Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf zunächst mitteilen, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung die verbundene Tagesordnung erweitert werden soll. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkteliste aufgeführt:
1. Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington
2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. April 1986 bei Verabschiedung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes — Drucksache 11/1866 —
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein, Frau Blunck, Frau Faße, Hiller , Müller (Pleisweiler), Schäfer (Offenburg), Frau Schmidt (Nürnberg), Bindig, Brück, Dr. Hauchler, Dr. Holtz, Frau Luuk, Frau Dr. Niehuis, Schanz, Schluckebier, Toetemeyer, Lennartz, Dr. Hauff, Frau Conrad, Kiehm, Müller (Düsseldorf), Reuter, Dr. Schöfberger, Schütz, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Finanzmittel der DEG zum Bau eines Touristik-Hotels in Dalyan (Türkei) — Drucksache 11/1872 —
4. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur schriftlichen Kritik des Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern vom 9. Februar 1988 an Vorhaben der Bundesregierung
5. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Kabinettbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen — Drucksache 11/1856 —
Des weiteren ist interfraktionell vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 2 a, b und d sowie Tagesordnungspunkt 3 abzusetzen. Für Tagesordnungspunkt 2 c ist eine Beratungszeit von 30 Minuten vorgesehen; daran anschließend soll Tagesordnungspunkt 14 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Kleinert hat angekündigt, daß er einen Antrag auf Erweiterung der heutigen Tagesordnung stellen will. Ich schlage vor, Herr Kollege Kleinert, daß wir über diesen Antrag nach der Beratung im Ältestenrat hier beraten, denn die Tagesordnung am heutigen Vormittag ist so gedrängt, daß wir jetzt keine Geschäftsordnungsdebatte führen sollten.
Somit rufe ich jetzt den ersten Tagesordnungspunkt auf,
nämlich Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung:
Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1869, 11/1870, 11/1874 und 11/1875 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung drei Stunden vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Zur Regierungserklärung erteile ich dem Herrn Bundeskanzler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen sind eine Reihe wichtiger außenpolitischer Weichenstellungen erfolgt:Wir haben dem europäischen Einigungswerk durch unsere Vereinbarungen mit Frankreich sowie durch die Entscheidungen des Europäischen Rates weit in die Zukunft reichende Impulse verliehen.Wir haben den europäischen Pfeiler des Atlantischen Bündnisses durch die Verabschiedung der „WEU-Plattform Europäische Sicherheitsinteressen" gestärkt, und wir werden nächste Woche auf dem NATO-Gipfel die Einheit und die Geschlossenheit der Allianz bekräftigen.Mit dem Besuch des sowjetischen Außenministers in Bonn und meinem Besuch in Prag haben wir unsere Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes weiterentwickelt.Meine Damen und Herren, unsere Außenpolitik orientiert sich dabei an einem klaren Konzept: Wir verstärken kontinuierlich unsere Bindungen an unsere europäischen und atlantischen Partner und vergrößern damit unsere Möglichkeiten, konstruktive
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4152 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Bundeskanzler Dr. KohlBeziehungen mit den Staaten des Warschauer Paktes zu entwickeln.Für die deutsche Außenpolitik gibt es deutliche Prioritäten:Erstens. Wir sind fest verankert in unserem Bündnis. Genauso, wie wir Anfang der 80er Jahre Schrittmacherdienste für die Erhaltung der gemeinsamen Sicherheit geleistet haben, tun wir dies heute für die Fortsetzung des Prozesses der Abrüstung und Rüstungskontrolle.Zweitens. Wir arbeiten — gerade in unserer Verantwortung als Präsidentschaft der EG — konsequent auf das Ziel der Europäischen Union hin. Dabei ist die deutsch-französische Zusammenarbeit Motor der europäischen Einigung.Drittens. Wir verlieren, wenn wir mit unseren Partnern am Europa von morgen bauen, nicht das ganze Europa, seine kulturelle und geschichtliche Einheit, aus dem Blick. Gemeinsam mit unseren Freunden, Partnern und Verbündeten zielt unsere Politik darauf, die unnatürliche Trennung unseres Kontinents zu überwinden und die Grenzen zwischen Ost und West durchlässiger zu machen.Nur auf der Grundlage einer festen Verankerung im Westen und mit dem Rückhalt bei unseren Verbündeten können wir auch eine aktive Deutschlandpolitik betreiben. Die Überwindung der deutschen Teilung ist Auftrag unserer Geschichte.
Wir wollen als Deutsche mit unseren Freunden und Nachbarn versuchen, Trennendes in Europa und damit auch Trennendes in Deutschland zu überwinden. Jeder weiß: Die Teilung Deutschlands ist immer auch die Teilung Europas. Seit Konrad Adenauer war es die Politik der Bundesrepublik Deutschland, die deutsche Frage im europäischen Rahmen zu sehen. Diese Erkenntnis führt dazu, Lösungen nur im Rahmen einer europäischen Friedensordnung zu suchen. Wir werden unser Ziel der Freiheit und Einheit Deutschlands gemäß dem Auftrag des Grundgesetzes beharrlich verfolgen. Wir müssen aber zugleich mit Geduld und Zähigkeit weiter daran arbeiten, das heute für die Menschen in Deutschland Machbare zu erreichen.In diesen Zusammenhang gehört unsere Europapolitik, die durch den Erfolg des Europäischen Rates am 11. und 12. Februar neue Kraft gewonnen hat.Ein Jahr, nachdem die EG-Kommission ihr ehrgeiziges Programm zur künftigen Ausrichtung der zentralen Gemeinschaftspolitiken vorgelegt hat, hat der Europäische Rat mit seiner Einigung über das sogenannte Delors-Paket für die Zukunft Europas wichtige Entscheidungen getroffen. Wir wollen alles daran setzen, diese Entscheidungen möglichst rasch umzusetzen.Durch die Reform der Strukturpolitik wird der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt der Gemeinschaft entscheidend gestärkt. Mit der Verdoppelung der Mittel für die Strukturfonds übt die Gemeinschaft Solidarität mit den Menschen in den ärmeren und strukturschwachen Regionen Europas.Auch für die Umstellung der Industrieregionen mit erheblichen Strukturproblemen werden die Mittel um zwei Drittel aufgestockt. Davon werden auch Gebiete in der Bundesrepublik Deutschland profitieren.
Meine Damen und Herren, ein funktionierender Binnenmarkt ist nur dann zu erreichen, wenn auch die strukturell rückständigen Regionen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und das Wohlstandsgefälle zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten verringert wird. Dies ist ein notwendiger Beitrag dafür, das Wohlstandsgefälle zwischen den Mitgliedstaaten Schritt für Schritt abzubauen und mehr soziale Gerechtigkeit und Ausgleich in einem gemeinsamen Binnenmarkt zu erreichen.
Mit dieser Politik, meine Damen und Herren, entbindet die Gemeinschaft keineswegs die einzelnen Mitgliedstaaten von ihrer Verantwortung für unerläßliche eigene Anstrengungen. Sie will und muß aber erreichen, daß alle Regionen Europas an den Vorteilen des Binnenmarktes teilhaben können.Wir haben auch der europäischen Landwirtschaft eine klare und verläßliche Zukunftsperspektive gegeben. Unser Ziel ist es, Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren. Unbegrenzte Überschußproduktionen sind nicht hinnehmbar.Diese notwendigen Korrekturen, meine Damen und Herren, fordern Opfer von allen Landwirten in der Gemeinschaft, auch von den deutschen Bauern. Wir haben uns deshalb mit allem Nachdruck gegen überzogene Forderungen gewehrt.Bei allen unausweichlichen Opfern waren wir nicht bereit, unzumutbare Belastungen zu akzeptieren. Unsere Landwirte haben wie alle Bürger ein Recht auf Berechenbarkeit der Politik und auf Sicherung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse.
Es war daher entscheidend, daß wir erreicht haben, das Risiko von Preissenkungen zu begrenzen und darüber hinaus mit der EG-weiten Flächenstillegung ein wirksames Instrument zur Marktentlastung zu schaffen. Die Bauern werden in Zukunft eine echte Alternative zur Einkommenssicherung haben.
Wir haben damit in der Agrarpolitik einen auch für unsere Landwirtschaft vertretbaren Neuanfang gemacht.Wir wissen, daß die Lage der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin schwierig ist. Wir werden deshalb die notwendigen Maßnahmen treffen, um die nationale Mitfinanzierung der produktionsbegrenzenden Schritte sicherzustellen.
Dies gilt insbesondere für die Flächenstillegung unddie Einstellung der landwirtschaftlichen Tätigkeit.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4153
Bundeskanzler Dr. KohlDie Bundesregierung setzt bei dieser Politik auch auf die konstruktive Mitwirkung der Bundesländer.Herr Präsident, meine Damen und Herren, darüber hinaus haben wir in Brüssel auch die Konkretisierung der künftigen Ausgestaltung des 2 %igen Mehrwertsteuerausgleichs erreicht. Dieser wird künftig als Beihilfe in produktionsunabhängiger Weise über die Fläche gewährt werden.Zugleich haben wir die Finanzierung der Gemeinschaft bis 1992 auf eine realistischere und, wie ich glaube, gerechtere Grundlage gestellt. Alle Mitgliedstaaten müssen in den nächsten Jahren höhere Beiträge leisten. Aber jeder weiß, daß Europa — dabei geht es auch um die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland — nicht zum Nulltarif zu haben ist. Es mußte aber auch alles getan werden, um eine gerechtere Lastenverteilung zu erreichen.Der Europäische Rat hat sich daher auf ein zusätzliches Finanzierungsinstrument verständigt, das stärker am relativen Wohlstand der Mitgliedstaaten orientiert ist. Die neue, sogenannte vierte Einnahmequelle wird am Bruttosozialprodukt ausgerichtet. Für uns bedeutet dies, daß auf uns 1988 eine zusätzliche finanzielle Belastung von etwa 4 Milliarden DM und 1992 von ca. 10 Milliarden DM zukommen wird.Wir dürfen aber den Blick nicht auf die finanziellen Lasten verengen. Wir sollten immer auch daran denken, daß es darum geht, unsere Zukunft und die unserer Volkswirtschaft zu sichern und unsere Exportchancen zu erhalten. Über 50 % der Exporte der Bundesrepublik Deutschland gehen heute in die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Diese Exporte sichern jeden fünften Arbeitsplatz bei uns.
— Meine Damen und Herren, daß Sie hier im Hause sitzen und sich für diese Arbeit nicht interessieren, ist allgemein bekannt, aber die Art und Weise, wie Sie die Debatte gestalten, ist völlig unerträglich.
Es sind die einfachsten Umgangsformen, nicht nur des Parlamentarismus, die hier nicht mehr geübt werden.Meine Damen und Herren, die Gemeinschaft hat sich in den letzten Jahren zu einer Zone wirtschafts- und währungspolitischer Stabilität entwickelt. Diese Rahmenbedingungen sind gerade für unsere exportorientierte Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Dies zeigte sich auch in den Turbulenzen der Wechselkurse an den Börsen im letzten Herbst.Mit den Entscheidungen von Brüssel hat die Gemeinschaft ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Sie wird durch diese Entscheidungen auch ihrer Verantwortung gegenüber der Weltwirtschaft gerecht. Die Neuorientierung der Agrarpolitik ist auch ein Beitrag zur Entlastung der Weltagrarmärkte. Europa kann nunmehr zu Recht erwarten, daß unsere Welthandelspartner diesem Beispiel folgen. Damit haben wir auch ein deutliches Zeichen an die Adresse unserer amerikanischen Freunde gesetzt. Unsere Schritte, die Überproduktion einzudämmen, und auch die Ablehnung der Fettsteuer sind ein Appell an denamerikanischen Kongreß, von protektionistischen Maßnahmen Abstand zu nehmen.Die Beschlüsse über das Delors-Paket bewirken zugleich einen kräftigen Impuls für die Wirtschaft der Gemeinschaft. Sie stärken die Wirtschaftskraft der strukturschwachen Regionen. Sie tragen zu mehr Stabilität in Europa bei, zu mehr Wachstum und damit auch zu mehr Beschäftigung.Die Gemeinschaft, meine Damen und Herren, hat nunmehr den Rücken frei für die Verwirklichung des Binnenmarktes bis 1992. Wir wollen alles daransetzen, auf dem nächsten Europäischen Rat in Hannover entscheidende Fortschritte zu erreichen. Unsere wichtigsten Vorhaben in den nächsten Monaten sind insbesondere: die vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs; der weitere Abbau der Handelshemmnisse, d. h. die Angleichung unterschiedlicher nationaler Normen, Standards und technischer Anforderungen; die Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte, insbesondere im Fernmeldebereich und bei Dienstleistungen; die gegenseitige Anerkennung von Diplomen; die weitere Harmonisierung der Verkehrspolitik, um zu einem gemeinsamen Verkehrsmarkt zu kommen, der allen Beteiligten gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen bietet.Meine Damen und Herren, die Verwirklichung des Binnenmarktes bis 1992 stellt eine Herausforderung dar, die mit der Entstehungsphase der Europäischen Gemeinschaft vor Jahrzehnten vergleichbar ist. Der Binnenmarkt verlangt von allen Volkswirtschaften, auch von uns, erhebliche Anpassungen. Er ist aber für die ganze Gemeinschaft unverzichtbare Basis, um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können. Auch wenn uns dies in manchen Einzelbereichen — auch hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland — schwerfällt, müssen wir, um die Zukunft des Landes zu sichern, diese Chance nutzen.
Es gilt in den kommenden Monaten, den Schwung im Integrationsprozeß zu erhalten. Nur eine dynamische und in sich gefestigte Gemeinschaft hat die Fähigkeit, maßgeblich zur Lösung der drängenden wirtschaftlichen, sozialen und auch außen- und sicherheitspolitischen Probleme der Gegenwart und der Zukunft beizutragen. Der Binnenmarkt wird seine Dynamik nur entfalten können, wenn wir unsere Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik stärker aufeinander abstimmen. Mit einem Satz: Wir stehen hier an einer Wegscheide. Der Binnenmarkt und das Jahr 1992 markieren für die Bundesrepublik Deutschland die wirtschaftliche Chance für die nächsten Jahrzehnte.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß wir das Ziel der politischen Einigung Europas nur dann erreichen können, wenn wir den Binnenmarkt und langfristig die europäische Wirtschafts- und Währungsunion verwirklichen. Erst das macht die Entwicklung zur Europäischen Union unumkehrbar.Meine Damen und Herren, diese Ergebnisse und Beschlüsse des Europäischen Rates sind auch in Washington aufs aufmerksamste registriert worden. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben in der
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4154 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Bundeskanzler Dr. KohlTat ein großes Interesse an einem starken europäischen Partner.Mein Besuch in Washington fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem wichtige außenpolitische und außenwirtschaftliche Signale für die Zukunft gestellt wurden:Im amerikanischen Senat läuft das Ratifikationsverfahren für den INF-Vertrag. Der Zeitpunkt, unsere — und die europäische — Unterstützung für dieses Vertragswerk in die Beratungen einzubringen, war sehr günstig.Der Vermittlungsausschuß des Kongresses behandelt gegenwärtig das neue US-Außenhandelsgesetz, die Trade Bill. Die vom Senat und vom Repräsentantenhaus bereits verabschiedeten Vorlagen spiegeln protektionistische Tendenzen wider. Der Erfolg des EG-Gipfels in Brüssel war in meinen Gesprächen mit Mitgliedern beider Häuser ein wichtiges Argument, um nachdrücklich vor weiteren Beschränkungen des freien Welthandels zu warnen.Außenminister Shultz stand während meines Besuches am Vorabend seines Moskau-Besuches. Für mich war dies eine gute Gelegenheit, ihm auch unsere besonderen deutschen Wünsche mit auf den Weg zu geben. Insbesondere geht es uns darum, Berlin bei all den Entwicklungen der nächsten Zeit in den Gesamtprozeß der West-Ost-Beziehungen voll einzubeziehen.
Nächste Woche steht ein Gipfeltreffen der NATO bevor. Deshalb ging es mir bei meinen Gesprächen in Washington selbstverständlich auch darum, die künftige Politik unseres Bündnisses eng abzustimmen. Im Mittelpunkt stand das zu erarbeitende Gesamtkonzept der Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle, wobei wir vom Brüsseler Gipfel insbesondere Anstöße für die Abrüstung im konventionellen Bereich erwarten.In meinen Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten, mit Außenminister Shultz und Finanzminister Baker sowie bei der Begegnung mit vielen Mitgliedern des Senats und der Führung des Repräsentantenhauses zeigte sich gerade in diesen Tagen, daß unser Wort in Washington großes Gewicht hat:Wir werden geschätzt als verläßlicher Freund und vertrauenswürdiger Verbündeter. Unser Bekenntnis zur existentiellen Verbundenheit zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland wird in Washington ohne Einschränkung erwidert.Auf unsere Argumente für die Ratifikation des INF-Vertrages wurde gerade deshalb besonders gehört, weil wir — die Bundesrepublik Deutschland — ja 1983 durch die Tat bewiesen haben, daß wir auch zu Opfern für die gemeinsame Sicherheit bereit waren, als die Umstände dies erforderten.
Mit der gleichen Entschlossenheit, mit der wir danachganz maßgeblich zum Zustandekommen des Vertrages beigetragen haben, treten wir heute entschieden für den Fortgang des Rüstungskontrollprozesses ein.
Gestärkt durch den Erfolg des Brüsseler EG-Gipfels konnten wir auch — wie ich glaube, in überzeugender Weise — unserer Rolle als EG-Präsidentschaft auf dem schwierigen Feld der transatlantischen Handelsbeziehungen gerecht werden. Wir haben damit einen Beitrag zum Zusammenhalt des Bündnisses insgesamt geleistet.Meine Damen und Herren, ein langfristig sehr wichtiges Ergebnis meines Besuches in Washington ist die Gründung des Deutsch-Amerikanischen Rates für Jugendaustausch. Der amerikanische Präsident und ich haben damit unsere gemeinsame Initiative, die wir während meines letzten Besuches in Washington im Oktober 1986 ergriffen hatten, erfolgreich abgeschlossen.Nunmehr ist der Weg frei, den Jugendaustausch zwischen unseren beiden Ländern zu intensivieren. Unser gemeinsames Ziel ist es und muß es bleiben, die deutsch-amerikanische Freundschaft gerade auch im Bewußtsein der nachwachsenden Generation zu verankern.
Meine Damen und Herren, ein wichtiges Thema in den Gesprächen mit dem Präsidenten war auch die Berlin-Initiative von Präsident Reagan. Ich habe die Zusage der Bundesregierung bekräftigt, im Interesse der Berliner alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um zu einem Erfolg dieser Initiative beizutragen. Ich habe ferner den Präsidenten und die Führung von Senat und Repräsentantenhaus gebeten, den Deutsch-Amerikanischen Tag, den Präsident Reagan erstmals für den 6. Oktober 1987 in Anwesenheit des Herrn Bundestagspräsidenten proklamiert hat, zu einer ständigen Einrichtung werden zu lassen. Wir wünschen, daß die Tradition der deutsch-amerikanischen Beziehungen, die ja schon durch viele Jahrhunderte währt, an diesem Tag in einer besonderen Weise gewürdigt wird.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, Fragen der gemeinsamen Sicherheit, der Abrüstung und der Rüstungskontrolle standen im Mittelpunkt aller meiner Gespräche in Washington. Dabei ergab sich eine breite Übereinstimmung sowohl in der Einschätzung der Lage nach dem INF-Abkommen als auch hinsichtlich der künftigen Politik unseres Bündnisses.Wir haben unser Bekenntnis zu der mit dem Namen Harmel verbundenen Bündnispolitik bekräftigt: Auf Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit bieten wir den Staaten des Warschauer Paktes intensiven Dialog und, wo immer möglich, breite und gute Zusammenarbeit an.Vorrangig ist jetzt die Notwendigkeit, das Gesamtkonzept des Bündnisses für Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle dynamisch weiterzuentwikkeln. Hierzu erwarten wir Impulse auch vom bevorstehenden NATO-Gipfel.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4155
Bundeskanzler Dr. KohlIm Rahmen dieses Gesamtkonzepts und angesichts der Fortschritte bei den Wiener Mandatsgesprächen wollen wir jetzt den Schwerpunkt vor allem auf konventionelle Rüstungskontrolle legen. Hierzu wird die Erklärung der Staats- und Regierungschefs auf dem NATO-Gipfel in Brüssel weiterführend Stellung beziehen.Der amerikanische Präsident und ich waren uns einig in der Einschätzung, daß die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Paktes gerade nach dem INF-Vertrag das zentrale Problem der Sicherheit unseres Bündnisses ist. Wir wollen deshalb Generalsekretär Gorbatschow beim Wort nehmen mit einem Verhandlungskonzept, das durch asymmetrische Reduzierungen die Überlegenheit des Warschauer Paktes abbaut. Durch Beschränkungen für Großgerät und für die Dislozierung der Streitkräfte soll ihm die Fähigkeit zum Überraschungsangriff und zur raumgreifenden Offensive genommen werden. Gleichzeitig sollen strikte Kontrollen — einschließlich Vor-Ort-Inspektionen — angestrebt werden. Wir sind bereit, bei der Entwicklung dieses Verhandlungskonzepts im Bündnis als Bundesrepublik Deutschland auch Schrittmacherdienste zu leisten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich habe mich bei meinen Gesprächen im Kongreß für die Ratifizierung des INF-Vertrages ohne Wenn und Aber eingesetzt. Keiner meiner Gesprächspartner in Washington — weder in der Regierung noch im Parlament — kann die Bundesrepublik Deutschland für Gegenargumente in Anspruch nehmen. Ich bin allerdings — dies möchte ich hier noch als ein positives Zeichen weitergeben — aus Washington zurückgekommen mit der Überzeugung, daß der Senat den Vertrag in absehbarer Zeit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit und, wie ich hoffe, ohne Zusätze billigen wird.Herr Präsident, meine Damen und Herren, die START-Verhandlungen mit der Sowjetunion werden von der amerikanischen Regierung energisch fortgesetzt. Die Ergebnisse des jüngsten Treffens von Außenminister Shultz und Außenminister Schewardnadse sowie ihre Vereinbarung, bis zum nächsten Gipfeltreffen monatlich zusammenzukommen bestätigen dies.Ich habe in Washington ausgeführt, daß die 50%ige Verminderung der strategischen Offensivwaffen der Großmächte auch im europäischen Sicherheitsinteresse liegt, weil dies eine auch auf Europa zielende Bedrohung drastisch vermindert und den Rüstungskontrollprozeß konsequent fortsetzt.Hinsichtlich der chemischen Waffen habe ich erneut die Bestätigung erhalten, daß die Vereinigten Staaten weiterhin konsequent auf ein weltweites, überprüfbares Verbot chemischer Waffen hinarbeiten und vor allem daß meine Vereinbarung mit Präsident Reagan aus dem Jahre 1986 über den Abzug der Altbestände aus unserem Land bis 1992 ohne Wenn und Aber gilt.
Meine Damen und Herren, im Vorfeld meines Besuches wurden in der öffentlichen Diskussion immerwieder zwei Themen als Quelle möglicher transatlantischer Mißverständnisse und Konflikte herausgestellt. Nach Abschluß meiner Gespräche in Washington kann ich heute feststellen:In der Frage der nuklearen Flugkörpersysteme der Großmächte mit Reichweiten unter 500 km wurde die Position unseres Bündnisses — so wie in Reykjavik und Brüssel festgeschrieben — bestätigt: Im Zusammenhang mit der Herstellung konventioneller Stabilität in Europa und der weltweiten Beseitigung chemischer Waffen sollen auch diese Systeme mit dem Ziel gleicher Obergrenzen reduziert werden. Der NATO-Gipfel wird dies erneut bestätigen.Unsere Forderung, daß es keine isolierten Entscheidungen über einzelne Waffensysteme geben darf, traf auf viel Verständnis.
Mit meinen Gesprächspartnern war ich darin einig, daß sich unser Bündnis jetzt auf ein Gesamtkonzept der Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle konzentrieren muß und daß die fälligen Entscheidungen nur im Rahmen dieses Gesamtkonzepts zu treffen sind.Ebensowenig spielten strategische Studien über regional begrenzbare Konflikte oder über den Abzug amerikanischer Streitkräfte aus Übersee, die in den letzten Wochen und Monaten viel diskutiert worden sind, eine Rolle. Im Gegenteil: Durch den amerikanischen Bundeshaushalt vor die Notwendigkeit von Einsparungen gestellt, hat sich gerade in den Tagen meines Besuchs Verteidigungsminister Carlucci für Einsparungen in den Vereinigten Staaten selbst entschieden. Diese Tatsache sollten wir ausdrücklich würdigen.Der amerikanische Präsident hat dieser Tage derartigen strategischen Studien ja auch erneut eine Absage erteilt, indem er wörtlich erklärte — ich zitiere —: „Unsere Streitkräfte werden in Europa bleiben— eine Garantie dafür, daß unser Schicksal mit ihrem"— d. h. dem der Europäer — „verbunden bleibt. " Wir danken dem amerikanischen Präsidenten für diese erneute Klarstellung.
Im übrigen — ich möchte diese Feststellung gerne vor dem Forum der deutschen Öffentlichkeit treffen — stellte kein politisch verantwortlicher Gesprächspartner in Washington die Grundprinzipien unseres Bündnisses in Frage, die ich noch einmal in diesem Hohen Hause in Erinnerung rufen darf: Einigkeit und Geschlossenheit; Einheit des Bündnisgebietes — es darf keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben —; gerechte Teilung von Lasten, Risiken und Verantwortlichkeiten; das klare Ziel der Erhaltung des Friedens durch gemeinsame Sicherheit für alle.Wir waren uns einig, daß die Brüsseler Ergebnisse den Weg gewiesen haben, nunmehr auch die verbleibenden transatlantischen Meinungsverschiedenheiten in Handels- und Währungsfragen auszuräumen. Die Stabilisierung dieser Beziehungen ist eine nicht zu unterschätzende Stütze unseres Bündnisses und damit von einer ganz herausragenden Bedeutung für das deutsch-amerikanische Verhältnis.
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4156 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Bundeskanzler Dr. KohlPräsident Reagan und Finanzminister Baker haben mir im einzelnen dargelegt, daß die Maßnahmen der Regierung, das Haushalts- und Außenhandelsdefizit zu bekämpfen, greifen werden und daß sich die amerikanische Volkswirtschaft allmählich von einem konsumorientierten zu einem mehr exportorientierten Wachstum umstellt. Wir waren uns darin einig, daß diese Entwicklung gute Voraussetzungen für ein langfristiges, stabiles Wachstum der Weltwirtschaft insgesamt bietet. Dazu gehören die inzwischen stabilisierten Wechselkurse.Unsere Beiträge in der Bundesrepublik Deutschland — von der Steuerreform über die Haushaltsführung und das Zinsniveau bis hin zu den erhöhten Importen — wurden von der amerikanischen Seite als hilfreich anerkannt. Zur Information sage ich auch gerne — das war ein besonderes Thema — : Die Amerikaner haben Interesse an der Deregulierung der Deutschen Bundespost gezeigt. Das ist ein Thema, das vor allem im Parlament eine große Rolle spielt.Schließlich bin ich mit Präsident Reagan übereingekommen, daß wir im Vorfeld des Weltwirtschaftsgipfels in Toronto die Abstimmung unter den Partnern der Konferenz auf den Schlüsselgebieten der Weltwirtschaft noch intensivieren müssen.Meine Damen und Herren, mit dem Abschluß des Europäischen Rates in Brüssel, mit der Unterzeichnung des deutsch-französischen Abkommens in Paris und mit dem überzeugenden deutsch-amerikanischen Einklang hat unsere Außenpolitik zugleich Stetigkeit und Fortschritt bewiesen. In unseren Gesprächen und Verhandlungen mit führenden Politikern der Sowjetunion und anderer Warschauer-Paktstaaten — wie Bulgarien, Ungarn, Polen oder die CSSR — hat unsere Politik der Verständigung und Zusammenarbeit mit dem Osten zu weiterführenden Ergebnissen geführt. Wir werden und wollen diese erfolgreiche Politik zum Wohle unseres Landes entschlossen fortführen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler neigt seit einiger Zeit hinsichtlich der Themen, zu denen er Regierungserklärungen abgibt oder nicht abgibt, zu einer überaus selektiven Auswahl. Da, wo es für seine Koalition und ihn schwierig werden könnte, weicht er Regierungserklärungen aus und sucht sie fast um jeden Preis zu vermeiden. So war es beispielsweise bei der Frage der Einbeziehung der Pershing-I a-Systeme in das INF-Abkommen oder bei der Südafrikareise seines Beauftragten, des Herrn Strauß, die durch die gestrigen Maßnahmen der südafrikanischen Regierung gegen die Opposition übrigens in einem noch bedenklicheren Licht erscheint.
Da nimmt der Herr Bundeskanzler lieber AktuelleStunden in Kauf, weil dort, anders als bei Regierungserklärungen, nicht abgestimmt werden kann und weil dort niemand Farbe bekennen muß.
Auch heute, Herr Bundeskanzler, war Ihre Auswahl recht selektiv. Über die bitteren Vorwürfe des Herrn Strauß, die zwar in ihrer äußeren Form auch nach unserer Meinung den Vorstellungen von einem fairen Umgang unter Partnern widersprechen, die aber inhaltlich zum größten Teil durchaus berechtigt sind, verlieren Sie hier in Form der Regierungserklärung nicht ein Wort.
Das gehört nach Ihrer Meinung offenbar nicht hier in den Bundestag.Dabei würde es doch die Öffentlichkeit durchaus interessieren, was es denn nun mit der Quellensteuer und der Gewerbesteuer tatsächlich auf sich hat. Es würde die Öffentlichkeit interessieren, ob Herr Stoltenberg tatsächlich schlampig arbeitet. Es würde die Öffentlichkeit interessieren, ob in Ihrer Koalition die rechte Hand wirklich nicht weiß, was die linke tut,
und ob in Ihrer Koalition, Herr Bundeskanzler, immer wieder die Frage nach der politischen Führung gestellt werden muß.
Zu all dem schweigen Sie. Übrigens schweigen dazu hier im Bundestag, wo sie eigentlich reden sollten, auch die politischen Freunde des Herrn Strauß. All die Herren der CSU, die — voran der wackere Herr Waigel —
draußen ihre Kritik so lautstark äußern, tun hier herinnen so, als ob sie nicht bis drei zählen könnten.
Das ist ein ziemlich kümmerliches Schauspiel.
Wir alle — auch Sie, meine Damen und Herren von der Union — fragen häufig, warum eigentlich die Politik so sehr an Vertrauen verliert. Dann sage ich Ihnen: Dafür sind nicht nur Ereignisse wie der Kieler Skandal ursächlich; dafür spielt auch die Schizophrenie eine Rolle, in der Sie sich draußen erbittert bekämpfen und hier herinnen eine Einigkeit vorspielen, von der jeder weiß, daß sie nur vorgetäuscht ist.
Nein, mit der Offenheit ist es bei Ihnen nicht weit her. Sie und der Bundeskanzler reden statt dessen lieber über Themen, die Ihnen weniger heikel, die Ihnen weniger riskant erscheinen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4157
Dr. VogelSie wollen sich auf diese Weise über die jeweils nächste Runde retten. Das mag taktisch gut ausgeklügelt sein; redlich ist es nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Schlag kommt bestimmt; Herr Geißler hier, Herr Strauß dort. Sie werden keine Ruhe bekommen. Wir können uns auf diese Herren verlassen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben sich zum europäischen Sondergipfel in Brüssel geäußert. Wir begrüßen, daß dort ein erneutes Scheitern vermieden werden konnte, daß die Strukturfonds annähernd verdoppelt werden sollen und daß erstmals ein — wenn auch minimaler — Schritt zur Reform der Agrarpolitik getan worden ist. Das ist alles besser als nichts. Wir würdigen Ihren Beitrag und den Beitrag des Außenministers. Wir würdigen vor allem aber auch den Beitrag, den Jacques Delors, der Präsident der EG-Kommission, mit großer Beharrlichkeit und großer Geduld geleistet hat.
Wir werden so wie bisher auch in Zukunft alles unterstützen, was die Einigung Europas voranbringt. Das gilt insbesondere für die Währungsunion, und das gilt ebenso für die Schaffung des Binnenmarktes.Wir sehen jedoch auch die Schattenseiten der Brüsseler Ergebnisse. Zunächst: Die Agrarmisere ist damit keineswegs zu Ende. Die Schere zwischen dem, was die Steuerzahler aufbringen, und dem, was den Bauern in der Bundesrepublik tatsächlich bleibt, öffnet sich auch in Zukunft nach diesen Entscheidungen noch weiter. Das hätte sich nur verhindern lassen, wenn Sie schon viel früher auf der nationalen und auf der europäischen Ebene für produktionsneutrale Einkommensübertragungen, von denen Sie jetzt erfreulicherweise zu sprechen beginnen, eingetreten wären. Das hätte sich nur verhindern lassen, wenn Sie den Bauern die Wahrheit gesagt hätten, statt ihnen immer wieder das Märchen zu erzählen, man könne auf einem völlig verstopften, durch Überschüsse geradezu erstickten Markt ständig steigende Preise gewährleisten. Das ist eine Legende und nicht die Wahrheit.
Das hätte sich auch eher vermeiden lassen, wenn Sie das Klima in Brüssel nicht durch das unsinnige Veto des Jahres 1985 und durch andere Verhandlungsfehler belastet hätten. So mußten Sie den Brüsseler Kompromiß mit einem enormen finanziellen Zugeständnis erkaufen: 4 Milliarden DM mehr noch in diesem Jahr, über 30 Milliarden DM mehr bis 1992. Sie bedienen sich da übrigens eines nicht sehr originellen Tricks. Sie sprechen immer von 10 Milliarden DM bis 1992. Herr Bundeskanzler, Sie wissen ganz genau, im Jahre 1992 werden die Mehrleistungen 10 Milliarden DM betragen, und wenn Sie von „bis 1992" reden, müssen Sie die Jahresfehlbeträge zusammenrechnen, und dann kommen Sie auf über 30 Milliarden DM. SagenSie bitte den Menschen auch in diesem Punkt die Wahrheit. Sie wird ja doch offenbar.
4 Milliarden DM mehr in diesem Jahr, über 30 Milliarden DM mehr bis 1992, das sind gewaltige Summen für einen Haushalt, dessen Defizit nach dem öffentlichen Geständnis, das Herr Stoltenberg am 7. Januar abgelegt hat, bereits 1988 40 Milliarden DM beträgt und in Wahrheit, wie Sie auch wissen, Herr Bundeskanzler, schon deutlich höher liegt. Deshalb hätten wir eigentlich von Ihnen hier in dieser Regierungserklärung eine Antwort auf die Frage erwartet: Wie soll das eigentlich alles finanziert werden? Welche Steuern, Herr Bundeskanzler, wollen Sie zu diesem Zweck wann erhöhen? Sagen Sie das unserem Volk, damit sich unser Volk darauf einstellen kann.
Oder wollen Sie diese enormen Summen wirklich über Schuldenaufnahme bestreiten? Noch im Januar haben Sie mit der Fröhlichkeit, die Ihnen eigen ist, wörtlich erklärt: Es ist das Gütezeichen Ihrer Regierung, daß sie keine Schulden macht. Im Januar: Keine Schulden!
Wenn er wenigstens gesagt hätte: möglichst wenig Schulden. Nein, der große Vereinfacher, er macht keine Schulden, und sein Minister gesteht, daß es in diesem Jahr mindestens 40 Milliarden werden. Halten Sie denn diese Äußerung noch aufrecht?
Glauben Sie wirklich, daß Sie angesichts dieser Haushaltsentwicklung — ich möchte Sie ebenso eindringlich wie ernsthaft fragen — an Ihren Steuerplänen festhalten können?
Es wäre eine befreiende Tat, wenn Sie einen Kassensturz machten und diese verkorksten Pläne,
von denen hier der Vertreter des Freistaats Bayern ständig erklärt, daß sie ein Chaos anrichten — „Chaos" sagt er —, vom Tisch nehmen würde, statt ständig an ihnen herumzudoktern.
Außerdem, Herr Bundeskanzler, wäre es gut gewesen, wenn Sie auf diesem Gipfel auch die Massenarbeitslosigkeit in der Europäischen Gemeinschaft angesprochen hätten. Wir appellieren an Sie, dieses Thema zu einem Schwerpunkt der deutschen Präsidentschaft zu machen. Europa wird nur vorankommen, wenn sich auch die Arbeitnehmer mit der Gemeinschaft identifizieren können und in Europa und
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4158 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Dr. Vogelin der Gemeinschaft mit ihren Sorgen aufgehoben fühlen.
Auf der Tagesordnung — wir hätten gerne ein Wort von Ihnen dazu gehört — bleibt auch die Erweiterung der Entscheidungsbefugnisse des Europäischen Parlaments, und zwar schon deshalb, weil nationale Egoismen im parlamentarischen Prozeß viel leichter eingeschmolzen und viel leichter überwunden werden können als in den Ministerräten, wo diese nationalen Egoismen den Fortgang immer wieder blockieren.Sie haben weiter von Ihrer Amerikareise berichtet und Ihre Positionen zur Abrüstungspolitik dargelegt. Hier gibt es zwischen Ihnen und uns Berührungspunkte. Diese Berührungspunkte sind schon auf der Wehrkundetagung in München deutlich geworden.So treten wir alle — ich meine, das schließt das ganze Haus ohne Ausnahme ein — für die baldige Ratifizierung des INF-Vertrages und für den raschen Abschluß der Verhandlungen über die Halbierung der strategischen Systeme ein.Sie, Herr Bundeskanzler, haben bereits während Ihres Aufenthalts in Washington davon gesprochen, daß Sie hinsichtlich der weiteren Modernisierung zumindest einen Aufschub erreicht haben. Man habe Ihnen in Washington erklärt, daß derzeit kein Entscheidungsbedarf besteht.Zu unserer Überraschung — und das alarmiert uns — hat der amerikanische NATO-Botschafter Mr. Keel, kaum daß Sie hier waren, erklärt, dieser Aufschub gelte eigentlich nur bis zu den Wahlen in Schleswig-Holstein und in Baden-Württemberg.
Herr Bundeskanzler, wir haben diese Äußerung des amerikanischen NATO-Botschafters mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen,
und wir haben zur Kenntnis genommen, daß Sie in Ihrer heutigen Erklärung das Wort Modernisierung überhaupt nicht in den Mund genommen und jede klare Stellungnahme zu diesem Problem vermieden haben.
Sie waren dazu in München auf der Wehrkundetagung ausgesprochen klar; heute waren Sie in diesem Punkt nebelhaft. Das verstärkt unseren Verdacht, daß der amerikanische Botschafter weiß, wovon er redet, wenn er diesen zeitlichen Zusammenhang herstellt.
Wir halten an unserer Position fest. Wir widersprechen der Modernisierung und erst recht der Aufstellung zusätzlicher Kurzstreckenraketen nicht nur für eine vorübergehende Frist, sondern grundsätzlich.
Von den atomaren Gefechtsfeldwaffen hingegen haben Sie in Washington in diesem Zusammenhang offenbar überhaupt nicht gesprochen. Die Modernisierung der atomaren Gefechtsfeldwaffen ist offenbar mit Ihrer Zustimmung bereits in Gang. Wenn das so ist, dann sagen Sie es hier doch bitte. Dann sprechen Sie das doch aus, damit man sich damit auseinandersetzen kann.Auch in der Frage des Abbaus der atomaren Kurzstreckenwaffen und der atomaren Gefechtsfeldwaffen haben Sie sich heute viel zurückhaltender geäußert als vorher etwa auf der Wehrkundetagung. Unser Standpunkt dazu ist unverändert.Unser Endziel sind sowohl hinsichtlich der Kurzstreckenraketen als auch hinsichtlich der Gefechtsfeldwaffen weitere Null-Lösungen.
Wir sagen: Eine dritte und vierte Null-Lösung ist besser als eine zweite Nachrüstung. An diesem Standpunkt werden wir festhalten.
Übrigens hat gerade zu diesen Aspekten Herr Strauß auf der mehrfach erwähnten Wehrkundetagung
eine sehr realistische Einschätzung abgegeben, und auch Herr Kollege Dregger hat sich dazu realistisch geäußert. Ich hätte das gerne auch aus Ihrem Munde hier gehört.
Natürlich sind wir uns des Zusammenhanges bewußt, der zwischen dem Abbau der atomaren Gefechtsfeldwaffen und der konventionellen Abrüstung schon wegen der doppelt verwendungsfähigen Waffen besteht. Aber wir wollen nicht, daß die Verhandlungen über den Abbau der atomaren Waffen hinausgeschoben werden, bis im konventionellen Bereich ein Ergebnis erzielt ist.
Es darf nicht der eine Verhandlungsbereich zur Geisel des anderen Verhandlungsbereiches genommen werden. Sonst blockieren wir sowohl die Verhandlungen auf konventionellem wie auf atomarem Gebiet.
Sie fordern die weltweite Ächtung der chemischen Waffen und unabhängig davon den Abzug der amerikanischen Chemiewaffenbestände aus der Bundesrepublik. Das begrüßen wir. Aber Sie mußten doch in Washington erfahren — und Sie hätten es hier mitteilen sollen — , daß die gegenwärtige Administration heute zum Abschluß eines entsprechenden weltweiten Vertrags weniger bereit ist als noch vor einigen Monaten. Ihr Außenminister weiß doch, warum er ständig gerade an die amerikanische Adresse appelliert, diese Hindernisse für einen baldigen Vertrags-
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Dr. Vogelabschluß auszuräumen. Und Sie wissen doch auch, daß die gegenwärtige Administration mit der Produktion binärer Waffen begonnen hat, hinsichtlich deren der NATO-Oberbefehlshaber dieser Tage erneut verlangt hat, daß sie auch in der Bundesrepublik stationiert werden sollen. Im Interesse der Bundesrepublik sollten wir dem mit dem ganzen Haus geschlossen und gemeinsam entgegentreten. Und wenn das ohne Wirkung bleibt, sollten wir als Zwischenlösung das Projekt einer chemiewaffenfreien Zone in Mitteleuropa zum Gegenstand ernsthafter Gespräche und Verhandlungen im Bündnis, aber auch mit der anderen Seite machen.
Wir freuen uns, daß der von uns entwickelte Begriff der strukturellen Angriffsunfähigkeit — das ist im Deutschen vielleicht ein noch besserer Begriff als die strukturelle Nichtangriffsfähigkeit — , der sich rasch in der internationalen Diskussion eingebürgert hat, nun auch in Ihrem Sprachgebrauch zu finden ist. Bei Herrn Genscher schon seit längerem und ganz ohne Scheu, bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, noch etwas zögerlich, aber immerhin.
— Ihnen ersteinmal „ungenügend" , auf Anhieb, Herr Seiters.
Bei dem Bundeskanzler nehme ich auf die Noten Bezug, die ihm Herr Strauß fast täglich erteilt.
Herr Strauß kennt ihn doch noch viel besser als ich; der weiß doch, wenn er ihn benotet, wovon die Rede ist.
Wollen Sie es schriftlich? Herr Waldenfels wird doch hier sicher das Wort ergreifen, und er wird all das, was Sie draußen austragen, hier noch zur Sprache bringen. Sie sind doch für offene Diskussionen. Lernen Sie erst einmal Glasnost von Herrn Gorbatschow, bevor Sie uns hier Theater vorspielen!
Unter diesem Begriff verstehen wir, daß beide Bündnisse zum überraschenden und tief eindringenden Angriff unfähig werden, zugleich aber die Fähigkeit behalten, die verbleibende Gefahr grenzüberschreitender Angriffshandlungen mit hinreichender Verläßlichkeit abwehren zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es zunächst einer Einigung darüber, was hierfür auf beiden Seiten an Waffen und Verbänden unerläßlich ist. Sodann müssen die Überlegenheiten, die es sicherlich auf der Seite des Warschauer Paktes, auf einzelnen Gebieten aber auch auf unserer Seite gibt, beseitigt und das Gesamtniveau der Rüstungen auf das vereinbarte Maß abgesenkt werden. Dazu bedarf es weitreichender Änderungender Strukturen und der Strategien, etwa des Auseinanderrückens und der Reduzierung gepanzerter Verbände, vor allem in den für den Angriff aus dem Stand geeigneten Gebieten in der Nähe der Bündnisgrenzen.Unser Projekt eines atomwaffenfreien und auch von anderen schweren Waffen weitgehend geräumten Korridors wäre dazu ein wichtiger Zwischenschritt. Ich sage Ihnen voraus: Es wird hier genauso gehen wie bei all unseren anderen Vorschlägen: Sie werden sie zunächst bekämpfen, dann wird zunächst Herr Genscher einen Teil dieser Vorschläge übernehmen, und dann werden Sie uns mit Geißler-Papieren eines Tages den Nachweis zu liefern versuchen, daß dies schon immer Ihre Auffassung sei. So wird es auch hier geschehen.
Wesentlich ist jetzt, daß sich die Allianz alsbald auf ein konkretes Abrüstungskonzept verständigt. Der Westen ist ohnehin gegenüber den Gorbatschowschen Vorschlägen seit fast einem Jahr in Verzug. Es liegt in unserem Interesse, daß wir diese Vorschläge annehmen oder mit konkreten Gegenvorschlägen beantworten. Generalsekretär Gorbatschow hat bewiesen, daß er es aus seinen Gründen ernst meint. Wir sollten am Ernst der westlichen Abrüstungsabsichten keinen Zweifel aufkommen lassen, und die Bundesrepublik, die ja infolge Ihres Zögerns erst in letzter Minute auf die Linie der doppelten Null-Lösungen eingeschwenkt ist, schon gar nicht. Wenn wir dazu, meine Damen und Herren von der Koalition, in diesem Hause in einzelnen Punkten gemeinsame Beiträge zustande bringen, um so besser. Um so stärker wird das Gewicht der Bundesrepublik in die Waagschale f allenHerr Bundeskanzler, zu der gestrigen Montankonferenz haben Sie sich entgegen unserer Erwartung nicht geäußert. Ich gehe dennoch darauf ein, und zwar schon wegen des engen Zusammenhangs, der zwischen dem Brüsseler Sondergipfel und den weiteren Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaft während der deutschen Präsidentschaft einerseits und der weiteren Entwicklung in der Stahlwirtschaft und damit im Ruhrgebiet andererseits besteht. Ich meine darüber hinaus, daß die Menschen, und zwar nicht nur die unmittelbar Betroffenen, mit Recht erwarten, daß wir hier im Parlament die erste Gelegenheit benutzen, um uns mit den Ergebnissen dieser für die Menschen so wichtigen Konferenz zu beschäftigen.
Es war gut, daß diese Konferenz stattgefunden hat. Das, was wir von einem nationalen Stahlausschuß erwarten, ist dort in ersten Ansätzen geleistet worden. Wir begrüßen ausdrücklich, daß die Bundesregierung finanzielle Hilfen und eine Reihe weiterer Maßnahmen für das Ruhrgebiet angekündigt hat. Das gilt für das Sonderprogramm im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Es gilt ebenso für die beabsichtigten zusätzlichen Investitionen der Bundespost, für die Infrastrukturprojekte im Bereich des Verkehrs, des Umweltschutzes und der Berufsausbildung sowie für die
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4160 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Dr. Vogelvon uns stets unterstützte Absicht, dem Duisburger Hafen den Status eines Freihafens einzuräumen und damit dieser besonders schwer geprüften Stadt eine Perspektive, ein Zeichen der Hoffnung für eine positive Entwicklung zu geben. Wir begrüßen das.
Damit hat die Bundesregierung ihre Mitverantwortung für die Menschen an Rhein und Ruhr und für die wichtigste Wirtschaftsregion der Bundesrepublik anerkannt. Sie hat überdies anerkannt — auch das begrüßen wir — , daß es sich bei den Strukturveränderungen, die sich aus den Entwicklungen bei Kohle und Stahl ergeben, nicht um ein regionales, sondern um ein nationales, nein, sogar um ein europäisches Problem handelt.Daß es dazu gekommen ist, verdanken wir dem engagierten Protest der Arbeiter von Rheinhausen
und der ebenso engagierten Solidarität der Menschen in Duisburg und im ganzen Revier,
einer Solidarität, die gestern mit der Menschenkette quer durch das Revier und mit dem Läuten aller Kirchenglocken im Ruhrgebiet eindrucksvoll unter Beweis gestellt worden ist.Wir verdanken dieses Ergebnis aber auch dem beharrlichen Drängen des Landes Nordrhein-Westfalen, seinen konkreten Vorschlägen und seiner Bereitschaft, zusätzlich zu dem, was es schon bisher für die Kohle geleistet hat, weitere Leistungen zu erbringen. Denn das ist doch wohl jedem einsichtig: Ohne die Initiative und das ebenso kooperative wie nachdrückliche Vorgehen des Landes Nordrhein-Westfalen — in diesem Punkt ist es in letzter Minute erfreulicherweise zu einer Kooperation zwischen der Landesregierung und nahezu allen Fraktionen und politischen Kräften gekommen —
und, wie ich hinzufüge, erst recht ohne das Aufbäumen der Menschen im Revier hätte sich nichts bewegt, wäre dieses Ergebnis nicht erreicht worden.
Aber, — das mindert unsere Anerkennung für das Geleistete nicht —, das, was gestern erreicht wurde, darf und kann nicht alles sein. Der ersten Konferenz müssen weitere Begegnungen folgen. Ich höre mit Befriedigung, daß das auch gestern in Aussicht gestellt worden ist. Dennoch fehlt das Gesamtkonzept, an dem sich die Wirtschaft und die öffentlichen Gebietskörperschaften, aber auch die Organe der Europäischen Gemeinschaft bei ihren Entscheidungen orientieren können, das Gesamtkonzept, das die Anstrengungen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bündelt und bewirkt, daß der auch nach unserem Wissen nicht zu vermeidende Abbau von Kapazitäten nicht die Folge isolierter Einzelentscheidungen einanderbekämpfender Unternehmen, sondern das Ergebnis rationaler Abwägung unter allen Beteiligten ist.
Noch fehlt die Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft, den Subventionsmißbrauch zu beenden, faire Wettbewerbsverhältnisse herzustellen und das Quotensystem für drei Jahre festzulegen. Wir begrüßen Ihre Absicht, diese Forderungen in Brüssel zu vertreten. Sie werden zu diesem Zweck mit Herrn Narjes, dem zuständigen deutschen Kommissar, ein sehr ernstes Wort reden müssen. Wir erwarten, daß Sie sich für diese Belange ebenso entschieden einsetzen, wie Sie das seit Jahren für die landwirtschaftlichen Belange tun.
Hier muß das Engagement gleichwertig sein.Noch fehlt die klare Äußerung der Unternehmen, wie sie die Verpflichtung erfüllen wollen, die sie in der Frankfurter Vereinbarung zur Schaffung von Arbeitsplätzen übernommen haben.Noch fehlt weiter eine konkrete Antwort auf die Frage, wie der Zeitraum zwischen dem Abbau bestehender und der Verfügbarkeit neuer Arbeitsplätze auch mit europäischer Hilfe überbrückt werden soll. In der Frankfurter Vereinbarung haben sich die Beteiligten — das ist wohl noch nicht allgemein im Bewußtsein — ausdrücklich verpflichtet — auch die Arbeitgeberseite — , dafür auch den Vorschlag der Gewerkschaft zu berücksichtigen — „berücksichtigen" heißt es im Text — , der die Errichtung von Beschäftigungsgesellschaften vorsieht.Noch fehlt die Bereitschaft — dies wird nicht nur für die weitere Entwicklung des Ruhrgebietes, sondern auch für die weitere Entwicklung aller von dem Strukturumbruch betroffenen Regionen ein zentraler Punkt werden; Herr Albrecht hat ja recht, wenn er auf diesen Punkt verweist — , die Kommunen von den Sozialhilfeleistungen zu entlasten,
die wegen der Dauerarbeitslosigkeit die Finanzkraft der Gemeinden geradezu zerstören. Wir wissen doch alle — Sie wissen es doch auch — : Ohne die finanzielle Fähigkeit der Kommunen, die kommunale Infrastruktur für die Ansiedlung neuer Arbeitsplätze zu schaffen, bleiben alle noch so wohlgemeinten Ankündigungen auf dem Papier. Dies ist das Nadelöhr, durch das all diese Maßnahmen hindurch müssen.Es fehlt schließlich auch noch — das muß ebenfalls ehrlich und klar gesagt werden — eine befriedigende Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Standorts Rheinhausen. Diese Antwort ist noch nicht gegeben.Ich bin dankbar, daß es gestern wohl allgemeine Auffassung war, daß das Ruhrgebiet weder der Bundesrepublik gegenüber noch Europa gegenüber als Bittsteller auftritt. Es muß unterstrichen werden: Das Ruhrgebiet hat sich nach dem Maß seiner Kräfte bisher in beispielhafter Weise selbst geholfen. Und wo es Hilfe erwartet, kann es sich auf den Beitrag berufen, den es in den 50er und 60er Jahren in entscheidender
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Dr. VogelWeise zum wirtschaftlichen Wiederaufstieg der gesamten Bundesrepublik geleistet hat.
Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, die Regierungserklärung hat interessante Gebiete nicht, dafür aber verschiedene andere Gebiete berührt. Durch alle Bereiche zieht sich wie ein roter Faden, daß die Politik der Bundesregierung überall da am konstruktivsten erscheint, wo sie sich unseren Positionen annähert, wo sie von Vorstellungen Abschied nimmt,
die, wie wir in den Zeitungen ja täglich lesen, der rechte Flügel der jeweiligen Koalitionsparteien noch heute vertritt. Wir haben keinen Grund, das zu beklagen, im Gegenteil: Wir fordern Sie auf, sich unseren Positionen noch stärker anzuschließen. Unser Land könnte dadurch nur gewinnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ronneburger.
— Es tut mir leid, Herr Kollege Seiters, es gab ein Mißverständnis.
— Ich bitte um Nachsicht, aber Herr Kollege Dregger war hier nicht gemeldet.
— Meine Damen und Herren, Kollege Dregger ist mir nicht gemeldet worden. Der nächste Redner war der Kollege Ronneburger. Aber es ist das gute Recht der Koalition, eine Änderung zu vereinbaren.
Bitte, Herr Kollege Dregger, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure das, Herr Kollege Ronneburger; mir war das nicht bekannt. Natürlich hätten Sie auch vor mir sprechen können.
Da ich jetzt aber am Pult stehe, will ich meinen Beitrag leisten.Das Thema der Regierungserklärung betrifft die sehr wichtige Gipfelkonferenz der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel und die ebenso wichtige Reisedes Bundeskanzlers nach Washington. Im Gegensatz zu Herrn Vogel möchte ich mich an diese Themen halten — mit einer Ausnahme: Wegen ihrer Bedeutung möchte ich ein Wort zur Ruhrgebietskonferenz sagen, zu der der Bundeskanzler gestern eingeladen hatte.Es war eine gute Konferenz, weil dort nicht nur geredet wurde, sondern weil dort auch konkrete Ankündigungen gemacht worden sind über das, was der Bund zu tun gedenkt. Das Ruhrgebiet kann nicht gesundgeredet werden.
