Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt.
1. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Auskunfts- und Aktenvorlagepflicht sowie Antwortpflicht der Bundesregierung gegenüber den Abgeordneten des Deutschen Bundestages — Drucksache 11/6020 -
2. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: § 69 Nichtöffentliche Ausschuflsitzungen — Drucksache 11/6021 -
3. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: § 35 Rededauer — Drucksache 11/6022 -
4. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung
hier: § 57 Mitgliederzahl der Ausschüsse — Drucksache 11/6023 -
5. Beratung des Antrags des Abgeordneten Häfner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: Einfügung eines § 86a „Sondersitzungen" — Drucksache 11/6024 -
6. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: § 104 Kleine Anfragen — Drucksache 11/6025 -
7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Häfner, Dr. Lippelt , Frau Oesterle-Schwerin, Frau Dr, Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Reform des Parlaments und der politischen Willensbildung — Drucksache 11/6046 —
Als weiterer Zusatzpunkt soll der Antrag der Fraktion der SPD zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages auf Drucksache 11/6071 auf die Tagesordnung gesetzt und mit Tagesordnungspunkt 4 beraten werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Überweisung im vereinfachten Verfahren
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Weiss , Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN
Herabstufung von Bundesfernstraßen entsprechend der Bundesrechnungshofkritik
— Drucksache 11/4414 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes und anderer wehrrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 11/6030 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus auch damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4, die Zusatztagesordnungspunkte 1 bis 7 sowie den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6071 auf:
4. a) Beratung der Unterrichtung durch die Präsidentin des Deutschen Bundestages
über Beratungen des Ältestenrates zur Erprobung geänderter Verfahren
— Drucksache 11/5999 —
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
zu dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN
zu Nummer 1 des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP — Weitergeltung von Geschäftsordnungen - — Drucksache 11/5 —
zu dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN
zu Nummer 1 des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP — Weitergeltung von Geschäftsordnungen - — Drucksache 11/6 —
14194 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Vizepräsident Stücklen
zu dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN
zu Nummer 1 des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP — Weitergeltung von Geschäftsordnungen —— Drucksache 11/9 —
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Biedenkopf, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Mechtersheimer, Frau Adler, Dr. Ahrens, Bamberg, Bernrath, Bindig, Dr. Daniels , Frau Eid, Frau Faße, Frau Fischer, Frau Flinner, Frau Folz-Steinakker, Frau Ganseforth, Dr. Glotz, Frau Dr. Götte, Graf, Gries, Großmann, Grünbeck, Dr. Grünewald, Häfner, Frau Hämmerle, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heyenn, Hiller (Lübeck), Dr. Hirsch, Hoss, Ibrügger, Irmer, Frau Kelly, Dr. Knabe, Kolbow, Koschnick, Krey, Kuhlwein, Lambinus, Leidinger, Lennartz, Dr. Lippelt (Hannover), Lutz, Dr. Mahlo, Frau Dr. Martiny, Dr. Mertens (Bottrop), Müller (Pleisweiler), Pauli, Peter (Kassel), Rauen, Rixe, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt (Nürnberg), Schmidt (Salzgitter), Dr. Schöfberger, Schröer (Mülheim), Frau Dr. Segall, Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Frau Dr. Vollmer, Graf von Waldburg-Zeil, Waltemathe, Frau Weiler, Weirich, Dr. Wieczorek, Frau Will-Feld, Frau Würfel
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: §§ 20, 42, 56, 57, 61, 62, 68, 69, 75, 80, 100, 104, 106a , 122a (neu), Anlage 4
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Biedenkopf, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Mechtersheimer, Frau Adler, Dr. Ahrens, Bamberg, Bernrath, Bindig, Dr. Daniels , Frau Eid, Frau Faße, Frau Fischer, Frau Flinner, Frau Folz-Steinakker, Frau Ganseforth, Dr. Glotz, Frau Dr. Götte, Graf, Gries, Großmann, Grünbeck, Dr. Grünewald, Häfner, Frau Hämmerle, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heyenn, Hiller (Lübeck), Dr. Hirsch, Hoss, Ibrügger, Irmer, Frau Kelly, Dr. Knabe, Kolbow, Koschnick, Kuhlwein, Lambinus, Leidinger, Lennartz, Dr. Lippelt (Hannover), Lüder, Lutz, Dr. Mahlo, Frau Dr. Martiny, Dr. Mertens (Bottrop), Müller (Pleisweiler), Pauli, Peter (Kassel), Rauen, Rixe, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt (Nürnberg), Schmidt (Salzgitter), Dr. Schöfberger, Schröer (Mülheim), Frau Dr. Segall, Frau Simonis, Dr. Soell, Dr. Solms, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Frau Dr. Vollmer, Graf von Waldburg-Zeil, Waltemathe, Frau Weiler, Weirich, Dr. Wieczorek, Frau Will-Feld, Frau Würfel
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: §§ 6, 13, 30, 32, 69, 78, 127
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau
Dr. Hamm-Brücher, Dr. Biedenkopf, Frau
Dr. Hartenstein, Dr. Mechtersheimer, Frau Adler, Dr. Ahrens, Bamberg, Bernrath, Bindig, Dr. Daniels , Frau Eid, Frau Faße, Frau Fischer, Frau Flinner, Frau Folz-Steinakker, Frau Ganseforth, Dr. Glotz, Frau Dr. Götte, Graf, Gries, Großmann, Grünbeck, Dr. Grünewald, Häfner, Frau Hämmerle, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heyenn, Hiller (Lübeck), Dr. Hirsch, Hoss, Ibrügger, Irmer, Frau Kelly, Dr. Knabe, Kolbow, Koschnick, Krey, Kuhlwein, Lambinus, Leidinger, Lennartz, Dr. Lippelt (Hannover), Lüder, Lutz, Dr. Mahlo, Frau Dr. Martiny, Dr. Mertens (Bottrop), Müller (Pleisweiler), Dr. Niese, Pauli, Peter (Kassel), Rauen, Rixe, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt (Nürnberg), Schmidt (Salzgitter), Dr. Schöfberger, Schröer (Mülheim), Frau Dr. Segall, Frau Simonis, Dr. Soell, Dr. Solms, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Frau Dr. Vollmer, Graf von Waldburg-Zeil, Waltemathe, Frau Weiler, Weirich, Dr. Wieczorek, Frau Will-Feld, Frau Würfel
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: Umstellung der Kapitel I bis V und Änderung der Kapitel VI und VIII
— Drucksachen 11/5, 11/6, 11/9, 11/2206,
11/2208, 11/2209, 11/5962 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Wiefelspütz
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Adler, Dr. Ahrens, Baum, Frau Becker-Inglau, Börnsen (Bönstrup), Frau Eid, Eylmann, Funke, Frau Ganseforth, Frau Garbe, Graf, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heimann, Dr. Hornhues, Irmer, Frau Kelly, Kißlinger, Koltzsch, Koschnick, Kühbacher, Leidinger, Lennartz, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mechtersheimer, Dr. Mertens (Bottrop), Neumann (Bremen), Frau Nickels, Frau Dr. Niehuis, Dr. Niese, Frau Odendahl, Paintner, Reimann, Rind, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt (Nürnberg), Dr. Schöfberger, Schröer (Mülheim), Schwarz, Seesing, Sielaff, Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Verheugen, Volmer, Graf von Waldburg-Zeil, Wiefelspütz, von der Wiesche, Frau Wollny, Würtz
Wiedereinsetzung der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform
— Drucksachen 11/245, 11/1195 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Lammert Wiefelspütz
ZP1 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Auskunfts- und Aktenvorlagepflicht sowie
Antwortpflicht der Bundesregierung gegen-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14195
Vizepräsident Stücklen
über den Abgeordneten des Deutschen Bundestages
— Drucksache 11/6020 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
ZP2 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: j 69 Nichtöffentliche Ausschußsitzungen
— Drucksache 11/6021 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
ZP3 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: § 35 Rededauer
— Drucksache 11/6022 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
ZP4 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung
hier: § 57 Mitgliederzahl der Ausschüsse
— Drucksache 11/6023 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Häfner und der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: Einfügung eines § 86a „Sondersitzungen"
— Drucksache 11/6024 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
ZP6 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: § 104 Kleine Anfragen
— Drucksache 11/6025 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Häfner, Dr. Lippelt , Frau Oesterle-Schwerin, Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Reform des Parlaments und der politischen Willensbildung
— Drucksache 11/6046 — Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
— Drucksache 11/6071 —
Zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, des Abgeordneten Wüppesahl, der Abgeordneten Porzner, Buschbom, Wiefelspütz, der Fraktion der FDP sowie ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher und weiterer Abgeordneter vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gesamte Beratung eine Aussprache von dreieinhalb Stunden vorgesehen. Die Beratung wird durch einführende Beiträge eröffnet. Weiterhin ist vereinbart worden, daß die danach folgenden Redebeiträge nicht länger als fünf Minuten dauern sollen, um möglichst vielen Abgeordneten Wortmeldungen zu ermöglichen. Die Redezeitverteilung soll sich insgesamt an den Fraktionsstärken orientieren. Änderungs- und Entschließungsanträge sind, wie üblich, im Rahmen der jeweiligen Redebeiträge zu begründen. Die Abstimmungen finden ungefähr um 12.30 Uhr statt. — Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich erteile das Wort zur Einführung der Frau Präsidentin des Deutschen Bundestages, Professor Süssmuth. Bitte sehr!
Frau Dr. Süssmuth, Präsidentin des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte sollen die Ergebnisse einer jahrelangen, oft mühsamen Arbeit erörtert werden. Von der Selbstverständnisdebatte des Jahres 1984 bis heute spannt sich ein Bogen teils geduldiger, teils ungeduldiger Bemühungen um Arbeitsweise und Ansehen unseres Parlaments. Was die einen leidenschaftlich erstritten, das haben andere bisweilen humorvoll, bisweilen ärgerlich erlitten.
Auch heute geht es um die Verbesserung unserer parlamentarischen Arbeit, nicht um eine Parlamentsreform.
Wir sind Zeuge einer großen Freiheitsbewegung in Osteuropa. Wir erleben einen demokratischen Aufbruch. Das Ziel ist ein freiheitlicher Rechtsstaat, eine parlamentarische Demokratie. Dort vollzieht sich der Volkswille gegenwärtig noch außerhalb des Parlaments, weil er innerhalb des Parlaments noch keine Stimme hat. Die Erwartungen und Hoffnungen der Menschen richten sich auf frei gewählte Parlamente.
Wissen Sie, was in diesem Jahr am häufigsten aus den Staaten Osteuropas, aus Polen, Ungarn, den Sowjetrepubliken, und jetzt von den oppositionellen Reformgruppen aus der DDR von uns angefordert wor-
14196 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Präsidentin Frau Dr. Süssmuth
den ist, von uns, dem Deutschen Bundestag? Die Geschäftsordnung und das Handbuch des Deutschen Bundestages. Immer wieder wird uns gesagt: Wir wollen unsere Arbeitsweise und unsere Grundordnung an den Verfahrensweisen des Deutschen Bundestages orientieren.
Das ist Anerkennung und Verpflichtung zugleich. Deshalb tun wir gut daran, unser eigenes Regelwerk ständig weiterzuentwickeln und zu verbessern.
Ich denke, beim Aufbruch zu Parlamenten Osteuropas ist uns heute aber auch ein wichtiges Anliegen, neben den Verbesserungsvorschlägen für die eigene parlamentarische Arbeit nicht außer acht zu lassen, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft ein Parlament mit vollen demokratischen Rechten wollen, nicht ein Europa der Regierungen, sondern ein parlamentarisches Europa.
Meine Damen und Herren, es wäre nun allzu einfach, unseren Anstrengungen um eine lebendige parlamentarische Demokratie die umwälzenden Ereignisse in der DDR und in Osteuropa gegenüberzustellen und daraus das Gefühl abzuleiten, als hätten wir uns in den letzten Jahren im Gegensatz zu den Menschen dort mit Kleinigkeiten, mit Geringfügigem befaßt.
Das Verhältnis zwischen unseren Bemühungen und den Entwicklungsbemühungen dort ist ein anderes. Was in der DDR erstrebt wird, bestätigt uns den Rang dessen, was wir besitzen. Es macht uns auch — so hoffe ich — erneut aufmerksam darauf, wie wenig selbstverständlich politische und gesellschaftliche Freiheit ist. „Die Freiheit ist ein Segel" — so sagt Hans Kasper — „prall im Sturm der Sehnsucht, schlaff in der Windstille der Gewohnheit."
In der Demokratie ist es Aufgabe des Parlaments, das Segel unter Wind zu halten. Ohne diesen Antrieb hätte der Parlamentarismus seine Anziehungskraft längst verloren. Er gewinnt diese Anziehungskraft auch dadurch, daß seine Institutionen und Regeln immer wieder kritisch hinterfragt, angepaßt und weiterentwickelt werden. Dieser Anpassung und Weiterentwicklung dienen die Bemühungen, die wir heute debattieren.
Natürlich ist es immer schwieriger, eine an sich für gut befundene Geschäftsordnung stetig zu verbessern. In mancher Hinsicht ist es schwieriger, vielleicht auch weniger begeisternd und quälender, als eine schlechte Sache durch eine bessere zu ersetzen. Aber wir sollten uns auch einer zentralen Wahrheit nicht verschließen. Geschäftsordnungen bilden den Rahmen, die Grundlage für ein starkes Parlament; ausfüllen müssen wir sie selbst.
Ein Parlament steht und fällt mit starken Parlamentariern und Parlamentarierinnen. Es kommt auf wirklich gute Persönlichkeiten an.
Hinter den vielen Erörterungen und Vorschlägen seit 1984 standen immer sehr grundsätzliche Ziele und Absichten. Zum einen standen Stellung und Rang des Bundestages gegenüber der Regierung, gegenüber anderen Staatsorganen und gegenüber der Öffentlichkeit im Mittelpunkt. Ich erinnere an die Selbstverständnisdebatte von 1984.
Zum anderen haben uns die Eigenständigkeit und die Rolle des einzelnen Abgeordneten und die Frage, wie er sein Mandat in seiner Fraktion, gegenüber seinen Wählern und in der Parlamentspraxis verantwortlich ausüben kann, beschäftigt.
Daneben ging es stets auch darum, wie der Bundestag als Ganzes seine Arbeit besser strukturiert, Prioritäten setzt und aktuellen Anforderungen besser gerecht werden kann. Ich danke allen, die in den letzten Jahren dazu beigetragen haben, das Regelwerk unserer Geschäftsordnung sinnvoll weiterzuentwickeln. Ich danke den Fraktionen, dem Geschäftsordnungsausschuß und seinem Vorsitzenden, dem Ältestenrat, aber auch den Personen und gerade unseren Abgeordneten außerhalb dieser Gremien in den Initiativgruppen. Sie alle miteinander haben viel Zeit aufgewandt, um diese Arbeit voranzubringen.
Dabei spielten stets zwei Fragen eine entscheidende Rolle: Läßt das Regelwerk genügend Spielraum für Spontaneität und Lebendigkeit,
für nicht Vorgeplantes und für freie Rede? Reichen die Instrumente parlamentarischer Kontrolle der Regierung aus
— ich denke, daß Sie gerade sehr spontan reagiert haben — , und macht das Parlament die Gesetze, die es machen möchte?
Die Bewertung dessen, was nun als vorläufiger Abschluß den Konsens unter den Fraktionen gefunden hat, ist sicherlich sehr unterschiedlich. Wir in der parlamentarischen Arena verhalten uns eben nicht anders als gegnerische Mannschaften in der sportlichen. Was dem einen als sportliche Härte gilt, bedeutet für den anderen ein klares Foul.
Die Bürde der amtierenden Präsidenten liegt darin, daß sich die Mannschaften bei Niederlagen stets in einem einig sind: Der Schiedsrichter war schuld.
Um meiner Schiedsrichterfunktion gerecht zu werden, habe ich zu unserer heutigen Debatte nicht nur die Ihnen vorliegenden Drucksachen, sondern auch eine Zusammenstellung von Materialien der Initiative „Parlamentsreform" verteilen lassen. Änderungen unserer parlamentarischen, demokratischen Verfahren können langfristig nur funktionieren, wenn sie im Konsens entwickelt und getragen werden.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14197
Präsidentin Frau Dr. Süssmuth
Weder dürfen sie von der Mehrheit der Minderheit aufgezwungen noch können sie von der Minderheit gegen die Mehrheit durchgesetzt werden.
Hier erwähne ich noch einmal das Bundesverfassungsgericht, das in diesem Jahr in einem Organstreit bestätigt hat, daß der Deutsche Bundestag in dieser besonnenen Handhabung und Entwicklung seiner Geschäftsordnung über vier Jahrzehnte hinweg gut gefahren ist.
Konsensbildung ist ein mühsamer, aber ein unbedingt notwendiger Prozeß. Der Bewältigung der veränderten Anforderungen und Schwerpunkte dienen wichtige Vorschläge, die zu der Unterrichtung am heutigen Vormittag gehören. Erstens. Wir wollen mit unserer parlamentarischen Arbeit den Rang des Bundestages als oberstes und einziges unmittelbar vom Volk gewähltes Verfassungsorgan verdeutlichen. Dem dient auch die Befragung der Bundesregierung zu den Ergebnissen ihrer Kabinettssitzungen.
Zweitens. Wir wollen unsere Debatten lebendiger gestalten und Platz für Spontaneität schaffen. Dem dienen die Flexibilisierung der Redeordnung und die Einführung von Kurzinterventionen während und am Schluß von Debattenbeiträgen.
Drittens. Wir wollen das Plenum von Routinedebatten entlasten,
um Grundsatzdebatten führen und auf das aktuelle Tagesgeschehen eingehen zu können. Zu dieser Entlastung müssen wir allerdings alle beitragen.
Diesem Ziel dienen u. a. das Verfahren der vereinfachten Überweisung von Vorlagen und die Aufforderung an die Ausschüsse, in der Schlußphase der Beratungen häufiger öffentliche Sitzungen durchzuführen.
Diese Ziele werden wir nur dann erreichen, wenn wir die zur Erprobung vorgeschlagenen Möglichkeiten auch nutzen. Das sage ich auch mit Blick auf die in der Erprobung befindliche Regierungsbefragung. Es liegt an beiden Seiten, ob sie zu einem gelungenen Instrument der parlamentarischen Kontrolle und der Zusammenarbeit wird. Fragen haben es in sich, wenn sie gut gestellt sind. Aber das sollen sie auch.
— Die Antworten auf die Fragen sind eine ebenso hohe Kunst wie die Fragestellung. — Unwichtig ist es übrigens auch nicht, wie wir dann praktisch damit umgehen und wie wir hier in aller Öffentlichkeit überhaupt miteinander umgehen. Denken wir daran, daß wir Parlamentarier jetzt noch aufmerksamer beobachtet werden als bisher schon. Die Briefe, Anrufe und Gespräche, die uns in Reaktion auf Fernseh- und Rundfunkübertragungen unserer Debatten erreichen, zeigen zur Zeit einen besonderen Akzent. Die Bürger messen uns verstärkt daran, wie wir als freies Parlament auf die aktuellen Entwicklungen hin zu Freiheit und Parlamentarismus eingehen, und zwar keineswegs nur in der Sache, sondern auch im Stil. Wenn wir uns mit aller gebotenen Zurückhaltung angesichts der Entwicklung in Mittel- und Osteuropa auch ein wenig das Verdienst zuschreiben wollen, daß unsere Institutionen dort Entwurf und Vorbild sind, dann müssen wir uns auch entsprechend verhalten.
Meine Damen und Herren, ich wünsche mir heute eine lebhafte Debatte. In dieser wird es viel Kritik und neue Anregungen geben. Ich sage schon jetzt: Was Sie heute vorschlagen, müssen wir gemeinsam umsetzen; das kann keiner allein. Aber vergessen wir bei dem vielen Neuen nicht die bestehenden Möglichkeiten. Dabei danke ich zugleich allen, die die Geschäftsordnung in guter Kenntnis nutzen. Ich danke aber auch allen, die sie nicht überstrapazieren, denn wenn alle Möglichkeiten der bestehenden Geschäftsordnung genutzt würden, würden wir hier sehr viele Sitzungen mehr haben und manchmal ein mittleres Chaos erleben.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Vorsitzende des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Herr Abgeordneter Porzner. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Es wird beklagt, daß dem Bundestag die Spontaneität fehle, auf wichtige Themen einzugehen, die Tagesordnung umzustoßen und viele, viele kleine Punkte abzusetzen oder ohne Debatte zu beschließen, wenn große Ereignisse zu diskutieren sind. Deswegen frage ich jetzt, warum wir heute, morgen und übermorgen 27 Tagesordnungspunkte mit weit mehr als doppelt so vielen Vorlagen, alle von uns hier eingebracht, beraten und diese vier Stunden nicht dafür verwenden, genau das zu tun und zu beraten, was man — ich habe Sie heute früh im Rundfunk wieder gehört, Herr Biedenkopf — heute diskutieren müßte. Ich habe nicht den Eindruck, daß das, was wir jetzt tun, ganz Großes wäre, und das kann es auch gar nicht sein.
— Natürlich. — Aber wir beraten es trotzdem, weil in der Demokratie in einem eingespielten — nicht gezwängten — demokratischen Verfahren auch Platz dafür ist, neben den großen Themen die mittleren und die kleineren zu erörtern und zu beschließen, und genau das tun wir heute.
Uns ist trotz der großen Ereignisse, die wir erleben und auf die wir wenig Einfluß haben, gesagt worden, es würde ein Geschäftsordnungsinstrument angewandt — § 62 Abs. 2 — wenn die Geschäftsordnung nicht in dieser oder in der vorigen Woche beraten würde. So ist es eben. Ich finde das gut so; ich kritisiere das nicht.
Unser Thema handelt nicht von Inhalten der Politik, sondern von Verfahrensregeln des Bundestages, des Plenums und teilweise auch der Ausschüsse. Wir reden heute im Grundsatz nicht über die Stellung des Bundestages gegenüber anderen Verfassungsorganen, wohl aber teilweise über die Stellung gegenüber
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Porzner
der Regierung. Wir reden heute nicht über unser Verhältnis gegenüber dem Bundesrat oder gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, auch nicht über das Verhältnis — das mindestens genauso wichtig ist — von Parlament und Fraktionen zu Parteien. Wir reden heute nicht über eine große Parlamentsreform und Geschäftsordnungsreform; eine solche steht nicht an. Wer das erwartet hat, könnte enttäuscht sein. So etwas war aber überhaupt nicht beabsichtigt. Es ist auch nicht der Inhalt all der Anträge, die vorliegen. Ein völlig neues Verfahren des Bundestages ist nicht verlangt, ist nicht angestrebt und ist auch gar nicht nötig; denn wir haben eine gute Geschäftsordnung.
Unsere Geschäftsordnung ist kein Zufallsprodukt. Es ist auch nicht irgendwann willkürlich darüber beschlossen worden, sondern die Geschäftsordnung hat sich aus den Erfahrungen früherer Parlamente entwickelt, fortentwickelt: Das hat 1848 mit der Paulskirche begonnen, dann folgten die Geschäftsordnung des Preußischen Landtages, die Geschäftsordnungen der Reichstage, des Kaiserreichs und der Weimarer Republik und dann die fortentwickelten Geschäftsordnungen des Bundestages von 1949, 1951, 1970 und 1980. Wer sich damit befassen will, dem empfehle ich die hier vorliegende exzellente Arbeit, eine Synopse und Darstellung, mit einem sehr, sehr lesenswerten Aufsatz unseres Kollegen Dr. Lammert. Das ist unsere Geschäftsordnung: geronnene Erfahrung seit mehr als 150 Jahren in deutschen Parlamenten.
Meine verehrten Damen und Herren, auf diesen Erfahrungen bauen wir auf. Nicht abrupte Neuerung war bei Änderungen jeweils angestrebt, sondern Kontinuität. Dies wird auch heute gewahrt, wenn der Bundestag beschließt. Davon bin ich überzeugt. Wir machen den Versuch — auch heute wieder — , unsere Geschäftsordnung an veränderte Praxis und an veränderte Erfordernisse schrittweise anzupassen: lebendigere Debattenordnungen, wenn möglich. Sie wären ohne jede Änderung eines Paragraphen schon jetzt möglich.
Der Geschäftsordnungsausschuß hat seine Arbeit nicht, wie wir gelegentlich lesen und hören mußten, darauf angelegt, gute Ideen zu blockieren oder deren Umsetzung zu verhindern. Er hat die Anträge und die Anregungen sorgfältig geprüft — und natürlich eigene hinzugefügt — , erörtert, abgewogen und dem Bundestag mit den Beschlußvorschlägen, die Ihnen vorliegen, zur Entscheidung empfohlen.
Wir haben dabei verschiedene Gesichtspunkte zu beachten gehabt: einerseits die Freiheit der einzelnen Abgeordneten und deren Gleichheit — die Gleichheit von 519 Mitgliedern des Bundestags —, andererseits aber die Gesamtverantwortung, die der Bundestag als Verfassungsorgan hat, dessen Entscheidungen für alle Staatsbürger in der Bundesrepublik Deutschland gelten.
Dabei waren verschiedene Funktionen, die der Bundestag hat, zu beachten: Funktionen des Bundestags als Gesetzgebungsorgan, als Organ zur Wahl des Bundeskanzlers und als Organ zur Kontrolle der Bundesregierung. Es besteht ein enger Zuammenhang zwischen den beiden Funktionen Wahlorgan und Kontrollorgan. Natürlich ist auch die Funktion des Bundestags als Diskussionsforum der Nation zu nennen, wie wir etwas großspurig sagen. Das alles war zu beachten.
Daß der Bundestag als Verfassungsorgan dabei in allem auch effizient sein muß, ist keine Nebensache. Es kommt nicht darauf an — ich hoffe, mich mißversteht niemand — , daß ich mich als einzelner selbstverwirkliche, sondern es kommt darauf an, daß 519 Abgeordnete, die das Verfassungsorgan des Bundestages quasi konstituieren, die es ausmachen, die Verfassungsaufgaben erfüllen, die der Bundestag hat.
Wichtig war für den Geschäftsordnungsausschuß bei den Beratungen, daß er Änderungen nicht mit Mehrheit beschlossen hat, was ja möglich ist. Die Mehrheit kann hier beschließen; das ist nirgendwo untersagt. Gesucht wurde Übereinstimmung, gesucht wurde der Konsens bei den Verfahrensregeln des Parlaments. Das ist nicht mit der Politik des kleinsten Nenners zu verwechseln, auf den man sich dabei verständigt.
Unsere Geschäftsordnung gibt der Minderheit viele Rechte. In manchen Parlamenten alter Demokratien ist das nicht so; dort bestimmt die Mehrheit. In den USA z. B. werden 86% aller Vorlagen, die im Kongreß eingebracht werden, nicht beraten. Das entscheidet der Ausschußvorsitzende der Mehrheit. In Großbritannien verfallen Vorlagen von Session zu Session — natürlich nicht die der Regierung. In Frankreich bestimmt die Regierung die Tagesordnung des Parlaments.
Ich bewerte und kritisiere das nicht. Ich sage nur: Die Minderheit in unserem Parlament hat Rechte. Daß die Mehrheit bei den Regelungen der Geschäftsordnung nicht ohne Rücksicht auf die Minderheit handelt, ist klug. Denn sie weiß ja, daß die Mehrheitsverhältnisse nach Wahlen anders sein können. Bisher war es deutsche Parlamentstradition, daß mit anderen Mehrheiten nicht andere Geschäftsordnungsbestimmungen beschlossen wurden.
Ein Wort noch zu den Fraktionen, die nicht nur im Zusammenhang — und nicht nur indirekt — mit dieser Debatte Gegenstand der Kritik sind. Das Recht der Fraktionen fließt aus dem Koalitionsrecht der einzelnen Abgeordneten. Es gründet auf dem Recht, auf der Freiheit der Abgeordneten, sich mit anderen zusammenzuschließen in der Absicht, politische Ziele zu verfolgen. Fraktionen sind Zusammenschlüsse von Abgeordneten und nicht von oben aufgezwungene Einrichtungen, die den Abgeordneten ihre Freiheit nehmen. Fraktionen sind politische Gliederungen des Parlaments, die ihre Stellung, die ihre Rechte aus den Rechten der einzelnen Abgeordneten ableiten. Wer hier etwas erreichen will, der braucht Macht, und man braucht Macht auch für Gutes. Wer hier etwas be-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14199
Porzner
schließen will, der braucht zu seiner eigenen Stimme noch 248 andere zusätzliche.
Darin ist auch begründet, daß man auf andere angewiesen ist, sich auf andere einstellt und sich mit anderen verständigt, Kompromisse schließt.
Ich will damit abschließen, daß ich darum bitte, den Vorschlägen des Geschäftsordnungsausschusses zu folgen, daß ich darum bitte, bei den Beratungen immer daran zu denken, daß es heute nur um die Spielregeln des Parlaments und nicht um Inhalte der Politik geht, daß allerdings Spielregeln, Verfahrensregeln in der Demokratie von lebensnotwendiger Bedeutung sind.
Auf den Vergleich der Revolution in der DDR mit Verbesserungen der Geschäftsordnung bei uns komme ich vielleicht noch in der Debatte zu sprechen.
Ich erteile das Wort der Sprecherin der interfraktionellen Initiative „Parlamentsreform", Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine zehnminütige Redezeit dazu nutzen, für die Antragsteller in Erinnerung zu rufen, was wir uns seit April 1984 vorgenommen haben, welche Bilanz wir aus den vorliegenden Ergebnissen und Erfahrungen aufstellen und welche Konsequenzen wir ziehen wollen. Auch ich möchte die kurze Vorbemerkung von Frau Süssmuth aufnehmen, daß in diesen Wochen alles, was wir hier tun und lassen, von den atemberaubenden Demokratisierungsprozessen in den Staaten jenseits der deutsch-deutschen Grenze in den Schatten gestellt wird. Es ist doch wahr, Kolleginnen und Kollegen: Dort wird Demokratie erstritten, erlebt und erlitten.
Angesichts dieser Entwicklung ist uns keine Selbstzufriedenheit erlaubt. Vielmehr ist die Frage zu stellen, ob in unserer Verfassungswirklichkeit, Herr Kollege Conradi, alles zum Besten bestellt ist.
Eine lebendige Demokratie ist ein dauernder Prozeß. Auch unsere demokratischen Institutionen müssen sich als verbesserungsfähig erweisen. Das kann natürlich nicht allein durch Änderung unserer Geschäftsordnung bewirkt werden. Ich gebe Ihnen völlig recht, Herr Porzner. Aber immerhin liefern sie hierzu den Schlüssel.
Die interfraktionelle Initiative, für die zu sprechen ich die Ehre und die Freude habe, hat sich erstmals 1984 mit kaum 30 Abgeordneten zusammengefunden. Heute sind es immerhin 183.
Wir haben über fünf Jahre allen Widrigkeiten und Durststrecken zum Trotz zusammengearbeitet, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht etwa, um unsere Fraktionsführungen und Fraktionsordnungen oder
Loyalitäten in Frage zu stellen — die Initiative ist kein Aufstand gegen notwendige Ordnung — , sondern weil wir uns zunehmend dringlich fragen, ob wir unserem Verfassungsauftrag in den vorgesehenen Strukturen, Organisationsformen und Verfahren einigermaßen gerecht werden können. Ich denke, das ist nicht nur erlaubt, sondern das ist sogar erwünscht und notwendig.
Denn wir alle sind nicht nur Vertreter unserer Parteien, wie sind Vertreter des ganzen Volkes, und wir tragen Mitverantwortung für die Funktionsfähigkeit, das Ansehen und die Glaubwürdigkeit unseres demokratischen Gemeinwesens. Wir sind die Volksvertretung.
Meine Damen und Herren, mit der allen Kolleginnen und Kollegen zugesandten Übersicht und Dokumentation unserer Tätigkeit, in der alle wesentlichen Aktivitäten seit 1984 zusammengefaßt sind, möchten wir Ihnen heute öffentlich Rechenschaft ablegen über unser Bemühen. Ob das allerdings bleibende Spuren hinterläßt, wird erst die Zukunft erweisen.
Ihnen, Frau Präsidentin, und der Verwaltung vielen Dank, daß Sie den Druck der Dokumentation ermöglicht haben.
Ein ganz kurzer Rückblick. Unser erster Anlauf im April 1984 begann sehr hoffnungsvoll. Unser damaliger, sehr umfassender Entschließungsantrag fand einstimmige Zustimmung. Darin ist ausdrücklich nicht nur eine Änderung der Geschäftsordnung, Frau Präsidentin, sondern auch ein grundsätzlicher Ansatz zur Parlamentsreform enthalten. Wir haben zwar bis Sommer 1985 die Empfehlung der Ad-hoc-Kommission zustande gebracht, dennoch endete die 10. Legislaturperiode ohne substantielle Ergebnisse,
jedoch mit dem Auftrag an die 11., zur „Sicherung der kontinuierlichen Weiterarbeit an der Parlamentsreform" die „vom 10. Deutschen Bundestag begonnene Arbeit" fortzusetzen „und dabei nichterledigte Anträge" aufzugreifen und zu beraten. Diesen Auftrag haben wir ernst genommen und bereits Anfang 1987 zwei Grundsatzanträge sowie 49 Einzelanträge gestellt, die an drei Schwerpunkten ansetzen. Mit 23 Anträgen soll die Funktionsfähigkeit des Parlaments gegenüber Regierung und Exekutive, mit 8 Anträgen die Mitwirkungsmöglichkeiten des einzelnen hierbei gestärkt werden; 5 Anträge gelten der überfälligen Debattenreform.
Folgende Ergebnisse wurden erzielt. Etwa ein Drittel der Anträge fanden, oft in veränderter Form, Zustimmung. Einige werden zur Erprobung empfohlen. Etwa die Hälfte der Anträge wurde abgelehnt. Einige davon stellen wir heute in veränderter Form. Für andere beantragen wir Rückverweisung in den Geschäftsordnungsausschuß. Einige uns besonders wichtige Anträge sollen weiterberaten werden. Damit sind wir sehr einverstanden. — Soweit der Überblick, meine Damen und Herren.
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Frau Dr. Hamm-Brücher
Wichtiger als die statistische Bilanz ist eine Bilanz unserer Erfahrungen und Einsichten.
Wenn wir den Auftrag, den sich der Deutsche Bundestag im September 1984 gegeben hat und den er in der 11. Legislaturperiode fortgeschrieben hat, mit den nun vorliegenden Ergebnissen der Ausschußberatungen vergleichen, dann kann uns dieses Ergebnis allerdings keinesfalls befriedigen. Von einer Parlamentsreform, wie sie ursprünglich beabsichtigt war, kann noch nicht die Rede sein, allenfalls von zaghaften Ansätzen.
Niemand, meine Kolleginnen und Kollegen, bestreitet den Fleiß und vor allem die Leistung des Parlaments. Dafür zeugen die Drucksachen, Gesetze, Protokolle. Aber müssen wir uns nicht auch Rechenschaft darüber ablegen, ob wir das für die Funktionsfähigkeit unseres Parlaments, für unser Ansehen und unsere Glaubwürdigkeit Entscheidende auch wirklich leisten? Unsere Antwort ist: Ja, wir leisten viel, aber für unser Selbstverständnis Wichtiges können wir angeblich nicht genug leisten. Hier müssen wir unserer Meinung nach ansetzen. Leisten wir es uns öfter mal, eine Debatte offen laufenzulassen! Leisten wir es uns, den Vollzug unserer Beschlüsse strenger als bisher zu kontrollieren! Leisten wir es uns, mehr Öffentlichkeit herzustellen! Leisten wir es uns, unseren Verfassungsauftrag gewissenhaft zu erfüllen! Leisten wir uns mehr Kreativität und Spontaneität, weniger erstarrte Routine, und leisten wir uns auch mehr Bürgernähe durch offene Anhörungen, meine Damen und Herren!
— Ich kann Sie nicht vestehen.
Herr Abgeordneter Conradi und Frau Hamm-Brücher, das ist eine Berichterstattung, und bei Berichterstattungen gibt es keine Zwischenfragen.
Lassen wir es einmal laufen, Herr Duve; wir können das vielleicht nachher machen.
Ich möchte zusammenfassen: Das vorliegende Ergebnis, das wir heute beraten, ist zwar noch kein Ruhmesblatt, aber es ist auch kein Flop. Es ist kein Ruhmesblatt, weil die Kernprobleme — Debattenreform, Kontrolle, Mitwirkungsrechte usw. — allenfalls im Krebsgang — Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole: allenfalls im Krebsgang — vorangekommen sind. Es ist aber auch kein Flop, weil es doch einige
Male gelungen ist — meistens leider nur zu später Stunde —, unseren Debattenstil zu verbessern, einander zuzuhören und miteinander zu debattieren.
Das Parlament hat sich auch einige Male als wirklich wachsam und eigenständig erwiesen; ich nenne die Stichworte Rabta, Tornado-Export, Tibet und China-Erklärung.
Neben solchen Sternstunden gibt es aber leider auch ,,Un-Sternstunden". Ich erinnere nur an Quellensteuer, Flugbenzin usw.
Sehr erfreulich ist es, daß das öffentliche Interesse am parlamentarischen Geschehen spürbar gewachsen ist und daß die Beschäftigung mit Parlamentarismus-Fragen deutlich zugenommen hat.
Gestatten Sie mir auch ein Wort in eigener Sache. Sicher war unsere Tätigkeit eine Sisyphus- und Herkules-Arbeit ohne zusätzliche Mitarbeiter und Zuarbeit. Auch das Durchhalten wurde uns oft nicht ganz leicht gemacht. Aber diese Form der Zusammenarbeit hat uns eine wichtige Erfahrung gebracht, nämlich ein sonst nicht übliches Gefühl eines sinnvollen Engagements und auch ein Gefühl der Verbundenheit über Fraktionsgrenzen hinweg. Dafür möchte ich allen Mitstreitern und Freunden in diesem Augenblick ganz herzlich danken.
Noch etwas: Ohne diese interfraktionelle Zusammenarbeit wäre Parlamentsreform als Prozeß gar nicht erst in Gang gekommen. Ohne diese Initiative gäbe es keine ernsthafte Auseinandersetzung um unser Selbstverständnis und unseren Verfassungsauftrag.
Zum Schluß zu den Konsequenzen. Wir stehen heute vor der Entscheidung, entweder die nun vorliegenden Ansätze zur Parlamentsreform — vielleicht mit einigen Vertröstungen — zu beerdigen oder aber einen neuen ernstgemeinten Anlauf zu nehmen. Hierzu legen wir einen Entschließungsantrag vor, in dem die Präsidentin gebeten wird — wie auch schon zu Anfang —, den Vorsitz in der notwendigen Kornmission zu übernehmen.
Abgesehen von Geschäftsordnungsverbesserungen stehen weitere Probleme auf der Reformagenda, meine Damen und Herren: Unsere derzeit 21 Sitzungswochen im Jahr sind so hoffnungslos überfrachtet, daß keine noch so geschickte Verlagerung innerhalb der nur dreieinhalb Sitzungstage in den Sitzungswochen weiterhilft. Das leere Plenum symbolisiert ein Stück Sinnentleerung unserer Tätigkeit. Die am letzten Donnerstag zu Protokoll gegebenen 18 Debattenbeiträge — zu Protokoll gegebenen 18 Debattenbeiträge! — führen unsere Arbeitsplanung doch wirklich ad absurdum. Und deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir unsere Arbeit zwischen Parlament und Wahlkreis gestalten sollten.
Das heißeste aller Eisen ist nach wie vor der Umgang mit dem Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes. Hier geht es um den Stellenwert des freien Mandats im notwendigerweise geordneten Parlament der Fraktionen. Der öffentlichen Kritik an fehlenden eigenständi-
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Frau Dr. Hamm-Brücher
gen Parlamentarierpersönlichkeiten kann wirklich nur dann begegnet werden,
wenn von diesem Verfassungsauftrag im parlamentarischen Alltag ohne Einschüchterung, ohne Angst vor nachteiligen Folgen wirklich Gebrauch gemacht werden kann.
Kolleginnen und Kollegen, aus all diesen Gründen sind Debatten wie diese über unser Selbstverständnis und über die Verbesserung unserer Wirkungsmöglichkeiten keine Betriebsversammlungen, kein Formelkram,
sondern ein Stück gelebter und vorgelebter, für den Bürger auch erlebbarer Verfassung unserer Demokratie und eine Bewährungsprobe für ihre Reformfähigkeit.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, damit ist die Berichterstattungsphase abgeschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Nun können auch Zwischenfragen gestellt werden und, und, und.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rüttgers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich einige Gedanken über einen solchen Redebeitrag in einer sogenannten offenen Debatte macht, hat man, zumindest dann, wenn man wie ich erst seit 1987 diesem Hohen Hause angehört, etwas Zweifel,
ob man überhaupt mit dem notwendigen Background hier reden kann. Auf der anderen Seite, verehrter Kollege Daniels, ergibt sich allein aus der Position des Geschäftsführers, daß irgendwann auch solche Menschen in dieser Debatte zu Wort kommen dürfen.
gewandt] : Der Jahn will nicht reden!)
Ich will Ihnen meine persönliche Antwort, nachdem ich mich damit sehr intensiv befaßt habe, sagen: Ich glaube nicht, daß es übereinstimmt. Wir können mit der Geschäftsordnung die grundsätzlichen Probleme der Akzeptanz und der Arbeitsfähigkeit des Hauses nicht lösen, weil Geschäftsordnung so etwas ist — Herr Porzner hat es eben schon gesagt — wie ein Organisationsinstrument. Die Ausgestaltung von Geschäftsordnungen ist, meine ich, eben keine Grundsatzfrage,
sondern hier wird nur versucht, die Klärung grundsätzlicher politischer Fragen überhaupt erst zu ermöglichen. Anders formuliert: Eine Geschäftsordnung ist Mittel zum Zweck, allerdings nicht mehr und auch nicht weniger.
Ich meine, wichtiger ist, daß wir auch immer wieder statt über Abläufe über die Inhalte miteinander reden. Ich glaube, das Problem ist, daß die Bürger von uns erwarten, daß wir uns im Bundestag mit den entscheidenden Fragen auf Grund unseres Gestaltungsauftrags auseinandersetzen und daß wir die Kompetenz zur Lösung der Fragen, die die Bürger an den Bundestag, an die Politik stellen, nach außen deutlich machen.
Wir wissen alle, es gibt viele kluge Gedanken und auch statistische Erhebungen, die sich mit dem Ansehensverlust des Parlaments und damit natürlich auch mit dem Ansehensverlust von uns Abgeordneten auseinandersetzen. Ich persönlich bin mir aber nicht ganz sicher, ob die Bevölkerung eigentlich immer ein kla-
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Dr. Rüttgers
res Bild von den Aufgaben und der Funktion des einzelnen Abgeordneten hat.
Dabei ist mir vor allem eines ganz, ganz wichtig: Ich meine, daß wir uns als normale Parlamentarier eben nicht im Vergleich mit denjenigen, die Staatsämter haben, mit Ministern und Ministerpräsidenten und mit dem Oppositionschef definieren müssen. Es geht um den normalen Parlamentarier, der in den Ausschüssen und in den verschiedenen Kommissionen seine Arbeit macht und große Probleme hat — das weiß jeder von uns —, diese Arbeit nach außen deutlich zu machen. Wir müssen das Selbstbewußtsein dieses Abgeordneten viel stärker nach außen tragen. Das scheint mir ein ganz, ganz wesentlicher Punkt zu sein.
Wenn Abgeordnete sich lediglich als Nachwuchs für politische Spitzenämter einschätzen lassen, verfehlen sie, meine ich, ihre Aufgabe. Von da her gesehen — dies ist ein Punkt, der bei uns bisher viel zuwenig diskutiert worden ist — müssen wir stärker darüber nachdenken, wie wir Personal hier rekrutieren und austauschen können, miteinander andiskutieren und lösen.
