der französischen Montanindustrie beschlossen worden sind. Die Investitionshilfe selbst bedeutet nichts anderes als eine normale Kreditgewährung, kann also überhaupt nicht darunterfallen. Im übrigen ist nach deutscher Auffassung, die, wie im Ausschuß bestätigt wurde, auch bei den Verhandlungen in Paris vorgetragen worden ist, der Ersatz der Demontageschäden ein echter Schadensersatz, aber in keiner Weise eine Subvention oder eine Beihilfe.
Die Errichtung des gemeinsamen Marktes, die Freizügigkeit der Arbeitskräfte, die freie Investition innerhalb dieses Bereiches, d. h. die freie Standortwahl nach den günstigsten Produktionsbedingungen sind noch nicht alle Säulen, auf die der Schumanplan seine Funktion begründen will; es kommt noch eine sehr eingehende Fixierung der Vorschriften über die horizontale und die vertikale Konzentration, d. h. über die Kartell- und Konzernbildung hinzu. Diese Bestimmungen sind in den Artikeln 65 und 66 enthalten und sehen bei den Kartellen ein grundsätzliches Verbot, dagegen bei der vertikalen Konzentration, dem Verbund zwischen Kohle und Stahl, eine Genehmigungspflicht vor. Für den Ausschuß war in diesem Zusammenhang besonders wichtig, zu prüfen, ob der Schumanplan die Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Kohleverkaufs grundsätzlich unmöglich macht oder nicht. Der Ausschuß mußte dabei zu dem Ergebnis kommen, daß in Krisen- oder Mangellagen die Hohe Behörde sogar verpflichtet ist, solche gemeinschaftlichen Kohleverkaufseinrichtungen zu schaffen, und daß sie auch nach Art. 53 des Vertrages die Genehmigung zur Aufrechterhaltung — und zwar zur dauernden Aufrechterhaltung — derartiger Einrichtungen erteilen kann. Wie das dann in Deutschland und in Frankreich — das ja in seinem Comité des Forges eine viel weitergehende syndikatsmäßige Verkaufseinrichtung besitzt als Deutschland — im einzelnen aussieht, ist eine zweite Frage. Zum mindesten muß nach dem Grundsatz der Nicht-Diskriminierung die Frage des gemeinsamen Kohleverkaufs für alle Länder der Montan-Union unter gleichem Recht gelöst werden.
Bei der Frage des Art. 66, der Genehmigungspflicht für die vertikale Konzentration, für die Verbundwirtschaft zwischen Kohle und Stahl, mußte den Ausschuß die Frage beschäftigen, ob etwa auf Grund dieses Artikels die von den Alliierten geschaffene einseitige, siegerstaatliche Entflechtung, da sie, bei grundsätzlicher Bejahung der Ziele dieser Maßnahmen, über das Ziel hinausgeschossen ist, als für alle Zeiten fixiert, zementiert, gelten muß. Die Bundesregierung konnte darauf hinweisen, daß es ihren Bemühungen gelungen ist, in den Abs. 2 von Art. 66 eine Ziffer 2 hineinzubringen, nach der gemäß dem Grundsatz der Nicht-Diskriminierung „der Größe der innerhalb der Gemeinschaft bestehenden Unternehmen gleicher Art insoweit Rechnung zu tragen ist, als die Hohe Behörde dies für gerechtfertigt hält, um die aus einer Ungleichheit der Wettbewerbsbedingungen sich ergebenden Nachteile zu vermeiden oder auszugleichen". Ich möchte das überspitzt einmal so formulieren, wie die Mehrheit des Ausschusses diese Bestimmung begriffen hat: wenn auf Grund der Formulierung des Abs. 2 Ziffer 2 eine Verbundwirtschaft zwischen Kahle und Eisen für Deutschland nicht in gleicher Weise wie für die anderen Schumanplan-Länder zugelassen wird, müßte der Gerichtshof sogar zu der Entscheidung kommen, daß alle übrigen europäischen Schumanplan-Länder das Gesetz Nr. 27 bei sich auch durchzuführen haben. Für den Ausschuß hat sich als Ergebnis der Prüfung herausgestellt, daß auch hier der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung, d. h. der völligen Gleichberechtigung zwischen den Ländern, entscheidend ist, so daß es in der vertikalen Konzentration ebenso wie in der horizontalen Konzentration in keiner Weise zweierlei Recht geben kann.
Im Zusammenhang mit Art. 66 war als ein Anliegen insbesondere der Opposition noch die Frage zu klären, ob der Schumanplan etwa grundsätzlich irgendeine innerstaatliche Neuordnung des Eigentums an den Grundstoffindustrien behindert. Der Art. 83 enthält in dieser Richtung eine Generalklausel, die die Möglichkeit einer solchen Behinderung verneint. Es ist auch die Auffassung der Bundesregierung und der Mehrheit des Ausschusses gewesen, daß die Generalklausel des Art. 83 gegenüber den Dekonzentrations- und Dekartellisierungsbestimmungen der Art. 65 und 66 eine Lex specialis darstellt.
Die Überprüfung der unter der Ausgangsvorstellung der Normallage für die Funktion des Schumanplans vorgesehenen Vertragsbestimmungen, ergibt nach der Meinung der Mehrheit des Ausschusses eindeutig, daß den in Art. 5 des Vertrages aufgestellten Forderungen der Nicht-Intervention oder möglichst geringen Intervention weitgehend entsprochen worden ist. Für den Ausschuß mußte sich natürlich die Frage erheben, ob nicht diese Normallage mit ihrer Nicht-Intervention der Hohen Behörde, ihrem gemeinsamen freien Markt, der Freizügigkeit der Arbeitskräfte nur eine schöne Theorie ist und ob nicht die Wirklichkeit ganz anders aussieht, nämlich ständig Mangellagen oder Absatzkrisen aufweist. Dabei war aus der geschichtlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte festzustellen, daß die Normallagen tatsächlich in die Minderzahl gewesen sind, daß allerdings nicht die Mangellagen — die etwas wirklich Einmaliges und Vorübergehendes darstellen —, sondern die Absatzkrisen überwogen haben. Auf der anderen Seite hat der Ausschuß auch den Hinweis der Bundesregierung anerkannt, daß die Absatzkrisen der Vergangenheit ihr Entstehen wesentlich der nationalstaatlichen Abgeschlossenheit verdankten, in der Investitionen in Kohle und Stahl nicht ausschließlich unter wirtschaftlichen, sondern zum Teil auch unter politischen Autarkiegesichtspunkten durchgeführt worden seien, und daß sich daher viel mehr und häufiger Brüche in der Entwicklung ergeben hätten, die bei einem gemeinsamen Markt mit seinen großen Absatzmöglichkeiten und der. ausschließlichen Geltung wirtschaftlicher Gesichtspunkte nicht mehr zu befürchten seien. Aber der Ausschuß konnte nicht an der Tatsache vorbei-
gehen, daß die derzeitige Situation, mit der Deutschland in den Schumanpian hineingehen wird, die einer Mangelhige ist. Er mußte sich deshalb mit der Frage beschäftigen, welche Vorschriften der Vertrag für eine solche Mangellage enthält. In Art. 57 ist für außergewöhnliche Lagen als Generalklausel an und für sich vorgesehen, daß die Hohe Behörde im Wege der Fühlungnahme mit den Regierungen indirekte Maßnahmen vorziehen soll, d. h. eine Einwirkung auf öffentliche Investitionen, die entweder verstärkt oder vorübergehend eingestellt werden. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß in der gegenwärtigen europäischen Situation diese indirekten Maßnahmen noch nicht wieder ausreichen.
Der Art. 59, der die Mangellage regelt, sieht nun zwei Möglichkeiten vor. Einmal kann die Hohe Behörde auf Grund einer einstimmigen Entscheidung des Rates — das heißt, auch Deutschland muß zustimmen — Verwendungsprioritäten und eine Verteilung des Gesamtaufkommens an Kohle und Stahl innerhalb der Gemeinschaft festlegen. Das ist aber wahrscheinlich nicht der reale Fall des Beginns der Hohen Behörde, sondern der wahrscheinliche Fall wird der des Art. 59 Ziffer 3 sein, nach dem bei einer nicht vorhandenen Einstimmigkeit des Rats die Hohe Behörde nur „entsprechend" — im maßgebenden französischen Text heißt es „en fonction", das läßt sich sehr schwer mit „entsprechend" allein übersetzen, es ist etwas mehr als „entsprechend", es knüpft mehr an die direkten mathematischen Verhältnisse an — dem Verbrauch, wie er in den einzelnen Ländern besteht, das Gesamtaufkommen an Kohle und Stahl auf die einzelnen Länder aufteilt. Die Weiterverteilung dieses Aufkommens bleibt, wie es auch gegenwärtig der Fall ist, Aufgabe der einzelnen Regierungen.
Dabei gibt es nun folgende weitere Eingriffsmöglichkeiten der Hohen Behörde: Wenn die Einzelstaaten die Anteile der Ausfuhr und die Anteile, die sie ihrer eigenen Kohle- und Stahlindustrie zuteilen, unverhältnismäßig kürzen, dann hat die Hohe Behörde die 'Sanktionsmöglichkeit, diese Kürzungen zugunsten des gemeinsamen Markts zu verwenden. Im übrigen bleibt es stets ihre Aufgabe, sich innerhalb der von den einzelnen Regierungen für Kohle und Stahl zugewiesenen Mengen in die Feinverteilung bei den einzelnen Unternehmen auf einer gerechten Grundlage einzuschalten. Es ist ferner für die Hohe Behörde bei einer Mangellage die Möglichkeit gegeben, eine gewisse für alle Länder der Montan-Union geltende Einschränkung der Ausfuhr zu verfügen. Dieser Punkt mußte natürlich von Deutschland sehr eingehend geprüft werden, denn mit ihm hängt ja die Frage der Sicherstellung unserer Schwedenerzeinfuhr zusammen, auf die ich bereits in einem anderen Zusammenhang hinweisen durfte.
Im Vertrag selbst gibt es hier gegen eine einseitige eventuelle Maßnahme der Hohen Behörde sofort die S cherung einer Klage beim Hohen Gerichtshof des Schumanplans; denn eine Entscheidung, die diese Aufrechterhaltung der deutschen Kohle- und Stahlausfuhr zugunsten der Schwedenerzeinfuh r nicht mehr gewährleisten würde, müßte ja ohne Zweifel zu ernsten, tiefgreifenden und anhaltenden Störungen der deutschen Wirtschaft führen.
Schön sind die Bestimmungen über die Mangellage sicher nicht, aber sie bedeuten doch nach der Mehrheitsauffassung des Ausschusses gegenüber dem derzeitigen Zustand, wie er durch die Ruhrbehörde besteht, eine erhebliche Verbesserung, denn es kann jetzt nicht mehr ohne Rücksicht auf die deutschen Verbrauchsinteressen und auf die deutschen Notwendigkeiten eine Entscheidung allein zugunsten der anderen Staaten getroffen werden, sondern die Entscheidungen müssen in gerechter Abwägung der Lebenserfordernisse aller sechs Staaten und in einer echten europäischen Verantwortung getroffen werden.
Der Ausschuß mußte zum anderen in Erwägung ziehen, daß Deutschland als Äquivalent dafür in der Krisenlage, also in der Überschußlage, bestimmte Sicherungen erhält, die es bisher nicht besitzt. Nach dem Art. 58 kann nämlich die Hohe Behörde beim Vorliegen einer offensichtlichen Krise Produktionsquoten innerhalb der MontanUnion einführen, sie kann Einfuhrbeschränkungen vornehmen, Mindestpreise festsetzen und obendrein nach dem Art. 63 noch verfügen, daß etwaige Diskriminierungsmaßnahmen von Großverbrauchern, etwa von Eisenbahnverwaltungen einzelner Partnerstaaten, in dem Sinne abgestellt werden, daß der vor der Krise bestehende Marktanteil des einzelnen Landes innerhalb der Montan-Union auch während der Krise erhalten bleibt, so daß also nicht die anderen Länder auf Kosten nur eines einzigen Landes sich in ihrer Aufnahme von Kohle abschließen und ihre Produktion weiterhin in unverzollter Form bestehen lassen können, während das ganze Gewicht der Krise allen auf dem einen Lande liegt. Es unterliegt ja wohl keinem Zweifel, daß der Zustand der offensichtlichen Krise, wenn in Deutschland bei einem Anteil von über 50 % der Kohlenförderung und einem Anteil von 36 % der Stahlerzeugung die Dinge sich ungünstig entwickeln, auch gleichzeitig in dem gesamten Gebiet gegeben sein muß. Auch das ist im übrigen durch den Gerichtshof justitiabel.
Im Ausschuß ist noch eingehend geprüft worden, warum wohl in den Formulierungen des Art. 59, der die Mangellage regelt, und des Art. 58, der die Krise behandelt, gewisse Unterschiede enthalten sind. In dem einen Falle wird eine Feststellung verlangt, in dem anderen Falle kommt es auf die Auffassung der Hohen Behörde an. Die Mehrheit des Ausschusses schloß sich aber doch der Auffassung der Bundesregierung an, daß Deutschland gar kein Interesse daran haben könne, daß jede regionale Krise, die sich etwa in Sardinien abspielt, gleich zur Verhängung eines Quotensystems in ganz Europa führt, sondern daß man so weit wie irgend möglich der Selbstheilungskraft der Unternehmen die Chancen offenhalten müsse. Es wurde weiter daran erinnert, daß im Falle der Krise die Ausfuhr keinen Beschränkungen unterliegt, wie umgekehrt im Falle der Mangellage auch die Einfuhr aus dritten Ländern freibleibt, so daß auch hier noch gewisse innerstaatliche Möglichkeiten nach der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Staates verbleiben.
Je nachdem, ob die Gesamtentwicklungsmöglichkeit eines gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl innerhalb des Ausschusses positiv oder negativ angesehen wurde, wurden natürlich die Bestimmungen über die Mangellage lind die Krise für bedenklich oder für zu gering in den Schutzmaßnahmen ausgelegt. Aber die Mehrheit des Ausschusses wandte sich mit Entschiedenheit gegen die Auffassung, daß man auch in aller Zukunft davon ausgehen müsse, daß die Regel immer die Ausnahmelage sein müsse, und meinte, daß der gemeinsame Markt durchaus eine Erweiterung der Mög-
lichkeiten des Verbrauchs an Kohle und Stahl mit sich bringen wird und daß die Absatzkrisen der Vergangenheit nicht in erster Linie eine Folge einer wirklichen Übererzeugung in Europa, sondern eines bedauerlichen, durch die Verhältnisse erzwungenen Unterverbrauchs gewesen sind.
Ich erwähnte vorhin, daß sich die Montan-Union Gedanken darüber machen mußte, was geschieht, wenn von den einzelnen Volkswirtschaften Maßnahmen auf ganz anderen Gebieten ergriffen werden, z. B. Währungsabwertungen oder ein völliger Umbau des Steuersystems oder ähnliche Dinge, die zwar nicht direkt etwas mit Kohle und Stahl zu tun haben, die aber ohne Zweifel auch auf Kohle und Stahl und die gemeinsame Marktfunktion entscheidend einwirken müssen. Diese Möglichkeiten will der Art. 67 des Vertrages regeln, der hier drei schematische Fälle konstruiert, die Sie bitte in der Begründung oder in meinem schriftlichen Bericht nachlesen wollen. Aber es ist dabei wohl zu sagen — das empfand die Mehrheit des Ausschusses —, daß diese Regelung des Vertrages seinen schwächsten Punkt darstellt und daß die Wirklichkeit sicher in 'einiger Zeit gerade an diesen Ausgleichsmaßnahmen Schwierigkeiten heraufbeschwören wird. Aber der Wille der Mehrheit des Ausschusses ging dahin, daß man die Überwindung dieser Schwierigkeiten aus der Anpassung und Verzahnung der gesamten Volkswirtschaften mit den Teilgebieten von Kohle und Stahl nur in einer weiteren europäischen Integration suchen dürfe, aber nicht, indem man das Rad wieder vollkommen zur einzelstaatlichen Sonderentwicklung zurückdrehe.
Technisch kann also nach der Auffassung der Mehrheit des Ausschusses, wie sie in diesem Bericht begründet ist, die europäische Montan-Union durchaus funktionieren. Sie bedarf aber vorweg einer Reihe von Anpassungsmaßnahmen während der Übergangszeit, um gewisse Sonderlagen zu bereinigen. Diese Sonderlagen waren vor allen Dingen der belgische Kohlenbergbau, der sardinische Kohlenbergbau und die italienische Eisen- und Stahlindustrie. Die beiden großen Länder Deutschland und Frankreich hatten auch eine Reihe von Sonderwünschen, Deutschland auf dem Gebiete der Berücksichtigung seines Nachholbedarfs bei Eisen-und Stahlinvestitionen und Frankreich auf dem Gebiete der Anpassung seiner zum Teil überalterten Kohlenreviere. Beide Staaten haben aber, nachdem sie die Anmeldungen der kleineren Partner auf Ausgleichszahlungen in Paris vor sich sahen, darauf verzichtet, auch ihrerseits noch solche Ausgleichsforderungen geltend zu machen; denn allein Belgien meldete einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen in Höhe von 150 Millionen Dollar, Italien in Höhe von 5 Millionen Dollar an. Frankreich bezifferte seine Ausgleichsforderungen auf 40 Millionen Dollar und die der Saar auf 10 Millionen Dollar. Derartige Ausgleichszahlungen hätten den gesamten Gedanken der Montan-Union unmöglich machen müssen. So hat Frankreich nur in einem Artikel der Übergangsbestimmungen die Möglichkeit erhalten, daß die Hohe Behörde innerhalb der französischen Reviere eine gewisse Ausgleichsbelastung vornehmen darf. Für die besonderen Wünsche Deutschlands hinsichtlich seiner Stahlindustrie sind, ohne daß Deutschland direkt genannt ist — aber, wie lins im Ausschuß mitgeteilt wurde, immerhin auf Grund der klaren Erkenntnis, daß es sich bei dem § 29 Abs. 3 der Übergangsbestimmungen um eine Regelung für Deutschland mit handelt —, die Regelungen in diesem § 29 der Übergangsbestimmungen getroffen worden.
Zugunsten der belgischen und der italienischen Kohlenbergwerke haben nun Deutschland und Holland als die beiden Kohleproduktionsländer mit den günstigsten Bedingungen die Verpflichtung übernommen, fünf Jahre lang Ausgleichszahlungen zu leisten, und zwar in der Weise, daß diese Zahlungen von Jahr zu Jahr um 20 % vom Höchstbetrag geringer werden, so daß sie nach fünf Jahren völlig aufhören. Sie können maximal für Deutschland innerhalb dieser fünf Jahre eine Summe von 195 Millionen DM erreichen. Das ist eine sehr schwere Belastung; aber auf der andern Seite bedeutet es auch für die übrigen Länder, insbesondere für Belgien, eine erheblich risikovolle Entwicklung, innerhalb von fünf Jahren entweder mit Hilfe dieser Ausgleichszahlungen, zu denen jeweils ein gleich hoher Betrag der eigenen Regierung treten muß, die volle Wettbewerbsfähigkeit mit den anderen Ländern zu erreichen oder aber diejenigen Gruben, bei denen das nicht erreicht wird, stillzulegen, so daß Deutschland spätestens nach dem Ablauf von sieben Jahren in vollem Umfange unter seinen Wettbewerbsmöglichkeiten auch den Zugang auf den belgischen und italienischen Markt erhält. Unter diesen Voraussetzungen konnte sich die Mehrheit des Ausschusses schließlich mit diesen Bestimmungen auch einverstanden erklären.
Ich muß, ehe ich zum Schluß komme, noch eine Frage -anschneiden, und das ist die, warum der Vertrag auf 50 Jahre geschlossen worden ist. Fünf Jahre davon sind die Übergangszeit, und 45 Jahre soll er danach laufen. Zweifellos ist eine fünfzigjährige Bindung etwas, bei dem man sich außerordentlich genau überlegen muß, ob man es verantworten kann oder nicht. Aber der Ausschuß mußte auf der andern Seite auch anerkennen, daß es einzelnen Partnern dieser Montan-Union unmöglich gewesen wäre, die Gefahr der eventuellen Stillegung von Teilen ihres Kohlenbergbaues oder ihrer Stahlindustrie in Kauf zu nehmen ohne die relative Sicherheit, daß sie wirklich dauernd mit einem gemeinsamen Markt und einem gerechten Zugang zu Kohle und Stahl rechnen können. Schließlich sollte ja auch nach dem ganzen Plan des Vertrags ein erster Schritt zu einer weiteren europäischen Vereinheitlichung getan werden.
Allerdings war der Ausschuß in seiner Mehrheit auch der Meinung, daß eine so lange Vertragsdauer gewisse Revisionsmöglichkeiten in sich schließen muß. Die Prüfung des Vertrags daraufhin ergab, daß einmal am Ende der Übergangszeit eine kleine Revision möglich ist, die allerdings die Aufteilung der Funktionen zwischen Hoher Behörde und Versammlung nicht verschieben darf, Weder in Richtung auf eine Abschwächung des überstaatlichen Charakters noch — leider — in Richtung auf eine Erweiterung der legislativen Vollmachten der Versammlung. Nach der Übergangszeit besteht die Möglichkeit, jederzeit eine große Revision des Vertrags durchzuführen. Jedes einzelne Mitglied oder jede Mitgliedsregierung kann sie beantragen; es muß dann nur eine Zweidrittelmehrheit im Rat zustandekommen, die bei einem wirklich gemeinsamen Anliegen nach Auffassung der Mehrheit des Ausschusses auch zustandekommen wird. Dann können die vorgeschlagenen Revisionen auf dem üblichen Verhandlungswege zwischen den Staaten, wie auch dieser Vertrag ausgehandelt worden ist, beraten werden. Anschließend werden sie in der
gleichen Weise, wie das jetzt mit dem Schumanplan-Vertrag geschieht, den sechs Unterzeichnerstaaten — vielleicht sind es im Laufe der Zeit mehr geworden — zur Ratifikation vorgelegt.
Der Ausschuß hatte sich sodann noch sehr eingehend mit der Frage zu befassen, wie das Problem der derzeitigen sowjetischen Besatzungszone in dem - Schumanplan geregelt ist. Dabei ist festzustellen, daß der Vertrag als solcher davon ausgeht, als ob Deutschland bereits eine Einheit wäre. Nur im § 22 der Übergangsbestimmungen wird zur Unterstreichung dieses Grundsatzes die Regelung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der sowjetischen Besatzungszone direkten Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der Hohen Behörde überlassen, solange das notwendig ist. Allerdings war die Mehrheit des Ausschusses der Meinung, daß Deutschland in dem Augenblick, in dem die Wiedervereinigung Deutschlands — hoffentlich bald — erfolgen kann, an die anderen Mächte herantreten muß, um die Notwendigkeiten, die sich aus der veränderten Situation ergeben, dann im Vertragswege zu regeln und zu klären.
Nachdem diese Dinge im Ausschuß durchberaten waren, trat eine längere Beratungspause bis zu dem Augenblick ein, in dem auch die politischen Diskriminierungen Deutschlands als befriedigend geklärt angesehen werden konnten, so wie sie in der Drucksache Nr. 2401 als Forderungen des Bundesrats und in der Drucksache Nr. 2484 der SPD als Forderungen der sozialdemokratischen Fraktion wiedergegeben sind.
Dem Ausschuß wurde zunächst vertraulich von den inzwischen veröffentlichten Abmachungen zwischen den Alliierten bzw. den Unterzeichnerstaaten des Ruhrabkommens Kenntnis gegeben, die am 18. und 19. Oktober vereinbart worden sind. Danach konnte . und kann es für den Ausschuß keinem Zweifel mehr unterliegen, daß mit dem Inkrafttreten des gemeinsamen Marktes sowohl das Londoner Abkommen über die Ruhr als auch die Ruhrbehörde selbst aufhören zu existieren und keine ihrer Funktionen mehr ausüben werden. Es konnte weiter für den Ausschuß keinem Zweifel unterliegen, daß auch jede Begrenzung der Stahlkapazität wie auch der Stahlproduktion vom Augenblick des Inkrafttretens der Hohen Behörde an beseitigt ist, daß sich also dann so bedauerliche Entscheidungen, wie sie kürzlich hinsichtlich der August-Thyssen-Hütte und Watenstedt-Salzgitters noch getroffen werden konnten, einfach nicht mehr wiederholen können. Und es konnte auch keinem Zweifel für den Ausschuß unterliegen, daß in Beziehung auf die Eisen- und Stahlproduktion jegliche Funktion des Alliierten Sicherheitsamts wie auch der alliierten Kontrollgruppen beendet ist.
Insbesondere mußte der Ausschuß nach der Formulierung der Ziffer 3 der Anweisungen an die Hohen Kommissare auch als feststehend ansehen — wenn man weiter noch den damaligen Brief des französischen Außenministers mit heranzieht —, daß auch im Rahmen des Gesetzes Nr. 27 keine Möglichkeit mehr mit dem Geiste dieses Vertrags und dem Buchstaben der Abmachungen vereinbar ist, in die Produktion oder in innerbetriebliche Vorgänge der einzelnen Unternehmen oder in ihre Investitionsvorhaben einzugreifen. Allein ausgeklammert war nach den Abmachungen vom 18. und 19. Oktober die Durchführung, und zwar die baldmöglichste Durchführung des Gesetzes Nr. 27 selbst, und hier war für eine Mehrheit des Ausschusses der Wunsch maßgebend, noch einmal ausdrücklich von den Alliierten bestätigt zu erhalten, daß nach dieser Durchführung des Gesetzes Nr. 27 auch auf diesem Gebiet, nämlich dem Gebiet der Verbundwirtschaft oder der horizontalen Konzentration, der vernünftigen Regelung des gemeinschaftlichen Kohlenverkaufs usw. für Deutschland nur noch die für alle übrigen Schumanplan-Partner geltenden Vertragsbestimmungen anwendbar sind und nicht mehr irgendwelche Sonderregelungen des Gesetzes Nr. 27.
Nach dieser eingehenden Überprüfung und nach diesen politischen Zusicherungen, die Deutschland auf dem Gebiet des Wegfalls von Ruhrbehörde und Ruhrstatut, Sicherheitsamt, Produktions- und Kapazitätsbeschränkungen erhalten hat, war die Mehrheit des Ausschusses bereit, unter dem eben genannten Vorbehalt einer ausdrücklichen Zusicherung hinsichtlich des Gesetzes Nr. 27 für die Empfehlung zugunsten des Schumanplans zu stimmen.
Wenn ich am Ende noch einmal kurz die Gründe zusammenfassen darf, die für den Ausschuß dabei entscheidend waren, so waren dies:
Erstens das Ziel eines im Interesse des Friedens und sozialen Fortschritts liegenden gleichberechtigten Zusammenwachsens der freien europäischen Völker.
Zweitens: Die Erkenntnis des Zurückbleibens des Lebensstandards der europäischen Völker wegen ihrer bisherigen kleinstaatlichen Abgeschlossenheit. Der Ausschuß konnte es in seiner Mehrheit nicht als ein naturgegebenes Etwas hinnehmen, daß 135 Millionen Einwohner im großen Amerika 100 Millionen t Stahl als Grundlage eines gehobenen Lebensstandards zur Verfügung haben dürfen, während 155 Millionen Europäer durch ihre Abgeschlossenheit dauernd auf einem Drittel — auf 32 Millionen t — beschränkt bleiben sollen. Der Ausschuß hielt es in seiner Mehrheit für seine Pflicht, jede Gelegenheit zu ergreifen, um diese europäische Armut zu überwinden.
Drittens waren es die eindeutigen Bestimmungen des Schumanplans, keinerlei rechtliche oder wirtschaftliche Benachteiligungen eine seiner Partner zu dulden, sondern allen nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit und Tüchtigkeit auf dem gemeinsamen Markt bei Freizügigkeit der Arbeitskräfte, freier Standortbildung und Freiheit der Kapitalinvestitionen die gleichen Chancen im Interesse der Steigerung der europäischen Gesamtproduktion und des gesamten europäischen Lebensstandards zu eröffnen.
Es war viertens die Feststellung, daß auch in Zeiten des Mangels oder der drohenden Arbeitslosigkeit die gemeinsame europäische Verantwortung an die Stelle kurzsichtiger Interessenpolitik treten soll, wie sie uns Deutschen leider in den siegerstaatlichen Institutionen der Ruhrbehörde und des Ruhrstatuts vorexerziert worden ist.
Fünftens war es die Gewißheit, daß mit dem Inkrafttreten des Schumanplans Ruhrbehörde und Ruhrstatut sowie Kapazitäts- und Produktionsbegrenzungen bei Kohle und Stahl und die entsprechenden Funktionen von Sicherheitsamt und alliierten Kontrollgruppen endlich ein Ende finden werden.
Sechstens war es die Überzeugung, daß weder dem dringenden Wunsch des deutschen Volkes nach Wiedervereinigung noch -seiner ständigen Anteilnahme am Schicksal der Saar durch den Beitritt zum Schumanplan irgendein Abbruch geschieht. Im Gegent il war es die Meinung der Mehrheit des
Ausschusses, daß erst auf der Grundlage des Schumanplans, nachdem hierdurch jede kleinstaatlich denkende Machtpolitik aus der Saarfrage herauskommt, die Möglichkeit für eine großzügige,_ den deutschen berechtigten Interessen entsprechende Lösung der Saarfrage entstehen kann.
Siebentens war es der Wille der Mehrheit des Ausschusses, auch einen nicht ganz einfachen deutschen Beitrag zur Mehrung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den europäischen Völkern zu erbringen, um schneller zu dem letzten Ziel des vereinigten freien Europas zu gelangen; denn die Mehrheit des Ausschusses war sich darüber klar, daß wir uns im politischen Raum nicht im Bereich von Wünschbarkeiten, sondern im Bereich von harten Realitäten befinden.
So beschlossen der Wirtschaftspolitische Ausschuß des Deutschen Bundestags und der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten mit ihrer Mehrheit, dem Bundestag vorzuschlagen, die Ziffern 1 bis 4 des Antrags der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 2484 als durch die Ergebnisse ihrer Beratungen für erledigt zu erklären und die Ziffer 5 des Antrags der Fraktion der SPD nach den Klarstellungen durch den Schriftwechsel zwischen der Regierung der Republik Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland abzulehnen.
Beide Ausschüsse haben ferner von der Erklärung der Bundesregierung Kenntnis genommen, daß dem Wunsch des Bundesrats nach einer Mitwirkung in einem besonderen Gesetz Rechnung getragen werden soll.
Die Mehrheit des Ausschusses für Wirtschaftspolitik empfiehlt dem Deutschen Bundestag — unter dem von der Fraktion der FDP gemachten Vorbehalt, daß seitens der Hohen Kommission noch vor der Abstimmung im Plenum auf die hinsichtlich der Anwendung des Gesetzes Nr. 27 von der Bundesregierung an die Hohe Kommission gerichtete Note eine befriedigende Antwort erteilt wird —, dem Gesetzentwurf Drucksache Nr. 2401 betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zuzustimmen.