Es muß umstrukturiert werden. Dazu muß es mehr Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern geben
und eine Landesregierung, die so clever, so aktiv und so kreativ ist wie die Landesregierung von BadenWürttemberg, meine Damen und Herren.
Ich hoffe sehr, daß die gestern auf der Ruhrgebietskonferenz gegebenen Anregungen aufgegriffen und verwirklicht werden. Soweit wir dazu beitragen können, wird das geschehen.Nun zum Thema der Regierungserklärung. Der Bundeskanzler hat durch seinen Besuch in Washington Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt, die für die Allianz hätten gefährlich werden können. Durch die Wiederherstellung des Einvernehmens mit den USA, und zwar auf der Grundlage der deutschen Positionen, wie ich mit Befriedigung feststelle, hat der Bundeskanzler zugleich die NATO-Konferenz vom 3. März in optimaler Weise vorbereitet.Ihre Verdienste, Herr Bundeskanzler, um die Europäische Gemeinschaft sind nicht geringer. Als Ratspräsident haben Sie nach dem gescheiterten Gipfel in Kopenhagen die Europäische Gemeinschaft aus einer Sackgasse herausgeführt. Die unter Ihrem Vorsitz getroffenen Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs haben der Europäischen Gemeinschaft eine Zukunftsperspektive gegeben. Für all das danken wir Ihnen. Wir beglückwünschen Sie, Ihren Außenminister, den Kollegen Genscher, und uns alle dazu.
Zur Abrüstungs- und Sicherheitspolitik. Noch auf der Wehrkundetagung in München, die Herr Kollege Vogel erwähnte,
die sich mit dem Thema „Doppel-Null" und seinen Folgen beschäftigte, standen sich zwei Ansichten konträr gegenüber. Amerikaner, Briten und andere forderten die Modernisierung der Kurzstreckensysteme mit Reichweiten unter 500 km jetzt, d. h. ohne das von uns geforderte Abrüstungs- und Sicherheits-
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Dr. Dreggerkonzept, das den strategischen Zweck, die Zahl und die Reichweiten dieser Systeme festlegt.Der Bundeskanzler und ich haben in München den deutschen Standpunkt vertreten. Unsere Position — sie ist dem Hause bekannt — läßt sich wie folgt knapp umreißen:Erstens. Wir lehnen es ab, den Wegfall von Mittelstreckensystemen durch den Aufbau von Kurzstrekkensystemen zu ersetzen,
weil das weder einen strategischen Sinn ergäbe noch die Solidarität im Bündnis fördern könnte.
Zweitens. Wir lehnen es aus den gleichen Gründen ab, nach dem sogenannten Brandmauerkonzept, das auch in München wieder eine Rolle spielte, die Kurzstreckensysteme aus dem Abrüstungsprozeß herauszunehmen. Sie gehören hinein; auch im Kurzstrekkenbereich muß abgerüstet werden.
Das dritte. Auch die dritte Null-Lösung lehnen wir ab. In diesem Punkt unterscheiden wir uns von der SPD und den GRÜNEN. Statt dessen fordern wir die Erarbeitung eines Abrüstungs- und Sicherheitskonzepts der Allianz, so wie es die Außenministerkonferenz der NATO bereits im Juni 1987 auf deutschen Vorschlag hin in Auftrag gegeben hat. Darin müssen die künftige Rolle der atomaren Waffen und ihre Bedeutung für die weitere Strategie der Kriegsverhinderung durch Abschreckung definiert werden. Dieses NATO-interne Sicherheitskonzept soll dann Grundlage sowohl für Modernisierungsentscheidungen, z. B. im Kurz- und vor allem im Mittelstreckenbereich, als auch für Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion sein.Meine Damen und Herren, es ist der große Erfolg des Bundeskanzlers, daß er in Washington für diese deutsche Position breite Zustimmung in der Administration und im Kongreß nicht vorgefunden, sondern gewonnen, erarbeitet hat. Möglich war das nur auf Grund des großen Vertrauens, das Helmut Kohl und mit ihm die Union und die Koalition bei unseren Verbündeten genießen.Das hat seine Gründe. Wir sind verläßlich. Selbst die Zusagen, die der von der SPD gestellte Bundeskanzler Helmut Schmidt der Allianz gemacht hatte, haben wir eingehalten, nachdem Sie, meine Damen und Herren von der SPD, Ihren Bundeskanzler im Stich gelassen hatten.
Meine Damen und Herren, das wirkt nach, auch in der Allianz.
Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, wird nicht das Vertrauen entgegengebracht, das man benötigt, um deutsche Sicherheitsinteressen in der Allianz durchsetzen zu können.
Wären wir nach dem Regierungswechsel Ihrem Rat gefolgt, hätten wir heute bei den landgestützten Mittelstreckensystemen ein Monopol der Sowjetunion, das Sie zuzugestehen bereit waren, aber keinen Vertrag. Das muß auch einmal klargestellt werden!
Trotzdem, Herr Kollege Vogel, übersehe ich nicht — und ich würdige es — , daß Sie und Herr Bahr uns in den letzten Monaten bei der Ablehnung einer Umrüstung auf Kurzstreckensysteme ebenso unterstützt haben wie bei der Ablehnung des Brandmauerkonzepts. Das war auch hilfreich. Nationaler Konsens in Sicherheitsfragen ist immer hilfreich. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sollten sich überlegen, ob Sie nicht auch bei der Ablehnung der dritten Null-Lösung unseren Standpunkt übernehmen können.
Es ist doch klar: Für die dritte Null-Lösung können Sie, Herr Vogel, allenfalls die Unterstützung Moskaus gewinnen, da die dritte Null-Lösung die ganze sowjetische Übermacht an konventionellen Waffen, z. B. an Panzerarmeen, und an chemischen Waffen in Europa wirksam machen würde.In der Allianz könnte eine solche Haltung nur eine Konsequenz haben: die völlige Isolierung der deutschen Regierung,
in Frankreich ebenso wie in den USA. Sie wissen es doch, meine Damen und Herren von der SPD: Wer sich zwischen alle Stühle setzt, hat nicht nur einen unbequemen Platz; er erreicht auch nichts, auch nicht das Mögliche.
Überdenken Sie daher doch noch einmal Ihren Standpunkt! Es läge im deutschen Interesse, wenn Sie als die heutige Opposition Bundeskanzler Helmut Kohl in der Sicherheitspolitik ebenso unterstützen würden, wie wir als damalige Opposition den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt unterstützt haben.
Herr Bundeskanzler, Herr Außenminister, wir erwarten, daß es Ihnen gelingt, die in Washington erreichten Ergebnisse in die Beschlüsse der Allianz einzubringen. Das gilt insbesondere für die Erarbeitung eines Gesamtabrüstungs- und -sicherheitskonzepts der Allianz. Es gilt zum anderen für den Verzicht auf isolierte Entscheidungen über die Abschaffung oder die Modernisierung solcher Waffen. Es gilt für die Bestätigung all dessen, was die Außenministerkonferenz der NATO auf deutschen Antrag hin bereits am 11. und 12. Juni 1987 in Reykjavik beschlossen hat.Noch einen weiteren Punkt der Ergebnisse von Washington, Herr Bundeskanzler, möchte ich unterstreichen. Die amerikanische Seite hat noch einmal die von Ihnen, Herr Bundeskanzler, mit dem amerikanischen Präsidenten getroffene Vereinbarung — wir, die Kollegen Wimmer, Todenhöfer und ich, hatten sie vorbereitet — bestätigt, wonach die chemischen Waffen der USA in Deutschland beseitigt werden, sobald
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Dr. Dreggerdie USA über neue chemische Waffen verfügen, und diese neuen chemischen Waffen der USA nicht in Deutschland stationiert werden.
Meine Damen und Herren, für unser Land an der Militärgrenze zwischen Ost und West mit seiner Überlastung durch Truppen ist diese Entlastung ein ganz wichtiges Zugeständnis, für das ich dankbar bin. Ich freue mich auch, sagen zu können, daß unbeschadet dessen die amerikanische Seite an dem Ziel einer globalen und totalen Beseitigung aller chemischen Waffen festhalten will. Herr Außenminister, ich weiß, daß Sie sich noch einmal dafür eingesetzt haben. Das bleibt unsere Position. Aber darüber, daß wir diese Dinger, die hier sind, vorweg einmal loswerden, bin ich glücklich.Abschließend zum Einvernehmen mit Washington auf der Grundlage der deutschen Positionen: Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, empfinden darüber Genugtuung, welchen Anteil auch immer wir daran haben. Daß wir, daß unsere klare, beharrliche und wohl auch unsere Alliierten beeindruckende Haltung dazu beigetragen haben, wird niemand leugnen. Auch in Zukunft werden wir darüber wachen, daß im Rahmen der Allianz die deutschen Sicherheitsinteressen voll gewahrt bleiben.
Nun zur Europapolitik: Nach dem Scheitern der EG-Konferenz von Kopenhagen war der Erfolg von Brüssel, der unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers als Ratspräsident der EG erzielt wurde, eine Überlebensfrage der Europäischen Gemeinschaft.Ich möchte drei Ergebnisse hervorheben:Erstens. Die Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft wurde für den Zeitraum bis 1992 gesichert, und zwar, Herr Kollege Vogel, in einer Weise, die die deutsche Seite nicht überbelastet. Wir bleiben selbstverständlich der größte Nettozahler, weil wir der wirtschaftlich stärkste Partner der Europäischen Gemeinschaft sind. Das ist gut so; das wollen wir bleiben, auch wenn wir dann den größten Anteil zu zahlen haben; das hängt nun einmal miteinander zusammen.Die Tatsache, daß über 52 % unseres Exports in die Europäische Gemeinschaft und nur 16 % in den Dollarraum gehen, erklärt, warum wir mit den Turbulenzen auf den Währungs- und Finanzmärkten relativ gut fertiggeworden sind.Ich möchte zweitens die Verdoppelung der Strukturhilfen für die ärmeren und die strukturschwachen Regionen der EG hervorheben. Ich finde, das ist nicht nur eine soziale Tat und ein Akt der Solidarität, es ist auch ökonomisch nützlich und politisch klug. Wenn wir schon Entwicklungshilfe außerhalb Europas leisten, dann muß sie uns in Europa selbst als Europäern doch besonders am Herzen liegen.Im übrigen: Die Errichtung des europäischen Binnenmarktes mit der Beseitigung aller Binnengrenzen kann von den ärmeren Staaten Europas nur verkraftet werden, wenn wir ihnen helfen, ihre Strukturschwächen zu überwinden. Daß der europäische Binnenmarkt für uns als der stärksten Wirtschaftsmacht Europas ökonomische Vorteile bringen wird, ist doch garnicht näher zu begründen; das ergibt sich von selbst. Dafür ist das Geld, das wir an Brüssel abgeben, wirklich gut angelegt, meine Damen und Herren.
Ich möchte schließlich die Beschlüsse zur europäischen Agrarpolitik hervorheben. Sie lösen natürlich nicht alle Probleme der Landwirtschaft. Aber ich finde, sie geben der europäischen Agrarpolitik zum ersten Male eine Perspektive, die zu einer Lösung führen könnte. Man kann diese Perspektive nur gerecht bewerten, wenn man sich daran erinnert, daß unsere Bauern anders als Jahrhunderte zuvor nicht mehr gegen den Mangel zu kämpfen haben, sondern gegen den Überfluß, gegen die Produktionsüberschüsse. Nicht mehr die Produktionssteigerung, sondern die Produktionsbegrenzung liegt im öffentlichen Interesse, übrigens vor allem auch im Interesse der ärmeren und vom Hunger bedrohten Entwicklungsländer. Diese können ihre eigene Landwirtschaft nicht entwickeln — worauf es ankommt — , wenn diese von den verbilligten Produkten der Überschußländer kaputtgemacht wird.
Der Kampf um die richtige Weichenstellung in der Agrarpolitik geht seit langem nicht mehr um die Frage, o b die Produktion begrenzt werden soll — das ist inzwischen Allgemeinerkenntnis — , sondern wie sie zu begrenzen ist.
In der Publizistik, in der Wissenschaft, aber auch in der Politik — im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft trifft das vor allem auf Großbritannien und die Niederlande zu; die Verhältnisse und die Interessen sind nun einmal recht unterschiedlich — wird die These gern vertreten, daß Preisfreigaben — d. h. aber drastische Preissenkungen — der einzig gangbare und richtige Weg seien.Dem haben wir uns widersetzt, weil wir die bäuerliche Kulturlandschaft erhalten wollen. Wir haben dafür konstruktive Lösungen geboten. Die erste war die Quotenregelung bei der Milch. Was heißt das? Es war eine Produktionsbegrenzung zum Zwecke der Preisstabilisierung. Das ist gelungen. Aber dieser Weg war bei Getreide und Ölfrüchten nicht gangbar. Auch hier haben wir uns gegen eine einfache Preisfreigabe zur Wehr gesetzt.Gegen erheblichen Widerstand von britischer und niederländischer Seite ist es der deutschen Präsidentschaft — ich nenne hier neben dem Bundeskanzler und dem Außenminister insbesondere den Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle — mit tatkräftiger Unterstützung insbesondere Frankreichs gelungen, die Preisreduzierung zu begrenzen und diese nur bei Überschreiten bestimmter Obergrenzen eintreten zu lassen. Bei Getreide konnte diese Obergrenze auf 160 Millionen Tonnen festgesetzt werden, während insbesondere die britische Premierministerin bis zur letzten Stunde energisch für eine niedrigere Grenze bei 155 Millionen Tonnen eingetreten war.Meine Damen und Herren, das haben wir abwehren können; aber auch das schließt künftige Preisreduzierungen nicht aus. Diese hängen davon ab, ob die Pro-
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Dr. Dreggerduktionssteigerung wie bisher weitergeht oder ob sie begrenzt werden kann.Dazu sollen drei Instrumente beitragen, die insbesondere von deutscher Seite vorgeschlagen und durchgesetzt wurden. Ich nenne Flächenstillegung, Extensivierung der Produktion. Beide Instrumente sind nicht nur agrarpolitisch, sondern auch ökologisch von größter Bedeutung.
Sie können zu Aufforstung, zur Auflockerung der Landschaft mit Hecken und Gehölzen und zur Verminderung des Düngereinsatzes genutzt werden.Die Vorruhestandsregelung für auslaufende Betriebe ist das dritte Instrument. Sie ermöglicht es Betriebsinhabern, die keinen Hofnachfolger haben, ihre Betriebe aufzugeben. Die Grundstücke können entweder der Flächenstillegung oder der Strukturverbesserung für Nachbarbetriebe dienen.Nochmals: Mit diesen EG-Beschlüssen sind die Agrarprobleme nicht gelöst, aber sie bieten gute Ansätze. Sie vernünftig in die Tat umzusetzen, ist jetzt unsere Aufgabe. Wir erwarten dazu auch die aktive Mitwirkung und Unterstützung der berufsständischen Organisationen, insbesondere des Bauernverbandes, sowie der verschiedenen landwirtschaftlichen Marktorganisationen.Wir hoffen, daß die Agrarbeschlüsse der EG — der Bundeskanzler hat eben darauf hingewiesen — , auch in anderen Überschußländern, z. B. in den USA, positiv aufgenommen werden. Das Überschußproblem betrifft ja nicht nur Europa, sondern alle fortschrittlichen Industrienationen, die in der Regel auch die fortschrittlichen Agrarnationen sind. Es hat keinen Sinn, die Agrarproduktion mit öffentlichen Mitteln hochzupushen, sie dann mit öffentlichen Mitteln wieder zu verbilligen, um sie dann an die wenigen Importländer, zu denen die Sowjetunion gehört, weit unter Selbstkosten zu verschleudern. Es gehört zu den Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft, sich mit anderen Überschußländern abzustimmen, um dieser Ressourcenverschleuderung zu begegnen.Ein Wort an die Bauern. Wenn Sie realistisch prüfen, welche Probleme durch die Überproduktion aufgeworfen worden sind und in welchem europäischen Umfeld — ich habe Großbritannien und die Niederlande mit anderen Interessenlagen genannt — wir Agrarpolitik zu machen haben, dann werden Sie meinem Urteil zustimmen, daß keine Regierung für unsere Bauern mehr hätte leisten können, als diese Regierung geleistet hat.
Ich finde, diese Regierung verdient daher auch die Mitwirkung, die Unterstützung und das Vertrauen des bäuerlichen Berufsstandes, damit wir gemeinsam unsere bäuerliche Landwirtschaft über diese Krise hinwegretten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, dem erfolgreichen EG-Gipfel in Brüssel und der erfolgreichen Konferenz in Washington vorausgegangen war der Besuch des Bundeskanzlers in Paris aus Anlaß der 25jährigen Wiederkehr der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages zwischen Adenauer und de Gaulle. Bei dieser Gelegenheit wurden Verträge unterzeichnet, die unsere Beziehungen zu Frankreich weiter verfestigen. Sie betreffen vor allem den deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat und den deutsch-französischen Wirtschafts- und Finanzrat.Auch die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen stärkt unsere Position im westlichen Bündnis. Sie gibt unserem Lande Sicherheit und zugleich Rückhalt für eine aktive Ostpolitik.Die Erleichterungen im Reiseverkehr für die Bürger der DDR, die mit dem Besuch des Generalsekretärs Honecker in Bonn verbunden waren, haben das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit des deutschen Volkes gestärkt. Die Besuche des bayerischen und des baden-württembergischen Ministerpräsidenten in Moskau haben das große Interesse sichtbar gemacht, das auch von der Sowjetunion den deutschsowjetischen Beziehungen und — so kann man sagen — diesem besonders leistungsfähigen Land in der Mitte Europas entgegengebracht wird. Wir erwidern dieses sowjetische Interesse. Wir sind bereit, mit der Sowjetunion vor allem wirtschaftlich und kulturell, aber auch politisch zusammenzuarbeiten. Wir erwarten, daß das mittelfristig zur Überwindung der deutschen und europäischen Teilung beitragen wird. Wir erstreben eine deutsche und europäische Friedensordnung, die den Interessen unseres Volkes und denen aller europäischen Völker gerecht wird.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt diese Entwicklung.
Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrer erfolgreichen auswärtigen Politik und werden dazu auch in Zukunft unseren Beitrag leisten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippelt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorfälle zu Beginn der heutigen Sitzung und vor Beginn der letzten Rede veranlassen mich doch zu folgender Feststellung: Während die GRÜNEN nicht einmal zu Beginn einer Sitzung eine GO-Debatte — nach der Geschäftsordnung — führen dürfen, darf die CDU reden, auch wenn sie sich nicht einmal zu Wort gemeldet hat.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, der Kanzler sonnt sich im Glanze zweier Gipfel. Öffentliche Reisen hat er gemacht, nicht private, wie er sie jetzt nach Wien antreten will. Wir hätten hier gerne den Bundeskanzler gefragt, ob er dem Österreichischen Vizekanzler zum Fall Waldheim einen Rat zu geben beabsichtigt, so wie er seinerzeit bei dessen
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Dr. Lippelt
Wahl geraten hat. Wir werden, Herr Präsident, diese durch die Geschäftsordnung unseres Erachtens in keiner Weise zu rechtfertigenden Diskussionsverbote zum Gegenstand der Besprechung im Ältestenrat machen.
Es ist ja eine seltsame Geschichte, die man auch bei der Debatte über die Südafrikareise des bayerischen Ministerpräsidenten beobachten konnte. Personen, unsere führenden Politiker, zerfallen heutzutage in öffentliche und private Teile. Was öffentlich zu rechtfertigen ist, ist amtlich, amtliche Reise, privat ist das, was man überhaupt nicht rechtfertigen kann. Deshalb müssen wir natürlich nach privaten Reisen fragen dürfen.
Doch auch bei der öffentlichen Reise und bei den so öffentlichen Erfolgsdarstellungen, wie wir sie vom Washingtoner und vom Brüsseler Gipfel hier gehört haben, bleiben Fragen über Fragen, Fragen nach den direkten Ergebnissen und Fragen nach deren Interpretation und Fragen, wohin uns diese Ergebnisse denn wohl führen mögen.Beginnen wir mit Washington: Keine Modernisierung der Kurzstreckenwaffen und Bekräftigung der Zusage von Tokio auf Abzug der C-Waffen bis spätestens 1992, so heißen die Erfolgsmeldungen. Die Modernisierung — wenn man es näher betrachtet — besteht bekanntlich aus zwei Teilen, erstens der Modernisierung der Kurzstreckenraketen und zweitens der der nuklearen Artillerie. Letzteres, so hat der Kanzler bei früherer Gelegenheit durchaus schon gesagt, steht nicht mehr zur Debatte; denn diese Modernisierung ist seit 1986 unterwegs. Bleibt also die Modernisierung der Kurzstreckenraketen. Da wissen wir ja, daß nach dem Beschluß von Montebello die High Level Group beauftragt war und seit INF Schwierigkeiten hatte, sich auf Zahlen zu einigen. Deshalb sollte der endgültige Bericht höher abgesegnet werden, am 2./ 3. März in Brüssel auf dem Gipfel, den unser Bundeskanzler ja auch erwähnt hat. Heißt also der Modernisierungsverzicht lediglich die amerikanische Zusage, in der nächsten Woche noch nicht endgültig beschließen zu wollen? Denn zu einem tatsächlichen Modernisierungsverzicht gehört doch wohl mehr. Dazu gehört der Abbruch von Modernisierungsprogrammen. Nimmt der Kanzler nun etwa die etatisierten Entwicklungsmittel für die Long Range Stand-off aus dem Einzelhaushalt 14 heraus? Wirkt er öffentlich auf England und Frankreich ein, ihren Druck auf Modernisierung aufzugeben oder gar ihr eigenes nukleares Raketenpotential in die Abrüstungsdiskussion einzubringen, um deren Dynamik aufrechtzuerhalten? Hat der Kanzler zumindest von den Amerikanern erreicht, daß sie ihre überzähligen Lance-Raketen aus der Bundesrepublik abtransportieren? Denn offenbar gibt es hier doch viel mehr Lance, als offiziell immer angegeben wird. Statt dessen wiederholt der Herr Bundeskanzler, es bleibe bei der Notwendigkeit zum Waffen-Mix und der flexiblen Response.Erinnern wir uns und werfen wir einen Blick zurück: Als es um die zweite Null-Lösung ging und die Pershings der Luftwaffe, versuchte da nicht der jetzt nachBrüssel abmarschierende Verteidigungsminister, die Pershings als Faustpfand und Dosenöffner zu nutzen, um sowjetische Zugeständnisse im Bereich der Kurzstreckenraketen zu erreichen? Die Idee war damals aus verhandlungssystematischen Gründen unsinnig, aber die Sowjetunion bot doch an, gleich nach Abschluß der Doppel-Null-Verhandlungen in die Verhandlungen über eine dritte Null-Lösung einzusteigen. Der Streit innerhalb der Regierungsparteien ging damals um die Frage, ob „gleich anschließend" früh genug sei oder ob man schon parallel mit diesen Verhandlungen beginnen müsse. Anschließend setzte sich doch in der. CDU/CSU ganz massiv, von Dregger bis Biehle, die Einsicht durch, daß es zu keiner Singularisierung kommen dürfe. Bringt nun der Kanzler auch nur irgendeinen Hoffnungsschimmer für die Lösung dieses uns doch wahrlich berührenden Problems aus Washington mit?Wie steht es nun eigentlich um die Zusage in Sachen C-Waffen? Völkerrechtlich verbindlich soll ihm dieser Abzug in einem Briefwechsel in Tokio zugesagt worden sein. Jetzt hat ihm dies irgendein Anonymus anscheinend in Washington bestätigt; denn öffentliche Erklärungen, weder von Shultz noch von Reagan, sind nicht zu finden. Und warum wird nur in der bundesdeutschen Presse über diesen Erfolg berichtet,
während man bei einem wie ich allerdings zugeben muß, sehr kursorischen Durchblättern der größeren US-amerikanischen Zeitungen darüber überhaupt nichts findet? Geht möglicherweise alles — und diese Frage muß doch gestellt werden — nur auf Ausführungen unseres Bundeskanzlers selbst gegenüber unserer Presse zurück, und ist die Absicht, die sich dahinter verbirgt, nur die, die Debatte ruhigzustellen? Wenn es eine Zusage mit völkerrechtlich bindender Wirkung gibt, was hindert ihn daran, uns diese Tokioter Vereinbarung nun bekanntzugeben? Wir wollen doch nicht die privaten Teile des Briefes, wir wollen nur diese eine Passage hier einmal vorgetragen bekommen.
Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie auf: Zitieren Sie sie doch einmal! Also Fragen über Fragen.Doch meine Redezeit ist knapp, und ich wende mich dem nächsten Gipfel zu, allerdings nicht ohne einen Umweg durch die Niederungen der Parteienpolitik; denn die Diskussion dieser Tage innerhalb der CDU/ CSU ist ja nun von der Auseinandersetzung um den von Geißler vorgestellten Programmentwurf beherrscht. Und in der Tat, es ist ein erstaunliches Dokument, auf das hier auch einmal eingegangen werden muß, denn nirgends spiegeln sich so gut wie hier Weltbild und handlungsleitende Ambitionen der CDU-Führungsränge wider.Nun soll sich der Bundeskanzler ja nicht mit jeder Passage so wohlfühlen. Ich denke, es wäre schon recht wichtig, zu fragen, Herr Bundeskanzler — ich kann ihn jetzt nicht fragen —, wo denn der Dissens liegt. Liegt er etwa in den schieren Selbstverständlichkeiten der deutschlandpolitischen Passagen? Ich denke, es ist eine ernste Frage, die wir einer Regierungsverant-
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4166 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Dr. Lippelt
wortung tragenden Partei in diesem Lande stellen müssen. Was erregt Sie — Sie, die letzten, die hier noch so sitzen — eigentlich an der Feststellung, daß eine eventuelle Wiedervereinigung nur mit dem Einverständnis der Nachbarn in Ost und West zu erreichen ist? Glauben Sie im Ernst, daß solch ein die Landkarte Europas im zentralen Teil veränderndes Ereignis gegen den Willen irgendeines Nachbarn durchgesetzt werden sollte? Die Auseinandersetzung gerade um diese Passage ist ein erschreckendes Zeichen für den unausgeglichenen Seelenhaushalt der größeren Regierungsfraktion. Aber wir überlassen den Streit darüber der CDU.Der SPD überlassen wir die Auseinandersetzung mit jener seltsamen Abgrenzung im Geißler-Papier, die in der Sowjetunion nicht einen Sicherheitspartner, sondern nur einen Verhandlungspartner sehen will.
— Ich habe etwas zitiert, nicht gegen Sie gewendet. Ich habe gesagt: Das ist die Auseinandersetzung, die Sie hier bitte führen sollen. Ich habe eine andere Auseinandersetzung zu führen, Herr Scheer, und das möchte ich jetzt tun. Das ist nämlich die Auseinandersetzung mit dem in diesem Papier gezeichneten Bild von der zukünftigen Gestalt Europas und von dem Anspruch auf Ausfüllung dieser „endlich einmal" weltpolitischen Rolle. Darüber scheint es in der CDU/ CSU überhaupt keine Auseinandersetzung zu geben; dies scheint also selbstverständlich zu sein. Selbstverständlich auch für unseren Bundeskanzler? Sind dies die politischen Leitvorstellungen, die er im Kopf hat, wenn er Gipfelpolitik betreibt? Ich will die Zitate jetzt nicht bringen, Sie können sie ja alle nachlesen. Ich muß etwas kürzen. Klar ist, daß in diesem Papier über die Gleichberechtigung des westeuropäischen Pfeilers und über den Umbau der NATO der Anspruch angemeldet wird, in Weltmachtpolitik mitzumischen, und genau gegen diesen Punkt wenden wir uns.Doch damit nun zum Brüsseler Gipfel. Im Wirtschaftsteil der „Zeit" hat Thomas Hanke seinen Artikel folgendermaßen überschrieben: „Europa gerettet, Reform gescheitert" . In der Tat, das mit einer wesentlichen Milliardenspritze von der deutschen Präsidentschaft erkaufte Delors-Paket ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu der von allen Parteien dieses Hauses gegen uns GRÜNE gewünschten alsbaldigen Vollendung des einheitlichen europäischen Marktes.Machen wir uns deshalb die Technokratie des Delors-Pakets nochmals bewußt. Eine erhebliche Geldspritze von rund 40 % zusätzlicher Mittel wird dadurch gerechtfertigt, daß man etwas gegen den Wildwuchs der Ausgaben für die Landwirtschaft und gleichzeitig etwas für die Stärkung der strukturschwachen neu aufgenommenen Länder tut. Allerdings, die Beschlüsse zur Landwirtschaft schreiben nur die Misere fort; denn wer glaubt im Ernst, daß angesichts des Umstandes, daß von 1980 bis 1986 die Getreidepreise um rund 22 % zurückgingen und die Weizenerzeugung der EG gleichzeitig von 46 Millionen t auf 66 Millionen t stieg, ein dreiprozentiger Stabilisatorenabschlag hier helfen könnte? Im Gegenteil, die Verarmung der Landwirtschaft wird sich im Wechselspiel zwischen höherer Produktivität und Preisverfall fortsetzen. Ein flächendeckendes Extensivierungsprogramm statt Ihrer Stillegungsprogramme wäre dagegen ein erster Schritt zur Reform und in Richtung auf eine stärkere ökologische Orientierung der Landwirtschaft.Es wäre einiges über die Strukturfonds zu sagen, die — wenn man regionale Strukturpolitik kennt — letztlich ja auch nur zu sinnloser Zerstörung führen, ohne daß die Industrie, deren Ansiedlung man will, dann wirklich kommt. Dafür ist die Küstenansiedlung in Niedersachsen das beste Beispiel. Genau das wird nun europaweit getan. Ich kann darüber leider nicht mehr sprechen.Ich sage nur noch ein Wort zur Harmonisierung, dazu, was sie bedeutet: die Verwässerung und den Verlust auch nur der kleinsten national errungenen ökologischen Fortschritte gegenüber dem erwarteten Wirtschaftswachstum. Auch das ist ganz klar. Ich überschlage das alles und sage nur noch eines:Die Bundesregierung flüchtet geradezu in diese Politik hinein, weil sie mit einer total gescheiterten Haushaltspolitik, mit einem 50-Milliarden-Loch bei 2,5 Millionen Arbeitslosen in einem kaum spürbaren Winter am Ende einer Phase relativer Konjunkturbelebung — die sie weder wirtschafts- noch finanzpolitisch zu nutzen wußte — , mit allen binnen- und außenwirtschaftlichen Indikatoren in Richtung auf eine nun folgende Rezession weisend, überhaupt gar nichts anderes kann, als auf die imaginären Wachstumskräfte eines vergrößerten, vereinheitlichten Marktes zu setzen. Was sollen da die vorsichtigen Bedenken von Ökologen?Die Sache aber hat noch einen weiteren bedrohlichen Effekt. Alle Begründungen über die Notwendigkeit dieses 230-Millionen-Marktes laufen letztlich auf eine geopolitische Betrachtungsweise hinaus. Wir müssen — so heißt es — uns zwischen Nordamerikanern und Japan behaupten. Und das restliche Europa, die Rest-EFTA-Staaten oder neutrale Staaten wie Österreich und Schweiz oder blockunabhängige wie Jugoslawien? Sie mögen sich — so heißt es in aller Unverfrorenheit im Geißler-Papier — doch anschließen. Allerdings gelte dann: gleiche Rechte, gleiche Pflichten. Und dann weiter der mittelosteuropäische Raum mit seinen wachsenden Verschuldungsproblemen? Hier kommt eine Zerreißprobe auf Europa zu, die total ignoriert wird, und das zu einem Zeitpunkt, wo nach 40 Jahren zementierter Nachkriegsordnung in der Sowjetunion erst begonnen wird umzudenken.Einer der wichtigsten Gedanken, der uns von dort aus vorgetragen wird, lautet: „das gemeinsame europäische Haus". Wäre es nicht sinnvoll, dieses Haus erst einmal auszukundschaften, festzustellen, welche Vorstellungen die Sowjetunion mit diesem Begriff verbindet? Der Bundespräsident hat bei seinem Besuch in Moskau einige interessante Dialoge über dieses Haus geführt. Warum hier nicht weiter, warum nicht zunächst versuchen, die Dynamik eines Abrüstungsprozesses zu entfalten, so daß dieser zu einem Friedensprozeß vertieft wird?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4167
Dr. Lippelt
Die EG-Politik ist mit einem sinnvollen Konzept einer Europapolitik nicht vereinbar. Aber war für ein Konzept für eine Europapolitik hat diese Bundesregierung? Hat sie überhaupt eines? Die Leichtfertigkeit, mit der mit dem Problem der Rest-EFTA-Länder, der neutralen, der blockunabhängigen Länder umgegangen wird — „mögen sie sich doch anschließen" —, ist ein erschreckendes Kennzeichen dafür; denn wenn Europa und ein Friedensprozeß in Europa eine Chance haben sollen, brauchen wir ein vielgestaltiges Europa mit verschiedenen Formen, ein Europa, das sich seiner Geschichte bewußt ist, die sich eben gerade aus solcher Vielfalt entwickelt hat . . .
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß.
... — ich bin fertig, Herr Präsident —, und das nach vorn gerichtet die Zukunft ökologischer Politik sucht. Simplifizierende Architekten eines uniformen Marktes sind für diese schwere Aufgabe überhaupt nicht gefragt.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch ein Versehen beim Aufruf der Redner wäre ich fast in die Gelegenheit gekommen, Herr Kollege Vogel, Ihnen unmittelbar zu antworten. Ich hätte das sehr gerne getan. Aber ich hoffe, daß Ihre Aussage, die Politik dieser Regierung sei um so erfolgreicher, je mehr sie sich den Thesen der SPD annähere,
auch jetzt noch in den Köpfen der anwesenden Zuhörer ist.
Ich möchte Sie gerne einmal fragen, wie Sie eigentlich dazu stehen, daß nach Aussagen aller unserer Verbündeten das INF-Abkommen, also der erste Schritt auf dem Wege der Abrüstung, zur Beseitigung einer gesamten Waffenkategorie, nicht erzielt worden wäre, wenn es nicht die Haltung der Bundesrepublik, der Bundesregierung, der Koalition am 22. November 1983 — gegen Ihre Stimme — gegeben hätte.
Das ist keine Annäherung an das gewesen, von dem Sie meinen, daß es Grundlage unserer Politik sein sollte.
Nein, Herr Kollege Vogel, wir haben diese Erfolge erzielt, weil wir eine andere Politik betrieben haben, als Sie sie uns angeraten haben.Das gilt übrigens auch für den bevorstehenden und angekündigten und bestätigten Abzug der chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland.Herr Kollege Dr. Lippelt, es ist in Washington noch einmal eindeutig bestätigt worden, daß die Vereinbarung zwischen dem Bundeskanzler und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht nur den gegenwärtigen Präsidenten bindet, sondern daß dies eine Verpflichtung ist, der sich die Vereinigten Staaten auch in Zukunft unterworfen sehen werden.
Wir werden bis zum Jahre 1992 erleben, was wir alle angestrebt und was wir gegen Ihre Tendenzen in der Haltung der Bundesrepublik durchgesetzt haben: Wir werden erleben, daß chemische Waffen auf dem Boden der Bundesrepublik nicht mehr vorhanden sein werden — ein Ergebnis, für das wir uns lange Jahre eingesetzt haben und das gleichzeitig ein zusätzlicher Schritt zu einer weltweiten Beseitigung chemischer Waffen sein kann, zu der sich auch die Vereinigten Staaten von Amerika bekannt haben, wenn sie auch darauf aufmerksam gemacht haben, welche Schwierigkeiten der Verifikation gerade auf dem Gebiet der weltweiten Beseitigung chemischer Waffen sich noch ergeben werden. Aber wir kommen auch hier voran.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Regierungserklärung des heutigen Tages hat sich mit zwei Ereignissen befaßt, die in einem ganz bestimmten Zusammenhang gleiche Voraussetzungen hatten: Bei beiden Ereignissen gab es negative Vorankündigungen, gab es die Aussagen, wie schwierig es sowohl in Brüssel als auch in Washington sein würde, unseren deutschen Standpunkt durchzusetzen, zu Erfolgen zu kommen. Es gibt eigentlich kaum ein Beispiel in der Vergangenheit dafür, daß sich Vorwegaussagen und Ergebnisse so vorteilhaft, so nachdrücklich voneinander unterscheiden, wie das sowohl für Brüssel als auch für Washington im Rückblick gesagt werden kann.
Deswegen ist es ein billiges Ausweichen, Herr Dr. Vogel, wenn Sie auf bestimmte Briefe aus München oder auf anderes verweisen. Ich könnte Sie jetzt auch fragen, wie Sie auf bestimmte Vorschläge aus dem Saarland reagieren. Ich könnte Sie fragen, wie bestimmte Aussagen aus Ihrer eigenen Fraktion zur Frage der Abrüstung sich mit dem in Verbindung bringen lassen — —
— Soll ich Ihnen Dr. Scheer zitieren? Möchten Sie es schriftlich haben?
— Wissen Sie, bei Ihrem Humor zu lachen ist nicht ganz einfach.Warum, Herr Kollege Dr. Vogel — wir haben hier ja schon so manchen Strauß miteinander ausgetragen —,
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4168 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Ronneburgerverweisen Sie denn nicht einmal auf die inneren Widersprüche in den Aussagen Ihrer Fraktion und Ihrer Partei, wenn Sie glauben, Widersprüche innerhalb der Koalition oder auch innerhalb der Union feststellen zu müssen?
Ich möchte mit aller Nüchternheit feststellen, Herr Kollege Dr. Vogel, daß die SPD eine Abrüstungspolitik betreibt, die wirklich weitab von allem ist, was innerhalb des Bündnisses durchsetzbar und realisierbar ist. Daß diese Politik auch der inneren Logik entbehrt, läßt sich an einem ganz bestimmten Punkt eines heute von Ihnen eingereichten Antrags einfach nachweisen. Ich beziehe mich auf folgendes Zitat, Herr Kollege Vogel:Nach dem INF-Vertrag streben wir in Europa eine Null-Lösung für die nuklearen Kurzstrekkensysteme unter 500 km Reichweite und für die nuklearen Gefechtsfeldwaffen sowie konventionelle Stabilität an.Herr Kollege Vogel, logisch wäre es, zu sagen, daß dieser letzte Punkt die konventionelle Stabilität, die Voraussetzung erst schaffen kann, um eines Tages an eine vollständige Beseitigung der Kurzstreckenwaffen zu denken.
— Diese gemeinsamen Obergrenzen werden wir haben müssen, solange es konventionelle Stabilität und Ausgewogenheit nicht gibt.
Wenn das Ihre Auffassung ist, warum schreiben Sie das nicht in Ihren Antrag hinein, so daß es jeder verstehen kann, der diesen Antrag vor sich hat, ihn liest und etwa mit ihm Politik machen sollte, würde er denn angenommen werden, wovon ich nicht ausgehe?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scheer?
Ja, bitte schön. Vizepräsident Westphal: Bitte schön, Herr Scheer.
Herr Kollege Ronneburger, wie können Sie diese Aussage, die Sie eben gemacht haben, daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den verschiedenen Waffenkategorien bei Verhandlungen besteht, noch aufrechterhalten, wenn ich Ihnen folgendes Zitat von Außenminister Genscher im „Bulletin" der Bundesregierung vom 10. November 1987, also erst vor wenigen Wochen, vorlese:
Wir dürfen nicht zu Gefangenen künstlicher Abhängigkeiten zwischen einzelnen Abrüstungsbereichen werden. Der Abbau eines zu Lasten des
Westens bestehenden Ungleichgewichts darf nicht von der vorherigen Beseitigung eines ebenfalls zu unseren Lasten bestehenden Ungleichgewichts abhängig gemacht werden. Dies gilt vor allem für die Europa besonders betreffenden Waffensysteme — nukleare Kurzstreckenwaffen, chemische und konventionelle Waffen — ... Die Herstellung von Stabilität in jedem einzelnen Bereich des Kräfteverhältnisses ist ein Zugewinn an Sicherheit.
Stimmen Sie mir zu, daß das das glatte Gegenteil dessen ist, was Sie eben gesagt haben?
Nein, dem stimme ich überhaupt nicht zu, Herr Kollege Scheer. Es wird Sie nicht überraschen, daß ich nicht zustimme, aber Sie haben offenbar übersehen, daß der Bundesaußenminister in dieser seiner Äußerung chemische und konventionelle Waffen, alles in einem Zusammenhang, genannt und damit ein Paket hergestellt hat, im Rahmen dessen sich konventionelle Abrüstung vollziehen muß.
— Nein, vielen Dank. Diese Zwischenfrage war lang genug.
— Herr Kollege Jungmann, Sie sollten einmal nachlesen, was von Ihrer eigenen Partei veröffentlicht wird. Ich jedenfalls kann an dieser Stelle nur feststellen: Wir haben in Washington, wir haben in Brüssel Ergebnisse erzielt, von denen noch vor wenigen Monaten gesagt worden wäre, es sei bare Illusion, so etwas anzunehmen.
Wir sind aus Washington mit der Aussage der amerikanischen Regierung zurückgekommen, daß zur Zeit kein Anlaß für eine Modernisierung von Kurzstrekkenwaffen bestehe, dies übrigens nicht nur, Herr Kollege Vogel, im Sinne einer kurzfristigen Verschiebung, sondern mit einer Aussage der Leiterin der Europaabteilung des State Department, die gesagt hat: Lance bis 1995 einsatzbereit. Wir haben jetzt 1988, wir haben sieben Jahre vor uns, in denen wir an einem Ausgleich arbeiten können.
— Herr Kollege Jungmann, meine Zeit läuft ab. Lassen Sie mich jetzt im Zusammenhang einmal das sagen, was ich Ihnen, auch gerade Ihnen, gerne sagen würde. Vielleicht sollten Sie lieber zuhören, statt Zwischenrufe zu machen.Wir haben einen Zeitraum vor uns, in dem der Abbau von asymmetrischen Rüstungsbeständen vorangetrieben werden kann. Wir können in dieser Zeit die Voraussetzungen dafür schaffen, wenn wir uns an Gorbatschow und seine Aussagen halten, um auch auf
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4169
Ronneburgereine solche Modernisierung verzichten zu können. Wir haben die Zusage für den C-Waffen-Abzug aus der Bundesrepublik bis 1992 mitgebracht. Wir haben die Zustimmung der Regierung der Vereinigten Staaten zu der Forderung nach einem Gesamtkonzept der NATO für Abrüstung und Rüstungskontrolle, einem Gesamtkonzept, zu dem der Bundeskanzler in Washington mehrfach gesagt hat, daß es uns in die Lage versetzen müsse, aktiv in das Geschehen der Abrüstung einzugreifen und nicht nur zu reagieren, wenn Gorbatschow — wie übrigens in der Vergangenheit wiederholt geschehen — westliche Vorschläge aufgreift und sie als seine eigenen der Weltöffentlichkeit, aber auch der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik zu unterstellen vermag.Wir haben die Zustimmung unserer amerikanischen Freunde zu der Forderung nach ausgewogener Verringerung konventioneller Streitkräfte und nach einem weltweiten Verbot chemischer Waffen. Wir haben registriert die erkennbare Bereitschaft beider Häuser im Kongreß zu einer Ratifizierung des INF-Abkommens ohne einschränkende oder verändernde Zusätze, die von uns, wo immer wir Gelegenheit dazu hatten, abgelehnt worden sind.Ich füge hinzu: Diese positiven Ergebnisse, die wir aus Washington mitgebracht haben, die einem nachdrücklichen Einsatz des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers auch in der Vorbereitung dieses Besuches zu verdanken waren, haben wir erzielen können auf der Grundlage zweier vorhergegangener Ereignisse.Das eine liegt schon etwas zurück und ist die klare und eindeutige Haltung der Bundesregierung, der Bundesrepublik in der Frage des Doppelbeschlusses der NATO. Es ist uns an keiner Stelle so eindeutig wie dort in Washington gesagt worden, welche große Bedeutung dieses Ereignis für die Einschätzung und für die Durchsetzungsfähigkeit der Politik der Bundesrepublik hat.
Das zweite Ergebnis ist das von Brüssel, das ebenfalls von den Amerikanern als eine Stärkung des westlichen Lagers und als eine größere Möglichkeit auch für die Bundesrepublik, ihre Politik durchzusetzen, angesehen worden ist. Es hat ebenfalls Voraussetzungen dafür geschaffen, daß diese positiven Ergebnisse erreicht werden konnten.Herr Bundeskanzler, ich glaube, daß das, was Sie in Ihrer Regierungserklärung geschildert haben, die Ergebnisse, die wir erreicht haben, die Wege, die weiter einzuschlagen sind, uns in meiner Fraktion alle Veranlassung geben, Ihnen und dem Bundesaußenminister bei dieser Politik unsere Unterstützung auch weiterhin zuzusagen in der Hoffnung, daß die Wege, die wir gemeinsam beschreiten werden, zu einem Frieden führen werden, der eines Tages nicht mehr nur auf militärischen Voraussetzungen beruht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zu Herrn Ronneburger: Herr Ronneburger, wer wie die FDP 1980 in den Bundestagswahlkampf zog mit dem Satz: Helmut Schmidt muß Bundeskanzler bleiben, zwei Jahre später Helmut Schmidt abwählt und statt dessen Helmut Kohl zum Bundeskanzler wählt, sollte nicht über zurückliegende Jahre reden.
Ich komme zum Ergebnis der Washingtoner Gespräche. Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher waren bei den Gesprächen in Washington in einer Hinsicht besonders erfolgreich: im Eigenlob. Es wurde zwar erreicht, daß denjenigen in der NATO vorläufig eine Bremse eingezogen wurde, die sich in den letzten Jahren für eine beschleunigte chemische und atomare Aufrüstung in Europa ereiferten. Aber die Bremsen in der Abrüstungspolitik wurden nicht gelockert. Mehr noch: Die Bundesregierung ist es bei näherem Hinsehen selbst, die ihre offiziell verlautbarten Abrüstungsziele von heute durch nur noch äußerst schwer aufzuhaltende Rüstungsentscheidungen von gestern konterkariert hat. In den Bemühungen um ein weltweites Verbot chemischer Waffen erklärte Außenminister Genscher noch am 10. November 1987: „Ein Hinausschieben der Einigung über die C-Waffen-Beseitigung würde der westlichen Sicherheit schaden,
und die Verhandlungslage erlaubt einen Abschluß in den ersten Monaten des nächsten Jahres." Gemeint war 1988. Doch heute steht die C-Waffen-Abrüstung nicht vor dem Abschluß, sondern liegt auf der langen Bank.
Die Widerstände kommen von der französischen Regierung und aus der amerikanischen Regierung sowie dem NATO-Oberkommando. Diese hat die Bundesregierung weder in Washington noch zuvor in Paris überwinden können. Statt dessen preist sie die Zusicherung, daß die neu produzierten chemischen Waffen nicht ohne Zustimmung der Bundesregierung in der Bundesrepublik stationiert würden.Dazu folgende Feststellungen:Erstens. Bereits im Mai 1986 verlautbarte Bundeskanzler Kohl, er habe diese Zusicherung von Präsident Reagan zuverlässig und verbindlich erreicht. Wenn dieselbe Vereinbarung vom Mai 1986 anläßlich der Washingtoner Gespräche im Februar 1988 nochmal als großes Resultat gefeiert wird, dann waren entweder unsere seinerzeitigen Zweifel über die Verbindlichkeit dieser Abmachung berechtigt, oder es handelt sich jetzt um einen Versuch, einen zweiten Aufguß als aktuelle Erfolsstory zu verkaufen, weil ansonsten nicht viel erreicht wurde.
Zweitens. Die neue Lage, in der heute in der NATO mehr von C-Waffen-Rüstung als von Abrüstung die
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4170 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Dr. ScheerRede ist, hat sich die Bundesregierung selber eingebrockt. Am 15. Mai 1986 haben hier im Deutschen Bundestag CDU, CSU und FDP der Neuproduktion chemischer Waffen, ihre Einbeziehung in das NATO-Streitkräfteziel und der Eventualfallplanung, daß diese Waffen in Krisenzeiten in die Bundesrepublik gebracht werden, gegen unsere eindringlichen Appelle zugestimmt. Ohne diese Zustimmung wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zur Neuproduktion dieser Waffen gekommen.
Sie behaupteten damals, diese Entscheidungen bewirkten einen Verhandlungsdruck auf die Sowjetunion, und Herr Wörner sagte wörtlich: „Die Sowjetunion hat es in der Hand, ... indem sie sich endlich zu Kontrollmaßnahmen bereit findet. Dann wird es niemals zu einer solchen Produktion kommen." Inzwischen liegt die sowjetische Kontrollbereitschaft vor, aber die Produktion hat begonnen. Die Gründe sind, daß das NATO-Oberkommando ein neues C-WaffenAbschreckungspotential für unverzichtbar hält. Da die Bundesregierung alle genannten Grundlagenbeschlüsse, die das überhaupt möglich machen, mit beschlossen hat, ist sie für die Blockade und ein mögliches Scheitern der C-Waffen-Abrüstung, das ich hier nicht beschwören will, klar mit verantwortlich.
Bei den atomaren Kurzstreckenwaffen hieß es auch aus den Reihen der Bundesregierung mit unserer Zustimmung wochenlang, daß deren Abrüstung nun mit besonderem Vorrang und auch unabhängig von der konventionellen Rüstung behandelt werden müsse. Nun preist der Bundeskanzler es als Erfolg, in Washington die Modernisierung — die öffentliche Tarnbezeichnung für Neurüstung, um das mal deutlich zu machen — atomarer Kurzstreckenwaffen aufgeschoben zu haben.Die ganze Wahrheit sieht folgendermaßen aus:Erstens. Die sogenannte Modernisierung der Kurzstreckenraketen ist nicht aufgeschoben worden, denn vor 1995 war schon vorher gar nicht an eine Einführung dieser Waffen gedacht.
Gleichzeitig wird schamhaft übergangen, daß die neue Rüstung atomarer Gefechtsfeldwaffen und ihre Einführung in der Bundesrepublik bereits begonnen haben. Die Bundesregierung hat also nur scheinbar gegen die sogenannte Modernisierung gekämpft. Auf jeden Fall ist nichts Neues herausgekommen.
Zweitens. Daß die Bundesregierung mit wenig Durchsetzungs- und Überzeugungskraft gegen diese Neurüstung eintreten kann, hat sie wiederum sich selbst zuzuschreiben. Nicht nur, daß Verteidigungsminister Wörner bis in die letzten Tage hinein für diese Modernisierung war. Mehr noch: Dem diesbezüglichen NATO-Grundsatzbeschluß von Montebello im Jahr 1983 hat die Bundesregierung zugestimmt. Sie ist damit für alle Folgeentscheidungen mitverantwortlich.Drittens. Es ist nicht zu sehen, daß Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher für sofortige Verhandlungen über die Abrüstung von Kurzstreckenraketen überhaupt noch eingetreten wären, obwohl genau diese Notwendigkeit beschworen und den deutschen Bürgern versprochen wurde. Gesprochen wird jetzt nur noch über den Vorrang der Verhandlungen über konventionelle Waffen und über ein westliches Gesamtkonzept. Es mag ja schön sein, wenn es so weit kommt, und es ist sicher auch wichtig. Aber ich befürchte, daß hier die allgemeine Erfahrung sich bewahrheitet, daß jemand dann von einem Gesamtkonzept redet, wenn er sachlich auf der Stelle tritt.Aus alldem ergibt sich: Sowohl bei der Neurüstung chemischer Waffen wie auch bei der Neurüstung atomarer Kurstreckenwaffen kämpft die Bundesregierung gegen Geister, die sie selber gerufen hat.
Wir würden es der Bundesregierung nicht vorwerfen, wenn sie sich in einer Frage nicht durchsetzen konnte. Dazu gehören immer mehrere. Was wir vorwerfen, sind die selber zu verantwortenden Widersprüche und dies: Indem die Bundesregierung die chemische und die atomare Neurüstung mitbeschlossen hat, hat sie Eigentore geschossen und ein drohendes Scheitern der chemischen und der weitergehenden atomaren Abrüstungsziele bei Kurzstreckenwaffen programmiert. Ob das gewollt oder ungewollt ist, spielt keine Rolle. In der Politik kommt es auf Ergebnisse an. Dafür müssen Sie zur Rede gestellt und daran müssen Sie gemessen werden.Konsequente Abrüstungspolitik heißt statt dessen — um nur bei diesen Fragen, um die es heute und in Washington ging, zu bleiben — : Bei chemischen Waffen scheint uns ein definitiver Bundestagsbeschluß, wie schon 1986 von uns eingefordert, aber von Ihnen abgelehnt, notwendig, daß nach dem Abzug der Altbestände keine chemischen Waffen stationiert werden.Wir erwarten darüber hinaus, daß die Bundesregierung auf der Grundlage der deutsch-französischen Beziehungen und des WEU-Vertrags endlich gegen die beabsichtigte neue französische Chemierüstung tätig wird, die ebenfalls die Verhandlungen blockiert. Die Bundesregierung sollte deshalb erwägen, im WEU-Rat die französische Chemierüstung auf die Tagesordnung zu setzen und dagegen zu stimmen.
Wenn ein solcher Versuch unterbleibt, bleibt der Einsatz für C-Waffen-Abrüstung halbherzig.Bei atomaren Kurzstreckenwaffen erwarten wir, daß die Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel dafür eintritt, daß diese Verhandlungen jetzt doch noch trotz aller Widerstände stattfinden und daß eventuelle Ergebnisse nicht davon abhängig gemacht werden, ob es Ergebnisse bei den Verhandlungen über konventionelle Waffen gibt. Man sollte in diesen Fragen
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Dr. Scheerauch getrennt zu Ergebnissen gelangen können, damit man weiterkommt.
Bei diesen beiden Punkten — chemische Waffen und atomare Kurzstreckenwaffen — tun wir nicht mehr, als uns auch auf das zu berufen, was Sie selber gesagt haben und was ursprünglich gemeinsame Auffassung hier im Haus war. An diesen Punkten werden wir Sie nicht nur heute, sondern auch in der Zukunft messen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von den GRÜNEN habe ich eigentlich von vornherein nicht erwartet, daß sie den Bundeskanzler bei der heutigen Debatte loben; denn sie haben kein schlüssiges außenpolitisches Konzept und sind meistens gegen alles, und das noch nicht einmal geschlossen.
Den Sozialdemokraten, die immerhin 16 Jahre Regierungsverantwortung getragen haben, hätte eine positivere Würdigung der jüngsten Entscheidungen in der Europa- und Sicherheitspolitik wahrhaftig gut angestanden.