Es gibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das besagt: Parlamentarier sein ist ein Beruf. Aber parlamentarische Arbeit ist eben kein Lebensberuf, sondern ein Beruf auf Zeit. Ich glaube, das ist ein Problem, das wir auch zur Verbesserung unseres Ansehens zu lösen versuchen müssen.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die interfraktionelle Initiative hat eine schwierige Aufgabe geschultert. Sie konnte das nur wagen, weil sie erstens von der Notwendigkeit der Reform überzeugt ist, und zwar einer Reform zur Stärkung des Parlaments, und weil sie zweitens eine beachtliche Zahl von Mitgliedern dieses Hauses hinter sich weiß.
Von meiner Fraktion haben beispielsweise dem Grundsatzantrag auf Drucksache 11/411 vom August 1987 53 Kolleginnen und Kollegen durch Unterschrift zugestimmt. Das heißt, sie alle wollen, wir alle wollen, daß das politische Gewicht des Parlaments gegenüber der Regierung erhöht wird, daß die Wahrnehmung der Kontrollaufgaben verbessert wird, daß die Redeordnung offener und lebendiger gestaltet wird und auch freie Wortmeldungen zugelassen werden. Nichts anderes steht nämlich in diesem Antrag.
Ohne den Rückhalt der vielen Mitunterzeichner hätte die kleine aktive Reformergruppe die mühsame Arbeit der vergangenen zwei Jahre nicht bewältigen
können. Ich möchte deshalb hier ein herzliches Dankeschön für diese Unterstützung sagen.
Als Bilanz bleibt in jedem Fall festzuhalten: Es ist einiges erreicht worden, aber nicht genug.
Es ist aber doch eine Tatsache, daß in diesem Haus ein Prozeß, ein sich vertiefender Prozeß des Nachdenkens in eigener Sache eingesetzt hat. Es ist ein Reformpotential vorhanden, das Veränderungen will. Ich denke, wir sollten diese Triebkräfte nicht versanden lassen, sondern sie nutzen und stärken.
Deshalb möchte ich schon jetzt dafür werben, dem Entschließungsantrag der Initiative zuzustimmen, der sich für eine Fortführung der Arbeit ausspricht und die Präsidentin bittet, bis zum Sommer 1990 ihrerseits Verbesserungsvorschläge für die Parlamentsarbeit zu machen.
Aus meiner Sicht sind zwei Schwerpunkte ins Auge zu fassen: zum einen eine Dynamisierung des Debattenstils durch eine flexiblere Handhabung der Redezeiten und zum anderen das häufigere Aufgreifen wichtiger, herausragender Themen, die die Menschen bewegen. Ich stelle immer wieder fest, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß die Bürger von uns wesentlich mehr Weitsicht erwarten, als wir gemeinhin an den Tag legen. Sie erwarten, daß wir über das Jahr 2000 hinaus denken und einen geschärften Blick für das Wesentliche entwickeln, das auf uns zukommt.
Nehmen wir das Beispiel neue Technologien, etwa die Gentechnologie. Sie kann das Gesicht der Welt verändern; das wissen wir alle. Ich stelle fest, daß der Deutsche Bundestag dieses Thema trotz der hervorragenden Arbeit der Enquete-Kommission mit großer Verspätung aufgegriffen hat. Dadurch besteht die Gefahr, daß eine Entwicklung an uns vorbeizieht bzw. schon vorbeigezogen ist, die wir eigentlich steuern sollten.
Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: Mit Riesenschritten kommt der EG-Binnenmarkt auf uns zu. Es herrschen Unsicherheit und auch Beunruhigung darüber, welche sozialen Auswirkungen er mit sich bringen wird; übrigens auch darüber, welche Auswirkungen ein forciertes Wirtschaftswachstum auf die Umwelt im EG-Raum haben wird.
Nun wird den Zug nach Europa in diesem Hause ganz gewiß niemand aufhalten wollen; im Gegenteil.
Aber die Weichen für diesen Zug, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden nicht von den Parlamenten gestellt, sondern sie werden von der EG-Kommission in Brüssel und vom Ministerrat gestellt, also von der Exekutive.
— Wenig genug.
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Frau Dr. Hartenstein
Das bedeutet: Die Parlamente werden deutliche Souveränitätsverluste hinnehmen müssen. Es ist leider so, Herr Kollege Gallus, daß diese Souveränitätsverluste nicht automatisch dem Europäischen Parlament zuwachsen. Hier liegt doch das Problem.
Ich denke, daß wir genau dieses Problem nicht auf uns zurollen lassen dürfen, sondern es schleunigst anpakken müssen.
Es darf doch nicht wahr sein, daß in demselben Augenblick, wo sich in Osteuropa so gewaltige Veränderungen vollziehen, dort mit erstaunlicher Kraft parlamentarische Demokratien aufgebaut werden, im westlichen Europa eine Schwächung des Parlamentarismus eintritt und dies sozusagen stillschweigend hingenommen wird.
Auch diese Frage gehört — und nicht nur indirekt, Herr Bohl — zum Thema Parlamentsreform; denn wenn sich das Parlament für solche Fragen Zeit und Kraft freischaufeln will, muß es aus dem starren Routinebetrieb entschlossen ausbrechen. Die Gewichte müssen neu verteilt werden. Es müssen neue Formen gefunden werden. In jedem Fall muß das Plenum entlastet werden, sei es durch beschließende Ausschüsse, wie sie etwa die Gemeindeparlamente haben, oder durch Einführung reiner Plenarwochen oder was auch immer. Darüber müssen wir diskutieren.
Lassen wir allzu große Ängstlichkeit fahren! Setzen wir mehr auf Kreativität als auf Sterilität, mehr auf Erneuerung als auf Routine! Was brauchen wir dann dazu? — Nichts anderes als das, was uns tagtäglich auch draußen abverlangt wird, nämlich Mut zum Wagnis, Überzeugungskraft, Durchhaltevermögen und eine gehörige Portion Selbstvertrauen. Es gibt keinen Grund, diese Eigenschaften nicht auch innerhalb des Hauses unter Beweis zu stellen.
Ich wünsche mir, daß wir einen dritten Anlauf der Reforminitiative machen können. Ich wünsche mir viele Mitstreiter. Der Einsatz wird sich sicherlich lohnen, denn es geht um das Ansehen des Parlaments insgesamt.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir reden heute in eigener Sache. Auch wenn ich Parlamentarischer Staatssekretär bin: Die Arbeit dieses Parlaments liegt mir sehr am Herzen — Fragestunden usw. Ich fühle mich mehr als Abgeordneter denn als etwas anderes. Das möchte ich hier einmal sagen. Deshalb habe ich mich hier spontan
gemeldet, meine anderen Termine abgesagt und bin hierhergekommen.
Die Frage, die ich mir aber gestellt habe, ist schlicht und einfach die, ob wir mit dem, was wir heute beschließen wollen — denen, die das eingeleitet haben, gebührt Dank — , das erreichen, was wir uns vorgenommen haben
und was auch die Frau Präsidentin hier in so beredten Worten von diesem Pult aus gesagt hat, nämlich Spontaneität und Lebendigkeit in diesem Parlament. Darauf kommt es doch letzten Endes an, meine Damen und Herren Kollegen, wenn das Ansehen dieses Parlaments in der Öffentlichkeit ein anderes werden soll, als es zur Zeit ist. Ich habe nämlich in meinem Auto im Radio von Meinungsumfragen gehört, die nicht gerade herrschaftlich sind, was dieses Parlament anbetrifft. Ich bin allerdings der Auffassung, meine Damen und Herren, daß das, was wir heute beschließen, das nicht leisten wird und kann, was es leisten sollte, nämlich daß diese Spontaneität und Lebendigkeit erreicht werden.
Wenn man nun einen Blick in unsere Geschäftsordnung wirft, dann liest man bei § 33:
Die Redner sprechen grundsätzlich in freiem Vortrag. Sie können hierbei Aufzeichnungen benutzen.
Manchmal kommt man sich in diesem Parlament so vor, als säße man in einer Vorlesung.
Der letzte Präsident, der Wert darauf gelegt hat, daß diese Geschäftsordnung dem Buchstaben nach vollzogen wird, war Kai-Uwe von Hassel.
Er hat jeden ermahnt, der hier eine Vorlesung gehalten hat. Aber warum ist das alles ganz anders geworden?
Herr Abgeordneter, bevor Sie das erläutern, gestatten Sie da eine Zwischenfrage?
Bitte.
Frau Unruh, bitte sehr.
Herr Kollege, ich bin begeistert davon, daß Sie alles abgesagt haben.
Aber können Sie mir bitte sagen, was das heißt: „herrschaftlich"? Was haben Sie da noch gesagt? Daß nach
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Frau Unruh
einer Umfrage draußen dieses Parlament nicht als herrschaftlich angesehen wird? Wie war das?
Das habe ich nicht gesagt!
Frau Abgeordnete Unruh, die Zwischenfrage soll kurz und einfach sein.
Frau Kollegin, ich habe gesagt, die Umfrageergebnisse seien nicht gerade als herrschaftlich in bezug auf dieses Parlament anzusehen.
— Entschuldigung. Ich könnte auch sagen: Sie sind nicht so, daß wir damit zufrieden sein können; sie sind nicht großartig für uns. Das kann man ausdrücken, wie man will. Die deutsche Sprache hat viele Möglichkeiten.
Herr Abgeordneter Gallus, Sie gestatten auch noch eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hamm-Brücher?
Frau Hamm-Brücher, bitte schön.
Herr Kollege Gallus, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß wir in der Frage der Manuskripe etwas tun müssen — ich habe ja selbst verlesen —, aber ich frage Sie wirklich: Wie soll ich in zehn Minuten Redezeit für 49 Anträge und eine zweijährige Arbeit hier einigermaßen Bilanz ziehen?
Es geht doch nicht anders.
Dann noch eine Zusatzbemerkung: Regierungsmitglieder müßten dann natürlich auch in diese Pflicht eingebunden werden.
Frau Kollegin, soweit Sie mich dazu zählen: Mir macht es überhaupt keine Schwierigkeiten, frei zu reden.
— Frau Kollegin, da täuschen Sie sich. Ich achte unseren Außenminister sehr und auch Sie als damalige Staatsministerin,
aber einer meiner Lehrmeister war der Reinhold
Maier, und der hat einmal gesagt: In der Außenpolitik
ist es relativ einfach; da kann man alles behaupten, ohne den Wahrheitsbeweis antreten zu müssen.
Insofern, Frau Kollegin, würde es auch nicht schaden, wenn von dieser Seite her hier frei geredet würde.
— Ich gestatte noch eine Zwischenfrage. Bitte schön.
Verehrter Herr Kollege Gallus, Sie haben gesagt, daß Sie hier vor allem als Abgeordneter sprechen. Sie sind aber auch Mitglied der Regierung. Habe ich das gerade richtig verstanden, daß es einem Staatsminister nicht möglich ist, hier Erklärungen frei abzugeben? Steht das irgendwo in der Geschäftsordnung?
Das habe ich noch nirgendwo gelesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gehört er nun voll zur Bundesregierung oder halb zum Parlament, oder ist er ein Zwitter? Das ist ja nicht ganz klar. Das steht aber auf einem anderen Blatt geschrieben. Ich habe diese Stellung nicht erfunden. Vielleicht kann Herr Porzner etwas mehr darüber sagen; denn er war dabei, als das alles ins Leben gerufen worden ist.
Meine Damen und Herren Kollegen, ich bin Ihnen noch eine Antwort auf die mir selbst gestellte Frage schuldig: Weshalb ist es so gekommen, daß in diesem Parlament mehr Vorlesungen als spontane Debatten stattfinden? Ich behaupte: schlicht und einfach deshalb, weil es sich die Journalisten sehr einfach machen und gemacht haben. Wenn man das in Ordnung bringen wollte, müßte man auch eine Lösung mit den Medien finden. Es ist nämlich so: Jeder Journalist will die Rede schriftlich haben, bevor in diesem Parlament überhaupt geredet wurde, weil sie hier nämlich gar nicht erscheinen wollen.
Sie kritisieren uns von vorne bis hinten. Man müßte eigentlich ein Gesetz schaffen, nach dem erst einen Tag danach berichtet werden darf, was in diesem Parlament geschieht. Dann könnte man nämlich erwarten, daß sich die Damen und Herren Journalisten wenigstens um die Fahnenabzüge der Druckerei bemühen, um festzustellen, was der einzelne Abgeordnete gesagt hat und was nicht. Nur wenn wir Mut haben, uns so zu verhalten, dann werden wir hier Spontaneität bekommen.
Zum Schluß, Frau Hamm-Brücher, noch ein Wort zu Ihnen. Ich war sechs Jahre lang - hier ist es schon gesagt worden — gewöhnlicher Abgeordneter. Ich habe mich deshalb nie in einer Situation befunden, in der mir das Selbstbewußtsein gefehlt hat.
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Gallus
Frau Kollegin, ich glaube, dieses Parlament hat insgesamt Selbstbewußtsein genug. Wenn sich aber dieses Parlament und jeder einzelne Abgeordnete jeden Tag wegen allem und jedem vor der deutschen Öffentlichkeit dauernd entschuldigt, angefangen von dem, was wir tun oder nicht tun, kann man nur sagen: Jeder kann hier arbeiten soviel er will. Niemand ist daran gehindert.
Zweitens, meine Damen und Herren, wir entschuldigen uns von morgens bis abends — ich habe das mein Leben lang noch nie getan; ich bin jetzt bald 20 Jahre in diesem Parlament — , wie das Salär für diese Abgeordneten ist. Wenn ich sehe, was tüchtige junge Leute, bevor sie 30 Jahre alt sind, in der Wirtschaft verdienen, dann frage ich mich, wie wir in der Zukunft überhaupt noch fähigen jungen Nachwuchs für dieses Parlament bekommen wollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ronneburger?
Bitte.
Herr Kollege Gallus, Sie haben hier ein Gesetz gefordert, nach dem erst einen Tag nach der Debatte über Reden berichtet werden darf. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es viel effektiver und viel wirksamer wäre, wenn wir alle uns verpflichten würden, den Journalisten nicht bereits am Tage vor einer Debatte unseren Redetext zur Verfügung zu stellen,
sondern wenn wir uns darauf beschränkten, den Journalisten das zur Verfügung zu stellen, was wir hier tatsächlich gesagt haben?
Herr Kollege, ich bin voll mit Ihnen einig, aber ich kenne meine Pappenheimer.
Wissen Sie, es fängt im Präsidium der FDP, in der eigenen Partei, an. Man weiß ja nicht, wo man überhaupt noch reden kann, ohne daß nicht gleich irgendwo erscheint, was man gar nicht in den Medien haben will.
Ich garantiere, daß es, wenn wir dies einander schwören, genug Abgeordnete gibt, die dem nächsten Journalisten ihr Manuskript vorher geben, wenn er verspricht, daß dieser Abgeordnete in kommenden Auflagen dafür, daß er vorzeitig sein Manuskript gegeben hat, x-mal erscheint. Der Journalist braucht ja nicht zu sagen, von wem er es bekommen hat. Er kann das verweigern; das ist auch richtig so.
Gut, man kann es sich gegenseitig schwören, aber
was dabei herauskommt, das weiß ich schon im voraus. Mit einer Lösung in irgendeiner Form, Herr Kollege, wäre ich sehr einverstanden.
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich heute hier das Wort ergriffen habe.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfner.
Herr Kollege Gallus, Lebendigkeit ist eine Zier; doch wenn sie auf Kosten der Sachlichkeit geht, weniger.
— Man kann diese Debatte natürlich auch zum Anlaß nehmen, über Gott und die Welt herzuziehen und seinen Ärger über Reformbestrebungen auch im Deutschen Bundestag zum Ausdruck zu bringen. Das kann ich verstehen. Ich meine jedoch, daß derartige Reformen eine schlichte Selbstverständlichkeit, eine ständige Aufgabe dieses Parlaments, jedes Parlaments und nicht nur jedes Parlaments, sondern überall in der Gesellschaft ist. Ich meine auch — das ist heute schon gesagt worden — , daß es zu einer Zeit, wo in vielen Ländern Mitteleuropas und Osteuropas Demokratie sozusagen in Sieben-Meilen-Stiefeln erkämpft wird geradezu peinlich ist, wenn wir uns hier mit millimeterweisen Fortschritten so schwertun.
Selbst von den vergleichsweise kleinen Fragen, die wir uns hier vorgenommen haben, ja selbst von dem Wenigen, das — Herr Kansy, das nur zur Geschichte — im Geschäftsordnungsausschuß in relativ besonnenen Beratungen einstimmig durchgegangen ist, wenn auch dort viele Ängste vorgeherrscht haben, wurde ein Großteil vom Ältestenrat, dem Bremserhäuschen jeder Reform in diesem Parlament, der Versammlung parlamentarischen Beharrungsvermögens, verhindert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte immer Zwischenfragen, sofern sie nicht auf die Redezeit angerechnet werden.
Herr Kollege Häfner, Sie stimmen mit mir vermutlich überein, wenn ich sage, daß viele, wie ich auch, bewundern, was an Volksbewegung in unseren östlichen Nachbarländern passiert. Aber gleichwohl: Halten Sie eigentlich die Parallele von dem, was dort passiert, zu unserer heutigen Debatte für angemessen?
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Lieber Herr Kollege Wiefelspütz, ich halte diesen Vergleich für angemessen,
weil ich meine, daß diese unsere Demokratie — natürlich kann man den Status, der erreicht ist, nicht vergleichen und geht es dort um viel mehr — gegenwärtig nicht durch zuviel, sondern durch zuwenig Demokratie gefährdet ist. Das wird deutlich, wenn Sie auf die Übermacht der Parteien schauen, die quasi ein Monopol für politische Willensbildung haben, wenn Sie darauf schauen, daß das Parlament seine Aufgabe in großen Teilen gar nicht erfüllt, nämlich Kontrollorgan der Regierung zu sein. Das macht doch nur ein Teil des Parlaments, und zwar der Teil, der niemals die Mehrheit hat und deshalb auch nichts durchsetzen kann.
Der andere Teil versteht sich doch als Notariat und Steigbügelhalter der Regierung,
so daß in Ritualen erstarrt, was lebendige Demokratie sein sollte.
Daß die Demokratie durch zuwenig Demokratie gefährdet ist, wird deutlich, wenn Sie — drittens — sehen, daß die Bürgerinnen und Bürger seit längerer Zeit selbstverständlich nicht mehr damit zufrieden sind, ihre Stimme alle vier Jahre im doppelten Wortsinne abzugeben, sondern auch in Sachfragen mitreden wollen. Ich meine durchaus, daß man das vergleichen kann. In Ungarn z. B. wurde jetzt die Möglichkeit zu Volksabstimmungen eingeführt, in der DDR wird auch darüber beraten, und auch in anderen Ländern ist das der Fall.
Bei uns scheint es fast undenkbar, das Grundgesetz in diesem Punkt, nämlich der direkten politischen Willensbildung durch das Volk — Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes — zu verwirklichen.
Herr Abgeordneter, einen Augenblick bitte.
Meine Damen und Herren, die Zwischenfragen häufen sich sehr stark.
—
Häfner [GRÜNE]: Ein gutes Zeichen!)
Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß diese Zwischenfragen und die Antworten nicht auf die Redezeit von fünf Minuten angerechnet werden und damit eine Verlängerung der Sitzungsdauer eintritt.
Gestatten Sie Frau Geiger eine Zwischenfrage? Häfner : Sehr gern.
Herr Häfner, es geht hier sicher auch um die Rechte der einzelnen Abgeordneten. Haben Sie sich als Vertreter der GRÜNEN, einer kleineren Fraktion, schon mal Gedanken darüber gemacht, wie sehr Sie privilegiert sind? Die Rechte der einzelnen Abgeordneten der GRÜNEN sind wesentlich größer als unsere. Wir haben eine Fraktion mit über 200 Mitgliedern — die SPD ist ähnlich stark —, und der einzelne kommt viel, viel weniger dran als bei Ihnen. Daß gerade Sie so viel klagen, verstehe ich nicht.
Liebe Frau Geiger, ich kann die Empfindung, die Ihrer Frage zugrunde liegt, verstehen, weil Sie
— darf ich die Antwort geben, Herr Conradi — die Redezeit auf den quantitativen Faktor der Anzahl der Mitglieder einer Fraktion beziehen.
— Richtig. — Frau Geiger, ich weiß, wir sind da verschiedener Meinung, aber Sie sollten auch einmal meinen Gedanken mitdenken. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß es aus meiner Sicht eher um die Anzahl von Argumenten und Positionen geht, die nicht immer von der Fraktionsgröße abhängig ist und daß sehr viele Parlamente auf dieser Erde, sei es das niederländische, sei es das österreichische, selbst deutsche Landtage, den Fraktionen gleiche Redezeiten geben und diese nicht nach dem Proporz der Fraktionen aufteilen,
damit die verschiedenen Argumente auch ausgetauscht werden können.
Wenn Sie mir ein letztes erlauben: Sie haben von einer Privilegierung der GRÜNEN gesprochen. Wenn Sie auf die faktischen Wirkungsmöglichkeiten in diesem Parlament schauen, wo wir doch gänzlich zur Ohnmacht verurteilt sind, weil Sie sich nie das Herz nehmen, wenigstens dort einmal zuzustimmen, wo unsere Anträge auch vor Ihren Augen bestehen könnten, sondern selbst dann der Fraktionsführung gehorchen, dann, meine ich, ist es eher deprimierend, hier zu arbeiten.
Herr Häfner, wir haben noch zwei Wünsche für Zwischenfragen, einmal vom Abgeordneten Werner und zum anderen vom Abgeordneten Eimer. Sind Sie bereit, diese beiden Zwischenfragen zuzulassen?
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Solange Sie das erlauben, Herr Präsident, erlaube ich das gerne; denn so etwas halte ich für lebendige Debatte. Bitte schön.
Herr Häfner, ich möchte an die Frage des Kollegen von der SPD anschließen: Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß die Art und Weise der Darstellung des Parlamentarismus, wie er hier in Jahrzehnten gewachsen ist und der sicherlich auch verändert und verbessert werden kann, absolut ungeeignet ist, mehr Offenheit und mehr Verständnis für die Probleme, die wir hier haben, in der Öffentlichkeit zu finden, wenn Sie ein Zerrgebilde dessen, was wir hier leisten, in dieser Form von sich geben?
Da mag es verschiedene Auffassungen geben. Ich glaube nicht, daß das ein Zerrgebilde ist. Ich glaube, daß wir uns den konkreten Problemen, wie ich sie aufgezeigt habe, zuwenden müssen: der Politik- und Parteienverdrossenheit vieler Menschen, die gute Gründe hat, auch dem Phänomen, das beispielsweise am Protest vieler Millionen Menschen gegen die Wiederaufbereitungsanlage zum Ausdruck kam. Das Volk hat protestiert.
Eine Million Menschen erhob schriftlich Einwendungen. Aber alles das hatte keinerlei Wirkung; aber der Wunsch der deutschen Wirtschaft hatte schlagartig Wirkung.
Im Grundgesetz steht: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus
und nicht von Daimler-Benz/MBB, vom Deutschen Beamtenbund oder von der DWK. Das ist doch die Realität des Grundgesetzes, und auf diese Realität müssen wir unsere Arbeit hier einstellen. Gegen unsere faktische Machtlosigkeit gegenüber Regierung, Verwaltung, Wirtschaft und gegen die Tendenz, im Rahmen der EG sozusagen vorkonstitutionelle Verhältnisse wieder aufleben zu lassen, also nicht Parlamente entscheiden zu lassen, sondern Regierungsorgane, Kommissare, müssen wir die Demokratie verteidigen.
Nach Herrn Eimer möchte Herr Bohl noch eine Zwischenfrage stellen. — Auch damit sind Sie einverstanden. Bitte sehr.
Herr Kollege, Sie haben vorhin gesagt, die Parteien hätten ein Monopol auf Meinungsbildung. Ist es nicht so, daß bei uns auch die Presse, Vereine, Verbände und Demonstrationen zur Meinungsbildung beitragen? Wo ist das Monopol der Parteien?
Da haben Sie sich in einem ganz wichtigen Punkt verhört: Ich sprach nicht von einem Monopol auf Meinungs-, sondern auf politische Willensbildung. Ich unterscheide die Meinungs- von der Willensbildung in der Weise, daß in der Gesellschaft natürlich Meinungen aller Art diskutiert und vertreten
werden können; politisch entscheidend ist aber, was als politische Willensbildung, also als Entscheidung darüber, was nun geschehen soll, herauskommt.
Das Grundgesetz — wenn Sie mir die Antwort erlauben — spricht davon, daß die Parteien an der politischen Willensbildung mitwirken. Faktisch aber, meine ich, haben sie sich — auch vermittelt über die Fraktionen — quasi ein Monopol auf die politische Willensbildung, also auf die Entscheidungsmacht, geschaffen.
Herr Abgeordneter Bohl, bitte.
Herr Kollege Häfner, darf ich Sie fragen, wo sich Ihre Forderung nach Einführung von Plebisziten in den Anträgen der interfraktionellen Arbeitsgruppe wiederfindet?
Diese Forderung findet sich in den Anträgen der interfraktionellen Initiative Parlamentsreform nicht wieder.
Herr Bohl, es ist Ihnen als parlamentarischer Geschäftsführer aber vermutlich nicht entgangen, daß zu dieser Debatte eine größere Zahl von Anträgen vorliegt, darunter auch ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, der u. a. diese Forderung enthält. Denn wir meinen, daß in einer Zeit, in der es ganz generell um die Reform der politischen Willensbildung geht, in der es also auch darum geht, wie die Menschen mehr mitsprechen und an den Entscheidungen beteiligt werden können, und nicht nur darum, wie wir hier etwas anders miteinander umgehen können, diese Frage zentral gestellt werden muß und daß wir uns insofern nicht auf eine bloße Geschäftsordnungsreform beschränken können. Wir unterstützen die Anträge der Initiative, gehen aber in diesem und noch einigen anderen Punkten darüber hinaus. Das ist unser gutes Recht — ich nehme an, das teilen auch Sie.
Ich will in der verbleibenden Redezeit noch kurz etwas zu den heute von uns vorgelegten Anträgen sagen. Es gibt einen Antrag, der genau darauf zielt, was vorhin schon durch die Frage von Frau Geiger angesprochen wurde, nämlich gleiche Redezeit für alle Fraktionen und mehr Rechte zu Kurzinterventionen, d. h. eine lebendigere Debattengestaltung. Mit diesem Antrag gehen wir über das hinaus, was hier sehr vorsichtig zur Erprobung vereinbart worden ist.
Wir haben zweitens einen Antrag vorgelegt, das Recht fraktionsloser Abgeordneter auf einen Ausschußsitz in der Geschäftsordnung festzuschreiben, weil wir meinen, daß dies notwendig ist. Wenn man Mitglied des Parlamentes ist, muß man zumindest in einem Ausschuß mitarbeiten können. Wir haben ein Verfahren vorgeschlagen, wie dieser Ausschußsitz zwischen dem jeweils fraktionslosen Mitglied und der Präsidentin einvernehmlich festgesetzt werden kann.
14208 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Häfner
Wir haben drittens einen Antrag vorgelegt, die Möglichkeit zu Kleinen Anfragen vom Quorum der Fraktion bzw. der 5 % zu trennen und jedem Abgeordneten diese Möglichkeit zu geben. Wir meinen, daß es nicht ausreicht, daß man als Abgeordneter lediglich am Mittwoch in der Fragestunde bzw. auf schriftlichem Wege viermal im Monat eine Frage stellen kann. Das ist meines Erachtens dem Status des Abgeordneten auch als Volksvertreter nicht angemessen. Praktisch alle anderen Initiativrechte sind an das Quorum der Fraktion gebunden, wenn man von Änderungsanträgen in zweiter und dritter Lesung absieht. Diese Restriktionen tragen auch dazu bei, daß die Botmaßigkeit der Abgeordneten gegenüber ihren Fraktionen immer wieder schon im Vorfeld erzwungen wird und daß gerade der freie, selbstbewußte Abgeordnete, von dem heute so viel die Rede war, kaum vorkommt.
Wir meinen, daß z. B. das Recht auf Kleine Anfragen selbstverständlich von einzelnen Abgeordneten ausgeübt werden können muß.
Wir meinen weiterhin, daß Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Zutrittsrecht bei Ausschüssen haben müssen. Wir halten es für ein Unding, daß da manchmal 20 oder 30 Regierungsvertreter sitzen, die den Debatten beiwohnen und die dann auch natürlich die ihnen nahestehende Seite des Hauses präparieren können,
und daß wir völlig allein sitzen und keine Möglichkeit haben, uns gegebenenfalls an Hand eines Gesetzestextes oder anderer Dinge während der Sitzung rückzuversichern.
Wir meinen, daß im Parlament mindestens diese Waffengleichheit geschaffen werden muß,
da wir ohnehin gegenüber dem gigantischen Apparat der Regierung völlig unzureichend ausgestattet sind.
Wir haben schließlich einen Antrag für die grundsätzliche Öffentlichkeit von Ausschußsitzungen vorgelegt und halten uns da an das Grundgesetz.
Dieses sagt, der Bundestag verhandelt öffentlich, und wir meinen, daß das dann auch dort, wo die eigentliche Arbeit stattfindet, nämlich in den Ausschüssen, gelten muß. Wir verstehen die Angst, daß die Zulassung der Öffentlichkeit den Debattenstil verändern könnte, obwohl die Erfahrungen in Bayern und anderswo dies nicht bestätigen.
Wir meinen aber, daß bei mehr als 20 Ausschüssen, die ständig gleichzeitig tagen, nur in wenigen Fällen — dort ist es dann aber auch nötig, etwa bei der Gesundheitsreform und der Steuerreform — dies von der Öffentlichkeit in dieser Weise wahrgenommen werden wird, die den Stil der Beratung beeinflussen könnte; aber die Öffentlichkeit muß hergestellt werden, und sie darf nicht wie bisher vom Willen der Mehrheit abhängig gemacht werden.
Hiermit spreche ich mich auch ganz und gar gegen die Empfehlungen in der Vorlage des Ältestenrates bzw. auch des Geschäftsordnungsausschusses aus. Es genügt keineswegs, dies bloß zu empfehlen; wir haben es schon x-mal empfohlen. Damit ist es in den Willen der Mehrheit gegeben. Es kann aber doch nicht der Wille der Mehrheit darüber entscheiden, ob die Öffentlichkeit zugelassen wird oder nicht. Das ist nicht demokratisch und nicht parlamentarisch.
Als letztes: wir haben einen Antrag für ein Akteneinsichtsrecht für Abgeordnete vorgelegt, damit Abgeordnete auch in der Verwaltung und in den Ministerien in die Akten hineinsehen können. Wir meinen, daß dies dringend notwendig ist — es ist übrigens auch ein Bestandteil der Parlamentsreform in Schleswig-Holstein —, um die Abgeordneten überhaupt in die Lage zu versetzen, das zu tun, was sie nach dem Grundgesetz sollen, nämlich die Regierung zu kontrollieren.
Ich danke Ihnen, und ich hoffe, daß Sie bei der Abstimmung heute, soweit möglich, Ihrem Gewissen folgen und nicht nach Fraktionsdisziplin abstimmen.
Wir sollten diesen Mut haben, uns unsere eigenen Rechte fraktionsübergreifend zu erkämpfen. Wenn wir das nicht schaffen, können wir hier vielleicht viel Staat, aber wenig Demokratie zusammen machen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn unsere interfraktionelle Initiative nicht „Initiative Parlamentsreform" hieße, dann würde ich eigentlich dazu raten, nicht das große Wort Reform für das zu benutzen, was wir eigentlich vorhaben.
Das, was wir eigentlich vorhaben, ist das ständige Arbeiten an Verbesserungen unserer Arbeitsbedingungen.
Das ist die einfache Formel für das, was wir tun.
Wenn ich ein ganz simples Beispiel wählen darf — ich glaube, Herr Häfner, Sie haben es kurz angesprochen — : Wenn wir in einen Ausschuß kommen, dann sitzen da außen herum die vielen, vielen Mitarbeiter
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Graf von Waldburg-Zeil
der Ministerien und des Bundesrates. Wenn der Minister oder der Staatssekretär etwas wissen will, dann ruft er, und dann kommen sie und flüstern ihm etwas ins Ohr. Wenn aber der unglückselige Abgeordnete nun weiß, daß sein Kollege im anderen Ausschuß sitzt — sie sitzen ja meist in zwei Ausschüssen —, und die Mehrheit ja funktionieren soll, dann muß er hinaustraben, ihn suchen und holen. Als ob das so schlimm wäre, wenn ein Fraktionsmitarbeiter an seine Stelle träte! Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß man das nicht regeln könnte.
Zu dieser Frage gibt es Für und Wider. Ja, es gibt auch Argumente dagegen. Ich meine aber, das ist ein typisches Beispiel für etwas, was nicht in den Fraktionen vorher geklärt werden müßte. Vielmehr ist das eine Frage, über die man von Fall zu Fall sprechen kann, um dann zu entscheiden.
Damit bin ich bei einem zweiten Punkt. Ich meine, wir sollten in Zukunft vielleicht mehr Gruppenanträge zulassen. Mir ist vollkommen klar, daß es keine Verunklarung der Verantwortung zwischen Regierung und Opposition geben darf und daß deshalb die Arbeit der Fraktionen unerläßlich ist. Ich möchte mich bei den parlamentarischen Geschäftsführern auch ausdrücklich für ihre Arbeit bedanken. Ich meine nur, daß es Spielräume gibt, innerhalb derer man durchaus auch einmal ohne Fraktionen über Dinge diskutieren und entscheiden könnte.
Ein Drittes: Wir müssen mehr Verständnis für die Parlamentsarbeit finden. Das ist schon mehrfach angeklungen. Jeder von uns, der Besuchergruppen hat, weiß, daß hier viele Mißverständnisse aufgeklärt werden, die draußen im Wahlkreis noch bestehen. Zum Beispiel die Geschichte mit dem leeren Sitzungssaal: Da sage ich, ich muß gleich wieder hinaufgehen bzw. hinübergehen. Wenn die Besucher aus dem Wahlkreis gekommen sind und wir, die Abgeordneten, sagen, wir geben dem Volkssouverän jetzt die Ehre, kommen zu ihm, diskutieren mit ihm und gehen dafür in dem Moment halt nicht ins Plenum, dann verstehen sie das. Das kann man erklären, aber nur dem, der da ist. Aber es ist nur ein ganz kleiner Prozentsatz von Bürgern, der die Gelegenheit hat, hier als Besucher zu sein.
Deshalb müssen wir Mittel und Wege finden, Ärgernisse nach außen abbauen zu helfen. In diese Richtung gehen ja die Überlegungen, ob man nicht manchmal die zweite Lesung eines Gesetzes — dann öffentlich — in den Ausschuß verlegen kann. Dann muß man allerdings darauf achten, daß nicht Ausschußsitzungen nebeneinander stattfinden, weil dann wieder keine Klarheit nach außen herrschen würde.
Debattenbeiträge versachlichen: Wenn Schülergruppen da sind, erlebe ich es oft, daß sie begeistert dem ersten Beitrag und begeistert dem zweiten Beitrag zuhören. Dann sagen sie allerdings: Es ist jetzt alles wieder anders; entweder hat der eine gelogen oder der andere oder alle beide. Diesen Eindruck sollte man bei jungen Leuten nicht hinterlassen. Vielmehr sollte man sich bemühen, durch Sachlichkeit des Beitrages auch das zu entwickeln, worüber man vorher intensiv nachgedacht hat.
Ein Letztes, was mir ganz wichtig erscheint: Alle moderneren Untersuchungen über Wahlvorgänge besagen, daß sich Bürger von eingebundenen Entscheidungen ihres sozialen Umfeldes lösen und mehr persönliche, individuelle Entscheidungen treffen. Das bedingt aber, daß die persönliche Information besser werden muß. Es ist unerträglich, daß der Volkssouverän je nach Gutdünken einmal von den Medien mit Informationen beliefert wird und ein anderes Mal nicht. Diese Debatte wird z. B. nicht einmal im Rundfunk übertragen. Ich glaube, wir müßten sicherstellen, daß alle Debatten wenigstens über den Rundfunk übertragen werden, damit jeder Bürger die Möglichkeit hat, sich sachlich zu informieren.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Es ist schon x-mal gesagt worden, daß die Parlamentsreform — besser gesagt: Geschäftsordnungsreform — eine ständige Aufgabe ist. Das haben wir ja auch immer gemacht. Seit 1969 haben wir die Arbeitsbedingungen ungeheuer verbessert. Wir hatten 1976 eine Reform beschlossen, die nicht mehr in Kraft treten konnte, weil die Legislaturperiode zu Ende ging, d. h. ein neues Parlament gewählt wurde. Wir haben 1980 eine Parlamentsreform gemacht, die auch wieder Verbesserungen gebracht hat.
Auch das, was heute vorliegt, ist mit Sicherheit eine Verbesserung, wie wir sie uns gewünscht haben. Aber es ist längst nicht die große Parlamentsreform. Ich frage mich eigentlich auch, was man darunter verstehen soll.
Das ist eine äußerst komplizierte Angelegenheit.
Auch wenn ich das begrüße, was wir jetzt geschafft haben, muß ich doch fragen: Worum geht es denn eigentlich bei den Beziehungen zwischen dem Parlament und der Regierung? Das ist eigentlich mein Hauptpunkt bei den Fragen, über die wir zu diskutieren haben.
Aber zuerst möchte ich gerne einmal sagen: Ich sehe überhaupt keinen Grund dafür, daß im Deutschen Bundestag oder draußen — das ist auch heute in den Debattenbeiträgen angeklungen — öffentlich so eine Art Identitätskrise herbeigeredet und daß auch ständig von einem Imageverlust gesprochen wird.
Natürlich haben dem Ansehen des Bundestages auch Skandale und Affären geschadet. Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, daß sich das Parlament als Ganzes eine Verantwortung aufhalsen läßt,
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Frau Renger
die eigentlich nur von denen zu tragen wäre, die diese Skandale verursacht haben.
Aber wenn — ich nenne das Beispiel dieser merkwürdigen Befreiung des Flugbenzins von der Besteuerung, die damals der leider verstorbene Herr Strauß hier eingeführt hat — dann hier eine ganze Fraktion, eine ganze Koalition umfällt, dann ist das nicht eine Sache und das Versagen des ganzen Parlaments, sondern eben der anderen.
Aber draußen heißt es, es war das ganze Parlament. Das führt dann zu solchen Verzeichnungen.
Bei all dem, was ich eben gesagt habe, kommt es doch darauf an, daß wir in diesem Hause, wenn Skandale da sind — sie werden immer wieder kommen, denn es sind Menschen, die hier sitzen — , sie auf dekken können, daraus Konsequenzen ziehen können und sie gegebenenfalls auch ahnden können. Das ist eine wichtige Sache.
Ich halte auch nichts von einer übertriebenen Selbstkritik. Meine Damen und Herren, ich gehöre diesem Hause nun schon so lange an. Ich muß einmal sagen: Als wir das alles an praktischen und wissenschaftlichen Hilfen noch nicht hatten, was wir hier ständig fordern, also im 1. Deutschen Bundestag, — ja was war das für eine tolle Diskussion, und warum denn eigentlich? Ich möchte beinahe sagen: weil nicht alles so geregelt war. Die Antwort ist: Es ging ums Wirkliche, es ging ums Sachliche. Wir diskutieren im Zusammenhang mit der sogenannten Parlamentsreform über Detailfragen, über Kleinstkleinst, wie meistens auch in den Ausschüssen. In den Ausschüssen wird auch über Punkt um Komma und Ausrufezeichen und über Halbsätze stundenlang diskutiert und nicht darüber, welche politische Zielsetzung jeder hat. Dann darf man auch einmal sagen, daß die Vorformulierungen durch die Fraktionen oder von Beamten nicht alle falsch sind; ohne die könnten wir gar nicht leben. Setzen wir uns also mehr mit dem Inhalt auseinander, als solche langweiligen Diskussionen zu führen, die ich im Innenausschuß jahrelang erlebt habe! Es war kein Vergnügen, ich bin da auch herausgegangen.
Ich darf zurückkommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, worum geht es bei der Parlamentsreform für mich? Es ist nicht so, daß ich alles unkritisch beurteile, was Frau Hamm-Brücher kritisch bemerkt hat. Kritisch uns selbst gegenüber bemerke ich: Wir haben es in vielen Jahren doch nicht einmal geschafft, einen Europa-Ausschuß oder ein Gremium zu schaffen, das sich mit den Vorlagen aus dem Europäischen Parlament effektiv beschäftigt.
Worum geht es mir in dieser ganzen Diskussion? Es
geht darum, den Wettbewerb mit der Regierung nicht
einseitig zugunsten der Regierung ausgehen zu lassen.
Ich sagte es schon, wir beschäftigen uns zu viel mit Details. Ansatzpunkt jeder sinnvollen Parlamentsreform muß daher sein, mögliche Wettbewerbsvorteile der Regierung auszugleichen und alles zurückzuweisen, was die parlamentarische Kontrolle schwächt. Ich freue mich, daß dies auch die Sprecherin der Initiative hier noch einmal deutlich gesagt hat, insbesondere, liebe Frau Hamm-Brücher, seitdem Sie von der Regierungsbank auf die Abgeordnetenbank gewechselt haben.
— Gerne.
Frau Renger, ich wollte nur sagen — ich habe schon öfters gewechselt — : Sind Sie bereit zu akzeptieren, daß ich 22 Jahre in Bayern die Oppositionsbänke gedrückt habe und darum ein Lied davon singen kann, wie das tut?
In Bayern geht es ganz anders als hier.
Meine Damen und Herren, weil hier schon das rote Licht leuchtet, möchte ich in wenigen Stichworten noch folgendes sagen. Ich weiß nicht, warum in unserer Verfassung steht — das zeigt, daß ein Unterschied zwischen Regierung und Parlament besteht — , daß die Regierung jederzeit das Rederecht hat. Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb.
Ich kann auch nicht verstehen, wenn eine Regierung eine Regierungserklärung abgibt und dann ein Minister, der eigentlich für das verantwortlich wäre, was die Regierungserklärung beinhaltet, als Abgeordneter spricht.
Das halte ich für einen schlechten Stil. Ich habe es dem Minister auch gesagt, aber er hat es nicht akzeptiert.
Meine Damen und Herren, es gibt eine Reihe von anderen Privilegien bzw. Aspekten, wo unser Selbstverständnis gefordert wird. Den Einzelplan 02 können wir selber eigentlich gar nicht richtig einbringen und verabschieden. Das macht im Grunde genommen der Finanzminister. Dieser Haushalt wird in das ganz große Haushaltspaket mit eingebracht, aber wir sind der Gesetzgeber. Das halte ich nicht für gut.
Ich glaube, wir müssen auch darüber sprechen, daß wir bei der umfassenden Informationsnotwendigkeit Zugriffe auf die Datenbanken der Regierung haben müssen, auch auf die zahlreichen Gutachten, die da
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Frau Renger
geschrieben werden. Ungeheures Geld könnten wir sparen, wenn wir das nicht alles doppelt machten.
Wir brauchen ein Befugnisgesetz für die Enquete-Kommissionen, damit wir endlich an die Betroffenen Fragen stellen können, die zur umfangreichen Aufklärung erforderlich sind.
Ich weiß, daß der einzelne Abgeordnete manchmal Schwierigkeiten hat. Hier könnte uns die Presse insofern helfen, als sie bei Interviewrunden im Fernsehen nicht immer nur dieselbe Elefantenrunde,
sondern indem sie auch eine Fülle von jüngeren Kollegen der Öffentlichkeit bekannt macht. Teilweise geschieht das, aber das sollte noch besser werden.
