Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, gestern nachmittag erreichte uns die Nachricht, daß der ehemalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger im Alter von 83 Jahren in der Tübinger Universitätsklinik verstorben ist. Am 6. April 1904 im oberschwäbischen Ebingen geboren, wäre er in wenigen Wochen 84 Jahre alt geworden.Mit Kurt Georg Kiesinger ist wieder einer aus dem Kreis der großen politischen Persönlichkeiten von uns gegangen, die in der Gründungs- und Aufbauzeit der Bundesrepublik Deutschland an grundlegenden Entscheidungen mitgewirkt und über Jahrzehnte hinweg auf die politische Entwicklung unseres Staates maßgeblichen Einfluß genommen haben.Kurt Georg Kiesinger hat bereits dem ersten Deutschen Bundestag angehört. Später hat er diese Jahre des Aufbaues einmal „eine glückliche Zeit" genannt. „Der politische Neubeginn 1949", so sagte er, „war geprägt von der Hochstimmung der wiedergewonnenen Freiheit, in allen Parteien ... Die demokratischen Politiker hatten ein Grundgefühl gegenseitigen Vertrauens. Sie haben Demokratie gelebt, nicht nach Dogmen gehandelt."Demokratie zu leben, nicht nach Dogmen zu handeln, eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens zu schaffen, die gegenseitige Toleranz und die Debatte zwar leidenschaftlich, aber mit Sachargumenten und nicht persönlich verletzend zu führen, bestimmte von Anfang an sein parlamentarisches Wirken. Bereits im ersten Bundestag gelang es ihm als Berichterstatter im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, den entscheidenden Kompromiß für die Verabschiedung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht zu erzielen.Von 1950 bis 1958 war Kurt Georg Kiesinger Vorsitzender des Vermittlungsausschusses — ein seinen Fähigkeiten zum Ausgleich, zur sachorientierten Überbrückung von Gegensätzen besonders entsprechendes Amt —, von 1954 bis 1958 auch Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. In dieser Zeit erwarb er sich mit seinen Beiträgen im leidenschaftlichen Streit um die Grundlagen der künftigen deutschen Außenpolitik, um die Westintegration und um die europäische Einigung einen Ruf als glänzender politischer Redner, als Meister der parlamentarischen Debatte.Im September 1955 gehörte er zur Begleitung Adenauers bei dessen schwieriger Mission in Moskau, wo die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen und die Rückkehr der noch in der Sowjetunion festgehaltenen Kriegsgefangenen vereinbart werden konnten.Wo immer möglich, trat Kiesinger für Aussöhnung und Verständigung mit unseren Nachbarn ein. Von 1950 bis 1958 gehörte er der Versammlung der Westeuropäischen Union und der Beratenden Versammlung des Europarates an, in der er ab 1955 auch das Amt des Vizepräsidenten bekleidete.Gebhard Müller, in den Nachkriegsjahren Ministerpräsident des damaligen Landes Südwürttemberg-Hohenzollern und später Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hatte 1947 den gelernten Rechtsanwalt für die CDU gewonnen und ihm das Amt des Landesgeschäftsführers übertragen. Im Jahre 1958, als Gebhard Müller Präsident des Bundesverfassungsgerichts geworden war, wählte ihn der Stuttgarter Landtag zu dessen Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten.In den acht Jahren als Regierungschef Baden-Württembergs hat sich Kurt Georg Kiesinger als Landesvater bei den Bürgern und weit über die Landesgrenzen hinaus hohes Ansehen erworben. Er hat dort wichtige kultur- und wirtschaftspolitische Entscheidungen getroffen. Auf ihn geht die Gründung der Universitäten in Ulm, Mannheim und vor allem Konstanz zurück. Und er selbst hat einmal — nicht ohne Stolz — davon gesprochen, daß die Umweltpolitik unter seiner Verantwortung in Baden-Württemberg ihren Anfang genommen habe, indem er beispielsweise zum Nutzen des Bodensees die Schiffbarmachung des Hochrheins verhindern konnte. Der Umwelt und der Kulturpflege in den Dörfern und kleinen Städten galt seine ganz besondere Hinwendung.Als 1966 die Koalition der Unionsparteien mit der FDP unter Bundeskanzler Ludwig Erhard zerbrochen war, wurde Kiesinger sein Nachfolger als Bundeskanzler und später auch als Parteivorsitzender der CDU. Unter seiner Kanzlerschaft an der Spitze einer Regierung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD gelang es, nicht nur die wirtschaftliche Rezession
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4546 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Präsident Dr. Jenningerzu überwinden und die schwierige Lage der Staatsfinanzen zu bereinigen, sondern auch große Gesetzgebungswerke wie die Notstandsgesetze und wichtige Reformvorhaben wie die der Finanzverfassung, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie das Arbeitsförderungsgesetz, das Berufsausbildungsgesetz und das Bundesausbildungsgesetz durchzusetzen. — Auf dem Gebiet der Außen- und Deutschlandpolitik leitete seine Regierung eine vorsichtige Öffnung nach Osten ein. Es war das Vorspiel zur Ostpolitik der SPD/FDP-Bundesregierungen, die mit dem Namen seines Außenministers und Nachfolgers im Amt des Bundeskanzlers, Willy Brandt, verbunden ist.In unserer Erinnerung wird Kurt Georg Kiesinger als eine Persönlichkeit fortleben, die fest in den Werten des Christentums und der Humanität verwurzelt war und es verstanden hat, der Politik in unserer parlamentarischen Demokratie Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu verleihen, Fairneß walten zu lassen, Wege zu Kompromiß und Ausgleich zu weisen. Mit dieser Haltung, aber auch auf Grund seiner umfassenden humanistischen Bildung hat sich Kurt Georg Kiesinger Achtung und Anerkennung über Partei-, Landes-, ja Staatsgrenzen hinweg erworben.Wir gedenken seiner in Dankbarkeit für alles, was er für unseren Staat, seinen Aufbau, seine Stärkung und Festigung getan hat.Der Deutsche Bundestag trauert um Kurt Georg Kiesinger. Wir werden die Verdienste, die sich der dritte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland um unser Land erworben hat, nicht vergessen.Kurt Georg Kiesinger hat sich um das Vaterland verdient gemacht.Sie haben sich, meine Damen und Herren, zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich bekanntgeben: In der 61. Sitzung des Deutschen Bundestages wurden die beiden Anträge zum Hotelbauprojekt in Dalyan — Drucksachen 11/1666 und 11/1872 — dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur federführenden Beratung und dem Auswärtigen Ausschuß und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit jeweils zur Mitberatung überwiesen.Interfraktionell wird nun vorgeschlagen, die beiden Anträge dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur federführenden Beratung und dem Auswärtigen Ausschuß, dem Ausschuß für Wirtschaft, dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.Sind Sie mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkteliste aufgeführt:1. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zu den jüngsten Äußerungen der britischen Premierministerin zum Thema Nachrüstung
2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Vorhaben der Deutschen Bundesbahn, die Preise ab April 1988 zu erhöhen — Drucksachen 11/1913, 11/1971 —3. Beratung der Sammelübersicht 51 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 11/1969 —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Schoppe, Dr. Nlechtersheimer, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN: Abrüstung nuklearer Mittelstreckenraketen in Europazu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortiger Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die 72 PershingIa-Raketen der Bundesluftwaffezu dem Antrag der Fraktion der SPD: Abschaffung der nuklearen Mittelstreckenraketen — Drucksachen 11/230, 11/699 , 11/732 (neu), 11/1475 —5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Erhalt der DB-Strecke WuppertalElberfeld—Wuppertal-Cronenberg — Drucksachen 11/1918, 11/1972 —6. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Schöfberger, Schmidt (München), Vahlberg, Dr. Glotz, Lutz, Büchler (Hof), Frau Dr. Nlartiny, Porzner, Wimmer (Neuötting), Dr. Haack, Dr. de With, Kolbow, Leidinger, Sieler (Amberg), Stiegler, Dr. Wernitz, Müller (Schweinfurt), Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Schmidt (Nürnberg), Amling, Büchner (Speyer), Frau Odendahl, Reimann, Schäfer (Offenburg), Bachmaier, Dr. Emmerlich, Ewen, Lambinus, Sielaff, Frau Dr. Hamm-Brücher, Irmer, Weiss (München), Frau Dr. Vollmer, Kreuzeder, Frau Teubner, Frau Saibold, Kleinert (Marburg), Sellin, Hüser, Frau Krieger, Schily, Hoss, Frau Vennegerts, Frau Flinner, Dr. Knabe, Frau Unruh, Volmer, Dr. ?Mechtersheimer, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Brahmst-Rock, Häfner, Frau Hillerich: Rangierbahnhof München - Drucksachen 11/570, 11/1510 —Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte — soweit erforderlich — von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Sind Sie auch damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, bevor ich den Tagesordnungspunkt 2 aufrufe, darf ich einige Gäste begrüßen. Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Legislativrates der Republik Zaire, Herr Chalume Wane Kawambe, mit einer Delegation des Legislativrates Platz genommen.
Im Namen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich in der Bundesrepublik Deutschland, Herr Präsident. Der Besuch unterstreicht die guten und engen Beziehungen zwischen unseren Parlamenten. Ich wünsche Ihnen nützliche und interessante Gespräche bei uns.Wir freuen uns, daß Sie auch Berlin in Ihren Besuch einbeziehen. Die geteilte Stadt wird Ihnen ein anschauliches Bild von der politischen Lage unseres Landes und Europas vermitteln.
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Präsident Dr. JenningerIch rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Apel, Roth, Dr. Spöri, Daubertshäuser, Dr. Jens, Pfuhl, Vahlberg, Börnsen , Dr. Hauchler, Huonker, Kastning, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens (Bottrop),Oesinghaus, Poß, Reschke, Westphal, Dr. Wieczorek, Bernrath, Fischer , Ibrügger, Dr. Soell, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDBeseitigung steuerlicher Benachteiligungenvon kleinen und mittleren Unternehmen— Drucksache 11/1335 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschußNach einer Vereinbarung im Altestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch. — Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Poß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag „Beseitigung steuerlicher Benachteiligungen von kleinen und mittleren Unternehmen" betrifft zwei Problembereiche, die kennzeichnend für die Steuerpolitik dieser Bundesregierung sind. Zum einen geht es um die mittelstandsfeindliche Steuerpolitik der Bundesregierung. Sie führt nämlich dazu, daß die für unsere Volkswirtschaft dringend benötigten Investitionen nicht in ausreichendem Umfang vorgenommen werden. Deshalb ist es erforderlich, daß endlich auch die Steuerpolitik ihren Beitrag zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit leistet.Zum anderen zielt unser Antrag darauf ab, daß die für Großunternehmen und Konzerne bestehende Steuerschlupflöcher endlich geschlossen werden. Es ist wirtschaftspolitisch absurd, daß durch geschickte Manipulationen Gewinne in Millionen- oder sogar in Milliardenhöhe am Fiskus vorbeigeschleust werden können und so dem Bund, den Ländern und den Gemeinden die notwendigen Mittel für Zukunftsinvestitionen fehlen.
Die steuerpolitische Zauberformel der Bundesregierung — höhere Gewinne, mehr Investitionen, mehr Wirtschaftswachstum und damit mehr Arbeitsplätze — ist für jedermann erkennbar nicht aufgegangen. Die Gewinne, vor allem die Gewinne der Großunternehmen, sind in den letzten Jahren zwar kräftig gestiegen. Die Investitionen stagnieren jedoch. Das Wachstum ist rückläufig und hat im letzten Jahr nur noch mickrige 1,7 % betragen. Und die Zahl der Arbeitslosen ist seit der Wende um rund ein Drittel auf 2,5 Millionen angestiegen.Kennzeichnend für die Unternehmensbesteuerung dieser Bundesregierung ist auch eine Umverteilung, nämlich die Umverteilung innerhalb des Unternehmensbereiches zu Lasten der kleinen und mittleren Unternehmen. 1983 begann die Bundesregierung ihre Steuerpolitik mit der Senkung der Unternehmensteuern in einem Umfang von 10 Milliarden DM. Um das zu finanzieren, wurde die Mehrwertsteuer um einen Punkt erhöht. Das war auch kein Vorteil für nicht exportorientierte kleine und mittlere Firmen.Von der Senkung der Vermögensteuer 1983 haben in erster Linie die kapitalstarken Großbetriebe profitiert. So entfielen in Nordrhein-Westfalen z. B. 60 der Vermögensteuersenkung für Kapitalgesellschaften auf nur 0,7 % der Betriebe, d. h. mehr als 99 % der Betriebe mußten sich die verbliebenen 40 % teilen. Auch die Einschränkung der Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen bei der Gewerbesteuer nutzt vor allem Großunternehmen.Diesen Weg der einseitigen steuerlichen Begünstigung von kapital- und gewinnstarken Großunternehmen will die Bundesregierung auch in Zukunft entgegen ihren verbalen Bekundungen gehen. Die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer bringt für die kleinen und mittleren Betriebe überhaupt nichts. Davon profitieren von den 1,7 Millionen Unternehmen, die Einkommensteuer zahlen
— Herr Faltlhauser, ich kenne ja die Qualität Ihrer Zwischenrufe — , nur die 30 000 ertragsstärksten, also nicht einmal 2 %.Von den geplanten Steuererhöhungen zur Finanzierung der Senkung des Spitzensteuersatzes werden dagegen auch die kleinen und mittleren Unternehmen betroffen. So ist die Streichung der Investitionszulage für Investitionen in förderungsbedürftigen Gebieten sowie für Investitionen, die der Forschung und Entwicklung dienen, extrem mittelstandsfeindlich. Die geplante Quellensteuer auf Lebensversicherungserträge belastet die Altersversorgung vieler Selbständiger. Insgesamt wird durch das Steuerpaket 1990 der Bundesregierung die steuerliche Benachteiligung der kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber den Großunternehmen noch weiter verschärft.
Die einseitige steuerliche Begünstigung von Großunternehmen und Konzernen hat auch wirtschaftspolitisch nichts gebracht. Viele Großunternehmen verfügen über hohe Gewinne und liquide Mittel. Statt in dem volkswirtschaftlich wünschenswerten Umfang in Produktivkapital zu investieren, stecken sie ihre Gelder jedoch lieber in festverzinsliche Wertpapiere oder andere Finanzanlagen. Die Hoffnung der Bundesregierung, daß sich dieses Verhalten bei einer Senkung des Spitzensteuersatzes ändern wird, ist durch nichts begründet. Es muß im Gegenteil, meine Damen und Herren, davon ausgegangen werden, daß die hierdurch bei den Großunternehmen anfallenden Mittel zu einem großen Teil weiter in ausländische Finanzanlagen gehen und so unserer Volkswirtschaft entzogen werden.In der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Situation, in der es entscheidend auf mehr Investitionen zur Stärkung des Wachstums ankommt, muß es daher vorrangiges Ziel der Steuerpolitik im Bereich der Un-
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P00ternehmen sein, die ohnehin bestehenden Benachteiligungen der kleinen und mittleren Unternehmen abzubauen.
Ihnen muß beim Eigenkapital geholfen werden. Nach einer Veröffentlichung des Bundeswirtschaftsministers vom Oktober 1987 betrug das Eigenkapital der Unternehmen mit Umsätzen von weniger als 5 Millionen DM im Jahr nur 9,3 % der Bilanzsumme, während die Eigenkapitalquote der Unternehmen mit Umsätzen von über 100 Millionen DM jährlich 24 T. und damit mehr als das Zweieinhalbfache betrug. Um den kleinen und mittleren Unternehmen die Finanzierung ihrer Investitionen zu erleichtern, muß endlich eine steuerstundende Investitionsrücklage eingeführt werden. Herr Glos und Herr Faltlhauser, Ihre alten Forderungen!
Die steuerstundende Investitionsrücklage ist das wirksamste steuertechnische Instrument zur Förderung von Investitionen, da bereits das Ansparen für eine Investition erleichtert wird. Diese Rücklage wird ja auch seit Jahren von den Betrieben des Handwerks und des Handels gefordert.Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, nach dem, was in den letzten Wochen — habe ich gesagt Koalitionsfraktionen oder Subventionsfraktionen oder Subventionsabbaufraktionen?, ich weiß das gar nicht — in der Presse zu lesen war, muß darüber hinaus befürchtet werden, daß Sie sich auch weiterhin für den Erhalt von Steuerschlupflöchern für Großunternehmen und Konzerne einsetzen werden. Sie planen die Herausnahme bzw. Abschwächung der Punkte, die auf eine Vermeidung von Steuerumgehung hinauslaufen. Dieses Hin und Her bei den steuerpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung ist ja inzwischen zum unrühmlichen Markenzeichen des Herrn Dr. Stoltenberg geworden.
Das gilt auch für die von Ihnen angestrebte Änderung bei der Behandlung von betrieblichen Veräußerungsgewinnen. Die derzeit bestehende Rechtslage, wonach Veräußerungsgewinne nur mit dem halben Steuersatz besteuert werden, entspricht in keiner Weise mehr der ursprünglichen mittelstandspolitischen Zielsetzung des Gesetzes. Es wurde aus mittelstandspolitischen Gründen diese Regelung eingeführt, um Einzelhändlern und Handwerkern am Ende ihres Berufslebens das Ausscheiden aus ihrem Betrieb nicht durch eine übermäßige Besteuerung zu erschweren und ihnen eine Alterssicherung zu erleichtern. Spektakuläre Einzelfälle der letzten Zeit haben aber gezeigt, daß in einem durch nichts zu rechtfertigenden Umfang auch die Veräußerung ganzer Konzerne begünstigt wird. Ich erinnere an den Fall Massa und an den Fall Flick. Durch eine geschickte Anhäufung von Gewinnen und stillen Reserven kann die Einmalbesteuerung umgangen und die Steuerbelastung halbiert werden. Das muß nach den Vorstellungen der Sozialdemokraten verändert werden.
Wir wollen zurück auf die ursprüngliche mittelstandspolitische Komponente. Wir haben hierzu vorgeschlagen, eine geeignete Freibetragsregelung und die Einführung einer Freigrenze vorzusehen. Zudem könnte erwogen werden, die Besteuerung des Veräußerungsgewinns mit dem durchschnittlichen Steuersatz der letzten drei bis fünf Jahre vorzunehmen.Dem Vernehmen nach wollen Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, jedoch entgegen den Vorschlägen der fachkundigen Beamten auch in Zukunft Veräußerungsgewinne in Höhe von mehreren Millionen DM wie bisher steuerlich privilegieren. Diese Größenordnung zeigt, daß der Mittelstand von Ihnen nur vorgeschoben und als Alibi mißbraucht wird, um die Privilegien der Spitzenverdiener zu sichern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Uldall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede von Herrn Poß und der Antrag der SPD gehen natürlich völlig am Thema vorbei,
denn die mittelstandsfreundliche Steuerpolitik ist immer von unserer Seite und nicht von Ihnen gekommen.
Deswegen will ich auch noch einmal ganz deutlich sagen: Diese Steuerreform, unsere Steuerreform ist in erster Linie eine Steuerreform zugunsten des Mittelstands.
Da muß man sich schon sehr wundern, meine Damen und Herren, daß plötzlich die SPD ihr Herz für den Mittelstand entdeckt.
Einige Punkte dazu. Führen denn nicht die vom Kollegen Apel gerade im „Vorwärts", den ich hier als Fotokopie dabei habe, vorgeschlagenen Äußerungen zur Steuerpolitik dazu, daß die bestehende scharfe Progression noch weiter für den Mittelstand verstärkt wird, Herr Kollege Apel? Hier zeigt sich wieder erneut.
Die SPD ist die Partei der Steuererhöhung und ganz besonders die Partei der Steuererhöhung für die Mittelständler.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
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Ja, gerne.
Herr Kollege, wenn Sie schon den „Vorwärts" zitieren, dann bitte richtig.
Ich habe dort darauf hingewiesen, daß es natürlich darum — — Haben Sie zur Kenntnis genommen — so muß ich ja formulieren; Herr Präsident, Sie haben ja recht, daß Sie ganz strafend gucken — , daß ich in diesem „Vorwärts"-Artikel ausdrücklich die Absenkung der Progression für dringend geboten halte, und können Sie bestätigen, daß ich gesagt habe, daß das aber derzeit deswegen unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt werden muß, weil der Herr Kollege Stoltenberg in einer unverantwortlichen Weise die öffentlichen Kassen für eine Steuerpolitik zugunsten der Begünstigten leerräumt?
Herr Kollege Apel, ich pflege alle Artikel, die Sie veröffentlichen, immer genau Zeile für Zeile zu lesen.
Dies eröffnet manche Erkenntnis. Deswegen kann ich auch hier nur noch einmal aus diesem Artikel wiederholen: Sie wollen im unteren Bereich natürlich eine weitere Absenkung, aber das bedeutet doch in der Realität, daß dann in der zweiten Hälfte ab etwa 50 000 DM die Progression noch viel schärfer wird. Das ist gerade die zusätzliche mittelstandsfeindliche Besteuerung, die Sie einführen wollen, Herr Apel.
Aber ich möchte noch einige andere Punkte anführen. Belasten nicht gerade die zahlreichen von der SPD immer wieder geforderten Abgaben die mittelständischen Betriebe besonders? Ich nenne nur: die Ausbildungsplatzabgabe, die wir gerde mühsam im Ausschuß niedergekämpft haben, die Arbeitsmarktabgabe, die Ergänzungsabgabe, die Lärmabgabe, die Abfallabgabe, die Verbreiterung der Gewerbesteuerbasis, z. B. durch Einbeziehung der Freiberufler, und, Herr Apel, wird nicht in unserer gemeinsamen Vaterstadt Hamburg dem Mittelstand eine Konkurrenz insbesondere dadurch gemacht, daß man Beschäftigungsgesellschaften eingerichtet hat, die den mittelständischen Handwerksbetrieben subventionierte Konkurrenz machen?
Meine Damen und Herren, das paßt alles nicht mit dem zusammen, was jetzt die Sozialdemokraten zur Steuerpolitik sagen. Dieser Antrag der SPD geht deswegen am Thema vorbei.
Meine Damen und Herren, bei der Besteuerung des Veräußerungserlöses sind wir der Auffassung, daß man zu einer guten Lösung kommen muß. Ich könnte mir vorstellen, daß es bei uns in der Fraktion eine Mehrheit für eine Lösung geben wird, die so aussieht: zunächst ein Freibetrag, dann eine abgestufte Lösung für die mittleren Veräußerungserlöse und dann erst ab einem sehr viel höheren Betrag eine volle Besteuerung dieser Beträge.
Was die Investitionsrücklage betrifft, werden wir nachher durch meinen Kollegen noch eine entsprechende Darstellung vortragen.
Wir sind abschließend zu der Auffassung gekommen, daß die Sozialdemokraten nicht im entferntesten den Anspruch erheben können, hier als eine mittelstandsfreundliche Partei auftreten zu können. Wir haben durch die Senkung der Gewerbesteuer Tausende von Mittelständlern aus der Gewerbesteuerpflicht herausgenommen, wir haben durch die Senkung bei der betrieblichen Vermögensteuer Hunderttausende Betriebe aus der Steuerpflicht herausgenommen, und nun kommt die Steuerreform, die den Mittelstandsbauch abschneidet und somit einen entscheidenden Schritt nach vorne bedeutet.
Deswegen zusammenfassend mein Fazit: Unsere mittelständische Politik werden wir auch in Zukunft auf der steuerlichen Ebene erfolgreich fortsetzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hüser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Ihrem Antrag spricht die SPD zwei Instrumente an, die bei entsprechender Ausgestaltung dazu geeignet sein sollen, steuerliche Benachteiligungen von kleinen und mittleren Betrieben zu beseitigen. Für uns stellt sich hier natürlich die Frage, gegenüber wem diese Nachteile bestehen. Sind hier vielleicht die Nachteile gegenüber einkommensteuerpflichtigen Alleinerziehenden gemeint oder die steuerlichen Nachteile gegenüber Rentnern, Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen oder gegenüber finanzkräftigen Aktiengesellschaften? Ich zähle dies in diesem Maße auf, um deutlich zu machen, daß in der Regel bei einer Beseitigung von steuerlichen Nachteilen auf Einnahmen verzichtet wird. Diese Einnahmen fehlen dann natürlich bei der Bewältigung von dringenden Aufgaben, z. B. zur Verbesserung der Lage der Sozialhilfeempfänger.Grundsätzlich sehen deshalb die GRÜNEN keine Vordringlichkeit in der jetzigen Situation, allgemeine steuerliche Besserstellung für kleine und mittlere Unternehmen anzugehen, gerade auch vor dem Hintergrund, wenn man sich eine neuere Studie des IfoInstituts in München anschaut, wo dargelegt wird, daß die kleinen Unternehmen die relativ höchsten Erträge einschließlich der Eigenkapitalverzinsung haben. Unseres Erachtens muß es darum gehen, gerade die steuerlich ungerechtfertigten Vorteile für Großunternehmen abzubauen.Nun bezieht sich der Antrag nicht auf die allgemeine steuerliche Situation der kleinen und mittleren Unternehmen, sondern greift ganz speziell zwei unterschiedliche Punkte heraus. Im ersten Teil geht es um die Ausgestaltung und Zielsetzung des Einkommensteuergesetzes, und zwar im § 34. Nach den Regelungen in diesem Gesetz vermag ich nicht zu glauben — das ist in der Begründung auch dargelegt —, daß die ursprüngliche Zielsetzung gewesen sein soll, der Altersvorsorge im mittelständischen Bereich Rechnung zu tragen. Es läßt sich nirgends herauslesen, daß durch die Besteuerung mit dem halben
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Hüserdurchschnittlichen Steuersatz auf die außerordentlichen Einkünfte besonders Klein- und Mittelbetriebe bevorzugt werden sollten. Wenn dies doch die Absicht war, so muß ich feststellen, daß nicht nur heute an Steuergesetzen schlampig gearbeitet wird, sondern daß dies anscheinend auch schon früher geschah.So ist allein im § 16 des Einkommensteuergesetzes bei den Veräußerungen von Gewerbebetrieben ein Freibetrag von 120 000 DM festgesetzt für diejenigen, die zum Zeitpunkt der Veräußerung mindestens 55 Jahre alt sind. Daß aber grundsätzlich jeder seine außerordentlichen Einkünfte nur mit dem halben Steuersatz zu versteuern brauchte, unabhängig von seiner sonst so gepriesenen Leistungsfähigkeit, ist ein Skandal, steuersystematisch nicht nachzuvollziehen und absolut sozial unverträglich, obwohl es anscheinend in Ihr Konzept hineinpaßt.Diese Steuervorschrift führte — das wurde auch vorhin schon dargelegt — zu Kapriolen, daß der gerade noch einmal am Sozialamt vorbeigekommene Herr F. über eine Milliarde DM Steuern sparen konnte, obwohl nicht abzusehen ist, daß Herr F. schon in den Ruhestand geht. Nach allem, was man so liest, kann man auch davon ausgehen, daß er anderweitig für sein Alter vorgesorgt hat.Daß dieser Tatbestand ein untragbarer Zustand ist, hat die SPD wohl richtig erkannt. Deswegen begrüßen wir den Antrag in diesem Punkt. Anscheinend haben auch schon einige Damen und Herren im Finanzministerium gemerkt, daß hier Handlungsbedarf besteht, und haben eine neue Regelung in den Referentenentwurf zur Steuerreform eingearbeitet. Dies stößt aber auf erhebliche Kritik seitens der Regierungskoalition, die die Schlupflöcher für die Konzernherren, für Besserverdienende und andere Klientel behalten will, aber schnell bei der Hand ist, wenn es um die Streichung der Steuerfreiheit für Nachtarbeitszuschläge und andere angeblich nicht gerechtfertigte Subventionen für die Arbeitnehmer geht.
— Diese Punkte werden wir dann bei der Beratung im Ausschuß gerne ansprechen.
— Es geht hier um den § 34. Wie groß diese Steuerschlupflöcher sind, habe ich ja gerade in einem Beispiel dargelegt, daß z. B. Herr Flick eine Milliarde DM Steuern sparen konnte, obwohl es überhaupt keinen Grund gibt, daß dies steuerpolitisch irgendwie gerechtfertigt ist.Wahrlich ist der Entwurf nach unserer Ansicht nicht das Gelbe vom Ei. Er grenzt zwar die Steuersparmöglichkeiten nach oben ein, bringt aber erhebliche Einbußen für diejenigen, die bei dem § 34 wirklich an ihre Altersvorsorge gedacht haben sollten.Wir wissen nicht, was uns das Kabinett am 22. März empfiehlt, wir aber empfehlen grundsätzlich Freibeträge gekoppelt mit der Altersgrenze, analog z. B. zum § 16 des Einkommensteuergesetzes, ansonsten volle Besteuerung nach dem durchschnittlichen Steuersatz der letzten fünf Jahre und mit Obergrenzen, ab denen die Progressionsbesteuerung einsetzen soll.Zum Schluß möchte ich noch kurz auf den zweiten Punkt in dem Antrag der SPD eingehen, wo eine steuerstundende Investitionsrücklage gefordert wird. Diesen Punkt haben wir ja schon in der Diskussion um das Steuersenkungs-Erweiterungsgesetz gehabt. Eine solche Rücklage würde schätzungsweise Steuerausfälle von 1,2 Milliarden DM im Jahr zur Folge haben.Da ich annehme, daß die SPD davon ausgeht, daß die Unternehmen fortlaufend investieren und somit auch fortlaufend diese Investitionsrücklage gebildet wird, ist dieser Steuerausfall also auf Dauer und wird nicht durch geringere Abschreibungen in den Folgejahren getilgt. Durch eine solche Rücklage würde jegliche Investition gefördert, unabhängig von ihrem Zweck und ihrer Wirkung.Die Höhe des direkt eintretenden Effekts der verringerten Steuerzahlung ist auch für ein Unternehmen von seiner Ertragslage unabhängig, also von seinem Steuersatz. Dies halten wir für falsch.Die GRÜNEN treten statt dessen für eine Konzentrierung aller Förderungsmaßnahmen auf das Ziel, einen ökologischen Umbau der Wirtschaft zu unterstützen, und für gleich hohe Förderung aller Personen und Unternehmen, die sich dem Ziel des ökologischen Umbaus entsprechend verhalten, ein. Wir wollen also keine Steuervergünstigung, sondern direkte Finanz-hilf en.Darüber hinaus beinhaltet unser Umbauprogramm in zweifacher Hinsicht günstige Aussichten für kleine und mittlere Betriebe, erstens auf der Subventionsseite, indem wir umweltverträgliche Produktionsumstellungsinvestitionen durch Finanzhilfen aus dem Aufkommen z. B. von Umweltabgaben fördern wollen, und zweitens auf der Nachfrageseite, indem die vorgeschlagenen Umbaumaßnahmen einen beträchtlichen Auftragsschub für Handwerk und Gewerbebetriebe auslösen würden, und zwar sowohl durch öffentliche Aufträge als auch durch private Aufträge, die durch Fördermaßnahmen und neue Vorschriften veranlaßt werden, z. B. im Energiesparbereich, im Verkehrsbereich, in der Kanalisation und in anderen öffentlich notwendigen umweltpolitischen Aufgaben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Antrag setzt die SPD-Fraktion ihre Kette unseriöser Argumente in der Steuerpolitik fort. Dies ist ganz eindeutig nachzuweisen.Etwa vor einem Jahr stellte die Bundesregierung den zweiten und dritten Teil ihres Gesamtkonzeptes der Steuerreform mit enormen Steuerentlastungen für die Wirtschaft, für die Arbeitnehmer und für die breite Masse der Steuerpflichtigen vor. Bis heute, ein
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Dr. SolmsJahr später, hat die SPD kein Gegenkonzept und kein Alternativmodell der Öffentlichkeit vorgestellt.
Ganz im Gegenteil: Sie nutzt das Konzept der Bundesregierung und der Koalition, um Einzelpunkte herauszugreifen und Gegenvorschläge zu machen bzw. diese zu kritisieren, ohne daß ein Konzept im Gesamtzusammenhang deutlich wird. So geht das nicht, meine Damen und Herren, das ist unseriös. Sie müssen schon mit einem Gegenvorschlag kommen.Mit diesem Antrag nun — und das überrascht auch schon nicht mehr — macht sich die SPD zum Verteidiger der mittelständischen Wirtschaft.
Dem Antrag könnte man, zumindest in einzelnen Teilen, durchaus Sympathie abgewinnen, wenn man nicht wüßte, daß mit anderen Anträgen der SPD genau das Gegenteil bewirkt werden soll. Da müssen wir uns also schon mit den Einzelheiten beschäftigen.Die steuerfreie Investitionsrücklage ist ja nun ein alter Hut und in diesem Hause vielfach diskutiert worden. Die klein- und mittelständische Wirtschaft braucht aber dauerhafte, endgültige, frei verfügbare Steuersenkungen; sie braucht keine Steuerstundung. Dieser Vorschlag der Investitionsrücklage hat ja nur steuerstundenden Charakter. Denn erst durch Steuersenkungen können die kleinen Unternehmen ihren Kapitalstock aufbauen und in Forschung und Entwicklung und in neue Arbeitsplätze investieren. Deswegen müssen die Steuern gesenkt werden und dürfen nicht nur verliehen werden.Schließlich zu der Argumentation zu § 34: Ich kann dem, was in dem Antrag steht, durchaus zustimmen. Wenn ich aber sehe, wie das in der Öffentlichkeit argumentativ verwertet wird, beispielsweise Herr Poß, durch Ihre Presseerklärung vom Januar,
dann stelle ich fest, daß Sie genau das Gegenteil wollen. Sie werfen der Koalitionsregierung vor, sie wolle gerade die Milliardäre und Besitzer von Großvermögen schützen. Aus dem Konzept der Regierung geht jedoch genau das Gegenteil hervor.
Man will diejenigen, die in einem langen Arbeitsleben im Betrieb gespart und stille Reserven aufgebaut haben, nicht in einem einzigen Augenblick einer vollen Besteuerung mit dem Spitzensteuersatz unterwerfen.
Das ist auch richtig.Welche Auswirkungen das haben könnte, will ich an einem Beispiel klarmachen: Bei einem Handelsbetrieb in der Innenstadtlage mit einem Betriebsgrundstück muß der Betriebsinhaber aus Altersgründen aufhören. Er hat keinen Nachfolger. Wenn er diesen Betrieb verpachtet, muß er die Aufdeckung der stillen Reserven versteuern, und zwar nach Ihren Vorschlägen zum vollen Steuersatz. Wenn Sie davon ausgehen, daß der Einheitswert des Betriebsgebäudes bei nur 100 000 DM liegt, der Verkehrswert aber bei 2,1 Millionen DM, muß er also einen Gewinn von 2 Millionen DM versteuern, ohne daß ihm ein Pfennig zufließt. Das heißt, er muß rund gerechnet 1 Million DM Steuern zahlen, er hat aber überhaupt keinen Ertrag. Er muß das Geld aufnehmen, um die Steuern zahlen zu können. Wenn er seinen Betrieb verpachtet, bekommt er im Monat vielleicht 5 000 DM Pacht. Davon kann er nicht einmal die Zinsen zahlen, um die Steuern finanzieren zu können.Solch unsinnige Auswirkungen kann dies haben. Deswegen war die Einführung des § 34 durchaus sinnvoll, nämlich in solchen Fällen die Steuerlast auf die Hälfte des Durchschnittssteuersatzes zu begrenzen.
Wir schlagen deshalb vor, daß man die Großfälle in den Griff kriegen muß. Der Fall Flick-Alma und der Fall Massa waren vom Gesetzgeber natürlich niemals bedacht worden, als man diese Regelung eingeführt hat. Übrigens hat diese Regelung — sie ist seit 1965 im Gesetz — bei allen möglichen Koalitionskonstellationen, die wir zwischenzeitlich hatten, immer Bestand gehabt. Das ist also im Grundansatz sinnvoll;
wir sollten dieses so fortsetzen.Die FDP schlägt vor — etwa wie Herr Uldall gesagt hat — , daß man eine großzügige Freibetragsregelung im Entwurf einsetzt. Der gegenwärtige Ansatz im Referentenentwurf ist nach Meinung der FDP ungenügend.
Er geht nämlich davon aus, daß die grundsätzliche Achtelung der außerordentlichen Einkünfte und die anschließende Verachtfachung der hierauf entfallenden Einkommensteuer vorgenommen wird. Dies scheint uns zu eng. Die Lösung würde zu einer unangemessenen und überhöhten Besteuerung bei den Handelsvertretern, bei den Freiberuflern, bei den kleinen Gewerbetreibenden und natürlich auch bei den Arbeitnehmern, die eine Entschädigungszahlung beim Ausscheiden aus dem Betrieb erhalten, führen.Dies würde insbesondere auch den Strukturwandel erschweren, weil viele Unternehmen wegen der drohenden hohen Besteuerung die Veräußerung oder die Aufgabe des Betriebs hinauszögern würden. Ein Unternehmer, der im Bereich der Vermittlung von Unternehmensanteilen und Unternehmen tätig ist, hat mir gesagt: Die Alternative besteht bei solchen Unternehmen mittelfristig zwischen Veräußerung oder Konkurs. Wir wollen die Veräußerungen, wir wollen den Strukturwandel erleichtern.Deswegen, so sagt die FDP, sollten die Personengruppen, die hier geschildert worden sind, durch eine sehr großzügige Freibetragsregelung mit einem stufenweisen Übergang bis hin zur vollen Besteuerung entlastet werden. Veräußerungsgewinne in Höhe von etwa 2 Millionen DM sollten wie bisher mit dem hälf-
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Dr. Solmstigen Durchschnittssteuersatz behandelt werden. Veräußerungsgewinne, die, sagen wir einmal: 10 Millionen DM oder mehr betragen, sollten dann voll mit dem Spitzensteuersatz belastet werden. Dann hätten wir das strukturpolitische Problem im Griff, würden aber die großen Ausreißer, die geschildert worden sind, einfangen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Fell.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst bei der Berner-kung von Herrn Kollegen Solms zu den Wirkungen des § 34 und den Überlegungen anknüpfen: Wir stimmen doch völlig überein. Es gibt keine großen, wesentlichen Unterschiede zwischen der FDP und der CDU/CSU. Auch wir sind der Meinung, die großen Ausreißer waren nie diejenigen, die bedacht werden sollten, sondern es ging um die mittelständischen Unternehmen, um deren Situation und darum, die in dieser Situation ausscheidenden Betriebsinhaber zu unterstützen. Denen zu helfen war und ist unser Ziel. Das werden wir in der Zukunft auch verwirklichen.
Zweitens zur Investitionsrücklage. Auch da hat Herr Solms den entscheidenden Gesichtspunkt dankenswerterweise schon genannt. Ihre Überlegung mit der Investitionsrücklage führt zu einem Steuerausfall, führt zu einer Begünstigung bestimmter Investitionen, führt aber nicht zu dem, was wir mit der Steuerreform, speziell mit der Tarifreform, erreichen wollen: Eigenkapitalbildung in der Hand des Unternehmens ohne Investitionszwang in einem ganz bestimmten Zeitraum, ohne Zwang, der möglicherweise sogar reine Mitnahmeeffekte auslöst. Es geht nicht darum, die Investition in dem Zeitpunkt, in dem sie vorgenommen wird, zu begünstigen, sondern darum, Investitionen zu veranlassen, die auf Dauer rentabel sind, die auf Dauer Gewinne bringen, die auf Dauer dem Unternehmer Aktivitäten eröffnen und ermöglichen. Damit helfen wir im übrigen auch dem Arbeitsmarkt am allerbesten.
Dann möchte ich mich gerne mit fünf Argumenten kurz auseinandersetzen, Herr Poß, die Sie vorgetragen haben, weil das in dieser Diskussion wohl am deutlichsten macht, wo der Gegensatz zwischen Ihrem eigenen früheren Handeln und Ihrer heutigen Argumentation liegt.
Das eine: Sie sprechen von einem mickrigen Wachstum von 1,7 %, das wir gerade noch hätten. Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie mit der Wortschöpfung „Minuswachstum" seinerzeit davon abgelenkt haben, daß wir zu Ihrer Regierungszeit nicht nur eine Wachstumssenkung, sondern sogar Wachstumsverluste hatten.
Sie haben ein zweites Argument benutzt. Sie haben nämlich gesagt, die Gewerbesteuerregelung, die wir haben, die Senkungen und Erleichterungen, die wir durchgeführt hätten, nutzten vor allem nur den Großen. Können Sie mir den Widerspruch erklären, der sich daraus ergibt, daß wir heute in allen beteiligten Kreisen nur noch davon sprechen, daß die Gewerbesteuer zu einer Großbetriebsteuer entartet ist, weil gerade die kleinen und mittleren Betriebe durch die Freibeträge, durch die Sonderregelungen herausgenommen worden sind?
— Sie dürfen nur nicht punktuell argumentieren, wenn es um eine gesamtwirtschaftliche Linie geht. Sie dürfen sich da nicht auf einen Punkt beschränken, sondern müssen auch die Gesamtentwicklung einbeziehen.
Das dritte Argument, das Sie verwandt haben, war, die Senkung des Spitzensteuersatzes nutze den kleinen und mittleren Betrieben nichts. Sie haben natürlich fleißig daran vorbeiargumentiert, daß gerade die Tarifreform, gerade die Absenkung im mittleren Bereich für die mittleren und kleineren Betriebe den entscheidenden Vorteil, die entscheidende Entlastung in die Zukunft hinein bringt. Mit Ihrer Argumentation über den Spitzensteuersatz lenken Sie nur von dem ab, was wir mit der Steuerreform gerade für die kleineren und mittleren Unternehmen erreichen wollen und übrigens auch erreichen werden.
Das vierte Argument war, Sie befürchteten eine Flucht in Finanzanlagen, Herr Poß. Es hat aber doch nie eine größere Flucht in Finanzanlagen gegeben als während Ihrer Regierungszeit. Damals war die Rendite in Finanzanlagen allemal höher als jede Investitionsrendite, die im Unternehmensbereich erzielt werden konnte.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das deshalb dahin zusammenfassen: Wir wollen mit unserer Steuerreform Steuersenkungen und langfristig für die mittleren und kleineren Unternehmen verfügbares Kapital schaffen, Eigenkapital, das nicht nur eine vorübergehende Steuerstundung zu Folge hat, sondern das langfristig Eigenkapitalbildung ermöglicht und damit größere Bewegungsfreiheit im Interesse der Arbeitnehmer, im Interesse der Wirtschaft und damit auch im Interesse des Fiskus bringt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kastning.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns ja wohl darin einig, daß die Leistungen der kleinen und mittleren Unternehmen für unsere Versorgung mit Waren und Dienstleistungen, für die Erschließung von Zukunftsmärkten, für Wettbewerb und vor allem für die berufliche Ausbildung und für den Arbeitsmarkt unverzichtbar sind. Sie stel-
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Kastninglen zwei Drittel aller Arbeitsplätze, und über 80 % der Menschen werden in diesem Bereich ausgebildet.
Herr Uldall, wenn Sie vorhin sagten, die SPD rede am Thema vorbei, so habe ich den Eindruck: Wer das Thema nicht erkannt hat, sollte sich eine solche Bemerkung nicht erlauben.
Sie haben z. B. nicht erkannt, daß meine Partei mit der Ausbildungsabgabe gerade den Mittelstand, der mehr ausbildet, als er eigentlich könnte, entlasten und die Kosten zu den Großbetrieben verlagern will, die nicht entsprechend ausbilden. Thema nicht erkannt, kann ich hier nur sagen.
Meine Damen und Herren, in diesem Bereich haben in den letzten Jahren auch mehr als 600 000 Menschen einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Wir wissen, daß dieser Bereich — darüber brauchen wir uns doch gar nicht zu streiten —
mit seiner innovativen Kraft und Anpassungsfähigkeit zum Strukturwandel und auch, wie wir meinen, zur ökologischen Erneuerung unserer Volkswirtschaft beiträgt. Daß die kleinen und mittleren Unternehmen diese ihre Aufgaben nur erfüllen können, wenn sie in der Lage sind, Investitionen zu tätigen, ist doch wohl auch kein Geheimnis. Viele dieser Unternehmen stehen dem Problem gegenüber, daß ihr Investitionsbedarf und ihre Gewinne stark schwanken und auch zeitlich auseinanderfallen. Hier liegen ihre Sorgen, hier liegt auch ihre Benachteiligung gegenüber den Großunternehmen, denen in der Regel eine bessere Planung möglich ist.Zur Verstärkung dieser Investitionsfähigkeit haben wir hier unseren Antrag vorgelegt. Meine Damen und Herren, dieser Vorschlag trägt der Tatsache Rechnung, daß viele kleine und mittlere Unternehmen nicht jedes Jahr Investitionen tätigen, sondern oft gezwungen sind, die dafür notwendigen Mittel über Jahre hinweg im Betrieb anzusparen. Das ist eben nach geltendem Recht nur aus dem versteuerten Gewinn möglich. Der Ansparvorgang wird aber doch wohl entscheidend verkürzt, wenn man die für Investitionen zu verwendenden Gewinnanteile durch Einstellung in diese Rücklage zumindest teilweise steuerfrei stellt.Ich denke, damit wird gleichzeitig die Eigenkapitalbildung verbessert. Damit wächst auch der Spielraum für die Aufnahme von Fremdkapital, was ja auch eine Investitionsförderung, eine Verbesserung der Möglichkeiten darstellt. Die Unternehmen erhalten die Möglichkeit, Gewinnschwankungen auszugleichen und somit auch zu einer Verstetigung ihrer Steuerbelastung zu kommen.Insgesamt — davon sind wir fest überzeugt — würde unser Vorschlag die kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber den Großunternehmen besserstellen und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Ich denke auch, daß der investitionsfördernde Effekt einer steuerstundenden Investitionsrücklage, Herr Solms, unbestritten sein dürfte. Darauf hat der Sachverständigenrat bereits 1982/83 hingewiesen. Auch das Ifo-Institut kommt in einer Untersuchung zu solchen Schlußfolgerungen.Ich möchte Sie auch darauf hinweisen — schade, daß Herr Hauser nicht hier ist —,
daß der Zentralverband des Deutschen Handwerks immer wieder betont hat, daß dies aus seiner Sicht eine sehr gute Maßnahme ist. Wir befinden uns in voller Übereinstimmung mit diesem Spitzenverband.