Statt dessen wird kleinkariert gemäkelt und mit der Lupe nach angeblichen Fehlern gesucht.
Dabei geht der Blick für das Ganze verloren.Es wird der Opposition nichts bringen, wenn sie die offensichtlichen Erfolge, zu denen Kanzler Kohl von der halben Welt beglückwünscht wird, als Fehlschläge verkauft.
Freuen Sie sich doch mit uns über die Ergebnisse des EG-Sondergipfels und über die Ergebnisse von Washington, von denen für unser Land so viel abhängt. Auch das sollte eine konstruktive Opposition einmal fertigbringen.
Aber zunächst zum Sondergipfel der Europäischen Gemeinschaft. Für Einzelheiten ist heute zu wenig Zeit; dies wird in den Ausschüssen zu beraten sein. Insgesamt kann man jedoch sagen, daß vernünftige und faire Lösungen für schwierige Probleme gefunden wurden, deren Lösung mehr als fünfzehn Jahre lang anstand, jedoch immer wieder hinausgeschoben wurde.
Mit dem jetzigen Kompromiß können die Betroffenen leben, auch unsere deutschen Bauern.
Ich weiß, daß sich die Bauern vorteilhaftere Lösungen gewünscht hätten. Das, was jetzt erreicht wurde, ist jedoch um vieles besser als das, was in Kopenhagen auf dem Tisch lag. Dies ist dem Verhandlungsgeschick der deutschen Delegation zu verdanken, und dies sollte man auch einmal anerkennen. Außerdem bleibt uns ja der Weg für nationale Regelungen offen.
Die Brüsseler Gipfelbeschlüsse werden uns Deutschen Opfer abverlangen. Unsere Finanz- und Haushaltspolitiker werden überlegen müssen, wie die Mittel für diese Lasten aufgebracht werden können. Es wäre aber kurzsichtig, das Brüsseler Gipfelergebnis allein und ausschließlich danach zu bewerten, daß wir zuviel in die Gemeinschaftskasse zahlten, aber zuwenig dafür herausbekämen. Eine solche Mentalität, wie sie z. B. bei einer Pressekonferenz von Lafontaine und Arndt zum Ausdruck kam, ist europafeindlich. In Zeiten Ihrer Regierung, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, war es anders: Wir hatten an Ihrer Europa- und Bündnispolitik zwar auch manches auszusetzen, aber am gemeinsamen Ziel Europa haben wir nie gezweifelt und waren deshalb auch bereit, die Belastungen mitzutragen. Daran sollten Sie sich heute vor mancher vorschnell abgegebenen Bewertung erinnern.Dazu, ob sich unser Engagement für Europa lohnt, hat sich besonders treffend Jacques Delors, der Präsident der EG-Kommission, am 16. Februar geäußert. Er hat gesagt:Was die Bundesrepublik Deutschland betrifft, so muß man darauf hinweisen, daß wir ohne die intelligente Präsidentschaft des Bundeskanzlers wohl kaum einen Erfolg erzielt hätten. Über diese intelligente Präsidentschaft hinaus hat die Bundesrepublik ein Beispiel der wohl wichtigsten politischen Qualität gegeben, nämlich der Großzügigkeit. Diese Großzügigkeit macht sich bezahlt. Denn wenn die Deutschen 1992 ca. 10 Milliarden DM mehr zahlen, so werden sich ihnen damit die Märkte Europas mit ungefähr 320 Millionen Verbrauchern öffnen, wenn nicht sogar mehr, weil dann die Märkte Schwedens, Norwegens, der Schweiz und Österreichs dazukommen.Ich meine mit Jacques Delors, daß sich unsere finanzielle Großzügigkeit — in Maßen, wohlverstanden — gelohnt hat und sich lohnen wird. Schon die Tatsache, daß es nun fünf Jahre lang eine EG ohne die alljährlichen, nächtelangen Fingerhakeleien über die gemeinsame Agrarpolitik und deren Finanzierung sowie über die Finanzreform und -struktur der Gemeinschaft geben wird, ist ein großer Gewinn für die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft. Diese fast schon rituellen Streitigkeiten hatten nämlich für das Image der EG ganz verheerende Folgen. Sie vermittelten dem Bürger das Bild eines stagnierenden Europas, in dem Sonderinteressen schwerer wogen als gemeinsame Ziele, und einer EG, deren Energien in einem Dickicht von kontroversen Zahlen, Tabellen und Formeln zu ersticken drohten.Es ist darüber leider in Vergessenheit geraten, was dieses Europa — trotz seiner Schwächen — für uns
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4172 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Frau Geigeralle bedeutet: an Freizügigkeit, an Lebensqualität, an friedlicher Zusammenarbeit, an Stabilität und an Wohlstand. Das EG-Europa darf nicht zu einer Freihandelszone verkommen, die nichts oder nur wenig mit der politischen Zielsetzung der Gründerväter der Römischen Verträge, nichts mehr mit der Vision eines Churchill, nichts mehr mit den konkreten Idealen von Adenauer, Schuman, de Gasperi zu tun hat. Deshalb war der Erfolg von Brüssel so wichtig.
Europa kann seinen Blick jetzt wieder nach vorn richten. Es kann seine Energien konzentrieren, um das nächste Ziel anzugehen. Wir wollen den europäischen Binnenmarkt bis 1992 erreichen; denn eines ist heute sicher: Der europäische Binnenmarkt wird als der weltgrößte Verbrauchermarkt ganz entscheidende Impulse für Stabilität, Wirtschaftswachstum und für den Abbau der Arbeitslosigkeit bringen.Es geht uns in Europa aber nicht nur um wirtschaftspolitische, agrarpolitische und finanzpolitische Fragen. Auch die politische Einigung muß vorankommen. Im Innenverhältnis müssen die Zwölf, oder besser gesagt: diejenigen unter ihnen, die dazu bereit sind, die sicherheitspolitische Zusammenarbeit Westeuropas fortentwickeln. Ohne eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik bliebe die europäische Einigung Stückwerk. Bei den sieben Kernmitgliedern der Zwölf, die in der Westeuropäischen Union zusammengeschlossen sind, ist diese Einsicht in letzter Zeit gewachsen. Dies zeigt die Belebung der WEU. Dies zeigt auch die im vorigen Jahr verabschiedete westeuropäische Sicherheitsplattform.Die enge Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich leistet Pionierarbeit beim politischen Zusammenwachsen Europas. Die Schaffung der ersten deutsch-französischen Brigade und die des deutschfranzösischen Verteidigungsrats haben weit mehr als symbolische Bedeutung. Es wäre sicher einen Versuch wert, wenn die WEU-Mitglieder bei der Erstellung der Bedrohungsanalyse zunächst eine gemeinsame Position erarbeiten würden, die dann ins Bündnis eingebracht würde.
Es wäre ein praktischer Schritt, der europäischen Stimme im Bündnis mehr Gewicht zu geben.Bei seinem Besuch in den USA konnte der Bundeskanzler nach dem erfolgreichen Gipfel als kompetenter Sachwalter europäischer und deutscher Interessen auftreten. Die amerikanische Öffentlichkeit und die amerikanischen Medien haben von den europäischen Einigungsbestrebungen in der letzten Zeit ja nur sehr wenig Notiz genommen. Sie haben darüber nur in den hintersten Ecken ihrer Zeitungen berichtet. Ein in eigene Querelen verstricktes Europa, das politisch stagniert und lediglich wirtschaftlich mitunter als lästig empfundener Konkurrent ernst zu nehmen ist, ein solches Europa hat für Amerika verständlicherweise wenig Anziehungskraft.Für unsere deutschlandpolitischen Vorstellungen und für einen erfolgreichen Dialog mit den osteuropäischen Staaten ist ein geeintes Europa ein großer Vorteil. Unsere Bestrebungen nach mehr Kontakten,Begegnungen und Austausch, nach mehr Menschenrechten im Osten Europas, nach Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands brauchen Rückhalt bei unseren Partnern im Westen. Insofern liegt viel Systematik in den Reisen des Bundeskanzlers nach Brüssel, nach Washington und in die Tschechoslowakei.Nach dem EG-Gipfel von Brüssel und dem Besuch des Bundeskanzlers in den Vereinigten Staaten ist das Gerede von grundlegenden Interessenunterschieden im Bündnis und von einem deutschen Sonderweg verstummt. Das ist gut für das Bündnis; das ist gut für uns, gut aber auch für die neue Dynamik, die das OstWest-Verhältnis heute auszeichnet.Mit dem Verschwinden der Mittelstreckenraketen nach der doppelten Null-Lösung sind nicht alle Sicherheitsprobleme des Westens gelöst. Uns in der Bundesrepublik bedrückt am meisten die große Übermacht des Warschauer Pakts bei Panzern, schwerer Artillerie und Flugzeugen. Das konventionelle Übergewicht verleiht der Sowjetunion die Fähigkeit zur Invasion, die die NATO weder nach ihrem Bewaffnungszustand noch nach ihrer Struktur und Strategie besitzt.Die östliche Invasionsfähigkeit ist eine Quelle latenter politischer Instabilität in Europa. Wir fühlen uns dadurch bedroht, ebenso bedroht wie durch die zahlreichen Kurzstreckenwaffen mit Reichweiten unter 500 km, die auf unser Land gerichtet sind.Alle Abrüstungsmaßnahmen müssen im Gesamtzusammenhang gesehen werden, müssen auf ihre Wirkung abgeklopft werden, die sie auf die Strategie des Bündnisses und die Prinzipien der Abschreckung und der flexiblen Antwort haben können.Der Westen muß in allen wesentlichen Fragen mit einer Stimme reden, will er Erfolg haben. Auch darin waren sich Bundeskanzler Dr. Kohl und Präsident Reagan einig. Denn die Erfahrung zeigt: Wenn der Westen uneinig ist, bewegt sich der Osten überhaupt nicht in unsere Richtung, sondern versucht, Vorteile aus der westlichen Uneinigkeit zu ziehen.
Es ist daher zu begrüßen, daß sich die NATO-Staaten in der nächsten Woche zu einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel treffen, um sich mit diesen Fragen zu befassen. Daß an diesem Gipfel zum erstenmal nicht nur der französische Premierminister, sondern auch Präsident Mitterand teilnehmen wird, unterstreicht die Bedeutung dieses Gipfels und erhöht seine Chancen.Aus unserer Sicht möchte ich vier wichtige Grundsätze ansprechen, die im westlichen Gesamtkonzept berücksichtigt werden müssen:Erstens. Die Strategie der Abschreckung bleibt für die Verhütung eines Krieges und die Erhaltung des Friedens bisher unersetzbar.Zweitens. Eine kriegsverhütende Abschreckung ist heute ohne ein gewisses Minimum von Nuklearwaffen nicht denkbar.
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Frau GeigerDrittens. Es darf im Bündnis keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben. Darauf hat die Bundesrepublik Deutschland als der am meisten exponierte Partner ein besonderes Anrecht.Viertens. Die Ausrüstung unserer eigenen und der bei uns stationierten Streitkräfte muß auf dem neuesten Stand sein; sie darf nicht veralten. Die hier stationierten verbündeten Truppen wären nicht bereit, einen Ausrüstungsstandard hinzunehmen, der unter ihrem eigenen nationalen Standard läge. Damit wäre zumindest auf längere Sicht ihre Präsenz bei uns gefährdet.Über diese Grundsätze herrschte einmal Einverständnis: zu Zeiten, als sich die SPD in der Regierung und die CDU/CSU in der Opposition befand. Dies hat sich bei der SPD leider in allen Punkten geändert. Diese Abkehr von der bewährten Praxis des Bündnisses, die auch wieder in ihren heutigen Anträgen sichtbar wird, macht aber das Bekenntnis der SPD zur NATO unglaubwürdig und nährt die Zweifel unserer Verbündeten an der Verläßlichkeit der Deutschen.Vor diesem Hintergrund war es gut, daß der Bundeskanzler in Washington erneut unmißverständlich klargestellt hat, daß ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Bonn und Washington die Voraussetzung für unsere Außen- und Sicherheitspolitik und für unsere Ost- und Deutschlandpolitik ist.
Das Vertrauensverhältnis darf sich nicht auf die Regierungen beschränken.
Es setzt auch eine tiefe Verankerung der Freundschaft zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Volk voraus.Es ist deshalb besonders zu begrüßen, daß sich der Bundeskanzler in Washington nicht nur intensiv mit der großen Weltpolitik befaßt hat, sondern auch die menschlichen Beziehungen weiter vorangetrieben hat, wie die Gründung eines deutsch-amerikanischen Rates für den Jugendausstausch zeigt.
Immer wieder Brücken bauen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 29. Dezember letzten Jahres geschrieben hat, das muß das Motto für Deutsche und Amerikaner sein, für zwei Partner, die aufeinander angewiesen bleiben, die Sympathie füreinander empfinden, die aber auch manch trennendes Element überwinden müssen. Mit dem Besuch des deutschen Bundeskanzlers in Washington ist wieder eine neue tragfähige Brücke hinzugekommen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Flinner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst zu Herrn Dregger: Wenn ich mir Ihr Konzept „Flächenstillegung, Aufforstung, Hecken anpflanzen" vorstelle, muß ich sagen, was Siefür die Bauern übrighaben, ist ein Armutszeugnis für Ihre Partei.
Frau Geiger, zu dem, was Sie für die Bauern gebracht haben, womit wir leben sollen, kann ich nur sagen: Ja, die Bauern, für die Sie Politik machen, können damit leben, nicht aber die klein- und mittelbäuerlichen Betriebe. Die sind weg vom Fenster!
Seit dem europäischen Gipfel in Brüssel ist die Bundesregierung in den beschleunigten Ausstieg aus der bäuerlichen Landwirtschaft eingestiegen. Öffentlich erklärt die Bundesregierung dies natürlich nicht, denn Sie, Herr Bundeskanzler, haben dafür gesorgt, daß der Gipfel zu einem Abkommen geführt hat, und Sie verkaufen dieses Ergebnis, das unter Ihrer Ratspräsidentschaft erreicht wurde, als persönlichen Erfolg Ihrer Politik.
Was Sie und Herr Landwirtschaftsminister Kiechle sich vorgenommen hatten, haben Sie erreicht, und alle Kritik an den Beschlüssen wird sofort durch den Hinweis erstickt, daß andernfalls die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes gefährdet wäre.
Es ist aber festzustellen, daß mit den Agrarbeschlüssen zu automatischen Preissenkungen beim Überschreiten von Produktionsobergrenzen, zum Flächenstillegungsprogramm und zum Vorruhestand keines der vorgegebenen Ziele erreicht wurde: Weder der Abbau der Überschüsse noch die Existenzerhaltung oder die Verringerung der Marktordnungskosten konnte wirkungsvoll eingeleitet werden. Zu einer grundsätzlichen Reform des Marktordnungssystems ist es nicht gekommen, und zu einer wirkungsvollen Eindämmung der Kosten schon gar nicht.Es ist doch bestürzend, daß sich die deutschen EG-Ausgaben in den nächsten Jahren drastisch erhöhen werden, im kommenden Jahr und 4 Milliarden DM bis um 10 Milliarden DM im Jahre 1992. Wenn Herr Kiechle sagt, daß von diesen gewaltigen Summen, die der Steuerzahler aufbringen muß, uns deutschen Bauern und Bäuerinnen etwas zugute komme, dann ist das einfach falsch. Im Gegenteil: Durch die Auswirkungen der Beschlüsse werden die kleineren Betriebe nur noch mehr unter Druck gesetzt. Dagegen profitieren die Agrar- und die Ernährungsindustrie davon. Dies, Herr Kohl, haben Sie im Auge gehabt, als Sie meinten, dieser Einsatz für Europa habe sich gelohnt.
Sie selbst haben zugeben müssen, daß den Bauern neue Opfer abverlangt werden, und dabei haben Sie vor allem die kleinen Höfe gemeint.Es läßt sich auch im Agrarbericht 1988 nicht mehr verschleiern, daß das Einkommen unserer Bauernfamilien erneut drastisch zurückgeht. Dadurch wurden und werden immer mehr kleinere und mittlere Betriebe aus der Produktion gedrängt. Vorruhestandsregelung, Flächenstillegung und Milchrente sind Programme, um uns Bauern aus der Produktion heraus-
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Frau Flinnerzukaufen. Nach Meinung der regierenden Parteien haben ohnehin nur die riesigen Agrarfabriken noch Überlebenschancen, und nach der herrschenden Ansicht im Landwirtschaftsministerium hat der ideale Familienbetrieb eine Flächengröße von mindestens 60 Hektar.Die neueste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, daß das Verbot der Hormonmast von Rindern nicht rechtmäßig sei, weist übrigens in die gleiche Richtung, daß den Kleinbetrieben weitere Wettbewerbsnachteile entstehen und daß die Anliegen von Bauern und Verbrauchern den Profitinteressen der Großindustrie untergeordnet werden.
Der Erfolg der vielgelobten Flächenstillegung besteht nicht im Abbau der Überschüsse. Das haben Erfahrungen mit ähnlichen Programmen vor allem in den USA schon gezeigt, und das bestätigen auch die Experten. Der Erfolg besteht auch nicht in den Vorteilen für Naturschutz und Ökologie. Im Gegenteil, die Flächenstillegung wird zur stärkeren Intensivierung der Bewirtschaftung mit höherem Spritzmitteleinsatz auf den verbleibenden Nutzflächen führen. Die schon bestehenden Verunreinigungen und Risiken für Boden und Grundwasser werden sich dort verstärken. In der Folge werden wir Bauern noch mehr zu Sündenböcken der Umweltpolitik abgestempelt.
Die Einteilung der Landwirtschaft in intensiv genutzte Schmutzgebiete und stillgelegte Schutzregionen ist eine Rechnung, die nicht aufgeht. Solche Ausgleichsökologie beschleunigt die Zerstörung unserer gewachsenen Kulturlandschaft.Die Brüsseler Beschlüsse sind in erster Linie ein Programm zum Abbau der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft. Hier werden im ländlichen Raum unzählige Arbeitsplätze abgewertet und vernichtet. Einen Bauern, der bisher wirklich mit Leib und Seele Bauer war, kann ich doch nicht einfach in die Fabrik stellen oder beim Straßenbau beschäftigen; das geht nicht.
Im übrigen ist das Arbeitsplatzangebot für die ausscheidenden Bauern gar nicht mehr vorhanden.
— Da müßten Sie ja die ganze Bundesrepublik mit Teststrecken vollmachen, wenn Sie die Bauern hier unterbringen wollten.
Merken Sie denn nicht, daß diese Politik nicht mehr haltbar, nicht mehr vertretbar und nicht mehr wählbar ist? Gibt es Ihnen nicht zu denken, daß den Regierungsparteien die Bauern und Bäuerinnen davonlaufen, daß sich jetzt die Agraropposition in ihrer Besorgis um die bäuerliche Landwirtschaft zusammengeschlossen hat, daß sogar innerhalb des Bauernverbandes die kritischen Stimmen gegenüber Ihrer Agrarpolitik zunehmen? Selbst Herr Dobler von Baden-Württemberg sagt: Die heimische Landwirtschaft blutet weiter aus und für die Betriebe, die aktiv in der Landwirtschaft bleiben wollen, ist nichts getan. Was Sie ausBrüssel mitgebracht haben, ist kein Erfolg, sondern es bedeutet den Ruin unserer bäuerlichen Landwirtschaft.Wir hätten für unsere Bauern als Ergebnis des Gipfels im wesentlichen erwartet: — die Rückführung des Chemieeinsatzes in der Landwirtschaft, — die Förderung der flächendeckenden ökologischen Landbewirtschaftung, — keine Subventionierung einer umwelt- und gesundheitsschädigenden agrarindustriellen Erzeugung und eine Umkehr in der Marktordnungspolitik, d. h. gerechte Bezahlung von sinnvoll geleisteter bäuerlicher Arbeit für gesunde Lebensmittel.Zum Schluß fordere ich die Bundesregierung auf, im Rat darauf hinzuwirken, daß das Hormonverbot in der Rindermast erneut in Kraft tritt
und der Einsatz des BST in der Milchproduktion weiterhin verboten bleibt.Danke schön.
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin in der angenehmen Lage, dem Herrn Kollegen Dr. Scheer in seiner Feststellung zustimmen zu können, daß es in der Politik auf Ergebnisse ankommt und daß eine Politik an ihren Ergebnissen gemessen werden muß.
Der Beweis ist das Abkommen über die weltweite Beseitigung der Mittelstreckenraketen.
Hier hat eine Politik Ergebnisse gezeigt. Wir werden auf diesem Weg der Abrüstung weitergehen.Sie haben Fragen zur weltweiten Ächtung der chemischen Waffen gestellt. Es bleibt unser Ziel, diese Verhandlungen in Genf noch in diesem Jahr zu Ende zu führen, wobei ich nicht müde werde, darauf hinzuweisen, daß es sich hier in Wahrheit nicht um Waffen, sondern um Menschen- und Naturvernichtungsmittel handelt, die ihrerseits vernichtet werden müssen.
In der Kriegsverhinderungsstrategie der westlichen Allianz haben chemische Waffen keine Rolle als Mittel friedenserhaltender Abschreckung.
Sogar zur Abschreckung eines Einsatzes chemischer Waffen durch den Warschauer Pakt stützt sich die NATO, wie es im Weißbuch des Bundesverteidigungsministeriums von 1983 heißt, hauptsächlich auf konventionelle und nukleare Kräfte.
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Bundesminister GenscherChemische Kampfstoffe werden deshalb nur in begrenztem Umfang zur Vergeltung im Falle eines Angriffs mit chemischen Waffen bereitgehalten. Da also chemische Waffen in der Kriegsverhinderungsstrategie der Nordatlantischen Allianz keine Funktion haben, entfällt die Notwendigkeit, sie zu besitzen, wenn als Folge eines C-Waffen-Abkommens die Bestände aller anderen Staaten ebenfalls vernichtet werden.Wir selbst haben keine chemischen Waffen. Wir waren uns von Anfang an über die Tatsache im klaren, erstens, daß chemische Waffen auch im Frieden ein erhebliches Risiko darstellen, und zweitens, daß die Verifikation, die Nachprüfbarkeit, im Bereich der chemischen Waffen uns vor größere Probleme stellt als bei den Raketen. Das ist keine neue Einsicht. Neu ist lediglich, daß die östliche Seite nach jahrelangem Zögern jetzt auf die Verifikationsvorstellungen des Westens eingegangen ist. Hier müssen wir jetzt Nägel mit Köpfen machen.Ich habe mit großer Freude festgestellt, daß bei der Zusammenkunft der Außenminister der NATO am letzten Dienstag alle — alle! — dort vertretenen Länder die Auffassung zum Ausdruck gebracht haben, daß die Gefahr der Ausweitung der chemischen Waffen es dringlich notwendig macht, jetzt zu einem Abkommen zu kommen, und daß wir das auch dann tun müssen, wenn wir wissen, daß wir, jedenfalls anfangs, keine 100%ige Garantie der Verifikation haben. Der zehnjährige Vernichtungszeitraum wird uns aber die Möglichkeit geben, in diesen zehn Jahren die Maßnahmen der Verifikation zu verbessern.
Auf dieser Grundlage wollen wir weiterarbeiten. Deshalb, glaube ich, sollten wir uns in der Feststellung vereinen: Chemische Waffen dürfen keine Zukunft haben. — Das sagen wir weltweit, und das sagen wir nicht regional.Meine Damen und Herren, ich hätte es für möglich gehalten, daß heute über verschiedenste Themen diskutiert wird. Aber ich habe es — offen gesagt — nicht für möglich gehalten, daß wir noch einmal über Sinn, Notwendigkeit, Vorteile und Bedeutung der Europäischen Gemeinschaft diskutieren müssen. Herr Kollege Dr. Lippelt, ich muß Ihnen ganz klar sagen: Für uns ist die Europäische Gemeinschaft die friedenserhaltende Antwort von zwölf europäischen Demokratien auf jahrhundertelange Irrwege der europäischen Politik.
Das ist eine Friedensgemeinschaft, an der wir weiterbauen.
— Bitte lassen Sie mich meine Gedanken zu Ende ausführen. — Diese europäische Gemeinschaft ist in ihrer Zusammenarbeit von Staaten mittlerer und kleinerer Größe längst ein attraktives Modell für andere Teile der Welt geworden. Die ASEAN-Staaten haben sich zusammengeschlossen. Die zentralamerikanischen Staaten bemühen sich um einen solchen Zusammenschluß. Lassen Sie uns doch diese Zukunftschance der Zusammenarbeit erkennen.
Die EFTA-Staaten, meine Damen und Herren, sehen in der Herstellung des Binnenmarktes nicht eine Gefahr, sondern sie sehen eine Chance für sich, weil sie wissen, was dieser neue Binnenmarkt auch für sie an Möglichkeiten bietet, wenn sie die Schritte der Niederreißung von Handelsbarrieren mit uns gehen. Darüber sprechen wir heute mit den EFTA-Staaten: wie wir das gemeinsam tun können.Nehmen Sie bitte als letztes zur Kenntnis: Die Tatsache, daß wir gute Aussicht haben und uns darum bemühen, noch in unserer Präsidentschaft zum Abschluß auch der Vereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Staaten des RGW zu kommen, zeigt doch, daß auch die sozialistischen Länder die Europäische Gemeinschaft politisch und wirtschaftlich als eine europäische und weltpolitische Realität anerkennen.
Das ist die Grundlage, von der wir ausgehen.Nun, meine Damen und Herren, muß man eines ganz klar erkennen. Die Herstellung des europäischen Binnenmarktes bedeutet neue Wachstumschancen nicht nur für die 320 Millionen Bürger in der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch für die Weltwirtschaft. Das ist die große Wachstumsreserve für die Weltwirtschaft.Herr Kollege Vogel, Sie haben auf die zusätzlichen Belastungen hingewiesen. Der Bundeskanzler hat ganz klar die Zahlen genannt. Ich darf sie nochmals zitieren.
— Bitte erlauben Sie mir das zu zitieren. — Er hat gesagt: Für uns bedeutet das, daß auf uns 1988 eine zusätzliche finanzielle Belastung von etwa 4 Milliarden DM
und 1992 von ca. 10 Milliarden DM zukommen wird.
— Nun, gut; für jedes Jahr. Man sieht ja: es steigt.Meine Damen und Herren, ich finde, wir brauchen uns dieser Zahlungen doch gar nicht zu schämen.
Hier ist Europa in Wahrheit zu einer neuen Qualität der Solidargemeinschaft geworden. Darum geht es.
Ich bin der Meinung, es war ein Gewinn für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Fortschritt, daß die Süd-
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Bundesminister GenscherStaaten Europas der Europäischen Gemeinschaft beigetreten sind.
Diese Länder, Griechenland, Portugal, Spanien, haben ihre Diktaturen aus eigener Kraft abgeschüttelt. Wir haben ihren Demokratien durch die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft eine gesunde
und wirtschaftliche und sozial stabile Zukunftschance gegeben.
Darauf bauen wir auf. Ich sage das,
Herr Kollege Vogel, damit aus diesen Zahlen nicht der Eindruck entsteht — wir haben auch solche Vokabeln gehört —, was hier geschieht, sei ein Opfer auf dem Altar Europas.
Jede Deutsche Mark, die wir in die Strukturfonds zahlen, ist eine Investition in unsere eigene Zukunft und unsere eigenen Exportinteressen innerhalb des europäischen Marktes.
Das, meine Damen und Herren, ist in Wahrheit eine weitsichtige, zukunftsorientierte Politik der Schaffung auch von sicheren Arbeitsplätzen.Nun will ich einmal dem Kollegen Dr. Lippelt sagen, was der Binnenmarkt an Ersparnissen bringt. Herr Kollege Dr. Lippelt, nach Schätzungen des Europäischen Parlaments auf der Grundlage von Zahlen der Kommission werden bei Niederreißung aller Binnengrenzen steuerlicher und sonstiger Art pro Jahr zwischen 24 und 40 Milliarden DM gespart werden können. Das ist der Vorteil, den wir für die erhöhten Zahlungen in die Europäische Gemeinschaft eintauschen. Und die Liberalisierung der öffentlichen Beschaffungsmärkte wird wiederum Milliardenbeträge einsparen, die unserem eigenen wirtschaftlichen Wachstum zugute kommen.
Hier vollzieht sich etwas, was uns in die Lage versetzt, durch Produktion am jeweils besten Standort, durch Verbesserung der Produktionsstrukturen und vor allem durch gemeinsame Bewältigung der tiefgreifenden Strukturprobleme das bedrückende Problem — Herr Kolege Dr. Vogel, da stimme ich Ihnen voll zu — der großen Arbeitslosigkeit in der Europäischen Gemeinschaft wirksam anzugehen.Die Glaubwürdigkeit dieser Europäischen Gemeinschaft wird ganz wesentlich davon abhängen,
ob wir mit dieser Politik schrittweise — und da darf niemand mehr versprechen als erreichbar ist —, schrittweise, dazu kommen, daß wir durch den Aufbau neuer Strukturen, durch Produktion an den günstigsten Plätzen, durch Beseitigung von Regulierungen, durch einen zwischenstaatlichen Deregulierungsprozeß von historischen Ausmaßen die strukturellen Hindernisse dafür zu beseitigen, daß sich der Markt von 320 Millionen Verbrauchern voll entfalten kann. Das ist die große Chance zur schrittweisen Überwindung der Arbeitslosigkeit in Europa.
Dafür ist es notwendig, meine Damen und Herren, daß wir auch entscheidende Schritte tun, um Fortschritte in der währungspolitischen Zusammenarbeit zu tun. Wenn wir das Ziel des europäischen Binnenmarktes für das Jahr 1992 haben, dann müssen wir bis 1992 die technologische Dimension der Europäischen Gemeinschaft entwickeln, wir müssen aber auch die währungspolitische Dimension entwickeln. Wir brauchen, um diesen Markt voll funktionsfähig werden zu lassen, auch eine Europäische Währungsunion und eine Europäische Zentralbank.
Die Voraussetzungen dafür sind günstig.Natürlich muß diese Europäische Zentralbank dieselbe Unabhängigkeit haben wie die Deutsche Bundesbank. Und natürlich müssen wir dafür sorgen, daß die Ziele unseres Wachstums- und Stabilitätsgesetzes zur Magna Charta europäischer Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik werden.Aber das werden wir nicht erreichen, wenn wir uns der Europäischen Währungsunion verweigern würden, sondern wir können es nur erreichen, wenn wir es sind, die initiativ darauf hinwirken. Wir haben auch in dieser Frage in Frankreich einen konstruktiven Partner. Ich glaube, daß hier ein ganz großes Zukunftsziel für unsere Gemeinschaft vorhanden ist.Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren: Erkennen wir die Chancen, die in Europa liegen. Sehen wir die Notwendigkeit, dafür zu sorgen, daß das große Ziel, das wir, nach unserer Verfassung, in unserem Land schrittweise erreicht haben, nämlich die Gleichheit der Lebensverhältnisse anzustreben, auch in der Europäischen Gemeinschaft erreichen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer?
Nein, ich möchte keine Fragen mehr zulassen, weil ich gleich zu Ende kommen will.Wenn wir, Frau Kollegin, die Sie hier soeben für die deutsche Landwirtschaft gesprochen haben — —
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Bundesminister Genscher— Über die deutsche Landwirtschaft. — Herr Kollege, ich will Ihnen ganz offen sagen: Ich billige jedem Kollegen in diesem Hause zu, daß er aus seiner Sicht das Beste will. Und dann können wir noch darüber streiten, wer die richtige Auffassung hat und wer die falsche.
Ich möchte Ihnen noch eines sagen: Alles das, was notwendig ist, um dem bäuerlichen Familienbetrieb eine Zukunftschance zu geben, muß getan werden. Nur, was ich nicht billigen kann, ist, daß Sie einen Gegensatz aufstellen und sagen: Damit die Absatzchancen der Großunternehmen gestärkt werden, habt ihr in der Landwirtschaft nachgegeben. — Es ging nicht um Absatzchancen von Großunternehmen, es ging um Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer.
Die Probleme, die in der Landwirtschaft durch Abbau der Überschüsse entstehen, erfordern allerdings auch, daß die anderen Wirtschaftszweige, die aus dem größeren Markt Vorteile ziehen, in einer Solidargemeinschaft innerhalb unserer Gesellschaft bereit sind, die Mittel zur Verfügung zu stellen, die wir den bäuerlichen Familienbetrieben zur Überwindung der Anpassungsprobleme gewähren müssen.
Spielen wir die gesellschaftlichen Gruppen in unserem Land nicht gegeneinander aus, sondern sorgen wir dafür, daß wir unserem Land durch moderne Strukturen der Wirtschaft, und zwar in allen Bereichen einschließlich der Landwirtschaft, eine Zukunftschance in der Europäischen Gemeinschaft geben, die das ermöglicht, was uns unser Grundgesetz vorschreibt: einen sozialen Rechtsstaat zu schaffen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, was sich zum Abschluß des europäischen Sondergipfels sagen läßt, ist: Die Europäische Gemeinschaft ist noch einmal davongekommen. Nach den beiden gescheiterten Gipfeln von Brüssel und Kopenhagen ist jedenfalls das Wichtigste, daß es überhaupt zu einem Kompromiß um das Delors-Paket gekommen ist und daß eine schwere Krise der Gemeinschaft vermieden wurde. Aber was die Ergebnisse für die Gemeinschaft und für ihre Mitgliedsländer langfristig wirklich bedeuten, muß sich erst zeigen. Denn wir haben ja schon gestern von ersten Schwierigkeiten gehört. Der Finanzministerrat hat sich ohne eine Einigung über den Haushalt für 1988 wegen schwerwiegender unterschiedlicher Auffassungen über die Auslegung der Beschlüsse des europäischen Sondergipfels ohne Ergebnis vertagt.Ich möchte bei der Bewertung der Ergebnisse des Europäischen Gipfels mit einer Entscheidung beginnen, die wir am positivsten einschätzen, nämlich die Einigung über die Verdoppelung der Mittel für die Strukturfonds. Hier nehmen wir mit Freude zur Kenntnis, daß die Bundesregierung auf die Position der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eingeschwenkt ist,
denn Sie, Herr Genscher, haben noch bei der Debatte am 10. Dezember auf unsere Diskussion hin gesagt — ich zitiere — :Es wäre falsch — meine Kollegen von der SPD, Sie sollten hier Ihre Meinung noch einmal überprüfen — , wenn wir den gesamten Strukturfonds verdoppeln würden.
Noch eine Woche — ich sage nur: noch eine Woche — vor dem europäischen Sondergipfel hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion zu den Vorhaben der EG-Ratspräsidentschaft folgendes geantwortet: „Eine reale Verdoppelung der Fondsmittel insgesamt hält sie auch mit Blick auf die schwierige Finanzsituation der Gemeinschaft nicht für den richtigen Weg. "Wir halten die Verdoppelung für den richtigen Weg. Ich kann nur einem der vielen Kommentatoren des Brüsseler Gipfels zustimmen, der dies als einen Einstieg in einen regionalen Ausgleich auch zwischen wirtschaftsstärkeren und wirtschaftsschwächeren Ländern in der Europäischen Gemeinschaft bezeichnet und der sagt — ich zitiere — : „Der Begriff Finanzausgleich, der im Nationalstaat zwischen ärmeren und reicheren Ländern selbstverständlich ist, kann in einem echten Binnenmarkt keine unverständliche Vokabel bleiben." — Dem ist wirklich zuzustimmen.
Was uns bedenklich stimmt, ist also nicht das Ergebnis und die Tatsache, daß die Bundesregierung ihre Haltung in bezug auf die Strukturfonds geändert hat, sondern daß sich zeigt, daß die Bundesregierung offensichtlich eine völlig konfuse, eine völlig unklare oder sogar eine falsche Strategie hatte,
als sie sich eine Verdoppelung der Mittel für die Strukturfonds hat abhandeln lassen, statt sie offensiv als Angebot an die südeuropäischen Länder zu richten und damit die Zustimmung auch zu anderen Fragen, z. B. für die Erweiterung der Rechte des Europäischen Parlaments, zu erreichen.Ein zweiter Punkt, der uns in diesem Zusammenhang bedenklich stimmt — ich nenne hier das Stichwort „mangelnde handwerkliche Fähigkeiten" —, ist, daß die Regierungschefs bei der Festlegung der Prioritäten für die Strukturfonds schlicht vergessen haben, über die erste Priorität hinauszugehen. Die erste
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Frau Wieczorek-ZeulPriorität ist die eben geschilderte, nämlich für die wirtschaftsschwächeren Länder. Aber die restlichen Prioritäten sind schlicht unter den Tisch gefallen. Dabei geht es — man merke auf — um die von Krisen betroffenen Industrieregionen, also z. B. die Montanregion, und um das sogenannte Resider-Programm für die Stahlregionen. Das ist schlicht vergessen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage: Es ist skandalös, daß auf diese Art und Weise die Interessen der Menschen in diesen Regionen beim Gipfel unter den Tisch gefallen und schlicht vergessen worden sind. Das ist einfach unglaublich.
Die Begrenzung des jährlichen Anstiegs der Agrarausgaben und die Festlegung der Produktionsobergrenzen begrüßen wir zwar, aber wir sagen auch dazu, daß die Überproduktion in dem jetzt beschlossenen Rahmen nicht gesenkt werden kann. Maximal ist ein langsameres Ansteigen zu erwarten.
Auch die beschlossene Garantieobergrenze für Getreide von 160 Millionen Tonnen für die Zeit bis 1992 ist jedenfalls nicht geeignet, Preissenkungen zu erreichen. Wer so argumentiert, argumentiert mit gezinkten Karten; denn in den letzten Jahren ist die Getreideernte unter dieser Obergrenze geblieben, und doch hat sich der europäische Getreideberg kontinuierlich erhöht.Das umstrittene Flächenstillegungsprogramm ist aus unserer Sicht wegen seiner bescheidenen Finanzausstattung und auch wegen der mangelnden Kontrollmöglichkeiten kaum dazu angetan, die Überproduktion in der Landwirtschaft zu beschränken. Im Gegenteil: Die Gefahr einer ökologisch schädlichen intensiveren Flächenbearbeitung ist sogar gewachsen.Wir begrüßen jedenfalls die geschaffene Möglichkeit direkter Einkommensbeihilfen für Landwirte. Wir haben das als SPD immer wieder gefordert, weil wir darin ein Instrument sehen, die Existenz von Landwirten wirklich zu sichern und vor allen Dingen auch sinnvolle Umweltaufgaben zu bewältigen. Aber wir würden von der Bundesregierung gern wissen, wie sie sich eigentlich die konkrete Gestaltung und vor allen Dingen auch die konkrete Finanzierung dieses Instrumentes vorstellt. Das würden wir bei einer solchen Diskussion auch gern mit ansprechen.
Mit einem neuen gerechteren System der Eigenmittel, das sich stärker am Bruttosozialprodukt orientieren soll, sollten die EG-Finanzen auf dem Sondergipfel dauerhaft gesichert werden. Hier setzt trotz unserer grundsätzlichen Zustimmung zu diesem System jedoch einer unserer Kritikpunkte an; denn es ist völlig unklar — der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion Vogel hat das vorhin ja sehr deutlich gesagt —, welche finanziellen Konsequenzen sich eigentlich aus diesen Beschlüssen ergeben. Ich halte es nachgerade für skandalös, daß sich Herr Stoltenberg zwar in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung" vom 23. Februar 1988 über allgemeine Konsequenzenergeht, aber heute morgen noch nicht einmal hier gestanden hat, um zu sagen, welches denn wirklich die finanziellen Konsequenzen sind.
Das wäre wichtiger gewesen als manche wolkige Rede, die wir heute morgen zur allgemeinen europäischen Politik gehört haben.Im übrigen wird von Opfern für die Europäische Gemeinschaft gesprochen. Ich sage an die Adresse der Bundesregierung: Man schadet dem Ansehen der Europäischen Gemeinschaft, wenn man sie vorschiebt, um eigene Verhandlungsfehler und eigene Politikfehler zu kaschieren. Es ist eine Tatsache, daß das Festklammern am falschen Agrarkonzept und das Scheitern beim Kopenhagener Gipfel den jetzigen Kompromiß wahnsinnig viel teurer gemacht haben, als er beim Kopenhagener Gipfel zu haben gewesen wäre. Es ist also kein Opfer für Europa, sondern es ist ein Opfer für eine falsche Verhandlungsstrategie und ein falsches Politikkonzept der jetzigen Bundesregierung.
Nicht nur aus deutscher Sicht ist es schlimm, daß auf dem Sondergipfel Gemeinschaftsaufgaben wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit keine Rolle gespielt haben. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Entwicklung eines sozialen Europas zum Schwerpunkt des nächsten Gipfels Ende Juni in Hannover zu machen.Bundeskanzler Kohl hat mit seinen bekannten extemporierenden Bemerkungen außerhalb des Redetextes bei seiner Rede zum 125jährigen Jubiläum der Farbwerke Hoechst deutlich gemacht, daß er in einem EG-Binnenmarkt eine Absenkung sozialer Standards anstrebt. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, solche Äußerungen sind mehr dazu angetan, Anti-EG-Stimmungen zu schaffen, als es tausend Anti-Europäer schaffen würden. Das muß sehr deutlich gesagt werden.
Wir meinen jedenfalls: Der Binnenmarkt wird nur dann kommen, wenn auch die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen erwarten können, daß ihre Rechte in ihm gesichert und daß sie ausgebaut werden und wenn dem kapitalistischen Wirtschaftsraum der Europäischen Gemeinschaft auch ein wirklicher Sozialraum gegenübergestellt wird. Ohne dieses Element wird der europäische Binnenmarkt keine Chance haben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war heute morgen schon verwunderlich, daß in der Regierungserklärung des Bundes-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4179
Münteferingkanzlers zu Brüssel das Thema Stahl und Montanregionen nur als Leerzeile vorkam. Der Bundeskanzler hat in der Aufzählung der wichtigen Aufgaben für das erste Halbjahr 1988 das Thema Stahl ausdrücklich nicht angesprochen. Herr Dregger hat sich zur Situation in den Montanregionen und zu den Ergebnissen der Montankonferenz von gestern mühsam zwei, drei Sätze abgerungen. Aber auch er ist nicht konkret geworden bezüglich der Frage: Wie wird es mit dem Stahl weitergehen?Wenn man aber den europäischen Binnenmarkt begrüßt und sagt, man wolle ihn — wir wollen ihn auch — , dann muß man wissen, daß die Frage nach der Stahlpolitik geklärt werden muß, und zwar sehr bald. Anderenfalls werden wir noch in diesem Jahr erleben, daß es in den deutschen Stahlstandorten nicht bei dem bleibt, was wir jetzt schon als Probleme kennen, sondern die Probleme werden riesengroß, so daß sie für uns auf der nationalen Ebene unlösbar sind. Es ist deshalb nötig, in dieser Debatte ein paar Anmerkungen zur Zukunft der Stahlpolitik in Europa und zur Zukunft der Montanregionen überhaupt zu machen.Gestern hat die Montankonferenz stattgefunden. Wir begrüßen, daß sie zustande gekommen ist. Sie kam zwar spät, aber es war ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Der Bundeskanzler hat dort Anmerkungen zur Stahlpolitik gemacht, allerdings ohne ganz konkret zu werden. Es wäre heute eine gute Gelegenheit für den Bundeskanzler gewesen, vor dem deutschen Parlament das, was er gestern in der Montankonferenz angedeutet hat, als seine Vorstellung darzulegen, was er als Bundeskanzler in den nächsten Monaten für die deutsche Stahlindustrie tun will. Diese Situation hat er leider nicht genutzt; diese Gelgenheit hat er leider vorbeigehen lassen, ohne hier im Parlament dazu klare Worte zu sagen.Die gestrige Konferenz war ein erster Schritt. Alle, die heute sagen, sie sei kein Erfolg gewesen, sie habe nichts gebracht, irren sich.
— Lesen Sie mal die Zeitungen.Es irren sich aber auch alle sehr, die heute sagen: Damit ist das Problem gelöst. Es wird nötig sein, daß sehr schnell weitere Schritte folgen und wir nicht bei dem stehenbleiben, was gestern zugesagt, vereinbart, angekündigt worden ist. Es bleiben eine ganze Menge Fragen, Erwartungen und Forderungen an die Bundesregierung. Dazu muß schnell Stellung genommen werden.Der erste Punkt betrifft die Kohle. Es gibt die Vereinbarung vom Dezember, die eine Chance für eine vernünftige Entwicklung in diesem Bereich darstellt. Aber solange nicht zugesagt ist, daß der Verstromungsanteil der Kohle bestehen bleibt und man nicht am Kohlepfennig manipuliert, kann man keineswegs sicher sein, daß die Kohle schon über den Berg ist, und zwar auf der Linie dessen, was im Dezember vereinbart wurde.
Der zweite Punkt betrifft die Finanzhilfen. Es ist ja unerklärlich, weshalb sich die Bundesregierung gestern geweigert hat, ebenso wie in anderen Situationen auch für die Montanregionen nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes Finanzhilfen zu geben. Mit diesen Finanzhilfen kann man die Zukunftsinitiative Montanregionen, die in Nordrhein-Westfalen gut begonnen hat, ausbauen und verstärken. Dazu fehlt bisher noch jede Aussage der Bundesregierung. Das kann nicht das letzte Wort gewesen sein.Ein dritter Punkt ist die Situation in den Städten und Gemeinden der Montanregionen. Wie soll denn eigentlich Aufbruchstimmung aufkommen, wie sollen die Gemeinden Anstoß geben, Aufträge geben, Arbeitsplätze schaffen können, wenn ihnen durch die Politik der Bundesregierung die Investitionskraft immer weiter zusammengestrichen wird? Es ist ganz dringend erforderlich und eine zentrale Aufgabe, wenn man über die Zukunft der Montanregionen spricht, die Belastung der Kommunen, insbesondere die Belastung durch die Sozialhilfe, wegzunehmen und ihnen damit mehr Investitionskraft zu geben, damit sie bei dem Bemühen um eine Verbesserung der Strukturen in den Montanregionen mitmachen können.
Nun zum Stahl und zu Europa. Da fallen bis zum Sommer wichtige Entscheidungen. Wir erwarten, daß die Bundesregierung in Brüssel für die nationale Stahlbasis kämpft, nicht nur hingeht und darüber spricht, daß man da auch Interessen habe, sondern dafür kämpft,
so wie die Stahlarbeiter in Solidarität mit allen Arbeitnehmern in den Stahlregionen das seit Monaten getan haben. Das heißt, die EG-Produktionsquoten müssen für mindestens drei Jahre verlängert werden, und das heißt, es muß einen reellen Wettbewerb zwischen den Stahlunternehmen in unserem Land und in Europa geben. Die deutschen Stahlunternehmen und die deutschen Stahlarbeiter haben doch keine Angst vor dem reellen Wettbewerb, aber es muß ein reeller Wettbewerb sein. Es dürfen nicht da Investitionen fließen, gegen die wir hier machtlos ankämpfen. Das ist der Punkt, um den in Europa gekämpft werden muß.
Nun hat Herr Kommissar Narjes in Ankündigungslaune schon gesagt: Das wird wohl alles nichts mehr; Da wird nicht genug gestrichen, und so werden wir wohl die Produktionsquoten nicht fortsetzen können. Herr Bangemann hat einige Male von dieser Stelle gesagt, daß sei alles sehr schwierig und werde wohl nichts mehr werden. Deshalb müssen wir heute hier den Bundeskanzler auffordern, es nicht bei den Worten von gestern zu belassen, sondern die Sache wirklich selbst in die Hand zu nehmen.
Er muß dafür sorgen, daß in der Zeit seiner Präsidentschaft geklärt wird, daß das Produktionsquotensystemfortgeführt und der Wettbewerb hergestellt wird. Wer
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Münteferingin Sachen Butter zwei Tage lang stahlhart verhandelt, der darf in Sachen Stahl nicht butterweich sein.
Damit es nun kein Mißverständnis gibt — Herr Blüm hört interessiert zu, Herr Lammert auch — :
Was gestern in der Montankonferenz erarbeitet worden ist, ist etwas, was wir gemeinsam in einer großen Kooperation umsetzen müssen. Diese Umsetzung ist etwas ganz Entscheidendes für die nächsten Monate, und da machen die Sozialdemokraten mit. Dafür brauchen wir mutige Unternehmer — die haben wir in Nordrhein-Westfalen — , denen müssen wir helfen, den kleinen in ganz besonderer Weise. Die müssen bei der Innovation, bei der Entwicklung von Produkten, beim Marketing Unterstützung bekommen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen mutige Unternehmer, das haben die letzten Jahre schon gezeigt: 20 000 neue Unternehmen gab es innerhalb von zwei Jahren. Von 17 % der Unternehmen wissen wir, daß sie sich ortsnah verbessern, verändern, vergrößern wollen. Da muß es Hilfe geben, und zwar unbürokratische Hilfe, wirkungsvolle Hilfe. Daran wollen wir mitarbeiten.Es muß möglich sein, daß in den nächsten Monaten ein Aufbruch erfolgt, der, aufbauend auf dem, was es an guten Voraussetzungen in Nordrhein-Westfalen gibt, dazu beiträgt, daß diese alte Industrielandschaft, alte Industrieregion eine moderne Industrielandschaft, eine moderne Industrieregion wird. Alle Voraussetzungen sind dafür gegeben. Wir werden als Sozialdemokraten dabei mitwirken.Wir hoffen, daß jetzt Schluß ist mit der Beschimpfung und Abqualifizierung Nordrhein-Westfalens, wie das immer im politischen Raum angeklungen ist. Herr Blüm — ich sehe, daß Sie sich fertigmachen, doch noch zu antworten —, wir sind mit der Bitte an Sie herangetreten — und ich will das hier gerne wiederholen — , daß Sie auch dazu beitragen, NordrheinWestfalen nicht durch leichtfertiges Reden abzuqualifizieren. Ich will auf einen konkreten Punkt kommen: Sie sprechen seit Wochen und Monaten an, in den nächsten zehn Jahren müsse der Moloch Bürokratie in Nordrhein-Westfalen klein gemacht werden. Ich sage: nicht erst in zehn Jahren; wo es der Moloch ist, soll er ganz weg. Wir sind auch dafür, daß wir Bürokratie da, wo sie ist — die gibt es in Nordrhein-Westfalen, die gibt es auch anderswo — , kleiner machen, als sie heute ist.
Aber bitte schön, Herr Blüm, werden Sie konkret. Sagen Sie, wo Sie die Hemmnisse sehen. Wir sind bereit, mit Ihnen zusammen daran zu arbeiten. Aber wenn die Tür quietscht, muß man wissen, wo sie quietscht, damit man hobeln und ölen kann. Das wollen wir gern tun. Also helfen Sie dabei mit! Reden Sie nicht nur allgemein darüber, da stimme irgend etwas nicht, sondern sagen Sie, wo es hakt. Dann machen wir das miteinander klar, zum Nutzen unseres Landes und zum Nutzen der Menschen in Nordrhein-Westfalenund speziell in der Montanregion, und das alles im Sinne von Johannes Rau: verliebt ins Gelingen!Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich bei der Opposition, daß sie das Ergebnis der gestrigen Revier-Runde begrüßt, so daß Gemeinsamkeit möglich ist; denn ich glaube, mit Konfrontation sind die Probleme an Rhein und Ruhr nicht zu lösen. Auf den Barrikaden entstehen keine neuen Arbeitsplätze.
Deshalb sollten wir alle mitwirken, daß die Chance der Kooperation wächst. So war es auch nach dem Krieg; da waren die Probleme nicht geringer. Durch Gemeinsamkeit haben wir den Wiederaufbau geschafft. Das ist auch unser Rezept für Nordrhein-Westfalen.Nur, glaube ich, eines darf heute auch festgestellt werden: Wer jetzt noch behauptet, diese Regierung würde Nordrhein-Westfalen nicht helfen,
dem ist überhaupt nicht zu helfen.
Wer jetzt noch behauptet, Nordrhein-Westfalen würde im Stich gelassen, der behauptet es wider besseres Wissen, der kann nicht in Nordrhein-Westfalen und auch nicht ins Gelingen verliebt sein.Nach der Kohlerunde, nach der Frankfurter Vereinbarung und nach der gestrigen Montanrunde bieten wir nicht Zusagen, sondern handfeste Programme an: Eine halbe Milliarde DM bringen wir auf die Waagschale. Wenn jetzt auch das Land noch eine halbe Milliarde DM hinzulegt, haben wir eine Milliarde DM. Das kann zu einer Kette von Investitionen führen mit neuen Arbeitsplätzen.Zu den ganz konkreten Hilfen für das Revier gehört auch die Zusage, daß die Post ihre Investitionen aufstockt. 10 Milliarden DM gehen in den nächsten zwei Jahren nach Nordrhein-Westfalen; es wurden 500 Millionen DM aufgestockt.Ferner wurde beschlossen, daß aus dem Verkehrsbereich Flächen für Neuansiedlungen zur Verfügung gestellt werden — nicht nur ein paar Quadratmeter, sondern in Hohenbudberg sind es zum Beispiel 70 Hektar, die die Bundesbahn zur Verfügung stellt — , daß der Hafen in Duisburg Freihafen wird, daß die Hafengesellschaft ihr Kapital aufstocken kann unter Beteiligung des Bundes, daß in der Umwelttechnologie auch in Nordrhein-Westfalen neue Verfahren ausprobiert werden, daß wir überbetrieblichen Ausbildungsstätten auch in Rheinhausen unter die Arme greifen und daß das Raumfahrtzentrum nach Nordrhein-Westfalen kommt, das ist ganz handfest, kein langes Reden.
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Bundesminister Dr. BlümWenn Sie fragen: Warum kommt die Konferenz so spät? — antworte ich Ihnen: vor dieser gab es eine solche Konferenz überhaupt nicht. Die Probleme sind aber nicht erst 1982 entstanden.Lassen Sie uns gemeinsam den Versuch machen, Nordrhein-Westfalen aus dem Tal herauszubringen! Dort leben fleißige Arbeitnehmer und tüchtige Unternehmer. Wenn alle mitmachen, Unternehmer, Gewerkschaften, Landesregierung und Bundesregierung, werden wir es schaffen.Lassen Sie uns auch — ich wiederhole es hier — Bürokratie entrümpeln. Lieber Herr Müntefering, fragen Sie doch einmal ein paar Unternehmer, wie das in Nordrhein-Westfalen ist: Bevor sie einen Stein vermauern können, müssen sie zwei Meter Formulare ausgefüllt haben.
Nordrhein-Westfalen ist das Musterland der Bürokratie.
Das zweite: Laßt die Planungen, die beschlossen sind, nicht im Grünen enden! Soll ich Ihnen die Autobahnen nennen, die im Grünen enden?