Ich meine, dieses Parlament ist recht gut. Mein Gott, Sie waren alle schon in Skandinavien. Wenn Sie ein langweiliges Parlament sehen wollen, dann gehen Sie nach Skandinavien.
Da darf weder gelacht, geklatscht oder gar ein Zwischenruf gemacht werden. Es ist ebenfalls leer und langweilig dazu.
Meine Damen und Herren, entscheidend scheint mir zu sein, daß in diesem Parlament selbstbewußte, eigenständig denkende und handelnde Politiker vertreten sind, die sich bewußt sind, daß von ihrem Denken und Handeln Freiheit und Wohlstand dieses Landes abhängen. Ich finde, wir haben doch wohl keine Sorge, zu bestätigen, daß das in all den Jahrzehnten geschehen ist. Wenn wir Parlamentarier dann noch eine Sprache sprechen würden, die jedermann versteht — heute ist das glücklicherweise passiert —,
wenn hier ausgesprochen würde, was wirklich los ist und was den Menschen unter die Haut geht und unter den Nägeln brennt, dann könnte von Vertrauensverlust überhaupt nicht die Rede sein. Ich sage Ihnen: Vertrauensverlust ist auch generell gar nicht vorhanden.
— Nein, nicht gegenüber dem Parlament. Nein, meine Damen und Herren. Die Kritik richtet sich gegen ganz bestimmte Erscheinungen, die hochgejubelt werden, als ob dieses Parlament nicht bereit oder imstande wäre, überzeugende Entscheidungen zu treffen. Noch deutlicher zu machen, daß das so ist und daß das Parlament der Mittelpunkt der Politik ist, müssen wir uns bemühen.
Ich sage noch einmal ganz klar: Dies ist das zentrale Instrument, das letzte Entscheidungen trifft. Daher ist ein Plebiszit auf Bundesebene, das diese Entscheidungen dem Parlament abnimmt, ganz und gar unangebracht.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Buschbom.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein Wort zu Herrn Gallus. Herr Kollege Gallus, es hat mich sehr gefreut, daß Sie die Frage der Medien heute so temperamentvoll aufgegriffen haben. Dieses Thema habe ich vor vier Jahren bei unserer Selbstverständnisdebatte angesprochen. Ich frage die hier anwesende Präsidentin: Sehr verehrte Frau Präsidentin, wo bleibt unser Parlamentskanal? Mit dem könnten wir vielem entgegenwirken. Wo bleibt unser Parlamentskanal?
Davon abgesehen möchte ich mich kurz der Frage zuwenden, die der Kollege Häfner angerissen hat, der Frage der Öffentlichkeit der Ausschußarbeit. Das ist eine Frage, die mich sehr beschäftigt und auch umgetrieben hat. Wenn wir in das Grundgesetz gucken, dann finden wir, daß der Bundestag öffentlich verhandelt. Wenn wir uns § 69 unserer Geschäftsordnung anschauen, dann lesen wir, daß die Beratungen der Ausschüsse grundsätzlich nicht öffentlich sind. Warum haben die Mütter und Väter unserer Geschäftsordnung dies so geregelt?, habe ich mich gefragt. Warum haben sie es anders als im Grundgesetz geregelt? Warum haben sie es gegensätzlich geregelt, obwohl ein Ausschuß nach §§ 57, 12 der Geschäftsordnung doch gerade der proportional verkleinerte Bundestag sein soll. Warum haben sich die Mütter und Väter unserer Geschäftsordnung grundsätzlich für die Nichtöffentlichkeit entschieden, obwohl sie wußten, daß andere Parlamente, auch Landesparlamente, Ausschußarbeit öffentlich machen?
Bei meinen Reisen und meinen Studien habe ich festgestellt, daß sowohl andere ausländische Parlamente, die Ausschußarbeit öffentlich machen, als auch die Länderparlamente hinsichtlich der Ausschußarbeit mit dem Deutschen Bundestag nicht vergleichbar sind. Andere Parlamente kennen nicht diese umfangreiche Ausschußarbeit, wie wir sie haben. Es gibt dort kaum Ausschüsse, und die Hauptarbeit liegt im Plenum.
Daß es bei uns anders ist, ist eine Folge unserer Struktur. Ich habe kein Parlament gefunden, das ein solches Arbeitsparlament ist wie der Deutsche Bundestag. Und hier haben wir, meine ich, die Antwort auf diese Regelung, die die Geschäftsordnung gefunden hat. Es ist unser Dilemma, daß das Plenum meist für die Hauptarbeitsstätte gehalten wird, während es in Wirklichkeit die Ausschüsse sind.
Das ist in unserer Struktur angelegt.
Ob die Nichtöffentlichkeit der Ausschußarbeit vernünftig ist, richtet sich nach einer Vorteil-und-Nachteil-Analyse, die ich auch einmal angestellt habe. Was ist nun der Vorteil einer nichtöffentlichen Ausschuß-
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Buschbom
arbeit? Der Vorteil ist der Nutzen aus der korperativen Idee und Arbeitsweise des Ausschusses. Die Atmosphäre, das Gefühl der Kollegialität ist bei einer nichtöffentlichen Arbeit stärker. Es gibt kein Überwachungs- und Profilierungstrauma; wir sind ja alle nicht frei von diesen Dingen. Und es gibt die Ungezwungenheit und die Versachlichung der Auseinandersetzung nach der ersten politischen Runde, die wir für das Protokoll machen.
Der Nachteil der Nichtöffentlichkeit ist der Vorwurf des Unter-sich-Verfahrens, der fehlenden Transparenz. Da dieser Nachteil durch das anschließende Plenarverfahren ausgeglichen wird, überwiegen für mich die genannten Vorteile, zumal ich erfahren habe, daß bei Öffentlichkeit der Ausschußarbeit das zu erzielende Ergebnis in kleinem Kreise nichtöffentlich, im sogenannten Sofa-Verfahren, vorbereitet wird.
Die derzeitige Struktur des Bundestages läßt also die Nichtöffentlichkeit der Ausschußarbeit als vernünftig und zweckmäßig erscheinen. Ich möchte empfehlen, daß wir es dabei belassen.
Sollte der Bundestag jedoch seine Struktur ändern und, wie ich mehrfach vorgeschlagen habe, Teile seiner Aufgaben qua Delegation in die Ausschüsse verlagern, dann ist eine ganz anders strukturierte Arbeit da, dann geht es nicht ohne Öffentlichkeit. Das verlangt Art. 42 unseres Grundgesetzes.
Danke sehr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ginge von einem Mißverständnis dieser Debatte aus, wenn sie eine reine Geschäftsordnungsdebatte sein sollte. Das, was Frau Kollegin Renger gesagt hat, macht deutlich, daß sie mehr sein muß als eine Geschäftsordnungsdebatte. Es geht tatsächlich darum, wie wir unserem Willensbildungsprozeß und unserem Willensbildungsauftrag gerecht werden.
Da muß man fragen, an welchen Stellen Geschäftsordnung verändert werden muß, wenn es beim Funktionieren des Willensbildungsprozesses Schwierigkeiten gibt. Ich bin der Meinung, daß wir da sehr konkret werden müssen, weil wir bei dem allgemeinen sehr leicht bereit sind zu klatschen. Ich erinnere mich: Als Björn Engholm als Präsident des Bundesrates uns hier zum 40. Jahrestag der ersten Sitzung des Bundestages eine Rede gehalten hat, in der er einmal aufgezeigt hat, mit welchen Dingen ein Politiker konfrontiert wird,
und in der er dann die Schlußfolgerung gezogen hat,
diesen Dingen so gegenüberzutreten, als ob der kategorische Imperativ Maxime unserer Politik sei, da haben wir alle geklatscht.
Aber wenn das tatsächlich der Fall ist, müssen wir überlegen, an welchen Stellen es sinnvoll und notwendig ist, unser eigenes Verfahren zu überprüfen. Denn der Zustand, daß Bürger unerfüllbare Wünsche an uns richten und wir so tun, als könnten wir diese Wünsche erfüllen, kann nicht die Weisheit des parlamentarischen Prozesses sein.
Das schaukelt sich gegenseitig hoch. Auf der einen Seite tun wir so, als ob, und auf der anderen Seite erwarten die Bürger immer mehr unerfüllbare Dinge von uns.
Man muß fragen, an welchen Stellen wir tatsächlich zu Veränderungen kommen sollten. Ich glaube, vielen Bürgern würde das Verständnis für parlamentarische Arbeit erleichtert, wenn der parlamentarische Prozeß als ein öffentlicher und offener Prozeß organisiert würde.
— Offensichtlich nicht genug öffentlich.
Denn sonst würde nicht passieren, was wir alle tagtäglich erleben: Anforderungen an uns als einzelne Abgeordnete: Stimmen Sie individuell gegen dieses Gesetz. Wir wissen natürlich alle, daß wir, eingebunden in Fraktionen, das nur in Ausnahmefällen tun. Sonst würde uns dazu auch etwas einfallen.
Wenn das also ein öffentlicher Prozeß ist, auf den der Bürger einen Anspruch hat, stünde es uns gut an, alle die Bereiche, in denen wir zum Ausdruck bringen könnten, daß wir mehr Öffentlichkeit wollen, stärker zu betonen. Vor diesem Hintergrund komme ich zu einem anderen Ergebnis als mein Kollege Vorredner. Unter diesem Aspekt meine ich, daß es sehr wohl gute Gründe gibt, die Öffentlichkeit der Ausschüsse als Regel zu fordern und, wenn Öffentlichkeit ausgeschlossen werden soll, das mit Einzelbeschluß festzustellen. Das würde draußen als eine Bereitschaft des Parlaments aufgenommen, sich tatsächlich zu öffnen.
Bei der Frage des offenen Prozesses, d. h. bei der Frage, ob man einen Prozeß im Rahmen des Beratungsgangs verändern kann, würde die Öffentlichkeit der Ausschußarbeit sehr viel mehr Glaubwürdigkeitsargumente abverlangen, wenn wir nicht zu Veränderungen kommen. Ich finde das mit den geschlossenen Ausschußsitzungen gar nicht so gut, wenn man stundenlang um Punkt und Komma ringt, Frau Kollegin Renger, aber im Ergebnis die Koalition doch durchsetzt, was sie von vornherein wollte. Ich habe das Gesundheits-Reformgesetz im Sozialausschuß mitgemacht und das konkret erlebt.
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Peter
Ich möchte zum Schluß einen Vorschlag machen, wo ich glaube, daß man diesen offenen Prozeß ein bißchen üben kann. Ich meine unser Petitionsverfahren. Wir erleben immer wieder, daß — auf Grund § 112 der Geschäftsordnung — Petitionen im Bundestag aufgerufen werden. Das wäre ein Gegenstand für offene Debatten. Hier ist gesunder Menschenverstand gefragt. Der ist nicht immer identisch mit Fraktionsmeinungen; das wissen wir alle. Das wäre eine gute Möglichkeit, daß sich Abgeordnete an so einem Prozeß beteiligen, den die Bürgerinnen und Bürger direkt an uns herangetragen haben.
— Wenn man das mehr gewichtet, könnte man für Petitionen mehr Raum öffnen und manchen anderen Punkt ohne Debatte oder Übergabe ans Protokoll abhandeln. Es gibt hier sehr viel Kleinkram, der mehr diskutiert wird als Petitionen. Das ist eine Frage unseres Selbstverständnisses.
Geben Sie noch die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage? — Aber ich bitte, dann zum Schluß zu kommen.
Herr Kollege Peter, nicht daß ich jetzt falsch verstanden werde. Es ist auch gar nicht unbedingt eine kritische Bemerkung, sondern nur der Versuch, daß wir uns besser arrangieren. Ob, wenn wir für die Abwicklung der Tagesordnung bis 23 Uhr brauchen und dann der Petitionsausschuß noch Debattenzeit habe möchte — für den einzelnen betroffenen Bürger ganz wichtige Anliegen; das will ich gar nicht bagatellisieren —, mit der Folge, daß wir bis 24 Uhr tagen, obwohl es um eine Einzelfrage geht, die keine legislative Behandlung erfordert, oft sogar nur eine administrative Betrachtungsweise bedeutet, die Gewichte so, wie Sie es hier vortragen, richtig gelagert sind, möchte ich zumindest bezweifeln.
Das unterliegt ja der Weisheit der Geschäftsführer, die die Gewichtigkeit einzelner Tagesordnungspunkte sehr gut einschätzen können. Man könnte bei der einen oder anderen Petition durchaus den Eindruck gewinnen, daß sie auch von den Geschäftsführern als ein wichtiger Gegenstand der Debatte angesehen wird und deshalb auch zu einer angemessenen Tageszeit behandelt werden kann. Mir fällt eine Fülle von Einzelbeispielen ein.
— Es ist, wie gesagt, unterschiedlich, aber wenn man will und das als einen wichtigen Ansatz versteht, kann man sicherlich zu Regelungen kommen, mit denen man leben kann.
Letzter Satz. Das Petitionsrecht könnte auch noch ein wichtiges Übungsfeld dafür sein, daß Abgeordnete ganz konkret ihrem gesunden Menschenverstand folgen; denn die Beschlüsse über Petitionen haben ja keine bindende Gesetzeswirkung, sondern sie sind Empfehlungen des Bundestages. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Probleme, die die Bürger an uns
herantragen, nach Partei- bzw. Fraktionszugehörigkeit beurteilt werden. Hier könnte ich mir sehr viel mehr offene Abstimmungen vorstellen.
Das sind sicherlich Kleinigkeiten. Der große Wurf wird uns nicht gelingen. Das ist eine ständige Aufgabe. Aber mit solchen Kleinigkeiten kann man auch etwas nach draußen überbringen. Dafür bitte ich um Verständnis.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biedenkopf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Porzner, Sie haben in Ihren Eingangsausführungen zwei Dinge gesagt, von denen ich gerne ausgehen möchte.
Sie haben zunächst die Feststellung getroffen, es gehe hier nicht um Selbstverwirklichung, sondern um die Arbeit der Gesamtheit der Abgeordneten, die die Aufgabe des Parlaments erfüllten. Ich stimme dieser Feststellung uneingeschränkt zu. Unser Problem liegt darin, daß wir ein Gleichgewicht finden müssen,
und zwar auf der einen Seite zwischen dem Auftrag, den die Verfassung dem einzelnen Abgeordneten überträgt und dessen Erfüllung an das Gewissen des Abgeordneten gebunden ist, und auf der anderen Seite zwischen der Handlungsfähigkeit der Gesamtheit der Abgeordneten zur Erfüllung ihres Auftrages als Institution. In diesem Spannungsverhältnis bewegt sich unsere Debatte.
Weder der eine Endpunkt, daß die Institution mit ihrer Eigengesetzlichkeit dominiert, noch der andere Endpunkt, daß sich der einzelne selbst verwirklicht, ist die richtige Antwort. Wir bewegen uns also nicht zwischen Entweder-Oder, sondern wir bewegen uns in einem breiten Raum des gestalterischen Ermessens.
— Ja, auch die zeitliche Begrenzung unterliegt unserer Herrschaft, verehrter Herr Kollege.
Aber ich kenne Parlamente, die sehr viel mehr Zeit für Plenarsitzungen haben als der Bundestag.
— Einen Augenblick! Erlauben Sie, daß ich den zweiten Punkt erwähne.
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Dr. Biedenkopf
Herr Kollege Porzner, Sie haben zweitens gesagt: Es geht nur um die Spielregeln, nicht um die Inhalte.
— Da möchte ich Ihnen nachhaltig widersprechen.
— In der Geschäftsordnung, in der Tat. Durch die Art der Spielregeln werden Inhalte mitbestimmt.
Verzeihung, das gilt für alle gesellschaftlichen Prozesse, die wir durch Spielregeln und nicht durch direkte Intervention steuern. Das gilt natürlich auch für die Arbeitsweise eines kollektiven Körpers wie eines Parlaments. Selbstverständlich bestimmen Sie durch Spielregeln die Inhalte.
— Einen Augenblick! Lassen Sie es mich doch erläutern! — Sie bestimmen also durch Spielregeln Inhalte mit, natürlich nicht nur. Sie bestimmen sie z. B. in dem Sinne mit, daß die Spielregeln eine unterschiedliche Spontaneität erlauben, daß sie eine unterschiedliche Initiative erlauben, daß die Art der Initiativen, wie sie sich entwickeln, durch Spielregeln vorbestimmt ist mit der Folge, daß möglicherweise eine Fülle von berechtigten Initiativen auf der Strecke bleibt. All das wird durch Spielregeln mitbestimmt. Und insofern sind Geschäftsordnungsfragen immer auch Machtfragen.
Wir diskutieren hier nicht nur über Spielregeln, sondern, Herr Kollege Porzner, auch über unser Verständnis, welches sich in Spielregeln ausdrückt.
Darum ging es der Initiative immer. Darum muß es ihr auch in Zukunft gehen. Denn das delikate Gleichgewicht zwischen Selbstverwirklichung und institutioneller Dominanz ist nie stabil.
Insofern ist die Reformdiskussion eine Daueraufgabe. Dieses Gleichgewicht muß immer wieder gefunden werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Süssmuth? — Bitte sehr.
Kollege Biedenkopf, bei dem Begriff „Selbstverwirklichung" reagiere ich in diesem Zusammenhang allergisch, weil Auftrag des Abgeordneten als gewählten Vertreters des Volkes nicht ist, sich selbst zu verwirklichen, sondern dem Auftrag des Volkes nachzukommen.
Meine Frage an Sie ist: Bemühen wir nicht vorschnell die Kategorie des Gewissens,
die wahrscheinlich nur in sehr grundsätzlichen Fragen ansteht,
wo es in Wahrheit um die Frage geht, wie aktiv, eigenständig und selbstbewußt sich der einzelne Abgeordnete einbringt und wo er dann sagt: Ich kann meinem Gewissen nicht gerecht werden.
Er verschanzt sich oft hinter Gewissen, wo es um seine Eigenständigkeit im Urteil geht. Und deswegen möchte ich auch draußen nicht vermitteln, hier gehe es um Gewissen, wenn es darum nicht geht. Ich möchte das gerne noch einmal von Ihnen klargestellt haben.
Frau Präsidentin, ich bin uneingeschränkt Ihrer Auffassung. Ich habe den Begriff „Selbstverwirklichung" von Herrn Kollegen Porzner übernommen und habe ihn dann im Sinne des Art. 38 interpretiert. Ich habe in diesem Zusammenhang nur darauf hingewiesen, daß auch die Frage des Gewissens eine Rolle spiele. Selbstverständlich ist die Aufgabe des Abgeordneten nicht ständig eine Gewissensfrage, sondern sie ist überwiegend Erfüllung seines Auftrages als Vertreter des Volkes, und zwar des ganzen Volkes, an Weisungen nicht gebunden. Aber immer geht es auch um den Satz „an Weisungen nicht gebunden". Die Entscheidung, die er selbst treffen muß, in welchem Umfang und in welchen Zusammenhängen er sich den notwendigen Kompromissen, den notwendigen Mehrheitsbildungen einordnet oder nicht, diese Frage ist immer im Spannungsverhältnis der Abgeordnetentätigkeit angelegt. Auch ich würde dafür allerdings nicht den Rekurs auf das Gewissen bemühen. Da stimme ich Ihnen zu.
— Nein, die ist nicht aufhebbar. Das macht ja auch den Reiz unseres Auftrages aus.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hamm-Brücher?
Bitte.
Ich möchte an Sie eine weitere klärende Frage stellen, Herr Kollege Biedenkopf, weil uns das wirklich wichtig ist. in § 13 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung haben wir am Ende der letzten Legislaturperiode, Frau Kollegin Süssmuth, die Langfassung dieses Artikels eingefügt, die es etwas genauer sagt. Da steht:
Jedes Mitglied des Bundestages folgt bei Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen seiner Überzeugung und seinem Gewissen.
Das haben die — in diesem Fall nur — Väter des Grundgesetzes bewußt gemacht, weil das Gewissen wirklich eine Instanz ist, die überhaupt nicht nachprüfbar ist, aber die Überzeugung. Deshalb möchte
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Frau Dr. Hamm-Brücher
ich jetzt Herrn Kollegen Biedenkopf doch noch einmal fragen, ob man nicht wirklich versuchen muß, diesen Konflikt oder dieses Spannungsverhältnis besser, als es uns bisher oft gelungen ist, auszuhalten und auch redlicher auszutragen.
Ich könnte aus dem Bereich der Beschlußfassung der sozialdemokratischen Fraktion sicher auch eine ganze Reihe von Beispielen zitieren, wo Sie — —
— Ja, es geht um den Punkt. Sie haben recht mit dem Punkt.
Wir haben immer wieder Entscheidungen zu treffen, bei denen wir in der Spannung stehen: Sollen wir die Fraktion stützen, sollen wir die Regierung stützen, oder sollen wir unsere eigene Meinung zum Tragen bringen? Das ist ein ganz normales Spannungsverhältnis. Und es geht uns, pardon, um die Ordnung und immer neue Bewußtmachung dieses Spannungsverhältnisses und um die Sicherung der Räume auch für den einzelnen, in denen er dieses Spannungsverhältnis austragen kann, damit er nicht immer hinter den institutionellen Anforderungen des Parlaments zurücksteht.
In dem Maß, in dem wir diesen Raum vergrößern und immer wieder um diesen Raum kämpfen — das ist doch kein Angriff auf die parlamentarischen Geschäftsführer, die einen Teil der institutionellen Anforderungen als ihre Aufgabe vertreten — und diesen Raum immer wieder zu erweitern versuchen, erweitern wir auch die Chance der eigenständigen Wahrnehmung des Auftrags des einzelnen Abgeordneten.
Und darum werden wir letztlich draußen gemessen, ob auch der einzelne sichtbar wird oder ob die Formulierung gilt, die Sie immer in den Medien lesen können: „die im Parlament vertretenen politischen Parteien". Das steht doch in den Medien, wenn über unser Parlament geredet wird, und nicht: „die Abgeordneten".
Herr Abgeordneter Biedenkopf, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Biedenkopf, sind Sie meiner Meinung, daß es zu mehr Eigenständigkeit des Abgeordneten beiträgt, wenn es neben einer Geschäftsordnung des Parlaments eine weitere Einschränkung dadurch gibt, daß die Fraktionen, insbesondere die großen Fraktionen, eine eigene Fraktionsordnung entwickeln, in der die Rechte des
einzelnen Abgeordneten noch mehr eingeschränkt werden?
Das unterstellt, daß die Geschäftsordnungen eine solche weitere Einschränkung enthalten.
Vorhin ist zu Recht darauf hingewiesen worden, Herr Kollege, daß die Fraktionen Zusammenschlüsse der Abgeordneten sind und daß die Abgeordneten in diesem Sinn nun wirklich über ihre Möglichkeiten verfügen. Aber ich würde es natürlich nicht begrüßen, wenn in Fraktionsgeschäftsordnungen solche Einschränkungen enthalten wären. Ich bin mir allerdings dessen nicht bewußt.
Ich komme zum Schluß. Ich unterstütze nachhaltig unsere Anträge, die Anträge der interfraktionellen Initiative, vor allen den Entschließungsantrag, und möchte dazu noch ein Wort sagen.
Ich halte die Fortführung der Parlamentsreform aus zwei sehr grundsätzlichen Gründen für dringender denn je.
Der eine grundsätzliche Grund ist angesprochen worden. Es ist unser zunehmender Verlust von Souveränität an das Europäische Parlament. Ich glaube, daß wir das gar nicht ernst genug nehmen können.
— An die europäischen Institutionen! Pardon. Ich habe mich versprochen.
Natürlich an die Europäische Gemeinschaft.
Wer die Durchgänge etwa durch den Wirtschaftsausschuß und die wachsende Summe der vorentschiedenen politischen Fragen betrachtet, kann ganz praktisch ermessen, was das bedeutet. Unsere inhaltlichen Gestaltungsspielräume werden geringer, und sie werden nicht durch vergleichbare parlamentarische Kontrollen auf einer anderen Ebene ausgefüllt.
Wir sind immer mehr in der gleichen Lage wie die Landesparlamente, die von ihren Regierungen gesagt bekommen: Wir können von den Beschlüssen nicht mehr abweichen, weil sonst die Beschlußvorlage zusammenbricht; denn alle anderen müßten dann wieder zustimmen.
Derselbe Prozeß findet in Europa statt. Wir müssen uns damit auseinandersetzen.
Wir müssen auch das aufnehmen, was an neuen Anfragen an die demokratische Gestaltung moderner Industrienationen aus der Aufbruchsituation im Osten kommt. Darum geht es mir. Wir werden gefragt: Welche Erfahrungen habt ihr? Was habt ihr geleistet?
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Dr. Biedenkopf
Wie funktioniert das bei euch? Wir sollen das Wissen übermitteln. Wir müssen in diesem Prozeß mit gutem Gewissen sagen können: Wir treiben unsere eigenen Dinge weiter voran.
Deshalb brauchen wir die permanente Arbeit an diesem Gleichgewicht zwischen dem einzelnen und der Institution im Parlament.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier nicht über die Baufragen des Parlaments reden, obwohl auch sie etwas mit dem Erscheinungsbild des Parlaments zu tun haben. Ich möchte die Diskussion aufgreifen, die Herr Porzner, Herr Biedenkopf und andere hier über das Spannungsverhältnis zwischen den Rechten des Abgeordneten nach Art. 38 GG und der Arbeitsfähigkeit des Hauses, das Spannungsverhältnis zwischen dem einzelnen und seiner Partei und seiner Fraktion, geführt haben. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe dieses Spannungsverhältnis in vielen Jahren, gelegentlich auch schmerzhaft, erfahren.
Ich bin als Kandidat einer Partei in den Bundestag gewählt worden. Niemand sitzt hier, der nicht über eine Partei gewählt worden ist. Auch Herr Wüppesahl und Frau Unruh sind über Listen gewählt worden und werden hier nur so lange sein, solange sie auf Listen einer Partei kandidieren und gewählt werden.
Wir sind der Meinung, daß sich der Prozeß der politischen Diskussion in unserem Lande in Parteien bündelt, daß wir Parteien brauchen, um Meinungen zusammenzuführen.
Wir können alle ein Lied davon singen — die Grünen ganz besonders — , wie schwer es ist, in einer Partei zu einer gemeinsamen Meinung zu kommen, die man dem Wähler als Alternative zur Auswahl vorlegt.
Wenn wir heute Rekurs auf die Entwicklung in Osteuropa nehmen, dann gewiß nicht deshalb, weil diese Debatte hier mit dem vergleichbar wäre, was dort passiert. In der DDR wird versucht, im „Demokratischen Aufbruch", im „Neuen Forum", in der „SDP" Parteien zu entwickeln, die politische Meinungen bündeln und abstimmungsfähig machen, weil es sonst keine parlamentarische Demokratie geben kann.
Diesen Prozeß muß man auch auf uns bezogen sehen. Man muß sich fragen, ob hier im Hause nicht Fraktionen — diese sind Ausfluß der Parteien — notwendig sind, um Arbeitsfähigkeit und Mehrheiten herzustellen.
Es gibt auch in den Fraktionen selbst Streit. Ich selbst habe diesen Streit mehrfach geführt. Frau Hamm-Brücher, Sie haben hier häufig kritisiert — ich habe Sie einmal dafür als die Mater dolorosa, als die
Schmerzensmutter des Parlaments, angegriffen —, der einzelne Abgeordnete würde in seinen Rechten und Möglichkeiten durch die Allmacht der Parlamentarischen Geschäftsführer, des Ältestenrats und der Fraktionen behindert. Ich sage Ihnen aus meiner Erfahrung: Wann immer ich hier reden wollte, und zwar anders als meine Fraktion, wann immer ich hier anders abstimmen wollte als meine Fraktion — das war häufig der Fall —, konnte ich das tun. Das ist doch nicht eine Frage des Statuts, sondern eine Frage der Statur, ob man dafür kämpft und sich durchsetzt.
Herr Abgeordneter Conradi, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, natürlich.
Darf ich Ihrer Bemerkung entnehmen, daß Sie mir die Statur nicht zutrauen, so etwas durchzustehen?
Nein, Frau Kollegin. Ich habe mutige Reden von Ihnen hier in guter Erinnerung. Ich meine nur, wir sollten nicht dauernd anderen, nämlich den Geschäftsführern oder dem Ältestenrat, die Verantwortung für etwas zuschieben, was wir selbst zu verantworten haben, die Entscheidung darüber, ob wir mit unserer Fraktion übereinstimmen oder den Dissens für so gewichtig halten, daß wir hier ein eigenes Wort und eine eigene Stimme riskieren. Das ist die Frage.
Ich möchte gern noch etwas zum Plenum sagen, weil ich den Eindruck habe, daß die Debatten um die Belebung des Plenums an der Tatsache vorbeigehen, daß wir das Plenum seit Jahren wie ein Gemüsehändler seinen Wagen überladen und überfrachten. Ich will nicht vorlesen, was diese Woche alles auf der Tagesordnung steht. Man könnte Kabarettveranstaltungen damit bestreiten, indem man vorliest, was dieses Plenum an einem Donnerstag innerhalb von acht oder zehn Stunden behandelt.
Solange wir nicht willens sind, Frau Hamm-Brücher — das sage ich auch den Kollegen der Initiative —, das, was wir ins Plenum schieben, vorher daraufhin zu sichten, ob es nicht sinnvollerweise in einer ein- oder zweistündigen öffentlichen Debatte im Ausschuß behandelt werden könnte, wird sich die Situation nicht verbessern. Dazu braucht man keine Änderung der Geschäftsordnung. Das kann man heute schon tun.
Solange wir uns nicht bereitfinden, das zu prüfen und auch einmal anders zu entscheiden, dürfen wir nicht über das langweilige Plenum klagen. Ich habe selbst letzte Woche eine Nachtdebatte mitgemacht. Es waren weniger Abgeordnete anwesend als im Ausschuß. Die Presse war überhaupt nicht mehr vertreten. Die Beiträge wurden zu Protokoll gegeben, auch wenn man sie zuvor gar nicht aufgeschrieben hatte. Es
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14217
Conradi
ist schwierig, einen Beitrag zu Protokoll zu geben, den man frei halten wollte.
Mit diesen Debatten machen wir das Plenum kaputt. Wir müssen darauf dringen, daß ein Teil der Plenardebatten in die Ausschüsse verlegt wird und dort öffentlich stattfindet. Dann wird das Plenum wichtiger und, so hoffe ich, auch lebendiger.
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Eylmann das Wort. Zuvor möchte ich aber auf folgendes Problem hinweisen. Wir haben noch 17 angemeldete Rednerwünsche. Entweder folgen wir den Rednerwünschen, oder wir haben viele Zwischenfragen.
— Das ist alles auf fünf Minuten festgelegt.
— Sie kommen auch noch dran. Wir müssen uns jetzt nur darauf einigen, daß weniger Zwischenfragen gestellt werden; sonst kommen wir nicht durch. Ich möchte Ihnen dies jedenfalls vorschlagen.
— Ich darf noch einmal die Alternative sagen: entweder drei Minuten oder weniger Zwischenfragen. Ich möchte dafür plädieren, daß wir uns für die nachfolgende Einheit auf weniger Zwischenfragen einigen; sonst kommen die Redner nicht zum Zuge.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon wiederholt festgestellt worden: Bei der Änderung der Geschäftsordnung geht es nicht um eine Parlamentsreform. Das ist ein zu großes Wort. Wir sollten nicht den Eindruck erwekken, als ob wir mit Änderungen an der Geschäftsordnung eine Reform dieses Parlaments bewerkstelligen könnten. Abgesehen davon scheint mir eine Reform auch nicht notwendig zu sein. Es ist einfach eine Frage der Redlichkeit, hier nicht mit großen Worten etwas erreichen zu wollen, was mit der Geschäftsordnung nicht zu erreichen ist.
Die Parlamentsinitiative hat eine Reihe von vernünftigen Vorschlägen gemacht. Ich nenne die Änderung des § 69. Es ist ja ein altes Thema, ob Ausschußsitzungen öffentlich sein sollen oder nicht. Sie werden mir recht geben, Herr Kollege Conradi: In den Ausschüssen findet ab und zu noch ein echter Dialog statt. Die Frage ist, ob wir diesen Dialog durch die Öffentlichkeit nicht gefährden. Ich bin unsicher. Deshalb möchte ich mit Nachdruck dafür plädieren, häufiger von der fakultativen Möglichkeit Gebrauch zu machen.
Nun gibt es allerdings auch Vorschläge der Initiative, denen ich mit großem Unverständnis gegenüberstehe. Da will man in § 13 einen Absatz 3 einfügen. Da sollen die Rechte und Pflichten paragraphenweise aufgeführt werden. Meine Damen und Herren — jetzt hören Sie bitte zu, Frau Kollegin Hamm-Brücher; das geht jetzt nämlich an Ihre Adresse — , welches Abgeordnetenbild steht denn eigntlich dahinter, wenn Sie meinen, Sie müßten in einem besonderen Paragraphen sozusagen plakativ noch einmal die Rechte und Pflichten gegenüberstellen? Sind wir denn tatsächlich so unbedarft, daß wir das benötigen? Man darf doch die Geschäftsordnung nicht verwechseln mit einem Leitfaden für Staatsbürgerkunde, der vielleicht in Volkshochschulkursen seine Bedeutung haben könnte.
Wir haben ein gutes plattdeutsches Sprichwort im Norden: Keen sick för'n Pannkoken holt, ward der för opfreten. — Übersetzt und bezogen auf unseren Fall heißt das: Wer sich für einen parlamentarischen Pfannkuchen hält, muß sich nicht wundern, wenn er von der Öffentlichkeit auch als solcher angesehen wird.
Das ist ein Beispiel dafür, daß wir hier manchmal mit völlig untauglichen Mitteln arbeiten.
Noch einmal: Die Geschäftsordnung ist wichtig, aber die Qualität des Parlaments hängt nicht von der Qualität der Geschäftsordnung ab,
sondern von der Qualität der Abgeordneten.
Ich möchte Ihre Initiative dringend ermutigen, sich z. B. einmal der Frage zuzuwenden, ob denn ein Abgeordneter, der seinen Beruf ausüben will, in diesem Parlament überhaupt noch am Platze ist.
Es ist doch eine gefährliche Entwicklung für die Unabhängigkit des Parlaments, daß wir fast nur noch Berufspolitiker haben und daß ich hier schon eine große Ausnahme bin, wenn ich meinen Beruf noch ausübe. Wir brauchen mehr Durchlässigkeit in den Führungspositionen in der Gesellschaft und in der Politik. Das sind die entscheidenden Themen für eine Parlamentsreform,
und es ist nicht die Änderung der Geschäftsordnung.
In dieser ganzen Debatte wird zu vollmundig argumentiert. Wir sollten uns deshalb, was die Parlamentsreform angeht, nicht in erster Linie der Geschäftsordnung zuwenden, sondern anderen Themen.
Herr Kollege Conradi hat Sie, Frau Kollegin HammBrücher, als die Mater dolorosa des Parlaments bezeichnet. Ich kann mir nicht helfen: Mir kommt es immer so vor, als seien Sie die heilige Johanna des zeitgenössischen deutschen Parlamentarismus.
— Um Gottes willen. — Das ist ja eine sehr attraktive
Rolle. Die heilige Johanna trägt einen leuchtenden
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Eylmann
Helm. Schiller sagt in seinem Schauspiel, die er eine romantische Tragödie nennt — jetzt hören Sie wieder nicht zu, Frau Hamm-Brücher —,
daß es der Helm ist, der sie so kriegerisch macht. Wenn man nicht genau hinsieht, kann man den Helm von weitem auch für einen Heiligenschein halten.
Wenn es nun aber so ist, Frau Kollegin Hamm-Brücher, daß Sie die Abgeordneten weitgehend für Lemminge halten, die ihren Oberlemmingen, den Geschäftsführern, hinterherlaufen,
dann ändern Sie das ja auch nicht dadurch, daß Sie ein Plakat aufstellen, womöglich auch noch mit Fußnote, auf dem steht, daß sie nicht hinterherzulaufen brauchen, sondern Sie ändern das nur, wenn Sie andere als Lemminge ins Parlament schicken. Das ist die entscheidende Frage.
Ich habe nie Mühe gehabt, meine eigene Meinung im Rahmen der Geschäftsordnung zum Tragen zu bringen.
Das war nicht mein neues Erlebnis, als ich ins Parlament kam. Mich hat eher gestört, daß wir hier unökonomisch und uneffektiv arbeiten.
Das war ich nämlich von meinem Beruf her nicht gewohnt. Das kann ich mir da auch gar nicht erlauben.
Es geht also in Wahrheit um andere Punkte. Es geht auch nicht darum, daß wir mehr arbeiten, daß wir mehr Sitzungswochen haben, sondern daß wir ökonomischer arbeiten und es deshalb eher ermöglichen können, neben dem Mandat hier teilweise noch einen Beruf ausüben zu können. Das sind die wirklich wichtigen Fragen.
Als nächste Frau Beer.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es ist an der Zeit und notwendig, nicht nur über diese Parlamentsreform, die unbestritten war, zu reden, sondern auch Beispiele dafür zu bringen — das habe ich vor — , daß nicht nur das Kontroll- sondern auch das Fragerecht einer Fraktion beschnitten wird.
Ich denke dabei nicht an zahllose Fälle, wo Kleine Anfragen unzureichend und mit irgendwelchen Pseudovokabeln in ihrem eigentlichen Gehalt verweigert werden, sondern ich denke an einen Fall, wo die Bundestagspräsidentin selber dieses Recht einer Fraktion unterbunden hat.
Am 19. März dieses Jahres habe ich eine Kleine Anfrage eingebracht, und zwar zu dem Vorleben des inzwischen zum US-Botschafter in Bonn ernannten
Vernon Walters. Mehr als sechs Wochen später — das überschreitet schon die Frist — hat die Präsidentin mitgeteilt, sie sei nicht bereit, diese Frage anzunehmen. Das hat zu unzähligen Diskussionen geführt, und wir einigten uns darauf, daß ein Wort dieser Kleinen Anfrage gestrichen wird, weil dann — so die Begründung — die geschäftsordnungsmäßige Würde dieses Hauses gewahrt sein würde. Dieses einzige Wort haben wir gestrichen und diese Anfrage mit dem Ergebnis neu eingebracht, daß die Annahme dieser Anfrage auch wieder verweigert wurde. Allerdings diesmal mit keiner Begründung mehr, die stichhaltig ist.
Ich habe die Bundestagspräsidentin angeschrieben und habe sie im Namen meiner Fraktion gebeten, die Ablehnung zu begründen, und zu sagen, warum sie meint, daß die Würde des Hauses durch diese Kleine Anfrage zum Vorleben Vernon Walters geschädigt sein würde. Ich habe leider bis heute keine Antwort darauf bekommen.
Es ist notwendig, denke ich, hier noch einmal ganz deutlich zu sagen, welche Aufgabe das Parlament hat und welches Recht Fraktionen selbst nach der Geschäftsordnung haben und daß wir keine Möglichkeit gefunden haben, dieses bisher bestehende Recht einzuklagen.
Es ging bei dieser Anfrage nicht darum, die Bundesregierung zu fragen, ob sie der Meinung ist, daß das richtig oder nicht richtig ist. Es ging nicht um den Wahrheitsgehalt. Es ging vielmehr darum, daß wir in dieser Anfrage Tatsachen aufgeführt haben, die in ihrem Sachverhalt nachweisbar gerichtsfest, hieb- und stichfest sind und die sich auf Zitate von Vernon Walters selber beziehen.
Es ist nicht Aufgabe der Präsidentin und auch nicht Aufgabe der Bundesregierung zu beurteilen, ob sie diese Wahrheit akzeptieren oder nicht. Sie sind vielmehr um ihre Stellungnahme dazu gefragt, ob ein Mensch mit dieser Vergangenheit, der Militärdiktaturen in Chile, der Herrn Pinochet unterstützt hat, der über den CIA in El Salvador die Finger hatte, der neutrale Staaten als lynchende Pöbel bezeichnet und für diverse nachweisbare Sachen verantwortlich ist, dafür geeignet ist, hier in diesem Land als Botschafter in der US-Botschaft zu fungieren und wenn ja: Mit welcher Aufgabe?
Frau Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wüppesahl?
Herr Wüppesahl, bitte.
Frau Kollegin Beer, wäre es Ihnen möglich, die von Ihnen beschriebene Kleine Anfrage dem Protokoll zur Verfügung zu stellen, damit wir die von Ihnen gemachten Ausführungen dazu überprüfen können?
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14219
Ich bin gern dazu bereit. Ich denke, daß es notwendig ist, wenn man diese Behauptungen aufstellt, dieses auch als Material zur Verfügung zu stellen. Das ist selbstverständlich.
Ich möchte zu dieser Bewertung noch einmal sagen, daß hier ein Punkt in dieser Debatte über Parlamentsreform überhaupt nicht diskutiert worden ist, der für uns eklatante Widersprüche zu jedem Recht eines Abgeordneten einer Fraktion beinhaltet. Es geht darum, daß die Bundestagspräsidentin eine Kleine Anfrage politisch bewertet hat, die politischen Fragen ihr zu heikel waren und sie deshalb von ihrer Vormachtstellung — da geht es nicht mehr, Frau Präsidentin, wie Sie vorhin erwähnten, nur um eine Schiedsrichterfunktion, sondern um eine politische Zensur — Gebrauch gemacht hat, in dieses Recht eingegriffen hat, was dazu führt, daß bestimmte Themen hier im Bundestag nicht mehr behandelt werden können, die Regierung Stellung nehmen muß. Wir haben keine Instanz, die dies kritisieren kann. Das ist der Punkt, wo diese Parlamentsreform deutlich macht, daß sie wesentliche Fragen genauso wie die Minderheitenrechte von einzelnen Abgeordneten wirklich vernachlässigt.
Frau Präsidentin, diese Justiz können wir so nicht hinnehmen, diese Zensur auch nicht. Dieser Fall zeigt, daß die Politik der Bundesregierung gerechtfertigt und praktiziert wird, indem das Parlament und die Fraktionen in ihren Rechten vernachlässigt werden. Deshalb werden wir nicht nur diesen Text dem Protokoll zur Verfügung stellen, Kollege Wüppesahl, sondern, gerade auch weil keine geschäftsordnungsmäßige Grundlage für Ihr Handeln vorhanden war, diese Kleine Anfrage in dieser Woche erneut einbringen. Wir hoffen, daß wenigstens jetzt so viel Offenheit und Anstand ist, diese Anfrage anzunehmen.
Über Wochen und Monate ist nicht mal eine schriftliche Begründung für die Ablehnung der Annahme dieser Kleinen Anfrage gekommen. Ich erinnere daran, daß unsere Fraktion in diversen Fällen gezwungen war, Kleine Anfragen zur unzureichenden Beantwortung Kleiner Anfragen zu stellen, und das ist ein Skandal für sich. Dafür kann jeder hier genug Beispiele bringen, wie hier diskriminierend mit Rechten von gewählten Parlamentariern umgegangen wird.
Frau Abgeordnete Beer, ich weise diese Anschuldigung von „Zensur", „Justiz", „Mißbrauch der Geschäftsordnung" von hier oben zunächst entschieden zurück. Ich kann jetzt nicht in der Sache Stellung nehmen, aber das wird noch einmal erfolgen. Ich habe die Geschäftsordnung nicht mißbraucht.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Götte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Initiative, die sich mit Verbesserungen der Arbeit beschäftigt hat, sollte sich nicht nur damit beschäftigen, sondern sie sollte auch überlegen, was für die Verbesserung des Ansehens des Parlaments geschehen kann.
Ich bin nicht so ganz einig mit dem, was heute morgen schon gesagt wurde, daß z. B. Frau Renger oder Herr Eylmann meinten, das sei alles gar nicht so schlecht, und wir brauchten uns darüber weiter keine Gedanken zu machen. Ich meine schon, daß wir uns über das Gedanken machen müssen, was uns zumindest in den Umfragen von Noelle-Neumann gesagt wird, daß nämlich nur 18 % der Bevölkerung der Meinung sind: Die Abgeordneten tun ihre Pflicht. Der Rest ist der Meinung: Das sind die Faulenzer der Nation.