Zu einigen Details: Damit die Investitionsrücklage tatsächlich angenommen wird, muß sie so einfach wie möglich ausgestaltet werden. Das ist selbstverständlich. Die Erfahrungen mit der 1983 eingeführten Sonderabschreibung nach § 7 g des Einkommensteuergesetzes zeigen nämlich, daß komplizierte Regelungen für kleinere und mittlere Betriebe mit Schwierigkeiten verbunden sind und der erwünschte Effekt daher häufig ausbleibt. Wir gehen davon aus, daß unser Vorschlag bezüglich der Rücklage von 50 000 DM von seiner Ausstattung her schon auf kleine und mittlere Betriebe ausgerichtet und für Großunternehmen praktisch uninteressant ist. Somit kann auch eine verwaltungsaufwendige Begrenzung auf bestimmte Betriebe unterbleiben.Unser Modell sieht lediglich vor, daß nach Ablauf der Ansparfrist von fünf Jahren Investitionen im Anlagevermögen erfolgen, mit deren Anschaffungskosten dann die Investitionsrücklage verrechnet wird. Erfolgen keine Investitionen, dann ist die Rücklage erfolgswirksam aufzulösen, und die bislang unterbliebene Besteuerung wird nachgeholt. Dadurch entsteht ein zusätzlicher Anreiz, auch tatsächlich Investitionen zu tätigen.
Meine Damen und Herren, die Entscheidung über unseren Vorschlag duldet unseres Erachtens keinen Aufschub bis zu einer umfassenden Reform der Unternehmensbesteuerung irgendwann in den 90er Jahren, wie Sie sie angekündigt haben, wenn wir in absehbarer Zeit mehr Investitionen im mittelständischen Bereich haben wollen.
Daß es sich um eine längst überfällige strukturverbessernde Maßnahme handelt, wird ja wohl auch deutlich in Äußerungen der Kollegen von der CSU aus den vergangenen Jahren und auch von einzelnen Mittelstandspolitikern der CDU. Sie haben zwar in der letzten Periode einen entsprechenden Antrag der SPD abgelehnt, Sie können aber heute und in der letzten Beratung erneut versuchen, sich zu Ihren Worten zu bekennen.
Ich fürchte allerdings, Herr Gattermann, die Kollegender CDU/CSU werden sich dem Diktat der FDP in
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Kastningbezug auf die Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes wiederum unterordnen.Wenn Sie sagen, der Tarif, den Sie vorschlagen, sei nun das A und O, so möchte ich fragen: Wissen Sie eigentlich, wie denn die durchschnittlichen Einkommen im Mittelstandsbereich sind, die zu versteuern sind? Es haben nicht alle die Größenordnung Ihres Unternehmens, Herr Dr. Solms. Ich habe in meinem Wahlkreis weit kleinere, die sich von Ihrem Tarifvorschlag gar nicht so bevorzugt fühlen.Dann möchte ich auch fragen: Warum vergessen Sie die Gegenrechnung? Was ist denn z. B. mit der möglichen Mehrwertsteuererhöhung, mit der angekündigten Mineralölsteuererhöhung?
Treffen die nicht den Mittelstand?Meine Damen und Herren, ich halte es auch für müßig und für wenig hilfreich für den Mittelstand,
nun die Abschaffung der Gewerbesteuer zu fordern, wie Herr Bangemann es tut.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Solms?
Ja, bitte, wenn das nicht allzulange dauert.
Das hängt auch von Ihrer Antwort ab. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Kastning, würden Sie mir zustimmen, daß nach dem Tarifreformentwurf der Bundesregierung gerade die kleineren Unternehmen den höchsten Steuervorteil, nämlich die höchste Steuerentlastung, zu erwarten haben und nicht die großen Unternehmen?
Herr Dr. Solms, erstens machen Sie immer eine Prozentrechnung, wie auch der Herr Finanzminister; die sagt nichts über die realen Beträge aus. Zweitens gehe ich davon aus, daß die Einkommen der kleinen Betriebe im Bereich der des Facharbeiters liegen, und Sie vergessen immer — ich sagte es vorhin schon einmal — die Gegenrechnung dessen, was wieder in die Staatskassen hereingeholt werden muß. Das schlägt ja auch irgendwo zu Buche. Machen Sie bitte eine Nettorechnung unter dem Strich; dann kommen Sie zu etwas anderen Schlüssen, als sie draußen immer propagiert werden.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Faltlhauser?
Ich spreche hier das erste Mal zu einem Fachbereich, in dem ich erst seit kurzem tätig bin. Geben Sie mir die Chance, daß ich in einem Zusammenhang reden darf. Ich bitte um Verständnis. Ich bin bisher in einem anderen Fachbereich zu Hause gewesen.
Meine Damen und Herren, ich möchte daran erinnern, daß die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung eine Reihe von Änderungen bei der Gewerbesteuer durchgeführt hat — nämlich im Freibetragsbereich — , so daß heute weit mehr als die Hälfte aller Betriebe keine Gewerbesteuer und fast 80 % — ich glaube, es sind so viele — keine Gewerbekapitalsteuer zahlen. Ich finde, solch eine wichtige mittelstandspolitische Entscheidung sollte man in der heutigen Zeit nicht ganz vergessen.
Ich denke, daß vor diesem Hintergrund auch die Forderung von Herrn Bangemann, die Gewerbesteuer abzuschaffen und durch andere Steuern zu ersetzen, nicht gerade mittelstandsfreundlich ist.
Wenn die Gewerbesteuer nämlich durch eine Mehrwertsteuererhöhung ersetzt werden soll, würden dadurch die exportorientierten Großunternehmen bevorzugt, denn bekanntlich — das wissen Sie alle — wird die Mehrwertsteuer beim Export zurückgezahlt, während die kleinen und mittleren Unternehmen in Handel und Handwerk belastet werden, weil sie die Mehrwertsteuererhöhung vielfach nicht im Preis überwälzen können. Ich bitte Sie, sprechen Sie da auch einmal mit den Vertretern des Handwerks. Sie werden dort die gleichen Auffassungen vorfinden.
Meine Damen und Herren, aber auch der Ersatz der Gewerbesteuer durch eine Erhöhung der Lohn- und Einkommensteuer würde neben Arbeitnehmern vor allem die Einzelunternehmen als Einkommensteuerzahler wieder kräftig zur Kasse bitten. Das müssen Sie ja wohl auch durchgerechnet haben — ich kann es mir nicht anders vorstellen — , und dennoch wird so etwas vorgeschlagen.
Ich denke, solche mittelstandsfeindlichen Maßnahmen können nicht akzeptiert werden. Meine Damen und Herren, es gibt andere Vorschläge als die der FDP, die Gewerbesteuer umzugestalten, sie — wie wir sagen — zu revitalisieren. Sie liegen auf dem Tisch. Nach unserer Auffassung sind sie auch konsensfähig bei den Betroffenen — sowohl bei Teilen der Wirtschaft als auch bei den Kommunen.
Wir sind bereit, an einer vernünftigen Reform der Gemeindefinanzen unter Einbeziehung der Gewerbesteuer mitzuwirken, aber wir sind nicht bereit, zu dem ja zu sagen, was hier vor allem aus dem Bereich der FDP immer wieder vorgetragen wird.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag der SPD-Fraktion versucht den ganz unzutreffenden Eindruck zu erwecken, die Bundesre-
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Bundesminister Dr. Stoltenberggierung, die Koalitionsparteien benachteiligten durch ihre Vorschläge zur Steuersenkung und zugleich zu einer Bereinigung des Steuerrechts von Sondertatbeständen und Subventionen den Mittelstand. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kollegen der beiden Koalitionsfraktionen haben dafür schon, wie ich glaube, überzeugende Argumente vorgetragen.Tatsächlich erreichen wir ja mit unserem umfassenden Konzept der Steuerreform, das wir in drei Schritten in dem Zeitraum von 1986 bis 1990 in Kraft setzen, eine nachhaltige Verbesserung der Investitions- und Wachstumsvoraussetzungen gerade für mittelständische Unternehmen. Wir setzen damit unsere im Herbst 1982 begonnene Politik zur Stärkung des Wettbewerbs und zur Förderung einer gesunderen Unternehmensstruktur fort. Im Gegensatz zu einer von der Sozialdemokratie sonst rein vordergründig geführten Verteilungsdiskussion geht die wirtschaftspolitische Diskussion in den letzten Monaten in Wahrheit in eine andere Richtung. Wir sehen uns zunehmend nicht nur von Wirtschaftsverbänden des Mittelstands, der Industrie, des Handels, sondern auch von Wirtschaftswissenschaftlern mit der kritischen Frage konfrontiert, ob wir für die Stärkung der Investitionsfähigkeit nicht noch mehr hätten tun müssen, ob hier im Grunde nicht noch weitere Spielräume hätten ausgefüllt werden müssen.Das sind Perspektiven auch für die kommende Wahlperiode. Aber wir müssen Schritt für Schritt vorangehen. Jetzt geht es darum, das vereinbarte Konzept mit seinen großen unbestreitbaren Fortschritten für Arbeitnehmer und Mittelstand in ein Bundesgesetz umzusetzen.Wir haben auf diesem Wege auch gerade zur Förderung der Investitionsfähigkeit des Mittelstands seit 1983 erste Schritte getan. Ich erinnere nur an die Verringerung der Gewerbe- und Vermögensteuerbelastung, die Einführung von Sonderabschreibungen für kleinere und mittlere Betriebe nach § 7 g des Einkommensteuergesetzes. Diese Möglichkeit haben wir durch eine Neuregelung, die bereits am 1. Januar in Kraft getreten ist nachhaltig verstärkt. Nachdem die erste Lösung nicht die erhoffte durchschlagende Wirkung hatte, erwarten wir uns von dieser Verstärkung wirklich eine verbesserte Investitionsvoraussetzung gerade für die kleinen Betriebe. Der Begriff „Mittelstand" ist ja etwas unscharf. Die einen denken an die Handwerksbetriebe mit 5 oder 30 Beschäftigten. Dann haben wir den industriellen Mittelstand. Wir reden also über ein sehr breites Spektrum verschiedener wirtschaftlicher Gruppierungen, die aber alle ihre große Bedeutung für unsere Wirtschaftsstruktur und auch für die Beschäftigungspolitik und vor allem für die Ausbildungsleistung in der Bundesrepublik Deutschland haben.Ich erinnere an die Verdoppelung des Höchstbetrages für den Verlustvor- oder -rücktrag nach § 10 d des Einkommensteuergesetzes und schließlich an die erheblich verbesserte Regelung für Abschreibungen bei Wirtschaftsgebäuden, die, wenn man die vorherige Verwaltungspraxis kannte, insbesondere mittelständischen Betrieben überdurchschnittlich zugute kommt.Aber der Kernpunkt ist ja ein ganz anderer. Es ist bezeichnend, daß die Sozialdemokraten ihn in ihrem Antrag ausgeklammert haben. Vor allem die grundlegende Reform des Einkommensteuertarifs, der Abbau der weit überhöhten Grenzbelastungen im Bereich mittlerer Einkommen, wird dafür sorgen, daß wir zu einer wirklich positiven Neuregelung gelangen. Unternehmerische Investitionen, die Bereitschaft, sich den Risiken des Marktes auszusetzen — die in manchen Gruppen unserer Bevölkerung und öffentlichen Meinung schwächer ist als in anderen sehr dynamischen Industrienationen — das alles wird in Zukunft eine wesentlich stärkere finanzielle Anerkennung finden. Vor dem Hintergrund dieser dauerhaften und nachhaltigen Tarifreform sind die Auswirkungen der Bereinigung unseres Steuerrechts von Sondertatbeständen zu gewichten, ist ihre Ausgestaltung zu bewerten.Man muß also, Herr Kollege Poß, Einzelfragen wie gezielte Regelungen für den Mittelstand vom Gesamtkonzept her bewerten.
Wer die Tarifreform wie Sie ablehnt, kann nicht beanspruchen, mittelstandsfreundliche Steuerpolitik zu gestalten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
Bitte sehr, Herr Kollege Apel.
Herr Kollege Stoltenberg, sind Sie mit mir einer Meinung, daß zu dem Gesamtkonzept der Steuerpolitik, über das Sie eben geredet haben, erstens Ihre Ankündigung massiver Verbrauchsteuererhöhungen im nächsten Jahre — das kann den Mittelstand nur treffen — und zweitens die Notwendigkeit gehören, nach 1990 massiv Mehrwertsteuererhöhungen durchzusetzen, um die riesigen Haushaltslöcher, die Sie mit Ihrer Steuerpolitik schlagen, zu schließen?
Herr Kollege Apel, Sie bringen in Frageform Unterstellungen und Spekulationen, die Sie auch in der Öffentlichkeit erheben, die aber nicht mit der Beschlußlage der Bundesregierung übereinstimmen.
Ich will Sie einmal daran erinnern, daß in Ihrer Regierungszeit die Verbrauchsteuern einschließlich der Mehrwertsteuer um 25 Millarden DM auf Jahresbasis erhöht wurden,
ohne daß Sie eine grundlegende Steuerreform zustande gebracht hätten.Demgegenüber steht nach den Vereinbarungen der Koalition in Verbindung mit den zusätzlichen Einnahmeverzichten, die wir für die EG leisten, eine Verbrauchsteuererhöhung in der Größenordnung von, wenn wir uns einmal an der Belastung des nächsten Jahres orientieren, etwa 6 Milliarden DM an.
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Bundesminister Dr. StoltenbergWenn wir die direkten Steuern auf Arbeit und unternehmerische Tätigkeit um 50 Milliarden DM senken, ist dies eine Größenordnung, die überhaupt nicht als eine Gefährdung des vorrangigen Ziels kritisiert werden kann, Arbeit und unternehmerische Tätigkeit im Steuerrecht stärker anzuerkennen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Apel?
Nein, ich möchte jetzt fortfahren, Herr Kollege Apel, und werde mich mit Ihnen noch ruhig auseinandersetzen.Wer die große Tarifreform ablehnt, schadet dem Mittelstand,
trägt zu einer nicht vertretbaren Verschärfung der Progessionswirkung für den Mittelstand und die Facharbeiter bei. Das ist das Kennzeichen der sozialdemokratischen Steuerpolitik, der sogenannten Alternativen, die Sie ständig in der Öffentlichkeit vortragen.In der Tat, meine Damen und Herren, wir gehen mit der Steuerreform an eine Generalüberholung des Steuerrechts heran. Das begründet ja auch die Kritik in der öffentlichen Diskussion durch viele Gruppen von Spitzenverbänden der Industrie bis zu Gewerkschaften. Sie alle verteidigen die Privilegien von Minderheiten, die bei einem gerechteren Steuersystem mit einer nachhaltigen Absenkung der Durchschnittsbelastung nicht mehr zu rechtfertigen sind. Sonderregelungen, Steuersubventionen und Schlupflöcher müssen beseitigt werden. Das ist ein Erfordernis der Gerechtigkeit.Im Ergebnis wird natürlich der Abbau von Steuersubventionen und Gestaltungsmöglichkeiten auf Grund der Progressionswirkungen die Bezieher sehr hoher Einkommen unvergleichlich stärker treffen als diejenigen, die ein Durchschnittseinkommen haben.— Das sind alles einfache Wahrheiten, Herr Kollege Apel, die, wenn Sie glaubwürdig argumentieren wollen, endlich auch einmal von Ihnen anerkannt werden sollten.
Ich lese, was ich sonst nicht getan habe, im Augenblick gelegentlich auch einmal in der umfangreichen Literatur
— ich habe jetzt nicht an den „Vorwärts" gedacht; das wäre vielleicht eine neue Aufgabe für den „Vorwärts", das in einer Spalte aufzunehmen — , der vielen Informationsdienste und Beratungsdienste für die Vermeidung von Steuern, also für das Ausnutzen von Schlupflöchern. Das ist sehr interessant. — Sie empfehlen in Kenntnis unserer Steuerreformkonzeption ihren Beziehern, die ja hohe Preise bezahlen, folgendes Motto: Verändern Sie Ihre Anlagestrategien.
— Nein, nein, sie schreiben etwas ganz anderes, Herr Kollege Apel. Sie haben erkannt, daß wir Ungerechtigkeiten zugunsten privilegierter Minderheiten beseitigen, die Sie in Ihrer ganzen Regierungszeit nicht beseitigt haben. Das ist das Ergebnis dieser Literatur.
Ich nenne nur einmal einen Punkt, den die fachkundigen Kollegen in Ihrem Kreis ja sehr wohl kennen.
— Bleiben Sie doch einmal bei der Sache, Herr Apel; das würde Ihnen wirklich dienen in einer ernsthaften Debatte.
Wenn wir z. B. die Versagung des Verlustabzugs beim Mantelkauf vorsehen, wissen Sie ganz genau, daß wir damit etwas tun, was der Steuergerechtigkeit dient und nicht den vielzitierten Reichen und Cleveren.
Ich will jetzt auch etwas zum Thema § 34 Einkommensteuergesetz sagen. Er soll in der Neufassung den Belangen der kleinen und mittleren Unternehmen Rechnung tragen. Wir sind der Meinung, daß hier eine Veränderung notwendig ist. In dem Punkt stimmen wir analytisch überein. Was ich dem Kabinett vorschlagen will, ist in der Grundstruktur folgendes: Wir wollen in Zukunft für außerordentliche Einkünfte bis zu einem Höchstbetrag, den die typischen Veräußerungsgewinne im Mittelstand nicht erreichen, den jetzigen halben durchschnittlichen Steuersatz empfehlen. Wir wollen darüber hinausgehende außerordentliche Einkünfte bis zu einem zweiten Höchstbetrag mit zwei Dritteln des durchschnittlichen Steuersatzes erfassen. Und für die hohen Einkünfte, die typischen Fälle, die uns, die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt haben, sehen wir in Zukunft die volle Besteuerung vor. Es ist ein gerechteres System, das wir verwirklichen. — Sie haben dazu, Herr Apel, 13 Jahre Zeit gehabt. Sie haben es nicht geschafft. Also mäßigen Sie Ihre Kritik in dem Punkt, in dem wir uns in der Sache ja einig sind, etwas.
Das ist nur ein Beispiel dafür, daß wir uns um Steuergerechtigkeit bemühen und daß wir exzessive Nutzung von vorhandenen Schlupflöchern durch Milliardäre oder Besitzer großer Vermögen beseitigen wollen. Das ist ein Kernstück unserer Steuerreform, im Gegensatz zu dem, was Sie den Leuten erzählen wollen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4557
Bundesminister Dr. StoltenbergDemgegenüber ist die steuerstundende Investitionsrücklage nach einer intensiven Diskussion der letzten Jahre nicht in unser Konzept aufgenommen worden. Sie kennen die Argumente und Gegenargumente. Es geht vor allem darum, die am Markt erfolgreiche Investition zu honorieren. Es ist besser für die Steuerpflichtigen, wenn ihr verfügbares Einkommen größer wird, über das sie in eigener Verantwortung entscheiden können, als daß wir durch Spezialregelungen eine subtile Form der Investitionslenkung herbeiführen. Das ist meine Überzeugung. Wir wollen nicht so stark in die Dispositionsfähigkeit der Unternehmen eingreifen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier noch einen Punkt kurz einbringen: Es ist wirklich hilfreich, wenn wir uns einmal in der deutschen Öffentlichkeit und im Parlament den Entscheidungen wichtiger Partner zuwenden. In den letzten Tagen hat nach langen Auseinandersetzungen die Große Koalition in Österreich zwischen Sozialistischer Partei und Volkspartei ihr Konzept für die Steuerreform vereinbart. Es gibt ein großes Maß an Übereinstimmung mit dem, was wir uns vorgenommen haben.
Unter einem sozialistischen Bundeskanzler Franz Vranitzky, den ich aus seiner früheren Tätigkeit als Finanzminister sehr gut kenne, und unter einem sozialistischen Finanzminister Lacina wird folgendes Konzept verwirklicht: Erstens: Tarifreform, Senkung des Tarifsatzes von 10 % im Eingangssteuersatz und auf 50 % im Spitzensteuersatz. Der Spitzensteuersatz in Österreich geht von 62 % auf 50 % zurück. Warum? Weil zur selben Zeit die Erweiterung der Bemessungsgrundlage mit größter Konsequenz vollzogen wird, weil Österreich in der Beseitigung von Ausnahmetatbeständen und Steuersubventionen und Sonderregelungen für Minderheiten mindestens so weit geht wie wir, und das ist sehr zu begrüßen. Zweitens: die Zurückführung von Sonderregelungen für Investitionsanreize. Das, was Sie uns empfehlen, wird in Österreich drastisch zurückgeführt. Drittens: die Einführung einer kleinen Kapitalertragsteuer. Ich habe das alles mit großem Interesse verfolgt nach manchen Debatten hier bei uns. Das ist dem sehr nahe, was wir in den letzten Monaten beschlossen haben. Die Ausnahme in Österreich entspricht etwa dem, was wir mit der Ausnahme für Sparbücher mit gesetzlicher Kündigungsfrist vorgesehen haben. Es ist zu 80 % das Modell, das wir in der Bundesrepublik Deutschland verwirklichen.Schließlich erhöhen die Österreicher, weil sie in einer schlechteren Haushaltssituation als wir sind, in Verbindung mit dieser Steuerreform spürbar einige Verbrauchsteuern. Wir tun das nicht in Verbindung mit der Steuerreform, wir müssen es in Verbindung mit der EG tun.
Herr Apel hat uns ja nun mittlerweile verlassen.
— Es ist wirklich nur eine freundlich gemeinte Geste.— Herr Poß, es sollte Sie doch wirklich einmal nachdenklich stimmen, daß in diesem benachbarten, mituns so eng verbundenen Land unter entscheidender sozialistischer Beteiligung in der Regierung eine Steuerreform verwirklicht wird — beginnend mit der Senkung des Spitzensteuersatzes, der Erweiterung der Bemessungsgrundlage, mit dem Abbau von Sonderregelungen, der Einführung einer kleinen Kapitalertragsteuer — , die in allen entscheidenden Punkten mit dem übereinstimmt, was wir in der Bundesrepublik Deutschland jetzt verwirklichen wollen.
Sie müssen doch einmal Ihre Argumente überprüfen,
wenn Sie die internationale Steuerentwicklung — von den Vereinigten Staaten bis Österreich — sehen.Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Wir werden nach den Kabinettsbeschlüssen am 22. März in Kürze Gelegenheit zu einer großen steuerpolitischen Diskussion haben. Ich lade Sie alle ein, konstruktiv daran mitzuarbeiten.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache über diesen Tagesordnungspunkt.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN
Keine Flächen- und Betriebsstillegungen, sondern Überschußbeseitigung und ökologische Intensivierung der Landbewirtschaftung
— Drucksache 11/913 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Finanzausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Sie stimmen dem zu. Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kreuzeder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich ein Glück für mich als Bauer, daß ich im Jahre 1988 noch die Chance habe, im Parlament über Landwirtschaft zu sprechen. Denn wenn in der EG noch öfter solche Beschlüsse gefaßt werden, dann wird es in diesem Parlament in absehbarer Zeit über Landwirtschaft nichts mehr zu verhandeln geben. Die neuen EG-Beschlüsse verdanken wir vor allem der Bundesregierung.
Die Stillegung von Teilflächen oder ganzer Betriebeund der Vorruhestand wurden in Brüssel ausschließ-
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Kreuzederlich von Kohl und Kiechle durchgedrückt und sollen nun als Programm zur Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft verkauft werden. Mit unwahrscheinlichem Einsatz wurde anderen Mitgliedstaaten der EG klargemacht, daß die beste Maßnahme zur Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft die Stillegung derselben ist.
Für die Vernichtung von bäuerlichen Existenzen hatte die Regierung in diesem Jahr schon 4 Milliarden DM übrig — also nicht etwa zur Erhaltung, sondern zu deren Vernichtung.Die zwei grundlegenden Probleme, die man in der Agrarpolitik hat, nämlich Überschußbeseitigung und die Einwirkungen der agrarindustriellen Landwirtschaft auf die Ökologie und auf die Natur, werden mit dem Programm Flächenstillegung ganz bestimmt nicht beseitigt.
— Auch nicht verbessert.
— Nein. Herr Eigen, in Wirklichkeit wird etwas ganz anderes passieren: Die Überschüsse werden durch Flächen- und Betriebsstillegungen nicht verringert, sondern ganz im Gegenteil — die niedersächsische Grünbrache hat uns das bewiesen — : 98 % der stillgelegten Flächen waren ertragsschwache Gebiete. Auf den intensiven Standorten jedoch, so sagt es uns der Agrarbericht, war die Produktionssteigerung wieder 1,9 %. Das heißt — und da zitiere ich einmal den Professor Dambroth, der dazu etwas gesagt hat —:Durch die Intensitätssteigerung auf den übrigen Flächen werden die anfänglichen marktentlastenden Effekte wieder ausgeglichen, wie es das Beispiel in den USA schon gezeigt hat. Die Folge wird sein, daß in 5 Jahren bereits 30 % der Fläche stillgelegt werden müßte, um überhaupt noch eine Marktentlastung zu erzielen.
Das bedeutet, daß die Marktordnungskosten und die Überschußkosten durch dieses Programm nicht gesenkt werden. Und wenn unser Herr Minister Kiechle gar erwartet, daß die anderen Mitgliedstaaten dasselbe durchziehen werden, dann möchte ich nur einmal an die Milchkontingentierung erinnern, an das, was uns da passiert ist. Holland wird — das haben wir ja im Ausschuß das letzte Mal von der holländischen Delegation gehört — keinen Quadratmeter Fläche stillegen. Holland ist zur Zeit dabei, in Spanien Agrarflächen aufzukaufen. Und was passiert dann?
— Ja, was passiert dann? Die Preise werden weiter fallen, in der Bundesrepublik werden noch mehr Betriebe zum Aufhören gezwungen. Wir werden noch mehr Arbeitslose haben, von denen der Herr Staatssekretär Eisenkrämer in Wiesbaden auf einer DLG-Versammlung sagt: Es ist eigentlich gar nicht tragisch,wenn wir pro Landkreis ein Dutzend neuer Arbeitsloser aus der Landwirtschaft haben.Daß es auch anders möglich wäre, das Schlagwort vom Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft mit Leben zu erfüllen, zeigt uns Dänemark. Dänemark wird in den nächsten 5 Jahren 10 % seiner Fläche mit staatlicher Unterstützung auf biologischen Landbau umstellen. Wie wichtig und wie sinnvoll das auch bei uns wäre, zeigt unsere Natur. Da ist der Artenschwund zu beklagen. Für zwei Drittel der vom Aussterben bedrohten Pflanzen- und Tierarten sind inzwischen Bauer und Bäuerin zuständig, weil sie mit Ihrer Politik in die Misere hineingetrieben werden, immer mehr Umwelt, Natur zu vernichten. Die Bodenerosion hat— das ist sogar in dem Gutachten der Bundesregierung gesagt — ungeahnte Ausmaße angenommen, speziell beim Hopfen und beim Zuckerrübenbau. Was uns die meisten Probleme bereitet — vor allem Ihnen — , sind die Agrargifte im Grundwasser, das eine unserer Lebensgrundlagen ist. Herr Späth wird am 20. März 1988 seine Rechnung für seinen Wasserpfennig kriegen. Da können Sie sicher sein.
— Wer's glaubt, wird selig.
Es ist natürlich ganz klar, daß das in Ihren Überlegungen keine Rolle spielt; denn Sie wollen ja ganz etwas anderes.
Das beste Beispiel sitzt auf der Regierungsbank: Herr von Geldern. Herr von Geldern sagt, er wolle ein neues Bild vom Bauern: nicht mehr den traditionellen Nahrungsmittelproduzenten, sondern den Bauern, der allen technischen und ökonomischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen sei. Das heißt ganz klar— deswegen ist ja im Landwirtschaftsministerium die neue Abteilung für Bio- und Gentechnologie eingerichtet worden — , Sie wollen den Bauern, der mit genmanipulierten Pflanzen und hormonbehandelten Tieren agrarindustrielle Rohstoffe produziert. Sie wollen die neue Leibeigenschaft, nichts anderes wollen Sie.
— Herr Eigen, Sie sprechen von der Unwahrheit. Immer mehr Bauern glauben uns, den GRÜNEN, und immer weniger Ihnen.
Von den GRÜNEN werden dieses Flächenstillegungsprogramm und der Vorruhestand, die Frührente als ein Herauskaufprogramm — nichts andereres ist es — , abgelehnt. Was wir wollen, ist die flächendekkende Verringerung der Intensität von Agrargiften.
Wir wollen durch gezielte Förderung den biologischen Landbau erreichen, wie ihn Dänemark vorschlägt und durchführen wird. Ich weiß ja, daß Sie vom biologischen Landbau nichts halten. Sie sind
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Kreuzedereben nicht anders ausgebildet worden. Die Ausbildung hat sich inzwischen verbessert.
Statt Flächenstillegung z. B. eine Leguminosengrünbrache; Beimischungszwang, und zwar 50 % von einheimischen Getreidemitteln in die Futtermittel;
Einbeziehung der Substitute in die Getreidemarktordnung.
— Einverstanden? Warum haben Sie das denn letztes Mal im Ausschuß abgelehnt?
— Sicher haben Sie das abgelehnt. Sie haben gesagt, die EG müsse das machen. Herr Andriessen sagt, er könne sich gegen deutsche Agrarpolitiker nicht durchsetzen. Erzählen Sie den Bauern doch nicht immer etwas von dem katastrophalen Kreislauf, sondern geben Sie endlich zu, daß Sie ein Vertreter der Großgrundbesitzer sind so wir der Mann hinter Ihnen.
Wir sind für die Einführung der gestaffelten Preise und fordern für eine sinnvolle Grundmenge der Produktion ein Einkommen, damit die bäuerlichen Existenzen, die jetzt noch vorhanden sind, alle erhalten werden; denn ihre Arbeit ist für uns sinnvolle Arbeit.Was die Bundesregierung zur Zeit fördert, wissen wir ja — vorgestern stand es in der Zeitung — : 20 Milliarden DM für den neuen Jäger 90. Dafür ist Geld in Massen vorhanden, aber für die Erhaltung von 15-ha-Betrieben ist, Herr von Geldern, anscheinend nichts übrig.Nicht zuletzt brauchen wir Bestandsobergrenzen mit Flächenbindung der Produktion. Alle Parteien in diesem Haus fordern das seit Jahren. Nur, wenn DIE GRÜNEN den Antrag stellen — wir haben ihn diese Woche wieder eingebracht —, wird er von allen anderen Parteien leider abgelehnt. Sie sollten den bäuerlichen Familien einmal mitteilen, daß in ihrem Haus oft nur eine Täuschung der Bevölkerung versucht wird.
An sich habe ich nichts gegen die Begriffe Stillegung und Vorruhestand, wenn Sie sie auf die Regierungsbank beziehen. Wenn die Regierungsbank stillgelegt und Herr Kiechle in den Vorruhestand geschickt wird, bin ich einverstanden.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Michels.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kreuzeder, Agrarpolitik und Verteidigungspolitik aus ideologischer Sicht anzugehen wird nie zum Erfolg führen. Man sollte an dieProbleme sachlich herangehen, und so will ich es auch tun.
Vom Treffen der Umweltminister auf EG-Ebene zurückgekommen, schreibt Bundesumweltminister Dr. Töpfer:Erfolgreiche Umweltpolitik kann nur in Zusammenarbeit mit den Landwirten betrieben werden. Die Beschlüsse des europäischen Gipfels vom 12. Februar dieses Jahres geben eine besondere Chance, die Ziele der Umweltpolitik in der Agrarpolitik zu verwirklichen.
Er schreibt weiter:Besondere Leistungen wie auch Produktivitätseinschränkungen der Land- und Forstwirtschaft zugunsten des Umwelt- und Naturschutzes sind angemessen zu honorieren, wie bereits auf dem EG-Gipfel beschlossen wurde.In der Tat, dies ist unsere Linie: europaweites Herangehen an diese wichtige Aufgabe, noch stärkere Berücksichtigung der natürlichen Belange von Mensch, Tier und Pflanze, eben unseres Lebensraums.Mit Sicherheit wird es — ich sage das in aller Deutlichkeit — in Zukunft mehr Flächen geben, die nicht mehr für die Produktion von Lebensmitteln genutzt werden. Hier bietet sich uns die große Chance, auch gezielt solche Flächen aus der Produktion zu nehmen, um somit in ökologisch besonders wertvollen Gebieten eventuell sogar zu einer Vernetzung von Teilflächen zu gelangen.
Eine Raumordnung ist gefragt, die auf Veränderung in der Landwirtschaft Bezug nimmt. Freiwerdende Flächen bieten sich an, in das Freizeit- und Erholungsangebot des ländlichen Raumes einbezogen zu werden.
Ich bin der Meinung, daß die Förderung des ländlichen Raums identisch sein muß mit der Entwicklung und Förderung solcher Verarbeitungsverfahren, die auf der Basis agrarischer Rohstoffe zu entwickeln sind. Zum Beispiel könnte ein Großteil unseres Verpakkungsmaterials aus Stärke hergestellt werden.
Damit würden wir gleichzeitig eine Umwidmung der Flächennutzung und eine Entlastung bei der Müllbeseitigung erreichen.
— Ja, so ist's recht.
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MichelsWer heute darüber klagt, daß in der Vergangenheit auch ökologisch besonders wichtige Flächen unter den Pflug genommen worden sind, der soll sich doch bitte einmal daran erinnern, daß dies zum größten Teil nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen ist, und zwar keinem anderen Ziel dienend, als den Hunger der Menschen zu stillen. Heute muß zum Glück bei uns niemand mehr hungern. Also können wir wieder auf die Nutzung eines Teiles der landwirtschaftlichen Flächen verzichten.Es ist falsch, der Landwirtschaft global vorzuwerfen, sie verseuche durch den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln Boden und Pflanzen.
Ich will nicht bestreiten, daß in Einzelfällen bei der Anwendung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln des Guten hier und da auch einmal zu viel getan ist.
Es ist aber unverantwortlich, deshalb mit dem großen Knüppel auf die Bauern einzudreschen.
Beratung und besondere Hilfe sind angezeigt. Jeder muß mir doch recht geben, wenn ich feststelle, daß die deutschen Bauern mit den weitestgehenden Pflanzen-und Tierschutzgesetzen bzw. deren Auflagen in der Welt leben müssen. Im Europa der Zwölf gibt es kein Land, das diesbezüglich seinen Bauern auch nur annähernd gleiche Auflagen macht.Nun zu der Forderung der GRÜNEN, den Stickstoff zu verteuern.
Wir halten diese Forderung für unrealistisch.
Erstens wäre das nur möglich, wenn innerhalb der EG in allen Ländern gleichermaßen vorgegangen würde.
Zweitens müßten die Grenzen zu Drittländern absolut geschlossen werden. Drittens könnte die Landwirtschaft die Ertragseinbußen ohne Ausgleich nicht tragen. Und dies alles müßte dann europaweit geschehen.Wer sich auch nur ein wenig den Realitätssinn bewahrt hat, der weiß: Die Forderung ist unrealistisch, so nicht durchführbar und nur dazu geeignet, der Landwirtschaft Schwierigkeiten zu machen.
Die vor wenigen Wochen in Berlin durchgeführte Anhörung unter Teilnahme namhafter Wissenschaftler unseres Landes hat erneut deutlich gemacht, daß mit den feinsten Meßmethoden keine Rückstandsunterschiede zwischen den Produkten herkömmlicher und den Produkten sogenannter ökologischer Herkunft festzustellen sind.
Andererseits würden die deutschen und europäischen Bauern eine große Chance vertun, wenn sie nicht den Bedarf an sogenannten ökologischen Nahrungsmitteln decken würden. Daß die Käufer solcher Nahrungsmittel dann auch den kostendeckenden Preis zahlen müssen, versteht sich doch für jeden von uns von selbst.
Unsere Bauern warten auf die Umsetzung der Brüsseler Beschlüsse. Der Brüsseler Gipfel, der dank des großen Einsatzes unseres Bundeskanzlers und aller Beteiligten als Erfolg gewertet werden kann, hat nicht nur weltweite Anerkennung gefunden, sondern auch der Landwirtschaft Berechenbarkeit vermittelt und perspektivisch neue Möglichkeiten eröffnet.Ich gehe auf die Fragen ein, die mir draußen gestellt werden.
— Ja, ist recht. — Wer nicht nur im Glashaus sitzt, sondern unter den Betroffenen ist, der kennt die Fragen, die aus dem Alltag der Bauern stammen: Kommt die vorzeitige Rente bei Produktionsaufgabe, und wann kommt sie? Ist eine rotierende Teilflächenstillegung möglich? Welche Entschädigung soll gezahlt werden? Wer kann daran teilnehmen? Wie wirken sich die Maßnahmen zur Produktionsrückführung auf den Pachtpreis aus? Kann die freiwerdende Fläche bei vorzeitiger Rente auch ganz oder teilweise dem Pachtmarkt angedient werden? Können die stillgelegten Flächen nach Ablauf der Vertragszeit wieder ohne jede Einschränkung für den Anbau von Marktordnungsprodukten genutzt werden? Kann derjenige, der sich an der Teilflächenstillegung beteiligt, solche Flächen zupachten, die aufgrund der Produktionsaufgaberente frei werden?Dies sind im wesentlichen die Fragen, die uns nach dem Brüsseler Gipfel draußen in der Landwirtschaft gestellt werden.Es sind heute noch keine vier Wochen seit den Brüsseler Verhandlungen vergangen. Die Zeit ist zu kurz, um heute schon bis ins letzte Detail auf alle möglichen Einzelheiten eingehen zu können.Im wesentlichen will ich das, bezogen auf unsere Forderungen an die Bundesregierung, tun. Wir gehen davon aus, daß die rechtlichen Voraussetzungen zeitlich so geschaffen werden können, daß ab 1. Juli 1988 Flächenstillegung und vorzeitige Rente für Produktionsaufgabe möglich sind. Nach den Brüsseler Beschlüssen sollte sowohl die Teilflächenstillegung als auch die Ganzstillegung für mindestens fünf Jahre angeboten werden. Bei der Teilflächenstillegung soll Rotation möglich sein. Die Entschädigung kann sich nach unserer Meinung zwischen ca. 700 DM und 1 450 DM je ha bewegen.
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MichelsWenn bei der Inanspruchnahme der vorzeitigen Rente ein Teil der Eigentumsfläche gegen Entschädigung in Höhe der gegendüblichen Pacht stillgelegt werden muß und der andere Teil verpachtet werden kann, dann wird für viele Junglandwirte die Zupacht ohne Pachtpreissteigerung möglich.Wir sind aber auch der Meinung, daß das Ziel der Teilflächenstillegung, nämlich die Mengenrückführung, nicht durch Zupacht der durch dieses Programm freiwerdenden Flächen unterlaufen werden darf.Selbstverständlich muß nach meiner Meinung ein Sanierungsverkauf vor Inanspruchnahme der vorzeitigen Rente möglich sein, damit in zumindest einem Teil der Fälle nicht der Kapitaldienst Rente und Eigentum verzehrt.Wenn jemand seine Flächen für eine begrenzte Zeit gegen Bezahlung stillegt, muß er nach Ablauf dieser Zeit selbige Flächen wieder so nutzen können, wie es vorher der Fall war.Der Pachtanteil unserer Bauern beläuft sich etwa auf 30 %.Wir sind der Auffassung, daß die Teilnahme an diesem Programm nur möglich sein darf: erstens für selbstwirtschaftende Landwirte, zweitens, wenn mindestens fünf Jahre Eigenbewirtschaftung nachgewiesen wurde.Unser Anliegen muß sein, daß alle Länder innerhalb der EG ihren Bauern so weit wie nur möglich auf diesem Weg entgegenkommen,
damit das erste Ziel, die Rückführung der Produktion, in notwendigem Umfang erreicht wird. Denn beim Überschreiten der Getreideerntemenge von 160 Millionen t würde für die Bauern der Preis fallen und für uns alle der Absatz dieser Übermengen immer teurer werden.Wir haben in Europa jetzt die große Chance, ohne rücksichtslosen Marktkampf die Produktion näher an den Bedarf heranzuführen, dadurch den ruinierenden Preisverfall zu stoppen, durch die Produktionsaufgabe-Rente vielen Familien zu helfen, ihr Vermögen zu erhalten und eine Rente zu beziehen, sowie den jüngeren Landwirten zur Stärkung ihrer beruflichen Grundlage das freiwerdende Land zum Teil zur Verfügung zu stellen.Meine Damen und Herren, ich muß nun zum Schluß kommen. Ich gehe davon aus, daß wir auch auf dem Milchmarkt in Kürze zu einer Änderung kommen, und zwar so, daß wir die Molkereiregelung anwenden können, um Über- und Unterlieferungen ausgleichen zu können.
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß. Die für Sie vorgesehene Redezeit ist abgelaufen.
Schönen Dank. — Wer vor zwei Jahren gesagt hätte, daß wir heute hier stehen, der hätte dieses nicht abgenommen bekommen.
Ich möchte allen Beteiligten — dem Bundeskanzler, dem Bundeslandwirtschaftsminister und allen, die daran mitgewirkt haben — im Namen der Bauern recht herzlich danken.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Flächenstillegungen als Lösung der Strukturkrise in der Landwirtschaft EG-weit? Ganz sicher nicht! Das Ziel, das damit erreicht werden sollte, kann nämlich nicht erlangt werden, weil man den Weg nur halbherzig geht, aus unserer Sicht sogar einen falschen Weg einschlägt.Die zweitkleinste Partei im Hause nutzt die Gelegenheit, um auf neun Seiten ihre landwirtschaftlichen Grundpositionen hier erneut darzustellen.Worum geht es? Die Agrarminister haben unter dem Vorsitz von Herrn Bundesminister Kiechle beschlossen, das Flächenstillegungen mit bis zu 1 400 DM prämiert werden können, wenn sie Marktordnungsprodukte aus der Produktion nehmen. 20 % der jeweiligen Anbaufläche müssen stillgelegt werden. Alle EG- Länder haben diesem Kann-Vorschlag zugestimmt. Auch wenn es heißt, die Länder seien verpflichtet, diese Regelung bei sich einzuführen, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß dies dennoch keine zwingende Umsetzung des Beschlusses beinhaltet.Der Antrag der GRÜNEN begehrt nun die Überschußbeteiligung und die ökologische Intensivierung der Landwirtschaft. Lobenswerte Ziele! Nur, daß die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen die alleinseligmachenden sind, ist zu bezweifeln.
Die Körnerleguminosen sind ein Beispiel für die Fixierung auf Allheilmittel ohne Durchschlagskraft. Ebensowenig glauben wir, daß ein neuer Steuertatbestand geschaffen werden sollte, wie bei Ihrer Forderung nach der Abgabe auf Stickstoffdünger. Klare und scharfe Umweltauflagen erreichten mehr. Ihre gestaffelten Erzeugerpreise geben außerdem ein falsches Signal.
Das Ziel, Flächen aus der Produktion zu nehmen, ist vordergründig erst einmal verblüffend naheliegend. Dafür auch noch entlohnt zu werden ist herrlich. Milliardenbeträge für Nichtarbeit auszugeben erhält somit eine weitere Dimension in unserer Arbeitsgesellschaft.Was spricht nun dafür, was dagegen? Dafür spricht, daß Flächen nicht mehr bebaut werden und somit erwartet wird, daß weniger Produkte, die der Marktordnung unterliegen, von der EG aufgekauft werden müssen, die Stabilisatoren einmal außer acht gelassen. Dabei hört es aber auch schon auf. Es steht mehr dagegen als dafür.Der Agrarministerrat und die Regierungschefs haben vergessen, Rahmenbedingungen festzusetzen, unter denen der Rückgang der Produktion erfolgreich sein kann; denn die Zahlungen sollen ja Anreiz und
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4562 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Frau AdlerAusgleich zugleich sein. Was passiert, wenn die Restflächen mit Marktordnungsprodukten bebaut, ja intensiver bebaut werden? Der Nachweis, daß weniger abgeliefert werden muß, bleibt aus. Die Gefahr der höheren Belastung der Böden und dadurch der Folgeschäden ist gegeben. Welche Böden werden als erste zur Stillegung angeboten? Natürlich die Grenzertragsböden oder/und Böden in benachteiligten Gebieten, die schwer zu bestellen sind,
eine Passivbereinigung in den strukturellen Problemregionen der Bundesrepublik also.
Gerade die kleinen Hofstellen auf kargen Böden rechnen und legen Flächen still, die dann der Natur- und Landschaftspflege anheim fallen. Da wir aber ein Interesse daran haben müssen, daß es zu keiner regionalen Verschiebung der Versorgung kommt, kann das nicht in unserem Interesse liegen. Dies wäre ein Strukturwandel gegen die bäuerlichen Familienbetriebe, die in Sonntagsreden so hoch gelobt werden.Außerdem kann diese Flächenstillegung die Zielsetzung der Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten konterkarieren, da mit Hilfe der Ausgleichszahlungen die Landwirtschaft gerade in diesen Regionen gehalten werden soll.Außerdem besagen Hinweise, daß von den 46 Millionen Hektar Fläche mit Marktordnungsprodukten nur 1,4 Millionen Hektar von den eigentlich notwendigen 14 Millionen Hektar freiwillig tatsächlich in die Stillegungen einbezogen werden.Die Verlagerung innerhalb der Bundesrepublik auf große bewirtschaftete Flächen kann nicht ausbleiben. Ökologische Auflagen für diese Flächen fehlen vollständig.Und noch jemand reibt sich die Hände: die EG- Partner. Sie mußten sich verpflichten, diese Maßnahmen anzubieten; sie mußten aber keine Zusage über ihre Umsetzung machen. Mit Leichtigkeit wird ein Land oder werden mehrere Länder in die Bresche springen, sprich: die freiwerdenden Mengen auf den Markt bringen. Die Obergrenze ist z. B. bei Getreide so gewählt, daß in normalen guten Erntejahren alle Produkte zum Garantiepreis aufgekauft werden müssen.Was müßte geschehen? Wir Sozialdemokraten geben der Extensivierung der Bodenbewirtschaftung Vorrang vor der Flächenstillegung. Wo die regionalen Gegebenheiten nur dies zulassen, können jedoch in Einzelfällen unter bestimmten Bedingungen auch Flächenstillegungen möglich sein — ich betone: unter bestimmten Bedingungen.Die Ausbringung von weniger Stickstoff in Form von Gülle und Agrarchemikalien muß gewährleistet sein. Chemische Hilfsstoffe in jedweder Form müssen kritisch gesehen und zurückgenommen werden. Die Belastung der Umwelt muß gesenkt werden. Der Naturkreislauf in der Lebensmittelkette weist uns da den Weg. Weniger ist dabei mehr.Dafür sollte der Landwirt einen Ausgleich erhalten. Landwirtschaftliche Produkte in der EG und aus Drittländern müssen dabei den gleichen hohen Anforderungen genügen.
Einfuhren von veredelten Produkten und Substituten müssen sich in geduldigen Verhandlungen an den Interessen der Menschen in der EG orientieren.
Handelsdiktate sind zurückzuweisen. Die Weiterführung der GATT-Verhandlungen muß gesamtwirtschaftlich gesehen und eingebunden werden. Die Industrieinteressen und die damit verbundenen Arbeitsplatzinteressen dürfen nicht als Druckmittel gegen die Landwirtschaft eingesetzt werden.