— Ja, in der Tat, da muß ein Staat auch beweisen, daß er zu seinen Vorhaben steht. Auch das hat etwas mit Struktur zu tun.
Noch ganz kurz etwas zu Kohle und Stahl: Zur Klarheit und Wahrheit gehört auch, den Leuten nicht nach dem Mund zu reden. Ich sage: Der Kohle kann nicht geholfen werden, wenn sie sich nicht mit der Kernenergie verbündet. Kohle ohne Mischkalkulation mit der Kernenergie hat keine Zukunft. Auch das gehört zur Wahrheit.
Zum Stahl: Herr Müntefering, ich stehe mit Ihnen, mit der ganzen Bundesregierung dazu, daß die deutschen Stahlkocher zu Recht eine faire Wettbewerbschance verlangen können. Wir haben den Subventionskodex durchgesetzt. Jetzt muß dafür gesorgt werden, daß das, was auf dem Papier steht, die Praxis erreicht. Der Bundeskanzler hat ausdrücklich versichert, daß er die neu gewonnene Position, das europäische Ansehen, das wir uns in Brüssel erarbeitet haben, auch in der Konferenz unter unserer Präsidentschaft für die Stahlarbeiter einsetzen wird. Wir brauchen auch eine Verlängerung des Quotensystems.Meine Damen und Herren, heute ist nicht der Tag für kleinliche Haderei.
Gestern war ein Tag mit guten Meldungen für Nordrhein-Westfalen. Lassen Sie uns den guten Meldungen einen größeren Verbreitungsgrad wünschen! Machen wir das Land nicht schlecht, helfen wir den Leuten!
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Die vereinbarte Redezeit wurde soeben überschritten.
Wir kommen zunächst zu den Entschließungsanträgen der SPD auf den Drucksachen 11/1869, 11/1870 und 11/1886. Es ist beantragt worden, die Entschließungsanträge an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1874 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1875. Es ist beantragt worden, diesen Entschließungsantrag zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Das scheint der Fall zu sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 c auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nehm, Dr. Apel, Diller, Esters, Kühbacher, Purps, Sieler , Frau Simonis, Dr. Struck, Waltemathe, Walther, Wieczorek (Duisburg), Würtz, Zander, Andres, Frau Bulmahn, Daubertshäuser, Dreßler, Ewen, Dr. Gautier, Dr. Hauchler, Schmidt (Salzgitter), Seidenthal, Frau Ganseforth, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Privatisierung der Anteile des Bundes an der Volkswagen AG
— Drucksache 11/1111 —
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Andres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen Entschließungsantrag eingebracht, mit dem der Deutsche Bundestag aufgefordert wird, die geplante Privatisierung von Anteilen des Bundes an der Volkswagen AG abzulehnen und diese geplante Privatisierung zu unterlassen. Seit Antritt dieser Regierungskoalition plant die Bundesregierung die Einschränkung staatlicher unternehmerischer Beteiligung und verstärkte Beteiligung privaten Kapitals bei den Unternehmensbeteiligungen in öffentlicher Hand. Seit dieser Zeit sind, wie Herr Dr. Stoltenberg am 15. September 1986 in Berlin vor Vorständen von Bundesunternehmen stolz erklärte, in 51 Fällen Bundesbeteiligungen veräußert, verringert oder aufgegeben worden. Rechnet man die Veba-Tranche vom letzten Jahr hinzu, sind es 52 Fälle.Nach Beschluß der Bundesregierung vom 1. Juli 1986 wurde der Verkauf der Bundesanteile der VW
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AndresAG, die noch 1985 20 % betrugen, aber durch Nichtbeteiligung an der Kapitalerhöhung 1986 auf 16 gesunken sind, im Haushalt 1987 vorgesehen. Daß die geplante Veräußerung nach langem Hin und Her bisher nicht zustande kam, wird von meiner Fraktion ausdrücklich begrüßt. Die SPD lehnt die Privatisierungspläne dieser Bundesregierung ab, weil sie ordnungspolitisch nicht sinnvoll sind und darüber hinaus die katastrophale Fehlentwicklung der Haushaltspolitik und das vorprogrammierte Scheitern der Steuerreform verdecken sollen.
So schreibt der Finanzminister im „Schleswig-Holstein-Kurier" 3/85 zu den Privatisierungsplänen:Dabei geht es mir nicht so sehr darum, aus der Veräußerung Einnahmen zu erzielen. Im Vordergrund steht vielmehr unsere ordnungspolitische Aufgabe, den Staat auf seine wesentlichen Aufgaben zurückzuführen. Die Privatisierung ist ein Teil der Gesamtstrategie der Bundesregierung.Nun aber mußte er erkennen, daß er die Einnahmen doch sehr wohl braucht, nicht, wie er versprochen hat, um eine Senkung der Steuerbelastung zu erreichen — die wird über höhere Schulden oder über Steuererhöhungen finanziert — , sondern um die Haushaltslöcher zu stopfen. Die Veräußerung von Teilen des Bundesvermögens ausschließlich zur Haushaltsfinanzierung ist für die Zukunft des industriellen Bundesvermögens kein Konzept. Besonders die Privatisierung der Bundesanteile der VW AG erweist sich bei näherem Hinsehen als Bubenstück erster Ordnung.
Nicht nur wurde die VW-Privatisierung doppelt veranschlagt — im vorigen Haushalt stand sie schon, und im Haushaltsplan für 1988 ebenfalls — , es wurde auch vernachlässigt, wie dies alles mit der „Stiftung Volkswagen-Werk" abgewickelt werden muß und was dabei an Entwicklungen auf den Bundeshaushalt zukommt.
Nach der Satzung der „Stiftung VolkswagenWerk" von 1961 ist der Bund verpflichtet, bei Veräußerung entweder den Veräußerungsgewinn an die Stiftung abzuführen oder auch in künftigen Jahren einen großen Anteil der Dividende, die dem Bund zusteht, der Stiftung zur Verfügung zu stellen. Das heißt, der Bund muß auch in Zukunft aus den möglichen Dividenden, die das Volkswagen-Werk erwirtschaftet, 674)/0 an die Stiftung abführen. Wenn man das hochrechnet — der Bund hat dies in seiner mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen — , bedeutet es für die nächsten zehn Jahre bei veranschlagten etwa 34 Millionen DM 340 Millionen DM, die in zehn Jahren an die Stiftung abzuführen sind. Bestand noch im Sommer 1987 die Erwartung, durch eine Veräußerung des 16%igen Kapitalanteils einen Erlös von rund 1,7 Milliarden DM zu erzielen, kann jetzt nach der jüngsten Börsenentwicklung davon ausgegangen werden, daß dies längst Illusion ist. Rechnet man die Zahlungen, die aus dem Bundeshaushalt an die Stiftung zu leisten sind, hoch, so ergibt sich bei der Veräußerung des Bundesanteils im Grunde mittelfristig ein Nullsummen-Spiel, und langfristig gerechnet zahlt der Bund drauf.Man kann eine solche Politik und eine solche Position nur — wie es mein Fraktionskollege Hans Apel getan hat — als Notschlachtung bezeichnen; Notschlachtung deshalb, weil hier aus kurzfristigen Haushaltsgründen Bundesvermögen versilbert wird, um Haushaltslöcher zu stopfen. Eine solche Politik ist in unseren Augen unverantwortlich.
In meinem Wahlkreis in Hannover liegt ein Volkswagen-Werk mit rund 19 000 Beschäftigten. Daher sind mir die Sorgen und Nöte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in diesem Volkswagen-Werk beschäftigt sind, ein wichtiges Anliegen für meine politische Arbeit.Dies gilt auch für meine Kollegen Carl Ewen in Emden, Bodo Seidenthal in Wolfsburg, Wilhelm Schmidt in Salzgitter, Klaus-Dieter Kühbacher in Braunschweig und Albert Nehm in Kassel, die ebenfalls große VW-Standorte in ihren Wahlkreisen haben.Im Herbst 1987 haben die Belegschaften in mehreren Werken massiv gegen die Privatisierungsabsichten des Bundes protestiert. Allein in Hannover haben über 10 000 Arbeitnehmer mit spontaner Arbeitsniederlegung gegen diese Privatisierung demonstriert.Sie alle wissen, daß in der Vergangenheit durch die Vertreter des Bundes und des Landes Niedersachsen im Aufsichtsrat mit den Arbeitnehmern Entscheidungen möglich waren, die von arbeitsmarkt- und strukturpolitischer Verantwortung getragen waren. Es ist klar, daß die Ansiedlungen der Werke in Emden, Kassel und Salzgitter ganz wesentlich auch Maßnahmen regionaler Strukturpolitik waren. Es ist klar, daß in der Vergangenheit die Standortsicherung der Werke in Wolfsburg, Hannover, Braunschweig, Ingolstadt und Neckarsulm sowie die Sicherung des Konzernsitzes in Wolfsburg auch unter diesem Aspekt zu sehen sind. Es ist klar, daß die Standorte Salzgitter, Emden und Neckarsulm während der Krise 1974/75 zur Disposition standen und aufgegeben worden wären, wenn es ausschließlich nach privaten Gewinninteressen gegangen wäre.
In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß die niedersächsische Finanzministerin, Frau Breuel, die bekanntermaßen bei keinem Privatisierungscoup fehlt, von ihrer eigenen Landtagsfraktion eine Abfuhr erteilt bekam. Die niedersächsische CDU-Landtagsfraktion hat bisher alle Privatisierungsabsichten bei VW von Frau Breuel vereitelt. Ich kann alle Kolleginnen und Kollegen der CDU-Bundestagsfraktion nur auffordern, diesem Beispiel zu folgen.
Von Franz Steinkühler, dem Vorsitzenden der IG-Metall, stammt das Wort: „Kapital kennt keine Nationalität." Das ist sicher richtig. Aber wir alle wissen auch — spätestens seit dem öffentlichen Auftreten des
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Andresiranischen Ministers in Rheinhausen — , daß Kapitalvertreter sehr wohl eine Nationalität haben und daß insbesondere politische Verpflichtungen vorhanden sind, wenn diese Kapitalvertreter vom Bund oder von den Ländern gestellt werden. Daß es den Beschäftigten in VW-Standorten nicht gleichgültig ist, wer ihre Kapitalvertreter sind, dürfte ebenfalls klar sein. Denn in den Aufsichtsorganen des Unternehmens wird entschieden, welche Zukunft diese Arbeitnehmer und ihre Familien haben. Gerade für Hannover, für meinen Wahlkreis, gibt es warnende Beispiele, beispielsweise die Firma Telefunken, die nach der Übernahme durch die französische Gruppe Thomson/Brandt vor der Schließung steht.
In den nächsten Jahren wird es im Automobilsektor weltweit wichtige Veränderungen geben. Diese Veränderungen werden ihre Auswirkungen sicher auch bei VW haben. Vor diesem Hintergrund ist politisch verantwortliches Handeln gefordert. Die Auseinandersetzungen bei Stahl, Kohle, in der Landwirtschaft und in anderen Bereichen machen dies deutlich. Deshalb kann ein Rückzug des Bundes — und damit die Flucht — aus der beschäftigungspolitischen und strukturpolitischen Verantwortung nicht hingenommen werden.Aus diesen Gründen hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion den vorliegenden Antrag in den Bundestag eingebracht. Wir bitten alle verantwortlichen Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses, unserem Antrag zuzustimmen. Ich sage dies insbesondere vor folgendem Hintergrund: Wenn mir ein Kollege der CDU noch eine Stunde vor dieser Debatte hier im Haus sagt, daß die Fraktionen in einem Kreistag oder in Stadträten in der vorigen Woche einstimmige Beschlüsse gefaßt haben, die Privatisierung zu unterlassen, diese Kollegen vor Ort also eine solche Position einnehmen, hier im Hause aber diese Privatisierungspläne aus ideologischen Gründen mitmachen, dann halte ich dies für beschämend. Ich fordere insbesondere die niedersächsischen CDU-Kolleginnen und -Kollegen auf, hier Farbe zu bekennen und die Verantwortung für ihre Standorte deutlich zu machen.
Meine Fraktion beantragt für die folgende Abstimmung über den Entschließungsantrag namentliche Abstimmung.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Roth .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann überhaupt keine Frage sein, daß die Bundesregierung bei der Verwirklichung ihrer jetzigen wie auch der seitherigen Privatisierungsvorhaben die volle, ja sogar die drängende Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat.Privatisierung ist Teil unserer marktwirtschaftlichen Erneuerungspolitik.
Sie soll helfen, den Staat auf den Kern seiner Aufgaben zurückzuführen. Privatisierung ist also marktwirtschaftliche Vitalisierung
und nützt allen Bürgern, auch dem Staat.
Weil dies, meine Damen und Herren, in besonderer Weise auch für die jetzt anstehende Restprivatisierung der VW-Beteiligung des Bundes gilt, lehnen wir den auf Verhinderung abzielenden Antrag der SPD entschieden ab.
In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 4. Mai 1983 heißt es: „Eine Wirtschaftsordnung ist um so erfolgreicher, je mehr sich der Staat zurückhält und dem einzelnen seine Freiheit läßt. Wir wollen nicht mehr Staat, sondern weniger. Wir wollen nicht weniger, sondern mehr persönliche Freiheit." Meine Damen und Herren, dieser ordnungspolitische Grundsatz ist für diese Koalition tragend, und das wird so bleiben.Schon die bloßen Zahlen sprechen gegen die immer wieder — auch jetzt vom Kollegen Andres — aufgetischte Behauptung, mit dieser Privatisierungspolitik würden Haushaltslöcher gestopft.
1984 wurden 770 Millionen DM aus Privatisierungserlösen vereinnahmt, 1985 nichts. 1986 war es 1 Milliarde DM, und 1987 waren es 2,4 Milliarden DM. Also, das war selbst in diesem besten Jahr noch deutlich weniger als 1 % des Bundeshaushalts.Die Veräußerung von Bundesbeteiligungen ist kein Finanzierungsinstrument des Bundeshaushalts.
Sie ist aber auch, meine Damen und Herren, kein Substanzverlust. Denn sie sichert aus dem realisierten Erlös eine attraktive und fortdauernde Zinsersparnis. Aus dieser Zinsersparnis und diesem Konsolidierungsvorteil heraus lassen sich beispielsweise auch rechtliche Verpflichtungen wie die gegenüber der Stiftung Volkswagenwerk mehr als abdecken. Natürlich geht der Staat auch sonst nicht leer aus. Private Dividendenempfänger sind ja schließlich gute Steuerzahler. Auch hier ist der Staat — wie im Gesamtbereich der gewerblichen Wirtschaft — an der Ertragskraft unserer Wirtschaft beteiligt.Der SPD-Antrag, so er denn mehr als eine fragwürdige Pflichtübung sein soll, offenbart nur eines: Sie haben als Opposition die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Es ist nicht Aufgabe des Staates, unternehmerisch in den privatwirtschaftlichen Wettbewerb einzutreten, schon gar nicht im Bereich der Automobilwirtschaft.Muß ich Ihnen eigentlich eigens in Erinnerung rufen — weil hier soeben das Stichwort „Nullsummenspiel" gekommen ist —, wie kostspielig für den Bun-
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Roth
deshaushalt dieses unternehmerische Rollenspiel des Bundes in der sozialdemokratischen Regierungszeit im Zeitraum 1970 bis 1982 gewesen ist? Wenn man saldiert, was der Bund damals an Kapitalzuführungen an die Beteiligungsunternehmen des Bundes und der Sondervermögen aus dem Bundeshaushalt gegenüber den Haushaltseinnahmen aus Gewinn-Ausschüttungen und Dividenden aufgewandt hat, dann hat sich am Ende eine gewaltige Nettobelastung ergeben, nämlich sage und schreibe 4,2 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, das muß man einfach wissen, wenn man sich mit den Ansichten der Opposition auseinandersetzt, wie sie hier wieder vorgetragen worden sind.Ich sage, es war eine herausragende Leistung der neuen Bundesregierung und des Bundesfinanzministers Stoltenberg, daß es gelungen ist, mehrere Bundesbeteiligungen
wieder in eine Erfolgszone geholt zu haben. Der Verlustausgleich aus der Bundeskasse wurde um hunderte von Millionen DM zurückgeführt. Das hat die SPD sogar noch als eine Rückführung der Investitionstätigkeit der Bundesregierung kritisiert. Meine Damen und Herren, Sie sind mit Ihrer Argumentation gescheitert.
Es wäre eigentlich nur angemessen, wenn Sie dies hier auch einmal eingestehen würden.
Unsere Forderung bleibt: Alle Beteiligungen des Bundes müssen in regelmäßigen Abständen überprüft werden, ob es überhaupt noch ein wichtiges Interesse des Bundes an ihrer Aufrechterhaltung gibt. Ist dies nicht länger der Fall und erlaubt die konkrete Unternehmenssituation eine Privatisierung, dann ist diese Privatisierung auch zu vollziehen. In allen übrigen Fällen — dies ergibt sich aus den Grundsätzen für die Führung von Beteiligungen des Bundes — muß durch marktwirtschaftsgerechte Betriebsführung dafür gesorgt werden, daß zu einem späteren Zeitpunkt eine erfolgreiche Privatisierung möglich bleibt.Lassen Sie mich zum Schluß auf die angeblichen Nachteile einer VW-Privatisierung eingehen, wie sie hier von der SPD behauptet worden sind. Durch die Privatisierung der restlichen 16 %-Beteiligung bei VW wird nicht nur kein wichtiges Interesse des Bundes berührt, sondern es sind natürlich auch keine Arbeitnehmerrechte betroffen. Außerdem, Herr Kollege Andres, werden auch die der Stiftung Volkswagenwerk aus der Stiftungsurkunde und der Stiftungssatzung zustehenden Dividendenansprüche in vollem Umfang erfüllt, und zwar, wie vereinbart, in Form einer sogenannten Als-ob-Dividende. Sie haben hier ja selbst ausgeführt, daß dafür im Bundeshaushalt 1988 eine Summe von über 34 Millionen DM veranschlagt worden ist. Es ergeben sich für die Stiftung Volkswagenwerk demnach weder rechtliche noch materielle Nachteile.Zu der ins Feld geführten Frage der Standort- und Beschäftigungssicherung kann ich nur folgendes sagen: Der langfristige Unternehmenserfolg des HausesVW hängt am allerwenigsten von Art und Umfang einer staatlichen Beteiligung auf der Kapitalseite ab. Fahrzeugtechnik, Marktpolitik und moderne Betriebsführung, zu der auch ein angemessenes Controlling gehört — dies alles bei Wahrung der Mitbestimmungsrechte auf der Arbeitnehmerseite — , sind die erfolgbestimmenden Instrumente der Unternehmenspolitik. Wäre es anders, müßte es ja, meine Damen und Herren, sehr schlimm bestellt sein um die übrigen deutschen Automobilfabriken, die weder über eine Bundes- noch über eine Landesbeteiligung verfügen.Das Fazit, meine Damen und Herren: Die Privatisierung der noch verbliebenen Bundesbeteiligung an VW in Höhe von 240 Millionen DM ist wirtschafts- und ordnungspolitisch geboten. Sie wird von der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion aus diesem Grund mit allem Nachdruck unterstützt. Der Stiftung Volkswagenwerk und den Arbeitnehmern in allen VW-Betrieben entstehen keinerlei Nachteile.
Aus diesen Gründen lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den vorliegenden Antrag der SPD ab.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hüser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angetreten mit dem Versprechen, die Verschuldung des Bundes abzubauen, hat uns diese Bundesregierung zur höchsten Neuverschuldung, die es jemals gab, geführt. Ein Ende ist nicht abzusehen. Wenn in den Vorjahren die Nettokreditaufnahme nicht so hoch war, lag dies einerseits an den immensen Bundesbankgewinnen, andererseits aber auch an den Einnahmen aus der Privatisierung. Der Verdacht, daß der Verkauf von Bundesvermögen vor allem der Haushaltssanierung dient, liegt auf der Hand.
Ein solcher Ausverkauf ist dann jedoch als Wählertäuschung zu bezeichnen. Alle anderen vorgeschobenen sogenannten wirtschaftspolitischen Ziele sind nur noch Makulatur.Daß es sich hierbei um einen Panikverkauf handelt, belegt auch die Tatsache, daß der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages gerade erst mit den Stimmen der Regierungskoalition noch einmal mehr als eine halbe Million DM für Untersuchungen über Privatisierungsmöglichkeiten bereitgestellt hat.
Wozu solch ein teures Gutachten, wenn schon laufend Fakten geschaffen werden? Oder umgekehrt: Warum jetzt weitere Privatisierungen, wenn deren Angebrachtheit erst noch wissenschaftlich untersucht werden soll?Eine Privatisierung der Bundesanteile an der Volkswagen AG widerspricht darüber hinaus zum jetzigen Zeitpunkt jedem wirtschaftlichen Sachverstand. Es würde mich interessieren, welcher Teufel Sie geritten
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Hüserhat, daß Sie die VW-Aktie, deren Kurs seit dem Börsenkrach vom Vorjahr, aber auch auf Grund der firmeninternen Devisenaffäre zur Zeit besonders niedrig ist, gerade jetzt verscherbeln. Wenn es Ihr Ziel ist, durch den Verkauf Einnahmen für die Haushaltskonsolidierung zu beschaffen, wäre es eine Selbstverständlichkeit, abzuwarten, bis der Wert der Aktien wieder ansteigt, vorausgesetzt natürlich, Sie trauen Ihren eigenen optimistischen Voraussagen. Aber zu solchen einfachen Schlußfolgerungen sind Sie anscheinend nicht mehr in der Lage. Es kommt eher der Verdacht auf, daß die Aktien zu einem besonders günstigen Kurs einigen Großanlegern angedient werden sollen. Daß Sie nebenbei den Aktienmarkt durch zusätzliche Verkäufe noch erheblich unter Druck bringen, belegt aufs Neue, daß Ihr Handeln nicht von einem Konzept geprägt ist, sondern von zufälligen Tagesentscheidungen.Schwerwiegender ist unseres Erachtens aber die Tatsache, daß Sie durch den Verkauf des Volkswagenwerkes jede mögliche positive Einflußnahme auf die Geschäftsentwicklung aufgeben. Die Eigentumsverhältnisse beim Volkswagenwerk sind natürlich kein wesentliches Instrument z. B. der Verkehrspolitik; dennoch bleibt zu erwähnen, daß die Bundesregierung über ihre dortige Beteiligung Zeichen setzen könnte und sollte, etwa hinsichtlich der Abgasentgiftung, der Entwicklung umweltfreundlicher alternativer Antriebsformen, des Sicherheitsstandards in Kraftfahrzeugen und auch der Humanisierung der Arbeitsplätze.Aus den vorgenannten und auch aus anderen Gründen, zu denen ich hier leider nicht mehr Stellung nehmen kann, lehnen wir die Privatisierung des Bundesanteils am VW-Konzern ab und werden dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen.Es wäre natürlich etwas anderes, wenn die Bundesregierung ein Konzept vorschlagen würde, mit dem die Bundesbeteiligung und konsequenterweise auch der Länderanteil in einen Belegschaftsfonds übergehen würden. Dieser Fonds könnte dann vom Betriebsrat oder einem anderen von der Belegschaft gewählten Gremium vertreten werden; somit wäre ein erster Schritt in Richtung auf Mitarbeitergesellschaften getan, und dies wäre auch eine sinnvolle Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen am Produktivvermögen mit ersten wirklichen Mitentscheidungsrechten.In diesem Sinne werden die GRÜNEN weiterarbeiten, und es wäre zu begrüßen, wenn solche Optionen auch in die Gedanken der Bundesregierung Einlaß finden würden, statt daß man unsinnige Privatisierungen vornimmt.Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Weng .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Eine Wirtschaftsordnung ist um so erfolgreicher, je mehr sich der Staat zurückhält und dem einzelnen seine Freiheit läßt. "
„Wir führen den Staat auf den Kern seiner Aufgaben zurück, damit sie wirklich zuverlässig erfüllt werden können. "Diese Aussagen des Herrn Bundeskanzlers aus der Regierungserklärung sind die Basis einer Konzeption der Koalition, öffentliche Beteiligungen zurückzuführen. Ich verhehle nicht, daß die seitherigen Regierungsvorlagen im Umfang hinter dem zurückgeblieben sind, was sich die FDP vorgestellt hat. Wer sich an das Gesamtkonzept aus der vergangenen Wahlperiode erinnert und sich dies vor Augen hält, muß erkennen, daß es mit seiner Verwirklichung im Augenblick ein wenig zäh vorangeht, daß es aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht im wünschenswerten Maße vorankommt.Ich meine aber, zumindest da, wo die Überprüfung die grundsätzliche Privatisierbarkeit ergeben hat, sollte es und könnte es zügiger vorangehen. Ich darf hier an die Privatisierungspläne bei der Deutschen Bundesbahn bezüglich der Deutschen Verkehrskreditbank, der Spedition Schenker und anderer Beteiligungen erinnern.Auch der Beschluß unserer Fraktion, Kapitalerhöhungen mit Bundesbeteiligung bei Unternehmen aus Haushaltsmitteln nicht mitzutragen, hatte ja das Ziel, den Beteiligungsanteil des Bundes zu reduzieren, wenn es zu solchen Kapitalerhöhungen kam, wie z. B. bei der Deutschen Lufthansa.
Hier hätte eine echte Teilprivatisierung stattfinden können. Daß hier statt des Bundes dann indirekt das Land Bayern eingestiegen ist, ist ja nun kein Rückzug des Staates; deshalb ist es sicherlich auch nicht wünschenswert gewesen.
Unsere fortbestehenden Forderungen betreffen auch den Dienstleistungsbereich. Meine Damen und Herren, gerade gestern abend hat die Aktionsgemeinschaft Wirtschaftlicher Mittelstand einen parlamentarischen Abend mit Vertretern der Pächter von Bundeswehrkantinen veranstaltet. Das Ergebnis dieses parlamentarischen Abends muß ein Appell an uns selbst, an die Koalitionsfraktionen, sein, künftig bei der Gestaltung der Pachtverträge mit dem Verteidigungsministerium verbesserte Partnerschaft mit den Pächtern zu finden. Einige Auflagen für diese Kantinenpächter sind nicht vom partnerschaftlichen Geist bestimmt.
Meine Damen und Herren, zurück zum Antrag der SPD bezüglich des Volkswagenwerks. Nach § 65 der Bundeshaushaltsordnung soll sich der Bund an Unternehmen nur beteiligen, wenn ein wichtiges Interesse des Bundes vorliegt und sich der angestrebte wirtschaftliche Zweck nicht auf andere Weise erreichen
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4186 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Dr. Weng
läßt. Hier muß der Umkehrschluß erlaubt sein — er ist ja ganz naheliegend — : Der Bund sollte auf alle anderen Beteiligungen verzichten.Wer die Begründung des SPD-Antrags liest, der kann sich über die völlige Umkehrung der Argumentation nur wundern. Es hat nach meiner Auffassung in der Vergangenheit überhaupt nie ein wichtiges Interesse des Bundes an der VW-Beteiligung bestanden.
Deshalb hätte die Beteiligung am Volkswagenwerk längst abgegeben werden können. Die an die Stiftung Volkswagenwerk fließenden Erträge könnten wesentlich wirtschaftlicher, außerdem auch gleichmäßiger und damit ja sinnvoller als in der augenblicklichen Konzeption aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden. So wird es vermutlich ja auch werden.Meine Damen und Herren, mit der Begründung der SPD-Fraktion ausgestattet, müßte der Finanzminister eigentlich umgehend sämtliche Autofabriken in der Bundesrepublik Deutschland aufkaufen. Aber es hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, daß Beschäftigungssicherung durch staatliche Beteiligung an Wirtschaftsunternehmen die teuerste Arbeitsmarktpolitik ist.
Auf diese Weise können wir unserem Ziel, einen Staat mit Sozialer Marktwirtschaft zu verwirklichen, sicher nicht näher kommen. Wer soll die SPD-Begründung, der sich verschärfende Konkurrenzkampf in der Weltautomobilindustrie mache den Einfluß des Bundes auf die Standortsicherung eines inländischen Automobilherstellers unabdingbar, nachvollziehen? Sollen denn, meine Damen und Herren, für den Fall von Absatzproblemen in der Autoindustrie dann künftig Überschußprodukte des Volkswagenwerks zu einer staatlich finanzierten Automobilhalde werden? Das kann ja wohl nicht sein.Die Politik der Entstaatlichung ist ein richtiger Weg. Viele andere Länder, z. B. England und Frankreich, beschreiten diesen Weg wesentlich konsequenter als wir.
Die Annahme des SPD-Antrags wäre ein Schritt in die völlig falsche Richtung. Deswegen lehnen wir ihn ab.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den letzten Redner dieser Debatte.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Herr Voss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat im März 1985 festgestellt, wichtige Interessen stünden einer weiteren Absenkung der Bundesbeteiligung an VW nicht entgegen, an Kapitalerhöhungen werde der Bund nicht teilnehmen; zu gegebener Zeit werde die weitere Verringerung der Bundesbeteiligung vorgeschlagen.Im Juli 1986 hat die Bundesregierung beschlossen, den Bundesanteil an VW zu veräußern. Dieses Vorhaben wurde mit den Bundeshaushalten 1987 und 1988 in die parlamentarische Beratung eingebracht und gebilligt. Die VW-Privatisierung wird noch in diesem Jahr zu einem geeigneten Zeitpunkt durchgeführt werden. Eine stichhaltige Begründung für ein gesamtstaatliches Interesse, das eine dauerhafte Beteiligung des Bundes an VW gemäß den Vorschriften der Bundeshaushaltsordnung rechtfertigen würde, gibt es nicht mehr. Sie ist auch in der Begründung des Antrages der SPD nicht zu finden.Im Wandel des nationalen und internationalen Umfeldes haben die ursprünglichen Gründe für eine gesamtstaatliche Beteiligung an VW in der Nachkriegszeit immer mehr an Gewicht verloren. VW hat in den letzten Jahrzehnten seine Marktposition im inländischen und ausländischen Wettbewerb festigen und ausbauen können. Das Unternehmen gehört zur Spitzengruppe der Automobilindustrie in der Welt. Die Verschärfung des internationalen Wettbewerbs ist kein Grund, eine Bundesbeteiligung aufrechtzuerhalten. Es ist vielmehr Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat, sich wie schon bisher mit unternehmerischen Mitteln in diesem Wettbewerb zu behaupten und durchzusetzen, und dies unter gleichen Bedingungen wie die anderen deutschen Wettbewerber, d. h. ohne bundesstaatliche Beteiligung. Der Bund ist an keinem der anderen Fahrzeughersteller in der Bundesrepublik beteiligt, wie hier bereits gesagt worden ist, weder an Daimler-Benz noch an BMW oder Porsche, weder an Ford noch an Opel.Die negative Haltung der Gewerkschaften zur VW-Privatisierung ist für mich unglaubwürdig und widersprüchlich. Die deutschen Gewerkschaften ziehen nämlich in ihrem eigenen Bereich aus der Veränderung der wirtschaftlichen Gegebenheiten ganz andere Konsequenzen; sie privatisieren ebenfalls: Die Mehrheit an der Bank für Gemeinwirtschaft ist bereits an einen privaten Versicherungskonzern verkauft worden.
Die Aktien der Coop AG wurden im letzten Herbst zum Handel an den Börsen eingeführt. Auch die Mehrheit der gewerkschaftseigenen Versicherung Volksfürsorge wird verkauft.Die Gewerkschaften haben im Zusammenhang mit diesen Verkäufen das „wichtige gewerkschaftliche Interesse",
die Grundsätze ihrer gemeinschaftlichen Aktivitäten, neu definiert. Genauso, wie die Gewerkschaften frei sind, ihre Interessen zu definieren, muß man dem Bund zubilligen, seine Vorstellungen von einer marktwirtschaftlichen Beteiligungspolitik zu verwirklichen.Ein Wort noch zur Volkswagenstiftung. Die VW-Stiftung erleidet gegenüber ihrem bisherigen Status
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4187
Parl. Staatssekretär Dr. Vosskeinerlei Nachteil. Sie bekommt, wie das vertraglich vereinbart ist, eine „Als-ob-Dividende", d. h. Zahlungen in Höhe der jeweiligen VW-Dividende auf die entsprechenden bisherigen Aktien.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der SPD auf Drucksache 11/1111. Die Fraktion der SPD verlangt hierzu gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung.Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Darf ich die Kollegen um ein bißchen Aufmerksamkeit bitten. Wir fahren anschließend mit der Beratung derjenigen Punkte fort, die ohne Debatte behandelt werden. Die Debatte über den Punkt „Humanitäre Hilfe" findet nach der Fragestunde um 15.30 Uhr statt. —Meine Damen und Herren, ist noch jemand im Plenarsaal, der an der Abstimmung teilnehmen möchte? Er möge das jetzt tun. —Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß anschließend eine Reihe von Abstimmungen stattfindet, allerdings keine namentlichen.Ich stelle fest, daß alle Abgeordneten, die an der Abstimmung teilzunehmen wünschten, das inzwischen getan haben.Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung gebe ich später bekannt. )Ich habe bereits gesagt, daß wir mit den Tagesordnungspunkten fortfahren wollen, für die keine Debatte vorgesehen ist. Deswegen wird der Tagesordnungspunkt 14 — Humanitäre Hilfe — auf den Nachmittag vertagt.Ich rufe die Punkte 4 und 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung
— Drucksache 11/352 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 11/1807 —Berichterstatter:Abgeordnete Hörster Schmidt
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland zum Übereinkommen') Ergebnis Seite 4204 Aüber die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof in der Fassung des Übereinkommens über den Beitritt des Königsreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland— Drucksache 11/350 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 11/1800 —Berichterstatter:Abgeordnete Hörster Stiegler
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wir kommen zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung. Ich rufe die §§ 1 bis 19, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf.Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer einzigen Enthaltung sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen worden.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung.Wer den Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig bei einer Enthaltung angenommen worden.Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf zu dem internationalen Übereinkommen, in dem die Republik Griechenland ihren Beitritt zum EWG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen erklärt.Ich rufe den Gesetzentwurf mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf.Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist der Gesetzentwurf angenommen.Ich rufe die Punkte 6 und 7 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenEntlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1986 — Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes
— Drucksache 11/1572 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
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4188 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Vizepräsident WestphalBeratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenEinwilligung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Mannheim-Schönau gemäß § 64 Abs. 2 BHO— Drucksache 11/1715 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates: HaushaltsausschußAuch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Punkte 8 bis 11 und den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zur Liberalisierung und Harmonisierung im Verkehrssektor— Drucksachen 10/6131, 11/1751 — Berichterstatter: Abgeordneter Haungs9. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 642 01— Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz —— Drucksachen 11/1192, 11/1646 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Schroeder Nehm10. a) Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 11/1769 —b) Beratung der Sammelübersicht 44 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 18. Februar 1987 bis 31. Dezember 1987 eingegangenen Petitionen— Drucksache 11/1770 —11. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens— Drucksache 11/1795 — Berichterstatter: Abgeordneter BuschbornZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDPEntschließung des Deutschen Bundestages vom 17. April 1986 bei Verabschiedung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes— Drucksache 11/1866 —Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
— Sie wünschen, über Punkt 11 extra abzustimmen. Wir kommen dann zu den Abstimmungen.Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zur Liberalisierung und Harmonisierung im Verkehrssektor auf Drucksache 11/1751? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung bei einer Enthaltung so angenommen.Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer überplanmäßigen Ausgabe auf Drucksache 11/1646? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enhaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen zu den Sammelübersichten 43 und 44? Ich bitte um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen sind diese Beschlußempfehlungen angenommen.Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens auf Drucksache 11/1795? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist die Beschlußempfehlung angenommen.Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP und SPD auf Drucksache 11/1866? Ich bitte um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zwei Stimmen ist dieser Antrag angenommen worden.Meine Damen und Herren, nun können wir in die Mittagspause eintreten. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung werden wir am Nachmittag bekanntgeben.Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.Ich unterbreche die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 11/1842 —Zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen steht uns
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4189
Vizepräsident StücklenHerr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Voss zur Verfügung.Ich rufe Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf:Treffen nach Auffassung der Bundesregierung Berechnungen des niedersächsischen Ministerpräsidenten zu, daß durch vermehrte Sozialhilfeleistungen die finanz- und wirtschaftsschwachen Länder, zu denen auch Niedersachsen zählt, insgesamt rund 4,1 Milliarden DM höhere Folgekosten aus der Arbeitslosigkeit zu tragen haben?Bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Hauchler, soweit der Bundesregierung bekannt ist, hat der niedersächsische Ministerpräsident keine Zurechnung von Folgekosten aus der Arbeitslosigkeit vorgenommen, die den in der Frage genannten Betrag ergibt.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung dies dann nachgeholt und die Folgekosten berechnet, denn es ist doch eindeutig, daß durch die Erhöhung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik seit der Regierungsübernahme durch die jetzige Bundesregierung auf die Gemeinden tatsächlich eine sehr große zusätzliche Belastung auf Grund der Gewährung von Sozialhilfe hinzugekommen ist?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauchler, es gibt bereits eine Untersuchung, die vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesanstalt für Arbeit und den kommunalen Spitzenverbänden gemeinsam im Jahre 1985 durchgeführt wurde. Danach beliefen sich die durch Arbeitslosigkeit bedingten Sozialhilfeausgaben im gesamten Bundesgebiet auf 2,2 Milliarden DM. Auch eine Ausarbeitung der norddeutschen Länder geht von dieser Zahl aus und bezeichnet 10 bis 15 % der Sozialhilfeausgaben im Bundesgebiet als durch Arbeitslosigkeit bedingt; das entspricht 2 bis 3 Milliarden DM.
Die Bundesregierung kann diese Berechnungen nicht überprüfen. Aber aus diesen Berechnungen ergibt sich, daß die Zahl von 4,1 Milliarden DM allein für die norddeutschen Länder in jedem Fall überhöht ist.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir angeben, um wieviel die durch Arbeitslosigkeit bedingten Sozialhilfeleistungen in den vier nördlichen Ländern der Bundesrepublik stärker als im Durchschnitt der Bundesrepublik angestiegen sind?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, außer dem, was ich Ihnen hier gerade vorgetragen habe — wobei es nach der Berechnung, die ich soeben zitiert habe, auf eine Zahl von 2 bis 3 Milliarden DM hinausliefe — , hat die Bundesregierung keine Berechnungen dieser Art.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres, bitte.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie in der gestrigen Fragerunde geantwortet haben, Sie hätten alle Veröffentlichungen nachgelesen, und mir hier ein Presseartikel aus dem „Kölner Stadtanzeiger" vom 15. Januar 1988 vorliegt, in dem folgendes ausgeführt ist — ich zitiere — :
Die Forderung nach Beteiligung des Bundes an den Sozialhilfekosten soll zwar für alle Länder gelten. Aber auch hier sieht Albrecht die nördlichen und westlichen besonders belastet, weil sie aus Strukturschwäche höhere Arbeitslosigkeit und somit höhere Sozialleistungen hätten. Der Ministerpräsident hat errechnet, daß die genannten Länder jährlich 4,1 Milliarden DM mehr Sozialhilfe ausgeben müßten als die reichen Länder Hessen, Baden-Württemberg und Bayern.
stelle ich fest, daß der Ministerpräsident eine solche Zahl — wie in der Frage erwähnt — offensichtlich doch genannt hat, oder Sie haben nicht alles nachgelesen. Ich hätte gerne gewußt, wie Sie zu der Zahl stehen, die dort genannt ist.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe gestern gesagt, daß ich die einschlägigen Presseartikel kenne; dabei bleibe ich auch. Aber ich habe Ihnen soeben auf die Frage des Kollegen Hauchler auch gesagt, daß die Bundesregierung diese Zahl nicht bestätigen kann. Ob die Pressemeldung richtig oder nicht richtig ist, vermag ich nicht zu sagen. Ich kann Ihnen auf Grund der Erkenntnisse, die wir haben, nur sagen, daß diese Zahl von 4,1 Milliarden DM nach unserer Meinung nicht stimmen kann, wenn man sie nur auf den nördlichen Teil des Bundesgebiets bezieht. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich kann hier nicht jede Presseveröffentlichung qualifizieren, Herr Kollege.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung — insbesondere in wirtschafts- und finanzpolitischer Hinsicht — , um die Belastungen durch vermehrte Sozialhilfeleistungen von Ländern wie Niedersachsen auszugleichen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauchler, die Bundesregierung hat in der Vergangenheit durch eigene Maßnahmen dazu beigetragen, den Anstieg der Sozialhilfeausgaben in Grenzen zu halten. Zu nennen sind insbesondere die mehrfache Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, die mehrfachen Verbesserungen beim Wohngeld, die Einführung eines Kindergeldzuschlags für geringverdienende Eltern und die Wiedereinführung des Kindergeldes für arbeitslose Jugendliche.
Die Bundesregierung hält die Entwicklung der Sozialhilfeausgaben in den einzelnen Ländern und Gemeinden für ein ernst zu nehmendes Problem. Sie ist bereit, alle sich darauf beziehenden Vorschläge zu prüfen. Ich wiederhole aber, daß einer der wesentlichen Gesichtspunkte für den Bund angesichts seines eigenen Finanzbedarfs die Finanzierbarkeit derartiger Vorschläge sein muß.
Eine Zusatzfrage, bitte.
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4190 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir nicht auch der Meinung, daß die Hauptlast, die die Gemeinden durch die steigenden Sozialhilfeausgaben zu tragen haben, durch eine Politik ausgelöst ist, die nur auf nationaler Ebene zu entscheiden ist, d. h. daß nach Ihren Aussagen die Gemeinden die Konsequenzen zu tragen haben, die letzten Endes von der Bundesregierung zu verantworten sind?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, ich bin absolut nicht dieser Meinung. Hier ist eine große Palette von Gründen — über einen langen Zeitraum von Jahren — heranzuziehen, wenn man zu einer Analyse kommen will. Das, was Sie eben genannt haben, ist bei weitem zu kurz gesprungen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es angesichts der Tatsache, daß die geplante Einführung der Quellensteuer die Gemeinden zusätzlich belastet, und zwar zweifach — einmal durch die Abführung praktisch einer neuen Steuer auf die Kapitalerträge, zum anderen dadurch, daß die Gemeinden nicht in den Genuß der Erträge kommen — , nicht angebracht, wenigstens in diesem Umfang auf seiten des Bundes eine Hilfe für die Gemeinden ins Auge zu fassen oder aber zugunsten der Gemeinden auf diesen Teil der neuen Steuer zu verzichten?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauchler, Sie werden den Austausch von Meinungen kennen, den ich und auch andere beispielsweise mit dem Präsidenten des Deutschen Städtetages gehabt haben. Sie werden daraus erkennen, daß die Bundesregierung immer wieder gesagt hat — dazu steht sie auch — , daß die Gemeinden durch die Steuerreform und durch die Entlastung der Bürger, die diese Steuerreform mit sich bringt, nur in dem Maße belastet werden, wie sie auch andererseits an den Einnahmen teilhaben werden, daß also keine Überbeanspruchung und keine Überbelastung der Gemeinden durch die Steuerreform zu befürchten sein wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kühbacher.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben dankenswerterweise die sozialen Flankierungen für Arbeitnehmer genannt haben, die arbeitslos werden — wie z. B. Verlängerung von Arbeitslosengeld — : Stimmen Sie mir zu, daß das nicht das Problem ist — denn Sozialhilfeleistungen erfolgen immer erst nach Bezug von Arbeitslosenhilfe und nicht von Arbeitslosengeld — , und meinen Sie, daß etwa das, was der Bundeskanzler in dem gestrigen Gespräch zum Thema Montanregion in wirtschaftspolitischer Hinsicht mit NRW vereinbart hat, ein Ansatz sein könnte, wirtschaftspolitische Konzeptionen, z. B. Städtebauförderung, für die norddeutschen Länder zusätzlich aufzulegen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Natürlich, Herr Kollege Kühbacher, ist das, was der Bundeskanzler in der Konferenz gesagt hat, ein guter Ansatzpunkt, hier zu helfen. Aber wir haben bei dem, worüber wir im Moment in der Fragestunde diskutieren, einen etwas anderen Ansatzpunkt. Das, was ich eben genannt habe,
ist natürlich eine Hilfe zur Begrenzung der Sozialhilfeausgaben. Das ist unbestreitbar, Herr Kollege. Auch eine Verlängerung der Zahlung des Arbeitslosengeldes wirkt sich letztlich auf die Sozialhilfe aus, weil die Arbeitslosenhilfe hierdurch tangiert wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben geantwortet haben, daß weitere flankierende Maßnahmen insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Finanzierbarkeit zu beachten sind, frage ich Sie: Wie bewerten Sie die Vorschläge des niedersächsischen Ministerpräsidenten — insbesondere die Finanzierungsvorschläge, die er unterbreitet hat — , um die Gemeinden von 50 % der Sozialhilfe zu entlasten? Ich bitte Sie herzlich — ich hatte Sie eben nicht gefragt, ob der Artikel stimmt oder nicht, sondern ich hatte Sie nach der Zahl gefragt —, auch auf diese Frage einzugehen.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe eben auf Ihre Frage geantwortet, daß die Zahl nach unseren Erkenntnissen nicht stimmt.
Ich kann Ihnen zu der weiteren Frage sagen, daß der Vorschlag, der vom niedersächsischen Ministerpräsidenten gemacht wird — das habe ich auch schon gestern gesagt — , natürlich eine gewaltige Umverteilung darstellt und daß in diesem Zusammenhang geprüft werden muß, ob das überhaupt durchführbar ist, und daß geprüft werden muß, wie auch diese Maßnahme auf andere Länder wirkt.
Ich darf Sie an den bayerischen Finanzminister erinnern, der hier schon seine Bedenken geltend gemacht hat. Nun habe ich in der Presse gelesen, daß auch der baden-württembergische Ministerpräsident und sein Finanzminister Palm ihre Bedenken geltend gemacht haben.
Das alles ist im Zusammenhang mit der Finanzierbarkeit im größeren Rahmen zu prüfen. Darüber bereits jetzt ein Urteil abzugeben, wäre ein sehr vorschneller Schuß, der unverantwortlich wäre, Herr Kollege.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Küchbacher auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, daß die strukturschwachen Länder, zu denen Niedersachsen gehört, u. a. durch erhöhte Sozialhilfeleistungen, vermehrte Schuldendienste und unterdurchschnittliche Berücksichtigung bei öffentlichen Aufträgen insgesamt in Höhe von rund 30 Milliarden DM benachteiligt seien?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kühbacher, die der Bundesregierung vorliegenden Daten lassen eine Bestätigung der von Ihnen genannten Zahl nicht zu. Im übrigen ist es mit den geltenden Vergaberegelungen nicht zu vereinbaren, regionalwirtschaftliche Belange in öffentliche Ausschreibungen einzubeziehen. Das Haushaltsrecht des Bundes und die Verdingungsordnungen sowie EG-Recht
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4191
Parl. Staatssekretär Dr. Vossschreiben vor, daß Auftragsvergaben im Wettbewerb erfolgen müssen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich unterstelle bei Ihrer Antwort, daß Ihnen das Problem der Disparitäten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge insgesamt bekannt ist. Ist die Bundesregierung bereit, dort, wo sie allein durch die Plazierung von Haushaltsvorhaben, z. B. im Verteidigungsressort, im Forschungsressort, durchaus Schwerpunkte setzen kann, dies zu tun?
Ist die Bundesregierung bereit, bei ihren jährlichen Haushaltsverhandlungen — ich meine explizit die Haushaltsverhandlungen für das Haushaltsjahr 1989 — bei der Festlegung von Investitionsmitteln darauf hinzuwirken, daß es eine stärkere Investition in den strukturschwachen Ländern gibt und man sich dort Zurückhaltung auferlegt, wo wir ohnehin eine niedrige Arbeitslosigkeit zu verzeichnen haben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, unter den Kriterien, die ich eben genannt habe, ist die Bundesregierung dazu bereit. Das zeigt beispielsweise das Ergebnis der gestrigen Montankonferenz. Hier liegt ein Ansatzpunkt, das, was sich im nördlichen Bereich an Problemen besonders zeigt, im Rahmen der Möglichkeiten entsprechend zu würdigen.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung auch bereit, bei der weiteren Festlegung beispielsweise von Forschungsförderungsmitteln und von Investitionsmitteln der Deutschen Bundespost und der Bundesbahn, die ja nicht unmittelbar beeinflußt werden, mit Gesprächen auf den jeweiligen Vorstandsebenen darauf zu drängen, daß auch diese ihre Investitionen in der jetzigen Zeit in den strukturschwachen Gebieten Norddeutschlands vorziehen?
Sind Sie als Finanzministerium bereit, beim Forschungsminister darauf hinzuwirken, daß Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Forschungsbereich zunächst einmal bevorzugt im norddeutschen Bereich angesiedelt werden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß mich etwas wiederholen. Das ist im Rahmen der Vorgaben, die wir zu beachten haben, möglich. Man kann in diesem Zusammenhang die Verdingungsordnung und die Haushaltsordnung nicht außer Betracht lassen. Man muß die Kriterien, die dort aufgestellt sind, beachten.
In diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung der besonderen Schwierigkeiten im Norden hat, glaube ich, die Bundesregierung einiges gezeigt, daß sie dazu bereit ist. Sie ist auch weiter dazu bereit, das zu tun, was hier möglich ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gautier.
Herr Staatssekretär, in der Debatte heute morgen hat Bundesminister Blüm als ein
sehr lobenswertes Ergebnis der Montankonferenz von gestern erwähnt, daß das Raumfahrtzentrum nach Nordrhein-Westfalen komme. Nun steht ja seitens der Bundesregierung die Gründung des Bundesinstituts für Strahlenschutz und Reaktorsicherheit an. Teilen Sie meine Meinung, daß es sinnvoll wäre, dieses Bundesinstitut in Niedersachsen zu errichten?
— Das letztere hab ich nicht gefragt.
Wir haben hier im Hause die Übung, daß der Angesprochene von der Bundesregierung Antwort gibt.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich bin der Meinung, Herr Kollege Gautier, daß das, was Sie gerade gefragt haben, etwas über den Rahmen dessen hinausgeht, was wir hier behandeln. Das ist just in dem Vorschlag, den der niedersächsische Ministerpräsident gemacht hat, nicht enthalten.
Ich kann Ihnen aber sagen, daß die Bundesregierung im Rahmen ihres Auftrags, einheitliche Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, dies natürlich prüfen wird.
Herr Abgeordneter Andres, bitte schön.
Herr Staatssekretär, mir liegt eine offizielle Drucksache des Finanzministeriums Niedersachsen vor. In der ist eine Statistik enthalten. Darin wird ausgewiesen, daß man nach dem Regionalanteil je Einwohner in DM die Aufträge von Bundeswehr, Bundespost, Bundesbahn so aufschlüsseln kann, daß auf den Norden 690 DM pro Kopf entfallen, auf den Westen 360 DM, auf den Süden 900 DM. Ich zitiere noch einmal den eben genannten Artikel aus dem „Kölner Stadtanzeiger", in dem nachzulesen ist: „Albrecht ließ ausrechnen, was die Benachteiligung des Nordens und des Westens kostet. " Neben den Sozialhilfekosten hätten diese Länder höhere Zinsen wegen ständiger Neuverschuldung. Sie müßten Defizite bei den Investitionen hinnehmen und gingen bei der Auftragsvergabe des Bundes leer aus. Diese Benachteiligungen ergäben jährlich 30 Milliarden DM. — Halten Sie eine solche Bezifferung durch den niedersächsischen Ministerpräsidenten für korrekt oder für nicht korrekt?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es steht mir hier nicht an, eine Bezifferung, eine Ausrechnung, eine Ausarbeitung, die der niedersäsische Ministerpräsident zitiert oder die die niedersächsische Landesregierung ausgearbeitet hat, zu beurteilen. Ich habe nur eben auf die Frage des Kollegen Kühbacher erklärt, daß ich diese 30 Milliarden DM aus den Erkenntnissen, die die Bundesregierung hat, nicht bestätigen kann, und dabei muß ich bleiben.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Würtz auf:Welche Maßnahmen gedenken die zuständigen Bundesministerien und die Bundesregierung insgesamt zu ergreifen, um im Sinne der Kritik des Niedersächsischen Ministerpräsidenten
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4192 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Vizepräsident Stücklenund unter Berücksichtigung ihres Auftrages nach dem Grundgesetz eine besondere Förderung finanz- und strukturschwacher Länder wie Niedersachsen vorzunehmen?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würtz, die Bundesregierung macht von ihren Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen der Finanzhilfen, der Gemeinschaftsaufgaben und der sektoralen Wirtschaftsförderung in erheblichem Umfang zur Bewältigung besonderer regionaler Probleme Gebrauch. Darüber hinaus hat sie im Rahmen des vertikalen und horizontalen Finanzausgleichs Ländern und Gemeinden erhebliche Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Die Bundesregierung steht darüber hinaus in Kontakt mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten, um über seine Vorschläge zu diskutieren. Einer der wesentlichen Gesichtspunkte ist angesichts des eigenen Finanzbedarfs des Bundes die Finanzierbarkeit derartiger Überlegungen, wie ich bereits mehrmals auf die entsprechenden Fragen geantwortet habe.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich denn Ihre Antwort so verstehen, daß die Bundesregierung die Kritik des niedersächsischen Ministerpräsidenten nicht aufnehmen wird?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würtz, ich sehe in dem, was der niedersächsische Ministerpräsident hier hat verlauten lassen, und in dem, was er hat ausarbeiten lassen oder selbst ausgearbeitet hat, weniger eine Kritik als einen Vorschlag, Probleme, die in diesem Bereich sind, bewältigen zu helfen. Die Kritik, die hier anklingt, scheint mir doch von sehr untergeordneter Bedeutung zu sein.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen werden Sie denn zukünftig ergreifen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würtz, ich bedauere, mich in diesem Zusammenhang wiederholen zu müssen. Ich habe gesagt, daß hier Vorschläge auf dem Tisch liegen, von denen gesagt worden ist, daß sie wohlwollend geprüft werden. Ich kann nur bestätigen, daß diese Prüfung erfolgen wird und man das Ergebnis dieser Prüfung abwarten muß, um sagen zu können, ob es möglich ist oder nicht möglich sein wird.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihren Äußerungen zum Thema Finanzierbarkeit entnehmen, daß Sie den regionalen Arbeitsmarktbelangen in einigen Ländern der Republik weniger Bedeutung beimessen als beispielsweise den Hilfen für die Landwirtschaft, wofür ja diese Regierung in den letzten Jahren Milliarden um Milliarden ausgegeben hat?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Beantwortung der Frage dürfte Ihnen schon bei Stellung klar sein: Ein klares Nein.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, das Nein ist ohnedies hier viel zuwenig genutzt, ebenso wie die Antwort ja.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich darf Ihnen sagen, daß ich in der gestrigen Fragestunde just wegen meiner kurzen Antworten gerügt worden bin; allerdings gab es da einen anderen Vorsitz.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Seidenthal auf:
Gibt es Zusagen der Bundesregierung, daß die finanz- und strukturschwachen Länder, insbesondere Niedersachsen, besondere Finanzhilfen über die Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs hinaus erhalten, und, wenn ja, handelt es sich bei den Zusagen für diese Zahlungen um einen Ausgleich für höhere Sozialhilfelasten der betroffenen Regionen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, wären Sie damit einverstanden, daß ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworte?