Die Mehrheit des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten, dessen Bezeichnung nach der Ratifizierung des Schumanplans hoffentlich bald auf den letzteren Teil begrenzt werden kann, empfiehlt dem Plenum ebenfalls die Zustimmung zu dem genannten Gesetzentwurf. In diesem Ausschuß haben die den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP und der Föderalistischen Union angehörenden Mitglieder ihre Zustimmung zum Ratifikationsgesetz allerdings ebenfalls unter dem Vorbehalt abgegeben, daß „seitens der Hohen Kommission auf die über die Anwendung des Gesetzes Nr. 27 der Alliierten Hohen Kommission an diese gerichtete Note vor der Beratung des Gesetzes im Plenum eine die genannten Fraktionen befriedigende Antwort erteilt werde".
Meine Damen und Herren, ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Einzelbesprechung der zweiten Beratung, möchte vorher aber darauf hingewiesen haben, was Ihnen zweifellos aufgefallen ist, daß wir die Anlage 2 zur Drucksache Nr. 2401, die zunächst in der Form einer Bundesratsdrucksache verteilt worden war, erneut verteilt haben, weil sich einige Korrekturen der deutschen Übersetzung als erforderlich herausgestellt haben. Ich glaube nicht, daß das einen sachlichen Unterschied bedeutet, da Inhalt der Beschlußfassung und des Vertrages der französische Text der MontanUnion ist.
Das Wort hat zunächst der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Namens der Bundesregierung habe ich dem Bundestag bei der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einige Mitteilungen über Tatsachen zu machen, die seit der ersten Lesung eingetreten und die für die Beurteilung des Ihnen zur Entscheidung vorliegenden Vertragswerkes von Bedeutung sind. Es liegt in der Natur der Sache, daß ich dabei einige Dinge wiederholen muß, die der Herr. Berichterstatter Ihnen eben schon vorgetragen hat.
Die Mitteilungen, die ich Ihnen zu machen habe, stehen in engem Zusammenhang mit Erklärungen der Fraktionen dieses Hauses, die bei der ersten Beratung im Plenum oder bei der Beratung in den Ausschüssen abgegeben worden sind, und mit Erklärungen, die in der Stellungnahme des Bundesrats vom 27. Juni 1951 enthalten sind.
Es ist erklärt worden, daß vor der Verabschiedung des Ratifizierungsgesetzes eine verbindliche Zusage aller in Frage kommenden ausländischen Mächte darüber vorliegen müsse, daß folgende besatzungsrechtlichen Institutionen und Bestimmungen:
a) Ruhrbehörde,
b) alliierte Kohle- und Stahlkontrollgruppen,
c) _Eingriffsrechte der Alliierten Sicherheitsbehörde in Kohle- und Stahlwirtschaft,
d) Beschränkung der Stahlkapazität und Stahlproduktion
mit dem Augenblick, in dem die Vertragsorgane ihre Funktionen übernehmen, spätestens mit der Errichtung des gemeinsamen Marktes, vollständig fortfallen.
Die Bundesregierung erklärt hierzu:
a) Ruhrbehörde. Die Signatarregierungen des Londoner Abkommens vom 28. April 1949 über die _Errichtung der Internationalen Ruhrbehörde — das sind die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande — haben am 19. Oktober 1951 durch ein von ihnen unterzeichnetes und inzwischen veröffentlichtes Protokoll ein Abkommen über die Beendigung des Ruhrstatuts und die Auflösung der Ruhrbehörde gebilligt und dessen Inkraftsetzung mit Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl beschlossen. Nach diesem -Abkommen wird die Ruhrbehörde spätestens mit Errichtung des gemeinsamen Marktes aufgelöst; einen wesentlichen Teil der Funktionen wird sie schon zu einem früheren Zeitpunkt einstellen. Wegen der Einzelheiten darf ich auf den Wortlaut des Abkommens verweisen; er liegt den Mitgliedern des Hohen Hauses vor.
b) Alliierte Kohle- und Stahlkontrollgruppen. Am 19. Oktober 1951 haben die drei Besatzungsmächte in einer gemeinsamen Weisung an ihre Hohen Kommissare in Deutschland bestimmt, daß
mit Inkrafttreten des Vertrags über die MontanUnion die Alliierte Hohe Kommission und die ihr angeschlossenen Dienststellen einschließlich der Kohle- und Stahlkontrollgruppen die Ausübung aller Funktionen auf dem Gebiet von Kohle und Stahl einstellen, für die die Hohe Behörde gemäß-den Bestimmungen des Vertrags zuständig ist. Dies gilt insbesondere für die Tätigkeit der Kontrollgruppen auf dem Gebiet der Investitionen und der Verwaltung der Kohle- und Stahlunternehmen. Auch der Wortlaut dieser Weisungen ist veröffentlicht worden und liegt dem Bundestag vor.
Die erwähnte Formulierung hat in der Öffentlichkeit zu der Meinung Anlaß gegeben, daß gewisse Befugnisse von den Besatzungsmächten auf die Hohe Behörde übergehen. Diese Meinung trifft in keiner Weise zu, weder für die Kontrollgruppen noch für die Ruhrbehörde noch für das Sicherheitsamt oder für irgendeine andere Besatzungsstelle. Die besatzungsrechtlichen Befugnisse auf den Gebieten, auf denen die Montangemeinschaft zuständig wird, hören schlechthin auf. Die europäischen Rechtssätze, die auf diesen Gebieten in Zukunft gelten, haben mit diesen besatzungsrechtlichen Befugnissen nichts zu tun. Sie sind anderer Herkunft, sie haben andere Ziele und haben anderen Inhalt. Das gilt auch für die Fragen des Kartellwesens und der Unternehmenskonzentrationen. Auch diese Fragen unterstehen in Zukunft ausschließlich der für alle Mitgliedstaaten gleichen Regelung des Schumanplans. Dem widerspricht auch nicht die noch abzuschließende Durchführung des Gesetzes Nr. 27 der Besatzungsmächte.
Der Vertrag über die Kohle- und Stahlgemeinschaft überläßt die Gestaltung der Eigentumsordnung nach Art. 83 grundsätzlich den Mitgliedstaaten; er behandelt Fragen der E n t flechtung überhaupt nicht. Er befaßt sich hinsichtlich der Unternehmensstruktur nur mit der Vornahme von Zusammenschlüssen, also mit Verflechtungen; die Entflechtungen bleiben Sache der einzelnen Mitgliedstaaten. Die alliierten Entflechtungsmaßnahmen in Deutschland, die sich in dem Gesetz Nr. 27 niedergeschlagen haben, gehören zu den unmittelbaren Folgen des verlorenen Krieges und wurden bereits im Jahre 1945 eingeleitet; sie haben also mit dem Schumanplan nichts zu tun.
Andererseits würde es für die Bundesrepublik natürlich untragbar sein, wenn die jeweilige Unternehmensstruktur auf unbestimmte Zeit Gegenstand von Dekonzentrationsmaßnahmen alliierter Stellen bliebe. Die Alliierte Hohe Kommission hat daher auf Wunsch der Bundesregierung ausdrücklich erklärt — auch diese Erklärung ist der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden und liegt dem Hohen Hause vor —, daß „nach Abschluß der Maßnahmen zur Durchführung des Gesetzes Nr. 27 . . . die Kohle- und Stahlindustrie in Deutschland keinen beschränkenden Bindungen außer denen unterliegt, die sich aus den Bestimmungen des Vertrags über den Schumanplan ergeben".
Gleichzeitig hat die Hohe Kommission ihrer Absicht Ausdruck gegeben, das im Gesetz Nr. 27 vorgesehene Programm so schnell wie möglich zu Ende zu führen.
Was die Frage der Bindung Deutschlands an die durch das Gesetz Nr. 27 geschaffene Struktur der Kohle-' und Stahlindustrie anlangt, so gilt hier in Zukunft das Recht der Montan-Union, das für alle ihre Mitgliedstaaten gleich ist. Nach der auf besonderen Wunsch der deutschen Delegation aufgenommenen Bestimmung des Art. 66 Ziffer 2 des Vertrags ist bei der Genehmigung von neuen Unternehmenszusammenschlüssen die Größe von anderen in der Gemeinschaft bestehenden Unternehmen gleicher Art nach dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung zu berücksichtigen.
c) Eingriffsrechte der Alliierten Sicherheitsbehörde in die Kohle- und Stahlwirtschaft. Für das Militärische Sicherheitsamt, das ebenfalls eine Dienststelle der Alliierten Hohen Kommission ist, gilt das gleiche, was bereits über die Kontrollgruppen gesagt worden ist. Auch das Sicherheitsamt stellt alle seine Funktionen ein, soweit sich diese auf Sachgebiete und Erzeugnisse beziehen, die Gegenstand des Schumanplan-Vertrages sind.
In diesen Zusammenhang gehört ein Punkt des Bundesratsbeschlusses: Beschränkung der Stahlkapazität und Stahlproduktion. Alle Maßnahmen des Militärischen Sicherheitsamtes auf dem Gebiet der Stahlindustrie dienten der Einhaltung der Kapazitäts- und Produktionsbegrenzung, wie sie durch das Abkommen zwischen den Besatzungsmächten über die Industriekontrollen vom 3. April 1951 festgelegt waren. Nach einem ebenfalls am 19. Oktober gebilligten Abkommen, das bei dem Inkrafttreten der Europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft in Kraft gesetzt wird, werden alle diese Kapazitäts- und Produktionsbeschränkungen für die deutsche Stahlindustrie in vollem Umfange beseitigt. Für irgendeine Tätigkeit des Sicherheitsamtes auf dem Gebiet der deutschen Kohle- und Stahlindustrie ist daher kein Raum mehr.
In Punkt 2 des Beschlusses des Bundesrats, den
ich eben erwähnt habe, ist folgendes gesagt:
Der Bundesrat empfiehlt der Bundesregierung, bei Verhandlungen über zusätzliche Abkommen zu den bisherigen Übergangsabkommen entsprechend dem darin niedergelegten Schutzprinzip den vordringlichen deutschen Investitionsbedarf in der Stahlerzeugung zu berücksichtigen.
Die Vordringlichkeit des Investitionsbedarfs der deutschen Stahlindustrie ist bereits bei den Verhandlungen über den Schumanplan von der deutschen Delegation wiederholt und nachdrücklich zur Sprache gebracht worden. Schon nach den Grundsätzen des Vertrags über die Förderung der standortgünstigsten und wirtschaftlichsten Unternehmen hat dieser Bedarf Anspruch auf bevorzugte Befriedigung. Die Bundesregierung wird diese Frage weiter mit besonderer Aufmerksamkeit im Auge behalten und ihren Standpunkt bei allen künftigen Verhandlungen — insbesondere auch im Ministerrat der Gemeinschaft — mit Nachdruck geltend machen.
In dem Beschluß des Bundesrats heißt es an einer anderen Stelle:
Außerdem muß eine befriedigende Regelung getroffen sein über die Verbundwirtschaft zwischen Kohle und Stahl und über eine wirtschaftlich vernünftige Organisation des Absatzes deutscher Kohle.
Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung, bei den in Gang befindlichen Verhandlungen besonderen Nachdruck auf die Erreichung dieses Zieles zu legen.
Dazu ist folgendes festzustellen: Die Neuregelung der Verbundwirtschaft und der KohlenverkaufsOrganisation gehört in den Bereich des bereits behandelten Gesetzes Nr. 27 und hat mit dem Vertrag über die Montan-Union unmittelbar keine Verbindung. Andererseits sind aber beide Komplexe für die zukünftige Stellung der deutschen Industrie im gemeinsamen Markt von Bedeutung. Es war daher von vornherein das Bemühen der Bundesregierung, die Verhandlungen über Verbundwirtschaft und Kohlenverkauf zu Ergebnissen zu führen, die wirtschaftlich vernünftig und mit den Interessen der deutschen Montanwirtschaft vereinbar sind.
Auf dem Gebiete der Verbundwirtschaft ist dies nach Ansicht der Bundesregierung erreicht, indem entgegen der ursprünglichen Absicht der völligen Trennung von Kohle und Stahl nunmehr die 75prozentige Deckung des Kohlenbedarfs der Stahlwerke aus eigenen Zechen erreicht werden konnte. Sollten die Regelungen im Einzelfall zu Nachteilen infolge von Ungleichheit der Wettbewerbsbedingungen im Verhältnis zu anderen Unternehmen des gemeinsamen Marktes führen, so bietet die Kohle-und Stahlgemeinschaft alle Möglichkeiten zu einer Korrektur solcher Fehlkonstruktionen.
Die Verhandlungen über die Neugestaltung des deutschen Kohlenverkaufs sind noch nicht abgeschlossen. Gegenwärtig ist die Bundesregierung bemüht, die von deutschen Sachverständigen zwar als tragbar anerkannten letzten Vorschläge noch weiter zu verbessern.
„Der Bundesregierung ist bei den Beratungen empfohlen worden, durch eine gemeinsame Erklärung der beteiligten Mächte klarstellen zu lassen, daß durch Maßnahmen der Hohen Behörde
a) eine Sozialversicherungsreform nicht behindert,
b) Sozialversicherungsleistungen nicht gesenkt,
c) eine Tarifvertragsfreiheit nicht beschränkt werden sollen."
Es handelt sich bei dieser Empfehlung um den Wunsch nach einer Klärung und Auslegung der Bestimmungen des Vertrags auf sozialem Gebiet. Nach eingehender Prüfung der einschlägigen Bestimmungen ist die Bundesregierung zu der Feststellung gelangt, daß diese Bestimmungen der Hohen Behörde keine Befugnisse in dem oben genannten Sinne gewähren. Da über die Bedeutung der Vertragsbestimmungen schon bei den Verhandlungen keinerlei Zweifel bestanden, bedarf es keiner nochmaligen gemeinsamen Erklärung der beteiligten Mächte über diese Punkte, die im übrigen nur in der Form eines zu ratifizierenden Zusatzabkommens rechtlich bindende Wirkung erlangen könnte.
Im einzelnen ist folgendes zu bemerken. Die Hohe Behörde ist durch keine Bestimmung des Vertrags ermächtigt, irgendwelche Entscheidungen oder Anweisungen zu erlassen, wodurch Vorschriften über die Sozialversicherung oder Tarifverträge abgeändert oder aufgehoben werden können. Für den Fall, daß eine Sozialversicherungsreform „schwere Störungen des Gleichgewichts hervorruft, indem sie die Unterschiede der Produktionskosten wesentlich vergrößert", besitzt die Hohe Behörde lediglich die Zuständigkeit zu gewissen Ausgleichsmaßnahmen.
Auch diese Zuständigkeit aber und die sich möglicherweise ergebende Befürchtung, daß auf Deutschland ein dem sozialen Fortschritt abträglicher indirekter Zwang ausgeübt würde, kommt aus doppeltem Grund nicht in Betracht. In tatsächlicher Hinsicht wird eine derartige Möglichkeit auf absehbare Zeit schon dadurch ausgeschlossen, daß Deutschland mit seinen Produktionskosten keineswegs an der Spitze der Mitgliedstaaten steht. Nur in diesem letzten Fall aber kann die Hohe Behörde im Hinblick auf soziale Maßnahmen, die eine weitere Erhöhung der Produktionskosten mit sich bringen, tätig werden. Vor allem aber, das ist das Wesentlichste, könnte die Hohe Behörde auch in einem solchen Falle Deutschland nie eine Verpflichtung auferlegen, durch die der soziale Fortschritt gehemmt werden könnte. Art. 67 gibt vielmehr der Hohen Behörde lediglich das Recht, den betreffenden Mitgliedstaat zu ermächtigen, den in Betracht kommenden Unternehmen eine Beihilfe zu gewähren. Weit entfernt davon, den sozialen Fortschritt zu hemmen, gewährt also diese Bestimmung lediglich die Möglichkeit, das allgemeine Subventionsverbot des Schumanplans zu durchbrechen, falls der Mitgliedstaat dieses im Interesse .des sozialen Fortschritts für notwendig erachtet.
Schließlich hat der Bundesrat gewünscht, „daß bei der Willensbildung der deutschen Stellen im Rahmen des Schumanplans die Mitwirkung des Bundesrats vor der Ratifizierung im Gesetz sichergestellt wird". Die Bundesregierung hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß die besonderen Interessen vor allem des Landes Nordrhein-Westfalen an diesem für die Kohle- und Stahlindustrie so entscheidenden Vertragswerk berücksichtigt werden müssen. Es erschien daher auch ihr zweckmäßig, die Mitwirkung des Bundesrats in dem Umfang, wie es in dem Beschluß vorgesehen ist, sicherzustellen. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt dem Bundestag bereits vor. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn der Bundestag diesem Gesetzentwurf zustimmte, damit diesem berechtigten Wunsch des Bundesrats entsprochen wird.
Es liegt weiter ein Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei vom 10. Juli 1951 vor. Auf die Punkte 1 bis 3 dieses Antrags bin ich in meinen Ausführungen schon eingegangen. Er enthält jedoch noch zwei weitere Anregungen.
Die eine — Ziffer 4 — verlangt „ausreichende deutsche Verfügung über Kohle und Stahl für die Ausfuhr, um die für die deutsche Ernährung und Rohstoffversorgung notwendigen Einfuhren sichern zu können". Bei der Prüfung dieser Frage ist zu unterscheiden zwischen Lieferungen von Kohle und Stahl innerhalb der Gemeinschaft und solchen nach andern Ländern. Es trifft zu, daß nach Inkrafttreten des Vertrags Kohle und Stahl nicht mehr Gegenstand von Handelsvertragsverhandlungen mit Ländern der Gemeinschaft sein können. Demgegenüber ist aber festzustellen, daß der Wert der deutschen Kohle- und Stahlausfuhr nach den Schumanplan-Ländern im ersten Halbjahr 1951 nur 10,7 % des Wertes der gesamten deutschen Einfuhr an Lebensmitteln und Rohstoffen betrug. Der größere Teil unserer Nahrungsmittel- und Rohstoffeinfuhren stammt aus Ländern, die nicht zur MontanUnion gehören. Schließlich ist darauf hinzuweisen,
daß die Kompensationsverträge, die der Antrag der SPD-Fraktion anscheinend im Auge hat, mit fortschreitender Liberalisierung des Außenhandels ohnehin an Bedeutung verlieren.
Hinsichtlich der Ausfuhr von Kohle und Stahl nach nicht zum Schumanplan gehörenden Ländern sind die Mitgliedstaaten nach dem SchumanplanVertrag grundsätzlich frei. Lediglich im Falle einer Mangellage erfolgt eine Zuteilung verknappter Rohstoffe, wobei die Hohe Behörde als ein europäisches, von nationalen Regierungseinflüssen befreites Gremium den Bedarf aller Länder der Montan-Union nach objektiven Gesichtspunkten zu prüfen hat. Hierbei ist der Exportbedarf der einzelnen Mitgliedstaaten besonders zu berücksichtigen, wie j a die Förderung des zwischenstaatlichen Warenaustausches nach Art. 3 lit. f) zu den wesentlichen Aufgaben der Gemeinschaft gehört. Eine Gefahr für die deutsche Versorgung an Nahrungsmitteln und Rohstoffen besteht daher nicht.
Als letzten Punkt enthält der SPD-Antrag den Wunsch nach einer „Klarstellung der Position des Saargebiets im Zusammenhang mit dem Schuman-plan, insbesondere auch Herbeiführung einer verbindlichen Äußerung der französischen Regierung darüber, daß sie die Beibehaltung des gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Status des -Saargebiets nicht als Voraussetzung für die französische Beteiligung am Schumanplan ansieht". Eine solche verbindliche Äußerung der französischen Regierung, wie sie der sozialdemokratische Antrag fordert, liegt bereits vor, und zwar in einem Schreiben, das der Herr französische Außenminister am 18. April 1951 an mich gerichtet hat, und das dem Vertrag als Anlage beigefügt ist.
Es war nicht die Aufgabe des Schumanplans, die Saarfrage zu lösen. Die beiden beteiligten Mächte, Frankreich und Deutschland, waren sich darüber einig, daß die Saar in die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl einbezogen wird. Die übrigen Probleme um die Saar sind offen geblieben und erfahren durch den Schumanplan-Vertrag keinerlei Änderungen,
insbesondere ist der deutsche rechtliche und moralische Anspruch auf die Saar unverändert bestehen geblieben. Eines aber wird die Gründung der Europäischen Gemeinschaft mit sich bringen: _den Beweis, daß das Gemeinsame zwischen Frankreich und Deutschland stärker ist als das Trennende. Die französische Regierung hat -— und das möchte ich hier ausdrücklich betonen — zu keinem Zeitpunkt der Verhandlungen über den Schumanplan irgendeine Forderung hinsichtlich der Anerkennung des gegenwärtigen Status an der Saar an die Bundesregierung gestellt;
sie hat vielmehr — und das geht aus dem Ihnen vorliegenden Briefwechsel zwischen Hen Schuman und mir klar hervor — die eindeutige Erklärung zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung durch die Unterzeichnung des Vertrages keine Anerkennung des gegenwärtigen Status an der Saar ausspricht.
Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch auf folgendes hinzuweisen. Deutschland hat an der Saar politische und wirtschaftliche Interessen, Frankreich dagegen ausschließlich wirtschaftliche Interessen, die sich in erster Linie auf den freien Zugang zur Kohle und zum Stahl der Saar beziehen. Dieses Interesse Frankreichs wird durch die Einbeziehung der Saar in den gemeinsamen Markt der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl befriedigt. Dadurch haben sich aber die Aussichten auf eine angemessene Lösung des Saarproblems wesentlich verbessert.
Ich füge einige Klarstellungen über zwei weitere Punkte hinzu, die der Bundesregierung besonders am Herzen liegen, nämlich die Stellung Berlins und die Stellung der sowjetischen Besatzungszone im Schumanplan.
Was Berlin anlangt, so ist die wichtigste Frage die, ob der Bedarf Berlins an Hohle und Stahl dieselbe rechtliche Behandlung erfährt wie der Bedarf der Bundesrepublik im übrigen. Das ist der Fall. Der Bedarf Berlins an Kohle und Stahl gemäß dem Vertrage ist Bedarf der Bundesrepublik. Er wird also bei etwa erforderlichen Zuteilungsmaßnahmen mit berücksichtigt.
Im übrigen ist die Anwendung des Vertragsrechts auf das Gebiet von Berlin eine Frage der Anwendung des Art. 79 des Vertrags. Danach findet der Vertrag auf die europäischen Gebiete der Mitgliedstaaten sowie auf diejenigen europäischen Gebiete Anwendung, deren auswärtige Angelegenheiten ein Unterzeichnerstaat übernimmt. Die Gleichstellung Berlins mit der Bundesrepublik im übrigen unterliegt dem bekannten Vorbehalt der Besatzungsmächte. Hiernach ist die Herstellung der Voraussetzungen für die Anwendung des Vertrags auf das Gebiet von Berlin abhängig von der Gestaltung des Verhältnisses der Bundesrepublik zu Berlin. Über die Klarstellung dieses Verhältnisses wird zur Zeit im Zusammenhang mit der Ablösung des Besatzungsstatuts verhandelt. Die Verhandlungen nehmen einen günstigen Verlauf.
Bezüglich der sowjetischen Besatzungszone stellt § 22 des Übergangsabkommens klar, daß der Schumanplan diesen Teil Deutschlands nicht abtrennt, sondern im Gegenteil die bestehende Verknüpfung respektiert und die Wege zu einem endgültigen Anschluß offenhält.
Die Aufnahme der Bestimmungen über die sowjetische Besatzungszone in die Übergangsbestimmungen bringt als übereinstimmende Auffassung aller Vertragschließenden zum Ausdruck, daß es sich bei der gegenwärtigen Lage der sowjetrussischen Zone nur um einen vorübergehenden Zustand handelt. Die Bestimmung erkennt darüber hinaus durch ihren Inhalt an, daß auch im gegenwärtigen Zustand die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der sowjetischen Besatzungszone eine inner deutsche Angelegenheit sind. Es beruht auf einem Mißverständnis, wenn man gemeint hat, die Aufnahme der Bestimmung in das Kapitel über „dritte Länder" ermögliche die Auslegung, als sei die sowjetische Besatzungszone nach der Auffassung des Schumanplans im Verhältnis zur Bundesrepublik Ausland; denn, nach dem Sprachgebrauch des Vertrags hat der Ausdruck „dritte Länder" mit dem Begriff „Ausland" nichts zu tun, sondern er umfaßt alle Gebiete, die außerhalb des aktuellen Anwendungsbereichs des Schumanplans liegen, gleichviel, ob sie staatsrechtlich Ausland oder Inland sind. Im Gegenteil schließt der Inhalt des § 22 die erwähnte Auslegung in der unzweideutigsten Weise aus. Denn dieser Inhalt besteht gerade darin, daß er die Regeln über Export und Import für unanwendbar erklärt und statt dessen die Beziehungen zur sowjetischen Besatzungszone der internen Regelung durch die Bundesregierung mit Zustimmung der Hohen Behörde unterstellt.
So wird schon jetzt die Zusammengehörigkeit ganz Deutschlands vom Schumanplan in seiner grundsätzlichen Regelung beachtet. Darüber hinaus, meine Damen und Herren, sehen die bereits feststehenden Klauseln des Generalvertrages über die Ablösung des Besatzungsstatuts vor, daß die Gesamtheit der Bestimmungen der Montangemeinschaft in einer durch Vereinbarung der beteiligten Parteien angepaßten Fassung dem wiedervereinigten Deutschland in- gleicher Weise zugute kommen wird wie jetzt der Bundesrepublik.
Schließlich darf ich noch einige Entwicklungen, die seit der ersten Lesung im Ausland eingetreten sind, kurz streifen. Dort hat die dem Schumanplan günstige Entwicklung weitere Fortschritte gemacht. Die niederländische Volksvrtretung hat mit 62 Stimmen gegen 6 Stimmen, also mit allen Stimmen gegen die kommunistischen, den Schumanplan ratifiziert.
Ebenso hat die französische Volksvertretung trotz der insbesondere von der französischen Industrie mit Nachdruck geltend gemachten Bedenken mit großer Mehrheit dem Plan zugestimmt. Auch Großbritannien hat seine dem Plan günstige Auffassung bekräftigt und verdeutlicht. Alle Signatarstaaten des Schumanplan-Vertrags haben es außerordentlich bedauert, daß Großbritannien sich nicht in der Lage sieht, Mitglied der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu werden. In der Erkenntnis, daß eine enge Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und Großbritannien aber unerläßlich ist, und um die Zugehörigkeit Großbritanniens zu Europa zu bekunden, haben die Regierungen der Signatarstaaten wiederholt ihrem Wunsch nach einer möglichst engen Verbindung Großbritanniens mit der Montangemeinschaft Ausdruck gegeben.
Wir haben mit Genugtuung feststellen können, daß die britische Regierung sich diesem Appell nicht versagt hat. Anläßlich des Besuches des Premierministers Churchill in der französischen Hauptstadt ist am 18. Dezember 1951 folgendes Kommuniqué veröffentlicht worden:
Die britischen Minister hoffen, daß der Schumanplan alsbald in Kraft treten wird, und haben erneut die britische Absicht bestätigt, enge Beziehungen zu der Hohen Behörde herzustellen, sobald diese errichtet sein wird. Zu diesem Zweck beabsichtigen sie, eine ständige Delegation am Sitz der Hohen Behörde einzurichten.
Die Bundesregierung begrüßt diese Erklärung und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß dieser Entschluß der britischen Regierung nur ein erster Schritt sein wird in der Richtung auf eine immer größere Annäherung Großbritanniens an die sich ständig festigende Gemeinschaft der freien europäischen Völker.
Die Tatsachen, über die ich Ihnen berichtet habe, geben der Bundesregierung das Vertrauen, Sie mit noch mehr Zuversicht als bisher um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf zu bitten. Die Zusagen der Alliierten, welche die gleichberechtigte Stellung Deutschlands auch außerhalb des unmittelbaren Rahmens des Plans sicherstellen sollen, sind uns nunmehr in verbindlicher Form gegeben. Bedenken über den Inhalt des Vertrages haben sich bei Nachprüfung zerstreut. In der öffentlichen Meinung der Welt hat der Plan immer mehr Boden gewonnen.
Die Bundesregierung hat nicht in Anspruch genommen, daß mit dem Vertragswerk etwas Vollkommenes geschaffen worden sei. Insbesondere hat sie nicht behauptet, damit von vornherein und mit mathematischer Sicherheit alle Gefahren gebannt zu haben, die man sich irgendwie und irgendwo ausdenken kann. Alles Große, meine Damen und Herren, ist ein Wagnis.
Auch die Gründung eines neuen Europas ist kein risikofreies Unternehmen.
Aber die Bundesregierung glaubt, daß das, was geschaffen worden ist, nicht nur brauchbar ist, sondern einen großen Fortschritt und einen vielverheißenden Anfang darstellt.
Sie alle, meine Damen und Herren, wissen, welche Autorität Herr Geheimrat Professor Dr. Adolf Weber besitzt. Er hat auf der Jahressitzung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften am 1. Dezember 1951 einen Vortrag gehalten über Montan-Union und volkswirtschaftliche Produktivität. Er macht ganz wie wir. gewisse kritische Bemerkungen. Er fordert insbesondere eine weitere Vereinigung Europas auf wirtschaftlichem Gebiet. Aber lassen Sie mich aus seinem Vortrag folgende Sätze zitieren:
Es ist zu begrüßen, daß der erste praktische Schritt zur europäischen Integration von der Kohle ausgeht, nicht bloß weil die Kohle, das Brot der Industrie, von besonderer Wichtigkeit ist, sondern auch deshalb, weil auf keinem anderen Gebiet die Widersinnigkeit partikularistischer Sonderinteressen volkswirtschaftlich so nachteilig wirkt. Nur dann, wenn diese Widersinnigkeit beseitigt wird, besteht Hoffnung, daß die Kohlenengpässe verschwinden, insbesondere auch dadurch, daß die standortmäßigen Vorteile und die unternehmerischen Leistungen der Montanindustrie im Ruhrgebiet voll zur Geltung kommen. Die Beseitigung der Diskriminierungen, die dies verhindern, ist nach Ratifizierung des Schumanplans ein sehr wesentlicher Beitrag zur Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktivität. Aber der Plan enthält auch in sich wichtige Ansätze für die unbedingt notwendige Produktivitätssteigerung. Vier Gruppen von Maßnahmen kommen in Betracht:
1. der große gemeinsame Markt,
2. Heranziehen von Auslandskapital,
3. bessere Raumökonomie,
4. Überwindung von volkswirtschaftlichen Hemmungen durch die gemeinsame Zentrale.