Wir sind für mehr Markt und weniger Dirigismus. Auf dem Weg dahin sind neutrale Einkommensausgleiche notwendig. Sie müssen sich aber an vergleichbaren Einkommen messen lassen und den ökologischen Gesichtspunkt voll mit einbeziehen.Noch ein Wort zur Vorruhestandsregelung. Eine verkappte Flächenstillegung steckt dahinter. Hier werden gegen die Landwirte Rahmenbedingungen geschaffen, die bei der großzügigen Flächenstilllegung fehlen. Es wird wieder auf dem Rücken der kleinen Leute gehandelt. 7 140 DM im Jahr plus 595 DM pro Hektar Stillegungsprämie kann für die strukturschwachen landwirtschaftlichen Räume ein attraktives Angebot sein. Daß aber gerade da die Fläche dringend benötigt wird, wird dabei übersehen. Es gibt wieder Passivsanierung in den Dörfern, überwiegend im Süden der Bundesrepublik.
Machen die anderen denn mit, oder sind Sie hier wieder freiwillig eine Verpflichtung eingegangen? In den EG-Ländern ist der Strukturwandel schon sehr weit fortgeschritten.Die Frage, die die Bundesregierung offen und ehrlich beantworten muß, lautet, ob sie diesen Strukturwandel so will, wie er sich in Frankreich, in den Niederlanden oder in Großbritannien politisch schon vollzogen hat, oder ob es der Bundesregierung mit ihrer Beteuerung ernst ist, daß der bäuerliche Familienbetrieb eine Chance hat. Wenn sie letzteres will, dürfen keine Flächenstillegungsprogramme gemacht werden, die diesem Anspruch nicht genügen. Dann müssen Sie eine Vorruhestandsregelung schaffen, die sich an den sozialpolitischen Erfordernissen orientiert.Daß den gewerblichen Arbeitnehmern der Vorruhestand dann nicht genommen werden darf, folgt schon aus dem Gleichheitsgrundsatz. Auch das sollten Sie bedenken.Leben auf dem Lande und die Versorgung der Menschen können nicht in einer Situation des Konflikts mit anderen wirtschaftlichen Interessen entschieden werden. Was auf dem Tisch .liegt, ist konzeptionslos, ein Stochern im Nebel ohne Aussicht auf Erfolg.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4563
Frau AdlerSie werden Ihren Vorschlag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen durchsetzen. Schade, daß dann eine weitere Chance vertan ist.Vordergründig kann im Einzelfall eine positive Bewertung erfolgen. Insgesamt aber bedeutet es, daß sich der Strukturwandel schneller und rasanter fortsetzt ohne Hoffnung auf die vorerst Zurückbleibenden.Unsere Vorschläge habe ich genannt: Neutraler Einkommensausgleich und ökologische Vorgaben könnten mehrere Ziele erreichen: weniger produzieren und dies umweltverträglich mit der Chance, mehr Landwirten eine Existenz zu erhalten.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der GRÜNEN spiegelt die Auseinandersetzungen zwischen den Vorteilen und Nachteilen der allgemeinen Flächenintensivierung einerseits sowie der Flächenextensivierung und der Flächenstillegung andererseits wider.Es ist meines Erachtens ein Thema, das nur im Dialog zu lösen ist. Denn schließlich geht es hier nicht um ein starres Entweder-Oder. Die Brüsseler Vorgaben zur Flächenstillegung zeigen, daß sehr viele Extensivierungselemente mit aufgenommen sind, die eigentlich von den GRÜNEN begrüßt werden müßten. In diesem Sinne bitte ich auch um eine konstruktive Mitarbeit bei der nationalen Ausgestaltung der Brüsseler Beschlüsse.Aber wir haben heute morgen vom Kollegen Kreuzeder gehört: Die GRÜNEN haben keine Lust, hier mitzumachen, weil die GRÜNEN
gegen Europa sind. Ihre Einstellung in der Verteidigungspolitik, ihre Einstellung in der Wirtschaftspolitik, ihre Einstellung in der Agrarpolitik ist europafeindlich. Genau aus diesem Grunde sehe ich keine Ebene, hier mit Ihnen konstruktiv weiterzukommen.
— Frau Kollegin, wir reden darüber im Ausschuß noch weiter. Jetzt hören Sie einmal zu, was ich dazu zu sagen habe.Die Vorschläge der GRÜNEN zur Umsetzung der Extensivierung sind für Liberale kein gangbarer Weg. Ich will einige Punkte aus Ihrem Forderungskatalog herausgreifen: Stickstoffabgabe bzw. Verbot anderer ertragssteigernder Produktionsmittel: Die Anhängerschaft dieser Forderung einschließlich mancher Professoren muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß Sie durch kostensteigernde Zwangsbesteuerungen und Verbote die Landwirtschaft auf unerträgliche Weise drangsalieren wollen.
Damit kämen gewaltige Bewirtschaftungserschwernisse und zusätzliche Kostenbelastungen auf dieLandwirte zu. Produktionszuwächse lassen sich nun einmal nicht durch Verbote aufhalten. Über eine wirksame Kontrolle ihrer Vorschläge verlieren die GRÜNEN in ihrem Antrag natürlich kein Wort; denn sie sehen die Unmöglichkeit der Kontrollierbarkeit ihrer eigenen Vorschläge.
Wir müßten dann nämlich vor jeden und neben jeden Landwirt europaweit einen Polizisten stellen.Der Einbeziehung von Getreidesubstituten in die EG-Getreidemarktordnung kann ich — auch wenn der Kollege Eigen vorhin zugestimmt hat — nicht zustimmen. Es ist unrealistisch, diese Forderung zu einem Zeitpunkt aufrecht zu erhalten, wo die UruguayRunde des GATT versucht, die Handelsbeziehungen zu Drittländern auch im Agrarbereich auf dem Verhandlungswege zu entspannen. Etwas anderes als eine gütliche Einigung zwischen den Handelspartnern würde doch nur einen Handelskrieg heraufbeschwören. Das kann nicht unser Ziel sein.
— Nein.Die FDP ist gegen eine Renationalisierung der Agrarproduktion. Unsere Haltung zu Quoten hat sich verständlicherweise — auch nach dem Durchführungsdesaster auf dem Milchmarkt — nicht geändert.
— Herr Kollege Eigen, das müssen wir hier so stehenlassen. — Ich will die 160 Millionen t Getreide einmal als Quasi-Quote bezeichnen. Ich meine, daß wir bei diesem EG-Rahmen bleiben sollten. Es gibt doch keinen Sinn, kurz vor dem symbolischen Jahr 1992, statt gemeinschaftliche Binnenmarktsolidarität zu zeigen, wieder auf nationale Aufteilungen zurückzuverfallen. Diese Zeiten müssen vorbei sein. In dieser Form können wir Europa nicht fortentwickeln, und in dieser Form wäre auch keine Mehrheit in Europa zu bekommen.Natürlich geht es bei den GRÜNEN auch nicht ohne Umverteilung. So wollen sie uns wieder einmal ihr System der gestaffelten Preise unterjubeln.Ich sehe, daß die Zeit schnell vorangeht. Lassen Sie mich deshalb nur noch ein paar Sätze sagen.Ökologische Konsequenzen aus der Flächenstillegung: Brüssel hat die Vorgabe der Flächenstillegung beschlossen. Dabei kommt die ökologische Extensivierung, wie sie die GRÜNEN wollen, nicht zu kurz. Die Befürchtungen, daß Restflächen intensiviert werden, wenn Teilflächen aus der Bewirtschaftung fallen, treffen nicht zu. Ein guter Landwirt bewirtschaftet schon heute seine Flächen nach bestem betriebs- und produktionstechnischen Wissen. Der Rückgang des Einsatzes von Pflanzenschutz- und Düngemitteln der deutschen Landwirtschaft entspricht dem stillgelegten Flächenanteil. Die Möglichkeit der extensiven Nutzung der stillgelegten Flächen, z. B. Weidebrache,
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4564 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Heinrichist bei geringerer Entschädigung vorgesehen. Die Rotationsbrache sollte bei der nationalen Umsetzung des Set-aside im Vordergrund stehen. Der Vorteil: Wegfall von Pflege- und Düngearbeiten, Auflockerung, Erweiterung der ohnehin zu engen Fruchtfolgen, Erweiterung der Pflanzenarten, Erosionsverminderung durch schließenden Pflanzenwuchs. Hier haben wir all die Maßnahmen vorgesehen, die Sie fordern. Sie wollen das vorliegende Konzept ja nur nicht zur Kenntnis nehmen.
Wir haben bei der Rotationsbrache keine Verödung unserer Landschaft zu befürchten. Eine solche Vorgehensweise kommt der Bodengesundheit mittel- und langfristig entgegen und geht in die von den GRÜNEN eigentlich gewünschte Richtung.Die ökonomischen Konsequenzen der Flächenstillegung: Unsere Bemühung muß es sein, durch Flächenstillegung zu erreichen, daß die Produktionsschwelle von 160 Millionen Tonnen mit den dadurch ausgelösten drastischen Preissenkungsmaßnahmen nicht überschritten wird. Der Grünbracheversuch in Niedersachsen, der für das europäische Flächenstillegungsprogramm Pilotfunktion für sich in Anspruch nehmen darf, zeigt, daß die Landwirte betriebswirtschaftlich kalkulieren. Je höher die Prämie ist, desto reizvoller wird es, die Brache in den Fruchtwechsel mit aufzunehmen. Das muß man sagen. Frau Adler, Sie müssen einfach erkennen, daß die von Ihnen auch angesprochene Verödung so nicht zum Tragen kommt.Lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen zur Produktionsaufgaberente. Wenn wir die Wettbewerbsstruktur unserer Landwirtschaft verbessern wollen, wird uns die Produktionsaufgaberente eine große Hilfe — z. B. auch bei der Verringerung der zuviel ausgegebenen Milchquoten — sein. Auch hier haben wir einen positiven Effekt.Der finanzielle Rahmen der EG, den wir natürlich zuerst national auffüllen müssen, ist meines Erachtens großzügig genug und für viele Landwirte attraktiv, um einzusteigen.Ich will die Probleme nicht unerwähnt lassen, die wir jetzt intensiv diskutieren müssen, bevor wir unser Flächenstillegungsprogramm umsetzen. Dazu gehört natürlich in allererster Linie der Pachtmarkt. Hier meine ich, daß wir befriedigende Lösungen finden können, vor allem wenn man berücksichtigt, daß sich die Flächenverknappung durch die Stillegung und die Flächenmobilität durch die Produktionsaufgaberente gegenseitig ausbalancieren können. Deshalb wollen wir auch den gleichzeitigen Einsatz dieser beiden Möglichkeiten. Auch wird hier Mißbrauch durch die geplante vorhergehende Bewirtschaftungsdauer bei den stillzulegenden Flächen verhindert.Der Brüsseler Gipfel hat grünes Licht für die Flächenstillegung gegeben. Neben der erwünschten Marktentlastung ist das auch ein ökologisch sinnvoller Weg. Es gelang den Regierungschefs erst im zweiten Anlauf nach Kopenhagen, Entscheidungen auf EG-Ebene zu treffen. Jetzt beginnt, Herr Kollege Eigen, der dornenreiche nationale Weg, die Flächenstillegung und die Produktionsaufgaberente praxisnah umzusetzen.Dabei ist mir besonders wichtig, daß die nationalen Finanzierungsprobleme so schnell wie möglich in Abstimmung mit den Ländern aus dem Weg geräumt werden. Denn wenn wir da nicht vorankommen, wird unser Programm nicht so ausgestaltet werden können, wie wir es uns alle wünschen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Flinner.
Ich möchte ganz kurz darauf eingehen, daß Sie heute die 3 %ige Kürzung der Milchquote, die mit der Flächenstillegung zusammenhängt, verschwiegen haben. Warum sagen Sie den Bauern nicht, daß Sie schon wieder um 3 kürzen? Denken Sie einmal an die Bauern im Schwarzwald, denken Sie an die Bauern im Allgäu! Es ist schlimm, was Sie mit uns Bauern vorhaben. Warum sagen Sie nicht, daß noch einmal um 3 % gekürzt wird? Wir haben doch schon 8,5 % weniger. Jetzt kommen noch einmal 3 % hinzu.
— Herr Susset, belügen Sie doch nicht die Bauern weiterhin so.
Dasselbe ist es mit den nachwachsenden Industriepflanzen. In Baden-Württemberg haben einige Bauern Flachs angebaut. Der liegt bei ihnen in der Scheune, und sie haben noch keinen Pfennig dafür bekommen. Was soll das also mit den nachwachsenden Industriepflanzen?
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?
Nein. Herr Eigen, wir streiten uns wieder im Ausschuß. Das muß ich heute hier einmal loswerden, daß Sie uns Bauern einfach belügen.
Herr Abgeordneter Eigen, die Frau Abgeordnete ist nicht bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen. Sie können wieder Platz nehmen.
Herr Eigen, wir streiten uns nach der Osterpause wieder im Ausschuß.Ich möchte Ihnen nur das eine sagen: Belügen Sie die Bauern draußen doch nicht immer! Ich bin Bäuerin, ich weiß doch, was ihr mit uns treibt. Es geht einfach nicht an, daß Sie hier die Rahmenbedingungen nicht nennen und daß Sie Geld dafür ausgeben, daß die deutschen Bauern aufhören. Die deutschen Bauern werden für die Industrie, für die EG geschlachtet.
Wir GRÜNEN sind nicht gegen die EG, aber wir sind dagegen, daß man uns deutsche Bauern schlachtet.
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Frau FlinnerHerr Eigen, Sie wissen, daß der Überschuß dadurch nicht abgebaut wird. Es wurde hier schon angesprochen, daß es uns die Holländer letzte Woche gesagt haben: Es wird jede Chance genutzt, die Lücken, die wir Deutschen schaffen, aufzufüllen. Seien Sie doch nicht so blauäugig.
Ich möchte Ihnen nur noch einmal sagen: Denken Sie an uns deutsche Bauern.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Dr. von Geldern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Flinner, niemand möchte Sie schlachten. Der Antrag der GRÜNEN zeigt, daß die Verfasser die Einbindung der Landwirtschaft und der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Gemeinschaft und in die Weltwirtschaft immer noch nicht als Realität ansehen. Wir sind keine Insel, auf der wir Sandkastenspiele veranstalten könnten.
— Verehrte Frau Flinner, ich habe Sie doch in Ruhe angehört. Wenn Sie so laut rufen, versteht man Sie erstens nicht, und zweitens gilt: Wer schreit, hat unrecht. Sie kennen doch dieses alte Wort.
— Wer schreit, hat unrecht.In der Begründung des Antrags der GRÜNEN— das ist meine zweite Anmerkung — wird ständig von wachsenden Umweltproblemen der Landwirtschaft gesprochen, während selbst der gegenüber der Landwirtschaft sehr kritische Rat von Sachverständigen für Umweltfragen in seinem jüngsten Gutachten zu Umweltproblemen der Landwirtschaft hervorhebt, daß z. B. seit 1980 der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln stagniert, wenn nicht rückläufig ist.Erfreulicherweise ist darüber hinaus festzustellen, daß die zahlreichen Maßnahmen der Bundesregierung und der Länderregierungen zur Aufklärung der Landwirte über umweltorientierte Produktionsweisen auf starkes Interesse der Landwirtschaft stoßen. Diskussionen über integrierten Pflanzenbau, umweltverträgliche Landbewirtschaftung und ähnliche Themen im landwirtschaftlichen Berufsstand belegen dies deutlich. Das ist doch erfreulich. Es gibt mittlerweile zahlreiche Programme des Bundes und der Länder, die in diese Richtung weisen.Übrigens hat auch der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen niemals — wie die GRÜNEN — von einer flächendeckend umweltbelastenden Landwirtschaft gesprochen. Sie polemisieren mit diesem Antrag gegen unsere Bauern, Sie verteufeln unsere Bauern, und das sollten Sie schleunigst einstellen.
— Sie kreischen schon wieder so, daß man es gar nicht verstehen kann.Die Bundesregierung wird sich jedenfalls auch weiterhin für einen gezielten Abbau von Umweltunverträglichkeiten einsetzen. Die von den GRÜNEN geforderten pauschalen Maßnahmen wie Verbot der Halmverkürzer, Stickstoffsteuer und dergleichen
werden jedenfalls der Praxis unserer Landwirtschaft und ihren Problemen in keiner Weise gerecht.Die Kritik der GRÜNEN an den geplanten Betriebs- und Teilflächenstillegungen — das ist meine dritte Anmerkung — entbehrt jedes sachlichen Fundaments und trägt der Realität nicht Rechnung. Man hat den Eindruck: Es tut Ihnen leid, daß wir in Richtung Extensivierung gehen; Sie bedauern, daß hier konkrete Schritte in diese Richtung gemacht werden. Seien Sie doch über dieses ökologische Angebot froh, statt daran herumzumäkeln! Die Alternative zum Angebot des freiwilligen Produktionsverzichts und freiwilliger Flächenstillegungen gegen Ausgleichszahlungen sind doch ausschließlich weitere drastische Preissenkungen. Wir haben doch keine andere Alternative. Die Folge wären weiter stark sinkende Einkommen der Landwirte, die durch direkte staatliche Einkommensübertragungen niemals in voller Höhe ausgeglichen werden können.Im Gegensatz zur Fraktion DIE GRÜNEN ist die Bundesregierung überzeugt, daß die geplanten Teilflächenstillegungen und die Produktionsaufgaberente auch in Gebieten mit guten Produktionsbedingugen, und zwar EG-weit, angenommen werden. Dies ist doch eine Frage der Ausgestaltung, der Differenzierung der Maßnahmen. Wenn wir entsprechende Ausgleichszahlungen leisten, wird das auf allen Standorten ein attraktives Angebot sein.
— Das ist schlimm. Man versteht das, was Sie sagen, nicht. Sie kreischen so.
Übrigens: Ein Viertel der landwirtschaftlichen Betriebsleiter sind zwischen 55 und 65 Jahre alt, und ein großer Teil — das zeigen Untersuchungen der Bundesforschungsanstalt — ist ohne Hofnachfolger. Viele dieser Betriebe — auch in Gebieten intensiver Produktion — können auf diese Weise von einer Produktionsaufgaberente Gebrauch machen, um die landwirtschaftliche Produktion ohne Vermögensverluste aufgeben zu können. Dies ist ein echtes soziales Marktentlastungs- und Strukturverbesserungsprogramm, ein Programm, das vier Zielen dient: dem sozialen Ziel des vorzeitigen Ruhestandes, dem
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4566 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Parl. Staatssekretär Dr. von GeldernMarktentlastungsziel, dem Ziel der Strukturverbesserung und auch — das betone ich gerade vor dem Hintergrund des Antrages der GRÜNEN noch einmal — dem ökologischen Ziel einer Verbesserung des Lebensraums für wildlebende Pflanzen und Tiere und einer Erholung der Böden durch die Herausnahme aus der engen Fruchtfolge.Die Bundesregierung hält übrigens auch die Vermutung der GRÜNEN, die freiwilligen Teilflächenstillegungen und die Produktionsaufgaben würden zu einem Brachliegen der benachteiligten Gebiete und zu einer Intensivierung der Produktion auf den besseren Standorten führen, für unbegründet. Ein großer Teil der benachteiligten Gebiete unterliegt als Grünlandstandort besonderen Produktionsbedingungen und gehört gerade nicht zur Zielgruppe dieser Maßnahmen, die ja bekanntlich auf Ackerflächen begrenzt sind. Die Ausgleichszulage sorgt auch in Zukunft für die notwendige Bewirtschaftung der benachteiligten Gebiete.
Sie haben das Stichwort Schwarzwald gebracht. Ich war gestern und vorgestern dort zu fünf Veranstaltungen. Ich kann Ihnen nur sagen, Sie sollten das einmal würdigen, was wir bei der Ausgleichszulage getan haben: von 1,4 Millionen Hektar auf 6 Millionen Hektar, von 100 Millionen DM von Bund und Ländern — dies noch vor vier Jahren — auf 700 Millionen DM.
Das kommt doch bei den Betrieben an. Mir haben es doch die Bauern im Schwarzwald selbst gesagt, daß sie das verspüren, was hier bei der Ausgleichszulage direkt für sie getan worden ist.
Die Intensität der Produktion ist im übrigen unter den Gegebenheiten der Bundesrepublik auch auf den besseren Standorten dem betriebswirtschaftlichen Optimum schon sehr nahe. Das kann man nicht über Nacht weiter steigern, wie das bei den Teilflächenstillegungsmaßnahmen in den Vereinigten Staaten beobachtet worden ist.
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Nach Ansicht der Bundesregierung müssen die vom Europäischen Rat beschlossenen Maßnahmen zur Senkung der Überschüsse jetzt unverzüglich umgesetzt werden. Das gilt übrigens auch für die drei in dieser Debatte noch nicht erwähnten wichtigen Aufträge des Europäischen Rats, nämlich erstens im Rahmen der GATT-Verhandlungen — das Thema ist gestreift worden —
dafür zu sorgen, daß wir künftig Möglichkeiten gegen eine weitere ungehemmte Substitutenzufuhr bekommen;
zweitens die Verbesserung des Getreideanteils im Mischfutter vorzunehmen und drittens die Ausweitung des Einsatzes nachwachsender agrarischer Rohstoffe im industriellen Bereich. Dies sind drei ganz wichtige Entscheidungen der 12 Regierungschefs dieser Gemeinschaft.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr.
Herr von Geldern, ich komme aus einem benachteiligten Gebiet, aber die Gelder, die wir dort bekommen haben, gleichen niemals das aus, was Sie uns bei der Milchquote abgezogen haben. Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen, hier hätten Sie viele Gelder ausgegeben. Meine Frage geht dahin: Können Sie einmal einen ganz konkreten Fall nennen, in dem ein Landwirt dadurch, daß er dieses Geld für benachteiligte Gebiete bekommt, mehr eingenommen hat, als ihm bei der Milchquote abgezogen worden ist? Wie sehen Sie das?
Wir haben vielfach Gelegenheit gehabt — wir werden sie auch in Zukunft, z. B. beim Agrarbericht, noch haben — , über die letztlich erfolgreiche Milchpolitik der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesregierung zu diskutieren. Aber Sie machen jetzt wieder das beliebte Spielchen — vorhin haben wir schon etwas vom Jäger 90 gehört — , daß Sie jetzt ganz unterschiedliche Sachverhalte, z. B. die Ausgleichszulage für die benachteiligten Gebiete und die Frage des Systems der Milchquotenregelung, miteinander vermengen und durcheinander bringen.
Das führt uns nicht weiter und auch die Landwirtschaft nicht weiter.
Ich komme jetzt zu einer weiteren Bemerkung im Rahmen des vorliegenden Antrags der GRÜNEN. Ich meine, es kommt darauf an, das, was der Gipfel vorgegeben hat, jetzt schnell umzusetzen, damit die Bauern wissen, woran sie sind. Es ist wirklich kein Spielraum für Experimente mit grünen Wunschvorstellungen auf Kosten der Landwirtschaft, meine Damen und Herren. Für Sandkastenspiele illusionärer Art haben wir überhaupt keine Zeit. Die Landwirte müssen jetzt schnell wissen, welche reellen Chancen in der freiwilligen Senkung der Produktion durch Stillegung von Flächen gegen Ausgleichszahlungen liegen. Sie müssen darüber auch aufgeklärt werden und ein konkretes gesetzliches Angebot bekommen. Nur auf diesem Wege sind die Überschüsse in den Griff zu kriegen. Nur so sind auf die Dauer wieder befriedigende Preise und Einkommen zu erzielen.Ich möchte deshalb eine Schlußbemerkung machen. Das ganze Programm, das der Europäische Rat
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Parl. Staatssekretär Dr. von Geldernvorgegeben hat und das wesentlich ein Verdienst unseres Bundeskanzlers ist, ist nicht nur ein Programm für die Landwirte, die davon konkret Gebrauch machen, sondern ein Programm auch für alle die Landwirte, die keinen Gebrauch davon machen. Es ist ein Programm für die Gesamtentwicklung unserer Landwirtschaft, weil nur auf diese Weise Chancen für eine bessere Erzeugerpreisentwicklung eingeräumt werden, die wir in den letzten Jahren deshalb versäumt haben, weil einfach viel zu viel produziert worden ist und die Überschüsse die Preise erschlagen haben.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der GRÜNEN an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1988
— Drucksache 11/1833 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/1967 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Steinhauer
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/1974 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Strube
Zywietz
Frau Rust
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 und 579 der Reichsversicherungsordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes
Gutachten des Sozialbeirats zur Anpassung der
Renten der gesetzlichen Rentenversicherung
zum 1. Juli 1988 und zu den Vorausberechnungen der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzlage der Rentenversicherung bis zum Jahre 2001
— Drucksachen 11/1540, 11/1967 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Steinhauer
c) Beratung der Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Unruh, Frau Trenz, Hoss, Frau Beck-Oberdorf, Frau Rust und der Fraktion DIE GRÜNEN
Aufhebung der Stufenregelung
— Drucksachen 11/1402, 11/1967 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Steinhauer
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte eine Stunde vorgesehen. — Ich stelle die Zustimmung des Hauses fest. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Günther.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die frohe Botschaft lautet: Die Renten steigen zum 1. Juli dieses Jahres um genau 3 %. Das ist eine Erhöhung der real verfügbaren Einkommen der Rentner um rund 2 %, weil der Preisanstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum mit etwa 1 % angesetzt werden kann. Damit verbessert sich die Einkommenssituation der Rentner wie auch schon im vorigen Jahr in einem Maße, wie das seit 1978 nicht der Fall gewesen ist. Zu Zeiten der SPD gab es zwar prozentual höhere Rentenanpassungen, aber es gab noch höhere Preissteigerungsraten und infolgedessen Verminderungen der real verfügbaren Renteneinkommen. Bei uns ist das umgekehrt. Das sind die nüchternen Tatsachen.Daß der Opposition ihre eigene schlechte Bilanz unangenehm ist, läßt sich verstehen, daß sie darüber selbst nicht reden möchte, auch. Aber wer nichts vorzuweisen hat, sollte ein wenig mehr Zurückhaltung und Sachlichkeit üben. Jedenfalls sollte er hier im Parlament nicht, wie das in der ersten Lesung der Fall gewesen ist, den Mund voll nehmen und die eigene magere Bilanz zu überdecken versuchen,
indem er ein großes Lamento anstimmt über das, was demnächst angeblich alles an schlimmen Dingen passieren kann — ich sage noch einmal: wie das in der ersten Lesung der Fall gewesen ist. Sie können sich ja bessern, meine Damen und Herren von der SPD.
Die neuesten Berechnungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, bekanntgegeben bei ihrem letzten Presseseminar am 29. Februar und
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Günther1. März, bestätigen, daß mindestens bis 1990 keine akuten Schwierigkeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwarten sind.
Die Modellrechnungen zeigen — so Walter Quartier, der stellvertretende Vorsitzende der DAG und Vorsitzende des BfA-Vorstands; ich zitiere —, „daß die Finanzen der Rentenversicherung bis 1990 nicht für Schlagzeilen sorgen werden." Es wird aber auch gesagt — und auch das sage ich hier —, daß selbst bei günstiger wirtschaftlicher Entwicklung für die Jahre danach Maßnahmen unumgänglich sind.
Die entsprechenden Vorarbeiten — beruhigen Sie sich, Frau Unruh — sind längst im Gange. Das wissen auch Sie. Die Koalitionsarbeitsgruppe zur Vorbereitung der Strukturreform in der Rentenversicherung steht seit dem vergangenen Frühsommer in laufenden Beratungen. Der Gesetzentwurf wird in diesem Jahr vorgelegt werden.Von akuten Schwierigkeiten bis 1990 kann, wie gesagt, ernsthaft keine Rede sein, so auch die BfA.
Bei einer mittleren Variante der zugrunde zu legenden Daten wird sich die Schwankungsreserve in den Jahren 1988 und 1989 nur geringfügig verändern.
1990 beginnt sie abzusinken. 1991 würde der Schwellenwert von einer Monatsausgabe unterschritten, nämlich 0,9 Monatsausgaben,
wenn nicht gehandelt wird.
Dabei wird mit einem Beitragssatz von 18,7 % und ab 1990 mit einem auf 18,5 % zurückgenommenen Beitragssatz gerechnet. Mit dem Beitragssatz von 18,7 % fahren wir seit 1987. Bis dahin lag der Beitragssatz zwischenzeitlich auch bei 19,2 %.Daran wird sichtbar, meine Damen und Herren: Wir arbeiten ganz bewußt mit möglichst knappen Beitragssätzen, und zwar aus zweierlei Gründen. Wir wollen die Belastung der Versicherten in möglichst engen Grenzen halten, und wir wollen dies auch bei den Unternehmen tun; denn je stärker wir sie mit Ausgaben und Abgaben belasten, desto mehr besteht die Gefahr, daß Wachstum, das hier bei uns in der Bundesrepublik Jahr für Jahr zur Zeit wieder erreicht wird, ins Ausland exportiert wird. Das ist ohnehin schon die Situation, mit der wir es zu einem beträchtlichen Teil zu tun haben.
Daran ändern auch Mißfallenskundgebungen nichts.Bei manchem in der SPD — und das paßt zu diesen Bemerkungen der Kolleginnen und Kollegen derI SPD — scheint es Ansätze zu geben, daß sie diese wirtschaftlichen Grundtatsachen auch zu begreifen beginnen und vielleicht auch Ansätze der Bereitschaft entwickeln, ihnen Rechnung zu tragen. Das ist noch nicht viel, aber es ist- wenigstens etwas. Aber viele stemmen sich nach wie vor gegen diese Einsichten, weil sie nicht in ihr Weltbild passen.Meine Damen und Herren, auch der anwesende Kollege Dreßler will das ja zum Teil nicht wahrhaben. In seiner Rede vom 25. Februar zu dieser Thematik hier im Parlament ist dies erneut deutlich geworden. Er rechnet uns hier eine negative Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung vor,
die es so nicht gibt, um die Unsicherheit der Renten voraussagen zu können.
Aber er stellt nicht die konsequenten Folgerungen aus seinen Forderungen in diese Rechnung ein. Dann würden ja die harten Folgen seiner irrigen Annahmen direkt sichtbar.
Er geht anders vor. Er fummelt an Modellrechnungen des Rentenanpassungsberichts herum; denn er weiß, daß geringfügige Änderungen der Annahmen große zahlenmäßige Auswirkungen haben,
weil es hier um hohe Milliardenbeträge geht. Die Ausgaben in der gesetzlichen Rentenversicherung betrugen 1987 insgesamt rund 186 Milliarden DM. Diese Summe muß man sich vor Augen führen, wenn man an diesen Zahlen herummanipuliert.
Nach dem Motto „Wer sich ans Rechnen begibt, muß vorher wissen, was herauskommt" werden die verschiedenen Größen variiert, und flugs fehlen einige Milliarden DM. Es ist also ungefähr so, als wenn jemand an einem Uhrwerk herumhantiert, der das Handwerk nicht beherrscht; danach geht die Uhr prompt falsch.
Wenn aber das Szenario, das die Opposition ausbreitet, nun wirklich stimmen würde, wenn es wirklich fünf vor zwölf wäre, wie sie behauptet hat, welche Konsequenzen zieht sie dann aus dieser angeblichen Situation? Stellt sie Anträge auf Erhöhung der Einnahmen? Stellt sie Anträge auf Erhöhung des Beitragssatzes? Nein.
Damit will die Opposition nichts zu tun haben. Eherversucht sie, den Eindruck zu erwecken, der Beitrags-
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Güntherzahler müsse und könne geschont, möglichst weniger statt mehr herangezogen werden. Also kräftige Staatszuschüsse. Das wäre nach Ihrem Geschmack. Die Finanzierung ist schnell gesichert, nämlich mit den einzigen Ausruf: keine Steuerreform.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen.
— Ja, und ich habe mir gedacht, warum Sie jetzt Zwischenfragen stellen wollen. — Also keine steuerliche Entlastung, auch nicht der unteren und auch nicht der mittleren Einkommen, keine Senkung der Abgaben bei den Unternehmen, also der Körperschaftsteuer.
Meine Damen und Herren, im übrigen: Ob Sie die Einnahmen der Rentenversicherung durch Beitragssatzerhöhungen oder durch Erhöhung anderer Abgaben oder das Vorenthalten der dringend erforderlichen Begrenzung dieser Abgaben vornehmen, es bleibt sich gleich, was die nachteilige Auswirkung auf die Abgabenquote anbelangt.
Ich weiß, daß die Verteilungseffekte von Beitragssatzerhöhungen und anderen Abgabenerhöhungen, insbesondere einer erhöhten Steuerfinanzierung der Rentenversicherung, unterschiedlich sind. Unter anderem deshalb, weil die zunehmenden Lasten der Rentenversicherung aus der Veränderung des Altersaufbaues nicht nur eine Angelegenheit der Versicherten, sondern des ganzen Volkes, also der Allgemeinheit, sind
— ja, das ist so; Kollegin Steinhauer, ich freue mich, daß wir da übereinstimmen —, deshalb sehen wir ja die Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung vor.
Aber in diesem Zusammenhang ist auch eine gewisse Vorsicht am Platze, denn wir wollen und müssen den Grundsatz der Beitragsfinanzierung und Beitragsbezogenheit der Renten aufrechterhalten,
sonst nähern wir uns zusehends dem Punkt, an dem sich die Qualität des Systems grundlegend ändert. Denn je höher der Anteil der Allgemeinheit an der Finanzierung der Rentenversicherung ist, desto näherliegend ist die Forderung, nicht nur die Beitragszahler, sondern die Allgemeinheit an den Leistungen des Systems zu beteiligen.
Im Klartext: je mehr Steuerfinanzierung, desto aussichtsreicher die Forderung nach Grundsicherung.
Genau das wollen SPD, aber erst recht die GRÜNEN.
Man muß sich also zumindest fragen, ob Sie ein starkes Interesse daran haben, Frau Unruh, daß die Rentenversicherung zunehmend defizitär wird und dieser Fehlbedarf nur noch aus Steuermitteln ausgeglichen werden kann.
Wie gesagt, besonders die Forderungen der GRÜNEN passen hierhin, nämlich Auflösung der Leistungsbezogenheit der Rente. Aber die SPD geht auch in diese Richtung, Stichwort: Mindestrente und Grundsicherung.
Dieser Weg ist im Ergebnis systemzerstörend. — Vielleicht haben Sie das noch nicht begriffen, meine Damen und Herren. Besonders die Forderungen der GRÜNEN passen hierhin, nämlich die Forderungen nach Auflösung der Leistungsbezogenheit der Rente; ich will dies noch einmal wiederholen.
Ein zunehmend steuerfinanziertes statt beitragsfinanziertes und in den Leistungen streng beitragsbezogenes System verliert seinen Charakter als Versicherung. Es schlägt dann in eine Fürsorgeeinrichtung um. Damit würde sich dieses System dem Grundsatz nach von der Sozialhilfe nicht mehr unterscheiden,
aber der Zugang zu den Leistungen wäre in entscheidender Weise erleichtert und verallgemeinert.
Von bestimmter Seite ist das genau gewollt. Andere Vorschläge zielen nicht darauf ab, sie zielen aber auf Entlastungen der Sozialhilfe und fördern — wenn auch ungewollt — die Denaturierung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einem Fürsorgesystem. Im Ergebnis ist damit für die öffentlichen Hände als direkte oder mittelbare Financiers der Sozialhilfe nichts gewonnen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen. Ich habe das am Anfang gesagt. Ich bitte um Verständnis.
Herr Abgeordneter, gilt das für Ihre gesamte Rede?
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4570 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Das gilt für meine ganze Rede.
— Wir haben im Ausschuß genug Gelegenheit, zu diskutieren, meine Damen und Herren.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. — Das hat mit Feigheit vor dem Feind gar nichts zu tun. Ich bitte, solche Zwischenrufe zu unterlassen. Nach der Geschäftsordnung kann jeder Abgeordnete eine Zwischenfrage zulassen oder ablehnen, und wir erleben es hier häufig, daß Abgeordnete am Rednerpult eine Zwischenfrage ablehnen, sich aber von ihrem Abgeordnetenplatz zu einer Zwischenfrage melden. So unterschiedlich ist die Auffassung über diese Frage. — Bitte sehr.
Herr Präsident, ich bedanke mich. Die Kolleginnen und Kollgegen der SPD kennen mich aus den Ausschußberatungen und wissen, daß ich durchaus zum Schlagabtausch bereit bin. Ich will nur hier im Zusammenhang vortragen, und ich gehöre auch nicht zu denjenigen, die hier Zwischenfragen stellen.
Meine Damen und Herren, unser bewährtes, erhaltenswertes und auch erhaltbares Rentenversicherungssystem wird geschwächt, geschädigt und schließlich aufgelöst. Den Menschen ist damit ebenfalls nicht gedient. Statt all denjenigen, die zur Aufbringung eigener Leistungen in der Lage sind, diese Leistungen abzufordern, werden immer mehr Menschen in die Rolle der Abhängigkeit vom Staat gedrängt.
Ich wollte dies hier einmal in diesem Zusammenhang feststellen.
Also wenden wir uns wieder der Frage zu: Was will die SPD angesichts der von ihr beschworenen, angeblich unmittelbar bevorstehenden Finanzierungsprobleme? An Stelle von Finanzierungsvorschlägen fordert sie Maßnahmen, die die Finanzsituation in Milliardenhöhe erschweren.
Sie schließt sich der Forderung der GRÜNEN an, die Stufenregelung für die älteren Mütter aufzuheben.
Das soll der Bund bezahlen. Der soll aber — wie sicher auch die SPD meint — den Bundeszuschuß erhöhen, um die ab 1991 unstreitig und demographisch bedingt schwieriger werdende Finanzsituation der Rentenversicherung erleichtern zu helfen.
Nach den Horrorrechnungen ist es aber fünf vor zwölf. Demgemäß müßten entweder die Beiträge erhöht werden — nichts davon bei den Oppositionsparteien — , oder die Leistungen müßten begrenzt werden — nichts davon in der Richtung.
Im Gegenteil, Sie regen sich immer noch über Konsolidierungsmaßnahmen vergangener Jahre auf. Soll die Rentenanpassung verschoben oder ausgesetzt oder vermindert werden?
Nichts dergleichen. Sie haben selber schlechte Erfahrungen damit gemacht.
Meine Damen und Herren, wir müssen, so sehr wir es den älteren Müttern gönnen würden, bei der Stufenregelung bleiben.
Das ist angesichts der absehbaren, keineswegs dramatischen, aber klar begrenzten Finanzsituation der Rentenversicherung und der öffentlichen Haushalte unabweisbar. Das gilt um so mehr, je ungünstigere Annahmen man für die Zukunftsrechnungen zugrunde legt, was die SPD mit Vorliebe tut. Und, Frau Unruh: Die GRÜNEN kann man in diesem Zusammenhang und generell im Zusammenhang mit der Finanzierung der Renten überhaupt nicht ernst nehmen. Denn sie haben von der Finanzierung der Rentenversicherung keine Ahnung und sind total unfähig zur Verantwortung für diese Aufgabe, die zu den wichtigsten überhaupt gehört.
Herr Abgeordneter Günther, darf ich einen Augenblick unterbrechen. — Frau Abgeordnete Unruh, Sie werden in wenigen Minuten hier oben stehen. Und denken Sie an das Sprichwort: Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu.
Meine Damen und Herren, an dem Beispiel dieses Antrags wird noch ein anderer Zusammenhang sichtbar. Zunächst: Der Finanzrahmen in der Rentenversicherung ist in den nächsten Jahren, wie wir wissen, eng. Daraus leitet die Opposition ja gerade ihre Kritik ab, und deswegen versucht sie, die Rentensicherheit in Zweifel zu ziehen. Ich setze dagegen, meine Damen und Herren: Die Renten sind sicher, und zwar — nicht nur, aber auch — aus dem Grund, weil die Finanzsituation der Rentenversicherung eng ist. Denn Begehrlichkeit ist das falsche Spiel, das in dieser Richtung getrieben werden kann. Und wenn die Kassen voll sind, steigt die Begehrlichkeit, und dann wäre der finanzielle Spielraum wieder eng.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4571
GüntherAber die geschaffenen Leistungsansprüche bleiben und wirken weit in die Zukunft. Aus diesem Grund fahren wir mit dem Beitragssatz so niedrig wie möglich. Denn: Kasse macht sinnlich und leichtsinnig.Und es ist nicht so, meine Damen und Herren, daß die CDU und CSU und die Koalition den Menschen solche möglicherweise ja durchaus wünschenswerten Leistungen nicht gönnen würden. Aber aus der Verantwortung für die Zukunft und für unsere Kinder, die das später alles bezahlen müssen, müssen wir Leistungsausweitungen versagen, die mangels dauerhafter Finanzierung in der Langzeitwirkung ohnehin nicht nur keinen Wert hätten, sondern den notwendigen Leistungsbestand überdies gefährden würden.Auf einen Nenner gebracht, kann man sagen: Die beste Politik für die Rentner ist eine solide und seriöse Rentenpolitik.
Wer die Leistungen nur ständig ausweiten will, schadet am Ende denen, denen er gerade helfen wollte. Mit Emotionen und Verallgemeinerungen ist es nicht getan, auch nicht mit herausgegriffenen Extremfällen oder unverständlichem Umgang mit der Statistik. Ich meine damit Hinweise auf niedrige Rentenzahlbeträge, die ja in einer solchen Debatte immer wieder verwendet werden.
— Ich komme sofort zu Ihnen, Frau Unruh, keine Sorge. — So wurde hier in der ersten Lesung von Frau Unruh in den Raum gestellt, nur 10 % der Rentner in der Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung erreichten Renten von mehr als 1 500 DM
— und dies, nachdem man die Leute 40 oder 45 Jahre mit Beiträgen zur Kasse gebeten habe. Diese Behauptung spiegelt pure Demagogie oder Unverstand wider, eher vielleicht beides.
Das Demagogische besteht darin, die Statistik bewußt zu verfälschen und falsch darzustellen.
Und das macht man bewußt und durchaus mit Verstand.
Der Unverstand besteht aber darin, zu glauben, der Rentenversicherung und den Rentnern auf diese Weise nutzen zu können — wenn denn dieser Glaube und diese Absicht wirklich bestehen und wenn es nicht vielmehr um Verleumdung der Gesellschaft insgesamt geht, meine Damen und Herren.
Wahr ist entgegen diesen Behauptungen: Nach dem Stand der Statistik vom 1. Juli 1987, meine Damen und Herren, hatten Männer in der Rentenversicherung der Arbeiter bei 40 bis unter 45 anrechnungsfähigen Versicherungsjahren eine Durchschnittsrente von 1 584,25 DM — also nicht, wie völlig wahrheitswidrig dargestellt, 10 To mehr als 1 500 DM. Dies ist ganz deutlich.
Und diese Zahl wird auch noch verdeutlicht, wenn man sieht, daß bei einem Altersruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres bei Schwerbehinderung bzw. Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente die Rente im Schnitt bei 1 642,85 DM liegt. Gerade die letztere Zahl gibt Veranlassung zu dem Hinweis: In dieser Gruppe liegt der Rentenanspruch trotz des frühen Renteneintritts und der Behinderung im Verhältnis besonders hoch. Dies, finde ich, ist erfreulich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe zu, daß die Zahlen für Frauen niedriger sind, aber sie geben nicht Anlaß zu einem Horrorszenario, Frau Unruh, wie Sie das hier immer vortragen. Dies weise ich zurück. Die Statistik weist etwas anderes aus. Wer sich damit beschäftigen will, kann das tun. Deshalb sage ich das hier als Aufforderung, das zu tun, damit Ihre unrichtigen Angaben hier endlich einmal aufhören.
Ich sehe, die Lampe leuchtet auf. Ich hätte Ihnen das an einigen Zahlen noch eingehender nachweisen können.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem vorgelegten Gesetzentwurf ihre Zustimmung geben. Wir werden den Antrag, den Sie eingebracht haben, Frau Unruh, ablehnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Herr Günther, wenn Sie Ihre Übereinstimmung mit der BfA nach dem Presseseminar bekanntgegeben haben, muß ich sagen, daß Sie offensichtlich die falschen Berichte gelesen haben.
Es hieß: Versicherer schlagen Alarm, Finanzkrise bei den Renten kommt früher als erwartet, jetzt bekommt Bundesfinanzminister Stoltenberg auch mit der Rentenversicherung Arger.
So sind die Tatsachen.
Nun aber zu dem Rentenanpassungsgesetz. Dem uns heute zur Verabschiedung vorliegenden Rentenanpassungsgesetz, wonach die Renten zum 1. Juli 1988 um 3 % erhöht werden sollen, stimmen wir zu. Die SPD-Fraktion begrüßt auch die Erweiterung des
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4572 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Frau Steinhauervorliegenden Gesetzentwurfes um eine wichtige Regelung zur Verfahrensvereinfachung bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten.
Danach können zukünftig Geburtsnachweise notfalls auch durch Glaubhaftmachung erbracht werden, wenn keine Personenstandsurkunden mehr vorhanden sind. Auf die hier entstandenen Probleme haben wir übrigens im vorigen Jahr bei der Beratung des Kindererziehungsleistungsgesetzes schon hingewiesen. Die Praxis hat uns bestätigt.Unsere Zustimmung zum Rentenanpassungsgesetz darf aber auf keinen Fall darüber hinwegtäuschen, daß die Rentenpolitik dieser Bundesregierung trotz der Schönfärberei, die wir eben gehört haben, so desolat ist wie noch nie. Durch Kürzungen der Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit wurde der Bundeshaushalt massiv zu Lasten der Rentenversicherung entlastet. Während die Bundesregierung den dadurch gewonnenen Finanzierungsspielraum für Steuerentlastungen für Besserverdienende und damit auch in diesem Fall zur Umverteilung von unten nach oben verwendet hat, wurden den Rentnern und Beitragszahlern empfindliche Opfer auf erlegt, um so die Zahlungsfähigkeit des Versicherungssystems aufrechtzuerhalten. Im nächsten Jahr — das haben Sie verschwiegen, Herr Günther — wollen Sie die Rentner ja wiederum mit einer Erhöhung des Krankenkassenbeitrages belasten.
Nach insgesamt vier Spargesetzen ist die Finanzlage der Rentenversicherung nur vorläufig und kurzfristig gesichert.
Das zeigt auch ein Blick in den Rentenanpassungsbericht der Regierung, in dem Sie wiederholt unrealistische Zahlen veröffentlichen,
ohne sich darum zu kümmern, wie der bevorstehende Zusammenbruch abgewendet werden könnte.
Frau Abgeordnete Steinhauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön. Im Gegensatz zu Herrn Günther werde ich antworten.
Frau Kollegin Steinhauer, ich möchte Ihnen die Frage stellen, die ich sonst Herrn Günther gestellt hätte. Sind Ihnen die in den letzten Tagen veröffentlichten Presseberichte bekannt, nach denen es — vielleicht sogar geheime — Pläne der CDU/CSU gibt, die so aussehen, daß Ledige und Familien ohne Kinder in Zukunft höhere Rentenversicherungsbeiträge zahlen sollen, und wie stehen Sie dazu?