Diese Meinung, die da verbreitet wird oder die vorhanden ist, wird auch bestätigt im politischen Frühschoppen, in den Leserbriefen der Zeitung. Da können wir das alles nachlesen.
Frau Dr. Götte, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Conradi?
Ja, natürlich.
Frau Dr. Götte, haben zu dieser Meinung der Bevölkerung nicht beispielsweise auch Äußerungen der Initiative, insbesondere der Sprecherin, beigetragen, daß dieses Parlament zu wenig arbeite?
Diese Geschichte war sicher ein etwas mißglückter Versuch, die Arbeit des Parlaments darzustellen. Frau Hamm-Brücher hat es aber nachträglich klargestellt.
Ich meine, damit müßte das Problem erledigt sein.
Wenn wir selber aber ein völlig anderes Selbstbild haben, wenn wir der Meinung sind — ich halte das durchaus für berechtigt — , daß wir zu der Gruppe der Bevölkerung gehören, die sich zu den Fleißigen rechnet und der nicht so schnell etwas zuviel wird, dann ist das doch eine Diskrepanz, über die man mal nachdenken und reden muß.
Wenn die Bevölkerung meint, die Haupttätigkeit der
Abgeordneten bestehe darin, daß sie im Plenum sitzen, und sie dann feststellt, daß wir dort nicht sind, ist
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Frau Dr. Götte
eine solche Einschätzung unserer Arbeit verständlich. Es ist also nötig, den Leuten klarzumachen, daß die Hauptarbeit der Abgeordneten eben nicht im Plenum stattfindet, sondern woanders.
Da läßt uns nun die Presse total im Stich. Die Presse macht nie davon Gebrauch, eine öffentliche Ausschußsitzung zu besuchen. Die Presse wendet sich ganz, ganz selten einmal an die sogenannten Hinterbänkler oder Sachverständigen zu Einzelfragen. Vielmehr möchte die Presse, wenn überhaupt, die Gesichter sehen, die sowieso bekannt sind, und sie möchte am liebsten fotographieren, was sich hier im Plenum abspielt. Das tut sie manchmal nicht ohne Häme. An manchen Tagen, an denen das Plenum bis auf den letzten Platz belegt ist, bin ich abends richtig gespannt, was in der Tagesschau erscheint, ob nun endlich einmal gezeigt wird, daß wir alle anwesend waren, z. B. bei der Debatte zur Nation oder anderen wichtigen Fragen, wenn nebenher keine anderen Sitzungen stattgefunden haben. Aber was tut die Presse? In diesem Fall zeigt sie nur den Redner. Wenn aber der Saal leer ist, dann wird das hämisch gezeigt.
Deshalb wünsche ich mir mehr Debatten mit der Presse; vielleicht kann man das als Dauereinrichtung schaffen. Wir sollten uns wirklich regelmäßiger zusammensetzen, und wir sollten auch einmal unsere Meinung zur Presse äußern können. Wir sollten nicht immer nur gescholten und kritisiert werden, sondern wir sollten auch eine Chance haben, in offener Aussprache zu dem Stellung zu nehmen, was die Presse schreibt oder zeigt. Solche Gespräche finden selten statt. Wenn sie stattfinden, dann in Regierungskreisen oder mit den Fraktionsspitzen, aber nicht mit der Gesamtheit des Plenums.
Also, ich wünsche mir eine Debatte mit der Presse, in der man manches auch richtigstellen kann und in der man endlich einmal eine Antwort auf die Frage bekommt: Warum wird unser Alltag nie dargestellt? Warum wird nie gezeigt, was wir von Montag bis Freitag nachts machen? Warum wird selten gezeigt, was wir im Wahlkreis machen? Warum wird nie ein Tagesplan aufgezeigt, dem zu entnehmen ist, wann der Tag für uns anfängt und wann er endet.
Wenn wir das unseren Besuchergruppen vorführen und erklären, stellt sich immer heraus, daß sie ganz platt und völlig überrascht sind, was wir in Wirklichkeit alles tun. Sie sind dann auch bereit, ihr Bild und ihre Meinung von den Abgeordneten zu ändern,
Apropos Besuchergruppen: Es ist gang und gäbe, daß die Besuchergruppen, wenn sie oben auf der Tribüne sitzen, z. B. in der Fragestunde noch nicht einmal ein Papier bekommen, auf dem die Fragen formuliert sind. Sie sitzen dort oben und langweilen sich zu Tode, weil sie nur die Antworten der Regierung hören zu Fragen, die schriftlich vorgegeben sind und die sie nicht kennen. Ich habe mehrfach beobachtet: Die Besuchergruppen haben die Papiere nicht.
Wir müssen also — auch das sollte eine Aufgabe dieser Parlamentsinitiative sein — dafür sorgen, daß
die Besuchergruppen viel besser betreut werden und daß sie die Papiere, die sie brauchen, auch bekommen.
Wir haben in der Initiative einen Fragebogen entwickelt, den wir den Besuchergruppen zur Verfügung stellen, damit sie ihre Eindrücke wiedergeben können. Wir sollten uns mit diesem Fragebogen und seinen Ergebnissen viel intensiver auseinandersetzen.
Wenn wir das Plenum dadurch entlasten, daß wir die Ausschußsitzungen öffentlich machen und dort eine Menge von dem abhandeln, was jetzt im Plenum behandelt wird, wäre das eine gute Sache. Aber ich glaube nicht, Herr Conradi, daß es möglich ist, daß nur ein Ausschuß freiwillig damit anfängt und die anderen die übliche Redezeit um so mehr für sich in Anspruch nehmen. Vielmehr müßte dann ein gemeinsamer Entschluß aller Ausschüsse vorliegen, daß man im Jahr nur noch soundso viele Themen im Plenum behandelt, daß man sich gemeinsam begrenzt und daß man alle anderen sogenannten Kinkerlitzchen, die in Wirklichkeit oft ganz wichtig sind, im Ausschuß behandelt.
Als letzte Anmerkung: Ich möchte gerne — ich habe den Antrag schon einmal gestellt —, daß der Bundestag einen Film über die Alltagsarbeit von Abgeordneten macht und daß wir dafür die Mittel zur Verfügung stellen. Wir geben derart viel Geld für die Offentlichkeitsarbeit der Regierung aus, allein 400 Millionen DM im Jahr für die Offentlichkeitsarbeit des Verteidigungsministeriums; das muß man sich einmal klarmachen.
Wir geben vergleichsweise wenig für die Öffentlichkeitsarbeit des Parlaments aus. So kann es nicht bleiben. Ich meine, wir sollten im nächsten Jahr einmal ordentlich zulangen und die Mittel für einen Film zur Verfügung stellen, damit wir unsere eigene Arbeit in einer Art und Weise darstellen können, die die Bürger anspricht, die die Bürger verstehen und die nicht langweilig ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Richter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn dies mehr sein soll als eine Geschäftsordnungsdebatte — davon ist vorhin ja die Rede gewesen — , dann muß aber, glaube ich, auch klar sein, was dies nicht sein kann. Herr Häfner, hier geht es sicher nicht darum, Demokratie einzuführen.
Wir sollten uns auch darüber im klaren sein, daß das, was die Menschen in Osteuropa einfordern, hier eine Selbstverständlichkeit ist.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14221
Richter
— Frau Unruh, wir können uns ja austauschen; Sie können ebenfalls sprechen.
Ich bin auch nicht der Meinung, daß dieses Parlament so schlecht ist, wie manche uns das glauben machen möchten.
Die Geschäftsordnung ist natürlich das Instrumentarium, das uns die Arbeit erst ermöglicht. Deswegen bin ich mit Ihnen der Meinung, daß die Verbesserung der Geschäftsordnung eine Aufgabe ist, die wir uns alle stellen sollten. Aber so wenig wie es gesellschaftliche Endzustände gibt, so wenig gibt es auch geschäftsordnungsmäßige Endzustände und parlamentarische Endzustände.
Deswegen muß man manches auch einmal ausprobieren. Ich bin sehr dafür, wenn es vernünftige Vorschläge sind, sie probeweise durchzuführen. Das heißt nicht, daß sie automatisch ad infinitum weitergeführt werden müssen.
Auch eine Geschäftsordnung, wie immer sie aussieht, kann ein leistungsfähiges Parlament nicht behindern. Das ist richtig; ein Parlament nimmt sich das Recht. Aber wir wollen uns die Arbeit ja nicht selbst schwer machen.
Unser Parlamentarismus ist in seiner Tradition gebrochen. Herr Porzner hat dankenswerterweise darauf hingewiesen — ich fand das sehr eindrucksvoll —, daß sich trotzdem einige parlamentarische Stilelemente von der Paulskirche an erhalten haben; sie leben heute noch. Das finde ich eigentlich sehr ermutigend. Andere Stile haben sich in diesem Parlament gebildet. Ohne daß es in der Geschäftsordnung geregelt wäre, hat sich etwas herausgebildet, was das Selbstverständnis dieses Parlaments ausmacht. Wir müssen achtgeben, daß wir diese Dinge nicht über Bord werfen; das will hoffentlich auch keiner.
Ich glaube, daß der Akzent, der z. B. mit der Stärkung von Initiativrechten einzelner Abgeordneter gesetzt worden ist, ein vernünftiger Ansatz ist. So notwendig und so wichtig die Fraktionen in diesem Haus sind und bleiben sollen: Wir müssen auch als einzelne Abgeordnete — übrigens nicht nur als fraktionslose Abgeordnete, sondern auch als Abgeordnete, die Mitglieder einer Fraktion sind — mehr Spielraum haben. Da gibt es eine Menge zu tun. Ich denke auch, daß man die Initiativmöglichkeiten quer durch Fraktionen stärken müßte. Ansätze dafür liegen vor.
Der Einwand, daß man Mißbrauchsmöglichkeiten schaffen würde, ist ernstzunehmen. Ich glaube aber, daß man auch durch geschäftsordnungsmäßige Vorkehrungen den möglichen Schaden begrenzen kann. Die prozeduralen Sicherungen, die bei der vorgeschlagenen Regelung hinsichtlich der Herbeirufung von Regierungsmitgliedern vorgenommen sind, halte
ich nämlich in diesem Sinne für gar nicht so unvernünftig.
Ich meine allerdings nicht, daß es gelingen kann, durch Parlamentsreformansätze das Ansehen des Parlaments als Ganzes oder das Ansehen der Parlamentarier zu heben. Da sollten wir uns nichts vormachen. Dazu müßten wir nicht die Geschäftsordnung, sondern uns selbst, meine Damen und Herren, reformieren.
Es kann mit einer neuen Geschäftsordnung nach wie vor langweilige und spannende Debatten, gute und schlechte Reden geben. Auch Spontaneität und Lebendigkeit, so wünschenswert sie sind, sind leider nur begrenzt organisierbar.
Es ist hier vorhin beklagt worden, daß 18 Reden zu Protokoll gegeben worden seien. Das ist richtig. Aber warum denn, meine Damen und Herren? Weil wir als spontanen Akt dieses Parlaments hier eine Aktuelle Stunde eingezogen haben, die dann nachher den ganzen Zeitplan ins Rutschen brachte. Dagegen wollen wir doch wohl nicht ernsthaft sein.
Herr Buschbom hat mit Recht auf die Rolle der Ausschüsse hingewiesen. Ich glaube, das ist bisher noch zu wenig in der Öffentlichkeit vermerkt worden. In der Tat müssen wir unsere Arbeit entschlacken, von Überflüssigem befreien. Es nervt mich wirklich, wenn ich im Ausschuß eine Vorlage beraten muß, die längst in Kraft ist, die schon im Europäischen Amtsblatt veröffentlicht ist.
Das sind Aufgaben, an die wir einmal herangehen müssen, durch die wir unsere Arbeit besser organisieren können, durch die dann auch Freiräume entstehen, und zwar auch zeitliche Freiräume. Das hat in einem Zwischenruf der Kollege Kleinert sehr zu Recht bemerkt. Ich glaube, daran sollten wir weiterarbeiten.
Als nächste Frau Dr. Hellwig.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen! Meine Kollegen! Ich möchte mit einer eigenen Erfahrung aus dem Berliner Studentenparlament von 1959 bis 1961 beginnen. Ich habe mich damals geweigert, in eine Fraktion einzutreten. Die Individualität der Parlamentarierinnen stand für mich vorne an. Ungefähr 60 % des Studentenparlaments waren aus den Fachgruppen gewählt und gehörten nicht einer Fraktion an, mit der Folge, daß die Riesenmasse der 60 % Spielmaterial für die kleinen Fraktionen war. Sie haben sich gerade aus unseren 60 % immer ihre Mehrheiten herausgebrochen, und diese 60 % einmal zu etwas zusammenzuschweißen — was ich damals vergeblich versucht habe —, war so gut
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Frau Dr. Hellwig
wie nicht möglich. Seitdem habe ich ein elementares Gefühl für Mehrheiten.
— Meine Kollegen von den GRÜNEN, ich habe erwartet, daß Sie dazu einen Zwischenruf machen; denn genau das ist ja die schmerzliche Erfahrung, die DIE GRÜNEN machen mußten. Sie haben ja Ihre ersten Fraktionssitzungen dankenswerterweise öffentlich durchgeführt.
Ich habe mit großem Amüsement verfolgt, wie Sie einmal fünf Stunden lang darüber diskutiert haben, wer im Parlament eine Zehnminutenrede halten darf, weil Sie nämlich keine Mehrheitsentscheidung darüber herbeiführen wollten. Vielmehr wurde darüber ganz demokratisch so lange geredet, bis alle erschöpft waren und nur noch einer übriggeblieben ist.
Das ist natürlich auch eine Möglichkeit, die totale Demokratie zu üben. Aber weil genau so etwas ein Parlament arbeitsunfähig machen würde, ist das meines Erachtens der beste Beweis dafür, was wir an den Fraktionen, was wir überhaupt an den Parteien, was wir an dem Mehrheitsbildungsprozeß haben.
Wenn wir uns angesichts des schlechten Ansehens des Parlaments in der Öffentlichkeit einen Vorwurf machen müssen, dann müssen wir uns zuallererst an die eigene Brust klopfen und uns fragen, ob wir als Personen, die wir Öffentlichkeitsarbeiter für unser eigenes Amt sind, diese Funktion in richtigem Maße wahrnehmen. Ich will gleich hinzufügen, welche Fehler wir gelegentlich machen.
Lieber Herr Biedenkopf, Ihr Zitat ist ein paarmal wiederholt worden. Wenn sich die Parlamentsreformer jetzt hier hinstellen, einen Vergleich mit Osteuropa anstellen und sagen, dort finde der große Aufbruch statt und bei uns sei Beton, hier könne man nicht einmal die Geschäftsordnung in vernünftiger Weise ändern, dann ist das für mich ein Beispiel einer solchen absolut falschen Öffentlichkeitsarbeit.
Ich halte einen solchen Vergleich nicht für zulässig.
Ich sage bezüglich der Entwicklung in der DDR voraus — das sage ich ganz selbstbewußt als bundesrepublikanische Demokratin — : Ihr werdet noch einen schweren Weg gehen müssen, die Disziplin von Mehrheiten zu lernen. Ich befürchte, daß das erste Parlament zunächst ein Chaos von lauter Gruppen sein wird, die sich in ihrer Vielheit mühselig zu Mehrheiten werden zusammenraufen müssen.
— Es wäre mir ja nur lieb, wenn das Gegenteil bewiesen werden sollte. Aber ich sage: Das ist eine wichtige Erfahrung. Deswegen habe ich persönlich vor — das sage ich auch wieder ganz selbstbewußt — , an diesem
Wahlkampf in der DDR, soweit es gewünscht ist — und ich hoffe, es ist gewünscht —, bis zum Mai des nächsten Jahres ganz aktiv teilzunehmen, von unseren Erfahrungen zu berichten und den Fraktionszwang als ein heilsames Mittel der Mehrheitsbildung,
der Regierungsfähigkeit und der Garantie der Demokratie zu vertreten.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich werde Ihnen auch sagen, warum. Ich kann das begründen. Ich kämpfe in meiner Fraktion weiß Gott oft
auf individueller Basis und nicht immer nur auf der Seite der Mehrheit. Trotzdem stimme ich, auch wenn ich unterlegen bin, hier im Plenum aus Überzeugung mit der Mehrheit. Dies tue ich in der Hoffnung, daß dann, wenn ich einmal auf der Mehrheitsseite bin, die zornigen Kollegen, die unterlegen sind, hier auch schön brav die Mehrheit und damit die Regierungsfähigkeit garantieren. Ich halte das für den Erhalt einer Regierung für unverzichtbar.
Frau Hellwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?
Gerne.
Frau Kollegin Hellwig, da ich vollständig mit Ihnen übereinstimme und für Ihren Beitrag sehr dankbar bin, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß wir den Begriff des Fraktionszwanges eigentlich durch das ersetzen müßten, was als Solidarität des Zusammenstehens der Fraktionen zu bezeichnen wäre.
Na schön, Sie können es so nennen. Das hängt wohl jeweils von der individuellen Seelenlage ab. Wenn man in der Mehrheit ist, dann empfindet man es als herzerfrischende, stärkende Solidarität. Wenn man gerade einmal in der Minderheit ist und sich beugen muß, dann empfindet man es etwas als Zwang. Aber so gibt es eben auch in anderen Bereichen des Lebens den Zwang der Disziplin.
Man muß sich diesem Zwang dann eben unterwerfen, wenn man davon überzeugt ist.
Ein weiterer für mich wichtiger Punkt — jeder reitet ja hier so ein bißchen sein Hobby — ist folgender: Unser Unbehagen hat natürlich auch damit zu tun, daß viele Zuständigkeiten inzwischen auf die europäische Ebene übergegangen sind. Wir sehen darin ei-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14223
Frau Dr. Hellwig
nen Mangel an Demokratie und glauben zum Teil fälschlich, diesen Mangel hier, im deutschen Parlament, auffangen zu können. Meine Damen und Herren, das deutsche Parlament ist nicht das Kontrollorgan europäischer Ministerrats- und Kommissionsentscheidungen; das ist nur das Europäische Parlament.
Wenn ich bei der Parlamentsreform demnächst aktiver mitmache, als ich es zugestandenermaßen bisher getan habe, dann hauptsächlich mit dem Zweck, bei uns hier im Bundestag das Bewußtsein dafür zu stärken, daß es auch unser Anliegen sein muß, das Europäische Parlament zu stärken.
— Ja, ich bitte um Applaus auch von meiner Fraktion.
— Wenn wir hier eine Klammer brauchen, so wünsche ich mir einen Europaausschuß im Bundestag.
Noch bin ich damit in meiner Koalition nicht mehrheitsfähig, aber ich werde in meiner Koalition unverzagt weiter kämpfen, bis ich dieses Ziel der Parlamentsreform erreicht habe.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Rede von Frau Hellwig kann man mit dem Satz überschreiben: Es lebe der Fraktionszwang.
Bedauerlicherweise wurde auch noch ausdrücklich an der Stelle geklatscht, als sie „Solidarität" synonym für „Fraktionszwang" mißbrauchen wollte.
Ich möchte gleich noch einen draufgeben: Ich denke, daß diese Debatte heute voll danebengegangen ist.
Wir haben ungefähr eine Stunde lang nur Fraktionsgeschäftsführer oder -führerinnen oder Personen, die diesem Kreis zuzuordnen sind — wie Herr Porzner, die Präsidentin oder die stellvertretende Präsidentin — , gehört. Ich möchte noch ein paar aktive Gedanken einbringen, auch wenn ich von dem, was wir hier jetzt mitgemacht haben, ziemlich enttäuscht bin.
Erstens. Der Kontext der Europäischen Gemeinschaft ist mehrfach beschworen worden. Meine Damen und Herren, langsam müssen wir uns dann aber auch in der Bundesrepublik die Standards gönnen, die woanders normal sind; denn beim internationalen Parlamentsvergleich hinkt dieses Parlament hinter
vielen Parlamenten nicht nur bei der Einräumung von Rechten der Einzelabgeordneten nach demokratischen Gesichtspunkten weit hinterher.
Zweitens. Ich möchte auf das Urteil — vorhin wurde gesagt, jeder hat hier sein Hobby — in dem Organstreitverfahren, das ich aus Karlsruhe herbeigeführt habe, rekurrieren. Wenn Karlsruhe bereits nach den Mindeststandards der Verfassungsgemäßheit so denkt, wie es jetzt in den Leitsätzen formuliert ist, können wir im Parlament unmöglich dabei stehenbleiben. Das ist der Spannungsbogen, das ist die politische Entscheidung, die von Herrn Biedenkopf ebenfalls dargestellt worden ist.
Es darf das Urteil aus Karlsruhe auch nicht dahin gehend verstanden werden, daß es verbietet, was beantragt wird. Vielmehr soll das Parlament die politische Entscheidung darüber fällen, was für die Abläufe im Parlament und damit für einen wesentlichen Teil unserer Demokratie am geeignetsten ist. Fest steht in jedem Fall — das führe ich jetzt noch etwas detaillierter aus —: Die Fraktionen haben im Urteil einen Stellenwert erhalten, der ihnen nach der Verfassung nicht zusteht. Damit wird genau das, was wir fast alle, bis auf Frau Renger, als Analyse feststellen müssen, daß das Parlament in diesem Lande inzwischen ein schlechtes Ansehen gewonnen hat,
weiter verstärkt.
Die Leitlinie 2 b des Urteils sagt, daß sich der Bundestag eine Geschäftsordnung „auf der Grundlage des Prinzips der Beteiligung aller" — gemeint sind die Abgeordneten — „geben müssen. " Im Grundgesetz, meine Damen und Herren, steht etwas anderes. Dort steht: „Er" — der Bundestag — „gibt sich eine Geschäftsordnung. " Warum schreibt Karlsruhe „auf der Grundlage des Prinzips der Beteiligung aller"? — „Beteiligung aller" kann bedeuten: Ein Abgeordneter hat drei Ausschußplätze und ein anderer gar keinen. So ist es mir ergangen — bis zum Urteil aus Karlsruhe. Oder: Ein Abgeordneter hat Stimmrecht im Ausschuß, und ein anderer hat kein Stimmrecht. Das ist immer noch mein Zustand, das ist meine Situation, mit der ich hier fertigwerden muß.
In die Geschäftsordnung gehört natürlich hinein, daß jeder Abgeordnete die gleichen Rechte hat. Wir sind davon immer noch entfernt. Mit den Anträgen, die die Initiative Parlamentsreform eingebracht hat, und auch den 24 Änderungsanträgen, die von mir stammen, könnten wir dem etwas näherkommen.
Herr Abgeordneter Wüppesahl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Wenn die Redezeit nicht reduziert wird, sicher.
Herr Kollege Wüppesahl, würden auch Sie es nicht für erwägenswert halten, daß die Redezeit und die Ausschußsitze fraktionsloser Abgeordneter, die ja immer mit einer Fraktion hierherkommen — es ist noch nie jemand fraktionslos hierherge-
14224 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Conradi
kommen — der Fraktion zugerechnet werden, die sie hierhergebracht hat, auch wenn sie nicht mehr dieser Fraktion angehören?
Herr Conradi, auf diese Frage kann ich nur antworten, daß Sie ein verkommenes Parlamentsverständnis haben, und verweise Sie auf viele meiner Äußerungen und auch auf die Ausführungen in den Schriftsätzen zur Organstreitklage.
Zu fragen ist: Wo kommt das Prinzip der Beteiligung aller, auf das der Zweite Senat aus Karlsruhe rekurriert hat, her? Es steht weder in Art. 40 des Grundgesetzes, noch läßt es sich irgend einer anderen Bestimmung des Grundgesetzes entnehmen, schon gar nicht Art. 38 des Grundgesetzes. Dort steht nämlich genau das Gegenteil!
Herr Abgeordneter Wüppesahl, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Kerrn Klejdzinski?
Wüppesahl Selbstverständlich.
Herr Kollege Wüppesahl, stimmen Sie mir zu, daß Sie als fraktionsloser Abgeordneter in einem hohen Maße die Möglichkeit der Selbstdarstellung haben, die, wenn auch ich als Angehöriger einer großen Fraktion dies in Anspruch nehmen würde, einen Arbeitsaufwand in diesem Parlament zur Folge hätte, der in keiner Weise zu vertreten ist?
Herr Kollege, ich habe kein Problem, mit Ihnen Ihren Status zu tauschen, und frage Sie im Gegenzug, ob Sie bereit wären, die ganzen Nachteile in Kauf zu nehmen, die ich als Fraktionsloser unfreiwillig erleiden muß.
Verfassungsgerichtlicher Kontrolle
— so sagt Karlsruhe —
unterliegt jedoch, ob das Prinzip der Beteiligung aller Abgeordneten an den Aufgaben des Parlaments gewahrt bleibt.
Wieso, meine Damen und Herren, steht hier nicht, ob dabei die Gewissensfreiheit und die Unabhängigkeit aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes gewahrt bleiben? An dieser Stelle — das ist inzwischen der Leitsatz 3 c — arbeitet das Bundesverfassungsgericht mit dem selbst von ihm unter dem Leitsatz 2 b eingeführten Prinzip der Beteiligung aller Abgeordneten an den Aufgaben des Parlaments und erhebt es gewissermaßen zu einem neuen Verfassungsprinzip. Es hat nicht — was eigentlich seine Aufgabe wäre — geprüft, ob die Geschäftsordnungsbestimmungen die
Rechte des einzelnen Abgeordneten nach dem Grundgesetz wahren.
Analog zu der Formulierung unter dem Leitsatz 2 b, daß alle Abgeordneten nur beteiligt zu werden brauchen, wird jetzt unter dem Leitsatz 2 c von einer Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten gesprochen. Aber damit wird die verfassungsrechtliche Grundlage für die ungleiche Rechtsstellung z. B. von Fraktionsunabhängigen und Fraktionsungebundenen formuliert.
Wo bleibt das Gewissen? In dem gesamten Urteil aus Karlsruhe taucht dieser Begriff aus Art. 38 des Grundgesetzes nicht auf. Wo bleibt die Unabhängigkeit? Im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht hat mit diesem Leitsatz die Allmacht der Fraktionen — das ist genau der Punkt, über den wir heute streiten müssen — fundamentiert,
d. h. konkret die von Fraktionsgeschäftsführung und Fraktionsvorstand.
Die Redezeit ist beendet.
Dann mache ich den letzten Satz, Frau Präsidentin.
In Art. 38 des Grundgesetzes steht auch, daß die Abgeordneten an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind. Dort wird nicht wie im Urteil aus Karlsruhe von einer gleichen Mitwirkungsbefugnis schwadroniert, die im Urteil durch Relativsätze erheblich ungleich gemacht wird. Ich denke, das Verfassungsgericht hat sich hier in eine Reihe mit den Parteien gestellt, zum Nachteil des Abgeordneten im Deutschen Bundestag und damit der Parlamentskultur an sich. — Ich meine, daß guter Anlaß besteht, daß auch vielen der von mir eingebrachten Anträgen Zustimmung zuteil wird.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Er hat seine Redezeit längst überzogen.
— Ich habe die Zwischenfragen abgerechnet. Nach der Redezeit kann ich keine Zwischenfragen mehr zulassen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Lammert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer zeitgenössischen Beschreibung parlamentarischer Gewohnheiten habe ich folgendes Zitat gefunden:
Einige Mitglieder haben ihre Füße auf die gegenüberliegenden Sitze gelegt, einige strecken ihre
Beine so weit wie möglich von sich. Einige kom-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14225
Dr. Lammert
men, andere gehen. Alles schwatzt, lacht, läuft herum, hustet, fragt, stöhnt, bietet eine Häufung von Lärm und Verwirrung, wie man es an keinem anderen Platz der Welt findet.
Dies findet sich bei Charles Dickens in seinem Skizzenbuch über das englische Parlament. Vielleicht, Frau Kollegin Hamm-Brücher, ist das gar nicht so ungeeignet, um eine gewisse Relativierung der Beschwernisse und der Besorgnisse über Leistungsfähigkeit und Ansehen des Deutschen Bundestages herbeizuführen,
der sich, wie ich gern akzeptiere, aus guten Gründen und mit voller Legitimation immer wieder einer kritischen Öffentlichkeit stellen muß.
Wir diskutieren heute, wenn ich das richtig sehe, über dieses Thema zum vierten Mal in den letzten Jahren. An Bereitschaft, uns mit diesem sensiblen Sachverhalt auseinanderzusetzen, mangelt es ganz offensichtlich nicht. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich meine Skepsis nicht verhehle, ob wir dem gemeinsamen Anliegen mit dieser Art von Debatte wirklich konkret weiterhelfen.
Ich sage das als jemand, der sich in all den Jahren, die er diesem Parlament selber angehören darf, nicht nur immer für diese Fragestellung interessiert, sondern auch redlich darum bemüht hat, an einer Verbesserung der Arbeit mit zuwirken.
Aber mich stimmt nachdenklich, daß neue Sachverhalte — jedenfalls nach meinem Eindruck; ich habe die Debatte von Anfang an verfolgt — in dieser vierten Variante des gleichen Themas natürlich nicht mehr vorgetragen worden sind. Woher hätten die eigentlich auch kommen sollen? Ich bin nicht einmal sicher, ob die jetzt in einer Plenardebatte erneut öffentlich vorgetragenen Überlegungen wirklich zu den konkreten Veränderungen führen können, zu denen sie führen müssen, wenn sie nicht folgenlos bleiben sollen.
Deswegen möchte ich an dieser Stelle — ich kann das jetzt etwas unbefangener tun als vielleicht noch vor einem guten halben Jahr —
— besser als bis dahin aktives Mitglied des Geschäftsordnungsausschusses — die an der Frage besonders interessierten Kollegen doch darauf hinweisen, daß dieses Parlament über einen Ausschuß verfügt, der sich jedenfalls mit einem großen Teil der hier angesprochenen ganz praktischen Fragen nicht nur mit einem ganz ungewöhnlich hohen Maß an Sachkenntnis und Engagement auseinandersetzt, sondern dies auch in einem Klima tut, das seit vielen, vielen Jahren dadurch gekennzeichnet ist, daß hier über die Fraktionen und quer durch die Fraktionen wirklich der
Versuch unternommen wird, überall da, wo es konkrete, plausible Überlegungen zur Veränderung unserer Arbeitsweise gibt, dies auch in gemeinsame Beschlußempfehlungen umzusetzen. Und der Katalog der Beschlußempfehlungen, den der Geschäftsordnungsausschuß auch für diese Debatte heute vorgelegt hat, ist ein eindrucksvoller Beleg — nicht nur für dieses Bemühen, sondern auch für den gelungenen Versuch — , daß das immer wieder geschieht.
Herr Kollege Wüppesahl, Sie haben Ihren Beitrag verständlicherweise erneut dazu benutzt, die vermeintliche Dominanz der Fraktionen zu kritisieren und die Notwendigkeit der Mitwirkungsmöglichkeiten der einzelnen Abgeordneten darzustellen. Niemand wird bestreiten wollen, daß es auch hier um ein Spannungsverhältnis geht, das — wie alle Spannungsverhältnisse — nicht aufgelöst, sondern nur möglichst verantwortungsbewußt und intelligent ausgeschöpft werden kann. Aber ich möchte doch — gerade auch in dieser Debatte — darauf hinweisen, daß es zu den historischen Erfahrungen nicht nur der deutschen Geschichte, aber auch der deutschen Geschichte gehört, daß sich alle frei gewählten Parlamente, wenn sie denn Ihre Aufgaben wahrnehmen wollten, in Fraktionen organisiert haben
und daß es kein demokratisch legitimiertes Parlament in der ganzen Welt gibt und gab, das sein „Personal" nicht über Parteien rekrutiert hat.
Ich habe in den neun Jahren, in denen ich diesem Parlament angehöre, viele Situationen erlebt, in denen ich meine höchstpersönliche, subjektive Meinung hinter der Mehrheitsauffassung meiner Faktion zurückgestellt habe. Aber es hat keine einzige Situation gegeben, in der meine Fraktion mich hätte zwingen können, in einer Frage, die ich selber wichtig fand und von der ich glaubte, daß ich sie beurteilen kann, anders zu stimmen, als ich das vor meinem Gewissen verantworten konnte.
Wir sollten hier nicht permanent einen Popanz aufbauen, der weder etwas mit der Theorie unserer Verfassung noch mit der Praxis dieses Parlaments zu tun hat.
Aber es ist wohl wahr: Möglicherweise haben wir bei der Debatte über die Verbesserung des Parlaments und seiner Arbeit noch mehr als mit der vermeintlich bedrohten Gewissensfreiheit der Abgeordneten mit ihrer ganz verständlichen Eitelkeit zu tun.
Deswegen möchte ich zum Schluß einen ohne Frage besonders kompetenten, gestandenen Parlamentarier des Deutschen Bundestages mit zwei Sätzen zitieren: Carlo Schmid hat gesagt:
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Dr. Lammert
In einem Parlament geht es nicht immer um Grundsätzliches. Das meiste seiner Tätigkeit besteht in der Erledigung von Tagesproblemen, denen man mit Fleiß, Tüchtigkeit, Lebenserfahrung, gesunden Menschenverstand und einiger Kenntnis der Angelgenheiten des Staates besser gerecht wird als mit Geistesblitzen und der Erforschung der letzten Tiefenschichten der menschlichen Existenz.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Wiefelspütz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über Verbesserungen der Parlamentsarbeit. Manche reden auch über Parlamentsreform. Wer wollte behaupten, wir arbeiteten im besten aller Parlamente? Wer wollte behaupten, wir arbeiteten im schlechtesten aller Parlamente? Für bornierte Selbstgewißheit gibt es niemals überzeugende Rechtfertigungen. Ein Parlament, das mit sich selbst fertig ist, verdient diesen Namen nicht, und die demokratische Öffentlichkeit verdient ein solches Parlament nicht. Ein neuer Plenarsaal kann fertig werden. Der Deutsche Bundestag wird nie, darf nie ein abgeschlossenes Werk sein.
— Ich habe offenbar ein heißes Thema angesprochen.
Erlauben Sie mir also einen kleinen Ausflug, was den Plenarsaal angeht:
Ich gönne den Plenarsaal, wenn er denn fertig ist, den Studenten hier in Bonn, den Bürgerinnen und Bürgern in Bonn. Ich wünsche mir ganz persönlich in nicht allzu ferner Zukunft ein Parlament der Vereinigten Staaten von Deutschland
in einem geeinten bunten Europa.
— Wo auch immer, sicherlich nicht in Bonn.
In dieser Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden die Gedanken fliegen. Sie sind schon geflogen. Manchmal fliegen sie sehr hoch. Aber am Ende dieser Debatte werden wir entscheiden müssen. Dann werden wir sehr konkret werden. Es sind Entscheidungen mit ganz praktischen Auswirkungen.
Diese Debatte verdankt der Kollegin Frau Dr. Hamm-Brücher und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern sehr viel. Sie, Frau Kollegin, haben maßgeblich dazu beigetragen, daß in den letzten Jahren intensive Diskussionen über Geschäftsordnungsfragen stattgefunden haben: im Geschäftsordnungsausschuß, im Ältestenrat, in Arbeitsgruppen der Fraktionen und in den Fraktionen selber. Diese Arbeit hatte Sinn, kein Zweifel. Ich will das ausdrücklich betonen. Sie wird auch in Zukunft Sinn haben; denn selbstverständlich gibt es kein Ende dieser Überlegungen. Das ist völlig klar und unstreitig.
Aber gibt es nicht ein Mißverhältnis zwischen dem Anspruch und den Ergebnissen? Mit dem Anspruch zu beginnen, eine Parlamentsreform zustande zu bringen, und schließlich einige Änderungen der Geschäftsordnung mit unterschiedlicher Bedeutung und Reichweite zu beschließen: Stimmen da die Proportionen? Mancher wird das verneinen. Liegt das vielleicht an einer Verschwörung der Geschäftsführer? Liegt das an unflexiblen Mitgliedern des Geschäftsordnungsausschusses? Oder ist die Ursache ein ganz anderes, aber dafür grundlegendes Mißverständnis? Wer eine Parlamentsreform will und ausschließlich bei einer Revision der Geschäftsordnung — und sei es bei einer umfassenden Revision — ansetzt, muß zwangsläufig, wie ich finde, Enttäuschungen erleben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir am Ende eines Arbeitstages unzufrieden sind, dann mag das vielfältige Gründe haben. An der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hat es noch nie gelegen.
Die großen Leistungen dieses Hauses, aber auch seine Fehlleistungen haben reichlich wenig mit unserer Geschäftsordnung zu tun, wobei ich die Geschäftsordnung nicht unterschätzen will. Herr Kollege Biedenkopf hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es sich dabei nicht um irgendwelche beliebigen Spielregeln handelt. Verfahren hat mit Inhalten zu tun. Das Verwaltungsverfahren hat mit Grundrechten zu tun, wie alle diejenigen wissen, die in diesen Bereichen einmal gearbeitet haben. Verfahrensweisen des Parlaments haben mit dem Grundgesetz zu tun. Das ist völlig unstreitig. Deswegen verdienen diese Fragen auch besondere Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Maß und Maßstab für ein Parlament sind seine Mitglieder und ist die Einschätzung der Politikerinnen und Politiker in unserem Lande durch die Wählerinnen und Wähler. Wer sonst eigentlich soll das Urteil fällen oder der Maßstab sein? Unsere Geschäftsordnung bildet einen unerläßlichen, aber auch sehr flexiblen Rahmen für unsere Arbeit. Mit der Qualität unserer Arbeit hat sie längst nicht so viel zu tun, wie wir hier gelegentlich gehört haben.
Ich darf vielleicht noch einen letzten Gedanken ansprechen. Die Geschäftsordnung des Bundestages ist ein Regelwerk für alle Abgeordneten. Das ist sehr
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14227
Wiefelspütz
wichtig. Es ist deshalb ein ungeschriebenes Gesetz, daß sie — von wenigen Ausnahmefällen abgesehen — nur mit einer sehr breiten Mehrheit geändert werden sollte. Änderungen wollen wir nur dann, wenn ein praktischer Regelungsbedarf erkennbar ist. Ich denke, wir werden uns auch bei unseren künftigen Beratungen von dieser Regel leiten lassen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Mechtersheimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwischen Nikolaus und Weihnachten gestattet sich dieser Bundestag eine Nabelschau. Nur, offenkundig wollen ja gar nicht so viele hinschauen. Wir sollten schon realisieren — auch angesichts der Präsenz hier — , daß das ein Akt unfreiwilliger Selbstkritik werden könnte. Das wäre ja vielleicht auch hilfreich.
Ich könnte mir vorstellen, daß das Ganze auch ein Hinweis auf die strukturelle Reformunfähigkeit dieses Parlaments sein könnte, so daß es gar nicht so sehr von dem guten oder dem bösen Willen der Beteiligten abhängt, was letzten Endes aus diesen Reformbemühungen wird.
Wie viele gutgläubige Schulklassen fahren hierher und fahren desillusioniert wieder nach Hause, besonders wenn sie eine Fragestunde verfolgt haben, in der man als Parlamentarier immer wieder Ermahnungen bezüglich der fehlenden Antworten der Regierungsseite anzubringen versucht. Ich habe aber noch nie gehört, daß das Präsidium die Regierungsvertreter ermahnt hätte, die Fragen doch wirklich zu beantworten. Ich habe immer nur gehört, es liege in der Kompetenz der Regierung, so zu antworten, wie sie es für richtig halte.
Natürlich ist es verständlich, daß das Herrschaftswissen der Regierung so behandelt wird, wie es behandelt wird, denn das Herrschaftswissen gegenüber der Presse preiszugeben bringt Vorteile, es gegenüber der Opposition preiszugeben bringt hingegen Nachteile. Deswegen ist es unvermeidlich, daß wir vor solch einem Dilemma stehen.
Die Kontrollfunktion des Parlaments funktioniert allenfalls zufällig. Es ist eben falsch, wenn in den Schulen gelehrt wird: Es gibt ein Parlament und eine Regierung, und das Parlament kontrolliert die Regierung. — Das kann in unserer so verfaßten politischen Wirklichkeit gar nicht funktionieren. Deswegen ist es kein Wunder, daß sich jede Partei so verhält, wie ihre jeweilige Rolle es vorgibt, nicht aber so, wie sie in der Opposition geredet hat.
Die Mehrheit dieses Parlaments muß auf der Grundlage der Organisation des politischen Lebens die Regierung schützen, natürlich immer nur im Zweifel, wenn es ein Konfliktfall ist; wenn es nicht schadet, kann man es ja anders machen. Sie kann, sie darf sie eigentlich gar nicht ernsthaft kontrollieren.
Das Parlament hat auch keine bedeutende Funktion mehr für die Diskussion. Es nützt gar nichts, die Selbstkritik durch Medienschelte zu ersetzen, wie das hier heute teilweise geschehen ist. Das Fernsehen als Diskussionsforum ist nun einmal überlegen. Daran können wir nichts ändern. Dort ist schon die Beleuchtung besser. Viele Journalisten sagen ja: Sie müssen aber schon so reden, daß man das dann richtig herausschneiden kann. Oder ich denke an das Gerangel, das auf der Regierungsbank einsetzt, wenn man spürt, die Fernsehübertragungszeit geht zu Ende. Das zeigt doch sehr deutlich, daß hier eine Funktion des Parlaments einfach entfallen ist.
Ich meine, daß den Reformmöglichkeiten ganz enge Grenzen gesetzt sind, auch deshalb, weil wir grundsätzlicher fragen müssen, ob ein Parlament, das mit der Wahl des Kanzlers im Grunde seine Macht an die Regierung abgibt, überhaupt noch kontrollieren kann.
Alle Vergleiche, wie sie gebracht worden sind, sind da unzulässig, wo es ein Regierungssystem gibt, wo beispielsweise durch Präsidialwahl die Regierung eine eigene Legitimation hat, der die Parlamentswahl gegenübersteht. Das ist eine ganz andere Situation.
— Nein, man muß darüber diskutieren. Ich warne ja nur vor den Übertragungen.
Ich glaube, wir müssen da auch im Hinblick auf die Veränderungen ganz grundsätzlich nachdenken.
Ich möchte hier nicht das parlamentarische Prinzip grundsätzlich in Zweifel ziehen
und deswegen auch keine Kritik in dem Sinne zulassen, daß in der DDR im Augenblick etwas Vergleichbares stattfindet. Was als Vorbild dient, sind natürlich die freien Wahlen. Aber die Praxis dieses Bundestags möchte ich nicht als Modell für das verstanden wissen, was in der DDR oder möglicherweise dann mal in gemeinsamen Gremien stattfindet. Das darf man doch sagen, ohne dem Parlament Unrecht zu tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt ein Stück versuchter Parlamentsreform, das in der Initiativgruppe nicht behandelt wurde, Kinderbeauftragte, die wir in dieser Debatte ansprechen wollen.
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Eimer
Ich darf daran erinnern, daß nach dem Wunsch von Verbänden, die in der vorletzten Legislaturperiode an uns herangetreten waren, ähnlich dem Wehrbeauftragten ein Kinderbeauftragter ernannt werden sollte. Es gibt jedoch einen deutlichen Unterschied zwischen dem, was ein Wehrbeauftragter als Aufgabe hat, und dem, was ein Kinderbeauftragter zu tun hat. Der Wehrbeauftragte überprüft die Einhaltung von Gesetzen. Ein Kinderbeauftragter soll durch seine Arbeit dazu beitragen, daß die Gesetze kinderfreundlicher werden und eine Gesellschaft kinderfreundlicher wird.