An einer anderen Stelle des Vortrages heißt es:
Ganz besonders wichtig ist, daß der Schumanplan in den Dienst einer besseren europäischen Raumökonomie auf dem Gebiet der Kohlen-und Eisengewinnung tritt. Im Gegensatz zu USA erfolgte die Standortwahl zu sehr unter politischen und kollektiv-egoistischen Gesichtspunkten. Wenn das nun anders werden soll, sind die im Schumanplan vorgesehenen Übergangserleichterungen zugunsten der Betriebe, die sich bei freier Konkurrenz auf die Dauer nicht halten können, unerläßlich.
Und endlich führt Geheimrat Weber noch folgendes aus:
Auf jeden Fall muß die volkswirtschaftliche
Produktivität so gesteigert werden, daß eine
destruktive Weltinflation vermieden wird. Dieses Ziel ist ohne volkswirtschaftliche Integration Westeuropas nicht zu erreichen. Voraussetzung dafür ist, daß Frankreich und Deutschland endlich begreifen, wie geringfügig das ist, was sie trennt, und wie groß die Möglichkeiten sind, die sie mit vereinten Kräften erreichen können.
Man darf es wohl als politisches Kernstück des Schumanplans bezeichnen, daß es für Frankreich und Deutschland 50 Jahre lang gewissermaßen technisch unmöglich gemacht wird, Krieg gegeneinander zu führen, und daß diese Länder gezwungen werden, während dieser langen Zeit Hand in Hand zu arbeiten.
Demgegenüber
— so schließt Herr Weber —
verblassen alle anderen Erwägungen,
die für und gegen den Schumanplan vorgebracht werden können, aber sie dürfen deshalb im Interesse des nachhaltigen Erfolges nicht vernachlässigt werden.
Lassen Sie mich diesen Ausführungen, namentlich den Schlußsätzen des Herrn Geheimrat Weber, noch folgendes Wort hinzufügen: Meine Damen und Herren, wenn dieser Schritt, die Schaffung der Montan-Union, nicht getan wird, besteht in absehbarer Zeit für Europa keine Hoffnung mehr,
es besteht keine Hoffnung für wirtschaftliche und keine Hoffnung für politische Gesundung. Man kann nicht ernstlich glauben, die Regierungen Europas würden, wenn der gegenwärtige Versuch scheitern sollte, sich in nächster Zeit zu einem neuen Versuch zusammenfinden. Die Enttäuschung des Mißlingens würde alles lähmen. Die Jugend der europäischen Völker würde die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verlieren.
Amerika, das im Schumanplan den Prüfstein für die Fähigkeit Europas sieht, seine Zwistigkeiten zu überwinden, würde sich mit Enttäuschung abwenden.
Die Weltlage, die jetzt trotz allem Ernst der Hoffnung Raum gibt, wäre von Grund auf verschlechtert.
Hier und jetzt muß der Anfang gemacht werden. Unsere Völker, meine Damen und Herren, Europa und die Welt warten darauf. Alles Vertrauen, nicht nur zu uns, sondern zu Europa überhaupt, ist mit diesem Anfang verknüpft.
Es ist die Entscheidung, die Sie zu treffen haben, in Wahrheit eine Entscheidung für oder gegen Europa.
An Sie alle, ohne Unterschied der Partei, richtet die Bundesregierung die Bitte, in gleicher Weise wie es die niederländische und die französische Volksvertretung getan haben, sich für Europa zu entscheiden. Von Ihrem Ja hängt es ab, ob die europäische Einigung Wirklichkeit wird.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, eine Entscheidung zu treffen, die der Größe der Aufgabe gerecht wird.
Meine Damen und Herren! Wir treten in die Besprechung des Gesetzes betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ein. Ich darf annehmen, daß die dazu vorliegenden Abänderungsanträge im Rahmen der Aussprache begründet werden. Wir behandeln weiterhin den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache Nr. 2951. Inzwischen ist ein gleichlautender Gesetzentwurf — Umdruck Nr. 409 — der Fraktion der Föderalistischen Union eingegangen. Darf ich fragen, ob die Fraktion der Föderalistischen Union einen selbständigen Gesetzentwurf vorlegen will oder sich dem Antrag auf Drucksache Nr. 2951 anzuschließen beabsichtigt.
— Sie schließen sich an. Also handelt es sich um einen gemeinsamen Antrag, der aus Drucksache Nr. 2951 und Umdruck Nr. 409 zu ersehen ist.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, damit keine formellen Schwierigkeiten entstehen, daß wir auch die erste Beratung dieses Gesetzentwurfs mit der Besprechung der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs verbinden, so daß wir also jetzt die erste und zweite Beratung des Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 2951 gleichzeitig vornehmen. Ich nehme an, daß einer der Redner der Fraktion der CDU/CSU diesen Gesetzentwurf be-. gründen wird. Ich rufe also zunächst auf — entsprechend der Einteilung, auf die wir uns geeinigt hatten — die Besprechung über die
wirtschaftspolitischen Fragen.
Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Dr. Henle.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es ist jetzt bald zwei Jahre her, daß der französische Außenminister Robert Schuman den nach ihm benannten Plan namens seiner Regierung der Weltöffentlichkeit unterbreitet hat. Und drei Vierteljahre sind nun auch schon seit der Unterzeichnung des ausgearbeiteten Vertragswerkes durch die sechs beteiligten Regierungen verflossen.
Das ist eine geraume Zeit, und in ihr sind denn auch alle Seiten des Planes, seines Für und Wider so ausführlich und andauernd untersucht und landauf, landab erörtert worden, daß es heute wahrlich schwerfällt, noch neue Gedanken darüber zu entdecken und hier zur Sprache zu bringen. Denn alles, was- es da zu sagen gibt, ist ja sozusagen schon einmal dagewesen. Die jetzt beginnende Erörterung wird erweisen, ob die Mitte Dezember begehrte und auch gewährte Nachfrist von drei Wochen für diese Debatte das Bild etwa geändert hat oder — —
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe!
Dr. Henle .: — oder ob man in Versuchung gerät, an das Goethewort: „Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!" zu denken, wenn hier
beute nun wieder all die alten Argumente fröhliche Urständ feiern und keines so recht den Reiz der Neuheit aufzuweisen hat.
Aber das soll nicht heißen, daß damit die Bedeutung unserer heutigen Debatte etwa verkleinert werden soll.
Denn alle Welt gibt sich davon Rechenschaft, daß die Annahme des Schumanplan-Vertrags für die an ihm beteiligten Staaten ein kühner und außerordentlich folgenschwerer Entschluß ist. Da ist es nur natürlich, daß wir Gelegenheit nehmen, alles noch einmal reiflich zu erörtern und gegeneinander abzuwägen. Auch wir denken j a nicht daran, einfach unser Jawort zu geben, ohne die Licht- und Schattenseiten des Vertragswerkes gewissenhaft gegeneinander abgewogen zu haben. Denn es liegt keineswegs etwa so, als ob bei uns auf der einen Seite allein alles nur in Schwarz gesehen wird, während die andere Seite alles in rosaroten Farbtönen erblickt und geneigt wäre, sich gleichsam in einer gehobenen Stimmung großen und neuartigen Vollbringens, sozusagen im Stile des Honigmondes, die Sache leicht zu machen. Wir teilen vielmehr weitgehend mancherlei Einwendungen und Bedenken, die gegen den Vertrag vorgebracht werden, und wir sagen dies auch ganz offen. Aber in der Schlußfolgerung weichen wir, jedenfalls nach dem bisherigen Stand der Dinge, entschieden voneinander ab. Nicht als ob wir dabei die Augen vor unseren eigenen Bedenken verschlössen, sondern weil wir auch die großen positiven Seiten sehen und weil wir der Meinung sind, daß jetzt in dieser Schicksalswende Europas das ewige Gestrige mit Entschlossenheit verlassen werden muß,
wenn man die Zeichen der Zeit richtig verstehen will. Mängel und Hemmungen ins Feld zu führen, um zu einem Nein zu kommen, das ist ein Leichtes; worauf es ankommt, ist allein das richtige Augenmaß beim Abwägen des Für und Wider.
Damit komme ich nun zu einigen besonders wichtigen Hauptpunkten, die ich hier kurz beleuchten will, weil ihnen für unsere Beschlußfassung entscheidendes Gewicht zukommt. Dabei möchte ich zunächst mit den Fragen beginnen, die vielleicht am stärksten zu Bedenken Anlaß geben.
Mir persönlich scheint eines der ernstesten Risiken, das die Vertragsannahme in sich schließt, darin zu liegen, daß wir damit auf die Bahn eines Wirtschaftsdirigismus unter übernationalem Vorzeichen, einer überstaatlichen und technokratischen Kommandowirtschaft für den Gesamtbereich der Grundindustrien geraten könnten. Wohlgemerkt, das braucht nicht so zu sein, und der Vertrag sieht es auch nicht vor. Doch konnte der Vertrag dem nicht entraten, daß für Krisenlagen gewisse zentrale Lenkungsbefugnisse vorgesehen werden mußten, die, wenn sie nicht mit großer Behutsamkeit und Vorsicht gehandhabt werden, immerhin zu einem Abgleiten ins dirigistische Fahrwasser führen könnten. Wir haben da das schreckende Bild der kriegswirtschaftlichen Maßnahmen in fast allen großen Ländern; die Neigung zum Dirigismus stellt ja auch nichts anderes dar als ein Erbe der Kriegswirtschaft, gekoppelt mit gewissen planwirtschaftlichen Ideologien. Man muß den Dirigismus bewußt nicht wollen, um ihn zu vermeiden — das hat mit der Notwendigkeit gesunder Direktiven, wo immer diese erforderlich sind, nichts zu tun. Das Vortragen dieses Bedenkens gegen die Montan-Union trägt so mehr den Charakter einer Warnung als den eines Einwandes. Doch will diese Warnung nicht überhört und vor allem auch nicht mißverstanden sein, als verberge sich hinter ihr nur etwas anderes, wie z. B. Europafeindlichkeit oder gar eine versteckte Furcht vor echtem Wettbewerb. Gerade was den Wettbewerb anlangt, können -wir unsere Stellung nicht eindeutig genug beziehen; denn dabei handelt es sich um das wichtigste Lebenselement unserer Wirtschaft, so wie die westliche Welt jedenfalls diese versteht. Ein namhafter Wortführer der amerikanischen Stahlindustrie, Mr. Randall, hat schon vor mehr denn Jahresfrist erklärt: „Amerika verlangt zu seinem eigenen Schutze und demjenigen Europas, daß der Schumanplan auf dem Wettbewerb als der Kraft beruht, die die Gesellschaft schützt." Diese Forderung des amerikanischen Wirtschaftsführers machen wir uns voll zu eigen.
Ob man ihr entsprechen wird, hängt weniger von dem Vertragsinhalt als von dem Geiste ab, in dem die Hohe Behörde das Vertragswerk und die ihr darin übertragenen Funktionen handhaben wird. Das ist keine Eigentümlichkeit des Schumanplans, sondern ist im Grunde genommen fast bei jedem Vertragswerke so. Aber das unterstreicht auch die außerordentlich große Bedeutung, die der Auswahl der Männer zukommt, aus denen die Hohe Behörde sich zusammensetzen wird. Wir haben deshalb das dringende Anliegen an den Herrn Bundeskanzler, daß er dieser Frage der Auswahl seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden möge; denn ihr kommt wirklich erstrangige Bedeutung zu. Die Männer, die wir als Mitglieder der Hohen Behörde zu sehen wünschen, sollen keine Doktrinäre sein — darin würde jedenfalls ich persönlich eine Beeinträchtigung jener „allgemeinen Befähigung" sehen, die der Vertrag ausdrücklich verlangt. Es sollen vielmehr Persönlichkeiten sein, die dem Europagedanken zugetan sind, mithin auch europäisch zu denken vermögen, und die zweitens auch sachverständig sind für die großen Fragen des wirtschaftlichen Geschehens.
Ein weiteres Bedenken, das in der deutschen Öffentlichkeit vielfach laut geworden ist, hängt mit der Frage zusammen, ob wir mit dem Schumanplan denn auch wirklich loskommen von einem System, das man kennzeichnen kann als das Regime der Ruhrbehörde, die sich in Deutschland natürlich alles andere ' als Popularität erwerben konnte, zumal bei der seit Jahr und Tag so empfindlichen Kohlenknappheit. Hier müssen wir uns, wie der Herr Berichterstatter schon ausführte, nur hüten, die Dinge allzusehr aus der heutigen Lage heraus zu sehen. Der Kohlenbergbau ist immer ein überaus konjunkturempfindlicher Gewerbezweig gewesen. Wenn wir z. B. in den letzten Jahren und auch heute noch uns Sorgen machen wegen des Exportkohlepreises, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß wir früher auch einmal und mehr als einmal Ausfuhrpreise für Kohle gehabt haben, die niedriger lagen als die Inlandspreise — so wandelbar sind diese Dinge. Der Schumanplan-Vertrag will nun den Gemeinsamen Markt für die Unionsländer schaffen. Er öffnet also dem deutschen Kohlenbergbau ein bedeutend erweitertes Absatzgebiet, das ihm fortan unbehindert offen stehen wird, ohne Einfuhrbeschränkungen, ohne Zölle, ohne Kontingente und was dergleichen mehr ist, was bereits in manchen anderen westeuropäischen Kohlengebieten gewisse Sorgen ausgelöst hat. Aber er gibt natürlich auch den Unionspartnern den ungehinderten Zutritt zur Ruhrkohle frei,
ebenso wie er uns für die Zukunft die Rückgriffsmöglichkeit auf die Erzreviere der anderen ermöglicht.
— Das hat keine Begründung in den Tatsachen, was Sie da einwerfen. Dieser freie Zutritt der anderen Partner zur Ruhrkohle ruft bei vielen von uns nun einen etwas unbehaglichen Gedanken hervor, und zwar eben wieder auch vor allem bei denen, die die Dinge zu sehr unter dem Gesichtspunkte der Augenblickslage sehen. Mit der Schaffung des Gemeinsamen Marktes verschiebt sich aber doch ein sehr wesentlicher Umstand: die deutsche Kohlenförderung wird damit zu einem vordringlichen Gesamtinteresse Westeuropas. Sie wird deshalb auch ganz anders als bisher darauf rechnen können, daß die Kapitalquellen erschlossen werden, die nötig sind, um aus dem Boden besonders des Ruhrgebiets den Rohstoff zu fördern, auf den diese westeuropäische Wirtschaft so vordringlich angewiesen ist, eben die Kohle. Was uns not-tut, ist j a nicht ein ängstliches Besorgtsein, daß wir möglichst nichts abzugeben brauchen; worauf es ankommt, ist vielmehr die Produktionssteigerung auf Grund umfassender Neuinvestitionen, zu denen wir selbst aber nicht in der Lage sind, sondern wobei wir die Hilfe des Auslandes brauchen.
Unter diesem Gesichtspunkt ist die Montan-Union eben durch die Schaffung der großen Interessengemeinschaft, die sie darstellt, etwas völlig anderes, ja Entgegengesetzes, als die Ruhrbehörde, die uns j a unter eine einseitig ausgerichtete Auslandskontrolle stellte.
Und nun noch eine wichtige Frage: die Gefahr der Benachteiligung Deutschlands durch die noch nicht abgeschlossene alliierte Entflechtungspolitik. Zu diesem Thema möchte ich nur einige kurze Bemerkungen machen, da es von anderer Seite noch ausführlicher behandelt werden soll. Diese Entflechtungspolitik ist bekanntlich schon seit vielen Jahren im Gange und schleppte sich immer und immer wieder in die Länge, so daß sie zu einem schweren Belastungsfaktor für uns geworden ist — psychologisch sowohl wie politisch und auch rein wirtschaftlich. Man kann es uns nicht verübeln, wenn wir darüber nachgerade ungeduldig und auch bitter geworden sind. Ein Vertreter der alliierten Seite suchte mich zwar einmal, als ich ihn auf die geringen Fortschritte in der Entflechtungsfrage während der vergangenen zwölf Monate hinwies, mit dem Argument zu trösten, wir seien jedenfalls nun dem Abschlusse der Entflechtung schon wieder um ein weiteres Jahr nähergerückt.
Es bleibt dabei nur zu hoffen, daß die zur Erreichung dieses Zieles noch zurückzulegende Entfernung nicht etwa nur nach der astronomischen Zeitrechnung von Lichtjahren meßbar ist.
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Daß jetzt der Schumanplan seinem Inkrafttreten entgegengeht, obschon man immer noch nicht den Schlußpunkt unter die Neuordnung unserer Grundindustrien gesetzt hat, zeigt ja ganz augenfällig, wie sehr man gegenüber dem politischen Kalender bereits in Rückstand geraten ist.
Es kommt hinzu, daß die bisherige Durchführung des Gesetzes Nr. 27 uns schwere Enttäuschungen gebracht hat, so z. B. auf dem Gebiete der Verbundwirtschaft, wo man uns schließlich eine reichlich professorale Lösung aufgenötigt hat, deren wirtschaftliche Vernunft jedenfalls von der Wirtschaft selbst doch erheblich weniger günstig beurteilt wird, als dies soeben von dem Herrn Bundeskanzler geschehen ist.
Um so mehr müssen wir jetzt endlich erfahren, woran wir sind; und wir müssen entscheidenden Wert darauf legen, daß das uns für die Schumanplan-Trauungszeremonien zugedachte Brautkleid, nachdem es schon infolge der immer wieder eingeschalteten Zeitlupe von der Haute couture nicht rechtzeitig fertiggestellt worden ist, nunmehr mit aller Beschleunigung nachgeliefert wird.
Etwaige spätere Änderungen dieses Gewandes, um es den j a bekanntlich ständig wandelbaren Bedürfnissen anpassen zu können, werden sich dann unter den Auspizien der Hohen Behörde des Schumanplans, und zwar nach gleichem Recht für alle, zu vollziehen haben. Wenn wir jetzt dennoch mit unserer Zustimmung zur Inkraftsetzung des Schumanplan-Vertrages wegen dieses hier behandelten Mangels nicht zögern wollen, so tun wir das im Hinblick auf die überragende Bedeutung, die wir dem beschleunigten Zustandekommen dieses europäischen Integrationswerkes beimessen, zugleich aber auch in der mit Nachdruck ausgesprochenen Erwartung, daß die überfällige Beseitigung der noch bestehenden Hindernisse durch die alliierten Besatzungsmächte entsprechend den gemachten Zusagen nunmehr ohne weiteren Verzug erfolgt.
Doch ist es an der Zeit, daß ich nun auch zu den Seiten des Schumanplan-Vertrages komme, die geeignet sind, unserer Entschlußfreudigkeit zu dem von uns geforderten Jawort zu dem Vertragswerk Auftrieb zu geben. An der Spitze unter den Einzelfragen steht da natürlich die Aufhebung der Ruhrbehörde und der einseitigen Beschränkungen und Kontrollen unserer Grundindustrien. Auf diese Dinge will ich hier, so verlockend es auch wäre, nicht näher eingehen, da der Herr Berichterstatter und anschließend der Herr Bundeskanzler ja bereits ausführlich dazu gesprochen haben. Ich persönlich meine jedenfalls, daß der Bundeskanzler alle Berechtigung hat, auf das hierbei Geschaffte und Erreichte stolz zu sein;
hat er doch die Möglichkeiten, die der Schumanplan bot, so zielsicher zu ergreifen und zu nutzen gewußt, um uns wieder als gleichberechtigt in die Reihe der europäischen Nationen einzugliedern.
Wir haben wirklich, meine Damen und Herren von allen Seiten des Hauses, jeden Anlaß, ihm hierfür unseren Dank zu zollen.
Bei der Bewertung des gesamten Vertragswerkes dürfen wir aber natürlich nicht n u r den Gesichtspunkt der endlichen Lösung vom Besatzungsregime obwalten lassen; denn das verführt dazu, im Schumanplan-Vertrage doch nur so etwas wie ein geringeres Übel zu- sehen und die wichtigsten positiven Seiten, die er aufweist, zu verkennen. Man darf ja an diese ganze Frage überhaupt nicht in einer Art von Krämergeist herangehen,
der sich darin erschöpft, eine Gewinn- und Verlustrechnung aufzumachen, aus der abzulesen ist, was der einzelne in die Gemeinschaft einbringt und was er sozusagen dabei herausbezahlt bekommt. Ich habe ja als Kaufmann Verständnis dafür, daß die übrige Welt gelegentlich das Bedürfnis
empfindet, auch etwas kaufmännisch zu denken; aber da mag es mir doch erlaubt sein, sie auch an einen anderen kaufmännischen Grundsatz zu erinnern, daß man nämlich in ein neues und großes Geschäft zunächst einmal etwas hineinstecken muß, wenn man später Gewinne machen will.
Worauf es aber jetzt ankommt, meine Damen und Herren, das ist der durch die Schaffung der Montan-Union so entscheidend geförderte Aufbau Europas, eine Aufgabe, bei der man nicht Nebenfragen, so wenig sie deshalb vernachlässigt zu werden brauchen, plötzlich zur Hauptfrage werden lassen darf. Es ist doch nun einmal so, daß es höchste Zeit ist, daß -endlich etwas Entscheidendes geschieht, um zu einer Überwindung der Aufteilung der europäischen Wirtschaft in eine Vielzahl nationaler Wirtschaftsräume zu kommen, die nun einfach zu klein sind, um für sich bestehen zu können. Hierbei nationale Gesichtspunkte endlich einmal auszuschalten und dem natürlichen Spiel der wirtschaftlichen Kräfte Raum zu geben, ist geradezu ein Befreiungsakt von allergrößter Tragweite.
Ich bin der festen Überzeugung, daß wir bei solcher Befreiung a 11e gut fahren werden: die Deutschen, die Franzosen und die anderen Länder auch; denn ich halte es für falsch, zu glauben, daß die Folge etwa eine Abwanderung der Eisenindustrie von uns nach Frankreich sein könnte, wie das als Schreckgespenst hingestellt wird. Vielmehr bin ich der Meinung — und es ist eine durch vielfältige Erfahrung belegte Meinung —, daß der eine wie der andere Standort, der auf der Kohle wie der auf dem Erz, seine natürliche wirtschaftliche Berechtigung hat und auch behaupten wird. Verpflanzungsgedanken der angedeuteten Art sind politische Wunschträume, nicht wirtschaftliche Zwangsläufigkeiten. Den politischen Wunschträumen dieser Art wird aber gerade die Montan-Union ein Ende bereiten.
Der gemeinsame Markt und seine Vorteile werden sich wirtschaftlich schon rasch genug durchsetzen und fühlbar machen, allen Übergangsschwierigkeiten zum Trotz, genau so, wie sich im vorigen Jahrhundert der Deutsche Zollverein, der doch so hart umkämpft wurde, segensreich durchgesetzt und mit dem Zeitalter wirtschaftlicher Duodezfürstentümer aufgeräumt hat. Wer sich gegen solche Entwicklungen zum größeren Wirtschaftsraum hin stemmt, ist einfach rückschrittlich gesonnen, mit allen seinen nationalen Argumenten, die er dabei ins Feld führen mag.
Wir wollen dabei keinen Zweifel daran lassen, daß wir in der Montan-Union nicht einen Schlußpunkt, den es zu erreichen gilt, sondern vielmehr nur einen ersten Ansatz sehen, der weiteren Entwicklungen gleicher Art in anderen Wirtschaftszweigen den Weg bahnen soll. Dabei denke ich — neben den anderen bekannten großen Projekten wie dem Agrarpool — vor allem auch an das Gebiet der Währungen und des Kapitalmarktes. Hier ist eines der wichtigsten Ziele, das unbedingt angestrebt werden sollte und auch bald erreicht .werden muß — und zwar gerade im Interesse eines erfolgreichen Funktionierens der Montan-Union —, nämlich die Auswechselbarkeit der westeuropäischen Währungen, d. h. eine echte Auswechselbarkeit, nicht nur eine fiktive, wie sie unserer heutigen Europäischen Zahlungsunion sozusagen als Arbeitsgrundlage dient. Ich will bei diesem Gedanken hier
jetzt nicht weiter verweilen und führe ihn nur an, um deutlich zu machen, wie wir unsere Annahme des Schumanplan-Vertrages bei uns und in der Welt draußen verstanden wissen wollen, nämlich als einen Start zu weiterem Vollbringen mit dem Ziele einer wirklichen europäischen Wirtschaftsintegration.
Neben diese wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte treten aber natürlich mit dem ganzen ihnen zukommenden Schwergewicht auch die politischen Zielsetzungen als solche, denen der Schumanplan dienen soll. Dabei möchte ich auf die Frage des. deutsch-französischen Ausgleichs, dieses Kernproblem aller westeuropäischen Fragen, nicht nochmals ausführlicher eingehen. Darüber ist schon soviel gesagt und geschrieben worden, daß längst jeder begriffen haben sollte, worum es dabei geht und welche entscheidende Bedeutung für die europäische Zukunft ihm zukommt.
Wer etwa hier noch den völlig irrigen Ansichten anhängt, der ganze Schumanplan sei nur eine raffiniert ersonnene Kombination, um die deutsche Wirtschaft französischen Zwecken dienstbar zu machen und einer politischen Vorherrschaft Frankreichs die Wege zu ebnen, dem kann nur empfohlen werden, die Debatte in der französischen Nationalversammlung vom letzten Monat recht genau nachzulesen, um sich eines Besseren belehren zu lassen.
Da sind weit mehr französische Besorgnisse und Bedenken zur Sprache gekommen als etwa triumphierende Zuversicht — genau so wie hier bei uns.
Das Wesentliche, worauf es heute ankommt, ist,. mit der Annahme des Schumanplan-Vertrags den Weg für eine fortschreitende Europapolitik überhaupt offenzuhalten. Das ist gerade heute so entscheidend wichtig, wo der Versuch, auf dem Wege über die Straßburger Europäische Versammlung zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen, zu schweren Enttäuschungen geführt hat und in einem wahren Wirrwarr von Schwierigkeiten zu ersticken droht. Gerade das sollte uns dazu bestimmen, diejenigen Möglichkeiten, die durch die Montan-Union eröffnet werden, nun erst recht zu erkennen und in jeder Hinsicht auszunutzen.
Bei der ersten Lesung ist von einem Sprecher der Opposition gesagt worden, die Montan-Union werde Europa nie zustandebringen, sondern eher separatorisch und abstoßend wirken. Aber ich glaube, das ist eine Prophezeiung, an die, wer sie ausgesprochen hat, schon in nicht zu weiter Ferne nicht mehr gern erinnert werden möchte.
Wenn von Sizilien bis zur dänischen Grenze und von den Pyrenäen bis zur Ostsee ein weites prosperierendes Wirtschaftsgebiet entsteht, so wirkt das nicht abstoßend, sondern eher mit magnetischer Anziehungskraft. Darum wird auch, wer heute draußen bleibt, sein Interesse daran finden, seine Beziehungen zu diesem Wirtschaftsgebiet zu festigen und zu verstärken.
Wir schließen uns gerade deshalb sehr lebhaft dem eben von dem Herrn Bundeskanzler geäußerten Wunsche an, daß auch Großbritannien sich schließlich doch nicht auf die Dauer unserem seit dem Beginn der Schumanplan-Verhandlungen immer wieder ausgesprochenen und ehrlichen Liebeswerben um sein Mitwirken versagen wird.
Gerade der Erfolg wird die heute Skeptischen eher bekehren als abstoßen, und wir haben es zusammen mit unseren Partnern in der Montan-Union in der Hand, aus ihr einen Erfolg werden zu lassen.
Wir hören nun freilich von der Opposition oft das Argument, auch sie wolle Europa und lehne auch eine Montan-Union nicht ab, könne sich aber nicht mit ungenügenden Surrogaten zufrieden geben. Ein solcher zu wenig konkret greifbarer Standpunkt vermag uns aber nicht irgendwie weiterzuhelfen. Unwillkürlich fühlt man sich dabei an das bekannte Wort des Reichskanzlers Michaelis von 1917 — „wie ich sie auffasse" — erinnert; denn es stellt, wie jene Äußerung, ein Ausweichen ins Nebelhafte dar. Politik ist aber immer nur so viel wert, wie sie Tatsachen zu schaffen, Tatsächliches zustande zu bringen vermag. Europas Einigung wird nie zustande kommen, wenn wir den Europagedanken statt mit Realisierungen nur mit Idealforderungen am Leben erhalten wollen.
Der Europagedanke ist ja das große positive Ziel, das wir unserer heutigen Jugend zu bieten vermögen, und vielfach hat sich schon gezeigt, wie aufnahmebereit gerade unsere Jugend für diese Zielsetzung ist. Dies gilt umso mehr, als die Alternative letztlich ja doch nur eine Neubelebung des Nationalismus, d. h. ein Zurücklenken in eine verderbliche Vergangenheit sein kann. Gerade die Jugend will aber auch einen greifbaren Fortschritt, ein wirkliches Vollbringen sehen. Das ist aber, wie alle große Politik, nur im Bereich des jeweils Möglichen, nicht durch das bloße Aufzeigen von Idealforderungen zu bewerkstelligen. Irgendwomit muß man schließlich einmal anfangen, soll der Europagedanke nicht bald wieder verblassen.
Ich sehe gerade im Schumanplan den wichtigen und entscheidenden ersten Ansatzpunkt zu wirklichem Vollbringen auf jenem Weg nach Europa.
Der sozialistische Standpunkt allein kann es ja nicht sein, der dem Schumanplan im Wege steht; denn wir haben ja eine ganze Fülle von Äußerungen aus sozialistischem Munde, die sich für ihn aussprechen, und auch der Nordwestdeutsche Rundfunk hat jedenfalls in dieser Hinsicht keine gemeinsame Sache mit der Opposition gemacht.
Schließlich aber gilt es auch bei einer Entscheidung von so fundamentaler politischer Tragweite, sich nicht nur in allgemeinen politischen Zukunftserwägungen zu ergehen, sondern auch die politische Gegenwartslage ins Auge zu fassen mit allen ihren weltpolitischen Gegebenheiten. Und in dieser Hinsicht ergibt sich ein gar nicht zu übersehendes Faktum: Die beiden großen Hauptfiguranten unserer politischen Weltbühne von heute, die USA auf der einen und der Kreml auf der andern Seite, haben zu der Frage des Schumanplans ganz eindeutig Stellung genommen. Moskau wünscht seine Verwirklichung zu hintertreiben, während Washington ihr ein entscheidendes Gewicht beilegt, das für die gesamte weitere Haltung Amerikas zur Frage der Verteidigung Europas und des Interesses am europäischen Kontinent von ausschlaggebender Bedeutung sein kann. Daran vorbeizusehen, das ignorieren zu wollen, kann sich, wer Realpolitik betreiben will, einfach nicht gestatten. Wer den Schumanplan-Vertrag ablehnen will — aus welchen Gründen auch immer —, wird sich darüber erst recht im klaren sein müssen; er (( darf nicht auf die Illusion bauen, daß es ihm schon gelingen werde, die übrige Welt davon zu überzeugen, daß er damit nur das Wohl Europas im Auge habe, so überzeugt er selbst davon auch sein mag.