Frau Abgeordnete, ich finde diese Pläne abenteuerlich. Das ist an sich der erste
Schritt zur Privatversicherung, indem die Lösung familiärer Probleme auf die Rentenversicherung, auf die Beitragszahler abgeschoben wird, weil keine Familienpolitik gemacht wird.
Wie ich gelesen habe, sollen nach den Vorstellungen der beiden Herren, die da wohl federführend sind — der neu ernannte sozialpolitische Sprecher Schwarz-Schilling und der Chef des Bundeskanzleramtes — , selbst Familien mit zwei Kindern einen noch höheren Beitrag zahlen, als das heute in der Rentenversicherung der Fall ist.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Frau Kollegin Steinhauer, würden Sie denn zugeben, daß unabhängig davon, daß man das sinnvollerweise nicht mit Versicherungsbeitragsdifferenzen löst, die Tatsache, daß jemand Kinder geboren und erzogen hat, auch im Blick auf die Stabilisierung der Rentenversicherung anerkennenswert ist?
Selbstverständlich. Bei unserem System des Generationenvertrages ist das wichtig. Es widerspricht aber der Solidargemeinschaft, wenn man das bei den Beiträgen seinen Niederschlag finden läßt.
Eine wirkliche Strukturreform in der Rentenversicherung ist dringend notwendig. Nach der letzten Debatte wurde dies auch — wir haben das ja eben schon gehört — zum Beispiel durch die BfA erneut bestätigt, und früher als befürchtet treten die Finanzierungsprobleme auf. Voraussichtlich ab 1989, möglicherweise auch schon früher, wenn sich die Talfahrt der Konjunktur beschleunigt, wird das Rücklagepolster, das klein ist, schon wieder abgebaut. Selbst nach den völlig utopisch-unrealistischen Arbeitsmarktprognosen der Bundesregierung in diesem Rentenanpassungsbericht wird die Rücklage ab 1990 auf jeden Fall unaufhaltsam aufgezehrt. Wenn nichts geschieht, kommt die Rentenversicherung in dieser Zeit auf jeden Fall in akute Zahlungsschwierigkeiten. Selbst nach den eigenen Berechnungen der Bundesregierung mit den an sich anzuzweifelnden Zahlen fehlen ja in den nächsten 15 Jahren 225 bis 360 Milliarden DM. Die Situation verschlechtert sich je nach Verschlechterung der Arbeitsmarktlage.Doch von seiten der Bundesregierung wird das vertuscht. Es muß ja offensichtlich wohl auch so sein, denn offensichtlich ist man ratlos, wie man die anstehenden Probleme lösen soll. Das Verwirrspiel der regierungsamtlichen Finanz- und Schuldenpolitik zerschlägt daher noch konkret etwaige Aussichten, wie denn der Bund einen angemessenen Beitrag zur Sicherung der Renten leisten soll. Am Schluß geht das wieder auf Kosten der Arbeitnehmer und Rentner.Im Interesse der dauerhaften Sicherung der Renten ist ein breit angelegtes Reformwerk nicht nur wünschenswert, sondern unbedingt erforderlich. Ein so
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4573
Frau Steinhauerwichtiges Thema wie die Strukturreform kann aber — nun hören Sie gut zu, Herr Günther —
nach unserer Auffassung nicht mit einer knappen Mehrheit der Koalition verabschiedet werden, sondern dies erfordert eine möglichst breite Basis.
Wir sind zu einer solchen Mitarbeit und Mitverantwortung bereit. Wir bieten Ihnen, Herr Arbeitsminister, und den Koalitionsfraktionen die Mitarbeit bei dem so wichtigen Thema an. Es muß sich aber um eine wirkliche Strukturreform handeln und nicht, wie Sie das in anderen Bereichen praktizieren, um einen Sozialabbau. Unsere Grundtendenz in der Rentenreform lautet: „Umbau statt Abbau".
Die gemeinsame Verantwortung heißt also nicht, daß Sie uns einen Regierungsentwurf vorlegen, den wir dann zu akzeptieren haben, sondern es geht um das Ringen um ein Regelungskonzept von Beginn an. Also kein Aufoktroyieren eines Gesetzentwurfes. Wir denken an einen gemeinsam erarbeiteten Gesetzentwurf der Fraktionen dieses Hauses. Daraus mögen Sie, Herr Arbeitsminister, aber auch Sie, die Mitglieder der Koalitionsfraktionen, aber auch entnehmen, daß dies kein unbefristetes Angebot ist. Wir erwarten — das betone ich heute noch einmal, Herr Dreßler hat das in der Debatte vor zwei Wochen schon gesagt —, daß Sie uns alsbald weiter in die Gespräche einbeziehen und nicht alles im dunkeln lassen.Unser vordringliches Anliegen bei der Rentenstrukturreform ist es, die Solidargemeinschaft zu stärken. Das meinen wir auch mit „Umbau statt Abbau". Wir Sozialdemokraten haben als erste und einzige Partei bereits vor einigen Jahren begonnen, über die Strukturreform zu diskutieren, und wir haben entsprechende Vorschläge zur Weiterentwicklung der Rentenversicherung mit Perspektiven für das nächste Jahrhundert vorgestellt. Inzwischen werden wesentliche Teile unserer Vorschläge von den Sachverständigen unterstützt. Wie auf anderen Gebieten haben wir hier bisher keine ernst zu nehmenden Vorschläge von der Koalition oder von der Bundesregierung gehört. Sie haben hier bisher nur Flickschusterei betrieben und Abbau und Belastung der Versicherten vorgenommen. Die Beitragszahler und Rentner haben einen Anspruch auf alsbaldige Klarheit.Dazu gehört für uns unabdingbar die Erhöhung des Bundeszuschusses. Das ist kein Geschenk, sondern das ist ein unbedingt zu beanspruchender Beitrag für die Leistungen, die außerhalb der Alterssicherung zu tragen sind.
Wenn man weiß, daß für die Sicherung der Beamtenpensionen der Dienstherr, also hier auch der Bund, mehr als 30 % zu tragen hat — dies wird als Beitrag bei der Beurlaubung eines Beamten zur Aufrechterhaltung des Pensionsanspruchs vom Dienstherrn gefordert — , so ist es wohl kein unbilliges Verlangen, den Bundeszuschuß für die Rentenversicherung von derzeit 17 % auf mehr als 20 % anzuheben.Die finanziellen Probleme der Rentenversicherung würden übrigens erheblich gemildert, wenn für die Arbeitslosen wieder volle Beiträge an die Rentenversicherung gezahlt würden.
Es kann ja wohl nicht angehen, die Versicherten für den schlechten Arbeitsmarkt verantwortlich zu machen.Ich will in dieser Debatte auch den Wertschöpfungsbeitrag nicht unerwähnt lassen. Es ist doch wohl kaum zu glauben, daß zum Beispiel eine Ölraffinerie mit wenigen Arbeitnehmern kaum nennenswerte Arbeitgeberbeitragsanteile zu zahlen hat, während der Handwerksmeister, der einen lohnintensiven Betrieb hat, nach wie vor in der Relation wesentlich mehr Arbeitgeberbeiträge zu leisten hat. Zur Weiterentwicklung der Rentenversicherung und des Beitragssystems gehört nach unserer Auffassung eine Berücksichtigung dieser erheblichen Maschinenintensität im Arbeitsleben.In diesem Hause wurde schon mehrmals über die Harmonisierung der Alterssicherung gesprochen. Die Strukturreform muß hier einsteigen. Hierzu einige unvollständige Beispiele.Ich weiß nicht, wie ich einem Angestellten bei der Post, der die gleiche Tätigkeit wie sein Beamtenkollege ausübt, erklären soll, daß bei angenommen gleicher Erkrankung der eine dienstunfähig ist und der Angestellte nicht erwerbsunfähig ist oder man von ihm verlangt, daß er sich rehabilitieren bzw. umschulen läßt.
Weiter: Wenn ein Arbeiter oder Angestellter erwerbsunfähig ist, verliert er sofort seine Rente, wenn er mehr als 440 DM im Monat verdient. Der dienstunfähige Beamte kann außerhalb des Öffentlichen Dienstes eine Arbeit mit unbegrenztem Verdienst verrichten. Hier stimmt doch etwas nicht. Das hat nichts mit Gleichmachen zu tun, sondern das ist eine Frage der Gerechtigkeit.
Im Rentenanpassungsbericht wird deutlich, welche nachteilige Politik die Bundesregierung zu Lasten der Frauen betreibt. Von 1984 bis 1986 wurden infolge der Gesetzesänderungen sage und schreibe 106 000 Anträge von Frauen auf Gewährung von Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente weniger bewilligt. Da ist es auch kein Ausgleich — ich weiß, daß dieser Hinweis kommt — , daß die Wartezeit für das Altersruhegeld von 15 auf 5 Jahre herabgesetzt wurde.Ich zeige die Benachteiligung an einem Fall: Gehen wir davon aus, daß eine Versicherte als 55jährige erwerbsunfähig wird und einen Rentenanspruch von monatlich 250 DM hätte. Dies entspricht einer Jahresrente von 3 000 DM. In zehn Jahren wären es 30 000 DM, die ihr vorenthalten werden.
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4574 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Frau Steinhauer— Jawohl; das kommt hinzu. — Ein solcher Nachteil läßt sich mit dem Bonbönchen eines Altersruhegelds nicht ausgleichen.
Schließlich einen Satz zum Antrag der GRÜNEN, die Stufenregelung des Kindererziehungsleistungsgesetzes aufzuheben: Wir unterstützen den Antrag.
Wir haben auf die ungerechte Regelung für die vor 1921 geborenen Mütter an dieser Stelle mehrmals vergeblich hingewiesen. Unsere Anträge wurden auf Grund der Mehrheitsverhältnisse abgelehnt. Es nützt allerdings nichts, meine Herren und Damen von den GRÜNEN, wenn man den Antrag alle 14 Tage neu stellt.
Ich warne davor, die notwendige Strukturreform vor sich herzuschieben. Kosmetische Operationen helfen auf Dauer nicht. Ein gerechtes System der Alterssicherung ist ein Grundelement des sozialen Friedens in unserer Gesellschaft. Den wollen wir erhalten und ausbauen, und darum wollen wir eine grundlegende Reform anstreben.Wir bieten unsere konstruktive Mitarbeit an. Nehmen Sie das Angebot an und machen Sie hier nicht eine knappe Entscheidung gegen große Mehrheiten des Volkes!Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zur abschließenden Lesung dieses Rentenerhöhungsgesetzes halte ich zunächst drei positive Punkte fest.
Erstens. Die Erhöhung der Renten um 3 % bedeutet, daß der einzelne Rentner mehr Geld und mehr Kaufkraft bekommt. Denn das Ganze ist vor dem Hintergrund einer ungewöhnlich niedrigen Inflationsrate zu sehen. Das ist ein Erfolg auch der Politik. Das soll man nicht verschweigen. Es ist ein echtes Plus, über das wir uns alle gemeinsam freuen sollten. Ich freue mich auch, daß die Frau Abgeordnete Steinhauer hierauf hingewiesen hat. Die Rentner werden nicht von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt, sondern sie haben Anteil an den positiven Entwicklungen, die sich ergeben haben.
Ich möchte aber an dieser Stelle, weil es wichtig ist, auch darauf hinweisen, daß Arbeitszeitverkürzungen — denn bei weniger Arbeitszeit werden auch geringere Rentenversicherungsbeiträge gezahlt — kein Instrument sind, die Rentenversicherung zu stabilisieren.
Zweitens. Das Gesetz vereinfacht das Verfahren für Kindererziehungsleistungen der Trümmerfrauen. Wir begrüßen das.
Drittens. Ich meine, der Ausschuß hätte ein großes Lob verdient, daß er die Dinge so schnell und ordentlich beraten hat.
Wir haben in der ersten Lesung über die Zukunft unseres Rentenversicherungssystems diskutiert. Kollege Dreßler hat zumindest bei mir die Befürchtung aufkommen lassen, daß das Bemühen um einen breiten Konsens nicht mehr in dem Umfang vorhanden ist, wie soeben die Kollegin Frau Steinhauer dies zum Ausdruck gebracht hat.
Ich möchte deswegen in diesem Zusammenhang noch einmal folgendes klarstellen: Für das Funktionieren des Dreigenerationenvertrages ist eine breite Akzeptanz im Parlament wie in der Gemeinschaft unseres Volkes ganz, ganz wichtig. Die breite Akzeptanz ist ein Element der Funktionsfähigkeit. Nur wenn breite Akzeptanz für das System im Prinzip vorhanden ist, wird es auf Dauer funktionieren können. Ich halte es nicht für aussichtslos, daß wir in den prinzipiellen Fragen — abgesehen von den GRÜNEN, die ein völlig anderes Konzept vertreten — zu Übereinstimmungen kommen.
Ich will stichwortartig diese Gemeinsamkeiten noch einmal hier herausstellen. Drei Fraktionen dieses Hauses bejahen — mit Ausnahme der GRÜNEN, das ist die vierte — die leistungs- und beitragsbezogene Rente. Mit anderen Worten: Wer mehr Beiträge ins System einzahlt, muß und soll eine höhere Rente erhalten.
Wir sind uns, wenn auch mit unterschiedlichen Bewertungen, über die Bedeutung der Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, einig: Das sind: die Höhe des Beitragssatzes, das Rentenniveau, die Lebensarbeitszeit, die Bewertung von beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten
— einen Moment — , das sind die Höhe des Bundeszuschusses und die notwendige Harmonisierung der unterschiedlichen Alterssicherungssysteme, die die Frau Kollegin Steinhauer angesprochen hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, in der Erwartung, daß sie mir nicht angerechnet wird, selbstverständlich.
Bitte sehr.
Herr Kollege Cronenberg, halten Sie es nicht für makaber, in einer Zeit, in der wir 2,5 Millionen Arbeitslose haben, über die Frage der Lebensarbeitszeit — ich möchte das so interpretieren, ich habe das aus Ihrem Bereich ja schon öfter gehört — , d. h. Lebensarbeitszeitverlängerung, überhaupt zu diskutieren?
Nein, Frau Kollegin, ich halte das nicht nur für nicht makaber, sondern geradezu für unsere Pflicht. Denn Sie haben ja mit
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Cronenberg
Recht soeben gesagt: Wir wollen keine kurzfristigen Reförmchen, sondern wir wollen ein Konzept entwikkeln, mit dem mindestens für die nächste Generation dieses Alterssicherungssystem, dieser Dreigenerationenvertrag hält. Ich erinnere an Worte des Kollegen Dreßler in diesem Zusammenhang, der auch sagt: Wenn — ob nun im Jahre 1995 oder im Jahre 2000; beides ist ja gar nicht so weit von uns entfernt — wir auf Grund der demographischen Entwicklung andere Situationen haben, dann müssen wir schon heute den Menschen sagen, was uns für diese Zeit vorschwebt.Da das Verhältnis zwischen der aktiv arbeitenden Generation, den Beitragszahlern also, und der Generation, die ihre berechtigten Ansprüche gegenüber den Beitragszahlern geltend macht, entscheidend für die solide Finanzierung des Systems ist, müssen wir ehrlicherweise heute schon sagen: ob und gegebenenfalls ab wann die Menschen wieder länger arbeiten müssen. Ich halte es für ein Stück Ehrlichkeit, wenn wir sagen, daß wir dies nicht ausschließen können, und bin den sozialdemokratischen Kollegen, die dies in der Diskussion ja dankenswerterweise dann auch sagen, für diese Ehrlichkeit dankbar. Da mag man im Detail unterschiedlicher Auffassung sein, aber im Prinzip gehört es zu der notwendigen Ehrlichkeit, das in dieser Diskussion heute schon zu sagen.
Herr Abgeordneter Cronenberg, gestatten Sie noch eine ergänzende Zwischenfrage?
Selbstverständlich, immer, unter der Prämisse, daß mir die Zeit nicht angerechnet wird.
Sie wissen ja, wie man das als Vizepräsident macht, daß man da nämlich die Zeit stoppt.
Ich weiß, daß das in der Entscheidungsgewalt des amtierenden Vizepräsidenten liegt.
— Darauf vertraue ich, Frau Kollegin.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß fast die Hälfte der Rentenbewerber aus gesundheitlichen Gründen die Altersgrenze nicht erreicht, und meinen Sie nicht, daß man, ehe man über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit spricht, hier einmal der Frage nachgehen müßte, wie die Gesundheitspolitik und der Arbeitsschutz verbessert werden können?
Aber, Frau Kollegin, da gibt es überhaupt keinen Dissens. Selbstverständlich wünsche ich mir, daß die Menschen nicht auf Grund von Gesundheitsschäden den Arbeitsplatz verlassen müssen. Die Flexibilität beim Ausstieg, die Teilrente und Teilarbeit, und auch die Flexibilität in den Betrieben, sich an Arbeitsplätzen zu betätigen, die sozusagen dem Alterszustand gerecht sind, sind jaInstrumente, um genau das zu vermeiden. Ich wünsche mir am allerwenigsten den Vorruheständler, der aus Invaliditätsgründen aus dem Arbeitsprozeß ausscheidet. Ich wünsche mir denjenigen, der Arbeit auch als Selbstverwirklichung versteht und der seine Arbeit auch zur Erhöhung seiner Rente freiwillig weiter leisten kann. Ich wünsche mir vor allen Dingen eine Wirtschaft, die solche Angebote unterbreiten kann; da gibt es überhaupt keinen Dissens.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt erfreulicherweise auch Konsens darüber, daß von einer Bruttoanpassung auf eine nettoähnliche Anpassung umgestiegen werden muß. Das ist auch ein Erfolg unserer langfristigen Bemühungen. Denn die Rentnereinkommen können ja nicht überproportional im Verhältnis zu den Aktiveinkommen steigen.Alle diese genannten sechs Elemente, meine Damen und Herren, stärken das, was wir gemeinsam wollen, das Versicherungsprinzip. Alle Sozialpolitiker lehnen auch übereinstimmend das ab, was einige Finanzwissenschaftler einmal vorgeschlagen haben, nämlich die Vollbesteuerung der Renten mit entsprechenden Freibeträgen.Ich halte an dieser Stelle fest, daß nach meiner und nach unserer Auffassung eine modifizierte Ertragsanteilsbesteuerung der richtige Weg zur Lösung dieser Problematik ist. Ich freue mich, daß in diesem Punkt weitestgehende Übereinstimmung vorhanden ist. Aber ich leugne auch nicht, daß es Differenzen gibt.Frau Kollegin Steinhauer, Sie haben eben die Wertschöpfungsabgabe wieder in die Diskussion gebracht. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einmal feststellen: Die Vorstellung mag populär sein; aber vergessen Sie bitte nicht, daß Leute wie ich, die ja gelegentlich freundlicherweise und wohlwollend von Ihnen als „Krauter" bezeichnet werden,
in einem Lande leben, in dem höchste Löhne gezahlt werden — ich finde das nicht schlecht —, in dem höchste soziale Sicherheit gewährleistet ist,
in dem wir die kürzeste Arbeitszeit haben und in dem wir die höchste Steuerbelastung haben.
Nun frage ich Sie: Wie können wir denn überhaupt unter diesen Bedingungen
den allerhöchsten Anteil, den wir brauchen, um Arbeit im Lande zu haben, exportieren? Bescheren Sie
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4576 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Cronenberg
uns nicht die schlechtesten Bedingungen in der ganzen Welt,
und erwarten Sie nicht, daß die Unternehmen mit den schlechtesten Bedingungen auf Dauer die höchsten Exporte leisten können, und die Arbeit muß nun einmal draußen in der Welt geholt werden.
Vermiesen Sie uns nicht die Chance, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern lassen Sie uns die Möglichkeit zu investieren, und belasten Sie die Investitionsfreudigkeit unserer Industrie nicht durch zusätzliche Maschinensteuern.
Das ist meine herzliche Bitte im Interesse der Arbeitslosen. Belasten Sie nicht die Investitionsfreudigkeit unserer Industrie durch zusätzliche Maschinensteuern. Das ist meine Bitte im Interesse der Arbeitslosen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bitte aber, daß Sie auch jetzt die Zeit nicht anrechnen.
Bitte schön.
Herr Kollege, da Sie eben von der Notwendigkeit der Investitionen gesprochen haben: Können Sie mir denn zustimmen, daß in den letzten Jahren die unternehmerischen Gewinne auf der einen Seite sprunghaft angestiegen sind, auf der anderen Seite aber der reinvestierte Teil aus den Gewinnen geringer war als in allen Jahren und Jahrzehnten zuvor? Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Herr Kollege Schreiner, ich kann dem überhaupt nicht zustimmen. Denn mit Umsatzrenditen, die im weltweiten und im europäischen Schnitt, wenn ich das sagen darf: beschissen niedrig sind,
Sind die prozentualen Steigerungen auf einem sehr, sehr niedrigen Niveau gewesen. Ich kann Ihnen sagen: Das Bemühen insbesondere der Kleinen und Mittleren, von ihren unerträglich niedrigen Eigenkapitalquoten herunterzukommen, daß sie nicht mehr für die Banken, sondern für die Investitionen arbeiten, sollten Sie lieber unterstützen, statt es zu kritisieren. Helfen Sie doch diesen mittleren und kleinen Betrieben, Arbeitsplätze zu schaffen. Schimpfen Sie nicht immer über die hohen Renditen.
Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei der Rentenstrukturreform müssen alle diese Parameter in aller Ruhe und Abgewogenheit diskutiert werden. Tabus darf es nicht geben.Selbst der VDR und dessen Rentenstrukturkommission unter Beteiligung — ich unterstreiche — von Gewerkschaften und Arbeitgebern haben deutlich gemacht, daß schon eine vergleichsweise außerordentlich geringe Absenkung des Niveaus eine beachtliche Minderung des Beitragsanstiegs zur Folge haben würde.Meine Damen und Herren — die Uhr läuft weiter — , bei der Ausgangslage, die wir insgesamt haben, meine ich, daß trotz dieser zwei etwas kontroversen Zwischendiskussionen die Möglichkeiten, zu Gemeinsamkeiten zu kommen, nicht verspielt werden dürfen.
— Die Bemühungen des Bundesarbeitsministers, Herr Kollege von der Wiesche, mit Ihnen Gespräche zu führen, sind doch vorhanden, und es haben doch solche Gespräche stattgefunden.Es hat sogar in meiner Partei Leute gegeben, die so etwas mit Besorgnis gesehen haben. Ich möchte Ihnen sagen: Meine Position ist eine andere. Ich meine im Gegenteil: Wir sollten diese Gespräche auch zwischen uns führen. Der Kollege Dreßler und ich sind uns darüber einig, daß ein solches Gespräch auch zwischen unseren Fraktionen zu führen ist. Betrachten Sie das als Ausdruck des guten Willens.
— Verehrte Frau Kollegin Unruh, Ihr Name bürgt für eine bestimmte Verhaltensweise, aber nicht für Qualität. Deswegen muß ich Ihnen bei allem Respekt in diesem Zusammenhang sagen, daß diese Gespräche in einem solchen Falle sicher nicht von Erfolg gekrönt sein können.Ich möchte von dieser Stelle sagen: Meine Bereitschaft, unsere Bereitschaft ist in diesem Zusammenhang da. Aber ich sage auch mit allem Ernst dem Kollegen Dreßler wie auch allen anderen: Unter Berücksichtigung der Gemeinsamkeit und der Einigkeit über die Instrumente, mit denen man handeln kann, und bei sicher erheblichen Differenzen über die Intensität, wie man die einzelnen Instrumente einsetzen kann, wird und kann diese Gemeinsamkeit nur gelingen, wenn die hier im Raum sitzenden und handelnden Politiker bereit sind, ein Opfer zu bringen, vermutlich ein Opfer, das für Politiker ganz besonders schwer ist, nämlich darauf zu verzichten, diesen ganzen Bereich in den parteipolitischen Hickhack, in die Wahlkämpfe hineinzuziehen. Solange versucht wird, die Mobilisierung von Rentnern für Wahlkämpfe zu mißbrauchen, sind die Chancen gering. Deswegen ist meine Bitte, Sie zu diesem Opfer, nämlich Verzicht auf parteipolitische Profilierung, im Interesse eines soliden Systems
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Cronenberg
zu bewegen. Dies ist meine Bitte an Sie heute, hoffentlich keine vergebliche Bitte.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.
Herr Präsident! Werte Volksvertreter und -rinnen! Der Herr Präsident meinte, ich solle lieb sein. Aber das geht natürlich nicht, Herr Julius Cronenberg. Was Sie jetzt hier fabrizieren, als wenn wir von Gott gesandt wären! Sie sind von den Wählern und -rinnen gewählt, und diesem Anspruch haben Sie sich selbstverständlich zu stellen.
Sie kommen ja von der FDP. Man darf ja nicht vergessen, aus welchem „Stall" Sie kommen: 360-Grad-Partei. Bitte schön, Sie waren ja mit den Sozialdemokraten zusammen. Hätten Sie früh genug den Bundeszuschuß erhöht, dann hätten Sie den kleinen Rentnern nicht 25 % aus der Rententüte genommen. Herr Günther, was täuschen Sie denn herum! Ich habe hier keine Zahlen verbraten, wie Sie das tun.
Ich habe statistisches Material verwertet.
— Sie haben das statistische Material letztlich an den statistischen Markt gebracht. Oder fragen Sie doch Ihre Staatssekretäre, woher das statistische Material kommt. Wenn Sie dann noch eine normale Rente mit einer Kriegsopferrente vermengen, dann wird es dramatisch. Unterlassen Sie das in Zukunft!
Da sitzt ja der Herr Staatssekretär. Sogar Herr Minister Blüm ist da. Herr Minister Blüm könnte doch ganz gut einmal sagen, ob es stimmt, daß nur zehn Prozent der Renten über 1 500 DM im Monat liegen. Diese Ehrlichkeit erwarte ich.
Ich habe ja noch ganz andere Dinge erfahren; ich habe sie abrufen dürfen: Man braucht ja nur zwei Jahre Minister zu spielen. Bitte schön, schreiben Sie sich das einmal hinter die Ohren: Zwei Jahre Minister, und schon haben Sie 3 535,13 DM als Pension in der Tasche. Das wird vom Bundesverfassungsgericht als Rechtens angesehen, weil Minister auf Schleudersitzen säßen. Was soll das denn? Wir haben 2,5 Millionen Arbeitslose, die durch Schleudersitze herausgeschleudert worden sind.
Dann sollen sich doch die Minister dem Arbeitslosenmarkt zur Verfügung stellen.
Das ist doch genau der Punkt, wie ungerecht in diesem Hause letztlich gerechtet wird. Das ist auch bei den Parlamentarischen Staatssekretären so.Dann setzen sie die Mär in die Welt, die GRÜNEN wollten keine leistungsbezogenen Renten. Woher haben Sie eigentlich die Mär?
DIE GRÜNEN wollen sehr wohl eine leistungsbezogene Rente, aber, bitte, aufgestockt auf eine Mindestoder Grundrente.
Das haben Sie im Leben nicht begriffen. Sie haben aber von den GRÜNEN sehr wohl gelernt, daß es anders kommen muß. Sonst laufen Ihnen nämlich die Wähler davon. DIE GRÜNEN haben mit den Grauen Panthern überhaupt das Konzept der Zukunft entwikkelt.
Deshalb hüpft ja Ihr Herr Fink hinterher. Auch Herr Dreßler von den Sozialdemokraten hüpft ja Gott sei Dank hinterher. Da zeigt sich doch, wie man Politik machen kann.
Kollegin Steinhauer, das ist doch wunderbar. So können wir in eine Zukunft gehen, auch zum Schutze unserer eigenen Söhne, Töchter und Enkel. Noch mehr Beiträge, Herr Minister, das läuft nicht. Die Bundeszuschüsse sind überfällig.
Sie erhöhen sich ja ständig Ihre Pensionen. Wir erhöhen ständig unsere Diäten. Das sind doch auch Bundeszuschüsse. Der Steuerzahler muß doch bezahlen. Wofür denn? — Damit Sie in diesem Hause noch mehr Ungerechtigkeit fabrizieren? Das geht doch, bitte schön, nicht.
Ich habe jetzt nur noch zwei Minuten.
— Was soll das denn? Ich kann in zwei Minuten mehr bewirken als Sie in zwei Jahren.
Das grüne Heftchen — ich weiß gar nicht, warum Sie immer auf die Farbe Grün kommen — mit Ihrer Programmatik ist hochinteressant.
— Das gibt es nicht länger. Sie wissen gar nicht, was es in der CDU gibt oder nicht gibt.
Punkt 69 trägt die Überschrift „Das christliche Menschenbild als Grundlage unserer Politik" .
— Also alles was christlich ist, ja, ja. Dort steht:
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4578 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Frau UnruhWir wollen erreichen, daß jeder alte Mensch auch tatsächlich über die Mittel zur Führung eines menschenwürdigen Lebens verfügt.Hört sich doch toll an, nicht?Wir wollen die verschämte Altersarmut im Zusammenhang mit der Reform der Rentenversicherung beseitigen.Tun Sie das mal sofort!
Die GRÜNEN verlangen sofort für die Einzelpersonen 1 200 DM, aufgestockt, und für die Ehepaare mindestens 1 800 DM, damit sie in ihrer christlichen Würde unter uns leben können.Sie haben die Altmütter ausgeschlossen. Sie müßten sich doch in Grund und Boden schämen.
Deshalb will ich die namentliche Abstimmung. Sie können nicht hier von christlichen Grundwerten reden und draußen quatschen, Sie können die Wähler und -rinnen nicht weiter täuschen. Sie gehen nach wie vor durch die Gegend und sagen: Wir einzelnen Abgeordneten möchten das ja.Deshalb heute noch einmal die namentliche Abstimmung. Wir wollen Sie aufs Kreuz legen mit Ihrer Doppelmoral.
Ihr steht unter unserer Kontrolle, unter der Kontrolle der Grauen Panther. Wir haben Bundesversammlung. Ich ziehe damit nach Hause. Und glauben Sie: Graue Panther machen Wahlpolitik! Sie haben sich mit Ihren Beschlüssen der Würde des einzelnen alten Menschen zu unterwerfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser etwas lebendigeren Debatte am Ende der zweiten Lesung möchte ich zumindest den Versuch machen, einmal festzustellen, worin Übereinstimmung besteht. Es besteht wohl zunächst einmal Übereinstimmung insofern, als alle Fraktionen des Hauses die 3 %ige Rentenanpassung haben wollen.Wie verhält man sich nun nach einer Debatte, die von einer Übereinstimmung ausgeht? Da gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten. Entweder praktizieren wir die alten Debattenrituale: hier die Opposition, die sagt, wie schlimm das alles durch die Kürzungsmaßnahmen der Regierung geworden ist, dort die Regierung, die sagt, wieviel Wohltaten sie unter das Volk schüttet, was in unserem Hause immer damit endet, daß sich die Sieger wie nach der Schlacht von Leuthen erheben und den Choral anstimmen „Nun danket alle Blüm". Für diese Legislaturperiode steht ja der Sieger immer vorher fest.Die andere Alternative ist, daß wir die Notwendigkeit einer Reform der Alterssicherung für die Zukunft ernst nehmen und gemeinsam das tun, was die Bürger von uns erwarten, nämlich gemeinsam um eine solche Reform zu ringen.
Die Übereinstimmung beim Rentenanpassungsgesetz können wir durchaus als Chance für eine seriöse Diskussion über die Zukunft der Alterssicherung begreifen. Dazu gehören allerdings Bedingungen. Die erste Bedingung besteht darin, daß Gemeinsamkeit in einer Situation „fünf vor zwölf " nur dadurch entstehen kann, daß man sich mit den Vorschlägen auseinandersetzt, die auf dem Tisch liegen. Das ist unsere Bedingung, und diese Bedingung gilt solange, wie das unbefangen vom Wahlkampfgetümmel zu machen ist. In Wahlkämpfen gilt diese Regel nicht mehr. Das hat der Kollege Dreßler in der ersten Lesung gesagt, und dabei wird es bleiben. Das sage ich all denen, die sich einbilden, sich mit Gemeinsamkeiten über die Runden retten zu können.
Eine weitere Bedingung, Herr Arbeitsminister, ist die ehrliche Problemanalyse. Zu einer ehrlichen Problemanalyse gehört erstens, die Sicherheit der Ausgangsdaten zu überprüfen: die wirtschaftliche Entwicklung, die Zahl der Versicherungspflichtigen, die Entwicklung der versicherungspflichtigen Einkommen, die zu schätzende Entwicklung der Lohnquote. Die Rückschau belegt: Die Unsicherheit ist bei allen Modellrechnungen für die Zukunft gegeben. Das haben Prognosen so an sich, daß sie vorher gegeben werden müssen. 2,5 % waren einmal die Erwartungen bezüglich des Wachstums für 1987; 1,7 % sind herausgekommen. Das sind die Lasten, mit denen sich jede Prognose auseinandersetzen muß.Zweitens sind diese Daten allerdings Variable von anderen Politiken oder auch Tarifergebnissen. Sie sind Variable der Absicht oder Fähigkeit und Unfähigkeit einer Regierung, Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen; sie sind Ergebnis der Fähigkeit der Tarifparteien, den Zuwachs an Wirtschaftskraft gerecht untereinander zu verteilen.Eine weitere Bedingung ist: die Probleme beim Namen nennen. Wie begegnen wir der demographischen Entwicklung? Wie sichern wir die Alterseinkommen derjenigen, die nur eine lückenhafte Rentenbiographie aufweisen bzw. die gar nicht in das System hineingekommen sind? Ich vernachlässige hier bewußt die Wirkung Ihrer Politik auf die Zuspitzung der Probleme. Ich möchte nur, daß Sie wenigstens das Problem akzeptieren. Wie konstruieren wir die Instrumente für eine Alterssicherungspolitik, die länger halten muß als eine Legislaturperiode oder als die Dauer einer bestimmten Koalition?Drittens: sich auf Ziele einigen. Am wichtigsten ist die Einigung über das Absicherungsniveau und über eine Mindesteinkommenssicherung, die einkommensorientiert sein muß, über den Grundtypus der sozialen Sicherheit, das System der Finanzierung und das Verhältnis, in dem sich Erwerbseinkommen, Al' terseinkommen und Mindesteinkommen entwickeln sollen. Die Aussagen der SPD dazu sind formuliert;
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Peter
Frau Kollegin Steinhauer hat sie heute noch einmal zusammengefaßt.Auf die Aussagen des Bundesministers für Arbeit wird noch gewartet. Er hat die Chancen, heute einmal etwas Konkretes zu der Situation der künftigen Entwicklung der Alterssicherung zu sagen. Wie hoch, Herr Bundesarbeitsminister, soll das Absicherungsniveau sein? Wie sollen sich die unterschiedlichen Sicherungssysteme zueinander verhalten? Wie halten Sie es mit der Beteiligung der Beamten an ihrer Versorgung? Wie ernst ist der Satz in dem neuen Grundsatzpapier der CDU gemeint, der eine soziale Grundsicherung fordert? Oder gilt das für die Bundesregierung nicht, was immerhin in Grundsatzpapieren Ihrer Partei steht, Herr Blüm? Wie hoch muß der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung sein?Herr Blüm, wenn es fünf vor zwölf ist, dann genügt es nicht mehr, die Lippen nur zu spitzen,
dann muß endlich gepfiffen werden.
Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie von der Zukunft der Renten sprechen, reduziert sich für Sie die Problematik sehr leicht auf die demographische Entwicklung,
insbesondere auf den veränderten Bevölkerungsaufbau. Ich halte das für eine zu verengte Betrachtungsweise. Die gesellschaftliche Leistungsfähigkeit für die Alterssicherung bemißt sich auch nach anderen Kriterien: nach der Entwicklung der Wirtschaftskraft, der Entwicklung der Arbeitsproduktivität, der Fähigkeit, das Erwerbspersonenpotential vollständig und stetig in den Arbeitsprozeß und die Finanzierung der Alterssicherung einzubeziehen, der Entwicklung der Arbeitskräftewanderung unter den Bedingungen des europäischen Binnenmarktes. Genauso wichtig wie die Diskussion über die Rentenformel ist deshalb die politische Aktivität in anderen Politikbereichen.
Entschuldigung, Herr Abgeordneter Peter. — Ich bitte, daß der Geräuschpegel ein bißchen gesenkt wird. Das gilt vor allen Dingen für die hinteren Reihen, wo die Unterhaltungen geführt werden.
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, die Sie das noch hören wollen, die Sie die Alterssicherung der Bevölkerung vielleicht interessiert: einige Schlußbemerkungen, die genauso wichtig sind wie die Diskussion um die Rentenpolitik, die aber über die Rentenpolitik hinausgehen. Es geht auch um die aktive Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, um den Wegfall der Geringfügigkeitsgrenze, weil dort der Rentenversicherung Einnahmen vorenthalten werden, über Arbeitsschutzpolitik, um Frühinvalidität zu mindern, um die Entwicklung eines Instruments, um auf eine wahrscheinliche Abkoppelung der Wertschöpfung von der Lohnsumme, die sich in einer sinkenden Lohnquote ausdrückt, flexibel reagieren zu können. Hier, Herr Kollege Cronenberg, liegt die Begründung für unser Instrument der Wertschöpfungsabgabe im Interesse der Gesamtbevölkerung, im Interesse der Wirtschaft und vor allem im Interesse künftiger Generationen. Es wäre gut, wenn Sie endlich einmal auf die inhaltliche Argumentation über die Wertschöpfung eingingen und das nicht immer mit dem Hinweis auf den Industriestandort Bundesrepublik abblocken würden.
Herr Abgeordneter Peter, Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten. — Kurze Frage, bitte.
Herr Kollege Peter, würden Sie zugeben, daß für die Frage, ob Arbeit im Lande ist oder nicht, die Qualität des Industriestandorts Bundesrepublik von hoher Bedeutung ist?
Sicherlich sind die Standortbedingungen von hoher Bedeutung. Nur meinen wir: Wenn die Höhe der Lohnnebenkosten das permanent beklagte Argument ist, dann müßte ein Vorschlag, der bei den Lohnnebenkosten mehr Gerechtigkeit gerade für die kleineren oder personalintensiven Betriebe zum Inhalt hat, eine Herausforderung zu weiteren Diskussionen sein und nicht zum Anlaß genommen werden, die Diskussion um ein notwendiges Instrument abzublocken.
Die Altersentwicklung, die Veränderung des Altersaufbaus der Bevölkerung, bringt Belastungen, bringt aber auch Entlastung. Für uns stellt sich die Herausforderung, Instrumente zu finden, um die Entlastung, beispielsweise die Kriegsopferversorgung, im Haushalt des Bundes zur Finanzierung künftiger Belastungen zu sichern. Deshalb ist nicht nur die Höhe des Bundeszuschusses, sondern auch die Struktur des Bundeszuschusses eine der Diskussionen, mit denen wir beginnen müßten. Das ist eine Herausforderung für die, die sich für diese Frage interessieren.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit bei einigen und für die Nichtaufmerksamkeit bei den anderen.
Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, darf ich darum bitten — das gilt auch für jene, die im Augenblick so tief im Gespräch versunken sind — , die letzten paar Minuten dieser Aussprache noch mit gebührender Aufmerksamkeit zu verfolgen. Für die Abstimmung bitte ich dann Platz zu nehmen.
Das Wort erteile ich dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Soziales.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit der Schlußberatung nutzen,
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4580 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Bundesminister Dr. Blümallen zu danken, die an der zügigen Beratung dieses Gesetzes mitgewirkt haben, ganz besonders dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung.Um 3 % werden die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die Altersgelder für Landwirte und die Geldleistungen der Unfallversicherung zum 1. Juli 1988 steigen. Das ist Ausdruck einer soliden Politik. 1986 betrug die Steigerung der Realeinkommen der Rentner 1,5 %. Das ist die höchste Realeinkommensteigerung seit 1979. 1987 betrug die reale Einkommensverbesserung 3 %, und auch in diesem Jahr wird die reale Einkommensverbesserung 2 % betragen.Auch aus Anlaß dieser Rentenanpassung möchte ich die alte Wahrheit wiederholen: Es kommt nicht allein darauf an, wie Löhne und Renten steigen, es kommt auch darauf an, ob die Preise stabil geblieben sind. Deshalb: Preisstabilität ist die beste Politik für die älteren Mitbürger.
Und wer es bezweifelt — diese Wahrheit kann man nicht oft genug sagen — , das Gegenbeispiel sind die Jahre 1980, 1981 und 1982: höhere Rentensteigerungen als heute, trotzdem weniger Kaufkraft bei den Rentnern. 1980 — wegen Preissteigerung — minus 1,3 %, 1981 minus 2 %, und 1982 waren es gerade plus 0,1 %.Meine Damen und Herren, ich will darauf hinweisen, daß diese Rentenerhöhungen möglich sind und wir dennoch die Rücklagen in der Rentenversicherung aufbauen. Die Sicherheit ist also gewachsen.Wir haben dies alles mit Reformen zustande gebracht. Wir haben die Hinterbliebenenreform durchgesetzt, auf die Sie sieben Jahre gewartet haben, die Wartezeit in der Rentenversicherung herabgesetzt, so daß 130 000 Menschen jetzt Rente erhalten, die vorher keine Rente erhalten haben. Die durchschnittliche Höhe beträgt 225 DM im Monat. Das ist wenig, aber das sind 225 DM mehr als zur SPD-Zeit.
Ich überlasse es auch den älteren Mitbürgern, zu entscheiden, wovon sie mehr haben, von großen Reden oder von handfesten Maßnahmen.Sie haben große Reden über das Baby-Jahr und die Kindererziehungszeiten gehalten und nichts gemacht. Wir haben damit begonnen. Aus Anlaß dieser Beratung will ich auch hier die jüngsten Zahlen nennen: Bis Ende Januar 1988 sind allein 918 600, also fast 1 Million Anträge aus dem Personenkreis der vor 1921 Geborenen eingegangen. Durchschnittlich betrug die Rentenerhöhung für fast 1 Million Mütter 70 DM pro Monat. Zur SPD-Zeit haben diese Mütter nichts bekommen.
Für die nach 1921 Geborenen wird inzwischen die Kindererziehung angerechnet, und zwar für 813 000. Das sind insgesamt mehr als 1,7 Millionen Mütter, die Kindererziehungszeiten im Rentenrecht nicht angekündigt bekommen, sondern erhalten haben, mehr als 1,7 Millionen Mütter, die zu SPD-Zeiten überhaupt nichts bekommen haben.
Deshalb viele Worte? Ich rufe den Rentnern zu: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, nicht an ihren Reden. Mehr als 1,7 Millionen ältere Mitbürger — im Jahre 1990 werden es insgesamt 5,5 Millionen sein — sind in den Genuß der Kindererziehungszeiten gekommen, Schritt für Schritt, ganz solide. Wir versprechen nicht mehr, als wir halten können.
Ihr Antrag, Frau Unruh, würde 5 Milliarden DM mehr kosten. Wir geben nicht mehr aus, als wir eingenommen haben.
— Bitte, Frau Unruh, wenn der Herr Präsident es gestattet.
Bitte sehr, Frau Abgeordnete Unruh.
Herr Minister, Sie behaupten, wenn jetzt —
— Ich muß eine Frage stellen. Danke schön.
Herr Minister, meinen nicht auch Sie, daß 5 Milliarden DM für die Altmütter besser gewesen wären als 50 Milliarden für eine Steuerreform, bei der 6 % 65 % der Steuern nachgelassen bekommen sollen?
Wenn diese Steuerreform dazu dient, mehr Beschäftigung zu schaffen, schafft sie auch der Rentenversicherung mehr Einnahmen. Das ist unsere Philosophie.
Meine Damen und Herren, ich will mich auch hier nicht auf den Austausch von Schlagworten einlassen, sondern — —
— Ja, dann will ich noch einmal die Zahlen nennen. Falls die SPD es nicht gemerkt hat: Es waren — ich wiederhole wegen des Gelächters der SPD — mehr als 1,7 Millionen Mütter, die zu SPD-Zeiten nichts bekommen haben, die inzwischen dank dieser Koalition Kindererziehungszeiten angerechnet bekommen. Kein Schlagwort.
Frau Unruh, wenn die Probleme so einfach wie Ihre Darstellung wären, hätten Sie sogar recht. Ich warne uns nur gemeinsam, aus einer niedrigen Rente auf Armut zu schließen. Den Armen, Frau Unruh, soll geholfen werden. Aber eine niedrige Rente sagt noch gar nichts über den Lebensstandard.Dazu die jüngsten Zahlen; wieder keine Schlagworte, sondern Zahlen. Von den Rentenbeziehern mit
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4581
Bundesminister Dr. Blümeiner Rente von unter 600 DM leben 55 % in Haushalten mit einem Nettoeinkommen von über 2 000 DM und 31 % in Haushalten mit einem Nettoeinkommen zwischen 1 000 und 2 000 DM. Eine niedrige Rente sagt also überhaupt noch nichts über den Lebensstandard. Daß wir denjenigen, die in Armut sind, helfen wollen, entspricht unserer gemeinsamen Überzeugung. Nur, niedrigere Rente allein ist nicht der Auslöser.
Ich will zur Grundsatzdebatte nur eine kurze Bemerkung machen. Wir bleiben auf der Schiene Lohnbezogenheit. Deshalb will ich auch klar sagen, daß ich kinderspezifische Beiträge ablehne. Rente ist Alterslohn für Lebensleistung. Der Lohn wird auch nicht kinderspezifisch gezahlt. Wenn wir hier einen Einbruch vonehmen, dann würden wir unser Rentensystem verändern.Im übrigen stellen sich eine Reihe von ganz praktischen Fragen. Soll denn der Arbeitgeberbeitrag auch kinderspezifisch sein? Wie wäre es denn: Wenn beide Elternteile erwerbstätig sind, sollen beide eine kinderspezifische Ermäßigung erhalten? Das wäre eine Benachteiligung der Alleinverdiener-Familie. Wenn es allerdings nur einer bekommt, dann wäre es für die Familie mit zwei Verdiener einkommensneutral: Was der eine mehr bezahlt, müßte der andere weniger bezahlen.In der Sozialpolitik kommt es nicht nur auf gute Vorsätze und guten Willen an, es kommt auch auf Sachkenntnis an, und auf der bestehe ich.
Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Von Reden ist noch niemand satt geworden. Es muß gehandelt werden.
— Auch mit Schreien wird den Müttern nicht geholfen.