Beide Fragen? Also die Fragen 65 und 66. Können sie zusammen beantwortet werden?
Ich habe dann vier Zusatzfragen?
Jawohl, Sie haben vier Zusatzfragen.
Gut, dann bin ich damit einverstanden.
Dann rufe ich auch die Frage 66 auf:
Wenn nein, wie wird die Bundesregierung die finanz- und damit in der Regel strukturschwachen Länder, insbesondere Niedersachsen, von den hohen Sozialhilfeausgaben entlasten?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich bedanke mich bei Ihnen.
Herr Kollege, die Bundesregierung steht mit den Ländern in einem Gedankenaustausch über die im Zusammenhang mit regional unterschiedlichen Wirtschaftsentwicklungen auftretenden Fragen. Einer der wesentlichen Gesichtspunkte ist die Finanzierbarkeit der Vorschläge. Dabei muß der eigene Finanzbedarf des Bundes berücksichtigt werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein, daß dies keine Beantwortung meiner Frage war?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, ich stimme nicht mit Ihnen überein.
Herr Abgeordneter, ich lasse diese Zusatzfrage nicht zu.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, laut Ankündigung des Ministerpräsidenten Dr. Albrecht wird die Bundesregierung mit einer fundamentalen Neuorien-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4193
Seidenthaltierung, die der Bundeskanzler zu seiner eigenen Aufgabe und Angelegenheit machen wolle, die Finanzverteilung unter den Bundesländern neu ordnen. Albrecht sagte, dazu gehöre auch eine gerechtere Verteilung der Soziallasten. Stimmen Sie mir zu, daß es eine Absprache zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Ministerpräsidenten geben muß?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es hat bereits ein Gespräch gegeben. Bei diesem Gespräch hat der Herr Bundeskanzler, wie ich bereits mehrmals gesagt habe, eine Prüfung der Vorschläge des niedersächsischen Ministerpräsidenten zugesagt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß es sich bei der Erhöhung der GA-Mittel um 500 Millionen DM nicht um Zahlungen zum Ausgleich für höhere Sozialhilfelasten handelt, da eine Berechnung mit Zahlen des 16. Rahmenplans für Niedersachsen ein Minus von rund 915 Millionen DM für den Zeitraum 1987 bis 1991 ergibt?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich stimme Ihnen nicht zu. Ich habe gestern bereits ausgeführt, daß die Erhöhung der GA um 500 Millionen DM ab 1990 im Zusammenhang mit der Aufhebung des Investitionszulagengesetzes steht, weil die Bundesregierung der Meinung ist, daß die Wirkung dieses Investitionszulagengesetzes nicht derart ist, daß man damit zufrieden sein kann.
Ich habe bereits gestern ausgeführt, daß die Mitnahmeeffekte hier in einer Größenordnung zu erwarten sind, die nicht mehr erträglich ist, und daß von daher bessere Mittel gesucht und gewählt werden müssen, um hier entsprechend zu helfen.
Die Bundesregierung ist der Meinung, daß eine Erhöhung der GA in dieser Größenordnung von 500 Millionen DM ein besseres Instrument ist, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Länder natürlich auch hier eine bessere Möglichkeit haben mitzuwirken.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir diese Mittel nennen, insbesondere die Auswirkungen auf Niedersachsen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß im Normalfall der GA, bei der Normal-GA, wie man das nennt, die Bevölkerungszahl eine Rolle spielt. Auf Niedersachsen würde hier eine Quote von 28,11 % entfallen. Das macht rund 140 Millionen DM aus.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kühbacher.
Herr Staatssekretär, darf ich, was die Erhöhung der GA-Mittel angeht, dieses Rechenbeispiel so verstehen, daß die Bundesregierung beabsichtigt, auf die im Haushalt 1988 vorhandenen GA-Mittel 500 Millionen DM zusätzlich im Haushalt 1989 auszuweisen, oder muß ich aus Ihrer Antwort befürchten, daß die Bundesregierung 500 Millionen DM auf
die im Finanzplan abgesenkten Mittel aufsetzen will?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe es schon einmal gesagt: Diese Erhöhung der GA um 500 Millionen DM — das ist eine konkrete Zahl, wobei hier die Basis keine absolute Rolle spielt —
— bei der Erhöhung nicht, Herr Kollege, in der Wirkung schon — wird erst 1990 eintreten und wird wegen des Wegfalls der Investitionshilfezulage angeordnet werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie nun zum wiederholten Male erläutert haben, daß sich die niedersächsische Landesregierung und die Bundesregierung in einem regen Gedankenaustausch befinden, die Vorschläge des niedersächsischen Ministerpräsidenten hinsichtlich ihrer Finanzierbarkeit überprüft werden müßten und dabei der Finanzbedarf des Bundes eine wichtige Rolle spielt, möchte ich Sie fragen, ob Sie größere Ausgabenblöcke sehen, die in den letzten zwei Monaten entstanden sind, die einer Realisierung der Vorschläge des niedersächsischen Ministerpräsidenten entgegenstehen, weil sie beim Bund zusätzlich aufgelaufen sind.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, darauf kommt es überhaupt nicht an, sondern es kommt auf die Gesamtfinanzlage an, die hier zu prüfen ist. Im übrigen muß ich hier sagen: Wenn ich mich wiederholen muß, dann liegt das nicht ursächlich an mir, sondern an den Fragen, die gestellt werden und die immer gleicher Natur sind. Da muß ich natürlich auch gleichartige Antworten geben, damit Sie mir nicht sagen können, ich würde mir widersprechen.
Die Höflichkeit des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs ist also nicht zu übertreffen; denn er könnte immer darauf verweisen: Darauf habe ich bereits eine Antwort gegeben. Das wäre durchaus eine nicht nur zulässige, sondern sogar zeitsparende Antwort.Die Fragen 67 und 68 des Abgeordneten Schütz und die Frage 71 des Abgeordneten Gansel sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Gautier auf:Welche Maßnahmen der besonderen Wirtschaftsförderung beabsichtigt die Bundesregierung im Hinblick auf finanz- und strukturschwache Länder wie Niedersachsen, um das vom Niedersächsischen Ministerpräsidenten festgestellte Investitionsdefizit gegenüber anderen Regionen der Bundesrepublik Deutschland auszugleichen?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Gautier, die Bundesregierung steht gegenwärtig mit der niedersächsischen Landesregierung in einem Gedankenaustausch über die von Ihnen genannten Probleme.
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4194 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Parl. Staatssekretär Dr. VossAbsichten bzw. Verhandlungen in dem von Ihnen genannten Sinne gibt es zur Zeit noch nicht.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Schönen Dank für die Antwort, daß es noch keine Absichten gibt.
Ich möchte dann noch einmal auf die Frage zurückkommen, ob es im Zusammenhang mit der Investitionszulage besondere Investitionsanreize geben sollte. Ist Ihnen bekannt, daß sämtliche Industrie- und Handelskammern aus allen Zonenrandgebieten eine völlig andere Beurteilung haben, als Sie sie gerade gegeben haben, daß es sich bei der Investitionszulage eben nicht um Mitnahmeeffekte, sondern um ein relativ wirksames Regionalförderinstrument handelt?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir ist bekannt, daß es hier unterschiedliche Meinungen gibt, aber ich glaube, daß die überwiegende Meinung ist, daß die Mitnahmeeffekte hier in einem bedeutenden Umfang festzustellen sind und daß man aus diesem Grunde nach einer besseren Möglichkeit der Förderung suchen sollte. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die GA hier die bessere Möglichkeit ist. Daher hat sie sich für diese Möglichkeit entschlossen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade noch einmal gesagt, daß Sie im Haushalt 1990 500 Millionen DM als zusätzliche GA-Mittel mit der Begründung ausweisen wollen, daß dies die bessere Fördermöglichkeit sei. Würden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß zumindest bis zu dem Zeitpunkt Anträge nach dem Investitionszulagengesetz gestellt werden können, bis 1990 die tatsächliche Erhöhung wirksam wird?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Auch hier, Herr Kollege, gibt es unterschiedliche Meinungen, wann das Investitionszulagengesetz auslaufen soll. Hier werden die Zeitpunkte 1989, 1990 und 1991 genannt. Hierüber wird letztendlich noch zu entscheiden sein, wenn man von dem abweichen will, was im jetzigen Referentenentwurf festgelegt ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kühbacher.
Herr Staatssekretär, wenn der Mitnahmeeffekt nach Meinung der Bundesregierung im Investitionszulagenbereich so groß ist, würde denn die Bundesregierung die steuertechnische Überlegung anstellen, künftig GA-Mittel nicht mehr mit der Steuer zu belasten, wie es heute geschieht?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage steht hiermit nicht in direktem Zusammenhang. Hier steht zur Debatte, daß wir der Meinung sind und dafür auch eine Reihe von Anhaltspunkten haben, daß die Mitnahmeeffekte bei der Investitionszulage einen immer größeren Umfang annehmen. Daher war es, glaube ich, sachgerecht, hier nach einer Ersatzmöglichkeit zu suchen, die, wie ich eben geschildert habe, dann ins Auge gefaßt worden ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauchler.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob ein Bundesland oder mehrere Bundesländer gegen die Streichung des Investitionszulagengesetzes Einspruch erhoben haben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Mir ist bekannt, Herr Kollege, daß von einigen Bundesländern und auch aus den Reihen der Kollegen in diesem Haus Bedenken geltend gemacht worden sind. Es kommt ganz darauf an, wo sie herkommen und wie sie dieses Institut auf Grund ihrer regionalen oder örtlichen Erfahrung zu werten gelernt haben. Aber ich glaube, daß insgesamt doch die Ansicht vorherrscht, daß Mitnahmeeffekte in einem sehr großen Umfang festzustellen waren und daß man darüber nicht ohne weiteres hinweggehen kann.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Gautier auf :
Gibt es Verhandlungen mit der Niedersächsischen Landesregierung oder Zusagen an die Niedersächsische Landesregierung, durch besondere Leistungen der Bundesregierung die vom Niedersächsischen Ministerpräsidenten festgestellte Benachteiligung der Wirtschaftsregion Niedersachsen auszugleichen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gautier, wie ich bereits mehrmals gesagt habe, steht die Bundesregierung gegenwärtig in einem Gedankenaustausch mit der niedersächsischen Landesregierung über die von Ihnen genannten Probleme. Verhandlungen oder Zusagen in dem von Ihnen genannten Sinn gibt es noch nicht.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wir haben ja festgestellt, daß es sehr schwierig ist in der Fragestunde, die Gedanken der Bundesregierung ausfindig zu machen. Aber können Sie vielleicht einmal in sich gehen und sagen: Wäre es für Sie auch denkbar, daß angesichts der erheblichen Probleme, die auch in den niedersächsischen Montanstandorten bestehen, eine Montankonferenz auch für Niedersachsen stattfindet, ähnlich dem, was gestern für das Ruhrgebiet stattgefunden hat?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie werden aus den Ergebnissen festgestellt haben, daß insgesamt für die Montanregion etwas Zusätzliches getan werden soll und daß hier das Land NordrheinWestfalen nur einen Teil, wenngleich einen großen Teil, beansprucht. Aber ich sehe die gestrigen Beschlüsse derart, daß die Montanregionen insgesamt durch die neuen Maßnahmen gefördert werden sollen.
Weitere Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4195
Herr Staatssekretär, ich muß zugeben, Sie haben mich dadurch etwas in Verwirrung gebracht, daß die 500 Millionen GA-Mittel, die dort angesprochen waren, nicht nur für das Ruhrgebiet, sondern offensichtlich auch für andere Gebiete waren. Das führt mich zu der Frage: Sind diese 500 Millionen, die gestern im Raum standen, vielleicht zufällig identisch mit den anderen 500 Millionen für die Aufstockung der GA-Mittel im Zusammenhang mit dem Wegfall der Investitionszulage?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege; ich wollte Sie nicht in Verwirrung bringen, und ich glaube, ich habe Sie auch nicht in Verwirrung gebracht. Hier sind zweierlei Paar Schuhe zu verzeichnen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kühbacher.
Herr Staatssekretär, hat der niedersächsische Ministerpräsident der Bundesregierung einen Vorschlagskatalog über zusätzliche Finanzhilfen auf den verschiedensten Gebieten vorgelegt, und können wir niedersächsischen Abgeordneten für unser heutiges Abendbrot mit dem Ministerpräsidenten und für das morgige Frühstück der CDU-Kollegen mit dem Ministerpräsidenten darauf reflektieren, daß Sie diesen Vorschlagskatalog intensiv diskutieren?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, der Vorschlag, den der niedersächsische Ministerpräsident gemacht hat, ist von einer derartigen Qualität, daß es, wenn man dessen Durchschlagskraft nicht mindern will, falsch wäre, hier weitere Punkte anzumerken. Dieser Vorschlag, der hier auf dem Tisch liegt, ist von so großer substantieller Qualität, daß er isoliert und als Unikat diskutiert werden sollte. Ich glaube, wenn Sie das bei Ihrer Veranstaltung tun, werden Sie damit die Zeit, die zur Verfügung stehen wird, voll ausfüllen können.
Herr Abgeordneter Kühbacher, die Ironie haben Sie schon verstanden, nicht wahr?
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hornhues.
Herr Staatssekretär, Sie werden doch sicher bestätigen können, daß der Herr Bundeskanzler gestern angekündigt hat, daß er mit dem Land Niedersachsen vergleichbare Verhandlungen wie gestern mit Nordrhein-Westfalen in aller Kürze führen wird?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann das nur voll bestätigen. Das ergibt sich ja auch bereits aus dem, was ich in der gestrigen und in der heutigen Fragestunde gesagt habe. Was hier als Vorschlag auf dem Tisch liegt, hat natürlich in der Sache und bei den einzelnen Maßnahmen eine etwas andere Qualität als das, was gestern beschlossen worden ist, aber zeigt doch, daß auch in diesem Bereich von der
Bundesregierung das getan werden soll, was notwendig ist, um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland aufrechtzuerhalten.
Keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist der Niedersachsen-Teil der Fragestunde beendet. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Verheugen auf:
In welcher Eigenschaft und mit welchem Auftrag hat sich die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt und Berlin-Beauftragte der Bundesregierung, Frau Berger, in diesem Monat in Südafrika aufgehalten?
Herr Kollege Verheugen, Frau Kollegin Berger hat sich während ihres Urlaubs zu einem privaten Informationsaufenthalt in Südafrika aufgehalten.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatsminister, hat die Parlamentarische Staatssekretärin bei diesem privaten Informationsbesuch Gespräche mit offiziellen Vertretern der Republik Südafrika oder Ministerpräsidenten sogenannter südafrikanischer Homelands geführt?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, sie hat im Rahmen ihres privaten Informationsaufenthalts eine Reihe von privaten Informationsgesprächen geführt; das ist zutreffend.
Weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Ist der Bundeskanzler unterrichtet gewesen, daß eine Parlamentarische Staatssekretärin seines Amtes in der jetzigen politischen Situation nach Südafrika gereist ist, zwar privat, aber doch in der Absicht, dort politische Gespräche zu führen?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Der Bundeskanzler ist davon unterrichtet worden, daß Frau Kollegin Berger während ihres Urlaubs eine private Reise nach Südafrika unternimmt, mehr nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kühbacher.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob der Bundeskanzler bei Privatreisen der Staatssekretärin im Bundeskanzleramt andere Maßstäbe anlegt als bei beabsichtigten Reisen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, Blüm?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Dies ist mir nicht bekannt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauchler.
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4196 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Herr Staatsminister, können Sie mir sagen, ob der Herr Bundeskanzler vor der Reise seiner Parlamentarischen Staatssekretärin von deren späterem Aufenthalt sowie davon gewußt hat, daß sie auch beabsichtigte, politische Gespräche zu führen?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, sie hat keine politischen Gespräche geführt. Denn sie ist zu einem privaten Informationsbesuch während ihres Urlaubs gereist. Sie hat dem Bundeskanzler vor ihrer Reise mitgeteilt, daß sie während ihres Urlaubs einen privaten Informationsbesuch zu machen gedenkt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hirsch.
Herr Staatsminister, in welcher Weise ist den offiziellen südafrikanischen Gesprächspartnern deutlich gemacht worden, daß es sich um einen privaten Besuch handelt? Ich frage mich, wie man diese Art moderner Schizophrenie deutlich machen kann.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege. es gab keine offiziellen Gesprächspartner; denn Frau Kollegin Berger war privat dort.
Die Bundesregierung war weder mit der Vorbereitung und Durchführung noch mit irgendwelchen infrastrukturellen Elementen dieser privaten Informationsreise befaßt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lippelt.
Herr Staatsminister, entwickelt sich hier eine neue Doktrin der Staatskanzlei, bei Besuchen in etwas schwierigen Gegenden immer die Teile, die öffentlich schlecht zu rechtfertigen sind, zu privatisieren?
Herr Abgeordneter, Sie meinen das Bundeskanzleramt, nicht die Staatskanzlei.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihre Frage mit Nein beantworten.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Herr Staatsminister, ist es üblich, daß die Damen und Herren Staatssekretäre aus dem Bundeskanzleramt private Reisen ins Ausland dergestalt unternehmen, daß sie ihre privaten Gespräche im Ausland dann mit Politikern dieses Landes führen, und auf welche Weise ist dann dafür Sorge getragen, daß diese Gespräche privat und nicht politisch sind?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Frau Kollegin, ich würde Ihre Frage dahin gehend beantworten, daß dies nicht üblich ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe auf —
— Frau Abgeordnete Hamm-Brücher, bitte sehr.
Herr Präsident, ich bitte um Vergebung, bei mir ist immer das Licht ausgegangen.
Frau Abgeordnete HammBrücher, Sie sind — von mir aus gesehen — so weit auf dem rechten Flügel, daß ich Sie also nicht sofort wahrnehmen konnte.
Bitte sehr.
Herr Staatsminister, ich würde Sie gern fragen, ob die deutsche Botschaft ein offizielles Essen für die Frau Staatssekretärin gegeben hat oder nicht.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Meines Wissen nein, Frau Kollegin. Ich bin aber darüber nicht abschließend informiert. Ich werde der Frage gern nachgehen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.
Können Sie mir sagen, ob zu dieser privaten Reise von Frau Berger irgendwelche öffentlichen Mittel hinzugegeben wurden, ob die aus irgendeinem Etat bezuschußt oder bezahlt wurde?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Sie meinen, aus einem —
Ich frage, ob aus irgendeinem Teil des Bundesetats dazu Gelder zur Verfügung gestellt wurden oder ob inklusive Sachleistung irgend etwas geleistet worden ist. Weil es ja eine private Reise ist, ist das eine ganz wichtige Frage.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Frage kann ich mit Nein beantworten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Verheugen auf:
Ist die Meldung des südafrikanischen Rundfunks zutreffend, daß die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt und Berlin-Beauftragte der Bundesregierung, Frau Berger, sich in diesem Monat auf Einladung der südafrikanischen Regierung in Südafrika aufgehalten hat?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, Frau Berger hat sich nicht auf Einladung der südafrikanischen Regierung in Südafrika aufgehalten. Wenn es eine solche Meldung gibt, ist sie nicht zutreffend.
Zusatzfrage, bitte.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4197
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatsminister, daß sich der römisch-katholische Bischof von Windhuk in Namibia in dieser Woche an den Bundeskanzler gewandt und ihn gefragt hat, in welcher Eigenschaft die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Berger in Begleitung des Mitarbeiters des Bundeskanzleramtes Dr. Burr Gespräche in diesem Monat in Namibia geführt hat? Wie war die Antwort?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Die Tatsache, daß sich die von Ihnen angesprochene Persönlichkeit an den Bundeskanzler gewandt hat, ist mir nicht bekannt. Deswegen ist mir auch die Antwort nicht bekannt.
Weitere Zusatzfrage.
Dann muß ich fragen, ob Ihnen bekannt ist, ob die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Berger in Begleitung eines Mitarbeiters des Bundeskanzleramtes namens Dr. Burr im Monat Februar politische Gespräche in Namibia geführt hat.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, es ist bekannt, daß Herr Dr. Burr, der Mitglied der Deutschen Afrikastiftung ist und ihr Geschäftsführer war, ebenfalls an dieser privaten Informationsreise teilgenommen hat. Politische Gespräche konnte weder Frau Berger noch Herr Burr führen, weil sie dazu keinen Auftrag hatten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lippelt.
Herr Staatsminister, ist denn Herr Dr. Burr auch rein privat gefahren, oder ist er aus Mitteln des Bundeskanzleramtes bei dieser Reise unterstützt worden?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Ich kann den zweiten Teil Ihrer Frage mit Nein und den ersten Teil Ihrer Frage mit Ja beantworten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hirsch.
Herr Staatsminister, ist denn dieser Herr Dr. Burr, dessen Namen ich zum ersten Mal höre, außer seiner Tätigkeit für die Südafrikagesellschaft Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Dr. Burr ist stellvertretender Leiter der Rechts- und Verwaltungsabteilung des Bundeskanzleramtes.
— Herr Burr hatte einen ordnungsgemäßen Urlaubsantrag gestellt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.
Herr Staatsminister, treffen Informationen zu, nach denen auch ein Kollege dieses Hauses, Herr Carstens, in diesem Zusammenhang mit in Namibia/Südafrika war?
Herr Abgeordneter Hauchler, wir hören es gar nicht gerne, daß Abgeordnete die Bundesregierung fragen, was wir tun, wir Abgeordnete. Halten Sie die Frage aufrecht?
Ich habe die Frage gestellt. Vizepräsident Stücklen: Ja, bitte schön.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Es ist zutreffend,
ja.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, ich möchte Sie gern einmal fragen, ob öfters Parlamentarische Staatssekretäre mit Mitarbeitern des Bundeskanzlers gemeinsam solche privaten Reisen antreten.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Frau Kollegin, darüber habe ich keinen vollständigen Überblick, weil ich für die Urlaubsgestaltung der Bundesregierung nicht die Zuständigkeit habe.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Olms.
Ich habe ja den Eindruck, daß es sich hier um eine Gruppenreise gehandelt hat. Können Sie mir bitte sagen, wer sich an dieser Reise noch beteiligt hat?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Frau Kollegin, nach meiner Übersicht niemand.
Keine weiteren Zusatzfragen? — Damit ist dieser Teil der Fragestunde abgeschlossen.Ich habe eine Mitteilung zu machen. Der Ältestenrat hat vereinbart, daß auch bei einem vorzeitigen Ende der Fragestunde die Beratungen unmittelbar fortgesetzt werden. Ich werde in diesem Falle deshalb den Tagesordnungspunkt 14 ohne Unterbrechung der Sitzung aufrufen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Schäfer zur Verfügung.Herr Staatsminister, die Fragen 30 und 31 der Frau Abgeordneten Ganseforth sowie die Fragen 34 und 35 des Herrn Abgeordneten Böhm sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer, 39 des Abgeordneten Müller sowie 40 und 41 der Abgeordneten Frau Dr. Götte werden auf Grund der Richtlinien für die Fragestunde — Nr. 2 Abs. 2 — schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
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4198 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Vizepräsident StücklenIch rufe die Frage 32 der Frau Abgeordneten Nikkels auf:Ist der Bundesregierung die von der Comision Nacional Sobre la Desparicion de Personas zusammengestellte Liste von über 1 300 Folterern aus der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien von 1976 bis 1983 inzwischen bekannt, und hat sie in Erfahrung gebracht, welche dieser Personen inzwischen in den diplomatischen Dienst übernommen worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, die in der Anfrage erwähnte Liste ist nicht von CONADEP publiziert worden; CONADEP hat sich vielmehr von ihr distanziert. Nach Angaben des Menschenrechtsstaatssekretärs des argentinischen Präsidialamtes handelt es sich um eine Zusammenstellung der Namen nicht nur von Personen, denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden, sondern auch anderer, die in Zeugenaussagen von der CONADEP erwähnt worden sein sollen.
Eine Beteiligung von Angehörigen des auswärtigen Dienstes Argentiniens an Verletzungen von Menschenrechten konnte bisher weder von offiziellen argentinischen Stellen noch von argentinischen Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte nachgewiesen werden.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, respektiert die Bundesregierung die interne Entscheidung der argentinischen Streitkräfte, auf die verfassungsmäßige Regierung der Republik Argentinien und auf das argentinische Parlament so lange Druck auszuüben, bis diese Amnestiegesetze für Uniformierte, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, erlassen, wie es mit dem Punto-finalGesetz und dem Obediencia-debida-Gesetz geschehen ist, und wird die Bundesregierung die Amnestierung der Chefs der Militärjunta, die rechtskräftig verurteilt sind, respektieren? Ich stelle diese Frage auch auf Grund der aktuellen Anlässe, die wir erst vor kurzem erlebt haben.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundesregierung wird sich nicht in die Gesetzgebungsprozesse des argentinischen Parlaments einzumischen versuchen. Es ist Angelegenheit des argentinischen Parlaments, Gesetze zu beschließen, und wir können von einem demokratisch gewählten Parlament oder von einer demokratisch gewählten Regierung nicht verlangen, irgendwelche Gesetze zu ändern, weil Sie der Auffassung sind, wir müßten intervenieren.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte sehr.
Die Frage war nicht beantwortet, aber ich habe noch eine Zusatzfrage.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Argentinien, daß rechtsgerichtete Militärkreise ihre Forderungen zunehmend ungeniert äußern und daß deshalb Einschüchterungen von Menschenrechtsorganisationen zu verzeichnen sind, und wie beurteilen Sie,
falls Sie diese Einschätzung der deutschen Botschaft in Argentinien teilen, die Tatsache, daß es von seiten der Bundesrepublik eine militärische Zusammenarbeit mit den argentinischen Streitkräften gibt, wo man doch eigentlich mäßigend auf die genannten Militärkreise einwirken sollte?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich glaube, es kommt darauf an, daß die Bundesrepublik Deutschland bzw. die Bundesregierung Beziehungen zur Regierung Argentiniens unterhält, nicht zu militärischen Streitkräften, und daß wir die Politik der argentinischen Regierung, mit der wir freundschaftlich zusammenarbeiten, respektieren. Wir sind aber immer bemüht, Einzelfälle, die uns — etwa im Zusammenhang mit Deutschen — bekanntwerden, jederzeit mit der argentinischen Regierung zu erörtern. Wir sehen allerdings keine Veranlassung, uns in innere argentinische Angelegenheiten einzumischen.
Keine weiteren Zusatzfragen? — Dann kommen wir zu Frage 33. Oder doch noch eine Zusatzfrage zu Frage 32? Das würde aber bei Frage 33 auch noch hineinpassen. — Gut, bitte sehr, Herr Dr. Lippelt.
Es ist wirklich eine Anschlußfrage hierzu: Herr Staatsminister, es gibt doch aber eine militärische Zusammenarbeit, es gibt doch Projekte, und es gibt doch zumindest eine rüstungstechnische Zusammenarbeit mit den argentinischen Streitkräften.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich mache darauf aufmerksam, daß jede Zusammenarbeit, die es zwischen Staaten gibt, zwischen Regierungen geschieht und daß es nicht eine rüstungstechnische Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und dem argentinischen Militär geben kann, sondern nur eine mit der argentinischen Regierung.
Im übrigen, Herr Präsident, darf ich darauf aufmerksam machen, daß wir jetzt weiß Gott völlig von den Fragen, die hier gestellt waren, abweichen. Wir kommen jetzt plötzlich zu Rüstungsangelegenheiten, und die waren in der Frage von Frau Nickels meines Wissens in keiner Weise erwähnt.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.
Besteht möglicherweise ein Zusammenhang zwischen dem Respekt der Bundesregierung vor dem Obediencia-debida-Gesetz in Argentinien und der Tatsache, daß zahlreiche deutsche Nazi-Kriegsverbrecher unter Berufung auf den Befehlsnotstand einer Strafverfolgung entgangen sind?Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, Ihre Frage muß ich als abwegig bezeichnen. Ich wiederhole, daß der Versuch, den Sie hier unternehmen, nämlich ein in Argentinien beschlossenes Gesetz zu diskreditieren und uns aufzufordern, ein von der Mehrheit des argentinischen Parlaments, eines demokratisch gewählten Parlaments, beschlossenes Gesetz hier öffentlich
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4199
Staatsminister Schäferder Kritik zu unterziehen, nicht mit den Praktiken dieser Bundesregierung und aller Bundesregierungen übereinstimmt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 33 der Frau Abgeordneten Nikkels auf:
Mit welchen Schritten hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten bislang zur Aufklärung der Schicksale der 72 deutschen und deutschstämmigen Verschwundenen beigetragen, und welche weiteren Schritte gedenkt sie zu unternehmen?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundesregierung hat sich seit langem und auf verschiedenen Ebenen für die Aufklärung des Schicksals deutscher und deutschstämmiger Verschwundener eingesetzt. Über die Botschaft in Buenos Aires steht sie in ständigem Kontakt zu den deutschstämmigen Müttern und Verwandten sowie deren Anwälten, die sie nach Kräften bei der anwaltschaftlichen und politischen Durchsetzung ihrer Anliegen unterstützt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, besteht Ihrer Meinung nach irgendein Argument dafür oder kann man eine Begründung dafür finden, daß Strafprozesse, die wegen der genannten Gesetze nicht mehr durchgeführt werden können, nur noch wenige neue Tatsachen über das Schicksal der Verschwundenen aufgedeckt hätten? Ich frage das anschließend an eine Kleine Anfrage, die ich gestellt habe und die Ihnen ja bekannt ist.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich weise darauf hin, daß das, was wir in Argentinien im Rahmen der dort geltenden Gesetze tun können, von uns in der Verfolgung des Schicksals verschwundener Deutscher in Zusammenarbeit mit Rechtsanwälten und in Zusammenarbeit mit den Angehörigen getan wird. Aber wir vermögen nicht in Argentinien Gesetze zu ändern.
Eine weitere Zusatzfrage.
Daran anknüpfend frage ich Sie, Herr Staatsminiser, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß das argentinische oberste Gericht in jedem Fall prüfen muß, ob Strafverfahren oder Pakete von Strafverfahren gegen Menschenrechtsverletzer unter die Anwendung des Obediencia-debida-Gesetzes fallen, und welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung zur Zeit in Vorbereitung auf die entsprechende Prüfung im Falle der 72 deutschen und deutschstämmigen Verschwundenen?
Schäfer, Staatsminister: Ich kann nur sagen, daß wir — das habe ich vorhin schon einmal gesagt — das tun, was in unseren Möglichkeiten steht. Die deutsche Botschaft nutzt dabei die Rechtsmittel aus, die ihr zur Verfügung stehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lippelt.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob und, wenn ja, wie viele unter diesen deutschstämmigen Verschwundenen Personen jüdischen Glaubens sind?
Schäfer, Staatsminister: Das ist mir nicht bekannt.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.
Ist der Bundesregierung bekannt, ob sich unter den 1 350 verschwundenen jüdischen Argentiniern oder Argentinierinnen auch Verfolgte des Naziregimes befinden?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich habe vorhin bereits gesagt, daß die genannten Zahlen umstritten sind. Ich kann nur davon ausgehen, daß wir uns bemühen und in der Vergangenheit, insbesondere bevor Argentinien zur Demokratie zurückgefunden hat, bemüht haben, uns um das Schicksal dieser Menschen zu bekümmern. Ich kann Ihnen hier keine Zahlen und Unterteilungen nennen, wer nun jüdischen Glaubens oder nicht-jüdischen Glaubens ist; es tut mir leid.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Olms.
: Herr Staatsminister, welche der von den Naziverbrechern gegründeten oder beeinflußten rechtsextremen argentinischen Organisationen wie Partido Nacionalista Integral, Alianza Libertadora Nacional, Movimiento Nacional Social, Frente Nacional Revolucionario und Acción Nacional sind in das Verschwindenlassen von Menschen unter der Militärdiktatur von 1976 bis 1983, insbesondere in das Verschwindenlassen der 72 Deutschen und Deutschstämmigen verwickelt?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich wäre Ihnen sehr dankbar gewesen, wenn Sie diese Frage eingereicht hätten. Denn Sie kommen nun ständig mit neuen Behauptungen, mit neuen Namen und mit neuen Fragen, die aber mit der ursächlichen Frage nicht mehr im Zusammenhang stehen
oder nur in einem sehr weiten Zusammenhang stehen. Sie können ja nun nicht hier eine Fragestunde veranstalten, in der Sie plötzlich neue Themen mit neuen Fakten aufwerfen. Ich bitte Sie, uns diese Frage einzureichen. Wir werden dann dazu antworten. Nur, Sie können von mir nicht verlangen, daß ich auf eine Frage von Ihnen, die weit über das hinausgeht, was aus der Frage von Frau Nickels zu erkennen war, nunmehr eine Antwort gebe. Reichen Sie bitte die Frage ein. Wir können sie dann beantworten.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Uelhoff auf:Trifft es zu, daß die deutsche Botschaft in Colombo im Herbst 1987 dem späteren Brandstifter der Frankfurter Oper den Rückflug von Sri Lanka in die Bundesrepublik Deutschland bezahlt und ihn darüber hinaus mit 1 000 DM Zehrgeld ausgestattet hat, obwohl der Mann schon in Deutschland u. a. wegen Zechprellerei polizeibekannt war?
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4200 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es trifft zu, daß der spätere Brandstifter der Frankfurter Oper für die Heimführung in die Bundesrepublik Deutschland von der Botschaft in Colombo eine Hilfe gemäß § 5 des Konsulargesetzes erhielt. Diese betrug insgesamt 879,20 DM, worin ein Zehrgeld bis zum Abflug in Höhe von 1 500 Sri-Lanka-Rupien, nach deutschem Geld 86,20 DM, enthalten war. Die polizeilichen Erkenntnisse u. a. wegen Zechprellerei waren der Botschaft zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Heimführung waren damals aber erfüllt.
Zusatzfrage, bitte.
Ist es generell üblich, daß man deutschen Staatsbürgern im Ausland ohne Rückkoppelung und Rückfragen nach ihrem polizeibekannten Vorleben in dieser Größenordnung hilfreich zur Seite steht?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Größenordnung von 86 DM, die für ein Zehrgeld zur Verfügung gestellt worden sind, ist sicher noch zu verkraften. Die Heimführung mußte nach den üblichen konsularischen Praktiken erfolgen, wenn ein Deutscher in Not geraten ist. Da der Betreffende ursprünglich aus der DDR stammte, waren Nachprüfungen über dessen Vergangenheit — Zechprellerei u. ä. — der deutschen Botschaft verständlicherweise nicht möglich.
Herr Abgeordneter, wenn er die 86 DM nicht bekommen hätte, hätte er wieder mit der Zechprellerei begonnen. — Zusatzfrage.
Sie können also bestätigen, daß die Meldung in der Zeitung falsch war, wo von 1 000 DM die Rede war?
Schäfer, Staatsminister: Das ist falsch. Es ist offensichtlich eine Verwechslung zwischen Rupien und D-Mark erfolgt.
Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen. Vielen Dank.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Die Fragen 72 und 73 des Abgeordneten Hinsken und die Frage 74 des Abgeordneten Stiegler sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit ist dieser Geschäftsbereich erledigt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Die Fragen 78 des Abgeordneten Menzel, 79 und 80 des Abgeordneten Schreiner sowie 81 und 82 des Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit ist auch dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Die Fragen 83 und 84 der Abgeordneten Frau Dr. Dobberthien sowie 85 und 86 der Abgeordneten Frau Hämmerle sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 87 der Frau Abgeordneten Wollny auf:
Für welche Atomkraftwerke und sonstigen Atomanlagen in der Bundesrepublik Deutschland wird mit welchen Zwischenlagern bzw. Endlagern der Entsorgungsnachweis gemäß den „Grundsätzen zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke" geführt?
Bitte sehr.
Frau Kollegin, die Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge fordern nur für Kernkraftwerke und nicht für sonstige kerntechnische Anlagen den Nachweis über den sicheren Verbleib der abgebrannten Brennelemente für sechs Jahre im voraus. Dieser Nachweis ist für abgebrannte Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren durch kraftwerksinterne oder -externe Zwischenlagerung sowie mit der Wiederaufarbeitung zu führen. Im Hinblick auf den im Atomgesetz festgelegten Grundsatz, radioaktive Reststoffe vorrangig schadlos zu verwerten, wiederaufzuarbeiten, gehen für abgebrannte Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren Endlager nicht in den Entsorgungsnachweis ein.
Für den Entsorgungsvorsorgenachweis von abgebrannten Brennelementen aus Leichtwasserreaktoren sind nach den Ergebnissen der Länderumfrage vom 31. Dezember 1986 kraftwerksexterne Zwischenlager noch nicht in Anspruch genommen worden.
Für die abgebrannten Brennelemente aus den Prototypanlagen der Hochtemperaturreaktoren können nach den Entsorgungsgrundsätzen besondere Entsorgungsvorsorgeregelungen festgelegt werden. Für den Leistungsversuchsbetrieb des THTR 300 enthält die Genehmigung der Landesregierung von NordrheinWestfalen die Auflage, daß der Betrieb über 600 Volllasttage hinaus nur dann fortgeführt werden darf, wenn nach den Grundsätzen zur Entsorgungsvorsorge entsprechende Nachweise vorgelegt werden. Dies wird etwa ab Mitte 1989 notwendig sein.
Wie die Bundesregierung in ihrem Entsorgungsbericht vom 13. Januar 1988 dargelegt hat, sollen die abgebrannten Brennelemente des THTR 300 bis zu ihrer direkten Endlagerung im geplanten Endlager Gorleben zunächst kraftwerksintern und danach -extern zwischengelagert werden. Die abgebrannten Brennelemente aus dem Betrieb des Atomversuchsreaktors Jülich sollen bis zu ihrer direkten Endlagerung im geplanten Endlager Gorleben auf dem Gelände der Kernforschungsanlage Jülich zwischengelagert werden.
Zusatzfrage, bitte.
Welchen Stellenwert haben die Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge? Haben sie Gesetzeskraft, oder sind es Absichtserklärungen?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4201
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich verweise auf den eben gerade dem Parlament vorgelegten Entsorgungsbericht vom Januar 1988.
Frau Abgeordnete Wollny, eine weitere Zusatzfrage?
Nein.
Frau Abgeordnete Nickels, möchten Sie dazu eine Zusatzfrage stellen? — Ja, bitte.
Ich möchte gerne wissen, welche Zwischenlager und Endlager vorgesehen sind und laut Betriebsgenehmigung als Entsorgungsnachweis dienen, und zwar für folgende Anlagen: Brunsbüttel, Brokdorf, Unterweser, Stade, Krümmel, Grohnde, Würgassen, Emsland, Kalkar, Jülich, Hammuentrop, Mülheim-Kärlich, Biblis, Grafenrheinfeld, Obrigheim, Neckarwestheim, Philippsburg, Karlsruhe, Gundremmingen und Isar.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich habe diese Antwort gerade eben auf die Frage von Frau Wollny schon gegeben.
— Damit müssen Sie sich abfinden.
Frau Abgeordnete Wollny, Sie haben noch eine Zwischenfrage, wenn Sie sie wünschen.
Danke schön. Die ist nach dem, was wir gehört haben, sinnlos. Darauf gibt es sowieso keine Antwort.
Diese Bemerkung muß ich natürlich zurückweisen, Frau Abgeordnete.
— Auch bei Ihnen, Frau Abgeordnete Nickels.
Keine weiteren Zusatzfragen zu dieser Frage? — Frau Abgeordnete Olms.
Sind die zur Zeit in Schweden lagernden Brennelemente und der Atommüll in dem Entsorgungsbericht der Bundesregierung berücksichtigt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Sie sind insoweit erfaßt, als es sich um abgebrannte Brennelemente handeln sollte. Im übrigen werden über schwach- und mittelradioaktive Stoffe, die aus- oder eingeführt werden, im Ausland keine Möglichkeiten der mengenmäßigen Angaben gesehen. Aber hinsichtlich Ein- und Ausfuhr liegen Angaben vor. Es ist also nicht möglich, über etwaige — ich weiß das nicht — schwach- oder
mittelradioaktive Abfälle in Schweden eine Auskunft zu geben.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Dann rufe ich die Frage 88 der Frau Abgeordneten Wollny auf:
Welche Mengen radioaktiven Materials aus deutschen Atomanlagen lagern zur Zeit wo im Ausland, und unter welchen vertraglichen Bedingungen werden sie dort gelagert?
Bitte.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auf Grund der Entsorgungsvorsorgegrundsätze für Kernkraftwerke sind Menge und Verbleib von abgebrannten Brennelementen im einzelnen bekannt. Das gilt auch für diejenigen Brennelemente, die zum Zweck der Wiederaufarbeitung ins Ausland verbracht werden. Wie die Bundesregierung in ihrem Entsorgungsbericht vom 13. Januar 1988 dargelegt hat, wurden von den Betreibern der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik bis 31. Dezember 1986 ca. 1 700 Tonnen abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung an ausländische Vertragspartner geliefert. Bei den Verträgen zur Zwischenlagerung und Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente handelt es sich um privatrechtliche Verträge, denen die Bundesregierung im Jahre 1979 ausdrücklich zugestimmt hat.
Zusatzfrage, bitte.
Weiß die Bundesregierung, wieviel Atommüll — nicht abgebrannte Brennelemente — mittlerweile in Schweden lagert, und wird dieses Material dort konditioniert oder anderweitig verarbeitet?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist — wenn ich das noch einmal sagen darf — zwischen abgebrannten Brennelementen, bei denen exakte Aufzeichnungen bestehen, und schwach- oder mittelradioaktiven Abfällen zu unterscheiden, bei denen die Aufzeichnung anderer Art ist, wo über Aus- und Einfuhrgenehmigungen die Größenordnungen allerdings bekannt sind, nicht jedoch etwaige Lagerung im Ausland. Ich bin über die Spezialfrage, die Sie hier einführen, was etwa mit Schweden zu tun hat, nicht informiert. Ich wäre dankbar, wenn solche Fragen vorher formuliert würden. Dann wäre auch eine Antwort möglich.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Konnte die Bundesregierung in der Vergangenheit den Transport nach Schweden nach Inhalt und Qualität überprüfen, und wieviel Atommüll wurde bisher in Schweden konditioniert und in die Bundesrepublik zurücktransportiert?Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, durch Aus- und Einfuhrgenehmigungen ist eine Überprüfung möglich.Da Sie nicht nach Schweden gefragt hatten, bin ich aus dem Stand nicht in der Lage, hier Auskunft zu geben. Ich nehme an, daß wir eine umfangreiche Rückfrage bei den Ländern machen müßten, um einer solchen Frage nachzugehen.
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4202 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lippelt.
Herr Staatssekretär, da Sie aber nun vorher unterschieden und gesagt haben, bei den Brennelementen sei es sehr viel klarer, darf ich ganz generell fragen: Sind denn die nach Oskarshamn transportierten MOX-Brennelemente dort zur Zwischenlagerung oder zur Endlagerung hingegangen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen die Frage aus dem Stand nicht beantworten, weil ich das einfach nicht auswendig weiß. Aber ich bin gerne bereit, Ihnen die Frage schriftlich zu beantworten.
Also schriftliche Beantwortung dieser Zusatzfragen, die in der ursprünglichen Frage nicht enthalten waren.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Olms.
Wo lagert in der Bundesrepublik aus Schweden zurücktransportierter Atommüll, und kann die Bundesregierung ausschließen, daß es zu ähnlichen Vorkommnissen gekommen ist wie in Mol?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bezeichnung „Atommüll" ist sehr unpräzise. Wenn Sie damit schwach- und mittelradioaktive Abfälle meinen, so sind wir im Augenblick dabei, die Kontrolle über diese Abfälle und ihre Entsorgung zu überprüfen, etwaige Fehlerquellen und Mißstände aufzudecken. Und die beziehen sich selbstverständlich auf alle Bereiche von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen.
Ganz anders sieht es mit abgebrannten Brennelementen aus, wo eine vollkommene, in der staatlichen Hand befindliche Kontrolle besteht und deshalb auch, nach den bisherigen Ergebnissen, nicht mit Nichteinhaltung von Vorschriften zu rechnen ist.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Beer.
Ich würde gerne wissen, ob die zur Zeit in Schweden lagernden Brennelemente und der Atommüll — ich sage wieder „-müll" und bitte um sehr breite Beantwortung im Hinblick auf alle Formen von Atommüll — im Entsorgungsbericht der Bundesregierung berücksichtigt sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir haben uns nicht im Detail mit Schweden beschäftigt. Ich bin aber gerne bereit, da offenbar hier an Schweden Interesse besteht, alle diese Fragen zu beantworten.
Es wäre für uns sehr viel einfacher, wenn die Hintergründe solcher Fragen vorher schriftlich formuliert würden, dann könnte man eine befriedigende Antwort geben. Aber aus Ihrer Fragestellung war bisher
nicht erkennbar, daß etwa speziell Schweden für Sie interessant ist.
Frau Abgeordnete, das ist in der Fragestunde nicht möglich.
— Ja, ich weiß schon, was Sie fragen wollen. Aber das geht nicht mehr.
Frau Abgeordnete Nickels, Sie haben zu einer Zusatzfrage das Wort.
— Frau Kollegin Beer, dann müssen Sie eine andere Form der politischen Auseinandersetzung hier suchen.
Bitte sehr.
Entschuldigung, Herr Präsident, da wir mündliche Fragen laut Geschäftsordnung nur kurz formulieren dürfen, müssen wir in Zukunft die Fragen kurz formulieren, aber gleichzeitig ein Begleitschreiben an das Ministerium schicken, damit so etwas nicht mehr passiert. Das ist einfach die Schwierigkeit, Herr Staatssekretär. — Vielleicht haben Sie bei meiner Frage die gleiche Schwierigkeit wieder. Wenn es aus den genannten Gründen nicht geht, sie zu beantworten, bitte ich, auch die schriftlich zu beantworten.
Meine Frage: Es sind ca. 70 t Atommüll der ReaktorBrennelement Union und ca. 350 t radioaktiver Schrott aus Würgassen nach Schweden gegangen. Sind die noch in Schweden, und wenn nicht, wo sind sie heute?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ist das so schwer zu verstehen, daß man eine solche Spezialfrage, die nicht angekündigt worden ist, hier nicht aus dem Stand beantworten kann? Ich gebe es Ihnen gerne schriftlich.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe Frage 89 des Herrn Abgeordneten Kreuzeder auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Es wird so verfahren, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist.Ich rufe Frage 90 des Herrn Abgeordneten Dr. Lippelt auf:Beabsichtigt die Bundesregierung, trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 11, Februar 1988 zum Transportbehälterlager Gorleben das Lager in Betrieb zu nehmen, und welche zwingenden Gründe sprechen für eine baldige Inbetriebnahme des Transportbehälterlagers Gorleben?Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Frage unterstellt, daß die am 11. Februar 1988 bekanntgegebene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 1988 eine Anordnung der sofortigen Voll-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4203
Parl. Staatssekretär Grünerziehung der erteilten atomrechtlichen Genehmigung vom 5. September 1983 verbietet. Dies ist sowohl dem Tenor als auch den Entscheidungsgründen nach unzutreffend.Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt wird daher in Kürze über den Antrag der DWK auf Anordnung der sofortigen Vollziehung zu entscheiden haben. Gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung kann der sofortige Vollzug in Fällen angeordnet werden, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten liegt. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß das von den Regierungschefs von Bund und Ländern mit Beschluß vom 28. September 1979 bestätigte Entsorgungskonzept mit kraftwerksexterner Zwischenlagerung und Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente zügig zu realisieren ist.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, welche Entsorgungsmöglichkeiten existieren für den Fall der Inbetriebnahme des Transportbehälterlagers?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich verweise hier auf den Entsorgungsbericht der Bundesregierung vom Januar dieses Jahres.
Zweite Zusatzfrage.
Darf ich dann fragen: Steht die jetzt noch so zügig vorangetriebene Inbetriebnahme des Transportbehälterlagers in Zusammenhang mit dem Bau der Pilotkonditionierungsanlage?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir, die Bundesregierung, sind an der Inbetriebnahme dieses Lagers sehr interessiert, weil sie Teil unseres Entsorgungskonzeptes ist.
Frau Abgeordnete Wollny, bitte sehr.
Sollen im Zwischenlager, Transportbehälterlager als Eingangslager für die Konditionierungsanlage unkonditionierte Brennelemente eingelagert werden, und ist das Zwischenlager als Ausgangslager für konditionierte Brennelemente aus der Konditionierungsanlage vorgesehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, auch hier möchte ich auf die Darstellung im Entsorgungsbericht der Bundesregierung vom Januar dieses Jahres verweisen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 91 des Herrn Abgeordneten Dr. Lippelt auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von Überlegungen seitens der Atomindustrie, ein neues Entsorgungskonzept zu entwickeln, und welche Veränderungen beabsichtigt die Bundesregierung an ihrem eigenen Entsorgungskonzept vorzunehmen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat in ihrem Entsorgungsbericht vom 13. Januar 1988 deutlich gemacht: Das mit dem Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 28. September 1979 bestätigte und von der Bundesregierung verfolgte integrierte Entsorgungskonzept mit der Wiederaufarbeitung ist nach wie vor richtig. Überzeugende Alternativen hierzu sind nicht vorhanden.
Wie die Bundesregierung in ihrem Entsorgungsbericht ebenfalls dargelegt hat, haben die Ereignisse um die Konditionierung und den Transport schwach- und mittelradioaktiver Abfälle allerdings die Notwendigkeit deutlich gemacht, in diesem Bereich die staatliche Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden zu intensivieren. Hierzu wird die Bundesregierung, wie in ihrem Entsorgungsbericht angekündigt, in Kürze ein Konzept zur Verbesserung der Struktur bei der Entsorgung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen festlegen und nach Abstimmung mit den Ländern eine Richtlinie zur Behandlung und zum Transport schwach- und mittelradioaktiver Abfälle erlassen.
Die Abfallverursacher sind vom Bundesumweltminister Professor Töpfer aufgefordert worden, ihrerseits Verbesserungsvorschläge in diesem Bereich vorzulegen. Diese Verbesserungsvorschläge die wir erwarten, stehen noch aus.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie von einer Richtlinie sprechen, deren Erlaß Sie beabsichtigen, möchte ich wissen: Wäre dann die Frage, ob die Bundesregierung eine Änderung des Atomgesetzes für nötig hält oder plant, mit Nein zu beantworten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß es dazu kommen wird. Aber, Herr Kollege, wir wollen tatsächlich die Ergebnisse der Untersuchungen, die ja laufen, mit in diese Überlegungen einbeziehen. Ich schließe nicht aus, daß auch gesetzliche Konsequenzen notwendig sein können. Aber es ist verfrüht, darüber eine Aussage zu machen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.