Bis ihm das nämlich gelingen könnte, wird eine große Chance von historischer Bedeutsamkeit verpaßt sein.
Darum, meine Damen und Herren, kommt unserer Entscheidung, vor die wir jetzt gestellt sind, eine so ernste und große Bedeutung zu. Sie stellt letztlich für jeden einzelnen in unseren Reihen eine wahre Gewissensfrage dar, die jeder für sich allein abmachen muß und wobei ihn nichts von seiner Verantwortung vor der Geschichte entlasten kann. Wer noch zögert, sein Jawort zu geben, raffe seine Kräfte nochmals zusammen, gleich einem Läufer von Marathon im Angesichte des bereits winkenden Zieles. Denn der Augenblick des Handelns ist nun gekommen, und von der Lage, in der wir uns heute befinden gilt wahrlich das Dichterwort:
Der Worte sind genug gewechselt,
Laßt mich auch endlich Taten sehn!
Das Wort hat der Abgeordnete Etzel .
Meine Damen! Meine Herren! Ich habe zunächst den Auftrag, Ihnen zwei Anträge zu begründen. Es handelt sich zunächst um den Antrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache Nr. 2951. Diesen Antrag bringe ich hiermit ausdrücklich ein. Der Herr Bundeskanzler hat soeben in der Regierungserklärung auf diesen Antrag bereits Bezug genommen. Ich darf mich daher meinerseits auf das beziehen, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat, und damit die Begründung vornehmen.
Ich habe den weiteren Auftrag, einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der DP dem Hohen Hause vorzutragen, der Ihnen unter der Drucksachennummer 2974 vorliegt. Es handelt sich um eine Entschließung, die der Bundestag nach diesem Antrag der Bundesregierung weitergeben soll.
Der Antrag ist nach vier Punkten gegliedert. Der erste Punkt betrifft das Problem des Gesetzes Nr. 27. Der Herr Bundeskanzler hat das Verhältnis dieses Gesetzes Nr. 27 zum Schumanplan bereits eingehend dargestellt. Formell haben die Alliierten die Möglichkeit — da sie ja treuhänderisch Träger der Eigentumsrechte sind —, mit Hilfe des Gesetzes Nr. 27 gewisse Maßnahmen vorzunehmen, die nach dem Abkommen vom 19. Oktober 1951 nicht mehr vorgenommen werden sollen. Wir sind der Meinung, daß wir einen Anspruch auf eine sinngemäße Anwendung des Abkommens vom 19. Oktober 1951 auch hinsichtlich dieser formellen Möglichkeiten haben. Wir glauben auch nicht, daß bei den Alliierten hier entsprechende Absichten bestehen, wollen aber trotzdem durch diesen Antrag sicherstellen, daß die Bundesregierung auch die Meinung dieses Hohen Hauses hinter sich hat, wenn von alliierter Seite aus gewisse Befürchtungen, die in der Öffentlichkeit bestehen, irgendwie realisiert werden sollten.
Die Ziffer 2 betrifft die Ausgestaltung des deutschen Kohlenverkaufs. Der Herr Bundeskanzler hat auch hier vorgetragen, daß die Bemühungen der Regierung weiter dahin gehen werden, die Situation des deutschen Kohlenverkaufs zu verbessern. Es wird also auch hier eine Unterstreichung dieser Absicht durch die Unterstützung des Hauses gewünscht.
In Ziffer 3 geht es um die Investitionen, die dazu notwendig sind, um die in der Vergangenheit unterbliebenen Investitionen nachzuholen, insbesondere um die Demontagen wieder auszugleichen.
Ziffer 4 behandelt die notwendigen Investitionen zur Ausdehnung der deutschen Kohle- und Stahlkapazität schlechthin. Auf beiden Gebieten wird die deutsche Regierung im Rahmen des Schuman-plans auch in der Zukunft Aufgaben haben. Ihr für diese Aufgaben noch einen besonderen Auftrag zu geben, ist der Sinn der Ziffern 3 und 4 des Antrags. Wir bitten das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren! Wenn meine politischen Freunde von den Koalitionsparteien durch ihre Sprecher ihren Willen kundtun, dem Ratifizierungsgesetz zum Schumanplan ihre Zustimmung zu geben, dann tun sie das in dem vollen Bewußtsein, daß dieses Gesetz für das Gebiet der Deutschen Bundesrepublik das bedeutendste Gesetz ist, das nach dem Grundgesetz zu schaffen ist. Es ist die erste ganz große außenpolitische Entscheidung, die wir Deutschen seit 1933 auf demokratischer Grundlage und in voller politischer Eigenverantwortung treffen können.
Aber was ist das auch für eine Entscheidung, vor die dieses Hohe Haus heute gestellt wird! Es ist — und ich nehme damit einen Gedanken auf, den der Herr Bundeskanzler auch schon vorgetragen hat — die Option für oder gegen Europa.
Unter den Ideen, die zur Bildung der Nationalstaaten geführt haben, hat das alte Europa im Zeitalter der Technik zwar einen ungeheuren Aufschwung genommen, aber sein Weg war auch ein Weg der großen Leidenschaften, der großen Gegensätze, der großen Kriege und der großen Blutopfer, der großen Zerstörungen und der großen vom Vater auf den Sohn fortgeerbten Haßgefühle, die zu hegen noch als nationale Haltung und für verdienstvoll angesehen wurde. Dieses Europa, das geschichtlich und kulturell eine gemeinsame Wurzel hat, das im Zeichen der Entwicklung des Verkehrs räumlich immer näher zusammenrückt und damit immer kleiner wird, stand in der Gefahr, sich selbst zu zerstören und aufzulösen. Zwei schreckliche Kriege in einer Generation, die große Bedrohung durch eine diktatorische Weltmacht haben das Wissen entstehen lassen: Europa wird nur sein, wenn es einig ist . und wenn es zu einem einheitlichen Staatsgebilde zusammenwächst; es wird aber verloren sein, wenn es atomisiert und nationalstaatlich-getrennt weiterleben will. Wenn diese beiden schrecklichen Kriege irgendwie doch noch einen Sinn haben sollen, dann muß es der sein, daß unsere Toten nicht gestorben sind, damit das alles wieder von neuem beginnen kann.
In solcher Verantwortung steht das Hohe Haus heute, und es hängt von jedem Abgeordneten in ihm, von jedem einzelnen von uns ab, ob hier die Chance, einen Beitrag für Europa zu leisten, vertan wird oder nicht. Europa ist nicht auf einmal zu bauen; die Geschichte der letzten sechs Jahre hat dies klar bewiesen. Wir müssen daher einen anderen Weg gehen. Die deutsche Geschichte bietet für den Erfolg eines solchen andern Weges ein eindrucksvolles Beispiel. Ich meine die Gründung des Deutschen Zollvereins vom 1. Januar 1834 als Vorläufer der Gründung des Deutschen Reiches.
Wenn ich sagte: der Schumanplan ist eine Option für oder gegen Europa, dann will ich damit sagen, daß der Schumanplan erst ein Stein zum Bau Europas ist, erst ein Beginnen. So wie im Deutschen Zollverein wirtschaftliche Befugnisse auf überstaatlicher Ebene zusammengefaßt waren, bedeutet die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl eine völlig neue Form des Zusammenlebens von Staaten auf übernationaler Ebene, und ich meine, meine Damen und Herren: das ist irgendwie doch das Beglückende in dieser Situation der europäischen Atomisierung, daß sechs europäische. Staaten auf Souveränitätsrechte verzichten wollen, wenn auch erst auf einem begrenzten Gebiet, daß sie diese Souveränitätsrechte auf eine supernationale Behörde übertragen wollen, und daß wir zum erstenmal in Europa eine übernationale politische Autorität auf freiwilliger Grundlage haben werden. Hier erfolgt eine Beseitigung des nationalen Gegensatzes durch eine Solidarität der Tat. Zur Herstellung einer europäischen Föderation wird eine neue Voraussetzung zur Wahrung des Friedens geschaffen. Wegen der Solidarität der Produktion in Kohle und Eisen wird ein Krieg unmöglich gemacht. Dem Gedanken Pan-Europa sollen durch eine Tat und durch die Kraft der Idee neue Hoffnung und neues Vertrauen zugeführt werden. Der Weltfriede erhält hier eine neue Sicherung. Gemeinsame Ziele, gemeinsamer Markt, gemeinsame Organe sind die ragenden ersten Zeichen dieses werdenden Europas. Hier soll mit einem wirtschaftlichen Mittel ein großes politisches Ziel erstrebt und erreicht werden.
Kann der Schumanplan als ein Wirtschaftsabkommen mit seinem Geben und Nehmen nun aber bei nüchterner Kritik wirklich ein Fundament solch großer Hoffnungen sein? Das ist die Frage, die das Hohe Haus zu entscheiden hat. Meine Freunde und ich lehnen es ab, das Bild vom Schumanplan, welches dem kritischen Auge der Abgeordneten hier ih diesen Tagen dargeboten wird, so zu sehen, wie manche es von uns verlangen. Wir lehnen es ab, daß der Versuch gemacht wird, aus ihm gewissermaßen ein Mosaikbild zu machen und nicht einmal dieses geschlossen zu betrachten, sondern vor uns etwa zehn Einzelstücke aus dem Gesamtbild getrennt erscheinen zu lassen, von jedem einzelnen dann die Farbe abzukratzen, damit am Ende der große Meister zusammenfassend feststellt: es hat keine Leuchtkraft.
Ich glaube, daß man das Bild nur als ein Ganzes sehen kann, und nur aus dieser Ganzheit heraus kann am Ende in einer Würdigung des Für und Wider in Richtung auf das vorher gezeichnete politische Ziel das Ja oder das Nein gefunden werden.
Der Schumanplan ist ein Mittel zur Beseitigung des nationalen Gegensatzes, zur Liquidierung der Gegensätze aus dem letzten Kriege, der schrittweisen Beseitigung der deutschen Diskriminierung und damit zur Integration Europas. Wir geben ein Stück Souveränität an den gemeinsamen Markt zu Händen der gemeinsamen Organe; wir bekommen dafür aber auch Freiheiten zurück, die wir als Folge der großen Niederlage verloren haben, deren dauernden Verlust aber kein großes Volk, sei es in
einem einigen oder in einem nationalstaatlichen Europa, hinnehmen kann. Diese gewichtigen wiedergewonnenen Freiheiten möchte ich an die Spitze der Wertung stellen, die wir dem Schuman-plan zuteil werden lassen.
Es sind erst Freiheiten auf einem Teilgebiet, nämlich dem des Schumanplans, und die verbleibenden Unfreiheiten schmerzen weiß Gott. Aber es sind doch entscheidende und wesentliche Freiheiten. Sie beweisen, daß wir mit dem Schumanplan auf dem Wege zu einem sich integrierenden Europa die nationalen Gegensätze beseitigen und dadurch unsere nationale Niederlage liquidieren und zu einer guten Parität in Europa kommen.
Durch die Londoner Vereinbarungen vom 19. Oktober 1951 werden Ruhrstatut, Ruhrbehörde, Industriekontrollen, Funktionen der Alliierten Hohen Kommission und ihrer Dienststellen wie folgt beseitigt: Zunächst einmal wird das Ruhrstatut spätestens sechs Monate nach Ernennung der Hohen Behörde beseitigt. Die Ruhrbehörde verschwindet im gleichen Zeitpunkt. Eine Menge Funktionen dieser Ruhrbehörde verschwinden schon vorher. Es sind folgende: Festsetzung der Kohlenexportquote, Beseitigung von Diskriminierungen, Schutz ausländischer Interessen, Durchsetzung der Entwaffnung, Verhinderung übermäßiger Machtkonzentration, Ausschaltung nationalsozialistischen Einflusses in der Industrie, Leitung und Geschäftsführung der Ruhrindustrie, Einholung von Berichten über Produktion, Verteilung und Verbrauch von Kohle, Koks und Stahl der Ruhr, Einholung von Auskünften über Kohle-, Koks- und Stahlproduktion in Deutschland sowie Ausfuhr, Untersuchungen, Zeugenvernehmungen usw., und zwar verschwinden diese Funktionen in eben dem Maße wie die entsprechenden Organe der Hohen Behörde ihre Funktion aufnehmen.
Von besonderer Wichtigkeit und Bedeutung erscheint mir, daß die Begrenzung der Stahlproduktion und die Begrenzung der Stahlkapazität sofort mit dem Inkrafttreten des Schumanplan-Vertrags, also mit der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde, außer Kraft gesetzt werden. Die Alliierte Hohe Kommission und ihre Dienststellen schränken ihre Aufträge weitgehend ein, und zwar betreffend die Durchführung der Entscheidungen der Ruhrbehörde, betreffend die Befugnisse auf dem Gebiet der Kohle und des Stahls, betreffend die Investitionskontrolle und Verwaltung der Kohle-und Stahlunternehmungen, ausgenommen Gesetz 27. Diese Funktionen hören auf in dem Maße wie auch hier die Hohe Behörde in der Lage ist, ihre Funktionen aufzunehmen.
Beseitigung von Ruhrstatut und Ruhrbehörde, die Aufhebung aller Produktions- und Kapazitätsbeschränkungen in der Stahlindustrie und an ihrer Stelle lediglich Rechte der Organe des Schuman-plans, so wie sie im Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik dargestellt und wie sie allen Vertragspartnern gegenüber paritätisch gegeben sind, das sind sichtbare und handfeste Beweise des Vertrauens der Besatzungsmächte, die ja nicht mit den Vertragschließenden identisch sind, Beweise, mit denen sie eine Dokumentation europäischen Geistes, wie sie die von ihnen geforderte Ratifizierung darstellt, honorieren wollen.
Ich buche also: die Option für Europa bringt gewissermaßen vor dem Strich politische zusätzliche Vertrauensbeweise nicht nur von den Vertragspartnern, sondern auch von Nicht-Vertragspartnerv, nämlich von England und Amerika, von
hohem politischen und wirtschaftspolitischen Wert.
Mit ihr wird ein wesentlicher Teil alliierter Siegerpolitik beendet, die gewiß nicht glücklich und für das werdende Europa eine schwere Belastung gewesen ist.
Im Schumanplan erfolgt gegenüber den jetzt aufzuhebenden uns beschränkenden wirtschaftlichen Regelungen und Kontrollen eine grundsätzlich neue Lösung: die Gemeinschaftsregelung im Geiste der wirtschaftlichen Vernunft ist zur vorbehaltlos durchgeführten Grundlage geworden. Der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung ist als Grundsatz der unterschiedslosen, alle politischen Unterscheidungen verwerfenden Anerkennung des „ökonomischen Prinzips" herausgestellt. Er ist auf alle Mitgliedstaaten und auf alle Marktverhältnisse ausgedehnt. Der Grundsatz, daß in Zeiten der Mangellage eine Verteilung der Produktion stattfinden muß, ist auf die Zeiten einer wirklichen Krise beschränkt. Er ist nach Art. 59, 33 und 37 in seiner Anwendung von formellen Bedingungen abhängig gemacht und einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Er ist nicht mehr — und das scheint mir wesentlich und wichtig zu sein — auf Deutschland zugespitzt; er findet auf alle Länder gleichermaßen Anwendung. Er kann nach Art. 59 darüber hinaus nun. auf Grund gemeinsamer Maßnahmen in Kraft gesetzt werden. Ich glaube, das ist ein himmelweiter Unterschied zu dem bisherigen Rechtszustand, wie wir ihn in der Ruhrbehörde so häufig praktiziert sahen. Als Gegenleistung für die Verteilung der Produktion bei Mangellagen erfolgt nun in Zeiten der Absatzkrise eine Produktionsbeschränkung, die gleichermaßen alle Staaten trifft, und in normalen Lagen sind alle Staaten verpflichtet, unter Verzicht auf die bisherigen Zölle und quantitativen Restriktionen die Produktion aller Länder aufzunehmen. Das ergibt sich ausdrücklich aus dem Art. 4.
In den Organen der Gemeinschaft gibt es selbstverständlich ebenfalls keine Diskriminierungen. Deutschland hat hier überall die gleiche hervorragende Stellung wie alle anderen Länder, ja, auch wie Frankreich, das dank seiner Größe mit Deutschland in mancher Beziehung bevorzugt ist.
Ich buche also zum Zweiten: Im Rahmen des Schumanpians ist Deutschland unter dem Grundsatz der Nicht-Diskriminierung gleichberechtigter Partner geworden.
Damit komme ich zum gemeinsamen Markt. Nach Art. 4 sind seine Kriterien Fortfall aller Zölle, Fortfall aller mengenmäßigen Beschränkungen, Fortfall aller Diskriminierungen bei Preisen, Lieferungsbedingungen und Beförderungstarifen, weiter freie Lieferantenwahl, Verbot von Subventionen, Beihilfen und Sonderlasten und auch Verbot der Marktaufteilung. Der gemeinsame Markt wird in Funktion gesetzt bei Kohle, Eisenerz und Schrott sechs Monate nach Beginn der Tätigkeit der Hohen Behörde, bei Stahl acht Monate nach Beginn der Tätigkeit der Hohen Behörde, bei Baustahl, Kohlenstoff-Feinstahl 20 Monate, bei sonstigem Edelstahl 44 Monate nach Beginn der Tätigkeit der Hohen Behörde. Für die belgische Kohle besteht für fünf bis sieben Jahre eine Übergangssituation und hinsichtlich Italiens erfolgt während fünf Jahren ein allmählicher Abbau der Kokszölle; also auch hier eine gewisse Übergangssituation.
Die Vorteile eines gemeinsamen Marktes springen in die Augen. Das Wichtigste — ich glaube, das
muß ganz klar gesehen und herausgestellt werden — ist die im gemeinsamen Markt zu erwartende Produktionsausweitung. Herr Dr. Preusker hat bereits auf die schreienden Mißverhältnisse zwischen amerikanischen, ja selbst englischen Produktionsziffern und den Ziffern des europäischen Festlands hingewiesen. Wir haben durch die Liberalisierung den eindrucksvollen Beweis erhalten, wie sehr der größere Markt und die Freiheit der Betätigung in ihm produktionserweiternd wirken. Wir erwarten daher mit Recht vom gemeinsamen Markt eine bedeutende Produktionserweiterung zum Segen aller Vertragsländer und des Welthandels. Das bedeutet: Hebung des Lebensstandards und Steigerung der Beschäftigung, günstige Auswirkung auf kohle-und stahlverbrauchende Wirtschaftszweige, Senkung der Gestehungskosten und der Preise, Ausgleichsmöglichkeiten für Konjunkturschwankungen, Arbeitsteilung und Produktion am günstigsten Standort. Der gemeinsame Markt ist als Tatsache an sich das große Element zur Steigerung europäischen Wohlstandes und gleichzeitig der politischen Annäherung in den vertragschließenden Ländern.
Ich buche wiederum: der gemeinsame Markt ist ein Weg zur Steigerung des Lebensstandards und zur politischen Annäherung. Er ist ein dynamisches Element auf dem Wege zur europäischen Integration.
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Im Schumanplan ist, wirtschaftspolitisch gesehen, das Bedürfnis der Konsumenten die Grundlage aller Lösungen geworden. Die Konsumenten erhalten gleichen Zugang zu allen Produktionsquellen innerhalb des vergemeinschafteten Bereichs. Das Prinzip des Wettbewerbs, das ausdrücklich festgelegt ist, dient der Versorgung des Konsumenten zu möglichst billigen Preisen. Nun könnten allerdings bei völliger Marktfreiheit und in einer Mangellage die Preise bis zu den Preisen derjenigen Produzenten steigen, deren Produktion gerade noch erforderlich ist, um den Markt mit Gütern zu versorgen. Ich erwähne als Beispiel die Möglichkeit, daß in eurer Mangellage in einer solchen Situation also die außergewöhnlich hohen Kosten der belgischen Produktion das Maß der Preise bestimmen würden. Aus diesem Grunde, aber auch aus anderen Erwägungen, sind als gemeinsames Ziel der Gemeinschaft niedrige Preise gefordert und ihre Realisierung im Vertrag verankert. Hier ist mit den Mitteln, die im Bericht dargestellt worden sind, ausnahmsweise ein System von Höchstpreisen und Mindestpreisen — je nachdem, ob Mangellage oder Krisenlage — möglich, welches verhindert, daß das Prinzip der niedrigen Preise nicht realisiert werden könnte. Insoweit liegt, das wollen wir anerkennen, eine wesentliche Durchbrechung des Prinzips der Wettbewerbsfreiheit vor; aber es soll ja gerade gegenüber einer möglichen ungerechtfertigten Preissteigerung ebenfalls der Sicherung des Verbrauchers dienen. Der Sicherung des Verbrauchers dient hier keine völlig reine Wettbewerbswirtschaft, aber auch keine durchgebildete Wirtschaftslenkung.
Es liegt hier, wenn ich einen Ausdruck gebrauchen darf, den Herr Professor Hallstein, glaube ich, geprägt hat, eine sogenannte organisierte Konkurrenz vor.
Vergrößerung des Sozialprodukts, Verbesserung der Arbeitsteilung erwachsen aus dem vergrößerten gemeinsamen Markt als Element der ,wirtschaftlichen Vernunft. Dieses Element wird insofern festgehalten, als behördliche Eingriffe grundsätzlich nur ausnahmsweise und unter Vorzug indirekter Maßnahmen vor direkten Maßnahmen zulässig sind. Die Gemeinschaft ist also kein Konzern, weil die Leitungen der Unternehmungen nicht vergemeinschaftet werden. Damit ist aber auch aufs engste verknüpft, daß Verfälschungen des Wettbewerbs, die aus der privaten Sphäre kommen, ausgeschlossen sind. Es besteht ein ausdrückliches Kartellverbot und eine Verflechtungskontrolle. Diese beiden sollen solche Eingriffe verhindern. Der Grundsatz des günstigsten Standortes soll innerhalb der Gemeinschaft voll zur Geltung kommen. Der Produzent, der am besten und am billigsten produziert, soll vor dem zum Zuge kommen, der teuer und schlecht produziert.
An dieser Stelle will ich ein Wort zu der sogenannten Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen sagen. Zunächst muß ganz klar festgestellt werden, daß eine absolute Gleichheit der Ausgangspositionen nicht gegeben ist. So etwas gibt es auch nicht. Dazu sind die natürlichen Verhältnisse in den verschiedenen Ländern viel zu verschieden. Ich stelle nur Italien und Holland gegenüber und weise auf die absolut verschiedenen Verhältnisse auch in den übrigen Ländern hin. Die Geographie kann von uns nicht geändert werden. Wir wollen ja auch das Gegenteil; damit nämlich die Standorte zu einer besseren Geltung kommen, darf eine Forderung nach gleichen Ausgangsbedingungen gar nicht gestellt werden.
Außer diesen geographischen Verschiedenheiten gibt es aber auch Verschiedenheiten, die sich aus den unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Nationalwirtschaften ergeben. Ich weise darauf hin, daß die Steuern verschieden sind, daß die sozialpolitischen Ordnungen verschieden sind, daß die Handelsrechtsordnungen verschieden sind und daß auch die politischen Ordnungen keineswegs übereinstimmen. Alle diese Elemente können selbstverständlich zu Wettbewerbsvorsprüngen der einzelnen Länder führen. Diese Unterschiede müssen und sollen aber grundsätzlich hingenommen werden. Die Organe der Gemeinschaft haben keinen Einfluß auf sie. Die Dynamik des Marktes wird hier die richtige und vernünftige Angleichung schaffen und damit, ähnlich wie es der Zollverein für den Bau des Deutschen Reiches getan hat, wahrscheinlich viel mehr zum Bau Europas beitragen als irgendein anderes Element. Die Hohe Behörde hat also keine Befugnis, sich in die Sozialpolitik und in die verschiedenen Lohnsysteme der einzelnen Länder einzumischen. Sie gehören zur sozialen Geographie der Produktion. Hier gibt es nur eine einzige Einschränkung: sind nämlich einmal die Zollschranken niedergelegt und ist der einheitliche Markt geschaffen, dann verlangt es schon die Vertragstreue, daß nicht einzelne Länder auf dem Umweg über die soziale Geographie sich zusätzliche Wettbewerbsvorteile verschaffen. Hier kann dann mit den Begrenzungen, die bereits dargestellt worden sind, die Hohe Behörde eingreifen, und zwar auch nur in diesem einzigen Fall.
Ich buche also zum weiteren: gemeinsamer Markt, Wettbewerb in der Form der organisierten Konkurrenz, Geltung günstiger Standortbedingungen dienen dem Konsumenten, der hier in den Mittelpunkt des Marktes gestellt wird.
Zur Frage der Handelspolitik sind hier bereits eine Anzahl Ausführungen gemacht worden. Wird
durch den Schumanplan die Handelspolitik der Nationalstaaten in der Zukunft entscheidend behindert? Die Frage muß verschieden beantwortet werden, d. h. es muß unterschieden werden nach der Frage, ob Lieferungen in den Unionsraum erfolgen oder ob Exporte nach dritten Ländern vorgenommen werden. Nach dem Inkrafttreten des gemeinsamen Marktes kann die Lieferung von Kohle, Eisen und Stahl in die Unionsländer nicht mehr Gegenstand handelspolitischer Verhandlungen und damit handelspolitischer Gegenkonzessionen sein. Demgegenüber sind allerdings durch Errichtung des gemeinsamen Marktes freizügige Lieferungen an jeden Platz des vergemeinschafteten Raumes ermöglicht worden. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir als Deutsche den Optimismus haben können, der deutsche Kohlenbergbau und die deutsche Eisenindustrie werden hier wohl in der Lage und nach gewissen Anlaufschwierigkeiten vielleicht auch stark genug sein, die Lieferungen in den Unionsraum zu erweitern. Dadurch, daß Kohle und Eisen gegenüber den Unionsländern als handelspolitische Objekte ausscheiden, können naturgemäß unter Umständen gewisse Übergangsschwierigkeiten handelspolitischer Art entstehen. Ich darf aber darauf hinweisen, daß die Verrechnungen auf diesem Gebiet heute unter der Herrschaft der OEEC bereits ebenfalls multilateral erfolgen und daß es schon heute nicht ganz einfach ist, diese Dinge handelspolitisch auszugleichen und besonders auszunützen.
Wir müssen aber noch an ein weiteres denken. Wir haben augenblicklich eine Mangellage. Diese ist nicht der immerwährende Zustand in der deutschen Wirtschaft. Wenn wir uns die Verhältnisse in Deutschland in den letzten fünfzig Jahren ansehen, erkennen wir, daß die Situation normalerweise die einer Absatznot war. Man muß daher davon ausgehen, daß wir in der Zukunft für handelspolitische Zwecke genügend Eisen und Stahl zur Verfügung haben und daß die Möglichkeit des großen Raumes des gemeinsamen Markts uns wesentliche Erleichterungen auf dem Gebiet des Absatzes bringt.
Was nun den Export nach dritten Ländern angeht, so gibt es hier besondere Bestimmungen in Art. 71 und 73. Nach Art. 71 des Vertrags wird die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Handelspolitik durch die Anwendung des Vertrags grundsätzlich nicht berührt, es sei denn, daß in Ausnahmefällen der Vertrag etwas anderes bestimmt. Hinsichtlich der Stellung der Ein- und Ausfuhrlizenzen bestimmt Art. 73 ausdrücklich, daß diese auch durch die einzelnen Regierungen erfolgt. Die Hohe Behörde hat zum Zwecke der Koordinierung der Lizenzen innerhalb des Gemeinschaftsraums nur ein Kontroll- und ein Empfehlungsrecht. Das bedeutet, daß Deutschland Kohle und Eisen nach dritten Ländern zu den günstigen Preisen und Bedingungen absetzen kann, die auf diesen Märkten allgemein erzielbar sind. Wir werden also in Zukunft nicht mehr in die Lage versetzt sein, daß wir zu billigeren Preisen exportieren müssen, wie wir das bisher tun mußten, sondern wir können heute Kohle zu den normalen auf den einzelnen Märkten erzielbaren Preisen an Dritte liefern.
Es ist selbstverständlich, daß in Zeiten einer Mangellage die Exportpolitik der, Teilnehmerländer auf die Priorität der Versorgung des gemeinsamen Markts Rücksicht nehmen muß; jedoch ist auch bei den Zuteilungen der Export neben dem
Verbrauch zu berücksichtigen. Der Bundesrepublik bleibt es durchaus unbenommen, die ihr für Exportzwecke zur Verfügung stehenden Mengen an Kohle und Walzwerkerzeugnissen entsprechend den handelspolitischen Erfordernissen ihren ausländischen Abnehmern zur Verfügung zu stellen.
Die in Art. 46 des Vertrags vorgesehene Aufstellung von Ausfuhrprogrammen durch die Hohe Behörde bezweckt lediglich eine Vorschau auf die voraussichtliche Entwicklung, wobei die Programme lediglich als Hinweis dienen und nicht bindend sind. Es wird also hier eine große, den ganzen Markt betreffende Marktbeobachtung entwickelt, die der Ausweitung der gesamten Produktion nur förderlich sein kann.
Die allgemeinen Exportinteressen der an der Montan-Union beteiligten Staaten, also auch der Bundesrepublik, finden in dem Vertragswerk selbst eine weitgehende Berücksichtigung. In Art. 3, der die Ziele der Gemeinschaft aufzählt, ist unter a) gesagt, daß bei einer geordneten Versorgung des gemeinsamen Marktes auf den Bedarf dritter Länder zu achten ist; unter f) ist ausdrücklich als eines der Ziele der Montangemeinschaft die Förderung des zwischenstaatlichen Austausches proklamiert.
Ich buche zum weiteren, daß weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn des Vertrags der Bundesrepublik die Handlungs- und Verhandlungsfreiheit hinsichtlich des Exports von Kohle und Walzwerkserzeugnissen genommen wird. Soweit Einschränkungen in dieser Hinsicht Platz greifen können, sind die Möglichkeiten dazu auf bestimmte, im Vertrag genau festgelegte Voraussetzungen beschränkt. Bei allen Maßnahmen der Organe der Montangemeinschaft ist zudem nach dem Grundsatz des Art. 2 des Vertrags dafür Sorge zu tragen, daß im Wirtschaftsleben der Mitgliedstaaten tiefgreifende und anhaltende Störungen vermieden werden.
Ein besonders wichtiges Kapitel ist die Investitionspolitik. Zum Grundsätzlichen möchte ich hier folgendes sagen. Investitionen sind grundsätzlich frei. Die Hohe Behörde hat weder ein Investitionsmonopol noch ein allgemeines Genehmigungsrecht für Investitionen.