Ich bedanke mich beim Deutschen Bundestag für die Rentenpolitik, die wir treiben konnten. Ich halte es für eine gute Nachricht, daß wir weiterhin auf allen Seiten den Willen haben, die notwendige Rentenreform mit einem Höchstmaß an Gemeinsamkeit durchzuführen. Deshalb bedanke ich mich für die nach wie vor vorhandene Bereitschaft der Opposition zur Mitwirkung.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Ich bitte alle Damen und Herren Abgeordneten, Platz zu nehmen. Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Solange nicht alle Platz genommen haben, kann ich mit der Abstimmung nicht beginnen.Wir kommen zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Anpassung der Renten der gesetzlichenRentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1988.Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit sind die Art. 1 bis 7 angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen. Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Gesetzentwurf als Ganzes daher mit großer Mehrheit angenommen.Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 4 b, dem Rentenanpassungsbericht 1987. Der Bericht liegt Ihnen vor. Ich kann somit feststellen, daß der Bundestag Kenntnis genommen hat.Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 4 c ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1402 abzulehnen. Die Fraktion DIE GRÜNEN bittet darum, daß unmittelbar über ihren Antrag, und zwar namentlich, abgestimmt wird.Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, sind noch Abgeordnete im Saal, die sich an der Abstimmung beteiligen wollen und ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? — Können die Parlamentarischen Geschäftsführer mir signalisieren, daß alle Abgeordneten die Möglichkeit gehabt haben, ihre Stimme abzugeben? — Ich stelle fest, daß alle Abgeordneten, die sich an der Abstimmung beteiligen wollten, ihre Stimmkarte abgegeben haben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist, daß das Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung später bekanntgegeben wird. — Ich sehe, das ist der Fall.') Dann fahren wir in der Tagesordung fort.Ich rufe Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNENVorhaben der Deutschen Bundesbahn, die Preise ab April 1988 zu erhöhen— Drucksachen 11/1913, 11/1971 —Berichterstatter: Abgeordneter LemmrichHierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/1973 und 11/1975 vor.*) Ergebnis Seite 4598 C
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4582 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Vizepräsident StücklenEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen daher sofort zur Abstimmung.
— Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen. Wir können mit der Abstimmung erst beginnen, wenn Sie Platz genommen haben. Ich muß ohnehin mit dem Beginn der Abstimmung warten, bis die Wahlurnen zurückgebracht worden sind.Die Fraktion DIE GRÜNEN hat eine namentliche Abstimmung über ihren Änderungsantrag auf Drucksache 11/1973 verlangt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung, teile Ihnen jedoch vorsorglich mit, daß im Anschluß an diese zweite namentliche Abstimmung noch zwei weitere Abstimmungen erfolgen.Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses da, das sich noch an der Abstimmung beteiligen will? Das scheint nicht der Fall zu sein.Ich schließe die namentliche Abstimmung und fahre, während die Schriftführer die Auszählung vornehmen, mit der Tagesordnung und der weiteren Abstimmung fort. Auch das Ergebnis dieser Abstimmung wird später bekanntgegeben.' )Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag. Ich bitte die Geschäftsführer um die nötige Aufmerksamkeit. Wer für den Änderungantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1975 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!— Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt.Nun kämen wir zum nächsten Tagesordnungspunkt, falls dieser jetzt um 12.30 Uhr noch aufgerufen werden soll. Ich habe aber die Information bekommen, daß die betroffenen Abgeordneten, z. B. aus der Fraktion der SPD und aus der Fraktion DIE GRÜNEN, erwarten, daß dieser Tagesordnungspunkt am Nachmittag aufgerufen wird.
Meine Damen und Herren, wenn wir diesen Tagesordnungspunkt jetzt aufrufen, so dauert dessen Behandlung bis über 13 Uhr hinaus, mindestens bis 13.30 oder 13.40 Uhr. Um 13 Uhr beginnt der Ältestenrat, und es ist auf Dauer nicht zuzumuten, daß die Mitglieder des Ältestenrates ihre Pflicht im Ältestenrat nicht erfüllen können. Wenn dieser Tagesordnungspunkt jetzt nicht aufgerufen wird, wäre die Konsequenz, daß er am Nachmittag um 15.30 Uhr aufgerufen wird und die Sitzung am Abend entsprechend länger dauert. Ist das Haus damit einverstanden?— Dann rufe ich diesen Tagesordnungspunkt jetzt nicht mehr auf und gönne Ihnen eine um 25 Minuten längere Mittagspause.Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
*) Ergebnis Seite 4600 A Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
— Drucksache 11/1937 —
Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Hierzu liegen die Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Antretter, die Frage 43 des Abgeordneten Stiegler und die Fragen 44 und 45 des Abgeordneten Dr. Schroeder vor.
Offensichtlich bestehen alle Fragesteller auf schriftlicher Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit können wir diesen Bereich schon als abgehakt betrachten.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Wie groß sind die schwach-/mittelradioaktiven bzw. die hochradioaktiven Abfälle einschließlich der Abfälle aus der Abwrakkung von Kernenergieanlagen und einschließlich der Abfälle, für die die Bundesrepublik Deutschland Rücknahmeverpflichtungen eingegangen ist, die bis zum Jahre 2000 in der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen sein werden, nach Volumen und Radioaktivität?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege, nach dem Entsorgungsbericht der Bundesregierung werden einschließlich der Abfälle aus der Beseitigung kerntechnischer Anlagen, der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente im Ausland und aus dem Betrieb der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf folgende radioaktive Abfälle bis zum Jahre 2000 anfallen: ca. 195 600 m3 radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung, die zur Endlagerung im geplanten Endlager Konrad vorgesehen sind, ca. 4 050 durch Verglasung entstandene Abfallgebinde — Glasblöcke — zu je 1501 Nettovolumen als wärmeentwickelnder radioaktiver Abfall, ca. 4 950 m3 konditionierte Hülsen und Strukturteile bzw. Feed-Klärschlämme als wärmeentwickelnder radioaktiver Abfall sowie ca. 1 900 m3 tritiumhaltige Wässer. Die Nuklidzusammensetzung der Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung in den für die Endlagerung bestimmten Abfallgebinden muß den Anforderungen an endzulagernde radioaktive Abfälle entsprechen.
Diese Anforderungen sind als vorläufige Endlagerungsbedingungen — Stand November 1986 — Gegenstand des zur Zeit anhängigen Planfeststellungsverfahrens für das geplante Endlager Konrad. Ähnliche Endlagerungsbedingungen werden zu gegebener Zeit auch für das geplante Endlager im Salzstock Gorleben erarbeitet.
Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, da Sie offenbar nicht nach der Radioaktivität, sondern nach der Wärme unterscheiden, die entwickelt wird und vernachlässigt werden kann oder nicht vernachlässigt werden kann, frage ich: Können Sie uns vielleicht
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4583
Dr. Hirschnoch einmal sagen, ab wann nach Ihrer Meinung die Wärmeentwicklung nicht mehr vernachlässigt werden kann?Grüner, Parl. Staatssekretär: Je nach Wärmeentwicklung und Radioaktivität wird zwischen dem Endlager Konrad und dem Endlager Gorleben unterschieden. Die Unterscheidung ergibt sich aus den soeben vorgetragenen Angaben.
Weitere Zusatzfrage. Bitte sehr.
Da sich die vorsichtige Unterscheidung daraus eigentlich nicht ergibt, stelle ich, da ich nur noch eine Zusatzfrage habe, eine Zusatzfrage nach etwas anderem: Haben Sie bei den Mengen, die Sie genannt haben, die Mengen einbezogen, die sich aus dem Abwracken von Kernkraftwerken ergeben, und wieviel Kernkraftwerke haben Sie da eingerechnet?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Was diese Mengen betrifft, Herr Kollege, so möchte ich hier sehr vorsichtig sein. Ich würde das lieber schriftlich beantworten. Ich bin jetzt nicht ganz sicher, ob das schon eingerechnet ist. Ich würde darauf gern schriftlich antworten. Ich bitte um Nachsicht.
Frau Schoppe hat eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Ich habe eine Zusatzfrage zu Ihren Berechnungen und der Einbeziehung von Gorleben. Es ist bekannt, daß dort ein Schacht bei den Bohrarbeiten zusammengebrochen ist und daß es viele Wissenschaftler gibt, die dieses Endlager als nicht sicher für eine Endlagerung betrachten. Jetzt frage ich: Was sind denn Ihre Berechnungen? Wieviel Atommüll wollen Sie dort denn einlagern? Gibt es, falls es sich in Ihrem Ministerium auch durchsetzen sollte, daß Gorleben für die Endlagerung nicht sicher ist, Überlegungen, wo man den Atommüll sonst lagern könnte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung geht nach ihrem Entsorgungsbericht nach wie vor davon aus, daß das Endlager Gorleben rechtzeitig zur Verfügung stehen wird. Sie hat aber immer betont, daß man das erst weiß, wenn tatsächlich im Salzstock selber die Feststellungen getroffen werden, die von vielen Wissenschaftlern für wahrscheinlich und von anderen für unwahrscheinlich gehalten werden, nämlich daß sich dieser Salzstock tatsächlich eignet. Deshalb kann erst, wenn im Salzstock die konkreten Untersuchungen tatsächlich möglich sind, eine endgültige Aussage darüber getroffen werden, ob sich Gorleben eignet oder nicht.
Die nächste Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brauer.
Wie stehen Sie, Herr Staatssekretär, zu dem Zusammenhang, daß die PhysikalischTechnische Bundesanstalt in Braunschweig Einfluß darauf ausgeübt hat, daß die Bohrungen dieses Schachtes möglichst schnell und zügig vonstatten gehen, und jetzt in dem Gutachten erklärt wurde, daß der Baufortschritt schneller war als die Messungen und die eigentlichen Sicherheitsvorkehrungen?
Herr Abgeordneter Bauer, ich nehmen an, daß der Herr Staatssekretär die Frage beantworten wird. Aber korrekterweise könnte ich sie nicht zulassen, weil der direkte Zusammenhang zwischen der ursprünglichen Frage von Herrn Dr. Hirsch und Ihrer Frage nicht mehr gegeben ist. Wir wollen aber dem Staatssekretär die Chance lassen, trotzdem zu antworten.
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist Aufgabe der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, alles zu tun, um möglichst rasch ein Endlager zur Verfügung zu stellen. Als Antragstellerin hat sie diese Aufgabe gewissenhaft erfüllt. Die jetzt aufgetretene Frage, ob bei der Vorbereitung der Bohrungen Fehler gemacht worden sind, ist Gegenstand einer eingehenden Untersuchung, über die der Bundesumweltminister gestern im Umweltausschuß ausführlich berichtet hat.
Nun rufe ich die Frage 47 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf :
Wie groß sind die radioaktiven Abfallmengen, die zusätzlich mit der Inbetriebnahme der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf anfallen und zu beseitigen sein werden, nach Volumen und Radioaktivität?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Aus dem Entsorgungsbericht vom 13. Januar 1988 ergibt sich, daß in der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf bis zum Jahr 2000 voraussichtlich ca. 850 durch Verglasung entstandene Abfallgebinde, Glasblöcke, zu je 1501 Nettovolumen als wärmeentwickelnder radioaktiver Abfall, ca. 1 500 m3 konditionierte Hülsen- und Strukturteile bzw. Feed-Klärschlämme sowie ca. 9 000 m3 radioaktive Abfälle mit vernachtlässigbarer Wärmeentwicklung und außerdem ca. 1 900 m3 tritiumhaltige Wässer anfallen werden. Diese jetzt genannten Mengen sind in der Antwort auf Ihre erste Frage schon eingerechnet. Es ist also eine Differenzierung. Das benötigte Volumen in einem Endlager ist unter Berücksichtigung aller radioaktiven Abfälle bei direkter Endlagerung im Vergleich zur Endlagerung nach Wiederaufarbeitung etwa vergleichbar.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist die Menge, die Sie soeben angegeben haben, die Gesamtmenge, oder ist das die Menge, die im Vergleich zu einer direkten Endlagerung zusätzlich entstehen würde? Ich möchte wissen: Wie groß sind denn die zusätzlichen Mengen im Vergleich zu einer direkten Endlagerung, die an radioaktivem Abfall dadurch entstehen — ob nun hoch- oder mittelradioaktiv ist eine andere Frage — , daß die Wiederaufbereitung in Wackersdorf in Gang gesetzt wird.Grüner, Parl. Staatssekretär: Es entstehen keine zusätzlichen Mengen, wenn ich einmal unterstelle und
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4584 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Parl. Staatssekretär Grünerden Vergleich ziehe, daß, wenn keine Wiederaufarbeitung in Wackersdorf stattfindet, nach dem derzeitigen Entsorgungskonzept der Bundesregierung die Wiederaufarbeitung im Ausland, die heute ja schon stattfindet, stattfinden würde. Entscheidend ist allerdings, daß sich das Volumen des Endlagers durch die Wiederaufbereitung nicht vergrößert, ungeachtet der Tatsache, daß die Art der Abfälle andersartig ist, wenn ich direkte Endlagerung oder Endlagerung nach Wiederaufbereitung betreibe.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte sehr, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, Sie haben ja auch volumenmäßig beachtliche Größen genannt. Darf ich Sie fragen, wie das Transportproblem gelöst werden soll, d. h. welche Zahl von Transporten, sei es über Straßen oder Schiene, nach Inbetriebnahme von Wackersdorf von dort zu den vorgesehenen Lagern, sei es in Konrad, sei es in Gorleben, pro Woche, pro Monat oder in welcher Einheit Sie möchten, unternommen werden muß, um diese Mengen von Wakkersdorf quer durch die Republik zu den Lagern zu transportieren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das Transportproblem ist ein zusätzliches Problem, das dadurch entstanden ist, daß das ursprüngliche Entsorgungskonzept, nämlich Wiederaufarbeitung und Endlagerung an einem Standort vorzunehmen, zwar technisch möglich gewesen wäre, sich aber politisch nicht verwirklichen ließ. Dieses Transportproblem wird durch Wackersdorf nicht vergrößert, sondern bleibt, wenn auch in anderer Fahrtrichtung, erhalten, weil die Wiederaufbereitung im Ausland ja ebenfalls zu den Transportproblemen führt, da alle radioaktiven Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland wieder aufgenommen werden müssen, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie die Unterschiede, die sich daraus ergeben, daß ein Vertreter Ihres Hauses auf meine Frage im Haushaltsausschuß erklärt hat, daß nur 1 000 t radioaktives Tritium bei der Wiederaufarbeitung pro Jahr anfallen? Sie hatten hier 1 900 t genannt.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich hatte von einer Gesamtmenge von 1 900 Kubikmetern tritiumhaltigen Wässern gesprochen. Das ist die Zahl, die im Entsorgungsbericht der Bundesregierung steht. Sie ist richtig. Ich kann mir also eine andere Zahl nur durch ein Mißverständnis erklären.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben darauf aufmerksam gemacht, daß beim Transport besondere Probleme vom Grundsatz her bestehen, und Sie haben gesagt, im Grunde genommen habe sich nichts geändert. Nur, meine Frage ist: Wenn es transportiert wird, was wollen Sie ändern? Welche
Gefahrenvorsorgemaßnahmen wollen Sie veranlassen, insbesondere wenn Sie davon ausgehen, daß diese Transporte, wenn sie über die Straße gehen, durchaus eine besondere Gefährdung darstellen, vor allem, wenn ich mir vorstelle, daß es Glatteis gibt, daß irgendwo einmal -ein Lastwagen quersteht oder daß einer mit einem Lastwagen in eine solche Kolonne hineinfährt? Das sind alles Szenarien, die bekannt sind und die an sich auch dem Ministerium bekannt sein müßten.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe nicht über die Art des Transports gesprochen, der auch nicht unbedingt etwa auf der Straße erfolgen muß. Es ist technologisch durchaus möglich, diese Transporte, auch was die Behälter anlangt, sicherzumachen. Das gilt in gleicher Weise für die hochradioaktiven abgebrannten Brennelemente, die heute transportiert werden müssen. Die Techniker sind sich sicher, daß sie das zuverlässig bewerkstelligen können. Der Weiterentwicklung der Technologie auch in diesem Bereich sind natürlich keine Grenzen gesetzt. Es wird an diesen Fragen intensiv gearbeitet, um immer bessere und technisch perfektere Lösungen zu finden, die im Augenblick zwar nicht anstehen, aber für eine nahe Zukunft ihre Bedeutung haben werden.
Herr Abgeordneter Klejdzinski, es bedarf wirklich schon einer sehr großzügigen Auslegung, wenn man eine Verbindung zwischen der Frage nach dem Volumen, die ursprünglich gestellt war, und Ihrer Frage nach den Transportmöglichkeiten oder -notwendigkeiten herstellen will.
Ich sage das deswegen, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt, weil ich Ihnen jetzt die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage gebe. Ich bitte Sie, sich auf die ursprüngliche Frage zu beziehen, zumal Sie in dem Zusammenhang ja noch weitere Fragen gestellt haben.
Bitte sehr, Herr Dr. Lippelt.
Herr Präsident, meine Befürchtung, mich zu blamieren, geht in eine ganz andere Richtung. Ich kam ja erst herein, als dem Kollegen Hirsch bereits geantwortet wurde. Trotzdem, Herr Staatssekretär, auch auf die Gefahr hin, eine lächerliche Frage zu stellen: Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Hirsch habe ich so verstanden, daß Sie gesagt haben, im Vergleich zu den Mengen, die durch Wiederaufarbeitung in anderen Ländern ohnehin entstehen, ändert sich hier eigentlich nichts. Der Kollege Hirsch hatte aber, wenn ich ihn recht verstanden habe, gefragt, ob die Volumen durch Wiederaufarbeitung im Vergleich zu direkter Endlagerung nicht bedeutend größer würden, und er hatte auch von mittelradioaktiven Stoffen und was sonst noch anfällt, gesprochen. Würden Sie mir da zugeben, daß in bezug auf das Volumen im Vergleich zu der direkten Endlagerung bei der Wiederaufarbeitung mindestens das Zehnfache entsteht?Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nein. Wenn ich das Volumen auf die notwendige Größe der Endlagerstätte beziehe — das ist entscheidend für die Endlagerproblematik — , haben wir bei beiden Verfahren — direkte Endlagerung mit ihren Nachteilen und Endlagerung nach Wiederaufarbeitung mit ihren
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4585
Parl. Staatssekretär GrünerNachteilen, die gerade z. B. im Sinne des Transports angesprochen worden sind — die gleichen Volumina. Die Abfallmengen allerdings ändern sich. Es ist ein andersartiger Abfall, weil durch die Wiederaufarbeitung Plutonium vernichtet wird, während bei der direkten Endlagerung Plutonium in den abgebrannten Brennelementen erhalten bleibt. Insofern ist es richtig, daß sich das Volumen ändert, aber nicht das Endlagervolumen, das wir brauchen. Das ist das eigentlich Entscheidende bei der Endlagerproblematik, über die wir hier diskutieren.
Sie können stehenbleiben, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt, denn nunmehr wird Ihre Frage Nr. 48 beantwortet:
Seit wann wird aus deutschen Atomanlagen Atommüll nach Schweden transportiert, und seit wann hat die Bundesregierung Kenntnis über Bestechungsgelder der Firma Transnuklear, die in diesem Zusammenhang an Angestellte deutscher und schwedischer Firmen bezahlt wurden, wie „DIE ZEIT" vom 19. Februar 1988 berichtete?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, seit 1983 wurden von der Transnuklear radioaktive Abfälle von Kernkraftwerken der Bundesrepublik Deutschland nach Studsvik, Schweden, zur Verbrennung und Konditionierung transportiert. Die Bundesregierung hat bis zum jetzigen Zeitpunkt keine belastbaren Erkenntnisse darüber, daß im Zusammenhang mit der Konditionierung radioaktive Abfälle in Studsvik, Schweden, Bestechungsgelder gezahlt wurden.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich hatte auch nach den Mengen gefragt. Haben Sie darüber schon Erkenntnisse?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, denn die Staatsanwaltschaft selbst hat darüber noch keine Erkenntnisse, so daß ich mich auch hinsichtlich etwaiger Beträge nicht äußern kann.
Würden Sie einer in der Presse verbreiteten Meldung, daß es mindestens 70 t uranhaltige Brennelementreststoffe sind, in diesem Moment dann auch nicht widersprechen wollen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Entschuldigen Sie, Herr Kollege, das ist Ihre zweite Frage.
Eben, Sie sind im Moment in Ihrer Frage 49. Ich möchte zunächst einmal die Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch zu Frage 48 zulassen. Bitte sehr, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, die Frage lautete, seit wann Atommüll nach Schweden transportiert wird. Ungeachtet der Tatsache, daß Sie diese Frage noch nicht beantwortet haben, würde ich gerne wissen, seit wann dieses Material per Luft transportiert wird.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe die Frage beantwortet, nämlich dadurch, daß ich sagte: Seit 1983 werden von Transnuklear radioaktive Abfälle von Kernkraftwerken der Bundesrepublik
Deutschland nach Studsvik, Schweden, zur Verbrennung und Konditionierung transportiert. Ich kann Ihnen die Zusatzfrage, ob dabei auch einmal der Luftweg gewählt worden ist, nicht beantworten. Darauf möchte ich gerne schriftlich zurückkommen.
Damit die Geschäftslage klar ist: Eine Zusatzfrage zu Frage 48, also ab wann transportiert wurde. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da Sie die Frage „seit wann?" beantwortet haben, möchte ich Sie fragen: Sind seit diesem Zeitpunkt Umetikettierungen vorgenommen worden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand nicht; aber das ist Gegenstand des Untersuchungsausschusses und auch der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, da sie im Gesamtkomplex der Sicherheit der Transporte radioaktiver Abfälle eine Rolle spielen.
Im Grunde genommen hatten Sie zwei Fragen gestellt.
Herr Abgeordneter Dr. Lippelt, wir einigen uns so: Sie haben jetzt zur Frage 48 eine Zusatzfrage und bei der Frage 49 eine weniger. Dann sind wir uns einig, denn Ihre letzte Zusatzfrage bezog sich darauf.
Nun können Sie Ihre Zusatzfrage zur Frage 48 gerne stellen.
Herr Präsident, mit Verlaub, ich hatte in der ersten Frage nach den Transportmengen nach Schweden, in der zweiten nach den Transportmengen zurück aus Schweden gefragt. Diese Frage nach den Transportmengen nach Schweden ist noch nicht beantwortet worden. Es sind zwei unterschiedliche Richtungen. Insofern, Herr Präsident, mit Verlaub, war meine Frage vielleicht doch nicht so falsch.
Herr Abgeordneter Dr. Lippelt, vermutlich haben Sie die Absicht gehabt, danach zu fragen, welche Mengen nach Schweden transportiert werden, aber getan haben Sie es nicht. Lesen Sie sich Ihre Frage genau durch. Aber da ich annehme, daß der Herr Staatssekretär bereit ist, daß zu beantworten, ohne daß es ausgedruckt ist, gebe ich dem Herrn Staatssekretär das Wort.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich würde das gerne gleich mit der Frage 49 verbinden, weil da die Mengen genannt werden.
Dann sind wir uns also einig.Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Dr. Lippelt auf:
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4586 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Vizepräsident CronenbergWieviel von dem nach Studsvik in Schweden transportierten Atommüll wurde mittlerweile zu welchem Standort in der Bundesrepublik Deutschland zurücktransportiert, und kann die Bundesregierung Pressemeldungen bestätigen, wonach 370 Fässer der 400-Liter-Größe mit Atommüll aus Würgassen, welcher in Studsvik konditioniert wurde, seit 1985 im Zwischenlager Gorleben lagern?Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich beantworte also Frage 49.Der überwiegende Anteil der nach Studsvik/ Schweden transportierten radioaktiven Abfälle wurde in konditionierter Form in die Bundesrepublik Deutschland zu verschiedenen Lagerstandorten zurücktransportiert. Im Zwischenlager Gorleben lagern seit 1985 342 Behälter der 400-Liter-Größe mit radioaktivem Abfall aus dem Kernkraftwerk Würgassen. Seit 1987 befinden sich dort vier weitere Behälter, die vorübergehend in Schweden gelagert worden sind. Der Abfall ist in Studsvik/Schweden nicht konditioniert worden. Menge und Lagerort des aus Schweden mittlerweile zurücktransportierten Abfalls kann lediglich an Hand der Einfuhrgenehmigungen bzw. Anzeigen durch das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn ermittelt werden. Dazu bräuchten wir allerdings einen Zeitaufwand für die Durchsicht des Archivs von etwa zwei Wochen.In Studsvik lagern derzeit noch folgende radioaktive Abfälle: ca. 330 t brennbarer Mischabfall, ca. 200 Fässer mit Asche, ca. 5 cbm Altöl, ca. 300 t Schrott.Die vier vorübergehend in Schweden gelagerten Behälter des Kernkraftwerks Würgassen konnten wegen zu hoher Dosisleistung an der Oberfläche zunächst nicht in Gorleben gelagert werden, sondern erst nach entsprechendem Abklingen der Radioaktivität.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, haben Sie irgendwelche Erkenntnisse darüber, ob in dem nach Gorleben zurücktransportierten Material auch plutoniumhaltige Stoffe sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, dafür liegen im Augenblick keine Erkenntnisse vor. Aber die Untersuchungen, die hier angestellt werden, werden dieser Frage ebenfalls nachgehen.
Die zweite Frage: Wie gedenken Sie, mit diesem Problem in Gorleben weiter umzugehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wie im Entsorgungsbericht der Bundesregierung dargestellt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, können Sie mir auch dazu mitteilen, welche Mengen aus den Rücklieferungen von Schweden in die Bundesrepublik wohin per Luft transportiert worden sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich werde das gerne in die schriftliche Beantwortung einbeziehen.
Die Fragen 50 und 51 der Abgeordneten Frau Terborg werden auf deren Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Dr. Abelein auf.
Sind der Bundesregierung gesundheitsschädliche Nebenwirkungen des bleifreien Benzins bekannt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Abelein, sowohl bleihaltiges als auch bleifreies Benzin einschließlich der Verbrennungsprodukte können in Abhängigkeit von der etwa aufgenommenen Dosis gesundheitsschädlich sein.
Bleifreies Benzin unterscheidet sich aber hinsichtlich der möglichen gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen positiv von bleihaltigem Benzin durch das Fehlen von Blei sowie von krebserzeugenden bzw. krebsverdächtigen Halogenverbindungen, die als Bleiausträger, Scavenger genannt, eingesetzt werden.
Weitere Unterschiede können sich aus den verschiedenen Benzol- und Aromatengehalten ergeben. Generell weist bleifreies Superbenzin einen geringeren Gehalt an Benzol und Aromaten auf als bleihaltiges Superbenzin. Bei unverbleitem Normalbenzin ist der Benzol- und Aromatengehalt geringfügig höher als bei bleihaltigem Normalbenzin. Superbenzin enthält generell einen deutlich höheren Benzol- und Aromatengehalt als Normalbenzin.
Insgesamt liegen die Emissionen von Benzol bei Verwendung bleifreien Super- und Normalbenzins unter den Werten von bleihaltigem Super- und Normalbenzin.
Die Belastung der Bevölkerung wird darüber hinaus nachhaltig durch die Benutzung eines Katalysators vermindert, mit dem die Schadstoffe um bis zu 90 % herabgesetzt werden. Der Katalysator setzt allerdings den Einsatz bleifreien Benzins voraus, und das war ja der entscheidende Grund dafür, daß die Bundesregierung die Herausnahme von bleihaltigem Normalbenzin aus dem Markt in der Europäischen Gemeinschaft für die Bundesrepublik Deutschland durchgesetzt hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Abelein.
Enthält bleifreies Normalbenzin wesentlich mehr Benzol als verbleites Normalbenzin?Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, das ist nicht wesentlich. Nach den Untersuchungen des Umweltministers von Nordrhein-Westfalen, die gerade veröffentlicht worden sind, sind im unverbleiten Normalbenzin 1,64 Volumenprozent festgestellt worden, im verbleiten Normalbenzin 1,56 Volumenprozent. Nach der nordrhein-westfälischen Untersuchung lagen die Spitzenwerte an Benzol bei verbleitem Normalbenzin höher als bei unverbleitem Normalbenzin. Die Unterschiede sind also sehr gering.Allerdings sind die Benzolemissionen etwas höher durch den Wegfall von verbleitem Normalbenzin, was durch das Verhalten der Kraftfahrer ausgeglichen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4587
Parl. Staatssekretär Grünerwerden kann, die ja in ihrer großen Zahl unverbleites Normalbenzin tanken können und nicht gezwungen sind — leider tun das viele Autofahrer immer noch —, statt unverbleitem Normalbenzin verbleites Superbenzin zu tanken, also die Benzinart, die mit weitem Abstand den höchsten Benzolgehalt aufweist.
Ihre zweite Zusatzfrage, Dr. Abelein.
Das heißt also nicht, daß die Verringerung der Schädlichkeit durch weniger Blei durch eine Erhöhung der Schädlichkeit durch mehr Benzol bei bleifreiem Benzin ausgeglichen wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das heißt es nicht, wobei man immer hinzufügen muß: Es hängt auch davon ab, ob die Autofahrer von den gegebenen Möglichkeiten Gebrauch machen und ob sie ausreichend über diese Möglichkeiten informiert sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß damals, als man wegen der Klopffestigkeit das Blei im Benzin durch Aromaten — sprich: Benzol — ersetzt hat, bereits bekannt war, daß Aromaten vom Grundsatz her zumindest in dem Verdacht stehen, krebserzeugend zu sein, so daß insofern die Annahme, daß verbleites Benzin einen höheren Benzolanteil enthält, an sich falsch ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, daß verbleites Benzin, was die Aromaten und andere krebserzeugende Stoffe anlangt, deutlich schlechtere Werte aufweist als bleifreies Benzin. Das ist losgelöst von der Benzolfrage zu sehen.
Außerdem haben wir hier in der Bundesrepublik Deutschland einen erheblich geringeren Benzolgehalt im Benzin, als es die Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft zuläßt, wonach 5 Volumenprozent zulässig sind. Trotzdem hat die Bundesregierung bei der Europäischen Gemeinschaft den Antrag gestellt, den Benzolanteil im Benzin auf 1 % herabzusetzen. Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir das in der Gemeinschaft gemeinsam durch eine entsprechende Änderung der Benzinbleirichtlinie machen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Ganseforth.
Herr Staatssekretär, wenn ich eben richtig gerechnet habe, liegt der Benzolanteil im bleifreien Benzin etwa 20 % über dem Benzolanteil des verbleiten Benzins. Kann man das noch als einen geringfügig höheren Anteil bezeichnen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bin nicht so rasch im Prozentrechnen wie Sie. Ich möchte deshalb sicherheitshalber den Volumenprozentgehalt nach der neuesten Untersuchung von Nordrhein-Westfalen noch einmal nennen: Benzolanteil für verbleites Normalbenzin 1,56 Volumenprozent, für unverbleites Normalbenzin 1,64 Volumenprozent. Das ist eine Differenz von 0,1 Volumenprozent zwischen den beiden Benzinarten. Man wird fast sagen können, daß eine solch geringe Unterscheidung am Rande der Nachweisgrenze liegt. Das kann man auch daran deutlich machen, daß die heute bestehenden Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft 5 Volumenprozent zulassen.
Unser Ziel in der Europäischen Gemeinschaft wäre es, auf 1 Volumenprozent zurückzugehen. Die Differenz, über die wir hier diskutieren, liegt weit unterhalb dieses 1 %.
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Abelein auf:Welche Vorsorgemaßnahmen lassen sich gegen eventuelle Nebenwirkungen des bleifreien Benzins treffen?Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die beste Vorsorge gegenüber möglichen gesundheitsschädlichen Wirkungen durch die Verwendung verbleiter und unverbleiter Ottokraftstoffe ist die weitestmögliche Minderung der Schadstoffemissionen. Die Bundesregierung hält insbesondere folgende Maßnahmen für geeignet:Erstens. Förderung des Einsatzes der Katalysatortechnik zur Reinigung der Kraftfahrzeugabgase, der größten Quelle von Benzolemissionen; Minderungseffekt des geregelten Drei-Wege-Katalysators: ca. 90%.Zweitens. Weitere Absenkung des maximal zulässigen Benzolgehalts in Ottokraftstoffen. Zur Zeit sind laut EG-Richtlinie höchstens 5 Volumenprozent Benzol in unverbleitem Kraftstoff zulässig. Für verbleiten Kraftstoff gilt diese Begrenzung erst ab 1. Oktober 1989. Die tatsächlich anzutreffenden Benzolgehalte liegen in der Bundesrepublik Deutschland im Durchschnitt weit unter 5 Volumenprozent. Die Bundesregierung hat der EG-Kommission aus Gründen des allgemeinen vorbeugenden Gesundheitsschutzes eine weitere Absenkung des maximal zulässigen Benzolgehalts aller Ottokraftstoffsorten auf 1 Volumenprozent vorgeschlagen.Drittens. Tanken von unverbleitem Normalbenzin statt verbleitem Superbenzin, wenn immer dies möglich ist. Da der Benzolgehalt in verbleitem Superbenzin deutlich höher ist als in Normalbenzin, läßt sich auf diese Weise eine deutliche Minderung der Benzolemissionen erreichen.Viertens. Emissionsarmes Betanken von Kraftfahrzeugen. Noch in diesem Jahr sollen in anwendungstechnischen Versuchen die Techniken der Gaspendelung tankstellenseitig und der Absorption von Benzindampf an Aktivkohle fahrzeugseitig demonstriert und geprüft werden. Bei allgemeiner Anwendung einer dieser beiden Techniken könnten auch die beim Tanken auftretenden Emissionen um bis zu 95 % vermindert werden, wobei ich noch einmal unterstreiche, daß die Masse der Benzolemissionen im Verbrennungsprozeß im Motor entstehen und aus dem Auspuff herauskommen und daß wir heute schon eine jederzeit
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4588 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Parl. Staatssekretär Grüneranwendbare Technologie für den Autofahrer zur Verfügung haben, diese Emissionen zu verhindern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte sehr.
Sind Vorkehrungen vorgesehen, um beispielsweise Autofahrer beim Tanken auf die Gefahren durch die Einatmung von Benzoldämpfen hinzuweisen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch das gehört in den Bereich der noch anzustellenden Untersuchungen, denn eine solche Warnung an den Autofahrer, eine Vorsichtsmaßnahme läuft ja immer Gefahr, die möglichen gesundheitlichen Schädigungen überzudimensionieren. Wir bewegen uns hier ganz ausdrücklich im Vorsorgebereich, und ich würde es für sinnvoller halten, die technischen Möglichkeiten der Einschränkung der Emissionen zu erreichen, als durch Warnhinweise falsche Vorstellungen über eine tatsächliche gesundheitliche Gefährdung ohne Abhilfemöglichkeit zu propagieren.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Ausgehend von Ihrer Angabe, daß der Unterschied zwischen bleifreiem und verbleitem Normalbenzin im Hinblick auf Benzol nach den Untersuchungen des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums 1 % betrage, frage ich: Ist Ihnen eine Veröffentlichung von heute aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" bekannt, wonach dieser Unterschied nicht 1 %, sondern 5 % beträgt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, diese Veröffentlichung ist mir nicht bekannt. Nach der mir vorliegenden Rechnung beträgt der Unterschied an Benzolgehalt zwischen verbleitem Normalbenzin und unverbleitem Normalbenzin 0,1 Prozentpunkte nicht 1 Prozentpunkt.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Garbe.
Herr Staatssekretär, könnte zu Ihren Vorsorgemaßnahmen nicht auch die Förderung der Produktion von Automotoren gehören, die weitaus weniger Benzin oder Treibstoff verbrauchen, für die die Konzeptionspläne längst in den Schubläden liegen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist ein sehr wichtiger Hinweis, Frau Kollegin, und es sind in großem Umfang aus Haushaltsmitteln des Bundesforschungsministers in dieser Richtung Forschungen in Gang gesetzt und gefördert worden. Wir alle wissen ja, mit welch gutem Ergebnis unsere Industrie auf diesem Sektor erfolgreich war, wenn wir die Reduktion des Verbrauchs sowohl bei Fahrzeugen mit Katalysator als auch bei Fahrzeugen, die nach dem Magerkonzept arbeiten, feststellen. Das ist eine sehr wichtige und erfreuliche Entwicklung, die fortgesetzt werden muß.
Da die Fragen 54 und 55 der Abgeordneten Frau Hensel auf deren Wunsch schriftlich beantwortet werden sollen — die Antworten werden als Anlagen abgedruckt — , Herr Staatssekretär, darf ich mich bei Ihnen bedanken.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Ich rufe zunächst einmal die Frage 56 der Abgeordneten Frau Faße auf:
Bestehen Zusammenhänge zwischen eventuellen Problemen bei der Übernahme der Auszubildenden bei der Deutschen Bundespost und einer Verfügung vom 2. Februar 1988, die als „Entrümpelungsverfügung" bekanntgeworden ist?
Frau Kollegin Faße, die Übernahme der Auszubildenden richtet sich nach dem erforderlichen Bedarf und den haushaltsmäßigen Möglichkeiten. Da gegenüber 1987 die Zahl der Auszubildenden, die die Ausbildung beenden, 1988 wesentlich höher ist, entstehen in diesem Jahr Probleme bei der Übernahme besonders für die über den Bedarf ausgebildeten Fernmeldeanwärter. Die Deutsche Bundespost wird jedoch alle Anstrengungen unternehmen, um möglichst vielen Fernmeldehandwerkern ein Arbeitsplatzangebot zu machen.
Die angesprochene Verfügung, mit der die Ämter die Zuständigkeit erhalten, innerbetriebliche Vorgaben zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern, soll durch Umschichtung Personalressourcen für neue Dienste verfügbar machen und die Einhaltung des vom Postverwaltungsrat festgestellten Personalhaushalts 1988 sicherstellen. Insofern besteht zwischen der Verfügung und der Übernahmeproblematik der fertig werdenden Auszubildenden kein unmittelbarer Zusammenhang.
Zusatzfrage, bitte schön, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung den Begriff „Entrümpelung" bei einer Reduzierung von Personalbeständen eigentlich für korrekt, angemessen und angebracht?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wenn Sie die Verfügung aufmerksam gelesen hätten, hätten Sie festgestellt, daß dieser Ausdruck in der Verfügung nicht vorkommt.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß eine pauschale prozentuale Absenkung des Arbeitsplatzbedarfs für alle Ämter gleichermaßen anwendbar ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, diese Auffassung vertritt sie nicht. Deswegen haben wir ausdrücklich den Amtsvorstehern anheimgegeben, ihre Möglichkeiten sorgfältig zu prüfen.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Börnsen auf:
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4589
Vizepräsident CronenbergKann die Bundesregierung bestätigen, daß alle Auszubildenden der Deutschen Bundespost des Prüfungsjahrgangs 1988 ein Arbeitsplatzangebot erhalten; für welche Bereiche ist dieses nicht möglich?Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn der Herr Kollege Börnsen einverstanden ist, bitte ich um die Erlaubnis, seine beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam zu beantworten.
Dann rufe ich zusätzlich die Frage 58 des Abgeordneten Börnsen auf:
Rechnet die Bundesregierung mit Problemen bei der Obernahme von Auszubildenden bei der Deutschen Bundespost auch in Bereichen, in denen nach Aussagen der Verwaltung nach Bedarf ausgebildet wird?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Börnsen, nach heutigem Kenntnisstand wird davon ausgegangen, daß mit Ausnahme — ich bitte genau darauf zu achten — der über den eigenen Bedarf hinaus ausgebildeten Nachwuchskräfte alle anderen Nachwuchskräfte des Prüfungsjahrgangs 1988 nach beendeter Ausbildung auch ein Arbeitsplatzangebot erhalten werden, wobei in einigen Fällen die Bereitschaft zu örtlicher Mobilität erforderlich sein wird. Auf Grund des relativ langen Zeitraums zwischen Ausbildungsbeginn und dem Zeitpunkt der Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis lassen sich natürlich gewisse lokale und regionale Probleme nie ganz vermeiden. Diese sind aber unkritisch und werden in der Regel ausgeregelt. Sofern also in diesen Fällen die Nachwuchskräfte zu örtlicher Mobilität bereit sind, ist die Übernahme der bedarfsgerecht Ausgebildeten sichergestellt.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist es also falsch, daß für das zweite Halbjahr 1988 den dann ihre Ausbildung beendenden Absolventen noch kein Übernahmeangebot gemacht worden ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, nein, das ist nicht falsch. Ich habe ausdrücklich einen Unterschied gemacht. In den Ausbildungszweigen, wo wir bedarfsgerecht ausgebildet haben, sehen wir uns in der Lage, allen ein Arbeitsplatzangebot zu machen. Wir haben Schwierigkeiten insbesondere in dem Bereich, wo wir weit über unseren Bedarf hinaus ausgebildet haben. Das ist insbesondere, wie Sie wissen, bei den Fernmeldehandwerkern der Fall.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Beschränkt sich also für das gesamte Ausbildungsjahr 1988 die Problematik bei der Übernahme der Auszubildenden auf den Bereich der Fernmeldehandwerker?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Im wesentlichen ja, wenn Sie mit berücksichtigen wollen, was ich zuvor gesagt habe: daß wir in einigen Fällen Mobilität erwarten müssen.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Erlauben Sie mir noch einmal, auch unter Bezugnahme auf die Frage 56, die Frage, ob es falsch ist, daß bei der von Frau Faße genannten Verfügung eine Absenkung des Bedarfs bei den Beschäftigten der Bundespost angestrebt wird und daß die Umsetzung dieses geringeren Bedarfs durch eine geringere Übernahme von Auszubildenden realisiert wird?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Absenkung des Bedarfs den Zweck hat, für andere innovative Dienste Ressourcen freizustellen. Das ist der ganze Hintergrund.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, bitte schön.
Eine letzte Frage, bitte: Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß es in einzelnen Bereichen, wie z. B. im Bereich der Oberpostdirektion Bremen, eine ganz erhebliche Reduzierung der Zahl der zu übernehmenden Auszubildenden geben wird — analog den Presseberichten der vergangenen Tage, die von einer Reduzierung um 400 zu übernehmende Auszubildende gesprochen haben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen die gegenwärtigen Zahlen nicht bestätigen.
Ich habe ausdrücklich gesagt, daß die Deutsche Bundespost bemüht ist, so viele Arbeitsplätze wie möglich, auch für die, die über den Bedarf hinaus ausgebildet worden sind, zur Verfügung zu stellen. Ich habe aber im gegenwärtigen Zeitpunkt keine genaue Übersicht. Ich denke, daß wir unsere Bedarfsermittlungszahlen etwa um den 1. Mai exakt werden vortragen können.
Auch zu dieser Frage eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, gilt für die in dieser Frage angesprochene Ausbildungsproblematik auch weiterhin der Erlaß, der an die Oberpostdirektionen gegangen ist und lautet — Zitat — :Es ist darauf hinzuweisen, daß sich hiermit für die Ämter eine günstige Möglichkeit zur Entrümpelung bestehender Vorgaben bietet, die in eigener Zuständigkeit der Ämter wahrgenommen werden kann?Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, wo Sie den Ausdruck „Entrümpelung" immer wieder hernehmen. Er geistert durch so viele Diskussionen. Wenn Sie mir die Originalverfügung zeigten
— die herausgegangen ist, nicht ein Blatt, das Sie möglicherweise als Entwurf irgendwo aufgefunden haben, Herr Kollege Klejdzinski — , dann sieht die Welt wahrscheinlich ganz anders aus.
— Ja, gern, bitte.
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4590 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Ich bedanke mich für Ihre Mühewaltung, denn das war die letzte Frage, die Sie mündlich beantworten mußten.
Frage 59 des Abgeordneten Linsmeier wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Ich rufe zunächst die Frage 60 des Abgeordneten Müntefering auf:
Was veranlaßt die Bundesregierung, im Jahreswirtschaftsbericht zu schreiben, „stützend für das Wachstum der Inlandsnachfrage wird sich voraussichtlich die Wohnungsbautätigkeit auswirken" , nachdem die reale Entwicklung der vergangenen Jahre und alle bekanntgewordenen Prognosen in entgegengesetzte Richtung zeigen?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Echternach zur Verfügung. Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt die Möglichkeit, die Frage des Abgeordneten Müntefering zu beantworten.
Vielen Dank, Herr Präsident. — Die Antwort lautet: Richtig ist nur, daß im Wohnungsbau die reale Entwicklung der verganenen Jahre auf der einen Seite und alle bekanntgewordenen wissenschaftlichen Prognosen auf der anderen Seite in einander entgegengesetzte Richtungen zeigen. Während die Wohnungsbauinvestitionen in den Jahren 1985 bis 1987 rückläufig waren, gehen alle bekannten Prognosen der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute, soweit sie ausdrückliche Aussagen für den Wohnungsbau enthalten, für 1988 von einer moderaten Zunahme aus. Die positive Erwartung der Bundesregierung stützt sich auf sie ebenso wie auf die günstigen Rahmenbedingungen für Wohnungsbauinvestitionen. Insbesondere von den niedrigen Hypothekenzinsen gehen Impulse für die Wohnungsbaunachfrage aus. Zugleich wird bei gesunkenen Renditen für alternative Kapitalanlagen die Anlage in Immobilien zunehmend attraktiv.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abeordneter Müntefering.
Herr Staatssekretär, Sie kennen doch sicher die Zahlen über die Auftragseingänge im Bereich der Baubranche. Meine Frage, darauf aufbauend: Geben die konkreten Zahlen, die ja keine Prognosen von Instituten sind, auch Anlaß, zu meinen, daß die Baubranche in diesem Jahr ein stützendes Element der Konjunktur sein wird?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Die Frage kann ich mit Ja beantworten. Die Bundesregierung geht von einer Zunahme der Bauinvestitionen aus. Die Zahl der Auftragseingänge — dazu gibt es noch eine spezielle Frage, zu der ich gleich noch ausführlich etwas sagen werde — ist ebenfalls nach oben gerichtet. Insofern gehen wir von einer Stützung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage durch die Bauinvestitionen aus.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte schön, Herr Müntefering.
Könnte Ihre ungewöhnlich positive Prognose auch bedeuten, daß die Bundesregierung vorhat, in diesem Jahr zusätzliche Mittel für den Städtebau, den Wohnungsbau oder die Investitionskraft der Gemeinden im allgemeinen über das hinaus zu mobilisieren, was wir schon wissen?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Anstrengungen der Regierung richten sich darauf, die Rahmenbedingungen für Wohnungsbauinvestitionen optimal zu gestalten. In der Tat haben wir ungewöhnlich niedrige Zinsen, eine moderate Baupreisentwicklung und eine massive Zunahme der realen Einkommen der Bürger,
so daß von daher die Rahmenbedingungen durch die Regierung so gestaltet worden sind, daß wir davon ausgehen können, daß sich die Bauinvestitionen in diesem Jahr nach oben entwickeln werden, wie sie es übrigens auch — im Gegensatz zu den vorläufigen Zahlen — bereits im letzten Jahr getan haben, wenn auch nur sehr moderat.
Bitte schön, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, angesichts der Meinung des Kollegen Müntefering, nur der Bundesbauminister, aber kein Institut hätte Erholung signalisiert, darf ich Sie fragen: Ist Ihnen die druckfrische Branchenprognose der WestLB — die ja nun nicht gerade eine Institution der Bundesregierung ist — bekannt, in der unter der Überschrift „Schwache, aber nachhaltige Erholung für die Bauwirtschaft" steht, daß sich die Nachfrage stabilisiert hat, und zwar insbesondere auf Grund der günstigen Rahmenbedingungen wie Einkommen, Zinsen und Baupreise?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das, was Sie eben dargestellt haben, stützt die Auffassung der Bundesregierung.