Kollegen aller Fraktionen im Bundeshaus waren sich einig: Dies ist keine Aufgabe für die Exekutive, sondern eine Aufgabe für die Legislative, also eine Aufgabe des Parlaments. So wurde je Fraktion ein Abgeordneter als Kinderbeauftragter benannt, und diese vier bilden zusammen die Kinderkommission. Diese Kinderkommission ist in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages nicht vorgesehen.
Dieser Versuch sollte bis Ende der Legislaturperiode laufen. Bereits heute gibt es Auseinandersetzungen um den Status. Dies beeinträchtigt unsere Arbeit. Es gibt Stimmen, die den Status verändern wollen in einen Unterausschuß des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
Nach Meinung der Mitglieder der Kinderkommission ist dies eine untaugliche Organisationsform. Ein Unterausschuß bekommt einen detaillierten Auftrag, eine engumgrenzte Aufgabe zu lösen, hat Entscheidungsvorbereitung für einen bestimmten federführenden Ausschuß zu leisten, fällt Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip und löst sich nach Erfüllung dieser Aufgaben wieder auf.
In allen Punkten ist es bei der Kinderkommission umgekehrt: Sie hat einen allgemeinen Auftrag, nämlich eine kinderfreundliche Gesellschaft zu schaffen. Sie hat keine vorgegebene Aufgabe, sondern muß die Problemfelder selbständig suchen und zur Lösung an die unterschiedlichen Ausschüsse weitergeben. Sie entscheidet nicht durch Mehrheit, sondern durch Einstimmigkeit. Und dies ist auf nicht absehbare Zeit konzipiert.
Ich wiederhole also: Die Kinderkommission ist kein Beschlußorgan. Sie will keines sein und kann auch keines sein. Sie wird nicht in die Entscheidungen der zuständigen Ausschüsse hineinpfuschen.
Wir wollen aber sagen können: Hier und dort ist aus Sicht von Kindern und für Kinder ein Problem zu lösen. Die Lösungen dazu werden dann nach Fraktionen unterschiedlich ausschauen. Durch das Prinzip der Einstimmigkeit, meine Damen und Herren, ist sichergestellt, daß die Kinderkommission kein Organ der parteipolitischen Profilierung werden kann.
Durch dieses Vorgehen kann, so hoffen wir, sehr gut deutlich werden, daß der Parteienstreit im Sinne des Ringens um die optimale Lösung auf der Grundlage einer bestimmten Wertordnung etwas Vernünftiges ist. Ich glaube, wir können durch die Art der Zusammenarbeit innerhalb der Kinderkommission auch dazu beitragen, politische Kultur und Stil eines Parlaments deutlich zu machen.
Als der derzeitige Sprecher der Kinderkommission habe ich eine herzliche Bitte an Sie: Bitte, lassen Sie dieses kleine Stückchen versuchter Parlamentsreform nicht sterben. Wir erheben keine großen Ansprüche hinsichtlich des Selbstverständnisses des Parlaments, keinen moralisierenden Anspruch auf die Verbesserung der Güte des Parlaments, auf mehr Glaubwürdigkeit. Diese Glaubwürdigkeit kann man sowieso nicht über eine Geschäftsordnung erzeugen, sondern sie muß das Ergebnis unserer Arbeit sein.
Wir glauben aber, daß dieses bißchen Reform ein bißchen mehr Funktionsfähigkeit des Parlaments bringt, weil hier Probleme, die gelöst werden müssen, besser in die Beratungen des Parlaments einzubringen sind und weil wir Ansprechpartner für diejenigen sein können, die keine mächtigen Interessenverbände hinter sich stehen haben.
Bitte verankern Sie die Kinderkommission in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.
Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte zur Kinderkommission etwas sagen, aber am Anfang zwei Punkte aufnehmen, weil sie mich sehr nachdenklich gemacht haben.
Herr Westphal hat davon gesprochen, daß es notwendig ist, irgendwann zu einer Mehrheit zu kommen, und daß man nicht vom Fraktionszwang reden sollte, sondern daß man von der Solidarität des Zusammenstehens reden muß.
Es ist aber in der Realität so, und davon können wir uns nicht freimachen: Die Solidarität des Zusammenstehens, die hier geübt wird, indem hier Mehrheitsentscheidungen gefaßt werden, wird natürlich von den Bürgerinnen und Bürgern im Lande draußen manchmal als sehr feindlich empfunden. Sehr deutlich ist das gewesen, als sich hier 1983 eine Mehrheit für die Aufrüstung entschieden hatte, während die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger im Lande, etwas ganz anderes wollte. So gibt es viele andere Punkte, an denen man das klarmachen kann: an der Gesundheitsreform oder an den Familien mit Kindern, die einfach zuwenig Geld haben und für die das Kindergeld nicht erhöht wird. Auf jeden Fall muß man beide Seiten sehen.
Da Herr Biedenkopf hier von der institutionellen Dominanz und von der Selbstverwirklichung des Abgeordneten geredet hat, muß man fragen: Wie definiert man institutionelle Dominanz? Institutionelle Dominanz sagt doch auf der einen Seite, daß in unserer Gesellschaft, wo die Parteien bei der Meinungsbildung mitwirken sollen, wie schon Gerald Häfner gesagt hat, die Dominanz der Parteien bei der Willensbildung ungleich hoch ist. Wir müssen eingestehen: In einer Gesellschaft, wo wir viele außerparlamentarische Bewegungen haben, wo wir viel Wissen und Können außerhalb des Parlaments haben, gelingt es uns des öfteren einfach nicht, dieses Wissen und Kön-
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Frau Schoppe
nen, diese Kompetenz, die außerhalb existieren, hier einzubeziehen.
Frau Schoppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Geiger?
Ich bringe diesen einen Gedanken eben erst zu Ende. — Unter dem, was hier als Selbstverwirklichung des oder der Abgeordneten bezeichnet wird, verstehe ich z. B., daß wir den Mut oder auch die Zivilcourage haben, nicht nur immer das zu vertreten, was man aus der Fraktion heraus vertreten muß. Man muß auch darauf hinweisen, daß unser Wissen und unser Können beschränkt sind, wie bei allen anderen Menschen, und daß wir die Zivilcourage haben müssen, einfach das Wissen und das Können anderer Menschen von außen einzubeziehen. Das wäre für mich eine Form von Selbstverwirklichung. Da muß man sich manchmal gegen die Fraktionen stellen.
Bitte.
Frau Schoppe, ich habe eine Frage. Könnten wir uns, wenn wir hier von unserem Selbstverständnis sprechen, nicht vielleicht einmal darauf einigen, nicht immer von den „Bürgern draußen im Lande" zu reden?
Wir sind mitten im Lande. Wir sind das Herzstück hier im Lande. Wir sollten nicht immer den Eindruck erwecken, als wären wir hier unter der Käseglocke. Wir sind Vertreter dieser Bürger. Wir sind mitten im Lande mit unserem Parlament.
Also, meine Damen und Herren, wir alle sind Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, und als solche sind wir hier. Wir sind aber auch in einem abgeschlossenen Rahmen hier. Das wissen wir alle. Ich denke allein an die Zeit, die wir hier verbringen müssen, um unsere Arbeit zu machen.
Ich denke an die wenige Zeit, die wir wirklich haben, um mit den Leuten zu reden, das heißt, einen Dialog zu führen. Mein Arbeitstag hat zwölf Stunden; der Ihre wahrscheinlich auch. Das läßt sich nicht so ohne weiteres ausdehnen, auch wenn man es möchte.
Mit unseren Diskussionen und mit unserem Wissen, wie es den Leuten wirklich geht, hinken wir manchmal hinterher. Es kommt doch nicht von ungefähr, daß in bestimmten ökologischen Fragen das Wissen und
Können zunächst außerhalb des Parlaments viel größer sind
und das Wissen und Können und die Lösungsvorschläge beispielsweise beim Minister zuletzt ankommen. Man hat das Gefühl: Alle wissen's, bloß der Minister hat's noch nicht begriffen.
Ich komme zur Kinderkommission. Meine Damen und Herren, ich falle aus allen Wolken, wenn hier im Zusammenhang mit der Parlamentsreform oft gesagt wird, wir sollten kreativ sein. Indem wir uns gemeinsam eine Kinderkommission gegeben haben, haben wir einen kreativen Akt veranstaltet. Diese Kommission weist nämlich eine Form auf, die es im Parlament bisher noch nicht gegeben hat. In dieser Kommission — das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen — sitzt aus jeder Fraktion eine Vertreterin bzw. ein Vertreter. Das heißt, die Kommission ist nicht nach Mehrheiten besetzt, sondern man hat gesagt: Alle hier Anwesenden haben erkannt, daß wir angesichts der großen gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen eine Politik für Kinder brauchen.
Nun will man einen Angriff auf die Kinderkommission starten, indem man nicht mehr will, daß sich dort Vertreterinnen bzw. Vertreter aus vier Fraktionen zu Wort melden, sondern es soll ein Unterausschuß gebildet werden. Ein Unterausschuß jedoch wird nach Mehrheiten besetzt. Was käme aus einem Unterausschuß, der nach Mehrheiten besetzt wird, heraus? — Nichts weiter, als daß die Regierungspolitik von diesem Unterausschuß mehrheitlich noch einmal unterstützt wird.
Das darf hier nicht geschehen, da es doch um Kinder geht, um Lebens- und Gestaltungsmöglichkeiten für Kinder, um Aussiedlerkinder, um Einwandererkinder, um Asylkinder, um Kinder, die auf Grund der Umweltbelastungen bestimmte Krankheiten haben.
Hier müssen alle gleichmäßig zu Wort kommen. Es geht uns nicht darum, die Regierungspolitik aus einem Unterausschuß heraus zu unterstützen. Täten wir das, hätten wir vor unseren eigenen kreativen Ideen kapituliert.
Das Wort hat der Abgeordnete Geis. — Ist er nicht anwesend? Dann der Abgeordnete Werner.
Frau Präsident! Liebe Kollegen! Es ist heute völlig zu Recht vieles über das Spannungsverhältnis gesagt worden, in dem wir unseren Dienst — ich möchte das Wort „Dienst" unterstreichen — hier zu leisten versuchen; ein Spannungsverhältnis, das sich auf der einen Seite aus dem Durchsetzungswillen des einzelnen, zu berücksichtigen, was von der bekannten Basis, also von der Bevölkerung, von jedem einzelne Bürger, an ihn herangetragen wird, und dem Versuch auf der anderen Seite, die Dinge im Rahmen der Möglichkeiten in der Frak-
14230 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Werner
tion, in der Partei und in Arbeitsgruppen umzusetzen, ergibt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang gleich vorab sagen, daß natürlich immer wieder individuelle Entscheidungsprozesse auch zu den politisch notwendigen Kompromissen führen müssen. Ich glaube aber, daß wir uns allzuoft und allzuleicht in manchen Fragen einer Disziplin unterwerfen, die gar nicht erforderlich ist.
Ich möchte darauf hinweisen, daß ich auf der einen Seite das Gerede von mehr Basisdemokratie nicht für sinnvoll erachte, und auf der anderen Seite dringend davor warnen möchte, daß wir alle miteinander — ich schließe da ganze Fraktionen nicht aus — immer wieder in Populismus verfallen, nämlich in den Populismus, zu meinen, man müsse unmittelbar auf eine bestimmte Äußerung, auf eine bestimmte Bewegung, auf Wünsche der Öffentlichkeit, die nur aus einer bestimmten Gruppe kommen, reagieren. Das stellt man dann in den Mittelpunkt des Geschehens. Genau dies führt dazu, daß uns die Bürger oftmals eine Omnipotenz zusprechen, die wir überhaupt nicht haben können.
Ich möchte deswegen, auch als Mitglied der Kinderkommission, die Frage ansprechen: Was können wir machen, ohne die Geschäftsordnung zu verändern? Ich glaube, hier haben wir eine Kommission, die auch in anderen Bereichen — dann natürlich nicht als Kinderkommission — Vorbild sein könnte. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß wir, ohne die Geschäftsordnung zu verändern, Kommissionen schaffen, in denen sachkundige Parlamentarier ohne Entscheidungsbefugnis über die Fraktionsgrenzen hinweg zusammenarbeiten können.
Ich möchte auf ein Zweites hinweisen. Warum haben wir als Parlamentarier noch nicht in dem notwendigen Maße ständige Expertenkommissionen — ich sage nicht „Enquete-Kommissionen" ; denn dort spiegelt sich ja auch schon wieder in bestimmten Bereichen der Parteienproporz wider — , die die Ressorts, die Ministerien, haben, aber nicht wir Abgeordnete. Wir sind dann notgedrungen primär auf den Wissensstand der Ministerien angewiesen.
— Herr Klejdzinski, lassen Sie mich, da ich nur noch zwei Minuten Redezeit habe, noch etwas anders ansprechen.
Wir klagen hier über die Geschäftsordnung. Wir haben heute aber noch nicht über die politische Kultur in diesem Lande gesprochen, die nicht zuletzt wir durch unser Auftreten und Verhalten hier bestimmen,
und das ist nicht in erster Linie eine Frage der Geschäftsordnung,
vielleicht auch, aber eben nicht in erster Linie. Da
möchte ich die Frage stellen: Wie gehen wir denn miteinander um? Es ist doch so, daß wir voneinander
Erwartungshorizonte haben, wohlwissend, daß wir sie wechselseitig gar nicht erfüllen können. Wir gehen miteinander so um, daß wir den anderen von vornherein in eine ganz bestimmte politische Schublade hineinzudrücken versuchen, selbst dann, wenn er mit seiner Meinungsäußerung dort gar nicht hineingehört. Wir zwingen uns damit gegenseitig, nicht nur im Rahmen von Disziplin, die innerhalb der Fraktionen notwendig ist, oft insgesamt in eine Art stromlinienförmiges Verhalten, das wir anderen gegenüber doch immer wieder verurteilen. Ich meine, wir sollten in bezug auf Umgang miteinander, auf Urteil und auf Toleranzfähigkeit in diesem Hause miteinander mehr lernen.
Wenn wir über diese politische Kultur reden, dann gehört auch die schon wiederholt angesprochene Presse dazu. Aber auch hier möchte ich nicht nur anklagen. Es liegt ja oftmals an uns selbst, an dem Parlament. Wir verstehen es nicht, in der notwendigen Art und Weise deutlich zu machen, wie die Gewichtungen sind.
Auch wenn die Regierung heute nicht sehr stark vertreten ist, sondern nur einer der Herren Parlamentarischen Staatssekretäre hier sitzt, möchte ich an die Bundesregierung appellieren, in den Fragen der Gewichtung und der Darstellung von Problemen in stärkerem Maße auf das Parlament Rücksicht zu nehmen, als dies bisher in den Jahren meines Daseins als Abgeordneter der Fall war. Hier könnte die Bundesregierung, die ja nicht zuletzt auch ein Teil dieses Parlaments ist, uns eine bessere Hilfestellung und Handreichung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will das Thema Kinderkommission — Sie erwarten es natürlich geradezu — an dieser Stelle etwas kürzer abhandeln, weil meine Kolleginnen und Kollegen vor mir schon die richtigen Worte dazu gefunden haben.
Ich finde schon, daß Sie auch wissen sollten, daß wir alle vier gemeinsam zu diesem Weg stehen, auf den wir uns untereinander verabredet haben. Es ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Aspekt, daß wir hier nicht versuchen, Regierungsarbeit oder ähnliches zu konterkarieren oder aufzugreifen und neu zu organisieren. Es geht vielmehr um die zutiefst politische Arbeit dieses Parlaments, das sich in den vergangenen Jahren doch offensichtlich darin einig gewesen ist, die Arbeit für Kinder, die Politik für Kinder auch als politische Aufgabe zu verstärken. So verstehen wir uns. In dieser Funktion sind wir angetreten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Klejdzinski?
Ja, gern.
Herr Kollege, ich stelle diese Frage als Vater. — Wenn Sie sagen, wir brauchten
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Dr. Klejdzinski
eine Kinderkommission, dann frage ich: Brauchen wir dann auch eine Kommission beispielsweise für ältere Menschen? Welche Kommission brauchen wir noch? Sind das nicht im Grunde genommen generelle Politikfelder, die wir, wenn wir Politik machen, im Rahmen unseres Auftrages insgesamt zu erledigen haben?
Herr Kollege, das ist genau das, was ich jetzt sagen wollte.
Es ist die Aufgabe des Parlaments, zu entscheiden, welche Art von Kommissionen und Sonderaufgaben es sich weiterhin zuordnet. Ich denke, wir waren uns bisher einig, daß die Kinderpolitik zumindest für einige Zeit ein besonderes Feld sein müßte. Ich schließe aber auch nicht aus, daß es weitere Felder geben kann, wenn man sich parlamentarisch darauf verständigt.
Ich denke, genau dies zeigte auch die Debatte heute im Verlaufe des Vormittags, der ich sehr intensiv zugehört habe. Wir müssen uns gerade an dieser Stelle die Flexibilität sichern, im politischen Raum auf Entwicklungen zu reagieren, die wir nicht mehr mit den herkömmlichen Methoden beherrscht haben. Ich sage mit allem Nachdruck: Dies war bei der Kinderpolitik der Fall. Wann haben denn die Kinder in den vergangenen Jahren in der Auseinandersetzung des Parlaments einmal im Mittelpunkt gestanden? Dies sollte durch die Arbeit der Kinderkommission irgendwann geändert werden.
Wir wollen damit beileibe nicht die parlamentarische Arbeit belasten — ich bitte, das richtig zu verstehen — , wir wollen sie vielmehr geradezu entlasten. Machen Sie sich ein Bild von unserer praktischen Arbeit. Sie findet doch bisher im Parlament gar nicht in dem Maße statt, wie wir es uns auch selber manchmal wünschen. Das gebe ich gerne selbstkritisch zu. Sie findet vielmehr eher hinter den Kulissen und mit den vielen Partnern statt, die draußen im Lande auf unsere Arbeit warten oder gewartet haben und mit uns gerne zusammenarbeiten.
Ich denke also, daß wir genau an dieser Stelle in unserer parlamentarischen Arbeit ein Stück von dieser neuen Flexibilität ansiedeln könnten, wie wir es eben mit dem Begriff Kinderpolitik in der Kinderkommission umschrieben haben und umschreiben lassen wollen. Wir bitten Sie, uns und damit auch den Kindern in diesem Lande und weit darüber hinaus eine Chance zu geben.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, wie wir uns doch manchmal zum Instrument der Regierungsarbeit machen. Das haben wir auch in der Kinderkommission gespürt, wenn es z. B. darum ging, ein außenpolitisches Thema zu behandeln. Wir haben die Entwicklung zur UNO-Kinderkonvention gehabt. Es ist normalerweise nicht üblich, hier im Hause vor der Verabschiedung einer solchen Konvention zu debattieren. Wir machen uns damit eigentlich immer zum Instrument der Regierungsarbeit. Die beschließen das in der UNO mit, und anschließend kommt das Ratifizierungsverfahren; dann dürfen wir als Parlament nur
noch Beifall klatschen: Da ist etwas Hervorragendes gemacht worden.
Genau dies hätte auch bei der UNO-Kinderkonvention stattgefunden, wenn uns nicht die Interparlamentarische Union die Gelegenheit gegeben hätte, sowohl international als auch hier im Parlament mit dem vorgelegten Bericht entsprechend zu reagieren und schon einmal im Vorfeld eine Debatte darüber zu führen, was wir erwarten, wie sich die Regierung auf diesem besonderen Feld der Politik verhält. Ich glaube, auch an der Stelle könnte man einmal über Außenpolitik und ihre Funktionen im internationalen Rahmen, was das Parlament anbetrifft, nachdenken.
Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt, der mit der Kinderkommission nichts zu tun hat, nennen. Ich bekräftige ausdrücklich das, was der Kollege Conradi hier gesagt hat: Wir müssen uns als Parlament von dem Kleinkram befreien und müssen ihn von mir aus in solchen Kommissionen oder aber in die Ausschüsse für manche Entscheidung zurückverlagern, damit wir für Debatten, die hier im Hause stattfinden sollen, freier sind.
Schließlich ein allerletzter Aspekt, ein ganz persönlicher, den ich seit vielen Jahren verfechte. Ich will ihn hier an dieser Stelle mit der Bitte, Frau Hamm-Brücher, anbringen, ihn vielleicht auch in die weitere Arbeit einzubeziehen. Ich frage mich manchmal, warum dieses Parlament eine vierjährige Legislaturperiode hat. Ich sähe es gerne und habe es in vielen Jahren immer wieder verfochten, daß wir unsere Arbeit in einer fünfjährigen Legislaturperiode etwas kontinuierlicher gestalten.
Ihre Redezeit ist überschritten, Herr Schmidt.
Ich glaube, dann würden wir alle auch solchen Dingen einen guten Aspekt abgewinnen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Geis.
Darf ich Ihnen noch sagen: Ich kann keine Zwischenfragen mehr gestatten. Wir haben jetzt noch, mit Herrn Geis, fünf Wortmeldungen und kommen ansonsten in erheblichen zeitlichen Verzug.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kritik in den Redebeiträgen ist immer wieder zu der Frage zurückgekehrt, welchen Informationsvorsprung die Regierung gegenüber dem Parlament hat und welche Möglichkeit zur Information das Parlament selber gegenüber der Regierung hat.
Nun hat das Parlament als ein Verfassungsorgan einen Informationsanspruch gegenüber der Regierung. Dieser Informationsanspruch, so vom Bundesverfassungsgericht entschieden, endet am Kernbe-
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Geis
reich der Regierung, also dort, wo sich die innerste Entscheidung abspielt.
Aber darüber hinaus gibt es natürlich einen Informationsanspruch, den das Parlament wahrzunehmen hat und auch wahrnimmt. Wir kennen ja die gängigen Informationsinstrumente, wie die Kleine und Große Anfrage, und wir kennen auch die Rechte des Petitionsausschusses und des Untersuchungsausschusses auf Vorlage von Akten.
Ich meine, Beachtung sollte auch finden, was heute morgen von Herrn Häfner schon einmal gesagt wurde, daß es den Fraktionen, dem Parlament möglich sein muß, auch Unterlagen einzusehen, wenn es beispielsweise darum geht, welches die Motivationen, welches die Überlegungen waren, die zu einer bestimmten Gesetzesvorlage geführt haben. Nun bekommt jede Gesetzesvorlage eine Begründung, aber in diesen Begründungen ist zusammengefaßt, was Akteninhalt ist. Uns müßte es darum gehen, daß wir auch Einsicht in diese Akteninhalte nehmen können. Ich meine, daß das zu unterstützen ist.
Das gleiche gilt natürlich auch für die Kontrolle, wie sich so ein Gesetz nun ausgewirkt hat. Da kann man einen Bericht von der Regierung anfordern, aber in diesem Bericht steht auch wiederum nur, was in den Akten, in den Gutachten, in der Auswertung von Gerichtsentscheidungen steht. Ich meine, es sollte uns möglich sein, auch darin Einsicht zu nehmen.
Bei dem Stichwort „Information" ist aber auch unser Anspruch auf Information nach draußen deutlich geworden, und da haben wir einiges zu beklagen. Mit Recht beklagen wir das Ansehen des Parlaments bei der Bevölkerung, und mit Recht stellen wir fest, daß über unsere Arbeit hier draußen zu wenig berichtet wird. In der Tat ist es so, daß die Fernsehanstalten und die Massenmedien nur über besondere Debattenbeiträge und meistens auch nur über Debattenbeiträge prominenter Politiker berichten.
Der Bürger draußen erkennt dann oft das Parlament nur als eine große Bühne und die Abgeordneten als Statisten auf dieser Bühne, auf der die prominenten Politiker präsentiert und oft auch karikiert werden. Dann entsteht draußen eigentlich nur der Eindruck, als würde es uns hier nur um den Parteienwettstreit gehen.
Nun können wir das den Medien nicht unbedingt zum Vorwurf machen, weil es nun einfach mal in ihrem Wesen liegt, daß sie über Konflikte, über Parteien, über Diskussionen, über streitige Auseinandersetzungen und natürlich auch über Skandale berichten. Das liegt so im griffigen Umfeld der Medien. Sie stürzen sich von ihrem Wesen her meistens auf solche Themen.
Aber es müßte doch unsere Aufgabe sein, einen Blick darauf zu richten, wie wir selbst Meinungsführerschaft als Parlament draußen übernehmen können. Wir können es doch nicht den Medien allein überlassen, was auf der politischen Tagesordnung unserer
Gesellschaft steht und was in der Versenkung verschwindet.
Deswegen, meine ich, müßten wir wieder mehr zu dem Gedanken kommen, der auch von Herrn Buschbom heute morgen schon erwähnt worden ist und der auch einmal zu einer Debatte geführt hat, der immer wieder auftaucht, ob nicht ein Parlamentskanal geschaffen werden sollte. Frau Präsidentin, ich meine, daß dies sicherlich nur eine Möglichkeit, aber, ich glaube, eine nicht geringe Möglichkeit wäre, über die Arbeit des Parlaments nach draußen zu berichten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Ich möchte an diesen Parlamentskanal anschließen. Ich glaube, das ist schon wichtig, Frau Schoppe, wenn Sie auch im Moment meinten: Wenn das alles rüberkäme, würden unsere Wählerinnen und Wähler draußen meinen, wir wären eine Schwafelbude. Die meinen schon lange, daß wir das eigentlich sind. Aber da wir hier immer wieder sagen, daß wir Volksvertreterinnen und Volksvertreter sind, und wir in einer Medienwelt leben, ist es, glaube ich, das oberste Ziel für uns alle, daß es sofort diesen Parlamentskanal gibt, damit unsere Wähler und Wählerinnen draußen letztlich beurteilen können, wie wir uns in diesem Hause geben, wie wir uns in einem Wahlkreis oder auf irgendeiner öffentlichen Veranstaltung geben.
Eines müssen wir alle akzeptieren: Die Bürger, unsere Wahlbürger, mögen uns nicht so, wie wir dann mit willkürlichen Ausschnitten im Fernsehen dargestellt werden.
Wir haben doch öffentlich-rechtliche Medien — gut verstanden: öffentlich-rechtliche Medien! Jetzt kann RTL plus sich für Millionen irgendeinen Showstar einkaufen usw., und wir können nicht per Gesetz beschließen, daß unsere politischen Anliegen bei unseren Wählerinnen und Wähler draußen ankommen. Ich meine, wir geben damit doch zu, daß wir als Gesetzgeber uns nicht einig sind, daß wir das wollen. Wir sollten in diesem Sinne die Gesetzgebung, die wir in den Händen haben, sehr, sehr ernst nehmen.
Es ist auch so, daß die Geschäftsführer pokern, wer bei fünf Stunden Fernsehübertragung reden darf. Warum sind denn alle gierig, ins Fernsehen zu kommen? Natürlich um sich dem Wählerkreis darzustellen. Ich meine, es ist doch ein ganz legitimes Anliegen, so etwas zu tun.
Warum hören wir so viel von der Kinderkommission — Kinder werden vernachlässigt usw. — ? Dann kam der Zwischenruf von Frau Renger: Dann auch noch etwas für die Alten! Freunde, wenn das alles so ausartet, müssen wir uns ein anderes Parlament überlegen; dann gibt es eben da die Vertretung der Alten usw. Machen wir doch ein Ständeparlament, oder ma-
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Frau Unruh
chen wir doch irgend etwas. Nur, so kann es doch nicht weitergehen.
Wenn 35 % nicht mehr wählen gehen, wo wollen wir als Volksvertreter etwas dagegensetzen? Ist uns das recht? Wollen wir es so absacken lassen, daß nur noch 30 % oder 38 % — wie in den USA — wählen gehen? Können wir das mit unserem Verfassungsauftrag, überhaupt mit dem Gewissen noch verantworten?
Man kann sein persönliches Gewissen nicht überstrapazieren; das stimmt. Wir leben von Kompromissen. Jede Ehe lebt vom Kompromiß, damit die Ehe bestehen bleibt, oder man geht mit Anstand auseinander.
Das ist in der Demokratie selbstverständlich. Aber nach draußen heute so zu tun, als wenn das, was wir hier haben, das Demokratieverständnis eines jeden Abgeordneten wäre — das glaubt doch wohl kein Mensch. Auch da müssen wir etwas ehrlicher vor uns sein.
Ich habe viele von der CDU/CSU-Fraktion erlebt
— Sie sagten vorhin: „mitten im Lande", nein, hier im Hause habe ich sie erlebt —, die Tränen geweint haben, weil sie nicht reden durften,
die sich vorkommen wie die Hinterbänkler, weil sie bei Ihnen in der Fraktion keine Chance haben, reden zu dürfen.
Ich muß sagen: Hinter dem, was Herr Dr. Biedenkopf hier gesagt hat, kann ich voll stehen, nur zu folgendem nicht, Herr Dr. Biedenkopf — hallo, hören Sie bitte einmal zu — : Sie haben wieder etwas geschwindelt, daß Ihnen nicht bewußt wäre, daß es ein Fraktionsreglement gäbe. Sagen Sie das doch bitte nicht.
Lassen Sie uns doch ruhig diese dreieinhalb Stunden nutzen. — Ihnen, Frau Dr. Hamm-Brücher, herzlichen Dank, daß Sie das die Jahre über durchgehalten haben. Ich bin gerne in Ihre Initiative gekommen.
— Lassen Sie uns doch diese Stunden hier nutzen, um etwas ehrlicher gewesen zu sein. Manche haben wieder den Fraktionsgeschäftsführern nach dem Mund geredet, damit sie ihre nächste Redezeit bekommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Stark.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie einen, der am Ende dieser Legislaturperiode 25 Jahre diesem Haus angehört,
ganz spontan ein paar Bemerkungen zu dem Anliegen, das heute behandelt wird, machen.
Zunächst eine Stellungnahme zu einer ganz konkreten Frage: Ich möchte Sie beschwören, machen Sie die Ausschüsse nicht grundsätzlich öffentlich. Ich
habe in diesem Haus viele Ausschüsse erlebt: Petitionsausschuß, Geschäftsordnungsausschuß, Sportausschuß und jetzt seit Jahren den Rechtsausschuß.
Ich sage Ihnen gerade aus dem langjährigen Erlebnis des letzten Ausschusses heraus: Hier wird noch sachlich miteinander um die Dinge gerungen und darüber offen diskutiert. Hier wird auch einmal etwa zwischen den Fraktionen gesagt: Da habt ihr recht; da habt ihr nicht recht; das könnte man so machen. Das wird alles nicht mehr möglich sein, wenn wir die Ausschüsse öffentlich machen. Wir werden dann den Stil der Debatte hier im Hause übernehmen.
Lassen Sie mich das sagen, was ich hier im Hause beklage und damit bin ich schon bei einer allgemeinen Bemerkung. Hier wird folgendermaßen diskutiert
— das versteht der Bürger überhaupt nicht — : Die Regierung sagt: Alles, was wir machen, ist klasse. Die Opposition sagt: Alles, was ihr macht — Entschuldigung, jetzt wollte ich beinahe einen schwäbischen Ausdruck gebrauchen; ich tue es nicht — , ist ... das und das; das heißt: nichts. Zwischentöne tauchen hier ganz selten auf.
— Doch, so ist es leider.
Dann sagen die Leute: Das kann doch wohl nicht wahr sein. Ich würde Sie bitten, einmal darüber nachzudenken. Das steigert vielleicht unser Ansehen.
Jetzt noch ein paar allgemeine Bemerkungen. Liebe Frau Hamm-Brücher und alle Reformer — ich habe da früher ebenfalls mitgemacht — , mit der Änderung der Geschäftsordnung steigern Sie unser Ansehen nicht.
Sie ist notwendig; aber mit ihr steigern Sie unser Ansehen nicht.
Das erste, was ich uns allen wünsche — ich war gerne in diesem Parlament — , ist mehr Selbstbewußtsein der Abgeordneten.
Wenn ich da höre, 80 % seien der Meinung, wir seien schlecht, und wenn das dann so hingenommen wird, als ob wir es wirklich wären, und wir uns damit abfinden, dann habe ich dafür überhaupt kein Verständnis.
Ich habe auch in meinem Wahlkreis, den ich siebenmal mit über 50 % gewonnen habe, nie das Gefühl gehabt, ich sei ein schlechter Abgeordneter
oder mein Ansehen sei schlecht. Lassen wir uns doch solches Zeug nicht von einer nicht sehr verantwortlichen Presse einreden.
Ein Zweites: Wir müssen hier wieder anders sprechen, meine Damen und Herren. Die Sprache ist ganz wichtig. Viele von uns dürfen oder können oder mögen nicht mehr so sprechen, wie das Volk es versteht.
14234 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Dr. Stark
Dazu gehört, Frau Präsidentin, daß in unserer Geschäftsordnung steht: Die Reden sollen in der Regel frei gehalten werden. Darüber müssen wir nachdenken. Das ist, glaube ich, für das Ansehen unseres Parlaments ganz wichtig.
Ein Drittes: Lassen wir uns nicht einreden, wir seien überbezahlt. Ich muß das einmal ganz deutlich sagen. Wir haben viel zuwenig Mut, dagegen anzugehen. Warum? Weil natürlich eine ganze Anzahl von uns noch nebenher etwas mehr als die Diäten verdient. Aber wir müssen das Interesse haben, daß tüchtige Leute in dieses Parlament hereinkommen. Ich habe hier gewisse Befürchtungen, wenn ich nicht nur in meinem Wahlkreis, sondern auch in anderen Wahlkreisen sehe, was da nach uns kommt. Also, so ohne weiteres sieht das nicht nach Qualitätsverbesserung des Parlaments aus.
— Ich kann jetzt alles sagen, Herr Bindig.
Aber Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich bin ein völlig unabhängiger Mann.
Aber zum Schluß, Frau Präsidentin. Ich habe — diesen Satz kann ich mir nicht verkneifen; alle meine Kolleginnen und Kollegen wissen dies — in meiner Fraktion schon Regierungsbeschlüsse umgestoßen. Ich möchte sie jetzt nicht nennen. Aber man kann, wenn man Mut hat, mit der jetzigen Geschäftsordnung ohne große Reform durchaus das durchsetzen, was unsere Aufgabe als selbstbewußter, eigenständiger Abgeordneter nach dem Grundgesetz ist.
Vielen Dank.
Als letzter hat der Abgeordnete Jahn das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte ist es mir wichtig, einmal einige aus meiner Sicht grundsätzliche Bemerkungen an Stelle einer Bewertung dieser Debatte zu machen.
Diesem Hause gehöre ich jetzt mehr als 32 Jahre an. Ich bin immer nicht nur gerne Abgeordneter gewesen, sondern ich habe es auch als eine Auszeichnung angesehen, dieses Vertrauensamt ausüben zu dürfen. Mit dem, was wir hier gemacht haben und was wir erlebt haben, war ich oft unzufrieden. Aber ich habe nie vergessen, daß dieses Parlament viele große Stunden hatte und bei großen Themen durchaus die Fähigkeit besaß, sie auch in einer würdigenden und angemessenen Form zu behandeln,
ob das die Debatte über § 218 war, ob das die Debatte war, die wir sozusagen aus dem Handgelenk über die Beteiligung deutscher Firmen an der Chemiewaffenproduktion in Libyen vereinbart haben, oder ob das etwa die Debatten über die Verjährung waren. Immer hat das Parlament die Fähigkeit bewiesen, das, was hier gesagt werden konnte und mußte, in einer angemessenen Weise auszudrücken.
Deswegen, finde ich, sollten wir mit dem, worüber wir debattieren, ein bißchen bescheidener sein. Das Wort Parlamentsreform gehört nicht hierher. Über die Verbesserung unserer Arbeit nachzudenken ist ein ständiger Auftrag. Dem unterziehen sich ja viele in diesem Hause mit sehr viel gutem Willen.
Nur, eine Frage hat mir in dieser Debatte gefehlt — deswegen will ich sie am Schluß stellen — : Was tun wir eigentlich selbst, was tun wir als einzelne Abgeordnete in diesem Hause, um die Arbeit so zu verbessern, damit all jene Mängel, von denen die Rede war, möglichst gering in Erscheinung treten? Selbstkritik ist heute immer nur deutlich geworden als Kritik an der Institution, an einzelnen Amtsinhabern, an den bisherigen Beschlüssen. Aber nie ist die Frage gestellt worden: Was können wir eigentlich mit den vorhandenen Instrumenten besser machen?
Wir werden gleich die Regierungsbefragung haben. Wir probieren sie seit Monaten aus. Ich schäme mich dafür, wie wenig die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen in den vergangenen Monaten an dieser Regierungsbefragung, die ein Angebot ist und ein Stück Verbesserung unserer Arbeit sein soll, wirklich teilgenommen haben.
Oft haben mehr Mitglieder der Regierung auf der Regierungsbank als Abgeordnete des Deutschen Bundestages in den Bänken des Plenarsaals gesessen. Was soll denn alles großspurige Gerede von Parlamentsreform, wenn wir selber die Rechte, die wir haben, nicht in Anspruch nehmen?
Bei dieser Gelegenheit allerdings auch ein Wort an die Adresse der Bundesregierung, der ich wünschte — das gilt übrigens für alle Bundesregierungen, gleich welcher Zusammensetzung — , daß sie es sich mit den Antworten gegenüber dem Parlament und den Abgeordneten nicht immer so leicht machte, sondern mehr darum bemüht wäre, Fragen auch redlich zu beantworten.
Und wie ist es eigentlich in den Debatten? Sind wir selber bereit, einander zuzuhören, oder tragen wir nur die vorbereiteten Reden vor und lauern bestenfalls noch darauf, wie wir dem, der vor uns geredet hat, noch eins auswischen können? Ist die Frage, wie wir miteinander debattieren, eine Frage an die Geschäftsordnung oder ist sie eine Frage an uns selbst?
Ich bin sehr dafür, daß wir Ausschußsitzungen öffentlich machen. Vielleicht können dann manche Reden hier wegfallen, die wir aufnehmen müssen.
Als parlamentarische Geschäftsführer müssen wir den
Wünschen unserer Fraktionen und der Kollegen nachkommen, Debatten hier zu führen. Wenn dann die
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14235
Jahn
Zeit nicht reicht, sind wir schuld daran gewesen. Nein, vielleicht ist das eine Frage an die Kollegen, ob jede Debatte, die in den Ausschüssen geführt worden ist, hier wiederholt werden muß, ob eine Konzentration auf das Wesentliche nicht dem Parlament insgesamt zugute käme.
Vor diesem Hintergrund habe ich einfach eine Bitte. Wir machen jetzt mit den beiden Vorlagen — den Anregungen zur Erprobung und den Beschlüssen des Geschäftsordnungsausschusses — einen Schritt weiter zur praktischen Verbesserung unserer täglichen Arbeit. Lassen Sie uns auf dieser Grundlage weitergehen. Wenn wir die alle gut nützen, werden wir einen großen Schritt nach vorne tun.
Vielen Dank.
Zu einem Verfahrensvorschlag hat Frau Dr. Hamm-Brücher um das Wort gebeten.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In § 28 Abs. 2 der Geschäftsordnung steht, daß Antragsteller vor Beginn und nach Schluß der Aussprache das Wort verlangen können. Ich möchte einen Verfahrensvorschlag unterbreiten, aber zuvor eine persönliche Bemerkung machen.
Ich möchte einfach sagen: Ich bin weder eine Mater dolorosa noch eine Heilige Johanna noch will ich mich hier selbst verwirklichen. Das kann ich woanders doch ein bißchen besser.
Ich bin einfach eine leidenschaftliche Demokratin und Parlamentarierin, die als Zwölfjährige erlebt hat, wie sich der deutsche Reichstag selbst entmachtet hat, weil u. a. die bürgerlichen Parteien unter dem Fraktionszwang standen, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen. Deshalb haben die Väter unserer Verfassung und deshalb hat Thomas Dehler wortwörtlich gesagt — ich habe es in den Protokollen des Parlamentarischen Rates gelesen —, es sei unverzichtbar und die Voraussetzung der Erneuerung unserer Demokratie, Art. 38 Abs. 1 in das Grundgesetz einzusetzen und auch ernst zu nehmen. Das ist die Motivation, die mir wichtig erscheint und die heute in der Debatte so oft zum Ausdruck gekommen ist.
Meine Damen und Herren, Rainer Barzel hat den Begriff Parlamentsreform geprägt und die Ad-hocKommission berufen. Wir haben die vielen Anträge nur gestellt, weil der Herr Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses gesagt hat: Nun werdet doch endlich einmal konkret! — Das sind wir jetzt geworden, und das ist nun auch wieder nicht richtig. Deshalb der Verfahrensantrag.
Wir haben eine Entschließung gemacht, wie diese Arbeit nun fortgesetzt werden soll. Denn daß diese schöne, bemühte, engagierte Diskussion im Sande verlaufen soll, das wollen wir alle nicht, das dürfen wir
nicht zulassen. Deshalb bitte ich zu prüfen, ob die Aufgabe nicht wirklich wichtig und hochrangig genug ist, daß sie unter Vorsitz unserer Präsidentin fortgesetzt werden soll. Das steht im Entschließungsantrag. Wir sind einverstanden, wenn er in den Geschäftsordnungsausschuß überwiesen und dort noch einmal beraten wird.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Verständnis. Der Abgeordnete Kleinert verzichtet nicht auf seinen Redebeitrag. Die FDP hat damit noch drei Minuten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es geht mir eigentlich nur darum, klarzustellen, daß in dieser Selbstverständnisdebatte der erzwungene Verzicht eines einzelnen Abgeordneten auf seinen Redebeitrag wohl nicht der richtige Einstieg sein kann.
Deshalb habe ich der Frau Präsidentin, nachdem mein Name auf den hier reichlich vorhandenen Fernsehschirmen — was vielleicht auch ein Fehler ist — zu sehen war, gesagt, daß ich nicht verzichte.
Es läge mir einiges am Herzen. Insbesondere läge mir sehr viel Zukunftsträchtiges am Herzen und nicht das, was mehr in die Vergangenheit weist, mit dem wir uns heute beschäftigt haben. Ich bitte darum, daß wir uns bei allernächster Gelegenheit zu einer solchen Veranstaltung wieder zusammenfinden, denn der Unterhaltungswert scheint bedeutend größer zu sein als bei den sachlichen Abhandlungen der Tagesordnung, die wir hier sonst haben.
Ich bitte also darum, daß wir die Debatte fortsetzen.
Ich möchte mich auf diese Weise dagegen wehren, daß mir zugemutet worden ist, hier einfach so mir nichts dir nichts zu verzichten.
Ich danke Ihnen.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, lieber Herr Kleinert, ich habe Sie erst um zwanzig vor eins in den Saal kommen sehen, und deswegen waren Sie vorher nicht auf der Liste.
Da ich Sie gefragt habe und Sie jetzt vom erzwungenen Verzicht gesprochen haben, habe ich gesagt:
Wenn Sie nicht freiwillig verzichten, kann ich nicht
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Präsidentin Dr. Süssmuth
anders, als Ihnen das Wort zu geben, obwohl wir über die Zeit sind.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Ich stelle zunächst fest, daß der Deutsche Bundestag die Vereinbarung des Ältestenrats zur Erprobung geänderter Verfahren auf Drucksache 11/5999 zustimmend zur Kenntnis genommen hat.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über Nr. 1 Buchstabe a Anlage 1 der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 11/5962. Die folgenden Abstimmungen beziehen sich auf die einzelnen Nummern der Anlage 1 in der Ausschußfassung.
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6042? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für die Nr. 1 der Analge 1? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 1 ist angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl ab. Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/6043 zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/6044 zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/6047 zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/6048 zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/6049 zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe die Nr. 2 auf. Hierzu liegen Änderungsanträge der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher sowie des Abgeordneten Wüppesahl vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6050? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf Drucksache 11/6032 unter Nr. 1? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 2 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 2 ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6051 ab. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe die Nr. 3 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/6052? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/6053? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für die Nr. 3 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 3 ist angenommen.
Ich rufe die Nr. 4 a auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6054 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 4 a in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 4 a ist angenommen.
Ich rufe Nr. 4 b auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6055 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für die Nr. 4 b in der Ausschußfassung?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 4 b ist angenommen.