Die allgemeinen Aufgaben des Planes sind folgende: Ausbau und Verbesserung des Produktionspotentials — Art. 3 d —; Ausweitung und Modernisierung -der Erzeugung sowie Verbesserung der Qualität — Art. 3 g —; Bewilligung von Investitionskrediten an Unternehmen oder Gewährleistung für von ihnen aufgenommene Anleihen —Art. 54 Abs. 1 —; Finanzierung von Arbeiten und Einrichtungen, die einer Produktionssteigerung, einer Kostensenkung oder Absatzerleichterung für die ganze Gemeinschaft dienen — Art. 54 Abs. 2 —; Abstimmung der einzelnen Investitionsvorhaben im Interesse der Gemeinschaft — Art. 54 Abs. 3 —; Recht der gutachtlichen Stellungnahme zu Investitionsvorhaben bzw. Verpflichtung zu einer solchen Stellungnahme auf Antrag der betreffenden Unternehmen — Art. 54 Abs. 4 — und schließlich mittelbare Befruchtung der Investitionstätigkeit durch finanzielle Förderung der technischen Forschung — Art. 55 —.
Sie sehen also, es ist in einer Fülle von Vorschriften als Aufgabe der Montan-Union hingestellt worden, die Produktion auszuweiten, die Produktionskapazität zu vergrößern. Es sollen also nicht etwa Produktionen beschränkt, sondern sie sollen
Einer Ihrer prominenten Vertreter machte meinem Fraktionsfreund Dr. Henle bei der ersten Lesung dieses Gesetzes einen Zwischenruf, der mich sehr, sehr nachdenklich gestimmt hat. Er warf ihm vor, er mache in Futurismus, und auf die Rückfrage, was das bedeute, kommentierte er diesen Zwischenruf dahin: er wolle damit versuchen, Herrn Dr. Henle zum Präsens zurückzuführen. Nun, meine Damen
1 und Herren, wir haben den Mut zum Futurum. Wir glauben an die Zukunft. Wir glauben, daß wir mit dem Schumanplan in der Zukunft ein Europa bauen können,
und wir hoffen — das ist jedenfalls unser Wunsch —, daß auch Sie durch Ihre Taten in der Zukunft dieses Europa nicht verneinen.
Jedenfalls sehen meine Freunde und ich keinen Sinn in einer Betrachtungsweise, wie sie in diesen Tagen wieder aufkommt, Äußerungen im französischen Parlament, Hoffnungen französischer Prägung, wie sie dort geäußert worden sind, vorzutragen, zu- sammeln und zu drucken, ja zu Briefen an einzelne unserer Kollegen zu verdichten und dann in einer Art Umkehrschluß diese Argumente für die deutsche Ablehnung zu benutzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, das gleiche Schema können selbstverständlich auch wir anwenden. Einer meiner Vorredner hat heufite an dieser Stelle schon gesagt: es ist ein Kleines, aus der ganzen Debatte eine Fülle auch solcher Argumente zusammenzustellen, welche unsere Argumentation geradezu fundieren.
Ich weiß nicht, ob wir das tun; vielleicht machen wir davon Gebrauch. Aber wenn wir es tun, dann nur, um damit zu demonstrieren, daß diese Methode der Gewissenserforschung und der Willensmeinung absolut verfehlt und absolut falsch ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sehen auch keinen rechten Sinn darin, daß hier geradezu eine kriegsstarke Infanteriegruppe aufgeboten wird,
um nun mit zehn Einzelargumenten, also sehr detailliert, den Schumanplan zu zerpflücken und von dorther dann den Versuch zu machen, ein Urteil zu gewinnen.
Ich bin der Meinung, daß nur ein Gesamtbild, nur eine Gesamtkonzeption, nur eine Gesamtwertung, nur eine gewissenhafte Untersuchung aller auch für den Plan sprechenden wirtschaftlichen Möglichkeiten es gestattet, hier ein richtiges Urteil abzugeben.
Meine Damen und Herren, dieses Urteil muß von einer europäischen Weite und darf nicht von einer nationalen Enge getragen sein. Wir sollen hier in diesen Tagen — das scheint mir doch der Sinn zu sein — europäische Geschichte machen. Beweisen wir vor dieser Geschichte, daß wir in diesen Tagen europäisches Format gehabt haben!
Das Wort hat der Abgeordnete Henßler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man sagt, daß doppelt oder vierfach genäht besser hält. Ich kann aber nicht feststellen, daß die vierfache Wiederholung derselben Argumente diese glaubhafter und richtiger macht,
insbesondere, wenn alte vier Herren über wichtige Tatsachen einfach hinwegreden. Unsere Stellung zum Schumanplan ist die gradlinige Fortsetzung unserer bisherigen Haltung. Wir bekennen uns zu einer europäischen Einheit unter voller deutscher
Gleichberechtigung. Das bedeutet aber nicht nur eine formale, sondern es muß eine effektive Einheit sein, die schon in ihrem Ausgangspunkt die Prinzipien der Gegenseitigkeit in Rechten und Pflichten herausstellt.
Der Herr Kanzler hat behauptet, wer diesem Plan nicht zustimme, der stimme gegen Europa.
Herr Dr. Adenauer, Sie haben kein Europa -Patent!
Gerade diese Bemerkung veranlaßt mich, darauf hinzuweisen, daß ich es mir spottbillig machen könnte, hier gegen Sie zu polemisieren, indem ich Sie an Reden erinnerte, die Sie vor knapp drei Jahren gehalten haben.
Damals haben Sie an die Adresse der Sozialdemokraten die Mahnung gerichtet, die Dinge doch nicht mit einer ausländischen Brille, sondern nur mit deutschen Augen zu sehen.
Sie haben in der Landtagsdebatte seinerzeit „entdeckt", daß der Verzicht auf die Bestimmung über die eigenen Bodenschätze und über die eigene Industrie einen Verstoß gegen das Naturrecht bedeute.
Sie haben erklärt, ein wirtschaftlicher Annexionismus sei viel schlimmer als ein politischer; denn beim politischen Annexionismus übernehme derjenige, der annektiere, die Verantwortung, hier aber habe er sie nicht mehr. Und Sie haben damals weiter erklärt, daß Frankreich auch alles erreicht habe, was es in seiner Denkschrift vom 4. Februar 1947 zur Ruhrkontrolle gefordert habe.
Herr Dr. Adenauer, Sie waren damals sehr unzufrieden mit uns, weil wir eine gemeinsame Demonstration auf Grund Ihrer Argumente abgelehnt,
aber in den Vordergrund gestellt haben, daß wir einen stetigen Kampf um die Revision führen würden mit dem Ziel: deutsche Gleichberechtigung in einer europäischen Einheit.
Inzwischen ist bei Herrn Dr. Adenauer eine Wandlung eingetreten. Jetzt kritisiert er uns an-' dersherum. Damals waren wir ihm nicht national zuverlässig genug, heute möchte er uns gern — er ist hier zwar vorsichtiger als in manchen Reden draußen — anhängen, daß wir Nationalisten geworden sind.
Sie können geltend machen, 'daß sich seitdem etliches geändert hat, daß wir heute vor einer anderen Situation stehen. Aber ich mache geltend: Nicht in allem! Auch nach dem Schumanplan bestimmen die anderen über die Bodenschätze und über die Industrie im Ruhrgebiet,
und Ihre Feststellung damals, daß Frankreich ungefähr alles erreicht habe, was es in seiner Denkschrift vom 4. Februar 1947 forderte, gilt auch mit keiner wesentlichen Einschränkung für den Schumanplan.
Er ist viel mehr Erfüllung als Verneinung der früheren französischen Forderungen.
Das ist nicht bloß unser Urteil, sondern ich kann
dafür ais Kronzeugen Herrn Schuman selbst anführen. Und Herr Etzel kann mich durch seine
Drohung nicht verleiten, darauf zu verzichten, aus
der Kammerdebatte in Paris hier das vorzubringen,
was ich für notwendig halte. Herr Schuman hat in
seiner Rede erklärt, in den dreieinhalb Jahren, seit
er die Führung der Außenpolitik habe, sei keine
Änderung in der französischen Politik eingetreten.
Man soll also damit aufhören, zu sagen, mit dem Schumanplan sei nun eine Wende eingetreten und unter das Vergangene sei ein dicker Schlußstrich gesetzt worden.
Herr Schuman hat noch etwas anderes betont: Er hat darauf hingewiesen, Frankreich sei wegen seiner Unerbittlichkeit in bezug auf Entgegenkommen gegenüber Deutschland immer angegriffen worden und hat betont, daß diese Politik der Festigkeit gegen Deutschland diesen Plan gebracht hat.
Es ist in der Debatte wiederholt darauf hingewiesen worden, daß ja auch die anderen Alliierten zustimmten. Das veranlaßt mich doch — insbesondere unter Hinweis darauf, daß Herr Schuman erklärt hat, seit dreieinhalb Jahren verfolge er dieselben Ziele —, daran zu erinnern, was General Clay in seinem Buch „Entscheidung in Deutschland" berichtet. Er veröffentlicht dort ein Kabeltelegramm vom 22. November 1948 an seine Regierung nach Amerika. Darin ist — ich zitiere wörtlich — zu lesen: „Trotz offizieller Erklärung, daß die Notwendigkeit des deutschen Wiederaufbaus anerkannt werde, zielen viele Maßnahmen der französischen Vertreter in Deutschland darauf ab, den Wiederaufbau hinauszuzögern". An einer anderen Stelle sagt er: „Wir Amerikaner beabsichtigen, so schnell wie möglich ein Deutschland zu schaffen, das sich selbst erhalten kann", weil es in einer gesunden europäischen Wirtschaft unentbehrlich sei. Dann fährt er wörtlich fort: „Unsere Anstrengungen. diese Zeitspanne möglichst zu verkürzen, stehen in krassem Widerspruch zu dem französischen Wunsch, den deutschen Wiederaufbau zu bremsen".
Lassen Sie mich noch eine dritte Bemerkung, insbesondere hinsichtlich der Frage Berlin und Ostzone bringen. General Clay -sagt in diesem Kabeltelegramm: „Besorgter noch bin ich über die französische Äußerung, die Teilnahme von Berliner Vertretern in Bonn gefährde den politischen Wiederaufbau Deutschlands . . . .
Die Franzosen sind in Wirklichkeit gar nicht für ein geeintes Deutschland mit der Hauptstadt Berlin."
Meine Damen und Herren, nach meinem Eindruck beim Studium der französischen Kammerdebatte war das Hervorstechendste daran, daß es dabei nicht etwa um ein europäisches Bekenntnis ging, sondern um ein nationalegoistisches. Die Montan-Union wurde in erster Linie unter dem Gesichtspunkt gesehen: Den Deutschen wird die Verfügung über die Ruhr genommen. In diesen Gedanken eingeordnet war das ganz deutlich erkennbare Ziel einer strukturellen Veränderung der Wirtschaft an der Ruhr.
Sie soll ein europäischer Kohlelieferant werden. Aber man macht sich viel Sorge und Mühe darum, die eisen- und stahlschaffende Industrie in ihrer Entwicklung zu hemmen. Man könnte über diese Debatte als Motto einen Satz aus einer Rede des Berichterstatters setzen, daß das Ziel sei, „die Ruhr in ihrem gegenwärtigen Zustand festzuhalten". Da frage ich: Was hat dieses Ziel mit dem Schumanplan zu tun, wie er uns veridealisiert wird?
Meine Damen und Herren, eine andere Bernerkung, die bei dieser Gelegenheit fiel! Herr Schuman erklärte, seine Regierung hätte die Ratifizierung nicht gefordert, wenn sie im Zweifel darüber wäre, daß die Entflechtung komme. Diese Bemerkung kann nur so aufgefaßt sein, daß man damit einen endgültigen Zustand meint.
Eine andere Bemerkung des Herrn Pleven: Der Vertrag bringt Frankreich eine Sicherung in bezug auf Kohle und Koks, „die es niemals gehabt hat".
Was kann demgegenüber an gleichwertigem Positivem für das deutsche Interesse herausgestellt werden?
Für Frankreich das Lob: Wir sind nun aller Kohle-und Kokssorgen enthoben! Für die Bundesrepublik müssen wir aber feststellen, daß in Mangelzeiten eine genügende Belieferung der eigenen Volkswirtschaft unsicher ist.
— Meine Damen und Herren, zwischen 1926 und heute ist ein großer Unterschied. Bedenken Sie, daß 1926 die Ruhrkohlenförderung ungefähr 63 % unserer Gesamtkohlenförderung betrug, während sie heute nach dem Verlust der anderen Gebiete über 90 % ausmacht.
Herr Dr. Adenauer und Herr Dr. Hallstein haben uns wiederholt erklärt, daß sie bei den Verhandlungen als Gleichberechtigte geachtet wurden. Wir nehmen mit Befriedigung davon Kenntnis. Es geht aber um mehr, es geht darum, daß auch die tatsächliche Gleichberechtigung Deutschlands und nicht bloß die Gleichberechtigung seiner Vertreter und seiner Verhandlungsbeauftragten erreicht wird.
Ich kann nicht finden, insbesondere nicht nach dem eigenen Zugeständnis des Herrn Schuman, daß er das Lob verdient, das ihm der Herr Bundeskanzler schon gezollt hat: daß er sich mit der Schöpfung des Schumanplans als eine weitblickende, über enge nationale Interessen hinwegsehende europäische Persönlichkeit erwiesen habe. Ich glaube, da hat Herr Generaldirektor Kost viel eher den Nagel auf den Kopf getroffen, als er als Motiv für den Schumanplan angab: „Das Interesse Frankreichs, für seine ausgebaute Stahlindustrie ausreichend und billig Ruhrkohle ünd -koks zu
erhalten und andererseits französische 'Stahlerzeugnisse frei in Deutschland absetzen zu können, hat offensichtlich von der wirtschaftlichen Seite her die Anregung zum Schumanplan gegeben."
Er kommt weiter zu der Feststellung, der Start innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sei für Deutschland ungünstiger als für die anderen Länder.
— Warum ziehen Sie daraus überhaupt kein& Konsequenzen?
(Abg. Dr. Preusker: Nein, die Bleiplatten
kommen jetzt heraus!)
Man kommt mit der Feststellung: Alles, was bisher diskriminierend war, ist ja nun beseitigt. Beispiel: Die Ruhrbehörde besteht nicht mehr. Ich habe schon in der ersten Lesung die Frage aufgeworfen: Was kommt danach? Wird mit der Aufhebung der Ruhrbehörde ein bestimmtes politisches und wirtschaftliches System beendet? Ich habe dieselbe Frage bei der Eisen- und Stahlindustrie aufgeworfen: Besteht, wenn die Kapazitätsbeschränkung aufgehoben wird, Sicherheit, daß auch die deutsche Hüttenindustrie die nötigen Rohstoffe
— Kohle, Koks, Erz und den Schrott — bekommt? Wir haben ja heute gehört, daß gerade nach dieser Seite hin eine Einschränkung erfolgt. Die Alliierten werden das Gesetz Nr. 27 weiter durchführen, bzw. zu Ende führen. Ich sehe noch nicht klar, welche Bedingungen damit auch nach der Seite der Investitionen hin verbunden sind. Man müßte nun nach den Darlegungen des Herrn Bundeskanzlers annehmen, daß, wenn die Alliierten dieses Gesetz endgültig durchgeführt haben, am nächsten Tage der Zeitpunkt ist, zu dem man sagen kann, daß das Gesetz nun nicht mehr gilt.
— Ja, darüber haben Sie ja selbst noch Zweifel. Die Zweifel sind auch heute in der Rede zum Ausdruck gekommen, die der Herr Berichterstatter gehalten hat. Warum kommen 'Sie, wenn Ihnen das so bombensicher ist, mit Ihrem Antrag?
Bei diesem Antrag ist nur verdächtig, warum Sie nicht klar fordern, daß dieses Gesetz Nr. 27 verschwindet, sondern sich ein Hintertürchen offenlassen mit der Bemerkung: Wir wünschen befriedigende Erklärungen. Ich habe mich gewundert, daß gesagt wurde: Das fällt nicht unter den Schumanplan, das ist noch Fortsetzung des Besatzungsrechts
— also noch so ein Rudiment aus der Zeit der Strafpolitik der Sieger gegen die Besiegten. Ja, meine Damen und Herren, wo bleibt der neue Geist, wenn dies mit übernommen werden muß?
Es hat mit dem Schumanplan nichts zu tun, sicher,
es steht nicht im Schumanplan. Aber das ist doch
d i e Diskriminierung, die weiter bestehen bleibt,
das ist die Diskriminierung, die keinen Ausgangspunkt für eine Gleichberechtigung zuläßt.
— Ich komme darauf noch zurück.
Auch da verweise ich auf die Debatte im französischen Parlament. Ich zitiere den Berichterstatter des Ausschusses.
— Nun, ich nehme einen; das ist selbstverständlich. Der Berichterstatter hat erklärt:
Nach dem Wortlaut des Vertrages muß die deutsche Kohle auf autoritärem Wege auf Veranlassung der Hohen Behörde in Zeiten des Mangels zugeteilt werden.
Und nun kommt das Wesentliche:
Wenn man die Zusammensetzung der Hohen Behörde mit der Zusammensetzung der Ruhrbehörde vergleicht, dann wird man feststellen, daß die erste für uns nicht ungünstiger ist als die zweite.
Noch kennzeichnender ist es, daß dieser Berichterstatter in seiner Rede betont hat, Herr Professor Baade habe den Tatbestand sehr gut verstanden, als er geschrieben habe:
Der Schumanplan schließt die Gefahr in sich, daß das Besatzungsrecht, das widerrechtlich ist, Teil des Völkerrechts wird, da wir selbst einem Ausschuß unser Recht abtreten, die Mengen und die Preise der Kohle für den Export festzulegen.
Aus der weiteren Debatte ging hervor, daß man von dieser Verlagerung von der Ruhrbehörde zur Hohen Behörde sogar erwartet, daß Frankreichs Interessen künftig noch besser berücksichtigt werden, als das unter der Ruhrbehörde der Fall war.
Es ist interessant, daß in dieser Debatte dann einige Zahlen über den Verbrauch von Kohle in Frankreich bekanntgegeben wurden. Frankreichs Kohlenförderung 1951 betrug 54 Millionen t. Dazu kommen rund 19 Millionen t Einfuhr bei 2 Millionen t Ausfuhr. Der größte Teil der Einfuhr, kam aus Deutschland. Das war zur selben Zeit, als hier an der Ruhr die Hüttenwerke bis zu 50 % amerikanische Kohle verwenden mußten!
Nun können Sie sagen: Das soll anders werden. Ich bin neugierig darauf, welche Erklärung Sie abgeben können. In der Ruhrbehörde hatten die Länder, die künftig die Montan-Union nach dem Schuman-Plan bilden sollen, eine Mehrheit, neun von fünfzehn Stimmen. Was hätte sie gehindert, jetzt schon Deutschland gegenüber größere Gerechtigkeit walten zu lassen?
Und wo sind die Garantien dafür, daß künftig die Vertreter dieser Länder in der Hohen Behörde anders entscheiden werden, als die Vertreter dieser Länder in der Ruhrbehörde entschieden haben?
Noch etwas anderes war für mich sehr eindrucksvoll. Als der Berichterstatter darauf hinwies, daß Deutschland zwei große positive Beiträge geleistet habe, und zwar einmal die Einbringung seiner
Hilfsquellen, d. h. Verzicht auf die Privilegierung der eigenen Volkswirtschaft, und zum anderen die Entflechtung an der Ruhr, da meinte er, daß er selbst schon höre, wie jetzt gesagt werde: „Wen wollen Sie glauben machen, daß Deutschland das ohne Gegenleistung getan habe?" Er verwies darauf, daß die Gegenleistung auf Grund einer Rede des Herrn Bundeskanzlers auf dem politischen Gebiet gesehen werden müsse. Mir genügt in diesem Zusammenhang die Feststellung, daß zwei ganz bedeutsame deutsche Beiträge im Schumanplan gegeben werden, ohne daß im Schumanplan eine Gegenleistung für Deutschland erfolgt.
Auch heute wieder hat der Herr Bundeskanzler darauf hingewiesen, daß die französischen Industriellen unsere Bundesgenossen in der Ablehnung des Schumanplans seien. Wer ist Herr Monnet? Gehört er nicht zu den ersten Männern der Industrie in Frankreich, insbesondere der Grundstoffindustrie?
In der französischen Kammer ist im Gegensatz zu diesen Feststellungen des Herrn Bundeskanzlers stolz von dem Vorsprung gesprochen worden — es war der Minister René Mayer, der davon sprach —, den die französische Stahlindustrie in Lothringen habe, die 700/0 der französischen Produktion besitze. Es wurde weiter betont, daß auch das nördliche Gebiet frei von jeder Sorge vor der deutschen Stahlindustrie sein könne. Hier befinden sich weitere 20 % der französischen Produktion. Weiter hat Herr René Mayer erklärt: „Wir sind im Vorsprung, und diesen Vorsprung halten wir." Er hat noch betont, daß, wenn die französischen Investitionen fortgesetzt würden, Lothringen in Europa in einer nahezu einzigartigen Position stehen werde.
Das sind die offiziellen Feststellungen, die dazu gemacht wurden. Es wäre vielleicht gut, wenn wir diese Feststellungen auch unter dem Gesichtspunkt beachten würden, daß die Hohe Behörde nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, ihrerseits die Investitionen an dem günstigsten Standort zu fördern. Sie können mir gegenüber geltend machen, daß nicht das französische Parlament und nicht die französische Regierung darüber entscheidet, wo der günstigste Standort ist, sondern daß das eine Aufgabe der Hohen Behörde ist, die ihre Tätigkeit „in voller Unabhängigkeit im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft ausüben soll." Aber zunächst die Bemerkung: Der Hinweis, daß die Hohe Behörde auslegt, gilt auch für die Mehrheit in unserem Wirtschaftspolitischen Ausschuß. Auch da können Sie nur mit Mehrheit beschließen: Wir sind der Auffassung, daß die Hohe Behörde eine so und solche Auslegung geben wird.
Wir wollen doch die Dinge beim Namen nennen. Die Hohe Behörde hat zwar eine übernationale Aufgabe, und sie kann nicht Aufträge von einzelnen Regierungen bekommen. Aber diese Hohe Behörde kommt ja nicht vom Himmel, sie wird von den Regierungen ernannt, die Partei sind und die Parteivertreter in diese Hohe Behörde schicken werden.
Entscheidende Teile des Vertragswerkes sind reine Ermessensfragen; da hat die Hohe Behörde geradezu eine umfassende Vollmacht, und Korrekturen sind außerordentlich schwierig.
Ich will dafür ein Beispiel anführen. Bisher ist es immer unter Berufung auf den Schumanplan als eine geradezu selbstverständliche Sache hingestellt worden, daß die Ruhr den Vorrang auf Investitionshilfe haben muß, wenn sie geltend machen kann, daß sich an der Ruhr mit geringerem Aufwand eine Leistungssteigerung und Verbilligung der Produktion erreichen, besser erreichen läßt als anderswo. Eine solche Auslegung ist auch von einem Abgeordneten in der französischen Kammer vorgenommen worden. Daraufhin hat ihm der Außenminister Schuman erklärt: „Sie haben mich nicht überzeugt!" Selbst in diesem Falle also eine große Verschiedenheit in der Auslegung. Wir haben nicht die geringste Sicherheit, daß die Auffassungen, die die Mehrheit bei uns hatte, auch von der zuständigen Instanz irgendwie geteilt werden. Ich sehe nur die eine Tatsache, daß von den sechs Ländern fünf da sind, die Anspruch auf Kohle haben, und daß hier eine Interessengemeinschaft da ist, die Deutschland gefährlich werden kann, wenn nicht konkreter, als es im Schumanplan geschieht, bestimmte Rechte und bestimmte Pflichten festgesetzt werden.
Meine Damen und Herren! Ich habe mich gewundert, wie sehr man heute zu bagatellisieren versucht hat, welche Möglichkeiten der Einflußnahme die Hohe Behörde auf die Investitionen hat.
— Dann haben Sie vom Schumanplan nichts gelesen, oder Sie verschweigen es.
Die Hohe Behörde hat die Einflußmöglichkeit, selbst Kredit zu geben; sie hat die Möglichkeit, Bürgschaft zu übernehmen, und sie hat andererseits die Möglichkeit, eine „ungünstige Stellungnahme" auszusprechen, die einem Verbot gleichkommt, irgendwelche fremden Mittel bei der Investition zu benutzen. Ich glaube, man sollte sich darüber einig sein, daß hier ganz große Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Investierungen vorliegen.
— Das wissen Sie ja noch gar nicht!
Meine Damen und Herren! Ich bin der Meinung, daß bei der gegenwärtigen Lage — und davon müssen wir mindestens in bestimmten Punkten _ ausgehen — eine „ungünstige Stellungnahme" gegen einen großen Investitionsplan bei uns praktisch schon bedeuten würde, daß dieser Investitionsplan damit erledigt ist.
— Ach Gott, wissen Sie, ich habe mehr Erfahrungen mit Gerichten als Sie; und deshalb bin ich auf diesem Gebiet ungläubig.
Meine Damen und Herren, es bleiben da soviele
Zweifelsfragen. Wir haben noch von der alten
Instanz das Verbot bekommen, eine Ersatzpresse
im Dortmund-Hörder Hüttenwerk „Union" für die demontierte 10 000-t-Presse aufzustellen. Wir haben nur eine für 7 500 t beantragt. Sie ist verweigert worden. Es ist uns bekannt, daß dabei Frankreich in erster Linie der Verweigerer war. Es ist verweigert worden mit dem Bemerken, wir hätten Kapazität genug.
Meine Damen und Herren! Vor einiger Zeit — oder es war, glaube ich, bei der ersten Lesung — hat der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer selber davon gesprochen, daß man eine gewisse Ausgeglichenheit der einzelnen nationalen Wirtschaften zum besseren Funktionieren des Zusammengefaßten erstreben müsse. Ich darf darauf hinweisen, daß es z. B. an Schmiedepressen über 4 500 t in Deutschland noch eine gibt, obwohl Deutschland noch die größte Kapazität an Eisen- und Stahlerzeugung hat, demgegenüber aber vier in Frankreich,
demgegenüber vier in Italien, demgegenüber sechs in Rußland, fünf in Japan usw.
— Das ist ein blöder Zwischenruf!
Meine Damen und Herren! Bei den Breitbandstraßen ist es genau so: zwei in Frankreich. Es ist in der französischen Kammer gesagt worden: Zwei genügen, und die haben wir. — In Wirklichkeit sind mehr da. Es gibt eine in Luxemburg, eine in Belgien und eine in Holland.
Meine Damen und Herren! Wenn die deutsche Industrie in dem zerschlagenen Zustande bleibt, wie er durch die Demontage entstanden ist, und wenn mit dem Hinweis auf in der Zwischenzeit in anderen Teilen des sogenannten Schumanplan-Gebiets aufgerichtete Kapazitäten Investitionen an der Ruhr verhindert werden, dann liegt darin eine ganz erhebliche Benachteiligung der deutschen Wirtschaft. Das wäre auch eine Benachteiligung der Arbeitsmöglichkeit an der Ruhr.
Aber es ist ja nicht nur die Frage einer ausreichenden Investitionsfreiheit; damit ist nur ein Teil des Investitionsproblems angesprochen. Wir haben die Sicherstellung des vordringlichen deutschen Investitionsbedarfs in der Stahlerzeugung durch den Abschluß zusätzlicher Abkommen zu den bisherigen Übergangsabkommen gefordert. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn sich der Herr Berichterstatter darauf beschränkt hätte, zu sagen: Das läßt sich nicht erreichen. Aber ich wundere mich außerordentlich — wenn ich es richtig gelesen und richtig gehört habe —, daß erklärt wurde, diese Forderung sei auch nach Auffassung der Mehrheit unseres Ausschusses nicht mit dem Gedanken der Gleichbehandlung aller vereinbar. Meine Damen und Herren, ich stelle hier eine erschütternde Bescheidenheit in der Geltendmachung berechtigter deutscher Ansprüche fest.
In einer solchen bevorzugten Behandlung hätte ich keinen Verstoß gegen die Gleichbehandlung erblickt, sondern ihre Herbeiführung, weil durch teilweise Beseitigung einer bewußt herbeigeführten Benachteiligung beim Start eine solche Gleichbehandlung angestrebt würde.
Dann wurde gesagt: Entscheidend werden also bis auf weiteres die innerdeutschen Anstrengungen zur Beschaffung der Milliardenbeträge an Investitionsmitteln sein. Als ich das las, habe ich an die geradezu jämmerlichen Verhandlungen bei der Beratung des Investitionshilfegesetzes gedacht.
Die deutsche Eisen- und Stahlindustrie ist verkauft, wenn sie auf diese Bereitschaft und auf diese Hilfe angewiesen ist, es sei denn, daß man mit der Zeit noch etwas dazulernt.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mit wenigen Sätzen noch einen Punkt berühren, der nicht im engeren Sinne zum Schumanplan gehört. Ich denke an das seinerzeitige Gesetz Nr. 75, in dem gesagt wurde, daß Produktionseinheiten mit günstiger Leistungsfähigkeit entstehen sollten. Es wurde betont, die Stahltreuhändervereinigung solle die Möglichkeit haben, die Einschließung zusätzlicher Aktiva der früheren Eisen-, Stahl- und Kohlenbergbaukomplexe zu empfehlen, um feste wirtschaftliche Einheiten einer Größe und eines Umfangs zu schaffen, die fähig sind, die Stahlherstellungsindustrie in Wettbewerb mit den Weltmärkten zu setzen. Ich glaube, man muß heute feststellen, daß die Alliierten, die hier die Verantwortlichen sind, von dieser Verpflichtung, die sie zugunsten der Eisen- und Stahlindustrie an der Ruhr übernommen haben, meilenweit abgerückt sind.
Wenn man im einzelnen die Gründe feststellen könnte, dann würde man auch hier wieder bemerken, daß es nicht zuletzt der Einfluß der französischen Kreise war, die Frankreich zum Mittelpunkt der Eisen- und Stahlerzeugung machen wollen. Das hat mit Europa gar nichts zu tun.
Meine Damei und Herren, es ist notwendig, einen kleinen Vergleich der Lage der beiderseitigen Hüttenindustrien anzustellen. Seit 1946 bis Mitte 1951 wurden in Frankreich Neuanlagen im Werte von zirka 2 Milliarden DM zu 70 % aus Marshall-geldern finanziert. Dieser Investitionsplan läuft weiter bis 1953 in einer Gesamthöhe von ungefähr 3,5 Milliarden DM.
Und demgegenüber der Zustand in Deutschland! Während man in Frankreich aufbaute, wurde bei uns eingerissen.
Wenn wir dafür einen Ausgleich verlangen, dann
wird uns erklärt: Das ist ein Verstoß gegen das
Prinzip der Gleichmäßigkeit und der gleichen Behandlung. Da komme ich einfach nicht mehr mit!
Meine Damen und Herren, die deutsche Industrie hatte Demontageschäden in Höhe von ungefähr 1,23 Milliarden DM, berechnet nach den Angaben der Notgemeinschaft der reparationsgeschädigten Industrien und berechnet nach dem Wert im Zeitpunkt der Demontage. Ganze 217 Millionen DM sind bis jetzt als Kredit der Eisen- und Stahlindustrie aus den Gegenwertmitteln zugute gekommen.