Darüber hinaus darf ich darauf verweisen, daß die Forschungsinstitute einschließlich des DIW ausdrücklich auch mit einer Zunahme der Bauinvestitionen rechnen und dies auch sehr fundiert begründen. Die Entwicklung der Auftragseingänge der letzten Monate bestätigt diese optimistische Prognose auch in der Wirklichkeit.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Möller.
Herr Staatssekretär, da Herr Kollege Müntefering gerade den Städtebau angesprochen hat, frage ich Sie: Wie haben sich die Städtebauförderungsmittel des Bundes seit 1982 entwickelt?Echternach, Parl. Staatssekretär: Die Städtebauförderungsmittel des Bundes sind von 220 Millionen im Jahre 1982 auf in diesem Jahr 660 Millionen DM ausgeweitet worden. Auf dieser Basis will die Bundesregierung auch in den nächsten beiden Jahren die Städtebauförderung massiv unterstützen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4591
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin.
Herr Staatssekretär, was veranlaßt denn die Bundesregierung zu der Annahme, daß ausgerechnet die privaten Investoren in der Lage sein sollen, die Wohnungsnot, von der in der Bundesrepublik eine Million Menschen betroffen sind, zu beseitigen?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Anlage in Immobilien zunehmend interessant wird, auch für private Investoren. Ich habe zusätzlich darauf verwiesen, daß die realen Einkommensanstiege der letzten beiden Jahre — die höchsten, die es überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat — in bestimmten wirtschaftsstarken Regionen bereits zu einem deutlichen Anstieg der Nachfrage geführt haben. Der Anstieg der Zahl der Baugenehmigungen zum Ende des letzten Jahres zeigt, daß darauf die Investoren auch entsprechend reagieren.
Nun kommen wir zur Beantwortung der Frage 61 des Abgeordneten Müntefering:
Wie hat sich der Auftragseingang im Bauhauptgewerbe nach den vorläufigen Zahlen 1987 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entwickelt, und wie wird er sich nach den Erkenntnissen der Bundesregierung im Jahr 1988 entwickeln?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, die Antwort der Bundesregierung lautet: Der Wert der Auftragseingänge beim Bauhauptgewerbe war 1987 insgesamt um 4,1 % real gleich 2,7 % nominal niedriger als 1986. Nach den vor allem witterungsbedingten Schwierigkeiten Anfang 1987 hat sich die Baunachfrage im Laufe des Jahres 1987 wieder deutlich gefestigt und blieb bis zuletzt aufwärtsgerichtet. Im vierten Quartal 1987 gingen saisonbereinigt real 5 % mehr Aufträge ein als im dritten Quartal 1987. Diese Entwicklung dürfte sich auch in diesem Jahr fortsetzen. Dafür spricht, daß die gesamtwirtschaftliche Aufwärtsbewegung auch 1988 anhält.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering.
Geht die Bundesregierung mit uns davon aus, daß sich die Kürzung der Städtebauförderungsmittel in diesem Jahr im Verpflichtungsrahmen um 340 Millionen DM negativ auf die Auftragseingänge im Baugewerbe auswirkt?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, ich habe eben deutlich gemacht, daß die Bundesregierung in den letzten Jahren — seit 1982 — mit Unterstützung des Parlaments die Mittel für die Städtebauförderung verdreifacht hat. Die zwischenzeitlich noch höhere Summe, die in den Jahren 1986 und 1987 zur Verfügung stand, war als Schlußzahlung des Bundes gedacht, wie sie seinerzeit von den Ländern gewünscht worden war, die ja ursprünglich der Auffassung waren, der Bund solle sich völlig aus der Städtebauförderung zurückziehen. Das war damals die nahezu übereinstimmende Meinung der Länder. Erst als sich im nachhinein Schwierigkeiten ergeben hatten, eine befriedigende Nachfolgeregelung zu finden, haben wir jetzt mit den Ländern eine Verwaltungsvereinbarung . auf einer anderen Basis abgeschlossen. Insofern können Sie weder angesichts dieser Vorgeschichte noch vor dem Hintergrund der mittelfristigen Finanzplanung von einer Kürzung sprechen, sondern gerade vor diesem Hintergrund ergibt sich eine Aufstockung der Bundesmittel um 660 Millionen DM.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Ergänzend zu dem Gesichtspunkt des Auftragseingangs frage ich: Wie hat sich die Produktion im Bauhauptgewerbe nach den vorläufigen Zahlen für 1987 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entwickelt, und wie hat sich diese Entwicklung auf die Baumaschinen- und Baustoffindustrie ausgewirkt? Ich darf in Klammern dazusagen, daß Sie diese Frage gut beantworten können, wenn Sie die Antwort auf die nächste Frage vorlesen.
Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich stelle fest, daß der Kollege Conradi offenbar Schwierigkeiten hat, an der Fragestunde teilzunehmen. Ich beantworte insofern gerne die Frage so, wie es vorbereitet worden ist.
Die Produktion des Bauhauptgewerbes war 1987 um 5,6 To geringer als ein Jahr zuvor. Ebenso wie die Auftragseingänge hat die Produktion aber im Verlauf des Jahres 1987 wieder kontinuierlich zugenommen. Die Bestellungen von Bau- und Baustoffmaschinen aus dem Inland sind im vergangenen Jahr wertmäßig um 1,9 % gefallen. Über die Nachfrage nach Baustoffen liegen zusammenfassende Angaben nicht vor.
Im Bereich der Steine-Erden-Industrie allein waren die Auftragseingänge aus dem Inland 1987 wertmäßig um 0,7 % niedriger als 1986.
Das Bild wird erst vollständig bei einem Blick auf die Entwicklung des Ausbaugewerbes und auf die Bauinvestitionen insgesamt. Beim Ausbaugewerbe stiegen die Investitionen im Jahr 1987 real um 3 %. Der Verband rechnet auch in diesem Jahr mit einer gleich starken realen Zunahme der Investitionen. Die Bauinvestitionen insgesamt nahmen im letzten Jahr nach den jetzt vorliegenden Zahlen sogar zu und nicht leicht ab, wie noch kürzlich verkündet worden ist. Selbst das Bauhauptgewerbe berichtet in den jetzt vorgelegten jüngsten Zahlen davon, daß es im Bauhauptgewerbe ein Umsatzplus von 1,5 % im letzten Jahr gegeben habe.
Es ist Ihnen zwar gelungen, durch eine geschickte Fragestellung die Frage 62 des Abgeordneten Conradi beantwortet zu bekommen, aber die dazugehörigen Zusatzfragen stehen Ihnen nicht zu.
Jetzt hat sich Dr. Möller gemeldet.
Herr Präsident, ich will gern wieder auf Frage 61 zurückkommen und eine Zusatzfrage dazu stellen, wenn es gestattet ist.
Aber selbstverständlich.
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4592 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Herr Staatssekretär, wir beurteilt die Bundesregierung die übereinstimmenden Prognosen, daß sich zwar die Bevölkerungszahl verringert, daß aber die Zahl der Haushalte in den nächsten Jahren um etwa 800 000 steigen wird?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt diese Einschätzung. Sie geht von einer deutlichen Zunahme der Zahl der Haushaltungen bis Mitte der 90er Jahre aus, und zwar um rund 800 000, und sie geht auch davon aus, daß die Zahl der Haushalte im Jahr 2000 noch höher liegen wird als heute. Danach wird es allerdings einen Rückgang der Zahl der Haushaltungen geben, der jedoch auch langfristig nicht zu einem Rückgang der Nachfrage nach Wohnraum führen muß, weil reale Einkommenssteigerungen dazu führen können, daß derartige sich aus der Bevölkerungsentwicklung ergebenden Effekte durch eine stärkere Nachfrage nach Wohnraum überlagert werden.
Herr Abgeordneter Kansy, bitte schön.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß in den Fragen der Kollegen der SPD immer nur nach dem Bauhauptgewerbe gefragt wird: Kann ich noch einmal Ihre Aussage verstärkend erfragen,
daß zwar wegen eines vorhandenen hervorragenden Wohnungsbestandes der Neubau zurückgegangen ist, aber auf der anderen Seite durch den zunehmenden Bedarf an Modernisierung, Instandhaltung usw. gerade auch im Ausbaugewerbe die Zukunft liegt und nicht mehr in dem Neubau von Millionen von Wohnungen?
Herr Abgeordneter, die Fragen sollen kurz und präzise sein und die Zusatzfragen sollen im Zusammenhang mit den Fragen stehen. Ich bitte, die Großzügigkeit des Präsidenten nicht überzustrapazieren. Herr Staatssekretär, antworten Sie entsprechend kurz.
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann bestätigen, daß die Investitionen im Ausbaubereich zugenommen haben — im letzten Jahr real um 3 % — , daß mit einer gleichbleibenden Entwicklung auch in diesem Jahr gerechnet wird und daß der Anteil der Bestandsinvestitionen im Wohnungsbereich in den letzten Jahren in der Tat kontinuierlich zugenommen hat — er liegt schon jetzt bei 50 % — und vermutlich auch in Zukunft weiter steigende Tendenz haben wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reschke.
Wir hoffen natürlich auch auf die Toleranz des Präsidenten des Parlaments. — Herr Staatssekretär, stimmt es, bezogen auf Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe, daß — ich habe gestern eine entsprechende Agenturmeldung gelesen — 1987 die niedrigste Fertigstellungsquote im Wohnungsbau unterschiedlichster Art zu verzeichnen gewesen ist, wird sich das 1988 fortsetzen, und wie ist das im Vergleich zu den vergangenen Jahren?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Wir haben hier noch eine spezielle Frage
zu der Entwicklung der Baugenehmigungen. Da ich davon ausgehen, daß auch Sie hier hilfreich für den Kollegen Conradi einspringen, möchte ich auch Ihnen die vorbereitete Antwort nicht vorenthalten.
Die Wohnungsbaugenehmigungen und -fertigstellungen entwickelten sich 1982 bis 1986 wie folgt: Die Zahl der Baugenehmigungen betrug 1982 335 007, die Zahl der Fertigstellungen lag bei 347 002; 1983: Genehmigungen: 419 655, Fertigstellungen: 340 781; 1984 lag die, Zahl der genehmigten Wohnungen bei 336 080, die Zahl der Fertigstellungen bei 398 373; 1985: Genehmigungen: 252 248, Fertigstellungen: 312 053. Im Jahre 1986 betrug die Zahl der genehmigten Wohnungen 219 205, die Zahl der Fertigstellungen 251 940. Im abgelaufenen Jahr betrug die Zahl der genehmigten Wohnungen 190 758; das Jahresergebnis der Fertigstellungen liegt bisher noch nicht vor.
Die Bundesregierung erstellt im übrigen keine Prognosen über Wohnungsgenehmigungen und -fertigstellungen. Aber sie geht davon aus, daß mit der bisherigen Entwicklung im Wohnungsneubau die Talsohle erreicht ist. Die Entwicklung der Wohnungsgenehmigungen der letzten Monate zeigt eine ansteigende Tendenz und unterstützt insofern diese Einschätzung der Bundesregierung.
Nun kommen wir zu der Zusatzfrage des Abgeordneten Menzel.
Herr Staatssekretär, ich habe die Zahlen nicht alle behalten, habe aber den Eindruck, daß Sie versucht haben, ein optimistisches Bild von der Situation in der Bauwirtschaft zu zeichnen. Deswegen meine Frage: Wie erklären Sie sich den Widerspruch zwischen Ihrer Darstellung und der Tatsache, daß wir als Abgeordnete fast täglich übereinstimmend mit Hinweisen bombardiert werden — sowohl von der Bauindustrie als auch von der IG Bau, Steine, Erden — , daß die Bauindustrie nicht ausgelastet sei und daß wir hohe Arbeitslosenzahlen bei den Bauarbeitern hätten?Echternach, Parl. Staatssekretär: Insgesamt, Herr Kollege, haben wir im Wohnungsneubau angesichts der relativ guten Versorgungslage seit 1973/74 in der Tat einen Rückgang. Das ist also keine Entwicklung der letzten Jahre, sondern eine Entwicklung, die wesentlich weiter zurückreicht. Allerdings zeigt die jüngste Entwicklung, daß wir die Talsohle offenbar erreicht haben. Die Zahl der Baugenehmigungen hat sich jedenfalls seit dem letzten Sommer von Monat zu Monat besser entwickelt. Im Dezember letzten Jahres hatten wir bei der Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen sogar ein deutliches Plus von 10,9 %, übrigens nicht nur im Einfamilienhausbereich, sondern auch im Mehrfamilienhausbereich.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4593
Die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Conradi können nicht beantwortet werden — und brauchen es wohl auch nicht; denn sie sind durch geschickte Fragestellung eigentlich beantwortet worden —, weil der Fragesteller nicht im Saal ist.
Ich rufe nunmehr die Frage 64 des Abgeordneten Reschke auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Ifo-Instituts, daß sich die steigende Nachfrage nach Mietwohnungen unter den gegebenen Bedingungen nicht in entsprechender Bautätigkeit niederschlagen wird, und welche Konsequenzen würden sich daraus gegebenfalls für die Entwicklung der Mieten ergeben?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Die Antwort lautet wie folgt: Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Ifo-Institutes nicht. Sie ist vom Ifo-Institut nicht schlüssig begründet und steht überdies im Widerspruch zu eigenen Bauvorausschätzungen des Instituts.
In der Ifo-Bauvorausschätzung wird bis Mitte der 90er Jahre ein mittelfristiger Trendwert der Wohnungsbaufertigstellungen von 240 000 Einheiten jährlich prognostiziert. Dieser Wert liegt deutlich höher als die Zahl der genehmigten Wohnungen in den letzten beiden Jahren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reschke.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich die Äußerung von Bundesbauminister Schneider anläßlich einer Messe in München, der ja von einer aufkommenden Wohnungsnot und von Wohnungsengpässen gesprochen hat? Wo sehen Sie die, wo sieht der Minister die, und in welchen Bereichen sind zuerst Engpässe und damit Mietsteigerungen zu erwarten?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie zitieren den Minister nicht ganz zutreffend. Er hat nicht von einer globalen Enwicklung gesprochen — wie Sie sie jetzt unterstellt haben —, sondern davon, daß Engpässe kurzfristiger Art nicht auszuschließen sind, weil der Wohnungsmarkt ein Markt ist, der nicht sehr schnell auf Veränderungen reagiert, und daß wir immer damit rechnen müssen, daß vorübergehenden Engpässen nicht gleich ein entsprechendes Angebot gegenübersteht. Infolgedessen verzeichnen wir zur Zeit in den wirtschaftsstarken Räumen durchaus eine zunehmende Nachfrage, der nicht überall auch sofort ein entsprechendes Angebot gegenübersteht.
Aber ich sagte schon vorhin, daß die Investitionen und jüngst auch die Zahl der Baugenehmigungen wieder zunehmen und es insofern Anzeichen dafür gibt, daß die Investoren auf diese Entwicklung jetzt auch entsprechend reagieren.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Ich möchte noch einmal hervorheben, daß ich gelesen habe, daß Wohnungsbauminister Schneider von einer Zunahme von 800 000 Haushalten gesprochen hat. Institute sprechen von 1,2 bis 1,5 Millionen. Man kann irgendwo einen Mittelwert nehmen. Wenn die Zahl der Haushalte zunimmt, dann wird sich das in Wohnungsnot niederschlagen. Die Frage ist: Wo sehen Sie tatsächlich Engpässe? Denn es kommt ja noch das hinzu, was der Wohnungsbauminister an Hochhäusern sprengen will. Diese Wohnungen in den Großwohnsiedlungen fehlen dann nachher ja auch noch.
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe eben schon auf eine entsprechende Frage von Herrn Dr. Möller darauf hingewiesen, daß wir mit einer Zunahme der Zahl der Haushalte bis Mitte der 90er Jahre in der von Ihnen skizzierten Größenordnung rechnen. Im übrigen werden wir im Laufe des Jahres noch Gelegenheit haben, im einzelnen über die Probleme der Großwohnsiedlungen auf der Basis eines Berichtes der Bundesregierung hier miteinander zu sprechen. Dann wird auch die Frage zur Diskussion stehen, die Sie eben angesprochen haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Möller.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Erwartung des IfoInstituts, daß sich eine stärkere Erholung im Neubau von Mehrfamilienhäusern in den nächsten Jahren ergeben wird?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Damit rechnen wir aus den vorhin schon dargestellten Gründen. Die jüngsten Baugenehmigungszahlen scheinen das auch zu bestätigen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kansy.
Herr Staatssekretär, hat es diesen Einbruch eigentlich erst vor einigen Jahren gegeben, oder haben sich die Zahlen auch schon in den Jahren der SPD-geführten Bundesregierung erheblich verschlechtert?
Echternach, Parl. Staatssekretär: In den 70er Jahren hat es einen noch wesentlich massiveren Einbruch gegeben.
Im Laufe der Jahre 1977, 1978, 1979 hat es einen Rückgang um rund 50 % gegenüber 1973 gegeben. Insofern ist der Rückgang, den wir in den letzten Jahren erlebt haben, kein einmaliges Ereignis.
Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Haben Sie, Herr Staatssekretär, die Mitteilung der Maklerverbände in diesen Tagen zur Kenntnis genommen, nach denen sich die Wohnungslage in zahlreichen Großstädten außerordentlich verknappt hat und die Mieten deutlich stärker gestiegen sind — in Stuttgart bis über 10 % — als die Lebenshaltungskosten und das durch keine entsprechende Neubautätigkeit kompensiert worden ist?Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist in der Tat so, daß wir in den wirtschaftsstarken Räumen, wie ich eben schon sagte, wieder eine deut-
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4594 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Parl. Staatssekretär Echternachlich zunehmende Nachfrage haben, ein Ergebnis vor allem der massiven realen Einkommenssteigerungen der beiden letzten Jahre. Ich sagte schon, daß dies die höchsten realen Einkommenssteigerungen über zwei Jahre hinweg gewesen sind, die wir überhaupt seit 1945 erlebt haben. Wir gehen davon aus, daß die Investoren angesichts der günstigen Rahmenbedingungen darauf auch entsprechend reagieren werden, wenn auch, wie das am Wohnungsmarkt üblich ist, mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Menzel.
Herr Staatssekretär, wären Sie jetzt in der Lage — falls Sie das jetzt nicht können, sind Sie sicher in der Lage, im Wohnungsbauministerium die Unterlagen zusammenstellen zu lassen — , dem Kollegen Kansy mitzuteilen, daß damals, als die Wohnungsbauzahlen weitaus höher lagen, der Kollege Kansy und die CDU das als einen äußerst beklagenswerten Zustand betrachtet haben?
Herr Abgeordneter Menzel, der Staatssekretär wird sicher so höflich sein, diese Mitteilung zu machen, aber diese Art von Dreiecksfragen ist unzulässig, und deswegen rufe ich die Frage 65 des Abgeordneten Reschke auf:
Wie wird sich die Kürzung der Bundesförderung für den sozialen Wohnungsbau um 250 Millionen DM im Jahr 1988 auf den Neubau auswirken, und trifft es zu, daß in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes mit weiteren Kürzungen zu rechnen ist?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, die Antwort lautet wie folgt: Nach der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes wird der Verpflichtungsrahmen für den sozialen Wohnungsbau ab 1989 um jährlich 100 Millionen DM bis auf den gesetzlichen Mindestbeitrag von 150 Millionen DM im Jahr 1991 zurückgeführt. Die Auswirkungen auf den Neubau hängen davon ab, in welchem Umfang die originär zuständigen Bundesländer Mittel für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, welche Kürzungen sind in diesem Zusammenhang bei der Förderung von Eigentumsmaßnahmen zu erwarten? Ich habe hier den sozialen Wohnungsbau hinterfragt. Wo liegen bei Eigentumsmaßnahmen die Kürzungen, die sich konjunkturell auswirken werden?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, daß der Bund die Direktförderung im sozialen Wohnungsbau auf die Eigentumsförderung konzentriert hat. Soweit also Mittel zurückgeführt werden sollten — dies steht bisher nur in der mittelfristigen Finanzplanung; endgültig wird der Bundestag selbst darüber entscheiden, wie die Haushaltspläne der nächsten Jahre gestaltet werden — , würde sich das auf die Direktförderung auswirken.
Ich darf aber, um das Bild abzurunden, darauf hinweisen, daß der Bund den Ländern nicht nur Barmittel für die Direktförderung zur Verfügung stellt, sondern daß er darüber hinaus auf Rückflußmittel, die ihm eigentlich zustehen, verzichtet, damit die Länder in dem entsprechenden Umfang den sozialen Wohnungsbau fördern können, und zwar zur Zeit in einem Umfang von jährlich rund 300 Millionen DM, und daß der Bund darüber hinaus den sozialen Wohnungsbau weiter massiv fördert in Abwicklung früherer Zusagen und Verpflichtungen, die er eingegangen ist. Das sind rund 2 Milliarden DM im laufenden Haushaltsjahr. Insofern tut der Bund, obwohl er originär gar nicht zuständig ist, sondern nur Finanzhilfen in dem vom Grundgesetz ermöglichten Rahmen leisten kann, immer noch ganz Beachtliches, um den Ländern zu helfen, den sozialen Wohnungsbau weiterzuführen.
Das Bild wird erst wirklich rund, wenn man sich ansieht, wie die Länder in den letzten Jahren auf die hohe Wohnungsversorgung reagiert haben und in welchem Umfang sie selbst ihrerseits, obwohl originär zuständig, die Mittel reduziert haben.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, die Kabinettsmitglieder verkehren ja schriftlich miteinander. So hat der Wohnungsbauminister einen Brief an den Bundesminister für Finanzen und an den Bundesminister für Wirtschaft geschrieben und besondere Hilfe für die Bauwirtschaft im Rahmen des Konjunkturprogramms, des Zinsprogramms erbeten. Sind hier auch Mittel für den Neubau zur Förderung des Wohnungsbaus oder von Eigentumsmaßnahmen vorgesehen? Welche Gedanken haben den Minister zum Schriftverkehr getrieben?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Im Rahmen des Kreditprogramms, das die Bundesregierung im Dezember letzten Jahres beschlossen hat, sind in der Tat beachtliche Mittel — 5 Milliarden DM Kreditvolumen pro Jahr — für die Stadt- und Dorferneuerung vorgesehen, die damit auch der Bauwirtschaft zugute kommen und zusätzliche Investitionen der Kommunen, auch der finanzschwachen Kommunen, in diesem Bereich ermöglichen.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Franz Müntefering.
Das macht die heimatliche Verbundenheit, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wie viele Wohnungen weniger werden durch die Kürzung des Bundes bei der Wohnungsbauförderung um 250 Millionen DM von den sozial Schwächeren als Eigenheime und Eigentumswohnungen gebaut werden können, da ja bisher gerade die unteren Einkommensgruppen — 30 % der Neubauten — nur deshalb bauen konnten, weil es diese Mittel gab?Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben schon anläßlich der Beratung des Einzelplans 25 in dem zuständigen Bauausschuß über die
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4595
Parl. Staatssekretär EchternachAuswirkungen gesprochen. Sie müssen davon ausgehen, daß letzten Endes die Länder darüber entscheiden, die dafür originär zuständig sind, welche Mittel sie für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellen. Das können Sie nicht an den Hilfen messen, die der Bund zur Verfügung stellt. Auf Wunsch der Länder soll sich der Bund ja sogar völlig aus dem Wohnungsbau zurückziehen. Da erfüllt es uns doch mit einer gewissen — ich will nicht sagen — Betroffenheit, aber es befremdet doch, daß wir hier solche Vorwürfe von Ihrer Seite hören, wenn man sich ansieht, wie sehr sich gerade die sozialdemokratisch regierten Länder aus dem sozialen Wohnungsbau zurückziehen. In den letzten drei Jahren haben die Länder insgesamt die Zahl der geförderten Wohnungen um 41,6 % reduziert, Hamburg aber deutlich stärker um 46,5 %, Bremen noch stärker um 50,4 % und Nordrhein-Westfalen sogar noch stärker um 55,6 %. Wenn Sie sich die Mittelbereitstellung der Länder in den letzten drei Jahren für den sozialen Wohnungsbau ansehen, ergibt sich, daß die Länder insgesamt die Mittel um 34,7 % reduziert haben, aber noch stärker das Saarland um 37,2 %, noch stärker Hamburg um 39,3 %, noch stärker Nordrhein-Westfalen um 42,4 % und am stärksten Bremen mit 62,8 %.
Die nächste Zusatzfrage stellt der Herr Abgeordnete Dr. Dietmar Kansy.
Herr Staatssekretär, liegen Ihnen eigentlich auch Zahlen aus CDU/CSU-geführten Bundesländern vor, z. B. Bayern oder Baden-Württemberg?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Ja. Dazu verweise ich darauf, daß Baden-Württemberg soeben sein Programm um 1 000 Wohnungen aufgestockt hat;
und ich kann darauf verweisen, daß Bayern für das Jahresprogramm 1988 im ersten Förderungsweg elfmal so hohe Mittel wie der Bund und im zweiten Förderungsweg doppelt so hohe Mittel wie der Bund zur Verfügung stellt. Wenn alle Länder dementsprechend handeln würden, würde man vermutlich viel weniger über die Finanzhilfen des Bundes sprechen.
Ich rufe die Frage 66 des Abgeordneten Scherrer auf:
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zur Stimulierung der Investitionstätigkeit im Wohnungsbau und zur Stärkung der Bauwirtschaft, nachdem der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau in letzter Zeit selbst davon spricht, es könne in Bedarfsschwerpunkten zu Wohnungsknappheit kommen?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Die Antwort lautet wie folgt: Die Investitionsbedingungen im Wohnungsbau sind derzeit so günstig wie selten zuvor. Die Preisentwicklung für Bauland und für Bauleistungen verläuft moderat. Das Zinsniveau ist niedrig. Wegen dieser allgemein günstigen Rahmenbedingungen besteht kein Anlaß für zusätzliche Maßnahmen zur Stimulierung der Investitionstätigkeit im Wohnungsbau. Die Förderung des sozialen Wohnungsbaus fällt im übrigen in die originäre Zuständigkeit der Länder.
Zusatzfrage des Abgeordneten Scherrer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß im 4. Familienbericht der Bundesregierung vor allen Dingen das Problem älterer Menschen und ihrer Wohnungsversorgung angesprochen wird? Dort wird u. a. ausgeführt, daß 1 Million Wohnungen nicht bedarfsgerecht für ältere Menschen seien. Dort wird angekündigt, daß man sich diesem Thema widmen will. Gibt es da schon konkrete Pläne, die ja dann ebenfalls zu einer Verstetigung der Baunachfrage führen würden?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie verweisen mit Recht darauf, daß es um die bedarfsgerechte Ausgestaltung der Wohnungen geht. Es wird also in erster Linie darum gehen, bedarfsgerecht umzugestalten. Das sind dann Bestandsmaßnahmen, die hier in erster Linie gefragt sind.
Das Bundesbauministerium hat sich bereits intensiv an dieser Diskussion beteiligt, hat dazu eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet und wird im Rahmen des experimentellen Wohnungsbaus diese Frage zu einem Schwerpunkt der Forschungsanstrengungen in der Zukunft machen. Wir werden im übernächsten Monat in Friedrichshafen im Rahmen einer dort stattfindenden besonderen Messe auch einen Kongreß zu diesem Thema durchführen. Das heißt, das Thema der bedarfsgerechten Umgestaltung unserer Wohnungen im Hinblick auf die demographische Entwicklung ist ein Thema, mit dem wir uns zur Zeit mit besonderer Intensität beschäftigen.
Eine Zusatzfrage. Bitte sehr, Herr Scherrer.
Darf ich zu einem anderen Bereich, Herr Staatssekretär, nachfragen: Kennen Sie vor allen Dingen die Forderungen aus dem Bereich des Handwerkes, die darauf verweisen, daß einer ihrer Schwerpunkte, zumindest bei den Beschäftigungen, in den letzten Jahren die Wärmedämmung und Energieeinsparungen waren, daß sie vor allen Dingen in diesen Bereichen sehr viel zu tun hatten? Kennen Sie die Forderung, diese Programme, diese Vergünstigungen noch einmal aufzulegen? Gibt es da in Ihrem Haus ebenfalls Überlegungen, wenn ja, welche?Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, schon die frühere Bundesregierung hat gegen Ende ihrer Amtszeit beschlossen, diese Spezialprogramme, die zunächst nach den ersten beiden Ölpreiskrisen aufgelegt worden sind, einzustellen, weil die Mitnahmeeffekte überwogen und im übrigen die Bereitschaft der Bürger vorhanden war, auf die Verteuerung und Verknappung der Energie entsprechend zu reagieren. Wir unterstützen auch weiter alle sinnvollen Maßnahmen zur Energieeinsparung. Wir glauben aller-
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4596 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Parl. Staatssekretär Echternachdings, daß es besonderer Förderungsprogramme des Bundes nicht bedarf.
Als nächster der Abgeordnete Dr. Möller zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird sich nach Auffassung der Bundesregierung die Entwicklung fortsetzen und bestätigen, wie es vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erwartet wird, daß seit 1980 fast ununterbrochen ein Anstieg in den Investitionen für Modernisierung und Instandsetzung zu verzeichnen war?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Damit ist auch nach Auffassung der Bundesregierung in der Tat zu rechnen.
Herr Abgeordneter Müntefering zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, zum Stichwort „Investitionstätigkeit" : Teilen Sie die Beurteilung des Chefs der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Frankes, daß ein 10-Milliarden-DM-Programm für Wohnungs- und Städtebau eine sinnvolle Maßnahme für die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit wäre?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat die Bedeutung der Städtebauförderung als einer wichtigen Aufgabe für die Kommunen immer wieder unterstrichen. Aber natürlich hat sie auch einen Beschäftigungseffekt. Darauf haben wir in der Vergangenheit hingewiesen. Allerdings müssen wir sie immer in der Realität der finanziellen Möglichkeiten der öffentlichen Haushalte sehen. Wir halten nichts von reinen Beschäftigungsprogrammen. Deren Wirkungslosigkeit hat sich in früheren Regierungszeiten ja leider mehr als einmal erwiesen. Es kommt also nicht nur auf die Beschäftigungseffekte an, sondern es kommt genauso auch auf die Notwendigkeit an, die Haushalte solide zu finanzieren und die Belastung der Bürger und die öffentliche Verschuldung in Grenzen zu halten. Insofern steuern wir mit der deutlichen Aufstockung der Städtebauförderungsmittel von 220 Millionen DM zu Ihrer Regierungszeit auf 660 Millionen DM einen soliden Mittelkurs.
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Scherrer auf:
Wie viele Arbeitsplätze sind seit 1982 in der Bauwirtschaft verlorengegangen, und wie hat sich die Zahl der Betriebe im Bauhauptgewerbe von 1982 bis heute entwickelt?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, die Antwort der Bundesregierung lautet: Nach den amtlichen Zahlen der Totalerhebung im Bauhauptgewerbe ist die Zahl der Betriebe von Mitte 1982 bis Mitte 1987 um 4381 auf 59 030 Betriebe gefallen. Die Zahl der Beschäftigten ging in dieser Zeit um 172 633 auf 1 009 971 Beschäftigte zurück.
Für die übrigen Bereiche der Bauwirtschaft liegen vergleichbare gesicherte Zahlen zur Beschäftigung nicht vor. Die Abnahme der Betriebszahlen und der
Beschäftigtenabbau haben sich in den beiden letzten Jahren deutlich abgeschwächt.
Zum Gesamtbild gehört auch, daß die Bauwirtschaft über Facharbeitermangel und unbesetzte Ausbildungsstellen klagt. Fast die Hälfte des durchschnittlichen Beschäftigungsrückgangs im Jahre 1987 entfiel auf einen Rückgang bei den gewerblich Auszubildenden, weil die angebotenen Ausbildungsplätze nicht besetzt werden konnten.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Scherrer.
Herr Staatssekretär, gibt es eine getrennte Übersicht, wie sich die Entwicklung vor allen Dingen im handwerklichen Bereich hier abgezeichnet hat, und wenn ja, gibt es da auch Übersichten, wie sich das regional unterschiedlich entwickelt hat?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier abgestellt auf die Entwicklung des Bauhauptgewerbes, die ja insgesamt im letzten Jahr einen realen Produktionsrückgang zu verzeichnen hatte. Daß im Ausbaugewerbe, wo wir ja im letzten Jahr ein reales Plus hatten und ein solches auch in diesem Jahr erwarten können die Situation ganz anders ist, habe ich vorhin dargelegt. Dort stellt sich die Situation wesentlich besser dar. Genaue Zahlen kann ich Ihnen dazu im Augenblick nicht vorlegen.
Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Dr. Kansy, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist eigentlich der von Ihnen erklärte Rückgang der Arbeitsplätze erst seit 1982 zu beobachten gewesen, oder ist bei dem Abbau von leider insgesamt rund 600 000 Arbeitsplätzen in der Bauwirtschaft der größte Teil bereits vorher verlorengegangen?Echternach, Parl. Staatssekretär: In der Tat haben wir diesen Rückgang bereits seit Mitte der siebziger Jahre, seit dem massiven Rückgang der Wohnungsneubautätigkeit.Aber lassen Sie mich in diesem Zusammenhang anfügen: Wir sollten uns angesichts der dramatischen Zahl von unbesetzten Ausbildungsstellen im Baugewerbe, auch angesichts der dramatischen Überalterung im Baugewerbe davor hüten, hier nur in Schwarzmalerei zu machen. Denn das fördert genau jene Entwicklung, die von allen im Bau Tätigen, auch von der IG Bau-Steine-Erden mit Recht beklagt wird. Sie könnte nämlich dazu führen, daß wir schon in den neunziger Jahren die notwendigen Facharbeiterstellen gar nicht mehr besetzen können, wenn von 15 000 angebotenen Ausbildungsstellen nur 8 000 besetzt werden können. Infolgedessen wäre es besser, alle Parteien und alle Kollegen dieses Hauses würden auch auf die positive Entwicklung deutlicher hinweisen, die wir in diesem Bereich insgesamt haben, und nicht nur die negativen Seiten beklagen, die in der Vergangenheit zu verzeichnen waren, damit wir jungen Leuten Mut machen, in dieser Branche wieder Ausbildungsstellen anzunehmen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4597
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Möller.
Herr Staatssekretär, da Sie gerade die IG Bau-Steine-Erden erwähnt haben, frage ich Sie: Wie beurteilt die Bundesregierung die Prognose oder die Erwartung des Vorsitzenden der IG Bau-Steine-Erden, Herrn Konrad Carls, in der „FAZ" vom 3. März, daß bis zum Jahre 2000 — ich zitiere ihn — „die Abgänge von Arbeitnehmern aus Altersgründen etwa doppelt so hoch liegen wie die Arbeitsplatzverluste"?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich kann dem namens der Bundesregierung nicht widersprechen. Aber es bestätigt die Besorgnis, die wir haben, daß sich durch Krisengerede und durch Schwarzmalerei, aber auch durch die verzerrte Diskussion über Leerstände und über die demographische Entwicklung in der Tat viele abgeschreckt fühlen, in diesen Bereich hineinzugehen, weil die Baubranche angeblich keine Zukunft hat.
Dies ist nicht die Einschätzung der Bundesregierung. Wir glauben, daß die Baubranche eine Zukunft hat und daß wir alle Veranlassung haben, junge Menschen zu ermutigen, in den Bauberufen die angebotenen Ausbildungsmöglichkeiten zu nutzen, weil es einen Bedarf in den neunziger Jahren für entsprechende Facharbeiterstellen geben wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Müßte die von Ihnen beklagte Tatsache, Herr Staatssekretär, daß junge Menschen nicht mehr in dem Maße auf Ausbildungsplätze im Bau gehen wie in der Vergangenheit, nicht der Bundesregierung Anlaß geben, massiv mit den Bauunternehmern ebenso wie mit der Gewerkschaft Bau-SteineErden für eine Verbesserung der Arbeitsplätze, der Arbeitsbedingungen am Bau, für mehr Sicherheit, für einen anderen Umgangston und für eine bessere soziale Unterbringung an der Baustelle zu sorgen, um den Bau für junge Menschen wieder attraktiver zu machen, und was geschieht auf diesem Gebiet von Ihnen?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, Herr Kollege, daß dies in erster Linie ein Problem der Bundesregierung ist. Die von Ihnen angesprochenen Probleme liegen in erster Linie in der Zuständigkeit der Tarifpartner. Ich glaube, daß in der Tat die Ursachen allerdings woanders liegen, nämlich darin, daß sich junge Menschen überlegen: Wo ist eine Branche mit Zukunftsaussichten, und wo liegen möglicherweise sterbende Branchen vor? Wenn man die Baubranche als eine Branche ohne Zukunft darstellt, wie das in der Vergangenheit leider auch von bestimmten Verbänden geschehen ist — ich will das gar nicht auf den politischen Raum beschränken —,
dann müssen junge Menschen daran zweifeln, daß dies ein Beruf mit Zukunft ist. Ich glaube, das Entscheidende liegt darin, daß wir alle miteinander die positiven langfristigen Aussichten für die Baubranche
deutlicher machen und damit jungen Menschen Mut machen, in dieser Branche wieder tätig zu werden.
Nun rufe ich die Frage 68 des Abgeordneten Weiermann auf:
Welche Auswirkungen ergeben sich für die Bauwirtschaft durch die Kürzung der Verpflichtungsrahmen für die Städtebauförderung im Jahr 1988 um 340 Millionen DM durch den Bund unter Beachtung des üblichen Multiplikatoreffektes öffentlicher Förderung im Bereich der privaten Bauherren?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, die Antwort lautet: Der Bund hat die Mittel für die Städtebauförderung für die Jahre 1986 und 1987 auf je 1 Milliarde DM gegenüber 1985 verdreifacht mit der Maßgabe, daß diese Finanzhilfe im Rahmen der von den Ländern geforderten Entflechtung der Mischfinanzierung ab 1988 ganz eingestellt und dafür ein Ausgleich des Bundes von jährlich 330 Millionen DM gezahlt wird.
Darüber konnte bisher jedoch keine Einigung erzielt werden. Deshalb und angesichts der wirtschafts- und beschäftigungspolitisch günstigen Wirkungen von investiven Maßnahmen der Städtebauförderung hat sich der Bund bereit erklärt, von 1988 bis 1990 noch einmal einen Verpflichtungsrahmen von jährlich 660 Millionen DM bereitzustellen. Vor dem Hintergrund der Finanzplanung handelt es sich also nicht um eine Kürzung, sondern um eine Aufstockung.
Die öffentlichen Investitionen im Bereich der Städtebauförderung haben hohe direkte und indirekte Anstoßwirkungen, gerade für die Bauwirtschaft. Wegen ihrer breiten regionalen Streuung und weil sie in der Regel kleinteilig sind, kommen sie insbesondere der mittelständischen Bauwirtschaft und dem Bauhandwerk zugute.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weiermann, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß alleine schon eine Verminderung der Summe auch eine negative Sogwirkung beinhaltet und daß schon bei einer Verminderung der Summe, die für die Bautätigkeit ausgegeben wird, zwischen 150 000 und 200 000 DM eine Reduzierung der Beschäftigten im Baugewerbe um zwei Personen die Folge sein wird?Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß mich noch einmal dagegen wehren, daß Sie hier von einer Kürzung sprechen. Es gibt keine Kürzung. Es gibt gegenüber 1982 eine Verdreifachung der Mittel von 220 Millionen DM auf 660 Millionen DM. Die einmaligen Leistungen, die im Verpflichtungsrahmen von 1986 und 1987 absolut höher waren, waren als Teil einer Absprache mit den Ländern zu verstehen, daß sich der Bund aus diesem Bereich ganz zurückziehen sollte. Tatsächlich leisten wir aber für dieses Jahr und für die nächsten beiden Jahre 660 Millionen DM mehr, als in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war. Selbst wenn Sie den Ausgleichsbetrag von 330 Millionen DM, den wir den Ländern zahlen wollten — so war es mit den Ländern auch vereinbart —, davon abziehen, bleibt immer
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4598 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Parl. Staatssekretär Echternachnoch eine deutliche Steigerung der Leistungen des Bundes.Ich darf im übrigen darauf verweisen, daß zu den 660 Millionen DM zusätzlich ein erheblicher Betrag kommt, den wir für die Dorferneuerung aus einem anderen Topf zahlen. Da kommen noch einmal fast 70 Millionen DM hinzu. Insgesamt liegt also der Betrag, den der Bund für die Stadt- und Dorferneuerung zahlt, sogar noch höher als 660 Millionen DM.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kansy.
Herr Staatssekretär, war es eigentlich die ursprüngliche Absicht des Bauministers, daß sich der Bund aus der Städtebauförderung langfristig zurückzieht, oder haben die Ministerpräsidenten der Länder einschließlich der SPD-Ministerpräsidenten den Bund massiv bedrängt, sich aus der Städtebauförderung zurückzuziehen?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann das, was Sie sagten, nur bestätigen. Es gab in der Tat für den Bund angesichts der Beratung des Baugesetzbuches nur die Alternative, entweder das Baugesetzbuch im Bundesrat in Gefahr zu bringen oder aber mit den Ländern eine dementsprechende Vereinbarung zu treffen, wie sie seinerzeit 1985 getroffen worden ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Möller. Danach werden wir die Fragestunde schließen. Herr Abgeordneter Dr. Möller.