Ich rufe nun 4 c in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6056? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 11/6068? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 4 c in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 4 c ist angenommen.
Wer stimmt für Nr. 5 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 5 ist angenommen.
Ich rufe die Nr. 6 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/6032 unter Nr. 2 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 6 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 6 ist angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6057 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14237
Präsidentin Dr. Süssmuth
Ich rufe die Nr. 7 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/6032 unter Nr. 3 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 7 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 7 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die Nr. 8 a in der Ausschußfassung auf.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
— Zurücküberweisung. — Wer stimmt für die Zurücküberweisung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Zurücküberweisung beschlossen.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6058 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Da wir Zurücküberweisung beschlossen haben, ist Nr. 8 a im Sinne der Zurücküberweisung erledigt.
Ich rufe die Nr. 8b auf. Hierzu liegen Änderungsanträge der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, des Abgeordneten Wüppesahl sowie der Fraktion der FDP vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6059? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf Drucksache 11/6032 unter Nr. 4? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 11/6069? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 8 b in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 8b ist angenommen.
Ich rufe die Nr. 8 c auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6060 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 8 c in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 8 c in der Ausschußfassung ist angenommen.
Wer stimmt für die Nr. 9 in der Ausschußfassung? —
— Ist eindeutig, daß Nr. 9 zurückgestellt werden soll?
Nr. 9 soll zurückgestellt werden. —
Wir stimmen über den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6061 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Auch die Nr. 10 soll zurückgestellt werden. —
Wir stimmen nunmehr über den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6062 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 11 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 11 ist bei einer Gegenstimme angenommen.
Ich rufe die Nr. 12 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6063 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 12 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 12 ist angenommen.
Nr. 13 soll ebenfalls zurückgestellt werden. Dasselbe gilt für Nr. 14. —
Ich rufe die Nr. 15 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6064 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 15 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 15 ist angenommen.
Wir kommen jetzt zu Nr. 1 a der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 11/5962, soweit sie Anlage 2 betrifft. Die folgenden Abstimmungen beziehen sich auf die einzelnen Nummern der Anlage 2 in der Ausschußfassung.
Ich rufe die Nr. 1 auf. Wir stimmen zunächst über den Geschäftsordnungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher ab. Er bezieht sich auf die Zurücküberweisung der Drucksache 11/2208 betreffend § 6. Wer stimmt für die Zurücküberweisung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Geschäftsordnungsantrag abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über die Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl ab.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/6065? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Der Änderungsantrag auf Drucksache 11/6029 wurde zurückgezogen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/6066? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 1 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 1 ist angenommen.
14238 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Präsidentin Dr. Süssmuth
Wer stimmt für die Nr. 2 a und 2 b in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Nr. 2 a und 2 b sind angenommen.
Ich rufe die Nr. 2 c auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/6033 unter Ziff. 1 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen! — Der Änderungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf Drucksache 11/6033 unter Ziff. 2 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 2 c in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Nr. 2 c ist angenommen.
Ich rufe die Nr. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/6067 ein Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl vor.
Wir stimmen zuerst über den Geschäftsordnungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher ab. Es geht wiederum um Zurücküberweisung der Drucksache 11/2208. Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Geschäftsordnungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/6067? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für die Nr. 3 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 3 in der Ausschußfassung ist angenommen.
Ich rufe die Nr. 4 der Beschlußempfehlung in der Ausschußfassung auf. Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher betreffend Zurücküberweisung der Drucksache 11/2208. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Geschäftsordnungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 4 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 4 ist angenommen.
Ich rufe die Nr. 5 der Beschlußempfehlung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/6033 unter Ziff. 3 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. HammBrücher vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen! — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung erbeten.
Frau Präsidentin! Ich bin vor der Abstimmung vor die Tür gegangen und habe versucht, die Unterlagen zu bekommen, um abzustimmen. Ich fühle mich nicht in der Lage, darüber abzustimmen, weil die Vorbereitung entsprechend schlecht ist. Wenn die Kollegen ehrlich sind, werden sie zugeben, daß man so nicht verfahren kann.
Wir haben gerade eine Selbstverständnisdebatte über das Parlament geführt. Kein Mensch kann hier richtig abstimmen, weil die entsprechenden Unterlagen nicht vorliegen.
Ich stelle den Antrag, die Abstimmung auszusetzen.
Herr Abgeordneter Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich widerspreche dem Antrag. Alle Änderungsanträge liegen seit Beginn der Sitzung um 9 Uhr draußen vor.
Ich antworte jetzt auch auf Zwischenrufe, die ich hier in den letzten zehn Minuten wiederholt gehört habe, das sei unzumutbar. Wenn Arbeit und Sich-vertraut-Machen mit dem, was wir hier zu beschließen haben, unzumutbar ist, dann haben wir wohl einen ganzen Morgen vergeblich debattiert.
Mir macht es auch Mühe,
all die vielen Änderungsanträge und all die Ausschußempfehlungen zusammenzubringen. Ich habe mir die Mühe gemacht, und ich halte das für alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses für zumutbar.
Ich lasse jetzt darüber abstimmen, ob wir die Abstimmung fortsetzen oder abbrechen sollen. Wer ist für die Fortsetzung der Abstimmung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist mit großer Mehrheit für die Fortsetzung der Abstimmung votiert worden.
Ich setze die Abstimmung fort. Wer stimmt für Nr. 5 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist Nr. 5 angenommen.
Ich rufe die Nr. 6 und 7 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit sind die Nr. 6 und 7 angenommen.
Wir kommen jetzt zu Nr. 1 b der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 11/5962. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Porzner, Buschbom und Wiefelspütz auf Drucksache 11/6040 vor, der sich auf Drucksache 11/5 bezieht. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist angenommen.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung mit der soeben beschlossenen Änderung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir stimmen jetzt über weitere Teile der Beschlußempfehlung ab. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/5962 unter Nr. 1 b, den Änderungsantrag der
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14239
Präsidentin Dr. Süssmuth
Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt des weiteren unter Buchstabe 1 b, den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/9 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir stimmen jetzt über den weiteren Geschäftsordnungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf Zurücküberweisung des Antrags auf Drucksache 11/2209 ab. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Geschäftsordnungsantrag abgelehnt.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/5962 unter Nr. 1 b, den Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Biedenkopf, Frau Dr. Hartenstein und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 11/2209 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe jetzt die Nr. 2 der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 11/5962 zur Abstimmung auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist Nr. 2 angenommen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Wir müssen jetzt bei der Nr. 3 redaktionell nachträglich noch die Ziffern einfügen, die zurückgestellt worden sind.
Das wird zu Protokoll genommen.
Ich rufe jetzt die Nr. 3 — mit den ergänzend angeführten Ziffern — der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 11/5962 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6027 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über die Nr. 3 der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 11/5962 in der Ausschußfassung ab.
Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen. Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Adler, Dr. Ahrens und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 11/6045 an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu überweisen.
Sind sie damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 11/6070.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 11/1195.
Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlußempfehlung?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Nr. 1 angenommen.
Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlußempfehlung?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 2 ist angenommen.
Wer stimmt für Nr. 3 der Beschlußempfehlung?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Nr. 3 ist angenommen.
Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/6020, 11/6022, 11/6023 und 11/6025 an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu überweisen.
Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über weitere Anträge.
Wer stimmt für den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6021? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6024? — Gegenprobe! —
— Geht es zu schnell? Herr Porzner, bitte.
Frau Präsidentin! Die Anträge auf den Drucksachen 11/6024 und 11/6071 sind identisch.
Es geht hier darum, bei Sondersitzungen, die auf Verlangen eines Drittels der Mitglieder des Bundestags stattfinden, Anträge auf die Tagesordnung zu bringen. Das wurde im Ausschuß abgelehnt. Wir haben den Antrag wieder eingebracht. Der Antrag der SPD und der Antrag der GRÜNEN sind identisch.
Die Mehrheit lehnt diesen Antrag ab. Aber es besteht die Möglichkeit, daß die Ziffern 1 und 2 doch beschlossen werden, wenn wir sie nochmals miteinander im Ausschuß beraten haben. Da meiner Fraktion die Hälfte lieber ist als die Ablehnung des Ganzen, stimmen wir dem Wunsch der Fraktion der CDU/CSU zu, daß unser Antrag an den Ausschuß überwiesen wird. Zu dem Antrag von den GRÜNEN will ich nichts empfehlen.
Darf ich davon ausgehen, daß beide Anträge — 11/6024 und 11/6071 — an
14240 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Präsidentin Dr. Süssmuth
den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung überwiesen werden?
Herr Häfner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es handelt sich hierbei um einen Antrag, den wir im Geschäftsordnungsausschuß einstimmig beschlossen haben.
Wir haben ihn hier deshalb zur Abstimmung gestellt, weil wir der Meinung sind, das ist ausdiskutiert.
Es gab nun noch einmal Bedenken innerhalb der Unionsfraktion. Wenn diese Bedenken so zu verstehen sind, daß Neues vorgetragen wird, was doch noch eine gemeinsame Beschlußfassung ermöglicht, so sind wir ebenfalls bereit, den Antrag jetzt zurückzustellen.
Herr Rüttgers.
Ich habe den Eindruck, jetzt halten wir das Haus etwas auf. Herr Kollege Häfner, wenn Sie an allen Sitzungen teilgenommen oder die Protokolle gelesen hätten, wüßten Sie, daß der Antrag vom Geschäftsordnungsausschuß nicht positiv beschieden, sondern abgelehnt wurde.
Wir kommen dem Petitum aber gern nach; darüber haben wir uns eben verständigt. Wir wollen gern noch einmal erörtern, ob man zu einer gemeinsamen Lösung kommen kann.
Wir haben insofern keine Bedenken, Ihren Antrag zu überweisen. Sollten Sie auf einer Abstimmung bestehen, werden wir den Antrag in der Fassung, wie sie hier vorliegt, ablehnen.
Ich habe den Kollegen Häfner so verstanden, daß er die Abstimmung beantragt.
Wenn Sie mit der Überweisung einverstanden sind, brauchen wir keine längeren Debatten.
Wir sind mit der Überweisung einverstanden. Der Antrag ist im Geschäftsordnungsausschuß einstimmig beschlossen worden. Es gab dann von Ihrer Seite einen Rückholantrag. Daraufhin haben wir noch einmal abgestimmt. Ich bin dennoch damit einverstanden, daß wir den Antrag jetzt überweisen und im Ausschuß noch einmal beraten.
Interfraktionell ist somit vereinbart worden, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6071 — das schließt den Antrag auf Drucksache 11/6024 ein — an den Geschäftsordnungsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist dieser Punkt erledigt.
Jetzt kommt noch eine Abstimmung. Wer stimmt dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6046 zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich möchte zum Abschluß folgendes sagen. Sie haben gesehen: so mühsam ist Geschäftsordnung. Sie können damit ermessen, was der Geschäftsordnungsausschuß in diesen Jahren geleistet hat. Ich wiederhole meinen Dank.
Es werden jetzt noch drei Erklärungen nach der Abstimmung gewünscht. Zu einer Erklärung nach § 32 der Geschäftsordnung hat Frau Unruh das Wort.
— Darf ich diejenigen, die jetzt den Saal verlassen möchten, bitten, dies schnell zu tun, damit wir die folgenden Erklärungen zügig abwickeln können. Wir sind erheblich verspätet.
Frau Präsidentin! Werte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! In der 179. Sitzung am 30. November 1989 tätigte der Abgeordnete Kolb folgenden Zwischenruf
— nachzulesen auf Seite 13779 — :
Was machen Sie denn? Sie haben doch zwei Häuser in Kressbronn abgestaubt!
Die infame Unterstellung des Abgeordneten Kolb weise ich als totale Unwahrheit zurück. Ich habe weder Haus- noch Grundbesitz. Ich lebe in einer Grauen-Panther-Wohngemeinschaft. Der Abgeordnete Kolb (CDU/CSU) geht mit seiner emotional angelegten Unwahrheit im besonderen im Bodenseegebiet hausieren, um politischen Rufmord mit meiner Person zu betreiben.
Als nächste hat nach § 30 der Geschäftsordnung Frau Beer das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vorwurf der Zensur — ausgerechnet auch noch durch die Bundestagspräsidentin — darf in einer Debatte — da stimme ich mit Ihnen überein — nicht ungerechtfertigt und leichtfertig erhoben werden. Ich möchte dazu aus einem Schreiben von mir an die Präsidentin vom 12. Juni dieses Jahres zitieren:
Inwieweit durch diese Detailfrage die Geschäftsordnung des Bundestages oder gar die „Würde" des Hohen Hauses berührt sein sollen, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Über eine entsprechende Aufklärung wäre ich daher sehr dankbar.
Könnten Sie also Ihre Nichtzulassung der Kleinen Anfrage zu dem US-Botschafter Vernon Walters inhaltlich und juristisch auf eine etwas ausführlichere und nachvollziehbarere Art begründen, als dies bisher geschehen ist.
Umstritten war in der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN nur ein Wort — ich muß das hier noch einmal ausführen, damit nicht ein falscher Eindruck entsteht oder ungerechtfertigte Schuldzuweisungen ergehen —, nämlich das Wort „Informationen". Es hieß dort: Informationen über seine Verwicklungen in Militärputsche, Waffenhandel, die Unterstützung auch blutigster Militärdoktrinen und Ratschläge für die auch sexuelle Erpressung ausländischer Politiker zu ihrer politischen Beeinflussung sind dokumentiert.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14241
Frau Beer
— Hier sollten wir das Wort „Informationen" durch das Wort „Behauptungen" ersetzen.
Wir waren damit einverstanden, aber auch danach ist diese Anfrage wieder abgelehnt worden.
Frau Präsidentin, es sind Tatsachen, gerichtsverwertbare Tatsachen, die durch meine Fraktion nicht zur Diskussion seitens der Bundesregierung gestellt worden sind. Ich habe sehr bewußt nicht die Frage gestellt, ob denn die Würde dieses Hohen Hauses durch die Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN oder durch die Anwesenheit des US-Botschafters Vernon Walters beschädigt wird. So weit bin ich nicht gegangen.
Frau Beer, Sie leisten hier einen Sachbeitrag. Ich muß Sie bitten, sich mit Ihrer Erklärung an das zu halten, was die Geschäftsordnung hergibt.
Frau Präsidentin, der Kollege Wüppesahl hat mich vorhin gebeten, den Text der Anfrage als Anlage zum Protokoll zur Verfügung zu stellen. Dazu ist vom Präsidium kein Widerspruch gekommen, obwohl ausdrücklich danach gefragt wurde. Als ich diesen Text dann zu Protokoll gab, ist die Annahme als Anhang in das Protokoll abgelehnt worden.
Frau Präsidentin, wenn mir statt dessen eine Kleine Anfrage der Bundestagspräsidentin als Vorschlag an die Fraktion DIE GRÜNEN, wie sie denn ihre Anfrage zu formulieren hat, heute wieder auf den Tisch gelegt wird, dann, denke ich, ist dieser Vorwurf der Zensur zumindest zu überprüfen. Ich bitte Sie, nicht nur zurückzuweisen, sondern wenigstens jetzt meinen Brief vom 12. Juni des Jahres zu beantworten. Die „Krönung der Parlamentsreform",
Ich möchte Sie bitten, Ihren Beitrag jetzt zu beenden; sonst entziehe ich Ihnen das Wort.
— daß uns das Präsidium eine Anfrage formuliert, hat hier vielleicht wenig Würdigung gefunden. Auch wir können das in diesem Fall nicht würdigen.
Bevor ich das Wort Herrn Abgeordneten Jahn gebe, wiederhole ich, was ich hier heute morgen gesagt habe: Mit Ihrem Antrag ist ordnungsgemäß verfahren worden. Sie haben auf Ihr Schreiben am 21. Juni Antwort bekommen. Ich wiederhole noch einmal: Sie können nicht Tatsachenbehauptungen dieses Ausmaßes in eine Anfrage aufnehmen. In dieser Angelegenheit ist korrekt verfahren worden. Sie gehört nicht hierhin. Ich werde sie dort austragen, wo sie hingehört.
Herr Abgeordneter Jahn!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Haus ist nicht mehr arbeitsfähig, wenn wir zulassen, daß hier mit der amtierenden Präsidentin Zwiegespräche und Diskussionen geführt werden.
Ich muß diese Art der Auseinandersetzung mit allem Nachdruck zurückweisen. Kritik an der Präsidentin und Auseinandersetzung mit ihr gehören an eine andere Stelle. Wenn das Plenum seine Aufgabe erfüllen soll, dann geht das nicht in der Form, in der es hier versucht worden ist.
Frau Saibold.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch ganz kurz etwas zu diesem Abstimmungsmarathon sagen. Ich habe ja zwei Stunden als Schriftführerin oben gesessen. Nachdem wir gerade heute über unser Selbstverständnis debattiert haben, muß ich einfach noch ein paar Ausführungen dazu machen.
Bei diesem Abstimmungsmarathon ist es wirklich nicht mehr möglich durchzublicken. Die Meldungen, die kurzfristigen Änderungen kommen nicht mehr rechtzeitig beim Präsidium an. Es ist wirklich unmöglich, hier von einer freien Entscheidung oder ähnlichem zu sprechen.
Außerdem habe ich beobachtet, daß sich einige Kollegen und Kolleginnen bemüht haben, trotzdem noch den Durchblick zu behalten, und daß auch ganz differenziert abgestimmt wurde.
— Ich bin nur der Meinung, daß man irgendwo erfassen muß, wie sich einzelne Abgeordnete der Fraktionen verhalten. Herr Biedenkopf hat z. B. als einzelner ein paarmal dafür gestimmt. Hinten gab es sehr oft Enthaltungen. Bei Ihnen ist sehr unterschiedlich abgestimmt worden. Das wird nicht erfaßt. Zumindest ich als Schriftführerin war nicht in der Lage, so etwas noch zu notieren, weil ich nicht die entsprechenden Unter- und Vorlagen habe. Ich finde es eigentlich schade: Wenn wir uns schon die Mühe machen, differenziert abzustimmen, dann müßte auch dafür gesorgt werden, daß man das irgendwie festhalten kann.
Danke.
Wir werden dafür sorgen, das möglich zu machen. Dann muß ich aber noch mehr Zeit für die Marathonabstimmungen aufwenden.
14242 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Präsidentin Dr. Süssmuth
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, die Themen der Kabinettssitzung, die der Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Die Bundesregierung hat weiter mitgeteilt, daß der Bundesinnenminister Schäuble berichtet.
Das Wort hat Bundesminister Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in ihrer heutigen Kabinettssitzung den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts beschlossen.
Dieser Entwurf hat zwei Ziele. Er will zum einen die Integration der rechtmäßig zugewanderten Ausländer, die auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland bleiben dürfen und bleiben wollen, sichern und fördern. Er will zum anderen die Zuwanderung weiterer Ausländer aus Nicht-EG-Staaten wirkungsvoller als bisher begrenzen.
Diese beiden Ziele bilden keinen Gegensatz, sie ergänzen sich, sie bedingen sich gegenseitig; denn die Integration der hier lebenden Ausländer wird auf Dauer nur gelingen, wenn der weitere Zuzug von Ausländern bei den gegebenen Zahlen, die wir alle kennen, begrenzt bleibt.
Wir verwirklichen beide Ziele, indem wir Ermessensspielräume, die das heute geltende Ausländerrecht in einem weiten Maße vorsieht, soweit möglich und vertretbar durch verbindliche gesetzliche Vorgaben einschränken und ausschließen wollen. Wir wollen damit vor allem für die hier lebenden Ausländer ein hohes Maß an Rechtssicherheit, an Erwartenssicherheit schaffen, auch die Bundeseinheitlichkeit in der Rechtsanwendung, die seit einiger Zeit zunehmend verlorenzugehen droht, besser sicherstellen.
Die Schaffung von Rechtsansprüchen, von Rechts-
und Erwartenssicherheit für die hier lebenden Ausländer bedingt, daß die tatbestandsmäßigen Regelungen dieses Gesetzes stringenter wirken und daß deswegen manche aus der Stringenz der Regelungen eine eher negative Haltung in den Diskussionen herausgelesen haben, die der Verabschiedung des Gesetzentwurfs vorangegangen sind. Dies ist ein Mißverständnis. Indem wir mit klaren rechtlichen Regelungen für hier lebende Ausländer Rechtsansprüche schaffen, dienen wir den Interessen der Ausländer, die — überwiegend seit langem — hier leben. Wir verbessern ihre rechtliche und tatsächliche Situation.
Ich will einige der Ansprüche beispielhaft nennen, die der Gesetzentwurf in einer klaren Weise für hier lebende Ausländer unter den entsprechenden Voraussetzungen regelt: die unbefristete Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in § 24, die Aufenthaltsberechtigung als das am stärksten gesicherte, verfestigte und grundsätzlich nicht beschränkbare Aufenthaltsrecht, den Ehegattennachzug zu bereits zugewanderten Ausländern der ersten Generation und zu den Ausländern der zweiten und dritten Generation ohne Wartefrist, die Verselbständigung und Verfestigung des Aufenthaltsrechts nachgezogener Ehegatten, den
Kindernachzug einschließlich der Verselbständigung und Verfestigung des Aufenthaltsrechts nachgezogener Kinder, auch den Familiennachzug zu Deutschen, das Recht zur Wiederkehr für junge Ausländer, die im Bundesgebiet aufgewachsen sind, und die erleichterte Einbürgerung für hier aufgewachsene Ausländer der zweiten und dritten Generation.
Wir wollen auf der anderen Seite auch die Vorschriften über die Begrenzung weiterer Zuwanderung klar und deutlich regeln, indem wir den seit 1973 geltenden Anwerbestopp im Gesetz verankern, einschließlich der Möglichkeit, im Verordnungswege für Neuzuwanderer die Aufenthaltsverfestigung auszuschließen. Wir wollen die sogenannte Aufenthaltsbewilligung für zeitlich von vornherein begrenzte Aufenthaltszwecke mit dem grundsätzlichen Ausschluß eines späteren Daueraufenthalts, insbesondere im Rahmen von Bildungs- und Ausbildungsaufenthalten, einführen, und wir wollen die Aufenthaltsgenehmigungspflicht für Ausländer unter 16 Jahren ausdehnen, um der bisher unkontrollierbaren Zuwanderung minderjähriger Ausländer besser begegnen zu können. Schließlich wollen wir den besonders wichtigen Bereich der De-facto-Flüchtlinge besser regeln.
Mit diesen Regelungen sichern wir für hier lebende Ausländer klare Bedingungen, klare Berechenbarkeit, und wir sind zugleich in der Lage, im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Beschleunigung des Asylverfahrens die weitere Zuwanderung von Ausländern aus Drittstaaten außerhalb der EG besser zu begrenzen als bisher.
Ich denke, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, daß der Gesetzentwurf in beiden Zielsetzungen dazu beitragen kann und beitragen wird, das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland für die Zukunft noch besser sicherzustellen, als es schon heute der Fall ist.
Danke schön, Herr Bundesminister.
Als erster Fragesteller Herr Penner.
Herr Bundesminister, ist das Zustandekommen der Ausländernovelle innerhalb der Koalition politisch mit einer weiteren Straffung des Asylverfahrens verknüpft?
Herr Kollege Penner, ich habe eben darauf hingewiesen, daß dieser Gesetzentwurf auch im Zusammenhang mit der Beschleunigung der Asylverfahren steht. Sie wissen, daß wir Anfang Juni in der Konferenz der Innenminister und -senatoren der Bundesländer ein Einvernehmen erzielt haben, daß alle Bundesländer von dem Verfahren des bisherigen § 20 Abs. 3 des geltenden Ausländergesetzes Gebrauch machen, nämlich zentrale Ausländerbehörden möglichst landesweit einzurichten, die räumlich und organisatorisch mit Außenstellen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verbunden werden. In den meisten Ländern wird dieses Verfahren seit dem 1. Oktober 1989, entsprechend dieser Absprache, praktiziert. Wir haben dort, wo das Verfahren prakti-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14243
Bundesminister Dr. Schäuble
ziert wird, bereits erhebliche Beschleunigungseffekte erreicht.
Sie wissen weiter, daß der Bundesrat eine Initiative zur Novellierung des Asylverfahrensrechts beschlossen und eingebracht hat, und wir haben in der Tat in der Koalition, als wir uns über die Grundzüge dieses Gesetzentwurfs, den heute das Kabinett verabschiedet hat, abschließend verständigt haben, zugleich vereinbart, daß wir beim Asylverfahrensrecht auf der Grundlage der Bundesratsinitiative weitere Beschleunigungen anstreben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, Sie kennen wahrscheinlich wie nur wenige den mühsamen Weg, der zu einem neuen Ausländerrecht führt. Ich frage Sie, der diesen Weg sehr genau kennt, ob Sie überhaupt noch Chancen sehen, eine koalitionsübergreifende Regelung unter Einbeziehung der Vorstellungen der SPD-Bundestagsfraktion zu erreichen.
Herr Kollege Penner, ich kenne zunächst einmal die klare Zuordnung der Kompetenzen der Verfassungsorgane nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben einen Regierungsentwurf und auch beschlossen, den Regierungsentwurf dem Bundesrat als besonders eilbedürftig Anfang Januar 1990 so zuzuleiten, daß die Sechs-Wochen-Frist für den Bundesrat zu seiner ersten Sitzung im Jahre 1990 am 16. Februar 1990 abläuft. Wir sind mit der Erklärung als „besonders eilbedürftig" in der Lage, in diesem Hohen Hause nach Ablauf von drei Wochen nach der Zuleitung, also Ende Januar, eine erste Lesung durchzuführen. Die Kennzeichnung als „besonders eilbedürftig" sichert dem Deutschen Bundestag zusätzliche Beratungszeit für die Behandlung dieses Gesetzentwurfs.
In diesen Beratungen hofft die Bundesregierung auf eine breite Zustimmung in diesem Hause über die Koalitionsfraktionen hinaus. Nach alledem, was ich an Positionen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in Ihrem Gesetzentwurf erkennen kann, und nach alldem, was Sie an sachlichen Stellungnahmen zu dem Referentenentwurf, der der Beschlußfassung des Regierungsentwurfs vorausgegangen ist, gesagt haben, sehe ich in den Sachpositionen wenig Differenzen zwischen den Positionen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und den Positionen des Entwurfs, den die Bundesregierung beschlossen hat. Deswegen hoffe ich, daß der Deutschen Bundestag mit einer breiten Mehrheit den Gesetzentwurf zügig beraten und so rechtzeitig verabschieden wird, daß er noch in Kraft treten kann.
Als nächster Herr Laufs.
Ich möchte an die erste Frage des Kollegen Penner anschließen.
Wie wird die Verknüpfung von Ausländerrecht und
Asylverfahrensrecht nach Ihrer Einschätzung, Herr
Bundesinnenminister, die Verfahren tatsächlich beschleunigen und die Praxis der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, insbesondere in die Hauptherkunftsländer, ohne Beeinträchtigung humanitärer Belange verbessern können?
Zunächst einmal, Herr Kollege Laufs, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Gesetzentwurf vorsieht, das Asylanerkennungsverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und das Verfahren der Anerkennung eines nicht als asylberechtigt anerkannten De-facto-Flüchtlings — wie wir das üblicherweise sagen, insbesondere im Rahmen der Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen —, das bisher durch die Ausländerbehörden der Länder erfolgt, zu vereinheitlichen, so daß die beiden Verfahren organisatorisch und zeitlich miteinander verschränkt werden. Ich denke, daß darin über die verwaltungsmäßigen Maßnahmen hinaus, von denen ich schon gesprochen habe, ein erheblicher Beschleunigungseffekt liegt.
Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf klarere, vollziehbarere Tatbestände für die Aufenthaltsbeendigung, auch für die zwangsweise Aufenthaltsbeendigung, die Abschiebung, vor. Er beschränkt die Duldung auf konkrete Tatbestände. Er sieht darüber hinaus vor, daß generelle Abschiebestopps und Legalisierungen durch die Bundesländer in Zukunft an das Einvernehmen des Bundesministers des Innern gebunden werden sollen, so daß die erforderliche Bundeseinheitlichkeit auch in diesen Fragen gewährleistet wird.
Ich denke, daß dies alles zusammen und die Novellierung des Asylverfahrengesetzes zu erheblichen Beschleunigungen führen wird.
Herr Abgeordneter Hirsch.
Herr Minister, aus verschiedentlichen Veröffentlichungen sehe ich, daß das Wort „Eilverfahren", das in diesem Zusammenhang verwendet worden ist, in der Öffentlichkeit offenbar Mißverständnisse hervorruft. Können Sie mir bestätigen, daß sich das Wort „Eilverfahren" auf die Fristen des Bundesrates bezieht, daß wir in allen Verhandlungen immer vorgesehen haben, daß selbstverständlich im Bundestag eine öffentliche Anhörung stattfinden wird, und daß wir uns in Gesprächen insbesondere mit der SPD bemühen werden, zu einer breiten parlamentarischen Mehrheit zu kommen?
Ich kann das bestätigen, aber ich will doch ergänzend hinzufügen, weil es in der Tat dieses Mißverständnis gibt: Wir haben den Referentenentwurf, wenn ich es richtig erinnere, am 28. September dieses Jahres versandt. Seitdem läuft die öffentliche Diskussion auf der Grundlage eines Textes.
Die Erklärung als „besonders eilbedürftig" soll — ich habe das vorher gesagt — dem Bundestag lediglich zusätzliche Beratungszeit ermöglichen. Denn er kann schon während der Zeit, die der Bundesrat für seine Stellungnahme hat, mit den Beratungen beginnen. Da der Terminplan des Bundesrates zum Jahres-
14244 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Bundesminister Dr. Schäuble
wechsel immer etwas längere Pausen vorsieht — die erste Sitzung des Bundesrates ist am 16. Februar —, erschien uns dies angemessen und richtig, um die nötige Beratungszeit zu haben. Ich denke, daß wir in diesem Hause gründlich beraten müssen. — Das ist nicht Sache der Bundesregierung, aber wir haben in der Tat in der Vorbereitung darüber gesprochen. — Es besteht nur der zeitliche Druck, daß alle die für die hier lebenden Ausländer eine Verbesserung ihrer rechtlichen Situation durch klarere Tatbestände, die Ansprüche schaffen und Sicherheit gewähren, wollen, wissen müssen, daß ein Gesetz in einer Legislaturperiode entweder zustande kommt oder der Diskontinuität verfällt. Ich würde glauben, daß es insbesondere im Interesse der Ausländer ist, wenn dieses Gesetz noch zustande kommt. Es wird kein unziemlicher Zeitdruck sein. Aber ich denke, alle diejenigen, die das Gesetz wollen, sollten an einer zügigen Beratung mitwirken.
Ich darf zunächst einmal fragen, da die Staatsministerin Frau Adam-Schwaetzer um 13.50 Uhr fort muß und wir ja erhebliche Verspätung haben, ob es eine Frage an sie gibt. — Dann darf ich das vorziehen, damit sie mit ihrem Termin zurechtkommt. — Herr Bernrath.
Nach unseren Informationen im Innenausschuß sind die Beratungen der Kommission der Bundesregierung zu den Zusatzvereinbarungen zum Schengener Übereinkommen abgeschlossen, und es steht nun die Frage an: Wird das Abkommen paraphiert oder nicht? Diese Frage ist insofern interessant, als im Innenausschuß erkennbar war, daß die Koalition noch nicht geschlossen hinter diesen Zusatzvereinbarungen steht.
Meine Frage an die Bundesregierung ist: Was hat das Kabinett heute beschlossen? Hat das Kabinett grünes Licht für die Paraphierung gegeben?
Herr Stavenhagen.
Herr Kollege, die Bundesregierung hat mich beauftragt, weitere Informationsgespräche im Kreis der Koalition zu führen und unter Einbeziehung dieser Informationsgespräche und auch unter Herstellung letzter Feinheiten im Schlußdokument zuzustimmen und zu zeichnen.
Herr Staatsminister, es gibt einen weiteren wichtigen Aspekt in diesem Gesetz, nämlich den deutschlandpolitischen Aspekt, der sich aus verschiedenen Regelungen ergibt, die auch bei unseren Beratungen eine Rolle gespielt haben. Wäre es nicht jetzt angebracht, da Sie ohnehin noch in der Koalition verhandeln müssen, auch den Innerdeutschen Ausschuß über diese Aspekte und ihre Wirkungen vor einer Paraphierung der Übereinkommen zu unterrichten?
Herr Kollege, die deutschlandpolitischen Abschnitte im Schlußdokument werden unseren Anliegen voll gerecht. Ich bin selbstverständlich gerne bereit, auch den Innerdeutschen Ausschuß darüber zu unterrichten.
Es geht im wesentlichen um drei Punkte.
Der erste Punkt ist die klare Erklärung von uns, daß die DDR für uns kein Ausland ist.
Der zweite Punkt ist, daß Deutsche aus der DDR bei uns natürlich kein Visum brauchen und daß wir davon ausgehen, daß sie, wenn sie mit einem bundesdeutschen Ersatzpapier versehen sind, dies bei den anderen Partnern des Schengener Abkommens ebenfalls nicht brauchen.
Der dritte Punkt, daß wir unter Berücksichtigung unserer verfassungsmäßigen Positionen das Schengener Abkommen erfüllen.
Diese drei Punkte sind festgelegt, und diese drei Punkte erläutere ich dem Innerdeutschen Ausschuß auch gerne.
Ich darf fragen, ob die Fragenstellungen von Frau Beer und Herrn Lippelt sich an die Frau Staatsministerin richten. — Dann Herr Lippelt.
Frau Staatsminister, haben Sie im Kabinett oder am Rande des Kabinetts mit dem neben Ihnen sitzenden Herrn Innenminister die sensationellen Meldungen besprochen, die ja auf seine Zeit als Staatsminister im Kanzleramt, auf die er sich hier so freundlich bezogen hat, zurückgehen, und haben Sie ihn gefragt, was er zu der aufsehenerregenden Nachricht zu sagen hat, daß im Rabta-Bericht die entscheidende Stelle, eigentlich die Schlüsselinformation, frisiert worden ist, und haben Sie die darin liegenden Implikationen mit ihm einmal besprochen?
Herr Kollege, erstens war Herr Schäuble Bundesminister im Kanzleramt.
Zweitens ist dies nicht Thema der Kabinettssitzung heute gewesen. Selbstverständlich finden weitere Ressortsgespäche zur Bewertung dieser Nachrichten statt.
Eine Zusatzfrage?
Frau Präsidentin, darf ich Herrn Schäuble dann anschließend zu diesem Punkt noch einmal fragen?
Später noch einmal, da Frau Adam-Schwaetzer fort muß. — Frau Beer.
Frau Staatsminister, um das kurz zu erläutern: In den Berichten der Bundesregierung wurde die Quelle dieses Moskauer Telegramms sehr nebulös als „nicht östliche Quelle" bezeichnet. Wir müssen heute davon ausgehen, daß die Öffentlichkeit und auch der Deutsche Bundestag darüber getäuscht wurden, daß die Bundesregierung schon
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Frau Beer
seit dem 5. Juli 1985 Informationen über die Beteiligung des Salzgitter-Konzerns hatte.
Ich möchte Sie fragen — obwohl ich weiß, daß Sie damals mit diesem Thema nicht befaßt waren; aber jetzt sind Sie dafür verantwortlich — , warum verschwiegen wurde, daß die Information von dem Leiter der Salzgitter-Vertretung in Moskau kam, warum man „nicht östliche Quelle" sagte. Hätte, wenn es um Informationsschutz geht, nicht wenigstens angegeben werden müssen, daß der Tip aus Kreisen des Staatsunternehmens Salzgitter kam? Denn das ist ja der Punkt, der uns auf Grund der gestrigen Nachrichtensendung und auch der vor einer Woche sehr nachdenklich gemacht hat. Ich erlaube mir da auch den Hinweis auf HDW als Staatskonzern mit 75%iger Beteiligung.
Frau Staatsminister.
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat in ihrem Bericht an den Deutschen Bundestag vom 15. Februar 1989 auch sehr ausführlich dazu Stellung genommen, daß es Hinweise gegeben hat. Die Bundesregierung hat ausführlich dargelegt, daß sie diesen Hinweisen sofort nachgegangen ist und daß damals unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Informationen eine Bestätigung nicht erlangt werden konnte. Darüber finden Sie im vorliegenden Bericht der Bundesregierung auch alles, was dazu zu sagen war.
Eine Zusatzfrage dazu: Weil es offensichtlich doch mehrere Informationen gibt, würde ich gern wissen, warum dem Antrag meiner Fraktion, den wir auf Grund der Nachrichtensendung „Tagesthemen" vor einer Woche gestellt haben, nicht stattgegeben wurde, genau dieses Problem heute im Auswärtigen Ausschuß zu behandeln. Warum wird auf Grund der Aktualität nicht heute die letzte Sitzung des Ausschusses vor der Weihnachtspause dazu genutzt? Denn wir müssen befürchten — —
Das ist keine Zusatzfrage sondern eine neue Frage.
Entschuldigung. Dann würde ich gern — —
Ich muß Ihnen sagen: Hinter Ihnen steht der Kollege Eich, der auch noch eine Frage an die Frau Staatsminister richten möchte, obwohl ich nicht weiß, ob sie diese Frage noch beantworten kann; denn sie hat gesagt, sie müsse gehen. — Sie beantworten noch eine Frage.
— Ich stelle nur fest, das ist eine neue Frage und keine Zusatzfrage.
Herr Eich.
Ich möchte zu dem Bericht, der am 15. Februar 1989 an den Deutschen Bundestag gegangen ist, eine Frage stellen. Wir gehen nach den Berichten von gestern davon aus, daß damals von der Bundesregierung wahrheitswidrig berichtet worden ist — ich zitiere das jetzt —:
Bis zum Sommer 1988 hätte der BND weder aus eigenem noch aus fremdem Aufkommen von der Beteiligung deutscher Firmen Kenntnis gehabt. Seit August 1988 gebe es Hinweise auf eine Beteiligung der Imhausen-Gruppe ... Unter anderem wird erwähnt, daß Pläne von Angehörigen der Salzgitter AG ... geliefert worden seien.
Was hat sie dazu veranlaßt?
Herr Kollege, ich habe bereits Ihrer Kollegin gesagt, daß das nicht Thema der Kabinettssitzung von heute gewesen ist. Ich weiß nicht, wieweit die Parlamentspräsidentin bereit ist, die Regierungsbefragung auszudehnen.
Ich habe bereits Ihrer Kollegin geantwortet, daß im Bericht der Bundesregierung vom 15. Februar 1989 auf der Basis aller Berichte, die uns zu dem damaligen Zeitpunkt vorgelegen haben, ausreichend Antwort gegeben worden ist. Dem ist im Moment nichts hinzuzufügen.
Wir kehren zurück zur Befragung in Sachen Ausländergesetz. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Sonntag-Wolgast.
Meine Frage geht an den Bundesinnenminister: Welche konkreten Schritte sind im Zusammenhang mit der Beschleunigung der Asylverfahren über das, was Sie erwähnten, hinaus geplant, und gehört dazu z. B. auch eine Verkürzung des Instanzenweges bei der Einlegung von Rechtsmitteln?
Frau Kollegin, über den Verwaltungsbereich hinaus, von dem ich gesprochen habe, sind in dem Gesetzentwurf des Bundesrats eine Reihe von Vorschlägen gemacht worden, wie das Asylverfahren weiter beschleunigt werden kann. Darüber wird im einzelnen zu reden sein. Wir haben in der Koalition darüber gesprochen, und dies habe ich in der vergangenen Woche auch öffentlich mitgeteilt, daß wir erwägen, bei den Eilverfahren über die vorläufige Vollstreckbarkeit von Asylanträgen, die als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sind, die Beschwerdeinstanz entfallen zu lassen. Wir führen darüber weitere Gespräche.
Eine Zusatzfrage: Gehört in die Beratungen über Veränderungen beim Asylverfahren auch eine weitere Erörterung einer Auflockerung des Arbeitsverbots?
Frau Kollegin, dies ist Bestandteil des Gesetzentwurfs, den die Bundesregierung heute als Entwurf verabschiedet
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Bundesminister Dr. Schäuble
hat. Wir wollen eine Verordnungsermächtigung, mit der das Arbeitsaufnahmeverbot für Asylbewerber gelockert oder beseitigt werden kann. Diese Regelung ist in dem Gesetzentwurf als eine Ermächtigung enthalten.
Danke. — Herr Müller.
Herr Minister, glauben Sie, daß die seinerzeit vorgetragenen Bedenken aus den Reihen der Kirchen mit dem heute verabschiedeten Entwurf ausgeräumt sind, insbesondere was den Familiennachzug angeht?
Herr Bundesminister.
Ich habe auch die seinerzeit vorgetragenen Bedenken auf der Grundlage des Referentenentwurfs nur als Folge eines Mißverständnisses verstehen können, denn der Gesetzentwurf bringt für die Familien von hier lebenden Ausländern ausschließlich Verbesserungen. Er bringt nicht eine einzige Verschlechterung gegenüber dem geltenden Recht. Es mag sein, daß manche weitergehende Verbesserungen für wünschenswert halten. Aber das, was von manchen gesagt worden ist und was dazu geführt hat, daß hier lebende Ausländer vielleicht Angst vor diesem Gesetz bekommen haben, als würde sich für sie etwas verschlechtern, ist eine bewußte oder unbewußte, aber jedenfalls eine Irreführung. Der Gesetzentwurf sieht gegenüber dem geltenden Recht für die familiäre Situation von hier lebenden Ausländern ausschließlich Verbesserungen vor.
Ich habe schon erwähnt, er sieht das Recht auf Ehegattennachzug für Ausländer der zweiten und dritten Generation und für diejenigen der ersten Generation vor, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, einschließlich der Verselbständigung des Aufenthaltsrechts von nachgezogenen Ehegatten. Er sieht entsprechend das Nachzugsrecht für Kinder als Anspruch bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres vor, was nicht ausschließt, daß auch darüber hinaus Nachzug gewährt werden kann, aber da besteht kein Rechtsanspruch, einschließlich der Verfestigung des Aufenthaltsrechts auch für nachgezogene Kinder. Er sieht die Wiederkehroption für Kinder vor, die hier aufgewachsen sind und zwischenzeitlich in ihr Heimatland zurückgekehrt sind.
Das, was dieser Gesetzentwurf vorsieht, ist das, was von vielen seit langem für notwendig gehalten worden ist. Deswegen, finde ich, ist er zwar nicht eilbedürftig in dem Sinne, wie es manche falsch verstanden haben, aber er sollte noch in dieser Legislaturperiode zustande kommen, im Interesse nicht zuletzt der Ausländer wie der Deutschen weil er das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland zum Ziel hat.
Frau Schoppe.
Herr Minister, die Vorstellung, eine Visumpflicht für asylsuchende Kinder einzuführen, ist gerade bei denjenigen, die mit diesen Kindern zusammenarbeiten und -leben und die
Schwierigkeiten dieser Kinder kennen, auf großen Protest gestoßen; aber auch diejenigen protestieren dagegen, die sich der Tatsache stellen, daß diese Kinder just aus Gebieten fliehen, wo kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden. Hat es im Kabinett noch einmal ein neues Nachdenken über diese Frage gegeben?
Herr Bundesminister.
Wir denken über alle Fragen nahezu beständig nach. Aber, Frau Kollegin Schoppe, es ist vielleicht schon einmal darauf hinzuweisen, daß es außer der Bundesrepublik Deutschland kaum ein anderes Land gibt
— Andorra, na gut — , in dem ausländische Jugendliche unter 16 Jahren von der Visumpflicht generell befreit sind, wie es bei uns heute noch der Fall ist. Dies hat uns in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Mitte des Jahres 1988 jedenfalls im Tatsächlichen keine erheblichen Probleme geschaffen.