Ich will darauf verzichten, im einzelnen Werke anzuführen. Man darf aber nicht bloß die Höhe des Demontageschadens sehen, sondern muß noch hervorheben, daß man überall ein Kernstück her-
ausgenommen hat, so daß eine außerordentliche Verzögerung in der Produktion eingetreten ist und der kontinuierliche Arbeitsprozeß völlig unterbunden wurde. Zum Teil müssen Rohblöcke erst wieder in andere Hüttenwerke zu einer gewissen Teilverarbeitung geschickt werden, um dann wieder zurückgeholt zu werden. Wenn man mir da sagt: Gott, das ist alles so nebensächlich,
das wird alles demnächst aufgehoben — —
— Dann lesen Sie doch Ihre eigenen Reden von heute nachmittag nach,
wie Sie immer erklärt haben: Wir kamen zu dem Ergebnis, daß die deutsche Eisenindustrie trotz all dieser Belastung in der Lage ist, die Konkurrenz zu bestehen. In diesem Fall allerdings gehen Sie immer von der'gegenwärtigen Situation aus. Sonst erklären Sie: Man darf den Ausgangspunkt nicht vom Gegenwärtigen nehmen!
Noch ein anderes Beispiel. Ich würde darauf verzichten, aber man muß Ihnen Leute aus Ihrer eigenen Richtung anführen. Im Mai 1951 sah sich der Geschäftsführer der Eisenhüttenleute in Düsseldorf veranlaßt, im „Volkswirt" einen ausdrücklichen Protest dagegen loszulassen, daß es nach amerikanischer Auffassung nicht auf die Sicherung der Beschäftigung in der eisenschaffenden Industrie ankomme, sondern nur darauf, daß die eventuell frei werdenden Stahlarbeiter im Bergbau aufgenommen würden.
Ich stelle zwei wesentliche Punkte heraus. Nach den französischen Zielsetzungen ist die Ruhr in ihrem, gegenwärtigen Zustand festzuhalten, und der französische Vorsprung ist durch staatliche Subventionen und Beihilfen — die ausdrücklich beschlossen wurden — sicherzustellen. Ich möchte eine ganz klare Antwort haben: Inwieweit sind diese Zielsetzungen vereinbar mit Sinn und Geist des vorliegenden Vertragswerkes?
In der Vertragsbegründung wird betont: „Der Kern des Vertragswerkes liegt in der Errichtung der Europäischen Gemeinschaft."
Ich habe in den Erklärungen der französischen Regierungsmänner nichts davon gelesen und gehört.
Es heißt weiter: „Hoheitsfunktionen über die beiden Grundstoffindustrien werden aus der Zuständigkeit der Vertragsstaaten ausgegliedert und der Europäischen Gemeinschaft übertragen." Ich lese aus der Kammerdebatte in Frankreich — soweit die französischen Auffassungen in Frage kommen — genau das Gegenteil heraus.
Ich glaube, die große Zahl der Vorbehalts-JaSager wäre auf Grund dieser Sachlage zu einem ernsten Nachprüfen gezwungen. Ob sie aus den Gewerkschaften, aus der Industrie oder aus der Wissenschaft kamen, sie stimmten überein, daß vorher Garantien über eine tatsächliche Gleichberechtigung gegeben werden missen.
Damit meinte man die Regelung des Kohleabsatzes. Sie ist nicht da. Damit meinte man die Aufhebung
der Entflechtung. Es wird uns mitgeteilt: Sie wird weiter durchgeführt.
Damit meinte man auch ganz klare Festlegungen sicherer Gleichbehandlung in der Frage der Investitionen mit dem Anspruch, angesichts des Nachholbedarfs, der durch politische Schuld verursacht wurde, zu den Bevorzugten zu gehören.
Lassen Sie mich zum Schluß eine kurze Bemerkung zur Sozialisierung machen.
— Ja, ich glaube, Sie wären nicht traurig, wenn der Art. 83 gar nicht im Schumanplan stände!
Aber mir genügt das nicht, und auch da wieder muß ich Ihnen sagen, selbst einer der Sachverständigen der Regierung war doch der Auffassung, daß man unter Umständen sehr wohl bei der Anwendung des Art. 83, d. h. wenn man daraus auch organisatorische Konsequenzen ziehen will, damit rechnen müßte, daß das unter Hinweis auf Art. 67 verboten wird. Aus all den Gründen sind wir der Auffassung, daß das Gutachten des Hamburger Universitätsprofessors Ritschl heute noch stimmt — trotz der angeblich völligen Beseitigung aller diskriminierenden Regelungen. Er kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis:
Die Überprüfung des wirtschaftlichen Charakters der Bedingungen und wahrscheinlichen Folgen der im Schumanplan vorgesehenen Gemeinschaft für Kohle und Stahl führt eindeutig zu dem Ergebnis, daß es nicht im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands liegt, den Schumanplan anzunehmen.
Wir sagen nicht nein, weil wir nicht Europa wollen, sondern weil wir einen richtigen Anfang für Europa wollen!
Vizepräsident Dr. » Schmid: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Preusker als Berichterstatter.
Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß mein Herr Vorredner mindestens einige Sätze und Stellen des Berichts völlig mißverstanden hat. Um dieses Mißverständnis gleich für die weitere Diskussion auszuräumen, darf ich kurz noch ein-. mal die Stellen, die sich mit der Frage der Bevorrechtigung, der Berücksichtigung des deutschen Investitionsnachholbedarfs befassen, hier zitieren. Es heißt auf Seite 13 des Berichts:
Diese Feststellung ist bedeutsam im Zusammenhang mit den Punkten 2 der Bundesratsbeschlüsse gemäß Drucksache Nr. 2401 bzw. des Antrages der Fraktion der SPD gemäß Drucksache Nr. 2484, . . .
Das sind die Punkte, die sich mit der Forderung nach einer Bevorzugung des deutschen Nachholbedarfs befassen, und da sagte der Herr Vorredner, er hätte es verstanden, wenn der Ausschußbericht festgestellt hätte, man habe hier nichts erreicht, und er müsse sich wundern — so habe ich seine Worte in Erinnerung —, daß nicht diese Feststellung getroffen wurde, sondern eine ganz gegenteilige.
Zunächst wird ohne Zweifel in den weiteren Zeilen festgestellt, daß Deutschland etwas, was die Fraktion der SPD gefordert hat, nämlich eine direkte vertragliche Verankerung, nicht erreicht hat, daß es aber die Forderung, die der Bundesrat erhoben hat, durchaus erreicht hat. Gestatten Sie mir, das jetzt zu zitieren:
Wohl aber sei der Empfehlung des Bundesrates tatsächlich durch die Hinzufügung des Absatzes 3 zum § 29 der tlbergangsbestimmungen, der speziell den deutschen Investitionsnachholbedarf und die Remontage im Sinne gehabt habe, weitgehend Rechnung getragen worden. In diesem Absatz heißt es, daß für einen Zeitraum von maximal '7 Jahren nach Inkrafttreten des Vertrages gewisse Schutzmaßnahmen, die sich bis zur Quotierung der Marktanteile steigern, für die Stahlindustrie eines Landes in Anspruch genom-
, men werden können, wenn sich innerhalb dieses -Zeitraumes eine Anpassung „infolge einer Mangellage oder Fehlens von Geldmitteln, die die Unternehmen aus ihrem Betrieb hätten herausziehen können oder die ihnen hätten zur Verfügung gestellt werden können" nicht durchführen ließ.
Zweifellos treffen diese Tatbestände in vollem Umfang auf die deutsche Stahlindustrie zu. Die Möglichkeiten, die in § 29 gegeben sind, nämlich erstens einer Begrenzung von Nettolieferungen, zum zweiten preislicher Maßnahmen und zum dritten sogar der Einführung von Produktionsquoten zugunsten dieser Stahlindustrie, sind ja doch ausgesprochene Schutzbestimmungen.
Auch der Ausschußbericht stellt weiterhin zu den Finanzierungsfragen fest — das steht ebenfalls auf Seite 13 —, daß der Schumanplan eine zusätzliche Chance schafft, die der wirtschaftlich und standortmäßig besonders günstigen deutschen Stahlindustrie nach dem ökonomischen Prinzip des Vertrags bevorzugte Aussichten bietet; er stellt aber ausdrücklich klar, daß es dafür keine Sicherheit gibt. Ich darf an die Ausschußberatungen erinnern, bei denen wir uns alle darüber klar waren, daß es noch eine sehr offene Frage ist, ob die Hohe Behörde unter den gegenwärtigen Zuständen überhaupt genügend Kreditmittel aus der ganzen Welt zusammenbekommen wird. Ich darf als Berichterstatter einen weiteren Punkt noch einmal klarstellen, insbesondere nachdem der Herr Vorredner mir in diesem Punkt Unkenntnis des Vertrages vorgeworfen hat.
Darüber war sich die Mehrheit, nach der Prüfung sowohl im Außenpolitischen wie im Wirtschaftsausschuß, nun wirklich völlig einig
— ich zitiere nur als Berichterstatter! —, daß die Meinung, die Hohe Behörde könne Investitionen auch darin auf die ausschließliche Finanzierung durch Eigenkapital beschränken, wenn durch sie in anderen Ländern der Gemeinschaft eventuell Subventionen, Beihilfen, Schutzmaßnahmen und sonstige Diskriminierungen heraufbeschworen werden könnten, schlechthin als unsinnig angesehen werden muß. Diese Auffassung wird in jedem Punkte auch durch die französischen Berichte erhärtet. Eine ungünstige Stellungnahme des Ausschusses — das stellt der Bericht nach wirklich eingehender Prüfung fest — ist unter den von dem
Herrn Vorredner genannten Voraussetzungen völlig undenkbar.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schöne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vertrag über die europäische Montan-Union will als wirtschaftspolitisches Ziel den gemeinsamen Markt für die Grundindustrien. Der Vertrag sieht daher verhältnismäßig präzise Regeln für den, wie vorhin schon gesagt wurde, „organisierten Wettbewerb", ich möchte sagen „für das Verhalten am Markt" vor. Aber darüber hinaus will der Vertrag einen Fortschritt. Er will nicht statisch sein; er will dynamisch sein. Er will einen Fortschritt auf der Grundlage des gemeinsamen Marktes. Faßt man dieses dynamische Prinzip ins Auge, dann darf nicht übersehen werden, daß ein jeder Wettlauf zwei Teile kennt, nämlich Beste oder Bessere und Schlechtere, die zurückbleiben, d. h. das Vordringen des einen geschieht stets auf Kosten der anderen. Das andere, was man immer im Auge behalten muß, ist, daß sich auch vom Markt aus Rückwirkungen auf die Produktion ergeben. Für diese Produktionssphäre, was die Grundindustrien angeht, ist der wirtschaftspolitische Sinn des Vertrags im Grunde eine Standortverschiebung zum besten Wirt, d. h. eine durchgreifende Strukturverschiebung, und aus dieser Tendenz der Standortverschiebung ergibt sich für uns die Sorge um die Gleichheit der Startpositionen.
Der Kollege Henßler hat bereits eine allgemeine Umschau auf die Bedingungen gehalten, unter denen wir starten sollen. Ich möchte hier nur ein paar Worte zu den speziellen Startbedingungen für die deutsche Eisenwirtschaft sagen und mich dabei weniger auf einen „Katalog der Fesselungen" einlassen, sondern mehr auf die Auswirkungen hinweisen und ganz besonders die Tendenz der Standortverschiebung herausstellen.
Ich darf ins Gedächtnis zurückrufen, daß nach allgemein anerkanntem Sachverständigenurteil das Fundament der deutschen Eisenwirtschaft einmal in der Verbindung zwischen Hütte und Weiterverarbeitung und zum andern in dem Verbund, insbesondere zwischen Zeche und Hütte, zwischen Kohle und Eisen bestand. In beide Grundlagen der deutschen Eisenwirtschaft hat das Gesetz 75 respektive das Gesetz 27 erheblich und hart eingegriffen, und zwar durch eine Zersplitterung der Komplexe und durch ein Zerreißen der Verbundwirtschaft.
Zur Zersplitterung der Komplexe auf dem Gebiet der Eisenwirtschaft möchte ich sagen, daß früher im Ruhrgebiet 11 stahlerzeugende Unternehmen vorhanden waren. Das theoretische Ziel des Gesetzes 75, respektive des Gesetzes 27, war folgendes: Es wollte eine Dezentralisation der deutschen Wirtschaft mit dem Ziel, eine übermäßige Konzentration wirtschaftlicher Macht zu beseitigen, zum andern wollte es eine Umgestaltung mit dem Ziel, der Gesundung der deutschen Wirtschaft zu dienen. Professor Ophüls sagt dazu wörtlich:
Die Bestimmungen beabsichtigen, das deutsche Wirtschaftsleben in seiner Struktur in bestimmter Richtung zu ändern und diese Strukturänderung zu konservieren.
Diese Strukturänderung sollte geschehen, wie vorhin bereits erwähnt wurde, durch die Bildung wettbewerbsfähiger Einheiten, und zwar nicht nur in eigener Volkswirtschaft wettbewerbsfähiger Einheiten, sondern auch im Verhältnis zur Weltwirtschaft. So wurde es verkündet, eigentlich bereits bevor das Gesetz 27 da war, noch in den letzten Zügen des Gesetzes 75. Die Praxis jedoch sah anders aus. Die ersten Vorschläge gingen auf eine Neugruppierung von 34 Gesellschaften. Das Memorandum der Alliierten Hohen Kommission vom Dezember 1950 formulierte sogar die Forderung einer „Höchstzahl" von Unternehmungen, und die Bundesregierung hat dann, — ich zitiere —: „im Hinblick auf den bevorstehenden Abschluß des Schumanplans" — ich glaube, Herr Bundeskanzler, hier besteht doch eine gewisse Verbindung zwischen dem Gesetz Nr. 27 und dem Schumanplan! — einen „Gesamtplan" ausgearbeitet, der auf 23 Gesellschaften abzielte. Das Ergebnis der Verhandlungen war dann, daß 24 Gesellschaften entstehen werden.
Diese Zerreißung der Einheiten kann man nur werten, wenn man sich noch einmal an die Zielsetzungen erinnert, nämlich die Beseitigung von Konzentrationen wirtschaftlicher Macht zum einen und zum andern eine Umgestaltung zu einer Gesundung der deutschen Wirtschaft, beides Ziele, mit denen man voll und ganz einverstanden sein kann: Ich möchte hier ganz deutlich erklären, daß keiner von uns den machtvollen Hyperkonzernen der Vergangenheit auch nur eine Träne nachweint! Aber ist im Zuge des Gesetzes Nr. 27 nicht etwas zu reichlich und zu schnell vorgegangen worden? Ist man nicht zu einer Atomisierung statt zu einer Dekonzentration gekommen? Die Großindustrie braucht bestimmte Größen, weil nur sie Rationalisierung und Modernisierung gestatten und den Arbeitsplatz sichern. Sie braucht optimale Größen. Ich darf erwähnen, daß ein internationaler Sachverständiger, François Gérard, die optimale Größe von Hüttenwerken bei 2,4 Millionen t pro Jahr ansetzt, während unsere neuen Gesellschaften jetzt knapp die Hälfte haben werden. Hinzu kommt bei uns, daß die Vertragsbindungen zwischen den einzelnen Gesellschaften außerordentlich ersehwert sind. Einmal hat man die einzelnen Unternehmungen mehr als Torsen hingestellt; man hat nicht den Blinden und den Lahmen miteinander gekoppelt, sondern Blinden plus Blinden und Lahmen plus Lahmen,
und hat nun die einzelnen Gesellschaften noch dadurch gegeneinander abgegrenzt, daß die Mustersatzungen die Vertragsfreiheit der einzelnen Gesellschaften einfach beschränken. Endlich hat man die personelle Verzahnung zwischen den einzelnen Gesellschaften beseitigt. Diese Erkenntnis muß man sich bei einer Kritik des Schumanplans vor Augen halten, denn es gibt eine Chance des Schumanplans: Zusammenschlüsse zum Zwecke der Spezialisierung der Produktion im Interesse der Leistungsfähigkeit durchzuführen.
Der Zweck meiner Ausführungen war, Ihnen zu zeigen, daß bei dieser, ich möchte sagen „Sortierung der deutschen Stahlindustrie" die Möglichkeit der Ausnützung dieser Chance verhältnismäßig gering ist. Zur vollen Tragweite der Situation kommt man jedoch erst, wenn man der übermäßigen Dekonzentration der deutschen Eisenwirtschaft die Entwicklung der Eisenwirtschaft in Frankreich gegenüberstellt. Während man bei uns dekonzentrierte, wurde dort konzentriert, und zwar fast in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang. Als bei uns das Gesetz Nr. 27 erschien und damit der letzte Akt der „Dekonzentration" begann, wurde in Frankreich der Schlußstein der Konzentration gesetzt durch die Gründung des Stahlkombinats „Sidelor". Dieses Stahlkombinat Sidelor, das in sich rund ein Fünftel der französischen Stahlproduktion vereinigt, stellt sich mit Würde neben die beiden anderen großen Kombinate Usinor und Sollac.
Diesem französischen Musterbeispiel der. Konzentration reihen sich die beiden anderen Staaten, Belgien und Luxemburg, durchaus würdig an. In Belgien beherrschen drei Gruppen 55 bis 60 % der Rohstahlerzeugung, in Luxemburg beherrschen drei Gruppen 100 %. Diese Konzentration der Gesellschaften wird noch ergänzt durch ein fein ausgebautes System der personellen Verflechtung.
Man komme nun nicht mit dem Hinweis, daß diese Gruppen, wie sie hier stehen, von der Hohen Behörde untersucht und gegebenenfalls aufgelöst werden müßten. Ich darf mich auf die Äußerungen eines französischen Sprechers vom Dezember 1950 beziehen, als die Sidelor, das letzte Stahlkombinat, gegründet wurde. Er sagte: „es handelt sich um Zusammenschlüsse zum Zwecke einer Spezialisierung der Produktion im Interesse der Leistungsfähigkeit, und solche Zusammenschlüsse sind nicht verboten!" Ich möchte also sagen: wenn man schon von einer Gesundung der Wirtschaft spricht, so war der Grundsatz für die Gesundung der französischen Eisenwirtschaft der Grundsatz der Konzentration und für die Gesundung der deutschen Eisenwirtschaft der Grundsatz der Dekonzentration.
Das Gesamtergebnis dieser ersten Teilbetrachtung darf ich dahin zusammenfassen, daß sich hieraus ein ungeheurer Startnachteil für die deutsche Eisenwirtschaft und damit naturgemäß eine Auswirkung auf den Standort ergibt. Um auch einen Professor zu zitieren, darf ich Herrn Professor Rittershausen zitieren, der am 24. Januar 1951 gesagt hat:
Mindestwirtschaftlichkeit und Höchstzersplitterung, um den Kostenvorsprung der deutschen Stahlindustrie zu beseitigen.
Das andere große Ziel dieser Neuordnung der Wirtschaft, wenn Sie so wollen, war, eine Zerreißung der Verbundwirtschaft durchzuführen. Der Verbund Zeche-Hütte ist für die deutsche Eisenwirtschaft ein organisches Ergebnis, das Ergebnis einer langen Entwicklung der Eisenwirtschaft, die von der ehemaligen Erzorientiertheit zur Kohleorientiertheit wanderte, die die Standortnachteile der Erzferne durch die Entwicklung besonderer Verfahren wettmachte und die es uns ermöglichte, den gefährlichsten Krisenstürmen erfolgreich zu widerstehen.
In dieses organisch Gewordene hat nun Besatzungsrecht eingegriffen. Das Ergebnis ist mit dürren Worten: der Erz-Hütten-Verbund ist bis zum heutigen Tag völlig ungeklärt. Die Neuordnung des Erzbergbaues befindet sich noch nicht einmal im Vorbereitungsstadium der vorbereitenden Planung.
Das zweite, der eigentlich tragende Verbund ist der Verbund zwischen Zeche und Hütte; das Er-
gebnis ist hier: früher 55 bis 60 % des Ruhrkohlenbergbaus mit dem Eisen verbunden, heute 18 %.
Ferner darf kein Hüttenwerk mehr als 75 % seines Koksbedarfs aus eigenen Kokereien decken. Auch hier wieder eine Verbindung zum Schumanplan, denn es wurde vorhin gerade betont, die Erreichung dieser 75 % sei eigentlich nur durch die Schumanplan-Verhandlungen möglich geworden.
Auch hier, bei der Wertung der Verbundwirtschaft, kommt man nur dann zu einer rechten Vorstellung, wenn man sich, ganz grob, das Bild der französischen Eisenwirtschaft vor Augen hält. Dort finden Sie einmal die Tatsache, daß die Kohle sozialisiert ist. Die sozialisierte französische Kohle wird voll und ganz in den Dienst der französischen Stahlindustrie gestellt, sofern die französische Kohle für die Stahlindustrie überhaupt zur Verarbeitung in Frage kommt.
Als zweites: Der Verbund zwischen Erz und Hütte ist in Frankreich außerordentlich eng, j a, er reicht über die Hütte hinaus weit in die Verarbeitung. Es ist nicht ganz uninteressant, aus wissenschaftlich erarbeiteten Zahlen folgendes zu hören: In Frankreich reichen von 37 Gesellschaften 26 einerseits zur Rohstoffbetriebsseite, zum anderen zur Weiterverarbeitung hinüber, in Belgien sind es von 15 9 und in Luxemburg von 3 alle 3.
Gegen die offensichtliche Zerreißung des deutschen Verbundes wendet man nun deutscherseits ein: erstens, die Klausel der Selbstversorgung zu 75 % hilft uns über die gröbsten Unebenheiten hinweg. So schreibt Professor Ophüls — ich zitiere —:
Es ist eine den deutschen Verhältnissen Rechnung tragende Verknüpfung der Kohle- und Stahlerzeugung in der Weise zugelassen, daß grundsätzlich die Stahlwerke 75 % ihres Kohlebedarfs aus eigenen Zechen decken können.
Nun die Frage: Wie ist es im Schumanplan? — Es wurde vorhin bereits erwähnt, insbesondere von dem Berichterstatter, daß es drei Lagen gibt, einmal die Sonderlage der Absatzkrise — dort ist die Verbundwirtschaft sowieso kein Problem —, das zweite war die Normallage. Nun, darüber waren sich alle Sachverständigen, die deutschen wie auch die nicht-deutschen, einig: daß das einzige Anomale die normale Lage sein würde.
Es bleibt also im Grunde genommen nur die Mangellage, und hier greift Art. 59 ein, die Steuerung durch die Hohe Behörde, die vorhin bereits hinreichend erwähnt worden ist. Interessant ist nur, daß die deutsche Regierung die Anwendung dieses Art. 59 wie folgt kommentiert. Sie sagt, daß diese Regelung „in elastischer Form auf den effektiven Verbrauch abgestellt" werde. Diese Formulierung wird einfach gewählt, — wahrscheinlich aus Geschmacksgründen.
Deutlicher sind die Kommentierungen in der Französischen Nationalversammlung, wo der Berichterstatter, Coste-Floret, sagt:
Im Falle der Mangellage, das ist
— übrigens drüben dieselbe Meinung wie hier — die jetzige Periode, und die wird wahrscheinlich
noch lange andauern, ist es notwendig, Kohle I und Stahl auf eine autoritäre Weise zuzuteilen. Art. 59
— fährt er fort —
will besagen, daß die Bevorrechtigung der deutschen Verarbeiter unterdrückt ist.
Und kein anderer als Herr Schuman selbst sagt:
Auf diese Weise werden diejenigen, die in normalen Zeiten 75 % ihres Verbrauchs aus eigenen Zechen deckten, auch nicht 10 % zurückhalten können. — Das ist die Wahrheit!
So weit zu diesem Einwand, die 75 %-Klausel dürfe genügen und Art. 59 sichere in dieser Hinsicht den Verbund.
Man sagt zum anderen, das sei ja alles nur so schlecht gewesen, weil die Ruhrbehörde da gewesen sei und die Ruhrbehörde höre j a nun auf. Immer, wenn wir uns schlecht behandelt glauben, haben wir die Möglichkeit der Anrufung des Gerichts. Das ist ja gerade der Riesenvorteil des Schumanplans gegenüber der Ruhrbehörde: dort war ein nicht nachprüfbares Ermessen, das aus einer anderen Staatsraison geschöpft wurde, einfach für uns verbindlich. — Nun, über Gericht und „nachprüfbares Ermessen" an späterer Stelle. Hier sei nur ein Zitat ganz kurz gebracht, um den „Europa-Geist" der Staatsraison der Ruhrbehörde gegenüberzustellen. Coste-Floret sagt:
Während die Hohe Behörde mit Mehrheit entscheiden wird, erforderte die Ruhrbehörde die Einstimmigkeit oder die qualifizierte Mehrheit. Ganz gewiß werden dabei die Vorrechte der deutschen Verbraucher beseitigt werden.
Ich darf hier — als „Erinnerungsposten" viel-
leicht — vermerken, was Herr Dr. Henle für die
Regierungsparteien in der ersten Lesung sagte: Wer behauptet, die Hohe Behörde laufe in der Wirkung auf dasselbe wie die Ruhrbehörde hinaus, der vermag oder will die Dinge nicht in ihrem wirtschaftlichen Zusammenhang sehen.
_
Nun, meine Damen und Herren, sehen wir die Dinge einmal im Endergebnis in ihrem wirtschaftlichen Zusammenhang. Das tragende Fundament der deutschen Eisenwirtschaft, die Verbundwirtschaft, ist auf 18 % begrenzt. Zweitens: die Versorgung ist zu 75 % festgelegt, die gerade durch den Art. 59 dann, wenn es erforderlich ist, innerlich ausgehöhlt wird.
Die Zusammenfassung darf ich dem französischen Finanzminister überlassen, der sagte:
Deutschland verliert im Falle der Mangellage noch das Wenige, was ihm an Verbund Kohle und Stahl übriggeblieben ist.
Meine Betrachtungen waren auf die wirtschaftspolitische Tendenz des Planes, auf die Standortverschiebung abgestellt. Die Fundamente unserer Eisenwirtschaft waren geschlossene Betriebskomplexe und Zechen-Hütte-Verbund. Diese Fundamente wurden durch Besatzungsrecht gesprengt, und damit — das ist die Sorge, die wir haben — entsteht ganz natürlich ein Sog aus dem Ruhrrevier.
Man kann nur den Einwand bringen, man könne diesen Sog durch eine planmäßige Investitionspolitik aufhalten. Hierzu bietet, wie der Berichterstatter soeben ganz mit Recht sagte, der § 29 der Übergangsbestimmungen durchaus die Möglichkeit. Sehen wir uns die Situation an! Eigene Mittel der Werke sind kaum zu erwarten, denn erstens haben die Werke selbst ein viel zu kleines Format. Sie sind unter viel zu große betriebliche Schwierigkeiten gestellt, als daß sie es könnten. Sie haben Remontagebedarf, sie haben Nachholbedarf, sie haben Erneuerungsbedarf. Bedenken Sie nur das ehrwürdige Alter unserer Walzenstraßen! Zum anderen ist der deutsche Kapitalmarkt ein Problem, das nicht nur jetzt vorhanden ist, sondern das wohl auch nach für geraume Zeit bestehen bleiben wird. Bleiben also nur fremde Mittel, so daß wir tatsächlich letzten Endes auf unsere Mittel angewiesen sind. Um so mehr — und das möchte ich zur Regierungsbank hin sagen — wäre es vielleicht opportun gewesen, bei den Verhandlungen in Paris über die Remontagekredite — ich meine die Kredite, die zu besonderen Konditionen an die demontagegeschädigte Industrie gegeben werden — zu sprechen. Die Regierung hat sich dazu geäußert und hat gesagt — ich zitiere —: „Es wurde nicht ausdrücklich erörtert!" Dies fällt für uns um so mehr als Nachteil ins Gewicht, als die französische Regierung beschlossen hat, die Verzinsung eines Kredits von 92 Milliarden französischen Franken, der an die französische Stahlindustrie gegeben ist, von 7 % auf 4,5 % zu konvertieren.
— Wir hätten das gern getan; und das ist ja die Kritik, daß doch nichts getan wurde. Sie waren j a selbst im Ausschuß dabei und wissen, daß diese Tatsache stimmt. Nun, meine Damen und Herren, ich darf feststellen, daß wir in der Richtung der Investitionsförderung von deutscher Seite sicher nicht das getan haben, was wir hätten tun sollen. Wir haben uns mehr oder weniger darum bemüht, den „tragenden Vertragsgrundsatz" zu konstatieren, der heißt: Diejenigen Industrien, bei denen mit dem geringsten Aufwand der höchstmögliche wirtschaftliche Nutzeffekt erzielt werden kann, werden von der Hohen Behörde mit Investitionskrediten versorgt. Das ist übrigens fast die gleiche Formulierung, die Sie in Ihrer Drucksache Nr. 2974 Ziffer 3 finden. Ich möchte gerne wissen, auf Grund welcher Tatsachen Sie zu diesem tragenden Vertragsgrundsatz kommen! Der Vertrag selbst sagt in Art. 54 relativ wenig. Ich halte mich zunächst an die Interpretation, wie sie in der französischen Nationalversammlung gegeben worden ist, — und da darf ich den Kollegen Etzel bitten, es mir nachzusehen, wenn ich auch einmal „buche". Der Berichterstatter sagte:
Wenn eine Investition 400 Franken pro Tonne an der Ruhr erbringt z. B. und 100 Franken in Lothringen, dann hat die Hohe Behörde nicht das Recht, zu entscheiden, daß die Investition in Lothringen verboten sein soll.
— Ja, Sie darf. Die Frage ist ja, ob die Hohe Behörde, die Investitionspolitik treibt, die für uns richtig wäre. Es kommt nicht auf die Verhinderung, sondern in erster Linie auf die Förderung an. Und das ist das Problem, d-as vorhin schon herausgestellt und das von unserer Vertretung bei
den Verhandlungen völlig außer acht gelassen worden ist.
Nun, meine Damen und Herren, verlassen wir uns in Investitionsfragen doch nicht auf die Hohe Behörde! Frankreich selbst tut es auch nicht. Frankreich hat sich in dem § 2 der Übergangsbestimmungen die 4,2 Milliarden DM MonnetInvestition legalisieren lassen. Frankreich hat zum zweiten die Zinskonvertierung für 92 Milliarden französische Franken von 7 auf 4,5 % vorgenommen. Frankreich hat die Regierung beauftragt, erstens den Kohle- und Stahlindustrien erforderlichenfalls die vorläufigen Beihilfen zu gewähren, wie sie in Art. 67 des Vertrags vorgesehen sind, zweitens dem Parlament ein Gesetzesprogramm über Investitionen vorzulegen, um die französische Kohle- und Stahlindustrie in eine konkurrenzfähige Lage zu versetzen. Und letztens soll die Regierung der Republik „die Investitionsvorhaben in den französischen Kohlengruben und in der französischen Eisenindustrie, die in dem Plan über Modernisation und Ausrüstung enthalten sind, weiter verfolgen".