Herr Staatssekretär, warum hat die Bundesregierung nicht schon in dem Zeitpunkt die Anhebung der Städtebauförderungsmittel beschlossen und realisiert, als erkennbar war, nämlich in den Jahren 1977, 1978, 1979 und 1980, daß die Baukonjunktur sich abflachte?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Natürlich ist jeder Haushalt ein in Zahlen gegossenes politisches Regierungswerk, in dem die Prioritäten so oder so gesetzt werden. Die alte Regierung hat offenbar der Städtebauförderung eine niedrigere Priorität zugewiesen, als diese Bundesregierung ihr zuweist. Wenn Sie die 220 Millionen DM im Vergleich zu den 660 Millionen DM sehen, sehen Sie, welch viel größeres politisches Gewicht diese Regierung der Städtebauförderung beimißt, als die frühere Bundesregierung der Städtebauförderung zugewiesen hat.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde und fahren in der normalen Tagesordnung fort. * )Ich gebe zunächst das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, Drucksache 11/1402, bekannt. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung lautet wie folgt: Abgegebene Stimmen: 414. Mit Ja haben 179 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 235.*) Die Fragen 75, 76 des Abg. Brauer und 81, 82 der Abg. Frau Oesterle-Schwerin wurden zurückgezogen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 413; davonja: 178nein: 235JaSPDFrau Adler AmlingDr. ApelBachmaier BambergFrau Becker-Inglau BernrathBindigFrau BlunckDr. Böhme Börnsen (Ritterhude) BrandtBrückBüchler Büchner (Speyer)Dr. von BülowFrau BulmahnConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserFrau Dr. Dobberthien DreßlerDuveDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichErlerEstersEwenFrau FaßeFrau Fuchs
Frau GanseforthGanselDr. Gautier Gerster
GilgesFrau Dr. GötteGrafGroßmann Grunenberg Haack
Frau IIämmerleFrau Dr. Hartenstein HasenfratzHeimannHeistermann HeyennHiller
Dr. Holtz HornHuonkerJahn
JaunichDr. JensJung Jungmann KastningKiehmKirschner Kißlinger Dr. KlejdzinskiKolbowKoltzschKoschnick Kretkowski Kuhlwein Lambinus Leidinger Leonhart Lohmann
LutzFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MenzelDr. MitzscherlingMüller MünteferingNagelNehmFrau Dr. NiehuisDr. NieseNiggemeier Frau Odendahl Oesinghaus PaternaPauliDr. Penner Peter PfuhlDr. PickPorznerPoßPurpsFrau Renger ReschkeReuterRixeRothSchäfer SchanzDr. Scheer ScherrerSchluckebierFrau Schmidt
Schmidt
Dr. Schmude SchreinerSchützSeidenthal Frau Seuster SielaffSingerDr. SoellDr. Sperling Stahl
SteinerFrau SteinhauerStieglerStobbeDr. StruckFrau Terborg TietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe UrbaniakVahlbergVerheugenVoigt
VosenWartenberg WeiermannFrau Weiler Weisskirchen Dr. WernitzWestphalFrau Weyel Wiefelspützvon der Wiesche Wimmer WittichZanderZeitlerZumkley
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4599
Vizepräsident Cronenberg DIE GRÜNENFrau Beck-OberdorfFrau BeerBrauerDr. BriefsDr. Daniels EbermannFrau EidFrau Flinner Frau Garbe HäfnerFrau Hillerich HossHüserKleinert
Dr. KnabeFrau KriegerDr. MechtersheimerFrau NickelsFrau Oesterle-Schwerin Frau OlmsFrau RustFrau SaiboldFrau Schmidt-BottFrau Schoppe SellinStratmannFrau Teubner Frau Unruh Frau VennegertsFrau Dr. VollmerVolmerWeiss
WetzelFrau Wilms-KegelNeinCDU/CSUDr. AbeleinAustermannBauerBayhaDr. Becker Frau Berger (Berlin)Dr. BiedenkopfBiehleDr. BlensDr. BlümBöhm Börnsen (Bönstrup)BohlBohlsen Borchert Breuer Bühler
Carstens Carstensen (Nordstrand) ClemensDr. Daniels DawekeFrau DempwolfDörflingerDr. DollingerDossEchternachEhrbar EigenEngelsbergerEylmannDr. FaltlhauserFeilcke Dr. Fell FellnerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedrichFuchtelGanz
Frau Geiger GeisDr. GeißlerDr. von Geldern GersteinGerster
GlosDr. Göhner Dr. GötzDr. Grünewald GüntherDr. Häfele I tarriesFrau Hasselfeldt HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heereman von ZuydtwyckFrau Dr. HellwigHelmrichDr. Hennig Herkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfinger HörsterDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesDr. I tuschDr. Jahn
Dr. Jenninger Jung
Jung
KalbKalischDr.-Ing. KansyDr. Kappes Frau Karwatzki Kittelmann Kossendey KrausKreyDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. Lammert Dr. Langner LattmannDr. LaufsLenzerFrau Limbach Link
Link LinsmeierDr. Lippold LowackLummerMaaßFrau Männle MaginDr. Mahlo MarschewskiDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Miltner Dr. Möller Hüller
NelleDr. Neuling Neumann NiegelDr. Olderog OswaldFrau Pack PeschPetersenPfeffermann PfeiferDr. PfennigDr. PingerDr. PohlmeierDr. Probst RauenRaweReddemann RegenspurgerDr. RiesenhuberFrau Rönsch Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. RoseRossmanith Roth
RüheDr. RüttgersRufSauer
Sauter
Dr. Schäuble ScharrenbroichSchartz
Schemken ScheuSchmidbauerSchmitz
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberSchulhoff Dr. Schulte
Schulze (Berlin)
SchwarzDr. SchwörerSeesingSeitersSpilkerSpranger Dr. Sprung Dr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken Dr. StoltenbergStraßmeir StrubeStücklenFrau Dr. SüssmuthSussetTillmann Dr. Uelhoff UdallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Vondran Dr. VossDr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-ZeilDamit ist dieser Antrag abgelehnt.Meine Damen und Herren, ich komme nochmals auf den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung zurück. Ich gebe nunmehr das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN, Drucksache 11/1973, bekannt.Hier lautet das Ergebnis gemäß Protokoll: Abgegebene Stimmen: 412. Mit Ja haben 34, mit Nein 375 Abgeordnete gestimmt.Dr. Warnke Dr. WarrikoffDr. von WartenbergWeiß
\\Verner
Frau Will-FeldWilzWimmer
WindelenFrau Dr. WisniewskiWissmannDr. WittmannDr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann ZinkFDPDr. BangemannBaumBeckmann Bredehorn Cronenberg
Eirarer
Dr. FeldmannFrau Folz-SteinackerFunkeGallusGattermann GriesGrünbeck GrünerHeinrich Dr. Hirsch Dr. HitschlerHoppeDr. Hoyer IrmerKleinert
KohnDr.-Ing. LaermannLüderMischnick Neu hausen NoltingPaintner RichterRindRonneburgerFrau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. Solms Dr. Thomae TimerDr. Weng
Frau Würfel
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4600 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Vizepräsident CronenbergEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 412; davonja: 34nein: 374enthalten: 3JaDIE GRÜNENFrau Beck-OberdorfFrau Beer BrauerDr. BriefsDr. Daniels EbermannFrau EidFrau Flinner Frau Garbe HäfnerFrau HillerichHossHüserKleinert
Dr. Knabe Frau KriegerDr. MechtersheimerFrau NickelsFrau Oesterle-Schwerin Frau OLmsFrau Rust Frau SaiboldFrau Schmidt-BottFrau SchoppeSellinStratmann Frau TeubnerFrau UnruhFrau VennegertsFrau Dr. VollmerVolmerWeiss
WetzelFrau Wilms-KegelNeinCDU/CSUDr. AbeleinAustermannBauerBayhaDr. Becker Frau Berger (Berlin) Dr. BiedenkopfBiehleDr. BlensDr. BlümBöhm Börnsen (Bönstrup) BoldBohlsenBorchertBreuerBühler Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) ClemensDr. Daniels DawekeFrau Dempwolf DörtlingerDr. DollingerDossEchternachEhrbar EigenEngelsbergerEylmannDr. FaltlhauserFeilcke Dr. Fell FellnerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedrichFuchtelGanz
Frau GeigerGeisDr. von Geldern GersteinGerster
GlosDr. GöhnerDr. GötzDr. GrünewaldGünther Dr. HäfeleHarriesFrau HasselteldtHaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heereman vonZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes HöpfingerHörsterDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesDr. HüschDr. Jahn
Dr. JenningerJung
Jung
KalbKalisch Dr.-Ing. KansyDr. KappesFrau Karwatzki KittelmannKossendeyKrausKreyDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertDr. LangnerLattmannDr. Laufs Lenzer Frau LimbachLink
Link LinsmeierDr. Lippold LowackLummerMaaßFrau Männle MaginDr. MahloMarschewskiDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Miltner Dr. MöllerMüller
NelleDr. Neuling Neumann NiegelDr. Olderog OswaldFrau PackPeschPetersenPfeffermann PfeiferDr. Pfennig Dr. PingerDr. Pohlmeier Dr. ProbstRauenRaweReddemann Regenspurger Dr. RiesenhuberFrau Rönsch Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. RoseRossmanith Roth RüheDr. Rüttgers RufSauer
Sauter
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz SchemkenScheuSchmidbauer Schmitz
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberSchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin) Schwarz
Dr. Schwörer SeesingSeitersSpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken Dr. Stoltenberg StraßmeirStrubeStücklenFrau Dr. SüssmuthSussetTillmannDr. Uelhoff UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt Dr. Vondran Dr. VossDr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffWeiß Werner (Ulm)Frau Will-FeldWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WISSmannDr. WittmannDr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann ZinkSPDFrau Adler AmlingDr. Apel Bachmaier BambergFrau Becker-Inglau BernrathFrau BlunckDr. Böhme Börnsen (Ritterhude) BrandtBrückBüchler
Buchner
Dr. von BülowFrau BulmahnConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserFrau Dr. Dobberthien DreßlerDuveDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichErlerEstersEwenFrau FaßeFrau Fuchs
Frau GanseforthGanselDr. GautierGerster
GilgesFrau Dr. GötteGrafGroßmann GrunenbergHaack
Frau HämmerleFrau Dr. Hartenstein HasenfratzHeimann HeistermannHeyennHiller
Dr. Holtz HornHuonkerJahn
JaunichDr. JensJung Jungmann KastningKiehmKirschner Kißlinger Dr. KlejdzinskiKolbowKoltzsch Koschnick Kretkowski
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4601
Vizepräsident CronenbergKuhlweinLambinusLeidingerLeon hartLohmann
LutzFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MenzelDr. MitzscherlingMüller MünteferingNagelNehmFrau Dr. NiehuisDr. NieseNiggemeier Frau Odendahl Oesinghaus PaternaPauliDr. Penner Peter PfuhlDr. PickPorznerPoßPurpsFrau Renger ReschkeReuterRixeRothSchäfer SchanzDr. Scheer ScherrerSchluckebierFrau Schmidt Schmidt (Salzgitter)Dr. Schmude SchreinerSchützSeidenthal Frau Seuster SingerDr. SoellDr. Sperling Stahl
SteinerFrau SteinhauerStieglerStobbeDr. StruckTietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe UrbaniakVahlbergVerheugenVoigt
VosenWartenberg WeiermannFrau Weiler Weisskirchen Dr. WernitzWestphalFrau Weyel Wiefelspützvon der Wiesche Wimmer WittichZanderZeitlerZumkleyFDPDr. BangemannBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth)Dr. FeldmannFrau Folz-Steinacker FunkeGallusGattermann GriesGrünbeck GrünerHeinrichDr. Hirsch Dr. Hitschler HoppeDr. Hoyer IrmerKleinert KohnDr.-Ing. Laermann LüderMischnick Neuhausen NoltingPaintnerRichterRindRonneburger Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Thomae TimmDr. Weng Frau WürfelEnthaltenSPDBindig Sielaff Frau TerborgAuch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir können nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr abstimmen, die Ihnen auf Drucksache 11/1971 vorliegt. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 6 bis 8 auf:6. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderung vom 16. Oktober 1985 des Übereinkommens vom 3. September 1976 über die Internationale Seefunksatelliten-Organisation
— Drucksache 11/1613 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 11/1884 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Faße Hörster
7. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen
— Drucksache 11/351 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 11/1885 —Berichterstatter:Abgeordnete Eylmann Stiegler
8. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. April 1984 über den Beitritt der Republik Griechenland zu dem am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht— Drucksache 11/1611 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 11/1951 —Berichterstatter:Abgeordnete Hörster Stiegler
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über das Vertragsgesetz, das sich auf die Internationale Seefunksatelliten-Organisation bezieht. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, der Einleitung und der Überschrift auf.Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
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4602 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Vizepräsident CronenbergAnerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes. Ich rufe die §§ 1 bis 59, die Einleitung und die Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen, so daß wir in diedritte Beratungeintreten können.Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. *)Ich rufe die Punkte 9 bis 11 der Tagesordnung auf:9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes— Drucksache 11/1823 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Haushaltsausschuß10. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Internationales NaturkautschukÜbereinkommen von 1987— Drucksache 11/1728 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit11. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Entwicklungspolitik in Afrika— Drucksache 11/784 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Auswärtiger AusschußFinanzausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenHaushaltsausschußAuch zu diesen Punkten ist eine Aussprache nicht vorgesehen.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 bis 21 und die Zusatzpunkte 3 bis 6 zur Tagesordnung auf:12. Beratung der Sammelübersicht 50 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 11/1928 — *) Abstimmung über Punkt 8 siehe 68. Sitzung, Seite 4646 AZP 3Beratung der Sammelübersicht 51 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 11/1969 —13. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Achtundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung — — Drucksachen 11/1529, 11/1888 —Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmann14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Einhundertunddritte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — — Drucksachen 11/1490, 11/1889 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Mitzscherling15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Erste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen 11/1561, 11/1890 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Mitzscherling16. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 11 Titel 642 03 — Kriegsopferfürsorgeleistungen für Berechtigte außerhalb des Geltungsbereichs des Ersten Überleitungsgesetzes — — Drucksachen 11/1562, 11/1904 —Berichterstatter:Abgeordnete Sieler StrubeZywietzKleinert
17. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 11 Titel 642 01 — Kriegsopferfürsorgeleistungen — — Drucksachen 11/1563, 11/1905 —Berichterstatter:Abgeordnete Sieler StrubeZywietzKleinert
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4603
Vizepräsident Cronenberg18. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 27 02 Titel 642 21
— Drucksachen 11/1579, 11/1906 —Berichterstatter:Abgeordnete Nehm Dr. NeulingDr. Weng Kleinert (Marburg)19. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 32 05 Titel 575 03 — Zinsen für Bundesobligationen — — Drucksachen 11/1590, 11/1907 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Vennegerts Roth
Frau SimonisDr. Weng
20. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 681 41 — Leistungen für die Teilnahme von Aussiedlern, Asylberechtigten und Kontingentsflüchtlingen an Deutsch-Lehrgängen mit ganztägigem Unterricht — — Drucksachen 11/1591, 11/1908 —Berichterstatter:Abgeordnete Sieler StrubeZywietzKleinert
21. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 681 01 — Arbeitslosenhilfe — — Drucksachen 11/1592, 11/1909 —Berichterstatter:Abgeordnete Sieler StrubeZywietzKleinert
ZP 4Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Schoppe, Dr. Mechtersheimer, Schily und der Fraktion DIE GRÜNENAbrüstung nuklearer Mittelstreckenraketen in Europazu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNENSofortiger Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die 72 Pershing-I a-Raketen der Bundesluftwaffezu dem Antrag der Fraktion der SPDAbschaffung der nuklearen Mittelstreckenraketen— Drucksachen 11/230, 11/699 , 11/732 (neu), 11/1475 —Berichterstatter:Abgeordnete Lamers LowackDr. ScheerDr. FeldmannDr. Lippelt
ZP 5Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNENErhalt der DB-Strecke Wuppertal-ElberfeldWuppertal-Cronenberg— Drucksachen 11/1918, 11/1972 —Berichterstatter: Abgeordneter LemmrichZP 6Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Schöfberger, Schmidt (München), Vahlberg, Dr. Glotz, Lutz, Büchler (Hof), Frau Dr. Martiny, Porzner, Wimmer (Neuötting), Dr. Haack, Dr. de With, Kolbow, Leidinger, Sieler (Amberg), Stiegler, Dr. Wernitz, Müller (Schweinfurt), Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Schmidt (Nürnberg), Amling, Büchner (Speyer), Frau Odendahl, Reimann, Schäfer (Offenburg), Bachmaier, Dr. Emmerlich, Ewen, Lambinus, Sielaff, Frau Dr. Hamm-Brücher, Irmer, Weiss (München), Frau Dr. Vollmer, Kreuzeder, Frau Teubner, Frau Saibold, Kleinert (Marburg), Sellin, Hüser, Frau Krieger, Schily, Hoss, Frau Vennegerts, Frau Flinner, Dr. Knabe, Frau Unruh, Volmer, Dr. Mechtersheimer, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Brahmst-Rock, Häfner, Frau HillerichRangierbahnhof München— Drucksachen 11/570, 11/1510 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. JobstEine Aussprache zu diesen Tagesordnungspunkten ist nicht vorgesehen.Zu Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1976 und 11/1977 vor.
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4604 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Vizepräsident CronenbergWir kommen zur Abstimmung. Die Abstimmung muß getrennt erfolgen. Wer stimmt für die Sammelübersichten 50 und 51 des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 11/1928 und 11/1969? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN sind die Beschlußempfehlungen angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über die Punkte 13 bis 15 der Tagesordnung. Die Beschlußempfehlungen sind im Ausschuß einvernehmlich verabschiedet worden. Ich lasse deshalb gemeinsam über diese Beschlußempfehlungen abstimmen, wenn sich kein Widerspruch dagegen erhebt. — Das ist nicht der Fall.Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen des Ausschusses, die dort einstimmig verabschiedet worden sind? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über eine Reihe von Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausgaben. Ich gehe davon aus, daß wir über diese Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen können. — Das ist der Fall. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zu den Tagesordnungspunkten 16 bis 21? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/1475 ab. Es handelt sich um den Zusatztagesordnungspunkt 4. Wer stimmt für Nr. 1 und 2 der Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen und bei einigen nicht Abstimmenden sind auch diese Beschlußempfehlungen angenommen.Wir stimmen nunmehr über den Zusatztagesordnungspunkt 5 ab betreffend den Erhalt der DB- Strecke Wuppertal-Elberfeld — Wuppertal-Cronenberg.Wir stimmen zunächst über die dazu vorliegenden Änderungsanträge ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1976? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich?— Dieser Änderungsantrag ist bei einigen Enthaltungen abgelehnt worden.Wer stimmt nunmehr dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1977 zu?— Wer stimmt dagegen? — Damit ist dieser Antrag abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/1972 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf der Drucksache 11/1510 betreffend Rangierbahnhof München unter Zusatztagesordnungspunkt 6 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei Enthaltung einiger Mitglieder derFraktion der SPD und aller anwesenden Mitglieder der Fraktion DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf, der vor der Mittagspause nicht mehr behandelt werden konnte.Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Erschließung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose— Drucksache 11/1549 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und SozialordnungIm Ältestenrat ist eine Debattenzeit von einer Stunde verabredet worden. — Widerspruch gegen diesen Vorschlag des Ältestenrats ergibt sich nicht, so daß ich die Debatte eröffnen kann. Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Evangelische Kirche Deutschlands hat eine hervorragende Arbeit über gezielte Hilfen für Langzeitarbeitslose vorgelegt. Dies ist die Grundlage unseres Antrags. Wir wollen erreichen, daß die Vorschläge politisch ernstgenommen und daß die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen werden. Wir fordern gemeinsam mit der Evangelischen Kirche Deutschlands, kommunale Beschäftigungs- und Investitionsobjekte als ein neues Instrument zur Erschließung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose einzusetzen. Aus öffentlichen Mitteln sind vor allem in den Kommunen Projekte zu fördern, die auch von Firmen der gewerblichen Wirtschaft durchgeführt werden und in die zusätzlich zu bestehenden Belegschaft Langzeitarbeitslose gezielt integriert werden. Dabei ist die Vergabe der Fördermittel an die zusätzliche Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen zu binden. Es soll sich um normale Investitions- und Dienstleistungsaufgaben der Kommunen handeln. Dafür gibt es einen erheblichen Bedarf.Das ist die Lage, meine Damen und Herren: Die Massenarbeitslosigkeit steigt und steigt. Für 1988 werden 100 000 zusätzliche Arbeitslose und mehr befürchtet. 1987 waren rund 440 000 Arbeitslose mehr bei den Arbeitsämtern gemeldet als 1982. Gleichzeitig hat sich der Umfang der Langzeitarbeitslosigkeit in den letzten Jahren verdoppelt.
670 000 Arbeitslose sind laut Strukturanalyse der Bundesanstalt für Arbeit jetzt länger als ein Jahr arbeitslos gemeldet. Fast 340 000 Arbeitslose warten schon länger als zwei Jahre auf einen Arbeitsplatz. Die tatsächliche Zahl liegt schätzungsweise um 100 000 höher, denn seit einigen Jahren wird nach kurzfristiger Unterbrechung der Arbeitslosigkeit, durch eine Bildungsmaßnahme, durch eine Wehrübung, neu gezählt. Die Dauer der Arbeitslosigkeit fängt dann also wieder bei Null an.Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit steigt immer weiter. Sie beträgt inzwischen 13,0 Monate. Je älter der Arbeitslose, um so länger ist die Dauer der Arbeitslosigkeit, und dieser Prozeß beginnt schon in der Altersklasse von 30 bis unter 35 Jahren. 13,4 % der 256 000 Arbeitslosen dieser Altersklasse
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Heyennsind inzwischen zwei Jahre und länger arbeitslos. In der Altersklasse von 55 bis unter 60 Jahre ist es jeder Dritte.Diese verheerenden Zahlen zeigen nur die eine Seite. Die andere hat damit direkt zu tun und heißt: Armut durch Arbeitslosigkeit, insbesondere durch Langzeitarbeitslosigkeit. Armut und Ausgrenzung als Folge längerer Arbeitslosigkeit ist bittere Realität. Der Begriff „neue Armut" hat sich eingebürgert. Dabei gilt, die neue Armut spitzt die alte, die altbekannte Armut weiter zu. Sie ist Armut im Wohlfahrtsstaat in neuer Gestalt. Das ist alles wohlbekannt, aber gleichwohl politisch umstritten. Die CDU und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände halten die neue Armut für eine Erfindung der SPD, der Gewerkschaften und der Kirchen.
Arbeitslose stehen im Abseits von Gesellschaft und Politik. Arbeitslosigkeit bedeutet heute für viele sozialen Abstieg, familiäre Belastung, soziale Isolierung und das Gefühl individuellen Versagens.
Die Belastungen und Kosten, die daraus für den einzelnen und die Gesellschaft entstehen, werden in der öffentlichen Diskussion kaum berücksichtigt.Auch die psychosozialen und die gesundheitlichen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit sind bekannt, aber werden verdrängt. Die Arbeitslosigkeit hat nicht nur materielle Folgen, sie hat auch erhebliche Auswirkungen auf Lebensgefühl, auf die Gesundheit der Betroffenen.Eine sozial verantwortliche Politik muß Armut verhindern, muß eine finanziell ausreichende Absicherung bei Arbeitslosigkeit garantieren. Unsere Antwort ist die Einführung einer Grundsicherung auch für Arbeitslose.
Aber das ist nur die eine Seite. Die andere Seite heißt, Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose sind zu schaffen. Die Vorschläge der Evangelischen Kirche Deutschlands bilden hier einen wichtigen Anstoß. Es wäre falsch, so schreibt die EKD, das Schicksal der Langzeitarbeitslosen zu bedauern, im übrigen auf verbesserte Chancen bei günstigerer Konjunktur zu hoffen und die Notwendigkeit zu gezielten und engagierten Bemühungen nicht zu sehen.
Nach jahrelangem massiven Ansteigen der Langzeitarbeitslosigkeit ist ein Kurswechsel überfällig.
— Herr Kollege in der ersten Reihe, ginge es etwas leiser? Ich habe das Gefühl, Sie versuchen, in der Lautstärke mit mir gleichzuziehen.
— Gut, aber es stört mich. Ich danke.
Nach jahrelangem massiven Ansteigen der Langzeitarbeitslosigkeit ist ein Kurswechsel überfällig. Immer mehr Menschen, die arbeiten wollen und müssen, sind immer länger arbeitslos.
Herr Abgeordneter Dreßler, ich hatte eigentlich dem Abgeordneten Heyenn das Wort erteilt und nicht Ihnen.
Herr Abgeordneter Heyenn, ich bitte in der Rede fortzufahren.
Ich bitte, mir für diese Unterbrechung eine Minute abzuziehen, Herr Präsident.Der Arbeitsgesellschaft, meine Damen und Herren, geht die Arbeit nicht aus. Richtig ist auch:Die Kirche sieht schweren Schaden für die Betroffenen, die sozialen Beziehungen, die Familie, für das gesellschaftliche Zusammenleben und für die Volkswirtschaft, wenn es versäumt wird, einen Ausweg zu finden.Wir haben bei der Vorstellung der EKD-Studie gesagt: Dieser Vorschlag gehört nicht in den Aktenschrank, sondern auf die Tagesordnung, und zwar auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages.
Die erste Lesung unseres Antrags, meine Damen und Herren, kann nur ein Anfang sein. Jetzt muß ein sinnvolles Konzept erarbeitet werden, um den erheblichen Bedarf an bisher unerledigten Aufgaben im Bereich der personalen und sozialen Dienste, des Umweltschutzes, des Ausbaus öffentlicher Einrichtungen, der Sanierung von Wohnungen und Siedlungen der potentiellen Nachfrage entsprechend zu organisieren. Ein solches Konzept ist mit einem geringen Aufschlag gegenüber den jetzigen Kosten der Arbeitslosigkeit zu finanzieren, wenn man gleichzeitig die Beträge in Rechnung stellt, die an zusätzlichen Steuern und Versicherungsbeiträgen dann eingehen.Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose in ausreichendem Umfang zu schaffen, kann einen wesentlichen und, wie ich glaube, den drückendsten Teil der Arbeitslosigkeit beseitigen. Darüber hinaus bleibt genug zu tun. Es muß jetzt aber endlich begonnen werden.Wir Sozialdemokraten fordern seit Jahren, was zu tun ist. Wir brauchen die Fortsetzung und Intensivierung des Weges der Arbeitszeitverkürzung, und zwar ohne Lohnverzicht,
es sei denn, die Unternehmer übten Gewinnverzicht und garantierten neue Arbeitsplätze.
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4606 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
HeyennWir fordern die Wochenarbeitszeitverkürzung auch im öffentlichen Dienst. Wir fordern den Abbau von Überstunden durch ein fortschrittliches Arbeitszeitgesetz. Wir fordern die wirksame Bekämpfung der illegalen Beschäftigung. Wir fordern die sofortige Umsetzung unseres Programms „Arbeit, Umwelt und Investitionen". Wir fordern die Stärkung der Massenkaufkraft durch Stopp der Umverteilung von unten nach oben. Wir wollen eine wirkliche Qualifizierungsoffensive in den Betrieben und durch die Bundesanstalt für Arbeit statt, was heute passiert, des Abbaus aktiver Arbeitsmarktpolitik vor dem Hintergrund drohender Rekorddefizite der Bundesanstalt für Arbeit. Und wir wollen eine Regionalisierung der Arbeitsförderung, damit den Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit gezielt geholfen wird. Das ist, Herr Dr. Stoltenberg, ein Vorschlag unseres Arbeitsamtes Hamburg/ Schleswig-Holstein in Kiel.Für die Beschäftigungsmöglichkeiten von Langzeitarbeitslosen fordern wir von der Bundesregierung ein Konzept. Aktive Beschäftigungspolitik ist gefordert, auch im Sinne derjenigen, die diese seriöse Arbeit in der Evangelischen Kirche Deutschlands gestaltet und uns vorgelegt haben. Aktive Beschäftigungspolitik also ist gefordert und nicht, wie ich meine, die gegenwärtige, wenn auch wortgewaltige Untätigkeit der Bundesregierung.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Scharrenbroich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist ein sehr großes Problem. Das sollte man sehr ernst nehmen, und man sollte sich insofern bei jeder Gruppierung bedanken, die sich zur Sprecherin für die Mitbürgerinnen und Mitbürger macht, die längere Zeit arbeitslos sind. Dies ist ein hartes Problem und eignet sich deswegen eigentlich nicht für parteipolitische Scharmützel.
— Der Ältestenrat empfiehlt, daß wir diese Vorschläge im Ausschuß sehr ernsthaft beraten. Es ist jetzt gar nicht die Frage, ob wir dem insgesamt bereits so zustimmen, wie Sie das vorlegen.Dieses Problem ist deswegen hart, weil es — und das kann man nicht leugnen — Mitbürger in der Existenz gefährdet und verzweifeln läßt, wie sie aus dieser Arbeitslosigkeit wieder herauskommen sollen. Deswegen unser Dank an die Evangelische Kirche, aber auch an die Katholische Kirche. Es ist bereits im Vorwort dieser Schrift gesagt, daß sich beide Institutionen sehr ernsthaft Sorgen machen.Ich muß auch feststellen — und es ist wichtig, daß dies in der Öffentlichkeit dargelegt wird — , daß die Arbeitsmarktkommission, die die Koalitionsfraktionen gebildet haben, dieses Thema ausdrücklich als ihr erstes nennt. Es heißt im Auftrag für die Arbeitsmarktkommission:Hierbei ist insbesondere die Situation der älteren Arbeitnehmer und der Langzeit- sowie der schwer vermittelbaren Arbeitslosen zu berücksichtigen.Insofern hoffe ich, daß es im Ausschuß bei der Beratung dieses Vorschlages zu einem guten Gespräch kommt.Auch für den CDU-Parteitag gibt es hierzu bereits einen Entwurf, der beraten wird. Im Kapitel „Das christliche Menschenbild als Grundlage unserer Politik" heißt es in Ziffer 96 — das möchte ich hier vorlesen, damit klar ist, daß sich die Parteien über die Tragweite dieses Problems, das wir heute beraten, im klaren sind — :Für die von Dauerarbeitslosigkeit besonders Betroffenen müssen in zeitlich befristeten Programmen neue Beschäftigungsfelder erschlossen und gezielte Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden, die die Eingliederung in den normalen Arbeitsprozeß zum Ziel haben. Dazu ist ein neues Zusammenwirken von Bund, Ländern, Gemeinden und der Bundesanstalt für Arbeit sowie eine enge Zusammenarbeit mit Tarifparteien, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden erforderlich.Das ist in der Diskussion. Ich führe es als einen Beleg dafür an, daß wir uns sehr ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzen wollen.Aber — und das geht aus dem Antrag der SPD nicht hervor; Herr Kollege Heyenn hat es jetzt richtigerweise ergänzt — wir können diesem Problem wirklich nur beikommen, wenn die allgemeine Beschäftigungslage verbessert wird. Das ist das Hauptziel. Ich will jedoch nicht die Augen davor verschließen, daß es Menschen gibt, die einer besonderen, gezielten Förderung bedürfen. Deswegen ist es zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit notwendig, daß durch unsere Wirtschaftspolitik vor allen Dingen die Beschäftigungslage verbessert wird. Wir dürfen aber die Augen nicht davor verschließen, daß wir damit allein das Ziel nicht erreichen können. Man muß diese Politik zwar mit heißem Herzen, aber mit kühlem Verstand treiben. Deshalb müssen wir neben der Förderung des Wirtschaftswachstums zu einer Politik der Arbeitszeitverkürzung kommen. Das ist auch die Auffassung der Union. Darüber hinaus bedarf es dann einer Politik der Höherqualifizierung und der speziellen Hilfen.Lassen Sie mich aus aktuellem Anlaß noch einmal das aufgreifen, was auch Sie, Herr Kollege Heyenn, behandelt haben: Arbeitszeitverkürzung. Ich freue mich schon — das ist eigentlich die einzige positive Wirkung, die ich bei dem Diskussionsbeitrag von Herrn Lafontaine sehe — , daß plötzlich so viele Politiker und auch Arbeitgeberpräsentanten ihr Herz für die Arbeitszeitverkürzung als ein wirksames Mittel der Arbeitsmarktpolitik entdecken.
Aber ich habe auch festgestellt, daß es inzwischen anscheinend dazugehört, daß man, um fortschrittlich zu gelten, die Vorschläge von Herrn Lafontaine akzeptieren muß.
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ScharrenbroichIch habe daneben festgestellt, daß sich der Vorsitzende der SPD nach dem AfA-Kongreß inzwischen auch bemüht hat, in den Kreis dieser so zu Rühmenden aufgenommen zu werden,
und zwar nachdem er diesen Kongreß gut hinter sich gebracht hatte.
Herr Abgeordneter Scharrenbroich, dies veranlaßt den Abgeordneten Dreßler zu einer Zwischenfrage.
Scharrenbroich Die gestatte ich, wenn mir das nicht auf die Zeit angerechnet wird.
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Scharrenbroich, darf ich davon ausgehen, daß Sie die Erklärung des Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion vom vergangenen Dienstag in ihrer Gänze zur Kenntnis genommen haben und wären Sie vor diesem Hintergrund bereit, Ihre gerade gemachte Äußerung mit oder ohne Ausdruck des Bedauerns zurückzunehmen?
Nein, weil er den gleichen Fehler gemacht hat wie auch Lafontaine. Herr Vogel hat nicht deutlich gemacht, daß die Gewerkschaften längst das praktizieren, was jetzt hier als eine Neuigkeit propagiert wird.
Eines will ich noch ganz deutlich sagen: Äußerst unschön war von Herrn Lafontaine, daß er es so dargestellt hat, als wenn er etwas Neues entdecken würde.
Dabei ist das etwas, was die Gewerkschaften seit langem praktizieren. Als Kronzeugen darf ich den ehemaligen Vorsitzenden der IG Metall, Hans Mayr, zitieren, der 1983 auf dem IG-Metall-Kongreß — das war vor dem Kampf um die 35-Stunden-Woche — gesagt hat — nachzulesen im Protokoll auf Seite 319; ich zitiere wörtlich — :
Was für die Wochenarbeitszeitverkürzung beansprucht wird, steht für Lohnerhöhungen nicht mehr zur Verfügung.
Das ist die Aussage von Hans Mayr, und insofern brauchte Herr Lafontaine hier gar nicht mit dem Anspruch auf Neuigkeitswert aufzutreten.
Ich mache darauf aufmerksam, daß das vor allem insofern unsauber war, als gerade in der aktuellen Situation die ÖTV — an der ich im übrigen manches auszusetzen habe — ganz konkret gesagt hat: Wir wollen eine Einkommenserhöhung von 5 % — gut, das ist die Ausgangsforderung — und wollen dann darüber sprechen, wie das auf Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung verteilt wird.
Finanzminister Dr. Stoltenberg hat ja zu Beginn der Diskussion über diese Tarifforderung einmal gesagt, daß es jetzt falsch wäre — das ist seine Meinung —, Wochenarbeitszeitverkürzung durchzusetzen, weil es auch volkswirtschaftlich sinnvoller wäre, das Geld, das zur Verteilung ansteht, für die Einkommenserhöhung zur Verfügung zu stellen. Das heißt, auch Finanzminister Stoltenberg ist davon ausgegangen — er kannte die gewerkschaftliche Praxis —, daß das, was für Arbeitszeitverkürzungen ausgegeben wird, für die Lohnerhöhung, in dem Falle für die Nachfrageerhöhung, nicht mehr zur Verfügung steht. Insofern bedaure ich diese Verwirrung und diese Art und Weise, auf die Herr Lafontaine den Gewerkschaften in diesem Punkt in den Rücken gefallen ist.
Herr Abgeordneter, wir müssen uns jetzt verständigen. Es gibt noch zwei Meldungen zu Zwischenfragen. Sie haben insgesamt noch etwa 1,5 Minuten Redezeit. Ich bin in der Anrechnung sehr großzügig. Sie müssen sich entscheiden, wie wir nun verfahren. Ich rechne Ihnen die Fragen nicht an.
Wenn sie mir nicht angerechnet werden, bitte sehr!
Aber bei den Antworten wird die Sache natürlich kritisch, wenn sie so lang sind wie die Beantwortung der letzten Frage.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dreßler.
Herr Kollege Scharrenbroich, Sie wissen, daß ich in der Bewertung dessen, was Sie gerade gesagt haben, mit Ihnen übereinstimme. Das ist übrigens nicht neu.
— Er stimmt nur nicht mit Ihnen überein.
Nur, Herr Kollege Scharrenbroich, ich frage noch einmal: Wenn ich Ihnen die Äußerungen meines Fraktionsvorsitzenden schriftlich überreiche und Sie darin genau das finden, von dem Sie gerade sagten, das habe er nicht gesagt, sind Sie dann bereit, das, was Sie über ihn soeben ausgeführt haben, zurückzunehmen?
Dann bin ich bereit, zu erklären, daß er anderer Auffassung ist als Lafontaine.
Nun der Herr Abgeordnete Schreiner, bitte.
Herr Kollege Scharrenbroich, könnten Sie mir erstens darin zustimmen, daß Lohnausgleich, Lohnverzicht und Reallohnsteigerung drei verschiedene Dinge sind, und könnten Sie mir zweitens darin zustimmen, daß die Auseinandersetzung der IG Metall 1982 um den Einstieg in die 35-StundenWoche und damit um die Schaffung neuer Arbeitsplätze von der damaligen und heutigen Bundesregierung in übelster Weise denunziert worden ist?
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4608 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Scharrenbroich (CDU/CSU): Nein, dem letzteren kann ich überhaupt nicht zustimmen. Der Bundeskanzler hat selber vor dem IG-Chemie-Kongreß — ich war anwesend — erklärt, daß damals in der Hitze des Gefechts von dieser oder jener Seite manches gesagt worden ist, was man — so die Beurteilung im nachhinein — hätte unterlassen sollen. Aber in der Sache möchte ich hier ganz klar feststellen: Die IG Metall ist damals mit der Forderung „Einführung der 35-Stunden-Woche" angetreten, und sie hat ihren eigenen Mitgliedern gesagt: auf einen Sitz, also von 40 auf 35 Stunden, und zwar bei vollem Lohnausgleich.
Und ich weiß ganz genau, was das heißt. „Bei vollem Lohnausgleich" heißt nämlich, daß die Arbeitnehmer nach der Arbeitszeitverkürzung mindestens nominal noch das gleiche auf dem Gehaltskonto und im Portemonnaie haben wie vorher. Das und nichts anderes heißt „Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich".Die Durchsetzung der Verkürzung von 40 auf 35 Wochenstunden hätte — so damals Hans Mayr laut „Spiegel" — geheißen — das kann man beim Arbeiter am besten deutlich machen —, daß der Stundenlohn, damit der Arbeiter am Ende der Woche noch das gleiche im Portemonnaie hat, um 12,5 % hätte angehoben werden müssen. Daß das nicht machbar war, war eine klare Aussage des Bundeskanzlers, und die war in der Sache richtig. Nur so kann ich Ihre Frage beantworten.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß
sagen, daß wir die Lage der Arbeitslosen auf der Grundlage unseres redlichen Bemühens, sie wieder in Beschäftigung zu bringen, nur verbessern können, wenn wir erstens nicht die Gesamtperspektive der Wirtschaftspolitik aus den Augen verlieren und wenn wir zweitens wissen, daß es dann immer noch spezieller Instrumente bedarf. Erst wenn wir die Beschäftigungssituation verbessert haben, helfen die Mittel, die über die Bundesanstalt für Arbeit und für andere kombiniert eingesetzt werden müssen, viel mehr, erst dann sind sie treffsicherer. Deswegen meine ich, daß es gut ist, daß wir diesen Antrag gemeinsam mit den Ergebnissen der Koalitionskommission zur Verbesserung der Arbeitsmarktlage jetzt im Ausschuß beraten.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoss.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Scharrenbroich hat vorhin gesagt, daß es bei dem vorliegenden Antrag „Erschließung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose" wesentlich auf die Gesamtwirtschaftslage ankommt. Er hat damit zum Ausdruck gebracht — das will ich so interpretieren — : Da die Gesamtwirtschaftslage nicht besser wird, sondern schlechter,kann — nach Ihrer Position — den Langzeitarbeitslosen nur ganz bedingt geholfen werden.
Die Lage der Langzeitarbeitslosen ist, was ihre sozialen Bedingungen anbelangt, äußerst schwierig. Das wird in der Denkschrift der EKD zu dieser Frage dargelegt; es ist auch versucht worden, das in den Antrag der SPD aufzunehmen.Wir haben knapp 700 000 Langzeitarbeitslose, und das sind nicht wenige Leute, die in dieser Situation sind. Ich möchte mich mit der Frage befassen, warum sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen immer noch vergrößert — man sieht nicht, daß sich da wesentlich etwas tut — und warum man so lange darüber redet und im Grunde nicht zu Ergebnissen kommt.Ich bin froh darüber, daß in diesen Tagen, in diesen Wochen durch den Verstoß von Lafontaine eine größere Sensibilisierung in der Frage des Umgangs mit Arbeitslosigkeit im allgemeinen und in diesem Fall mit Langzeitarbeitslosen im speziellen bewirkt worden ist. Diese Sensibilisierung ist kein Zufall. Sie liegt sicher nicht in erster Linie in der Person von Oskar Lafontaine begründet, sondern sie liegt in den Verhältnissen begründet, daß in der Bevölkerung allgemein eine größere Angst vor der Entwicklung der wirtschaftlichen Situation vorhanden ist, deren Zeichen auf mehr Arbeitslosigkeit stehen. Die Menschen sind aufgeschreckt durch das, was in Rheinhausen passiert ist, wo von Konzernspitzen einfach beschlossen wird, daß Tausenden von Arbeitnehmern der Stuhl vor die Tür gesetzt werden soll, durch Hiobsbotschaften, die uns erreichen, über das, was der BBC- Konzern oder ABB, Asea-Brown-Boveri-Konzern, vorhaben, durch Entlassungen oder entsprechende Absichten bei Opel, bei Zulieferern der Autoindustrie, bei Porsche, im Kohlebereich, bei Philips. Täglich liest man von Dingen, die darauf hinauslaufen, daß sich die Arbeitslosigkeit vergrößert und daß sich die Lage der Langzeitarbeitslosen nicht verbessert.
Deshalb meine ich, daß man sehen muß: Wer an der Lage der Langzeitarbeitslosen etwas ändern will, muß die Gesamtwirtschaftslage in einem Sinne verändern und sie analysieren, damit wir nicht nur Reparaturen machen und vielleicht den einen oder anderen Langzeitarbeitslosen in Arbeit bringen, während auf der anderen Seite neue Langzeitarbeitslose hinzukommen und sich die Zahl insgesamt erhöht.Ich will Ihnen einmal sagen, was aus unserer Sicht vor sich geht: Wir stehen vor der Neuordnung der Unternehmenspolitik, der Wirtschaftspolitik im EG- Bereich. Wir sehen, daß es dort einen Bereich mit 320 Millionen Konsumenten gibt und daß die Unternehmen — sowohl die mittleren als auch die größeren — anfangen, sich darauf einzustellen oder schon mitten in dem Prozeß sind, sich auf diesen ab 1992 vorhandenen EG-Markt hin zu orientieren. Das sieht so aus, daß sie ihre Unternehmen optimieren, Produktionsabläufe rationeller gestalten, eine Neuordnung der Standorte vornehmen, Produktionen in Gebiete auslagern, wo man günstiger produzieren kann, daß man die Fertigungstiefe verringert, daß man die An-
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Hossbindung der Zulieferer an die Hauptunternehmen vorantreibt. Das Ganze läuft, wenn man noch McKinsey in die Betriebe hineinholt, der den Rationalisierungsprozeß auf die Spitze treibt, auf der einen Seite auf eine optimale Gestaltung der Produktion im Sinne der Kapitalverwertung hinaus, d. h. aber auf der anderen Seite: Ausgrenzung von Menschen, die diesen Methoden der Leistungsrationalisierung, der Leistungssteigerung, dem Streß nicht mehr gewachsen sind.Ich will Ihnen nur ein Beispiel bringen: In der Abteilung, in der ich noch vor zwei Jahren als Schlosser gearbeitet habe, wäre ich jetzt der Älteste. So sieht es in den Betrieben aus. Und ich habe mit dem Betriebsratsvorsitzenden von BBC gesprochen, der sich jetzt damit befassen muß, daß 4 000 Leute abgebaut werden sollen. Er hat mir gesagt, daß sie kaum noch jemanden über 54 haben. So ist die Situation, so hat sich das ausgedrückt, und da finden wir auch — das zeigen auch die Zahlen über Langzeitarbeitslose — das große Reservoir derer und natürlich auch noch anderer, die davon betroffen sind.Wenn wir diese Politik nicht ändern, wenn wir hier eine Wirtschaftspolitik betreiben, die das unterstützt, was die Konzerne in Richtung auf den EG-Markt vorantreiben, wenn wir das nicht ändern und uns mehr auf den Binnenmarkt, auf kleine und mittlere Betriebe hinorientieren, die zu fördern sind — nicht die Großen sind zu fördern — , dann werden wir, so denke ich, in der Auseinandersetzung um die Beschaffung von Arbeitsplätzen für die Langzeitarbeitslosen nichts erreichen. Zwar werden wir vielleicht das eine, wie ich vorhin gesagt habe, erreichen, dafür dann andere wieder neu in die Arbeitslosigkeit, in die Langzeitarbeitslosigkeit hineinbringen.
Ich denke, das Bewußtsein davon, daß sich die Wirtschaftslage so entwickelt — die Leute, die Bürger draußen fragen sich: Was macht man denn mit uns? Was geschieht denn mit uns? —, signalisiert die Bereitschaft, in die der Vorschlag von Lafontaine hineintrifft. Er trifft im Grunde auf keine andere Basis als die, daß die Leute sagen, daß sie bereit sind, mitzuhelfen, daß sie bereit sind, mitzugestalten. Und der Prozeß wird sich verstärken. Sie sind bereit, auch etwas zu geben, wenn garantiert ist, daß durch Tarifverträge und Abmachungen auch gesichert wird, daß mit bestimmten Dingen, die man gibt, auch denen geholfen wird, denen geholfen werden muß. Solange das nicht abgesichert ist, kann man den Lafontaine-Vorschlag vergessen.Ich begrüße ihn, weil er ein neues Denken eröffnet, weil er eine neue Möglichkeit von Mobilisierung in unserer Bevölkerung auftut. Aber ich will, daß da Kontrollen vorgenommen werden — über Einstellung allgemeiner Arbeitsloser wie auch Langzeitarbeitsloser — und daß die Kontrollen bei denen liegen, die auch geben. Wenn z. B. in der Abteilung, in der ich war — das ist eine Abteilung mit mehr als 100 Facharbeitern — , gesagt wird, wir machen eine stärkere Arbeitszeitverkürzung von 3 bzw. 4 Stunden auf einmal — das macht bei mehr als 100 Leuten 300 Stunden —, dann ergibt das 8 bzw. 9 neue Arbeitsplätze. Und wir 100 kontrollieren, ob diese 8 bzw. 9 Arbeitsplätze vom Betrieb auch besetzt werden. Wenn das nicht geschieht, kann man die ganze Sache vergessen.
Diese Kontrollen von unten müssen durchgesetzt werden. Das bedeutet natürlich auch ein stückweit Wegnahme von Entscheidungen der Personalbereiche, die bisher allein darüber entscheiden. Also, die Kontrolle muß mit hinuntergenommen und dorthin verlagert werden, wo die Leute sind und arbeiten. — Ich sehe gerade, daß das rote Licht hier schon leuchtet. —Ich würde sagen, daß dieser Antrag der SPD, der hier vorliegt, sehr intensiv beraten werden sollte, daß aber seine zwei Mängel, die er hat, gesehen werden sollten: daß er erstens nicht an die Wurzel der Dinge geht — das müßte man vertiefen — , und zweitens müßte man sich damit auseinandersetzen, daß er sich mit der Hälfte der Langzeitarbeitslosen befaßt, die man mit finanziellen Hilfen in bestehende Produktionsabläufe ohne weiteres einbauen kann, daß aber mindestens die Hälfte der Langzeitarbeitslosen Leute sind, die psychische und physische Beeinträchtigungen haben und für die man noch spezielle Programme begleitend haben muß, wenn man sie in diesen Prozeß überhaupt wiedereingliedern will.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner Hoss hat gesagt, man solle diesen Antrag sehr genau prüfen. Auch wir sind dazu bereit, den Antrag zu diskutieren, auszuloten, was drin ist; denn Langzeitarbeitslosigkeit ist ein schweres Schicksal. Wir wollen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.Vergleicht man den Vorschlag der EKD mit dem Antrag der SPD, so fällt allerdings auf, daß es in beiden Fällen um staatliche Finanzierung kommunaler Pflichtaufgaben geht. Während die EKD Dauerarbeitsplätze weder im privaten noch im öffentlichen Bereich gefährdet sehen möchte, Wettbewerbsverzerrungen möglichst ausschließen und vorwiegend private Firmen heranziehen will, enthält der SPD-Antrag diese Einschränkungen nicht. Herr Heyenn hat davon gesprochen, auch die gewerbliche Wirtschaft solle eingebunden werden. Der Schwerpunkt wird dort wahrscheinlich nicht liegen.Die bekannten Vorschläge wie Beschäftigungsprogramme — „Arbeit und Umwelt", „Arbeit für alle" — sind nicht neu. Die Impulse, die von solchen Programmen ausgehen, sind kurze Wirkung bei hohen Kosten.
Aus sozialliberalen Zeiten haben wir gelernt, daß den Arbeitslosen und insbesondere den Langzeitarbeitslosen damit langfristig nicht geholfen werden kann.Ganz neu sind allerdings die Töne, die man derzeit aus dem Saarland hört, nämlich Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich.
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4610 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmude?
Bitte sehr. Aber bitte nicht auf die Zeit anrechnen.
Herr Kollege, darf ich Ihre Bemerkungen zu den Unterschieden zwischen dem EKD-Papier und dem SPD-Antrag so verstehen, daß Sie den Antrag der SPD-Fraktion im Ausschuß in Richtung auf das EKD-Papier nachbessern und ihm dann zustimmen werden, oder sind Sie generell gegen jedes Vorhaben dieser Art?
Herr Kollege Schmude, inwieweit wir Ihren Antrag nachbessern oder ob wir auf Grund der Erkenntnisse, die unter Umständen in dem EKD- Papier enthalten sind, zu einer übereinstimmenden Meinung kommen, kann ich in der jetzigen Situation noch nicht übersehen.
Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich — die neuen Töne aus dem Saarland. Der Gedanke ist allerdings nicht neu. Neu ist nur die Ecke, aus der er jetzt kommt. Ich ziehe den Schluß, daß man bei der Opposition und Teilen der Gewerkschaft beginnt zu begreifen, daß erstens die Tarifparteien eine große Verantwortung bei der Bewältigung der Arbeitslosigkeit haben, die so seither nicht wahrgenommen wurde, und daß zweitens eine Solidarität zwischen denen, die einen Arbeitsplatz haben, und denen, die draußen stehen, hergestellt werden muß. Professor Nell-Breuning formuliert es so: Es ist unsolidarisch, nur Arbeitsstunden abzugeben, den vollen Lohn aber mitzunehmen.
Wenn wir uns die Struktur der Langzeitarbeitslosen einmal ansehen, fällt auf, daß etwa ein Drittel aller Arbeitslosen länger als ein Jahr arbeitslos ist. Die Betroffenen sind Ältere, Unqualifizierte und gesundheitlich Eingeschränkte. Allein die Gruppe der Unqualifizierten macht fast 60 % der Langzeitarbeitslosen aus. Um den jüngeren von ihnen besser helfen zu können, sollte neben einer Teilzeitarbeitsbeschaffungsmaßnahme eine berufliche Qualifizierungsmaßnahme angeboten werden. Das würde die Gefahr einer erneuten Arbeitslosigkeit nach Auslaufen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erheblich verringern. Den älteren Langzeitarbeitslosen sollten dagegen in erster Linie die traditionellen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verfügung stehen.