Ist dem Herrn Staatssekretär eine Meldung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 18. Februar 1988 bekannt, in der Frau Gräfin Brockdorff, Sozialministerin von SchleswigHolstein, verlautbart oder ankündigt, daß die Betreiber der Kernkraftwerke in Kürze ein neues Entsorgungskonzept vorlegen würden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, diese Äußerung ist mir nicht bekannt. Aber ich bringe sie in Zusammenhang mit den von uns angeforderten Entsorgungsnachweisen und den von uns erwarteten Vorschlägen der Kernkraftwerksindustrie.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Damit ist auch Ihr Geschäftsbereich abgeschlossen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Die Fragen 92 und 93 des Abgeordneten Eylmann, 96 und 97 der Abgeordneten Frau
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4204 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Vizepräsident StücklenFuchs und 98 des Abgeordneten Müller (Pleisweiler) werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die Fragen 94 und 95 der Abgeordneten Frau Beer werden gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet.Damit sind wir am Ende der Fragestunde.Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, gebe ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. 417 Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon ist keine ungültig. Mit Ja haben 177, mit Nein haben 240 Abgeordnete gestimmt. Keine Enthaltungen.Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 414;ja: 176nein: 238JaSPDDr. AhrensAndresAntretterDr. ApelBachmaierBahrBambergFrau Becker-Inglau BernrathBindigFrau BlunckDr. Böhme Börnsen (Ritterhude) BrandtBrückBüchler Büchner (Speyer) Frau Bulmahn BuschfortCatenhusenFrau Conrad ConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserFrau Dr. Dobberthien DreßlerDr. Ehrenberg ErlerEstersEwenFrau FaßeFischer
Frau Fuchs Frau Fuchs (Verl) Frau Ganseforth GanselDr. GautierGilgesFrau Dr. Götte GrafGroßmannDr. HaackHaack Frau Hämmerle Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHeimann HeistermannHeyennDr. Holtz HornHuonker Ibrügger Jahn
Dr. Jens Jungmann Kastning KiehmKirschner Kißlinger Dr. KlejdzinskiKolbowKoltzsch Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Lennartz Leonhart Lohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz MenzelMeyerDr. Mitzscherling Müller Müller (Pleisweiler) MünteferingNagelNehmFrau Dr. NiehuisDr. Niese NiggemeierFrau Odendahl Oesinghaus OostergeteloPaternaPauliDr. Penner PfuhlDr. PickPorznerPoßPurpsReimannFrau RengerReschke Reuter RixeSchäfer SchanzDr. ScheerScherrerFrau Schmidt Schmidt (Salzgitter)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchütz SeidenthalFrau SeusterSielaff SingerFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SperlingStahl
SteinerFrau SteinhauerStiegler Stobbe Dr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniakVahlbergWaltherWartenberg WeiermannWeisskirchen WestphalFrau WeyelDr. WieczorekFrau Wieczorek-Zeul Wimmer WischnewskiDr. de WithWittich Würtz Zander Zeitler ZumkleyDIE GRÜNENFrau Beck-OberdorfFrau BeerBrauerDr. BriefsDr. Daniels EbermannFrau Flinner Frau GarbeFrau Hillerich HossHüserKleinert KreuzederDr. Lippelt Frau NickelsFrau OlmsFrau Saibold SchilyFrau Schmidt-BottFrau Schoppe SellinFrau Teubner Frau TrenzFrau UnruhFrau Vennegerts VolmerWeiss WetzelFrau Wilms-KegelFrau WollnyNeinCDU/CSUDr. AbeleinBauer BayhaDr. Becker Frau Berger (Berlin)Dr. BiedenkopfBiehleDr. BlankDr. BlensBöhm
Börnsen
Dr. BötschBohlsen Borchert BreuerBühler BuschbomCarstens Carstensen (Nordstrand) ClemensDr. CzajaDr. Daniels
Frau Dempwolf DörflingerDr. DollingerDossDr. DreggerEchternachEhrbar EigenEngelsbergerEylmannDr. FaltlhauserFeilcke Dr. Fell Fellner Frau FischerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedrichFuchtelGanz
Frau GeigerGeisGerstein Gerster
GlosDr. GöhnerGünther Hames HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFrau Dr. HellwigDr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes HöpfingerHörsterDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesDr. HüschDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Jung
KalbKalisch Dr.-Ing. KansyDr. KappesKiechle KittelmannKlein
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4205
Vizepräsident Stücklen Dr. Köhler KossendeyKrausKreyKroll-SchlüterDr. KronenbergDr. Kunz
LamersDr. Lammert Dr. Langner LattmannDr. Laufs Lemmrich LenzerFrau LimbachLink
Link
Linsmeier LintnerDr. Lippold LouvenLummerMaaßFrau MännleMaginDr. Mahlo MarschewskiDr. Meyer zu BentrupDr. Miltner Dr. Möller Dr. Müller NelleDr. Neuling Neumann
Dr. Olderog OswaldFrau Pack PeschPetersen PfeffermannPfeiferDr. Pfennig Dr. Pinger Dr. PohlmeierDr. Probst RauenRaweReddemannRegenspurgerFrau Rönsch Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. RoseRoth
RüheDr. RüttgersRufSauer
Sauer
Sauter
Sauter
Dr. Schäuble ScharrenbroichSchartz
Schemken ScheuSchmidbauerSchmitz
von SchmudeDr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberSchulhoff Dr. Schulte
Schulze (Berlin)
SchwarzDr. Schwarz-SchillingDr. SchwörerSeehofer SeesingSeitersSpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. Stercken Dr. StoltenbergStraßmeir StrubeStücklenSussetDr. TodenhöferDr. Uelhoff UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. Vondran Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffWeirichWeiß Werner (Ulm)Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWindelenFrau Dr. WisniewskiDr. Wittmann Dr. Wörner WürzbachDr. Wulff Zeitlmann ZiererZinkFDPFrau Dr. Adam-Schwaetzer Dr. BangemannBaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth)EngelhardDr. FeldmannFrau Folz-Steinacker FunkeGallusGattermann GriesGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannHeinrich Dr. HirschDr. Hitschler HoppeDr. Hoyer IrmerKleinert
KohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf LambsdorffLüderMischnick Neuhausen NoltingRichterRindRonneburgerSchäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. Solms Dr. Thomae TimmDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)Damit ist der Entschließungsantrag auf Drucksache 11/1111 abgelehnt.Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über die deutsche Humanitäre Hilfe im Ausland 1982 bis 1985— Drucksachen 10/6564, 11/1719 —Berichterstatter:Abgeordnete Höffkes Frau LuukInterfraktionell ist vereinbart worden, diesen Tagesordnungspunkt schon jetzt zu beraten. Der Ältestenrat schlägt eine Beratungszeit von 30 Minuten vor. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. — Es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höffkes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat am 25. November vergangenen Jahres den dritten Bericht über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland für 1982 bis 1985 vorgelegt. Nach Studium dieses Berichtes kann ich leider nur das wiederholen, was ich zum zweiten Bericht über die Jahre 1978 bis 1981 im Plenum vorgetragen habe: Der Bericht der Bundesregierung ist eine Bilanz der Hilfe und offenbart gleichzeitig in erschreckender Weise weltweit das Elend unzähliger Menschen. Hunger und Flucht, Verzweiflung, Elend und Tod stehen in tausendfacher Weise vor unseren Augen, wenn wir diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.Im Mittelpunkt der humanitären Hilfe steht der notleidende Mensch ohne Berücksichtigung des politischen und sozialen Systems, in dem er lebt. Daher wird humanitäre Hilfe ohne politische Bedingungen, ohne Gegenleistungen und ohne Rücksicht auf den ideologischen Standort der Regierung des Empfängerlandes geleistet. Humanitäre Hilfe ist Ausdruck spontaner Solidarität in akuten Notlagen.Humanitäre Hilfe umfaßt Maßnahmen, die auf die sofortige oder zumindest kurzfristige Beseitigung der Folgen von Naturkatastrophen oder anderen Notsituationen abzielen: Sofortlhilfe zur Lebenserhaltung, medizinische Hilfe, Wiederherstellung notwendiger Infrastruktur, Wiederingangsetzung der Nahrungsmittelproduktion. Nur in wenigen Fällen sind Naturkatastrophen als auslösendes Moment gegeben. In großer Zahl sind politische Machtverhältnisse, kriegerische Auseinandersetzungen, Machtkämpfe, politische Indoktrination, falsche Wirtschaftspolitik, kurzsichtige Landwirtschaftspolitik und Mißachtung der ökologischen Umweltbedingungen und die damit verbundene Vernichtung des Lebensraumes die Ursache
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4206 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Höffkesfür die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen.Unruhen und Bürgerkriege lösten neue Flüchtlingsbewegungen aus, wobei die größte Zahl der Flüchtlinge kaum eine Chance hatte, in übersehbarer Zeit in ihre Heimatländer zurückzukehren. 5 Millionen Afghanen, über ein Drittel der Gesamtbevölkerung Afghanistans, leben im Ausland. Ähnlich ist die Situation der Flüchtlinge aus Vietnam, aus Kamputschea und Zentralamerika. Hieran hat sich leider bis heute nichts geändert, wenn sich auch die Schwerpunkte der Hilfe von Asien 1982/83 nach Afrika in den Jahren 1984/85 verlagert haben. Der Libanon, Angola, Mosambik, Äthiopien und der Sudan waren die Hauptkrisenländer.Nicht vergessen sein soll hier die Polenhilfe des Jahres 1982/83. Die Postgebühren für Geschenkpakete in die Volksrepublik Polen wurden mit einem Kostenaufwand von 174 Millionen DM übernommen. Dies waren zwei Drittel der Gesamtaufwendungen für die humanitäre Hilfe.Durchgeführt wird die humanitäre Hilfe bilateral als Soforthilfe — vor allem nach Naturkatastrophen — und multilateral, vor allem zur Linderung der Not von Flüchtlingen. Bei der Durchführung eigener Hilfsmaßnahmen wie der Lieferung von Hilfsgütern, dem Einsatz von Fachleuten, Transporthilfen und ähnlichem arbeitet das Auswärtige Amt mit den Bundesministerien des Innern, der Verteidigung, für Verkehr, für Landwirtschaft und Forsten, wie ich meine, vorbildlich zusammen. Hierfür möchte ich ausdrücklich Dank und Anerkennung aussprechen, zumal diese Leistungen von einer kleinen Zahl motivierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erbracht wurden.Ein besonderer Abschnitt in der Berichterstattung ist den humanitären Hilfsmaßnahmen privater deutscher Hilfsorganisationen gewidmet. Ein großer Teil der Hilfe wäre ohne sie nicht möglich gewesen. Daher gebühren besonderer Dank und Anerkennung seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Deutschen Caritasverband, dem Diakonischen Werk, dem Deutschen Roten Kreuz, dem Deutschen Komitee Notärzte e. V., Soforthilfe e. V. und HELP — Hilfe zur Selbsthilfe e. V. An dieser Stelle sei auch den vielen ungenannten Organisationen, Spendern und Helfern Dank gesagt. Ein herzliches Dankeschön auch der Bundeswehr und dem Technischen Hilfswerk.Die Tätigkeit der internationalen Institutionen und der Europäischen Gemeinschaft möchte ich in den Dank mit einschließen.Zum Abschluß mögen noch einige Zahlen einen Eindruck von der deutschen humanitären Hilfe von 1982 bis 1985 vermitteln. Weltweit wurden 374 Millionen DM aufgewendet. Davon entfallen auf Europa 182 Millionen DM, auf Afrika 72 Millionen DM, auf Amerika 18 Millionen DM und auf Asien 101 Millionen DM. Diese Finanzhilfe wurde in folgender Weise geleistet: über internationale Organisationen 137 Millionen DM, über deutsche private Hilfsorganisationen 35 Millionen DM, über Direktmaßnahmen der Bundesregierung 26 Millionen DM und für die Paketaktion für Polen, die ich bereits erwähnte, 174 Millionen DM.An Hilfsmaßnahmen sind in Afrika 39, in Amerika 16, in Asien 21, in Australien 3 und in Europa 6 Projekte ausgeführt worden.1982 bis 1985 wurden außerdem 8 500 Flüchtlinge in die Bundesrepublik aufgenommen. Hierfür wurden 14 Millionen DM aufgewendet.Die Bundeswehr hat Transportleistungen — insbesondere in Äthiopien und im Sudan — für 55 Millionen DM erbracht. Aus Überschußbeständen und Ausrüstungshilfe leistete die Bundeswehr Warenhilfe im Wert von 4 Millionen DM, und das Technische Hilfswerk erbrachte über 8 000 Helfertage in einem Wert von mehr als 2 Millionen DM. Die Leistungen der privaten deutschen Hilfsorganisationen: Caritasverband 175 Millionen DM — hiervon 17 Millionen DM Bundesmittel — , das Diakonische Werk 58 Millionen DM mit einem Bundesanteil von 1,8 Millionen DM, das Deutsche Rote Kreuz 99 Millionen DM, die Welthungerhilfe 77 Millionen DM und HELP — Hilfe zur Selbsthilfe e. V. 4 Millionen DM.Noch wenige Worte zur Europäischen Gemeinschaft. Die Soforthilfe der Europäischen Gemeinschaft betrug 1,596 Milliarden DM. Hieran war die Bundesrepublik Deutschland mit 407 Millionen DM beteiligt. Die Sofortnahrungsmittelhilfe der EG betrug 164 Millionen DM mit einem Bundesanteil von 45 Millionen DM. Im Sonderprogramm der Europäischen Gemeinschaft, dem sogenannten Plan von Dublin, wurden 928 Millionen DM mit einem Bundesanteil von 223 Millionen DM geleistet.Meine Damen und Herren, dem Gesagten ist zu entnehmen, daß die Bundesrepublik Deutschland außerordentliche Anstrengungen zur Beseitigung der Notstände unternommen hat. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bittet darum, in dem Bemühen um die Lösung und die Linderung der Not von Hungernden und Flüchtlingen nicht nachzulassen. Wir bitten auch um Ihre Zustimmung zur Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses.Ich bedanke mich.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Luuk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der dritte Bericht über humanitäre Hilfsmaßnahmen der Bundesrepublik für den Zeitraum von 1982 bis 1985 spiegelt wie die beiden vorangegangenen Berichte Elend und Not in der Welt wider. Die Liste der Notsituationen und der Katastrophen, in denen die Bundesrepublik, aber auch die privaten deutschen Hilfsorganisationen, bilateral oder durch Leistungen an internationale Organisationen humanitäre Hilfe geleistet haben, wird immer länger. Wir haben Hilfe geleistet bei Naturkatastrophen, bei Erdbeben — ich erinnere an Mexiko —, Vulkanausbrüchen — jeder wird sich an die Bilder aus Kolumbien erinnern können — , bei Wirbelstürmen, Überschwemmungen und anderen Notlagen, in denen die Menschen hilflos und wehrlos ihrer Not ausgesetzt waren. Dürre und Hunger in Afrika haben alle Menschen auch bei uns geschockt.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4207
Frau LuukDie Ursachen für diese Katastrophen sind u. a. auch darin zu sehen, daß die Menschen nicht vorsichtig genug mit der Natur umgehen. Die Ausbreitung von Wüsten, Steppen, Dürren und Überschwemmungen haben auch von Menschenhand verursachte Gründe.Immer umfangreicher werden die Katastrophen als Folge neuer Konflikte und Bürgerkriege und dem sich daraus ergebenden Flüchtlingselend. Wir müssen eine weltweite Zunahme der Flüchtlingszahlen besonders in der Dritten Welt zur Kenntnis nehmen. Für die Flüchtlinge ist aber in zunehmendem Maße eine schnelle Rückkehr in das Heimatland nicht möglich. Mehr als die Hälfte der humanitären Hilfe entfiel auf die Finanzierung von Maßnahmen der Flüchtlingshilfe. Über 15 Millionen Menschen waren während des Berichtszeitraumes auf der Flucht. Wir müssen dort Unterstützung leisten, wo eine schnelle Rückkehr der Flüchtlinge in die Heimatländer nicht möglich ist und, wo möglich, bei einer Integration im Aufnahmeland helfen.Mit großem Respekt möchte ich hier anmerken, daß viele Staaten trotz schwerer eigener wirtschaftlicher Schwierigkeiten große Flüchtlingskontingente aufgenommen haben. Ich meine, wir sind aufgefordert, diese Bereitschaft mit Hilfe zu unterstützten. Ich wiederhole, was auch Herr Höffkes gesagt hat, daß 5 Millionen Afghanen, mehr als ein Drittel der Bevölkerung, außerhalb des Landes leben. Flüchtlinge aus Vietnam und Kamputschea, in Südostasien und in Zentralamerika können nicht damit rechnen, bald in ihre Heimatländer zurückzukehren.Ich meine, daß wir an dieser Stelle auch darüber nachdenken müssen, ob die humanitäre Hilfe dem Charakter der Soforthilfe, den sie haben soll, besonders im Flüchtlingsbereich genug Rechnung trägt. Denn wenn Menschen über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren und sogar zehn Jahren in Flüchtlingslagern leben und dort vom UNHCR und anderen Einrichtungen, ich darf sagen: „betreut" werden, dann muß ihnen geholfen werden, damit sie nicht nur überleben, sondern damit ihre Fähigkeiten zu arbeiten, innovativ und kreativ zu sein, weiter organisieren zu können, erhalten bleiben. Das heißt, es müssen dann Schulen und Ausbildung dazukommen. Den Klagen aus dem Bereich des UNHCR, daß dieses mit den vorhandenen Mitteln nicht mehr bezahlt werden kann, sollten wir unsere Ohren öffnen.Mehr aber als Naturkatastrophen sind es Kriege und innere Konflikte, die Tod und Elend für Millionen von Menschen in der Welt bedeuten. Wir müssen uns verstärkt im internationalen Rahmen um Beiträge zur Lösung äußerer und innerer Konflikte bemühen und durch eine aktive Entwicklungszusammenarbeit als ein Teil der weltweiten Friedenspolitik den Ursachen der Not von Flüchtlingen und Konfliktopfern entgegenwirken.Die Bereitschaft zur Leistung humanitärer Hilfe ist in der internationalen Gemeinschaft, aber auch in der Bundesrepublik gewachsen. Die Fähigkeit, solche Hilfsmaßnahmen zu organisieren, hat sich weiterhin verbessert. Die Vereinten Nationen und die Europäische Gemeinschaft bemühen sich, ihre Hilfsmaßnahmen aufeinander abzustimmen. Die in dem Berichtgenannten privaten Hilfsorganistionen haben nicht nur vielfach und unbürokratisch geholfen, sondern auch ihre beachtlichen Erfahrungen bei der Abwicklung von Hilfsprogrammen eingebracht. Den vielen hochmotivierten und engagierten Helfern in diesen Organisationen möchte ich auch im Namen der SPD-Fraktion für die von ihnen geleistete Hilfe für notleidende Menschen meinen ausdrücklichen Dank aussprechen.
Den Hilfsorganisationen ist es auch gelungen, die Anteilnahme der Öffentlichkeit am Schicksal der notleidenden Menschen vor allen Dingen in der Dritten Welt zu erhöhen und die Spendenbereitschaft in unserem Lande deutlich zu steigern. Ich erwähne hier, daß die Afrika-Sammlungen von 1984 und 1985 Spenden von über 150 Millionen DM erbracht haben. Unser Dank gilt auch den Spendern.Mir ist es wichtig, noch einmal zu verdeutlichen, daß humanitäre Hilfe ohne politische Vorbedingung und Rücksicht auf den ideologischen Standort der Regierung des betroffenen Empfängerlandes, ohne Gegenleistungen und ohne Berücksichtigung des politischen und sozialen Systems geleistet wird. Wir müssen aber auch sicherstellen, daß besonders bei bürgerkriegsähnlichen Zutänden diese Hilfe alle, die sie dringend benötigen, auch erreicht.
Wir müssen unsere Phantasie und auch den nötigen Nachdruck einsetzen, damit z. B. bei der Hungerkatastrophe in Äthiopien diejenigen, die in dem eritreischen Teil des Landes wohnen, von der Hilfe erreicht werden können, die wir für sie vorgesehen haben.Ich möchte noch ein kritisches Wort zu dem Stichwort Nahrungsmittelhilfe anbringen: Butterberge, Milchseen und Getreidesilos in Europa, Hungerregionen in Afrika und Lateinamerika sowie in weiten Teilen Asiens. Immer noch glauben viele Menschen, daß mit unseren Nahrungsmittelüberschüssen der Hunger in der Dritten Welt bekämpft werden kann. Nahrungsmittelhilfe kann auch das süße Gift in der Entwicklungshilfe sein und die Agrarproduzenten in der Dritten Welt entmutigen. Sie kann zu einer verstärkten Abhängigkeit führen, und letztlich verhindert sie auch die Umorientierung im agrarpolitischen Bereich im Norden wie im Süden. Letztlich bringt sie mehr Gefahren als Nutzen. Nur für die Ärmsten der Armen und für jene, die von akuten Katastrophen betroffen sind, ist sie unentbehrlich, wenn sie rechtzeitig erstattet wird, die richtigen Adressaten erreicht, nicht durch Verteilungsdefizite entwertet wird oder zur Veränderung von Nahrungsgewohnheiten führt. Längerfristig sollte die Ernährungssicherung absoluten Vorrang haben.Mich bewegt — darauf möchte ich am Ende eingehen — , daß der tödliche Ernst einer Lage oft viel zu spät erkannt wird. Ich erwähne hier das Beispiel Äthiopien. Bei langsam entstehenden Katastrophen und kriegerischen Handlungen kommt es auf die frühzeitige Wahrnehmung solcher Entwicklungen an, damit man Vorsorge treffen und die Hilfe zur rechten
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4208 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Frau LuukZeit besser wirksam werden lassen kann. Aber es ist nicht zu leugnen, daß oft erst der Schock des gefilmten oder abfotographierten Hungersterbens, besonders von Kindern, das dann auch bis in unser Wohnzimmer dringt, Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft auslöst, und die Spendenfreudigkeit ebbt oft dann ab, wenn die schrecklichen Bilder verblassen, obwohl Not und Hunger weiter bestehen oder an anderer Stelle neu entstehen. Wir gewöhnen uns an Katastrophen und kommen manchmal sehenden Auges zu spät. Wir Politiker, meine ich, aber auch Journalisten, haben die Pflicht, unserer Grundsätze von Menschlichkeit, Nächstenliebe und Solidarität an Hand der Realität ständig zu überprüfen und dies ständig zum Thema zu machen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über den Bericht der Bundesregierung über die humanitäre Hilfe im Ausland seit 1982 eine leider sehr kurze Debatte führen, möchte ich drei Aspekte zu dieser Thematik vortragen, zwei positive Aspekte und einen etwas kritischeren Aspekt.
Erstens. Der Bericht und die Anlagen zu diesem Bericht erweisen sehr eindringlich, wie wichtig es ist, daß es diese Einrichtung der humanitären Hilfe als ein Hilfsinstrument der Außenpolitik gibt. Humanitäre Hilfe erfolgt immer mit dem Blick auf spätere notwendige entwicklungspolitische Zusammenarbeit, denn sie kann nur das akute Elend, die größte Not lindern und muß, wenn sie einen Sinn haben soll, eigentlich gleich anschließend in entwicklungspolitische Maßnahmen übergehen. Aber hier scheint nicht immer der richtige und nötige Anschluß gefunden zu werden.
Positiv ist — das ist aus den Anlagen zu ersehen —, daß der multilaterale Anteil unserer humanitären Hilfe ziemlich konstant bei 70 % aller Mittel liegt. Ich glaube, es ist ein wichtiger Aspekt der internationalen Solidargemeinschaft, daß wir unsere Mittel nicht nur bilateral geben — wir geben sie nur zu einem kleinen Anteil bilateral — , sondern überwiegend versuchen, als Völkergemeinschaft Not und Elend zu lindern.
Der zweite Aspekt ist — ich glaube, das ist ein großartiger Teil unserer humanitären Hilfe — , daß wir weitgehend und vielleicht in Zukunft noch mehr nicht-staatliche, private, karitative, kirchliche Hilfsorganisationen mit öffentlichen Mitteln in den Stand setzen, ein Mehrfaches zu leisten, als es direkt gegebene öffentliche Hilfe vermag. Denn unsere Organisationen, die da seit Jahren einen sehr engagierten Einsatz leisten, haben es in den letzten Jahren ausgezeichnet verstanden, auch unsere Bürger auf diese Verantwortung, auf diese Verpflichtung aufmerksam zu machen, so daß jede Mark öffentlicher Mittel mittlerweile schon mit einem Mehrfachen an Spenden aus privaten Taschen ergänzt werden kann. Hier gebührt, glaube ich, unser besonderer Dank noch einmal all den Organisationen, die das mit vielen Freiwilligen
tun, aber auch den Spendern, die zu dieser Vermehrung von Mitteln beitragen.
Eine Bemerkung, die etwas kritischer ist: Hier wurde die Addition von Zahlen aus vier Jahren genannt. Das darf uns nicht die Frage ersparen: Leisten wir eigentlich auch nur annähernd genug humanitäre Hilfe? Wenn man das, was wir uns sonst leisten, mit dem vergleicht, was wir für Elend und Not, denen wir begegnen wollen, leisten, dann ist das eindeutig nicht genug. Da wende ich mich nicht nur an die Adresse des Auswärtigen Amts, das sich ja redlich um mehr Mittel bemüht, sondern auch an das Finanzministerium, das hier leider nicht anwesend ist. Wenn Sie sich diese Zahlen nämlich einmal ganz genau ansehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist festzustellen, daß Sie natürlich die Polen-Hilfe abziehen müssen und daß auch dann die Zahlen stagnieren und für einige Kontinente sogar rückläufig sind. Das ist kein gutes Zeichen. Hier sollen wir eine gemeinsame Anstrengung unternehmen.
Auch die schöne Formel, daß man die Ursachen der Flüchtlingsströme bekämpfen muß, um vorzubeugen, ist weithin eine Formel geblieben. Ich nenne nur ein ganz konkretes Beispiel. Die Flüchtlingsströme aus Vietnam, die „boat's people", werden gottlob weniger. Aber die wirtschaftliche Situation in Vietnam ist nach wie vor so unendlich schlecht, daß wir mit ganz großen Mitteln und Projekten in die entwicklungspolitische Zusammenarbeit einsteigen müssen, damit nicht neue Ströme von Wirtschaftsflüchtlingen auf uns zukommen. Daher klappt das schöne Konzept eben nicht: humanitäre Hilfe als erste Hilfe, der entwicklungspolitische Hilfe folgen muß. Dieses Konzept ist durchaus verbesserungswürdig.
Eine Schlußbemerkung — bei mir blinkt schon das rote Licht. Trotz aller geschäftsmäßigen Abwicklung einer solchen Debatte erinnere ich kurz auch daran, daß wir über diesen Bericht heute in der Fastenzeit debattieren. Fasten bedeutet ja nicht nur Verzicht auf leibliche Genüsse, sondern auch die Bereitschaft, materielle Opfer zu bringen — nicht als Almosen, sondern als einen echten Beitrag, der auch dem einzelnen ein Opfer abverlangt. Ich richte meinen Appell nicht nur an den Finanzminister und die Bundesregierung, sondern dieser Appell, für die Linderung der ärgsten Not und der ärgsten Schmerzen auf dieser Welt auch ein persönliches Opfer zu bringen, das sollte ein Appell an uns alle sein.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Olms.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Humanitäre Hilfe, das ist ein ebenso wunderbarer wie verschleiernder Begriff. Er suggeriert Großzügigkeit, Warmherzigkeit, Hilfsbereitschaft, Solidarität. „Ohne politische Vorbedingungen, ohne Gegenleistungen" , so ist der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu entnehmen, sei die Bundesrepublik zu humanitären Leistungen bereit. Das klingt großzügig. Doch in Wahrheit ist diese Feststellung verlogen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4209
Frau OlmsHat die Bundesrepublik überhaupt moralisch das Recht, den Empfängern ihrer sogenannten humanitären Hilfe „Vorbedingungen" und „Gegenleistungen" abzuverlangen? Wäre es nicht weit zutreffender, die entsprechenden Mittel als Reparationsleistungen zu deklarieren? Zugegeben: Dies wäre nur unter der Voraussetzung gerechtfertigt, daß zuvor eine drastische Erhöhung der sogenannten humanitären Hilfe erfolgt, eine Erhöhung, deren Ausmaß von dem Ausmaß der Verantwortung bestimmt wird, das die Bundesregierung für die ökologischen, sozialen, ökonomischen und kriegerischen Katastrophen in der Dritten Welt trägt.Der Umfang der heutigen humanitären Hilfe ist lediglich ein Bruchteil von dem, was die Bundesrepublik in der Form ungleicher Wirtschaftsbeziehungen den Gesellschaften der Dritten Welt raubt. Verglichen mit der Not, die sich als Folge der Politik der führenden Industriestaaten gegenüber der Dritten Welt einstellt, handelt es sich bei der humanitären Hilfe lediglich um Almosen. Sofern humanitäre Hilfe fließt, soll sie primär verhindern, daß die Katastrophen in der Dritten Welt auf ihre Verursacher zurückschlagen.Nehmen wir nur ein Beispiel, um den systemkurierenden Charakter und die strukturelle Scheinheiligkeit humanitärer Hilfe zu belegen: Der den Staaten der Dritten Welt auferlegte Zwang zum hemmungslosen Agrarexport, der diesen Nahrungsgrundlagen entzieht und Pestizideinsätze und weiteres erforderlich macht, erzeugt Umweltkatastrophen und Fluchtbewegungen, die dann mit humanitärer Hilfe verpflastert werden.Nach dem gleichen Muster werden Konflikte zwischen den Staaten der Dritten Welt und innerhalb dieser Staaten von außen angeheizt — etwa durch die Lieferung von Waffen — , um dann gleichzeitig zu erklären — und jetzt zitiere ich aus der Beschlußvorlage — :Es muß versucht werden, geduldig und beharrlich auf internationaler Basis Beiträge zur Lösung äußerer und innerer Konflikte zu leisten und durch aktive Entwicklungszusammenarbeit als Teil einer weltweiten Friedenspolitik den Ursachen der Not von Flüchtlingen und Konfliktopfern entgegenzuwirken.
Dies hört sich gut an. Dies könnten wir glatt unterschreiben.
Doch die Realität ist, daß die Bundesrepublik beharrlich Waffen an beide Parteien im Golfkrieg liefert.
Warum stellt die Bundesregierung diese Waffenlieferungen nicht einfach ein, anstatt auf die internationale Ebene abzuheben?In dem Bericht der Bundesregierung werden die Empfehlungen einer Expertengruppe zitiert, zu denen u. a. das Gebot, keine Flüchtlingsströme zu erzeugen, zählt. In Anbetracht der Strukturen des Weltwirtschafts- und Weltmilitärsystems ist dieses Gebot purer Hohn. Würde dieses Gebot befolgt, so käme unser Wirtschaftssystem inklusive seiner Rüstungsindustrieerheblich ins Schleudern, und die humanitäre Geste würde als das entlarvt, was sie ist: eine Verschleierung der wahren Sachverhalte.
Eine weitere Frage ist, welche Verwendung die sogenannten humanitären Hilfeleistungen finden. Bei den Verbündeten der Bundesregierung in der Dritten Welt handelt es sich oftmals um korrupte Regime, Statthalter der Politik der reichen Industriestaaten. So landen Medikamente, die z. B. nach El Salvador geliefert werden, nicht dort, wo sie am dringendsten benötigt werden, nämlich in den ländlichen Konfliktregionen, sondern füllen stattdessen die Schränke der Krankenhäuser der Hauptstadt San Salvador. Das korrupte Verhalten hat System: So soll die mit den Befreiungsbewegungen verbündete verarmte Landbevölkerung dazu genötigt werden, das Land zu verlassen und in die Stadt zu ziehen, auf daß die Armee eine freie Wildbahn bekommt.
Hier verweist der Bericht der Bundesregierung darauf, daß die Flüchtlingshilfe über kurzfristige Hilfsmaßnahmen hinauszugehen hat, da Flüchtlinge halt länger auf der Flucht bleiben.Die GRÜNEN verweigern der Beschlußempfehlung bezüglich der bundesdeutschen humanitären Hilfe ihre Zustimmung. Dies tun wir nicht etwa, weil wir der Auffassung wären, daß umfangreiche Reparationszahlungen an die Dritte Welt nicht angebracht wären. Doch dieser Gedanke findet sich in der Beschlußempfehlung und in der Praxis der bundesdeutschen humanitären Hilfe nicht wieder.
Ich erteile das Wort dem Herrn Staatsminister Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, ich darf zunächst nur ganz kurz sagen: Bei allem Verständnis dafür, daß Sie Konflikte in der Welt nach einem Schwarz-Weiß-Schema und der Vorstellung zu lösen bemüht sind, daß man diese Konflikte durch guten Willen auf bequeme Weise beseitigen könne: Wenn Sie sich um diese Fragen etwas mehr bekümmern, dann werden Sie, so befürchte ich, feststellen, daß es leider nicht so einfach geht, wie Sie sich das vorstellen. Wir würden Ihren Vorstellungen gern entsprechen. Aber solange Konflikte nicht ausschließlich auf uns zurückzuführen sind — und das werden Sie ja hoffentlich nicht unterstellen —,
wollen wir die humanitäre Hilfe weiter leisten. Ich glaube, das werden Sie uns wohl doch zugestehen. Ich verstehe die Ablehnung durch die GRÜNEN mit der Argumentation, wie Sie sie gerade vorgetragen haben, nicht ganz.
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4210 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Staatsminister SchäferMeine Damen und Herren, die Bundesregierung schließt mit dem vorliegenden Bericht über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland in den Jahren 1982 bis 1985 an den vorausgegangenen Vierjahresbericht 1978 bis 1981 an. Die Bundesregierung kommt damit einem Wunsch des Bundestages nach. Sie begrüßt das Interesse und die Unterstützung, die der Bundestag hinsichtlich der Bemühungen unserer humanitären Hilfe in der Welt bisher schon geleistet hat.Der kontinuierliche und sachkundige Dialog im Unterausschuß für Humanitäre Hilfe, der seit dieser Legislaturperiode auch für Menschenrechte zuständig ist, ist für die Bundesregierung nützlich und hilfreich. Ich möchte hinzufügen, daß ich es als besonders erfreulich empfinde, daß zahlreiche Kollegen aus diesem Hause Gelegenheit nehmen, Projekte der humanitären Hilfe auch in entfernten Notgebieten aufzusuchen und kennenzulernen. Frau Kollegin Hamm-Brücher, vielleicht wäre entsprechend Ihrer Anregung Vietnam auch einmal eine Reise wert, weil dort sicher einiges im Begriff ist sich zu ändern.
Die Prinzipien unserer humanitären Hilfe sind unverändert. Sie haben sich bewährt. Im Mittelpunkt stehen die notleidenden und hilfesuchenden Menschen. Eine Regierung, die dem Schutz der Menschenwürde und den Menschenrechten verpflichtet ist, kann sich gegenüber akuten Notlagen nicht versagen. Bei ihrer Hilfe folgt die Bundesregierung daher der Überzeugung, daß Menschen in extremer Not ohne Rücksicht auf Politik und Ideologie Anspruch auf Solidarität haben. Gleichzeitig ist spontane Hilfe in akuten Notlagen auch Pflege unserer freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Ländern und Völkern, und sie wird als solche anerkannt.Der Ihnen vorliegende Bericht ist im Unterausschuß für Humanitäre Hilfe wie auch zur Mitberatung im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, im Innen- und im Haushaltsausschuß intensiv behandelt worden. Die Beschußempfehlung liegt Ihnen vor. Die Bundesregierung wird die Anregungen aufgreifen und bemüht sein, sie umzusetzen.Die humanitäre Hilfe ist Soforthilfe und daher ein Instrument, das unbürokratisch, flexibel und rasch eingesetzt werden kann. Darin unterscheidet sie sich von der Entwicklungshilfe, die strukturell angelegt ist und häufig auch humanitären Charakter hat, aber naturgemäß nicht mit der gleichen Geschmeidigkeit kurzfristig eingesetzt werden kann. Die Unentbehrlichkeit des Instrumentariums der humanitären Hilfe ist dem Bericht leicht abzulesen. Opfer von Naturkatastrophen und bewaffneten Konflikten, Hungernde und Flüchtlinge können nicht warten. Hier gilt: Wer rasch gibt, gibt doppelt.Die Situation in Südostasien, in Zentralamerika, im Afrika südlich der Sahara oder im Nahen und Mittleren Osten macht klar: Die Dringlichkeit der humanitären Hilfe von damals besteht weiter. Dies gilt auch für das eindrucksvolle Engagement der privaten deutschen Hilfsorganisationen und ihrer Spender.Die Bundesregierung leistet im Verein mit anderen wichtigen Geberländern auch durch ihr humanitäres Engagement einen Beitrag zum Abbau von Spannungen und zur Friedenssicherung. Die Überlebenshilfe aus der Bundesrepublik für die Menschen in den zahlreichen Konfliktzonen vor allem der Dritten Welt will zur Minderung und Verhinderung von zwischenstaatlicher und innerstaatlicher Konfrontation beitragen. Angesichts wachsender Not und fortbestehenden bedrohlichen Konfliktpotentials in der ganzen Welt sollten die relativ bescheidenen Mittel der humanitären Hilfe eher verstärkt als gekürzt werden.Wir können in diesem Zusammenhang fast täglich feststellen: Die humanitäre Hilfe steht im Rampenlicht einer kritischen und engagierten Öffentlichkeit. Die Bundesregierung muß bereit sein, Vorschläge und Wünsche, die vielfältig an sie herangetragen werden, anzunehmen und bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.Wir alle wissen, wie stark uns heute die Medienberichterstattung — Frau Luuk hat davon gesprochen — über akute Notlagen beeinflußt. Bilder und Berichte von Hungernden und Notleidenden hinterlassen nachhaltige Wirkung. Der Bürger empfindet, daß aktive Hilfe gefordert ist. Die Bundesregierung muß sich den an sie herangetragenen erheblichen Forderungen stellen. Dabei darf sie sich aber nicht dazu verleiten lassen, sich auf öffentlichkeitswirksame Notlagen zu konzentrieren. Wir müssen vor allem an die vielen Flüchtlinge denken, an die Menschen in Lagern und Elendsquartieren.Die Bundesregierung kann die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses uneingeschränkt befürworten. Sie stimmt im wesentlichen überein mit derjenigen des Jahres 1984 zum damals vorliegenden Bericht. Die Bundesregierung wird ihre humanitäre Hilfe dementsprechend in bewährter Weise fortsetzen
und dabei die Vorschläge und Anregungen des Bundestages aufgreifen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache und komme zur Abstimmung. Wer für die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung und zwei Gegenstimmen aus der Fraktion der GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Beer, Dr. Mechtersheimer und der Fraktion DIE GRÜNENGenfer Konferenz über das Verbot biologischer Waffen— Drucksachen 11/819, 11/1445 —
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4211
Vizepräsident StücklenHierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/1876 und 11/1887 vor.Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt eine Redezeit von je zehn Minuten für jede Fraktion vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Beer.
Herr Präsident! Liebe Freunde und Freundinnen! Sehr geehrte Damen und Herren!
— Das Thema ist eigentlich viel zu ernst dafür, jetzt schon dazwischenzurufen!Die Genfer Konvention über das Verbot biologischer Waffen von 1972 war das erste echte Abrüstungsabkommen, das jemals existiert hat. Eine ganze Waffenkategorie wurde verboten. Die vorhandenen Bestände an biologischen Waffen — und diese waren ganz erheblich — wurden vernichtet.Zwei politische Aufgaben stellen sich in diesem Jahr — ganz neu ist das nicht — im Zusammenhang mit diesem wichtigen Vertrag, erstens die Aufgabe, den offensichtlichen Mängeln im Bereich der darin vorgesehenen Verifikationsverfahren abzuhelfen. Diese Mängel haben es ermöglicht, daß die Öffentlichkeit über Jahre durch Berichte über angebliche russische B-Waffen verunsichert wurde. Da gab es den angeblichen B-Waffen-Unfall in Swerdlowsk 1979, da gab es den gelben Regen, angeblich einen Einsatz von Pilzgiften in Laos und Kampuchea seit 1978. Seit 1984 behaupten die USA offiziell, daß die Sowjetunion die Konvention verletzt, und benutzt das als propagandistischen Vorwand dafür, ein umfangreiches B-Waffen-Forschungsprogramm aufzubauen. Die Ausgaben dafür wurden von 1981 bis 1986 versechsfacht.Eine Verbesserung der Verifikationsregelungen ist eine wichtige Aufgabe. Das war im Westen und auch hier im Bundestag einmal Konsens, und zwar genau so lange, wie sich der Warschauer Pakt gegen jedes Verifikationsabkommen sperrte. Damals konnte man die fehlende Verifikation propagandistisch gegen den Osten ins Feld führen. Darum war es für die CDU im Jahre 1981 auch leicht, den Antrag einzubringen, der der Bundesregierung heute solchen Kummer macht: den Auftrag, sich bei der nächsten Gelegenheit für ein Verifikationsabkommen zur B-Waffen-Konvention stark zu machen.Die nächste Gelegenheit war die zweite Überprüfungskonferenz zur B-Waffen-Konvention, die im September 1986 in Genf stattfand. Der damalige Antrag wurde im Bundestag einstimmig von sämtlichen Fraktionen angenommen; das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen. Bekanntlich aber hat die Bundesregierung auf der zweiten Überprüfungskonferenz genau das Gegenteil von dem getan, was hier einstimmig gefordert wurde: Sie hat der Konferenz explizitdas Mandat abgesprochen, über eine Verifikationsregelung zu beraten.
Sie hat auch den Vorschlag, den dann ausgerechnet die Sowjetunion einbrachte, man solle doch mit den Arbeiten wenigstens beginnen, dazu im Frühjahr 1987 ein erstes Arbeitstreffen abhalten und die Dinge dadurch in Gang bringen, in keiner Weise unterstützt, sondern im Gegenteil gemeinsam mit den anderen NATO-Ländern abgeblockt.
Jetzt, wo der Osten sie will, hat man plötzlich an der Verifikation kein Interesse mehr, und aus den Vereinigten Staaten ist zu hören, man brauche eigentlich auch keine Verifikationsregelung im Bereich der B-Waffen-Forschung u. ä., weil der Vertrag sowieso nicht verifizierbar wäre.Die Bundesregierung hat versagt. Sie hat eine wichtige Chance vertan. Schlimm wäre es, wenn sich dasselbe bei den laufenden C-Waffen-Verhandlungen wiederholen könnte oder würde, wenn nämlich in dem Moment, wo der Osten scharfen Verifikationsverfahren zustimmt, der Westen das Interesse verlöre und das Abkommen scheitern ließe.
Vieles deutet im Moment genau darauf hin.
Bezüglich der B-Waffen-Konvention müssen wir jetzt dafür streiten, daß sich dasselbe Trauerspiel auf der dritten Überprüfungskonferenz, die im Jahre 1991 stattfindet, nicht wiederholt. Die Bundesregierung muß ihre Haltung ändern.Die zweite große Aufgabe besteht darin, dem wiedererwachten Interesse mancher Militärs an den biologischen Waffen zu widerstehen. Die Entwicklung der Gentechnologie macht es möglich, mit relativ geringem Aufwand große Mengen von Toxinen, also natürlich erzeugten Giftstoffen, zu gewinnen. Sie macht es zumindest grundsätzlich möglich, auch neue Krankheitserreger zurechtzuschneidern, deren Verhalten eine militärische Nutzung erleichtert und gegen die die andere Seite, die politisch gegnerische Seite, keine Abwehrmittel hat, weil es eben neue Erreger sind, die bisher in der Natur nicht vorkamen.Gegen dieses Interesse der Militärs hilft nur Öffentlichkeit. Es darf keine Geheimhaltung beim sogenannten B-Waffen-Schutz geben, am allerwenigsten bei gentechnologischen Vorhaben.
Es gibt keinen Grund, gentechnologische Vorhaben überhaupt aus Mitteln des Verteidigungsministeriums zu finanzieren. Diese Projekte werden aber derart finanziert, was bisher verschwiegen wurde. Entgegen den Antworten der Regierung, daß sämtliche Schutzforschung nicht geheim wäre, ist sie dies. Alle Angaben, die wir bekommen haben, laufen unter Geheim und dürfen von uns nicht veröffentlicht werden. Solche Projekte müssen also, wenn sie überhaupt vertretbar sind, in den zivilen Bereich und in der Öffentlichkeit bekannt und auch diskutierbar sein.
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4212 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Frau BeerUnbedingt Schluß sein muß mit der aberwitzigen Geheimniskrämerei, die darin gipfelt, daß die Bundesregierung sogar die anderen Vertragsparteien der Konvention belügt. Das ist hier keine Unterstellung, sondern wir können das schriftlich nachweisen; ich möchte darauf ausdrücklich hinweisen. Es sind gegenüber den Vertragspartnern falsche Angaben gemacht worden. Es sind entgegen der schriftlichen Vereinbarung, die festlegt, welche Angaben gemacht werden müssen für den Fall, daß solche Forschungen stattfinden, eben diese Angaben verschwiegen worden.
Nicht-angeben ist ein Verschweigen, das in diesem Rahmen auch scharf kritisiert, zurückgewiesen und öffentlich gemacht werden muß. Die Bundesregierung behauptet gegenüber den anderen Vertragsparteien, am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenkrankheiten in Hamburg, das eines der beiden Labors mit höchster Sicherheitsstufe hat, nämlich der L-3-Stuf e, würde keine Militärforschung betrieben. Wir können auch hier nachweisen, daß mindestens ein Projekt des Verteidigungsministeriums gegenwärtig dort läuft. Die Bundesregierung hat die anderen Vertragsparteien der Konvention belogen — traurig, aber wahr.
— Ja, schon wieder.
— Nein, wir haben es Gott sei Dank nicht nötig, in diesem Bereich zu lügen, Herr Kollege.
Noch etwas: Ich erwähnte die Versechsfachung der Ausgaben für den B-Waffen-Schutz in den USA. Sehr viel anders ist es auch bei uns leider nicht. Von 1978 bis 1988 haben sich die Haushaltsansätze in diesem Bereich immerhin vervierfacht.Meine Damen und Herren, wo es keine B-Waffen mehr gibt, wo es vertraglich keine B-Waffen mehr geben darf, brauchen wir auch keinen Schutz und auch keine Schutzforschung dagegen.Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen ganzen Tätigkeitsbereich der Bundeswehr stillzulegen und dann damit dazu beizutragen, daß B-Waffen endlich zu Recht aufhören, ein Thema zu sein. Solange Sie dieser Forderung nicht nachkommen, werden wir nicht lockerlassen und uns weiteren Verschwiegenheiten und Geheimforschungsvorhaben widersetzen.Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich sagen: Jeder Bereich, der diese Forschungen spezialisiert und weiter ermöglicht, gibt die Möglichkeit und erhöht die Gefahr, daß diese perversen Waffen irgendwann eingesetzt werden; nur dadurch wird es möglich.Kommen Sie unserem Anliegen nach! Ich danke Ihnen.
Frau Kollegin, ich habe gehört, daß Sie der Bundesregierung unterstellt haben, sie lüge. Es ist kein parlamentarischer Stil, in dieser Weise zu argumentieren.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Lummer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So bedauerlich leere Säle hier sind, so tragen sie doch gelegentlich wohltuend zur Versachlichung einer Debatte bei. Ich darf sagen, daß bis auf diese Entgleisungen mit den nicht nachweisbaren Lügen von uns doch Verständnis für die Ernsthaftigkeit der Diskussion aufgebracht wird, weil es sich um wirklich perverse Waffen handelt, Waffen, die möglicherweise nicht einmal im wesentlichen die Soldaten treffen würden, sondern die Zivilbevölkerung. Insofern leugnen wir nicht die Wichtigkeit eines solchen Themas, wiewohl auf der anderen Seite hinzuzufügen wäre: Neues ist heute nicht gesagt worden; alles das haben Sie in Pressekonferenzen oder hier auf dem Podium schon gesagt.
Insofern kann ich auch keine neuen Argumente hinzufügen.
Aber ich will sagen, daß wir die beiden Anträge, die von den Oppositionsfraktionen vorliegen, doch bereit sind ernsthaft zu diskutieren, d. h. wir bitten um Überweisung in den Ausschuß, damit dies geschehen kann.Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat im Hinblick gerade auf die Ächtung dieser biologischen Waffen eine Tradition, denn bereits 1954, also lange Zeit vor dem Vertrag, haben wir von uns aus darauf verzichtet, solche Waffen zu produzieren. 1983 trat die Bundesrepublik Deutschland dem Vertragswerk bei und verpflichtete sich damit, auf die Entwicklung, Herstellung und Lagerung solcher Waffen zu verzichten. Seither hat sich die Bundesrepublik Deutschland, und zwar ganz gleich, wer hier regiert hat, sehr engagiert und auch mit großem Erfolg für die Einhaltung und Stärkung des Abkommens eingesetzt. Dies bezieht sich einmal auf eine umfassende Verifikationsregelung und zum zweiten auf einen verstärkten Informationsaustausch.Nun wird der Einwand erhoben, die Bundesregierung habe mit einem Parlamentsbeschluß zu tun, der ihr Kummer bereite, und die nächste Gelegenheit wäre ja die letzte Konferenz gewesen. Kollege Feldmann hat den zutreffenden Zwischenruf gemacht: Es gab dort kein Mandat für die Verwirklichung von Verifikationsmaßnahmen. — Aber die bundesdeutschen Vorstellungen und Vorschläge haben weitgehend Eingang in das Schlußdokument der Überprüfungskonferenz vom September 1986 gefunden. Ich darf darauf verweisen, daß im einzelnen z. B. beschlossen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4213
Lummerwurden: besondere Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz, zur Stärkung natürlich der Vertragstreue, wie z. B. Informationsaustausch über Forschungseinrichtungen, Laboratorien mit besonders hohen Sicherheitsstandards, Unterrichtung bei Ausbruch ungewöhnlicher Epidemien, Verbesserung des Austauschs relevanter Forschungsergebnisse und Verstärkung des Wissenschaftleraustauschs.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Beer?
Na ja, weil sie so schön gewartet hat. Bitte schön.
Bitte schön, Frau Beer. Frau Beer : Das ist nett.
Sie erwähnten eben, bezugnehmend auf die 2. Überprüfungskonferenz, daß sie durchaus Erfolge erzielt hätte. Ich würde doch gerne einmal von Ihnen die Antwort auf eine Frage wissen. Sie kennen den einstimmigen Bundestagsbeschluß, daß man für Verifikationsmaßnahmen eintreten wird. Fakt ist, daß auf der 2. Überprüfungskonferenz definitiv keine Verifikationsmaßnahmen in diesem Sinne beschlossen wurden. Wir haben die Bundesregierung in einer Anfrage gefragt, wie sie dies bewertet. Sie hat geantwortet, sie bewerte das Ergebnis der 2. Überprüfungskonferenz als gut, sie sei damit zufrieden. Dies widerspricht dem Auftrag, den die Bundesregierung dort zu vertreten hat.
Jetzt müssen Sie aber ein Fragezeichen machen, Frau Kollegin Beer.
Ich möchte dazu eine Stellungnahme von dem Kollegen haben.
Sehr verehrte Frau Kollegin, weil ich diese Frage vermutet habe, habe ich gewissermaßen das Ergebnis mit der Bemerkung vorweggenommen, daß der Kollege Feldmann bei dieser Passage Ihrer Rede den Zwischenruf gemacht hat, daß die Bundesregierung davon ausgeht, die damalige Konferenz hat kein Mandat dafür gehabt. Aber die Bundesregierung bemüht sich doch gleichwohl darum, diese Verifikation zu erreichen, aber sie ist mit der letzten Konferenz dennoch zufrieden, weil sie einige andere Dinge erreicht hat, und die war ich gerade dabei aufzuzählen.Das erste hatte ich schon gesagt. Zweitens. Expertentreffen über die Implementierung dieser Maßnahme, drittens eine Intensivierung der Förderung und verstärkter Austausch im Bereich ziviler biologischer Forschung, viertens Beauftragung der nächsten, bis 1991 durchzuführenden Überprüfungskonferenz, sich spezifisch mit den Fragen einer Verifikation des B-Waffen-Übereinkommens zu befassen.Meine Damen und Herren, das halte ich mit der Bundesregierung für einen Erfolg, wenn auch nicht für den, den wir uns alle wünschen; gleichwohl ist es ein Erfolg. Dafür sollten wir auch dankbar sein.Auf den Expertentreffen der zweiten Überprüfungskonferenz im Frühjahr des vergangenen Jahres wurden schließlich dem Mandat der Konferenz entsprechend die Modalitäten für einen Informationsaustausch vereinbart. Die Bundesrepublik ist ihren damit eingegangenen Informations- und Meldepflichten in vollem Umfang nachgekommen. Sie bestreiten das. Ich sage: Sie hat es getan. Man kann es im einzelnen auch darlegen.
Darüber hinaus — auch das ist ein nennenswertes Beispiel, finde ich — kündigte die Bundesrepublik als einzige der 15 meldenden Nationen die Durchführung eines Symposiums auf dem Gebiet des B-Schutzes, und zwar in der wehrwissenschaftlichen Dienststelle in Munster, für das Frühjahr 1988 an, das Teilnehmern aus allen Vertragsstaaten offensteht. Sie können vor Ort diskutieren.Eine nächste Meldung soll bis zum 15. April dieses Jahres in erweiterter Form erfolgen.Das alles, denke ich, sind Maßnahmen, die die Vertrauensbildung zwischen den Vertragspartnern fördern und verstärken. Darauf kommt es an, solange die weitergehende Aufgabe der Verifikation nicht gelöst ist. Das ist aber das, was jetzt als gemeinsame Aufgabe vor uns liegt. Das müssen wir in den Griff bekommen.
Ich meine nicht, daß es richtig ist zu sagen: Die Bundesregierung muß ihre Haltung ändern, Frau Kollegin.
Aber nichtsdestoweniger wollen wir gemeinsam die Bundesregierung auf Trab halten. Das finde ich ganz vernünftig.
Denn in die richtige Richtung geht es schon voran.Auf der nächsten Überprüfungskonferenz werden also Verifikationsmaßnahmen behandelt werden. Hierbei könnte — zumindest teilweise — auf die Vorstellungen zurückgegriffen werden, wie sie bei den Genfer Verhandlungen über ein Verbot chemischer Waffen erörtert werden. Darüber hinaus muß allerdings ein Kontrollinstrumentarium entwickelt werden, das der Tatsache der Gefährlichkeit bereits kleinster Quantitäten der Krankheitserreger und Toxine Rechnung trägt.Im übrigen gilt auch im Bereich der B-Waffen, daß umfangreiche Vor-Ort-Inspektionen Voraussetzung für eine funktionierende Verifikation sind. Die Bundesregierung ist bereit, im Rahmen einer ergänzenden Vereinbarung zum B-Waffen-Übereinkommen solche Inspektionen zuzulassen. Das finden wir gut. Grundsätzlich sind jegliche Maßnahmen, die zu größerer Transparenz und Offenheit in diesem Bereich führen und damit vertrauensbildend wirken, zu unterstützen.Meine Damen und Herren, ich will in aller Deutlichkeit feststellen, weil immer Zweifel aufkommen, auch
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4214 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Lummerbezogen auf die Bündnispartner: Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine Forschung, Entwicklung und Erprobung von biologischen Waffen, und es wird sie auch nicht geben. Es gibt allerdings — vertragskonform — eine ausdrücklich zugelassene Forschung zur Erkennung von Krankheitserregern, zum Schutz der Soldaten und zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Krankheiten.
— Ich weiß, wie schwierig die Definitionsprobleme sind, Herr Kollege. Hier gibt es gar keinen Zweifel. Aber eine derartige Forschung ist erforderlich, solange es keine lückenlose und wasserdichte Verifikation gibt. Sie stellen das auf den Kopf. Sie sagen, die Bundesregierung soll gar nicht mehr forschen, so nach dem Motto: Der Vertrag verbietet das, also kann es nicht sein, nach Morgenstern „Da nicht sein kann, was nicht sein darf". Ich aber sage: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ich sage: Erst dann, wenn es zu einer soliden Verifikation kommt, ist auch der Zeitpunkt gekommen, über die Notwendigkeit der Forschung überhaupt zu entscheiden, darüber, ob man darauf verzichten kann. Ich meine, das ist dann eine ernsthafte Fragestellung, aber nicht bevor die Verifikationsfrage angemessen gelöst worden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt?
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben eben zu Recht die Schwierigkeit der Definition genannt, und Sie haben sich vorhin darauf bezogen, daß Sie kennen, was wir dazu verlautbart haben. Ist Ihnen aufgefallen, daß wir immer nur von potentieller B-Waffen-Forschung gesprochen haben, und würden Sie mir unter diesem Aspekt zugeben, daß es genau das Problem der Schutzforschung ist, daß dabei neue Varietäten erforscht werden, die jederzeit — jederzeit — aus dem Kühlschrank heraus in B-Waffen umgesetzt werden können? Auf dieses Messers Schneide wandeln wir.
Ich weiß natürlich, Herr Kollege, wie Sie, wo das Problem liegt, daß man das, was man bekämpfen will, genau kennen muß und dabei möglicherweise auch Ergebnisse anfallen, die man, wenn man böse genug ist, auch in anderer Weise zu verwenden vermag.
Deshalb bleibe ich dabei: Wir müssen zur Verifikation kommen, damit möglicherweise auch auf diese Art von Forschung wird verzichtet werden können. Aber der Zeitpunkt ist nach meinem Dafürhalten noch nicht gekommen. Insofern wäre es, finde ich, verantwortungslos, wenn wir jetzt bereits diesen Schritt gingen. Aber wir werden im Ausschuß, wie gesagt, über die Anträge diskutieren.
Meine Damen und Herren, was wir in diesem Bereich brauchen, ist keine Debatte um Projekte, die nach dem Vertrag erlaubt sind, sondern was wir brauchen und wofür sich diese Bundesregierung und die Koalition seit langem einsetzen, sind eine lückenlose
Verifikation, größtmögliche Transparenz und uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft aller beteiligten Vertragspartner. Wir sind dazu bereit, diesen Weg zu gehen. Und ich denke, wir sollten in gemeinsam gehen.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Fuchs .