Meine Damen und Herren, das bedeutet nichts anderes als die konsequente Fortführung des MonnetPlans. Dieser ist darauf abgestellt, die lothringische Eisen- und Stahlindustrie bis zu einer Jahrestonnenleistung von 15 Millionen Tonnen im Jahre 1953 zu bringen.
Zu diesem Monnet-Plan sagten deutsche Sachverständige des Bundeswirtschaftsministeriums — ich beschränke mich darauf, zu zitieren —: „Dieser Plan" — der Monnet-Plan — „strebt in seinem Endziel nicht weniger als die Entblößung des Ruhrgebiets von der Rohstahl- und Roheisenerzeugung zugunsten der Minettewerke an".
Zu diesem Plan sagt der Außenminister Schuman auf einer Tagung in Metz nach dem stenographischen Protokoll: „In Wahrheit ist dieser Plan" — der Schumanplan — „die Fortsetzung des Monnet-Plans".
Das Ergebnis dieser kurzen Betrachtung, meine Damen und Herren, ist, daß das Besatzungsrecht die Fundamente der deutschen Eisenwirtschaft zerschlagen hat, und daß Sie damit ganz logisch und zwangsläufig eine Tendenz der Standortverschiebung von der Ruhr nach Lothringen haben.
Nun werden Sie einwenden — Sie haben die Einwände schon gebracht —: die Schäden des Gesetzes 27 sind vergänglich! Man sagt: Wenn einmal der Schumanplan in Kraft ist, hat Deutschland die gleichen Rechte wie die andern. Nun, die Opposition stellte im Ausschuß die Frage nach der Zementierung des durch Gesetz 27 Geschaffenen. Und hier bitte ich um Entschuldigung, wenn ich den Berichterstatter, dem ich für seinen ausführlichen guten Bericht dankbar bin, einmal korrigieren muß; der Bericht enthält nämlich einen Fehler: es ist nicht erwähnt worden, daß die Frage nach der Zementierung des durch Gesetz 27 Geschaffenen von uns gestellt worden ist
und daß sowohl von Ihnen wie von der Regierung Argumente gebracht worden sind, um unsere Bedenken zu zerstreuen. Als dann der Antrag auf Schluß der Debatte gestellt war und wir nicht im
Ausschuß vertreten waren, kamen Ihre alten Bedenken wieder auf. Ich sage „alten Bedenken" deswegen, weil Sie am Vormittag desselben Tages, ohne daß wir es wußten, einen entsprechenden Bedenkenbrief an den Bundeskanzler geschrieben hatten.
Am Nachmittag haben wir das erst in der Pressekonferenz erfahren. Diese kleine Richtigstellung nebenbei!
— Ich habe ja das Wort, Herr Schröder, das stimmt schon.
Ich kann Ihnen da gleich noch weiteres bringen. Die Frage nach der Zementierung — ich habe als Zeugen den Herrn Bundeskanzler, der mir selbst die Antwort gab — wurde von der Opposition gestellt. Die Frage nach der Zementierung des durch Gesetz 27 Geschaffenen war nicht etwa aus der Luft gegriffen, sondern fundiert, einmal, weil bekannt war, daß der amerikanische Hohe Kommissar McCloy am 4. Mai 1951 in Frankfurt zu deutschen Gewerkschaftlern auf deren Frage: „Warum denn jetzt Gesetz 27?" gesagt hatte: „Das kann die Alliierte Hohe Kommission machen; mit diesem Odium wollen wir die Hohe Behörde nicht belasten."
Zweitens stützten wir die Frage auf den Tatbestand, daß der Berichterstatter des französischen Wirtschaftsrats verlangt hatte — ich zitiere — „daß die Dekartellisierung der deutschen Grundindus trien vor Inkrafttreten der Union realisiert sein müsse". Drittens stützten wir uns mit unserer Frage auf die wirklich ausgezeichnete Begründung der holländischen Regierung zum Schumanplan, insbesondere zu Art. 66, die die bindende Wirkung des Gesetzes 27 selbst klar zum Ausdruck bringt. Nun, uns wurde auf diese Bedenken geantwortet — es war zu der Zeit, als Ihre Bedenken noch nicht veröffentlicht waren —,
daß die Hohe Behörde ein anderes „Gegenüber" brächte, als es bisher der Fall gewesen war. Es wurde ferner gesagt, Unternehmen seien es, die nachher Anträge stellten, und nicht Staaten. Und letzten Endes wurde hingewiesen auf den Gleichheitsgrundsatz, der in Art. 2 verankert ist und zum Tragen kommt.
Tatsache ist nun aber auch, daß die Hohe Kornmission auf Ihren Brief am 18. Dezember geantwortet hat, nach Abschluß der Maßnahmen zur Durchführung des Gesetzes Nr. 27 unterliege die Kohle- und Eisenindustrie in Deutschland keinen beschränkenden Bindungen außer denen, die sich aus den Bestimmungen des Vertrags über den Schumanplan ergäben. Ich möchte fragen: Was kann die Hohe Kommission auch schon anderes schreiben? Denn das ist doch ganz offensichtlich die deutsche Auslegung, daß man sagt: Nun, dann schreiben wir eben bloß noch: die Beschränkungen, die aus dem Schumanplan selbst kommen; denn die gelten ja für alle. gleich. Frankreich dagegen ist ganz anderer Auffassung. Frankreich betrachtet die Situation, wie sie sich aus dem Gesetz Nr. 27 ergibt, im Ergebnis als eine aufgezwungene und zementierte Organisationsform.
Ich muß es Ihnen tatsächlich zumuten, ich muß
Ihnen im Extrakt die Sätze des Berichterstatters
Coste-Floret zu diesem Punkt ' vorlesen. Er sagt: Der zweite positive Beitrag Deutschlands besteht in der Entflechtung an der Ruhr ... Vor allem hat man im Ruhrgebiet die vertikale Verflechtung von Kohle und Stahl beseitigt. ... Der Schumanplan verhindert ihre Wiederherstellung.
. . . Wenn Sie den Schritt nach vorn, — Nach vorn, ich betone das —
der getan ist, ermessen wollen, dann genüge es Ihnen, zu wissen, daß die Verbindung von Kohle und Stahl, die früher 56 % betrug, auf 18 % zurückgeführt worden ist. Das ist der Stand der Dinge, den zu stabilisieren der Schumanplan zum Ziele hat!
Nun, meine Damen und Herren, ich muß aus
der Debatte der französischen Nationalversammlung noch eine Äußerung herausnehmen. In
dieser Debatte sagte der Augenminister wortlich: Ich habe gesagt, daß zu Beginn der Dekonzentration es eine einseitige Entscheidung gab, das Gesetz Nr. 27 der drei Besatzungsmächte. Aber diese Dekonzentration ist in der Zwischenzeit Gegenstand eines Übereinkommens gewesen zwischen den drei Mächten und der Bundesregierung.
,Dieses Übereinkommen bleibt bestehen und endgültig, wie alle internationalen Übereinkommen, es muß von der Hohen Behörde respektiert und angewandt werden.
Meine Damen und Herren, ich darf hier feststellen — und ich darf eine entsprechende Frage an die Regierung richten —: Wir hören in diesem Bericht in der französischen Nationalversammlung zum erstenmal von einem Übereinkommen über die Dekonzentration.
Wir möchten doch sehr nachdrücklich und sehr deutlich eine eingehende und exakte Orientierung hierüber wünschen.
Hier können Sie mal sehen, wie Sie Herrn Schuman glauben dürfen.
Meine Damen und Herren, ich stellte meine Ausführungen unter den Gesichtspunkt der Standortverschiebung, ausgehend von einem schiefen Standort, den man uns vorgeschrieben hat. Herr Professor Hallstein rühmte in einer Ansprache dem Schumanplan nach, unter seiner Geltung würden mit der Aufhebung aller Differenzierungen nur noch die natürlichen und die sich aus den Standorten ergebenden Verschiedenheiten der Produktion übrigbleiben. Er hat leider übersehen, daß die Standorte selbst in Frage gestellt worden sind. Die Ruhr hatte nach dem Kriege gegenüber Lothrin-
gen noch Standortvorteile aufzuweisen, wie Verbundwirtschaft Zeche-Hütte und eine angefügte Weiterverarbeitung; beides ist durch das Besatzungsrecht zerschlagen und durch den Schuman-plan zementiert.
Die Ausführungen mögen das belegt haben; sie mögen zugleich Begründung gewesen sein für unseren Antrag auf Umdruck Nr. 407, insbesondere die Ziffern 1, 2 und 3.
Ich möchte zum Schluß ein Zitat bringen, das ein Professor anläßlich einer Schumanplandebatte brachte. Professor Predöhl sagte:
Nach dem Kriege haben wir immer das un-
vernünftige Übergewicht der Macht; dann
kriecht die Macht vor der Ökonomie zu Kreuze!
Meine Damen und Herren, Sie haben zu entscheiden. Lassen Sie es nicht zu einem Bündnis kommen zwischen unvernünftiger Macht und unvernünftiger Ökonomie!
Das Wort hat der Herr Berichterstatter.
Meine Damen und Herren! Herr Schöne wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich — leider Gottes — als Berichterstatter in diesem einen Punkt doch etwas zu dem, was er gesagt hat, ausführen muß. Was ich als Angehöriger der FDP-Fraktion, sagen wir, über die Prioritäten zu sagen habe, darf ich jetzt nicht sagen. Aber als Berichterstatter konnte ich j a in dem Bericht nur feststellen, daß die FDP diesen Vorbehalt bei der Abstimmung im Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu Protokoll gegeben hat. Die Herren, die damals zufällig noch da waren, werden das bestätigen. Es tut mir sehr leid, daß Sie nicht mehr anwesend waren. Insofern ist der Bericht als solcher schon absolut zutreffend; denn etwas anderes konnte er nicht enthalten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rische.
. Meine Damen und Herren! In der Zeit des Bestehens des Bundestags hat es keine Debatte über so folgenschwere Fragen wie die heutige gegeben. Sie sind dabei, eine Frage zu entscheiden, die im Grunde genommen einer Entscheidung unseres Volkes bedarf. Ich bin im übrigen erstaunt, daß alle Redner des heutigen Tages — darin liegt eingeschlossen der Herr Bundeskanzler — auf die wahren Gründe des Schuman-Kriegsplans nicht eingegangen sind.
Sie werden diese wahren Gründe in dem vorliegenden Vertragswerk auch nicht so offen formuliert finden. In der Präambel beispielsweise wird von der Erhaltung des Friedens und der Schaffung einer Sicherheit für die Völker Westeuropas gesprochen. In Wirklichkeit jedoch handelt es sich nicht um die Frage einer europäischen Sicherheit, handelt es sich nicht um d .e Frage der Begründung des wirtschaftlichen Wohlstandes für die Völker Westeuropas, sondern es handelt sich um eine Vorentscheidung über die Frage Krieg oder Frieden. Der Herr Bundeskanzler hat es wohlweislich unterlassen, auf d ese spezielle Bedeutung des Schumanplans einzugehen. Er hat nicht aufgezeigt, wo die Triebfedern zu diesem Plan liegen. Er hat nicht die Akteure genannt, die Herrn Schuman die Feder in die Hand drückten, um diesen Plan auszuarbeiten und ihn dann den Parlamenten in Europa vorzulegen.
In ernster Sorge um die Entwicklung der Wirtschaft und der Politik unseres deutschen Volkes stellen wir als Kommunistische Partei Deutschlands fest, daß vom Standpunkt der Erhaltung, ja zunächst einmal der Herstellung der deutschen Souveränität dieser Plan in keiner Weise irgendeine Frage unseres deutschen Volkes regeln wird. Er ist darum kein Plan, der irgendwie auf deutsche Interessen eingeht. Er ist auch kein europäischer Plan, sondern er ist ein amerikanischer Kriegsplan für Europa.
Nichts ist darum falscher, ja, ich möchte sagen, heuchlerischer als die in der Präambel niedergelegten sogenannten Grundbestimmungen des Planes. Wenn die Erwartung, durch diesen Plan den Frieden zu erhalten, den Beratungen des heutigen Tages den Stempel aufdrücken sollte, dann hätte dieses Haus schließlich nur einen einzigen Beschluß zu fassen brauchen: diese Beratungen im Interesse des deutschen Volkes auszusetzen, zu unterbinden, um unserem Volke durch die eventuelle Annahme dieses Planes ein Verhängnis zu ersparen. Sie haben unseren durch den Vorsitzenden meiner Traktion gestellten entsprechenden Antrag durch Ihren Antrag auf Übergang zur Tagesordnung abgelehnt. Damit hat sich die Mehrheit dieses Hauses für den Plan des Krieges entschieden. Sie tragen die volle Verantwortung für alle Folgen dieses Planes.
In der Tat, meine Damen und Herren, der Weltfriede ist durch den Schuman-Kriegsplan der amerikanischen Rüstungsmilliardare auf das ernsthafteste bedroht. Er ist bedroht, weil durch diesen Plan die wirtschaftlichen Kràfte Westeuropas, Kohle und Stahl, in konzentriertester Form zu einem Superkartell zusammengefaßt werden sollen zur maximalen Ausnutzung der Produktion im Zuge der Vorbereitung des dritten Weltkrieges.
Die Sicherung des Weltfriedens ist gerade im Augenblick der Debatte über den Schumanplan hier in der Bundesrepublik die hervorragendste Aufgabe jedes wahrhaft deutschen Patrioten, wie es die hervorragendste Aufgabe auch aller europäischen Völker ist und ganz besonders des deutschen Volkes.
Der Schumanplan will den Feinden des Friedens, den Rüstungskapitalisten von der Ruhr, über die die Redner der SPD auch nicht ein einziges Wort in Verbindung mit diesem Plan gesagt haben, über die Köpfe der europäischen Völker hinweg wirtschaftliche und politische Vorrechte von so weit-tragender Bedeutung einräumen, daß diese Rüstungsinteressenten über die Hohe Behörde des Schumanplans die ausschließliche wirtschaftliche und politische Gewalt über die Völker ausüben können. Meine Damen und Herren, ich möchte dazu eine bekannte englische Zeitung zitieren, eine Zeitung, die in keiner Weise kommun stenfreundlich genannt werden kann, und zwar die bekannte englische Zeitung „Observer" :
Das übernationale Kohle- und Stahlkomitee wäre im wahrsten Sinne des Wortes eine die Politik machende Körperschaft. Seine Entscheidungen würden solche Fragen betreffen wie
die, welche Anlagen zuerst moderne Ausrüstungen erhalten sollen und dadurch einen großen Vorteil gegenüber der Konkurrenz erhalten, welche Anlagen noch warten müssen, welche ganz geschlossen werden sollen, wer spezielle und mehr oder weniger Verdienst bringende Typen von Stahl produzieren darf, ob in besonderen Augenblicken die Kohle zum Eisen oder das Eisen zur Kohle gehen soll; ein wohlbekannter langandauernder Streitpunkt zwischen der deutschen und französischen Meinung, von dem es abhängt, ob das Ruhrgebiet oder Lothringen das reiche und aufsteigende Machtzentrum Westeuropas wird.
Schließlich heißt es:
Die vorgeschlagene Behörde ist diktatorisch, denn sie steht nicht unter irgendeiner Art von politischer Kontrolle, weder durch ein gewähltes Parlament noch durch ein Gremium gewählter Parlamente.
Meine Damen und Herren, diese Immunität, diese Vorrechte, diese Privilegien der Hohen Behörde stehen in krassestem Widerspruch zu den nationalen Interessen unseres deutschen Volkes, stehen in krassem Widerspruch zu den nationalen Interessen des französischen Volkes, des italienischen Volkes, jener Völker, die durch die Politik der internationalen Rüstungskapitalisten gezwungen werden sollen, beim Schumanplan mitzumachen, nur weil es die amerikanischen Rüstungsfinanziers so wollen.
Im fünften Absatz der Präambel wird behauptet, der Schumanplan diene der Ausweitung der Grundproduktion zur Hebung des Lebensstandards und sei ein Werk des Friedens.
Meine Damen und Herren, alle Erfahrungen auf wirtschaftspolitischem Gebiet, zumindest aber doch offensichtlich seit dem von den amerikanischen Imperialisten in Korea ausgeheckten Krieg, zeugen doch davon, daß in diesen imperialistischen Staaten in Westeuropa keine einzige Maßnahme mehr zur Hebung des Wohlstandes der. Völker ergriffen wird, sondern lediglich Maßnahmen zur maßlosen Ausweitung einer Rüstungsproduktion und zur Senkung des Lebensstandards der Bevölkerung.
Die heutige Presse brachte beispielsweise die Nachricht, daß in den Vereinigten Staaten gegenwärtig ein Rekordbudget beraten wird. 80 % der Gesamtausgaben im Haushalt der Vereinigten Staaten sind nach einer Vorlage des Präsidenten Truman für unmittelbare Kriegszwecke vorgesehen. Dieser Etat und diese peinliche' Lage in den Vereinigten Staaten erinnern in etwa doch an jenes unglückliche Schiff „Enterprise", das jetzt in den Wogen des Ozeans herumschlingert; die Trossen sind zerrissen, und es besteht kaum noch eine Hoffnung, daß es den rettenden Hafen erreichen kann.
Ähnlich ist die Lage heute in jenen kapitalistischen Ländern, die unter der Macht der amerikanischen Imperialisten stehen. Auch dort sind alle wirklichen wirtschaftlichen Verbindungen zur Normalität, zur Friedensproduktion, zur Verbrauchsgüterproduktion durch die aufgeblähte Rüstungsproduktion zerrissen, und diese Völker stehen vor einer wirtschaftlichen und politischen Katastrophe. Darum haben diese Herren in den Vereinigten Staaten, die Truman und Acheson, jene Herren der Wallstreet es auch so eilig mit der Auslösung eines neuen, dritten Weltkrieges, weil sie hoffen, mit einem solchen dritten Weltkrieg ihre wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten loswerden zu können, weil sie hoffen, auf Kosten des Lebens und des Blutes der Völker ihre verfaulte Gesellschaftsordnung noch einmal um diese Schwierigkeiten herumbringen zu können.
Die Lage in Westdeutschland, meine Damen und Herren, ist heute in keiner Weise anders. Dazu einige Fakten. Unter dem Regime der Besatzung sind wir gezwungen, an die 10 Milliarden DM Besatzungskosten ausschließlich auf Kosten der Steuerzahler und vornehmlich der werktätigen Steuerzahler aufzubringen. Und die Lage soll sich nicht ändern. Weitere umfangreiche Besatzungstruppénkontingente sollen nach Westdeutschland verlegt werden, und die Kosten dafür soll unser deutsches Volk tragen. Das heißt: wir werden noch mit einer eventuellen Erhöhung der Besatzungskosten rechnen müssen. Der Stellvertreter des Herrn amerikanischen Hochkommissars hat kürzlich angekündigt, wir müßten 13 Milliarden DM als erste Rate für den Aufbau der westdeutschen Söldnerverbände zum Zwecke der Vérteidigung der amerikanischen Kriegsinteressen auf westdeutschen Boden aufbringen. Und das war nur eine erste Rate. Deutsche Experten rechnen, daß wir nicht nur 13 Milliarden DM, sondern darüber hinaus viel mehr, etwa an die 30 oder sogar 40 Milliarden DM aufzubringen hätten.
Was wird die Folge sein? Logischerweise wird die Folge davon sein müssen, daß die Steuererhöhungen nicht abreißen, daß weitere Massenbelastungen an Steuern und sonstigen Abgaben, wie sie bereits durch die Regierung Adenauer in den letzten Monaten so drastisch eingeleitet wurden, eintreten. Das heißt: eine allgemeine Senkung des Lebensstandards steht unserem Volke bevor. Das ist das Merkmal der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik, die im Zeichen des Schumanplans, die im Zeichen der Vorbereitung des Krieges hier in Westdeutschland steht.
Meine Damen und Herren, dieser Schumanplan, dieser Kriegsplan ist nichts anderes als eine Ausgeburt der aggressiven Politik, der Kriegspolitik der Vereinigten Staaten; und von dorther wurde dieser Plan auch inspiriert. Dafür folgende Beweise: Walter Lippman, der bekannte amerikanische Publizist, erhob bereits 1944 die Forderung nach einer sogenannten atlantischen Gemeinschaft. Eine weitere Etappe bildeten die Bestrebungen zur Schaffung der Welthandelsorganisation auf den Konferenzen in Genf und in Havanna mit der schließlichen Abfassung der Welthandelscharta. Kurze Zeit darauf erfolgte dann die Verkündung der auch Ihnen bekannten berüchtigten Truman-Doktrin. Die Truman-Doktrin war die offizielle Einleitung des Kalten Krieges, der dann in Korea in den Schießkrieg überging.
Als nächster Schritt folgte der Marshall-Plan. Er war ein konzentrierter Angriff auf die Souveränitätsrechte der europäischen Völker. Er hat über Anleihen und Geldzuwendungen die westeuropäischen Völker unter das Diktat der amerikanischen Financiers gestellt, so daß sie heute nicht mehr in der Lage sind, eigene Entscheidungen in den Fragen ihrer eigenen nationalen Politik zu treffen. Die Amerikaner halten die Hand an der Gurgel der Politiker in Frankreich, in England, in Italien, und diese Politiker sind heute nicht mehr in der Lage — und sie wollen es auch nicht! —, die Interessen ihrer Völker zu vertreten. Der Marshallplan war
der konzentrierteste ökonomisch-politische Angriff zur Vorbereitung des dritten Weltkrieges. Er war die Forcierung der wirtschaftspolitischen Außenpolitik der Vereinigten Staaten, wie bekannte Experten der Wallstreet sich auszudrücken pflegen.
Der nächste Schritt in diesem MarshallplanSystem besteht darin, daß dieser Plan nach seinem Auslaufen nun offen für alle Menschen in Westeuropa und in der Welt in ein Waffenlieferungsprogramm zur Vorbereitung des dritten Weltkrieges umgewandelt wird, und wahrlich: in dieser Hinsicht ist der Marshallplan ein echter Vorläufer des Schumanplans gewesen. Denn der Schumanplan wird in Europa alle Anstrengungen der Rüstungsindustriellen von der Ruhr, von der Seine, aus Oberitalien und schließlich auch aus England vereinigen, um eine Riesenproduktion an Rüstung maximal zu verwirklichen. Darum besteht auch gerade diese ernsthafte Gefahr für unser Volk und für alle Völker in Europa durch diesen sogenannten Schumanplan, den man besser und richtiger und ehrlicher den Trumanplan nennen sollte.
Die nächste und folgenschwerste Etappe dieser amerikanischen Politik bildete der von Mr. Acheson ausgearbeitete und von Herrn Schuman lediglich verkündete Plan zur Schaffung eines Superkriegskartells der westeuropäischen Grundstoffindustrien. Es ist gar nicht so zufällig, daß einen Tag nach der Rückkehr des amerikanischen Außenministers von seiner Reise nach Westdeutschland Herr Schuman nach vorheriger eingehender Beratung mit dem amerikanischen Außenminister diesen angeblichen Schumanplan — aber in Wirklichkeit Truman-Plan — in Paris verkündet hat. Er ist von der Wallstreet inspiriert und dient nur den Interessen der Wallstreet.
Es gibt keinen besseren Zeugen für die von mir angeführte Tatsache als Aussprüche. die vom Herrn Bundeskanzler selber stammen. Gestatten Sie mir darum, daß ich einige seiner Ausführungen wiederhole, die er in einer der üblichen und oft so sehr teueren Propagandaschriften, die selbstverständlich unsere Steuerzahler bezahlen müssen, von sich gegeben hat. In der Erklärung Dr. Adenauers zur Unterzeichnung des Schumanplans heißt es:
Das heute unterzeichnete Abkommen ist ein Anfang.
— Unserem deutschen Volke graut schon vor diesem Anfang! —
Wie man sich heute schon auf dem Gebiet der
europäischen Verteidigung um eine europäische Organisation bemüht, sollen möglichst
rasch andere Zusammenschlüsse folgen.
Das war ein ehrliches Wort. Hier wurde nämlich einmal ganz klar und offen ausgesprochen, worum es eigentlich bei dem Schumanplan geht. Es geht um die sogenannte europäische Verteidigung, die nur die Umschreibung der Vorbereitungen für einen dritten Weltkrieg ist. Er hat das auch ganz klar in, einer vorherigen Formulierung ausgesprochen, als er sagte: _„Diese Grundstoffe" — also Kohle und Stahl — „sind für den modernen Krieg unerläßlich."
Darum geht es, sie sind unerläßlich für den modernen Krieg. Sie müssen in diesem Superkartell der Rüstungsinteressenten zusammengefaßt werden, weil man diesen neuen Krieg will, zu dem sich offensichtlich auch Herr Dr. Adenauer bekennt.
Schließlich heißt es:
Auch in Zukunft wird das europäische Einigungswerk, das so viele ideelle Impulse von der andern Seite des Atlantischen Ozeans empfangen hat, nicht ohne engste Anlehnung an die Vereinigten Staaten sich vollziehen können. Dadurch, daß die Montan-Union die nationalwirtschaftlichen Egoismen in Europa überwindet, setzt sie diesen Kontinent instand, seine Aufgaben innerhalb der atlantischen Gemeinschaft zu erfüllen.
Auch hier sind deutliche Worte gesprochen. Hier hat der Herr Bundeskanzler ganz offen zugegeben, von welcher Seite ,her der Schumanplan inspiriert wurde und welcher Seite er ausschließlich zu dienen hat, nämlich der Seite der Vorbereiter eines neuen Krieges, der Seite der Rüstungsindustriellen. Weiter sagt er auch ganz klar, daß der Schuman-plan ein Teilstück des nordatlantischen Kriegspaktes darstelle. Deutlicher konnte meiner Meinung nach Herr Dr. Konrad Adenauer nicht werden.
Diese Zitate finden auch eine Bestätigung in der Rede des Bundeskanzlers auf dem Landesparteitag der CDU in Bayern. Dort hat er laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 25. April 1951 erklärt, daß man eben die Amerikaner nicht enttäuschen dürfe. Sonst könnten die Amerikaner, wie er auch heute hier ganz klar zum Ausdruck gebracht hat, daran verzweifeln, daß die Europäer in- der Lage seien, sich selber zu behaupten.
Die Beweisführung der Herren Adenauer und Schuman sowie der anderen Befürworter des Kriegspaktes ist dabei noch wenig originell. Als am 30. September 1926 ein Stahlpakt in Westeuropa gegründet wurde, gab man das Ziel sofort offen und brutal zu. Damals haben führende Vertreter der westeuropäischen Imperialisten erklärt, der Stahlpakt sei die einzige Sicherheit für den europäischen Frieden. Mit ähnlichen Phrasen wird heute die Vereinigung der Kanonenkönige Westeuropas unter der lenkenden Hand der Wallstreet begründet. In Wirklichkeit handelt es sich aber hier um eine Politik der Aggression gegen den Frieden, eine Politik gegen jene Völker, die( unmittelbar darân interessiert sind, den Frieden zu erhalten, weil sie in großen wirtschaftlichen Aufbauprogrammen das Wohl ihrer Völker begründen. Ich denke an die Sowjetunion und an die volksdemokratischen Staaten und die Deutsche Demokratische Republik.
Es gibt viele Gründe gegen den Schumanplan. Aber einer der Hauptgründe, warum unser deutsches Volk mit aller Leidenschaft gegen diesen Kriegsplan kämpfen muß, besteht darin, daß seine eventuelle Annahme durch dieses Parlament die Spaltung Deutschlands vertiefen müßte. Dieser Schumanplan, Herr Dr. Adenauer, kann nicht von vornherein für Gesamtdeutschland präjudizierend sein. Das steht in Widerspruch zu den elementarsten Interessen des deutschen Volkes sowohl in Westdeutschland als auch in der Deutschen Demokratischen Republik. Der Schumanplan vertieft die Spaltung Deutschlands; denn er anerkennt auf das ausdrücklichste, daß dieses Deutschland im Westen nur bis zur Elbe reichen soll. Dort hört auch jenes Europa auf, von dem heute die Redner der CDU, der FDP und der SPD so viel gefaselt haben. Nach ihrer Meinung jedenfalls soll es dort aufhören; nach unserer keinesfalls. Der „Economist", eine bekannte englische Zeitung für Wirtschaftsfragen, nicht verdächtig kommunistischer
Auslassungen, hat diese besondere Rolle des Schumanplans, nämlich der Vertiefung der Spaltung Deutschlands, ganz offen ausgesprochen. Dort heißt es:
Man hat allen Grund, anzunehmen, daß das Angebot Schumans im wesentlichen darauf hinzielt, das Verhältnis Deutschlands mit dem Westen enger und vertrauensvoller zu gestalten und dadurch dem Ruf des Ostens mit seinen Versprechungen von Einheit und Absatzmärkten entgegenzutreten.
Das war ein offenes Wort. Dort hat man ganz klar" ausgesprochen, daß man die Einheit Deutschlands nicht will, daß man mit dem Schumanplan unser deutsches Volk von den Bestrebungen fernhalten will, die ganze Kraft zur Herstellung der Einheit Deutschlands einzusetzen. Das war ein offenes Wort einer Zeitung, die sich mit den Programmen der Imperialisten sehr gut auskennt und die damit ganz genau auch jene Interessen trifft, die augenscheinlich auch die Interessen des Herrn Bundeskanzlers sind, der in seiner ganzen Politik keine Beweise für die Herstellung der Einheit Deutschlands gibt, sondern der im Gegenteil alles tut, um diese Einheit des deutschen Volkes, seine Souveränität und Unabhängigkeit zu verhindern. Sonst hätte er nicht in Paris seine Unterschrift unter dieses Vertragswerk geben können. Sie war nicht im Interesse der deutschen Nation und des deutschen Volkes erfolgt. Das möchte ich hier ganz ausdrücklich in dieser Stunde feststellen.
Schließlich wird darum auch durch den Schumanplan das Potsdamer Abkommen der vier Großmächte mit den feierlichen Verpflichtungen der Siegermächte eklatant durchbrochen. Im Potsdamer Abkommen war ganz klar die Aufgabe der Dezentralisierung des deutschen Wirtschaftslebens gestellt, konkret gesagt, die Vernichtung der Kartelle, Syndikate und Trusts gefordert, jener Machtinstrumente der Imperialisten zur Vorbereitung der Kriege zur Unterjochung der Völker. Was erleben wir heute? Wir erleben heute dùrch den Schumanplan die Schaffung eines Superkartells durch die Zusammenfassung der national abgestimmten Kartelle, wobei die oberste Gewalt eindeutig in den Vereinigten Staaten, in der berüchtigten Wallstreet liegen wird. Darum ist von den Westmächten jenes feierliche Abkommen der vier alliierten Siegermächte durchbrochen worden. Wichtige Bestimmungen des Potsdamer Abkommens, beispielsweise Deutschland als eine wirtschaftliche Einheit bis zum Abschluß eines Friedensvertrages zu behandeln, werden auch durch diesen Kriegsplan eklatant durchbrochen. Adenauer will durch diesen Schumanplan einen Teil Deutschlands, nämlich unser Westdeutschland, den amerikanischen Imperialisten überantworten. Die Annahme des Schumanplans wäre darum ein neues schweres Hindernis gegen alle Bestrebungen unserer deutschen Menschen in Ost und West des Vaterlandes, die Einheit Deutschlands, damit den Frieden für Deutschland und für Europa und somit für die Welt herzustellen.