Merkwürdigerweise erleben wir seit Mitte des Jahres 1988, daß ganze Flugzeuge voll minderjähriger Kinder hier landen. Wir haben erhebliche Anhaltspunkte für die Vermutung, daß dahinter Organisationen stecken, deren Zweck weniger humanitär als vielmehr kommerziell ist. Wir glauben nicht, daß es unter familienpolitischen oder humanitären Gesichtspunkten richtig ist, wenn wir diese Praxis weiter dulden. Wir glauben vielmehr, daß wir entsprechende Vorkehrungen treffen müssen. Deswegen haben wir uns in Übereinstimmung mit allen anderen oder fast allen anderen zivilisierten Ländern der Erde dazu entschlossen, Visumspflichten, soweit sie bestehen, auch für Jugendliche bzw. Kinder unter 16 Jahren einzuführen.
Zusatzfrage, wenn sie kurz ist, weil wir jetzt in zeitliche Bedrängnis kommen.
Eine kurze Nachfrage. Herr Minister, nach den Zahlen, die mir vorliegen, kann es nicht sein, daß jetzt tagtäglich die Riesenflugzeuge mit den vielen Kindern hier eintreffen; denn die Zahl ist 2 500, glaube ich. Verglichen mit anderen ist das sehr wenig. Ich glaube auch, daß man nicht danach gehen kann, ob andere Länder das machen oder nicht. Man muß sich nach den Nöten, in denen diese Kinder stecken, und nach den Möglichkeiten richten, die wir haben. Ich denke, ein paar mehr als 2 000 im Jahr sind für uns wohl zu verkraften.
Herr Bundesminister.
Es könnte ja auch der Anfang einer Entwicklung sein; denn es hat ja erst Mitte 1988 begonnen. Wir wollten eigentlich handeln, ehe vielleicht größerer Schaden eingetreten ist. Aber ich habe ja nicht behauptet, daß jeden Tag solche Flugzeuge kämen, sondern ich habe gesagt: Seit Mitte 1988 müssen wir feststellen, daß es
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derartiges gibt. Dem haben Sie auch gar nicht widersprochen; insofern haben wir jedenfalls darin Übereinstimmung.
Ich würde übrigens auch sagen: Es ist noch kein zureichendes Argument, daß alle anderen Länder dieser Erde eine solche rechtliche Bestimmung haben. Aber deswegen muß etwas nicht falsch sein, sondern es spricht für mich eine gewisse Vermutung sogar dafür, daß es eher richtig ist, wenn es alle anderen Länder haben. Wir Deutschen waren gelegentlich einzigartig. Ich finde es übrigens nicht zivilisiert, Herr Kollege Lippelt, wenn Sie die Definition meinen sollten, daß Sie nur das als zivilisiert ansehen, was Sie selber für richtig halten und alle anderen nicht.
Präsidentin Dr. Süssmuth: Herr Olderog.
Herr Bundesminister Schäuble, Sie haben von Zuzugsbeschränkungen und Zuzugserleichterungen z. B. beim Ehegatten- und beim Kindernachzug gesprochen. Könnten Sie im einzelnen noch einmal die Zuzugsbeschränkungen und die -erleichterungen stichwortartig nennen? Daran anschließend stelle ich die Frage: Glauben Sie, daß sich durch das von Ihnen angestrebte neue Ausländerrecht der Anteil der Ausländer an unserer Bevölkerung erhöhen oder verringern wird?
Herr Bundesminister.
Herr Kollege Olderog, ich glaube nicht, daß ich in der Lage bin, dies zu quantifizieren. Wir haben Zuzugserleichterungen im Familiennachzug und, wenn Sie wollen, auch in der Wiederkehroption. Wir haben Beschränkungen in all den Maßnahmen, die dazu führen, daß aufenthaltsrechtliche und ausländerrechtliche Bestimmungen tatsächlich vollziehbar werden. Dem dient letztlich ja auch die Beschleunigung der Verfahren; denn eines der Probleme, die wir alle miteinander beklagen, ist, daß wir bei etwa 100 000 Asylanträgen im vergangenen Jahr und bei einer Anerkennungsquote von knapp über 6 % am Ende zu Abschiebungsquoten kommen, die auch nicht sehr viel höher sind. Der Zwischenbereich wird eben nicht völlig durch die Defacto-Flüchtlinge erklärt, sondern nur zu einem kleineren Teil.
Wir müssen zu vollziehbaren Entscheidungen kommen. Wie sich das quantifiziert, kann man letztlich nicht sagen. Ich glaube aber, daß ich die Bemerkung anfügen sollte, daß, wenn Ausländer, die hier dauerhaft leben, ihre Familien bei sich haben, dies auch dem friedlichen und freundlichen Zusammenleben von Deutschen und Ausländern besser dient, als wenn es anders sein sollte.
Herr Dr. Olderog.
Eine Zusatzfrage: Über die Akzeptanz des neuen Ausländerrechts bei den Kirchen ist gesprochen worden. Glauben Sie, daß das neue Ausländerrecht die Akzeptanz bei der breiten Mehrheit der Bevölkerung finden wird?
Da bin ich sehr zuversichtlich, wobei es allerdings so ist, daß möglichst viele daran mitwirken sollten. Es sollten möglichst wenige fortfahren, den Ausländern das Ausländergesetz falsch zu erklären und damit Angst zu schüren und Mißverständnisse zu wecken.
Es sollte umgekehrt genauso klar sein, daß die Begrenzung weiteren Zuzugs von Ausländern aus Drittstaaten notwendig ist, weil die Grenzen der Integrationsfähigkeit jeder Gesellschaft irgendwann erreicht sein könnten. Die Begrenzung ist für das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern unverzichtbar erforderlich. Wenn wir das Prinzip der Zuzugsbegrenzung, über das wir uns in diesem Hause seit 15 Jahren im wesentlichen einig sind, nun auch stärker vollziehbar, effizienter machen — durch schnellere Verfahren, durch klarere Tatbestände, durch klarere Abschiebungs- und Ausweisungsregelungen — , dann denke ich, daß auch diejenigen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich Sorge machen, ob wir das alles noch verkraften, bei diesem Gesetz begreifen werden, daß der Staat ein Stück weit mehr handlungsfähig werden will.
Danke. — Ich habe noch Zeit für zwei Wortmeldungen, Herrn Fellner und Herrn Lüder. Dann müssen wir abbrechen, weil wir unsere Zeit überzogen haben.
Herr Minister, wenn ich Ihnen sage, daß wir von seiten der Koalition den Kollegen der SPD morgen anbieten werden, einen Zeitplan mit sehr, sehr viel Beratungszeit zu machen, und Sie angesichts der zugegebenermaßen mühevollen Vorarbeit zu diesem Gesetzentwurf nun einen Wunsch an dieses Parlament frei hätten — wissend, daß die Probleme des Ausländerrechts und Asylrechts den SPD-Bürgermeistern vor Ort genauso auf den Nägeln brennen wie uns — : Was wünschen Sie sich dann von diesem Parlament, bezogen auf die Beratung dieses Ausländergesetzes?
Also, eine Regierung bringt einen Gesetzentwurf ein, weil sie sich wünscht, daß das Parlament ihn beraten und zustimmend verabschieden wird.
Aber ich würde mir vor allen Dingen, Herr Kollege Fellner, auch wünschen, daß sich alle, die sich an der Debatte beteiligen, ihrer Verantwortung bewußt sind, die wir alle — ob als Parlament oder als Regierung — tragen. Diese Verantwortung ist ja wohl auch auf den inneren Frieden bezogen. Wenn ich davon spreche, daß dieses Gesetz in beiden Elementen das friedliche und freundliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern noch besser als bisher sicherstellen will, dann sollten alle, die sich an den Diskussionen beteiligen — ob aus dieser oder jener Richtung — , diese Verantwortung bei den Beratungen wie bei den öffentlichen Äußerungen bedenken. Wenn wir dies noch besser machen, als es in der öffentlichen Diskussion seit der Versendung des Referentenentwurfs der Fall war, dann erreichen wir die Zielsetzung, die uns in diesem Hause wahrscheinlich auch eint.
Danke. — Herr Lüder.
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Frau Präsidentin, darf ich auf Schengen zurückkommen oder muß ich es als ausländerrechtliche Frage verkleiden? Ich kann das auch.
Nein, Sie können auf Schengen zurückkommen.
Dann möchte ich die Bundesregierung fragen, ob sie nicht — dem Vorbild des Bundesinnenministers beim Entwurf des Ausländergesetzes folgend — bereit wäre, den Text des zur Paraphierung anstehenden Schengener Abkommens der Öffentlichkeit und den Ausschüssen vor Unterzeichnung zuzuleiten, damit die Überraschungen in den zahlreichen betroffenen Ausschüssen nicht zu groß sind.
Herr Staatsminister Stavenhagen.
Herr Kollege, diesem Wunsch ist entsprochen. Es ist den Ausschüssen, den Berichterstattern der Text des Abkommens zugleitet worden. Das betrifft den Auswärtigen Ausschuß, den Innenausschuß. Dies ist geschehen, Herr Kollege. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dies zu tun. Wir haben den Text — das will ich auch sagen — —
— Der Innerdeutsche Ausschuß hat ihn noch nicht, kann ihn aber vor der Unterzeichnung auch noch kriegen.
Herr Staatsminister, betroffen ist der Finanzausschuß, betroffen ist der Agrarausschuß, betroffen ist der Umweltausschuß, betroffen ist der Innerdeutsche Ausschuß, betroffen ist der Verkehrsausschuß; das ist ja eine ganze Reihe.
— Nein, die können sich ja nicht melden, Herr Kollege, solange sie nicht wissen, worum es geht. Deswegen war meine Frage, ob wir das — so wie der Herr Minister das beim Ausländergesetz gemacht hat — nicht schon frühzeitig, vor der Paraphierung, also vor dem Einbringen ins Kabinett, dem Parlament geben könnten. Dann können wir in den Ausschüssen bis zur Unterzeichnung noch in Ruhe darüber reden.
Herr Kollege, ich habe neulich vom Abgeordneten Hirsch die Definition von „unverzüglich" gelernt. Er sagte mir, „unverzüglich" heißt: sofort nach Fertigstellung, und genau dies haben wir getan.
— So ist es, und genau dies ist geschehen: Ohne schuldhaftes Verzögern haben Sie es persönlich in die Hand gekriegt. Den anderen Ausschüssen werden wir es ohne weiteres schuldhaftes Verzögern sofort zustellen.
Danke. — Als letzter noch Herr Nöbel.
Ich nehme an, daß sich das Kabinett heute mit der Trassierung der ICE-Schnellbahnstrecke befaßt hat. — Das ist nicht der Fall? — Dann frage ich, welche Haltung der Umweltminister dazu einnimmt, insbesondere für den Bereich Siebengebirge. Vielleicht komme ich dann mit meiner Frage noch genau richtig.
Wer antwortet? — Herr Grüner.
Der Umweltminister beteiligt sich im Rahmen der Kabinettsberatungen an dieser Entscheidung. Er ist nicht in der Lage, hier eine Einzelmeinung zu vertreten.
Meine Damen und Herren, die für die Befragung der Bundesregierung vorgesehene Zeit ist abgelaufen. Ich beende damit die Befragung und bitte nochmals um Verständnis, daß die vorausgehende Debatte mit den Abstimmungsverfahren länger als bis 13 Uhr gedauert hat. — Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 11/6009 —
Der Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz braucht nicht aufgerufen zu werden, weil die Frage 1 des Abgeordneten Conradi zurückgezogen worden ist.
Die Fragen 2 und 3 des Abgeordneten Dr. Sperling aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sollen schriftlich beantwortet werden. Das gleiche gilt für die Fragen 4 und 5 des Abgeordneten Jungmann aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, für die Frage 6 der Abgeordneten Frau Schulte (Hameln) aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und für die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Großmann aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hennig steht zur Beantwortung der Fragen zu unserer Verfügung.
Die Frage 16 des Abgeordnete Dr. Göhner ist zurückgezogen worden.
Ist Herr Abgeordneter Jäger im Raum? — Dann werden seine Fragen 17 und 18 entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Büchner auf:
Welches Ausmaß an innerdeutschen Sport- und Jugendbegegnungen erwartet die Bundesregierung, nachdem die beiden deutschen Sportbünde, DSB und DTSB, einen freien und unkontrollierten Sportverkehr vereinbart haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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Herr Kollege Büchner, Ihre Frage bezieht sich thematisch auf den neuen innerdeutschen freien Sportverkehr, insbesondere seine finanziellen Auswirkungen betreffend. Die Sportpräsidenten der beiden Sportdachverbände DSB, Herr Hansen, und DTSB, Herr Eichler, haben am 11. Dezember in Frankfurt eine Vereinbarung zur Regelung ihrer sportlichen Beziehungen abgeschlossen. Ich möchte die Gelegenheit nehmen, dem Präsidenten des DSB, Herrn Hansen, zu diesem erfolgreichen Abschluß zu gratulieren.
Über die Förderungsmodalitäten werden in den nächsten Tagen im einzelnen Gespräche zwischen BMB und DSB geführt, in denen u. a. auch die Höhe der voraussichtlich zur Verfügung stehenden Förderungsmittel festgelegt wird. Das zu erwartende Ausmaß der innerdeutschen Sport- und Jugendbegegnungen schätzen DSB und BMB auf etwa das Zehnfache der bisherigen Begegnungen dieses Jahres, wobei es 150 Sport- und 300 Jugendbegegnungen waren. Entsprechend wird das Förderungsvolumen ansteigen. Beim Sportverkehr müssen noch die vom DSB geschätzten 5 bis 6 Millionen DM an Förderungsvolumen beantragt und über einen Nachtragshaushalt zur Verfügung gestellt werden.
Zusatzfrage, Herr Büchner.
Herr Staatssekretär, wenn Sie davon ausgehen, daß es vor dem Bau der Mauer jährlich ungefähr 3 000 innerdeutsche Sportbegegnungen mit rund 200 000 Teilnehmern bereits gegeben hat, würde sich dann die Bundesregierung in der Lage sehen, davon ausgehend, daß die Zahl jetzt mindestens auf diese Größenordnung ansteigt, die bisherigen Förderungssätze, die ja jetzt festgelegt werden, beizubehalten?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, am besten beantworte ich, wenn Sie einverstanden sind, die kommende Frage gleich mit, damit einiges klarer wird;
wenn ich darf, Herr Präsident.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Büchner auf:
In welcher Weise will die Bundesregierung die Zusage von Bundeskanzler Kohl an den Präsidenten des Deutschen Sportbundes einhalten, daß die Bundesregierung wie bisher innerdeutsche Sport- und Jugendbegegnungen fördert, und mit welchen finanziellen Auswirkungen rechnet die Bundesregierung?
Herr Büchner, Sie haben dann noch drei Zusatzfragen.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Büchner, im Titel 27 02 des Bundeshaushalts wird es an verschiedenen Stellen entsprechend der jüngsten Entwicklung in den innerdeutschen Beziehungen Umschichtungen geben, die im Nachtragshaushalt so früh wie möglich dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden. Davon sind auch die innerdeutschen Sportbegegnungen betroffen. Die genaue Summe der notwendigen Erhöhung der Mittel kann noch nicht
exakt beziffert werden. Hierzu sind noch Besprechungen mit dem DSB erforderlich, die am Ende des Jahres abgeschlossen sein werden. Sie können jedoch davon ausgehen, daß die Förderungsmittel so bemessen sein werden, daß die Zusage des Bundeskanzlers an den DSB-Präsidenten zur Weiterführung des innerdeutschen Sportverkehrs eingehalten wird.
Zusatzfrage, Herr Büchner.
Herr Staatssekretär, Sie konnten meiner ersten Zusatzfrage bereits entnehmen, daß es mir weniger um die Höhe der Förderungsmittel insgesamt als vielmehr um die Zusicherung der Bundesregierung geht, die derzeitigen Förderungssätze beizubehalten. Kann die Bundesregierung zusichern, daß die in diesen Wochen für das nächste Jahr vereinbarten innerdeutschen Sportbegegnungen nach den derzeit geltenden Förderungssätzen bezuschußt werden, um den Partnern, die diese Vereinbarungen jetzt treffen, eine Sicherheit zur Finanzierung der Sportbegegnungen zu geben?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Büchner, dieses Abkommen ist exakt zwei Tage alt. Wir werden in den nächsten Tagen Gelegenheit haben, mit dem DSB genau diese Punkte zu besprechen, und ich gehe davon aus, daß rechtzeitig zur Jahreswende Klarheit geschaffen werden kann, ob das der Fall sein wird — was wir anstreben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Büchner.
Denkt die Bundesregierung darüber nach, diese Förderungssätze zu ändern?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Von uns aus nicht, Herr Kollege Büchner, aber wir sind offen für die Argumente, die vom DSB kommen werden.
Herr Klejdzinski möchte noch eine Zusatzfrage stellen. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, Sie wollten prüfen, ob das, was Sie beabsichtigt haben, eintritt. Können Sie uns dann vielleicht verraten, was Sie denn gerne möchten?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Ich habe jetzt nicht ganz verstanden, was Sie damit meinen, Herr Kollege.
Ich gestehe dem Abgeordneten Klejdzinski zu, seine Frage noch einmal zu stellen, und zwar so, daß sie verstanden werden kann.
Sie haben bemerkt, Herr Staatssekretär, Sie würden in den nächsten Tagen prüfen, ob das umgesetzt werde, was Sie sich vorgestellt haben; anschließend würden Sie uns gerne darüber berichten. Ich frage Sie: Was für einen Inhalt könnte das denn haben?
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Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bisher gibt es Schätzungen von uns, daß sich der Umfang in etwa verzehnfachen wird. Ob dies genau der Fall sein wird, übersieht der Deutsche Sportbund natürlich genauer als die Bundesregierung. Wir werden dies in den Gesprächen, die in den nächsten Tagen folgen werden, von Herrn Hansen und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr genau hören und dann die entsprechenden haushaltsmäßigen Schlußfolgerungen daraus ziehen, und zwar im Wege eines Nachtragsetats, wie ich es hier vorgetragen habe. Genaueres kann man zur Stunde also noch nicht dazu sagen.
Frau Steinhauer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, entschuldigen Sie, daß ich noch einmal nachhake. Sie haben gesagt, daß die Bundesregierung nicht beabsichtige, in Einzelfällen etwas zu ändern — ich interpretiere Sie jetzt einmal so — , daß Ihnen jedoch nicht klar sei, ob der Sportbund etwas ändern möchte. Können Sie sich denn vorstellen, daß der Deutsche Sportbund angesichts der Verzehnfachung der Zahl der Sportbegegnungen vorschlagen wird, in den Einzelfällen niedrigere Zuschüsse zu zahlen?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, diese Vorschläge haben uns noch nicht erreicht. Ich kann mir das sehr wohl vorstellen, aber ich finde es zweckmäßiger, diese Vorstellungen zunächst konkret abzuwarten.
Herr Staatssekretär, blättern Sie bitte noch einmal zurück. Der Herr Kollege Jäger konnte wohl nicht eher hier sein, denn wir konnten die Fragen zu den vorhergehenden Ressorts so schnell abhandeln. Ich gestehe dem Herrn Abgeordneten Jäger zu, seine Fragen zu stellen.
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Wie viele politische Häftlinge in der DDR mit langjährigen Freiheitsstrafen fallen nach den Erkenntnissen oder Schätzungen der Bundesregierung nicht unter die beiden jüngsten Amnestien der DDR, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß dadurch gerade besonders tragische Menschenschicksale keine humanitäre Lösung finden können, wenn nichts geändert wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, nach den derzeitigen Erkenntnissen der Bundesregierung werden auch nach Durchführung der letzten Amnestie des Staatsrates der DDR vom 6. Dezember noch etwa 100 Häflinge im Strafvollzug der DDR verbleiben, die nach Ansicht der Bundesregierung aus politischen Gründen verurteilt wurden. Hierunter befinden sich besonders tragische Schicksale. Die Bundesregierung wird mit Nachdruck versuchen, auch hier noch eine humanitäre Lösung zu erreichen.
Darüber hinaus will ich unterstreichen, daß es nicht nur um eine Amnestie gehen kann, sondern daß die entsprechenden Paragraphen abgeschafft werden müssen. Es darf ein politisches Strafrecht in diesem Sinne überhaupt nicht geben.
Zusatzfrage, Herr Jäger.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß die Begrenzung der Amnestie auf ein gewisses Strafmaß dem Grundgedanken einer Amnestie schon deswegen gar nicht gerecht werden konnte, weil damit diejenigen, die ein höhers Strafmaß erhalten haben, nach wie vor sozusagen als Schwerkriminelle eingestuft und deswegen nicht entlassen werden können?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, zunächst einmal betrifft diese Amnestie alle Arten von Häftlingen, also auch solche, die in unserer Rechtsordnung als Kriminelle betrachtet werden, aber auch die politischen Häftlinge. Hier ist ausschließlich auf den verhängten Strafrahmen, nämlich auf die von Ihnen auch zitierten drei Jahre, abgestellt worden. Wir halten dies bei den politischen Häftlingen nicht für sachgemäß, sondern meinen, daß erstens alle politischen Häftlinge amnestiert werden sollten und daß zweitens darüber hinausgehend die betreffenden Paragraphen abgeschafft werden müssen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Jäger.
Herr Staatssekretär, da Sie meine Frage 18 schon gleich mitbeantwortet hatten, nämlich daß die Bundesregierung sich hier bemühen wird, frage ich weiter: Gibt es darüber schon konkrete Gespräche, oder steht das erst auf der Tagesordnung für kommende Gespräche der nächsten Zeit?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Dann darf ich mit Genehmigung des Präsidenten — ich wollte zu Ihrer nächsten Frage noch eine Antwort geben, Herr Kollege Jäger — das hiermit tun.
Die Bundesregierung wird in ihren Gesprächen mit der DDR-Regierung darauf hinwirken, daß alle politischen Häftlinge ungeachtet ihres Strafmaßes entlassen werden. Die Bundesregierung wird sich wie bisher — dies ist auch in den bisherigen Gesprächen schon angesprochen worden — auch um die vorzeitige Entlassung der wegen Spionage in der DDR inhaftierten Personen bemühen.
Jetzt rufe ich Ihre Frage 18 auf:
Wird die Bundesregierung in Gesprächen mit der DDR-Regierung darauf hinwirken, daß die Amnestie auf alle politischen Häftlinge, ungeachtet ihres Strafmaßes, erstreckt wird, die im Widerspruch zu den auch in der DDR geltenden UN-Menschenrechtspakten verurteilt worden sind?
War das schon die Antwort?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Das war schon die Antwort, Herr Präsident.
Dann hätten Sie jetzt noch drei Zusatzfragen, wenn Sie wollen, Herr Jäger, Sie müssen aber nicht.
Herr Präsident, ich habe nur noch eine einzige Zusatzfrage an den Herrn Staatssekretär. Ist bereits an die Miteinbeziehung dieses Komplexes in den demnächst stattfindenden Gesprächen,
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Jäger
die auf höchster Ebene mit der Führung der DDR stattfinden, gedacht?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich, Herr Kollege. Wir hoffen sehr, daß bei dieser Gelegenheit dann dieser Punkt wirklich endgültig abgehakt werden kann.
Herr Klejdzinski zu einer Zusatzfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade ausgeführt, daß sich die Bundesregierung bemühen will, daß auch diejenigen freikommen, die wegen Spionage zugunsten des DDR-Staates dort verurteilt worden sind. Wenn das so ist, daß die dort drüben freikommen und Sie das als durchaus rechtmäßig ansehen, darf ich Sie dann fragen, wie denn die Bundesregierung mit denen verfährt, die hier wegen Spionage verurteilt worden sind?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinski, dies ist ein diffiziles, heikles Gelände, das sich nicht unbedingt für eine öffentliche Behandlung eignet. Aber es geht immerhin in diesem Zusammenhang um wegen angeblicher Spionage Verurteilte, bei denen es auf unserer Seite nicht den geringsten Hinweis darauf gibt, daß das, was ihnen vorgeworfen wird, den Tatsachen entsprochen hat. Diese Vorwürfe werden in einigen dieser Fälle aus unserer Sicht völlig zu Unrecht erhoben, und deswegen geht es darum, diese Fälle jetzt auf diesem Wege zu lösen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf.
Die Frage 10 des Abgeordneten Stiegler soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 der Abgeordneten Frau Beer auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß im Juli 1987 im Bundesministerium der Finanzen mehrere Gutachten erstellt wurden, die die Ermittlungspraxis der OFD Kiel im Bußgeldverfahren gegen HDW und IKL wegen des ungenehmigten U-BootBlaupausen-Exports nach Südafrika kritisieren, die eine Einschaltung der Staatsanwaltschaft Kiel durch das Bundesministerium der Finanzen fordern, da andernfalls der Vorwurf der Strafvereitelung im Amt erhoben werden könne, und ist die Bundesregierung bereit, diese Gutachten der jetzt in der gleichen Angelegenheit gegen die Firmen HDW und IKL ermittelnden Staatsanwaltschaft zur Verfügung zu stellen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich die beiden Fragen im Zusammenhang beantworte?
Ja. Dann rufe ich jetzt die Frage 12 der Abgeordneten Frau Beer auf:
Welchen Inhalt hat ein im Bundesministerium der Finanzen erstellter Reisebericht vom Juli 1987 über einen Besuch von Beamten des Bundesministeriums der Finanzen bei der OFD Kiel, und trifft es zu, daß in diesem Reisebericht gravierendste Ermittlungsversäumnisse und Ermittlungsfehler der OFD Kiel in dem Verfahren gegen IKL und HDW bezüglich des Blaupausenexports nach Südafrika geschildert werden, und ist die Bundesregierung bereit, diesen Reisebericht der Staatsanwaltschaft Kiel und dem 1. Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages zur Verfügung zu stellen?
Carstens, Parl. Staatssekretär: Die Fragen sprechen die interne Meinungsbildung der Bundesregierung an. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts — BVerfGE Band 67, Seite 139 — gehören Unterlagen der angesprochenen Art zu dem grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich der Bundesregierung. Die Zurückhaltung solcher Unterlagen ist durch den Gewaltenteilungsgrundsatz geschützt. Ihre Herausgabe ist seitens der Bundesregierung nicht vorgesehen. Aus den Akten, die dem Untersuchungsausschuß von der Bundesregierung vorgelegt worden sind, ergibt sich im übrigen, daß das Ermittlungsverfahren der OFD Kiel erst nach wiederholter Einschaltung der Staatsanwaltschaft Kiel eingestellt worden ist.
Bitte schön, Frau Beer. Frau Beer : Ach, das war alles?
Ihre allgemeine Auskunft heißt ja, daß Sie im Grunde nicht bereit sind, zu bestätigen, ob es diese Berichte, diese Gutachten, nach denen wir gefragt haben, gibt oder nicht. Sie sind auch nicht bereit, den Inhalt zu bestätigen, den ich in der Frage aufgeworfen habe.
Ist denn die Bundesregierung bereit, hinsichtlich der konkreten Fragen ohne Vorlage der Gesamtberichte oder der Gesamtgutachten den konkret aufgeworfenen Fragen nachzugehen und dann das Ergebnis dieser Fragen auch dem Untersuchungsausschuß mitzuteilen, oder heißt Ihre Antwort, die Sie eben gegeben haben, daß Sie grundsätzlich zu möglichen Gutachten und möglichen Reiseberichten, die ja in der zweiten Frage genannt sind, grundsätzlich keine Auskunft geben werden?
Carstens, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat vor dem Untersuchungsausschuß auf alle Fragen angemessen geantwortet, und wir würden auch hier im Parlament auf jede konkret gestellte Frage konkret antworten.
Weitere Zusatzfrage, Frau Beer.
Ist die Bundesregierung bereit oder sind Sie bereit, hier kurz zu sagen, wann konkret auf die von mir gestellten Fragen im Untersuchungsausschuß geantwortet worden ist?
Carstens, Parl. Staatssekretär: Ich kann nicht genau wissen, welche Fragen im einzelnen im Untersuchungsausschuß gestellt worden sind. Aber ich bin gern bereit, das noch einmal zu überprüfen. Doch ich habe meine Aussage auf ihre vorherige Frage bezogen und meine Antwort so gemeint, daß wir, wenn Sie konkret fragen, auch konkret antworten.
Die konkreten Fragen beziehen sich ja in Frage 12 auf die eventuell vorhandenen Reiseberichte. In der Frage 11 wird konkret danach gefragt, ob der Bundesregierung die Gutachten bekannt sind, die nachweisen, daß die Strafverfolgung
14252 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Frau Beer
erstrebt und erwünscht ist, weil sonst zu befürchten ist, daß der Vorwurf der Strafvereitelung im Amt entstände.
Das war also die dritte Zusatzfrage.
Carstens, Parl. Staatssekretär: Ich will Ihnen gern insoweit entgegenkommen, als ich sage: Gutachten im üblichen Sinn liegen uns nicht vor, auch nicht für diesen Zeitraum; Vermerke wohl. Insofern ist es vielleicht gut, daß ich hier deutlich zum Ausdruck bringe: Gutachten im üblichen Sinn gibt es bei uns dazu nicht; nur Vermerke von Bediensteten des BMF.
Sie haben eine vierte Zusatzfrage. Bitte schön.
: Ist die Bundesregierung bereit, sich zu bemühen, eventuell vorhandene Gutachten zur Kenntnis zu erhalten, damit wir dann auf einem anderen Standpunkt die Diskussion weiterführen können?
Carstens, Parl. Staatssekretär: Wir sollten uns vielleicht im Anschluß an diese Fragestunde noch einmal unterhalten, um zu überlegen, inwieweit wir da weiterkommen können. Aber es ist hier nichts, was in irgendeiner Form zu verheimlichen wäre. Es geht hier um den Grundsatz, und den habe ich zum Ausdruck gebracht.
Wenn Sie — ich wiederhole das — ganz konkrete Fragen stellen, beantworten wir die selbstverständlich. Da gibt es gar keine Frage. Ich weise noch einmal darauf hin, daß die OFD Kiel mehrere Male mit der Staatsanwaltschaft in Kiel Kontakt gehabt hat, bevor das Verfahren der OFD Kiel eingestellt worden ist.
Gemeinsames Kaffeetrinken wäre ja auch möglich.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Sie sind sozusagen mit Dank entlassen, Herr Staatssekretär Carstens.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft braucht nicht aufgerufen zu werden, weil die Frage 13 und 14 des Abgeordneten Müntefering und die Frage 15 der Abgeordneten Frau Vennegerts schriftlich beantwortet werden sollen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Seehofer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Kirschner auf :
Wie löst die Bundesregierung ihre u. a. im Regierungsentwurf eines Gesundheits-Reformgesetzes bekundete Absicht ein, eine unzumutbare Belastung der Versicherten durch die Kostenerstattung bei Zahnersatz und Kieferorthopädie zu verhindern und auszuschließen, daß Versicherte Zahnarztrechnungen vor Erhalt des Kassenanteils begleichen müssen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, darf ich Ihre Fragen 21 und 22 gemeinsam beantworten?
Der Abgeordnete ist einverstanden. Ich rufe daher auch die Frage 22 des Abgeordneten Kirschner auf:
Wird die Bundesregierung, nachdem es ihr auch elf Monate nach Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes nicht gelungen ist, diese Absicht zu verwirklichen, das GesundheitsReformgesetz ändern, um die Versicherten vor unzumutbaren Belastungen zu schützen, oder welche anderen Maßnahmen wird sie ergreifen?
Bitte schön.
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist nach wie vor der Auffassung, daß Versicherte nicht verpflichtet sind, Zahnarztrechnungen vor Prüfung der Rechnung und Erhalt des Kassenanteils zu begleichen. Soweit Zahnärzte Versicherte zu derartigen Zahlungen drängen, verstößt dies gegen das Gesundheits-Reformgesetz. Es ist Sache der Selbstverwaltung von Zahnärzten und Krankenkassen, den vom Gesetzgeber geschaffenen Rahmen des § 30 Sozialgesetzbuch V auszufüllen und die Einzelheiten des Verfahrens der Kostenerstattung zu regeln. Hierauf hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die Selbstverwaltung wiederholt hingewiesen. Er wird weiterhin mit Nachdruck auf die Selbstverwaltung einwirken, den Weg für eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Umsetzung der Kostenerstattung bei Zahnärzten und Kieferorthopäden freizumachen. Eine Gesetzesänderung ist derzeit nicht beabsichtigt.
Herr Kirschner, bitte schön.
Herr Staatssekretär, da das SGB V am 1. Januar 1990 ein Jahr in Kraft sein wird und es der Selbstverwaltung, d. h. den Zahnärtzen und den Spitzenverbänden der Krankenkassen, bis heute nicht möglich war, eine Regelung im Sinne des § 30 SGB V entsprechend so auszufüllen, wie Sie sagten, frage ich: Wie lange eigentlich gedenkt die Bundesregierung noch zuzuwarten, wenn es da offensichtlich zu keiner Einigung kommt?
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Herr Kirschner, es ist jetzt schwer, eine Prognose abzugeben, bis wann eine bundeseinheitliche Regelung zustande kommen wird. Wir sind in intensiven Gesprächen mit der Selbstverwaltung und auch mit den Koalitionsfraktionen, damit es im nächsten Jahr zu einer bundeseinheitlichen Regelung kommt.
Herr Kirschner, zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich hatte im Juni schon einmal eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Die Bundesregierung hat darauf geantwortet. Ich darf an das erinnern, was der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Herr Dr. Pillwein, auf dem 23. Zahnärztetag sagte. Er meinte dort, Zahnersatz sei genauso zu behandeln wie ein Autokauf oder eine Urlaubsreise, d. h. Vorkasse der Versicherten.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14253
Kirschner
Glaubt die Bundesregierung, nachdem eine so einseitige Haltung vom maßgebenden Vertreter der Bundeszahnärzteschaft vorhanden ist und die Verhandlungen bisher nicht zu einem Ergebnis führten, daß die Selbstverwaltung tatsächlich in der Lage ist, hier zu einer Regelung zu kommen, wie Sie sie in Ausfüllung des § 30 eindeutig definiert haben?
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Gesetzeslage ist nach unserer Auffassung eindeutig. Wir werden darauf hinwirken, daß der Gesetzeslage entsprochen wird. Wenn sich die Selbstverwaltung außerstande sieht, das Gesetz in diesem Punkt zu vollziehen, wird sich unweigerlich die Prüfung anschließen müssen, ob das Gesetz in diesem Punkt so bleiben kann.
Das weiß auch die Zahnärzteschaft, die immer die Kostenerstattung gefordert hat. Wenn die Umsetzung in diesem Punkt an überzogenen Positionen der Selbstverwaltung scheitert, muß sich der Gesetzgeber Gedanken darüber machen, ob das Gesetz in diesem Punkt so bleiben kann.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kirschner.
Herr Staatssekretär, was glaubt die Bundesregierung, wie lange sich der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber von der Zahnärzteschaft noch auf der Nase herumtanzen lassen kann?
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Eine ähnliche Frage haben Sie bereits gestellt. Wenn sich bei uns die Vermutung zu der Gewißheit verdichtet, daß die Partner nicht bereit sind, Verträge abzuschließen, ist die Zeit zum Handeln gekommen.
Herr Kollege, es hat seinen eigenen Reiz, einen Zahnarzt auf der Nase herumtanzen zu sehen.
Vor allem dann, wenn man den Mund geöffnet hat und gleichzeitig vom Zahnarzt traktiert wird.
Herr Kirschner, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wieviel Fälle sind der Bundesregierung bekannt, daß von seiten einzelner Zahnärzte von den Versicherten Vorauszahlungen verlangt wurden, bevor eine entsprechende Prüfung durch die Kassen erfolgte?
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung sind solche Einzelfälle bekannt. Ich kann Ihnen die Gesamtzahl, bezogen auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, nicht sagen. Sie liegt uns nicht vor. Aber es gibt solche Einzelfälle.
Ein solches Verhalten ist eindeutig rechtswidrig. Wir sind in der öffentlichen Diskussion auf diese Fälle jeweils eingegangen. Wir haben deutlich klargestellt, daß diese Verhaltensweise rechtswidrig ist. Die Vertreter der Zahnärzteschaft teilen uns immer mit, daß es auch nicht im Interesse der Zahnärzte liegt, solche Vorauszahlungen zu verlangen. Sie verweisen darauf,
daß es nur das Verhalten einzelner Zahnärzte ist, aber nicht der offiziellen Zahnarztorgane insgesamt.
Ich rufe die Frage 23 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei den Jahresabrechnungen der pauschalen Beiträge für Wehrdienst-, Grenzschutzpflichtdienst- und Zivildienstpflichtige in dem Zehn-Jahreszeitraum 1978 bis 1987 in der gesamten Rentenversicherung insgesamt rund 29 Mio, DM an Nachforderungen der Rentenversicherungsträger angefallen sind und dort mit einem Jahr Verzögerung eingegangen sind, und wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung, daß die Rentenversicherungsträger Zinsen für diesen Betrag erhalten sollen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, auch hier habe ich die Bitte, die Fragen 23 und 24 gemeinsam beantworten zu dürfen.
Die Abgeordnete ist einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 24 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Ist der Bundesregierung bewußt, daß dieser Saldo überwiegend auf die Abrechnung der Beiträge für Zivildienstpflichtige zurückzuführen ist, und ist die Bundesregierung bereit, auf eine exaktere Bemessung der Abschläge hinzuwirken?
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen sind im Zeitraum 1978 bis 1987 für Zivildienstleistende Beitragsminderzahlungen zur Rentenversicherung in Höhe von 64 Millionen DM erfolgt. Diesen standen jedoch Beitragsüberzahlungen für Wehrdienstleistende in Höhe von 64,2 Millionen DM gegenüber.
Hieraus wird bereits erkennbar, daß es sich nur um Verschiebungen zwischen diesen Bereichen handelt und der Bund seiner Beitragszahlungspflicht insgesamt nachgekommen ist.
Nur bei einer isolierten Betrachtung der Abrechnungssalden für den Bereich des Zivildienstes ergibt sich jeweils für den Zeitraum 1985/86 und den Zeitraum 1986/87 ein Nachzahlungsbetrag von 29 Millionen DM.
Die Nachzahlungen erfolgen, wenn das Statistische Bundesamt das für die genaue Beitragsberechnung erforderliche durchschnittliche Bruttojahresarbeitsentgelt ermittelt hat und dieses dann durch die Bezugsgrößenverordnung festgelegt wurde. Dies kann frühestens am Ende eines Kalenderjahres für das Bruttoarbeitsentgelt des vorausgegangenen Kalenderjahres geschehen.
Die Forderung nach Verzinsung von Nachforderungsbeträgen ist der Bundesregierung nicht bekannt. Die Bundesregierung hält im übrigen eine Verzinsung von zwischen öffentlichen Kassen geleisteten Zahlbeträgen nicht für angezeigt. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage der Verzinsung aber schon deshalb nicht, weil, wie schon erwähnt, der Saldo von Beitragsüberzahlungen und -minderzahlungen für Wehrdienst- und Zivildienstleistende ausgeglichen und die Rentenversicherung demgemäß nicht belastet ist.
Der Grund für Ausgleichszahlungen nach Ablauf eines Kalenderjahres liegt in folgendem:
14254 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Parl. Staatssekretär Seehof er
Die Höhe der Zahlungen nach der Rentenversicherungs-Pauschalbeitragsverordnung errechnet sich nach dem tatsächlichen Bruttojahresarbeitsentgelt, dem Beitragssatz sowie den Diensttagen. Auf die zu zahlenden Beiträge werden quartalsweise Abschlagszahlungen geleistet.
Bei den Abschlagszahlungen werden die Diensttage des vorausgegangenen Kalendervierteljahres zugrunde gelegt. Aktuelle Entwicklungen bei der Zahl der Zivildienstleistenden und damit der tatsächlich geleisteten Diensttage können daher für die Berechnung des Abschlags nur mit deutlicher Verzögerung berücksichtigt werden und führen wegen der kalenderjährlichen Abrechnung notwendigerweise zu Ausgleichszahlungen.
Da die Zahl der Zivildienstleistenden und der Diensttage seit einigen Jahren ansteigend ist, muß sich dies auch auf die zu leistenden Ausgleichsbeträge auswirken. Dies wird deutlich am Beispiel der Entwicklung in den Jahren 1984 bis 1987. Im Jahre 1984 betrug die Durchschnittszahl der Zivildienstleistenden 37 533. Sie verdoppelte sich bis 1987 auf 75 118. Gleichzeitig stieg die Anzahl der tatsächlich gemeldeten Diensttage von rund 1,36 Millionen auf rund 27 Millionen Tage.
Künftig werden sowohl eine exaktere Bemessung der Abschläge als auch eine frühere Zahlung der Ausgleichsbeträge möglich sein. Nach dem Rentenreformgesetz 1992 wird die Beitragsbemessungsgrundlage für die Beiträge von Wehr- und Zivildienstleistenden vom Durchschnittsentgelt auf die Bezugsgröße in der Sozialversicherung umgestellt. Diese wird gemäß § 17 Abs. 2 SGB IV im voraus für jedes Kalenderjahr bestimmt. Die Ausgleichszahlungen können damit bereits erheblich früher erfolgen als heute. Die Rentenversicherungs-Pauschalbeitragsverordnung wird der veränderten Rechtslage angepaßt, also zum 1. Januar 1992.
Herr Staatssekretär, da muß ich eingreifen. Wir haben eine Regel, die besagt, daß es hier kurze Fragen und auch kurze Antworten geben soll. Würden Sie mit Ihrem Referatsleiter über diese Frage einmal intensiv reden, wenn auch nicht länger als fünf Minuten; dann könnten Sie eine Kürzung auch einer solchen Antwort zustande bringen.
Frau Steinhauer, Sie haben eine Zusatzfrage. Bitte schön!
Aber ich lege jetzt Wert darauf, daß ich die gesamte Antwort bekomme. Die ist nun einmal so umfangreich. — Das galt nur für die Zukunft; Entschuldigung.
Herr Staatssekretär, ich darf mich bedanken. Offensichtlich habe ich doch ein nicht ganz einfaches Thema angeschnitten. Ich habe Ihnen schon im Vorfeld gesagt, daß ich diese Dinge als Mitglied eines Rechnungsprüfungsausschusses einer Rentenversicherung festgestellt habe. — Wenn Sie jetzt 1992 als eine Verbesserung ansehen, würden Sie mir dann zusagen, daß Sie auch schon bis dahin dafür sorgen, daß die Zahlungen schneller eingehen?
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, darf ich zunächst eine Anmerkung zu Ihrer Feststellung treffen?
Das muß ich hinnehmen.
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Ich schaue mir vor der Fragestunde jede Frage an und prüfe sie auch daraufhin, ob sie kürzer beantwortet werden kann. Ich persönlich sah bei der Komplexität dieses Themas keine Chance, irgend etwas wegzulassen, ohne den Vorwurf zu bekommen, man unterdrückte eine wichtige Information. Hier ist also nicht der Referatsleiter angesprochen, sondern ich persönlich bin angesprochen.
Ich nehme das hin, obwohl ich als Parlamentarischer Staatssekretär — ich habe das auch einmal machen müssen — noch ein anderes Verfahren kannte.
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Ja, aber das ist eine besonders schwierige Frage, Herr Westphal; denn Frau Kollegin Steinhauer ist Prüferin. Sie weiß über diese Sache besser Bescheid als unser Beamtenapparat im BMA.
Deshalb möchte ich zu Ihrer Frage sagen: Stellen Sie uns bitte Ihre Detailkenntnisse aus dieser konkreten Prüfung zur Verfügung. Wir werden das dann zum Anlaß nehmen, einmal zu überlegen, ob wir bis zu diesem Zeitpunkt, 1. Januar 1992, vielleicht auf eine raschere Abschlagszahlung hinwirken können.