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Schon 1981 hat der Deutsche Bundestag auf Antrag der CDU/CSU, wie wir hörten, von der Bundesregierung verlangt, für eine wirksame Verifizierung des B-Waffen-Verbotes zu sorgen. Wir müssen nach der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage und nach dem Vergleich dieser Antwort mit dem Schlußdokument der 2. Überprüfungskonferenz und dem Statement von Botschafter Stülpnagel während der Konferenz feststellen, daß die Bundesregierung dabei nicht nur keinen Erfolg hatte, sondern selbst an der Verhinderung von Verifikationsregeln mitgewirkt hat.Das macht uns sehr betroffen, nicht nur weil dieses eine Mißachtung des Parlamentes ist, sondern weil die Problematik der B-Waffen und der Kontrolle ihres Verbotes heute noch größer ist als 1981.Nach wie vor ist das Fehlen jeder Verifikationsregelung das Hauptproblem der B-Waffen-Konvention. Schon in der Debatte am 18. Juni 1980 hatte der Abgeordnete Mertes in diesem Zusammenhang betont:Im Bereich der Abrüstung gilt wirklich einmal Lenins Wort: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ich möchte hinzufügen: Kontrolle schafft Vertrauen.Und in der Tat: Solange es keine Kontrolle gibt, können Vorwürfe auf Vertragsverletzung nicht überprüft werden, sondern bleiben unüberprüfbar im Raume stehen. Und genau das ist in den vergangenen Jahren geschehen.Die USA beschuldigten die Sowjetunion 1979 bei dem Ausbruch von Milzbrand in Swerdlowsk und dem sogenannten „gelben Regen" in Südostasien, die B-Waffen-Konvention gebrochen zu haben. Bewiesen werden konnten diese Vorwürfe nie. In der amerikanischen Scientific Community gelten sie als unbelegt, unwahrscheinlich oder definitiv widerlegt. Aber sie haben ein Klima des Mißtrauens geschaffen und, fürchte ich, eine geeignete Kulisse für ein erhebliches Anwachsen der amerikanischen B-Waffen-Forschung. Hier helfen nur umfassende Verifizierungsregelungen und ein Ausbau vertrauensbildender und kooperativer Maßnahmen.In punkto Vertrauensbildung und Konsultationsmechanismen waren die Ergebnisse der 2. Überprüfungskonferenz 1986 ein Fortschritt. Was dort wiederum nicht gelöst wurde, ist das Hauptproblem der Verifikation.Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß bis zu dieser Konferenz Verifikationsregelungen immer an der Sowjetunion und anderen Warschauer-Vertragsländern scheiterten. Auf dieser Konferenz nun verkehrten sich die Fronten. Auf einmal war es die So-
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Frau Fuchs
wjetunion, die mit Schweden, Pakistan und anderen Verifikation forderte, und es war der Westen, der ablehnte, darüber zu sprechen. Begründung: Dafür habe die Konferenz kein Mandat.Dieser Vorgang ist um so bemerkenswerter, als er zur Zeit eine Parallele bei den C-Waffen-Verhandlungen findet. Hier wie dort kann der Eindruck aufkommen, daß der Westen nur so lange an einer Verifizierung interessiert ist, wie er davon ausgehen kann, daß der Osten sie ablehnen werde. Dieser Eindruck wäre verheerend. Und hier ist die Bundesregierung gefordert, Klarheit zu schaffen.Wie konnte sich der deutsche Botschafter im Namen der Bundesregierung der westlichen Erklärung anschließen, es habe kein Verifizierungsmandat gegeben, wenn erstens die Abschlußerklärung der 1. Überprüfungskonferenz sagt, daß die Frage der Verifizierung zu gegebener Zeit weiter verhandelt werden sollte, zweitens der Deutsche Bundestag 1981 ausdrücklich forderte, daß dies spätestens gelegentlich der 2. Revisionskonferenz zu geschehen habe, und drittens infolgedessen alle Parteien davon ausgingen, daß sich die Bundesregierung, dem Beschluß folgend, für ein Mandat zur Verifizierung eingesetzt hatte und dieses gegeben war? Hier gibt es Klärungsbedarf. Ich hoffe, daß die Bundesregierung dem nachkommen wird.
Das ist vor allem deswegen notwendig, weil wir sonst 1991 womöglich vor einer ähnlichen Situation stehen werden, denn jetzt sagt die Bundesregierung: Das Schlußdokument der 2. Überprüfungskonferenz beauftragt die dritte, Verifizierungsmaßnahmen zu behandeln. Bei genauer Durchsicht des Dokuments lese ich, die 3. Überprüfungskonferenz solle prüfen, ob weitere verbindliche Verbesserungen — sprich: Verifikationsregeln — notwendig sind. Es steht dort also nicht, daß die dritte Konferenz beauftragt ist, Verifikationsregeln zu erarbeiten,
sondern dort steht, es sei nur zu prüfen, ob sie notwendig sind.Meine lieben Kollegen und Kolleginnen, um uns nach der 3. Überprüfungskonferenz eine Debatte wie die heutige zu ersparen, fordern wir die Bundesregierung in unserem Antrag auf, sich auf jeder Ebene dafür einzusetzen, daß die 3. Überprüfungskonferenz ein klares Mandat für die Ausarbeitung von Verifizierungsregelungen und deren Einführung in die Konvention bekommt.
Wir meinen — da stimmen wir Herrn Lummer zu; Sie sagten das soeben, glaube ich, auch — , daß das Verifikationsregime einer kommenden C-Waffen-Konvention — die Kontrollmechanismen genauso wie die institutionellen Regelungen — für die Verifikation der B-Waffen-Konvention genutzt werden kann. Auf jeden Fall werden Verdachtsinspektionen vor Ort mit sehr kurzer Anmeldezeit notwendig sein.Ich gehe davon aus, daß wir uns hier über das Ziel von Verifikationsregelungen im Zusammenhang mit der B-Waffen-Konvention nach wie vor einig sind.Wenn das so ist, dann muß die Bundesregierung in den nächsten zwei Jahren aber wirklich handeln, um ein eindeutiges Mandat zur Verifikation für die dritte Konferenz sicherzustellen.Als das B-Waffen-Verbot beschlossen wurde, war der Einsatz biologischer Waffen wenig wahrscheinlich, weil die jeweils eigene Bevölkerung und die eigenen Truppen ebenso betroffen worden wären wie die gegnerischen. Heute dagegen wird ernsthaft über den Einsatz biologischer Waffen nachgedacht. In dem Bericht der von Präsident Reagan eingesetzten Chemical Warfare Review Commission von Juni 1985 heißt es z. B.: „Die rapiden Fortschritte in der Gentechnologie bieten die vorhersehbare Wahrscheinlichkeit, neue Kampfstoffe zu entwickeln, für die keine Impfstoffe oder Gegenmittel bekannt oder verfügbar sind. " Und es heißt weiter: „Toxine sind von besonderem Interesse, weil sie so entwickelt werden können, daß sie hunderte Male tödlicher sind als die Kampfstoffe in vorhandener Munition." — Das heißt im Klartext: Die Fortschritte der Gentechnologie gefährden die Wirksamkeit des B-Waffen-Verbots.Obwohl der Deutsche Bundestag, wie ich hoffe, einmütig am Verbot der B-Waffen festhalten will, hat die Bundesregierung dieser neuen Sachlage in keiner Weise Rechnung getragen. Nach der B-Waffen-Konvention ist, wie wir wissen, zwar die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von bakteriologischen und Toxinwaffen verboten, nicht hingegen die Forschung auf diesem Gebiet. Ausdrücklich erlaubt ist die Produktion biologischer Agenzien und von Toxinen für „Vorbeugungs-, Schutz- und sonstige friedliche Zwecke"Angesichts der heutigen Methoden der Gentechnologie wird diese sogenannte Schutzforschung in doppelter Hinsicht zum Problem. Erstens. Um Schutzforschung überhaupt betreiben zu können, müssen über die natürlich vorhandenen Erreger und Gifte hinaus bisher nicht vorhandene Erreger und Gifte erst völlig neu geschaffen werden. Zweitens ist, wie der amerikanische Autor Jonathan Tucker schreibt, „die Fähigkeit, die eigenen Truppen und die eigene Bevölkerung durch Impfung zu schützen, die Voraussetzung für den offensiven Gebrauch dieser Waffen". Das heißt: Schutzforschung und Forschung zu offensiven Zwecken sind nicht mehr zu trennen. Wer Schutzforschung betreibt, muß Substanzen produzieren, die auch offensiv nutzbar sind, und genau dies ist der Nährboden für gegenseitiges Mißtrauen und für einen neuen Rüstungswettlauf auf diesem Gebiet.Solange die Wissenschaft die aktuelle Möglichkeit zur Entwicklung biologischer Kampfmittel mit Hilfe der Gentechnik noch nicht hat, aber diese auf die Dauer nicht ausschließen kann, hat die Politik eine Chance, rechtzeitig in diesen Prozeß einzugreifen und die verhängnisvolle Entwicklung dieser verheerenden Waffen zu verhindern. Statt dessen spielt die Bundesregierung auf Zeit — ich frage mich: Wie lange noch? — , bis man, wie so oft, der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung hinterherhinkt und mit politischen Mitteln die Geister, die gerufen wurden, nicht mehr los wird?
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4216 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Frau Fuchs
Hier muß die Frage beantwortet werden, ob die sogenannte Schutzforschung überhaupt noch legitim ist, wenn defensive und offensive Zwecke derart eng zusammenhängen.
Auch darauf geht die Bundesregierung in ihrer Antwort nicht ein. Warum nicht? Weil es in der Bundesrepublik entsprechende Forschung gibt? Es muß doch völlig klar sein — und klargemacht werden — , daß gentechnische Forschungen aus Mitteln des Verteidigungshaushaltes oder gar in Einrichtungen der Bundeswehr nicht in Frage kommen dürfen.
Die Bundesregierung muß auch endlich dem Vorschlag der Enquete-Kommission Gentechnologie folgen — ich fordere dazu noch einmal ausdrücklich auf — , sofort alle Forschungen der Bundeswehr in diesem Bereich offenzulegen.
Langfristig werden nur eine weitreichende Internationalisierung dieses hochsensiblen Forschungsbereiches und die Verpflichtung zur lückenlosen Offenlegung aller Forschungen den Mißbrauch der Biologie für kriegerische Zwecke verhindern können.Die 2. Überprüfungskonferenz hat also einige Fortschritte gebracht. Insgesamt aber macht die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage klar, daß sie vor den neuen Entwicklungen die Augen verschließt, sie verdrängt und eindeutig mitverantwortlich dafür ist, daß diesen erschreckenden Entwicklungen nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Fuchs, bei der Kompliziertheit dieses Themas wird Ihnen niemand garantieren können, daß wir es nicht noch einmal im Deutschen Bundestag behandeln werden. Auch ich hatte bereits einmal Gelegenheit, in diesem Haus zu biologischen Waffen zu sprechen. Damals, im Dezember 1982, haben wir nach einer ausführlichen Debatte einstimmig die Ratifizierung des Abkommens über das umfassende und weltweite Verbot der B-Waffen beschlossen.Die Ratifizierung des Abkommens war nie strittig, weil die Bundesrepublik bereits 1954 als erster Staat einseitig ihren Verzicht auf Herstellung, Besitz und Verfügung atomarer, chemischer und biologischer Waffen erklärt und die B-Waffen-Konvention bereits 1972 unmittelbar nach ihrem Zustandekommen gezeichnet hatte. Schon in der damaligen Debatte stand das von uns angestrebte Abkommen über ein weltweites und angemessen verifizierbares Verbot von C-Waffen im Vordergrund.
Heute sind wir einen Schritt weiter. Die Sowjetunion hat sich in der besonders wichtigen Überprüfungsfrage in wesentlichen Punkten auf die Position des Westens eingelassen. Daß wir bei C-Waffen trotzdem noch nicht zu einem Erfolg gekommen sind, liegt an schwierigen Details und auch an westlicher Uneinigkeit in dieser Frage. Für die FDP hat ein weltweites C-Waffen-Verbot höchste Priorität.
C- und B-Waffen haben miteinander gemein, daß sie keine Gegenstände und kein Material zerstören, sondern „nur" — ich setze das Wort „nur" in Anführungszeichen — menschliches Leben vernichten. Bundesaußenminister Genscher hat hierfür den zutreffenden Begriff Menschenvernichtungswaffen geprägt.Sicherheitspolitisch erscheinen diese beiden Waffenkategorien so unheimlich, weil sie sich so leicht heimlich herstellen lassen. Wenn schon bei C-Waffen wirklich zuverlässige Kontrollen kaum möglich sind, dann ist bei B-Waffen eine hundertprozentige Überprüfung absolut unmöglich. Das ist bedauerlich, aber es ist eine Tatsache.Das und die damalige Einschätzung, daß B-Waffen militärisch kaum einsetzbar seien, waren die Gründe, C- und B-Waffen-Verhandlungen voneinander zu trennen. Deswegen konnte auch bereits 1972 das B-Waffen-Übereinkommen zustande kommen, allerdings ohne jede echte Verifikationsbestimmung. Der Deutsche Bundestag hat aber bereits in seiner Ratifikationsdebatte 1982 den neuen Gefahren Rechnung getragen, B-Waffen könnten eines Tages militärisch eingesetzt werden. Es ist richtig, Frau Kollegin: Der Verdacht sowjetischer B-Waffen-Produktion stand damals im Raum.Der Bundestag hat die Bundesregierung damals einstimmig aufgefordert, sich im Rahmen der Überprüfungskonferenzen für eine Nachbesserung in der Verifikationsfrage einzusetzen. Es besteht kein Anlaß zum Tadel der Bundesregierung. Im Gegenteil: Die Bundesregierung ist diesem Auftrag des Parlaments in vorbildlicher Weise gefolgt. Ich sage das vor allem im Hinblick auf die Angriffe der Kollegin der GRÜNEN mit Nachdruck. Sie ist leider nicht mehr da. Kaum hat sie ihren Beitrag abgeliefert, verläßt sie den Raum.
— Jetzt kommt sie wieder herein. Ich begrüße sie ausdrücklich.Die Bundesregierung hat sich auf der zweiten Überprüfungskonferenz mit Nachdruck für Maßnahmen zur Verbesserung im Informationsaustausch eingesetzt. Sie hat beim Expertentreffen im Frühjahr 1987 über die Implementierung dieser Maßnahmen eine hervorragende Rolle gespielt.Bei der Lösung der schwerwiegenden Probleme, die im Zusammenhang mit dem B-Waffen-Abkommen immer wieder neu aufgeworfen werden, nimmt die Bundesrepublik wie bereits bei den C-Waffen-Verhandlungen eine besonders konstruktive Rolle ein. Ich wiederhole, was der Kollege Lummer bereits ge-
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Dr. Feldmannsagt hat: Sie hat für 1988 zu einem Symposion nach Munster, der ABC-Schutzstelle, eingeladen. Auch dies ist eine vertrauensbildende Maßnahme, die wir sehr begrüßen. Auch die FDP ist der Meinung, daß bei der spätestens 1991 stattfindenden dritten Überprüfungskonferenz die Verifikationsfrage ein Schwerpunktthema sein muß.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt ?
Nein.
Bei der zweiten Überprüfungskonferenz — Herr Lippelt, ich habe das vorhin bereits eingeworfen — hatte die Bundesregierung dazu kein Mandat erteilt. Wenn das angestrebte C-Waffen-Abkommen steht, können von ihm möglicherweise wichtige Hinweise für die Verifikation auch im B-Waffen-Bereich abgeleitet werden.
Natürlich kann die B-Waffen-Produktion so lange nicht ruhen. Die rasante und, wie ich Ihnen zugebe, wenig transparente Entwicklung gibt immer wieder Stoff für Befürchtungen und Verdächtigungen. Da kann ich Ihnen nicht widersprechen.
Diese Befürchtungen und Verdächtigungen schwächen — und seien sie noch so unbegründet — ein Grundelement der Friedenssicherung zwischen Ost und West, nämlich den in den letzten Jahren so stark geförderten Prozeß der Vertrauensbildung. Meine Damen und Herren, ohne Vertrauensbildung gibt es keine Sicherheit.
Deshalb muß es im Interesse aller liegen, dem jeweils anderen jeden Anlaß zum Mißtrauen zu nehmen, vielmehr Vertrauensbildung zu fördern, auch im B-Waffen-Bereich. Vertrauensbildung kann nicht besser gefördert werden als durch Transparenz. Herr Kollege Lummer, da stimme ich Ihnen voll zu.
Dazu gehört nicht nur die umfassende und lückenlose Information des Parlaments; dies ist eine Selbstverständlichkeit. Gerade weil wir nichts zu verbergen haben, kann Transparenz auch gegenüber der anderen Seite ein wichtiges Element der Vertrauensbildung sein.
Vor diesem Hintergrund, Frau Kollegin Fuchs, muß allerdings die Frage erlaubt sein, die auch Sie gestellt haben, ob nicht die erlaubte Defensiv- oder Schutzforschung ein Hindernis für das noch anzustrebende Verifikationsregime ist, denn Defensivforschung kann leicht als Offensivforschung mißverstanden werden. Allein diese Möglichkeit schürt Mißtrauen.
Defensivforschung ist außerdem spekulativ, denn sie beruht nur auf der Annahme, daß der Gegner über bestimmte Substanzen verfügt. Ob auf Grund dieser
spekulativen Annahme die richtigen Gegenmittel produziert werden, bleibt fraglich.
Ich möchte noch einen letzten Punkt erwähnen. Schon die C-Waffen-Problematik hat gezeigt, daß Schutz gegen diese besonders heimtückischen Waffen nur für einen beschränkten Personenkreis, nämlich die Soldaten, möglich ist. Das Mandat unserer Sicherheitspolitik ist aber der Schutz der gesamten Bevölkerung.
Wenn es zutrifft, daß die Defensivforschung die Verifikation erschwert und ein Nährboden für wechselseitige Befürchtungen und Verdächtigungen ist, dann muß die Frage nach dem Sinn der Defensiv- oder Schutzforschung erlaubt sein. Darüber sollten wir uns im Ausschuß noch einmal eingehend unterhalten. Es wäre schön, wenn wir darüber Einigkeit erzielen könnten.
Ich beantrage daher die Überweisung an die zuständigen Ausschüsse, nämlich an den Auswärtigen Ausschuß und den Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Haltung der Bundesregierung zum Verbot von biologischen und Toxinwaffen ist eindeutig und in diesem Hause wiederholt dargelegt worden. Daran ändern auch Verdächtigungen und Unterstellungen nichts, wie sie eben wieder zum Ausdruck gekommen sind. Ich verweise auf die Redebeiträge meines Amtsvorgängers im Dezember 1982 und Dezember 1986 sowie die Beantwortung einer ganzen Reihe Kleiner und Großer Anfragen der jüngsten Zeit zu diesem Thema.Das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen ist von der Bundesrepublik zusammen mit über 100 anderen Staaten am 10. April 1972 unterzeichnet worden. Das Abkommen ist nach der Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag am 21. Februar 1983 in der Bundesrepublik Deutschland verbindliches Recht geworden.Bereits 1954, d. h. 18 Jahre vor Unterzeichnung des B-Waffen-Verbotsabkommens, hatte die damalige Bundesregierung im Protokoll zur Veränderung und Ergänzung des Brüsseler Vertrages auf die Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen verzichtet und sich außerdem zu internationalen Kontrollen bereit erklärt. Durch das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen aus dem Jahre 1961 werden Zuwiderhandlungen mit Strafe bedroht.Vom 8. bis 26. September fand in Genf die zweite Überprüfungskonferenz zum B-Waffen-Verbotsabkommen statt. Die Bundesrepublik Deutschland war erstmalig als Teilnehmerstaat vertreten, nachdem sie an der ersten Überprüfungskonferenz im Jahre 1980 nur als Beobachter teilnehmen konnte und insoweit überhaupt keinen Einfluß auf die Gestaltung der
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Staatsminister Schäferzweiten Konferenz hatte. Die Bundesregierung hataktiv zu den im Schlußdokument der zweiten Überprüfungskonferenz getroffenen Vereinbarungen— ich bekräftige das, was Kollege Feldmann vorhin gesagt hat — , insbesondere hinsichtlich der Frage der Verifikation und der Vertrauensbildung, beigetragen.Im übrigen, Frau Kollegin Fuchs, so einfach, wie Sie es sich offensichtlich vorstellen, daß eine internationale Konferenz mit über 100 Teilnehmern sofort bereit wäre, einem Beschluß des Deutschen Bundestages zu folgen, ist es nicht. Da fehlt Ihnen vielleicht etwas Konferenzerfahrung.
— Entschuldigen Sie bitte, das haben Sie unterstellt. Sie haben gesagt: Wir beschließen das wieder, und dann müssen Sie das durchsetzen. Dazu ist Konsens notwendig. Wenn Sie einmal die Konferenzprotokolle durchsehen, werden Sie feststellen, daß es nicht an uns liegt. Das ist nicht zutreffend.
— Entschuldigen Sie bitte, ich weise noch einmal darauf hin, daß das schlicht und einfach eine Unterstellung ist. Der Konsens, jetzt schon Verifikationsmaßnahmen zu beschließen, ist überhaupt nicht herzustellen gewesen. Wenn Sie sich die Gründe dafür ansehen, stellen Sie fest, daß es nicht die Bundesrepublik ist, die dafür verantwortlich ist.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf der zweiten Überprüfungskonferenz bestand bei den Teilnehmerstaaten Einvernehmen, daß die ungenügenden Verifikationsbestimmungen ein Schwachpunkt des B-Waffen-Verbotsabkommens sind. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel.
Herr Staatsminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.— Mangels eines Verifikationsinstrumentariums war es z. B. auch nicht möglich, Vorwürfe zu klären, die Sowjetunion habe wiederholt gegen das Abkommen verstoßen. Den Bemühungen zur Schaffung von rechtlich verbindlichen vertragsergänzenden Verifikationsmaßnahmen waren allerdings von vornherein Grenzen gesetzt, da eine Änderung der Vertragsbestimmungen eben nicht unter das Mandat der zweiten Überprüfungskonferenz fiel. Es konnte aber — und jetzt muß ich das noch einmal unterstreichen, Frau Kollegin Fuchs — nicht zuletzt auf Drängen unserer Delegation erreicht werden, daß das Schlußdokument der zweiten Überprüfungskonferenz grundsätzlich die Bedeutung der Verifikationsproblematik anerkannte. Auch Kollege Bötsch weiß das, daß die dritte Überprüfungskonferenz, die spätestens 1991 stattfinden muß
— bitte schön, ich wollte mir nur noch einmal Ihre Unterstützung sichern — , in dem Schlußdokument beauftragt wird, die Aufnahme von geeigneten vertragsergänzenden Maßnahmen zu erörtern und dabei die Ergebnisse der Verhandlungen über ein LW-Abkommen, also ein Verbotsabkommen betreffend chemische Waffen, zu berücksichtigen. Wir sind in Genf dabei, entsprechende Verifizierungsmaßnahmen zu treffen. Sie haben völlig recht, wir bemühen uns sehr kräftig, daß niemand hinter das zurückgeht, was schon erreicht worden ist.Die Teilnehmerstaaten waren sich dabei bewußt, daß eine lückenlose Verifikation im B-Waffen-Bereich noch schwieriger sein wird als bei C-Waffen. Geringfügigste Mengen, theoretisch sogar ein einzelner nur im Mikroskop erkennbarer Keim, können relevant sein. Im Gegensatz zu den chemischen Substanzen sind keine Keime oder Toxine bekannt, die ausschließlich als Kampfstoffe verwendet werden können. Das heißt, sämtliche in Frage kommenden Substanzen sind bivalent, sind also sowohl kampfmäßig als auch nicht kampfmäßig einsetzbar. Insofern, Herr Kollege Lippelt, ist es sehr schwer, eine völlig ausreichende Verifikation zustande zu bringen. Auch Ihr Sachverstand ist in dieser Frage wie immer gefragt.Die Konferenz konzentrierte sich auf Maßnahmen zur Stärkung der Transparenz der Vertragstreue, die mit sofortiger Wirkung vereinbart werden konnten. Ich darf noch einmal auf den Austausch von Daten über Forschungszentren und Laboratorien mit höchstem Sicherheitsstandard und über Einrichtungen, die auf B-Waffen-Schutzforschung spezialisiert sind, hinweisen. Der Name und der Ort des Labors sowie eine Kurzbeschreibung der Aktivitäten sind zu übermitteln. Ich darf hinweisen auf den Austausch von Informationen über das Auftreten von ansteckenden Krankheiten und ähnlichen durch Toxine verursachten Erscheinungen, auf die Unterstützung der Publikation von Ergebnissen biologischer Forschung, die direkt mit der Konvention in Verbindung steht, auf die Förderung von Kontakten zwischen Wissenschaftlern, die auf dem Gebiet der konventionsrelevanten biologischen Forschung tätig sind. All das ist beschlossen worden.Die technischen Einzelheiten des jährlichen Informationsaustausches, der mit Hilfe des UN-Generalsekretärs in New York erfolgt, wurden im April 1987 auf einem Expertentreffen in Genf festgelegt. Ihm ist ein abgestimmter Fragenkatalog zugrunde gelegt, so daß sichergestellt ist, daß die einzelnen Staaten vergleichbare Angaben machen. Entsprechend dieser neu geschaffenen Verpflichtungen hat die Bundesregierung im Oktober 1987 als eines der ersten Länder ihre Informationen fristgerecht an das UN-Generalsekretariat übermittelt.Ein weiteres Ergebnis der Überprüfungskonferenz war die einhellige Bekräftigung der Vertragspflichten. Dabei stellten die von verschiedenen Seiten geäußerten Befürchtungen wegen eines möglichen Mißbrauchs neuer Biotechnologien, insbesondere der Gentechnologie, für militärische Zwecke ein besonderes Problem dar. Die Konferenz stellte dazu fest, daß das B-Waffen-Verbotsübereinkommen jede mögliche militärische Nutzung von Mikroorganismen und Toxi-
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Staatsminister Schäfernen verbietet, auf welche Art auch immer sie hergestellt sind, soweit die Aktivitäten nicht durch friedliche Zwecke gerechtfertigt sind. Dieses gilt auch für neue und neueste Technologien.Die in diesem Zusammenhang — auch heute wieder — von Ihnen häufig geäußerte ausschließlich negative Einschätzung der Gentechnologie wurde von den Teilnehmerstaaten der Überprüfungskonferenz nicht geteilt.
Mit den auf der zweiten Überprüfungskonferenz beschlossenen Maßnahmen konnten nach dem erfolgreichen Abschluß der Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen in Stockholm im Herbst 1986 in einem weiteren Bereich wichtige Schritte der Vertrauensbildung vereinbart werden. Die Bundesregierung wird sich weiterhin für mehr Transparenz und verbesserte Möglichkeiten der Überprüfung der Einhaltung des Abkommens einsetzen.Jetzt noch eine Korrektur, um die mich auch Frau Kollegin Hürland gebeten hat: Sie haben vorhin behauptet, daß die Forschungsmittel im Bereich des Verteidigungshaushalts für Wehrmedizin und, wie Sie gesagt haben, für gentechnologische Forschung vervierfacht worden seien. Das ist unzutreffend. Es handelt sich dabei um die gesamte Forschung im Bereich der Wehrmedizin. So, wie Sie das gesagt haben, kann das nicht stehenbleiben.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nunmehr zu den Entschließungsanträgen der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/1876 und 11/1887. Es ist beantragt worden, diese Entschließungsanträge zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1988
— Drucksache 11/1833 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Renten sind aus dem Gerede. Es gibt wieder Rentensicherheit
und damit das Ende des Wechselbades zwischen Angst und Hoffnung. Die Rente steigt zuverlässig; sie nimmt an der Wohlstandsentwicklung teil. Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, denn es gab auch andere Zeiten, in denen die Rentenversicherung in die Nähe der Zahlungsunfähigkeit geraten war. Wir haben die Rentenversicherung wieder in ruhiges Fahrwasser gebracht.
Wir bauen ihre Reserven wieder auf. Das Markenzeichen ist Solidität. Wir versprechen nicht mehr, als wir halten können.Am 1. Juli 1988 steigen die Renten — das ist unser Vorschlag — aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die Altersgelder für Landwirte und die Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung um rund 3 %. Die Steigerung folgt dem Anstieg der Löhne und Gehälter im Vorjahr. Deshalb wird der endgültige Anpassungssatz im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens festgelegt, wenn die Zahlen des Statistischen Bundesamtes über die Einkommensentwicklung 1987 endgültig vorliegen.Wir halten mit der Rentenerhöhung auch 1988, was wir immer wieder zugesagt haben: Keine Lohnerhöhung geht an den Rentnern vorbei; Renten und verfügbare Arbeitnehmereinkommen entwickeln sich im Gleichklang. Das Nettorentenniveau nach einem vollen Arbeitsleben von 45 Versicherungsjahren bleibt mit rund 72 % stabil. Eine nominale Rentenerhöhung allein besagt wenig. Für die Rentner ist die entscheidende Frage, ob sie sich bei einer Erhöhung der Rente mehr kaufen können. Wir haben weiterhin stabile Preise. Deshalb kommt die Rentenerhöhung auch tatsächlich bei den Rentnern an. 1988 gibt es für die Rentner zum drittenmal hintereinander einen realen Kaufkraftgewinn. Allein im vergangenen Jahr betrug er 3 %. Auch das ist nicht selbstverständlich, denn die Rentner haben früher deutliche Kaufkraftverluste hinnehmen müssen. Beispielsweise betrug 1981 die Preissteigerungsrate 6,1 % bei einer Rentenerhöhung von 4 %. Die Rentner haben also trotz der Rentenerhöhung von 4 % weniger an realer Kaufkraft gehabt. Sie waren auf der Verliererseite; jetzt sind sie wieder Gewinner. Heute bedeutet die Rentenerhöhung tatsächlich mehr Kaufkraft. Da beweist sich, Frau Unruh, daß Preisstabilität die beste Sozialpolitik ist.Der Sozialbeirat folgt in seinem Anpassungsgutachten dem Vorschlag der Bundesregierung einstimmig. Das ist ein Vertrauensbeweis für solide Rentenpolitik.
Die Solidität spiegelt sich in der Rücklage der Rentenversicherung wider. Obwohl im vergangenen Jahr der Beitragssatz zur Rentenversicherung um 0,5 Prozentpunkte abgesenkt worden ist, was die Beitrags-
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Bundesminister Dr. Blümzahler entlastet, baut sich die Schwankungsreserve der Rentenversicherung wieder auf. Das Sicherheitspolster wird sozusagen dicker. Das ist der beste Beweis für Sicherheit. Seit 1984 sind die Rücklagen von 9,8 Milliarden DM auf 21 Milliarden DM angestiegen. Das sind 1,8 Monatsausgaben.
Das ist die Trendumkehr. Wenn gefragt wird, wo die Wende ist: Hier in der Rentenversicherung gibt es auch eine Wende. Nach Jahren, in denen die Rücklage Jahr für Jahr geringer wurde, wird sie jetzt wieder höher.
Der Kollege Lummer sagt zu Recht: Die große Wende besteht aus vielen kleinen Wenden. In der Rentenversicherung heißt die Wende: wieder mehr Sicherheit, weil wieder mehr Rücklage. Da müssen Sie gar kein Rentenpolitiker sein, das leuchtet jedem mit gesundem Menschenverstand ein.
— Auch die Frau Unruh — ich beglückwünsche mich — weiß: Wenn ich mehr Geld in der Tasche habe, habe ich mehr Sicherheit. Wenn die Rentenversicherung mehr in der Rücklage hat, hat sie mehr Sicherheit.
Bis Anfang der 90er Jahre gibt es bei den Rentenfinanzen keine Probleme. Das ist allerdings kein Ruhekissen. Ich will ausdrücklich sagen, daß ich diese gute Nachricht nicht damit verbinde, daß wir nicht handeln müßten; denn die geänderte Alterspyramide beginnt sich auch in der Rentenversicherung nachteilig auszuwirken. Da zeigt sich, daß eine familienfeindliche Welt auch altenfeindlich ist: wo keine Kinder sind, gibt es auch keine Beitragszahler. Sie können das Rentenversicherungssystem organisieren, wie Sie wollen, bezahlt wird es immer aus der Arbeit derjenigen, die jetzt arbeiten. Insofern bedeutet eine Politik für die Familie auch eine Politik für die Sicherheit der Alten.Wir arbeiten mit Nachdruck an der Strukturreform der Rentenversicherung. Wir haben ja auch im Parlament schon mehrmals über die Grundsätze geredet. In dieser Legislaturperiode müssen die Weichen gestellt werden, damit die Renten auf Dauer sicher sind. Denn Rentensicherheit — das gebe ich ausdrücklich als unsere Position an — ist das A und O der Rentenversicherung. Lieber geringere Rentensteigerungen, aber Sicherheit, als hohe Rentensteigerungen jetzt, aber übermorgen Unsicherheit.
Wir verbinden sie auch mit politischen Perspektiven. Trotz der Konsolidierungsnotwendigkeiten haben wir ja bereits Rentenreformen geleistet. Es ist nicht so, daß wir jetzt erst beginnen. Erstens nenne ich die Gleichstellung von Mann und Frau im Rentenrecht. Jahrelang hat die Hinterbliebenenrentenreform auf sich warten lassen. Wir haben sie durchgeführt.Zweitens. Nicht mehr 15 Jahre, sondern schon fünf Jahre Beitragszahlung genügen für die Altersrente.
— Ja, das ist ganz wichtig. Gerade viele Frauen haben keine Altersrente erhalten — ich nenne immer meine eigene Mutter als Beispiel — , weil sie keine Beitragszahlung von 15 Jahren hatten.
Frau Unruh, das sind rund 250 DM mehr als vorher. Denn sie hatten vorher nichts bekommen. Ich kann es auch in Zahlen sagen: 130 000 alte Menschen erhalten erstmals überhaupt eine eigene Rente. 90 % davon sind Frauen.Drittens. Kindererziehung wirkt sich rentenbegründend und rentensteigernd aus. Ich bin mit dem Wort „Jahrhundertreform" sparsam; aber die Einführung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten halte ich für eine Jahrhundertreform, nachdem hundert Jahre lang die Kindererziehung in der Rentenversicherung überhaupt keine Rolle gespielt hatte. Jetzt sind Erziehungszeiten im Rentenrecht Wirklichkeit. Auch die Jahrgänge vor 1921 bekommen jetzt den Kinderzuschlag. Bis Ende Januar 1988 sind allein 918 600, also fast eine Million, Anträge aus diesem Personenkreis bei der Rentenversicherung eingegangen. Fast eine Million! Der durchschnittliche Zuschlag beträgt 70 DM pro Monat. Zusätzlich wird 813 000 nach 1921 geborenen Müttern die Erziehungszeit im Rentenrecht angerechnet. Heute erhalten also bereits 1,7 Millionen Mütter Kindererziehungszeitanrechnung bzw. Kinderzuschlag in der Rentenversicherung. Auch das ist eine Wende, weil in der Rentenversicherung bisher Kinder mit Null gerechnet worden waren. In der letzten Stufe bis 1990 werden es insgesamt 5,5 Millionen Frauen sein, bei denen Kindererziehungsleistung in der Rentenversicherung angerechnet wird.Das ist ein rentenpolitischer Durchbruch. Dabei geht es nicht nur um Geld. Es geht auch um ein Stück verwirklichter Gerechtigkeit, Gerechtigkeit gegenüber den Müttern.Daß inzwischen so viele Mütter in den Genuß von Erziehungszeiten kommen, ist allerdings nicht allein das Verdienst des Gesetzgebers. Wir mußten ja bei den vor 1921 geborenen Frauen auch unbürokratische Wege wählen. Deshalb waren wir darauf angewiesen, daß auch sehr viele Sozialämter unbürokratisch gehandelt und geholfen haben und daß sehr viele Sozialverbände und auch die Kirchen mitgewirkt haben. Es zeigt sich, daß in unserer Gesellschaft Ehrenamt keineswegs wirkungslos ist. Deshalb habe ich mich bei denjenigen zu bedanken, die unseren älteren Mitbürgern geholfen haben, diese Anträge auszufüllen und zu stellen. Ich danke auch den Beschäftigten bei den Rentenversicherungsträgern, bei der Bundespost, den Versicherungsämtern und sonstigen Behörden.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4221
Bundesminister Dr. BlümWir wollen den vorliegenden Gesetzentwurf um eine wichtige Regelung zur Verfahrensvereinfachung ergänzen. Wir folgen damit einer Anregung des Bundesrats, die auf das Land Baden-Württemberg zurückgeht. In den Fällen, in denen keine Personenstandsurkunden mehr vorhanden sind — das ist bei vielen Betroffenen so — , soll der Geburtsnachweis auch durch sonstige öffentliche Urkunden und notfalls durch Glaubhaftmachung zugelassen werden.
Das ist eine wichtige Erleichterung.
— Aber wir machen es jetzt, um es zu erleichtern. Rentenpolitik braucht Vertrauen,
braucht Gemeinsamkeit. Sie muß langfristig angelegt sein. Sie muß auf die Gefühle der Betroffenen Rücksicht nehmen. Deshalb wiederholt die Bundesregierung ihre Bitte an die Parteien, an alle Organisationen, Kraft zu investieren, damit die notwendige Rentenreform uns mit einem Höchstmaß an Übereinstimmung und mit einem Minimum an parteipolitischem Streit gelingt. Die bisherigen Verlautbarungen lassen ja auch hoffen, daß dieser Wille vorhanden ist, daß es uns gelingen könnte, Rentenreform auf breiter Basis durchzuführen.Wenn sich die Alterspyramide einer Gesellschaft entscheidend ändert, ist das Alterssicherungssystem am unmittelbarsten betroffen. Wir sind bei den Geburtenzahlen leider das Schlußlicht, und unsere Bürger werden Gott sei Dank — das ist die andere Seite; wir alle wünschen uns das ja auch selber — immer älter. Wir erwarten für die nächsten zehn Jahre einen weiteren Anstieg der Lebenserwartung um zwei Jahre. Das ist eine ganz erfreuliche Entwicklung. Nur, sie hat natürlich finanzielle Umstellungen auch in der Rentenversicherung zur Folge.In der Rentenpolitik gilt — mehr als anderswo in der Sozialpolitik — , daß man nicht beim Nullpunkt beginnen, daß man ein System nicht sozusagen auf den Kopf stellen kann, sondern daß man in der Kontinuität bleiben muß. Hektisches Umsteuern, jeden Tag eine neue Idee — das mag für Gedankenspiele und Universitätsseminare ganz gut sein, für die Rentenversicherung ist das Gift. Rentenversicherung ist das Herzstück der sozialen Sicherheit. Sie soll auch in der Zukunft garantieren, daß sich ein Arbeitnehmer nach einem erfüllten Arbeitsleben im Alter keine Sorgen zu machen braucht.
Die Rente ist der Alterslohn der Lebensleistung,
und das soll so bleiben. Deshalb widersprechen wir auch Grundrentenmodellen, die Aussteiger genauso behandeln wie diejenigen, die ihre Pflicht Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr erfüllen. In der Rentenversicherung konkretisiert sich dieses Prinzip des Gebens und Nehmens in geradezu idealer Weise. Die Rente bemißt sich nach dem Geben, danach, wasder einzelne als Beitrag geleistet hat. In dem Maße erhält er auch die Solidaritätsleistung der Rentenversicherung.Deshalb: Die Grundstruktur wird erhalten. Aber wir müssen auf den veränderten Bevölkerungsaufbau antworten. Ich empfehle uns, die Antwort so zu suchen, daß sich — es ist bei Reformen überhaupt immer ganz gut, daß man dann, wenn Schwierigkeiten zu meistern sind, nicht nur einen Teil, eine Gruppe, sondern alle mit heranzieht — alle an der Umstellung beteiligen. Die Lasten, die sich aus der demographischen Entwicklung ergeben, etwa dadurch, daß wir weniger Kinder haben, können also nicht nur die Rentner tragen — das würde eine Absenkung des Rentenniveaus bedeuten — , können nicht nur die Beitragszahler tragen — das würde eine Steigerung der Beiträge ins Unendliche bedeuten — , sondern hier müssen sich alle beteiligen, auch der Bund. Ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, das jetzige Rentensystem, das leistungs- und lohnbezogene Rentensystem ohne Erhöhung des Bundeszuschusses zu erhalten. Wer ja zur leistungsbezogenen Rente sagt, muß auch ja zur Erhöhung des Bundeszuschusses sagen. Das hat nichts mit Rechthaberei, sondern mit den Gesetzen der Mathematik zu tun.Zukünftig wird es nicht mehr möglich sein — auch das gehört zur Ehrlichkeit und zur Wahrheit — , daß die Renten schneller als die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer steigen. Das war in der Vergangenheit, als die Rentner aufzuholen hatten, zwar berechtigt. Jetzt aber können sich die Rentenanpassungen, die Rentenerhöhungen nur an dem messen, was auch für den Arbeitnehmer von der Lohnerhöhung übrigbleibt, nachdem er Beitrag, nachdem er Steuern gezahlt hat.Auch die Tendenz, immer früher in Rente zu gehen, kann so nicht beibehalten werden. Das ist zwar keine akute Frage — bei hoher Arbeitslosigkeit wäre das ja auch eine kontraproduktive Entscheidung —,
aber ich finde, es gehört zur Ehrlichkeit einer Politik, daß man sagt, wo es langgeht. Dann kann es nicht wie bisher mit der Absenkung des Rentenzugangsalters weitergehen, es sei denn, man würde den Zusammenbruch des Rentensystems in Kauf nehmen. Wir wollen keine Revolution in der Alterssicherung, sondern ein behutsames Umsteuern. Dafür brauchen wir die Bereitschaft aller Beteiligten, sich auf einen solchen Rentenkonsens zuzubewegen. Ich lade dazu ein.Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, daß ich die Bereitschaft zu dieser rentenpolitischen Einigung auch bereits aus dem Kreise der Opposition erfahren konnte. Ich bedanke micht ausdrücklich dafür. Insofern bin ich hoffnungsvoll, daß uns auch diese Reform gelingen wird.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dreßler.
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4222 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Rentenanpassungsgesetz 1988 — wie übrigens jedes Anpassungsgesetz für sich genommen — ist gewiß eine erfreuliche Sache. Die Erhöhung von 3 %, die sich nach den letzten statistischen Daten abzeichnet, ist den Rentnern sicher aus vollem Herzen zu gönnen.
Allerdings ist 1988 dann wohl auch mit Sicherheit das letzte Jahr, in dem die Bundesregierung den schönen Schein von der heilen Rentenwelt noch notdürftig aufrechterhalten kann.
Die Renten sind aus dem Gerede, sagt der amtierende Arbeitsminister. Ich füge hinzu: Insoweit war die Plakataktion im Sommer 1986 erfolgreich.
Nur, Herr Blüm, Plakatekleben ersetzt keine Politik.
Schon im nächsten Jahr wird der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner drastisch erhöht werden — hier kein Wort darüber.In dem öffentlich verbreiteten Gesetzentwurf des Arbeitsministeriums zur sogenannten Strukturreform der Krankenversicherung steht schwarz auf weiß, daß die Rentner nicht mehr 11,8 % Krankenversicherungsbeitrag zahlen sollen, sondern den tatsächlichen Durchschnittbeitrag aller Krankenkassen. Das sind dann voraussichtlich 12,9 oder gar 13 %. Eine gleichzeitige Erhöhung des Krankenversicherungszuschusses, der zusätzlich zur Rente gezahlt wird, ist in dem Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Ergebnis: Das Prinzip der hälftigen Teilung des Krankenversicherungsbeitrages zwischen Rentnern und Rentenversicherung wird zu Lasten der Rentner preisgegeben.
Der Eigenbeitrag der Rentner zur Krankenversicherung steigt mit einem Schlag von 5,9 % auf 7 % oder sogar noch darüber.
Rund 1,8 Milliarden DM zahlen die Rentner zusätzlich an die Krankenversicherung.Die bevorstehende massive Belastung der Rentner ist bisher nahezu unbemerkt geblieben. Es drängt sich der Verdacht auf, daß es sich um eine Nacht-und-Nebel-Aktion
und um einen beispiellos hinterlistigen Versuch handelt, den Rentnern in die Tasche zu greifen.
Jedenfalls ist es merkwürdig, meine Damen und Herren, daß der Arbeitsminister diesen Verdacht bisher nicht durch eine öffentliche Erklärung ausgeräumt hat. Heute hätten Sie dazu Gelegenheit gehabt, Herr Blüm,
wenn Sie klargestellt hätten, daß Sie auch den Krankenversicherungszuschuß der Rentenversicherung entsprechend erhöhen wollen und daß auch künftig die Rentenversicherung die Hälfte des Krankenversicherungsbeitrags tragen soll. Allerdings müssen Sie dann auch die politische Verantwortung dafür übernehmen, daß Ihre geplante Krankenversicherungsreform auch in diesem Punkt von geradezu unglaublicher Schlamperei gekennzeichnet ist.
Außerdem müssen Sie dann auch offen zugeben, daß Sie die Rentenversicherung durch die Erhöhung des Krankenversicherungszuschusses jährlich mit rund 900 Millionen DM belasten wollen und damit die finanzielle Situation erheblich verschärfen.Damit kommen wir zu dem wichtigsten und leider auch unerfreulicheren Thema unserer Diskussion, nämlich der finanziellen Situation der Rentenversicherung. Der Rentenanpassungsbericht, der dem Ausschuß bereits überwiesen worden ist, ist jedenfalls eine schlichte Zumutung für das Parlament
und als Entscheidungssunterlage absolut unzureichend. Es ist bemerkenswert, daß der amtierende Arbeitsminister zu diesem Produkt heute keinerlei Aussage gemacht hat.
Zwei Dinge sind es, meine Damen und Herren, die wir an den Zahlen der Bundesregierung zu kritisieren haben:Erstens baut der Bericht auf absolut unrealistischen Zahlen auf und stellt die Lage, vor allem was die kurz- und mittelfristige Entwicklung betrifft, weitaus günstiger dar, als sie ist.Zweitens haben wir die Tatsache zu kritisieren, daß nach der geschönten Darstellung des amtlichen Rentenanpassungsberichts die langfristigen Aussichten wahrhaft trostlos sind und daß die Bundesregierung gleichwohl nicht fähig oder nicht willens ist, Initiativen zur Sicherung unserer Altersversorgung zu ergreifen und ein Konzept vorzulegen. Man weiß in der Tat nicht, was provozierender ist: die Dreistigkeit der Verharmlosungsversuche oder die Dickfelligkeit beim Versäumnis der elementaren Regierungspflichten. In beidem jedenfalls stehen die Bundesminister Blüm und Stoltenberg einander in nichts nach und überraschen immer wieder mit neuen, bisher nicht für möglich gehaltenen Fehlleistungen.
Meine Damen und Herren, beginnen wir mit den amtlichen Zahlen, die schon für sich genommen eine desolate Situation beschreiben: Der Fehlbetrag in den Rentenkassen, d. h. die Differenz zwischen dem voraussichtlichen Vermögens- bzw. Schuldenstand und der vorgeschriebenen Mindestschwankungsreserve, wird sich im Prognosezeitraum bis 2001 in astrono-
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Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4223
Dreßlermische Höhen aufsummieren, und zwar auf rund 225 Milliarden DM in der allergünstigsten Variante, Herr Scharrenbroich,
bzw. auf rund 360 Milliarden DM in der ungünstigsten Variante. — Herr Kolb, Ihrem Zwischenruf entnehme ich, daß für Sie diese Summe unvorstellbar ist, übrigens auch für uns.
Mit anderen Worten: Daß Sie bei solchen finanziellen Aussichten hier noch grinsend sitzen, Herr Kolb, ist wirklich beschämend.
Meine Damen und Herren, nach keiner einzigen der errechneten Varianten wird die Rentenversicherung das Jahr 2001 mit einem Beitragssatz von unter20 % erreichen. Je nach den getroffenen Annahmenliegt das Minimum bei 20,7 %, das Maximum bei über21 %. Selbst bei diesen Beitragssätzen werden am Ende des Prognosezeitraums — was aus dem Zahlenwerk allerdings nicht offen erkennbar ist — schon wieder Defizite auftreten, die sich wahrscheinlich in der Größenordnung von 15 bis 25 Milliarden DM pro Jahr bewegen werden. Das präsentiert die Bundesregierung, ohne konkret sagen zu können, was sie zu tun gedenkt. Daß der Bundesarbeitsminister dabei nicht schamrot wird, dokumentiert einen Tiefstand der politischen Kultur.
In Wahrheit, Herr Blüm, ist die Lage aber noch schlimmer, als der Rentenanpassungsbericht sie darstellt. Das betrifft vor allem die mittelfristige Perspektive. Tatsache ist, daß wir unmittelbar am Vorabend einer akuten Rentenkrise stehen. Kein Mensch wird heute glauben, daß die Zahl der Beschäftigten im laufenden Jahr, 1988, um 0,5 % und in den drei Folgejahren, bis 1991, gar um 1 % zunehmen wird.
Das glaubt kein Mensch, der Ahnung hat. Herr Kolb, daß Sie das glauben, ist klar.
Trotzdem baut die Bundesregierung ihre mittelfristige Rentenpolitik auf diesen Annahmen auf. Dabei sind die Zahlen, die die Bundesregierung in der ersten Variante ihrer mittelfristigen Rechnung verwendet, der reine Witz. In den Jahren des angeblich so großartigen wirtschaftlichen Aufschwungs, nämlich von 1982 bis 1986, hat die Zahl der Erwerbstätigen im Jahresdurchschnitt noch nicht einmal um 1/10 % zugenommen. Wir erwarten in der heutigen Debatte dringend die Erläuterungen des Herrn Arbeitsministers, mit welchen beschäftigungspolitischen Wundermitteln er den Anstieg der Erwerbstätigenzahl auf einmal verzehnfachen will, obwohl sich alle Welt darüber im klaren ist, daß international ein Konjunkturrückgang bevorsteht. Wenn Sie es nicht erläutern können, HerrBlüm, sollten Sie Ihren Rentenanpassungsbericht zurückziehen und überarbeiten; das wäre seriös.Wenn man die mittelfristige Finanzentwicklung der Rentenversicherung realistisch einschätzen will, muß man den bevorstehenden Konjunkturrückgang mit einkalkulieren. Man muß sich beispielsweise vor Augen führen, daß das Institut der Deutschen Wirtschaft damit rechnet, daß in diesem Jahr die Zahl der Erwerbstätigen um 0,4 % abnimmt. Wenn das reale Wachstum im laufenden Jahr 1 % beträgt, der Produktivitätszuwachs 2 % und die Arbeitszeitverkürzung 1 %, haben wir für 1988 mit annähernd konstanter Beschäftigung zu rechnen. Das ist noch immer optimistischer als die Rechnung des Instituts der Deutschen Wirtschaft. In den beiden Folgejahren müssen wir, wenn wir uns nicht in die Tasche lügen wollen, vorsichtshalber mit Nullwachstum rechnen. Bei 1,5 % Produktivitätszuwachs und 0,5 % Arbeitszeitverkürzung ist demnach für 1988 und 1989 ein Beschäftigungsrückgang um je 1 % möglich.Richtet man sich auf eine solche Entwicklung ein, dann sieht die Rechnung ganz anders aus als die der Bundesregierung. Allein auf Grund der ungünstigeren Arbeitsmarktsituation fehlen gegenüber der ersten mittelfristigen Variante des Rentenanpassungsberichts bis Ende dieses Jahres bereits rund 0,7 Milliarden DM; bis Ende 1989, Herr Blüm, fehlen 4,1 Milliarden DM, bis Ende 1990 5,5 Milliarden DM. Dabei ist schon eingerechnet, daß die Bundesanstalt für Arbeit höhere Rentenversicherungsbeiträge zahlen muß, weil sich unter den genannten Bedingungen die Zahl der registrierten Arbeitslosen bis 1990 gegenüber den Projektionen der Bundesregierung um mehr als 500 000 erhöhen wird.Dazu kommen die Mehrausgaben für die Krankenversicherungszuschüsse, die fällig werden, falls die Regierung nicht doch noch die Rentner so massiv zur Kasse bitten wird, wie es im Referentenentwurf zur Krankenversicherungsreform vorgesehen ist.
Dadurch fehlen bis Ende 1989 rund 0,5 Milliarden DM und bis Ende 1990 rund 1,4 Milliarden DM. Wenn außerdem die Nominallöhne in den Jahren 1989 und 1990 nicht, wie in der ersten Variante des Rentenanpassungsberichts projektiert, um 3,5 %, sondern um nur 3 % steigen, dann fehlen dadurch außerdem bis Ende 1989 rund 0,8 Milliarden DM, bis Ende 1990 rund 1,8 Milliarden DM.Alles in allem vermindert sich dadurch einschließlich der Zins- und Kumulationseffekte die Schwankungsreserve der Rentenversicherung gegenüber der ersten Variante des Rentenanpassungsberichts wie folgt: bis Ende 1988 um rund 0,7 Milliarden DM, bis Ende 1989 um rund 5,3 Milliarden DM, bis Ende 1990 um rund 13,7 Milliarden DM. Das heißt, bereits ab 1989 wird möglicherweise das Reservepolster der Rentenversicherung wieder abgebaut, und zwar in rapidem Tempo.Während uns die Bundesregierung in ihrem Rentenanpassungsbericht das Märchen auftischen will, daß die Schwankungsreserve im Jahre 1991 noch 1,7 Monatsausgaben betragen wird, könnte bereits
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4224 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Dreßler1990 der Ofen aus und das gesetzlich vorgeschriebene Minimum unterschritten sein.
Was heißt das alles? Nichts anderes, als daß es fünf Minuten vor zwölf ist und daß die Hinhalte- und Verharmlosungstaktik vor dem Zusammenbruch steht. Zu dem finanzpolitischen Offenbarungseid auf Raten, den wir in den letzten Wochen miterlebt haben und weiter erleben werden, wird binnen kurzer Frist der rentenpolitische hinzukommen.Die SPD-Fraktion hat der Bundesregierung wiederholt gemeinsames Vorgehen zur Sicherung der Renten angeboten. Wir haben das getan, obwohl wir meinen, daß es neben Übereinstimmung auch Trennendes gibt und daß wir dabei auch Abstriche von unseren Positionen machen müßten. Wir sind für Gemeinsamkeit, weil die Probleme zu groß sind, als daß sie mit schwachen Mehrheiten gelöst werden können. Die Bundesregierung hat unser Angebot verbal aufgegriffen; aber Taten sind so gut wie nicht erfolgt.