Für benachteiligte Jugendliche, die den theoretischen Anforderungen nicht gerecht werden können, müssen Stufenausbildungen geschaffen werden, in denen die praktische Arbeit im Vordergrund steht.
Die Tarifpartner müssen stärker die Initiative zugunsten von Langzeitarbeitslosen ergreifen. In Tarifverträgen sollten deshalb Tariföffnungsklauseln vorgesehen werden, die in gewissen Fällen eine Abweichung des Tariflohns nach unten erlauben.
Es macht doch keinen Sinn, wenn man durch eine
Sockellohnpolitik einfache Arbeit so verteuert, daß
dafür zum Schluß überhaupt keine Arbeitsplätze mehr angeboten werden. Hier wirkt sich die Tarifpolitik arbeitsplatzvernichtend aus.
Besonders betroffen von der Langzeitarbeitslosigkeit sind Frauen. Im Jahr 1986 stieg die Zahl der Arbeitslosen bei den Frauen um 16 000, bei den Männern nahm sie jedoch um 28 000 ab. Diesen Frauen muß mit dem verstärkten Angebot von Teilzeitarbeit und einer Flexibilisierung der Arbeitszeit schnellstens geholfen werden. Auch hier muß ich an die Verantwortung der Tarifpartner erinnern.
Zusammenfassend stelle ich fest, daß wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen im Arbeitsförderungsprogramm haben. Wir benötigen aber auch eine flexiblere Gestaltung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Die Grenze ist jedoch dort überschritten, wo wir mit einem Programm des zweiten Arbeitsmarktes den ersten Arbeitsmarkt tangieren.
Die Kirche bitte ich um Unterstützung im sozialen und psychischen Bereich, denn dort ist die Hilfe bei den Langzeitarbeitslosen dringend geboten.
Die Tarifparteien möchte ich nochmals eindringlich an ihre Verantwortung gegenüber denjenigen, die ohne Arbeit sind, erinnern. Ebenso wäre sowohl von den öffentlichen als auch von den privaten Arbeitgebern zu erwarten, daß sie stärker als bisher die Pflichtquote nach dem Schwerbehindertengesetz erfüllen. Es ist ein Skandal, wenn leistungsstarke Bundesländer wie Baden-Württemberg und Bayern bei der Erfüllung ihrer Schwerbehindertenquote im öffentlichen Dienst das Schlußlicht bilden.
Das alles zusammengenommen, meine Kolleginnen und Kollegen, müssen wir beachten, wenn wir über Langzeitarbeitslosigkeit reden. Hier kann man nicht mit einem Programm alles bewältigen wollen, sondern hier muß zuerst einmal untersucht werden, wie die Struktur der Langzeitarbeitslosigkeit aussieht, und danach muß man die maßgeschneiderten Programme und die maßgeschneiderten Hilfen anbieten.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Vogt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Arbeitslosigkeit ist nicht nur eine Bedrohung des Einkommens, Arbeitslosigkeit bedroht auch die Möglichkeit des Menschen zur Selbstverwirklichung, denn Arbeit ist mehr als die Sicherung des Lebensunterhalts. Sie ist Mitwirkung, sie ist Teilhabe, sie ist Selbstverwirklichung. Diesen Anspruch auf Arbeit hat jeder Mensch, der gesunde und der gut ausgebildete, der behinderte und der benachteiligte.
Jeder hat den Anspruch, mit seiner Hände Arbeit, mit seines Kopfes Arbeit mitzuwirken.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4611
Parl. Staatssekretär Vogt— Jeder Mensch, liebe Kollegin, jeder Arbeitslose. Sie sind doch immer für die geschlechtsneutralen Bezeichnungen.
— Jeder Arbeitslose.
— Lieber Herr Kollege Hoss, die Angelegenheit ist ein bißchen zu ernst, und deshalb wollen wir wieder darauf zurückkommen.
Um diesen Anspruch einlösen zu können, helfen dem Arbeitslosen weder Mitleid noch klassenkämpferische Parolen, auch nicht Panikmache.
Ihnen ist im übrigen auch nicht mit einer Verniedlichung der Arbeitslosigkeit geholfen. Wer den Arbeitslosen wirkungsvoll helfen will, muß neue Arbeitsplätze schaffen. Konkrete Politik für Arbeitslose heißt deshalb erstens: mehr Arbeitsplätze.
— Frau Kollegin, das, was die Bundesregierung Ihnen vorschlägt, was Sie aber wahrscheinlich ablehnen werden, nämlich eine strukturelle Reform im Einkommensteuerrecht, wird einen Beitrag genau dazu leisten, daß es zu mehr Arbeitsplätzen in diesem Lande kommt. Wenn der Kollege Heyenn vorhin „Stärkung der Massenkaufkraft" gefordert hat, dann fordere ich ihn auf, zuzustimmen der Anhebung des Grundfreibetrages, der Absenkung des Eingangssteuersatzes,
dann fordere ich ihn auf, zuzustimmen, daß der progressive Tarif ersetzt wird, wo mittlere Einkommen von Arbeitern, Angestellten, Freiberuflern, Handwerkern und Selbständigen begradigt werden. Genau das ist die Politik zugunsten von Arbeitslosen und für mehr Arbeit, aber dieser Politik werden Sie natürlich widersprechen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gern.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß genau die Politik, die von 1982 an gemacht wurde, indem man auf Kosten der Unteren Mittel freigemacht hat, die man einsetzen wollte, um Arbeitsplätze zu schaffen und den Unternehmern Anreize zu geben, die Produktion anzukurbeln und Plätze zu schaffen, dazu geführt hat, daß die Zahl der Arbeitslosen heute höher als 1982 ist, als Sie angefangen haben?
Herr Kollege, Sie irren in zweifacher Hinsicht. Zum einen werden die unteren und mittleren Einkommen durch die Steuerentlastung, die wir diesem Haus vorschlagen werden, entlastet. Zum anderen irren Sie, Herr Kollege, weil wir zwar zu Beginn der 80er Jahre über 1 Million Arbeitsplätze verloren haben, aber seit 1983, seit wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, 700 000 Arbeitsplätze neu geschaffen worden sind. Und der Beschäftigungsanstieg geht weiter. Ich stelle das zunächst im Zusammenhang dar, damit Sie nachher wieder fragen können. Knapp 180 000 Arbeitsplätze haben wir 1987 gegenüber dem Vorjahr neu geschaffen. Saisonbereinigt haben wir gegenwärtig mit über 26 Millionen die höchste Zahl der Erwerbstätigen seit Herbst 1981. Das sind ganz konkrete beschäftigungspolitische Erfolge dieser Bundesregierung, Herr Kollege.
Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage desselben Abgeordneten?
Ja.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden in der Bundesrepublik leicht gefallen ist, obwohl Sie sagen, daß die Bundesregierung 700 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen hat; und was bedeutet das dafür, daß Sie 700 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben? Sind damit nicht Plätze gemeint, auf denen man so wenig verdient, daß man sich nachher als Rentner in der Sozialhilfe wiederfindet?
Aber, lieber Herr Kollege, hier werfen Sie natürlich einiges durcheinander. Fürs erste will ich Ihnen nur eines zu überlegen geben. Wenn Sie sich für eine Verkürzung der Arbeitszeit, der Lebensarbeitszeit oder der Wochenarbeitszeit, unter welchen ökonomischen Bedingungen auch immer, aussprechen und dann die Erwartung hegen, daß damit die Zahl der Beschäftigten steigt, haben Sie natürlich auch auf diesem Weg eine Änderung der Beschäftigtenzahl bei gleichbleibendem Arbeitsvolumen. Aber das ist nur eine der Antworten, die ich eigentlich auf Ihre komplexe Frage geben könnte. Wir haben einen Zuwachs an Beschäftigten. Das ist gar nicht wegzudiskutieren. Dieser Beschäftigungszuwachs wird auch 1988 weitergehen. Alle Anzeichen deuten darauf hin. Wir können beim Beschäftigungszuwachs optimistisch sein.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, es gibt noch einen Wunsch nach einer Zusatzfrage, und zwar von Herrn Abgeordneten Schreiner.
Ja.
Bitte sehr.
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4612 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Herr Staatssekretär, da Sie soeben der Frage ausgewichen sind, frage auch ich, ob es zutrifft, daß das gesellschaftliche Erwerbsarbeitsvolumen seit 1983 nicht gestiegen ist, daß also auf Grund von Arbeitszeitverkürzungen oder Umverteilungsmaßnahmen zwar die Zahl der Beschäftigten, aber nicht der Umfang der Beschäftigung gewachsen ist.
Aber Herr Kollege, seit Anfang der 80er Jahre — und nicht erst seitdem — hat sich das Erwerbsverhalten vieler Personenkreise in dem Sinn verändert, daß Personen, die früher keine Erwerbsarbeit nachgefragt haben, heute Erwerbsarbeit nachfragen. Wir hatten gerade in den 80er Jahren einen erheblichen Zuwachs an Erwerbspersonenpotential durch den Zuwachs aus den geburtenstarken Jahrgängen. Das zählt. Sie zählen in der Arbeitslosenstatistik nicht die Zahl derer, die 10 oder 15 oder 20 oder 40 Wochenstunden haben, sondern Sie zählen Köpfe, und zwar Köpfe als Vollzeitarbeitnehmer oder als Teilzeitarbeitnehmer. Das sind die 2,5 Millionen, mit denen Sie immer arbeiten. Dabei ist unbestritten: das Erwerbspersonenpotential ist in den letzten Jahren gewachsen.Herr Präsident, ich gehe natürlich davon aus, daß die Bundesregierung insofern wie die Abgeordneten des Deutschen Bundestages behandelt wird und deshalb die Zwischenfragen und deren Beantwortung nicht auf meine Redezeit angerechnet worden sind.Ich sage: Konkrete Politik für Arbeitslose heißt erstens mehr Arbeitsplätze und zweitens mehr Qualifizierung.
— Auch hier, lieber Kollege Heyenn, weise ich Sie nur darauf hin: Wir betreiben eine Qualifizierungsoffensive, wie wir sie seit Beginn des Arbeitsförderungsgesetzes noch nie gehabt haben. 600 000 Neueintritte in Maßnahmen der beruflichen Fort- und Weiterbildung. 1982 waren es 265 000. Das ist Qualifizierung, die den Menschen hilft. Denn, lieber Herr Kollege Heyenn— das möchten Sie doch bitte zur Kenntnis nehmen —, knapp 70 % derjenigen, die an Maßnahmen der beruflichen Fort- und Weiterbildung teilgenommen haben, sind sechs Monate nach Abschluß der Qualifizierungsmaßnahme in ein Arbeitsverhältnis vermittelt worden. Ich glaube, das kann sich sehen lassen.
— Lieber Herr Kollege, schauen Sie in den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit. Sie werden sehen, daß die Bundesanstalt für Arbeit 1988
die Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes voll ausfahren wird. Die Haushaltsansätze erlauben Qualifizierungsmaßnahmen in der Größenordnung, wie wir sie im Jahre 1987 gehabt haben. Sie betreibenPanikmache! Die Zahlen, die wir anführen, die sprechen für sich.
— Nein, im Moment nicht, weil die Zeit ja eigentlich schon abgelaufen ist.Drittens. Konkrete Politik für Arbeitslose heißt, daß wir den Problemgruppen durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen helfen. Auch die langzeitarbeitslosen älteren Arbeitnehmer werden gerade durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Beschäftigung gebracht. 1987 wurden auf diesem Wege allein über 52 000 ältere Arbeitnehmer gefördert.
Konkrete Politik für Arbeitslose und hier vor allem für Langzeitarbeitslose heißt viertens, die konkreten Hilfen des Arbeitsförderungsgesetzes wirkungsvoll einzusetzen. Von der Absicherung der Langzeitarbeitslosen über Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe auf der einen Seite bis hin zur offensiven Nutzung der Instrumente andererseits, mit denen wir gerade ältere Arbeitnehmer in den Arbeitsprozeß eingliedern können.Deshalb stelle ich zunächst fest:Erstens. Der intensive Einsatz der gesamten aktiven arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen wird fortgesetzt. Er hat eine Beschäftigungswirkung von rund 500 000 Personen.Zweitens. Natürlich geben wir uns mit dem erreichten Stand in Anbetracht der Arbeitslosigkeit nicht zufrieden. Deshalb prüfen die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP, wie kurzfristig neue Möglichkeiten zur verstärkten Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ergriffen werden können.Aber bei all diesen Maßnahmen muß folgendes feststehen: Unterstützungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose dürfen nicht zu Lasten anderer Beschäftigungsmöglichkeiten gehen. Das heißt, es darf keine Verdrängung oder den Ersatz regulärer Arbeitsplätze bzw. von Planstellen im öffentlichen Dienst geben.
— Sie fordern genau das in Ihrem Antrag.
— Sie wüßten das, wenn Sie sich ihn einmal, Herr Kollege Heyenn, durchlesen würden. Auch die Höhe Ihrer Erregung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie in Ihrem Antrag folgendes vorhaben, nämlich daß kurzfristig Arbeitslose und längerfristig Arbeitslose gegeneinander ausgespielt werden.
Letztes. Die Bundespolitik steht zu ihrer Verpflichtung für die Arbeitslosen. Wir wenden uns aber, Herr Kollege Heyenn, gegen den politischen Ablaß. Ich habe etwas gegen die Arbeitsteilung, sich mit Anträgen im Bundestag von der eigenen Verantwortung vor
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4613
Parl. Staatssekretär VogtOrt freizukaufen und dem Bund die gesamte Last aufzuladen.
— Sie haben den Antrag, Herr Kollege, den Ihre Fraktion eingebracht hat, mit Sicherheit nicht gelesen, vielleicht unterschrieben.
In diesem Antrag steht — bitte, hören Sie zu —:,,... denn der Bund ist für die Beschäftigungspolitik zuständig".
So einfach, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann man sich das machen. Der Bund ist zuständig, die Länder haben keine Verantwortung. Nein, die Kommunen haben in Ihrer Konzeption keine Verantwortung. Das kann so nicht gehen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Tarifpartner müssen einen Beitrag zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit leisten. Hier finden wir ja heute eine recht interessante Diskussion vor. Die SPD hat lange Zeit gebraucht, um die Erkenntnis zu gewinnen, daß auch die Tarifpartner Beiträge zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit leisten müssen.Ich hoffe, daß die Erkenntnis einzelner in der SPD zur Erkenntnis der gesamten Partei wird. Ich hoffe, daß sich das ereignen wird, nicht in unserem Interesse, sondern im Interesse der Arbeitslosen selbst.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, in unserem Antrag steht, daß insbesondere der Bund verpflichtet ist, für Beschäftigung zu sorgen. Es ist einer der großen Verdienste der Denkschrift der EKD, daß daran erinnert wird, daß Beschäftigungspolitik gerade auch eine staatliche Aufgabe, eine Aufgabe der staatlichen Rechtsgemeinschaft ist.
Art. 1 unseres Grundgesetzes verpflichtet uns alle und verpflichtet jede staatliche Politik zum Schutz der Menschenwürde. Ich werde Ihnen einige Beispiele bringen, wo im Bereich der Arbeitslosigkeit die Menschenwürde zutiefst verletzt wird.Es geht um eine Personengruppe, der mit allgemeinen Beschäftigungsmaßnahmen, mit der Hoffnung auf beschäftigungswirksame Wachstumspolitik und mit der Hoffnung auf beschäftigungswirksame Arbeitszeitpolitik kaum gedient sein wird. Es geht um eine besondere Personengruppe, die besondere Maßnahmen erforderlich macht.Der Anteil der Langzeitarbeitslosen, also der Menschen, die ein Jahr und länger arbeitslos sind, ist in den letzten Jahren systematisch und erschreckend gewachsen. Wir hatten im Jahre 1980 140 000 Langzeitarbeitslose; das entsprach 17% der damaligen Gesamtarbeitslosigkeit. Wir hatten im Jahre 1986 weit über 700 000 Langzeitarbeitslose; das entsprach damals 36 % der Gesamtarbeitslosigkeit. Dies ist eine Entwicklung mit stetig steigenden Tendenzen. Hier findet eine arbeitsmarktpolitische Ausmusterung von Menschen statt, die nicht mehr in olympiareif gedachte Belegschaftsmuster hineinpassen. Das ist der eigentliche Skandal und das eigentliche Problem.Was 40jährige und ältere Arbeitslose angeht, so kennen wir eine Fülle von Betrieben, die sich weigern, Menschen, die 39 Jahre alt und älter sind, noch zu beschäftigen. Auch beispielsweise Schwerbehinderte und Menschen mit mangelhaften Ausbildungen haben stark steigende Beschäftigungsprobleme. Das heißt, hier sammelt sich ein Kern von Arbeitslosen, der in hohem Maße problematisch ist und der aus der Erwerbstätigkeit und aus dem Arbeitsmarkt systematisch ausgemustert wird.Diese Gruppe von Langzeitarbeitslosen hat besondere Probleme. Das eine Problem ist der direkte Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und wachsender Armut und Bedürftigkeit. 1987 erhielten cirka sechsmal soviel Haushalte von Arbeitslosen Sozialhilfe wie im Jahre 1980. Ungefähr 400 000 Haushalte von Arbeitslosen erhielten im Jahre 1987 Sozialhilfe. Der Anteil der Dauerarbeitslosen unter den Sozialhilfeempfängern beträgt in einigen Großstädten inzwischen 45 %. Das trägt mit dazu bei, daß diese Großstädte finanziell nicht mehr handlungsfähig sind.
Wenn Sie über die sozialen Folgekosten von Arbeitslosigkeit reden, erinnere ich Sie an das, was ihr eigener Kollege Müller , der vor einiger Zeit noch stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war, geschrieben hat; ich will das nur in Überschriften vorlesen, weil ich so viel Zeit nicht habe. Aber diese Überschriften, die ich Ihnen von ihm zitiere, sind nicht falsch geworden, weil die Regierung gewechselt hat.In einem Papier der CDU/CSU-Fraktion vom 21. Februar 1980 heißt es unter der Überschrift „Arbeitslos — Zur Lebenssituation Arbeitsloser und den sozialen Folgekosten der Arbeitslosigkeit" — damals präsentiert vom Kollegen Adolf Müller — : „Psychosoziale und gesundheitliche Auswirkungen der Arbeitslosigkeit" — „Im Gefolge der Arbeitslosigkeit: Depression, Krankheit, Selbstmord" —
„Die Folgen: Krankheit und Erhöhung der Mortalität".
— Es reicht, Ihnen die Überschriften vorzulesen. Ich wäre auch gerne bereit, Ihnen das Papier ganz vorzulesen.
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4614 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
SchreinerIch will unter dem Stichwort „Erhöhung der Mortalität" dann doch zitieren, wenn Sie es unbedingt wünschen.
Das heißt, auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen, daß z. B. eine Erhöhung der Arbeitslosenzahl um etwa 200 000 Arbeitslose die Zahl der Sterbefälle im Jahr um rund 13 000 steigen läßt.Was bedeutet denn, wenn dies vom Kollegen Adolf Müller für 1980 richtig ist, die Erhöhung der Arbeitslosenzahl um 800 000 bezogen auf die Erhöhung der Sterblichkeitsquote? Das sind bitterernste Sachverhalte, wo es überhaupt keinen Sinn macht, sich jetzt hier in Polemik auszutauschen. Wenn es richtig ist, daß Massenarbeitslosigkeit in wachsendem Maße dazu beiträgt, daß Menschen früher sterben, als sie ansonsten sterben würden, wäre dies alleine schon ein Grund genug dafür, daß sich dieses Parlament zwingend zusammenraufen muß, um all das auszuschöpfen, was möglich wäre.
Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel, das mich besonders betroffen gemacht hat: die Auswirkungen auf Kinder der Arbeitslosen. Der Amerikaner Kaufmann hat das 1982 für New York untersucht. Seine damalige Untersuchung hatte zutage gebracht, „daß nur 7 % der Kinder von Erwerbslosen auf so etwas wie ein Selbstwertgefühl zurückgreifen konnten. Neuere Ergebnisse bei uns weisen in die gleiche Richtung. Eine Münchener Forschungsgruppe hatte an arbeitslosen Jugendlichen etwas beobachtet, was für Kinder von Dauerarbeitslosen schlechthin gelten dürfe" — ich zitiere —:Eine solche Situation hat zur Folge, daß die Jugendlichen, die de facto nie jung sein können und dürfen, viel zu früh die Normen der Erwachsenen und auch deren Ängste und Unsicherheiten übernehmen.Ein ausgeprägtes Sicherheitsstreben und die Angst vor jedem beruflichen Risiko lassen sich bereits bei Sechzehnjährigen feststellen.„Die erwähnte Studie ,Die Kinder der Arbeitslosen' von Ruth Weiland aus dem Jahre 1933" — es wäre fast angebracht, diese Studie hier heute vorzutragen, denn sie trifft auch heute die Situation — hatte damals „ein Vorwort, in dem u. a. in Anspielung an die seelischen Schäden bei Kindern Arbeitsloser folgendes zu lesen ist" — ich zitiere —:Sie zeigen Wirkungen, mit deren rascher und spurloser Überwindung nicht gerechnet werden kann, weil sie den Bildungsvorgang in den Kindern im Kern stören, ihr Lebensvertrauen vernichten, ihre sittliche Orientierung auf das schwerste verwirren müssen. Die Antwort auf diesen Anruf kann zunächst nur die eine ganze unbedingte sein, daß dieser kumulative Verfall einfach nicht weitergehen darf.Daß der kumulative Verfall bei den Kindern von Arbeitslosen nicht mehr weitergehen darf, das muß aus einer demokratisch-sozialistischen Richtung die einzige Antwort sein; aber es dürfte eigentlich auch aus einem christlich geprägten Menschen- und Gesellschaftsverständnis die einzige mögliche Antwort sein.
Deshalb sage ich Ihnen, daß wir nicht pessimistisch sind, wenn es darum geht, die Initiative der Evangelischen Kirche im Ausschuß sorgfältig Punkt für Punkt zu prüfen. Wir werden nicht einverstanden sein, wenn Sie nur sprechen wollen. Wir werden sehr gezielt jeden einzelnen Punkt ergebnisorientiert im Ausschuß abfragen.Ich sage Ihnen zu den vorgetragenen Instrumenten: Herr Staatssekretär, es ist richtig, daß die Bundesregierung, präziser gesprochen: die Bundesanstalt für Arbeit über 100 000 AB-Maßnahmen im vergangenen Jahr finanziert hat. Aber es ist auch richtig, daß die AB-Maßnahmen keine befriedigende Antwort auf Massenarbeitslosigkeit sind,
daß AB-Maßnahmen bestenfalls Übergangsmaßnahmen sein dürfen, daß auf ein Jahr befristete Arbeit für Menschen nicht ausreichend ist, daß sie danach wieder arbeitslos werden. Das heißt, wir müssen versuchen, auf Perspektive gesehen die AB-Maßnahmen zu ersetzen. Die Evangelische Kirche hat in ihrem Bemühen dargestellt, daß die Fristen auf fünf und mehr Jahre orientiert sein müssen,
daß die Zeiten, in denen die Menschen in diesen Feldern arbeiten sollen, ein Jahr weit übersteigen müssen, damit eine wirkliche Lebens- und Arbeitsperspektive entwickelt werden kann.Der eigentliche Irrsinn dieser Tage besteht ja wohl darin, daß wir Dutzende und Tausende von Vorstellungen haben, wo Arbeit fehlt, aber auf der anderen Seite fast 4 Millionen Arbeitslose — die stille Reserve eingerechnet — haben und nicht in der Lage sind, die Arbeitslosen mit der Arbeit, die auf der Straße liegt, zusammenzubringen.Wir haben im sozialen Dienstleistungsbereich in der Bundesrepublik Deutschland einen Anteil von 10 To an der Gesamterwerbsarbeit, in Schweden fast das dreifache, nämlich 29 %, und selbst in den USA mit etwa 18 % fast das Doppelte wie hier. Das heißt, im Bereich der Humanberufe, Bildung, Gesundheit, soziale Pflege, gibt es ein riesiges Defizit in unserer eigenen Berufs- und Erwerbsstruktur. Hier gäbe es viele, viele Möglichkeiten, Menschen sinnvoll in Arbeit unterzubringen.Ähnliches gilt für den gesamten Komplex der vorsorgenden und nachsorgenden Umweltarbeit. Auch dazu brauchte man keine Beispiele anzuführen.Wir haben Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeit, die nachweisen, daß diese Form von öffentlich organisierter Arbeit in hohem Maße selbstfinanziert wird, daß die Selbstfinanzierungsquoten, wenn man
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Schreinerdas gegenrechnet — Kollege Heyenn hat darauf hingewiesen — , Richtung 100 % geht. Wie ist denn unter diesen Voraussetzungen für einen normalen Arbeitslosen noch begreifbar, daß der Staat angesichts dieses hohen Sockels faktisch nichts tut?Ich denke, daß der Vorschlag der Evangelischen Kirche Deutschlands ein Appell, wenn schon nicht an die Bundesregierung, dann an dieses Parlament, an alle Fraktionen dieses Parlaments ist, sich daran zu erinnern, daß wir eine große Gemeinschaftsaufgabe der gesamten öffentlichen Hand brauchen.
Es ist der Widersinn unserer Tage, daß die verschiedenen Ebenen der öffentlichen Hände versuchen, den Schwarzen Peter jeweils dem anderen zuzuspielen, daß es nicht ansatzweise eine koordinierte Aktivität der gesamten öffentlichen Hand gibt, eine Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen, um dem Problem beizukommen und das an notwendigen Arbeitsaktivitäten zu entfalten, was angesichts der Problemlage dringendst geboten wäre. Dem Bund kommt in einer solchen Situation besondere Verantwortung zu, weil er in erster Linie beauftragt sein müßte, die notwendige Koordinierung, die notwendige Zusammenarbeit zu organisieren.
Wir Sozialdemokraten fordern Sie in diesem Sinne ganz herzlich auf, initiativ zu werden. Wir werden— um es noch einmal und abschließend zu sagen — es im Ausschuß den übrigen Fraktionen deshalb nicht leicht machen, weil uns die auch nur in Skizzen dargestellte Situation der betroffenen Menschen— Frauen, Männer und Kinder — keinerlei Entschuldigungen mehr erlaubt. Wir werden handeln müssen. Wir haben keine Zeit mehr, um den heißen Brei herumzureden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgordnete Feilcke.
Feilcke [CDU/CSU]: Herr Präsident! Mein Damen und Herren! Herr Kollege Schreiner, für jeden, der zugehört hat, ist ganz klar geworden, daß es sich zumindest für jeden, der hier geredet hat, um bitterernste Sachverhalte handelt. Das sollten Sie nicht in Abrede stellen.
Ich sage Ihnen auch noch eines hinzu: Ein bitterernster Sachverhalt wird nicht dadurch ernster, daß man hier zu schreien anfängt.
Das erschwert nur das Zuhören. Der Gehalt Ihrer Argumente wird dadurch nicht glaubwürdiger.
Ich möchte das einfach einmal sagen. Störfallverordnung und alle Schallschutzmaßnahmen gelten offensichtlich hier nicht. Die Humanisierung unseres Lebens sollten Sie auch einmal bedenken.
Herr Kollege Schmude hat eine Zwischenfrage an den Kollegen Heinrich von der FDP gestellt. Sinngemäß hat er gesagt: Würden Sie denn eigentlich dem Papier der SPD zustimmen, wenn wir es sozusagen im Sinne des Papiers nachbessern würden? — Ich mache es mir da noch ein bißchen schwerer als der Kollege Heinrich. Das sage ich jetzt als Person, aber ich vermute, daß das auch von vielen meiner Fraktion so gesehen wird. Hätten Sie einen Antrag gestellt, der sich beispielsweise auf den ersten Satz Ihres vorgelegten Antrags konzentriert hätte, also eine Konzeption auf der Grundlage des Papiers der Kirche, hätten Sie es mir sehr schwer gemacht, nicht von vornherein zu sagen: „Prima!" Das sage ich hier.
Es ist aber zutreffend dargestellt worden, was Sie getan haben. Sie haben hier im Grunde genommen das seriöse Papier der Kirche genommen, haben das Etikett „SPD" daraufgeklebt und den Inhalt verwässert. Sie haben den Inhalt verfälscht. Beim Wein nennt man das Panschen. Sie haben zum Beispiel — das haben Sie gerade bestritten, Herr Schreiner — auf die Alleinverantwortung des Bundes verwiesen. Sie haben eben behauptet, das hätten Sie nicht getan. Es heißt aber wörtlich bei Ihnen:
Denn der Bund ist für die Beschäftigungspolitik zuständig.
— Nein, das stimmt nicht. Lesen Sie bitte Ihr eigenes Papier. Dort steht:
Aus öffentlichen Mitteln sollen Projekte gefördert werden, insbesondere des Bundes . . .
— Moment! Aber dann kommt die Erklärung:
Denn der Bund ist dafür zuständig.
Sie sollten uns abnehmen, daß wir lesen können. Ich weiß ja auch, daß Sie das so meinen; denn Sie gehen ja immer von Patentlösungen aus.
Ich meine, das Papier der Kirche ist für uns ein ganz guter Maßstab. Darin heißt es zum Beispiel:
Da es sich um längerfristige infrastrukturelle Aufgaben handelt, sind öffentliche Mittel aus Bund, Ländern und Gemeinden zusammenzuführen, um die finanzielle Basis sicherzustellen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Wenn ich den Satz zu Ende geführt habe, Herr Präsident.Ich möchte in Richtung auf uns alle weiter zitieren:Es kann dagegen nicht akzeptiert werden, daßsich die Beteiligten mit dem vorgeschobenen Ar-
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Feilckegument der Mischfinanzierung dieser gemeinsamen Aufgabe entziehen.Also: Unkonventionelle Maßnahmen sind hier angesagt und nicht nur Maßnahmen des Bundes.Herr Präsident.
Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Kollege, da Sie ein empfindsames Öhrchen haben, versuche ich zu säuseln. Da jetzt zum wiederholten Male darauf hingeweisen worden ist, daß es offenkundig oder möglicherweise — ich bestreite das „möglicherweise" — Differenzen zwischen der Denkschrift der Evangelischen Kirche und dem Antrag der SPD geben könnte, frage ich Sie, ob die CDU/CSU-Fraktion in der Lage sein könnte, das gesamte Papier der Evangelischen Kirche als Beratungsgrundlage in den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung einzubringen.
Ja. — Sie können sich setzen. Ich habe die Frage beantwortet.
Herr Schreiner, ich möchte mich ganz ernsthaft mit dem Papier auseinandersetzen. Ich meine, Sie dürfen die Kernaussagen der EKD nicht einfach beiseite schieben.
Übrigens, Herr Präsident, die Uhr läuft jetzt wirklich zu schnell. Sie müssen die Fragen berücksichtigen.
Herr Abgeordneter, Sie bekommen selbstverständlich den Bonus für die Zwischenfragen. — Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Kollege, da ich eben mit Freude zur Kenntnis nehmen durfte, daß Sie für die CDU/CSU-Fraktion die Denkschrift der Evangelischen Kirche als Beratungsunterlage in den Ausschuß einbringen wollen: Kann ich davon ausgehen, daß Sie dies in dem Sinne tun, daß die Denkschrift in der Tat von Ihrer Fraktion her eine positive Beratungsgrundlage im Ausschuß darstellt?
Ja.Herr Schreiner und meine Damen und Herren Kollegen von der SPD, Patentrezepte helfen wirklich nicht. Ich finde: Hier sollte niemand versuchen, dem anderen die Verantwortung zuzuschieben, die Schuld zuzuweisen für ein Problem, das wir alle gemeinsam analysieren können, das uns alle zu gemeinsamen Lösungen — zumindest in der Analyse — führen wird.Ich glaube, wir sollten den Pakt, wie er von der Kirche vorschlagen worden ist, schließen, nämlich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie, wie die Kirchen hinzufügen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Kirche nimmt sich übrigens selbst auch in die Pflicht. Ich finde, das macht die Kirche in dieser Frage ganz besonders glaubwürdig.Die Differenzierung, so sagt die Kirche, ist hier dringend erforderlich. Ich finde, daß ist auch deswegen so wichtig, weil wir es hier nicht — gleichgültig, ob es 670 000 oder 700 000 Personen betrifft — mit einem anonymen Block von Langzeitarbeitslosen zu tun haben, mit einer statistischen Größe, sondern es sind eben 670 000 Einzelfälle mit individuellen Problemen, die entsprechend differenziert angegangen werden müssen.Sie wissen alle aus den Strukturanalysen der Bundesanstalt für Arbeit, warum es so schwer ist, viele dieser Personen in die Arbeitswelt einzubeziehen. Die Strukturmerkmale sind hinlänglich bekannt. Es ist erschütternd, festzustellen, daß etwa zwei Drittel der Langzeitarbeitlosen als nicht qualifiziert gelten, daß zwei Fünftel starke gesundheitliche Einschränkungen und daß viele Mehrfacheinschränkungen aufweisen.Ich möchte hinzufügen: Ein weiteres Handicap ergibt sich allein aus der Tatsache der Langzeitarbeitslosigkeit. Die Langzeitarbeitslosigkeit wird ihrerseits selbst wieder zu einem Einstellungshindernis.
— Natürlich. Nur: Wir haben nicht die wirtschaftspolitische Vorstellung, daß die Bundesregierung in allen Fragen verantwortlich ist. Sie kann, wie Sie wissen, die Rahmenbedingungen schaffen. Ich glaube, Sie haben keinen Grund, bezüglich der Bilanz der Arbeitslosigkeit mit Fingern auf uns zu zeigen, wenn Sie sich die Entwicklung während Ihrer Regierungszeit ansehen.
— Sie dürfen nicht mit Fingern auf uns zeigen. Sie wissen doch ganz genau, daß die Entwicklung ganz anders verlaufen ist, als Sie der Öffentlichkeit hier immer wieder vorzugaukeln versuchen.In dem Papier heißt es weiter: All diese Probleme— gemeint sind die Schwierigkeiten der Wiedereingliederung in das Arbeitsleben —können kaum aus eigener Kraft kompensiert werden. Das soziale System Familie ist damit überfordert. Nicht nur hohe Arbeitsbelastung, sondern in gleicher Weise auch das Fehlen jeglicher Anforderungen kann zu Erkrankungen führen.Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden die nicht finanziellen psychischen Belastungen von den Arbeitslosen noch stärker empfunden als die finanziellen:Für Arbeitslose, insbesondere Langzeitarbeitslose, wird die freie Zeit zum größten Problem. Das Gefühl, sich überflüssig vorzukommen, wird von gut 50 % der Arbeitslosen genannt.Nun heißt es an einer anderen Stelle:Die Erwartung, daß jemand durch seine belastende Situation in starkem Maße entmutigt und entmotiviert worden ist, sich gleichsam am eigenen Schopf aus dem Sumpf befreien könne, ist nicht nur abwegig, sondern für viele Betroffene in hohem Maße verletzend.Deshalb sind diese vielen Maßnahmen, von denen Herr Staatssekretär Vogt gesprochen hat, nicht nur
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Feilckeunbedingt notwendig, sondern ich meine, es ist unbedingt notwendig, daß sie erkannt werden.Ich meine — dies soll jetzt die Zusammenfassung sein — , dies muß auch mit dem Vorschlag der EKD zusammen gesehen werden. Es soll hier eine Verzahnung stattfinden. Dann gibt es einen vielversprechenden Ansatz, und auch kommunale Arbeitsbeschaffungs- und Investitionsprogramme können hier sicherlich sehr hilfreich sein. Deshalb müssen wir den Vorschlag gemeinsam ernsthaft diskutieren. Das ist hier jetzt nicht nur um der Worte willen gesagt worden, sondern weil uns das Problem in gleichem Maße bedrückt.Meine Damen und Herren von der SPD, ich sage Ihnen aus meiner Sicht neidlos: Es ist Ihr Verdienst, daß Sie uns auf dieses Papier hingewiesen haben. Es wird das Verdienst des Parlaments sein, dieses Papier so zu diskutieren, wie es das Papier verdient, vielleicht nicht das Parlament in seiner Ganzheit aber mindestens in seiner Mehrheit. Das Ineinandergreifen von positiven Maßnahmen ist hier gefragt und angesagt. Ich meine, man sollte gute Ansätze nicht deshalb ablehnen, weil sie von der Opposition aufgegriffen worden sind.
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Müntefering, Conradi, Amling, Dr. Böhme , Erler, Großmann, Frau Hämmerle, Dr. Hauchler, Huonker, Menzel, Dr. Niese, Oesinghaus, Reschke, Scherrer, Weiermann, Lohmann (Witten), Nehm, Schmidt (Salzgitter), Dr. Sperling, Wartenberg (Berlin), Jahn (Marburg), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Die Wohnungsgemeinnützigkeit erhalten und stärken
— Drucksache 11/1389 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen, und Städtebau
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratungen 90 Minuten vorgesehen. — Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß Art. 43 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 42 unserer Geschäftsordnung beantrage ich für die SPD-Bundestagsfraktion die Herbeirufung des Bundesministers der Finanzen, Dr. Gerhard Stoltenberg.
Auf der Tagesordnung steht die Frage der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Das ist ein Schlag, der hinterrücks im Rahmen der Steuerreform vom Bundesfinanzminister und nicht etwa vom zuständigen Bundeswohnungsbauminister verübt worden ist.
Ich finde es empörend, daß der Bundesfinanzminister dieser Debatte ausweicht, indem er den Saal verläßt.
Meine Damen und Herren, diese Regierung legt neuerdings einen Stil im Umgang mit dem Parlament an den Tag, mit dem wir uns nicht einverstanden erklären können.
Ständig wird hier geltend gemacht, die Minister hätten andere Termine. Soll der Deutsche Bundestag seine Tagesordnung nächstens nach den Terminplänen der Herren Bundesminister gestalten, oder wie denken Sie sich das eigentlich?
Dies werden wir nicht hinnehmen. Wir verlangen, daß sich der Bundesminister in dieser Debatte zu diesem Thema heute und hier stellt.
Zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Bohl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Jahn, man sollte den Kollegen und auch der Öffentlichkeit den Sachverhalt noch einmal darlegen, um den es geht,
Sie haben den Wunsch geäußert, daß bei dieser Debatte über die Wohnungsgemeinnützigkeit auch der Finanzminister anwesend ist.
Wir haben diesen Wunsch gerne aufgegriffen und haben Ihnen gesagt: Jawohl, wir werden die Debatte so plazieren, daß es möglich ist, daß die Interessierten und eben insbesondere der Bundesfinanzminister an dieser Debatte teilnehmen können. Dabei hat sich
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4618 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Bohlherausgestellt, daß das von 15.30 Uhr an gerechnet eine Stunde sein sollte.
Der Bundesfinanzminister hat sich darauf eingerichtet, und er war auch von 15.30 bis 16.45 Uhr hier im Hause anwesend.
Sie wissen,
daß die Verschiebung nicht vom Bundesfinanzminister zu verantworten ist, sondern
in der Freiheit und im Belieben dieses Hauses liegt.
Denn wir kamen heute morgen nicht mehr dazu,
den Tagesordnungspunkt Arbeitslosigkeit abzuhandeln, sondern wir haben nach Beendigung der Fragestunde um 15.30 Uhr damit begonnen.
Deshalb verstehe ich Ihre Aufregung gar nicht. Der Bundesfinanzminister war zu dem Zeitpunkt, als Sie es wünschten, anwesend.
Er hat jetzt ab 17 Uhr — —
— Aber Herr Kollege Jahn, jetzt bitte ich Sie. Ich habe es Ihnen auch gesagt. Der Herr Finanzminister hat Ihnen auch ausrichten lassen,
in welcher terminlichen Situation er ist.
Er hat ab 17 Uhr
— Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen — Termine in seinem Hause.
Es sind auswärtige Gäste — das habe ich Ihnen auch gesagt, Herr Kollege Jahn — für diesen Zeitpunkt bestellt.
Er hat sich darauf eingestellt. Ich glaube, das ist auch zu respektieren. Bisher wurde das auch immer respektiert.Anwesend ist der zuständige und federführende Wohnungsbauminister.
Es ist auch anwesend der zuständige Parlamentarische Staatssekretär aus dem Bundesfinanzministerium, Dr. Häfele. Deshalb kann ich nicht sehen, daß Ihr Antrag hier heute gerechtfertigt ist.
Wir lehnen ihn ab. Ich verbinde damit, Herr Präsident, den Antrag gemäß § 45 der Geschäftsordnung und bitte gleichzeitig gemäß unserer Geschäftsordnung die Abstimmung dazu für 20 Minuten auszusetzen.
Damit, Herr Kollege Jahn, werde ich das tun, was ich Ihnen auch vorher schon angekündigt habe.
Wir werden damit das tun, was in dieser Situation geboten und angemessen ist, nämlich Ihren Antrag ablehnen.
Meine Damen und Herren, der Antrag ist von einer Fraktion unterstützt und damit Rechtens. Es könnte nur noch so eine Überbrükkung ermöglicht werden, daß der Wunsch des Herrn Parlamentarischen Geschäftsführers Bohl von der SPD akzeptiert wird
und eine Unterbrechung von 20 Minuten stattfindet.
Es wäre nur durch gegenseitige Einvernahme möglich. — Diese Einvernahme ist nicht gegeben.
— Herr Bohl, ich kann Ihnen das Wort zur Geschäftsordnung nicht mehr geben.Diese Einvernahme ist nicht gegeben. Daher komme ich zur Abstimmung.
— Herr Kollege Bohl, der Antrag gemäß § 42 ist gestellt. Über diesen Antrag muß ich abstimmen lassen und werde es auch tun.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4619
Vizepräsident Stücklen— Beschlußfähigkeit ist etwas anderes. Sie wollten die Aussetzung um 20 Minuten haben. Die Feststellung der Beschlußfähigkeit können Sie immer beantragen. Also, ich lasse abstimmen, und dann können Sie die Beschlußfähigkeit bezweifeln.
— Herr Abgeordneter Bohl, glauben Sie mir, ein bißchen habe ich die Geschäftsordnung schon mal durchgelesen.
Wenn ich abstimmen lasse und Sie der Meinung sind, daß die Mehrheit des Plenums nicht gegeben ist, können Sie diesen Antrag stellen.
Und ich werde dann feststellen, ob es zutrifft, verbunden mit einer Abstimmung.
— Es tut mir leid, Herr Abgeordneter Bohl.Ich komme zur Abstimmung. Wer für den Antrag der SPD auf Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung — hier: des Finanzministers — ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle fest, daß das erste die Mehrheit war.
— Einen Augenblick, meine Damen und Herren!
Gibt es Widerspruch von seiten der Schriftführer, daß das erste die Mehrheit war? —
Nein.Und Sie beantragen jetzt, die Beschlußfähigkeit im Zusammenhang mit einer Abstimmung festzustellen?— Das bedeutet, meine Damen und Herren, Hammelsprung.
Ich bitte also, das Signal Hammelsprung zu geben.Meine Damen und Herren, ich darf bitten, daß alle Stimmberechtigten — das sind alle, die in diesem Saal sind, mit Ausnahme der Stenographen — den Saal verlassen. — Ich bitte ferner, daß sich die Schriftführer abwechselnd an den Türen postieren. Der Obmann der Schriftführer wird das organisieren. —Meine Damen und Herren, die Zählung kann noch nicht beginnen, da wir Abgeordnete nicht nur im Nahbereich des Plenarsaals haben, sondern auch im Hochhaus Tulpenfeld und im Hotel Tulpenfeld, so daß hier noch mindestens zehn Minuten abgewartet werden muß, bis die Abgeordneten davon verständigt sind, daß eine Zählung durch Hammelsprung stattfindet.Damit es keine Zweifel gibt: Der Versuch, in der Abstimmung über den Antrag eine Mehrheit zustande zu bringen, wird durch den Antrag, die Beschlußfähigkeit feststellen zu lassen, bezweifelt, und deshalb muß jetzt mit Ja, Nein oder Enthaltung abgestimmt werden. Ich wiederhole: Mit der Abstimmung über den Antrag wird jetzt die Feststellung der Beschlußfähigkeit des Hauses verbunden, und daher muß mit Ja, Nein und Enthaltung gestimmt werden.Sollten sich nicht 260 Abgeordnete an der Abstimmung beteiligen, werde ich die Sitzung schließen und für heute abend oder morgen früh eine neue Sitzung ansetzen. Man muß sich also darüber klar sein, was diese Abstimmung durch Hammelsprung bedeutet.Meine Damen und Herren, kann ich mich jetzt draußen im Foyer akustisch verständlich machen? — Ist die Lautsprecheranlage im Foyer in Funktion, und hört man mich dort? — Dann bitte ich doch, daß ein Abgeordneter mit lauter Stimme im Foyer verkündet, daß jetzt abgestimmt wird mit Ja, Nein, Enthaltung. Wenn die Beschlußfähigkeit festgestellt wird — dazu sind 260 Abgeordnete erforderlich — und die Mehrheit für Ja stimmt, dann wird eine Herbeirufung des Finanzministers vollzogen. Wenn mit Nein gestimmt wird, ist dieser Antrag abgelehnt. Das ist jetzt auch mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD und mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/ CSU übereinstimmend so geregelt. —Hat man jetzt draußen verstanden? — Herr Amling, Sie haben doch eine laute Stimme ; sagen Sie das bitte draußen. Wir sind in einem Behelfsplenarsaal, und da funktioniert das nicht so gut wie in einem perfekt ausgebauten Plenarsaal. — Herr Schreiner, auch Sie haben eine laute Stimme, seien Sie so gut. — Ist Herr Kleinert von der FDP anwesend? Auch der hat eine laute Stimme. — Er ist leider nicht anwesend.Meine Damen und Herren, jetzt fragen Sie bitte, ob die Parlamentarischen Geschäftsführer meinen, alle Abgeordneten, die an dieser Abstimmung teilnehmen wollen, seien verständigt. Fragen Sie bitte einmal. —Kann ich mit der Abstimmung beginnen? — Dann die Türen zu! — Bitte schön, die Zählung kann beginnen.Ich frage die Schriftführer an den Türen, ob die Zählung als abgeschlossen betrachtet werden kann.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß gebührend Zeit gegeben wurde, an dem Hammelsprung teilzunehmen.
Ich bitte, die Türen zu schließen.Zur Beschlußfähigkeit ist die Anwesenheit von 260 Abgeordneten erforderlich. Es haben aber nur 252 Abgeordnete am Hammelsprung teilgenommen. Damit ist die Beschlußfähigkeit nicht gegeben.
Ich frage auf kurzem Dienstwege, ob die Parlamentarischen Geschäftsführer einen Vorschlag für die
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4620 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Vizepräsident StücklenDauer der Pause zwischen dem Ende der jetzigen und dem Beginn der nächsten Sitzung zu machen haben. — Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Präsident, ich bitte die Sitzung jetzt zu beenden und nach fünf Minuten eine neue Sitzung einzuberufen.
Einverstanden? — Gut. Dann schließe ich die Sitzung und berufe die neue Sitzung für 17.30 Uhr ein.