Bitte schön, Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, nach Bekanntwerden meiner Frage ist mir verschiedentlich gesagt worden, daß es hier im Vergleich zu den 156 Milliarden DM Beitragseinnahmen um geringe Beträge aus den Verzögerungen gehe. Sind Sie mit mir einig, daß man, wenn man von jedem Arbeitgeber, der ja Beitragseinzugsstelle ist, pünktliche Zahlung verlangt, das auch vom Bund als Beitragszahler verlangen könnte und daß es in der Rentenversicherung auf jede Mark, die pünktlich gezahlt wird, ankommt?
Seehofer, Parl. Staatssekretär: Natürlich kommt es auf eine pünktliche Beitragsentrichtung an. Ich bitte aber, Frau Kollegin, zu sehen, daß — insgesamt betrachtet — auf der einen Seite Minderzahlungen vorhanden sind und daß der Bund auf der anderen Seite zuviel Beiträge entrichtet hat. Es würde sich also automatisch die Frage stellen, ob der Bund dann für die zuviel entrichteten Beiträge auch Guthabenzinsen bekommt.
Es ist, glaube ich, ungewöhnlich, zwischen öffentlichen Kassen in Zinsberechnungen einzutreten, zumal sich hier gar nicht die Frage stellt, weil die Über- und Minderzahlungen sich unter dem Strich aufheben.
Keine weiteren Zusatzfragen? — Danke schön, Herr Staatssekretär. Sie haben damit das Ende Ihres Geschäftsbereiches erreicht.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14255
Vizepräsident Westphal
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Herr Staatssekretär Dr. Knittel ist zur Beantwortung der Fragen anwesend.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die vom Bundesbeamtengesetz vorgesehene Möglichkeit einer Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit — insbesondere bei großen Dienststellen der Deutschen Bundesbahn — für Beamtinnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das 8. Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 30. Juni 1989 hat die rechtlichen Möglichkeiten zu weitergehender Bewilligung von Teilzeitbeschäftigung auch bei der Deutschen Bundesbahn erheblich verbessert.
Im Einzelfall kann über einen Wunsch nach Teilzeitbeschäftigung nur unter Berücksichtigung der betrieblichen Notwendigkeiten der Deutschen Bundesbahn entschieden werden. Die Deutsche Bundesbahn ist aber bemüht, verstärkt Beschäftigungsmöglichkeiten für Teilzeitkräfte auszuweisen. Hierfür werden zur Zeit generelle personalwirtschaftliche Richtlinien erstellt.
Herr Klejdzinski, Zusatzfrage.
Was ist der Inhalt dieser generellen personalwirtschaftlichen Richtlinien?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Diese Richtlinien sollen vor allen Dingen auf die Art der Tätigkeit abstellen. Es hat sich gezeigt, daß es Aufgabenbereiche mit schwankendem Arbeitsaufkommen gibt und daß hierfür die Arbeitsplätze für Teilzeitkräfte besonders geeignet sind. Als plastische Beispiele möchte ich die Fahrkartenausgaben und die Güterabfertigung anführen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Klejdzinski.
Sie sagten in Ihrer Antwort, daß es auf die betrieblichen Erfordernisse ankomme. Kann man das so deuten, daß gelegentlich das Betriebsinteresse höher eingeschätzt wird als das, was der Gesetzgeber wollte?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Abwägung der verschiedenen Interessen ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalles. Es kann sicher sein, daß verschiedene betroffene und entscheidungsbeteiligte Personen im Einzelfall zu unterschiedlichen Urteilen kämen. Ich glaube, wir müssen über den konkreten Fall hier oder anderwärts miteinander sprechen.
Frau Weiler, Sie möchten eine Zusatzfrage dazu stellen? — Bitte schön.
Wir wollten mit diesem Gesetz — das haben alle Fraktionen unterstützt — auch Männern die Möglichkeit geben, zu Hause bei den Kindern Arbeiten zu verrichten.
Nun kennen wir alle die ausgesprochen knappe und problematische Arbeitssituation bei der Deutschen Bundesbahn auch im Bereich von männlichen Tätigkeiten. Wie haben Sie vor dieses Problem zu lösen, um auch Beamten, also Männern, die Möglichkeit zu geben, zu Hause bei ihren Kindern zu bleiben?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, die Tätigkeitsfelder bei der Bundesbahn sind ausgesprochen vielfältig. Ich darf darauf hinweisen, daß sich die Mangelerscheinungen, insbesondere bei einigen Berufstätigkeiten, vor allen Dingen bei den Lokführern, gezeigt haben. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß die Bundesbahn durch das erfreuliche Ereignis der Maueröffnung vom 9. November 1989 zusätzlich verstärkt betroffen worden ist.
Es kommt hinzu, daß wir bei der Bundesbahn durchaus unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse haben. Die Bundesbahn hat aus den bekannten Gründen gewisse Personalbesetzungsschwierigkeiten in den Ballungsräumen. Aus diesen Gründen kann ich Ihnen aus regionaler Sicht und wegen der Tätigkeitsvielfalt nicht eine generelle Antwort geben. Ich kann nur sagen, daß sich die Bundesbahn gerade auch im Rahmen der Ausarbeitung der eben erwähnten Richtlinien bemüht, diesem Willen des Gesetzgebers Rechnung zu tragen.
Ich rufe jetzt die Frage 26 des Abgeordneten Klejdzinski auf:
Trifft es zu, daß beispielsweise im Bereich der Deutschen Bundesbahn , Sozialverwaltung Nord, Münster, Wartelisten geführt werden, woraus zu schließen ist, daß die DB nicht so sehr daran interessiert ist, Arbeitsplätze zu teilen, um Frauen weiterhin eine Mitarbeit zu ermöglichen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Knittel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es trifft nach unseren Erkundigungen nicht zu, daß bei der Sozialverwaltung Nord der Deutschen Bundesbahn in Münster Wartelisten über an einer Teilzeitbeschäftigung interessierte Mitarbeiterinnen geführt werden. Die Sozialverwaltung Nord hat nach unseren Informationen im Gegenteil bisher allen Mitarbeiterinnen ihrer Dienststelle, die eine Teilzeitbeschäftigung anstrebten, einen Einsatz auf entsprechenden Arbeitsplätzen ermöglicht. Zur Zeit werden bei der Sozialverwaltung Nord 27 Mitarbeiterinnen teilzeitbeschäftigt.
Herr Klejdzinski, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat man bei der Bundesbahn auch überlegt, neue Teilzeitarbeitsplätze einzuführen bzw. einzurichten, indem man Vollzeitplätze teilt?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Die Bundesbahn hat ausdrücklich die Beschäftigung von zwei Teilzeitkräften auf einem Dienstposten, und zwar auch Beförderungsdienstposten, sowie von drei Teilzeitkräften auf zwei Dienstposten zugelassen.
Eine Zusatzfrage, Frau Weiler, bitte schön.
14256 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989
Kurz eine Nachfrage: Bis wann können wir denn damit rechnen, daß die Bundesbahn diese Richtlinien, diese Verwaltungsvorschriften ausgearbeitet hat, von denen Sie eben sprachen?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Ich finde in meinen Unterlagen die Formulierung: „Sie steht bevor" . Es steht nicht unmittelbar bevor. Ich bin gern bereit, Ihnen das Datum schriftlich mitzuteilen, von dem wir ausgehen.
Wir kommen zu Frage 27 des Abgeordneten Dr. Abelein. — Er ist nicht im Raum. Seine Fragen 27 und 28 werden entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 29 der Abgeordneten Frau Würfel auf :
Unterstützt die Bundesregierung die Richtlinie der EG-Kommission, die ab 1. Juli 1990 die Einführung eines einheitlichen „Europa-Führerscheins" für alle EG-Bürger vorsieht, wobei jedoch der Kreis der insulinspritzenden Diabetes-Patienten von der Erteilung einer Fahrerlaubnis ausgeschlossen sein soll?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Knittel, Staatssekretär: Der Vorschlag der EG-Kommission, Frau Abgeordnete, für eine Richtlinie des Rates über den Führerschein vom 13. Januar 1989 enthält keine Bestimmung, nach der insulinspritzende Diabetespatienten generell keine Fahrerlaubnis erhalten sollen. Sie sollen lediglich vom Erwerb der Fahrerlaubnis der Klassen C für Lkw — das entspricht unserer Klasse 2 — und D für Kraftomnibusse — das enspricht der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung für Kraftomnibusse — grundsätzlich ausgeschlossen sein. Eine Fahrerlaubnis der Klassen B für Pkw und A für Krafträder können sie erhalten, sofern sie ein entsprechendes ärztliches Gutachten vorlegen und sich regelmäßigen ärztlichen Kontrollen unterziehen.
Diese Regelung entspricht den Grundsätzen des Gutachtens „Krankheit und Kraftverkehr".
Frau Würfel, eine Zusatzfrage.
Das heißt also, daß nach dieser EG-Richtlinie in der Tat ab 1990 Busfahrer von dem Erwerb einer Fahrerlaubnis ausgeschlossen werden sollen. Ich darf Sie fragen, ob die Bundesregierung dies für gerechtfertigt hält und dafür Sorge tragen oder Einfluß nehmen wird, daß diese EG-Richtlinie nachher in nationales Recht umgesetzt wird.
Dr. Knittel, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich darf darauf hinweisen, daß hier zunächst Sachverständigenuntersuchungen zugrunde liegen. Die EG hat sich verschiedener Sachverständiger aus verschiedenen Ländern bedient, auch Sachverständiger der Bundesanstalt für Straßenwesen.
Ich darf bezüglich der insulinspritzenden Bewerber, hier Diabetespatienten, darauf hinweisen, daß in dem Vorschlag bei den Diabetespatienten verschiedene Fälle unterschieden werden. Gerade der insulinspritzende Diabetespatient ist als für diese Sicherheitsfrage besonders empfindlich eingestuft worden. Ich kann nur sagen: Bei der Beratung werden die Themen noch einmal vertieft werden.
Im übrigen muß ich auch darauf hinweisen, daß dieser EG-Richtlinienvorschlag der heute geltenden Rechtslage der Bundesrepublik entspricht.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Nein.
Dann rufe ich die Frage 30 der Abgeordneten Frau Würfel auf:
Wenn ja, welche Gründe sprechen nach Auffassung der Bundesregierung dafür, eine solche Regelung EG-weit einzuführen, obwohl nach dem bundesdeutschen Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr" die Erteilung einer Fahrerlaubnis an insulinspritzende Diabetes-Patienten bei verantwortungsvoller Beachtung ärztlicher Anweisungen gerechtfertigt ist und obwohl die bundesdeutschen Verkehrs- und Verkehrsunfallstatistiken keinerlei besondere Auffälligkeit von insulinspritzenden Diabetes-Patienten im Straßenverkehr aufweisen?
Herr Staatssekretär.
Dr. Knittel, Staatssekretär: Wie ich in der Antwort eben schon erläutert habe, enthält der Richtlinienentwurf keinen grundsätzlichen Ausschluß insulinspritzender Diabetespatienten für alle Führerscheinklassen. Er enthält nur den grundsätzlichen Ausschluß bei Lkw und personenbefördernden Omnibussen.
Haben Sie Zusatzfragen, Frau Würfel? — Bitte schön.
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß das in der Bundesrepublik erstellte Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr", das eine Erteilung einer Fahrerlaubnis an insulinspritzende Diabetespatienten nicht ausschließt, sondern als gerechtfertigt ansieht — offensichtlich dann auch für Busfahrer — und sein Ergebnis in Ihre Beratungen einfließen wird und daß Sie dann unter Umständen zu einer anderen Auffassung gelangen könnten, als dies in der EG-Richtlinie vorgesehen ist?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Nein, ich habe gesagt und auch sagen wollen, daß die Sachverständigen u. a. aus der Bundesrepublik Deutschland, die der EG-Kommission bei der Ausarbeitung der Richtlinien zur Verfügung gestanden haben, diese Auffassung vertreten haben, die im übrigen der geltenden Rechtslage entspricht. Es gibt also insofern keinen Meinungsunterschied zwischen der Bundesregierung, konkret dem Bundesverkehrsminister, und der Kornmission bzw. deren Sachverständigen.
Sie haben eine letzte Zusatzfrage. Bitte schön, Frau Würfel.
Da sich dies nicht mit den mir gegenüber gemachten Angaben deckt, möchte ich Sie fragen, ob ich an die gutachterlichen Aussagen herankommen kann, um zu erfahren, wer sie gemacht hat?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Das kann ich Ihnen gerne mitteilen.
Die Frage 31 des Kollegen Wüppesahl soll auf Wunsch des Fragestellers schrift-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14257
Vizepräsident Westphal
lieh beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Der Parlamentarische Staatssekretär Grüner steht zur Beantwortung zur Verfügung. — Ich bekomme soeben die Mitteilung, daß nicht nur Frau Hämmerle bei ihren Fragen 32 und 33, sondern auch Herr Diller bei seinen Fragen 34 und 35 um schriftliche Beantwortung gebeten haben. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann haben Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, zwar nicht umsonst, aber vergeblich hier gesessen.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation. Herr Staatssekretär Florian ist zur Beantwortung der Fragen bei uns.
Herr Roth ist nicht im Raum. Seine Fragen 36 und 37 werden entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Dann rufe ich die Frage 38 des Abgeordneten Pauli auf :
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Bundespost dem Vernehmen nach zur Errichtung eines zentralen Paketamtes in Mainz größeren Grunderwerb tätigt, und welche Konsequenzen ergeben sich für die Arbeitsplätze im Raum Koblenz/Trier und die am Bahnhofsvorplatz in Koblenz geplanten Baumaßnahmen zur Erweiterung der hier angesprochenen Postdienste?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Frage des Herrn Abgeordneten Pauli darf ich sagen: Es ist richtig, daß zur Zeit Voruntersuchungen laufen, ob durch eine Zentralisierung des Kleingutdienstes in Mainz die Betriebsergebnisse für den Raum Mainz/Koblenz/ Trier unter Aufrechterhaltung der Dienstgüte verbessert werden können.
Die Untersuchungen haben gerade begonnen; sie sind nicht abgeschlossen. Ich kann ein Ergebnis im Moment nicht mitteilen. Deswegen kann selbstverständlich im Moment auch noch nicht über den hier in Rede stehenden Grunderwerb in Mainz entschieden werden, auch nicht über etwaige Auswirkungen auf das Personal.
Die Bauplanungen, die sich daraus eventuell auf das Postamt Koblenz und die hier nachgefragten Arbeitsplätze ergeben, können zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht übermittelt werden.
Vielleicht darf ich der Vollständigkeit halber sagen, daß die Initiative für diesen Grunderwerb eigentlich nicht von der Bundespost ausgegangen ist. Vielmehr ist das Grundstück uns von der Deutschen Bundesbahn als zur Zeit verfügbar angeboten worden. Daß wir darauf Voruntersuchungen erstrecken, ist eine selbstverständliche Reaktion. Das gilt insbesondere für den Bereich des Kleingutdienstes, Herr Abgeordneter, von dem hinlänglich bekannt ist, daß er hochgradig kostenuntergedeckt ist, wie ein kürzlich bekanntgewordenes Gutachten unseres wissenschaftlichen Instituts erneut erwiesen hat.
Aber Fazit: Es sind Voruntersuchungen. Aussagen können zur Zeit noch nicht gemacht werden.
Herr Pauli, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Ihnen bekannt ist, daß die Bauplanung zur Erweiterung des Postamtes in Koblenz gerade für diese Dienste unmittelbar abgeschlossen ist und die Baumaßnahme bevorsteht, frage ich Sie, ob Sie Vorsorge getroffen haben bzw. ob Sie einen Zeitpunkt angeben können, wann die Ergebnisse vorliegen, in welche Richtung sie gehen und ob die Befürchtungen, die ich zum Ausdruck gebracht habe, in einer Größenordnung von 80 Arbeitsplätzen und der Reduzierung des Bauvorhabens — das hängt ja mit dem ganzen Bahnhofsvorplatz zusammen — zu einer neuen Überlegung jetzt schon Anlaß geben.
Dr. Florian, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, neue Überlegungen sind zur Zeit noch nicht angestellt worden. Das ist im jetzigen Stadium der Voruntersuchungen — ich wiederhole mich — noch nicht möglich.
Ich greife aber Ihre Frage insofern auf, als ich Ihnen sage: Zur Zeit sind noch keine Maßnahmen getroffen, um etwa die vorgesehenen Baumaßnahmen in Koblenz zu stoppen. Ich werde dafür Sorge tragen, daß die Voruntersuchungen in Mainz beschleunigt durchgeführt werden. Ich würde mir auch gerne erlauben, Ihnen persönlich eine Information über das Ergebnis zukommen zu lassen.
Darf ich ergänzend fragen, Herr Staatssekretär, ob es auch möglich sein kann, daß diese Maßnahmen nicht durchgeführt werden, daß es bei der derzeitigen Situation in Koblenz verbleibt?
Dr. Florian, Staatssekretär: Das ist innerhalb der Alternativen ebenfalls durchaus denkbar. Wir haben vor einiger Zeit — ich kann den Zeitraum nicht genau angeben — ja auch schon einmal die Frage der Verlagerung des Paketdienstes von Mainz nach Wiesbaden geprüft; vielleicht wissen Sie das. Damals sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß unter ökonomischen Aspekten diese Maßnahme nicht tunlich ist. Ich halte es keineswegs für ausgeschlossen, daß das Ergebnis diesmal dasselbe sein wird.
Herr Dr. Florian, wir haben den Abgeordneten Roth in dem Moment in den Raum kommen sehen, als die andere Frage aufgerufen war. Die Kulanzregelung habe ich heute schon einmal angewendet. Ich muß ihr also auch jetzt folgen. Insofern bitte ich Sie, zu den Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Roth zurückzublättern und zuerst die Frage 36 von Herrn Roth zu beantworten:
Wann wird die Bundesregierung mit der DDR in Verhandlungen treten, um den Empfang der DDR-Fernsehprogramme bundesweit zu ermöglichen, und hält sie es für angebracht, in diesem Punkt von sich aus initiativ zu werden?
Dr. Florian, Staatssekretär: Herr Präsident, ich darf fragen, ob Herr Abgeordneter Roth damit einverstan-
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Staatssekretär Dr. Florian
den ist, daß ich die beiden Fragen zusammen beantworte.
Er ist einverstanden. Dann rufe ich auch noch die Frage 37 des Abgeordneten Roth auf:
Welche Hilfen wirtschaftlicher Art kommen für die Bundesregierung in Betracht, um es der DDR zu ermöglichen, ihre Fernsehprogramme per Satellit ausstrahlen zu können, und passen diese Überlegungen in den Zusammenhang der Zusammenarbeit mit der DDR in bezug auf einen möglichst baldigen umfassenden Ausbau der Fernsprechverbindungen mit der DDR und des Telefonnetzes der DDR?
Dr. Florian, Staatssekretär: Dies ist eine sehr aktuelle Frage. Ich darf von gestern her einleitend zitieren, Herr Abgeordneter, daß die Vereinbarung, die die beiden Minister gestern in Berlin getroffen haben, auf folgendes hinausläuft:
Beide Seiten sind daran interessiert, die Fernsehprogramme der jeweils anderen Seite bei sich empfangbar zu machen. Die technischen Möglichkeiten sollen in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe geprüft werden. Die sonst hiermit zusammenhängenden Fragen, wie medienpolitischer und finanzieller und urheberrechtlicher Art, sollen von den zuständigen Stellen außerhalb der Postverwaltungen geprüft werden.
Ich habe das als Fazit der gestrigen Besprechungen kurz dargestellt, darf aber noch ergänzend sagen, Herr Abgeordneter Roth, daß wir heute ja schon entlang der Grenze die Situation haben, daß die ortsüblich empfangbaren DDR-TV-Programme eingespeist werden. Die Zahl derjenigen Breitbandteilnehmer, die diese Einspeisung erfahren, liegt bei leicht über 2 Millionen.
Eine darüber hinausgehende Heranführung von DDR-Fernsehprogrammen würde nur über eine Satellitenausstrahlung möglich sein. Die DDR-Fernsehprogramme werden zur Zeit nicht über Satellit verbreitet.
Die andere Art der Einspeisung, d. h. die Heranführung über Richtfunklinien oder über Kabel, würde nicht nur einen sehr hohen zeitlichen Aufwand, sondern auch einen besonders hohen finanziellen Aufwand erfordern. Bis jetzt ist das nicht üblich, sondern Verbreitungen dieser Art erfolgen regelmäßig über Satellit.
Deshalb gingen auch die Besprechungen auf die Frage hinaus, ob eine Verbreitung über Satellit möglich ist. In den Vorbesprechungen am Samstag der vergangenen Woche mit meinem Kollegen in Ost-Berlin war deutlich, daß das Interesse auf seiten der Postverwaltung besteht, daß aber eine Reihe von rechtlichen Fragen, bis hin zu urheberrechtlichen Fragen, geklärt werden muß.
Sofern die DDR ihre Programme über einen Rundfunksatelliten abstrahlen läßt, wie wir ihn zur Zeit in Westeuropa beim TV-Sat haben, wäre der Empfang urheberrechtlich unproblematisch. Da aber damit nicht zu rechnen ist, sondern damit, daß das allenfalls über einen Fernmeldesatelliten geschieht, müßten ein entsprechender Empfang und eine entsprechende
Verbreitung vorgesehen werden. Das müßte angesichts der Kanalsituation sicherlich auch mit den Bundesländern besprochen werden.
Noch eine besondere Bemerkung, Herr Abgeordneter: Durch die Übernahme von Programmteilen des DDR-Fernsehens in vorhandene Programme — beispielsweise ARD oder ZDF — könnte natürlich sofort — das geschieht, soweit ich weiß, ja auch täglich durch die „Aktuelle Kamera" — bundesweit eine flächendeckende Versorgung erreicht werden. Das ist dann aber nicht das Problem der Bundespost, sondern ein Problem der derzeitigen Programmanbieter.
Wir haben — ich erwähne das abschließend noch einmal — eine Arbeitsgruppe für die Prüfung dieser Fragen eingesetzt. Sie wird sehr rasch arbeiten, so daß ich denke, daß wir in dieser Frage in Kürze mehr und Weitergehendes sagen können.
Herr Roth, eine Zusatzfrage.
Stimmen Sie mir zu, daß es schon notwendig wäre, daß der Herr Bundespostminister bereit ist — ich meine ihn jetzt auch als Person — , die Kreativität, die er eingesetzt hat, um die neuen Medien in der Bundesrepublik überhaupt durchzusetzen, jetzt auch einzusetzen, um uns schnell mit dem DDR-Programm zu versorgen, das auf Grund der Informationssituation für uns — damit meine ich die Bürger der Bundesrepublik — besonders wichtig geworden ist?
Dr. Florian, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich stimme Ihnen zu, darf Ihnen aber versichern, daß genau die gleiche Kreativität ein wesentlicher Anlaß für die Erörterung dieser Fragen mit dem DDR-Postminister Wolf gestern gewesen ist.
Herr Roth, eine weitere Zusatzfrage.
Stimmen Sie mir zu, daß finanzielle Probleme in dem Zusammenhang — das würde vom Betrag her ja nur ein Minimum dessen ausmachen, was beispielsweise die Verkabelung den deutschen Steuerzahler bisher gekostet hat — keine Rolle spielen dürften?
Dr. Florian, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, einen Überblick über die Frage, wieweit hier finanzielle Probleme eine Rolle spielen, haben wir noch nicht, weil wir noch gar nicht wissen, in welchem Maße die DDR von sich aus Programme anbietet. Wenn es aber um die Zurverfügungstellung eines Statellitenkanals geht, läge die Kostenobergrenze bei 12 bis 20 Millionen DM. Darüber wird dann mit Sicherheit zu sprechen sein.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Roth.
Können Sie uns sagen, wieviel die Verkabelung den Steuerzahler bisher gekostet hat?
Die Zusatzfrage kann ich nicht zulassen. Das ist von Ihnen in einen Zusammen-
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Vizepräsident Westphal
hang gebracht worden, steht aber nicht im Zusammenhang mit Ihren eingereichten Fragen.
Weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 53 der Abgeordneten Frau Weiler auf:
Kann die Bundesregierung die Gründe dafür benennen, weshalb sie die von ihr gegründete Arbeitsgemeinschaft zur kulturellen Integration der Aussiedler und Aussiedlerinnen in die Zuständigkeit der Deutschen Ausgleichsbank gelegt hat?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Weiler, die von der Bundesregierung angeregte Arbeitsgruppe zur kulturellen Integration hat bereits zweimal, und zwar am 31. Juni und 26. September 1989, getagt. Zur Zeit wird ein Rohkonzept zur Bestandsaufnahme durchgeführter und vorgeschlagener Maßnahmen zur kulturellen Integration als Grundlage für eine Modellentwicklung erstellt.
Zunächst war daran gedacht, die Leitung der Arbeitsgruppe dem Haus des Deutschen Ostens in Düsseldorf zu übertragen.
Wegen seiner vorwiegend auf das Land NordrheinWestfalen bezogenen Aufgaben hat das Haus des Deutschen Ostens hiervon Abstand genommen.
Die Leitung der Arbeitsgruppe wird nunmehr vom Präsidenten des West- Ost-Kulturwerks übernommen. Dieses Kulturwerk ist eine Einrichtung, deren Aufgabe es ist, mit kulturellen Mitteln im Geiste der Humanität, der Verständigung und damit dem Frieden zu dienen. Präsident Dr. Althammer ist gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Ausgleichsbank. Hiergegen hat sich in der Arbeitsgruppe kein Widerspruch erhoben.
Frau Weiler, eine Zusatzfrage, bitte schön.
Ich möchte erst noch meine Frage 54 beantwortet haben.
Dann rufe ich Frage 54 der Abgeordneten Frau Weiler auf.
Welche Gründe kann die Bundesregierung dafür anführen, daß sie die Überlegungen des Deutschen Kulturrats zur kulturellen Integration der Aussiedler und Aussiedlerinnen nicht berücksichtigte und das Koordinierungspotential des Deutschen Kulturrats bisher nicht nutzt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das Bundesministerium des Innern hat das Angebot des Deutschen Kulturrates aufgegriffen, seine Erfahrungen und die Möglichkeiten seiner Mitgliedsverbände zur Mithilfe bei der kulturellen Integration der Aussiedler für
diese Arbeitsgruppe zu nutzen. Dementsprechend ist der Deutsche Kulturrat in der Arbeitsgruppe durch Herrn Professor Tetzner vertreten. Er wirkt dort bei der zunächst in Angriff genommenen Bestandsaufnahme bereits praktizierter wie auch vorgeschlagener Maßnahmen, zu denen selbstverständlich auch die Überlegungen des Deutschen Kulturrates gehören, mit. Der Deutsche Kulturrat kann und sollte in seinem eigenen Bereich — dabei handelt es sich um etwa 170 Mitgliedsorganisationen — koordinierend tätig werden. Eine Gesamtkoordinierung aller bei der kulturellen Integration Beteiligten ist nicht sinnvoll und würde auch zu einer unnützen Bürokratie führen. Bei der Tätigkeit der Arbeitsgruppe geht es weniger um Koordinierung als um die Entwicklung von Anregungen, Vorschlägen und Modellen, deren Umsetzung von den beteiligten Stellen zu veranlassen wäre.
Darf ich einen Moment unterbrechen.
Wenn die Kollegen einverstanden sind und mit mir die Geschäftslage überblicken, bin ich bereit, den Geschäftsbereich zu Ende zu führen. Die paar Fragesteller können wir noch drannehmen und können dadurch morgen dem Plenum einige Zeit sparen. Wollen wir das machen? — Ich stelle Einverständnis fest.
Frau Weiler zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade ausgeführt, welche Koordinierungs- und Gestaltungsmöglichkeiten dieser Beirat hat. Ich hätte gern noch einmal gewußt, ob auch bei der Programmgestaltung ein realer Einfluß vorhanden ist oder ob er nur koordinierend und in kreativer Weise vorgesehen ist.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein, Frau Kollegin Weiler. All die Mitglieder, all die Verbände, Organisationen, Bund, Länder und Gemeinden, die mit in dieser Arbeitsgruppe tätig sind, haben die Möglichkeit in dem Sinne, wie ich sagte, nach der Bestandsaufnahme auch bei Anregungen und dem Vorschlag von Modellen mitzuwirken. Das heißt, jedes Mitglied, u. a. auch der Kulturrat, hat diese Möglichkeit. Die Arbeitsgruppe berät und wird dann entscheiden.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Duve.
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns sagen, von welcher grundsätzlichen Absicht sich die Bundesregierung leiten läßt, wenn sie von der kulturellen Integration der Menschen, die aus Osteuropa als Deutschstämmige zu uns kommen, spricht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Kulturelle Integration bedeutet, daß sie mit der Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland eine Betreuung erfahren, die ihnen sowohl die kulturelle Integration in der Bundesrepublik Deutschland als auch die Erhaltung ihrer kulturellen Identität, mit der sie hier hergekommen sind, ermöglicht.
Jetzt kommen die Zusatzfragen zu Frage 54 der Abgeordneten Frau Weiler. Bitte, Frau Weiler.
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Ich möchte an meine vorige Frage anschließen. Halten Sie in diesem Gremium die Tätigkeit eines Pädagogen oder eines Soziologen nicht für sinnvoller als z. B. eines Historikers?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist ein Komplex, der dann in einer weiteren Frage angeschnitten wird. Ich darf Ihnen sagen, es ist sicherlich notwendig, daß ein wissenschaftlich ausgebildeter Mitarbeiter bei der wissenschaftlichen Betreuung der Arbeit eingesetzt wird. Welchem Berufsstand er letztlich angehören wird, ist bisher nicht entschieden. Insbesondere ist auch nicht seitens des BMI beispielsweise ein Historiker programmiert. Die Arbeitsgruppe soll dann entscheiden, was sie unter dem Kriterium „wissenschaftlicher Mitarbeiter" als sinnvoll und nützlich empfindet.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 55 und 56 des Abgeordneten Sielaff müssen entsprechend der Geschäftsordnung behandelt werden, weil er nicht im Raum ist.
Ich rufe Frage 57 des Abgeordneten Duve auf:
Hat die Bundesregierung durch die Auswahl der Mitglieder sichergestellt, daß sich die Arbeitsgemeinschaft zur kulturellen Integration der Aussiedler und Aussiedlerinnen tatsächlich um die Integration in das Leben der Bundesrepublik Deutschland und nicht um Maßnahmen der Brauchtumspflege kümmert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, in der Arbeitsgruppe sind Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände, Verbände der freien Wohlfahrtspflege und des Bundes der Vertriebenen, der Deutsche Kulturrat sowie weitere Verbände und Einrichtungen der Jugend-, Kultur- und Bildungsarbeit vertreten. Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe gewährleistet, daß alle notwendigen Gesichtspunkte bei der Entwicklung von Maßnahmen zur kulturellen Integration der Aussiedler berücksichtigt werden.
Zusatzfrage, Herr Duve.
Herr Staatssekretär, ich wiederhole meine Frage: Können Sie uns und damit auch der deutschen Öffentlichkeit sagen, welcher der beiden von Ihnen eben genannten Gesichtspunkte denn wirklich Vorrang hat, von welchem Gesichtspunkt Sie sich leiten lassen, wenn diese Menschen zu uns kommen? Sie haben soeben zwei Gesichtspunkte genannt: zum einen den Blick rückwärts, dahin, woher man kommt, und zum anderen den Blick vorwärts, dahin, wohin man geht. Was hat Priorität? Was ist nach Meinung der Bundesregierung für diese Menschen nun wirklich wichtig?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, ich möchte hier keine Prioritätssetzungen vornehmen. Das ist eine Sache, die insgesamt im Rahmen der Arbeitsgruppe mit den entsprechenden Sachverständigen zu diskutieren sein wird. Deswegen ist die Arbeitsgruppe ja installiert worden. Die Bundesregierung möchte der Arbeitsgruppe keine Prioritäten vorgeben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Duve.
Gibt es, Herr Staatssekretär, zur kulturellen Integration der Menschen, die aus Osteuropa und damit aus ganz anderen staatlichen Konstruktionen und Lebensformen hier in die offene Demokratie kommen — ich stelle das hier fragend fest — , keine Leitlinie, nach der sich die Bundesregierung für diese Aufgabe leiten läßt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, es ist nicht Sache der Bundesregierung, ein Konzept zu entwerfen, wenn sie eine Arbeitsgruppe mit einer Reihe von Sachverständigen hat, die zu diesem Zweck berufen worden sind.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Duve auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß der im Haushaltstitel für ostdeutsche Kulturarbeit aufgeführte Betrag von 1 Million DM tatsächlich für die Integration der Aussiedler und Aussiedlerinnen in das kulturelle Leben der Bundesrepublik Deutschland und nicht für Maßnahmen der Brauchtumspflege ausgegeben wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Mittel für die kulturelle Integration von Aussiedlern und Aussiedlerinnen werden verwaltungsintern nicht als Mittel der ostdeutschen Kulturarbeit, sondern gesondert als zweckgebundene Sondermittel verwaltet und ausgegeben.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, warum diejenigen Organisationen, die, um in meinem Bilde zu bleiben, den Blick nach hinten, in die historischen Erinnerungen tun, so vorrangig mit der Betreuung der Aussiedler betraut sind, während der zweite Gesichtspunkt, der Blick nach vorn, die Integration in unsere demokratisch-offene Gesellschaft, von realtiv wenigen Organisationen wahrgenommen wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, ich glaube, daß man beides nicht so definieren und bezeichnen kann, wie Sie es taten. Der Blick nach hinten ist nach meiner Einschätzung nicht mit einem negativen Touch zu versehen.
Es ist vielmehr ein Blick auf die Realität einer gelebten Kultur, die diese Menschen erst vor kurzem hinter sich gelassen haben. Niemand wird ihnen zumuten, daß sie, wenn sie in die Bundesrepublik Deutschland kommen, diese Kultur sozusagen zu den Akten legen. Wir müssen sie pflegen, wie wir das bei den Vertriebenen seit vielen Jahren und Jahrzehnten mit großem Erfolg auch im Interesse der Bürger der Bundesrepublik Deutschland getan haben, und sie in gleicher Form in die Kultur der Bundesrepublik Deutschland integrieren. Ich sehe keine Schwierigkeiten, das miteinander in Einklang zu bringen.
Noch eine Zusatzfrage.
Sie sehen, Herr Staatssekretär, also keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Menschen, die vor 40 oder 45 Jahren vertrieben worden
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1989 14261
Duve
sind, und den Menschen, die jetzt als Aussiedler auf eine ganz andere Weise in die Bundesrepublik kommen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sehe vor allem keinen Zusammenhang mehr mit der zuvor gestellten Frage.
Sie haben soeben selber gesagt: „die Vertriebenen". Ich habe Ihr Wort genommen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Frage, die Sie jetzt neu konstruieren, sehe ich nicht mehr im Zusammenhang mit Ihrer ersten Frage.
Frau Weiler möchte noch eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, können wir davon ausgehen, daß Ihr Ministerium vor Ort Modellprojekte fördert, die sich diesen Menschen engagiert annehmen, z. B. Volkshochschulen und ähnliche Organisationen, die Modelle und Möglichkeiten der Integration in Ihrem Rahmen aufzeigen, und zwar sozusagen als zweites Bein zu der doch sehr rigiden Finanzierung durch die Bundesanstalt für Arbeit?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Weiler, Sie wissen, daß der Finanztopf, der der Arbeitsgruppe für diese Aufgabe zur Verfügung steht, relativ klein ist: 500 000 DM, 1 Million DM im nächsten Jahr. Sofern die Arbeitsgruppe auf Grund der Anregungen der Mitglieder dieser Arbeitsgruppe zu der Überzeugung kommt, daß die Förderung der von Ihnen bezeichneten Modelle sinnvoll ist, wird sich die Arbeitsgruppe im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten sicher auch dafür entscheiden.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weiler.
Herr Staatssekretär, gibt es etwas konkretere Vorstellungen der Bundesregierung über die Anwendung dieser Mittel? Sehen nicht auch Sie diese Arbeitsgemeinschaft nicht als selbständige Einheit, sondern als eine Gruppe, die im Auftrage der Bundesregierung und mit ihrer Finanzierung im Sinne einer Integration tätig sein soll?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es gibt natürlich, Frau Kollegin, eine Reihe von Maßnahmen, die schon in der Vergangenheit von der Bundesregierung — direkt und über Länder und Gemeinden — entsprechend gefördert und unterstützt worden sind. Bloß, wir wollen jetzt noch nach zusätzlichen Möglichkeiten über das bereits Geschehene hinaus suchen. Dem soll sich diese Arbeitsgruppe nach einer entsprechenden Bestandsaufnahme, um Überschneidungen zu vermeiden, widmen, und sie soll die entsprechenden Entscheidungen treffen. Die Bundesregierung wird, da sie in dieser Gruppe mitarbeitet, Ihre Überlegungen oder Anregungen aus dem parlamentarischen Raum in diese Entscheidungen gern mit einbeziehen.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Graf auf:
Welche dienstlichen Veränderungen bei der Überwachung der innerdeutschen Grenze vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich mehr als 50 neu eröffneten Grenzübergänge haben sich für Bundesgrenzschutz und Zoll ergeben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Graf, Bundesgrenzschutz und Zollverwaltung sorgen dafür, daß die Überprüfungen an den Übergangsstellen reibungslos und ohne Wartezeiten abgewickelt werden. Das Personal des zuständigen Grenzschutzamtes Braunschweig ist in erforderlichem Umfang verstärkt bzw. durch Kräfte der BGS-Verbände unterstützt worden. An der sogenannten Grünen Grenze wird darauf geachtet, daß unüberlegte Handlungen von Besuchern und Grenzgängern wie Diebstähle von Grenzmarkierungen und Nichtbeachtung des Grenzverlaufs vermieden werden.
Zusatzfrage, Herr Graf.
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund der doch sehr erheblichen Veränderungen — zum einen an der Westgrenze, was den Binnenmarkt angeht, zum anderen im Verhältnis zur DDR — scheint der Bundesgrenzschutz, bezogen auf seine ursprüngliche Funktion, heute nicht mehr die Aufgaben zu besitzen, die einmal Ausgangslage des Bundesgrenzschutzgesetzes waren. Welche Überlegungen stellt die Bundesregierung an, um der veränderten Situation in beiden genannten Bereichen gerecht zu werden? Denkt sie daran, neue Aufgaben zu übertragen, oder denkt sie an eine Umstrukturierung oder etwas ähnliches?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Sie haben, Herr Kollege Graf, hier sehr geschickt eine ganz andere Dimension mit ins Spiel gebracht. Ich habe in meiner Antwort versucht, die Frage der Überwachung der deutschen Grenze im Rahmen der aktuellen Lage zu beschreiben. Was die Frage angeht, inwieweit sich auf Grund der Entwicklungen dann auch perspektivisch Veränderungen von der eigentlichen Zielsetzung des BGS ableiten lassen, auch in dem Sinne, wie Sie es im Innenausschuß sicherlich schon mehrfach diskutiert haben, bitte ich um Verständnis, wenn ich dazu heute noch keine Perspektiven eröffnen möchte.
Dann rufe ich die Frage 60 des Abgeordneten Graf auf:
Welche fürsorgerischen Maßnahmen plant die Bundesregierung für die betroffenen Mitarbeiter angesichts des zu erwartenden starken Reiseverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zur Weihnachtszeit?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die besonderen Belastungen der Bediensteten während der Weihnachts- und Neujahrszeit sollen durch spezielle Dienstpläne unter Berücksichtigung persönlicher Bedürfnisse möglichst gerecht verteilt werden. Die Erschwernisse der zu den neuen Übergängen abgestellten Beamten des Grenzschutzeinzeldienstes werden im übrigen durch eine außerordentlich kurz bemes-
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Parl. Staatssekretär Spranger
sene Abordnungszeit von nur drei Wochen wesentlich gemildert.
Zusatzfrage, Herr Graf.
Herr Staatssekretär, wie erfolgt die Abfindung, wie erfolgt die Berücksichtigung der veränderten Dienstzeiten? Denn ich gehe davon aus, daß die Beamten, die aus bestimmten Standorten kommen, jetzt ihre Dienstorte an den verschiedenen Grenzübergängen erreichen müssen. Erfolgt eine Berücksichtigung der Anfahrt und Rückfahrt zu den Standorten, wird das bei der Dienststundenberechnung entsprechend berücksichtigt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte um Verständnis, wenn ich das jetzt nicht aus dem Stand beantworten kann. Ich bin gerne bereit, es Ihnen schriftlich nachzureichen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann kommen wir zur Frage 61 der Abgeordneten Frau Dr. Sonntag-Wolgast:
In welcher Form wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Kontrolle des Grenzverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR wahrgenommen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Behörden des Bundesgrenzschutzes sind angewiesen, die grenzpolizeiliche Abfertigung des Reiseverkehrs an den Übergängen zur DDR nach den Modalitäten des Kontrollverfahrens ohne Wartezeiten durchzuführen. Das bedeutet, daß im Regelfall nur eine Sichtkontrolle der die Grenze überquerenden Personen stattfindet. Dieser Grundsatz wird an den neuen Übergangsstellen besonders großzügig angewandt, an denen nahezu ausschließlich Deutsche ein- und ausreisen.
Zusatzfrage, Frau Dr. Sonntag-Wolgast.
Können Sie, Herr Staatssekretär, den personellen Mehraufwand bzw. die Mehrbelastungen im Zusammenhang mit den aktuellen Aufgaben des Bundesgrenzschutzes an der innerdeutschen Grenze auch beziffern?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ohne mich auf die Zahl festlegen zu können, gehe ich davon aus, daß jetzt etwa 60 Leute aus dem Grenzschutzeinzeldienst, abgezogen von acht Grenzschutzämtern, zusätzlich an der Grenze zur DDR zur Verfügung stehen, plus etwa 65 Beamte aus den BGS-Verbänden.
Keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 62 des Abgeordneten Stiegler soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Pauli auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den jahrelangen Bemühungen zu entsprechen und die im Schichtdienst beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bundespost und der
Deutschen Bundesbahn in die Erschwerniszulagenverordnung aufzunehmen und die Zulagen den Sätzen anzupassen, wie sie für Polizei, Feuerwehr und Pflegedienst vorgesehen sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pauli, die bei Bahn und Post beschäftigten Bediensteten sind bereits jetzt von der Zulagenregelung über die Abgeltung des Dienstes zu ungünstigen Zeiten erfaßt. Der Entwurf einer 4. Verordnung zur Änderung der Erschwerniszulagenverordnung sieht bezüglich der Höhe der Zulage für den Betriebs- und Verkehrsdienst bei Bahn und Post eine Gleichstellung mit dem Polizeivollzugsdienst vor.
Zusatzfrage, Herr Pauli.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wann die Regelungen der neuen Verordnung zur Änderung der Erschwerniszulagenverordnung wirksam werden, konkret: ab wann die Betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Zahlungen erhalten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pauli, nach meinen Informationen soll die 4. Verordnung in der nächsten Woche im Kabinett behandelt werden. Es gibt noch gewisse Abstimmungsprobleme in bezug auf Wachdienst. Ich hoffe, daß die bald bereinigt werden und daß die Verordnung wie geplant in Kraft gesetzt werden kann.
Noch eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Pauli.
Herr Staatssekretär, wie war es geplant, ab welchem Zeitpunkt? Würden Sie mir auch sagen, warum es so schwer gewesen ist, Bahn und Post in diesen Bereich hineinzubekommen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das war nicht schwer. Das war nicht das Problem, weswegen es eine Verzögerung gegeben hat. Das Problem des Wachdienstes war es vielmehr, das in den Ressorts noch diskutiert wird. Ich kann Ihnen jetzt nicht den genauen Zeitpunkt sagen. Auch darüber würde ich Sie informieren. Das hängt auch davon ab, wann die Verordnung durchs Kabinett geht.
Die Fragen 64 des Abgeordneten Wüppesahl sowie 65 und 66 des Abgeordneten Fellner sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. Dezember 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.