Adenauer begründet die Zustimmung zum Schumanplan mit der angeblichen Annullierung des Ruhrstatuts und ähnlicher diskriminierender Verträge.
— Der Herr Bundeskanzler, bitte sehr, können Sie auch haben, wenn Sie wollen. Der Herr Bundeskanzler hat heute hier in seiner Rede über die Bemerkungen des Bundesrats, über das Ruhrstatut, über die Rechte der Hohen Kommissare und dergleichen mehr gesprochen. Wie sieht es jedoch in Wirklichkeit aus? Die wichtigsten Bestimmungen des Ruhrstatuts, wie die über die Verteilung der Kohle — das Problem des Kohlenzwangsexports also —, werden nun von einer Stelle der Hohen Schumanplanbehörde ausgeführt.
Der Schumanplan ist im übrigen weitgehend eine Kopie des Ruhrstatuts im Interesse der europäischen Rüstung, aber diesmal angewandt auf die Grundstoffindustrien Gesamteuropas, einschließlich selbstverständlich der Grundstoffindustrien des Ruhrgebiets. Alle diskriminierenden Funktionen der Ruhrbehörde gegenüber unserer deutschen Wirtschaft sind nun auf eine neue Schumanplan-Behörde übergegangen. Hier sind die Beweise: a) Die Hohe Behörde kann nach Art. 58 Erzeugungsquoten festsetzen und Einfuhrbeschränkungen anordnen. Das liegt in ihrem Ermessen, im Ermessen jener Handvoll Monopolkapitalisten, die zweifellos von ihren Parlamenten in diese Hohe Behörde entsandt werden sollen, um darüber zu bestimmen, in welchem Land wieviel Kohle oder Stahl produziert werden sollen. Das kann auch manchmal von ganz egoistischen Interessen oder strategischen Erwägungen abhängen! Das möchte ich übrigens doch den Herren Kollegen Schöne und Henßler, den Sprechern der SPD, sagen, die hier in einen wüsten Nationalismus gegenüber Frankreich ausarteten, aber kein Wort der Kritik gegenüber den Nationalisten und Chauvinisten in Deutschland fanden. Die Hohe Behörde, so- sagte ich, kann Einfuhrbeschränkungen anordnen. Sie kann sich sogar willkürlich in das Wirtschaftsleben der deutschen Industrie einschalten. Sie kann alle Rechte der deutschen Wirtschaft einfach über den Haufen werfen. Die Hohe Behörde kann nach Art. 56 Höchst- und Mindestpreise sowohl für den inneren Markt als auch für die Ausfuhr festsetzen.
Nun, wir kennen diese Praxis. Wie ist die Lage? Der größte Teil der westdeutschen Industrie, vornehmlich die Verbrauchsgüterindustrie, ist heute auf Schwarzmarktkohle aus den Vereinigten Staaten angewiesen. Diese Industrien sind nicht mehr in der Lage, im Wettbewerb mitzuspielen; sie schalten aus. Sie wurden Opfer der großen Konkurrenz. Die Amerikaner bereichern sich mit deutschen Schiebern maßlos an dieser sogenannten Heimwehkohle. Die Hohe Behörde richtet sich darum einseitig gegen die Interessen der Verbrauchsgüterindustrie und ist ebenso einseitig auf die Interessen der Rüstungsindustrie an der Ruhr abgestimmt.
Die Hohe Behörde kann ferner nach Art. 59 im Einvernehmen mit dem Ministerrat und, wenn in diesem kein einstimmiger Beschluß erzielt wird, auch ohne diesen Verwendungsprioritäten und die Verteilung der Kohle- und Stahlproduktion festlegen. Da haben Sie das ganze Programm der Vorbereitung der Rüstungsproduktion. Der zivile Sektor, meine Damen und Herren, wird demnächst noch weniger Kohle erhalten, noch weniger Stahl, beispielsweise für den Schiffsbau in Hamburg und für die weiterverarbeitenden Industrien in Bayern und Württemberg-Baden. Alles wird ausschließlich in den Dienst der Rüstungsproduktion gestellt werden. Das ist nämlich das Programm, das durch den Schumanplan umschrieben ist.
Sie haben alle sicherlich die Meldung der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über eine Äußerung des amerikanischen Sachverständigen Harris gelesen, wonach Westdeutschland den Amerikanern 20 Millionen t Ruhrstahl zur Vorbereitung ihres Krieges liefern soll. Herr Harris lockt einige Herren der Ruhrindustrie, die gegenüber dem Schumanplan noch gewisse Bedenken haben, mit der Ausweitung der Produktionskapazität. Aber Mr. Harris ist ein kühl rechnender Mensch. Er weiß ganz genau: 20 Millionen t Stahl an der Ruhr, das ist die Produktion, die Hitler an der Ruhr hatte, das ist die Produktion des Krieges, die unser Volk schon einmal ins Verderben stürzte und jetzt erneut ins Verderben stürzen soll. Wir danken für dieses Geschenk, Mr. Harris!
Die Hohe Behörde kann ferner bei Nichtbefolgung ihrer Anordnungen die Zahlung von Geldbußen und Zwangsgeldern erzwingen. Sie hat weiter das Recht, die Wirtschaft einzelner Nationalstaaten, wenn sie dem Willen der Hohen Behörde nicht willig folgen will, zu boykottieren. — Wo hat es jemals in der Geschichte der Wirtschaft, in der Geschichte der stolzen Völker Europas derartige Eingriffe, derartige Diskriminierungen gegeben?! — Der Schumanplan präjudiziert diese Eingriffe, der Schumanplan setzt sich über alles hinweg, was sich die Völker Europas an nationaler Selbstständigkeit in ununterbrochenem Ringen erkämpft haben. Der Schumanplan soll dem amerikanischen Imperialismus die Tore nach Europa öffnen, um auch die Nationalstaaten mit alter Kultur und Wirtschaft in Kolonialstaaten der Amerikaner zu verwandeln.
Die amerikanischen Imperialisten wollen sich Europa unterwerfen, die Imperialisten wohlgemerkt; denn ich setze amerikanische Imperialisten nicht mit Amerikaner gleich. Es gibt amerikanische Menschen, und es gibt amerikanische Kriegstreiber. Das ist ein wesentlicher Unterschied; und diese Unterscheidung gibt es auch in Westdeutschland.
Die Hohe Behörde ist nach Art. 48 berechtigt, alle gewünschten Auskünfte zu verlangen, alle Kontrollen durchzuführen. Da haben Sie die Legalisierung der Industriespionage zugunsten der amerikanischen Monopole! Sie, wenigstens die Herren der Wirtschaft, haben sich sehr oft darüber aufgeregt und dagegen aufgelehnt, daß das sogenannte Sicherheitsamt in Koblenz willkürlich in die Safes der deutschen Industriellen hineingriff, um die Geheimnisse deutschen Erfindergeistes herauszuholen und diese Kraft der deutschen Menschen, die Erzeugnisse ihrer Fähigkeiten, dann nach den Vereinigten Staaten auszuführen. Das soll jetzt durch die Hohe Behörde legalisiert werden, und kein Staat soll dagegen eingreifen können. Parlamente und Regierung sind ausgeschaltet. Es regiert einzig und allein der Rat der Rüstungsmilliardäre, der seinen Sitz in Paris oder in Essen haben kann.
Dagegen wendet sich unser deutsches Volk, dagegen haben die Arbeiter an der Ruhr in den vergangenen Tagen Proteststreiks durchgeführt, und darum waren heute hier die Betriebsräte und Delegierten der Betriebe aus ganz Westdeutschland
und erwarteten von den gewählten Vertretern dieses Volkes eine Entscheidung gegen den Schuman-plan.
Sehr wahr! bei der KPD.)
Meine Damen und Herren! Im Ausschußbericht gibt es eine Bemerkung, der Schumanplan in seiner
Gesamtfassung sei in keiner Weise irgendwie mit einem Kartell zu vergleichen. Nun, nachdem ich diese Bestimmung des Schumanplans gerade vorgetragen habe, muß ich doch sagen: dies sind typische Bestimmungen einer Monopolorganisation. Ich verstehe nicht, wie die Mehrheit des Ausschusses zu einer derartigen Formulierung kommen konnte,
daß der Schumanplan keinesfalls Kartellcharakter trage. Er ist ein Kartell von Rüstungsindustriellen, er dient der Vorbereitung des Krieges, und er richtet sich gegen die Interessen des deutschen Volkes.
Schließlich hat der Herr Bundeskanzler in seiner kurten Regierungserklärung heute auch die Frage der Behandlung der Deutschen Demokratischen Republik erwähnt. Er nennt sie in Verkennung der Tatsachen immer noch „sowjetische Besatzungszone". Dort hat er also gesagt, daß im Schumanplan bereits im Vorwege festgelegt sei, daß auch die Deutsche Demokratische Republik eines Tages unter die Bestimmungen des Schumanplans fallen könne.
Herr Dr. Adenauer, im Volke würde man sagen: „Den Zahn können Sie sich ziehen lassen!"
Die Deutsche Demokratische Republik ist ein Hort des Friedens.
Die Deutsche Demokratische Republik wird alles tun, um die deutsche Einheit herzustellen,
und die deutschen Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik werden sich ebenso wie die Menschen in Westdeutschland das Diktat des Schumanplans niemals gefallen lassen.
In dem vorliegenden Vertragswerk gibt es im § 22 der Übergangsbestimmungen eine Sonderbestimmung, die gegen die Interessen der westdeutschen Wirtschaft, gegen die Interessen der Wirtschaft in ganz Deutschland gerichtet ist, und zwar gegen den innerdeutschen Handel. Dieser Paragraph heißt:
Der Warenaustausch auf dem Gebiet von Kohle und Stahl zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der sowjetischen Besatzungszone wird, soweit es sich um die Bundesrepublik Deutschland handelt, unbeschadet des Ablaufs der Übergangszeit durch die deutsche Bundesregierung im Einverständnis mit der Hohen Behörde geregelt.
Nun stelle ich die Frage: Was hat die Hohe Behörde über den innerdeutschen Handel zu bestimmen? — Das ist eine Angelegenheit der Deutschen, wie das auch eine Angelegenheit der Franzosen ist, wenn sie ihre Waren, die in Paris hergestellt werden, nach Marseille oder nach Nizza schaffen. Dieses Recht kann uns keine Hohe Behörde nehmen. Dieses Sonderrecht ist aber in diesem Vertragswerk vorenthalten.
Darum, Herr Dr. Adenauer, dürfen Sie nicht denken, daß Sie von dieser Tribüne des Parlaments aus der Deutschen Demokratischen Republik, den deutschen Kaufleuten in Berlin oder in Essen oder in Hamburg oder in Leipzig diese Bestimmung des Schumanplans diktieren können. Die deutschen Kaufleute in diesen Städten sind realer denkende
Menschen, und sie wissen sich sehr wohl einig in der Verteidigung der Interessen des deutschen Volkes.
Zusammenfassend kann zu den von mir zitierten
Artikeln des Vertragswerkes gesagt werden, daß
sie Weisungen im Namen der Rüstungskapitalisten
zur Vorbereitung eines schrecklichen Krieges enthalten. Bereits im Juni 1950 schrieb die amerika-
nische Zeitung „New York Herald Tribune", wie
sich die Wallstreet konkret die Auswirkungen des
Schumanplans für Deutschland vorstellt. Sehr
interessant, daß diese Zeitung auch einmal wieder
die volle Wahrheit spricht, und zwar heißt es dort
unter der Überschrift „Waffen aus Deutschland": Eine Aufhebung der Beschränkungen für die deutsche Rüstung wäre die logische Auswirkung des Schumanplans und würde Westdeutschland praktisch, wenn auch nicht formell zu einem Mitglied des Atlantikpaktes machen. Die günstigen Folgen, die ein solcher Schritt für die deutsche Schwerindustrie und für das Kriegspotential Westeuropas haben würde, sind zu eindeutig, als daß man sie aufzählen müßte.
Ich verzichte ebenfalls darauf.
Nun, meine Damen und Herren, dieser Schuman-plan steht in engstem Zusammenhang mit jenem sogenannten Generalplan, der von dem Herrn Bundeskanzler in Paris und in Straßburg vorbesprochen und dort ausgehandelt wurde. Der Generalvertrag stellt nicht den staatsrechtlichen Zustand für die deutsche Nation her, sondern im Gegenteil: er stellt ausdrücklich fest, daß dieser Vertrag nur für Westdeutschland bestimmend ist. Und der Herr Bundeskanzler ist bereit, einen solchen Vertrag zu unterschreiben. Andere Nationen würden dafür bezeichnende Benennungen finden, Benennungen, die mir hier eine Rüge des Herrn Präsidenten einbringen würden. Ich verzichte darauf.
Dieser Generalvertrag widerspricht den feierlichen Versprechungen der westlichen Mächte auf der Potsdamer Konferenz zum baldigen Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland; nicht mit einem Teil Deutschlands, sondern mit Gesamtdeutschland. Die Bundesrepublik wird durch diesen Generalvertrag, der auch den Schumanplan in sich birgt, keine Souveränitätsrechte erhalten. Durch den Pleven-Plan soll Deutschlands Jugend dem Kommando der Hitlergeneräle unterstellt werden. Alle Abkommen sind so ungeheuerlich, daß der Bundeskanzler es offensichtlich vorzieht, über jene Vertragswerke und die Geheimabkommen dazu, die Zusatzprotokolle, heute in diesem Parlament zu schweigen. Unser deutsches Volk wird aber wach werden. Es wird noch wach werden, und schon heute sind es Millionen deutscher Menschen, die dieser Regierung keinen Funken Vertrauen schenken, die sich auf ihre eigene Kraft verlassen, um unser Deutschland wieder einig und damit glücklich zu machen.
Herr Dr. Adenauer, der Herr Bundeskanzler, spricht in der Öffentlichkeit sehr oft von Gleichberechtigung. Nun, wer soll denn eigentlich gleichberechtigt sein? Sind es die deutschen Menschen, die Kaufleute, die Fabrikanten der Verbrauchsgüterindustrie? Sind es die Arbeiter im Ruhrgebiet, die Werftarbeiter in Hamburg, die Maschinenbauer in Württemberg-Hohenzollern oder in Baden? Keinesfalls! Gleichberechtigt sollen lediglich die Rüstungsinteressenten, die Krupp, die Thyssen und die Herren Pferdmenges und Konsorten sein.
Gleichberechtigung aber gibt es für unser deutsches Volk nur durch die Herstellung einer demokratischen Einheit unseres deutschen Vaterlandes. Dazu ist es notwendig, daß sich die Deutschen in Ost und West verständigen, daß sie den Weg der gesamtdeutschen Beratungen beschreiten, daß sie den Abschluß eines Friedensvertrags und den darauf folgenden Abzug der Besatzungstruppen sieben Jahre nach Kriegsende von den westlichen Siegermächten endlich verlangen. Niemand kann auch nur im geringsten behaupten, daß dieses Verlangen nicht berechtigt sei. Ich verstehe darum nicht, warum Adenauer soviel von Souveränität redet, während in Wirklichkeit unserem deutschen Volke die Souveränität nicht gegeben wird, sondern nur den Rüstungskapitänen.
Es wäre interessant, meine Damen und Herren, jene Vorbehalte zu studieren, die beispielweise die sozialdemokratische Fraktion heute hier und auch schon vorher in den der Sozialdemokratischen Partei befreundeten Zeitungen unserem Volke vorgetragen hat. Da sind die von der Sozialdemokratischen Partei in der Zeitung des Herrn Abgeordneten Henßler formulierten fünf Bedingungen der Sozialdemokratischen Partei zum Schumanplan. Zunächst wird da eine verbindliche Zusage aller in Frage kommenden ausländischen Mächte darüber verlangt, daß besatzungsrechtliche Bestimmungen wie die über die Ruhrbehörde und dergleichen zu fallen haben. Meine Damen und Herren, damit kein Mißverständnis aufkommt: Wir Kommunisten sind auch dafür, daß in einem einheitlichen, friedliebenden, demokratischen Deutschland alle Bestimmungen fremder Mächte unserem Volk gegenüber fallen müssen. Aber es ist sehr interessant, daß ausgerechnet diese Forderungen heute von der Sozialdemokratischen Partei ohne Kritik nach einer bestimmten Richtung, nämlich ohne Kritik gegen die westdeutschen Rüstungskapitalisten erhoben werden. Die sozialdemokratische Fraktion spricht damit nur das aus, was auch die deutschen Imperialisten an Rhein und Ruhr verlangen.
Schließlich wird gefordert der Abschuß einer befriedigenden Regelung über die Verbundwirtschaft zwischen Kohle und Stahl und eine wirtschaftlich vernünftige Organisation des Absatzes deutscher Kohle. Ich habe so den Eindruck,_ daß die sozialdemokratischen Sprecher, die heute hier aufgetreten sind, als schlechte Propagandisten des ehemaligen Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats tätig waren.
Denn die- Formulierungen der sozialdemokratischen Sprecher unterscheiden sich in keiner Weise z. B. von Formulierungen, die in einem Rundschreiben an das Bundeskanzleramt zu Händen von Herrn Staatssekretär Lenz von der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie gerichtet wurden. Sie können dort fast dieselben Formulierungen finden, • so daß man meinen möchte, diese Formulierungen seien Wort für Wort' aus dem Rundschreiben der Rüstungsindustriellen an der Ruhr abgeschrieben worden.
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion hat kein Wort der Kritik an den Zuständen gefunden, die mit der Wiedererrichtung der kriegsmonopolistischen Gebilde an der Ruhr in Zusammenhang stehen. Sie hat kein Wort der Kritik gefunden an der Wiedererrichtung der Herrschaft der ehemaligen Wehrwirtschaftsführer. Sie hat auch kein Wort der Kritik gefunden an der Tatsache, daß im Ruhrgebiet die Produktions-
kapazität bereits fast ausschließlich für Kriegszwecke ausgelastet ist. Was sollen die sozialdemokratischen Arbeiter davon halten; die über die Bestimmungen des Schumanplans sehr ernsthaft in Sorge sind und die heute mit ihren kommunistischen und christlichen Betriebsräten bei den Fraktionen vorsprachen und verlangten, daß man diese Verhältnisse, wie sie sich in Westdeutschland entwickelt haben, endlich einmal durch ein mutiges Auftreten der Arbeiterschaft unter der Führung wirklicher patriotischer Führer beseitigt?
Meine Damen und Herren, es ist darum wenig originell, was die sozialdemokratische Fraktion heute an Kritik hier vorgetragen hat. Es sind dieselben Worte der Kritik, wie sie beispielsweise das großkapitalistische „Handelsblatt" in Düsseldorf vorbringt, eine Kritik, wie sie die Männer von der deutschen Kohlenbergbauleitung und jene Männer aus den neugebildeten Rüstungskonzernen an 'der Ruhr üben. Eine solche Kritik ist einen Dreck wert! Eine solche Kritik hilft dem deutschen Arbeiter nicht, mit den Feinden, die sich wieder gesammelt haben, fertig zu werden, sondern eine solche Haltung der sozialdemokratischen Fraktion ist eine Schande für die deutsche Arbeiterbewegung.
Schumachers Voraussetzungen für die Ratifizierung sind überhaupt keine Voraussetzungen. Schumachers Voraussetzungen für die Ratifizierung — ich möchte hier mit Hallstein sprechen — bedeuten eine „Opposition" — also eine Opposition in Gänsefüßchen — dann, wenn gesichert ist, daß eine sichere Mehrheit im Bundestag das Vertragswerk annehmen wird. Es ist keine echte Opposition; es ist wirklich eine Scheinopposition.
Ähnlich ist die Haltung des DGB. Es ist erstaunlich, daß Herr Dr. Schumacher Bedingungen für die Annahme des Schumanplans formuliert, während seine Führer in der Führung des Deutschen Gewerkschaftsbundes — prominente Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei also — eine völlig andere Politik — dem Schein nach zumindest völlig anders —, nämlich eine Politik der offenen Unterstützung des Schumanplans proklamieren, wie dies Fette auf dem DGB-Kongreß in Essen tat. Hier könnte Herr Dr. Schumacher Farbe bekennen. Warum ruft er nicht diese SPD-Führer zur Rechenschaft? Warum verlangt er nicht, daß diese DGB-Führer — so wie das auch die sechseinhalb Millionen Gewerkschaftsmitglieder fordern — auch gegen den Schumanplan auftreten? Er schweigt! Er denkt gar nicht daran, diese Millionenkraft der westdeutschen Gewerkschaftler in den Kampf zu führen, weil er genau weiß: einmal aufmarschiert mit dieser Kraft, und es ist aus mit der Adenauerei in Westdeutschland!
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur noch einige Hinweise zu den Folgen des Schumanplans für die Werktätigen in Westdeutschland. Diese Folgen werden unmittelbar folgende sein: Betriebsstillegungen solcher Betriebe, die nicht rentabel genug erscheinen. Davon werden einige Randzechen an der Ruhr betroffen. Davon werden Betriebe betroffen in anderen Gebieten Westdeutschlands, weil die Befugnisse der Hohen Behörde ja nicht nur bis ins Ruhrgebiet hinreichen, sondern bis in den letzten Wirtschaftswinkel Westdeutschlands. Dort wird man die harte Hand der Rüstungsindustriellen jetzt und in der nächsten Zukunft zu spüren bekommen. Die Projekte zur Betriebastillegung sind schon ausgearbeitet, nicht nur für die Ruhr, sondern auch für Belgien, Frankreich und andere Gebiete. Betroffen werden davon Hunderttausende von Arbeitern. Ihre Existenz will man vernichten.
Schließlich erinnere ich hier an Watenstedt-Salzgitter. Kein Mensch ist heute hier aufgetreten und hat ein Wort für Watenstedt-Salzgitter gesprochen. Dort wird der Schumanplan sich unmittelbar auswirken. 'Die Amerikaner haben sich geweigert, ein Produktionspermit für die Ausweitung der Werksanlagen zu geben, sicherlich aus strategischen Gründen, aber sicherlich auch aus anderen Gründen. Sie denken nicht daran, deutsche Interessen zu vertreten. Rücksichtslos setzen sie sich über Belange des deutschen Volkes hinweg.
Die Rüstung senkt dauernd den Lebensstandard der westdeutschen Bevölkerung. Ein Beweis dafür ist der Vergleich des Steueraufkommens der Werktätigen mit dem der Unternehmer. Im Jahre 1948/49 brachten die Werktätigen 58,3 % an Steuern auf, die Unternehmer 41,7 %. 1950/51 stieg im dritten Vierteljahr der Anteil der Werktätigen auf 72,5 %, und der Anteil der Unternehmer fiel auf 27,5 %. In den Monaten Januar und Februar betrug der Anteil der Werktätigen 82,6 %, der Anteil der Unternehmer nur noch 17,4 %.
Auf der anderen Seite sehen wir steigende Börsenkurse, insbesondere der Montanwerke, und wir mußten feststellen, daß diese Montanbetriebe ungeschoren aus Krieg und Zusammenbruch hervorgingen und ihre Kapitalien im Verhältnis 1 zu 1 umstellen konnten. Außerdem sehen wir eine Zunahme der Ausschüttung von Dividenden. In den kapitalistischen 'Ländern haben wir heute 40 Millionen Arbeitslose, davon allein 10 Millionen Arbeitslose in den sogenannten Schumanplan-Ländern, und neue Arbeitslose werden nach diesem Vertragswerk folgen.
Wir sehen ferner eine fortlaufende Entwertung des Realeinkommens durch die imflationistischen Fieberkrämpfe aller Währungen in den imperialistischen Ländern. Und Herr Dr. Adenauer wagte es in seiner Regierungserklärung heute, noch von einer zunehmenden Begeisterung der europäischen Menschen für den Schumanplan, also für die Rüstungswirtschaft, zu sprechen. Dabei kämpfen, wie auch Herr Dr. Adenauer genau weiß, die Werktätigen Italiens und Frankreichs, Belgiens und Hollands und auch Westdeutschlands mit aller Leidenschaft gegen diesen Plan der Versklavung der Werktätigen und der Völker
Der Adenauer Frankreichs, Herr Pleven, bekam für diese seine Politik der Feindschaft gegen das Volk bereits vorgestern die Begeisterung des französischen Volkes für den Schumanplan recht drastisch zu spüren.
Er ist dahin, wie auch andere noch den Weg gehen werden, den dieser Adenauer Frankreichs gegangen ist.
Und wo ist die Begeisterung in Bonn, in Westdeutschland? Wie sieht die denn aus? Hier regiert heute Herr Polizeiminister Lehr mit dem Gummiknüppel die Begeisterung der westdeutschen Bevölkerung für den Schumanplan.
Bonn ist in eine militärisch gesicherte Enklave verwandelt.
Normale Staatsbürger Westdeutschlands haben keine Gelegenheit, nach Bonn zu kommen, um sich mit den gewählten Vertretern ihres Volkes ins Benehmen zu setzen. Das ist die wahrhafte „Demokratie", meine Herren!
Die Begeisterung also für den Schumanplan, Herr Dr. Adenauer, wächst in zunehmendem Maße, und der Herr Polizeiminister hat alle Hände voll zu tun, dieser Begeisterung Herr zu werden. Wohlan, Herr Lehr, wir beglückwünschen Sie zu dieser Begeisterung der westdeutschen Bevölkerung!
Meine Damen und Herren, es ist also kein Wunder, daß die Amerikaner über diese Lage in Westdeutschland sehr begeistert sind. Das hat auch einer ihrer führenden Leute ganz offen zugegeben. Er hat nämlich nach einer Reise hier in Westdeutschland erklärt — es war der Aufsichtsratsvorsitzende der amerikanischen Ohio-Eisenbahngesellschaft, Robert Young —: Deutschland, nur die Bundesrepublik Deutschland habe nach amerikanischen Maßstäben ein bedeutendes militärisches Potential.
Ich denke, man kann das Industriepotential Frankreichs, Englands und Italiens ruhig abschreiben. Für 10 Dollar, die in Deutschland für die europäische Verteidigung ausgegeben werden, müssen in einem anderen Land, um das gleiche zu erreichen, 100 Dollar ausgegeben werden.
Young fügt hinzu, Amerika dürfe es sich nicht leisten, die Sowjetunion in den Besitz des deutschen Potentials kommen zu lassen. Das ist eine der üblichen Bemerkungen der Amerikaner, um ihre Absicht zu decken, hier in Westdeutschland die billige Arbeitskraft der Werktätigen im Rahmen des Schumanplans für ihre Rüstungsinteressen auszunutzen.
Schließlich wird die Politik des Schumanplans begründet mit jenem für die normalen Menschen in Westdeutschland und in der ganzen Welt unbegreiflichen Schlagwort von der Integration Europas. Unter diesem ominösen Begriff können sich die einfachen Menschen gar nichts vorstellen.
Das ist von den Propagandisten des Schumanplans auch geschickt bedacht worden. Die Integration Europas, jene angebliche Herstellung der Einheit Europas, ist in Wirklichkeit ein amerikanischer Schlag gegen die Souveränitätsrechte der Völker Europas.
Die Integration Deutschlands steht vielmehr für unser deutsches Volk im Vordergrund. Sie ist auch das Wesentliche der Vorschläge der Deutschen Demokratischen Republik. Sie ist auch die Forderung aller ehrlichen Deutschen und war auch, wenn ich mich nicht irre, die Forderung des Herrn Luetkens, der dafür dann von seiner Fraktionsleitung
öffentlich in diesem Hause brutal und rücksichtslos gemaßregelt wurde.
Der Schumanplan, meine Damen und Herren, hat für unser deutsches Volk nach all dem, was er bedeutet, keinerlei Gültigkeit. Das deutsche Volk will weder Schumanplan noch Atlantikpakt, weder Generalvertrag noch Pleven-Plan. Das deutsche Volk will ganz einfach
die deutsche Einheit. Das deutsche Volk will ganz einfach frei sein von diskriminierenden Maßnahmen der amerikanischen Imperialisten. Das deutsche Volk will ganz einfach frei sein von der Herrschaft der Monopolisten an Rhein und Ruhr. Das ist eine ganz einfache Forderung, und dafür wird unser deutsches Volk nun unablässig kämpfen, bis die Einheit Deutschlands hergestellt ist. Niemals werden sich die deutschen Menschen davon abhalten lassen. Das ist auch der beste Beitrag unseres deutschen Volkes für den Frieden in Europa, für ein glückliches Zusammenleben unseres deutschen Volkes mit den anderen Völkern in Europa.
Die Voraussetzung dafür ist aber ein gut freundschaftliches Verhältnis zur Sowjetunion,
jener Sowjetunion, die bewiesen hat, daß sie mit den ihr befreundeten Mächten friedlich zusammenarbeitet und die Interessen, die nationalen Interessen dieser Mächte achtet. Die Sowjetunion achtet die nationalen Souveränitätsrechte aller Völker.
Wir wollen darum alle eine friedliche Verbindung zwischen den Völkern anstreben, zwischen den Völkern Europas und mit den Völkern der ganzen Welt. Weil wir dies wollen, müssen wir den Schumanplan, den Kriegsplan, den Plan der Zerspaltung Deutschlands, den Plan der Rüstungsinteressenten von der Ruhr ablehnen.
Der Ausweg für unser deutsches Volk ist ganz einfach. Es kämpft für die friedliche Wiedervereinigung.
Das deutsche Volk wird dafür kämpfen, daß ein ungehinderter Handel zwischen Ost und West hergestellt wird. Das deutsche Volk wird für Recht und Freiheit kämpfen und wird darum gegen den Schumanplan, den Plan des Krieges mit aller Leidenschaft so lange kämpfen, bis wir die Einheit Deutschlands und damit den Frieden für unser Volk und für Europa erkämpft haben.
Meine Damen und Herren, damit sind wir an der Zeitgrenze angekommen, die der Ältestenrat für die heutige Sitzung vorgesehen hatte. Unter diesen Umständen wird kein weiterer Redner das Wort ergreifen.
Ich berufe die 183. Sitzung auf morgen, den 10. Januar 1952, 9 Uhr 30, mit der Tagesordnung: Fortsetzung der heutigen Tagesordnung, und schließe die 182. Sitzung des Deutschen Bundestages.