Wenn die Bundesregierung fortfährt, die Lage zu verharmlosen, die notwendigen Entscheidungen hinauszuzögern und uns über ihre Absichten im unklaren zu lassen,
dann sehen wir darin einen zentralen Gegensatz zu der öffentlich bekundeten Absicht, Gemeinsamkeit zu suchen.Die Sozialdemokratische Partei und die SPD-Bundestagsfraktion werden sich auf diese Weise nicht verschaukeln lassen. Wir werden uns nicht zu Kompromissen mit der Bundesregierung bereitfinden, wenn man den Plan verfolgen sollte, uns nach einer Phase des Hinhaltens unter dem Druck einer sich schnell zuspitzenden Liquiditätskrise und kurz vor den Bundestags- oder wichtigen Landtagswahlen mit einem hastig zusammengebastelten Sanierungsgesetz zu überraschen.Damit Sie nun nicht glauben, das Ganze sei ein sozialdemokratisches Szenario, will ich Ihnen einmal eine Stellungnahme des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger von heute morgen vortragen; vielleicht macht diese Sie endlich nachdenklicher. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat die Bundesregierung heute morgen aufgefordert, möglichst rasch die Eckdaten für die Rentenreform vorzulegen. Die finanzielle Situation werde — so der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger — ab 1991 zunehmend schwieriger. Mit anderen Worten: Schwierig ist sie schon heute. Der Gesetzgeber wird daher vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger aufgefordert, für die Reform des Rentenversicherungsrechts nicht mehr viel Zeit in Anspruch zu nehmen.
Also, Herr Kolb, wenn Sie so sorgfältig arbeiten wie bei der Quellensteuer, wenn Sie so sorgfältig arbeiten wie bei der Krankenversicherungsreform,
dann, muß ich Ihnen sagen, bekomme ich schon jetzt das kalte Grausen.Deshalb sage ich von dieser Stelle: Angesichts der zunehmend kritischen Lage werden wir unser Gemeinsamkeitsangebot nur noch begrenzte Zeit aufrechterhalten.
Wenn nicht bald die notwendigen Signale der Bundesregierung kommen, vor allem eine definitive Zusicherung über den Umfang, in dem sich der Bund künftig an der Finanzierung der Rentenversicherung zu beteiligen gedenkt, werden wir es zurückziehen und eine eigene parlamentarische Initiative ergreifen.
Die Regierungskoalition wird dann Gelegenheit haben,
durch ihr Abstimmungsverhalten zu dokumentieren, wie sie es mit der Rentenreform halten will.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Rudolf Dreßler hat in einem Punkt — ich befürchte, ich muß sagen: in nur einem Punkt — recht, nämlich wenn er sagt: Plakate kleben ersetzt keine Politik. — Aber der Kollege Rudolf Dreßler sollte sich auch den Satz merken: Meckerei und Miesmacherei auch nicht.
Prinzipiell ist es auch für Oppositionspolitiker keine Schande, Richtiges und Gutes positiv darzustellen. Kollege Dreßler, die Ausgangslage ist positiv: Rentenerhöhungen um 3 %, hervorragende Preisstabilität— die zu erwähnen Sie wohl bewußt vergessen haben — kommen Rentnern de facto durch reale Erhöhungen zugute.
— In der Tat, hoffentlich allen, Frau Unruh; auch Ihnen. Freuen wir uns gemeinsam!
Die Stimmungslage der Opposition scheint mehr Verärgerung denn wirklich kritische Begleitung zu sein. Warum das Erreichte einfach miesmachen? Warum nicht einmal anerkennen, daß die Rücklagen gestiegen sind? Warum nicht einmal den Mut haben, zuzugeben, daß sich positive Entwicklungen ergeben haben? Darauf, daß wir Probleme haben, werden wir gleich eingehen. Das ist überhaupt keine Frage; die
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4225
Cronenberg
kann man sogar gemeinsam lösen, wenn man will, nur nicht so, wie Sie gesprochen haben. Das Wohl der Rentner, so habe ich den Eindruck, interessiert Sie viel weniger als die politische Stimmungsmache um eines bestimmten Wahlkampfes willen. Das ist die Ausgangslage.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn sie nicht angerechnet wird.
Ich verstehe schon. — Also bitte schön, Herr Dreßler.
Herr Kollege Cronenberg, stimmen Sie mir zu, daß bei Amtsantritt des amtierenden Bundesministers die Rentenkasse 20 Milliarden DM stark war und daß der Bundesarbeitsminister, wenn er hier heute erklärt, er komme jetzt langsam wieder auf 21 Milliarden DM, nichts anderes getan hat als das, was Sozialdemokraten — übrigens mit Ihnen — hinterlassen haben, wieder aufzubauen?
Sehen Sie, ich habe mich immer bemüht, eine objektive Bewertung dieser ganzen Sachverhalte vorzunehmen. Es gehört zur objektiven Bewertung, daß die Beiträge inzwischen einmal um ein halbes Prozent gesenkt worden sind, daß wir einmal ein bißchen weniger Rücklagen gehabt haben,
daß wir wieder ansteigende Rücklagen haben und daß, wie Sie sagen, wenn wir nichts tun, in der Tat Befürchtungen zu hegen sind. Deshalb sagt der Bundesarbeitsminister, sagen Sie, sagen wir: Wir müssen dieses Gebäude reformieren. — Ich werde gleich noch darauf eingehen. Aber man kann nicht sozusagen als Prognosefetischist hergehen, ohne zu berücksichtigen, daß Änderungsmöglichkeiten vorhanden und notwendig sind, das Ganze total zerreden
und bewußte Verunsicherungen betreiben. Das ist das, was ich schon früher beklagt habe. Insofern gibt es eine Kontinuität im Oppositionsverhalten; das muß ich einmal mit Bedauern feststellen.
Die Stimmung wird erzeugt. Die Menschen, die Rentner werden mißbraucht, um Wahlkämpfe zu betreiben. Dafür sollte man sich schämen. Das ist es.
Motto: Koste es, was es wolle, es wird ans Zeug geflickt.Vor hundert Jahren, 1888, ist im Reichstag ein Gesetzentwurf betreffend die Alters- und Invalidenversicherung eingebracht worden. Vergleichen Sie die Situation von damals mit der von heute. Das ist nicht wie Manna vom Himmel gefallen, sondern das ist das Ergebnis harter Arbeit. Wir werden das System der sozialen Sicherheit auf Dauer nur dann finanzierbar erhalten — auch Sie, Kollege Dreßler — , wenn wir weiterhin zu Leistung und Mehrarbeit bereit sind. Ob es Ihnen paßt oder nicht: Fehlende Wirtschaftskraft kann nicht durch ein Mehr an Umverteilung ersetzt werden.
Wer immer mehr Umverteilung verlangt, wie Sie das offensichtlich tun, überfordert das System und überfordert die soziale Marktwirtschaft.
— Aber sicher nicht, Herr Kollege Reimann.
Es sind verschiedentlich Modellrechnungen aus dem Rentenanpassungsbericht von Ihnen, Kollege Dreßler, zitiert worden,
fast wie von einem Prognosefetischisten. Deswegen möchte ich Ihnen einmal ein Zitat eines Ihnen nicht unbekannten Zeitgenossen zur Kenntnis geben.
Er hat gesagt:
Ich weiß heute aus Erfahrung, daß die Prognosen in Zeiten des weltweiten wirtschaftlichen Umbruchs überhaupt nie stimmen können, daß sie nicht einmal die gleiche Treffwahrscheinlichkeit für sich haben wie die allabendlichen Wettervorhersagen im Fernsehen für den folgenden Tag, die uns häufig genug irreführen.So hat sich Helmut Schmidt 1978 zutreffenderweise zu Prognosen geäußert.
— Das ist in der Tat, Kollege Bötsch, nicht nur ein Zeitgenosse, sondern auch ein Genosse, aber, wie ich meine, ein Genosse, der immer den Blick für die Realität behalten hat.
Ihre Prognosen, wie Sie sie uns geschildert haben, unterstellen null Kraft in die Reformfähigkeit des Systems und der Handelnden einschließlich Sie selber; denn Sie sind eingeladen mitzumachen. Deswegen, muß ich sagen, ist es Mangel an Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit, was Sie uns hier heute präsentiert haben. Das bedaure ich sehr.
— Auch darauf gehe ich ein, Kollege Reimann.
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4226 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Cronenberg
Es liegt nahe, die Rentenversicherung mit einem altehrwürdigen, auf soliden Grundmauern errichteten, aber renovierungsbedürftigen und renovierungsfähigen Gemäuer zu vergleichen. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie unterschiedlich die Sachverständigen die Standfestigkeit alter Gebäude beurteilen können. Wir haben da leidvolle Erfahrungen. Aber ich bin in diesem Fall nicht für Abreißen, sondern für Erneuern, für gründliches Durchsanieren.Wenn Sie behaupten, Sie hätten ein Konzept vorgelegt, Sie hätten den großen Wurf getan, dann möchte ich an ein paar Dinge erinnern, wo, mit Verlaub zu sagen, Konzept nicht zu erkennen ist. Wollen Sie nun eigentlich eine Wertschöpfungsabgabe, oder wollen Sie keine? Wollen Sie eine Umbasierung der Arbeitgeberbeiträge, oder wollen Sie sie nicht? Das ist in dem Konzept aus meiner Sicht bisher nicht erkennbar. Worauf es ankommt, ist, alle Instrumente, die vorhanden sind — Rentenniveau, Beitragshöhe, Lebensarbeitszeit, Bewertung von versicherungsfreien Zeiten
und versicherungsminderen Zeiten, Bundeszuschuß, Neubewertung von Ausbildungszeiten — , sinnvoll und richtig einzusetzen. Das heißt, wir haben ein großes Instrumentarium. Deswegen ist es um so unverständlicher — weil Sie das gleiche Instrumentarium einzusetzen gedenken — , daß Sie durch Ton und Inhalt Ihrer Rede den Versuch unternehmen, die möglichen und notwendigen Gemeinsamkeiten zu verspielen.
Dieses Rentenversicherungssystem — ich sage das mit allem Ernst und gegenüber allen Beteiligten —
hängt auch von der Akzeptanz ab. Gemeinsamkeit und Akzeptanz, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, sind ein Stück Solidität dieses Systems. Deswegen dürfen wir nicht so leichtsinnig mit den Dingen umgehen, wie das eben bedauerlicherweise, so muß ich sagen, geschehen ist.
— Nein, nein, der Rentenanpassungsbericht geht doch von null Reform aus; muß er ja auch, ist auch richtig so; er kann doch nur Beschlossenes berücksichtigen. Aber das muß ich doch dem Fachmann Dreßler nicht erklären. Es tut mir schrecklich leid: Das ist doch zu primitiv. Das wissen doch auch Sie.
Erwecken Sie doch bitte nicht einen solchen Eindruck.Wer so argumentiert wie Sie, müßte im Moment hergehen und die Beiträge sofort auf 20, 21 % erhöhen, was sicher falsch wäre, auch aus gesamtwirtschaftlichen Gründen.
Sie müssen auch die Belastungshöhe der einzelnen und die Höhe der für den einzelnen insgesamt erbrachten Beiträge sehen. Kolleginnen und Kollegen, man muß sich bewußt machen, daß für einen Bruttojahresverdienst von 54 000 DM inzwischen 20 000 DM an Versicherungsbeiträgen, Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung — ohne Berufsgenossenschaftsbeiträge — abgeführt werden müssen. Für denjenigen, der in allen Systemen Höchstbeiträge zahlt, werden inzwischen 24 000 DM gezahlt, 2 000 DM pro Monat.Wenn man nicht bereit ist, dies in das Gesamtszenario einzubauen und zu berücksichtigen, dann, sage ich Ihnen, kommt man zu einer Taschengeldgesellschaft, wird den Menschen nur noch das ausgezahlt, was übrigbleibt, nicht das, was sie verdient haben.
Steuern und Versicherungsbeiträge sind dann höher als der Nettolohn. Es ist aus unserer Sicht und, ich meine, auch aus Ihrer Sicht, die Sie Arbeitnehmerinteressen vorgeblich vertreten wollen, unerläßlich, solches zu vermeiden.
Auch hier ein Zitat von Helmut Schmidt:Wer gegenwärtig eine weitere Anhebung der Sozialleistungen fordert, der muß wissen, daß er zwangsläufig Belastungen der aktiven Arbeitnehmer verstärkt und daß es psychologische und politische Grenzen für solche Mehrbelastungen gibt, die man nicht überschreiten kann.Ich komme mir fast vor, ein größerer Verteidiger des ehemaligen Kanzlers Helmut Schmidt zu sein als Sie und Ihre ganze Fraktion zusammen, mit Verlaub zu sagen.
Für uns ist die Stärkung des Versicherungsprinzips wichtig. Wir halten — und da möchte ich mich bei beiden großen Fraktionen bedanken — die Abkehr von der Bruttoanpassung für unerläßlich. Als wir 1979 zum erstenmal in Form eines Programms verdeutlicht haben, daß man Renten, wie jetzt erfreulicherweise der Bundesarbeitsminister gesagt hat und wie das erfreulicherweise auch aus den Reihen der SPD zu hören ist, nur noch so steigern kann, wie die frei verfügbaren Einkommen der aktiv Tätigen steigen, sind wir mit „soziale Kälte" „eiskalte Kapitalisten", „Unternehmermentalität" beschimpft worden.
— Ist doch nicht wahr!
Inzwischen ist das Gott sei Dank in die Programme der großen Parteien übernommen worden. Ich werte das positiv, weil es ein Stück Gemeinsamkeit ist, auf dem wir gemeinsam reformieren können, auf dem wir uns gemeinsam bemühen müssen.Bevor meine Zeit abgelaufen ist, möchte ich noch auf einen Punkt, der mir sehr wichtig erscheint, eingehen. Der Bundesarbeitsminister hat es gesagt, und
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die Opposition hat es auch gesagt: Wir brauchen für die Reform einen zuverlässigen Bundeszuschuß. Wir müssen diesen Bundeszuschuß auch haben, um ein ordentliches Reformwerk vorzulegen. Da möchte ich eigentlich, weil vom Finanzministerium niemand hier ist, den Bundesarbeitsminister bitten, er möge den Bundesfinanzminister doch unter dem Sauerländer Motto „Jetzt muß unbedingt mal Butter bei die Fische" auffordern, bald überzukommen; denn wir können in der Kommission und in den Beratungen nicht mehr weitermachen, wenn wir nicht beizeiten anständige, normale, klare Vorgaben bekommen.
— Ja, das ist in der Tat richtig.In diesem Zusammenhang habe ich erhebliche Bedenken, daß wir, wenn wir so weitermachen, unsere Hausaufgaben nicht erfüllen können.Ich möchte auch ein Wort zu der Bewertung der beitragsgeminderten und beitragslosen Zeiten sagen. Auch in diesem Punkt sind wir sozusagen einsame Spitze. Bis zu 13 Ausfalljahre haben wir in unserem System. In unserem Nachbarland Österreich hat inzwischen ein sozialistischer, noch nicht einmal, ein sozialdemokratischer Arbeitsminister einen Reformentwurf durchgedrückt, der die Zeiten, die dort bisher sechs Jahre betrugen, stufenweise fast auf null bringt.
Das ist nicht unsere Vorstellung. Aber eine Korrektur in diesem Bereich ist unerläßlich.Zu den liberalen Forderungen gehört auch, den Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand flexibler zu gestalten. Gleitender Übergang, wie ihn schon verschiedene Tarifverträge vorsehen, Teilrente, Teilarbeitszeit sind die entsprechenden Stichworte dazu.Diese Lösung muß man aber im Zusammenhang mit der Rentenstrukturreform zur Verbesserung der Relation zwischen Rentenlaufzeiten und Beitragszeiten sehen und nicht in andere, falsche Zusammenhänge— dies sei auch an die CDU-Seite des Hauses gesagt— stellen. Späterer Berufseintritt, vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben und längere Lebenserwartung: All das zusammen ist auf Dauer nicht finanzierbar.
Wir wollen die Wahlmöglichkeiten des einzelnen, wann er in den Ruhestand tritt, nicht einschränken. Ich darf in diesem Zusammenhang an die 32 Thesen zur Alterssicherung meiner Partei aus dem Jahre 1979 erinnern, in denen wir auch damals schon diese Positionen — nicht mit dem Beifall beider großen Fraktionen versehen — vertreten haben. Wer früher in die Rente gehen will, soll und muß dies auch in Zukunft tun können, allerdings nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft der Rentenversicherung und der Beitragszahler.
Das ist der entscheidende Satz, auf den wir hier hinweisen müssen.Nachdrücklich möchte ich davor warnen, die Beitrags- und Leistungsbezogenheit der Rente durch Vermischung mit der Sozialhilfe in Frage zu stellen. Wer hier den Anfang macht, macht einen Schritt hin zur bedürftigkeitsorientierten Rente. Und darüber müssen Sie sich klar sein: Das ist mit uns nicht zu machen.
— Es gibt da auch eindeutige Beschlüsse, in diesem Punkt sogar sehr eindeutige Beschlüsse. — Allerdings— auch dies möchte ich wiederholen — halte ich bei der Sozialhilfe Korrekturen im Bereich Schonvermögen und anderer Dinge für unerläßlich, wenn ich diese Position glaubhaft vertreten will. Denn es ist ein einklagbarer Rechtsanspruch gegenüber der gesamten Volksgemeinschaft, eine ordentliche Minimalversorgung zu garantieren. Das ist keine Fürsorgeleistung. Sozialhilfe ist — das ist der Wille aller Fraktionen gewesen — ein einklagbarer Rechtsanspruch. Mit anderen Worten: Es ist auch keine Schande, jemanden dorthin zu verweisen, wenn er — aus welchen Gründen auch immer, unverschuldet oder verschuldet — in Not geraten ist.Unsere Rentenstrukturreform für die nächsten Jahrzehnte muß darauf abzielen, die notwendigen Opfer möglichst gerecht zu verteilen. Dabei gebührt nach meiner Auffassung der Rentensicherheit der Vorrang vor hohen Anpassungen nach dem Motto: Ein wenig weniger ist mehr, solider, und darauf kommt es an. Wer es mit dem Generationenvertrag tatsächlich ernst meint, für wen das nicht ein leeres Wort ist, darf nicht heute Leistungen versprechen und zusagen, die unsere Kinder und Enkel morgen nicht bezahlen und erwirtschaften können. Unsere Generation — ich bitte die Sozialdemokraten, insbesondere die Kollegen aus den Gewerkschaften, zuzuhören — , die über wesentlich höhere Realeinkommen als frühere Generationen verfügt —
so hat Alfred Schmidt vom DGB, den ich hier zitiere, gesagt — , sollte jetzt das solide Fundament für die Rentenversicherung des Jahres 2000 und später schaffen. Trotz der verbalen Aufkündigung oder Halbaufkündigung des Konsenses von Rudolf Dreßler eben gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß es uns gelingt, auch bei unterschiedlicher Bewertung einzelner Positionen in Zusammenarbeit mit mindestens drei Fraktionen — denn die so entscheidend unterschiedlichen Positionen, Frau Kollegin Unruh, lassen die Einbeziehung — —
— Wenn Sie für die leistungsbezogene Rente sind, würde ich um einer soliden Rentenversicherung willen noch nicht einmal die Zusammenarbeit mit Ihnen scheuen.
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4228 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Cronenberg
— Ja, in der Tat. Kolleg von der Wiesche, ich muß auch sagen: Ich muß mir sehr überlegen, was ich da gesagt habe.Wie dem auch sei: Mir geht es wirklich darum, heute und hier kein Prozellan kaputtzuschlagen. Das haben weder unsere Rentner noch die Parteien, so meine ich, auf Grund ihrer bisherigen Äußerungen verdient; denn mit Verlaub zu sagen: Bisher, bis heute hatte ich den Eindruck, daß der gute Wille und der Wille zur Zusammenarbeit auf allen Seiten nicht nur verbal und vordergründig, sondern wirklich vorhanden ist. Ich bitte deswegen, Kollege Dreßler, im Protokoll vielleicht noch einige Schärfen zu streichen,
damit zum Schluß nicht festgestellt werden muß, daß heute mehr Prozellan als nötig kaputtgeschlagen worden ist.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.
Herr Präsident! Volksvertreter und -innen!
— Ja, ich habe jetzt etwas Zeit. Das verdanke ich natürlich der grünen Fraktion, die mir die Zeit eingeräumt hat. Ich bin glücklich, daß ich in dieser Fraktion sitzen darf. Ich wäre unglücklich, wenn ich bei den Christen säße.
Ich wäre unglücklich, wenn ich bei der FDP säße.
Ich bin Rudolf Dreßler dankbar, der endlich Hinweise gegeben hat — natürlich aus seiner ganz hohen Qualifikation heraus. Ich nehme Herrn Dreßler ernst.
Weil Sie das so schön gesagt haben, Herr Cronenberg, und ihn etwas in Schrecken versetzen wollten: Lieber Herr Dreßler, ich werde dafür sorgen, daß die GRÜNEN noch besser werden. Dann gehen wir zusammen,
und dann werden Sie Arbeitsminister. Dann schaffen wir das bißchen.
Sie haben dann nur eins vor sich, Herr Dreßler: Sie müssen dann die Karre aus dem Dreck holen.Was Herr Blüm jetzt so von sich gegeben hat, hat mich erschüttert.
Es geht doch um die Rentner heute. Sie reden immer von morgen, von übermorgen, von überübermorgen. Nur, wissen Sie überhaupt, wie die jetzigen Renten aussehen?
40 % der männlichen Arbeiter haben weniger als 1 200 DM. 20 % der männlichen Angestellten haben weniger als 1 200 DM.
— Wir sprechen doch von Renten. Bitte! 70 % der Arbeiterinnen — in Rente natürlich — haben weniger als 600 DM. 38 % der weiblichen Angestellten, die jetzt in Rente sind, haben weniger als 600 DM.
Nun nehmen Sie doch bitte einmal folgendes zur Kenntnis. Es hat mich sehr begeistert, daß Herr Genscher heute morgen einen sozialen Rechtsstaat entdeckte. Überlegen Sie sich einmal, wie die Leute mit den Renten jetzt eigentlich leben. Sie lenken doch ab ins Jahr 2000. Sie wissen wie ich — Sie können ja besonders gut rechnen, Herr Kolb — : 1 % nach oben oder unten bedeutet 300 Milliarden DM. Wir haben das ja im Ausschuß gemacht.
Wir leben also in einer sozial verpflichteten Gesellschaft. Sie haben vorhin so schön gesagt, Sie hätten zehn Jahre Abgeordnetensessel. Da haben Sie ja eine tolle Pension, nicht?
Hat man Ihnen schon einmal etwas abgezogen? Wo ist denn Ihre Solidarität mit denen, für die ich gerade konstatieren muß, daß sie wahnsinnig geschuftet haben? Nur, verehrter Herr Minister Blüm, das ist dann der Alterslohn für Lebensleistung. Haben Sie überhaupt schon einmal zur Kenntnis genommen, daß es solche Renten gibt? Haben Sie das, Herr Cronenberg — Sie wollen ja auch immer ein soziales Herz haben — , jemals zur Kenntnis genommen? Ist Ihnen überhaupt einmal eingefallen, daß man da etwas anderes in die Struktur reinbringen könnte?Da danke ich doch meinen grünen Kollegen und Kolleginnen. Die haben sich mit ihren jungen Köpfen andere Sorgen um die Alten gemacht, als Sie, Herr christlicher Minister mit Ihren christlichen Grundwerten, es bis heute überhaupt geschafft haben. Ich war, glaube ich, vorgestern das erste Mal im CDU/CSU-Fraktionssaal. Da hängt ein Kreuz an der Wand. Ich habe gedacht: Das darf doch nicht wahr sein! Und das ist der Rentenminister?Nein, das Kreuz hängen Sie mal zu. Es ist Fastenzeit. Das Kreuz hängen Sie mal ganz schön zu.
— Das kann ich Ihnen jetzt sogar sagen, warum: einmal wegen der Renten, bis Sie endlich darauf kom-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4229
Frau Unruhmen, daß die erhöht werden müssen, und zum zweiten deswegen, weil Sie die Altmütter mit einer Sterbetafel versehen haben und ihnen nicht die 27 DM pro Lebendgeburt gönnen. Das ist das „Schinanteste", was der ganze christliche Flügel auch in der Täuschung zur Senioren-Union hin begangen hat, zur gesamten Senioren-Union. Ich spreche gar nicht mehr von dem sozialen KAB-Flügel dort.
— Es gibt einen, einen täuschungs-sozialen Flügel. Aber Sie haben sich ja was einfallen lassen, daß Sie Ihre eigenen Alten in der CDU in den Griff kriegen; da machen Sie eine Senioren-Union.
— Nehmen Sie sich daran einmal ein Beispiel. Sie haben doch eine tolle Pension. Ihre eigenen SeniorenUnion will, daß die Altmütter alle sofort ihre 27 DM bekommen. Warum denn nicht?Wir Grauen Panther haben uns als Zeichen vorgestern an die Friedhofsmauer von Bonn hinstellen müssen. Jetzt hören Sie bitte zu.
— Jetzt sind Sie auch ruhig. Sie haben auch einen festen Posten, und Sie haben eine wunderbare Pension.
Wir haben 100 m Sterbeanzeigen gezeigt, allein aus einer Bonner Zeitung; 800 Sterbeanzeigen in Bonn. Diese alten Mütter sind voriges Jahr, also 1987, gestorben, ohne in den Genuß der 27 DM gekommen zu sein.Schämen Sie sich in Grund und Boden! Sie hätten etwas von Ihren Diäten, von Ihrer Pension abtreten können.
Sie von der SPD hätten auch Zeichen setzen können. Wir gönnen gern den Beamten ihre Pension bis zu 3 500 DM, aber dann, Herr Minister, muß harmonisiert werden. Das ist hier ja bald schon ein Kasperletheater,
wie Sie sich hinstellen, abgesichert mit Ihren dicken Pensionen, und knüngeln hier bei solchen Renten rum, obwohl doch nur — hören Sie gut zu! — 10 % der Rentner aus der Arbeiter- und Angestelltenversicherung über 1 500 DM haben. Die Beamten-Mindestpension liegt nach 35 Dienstjahren bei 1 645 DM.Machen Sie hier doch mal eine Strukturreform; machen Sie es doch endlich einmal!
Wir vermissen Ihre Vorschläge. Sie wissen, daß Siegegen die Bundesverfassung verstoßen. Die einen bitten Sie 40, 45 Jahre zur Kasse, dann haben diese LeuteRenten in der Höhe, die ich eben genannt habe, und die anderen, schön im weichen Sessel, bekommen ohne eigene Einzahlung nach 35 Jahren 1 645 DM. Wo ist denn da der Gleichheitsgrundsatz? Fangen Sie mit Ihrem Strukturdenken doch bitte da an, daß dies auch das Mindeste für das andere Volk sein müßte, auch wenn das andere Volk bezahlen müßte.Denken Sie an Ihre Diäten. Ich denke natürlich auch an meine. Wir brauchen für unsere Pension nichts zu bezahlen, die ja schön saftig ist. Es wird immer von der großen Solidarität gesprochen. Warum fangen wir dann nicht bei uns an? Warum fangen wir denn nicht bei den Pensionen ab 3 500 DM an, daß wir sie einfrieren? Meine Kollegen und Kolleginnen von den GRÜNEN, unter denen sehr viele Lehrer sind, bekennen sich voll dazu. Sie aber täuschen nur rum und lenken immer ab auf die Ärmsten der armen Rentner.Ich kann Ihnen Briefe vorlegen. Ich habe mir Auszüge aus ein paar Briefen gemacht, und dann wird vielleicht auch Herrn Dr. Blüm etwas mulmig um sein Samariterherz.
— Wenn Ihnen überhaupt nicht mulmig wird, dann weiß ich nicht, warum Sie Sozialminister sind.
Sie können das alles in meinem Büro einsehen. Sie haben das neulich bezweifelt.
— Ja, bmühen Sie sich. Dann kommen Ihnen endlich vielleicht einmal im Leben die Tränen, Sie christlicher Mensch. Der Herr Blüm zieht durch die Lande und verkündet die christlichen Grundwerte. Wo hängen die denn?
— Aber selbstverständlich.
Christliche Grundwerte, das heißt doch: Teile mit deinem Nächsten, habe doch das Ohr offen für deinen Nächsten, und was du selbst nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu. Ich möchte mal Herrn Blüm mit seiner Ehefrau sehen, wenn er vom 17. Lebensjahr an geschuftet hätte und dann als 65jähriger 750 DM Rente hätte. Da möchte ich doch mal Herrn Blüm erleben.
— Verzeihen Sie, dieser 65jährige war sogar 17 Jahre im Krieg einschließlich russischer Gefangenschaft, Herr Kolb. Sind Sie so ein junger Bursche, daß Sie das nicht nachvollziehen können?
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4230 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Frau UnruhDie einen, die jetzt im Staatsdienst sind, haben nach 5 Jahren Anspruch auf ihre Pension,
die anderen haben ihre Knochen hingehalten und hängen da als 65jährige mit 750 DM.Ein anderer 62jähriger, der mit 13 Jahren von den Russen verschleppt wurde, dann aber von 1949 bis 1980 unentwegt gearbeitet hat, hat eine Rente von 900 DM.
— Der hat vielleicht als Straßenkehrer gearbeitet. Hat ein Straßenkehrer nicht auch seine Existenz mit 65 Jahren verdient?
— Ich habe Ihren Einwurf nicht gehört. Wollen Sie Ihre halbe Pension abführen, dann ist alles in Ordnung.Jetzt komme ich noch einmal zu den christlichen Grundwerten. Eine 68jährige, die als Diakonieschwester bis zum Gehtnichtmehr verschlissen worden ist, hat heute eine Rente von 601,87 DM.
Ist Ihnen das alles nicht bekannt?
— Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was eine Diakonieschwester ist, die für Gotteslohn, für 175 DM im Monat, jede Woche 70 Stunden geschuftet hat. Diese Frau steht nun da mit so einer Rente. Das kann man nicht so lassen, wenn man von Strukturreformen zu reden wagt. Ich gebe es nicht auf, Ihnen ständig und ständig die große Bitte vorzutragen: Wenn Sie — die SPD ist da eingeschlossen — an Strukturreformen gehen, muß es einen existenzfähigen Mindestsatz außerhalb des Sozialamtes geben.Herr Kolb, ich weiß, Sie sind das nächste Mal nicht mehr an der Regierung, dann haben wir das auch schon erledigt.
Heute ist hier so einiges gelaufen, und das habe ich mir aufgeschrieben. Der Herr Kohl sprach heute auch von sozialer Gerechtigkeit für den Binnenmarkt. Die Leute schreiben mir, da werde immer gesagt, sie sollten etwas kaufen. Die wissen nur nicht, wovon. Wenn wir den Binnenmarkt ankurbeln wollen, dann geben wir doch bitte das Geld an die Menschen, die es sofort in Kaufkraft umsetzen werden.Jetzt zum Schluß noch einmal Sie, Herr Sozialminister. Sie sprachen vom Jahrhundertvertrag. Gut, Sie haben das Kindererziehungszeitengeld eingeführt, nur möchte ich die Mütter ab 1921 aufklären: Ca. 50 Prozent bekommen nichts. Das hört man draußen einfach nicht. Es wird damit hausieren gegangen, daßalle Mütter, weil ja Mutter Mutter ist, ihr Babygeld, ihr Erziehungsgeld bekommen.
Ach, wissen Sie, Sie sind so primitiv und wissen noch nicht einmal, wie das zusammenhängt, als Sie das Gesetz verabschiedet haben. — Ich werde Ihnen ein Gutachten bringen. Leider hat die SPD die Normenkontrollklage nicht mitgemacht. Die GRÜNEN waren wieder einmal so gut und haben 20 000 DM auf den Tisch gelegt.
— Was haben sie denn? Die haben überhaupt nichts; Sie ersticken im Geld, Mensch! — Wagen Sie es nicht, im Wahlkampf so falsch zu spielen! Ich werde dafür sorgen, daß Sie nicht mehr wiedergewählt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Fuchtel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ist nicht wegzudiskutieren, daß zum 1. Juli 1988 die Renten um fast genau 3 % erhöht werden.
Für die Rentner und überhaupt für die Menschen im Land ist dies nicht nur eine sehr gute Entwicklung, sondern auch eine Nachricht, die sie weitgehend als selbstverständlich betrachten. Das zeigt: Die Bevölkerung setzt festes Vertrauen in unsere Alterssicherungssysteme und in die Teilhabe des alten Menschen an der allgemeinen Einkommensentwicklung.Und was macht die Opposition? Wie in jeder Rentendebatte der letzten Jahre spielt sie in leichtfertiger Weise mit diesem Vertrauen der Menschen.
Dabei würden es die Bürger begrüßen, wenn die Rentenfrage stärker aus dem Parteienstreit herausgehalten werden könnte.
Oppositionspolitiker wie Sie, Herr Dreßler — bleiben Sie nur da, wenn ich mich jetzt zur Sache und mit Ihnen befassen möchte — , müßten natürlich erst einmal über den Schatten springen und zugeben: Dieser Bundesarbeitsminister Blüm hat den schwerkranken Patienten Rentenversicherung wieder gesund gemacht.
Zunächst Notoperation, dann Nachbehandlung, jetztStabilisierung. Wo waren Sie eigentlich die ganze Zeitüber? Sie sitzen im Wartezimmer und werden nicht
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4231
Fuchtelmüde, Ihre Phantasien von Armut und Niedergang auszumalen. So ist es nämlich.
Herr Abgeordneter — —
Die Zwischenfragen machen wir in der zweiten und dritten Lesung.Das Gedächtnis der SPD ist offenbar kürzer als das der Bürger. Deswegen muß ich folgendes noch einmal in Erinnerung bringen: 4 % Erhöhung bei 5,3 % Inflation, 4 % Erhöhung bei 6,3 % Inflation, zwischendurch noch eine Null-Runde. War das eigentlich der soziale Fortschritt? Das war sozialer Rückschritt! Jetzt heißt die Zahl: Um 3 % Erhöhung bei 1 % Preissteigerung, netto 2 % Zuwachs. Auch schon in den letzten beiden Jahren gab es netto mehr, bei hoher Preis- und Geldwertstabilität. Das ist sozialer Fortschritt!
Hinzu kommt — dies ist viel bedeutsamer — , daß auch all diejenigen Frauen in den vollen Genuß der Rentenerhöhung kommen, die seit 1984 nur noch fünf Versicherungsjahre für einen Rentenanspruch gegenüber bis dahin 15 Jahren benötigen und somit auf Grund entsprechender Beitragszeiten einschließlich anrechenbarer Zeiten für die Kindererziehung eine Rente erhalten werden.Viel wichtiger ist weiter, daß die Rentenerhöhung Müttern zugute kommt, die vor 1921 geboren sind und sukzessive eine Leistung für frühere Kindererziehungszeiten erhalten.
Ein Teil dieser Mütter hatte bisher mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen, um die erforderlichen Urkunden zu beschaffen. Hier wird auf Antrag des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat eine Erleichterung des Verwaltungsverfahrens angestrebt. Die Koalitionsfraktionen werden dies im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens aufgreifen.
Meine Damen und Herren, wie geht es nun weiter mit der Rentenpolitik, und welche Rolle spielt dabei der Rentenanpassungsbericht? Der vorliegende Rentenanpassungsbericht — das hätte ich gern dem Kollegen Dreßler doch noch selber gesagt — gibt jedenfalls keinen Grund für ein Untergangszenario, wie es eben vorgeführt wurde.
Eine seriöse Betrachtung kommt doch nicht daran vorbei, daß sich die Schwankungsreserve bis Dezember 1987 auf 1,8 Monatsausgaben aufgebaut hat. Daher ist das kein Fall für Unruhe; die Renten sind sicher.
— Ich habe ja gesagt: „kein Fall für Unruhe".
Da der Kollege Dreßler von der SPD, obwohl er es eigentlich besser wissen müßte, heute wieder seine alte Platte aufgelegt hat, frage ich mich, was er damit eigentlich bezwecken will. Will er „nur" den Rentnern Angst einjagen, oder paßt es ihm nicht, daß die Rentner die Sicherheit der Renten auf Grund ihrer leidvollen Erfahrung mit der SPD bei dieser Regierung besser gewahrt wissen als bei der SPD? Will er vor allem zu Lasten der Beitragszahler und damit der Arbeitnehmer die Lebensstandardsicherung für die langjährig Versicherten langfristig in eine Grundsicherung für alle umbauen? Ist ihm klar, daß dies zu einem katastrophalen Leistungsabbau führen muß? Wenn er sich dabei auf den Rentenanpassungsbericht stützt, wie vorhin getan, wird dies unsere Diskussion nicht viel voranbringen.Jeder Auszubildende bei einer Versicherungsanstalt bekommt schon mit, daß die in dem Rentenanpassungsbericht enthaltenen 15jährigen Vorausberechnungen keine Prognosen sind. Nur der sozialpolitische Sprecher der SPD will dies nicht wahrhaben. Es handelt sich ausschließlich um Modellberechnungen; sie können nur Hinweise auf mögliche Entwicklungen geben.
Die tatsächlichen Entwicklungen verlaufen regelmäßig anders, wie die Erfahrungen zeigen, und jeder weiß: Prognosen gehen eben oft auch in die Hosen.Wenn solche Modellrechnungen am Ende ein Defizit zwischen 220 und 330 Milliarden DM aufzeigen, dann muß hier einmal ein Fakt ganz deutlich herausgestellt werden: Eine jährliche Unter- oder Überschätzung bei den Steigerungsraten der Beitragseinnahmen oder der Rentenausgaben von nur einem einzigen Prozent in den Berechnungen für einen 15-Jahres-Zeitraum führt zu rund 300 Milliarden DM Unterschied. Dies zeigt, wenn man nur lesen und verstehen will, was die 15jährigen Vorausberechnungen eigentlich leisten können und was sie nicht leisten können. Aber nun wissen wir ja: Früher kam man für Kritik ins Gefängnis, heute kommt man dafür ins Fernsehen.
Was macht die Opposition also in dieser Lage? Sie benutzt eine Delle in der Wirtschaftsentwicklung, um daraus nach Möglichkeit erschreckende Nachrichten zu produzieren. Dabei müßte doch Einverständnis darüber zu erzielen sein, daß Schwankungen in der wirtschaftlichen Entwicklung etwas völlig Normales sind. Selbstverständlich — das betone ich — muß man sie beachten und in geeigneter Weise darauf reagieren. Aber dies geschieht bereits seit Beginn dieser Legislaturperiode. Wenn Sie so wollen, kommt jetzt nach der Notoperation, nach der Nachbehandlung, nach der Stabilisierung die Vorsorgephase, die mit der Strukturreform in der Rentenversicherung rechtzeitig abgeschlossen werden wird.Für die CDU/CSU-Fraktion erkläre ich hier ausdrücklich nochmals unsere Bereitschaft zu einer gemeinsamen Sachpolitik in der Rentenfrage. Die Aus-
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4232 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Fuchtelgangspunkte von Koalition und SPD für die Rentenreform scheinen sich noch zu entsprechen, Erhaltung der Rentenversicherung als lohn- und beitragsbezogene Lebensstandardsicherung, aber der Rest wird, wie ich feststellen mußte, bereits schwierig. So haben Sie, Herr Kollege Dreßler, erst vor kurzem, am 9. Januar 1988, vor dem sogenannten Kocheler Kreis zur Rentenreform gesprochen und dabei ausgeführt: Erstens. Es müssen Besitzstände innerhalb des Alterssicherungssystems umverteilt werden.
Diese Terminologie deutet bereits auf die Absicht der Gleichmacherei hin und ist mit uns nicht zu machen.
Zweitens. So geht es dann auch gleich weiter im Text: Das Alterssicherungssystem müsse sich weitgehend von dem herkömmlichen berufsständischen Ordnungsmodell lösen. Alle Bürger sollten in einem Alterssicherungssystem erfaßt werden, führen Sie weiter aus. Hierzu sagen wir: Bemühungen um eine Harmonisierung der Alterssicherung: ja; Vereinheitlichung und damit Zerschlagung der heutigen Gliederung: nein.
Drittens wird dann der Wertschöpfungsbeitrag der Arbeitgeber gefordert, auch Maschinensteuer genannt. Dieser Vorschlag läuft auf eine Behinderung der Rationalisierung und des technischen Fortschritts hinaus. Der Vorschlag verwundert aber überhaupt nicht, denn er liegt ganz in der Linie der SPD-Politik und deren Programmatik. Der Vorschlag ist nicht nur ungeeignet, sondern auch gefährlich. Seine Verwirklichung würde nämlich im Endergebnis Arbeitsplätze gefährden und vernichten und genau jener Entwicklung entgegenwirken, die wir dringend benötigen, um die Probleme zu bewältigen, die sich aus der demographischen Entwicklung ergeben.Der Vorschlag einer Maschinensteuer ist ebenso kontraproduktiv wie der Versuch, Arbeitszeitverkürzungen herbeizuführen, die nach aller Erfahrung nicht oder nur unter großen sozialen Spannungen reversibel sind. Ich meine die Wochenarbeitszeitverkürzung.Viertens. Wer diese beiden Vorschläge — Maschinensteuer und Wochenarbeitszeitverkürzung — verficht, belegt somit seine Unfähigkeit zur Bewältigung der Herausforderungen in der Alterssicherung. In diesen Tagen wird es in der Diskussion wieder deutlich, wo es um die Frage der Wochenarbeitszeitverkürzung geht und diese durch einen Streik erzwungen werden soll. Das wird sich auf jeden Fall auf die Rentenversicherung und den Rentner auswirken, und zwar negativ und bereits in den nächsten Jahren. Denn diese Arbeitszeitverkürzung überführt Zuwächse der Produktivität zumindest teilweise nicht in höhere Einkommen, sondern lediglich in ein Mehr an Freizeit.Hieraus werden aber keine Beiträge zu den Sozialversicherungssystemen geleistet.
Dieses Beitragsmanko hat sich bereits auszuwirken begonnen. Wenn man nach den weiteren Ursachen sucht, so findet man hier eine der ungünstigen Entwicklungen schon in der mittelfristigen Finanzierung der Rentenversicherung begründet.Fünftens wird dann die Einführung einer umfassenden sozialen Grundsicherung gefordert. Demgegenüber formuliert die Koalitionsvereinbarung ausdrücklich eine Absage an die Einheitsrente, an eine Grundrente oder an eine bedarfsabhängige Rente. Bei allem, was wir diskutieren, muß vor einer gefährlichen Vermischung des Rentensystems gewarnt werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?
Ich habe vorhin schon gesagt: Das machen wir bei der zweiten und dritten Lesung; dann haben wir noch mal Gelegenheit.Das Rentensystem beruht eben auf dem Versicherungsgedanken, und die Sozialhilfe beruht auf dem Fürsorgegedanken. Das ist der Unterschied. Durch eine Vermischung wird, gewollt oder ungewollt, der Gedanke der Einheitsversorgung gestärkt. Es wäre verfassungsrechtlich zumindest bedenklich, sozusagen eine schlechte und eine bessere Sozialhilfe zu gewähren.Ich möchte nun noch einige Bemerkungen zum Bundeszuschuß machen. Der Bundeszuschuß muß dazu beitragen, die entstehenden Belastungen in der Rentenversicherung auf Bund, Beitragszahler und Rentner ausgewogen zu verteilen. Über den Bundeszuschuß trägt der Steuerzahler an den Lasten bekanntlich mit. Eine übermäßige und damit nicht mehr ausgewogene Bemessung des Bundeszuschusses kann es aber nicht geben. Dadurch würde die Beteiligung der Allgemeinheit an den Leistungen der Rentenversicherung — also Grundsicherungs-Vorstellungen — gefördert. Die Vorschläge des Verbands deutscher Rentenversicherungsträger, wonach der Bundeszuschuß auf mindestens 20 % der Rentenausgaben angehoben werden sollte, sind bei einer Abwägung nicht von der Hand zu weisen. Das möchte ich hier deutlich sagen. Der Bundeszuschuß sollte ferner aber gemäß der Entwicklung der Rentenausgaben und der Beitragssätze fortgeschrieben werden, damit sich Bundeszuschuß und Rentenausgaben nicht erneut, wie in der Vergangenheit geschehen, auseinanderentwickeln können.Nun noch ein Wort zur Lebensarbeitszeit. Daß die Finanzsituation der Rentenversicherung immer wieder in der politischen Diskussion war und ist, hängt besonders mit den langen Rentenlaufzeiten zusammen. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter wurde immer niedriger, die Lebenserwartung immer höher — trotz der Umwelthysterie. Selbstverständlich verkenne ich nicht das Spannungsverhältnis zwischen Renteneintrittsalter und dem bestehenden Niveau der Arbeitslosigkeit. Aber nach einem mittelfristigen Zeitraum wird dieser Gesichtspunkt immer mehr an Bedeutung verlieren. Die Rentenlaufzeiten
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4233
Fuchtel— oder, anders gesagt: das Rentenvolumen in der Gesamtlaufzeit — werden dann abnehmen müssen. Unter dieser Voraussetzung werden flexible Obergänge vom Arbeitsleben in den Ruhestand kräftig an Bedeutung gewinnen.Aber hier liegen nicht nur Herausforderungen innerhalb der Rentenversicherung, sondern ebenso hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitswelt. Ein allmähliches Herausgleiten aus dem Berufsleben muß nicht nur — einseitig — finanziell, sondern vor allem auch im Gewinn an Lebensqualität attraktiv werden. Bei aller Klarheit, die im Zusammenhang mit der Lebensarbeitszeit in Zukunft geschaffen werden muß, damit sich die Betroffenen langfristig einrichten können, darf das Thema nicht einseitig unter dem finanziellen Aspekt behandelt werden. Heute klagen viele über den abrupten Übergang in den Ruhestand und — selbst bei finanziell guter Ausstattung — über den das Empfinden verletzenden Umstand, lange vor der Zeit zum „alten Eisen" aussortiert zu sein.Hier liegen Chancen für Verbesserungen im Sinne von mehr Humanität, wie wir das Augenmerk überhaupt viel stärker auf die Chancen richten sollten, die jeder Wandel — so auch dieser — enthält. Wir werden eine funktionsfähige Alterssicherung nicht nur bewahren, sondern die Herausforderungen der Demographie auch in Verbesserungen der Lebenssituation des einzelnen umlenken.
Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Fuchtel hat mit den amtlichen Zahlen des Rentenanpassungsberichts etwas eigenartig argumentiert. Er wirft uns vor, daß wir diese Zahlen verwenden. Er sagt aber gleichzeitig, das seien Modellrechnungen, die möglich seien. Wenn nun ein Sozialdemokrat davor warnt, möglicherweise in fünfzehn Jahren Defizite von mehr als 300 Milliarden DM aufzutürmen,
wie die Regierung es uns in einer amtlichen Drucksache vorlegt, dann spielen wir in leichtfertiger Weise mit dem Vertrauen der Versicherten! Herr Kollege Fuchtel, ich glaube, das ist eine schlimme Polemik, die Sie sich hier haben zuschulden kommen lassen.
Sie haben die falschen Aussagen des Bundesarbeitsministers wiederholt, die Renten seien sicher. Sie haben sich dann auf Zahlen hinsichtlich der Mindestschwankungsreserve aus den Jahren 1987 und 1988 bezogen. Herr Kollege Fuchtel, warum sind Sie nicht auf die Zahlen von 1990 und 1991 eingegangen? Das sind doch die Zahlen, die uns heute interessieren müssen, wenn wir die Renten sicher machen wollen.
— Ja, Herr Kollege Blüm, es reicht halt nicht, etwas in die Regierungserklärung hineinzuschreiben, anzukündigen und die Vorlage dann Monat für Monat hinauszuschieben und das Parlament sowie die Öffentlichkeit im ungewissen zu lassen, weil Sie auf Grund der Finanzpolitik von Herrn Stoltenberg keinerlei Zusage zu machen in der Lage sind.
Ich will noch einmal betonen, daß die Rentensteigerung um knapp 3 % zum 1. Juli diesen Jahres von uns begrüßt wird; das ist gut.
Aber kann uns das, lieber Herr Kollege Kolb, über die desolate Finanzlage in der Rentenversicherung hinwegtäuschen? „Desolat" sage ich nicht nur, Herr Fuchtel, weil die finanzielle Situation kontinuierlich schwieriger wird, sondern vor allem auch, weil — wie Ihr Nichtstun beweist — die Bundesregierung als Folge früherer Fehlentscheidungen die Kontrolle über ihre eigene Rentenpolitik zunehmend verliert.
Ich will das begründen. Mit insgesamt vier Kürzungsgesetzen hat diese Regierung seit 1982 an den Renten herumlaboriert. Dabei wurden an den Rentnern Milliarden eingespart. Allein durch die Verschiebung der Anpassung, die Aktualisierung der allgemeinen Bemessungsgrundlage und durch den Rentner-Krankenversicherungsbeitrag werden im lauf enden Jahr 1988 nicht weniger als 17 Milliarden DM weniger ausgegeben, als nach früherem Recht fällig gewesen wären. Andere, im Einzelfall viel höhere Einschnitte wie die Streichung von Ansprüchen auf Erwerbsunfähigkeitsrenten habe ich dabei nicht mitgerechnet.
Herr Kollege Heyenn, Sie gestatten eine Zwischenfrage? — Bitte schön.
Herr Kollege Heyenn, können Sie bestätigen, daß, wenn ein Gleichklang von frei verfügbaren Arbeitnehmereinkommen und Rentensteigerungen richtig ist — so wie Sie es ja auch verlangen — , in dieser Zeit genau dieses geschehen ist oder, anders ausgedrückt: daß nur, wenn ich bei einer uneingeschränkten bruttolohnbezogenen Anpassung geblieben wäre, Ihre Rechnung richtig ist?
Herr Kollege Cronenberg, es handelte sich nicht nur um den Gleichklang, sondern um die Verschiebung der Anpassung. Es handelte sich um die Aktualisierung. Es handelte sich letztendlich auch darum — ich will das mit aller Deutlichkeit sagen — , daß diese Entlastungen sinnlos gewesen sind; denn diese Regierung hat sie nicht zurückgelegt, um den Problemen der Rentenversicherung gerecht zu werden, sondern sie hat sie für Vermögensteuersenkung, für die Steuerreform ausgegeben.
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4234 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blüm.
Herr Abgeordneter Heyenn, wenn wir nicht gespart hätten, wären die Rentenfinanzen dann besser oder schlechter?
Herr Kollege Blüm, Sie haben doch gespart, z. B. durch die Kürzung der Beiträge der Arbeitslosen an die Rentenversicherung,
um den eigenen Haushalt zu sanieren, um eine Umverteilung von unten nach oben durchzuführen.
Sie haben den Bundeshaushalt entlastet.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege Heyenn?
Ja.
Habe ich Sie richtig verstanden? 17 Milliarden DM, sagen Sie, fehlen den Rentnern durch die Sparmaßnahmen. Deshalb wiederhole ich meine Frage: Hätten wir in der Rentenversicherung nicht die 17 Milliarden DM gespart, die Sie beklagen, wären die Finanzen dann besser oder schlechter? Ich bitte Sie, diese Frage zu beantworten.
Herr Kollege Blüm, Sie haben um 17 Milliarden DM gekürzt. Einen Teil dieser Kürzungen halten wir für richtig. Wir halten es aber nicht für richtig — ich wiederhole mich — , daß Sie den Bundeshaushalt um Milliardenbeträge entlastet haben zur Umverteilung in der Gesellschaft und zu Lasten der Rentner.
Wenn wir dieses Geld noch in den Kassen hätten ohne den Aderlaß der Rentenversicherung, wären die Rücklagen heute wesentlich höher.
Aber trotz der massiven Einschnitte steht uns die Rentenkrise noch bevor, und sie rückt immer näher. Damit kommt mit Sicherheit auch die Stunde der Wahrheit für Ihre Rentenpolitik, Herr Blüm. In dem Umfang, in dem im Verlauf des Konjunkturabschwunges das Vermögen der Rentenversicherung zusammenschmelzen wird, wird sich das bewahrheiten, was ich soeben gesagt habe, daß nämlich ein Großteil der Konsolidierungsmaßnahmen in der Vergangenheit verbraucht wurde. Die Zumutbarkeiten für die Beitragszahler sind durch die zurückliegenden Spargesetze weitgehend ausgeschöpft, ebenso für die Rentner. Bei Rentnern und Beitragszahlern ist nicht mehr zu holen, wenn in zwei Jahren endgültig die Phase stark ansteigender Belastungen des Rentensystems beginnt.Der Dreh- und Angelpunkt der Reform ist nun, inwieweit der Bundeshaushalt in größerem Umfang zur Finanzierung beitragen kann. Wir brauchen einenwesentlich höheren Bundeszuschuß. Wie soll sich aber der Finanzminister dieser Koalitionsregierung dazu bereitfinden können?
Bei explosiver Schuldenaufnahme — allein 1988 voraussichtlich weit mehr als 45 Milliarden DM, weit mehr als 15 Milliarden DM Plus gegenüber dem erst vor drei Monaten verabschiedeten Haushaltsplan —, bei zunehmender Arbeitslosigkeit, bei abzusehenden Defiziten in Milliardenhöhe bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, bei steigenden Krankenversicherungsbeiträgen, bei ungelösten Agrarproblemen und bei zunehmenden, bei anzuhebenden Beiträgen zur Europäischen Gemeinschaft, bei den Problemen im Bereich Kohle und Stahl und bei den bereits fest eingeplanten Steuersenkungen gibt es — so behaupte ich hier — für eine aktive und gestaltende Sozialpolitik, zu der die Erhöhung des Bundeszuschusses eindeutig gehören würde, nicht mehr den geringsten Spielraum.
Der Arbeitsminister hat, so meine ich, weil er die Einsparungen anderweitig durch diese Regierung hat verpulvern lassen, eine abenteuerlich leichtfertige Rentenpolitik betrieben, und das rächt sich jetzt. Norbert Blüm hat die Rentenkassen zum Blutspender für die wirtschaftsliberale Haushalts- und Steuersenkungspolitik herunterkommen lassen. Er hat es versäumt, rechtzeitig die umfassende und langfristig tragende Rentenreform auf die Beine zu stellen; das wäre aber möglich gewesen, als die Finanzlage des Bundes noch günstiger war, als die Spielräume noch nicht für die steuerpolitischen Abenteuer des Herrn Stoltenberg verplant waren.Wir haben immer eine umfassende Reform gefordert. Wir haben sie vergeblich gefordert. Der Arbeitsminister hat sie vertagt und verschoben. Er hat statt dessen seine Zuflucht in kurzfristigen Manipulationen gesucht. Jetzt wird derselbe Arbeitsminister erleben, daß seine immer wieder angekündigte Rentenreform — immer und immer wieder angekündigt, ohne daß dem Taten gefolgt sind — in den Strudel der Haushaltskrise hineingezogen und zerrieben wird.Eine Rentenreform, die diesen Namen verdient, ist noch möglich. Sie setzt aber voraus, daß diese Regierung gleichzeitig ihre gesamte Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik revidiert. Und es handelt sich nur dann um eine Reform, wenn sich dieses Gesetz nicht darauf beschränkt, Löcher zu stopfen, sondern wenn das Alterssicherungsysstem insgesamt in seinen Strukturen reformiert wird.Wir haben Ihnen — der Kollege Dreßler hat darauf hingewiesen — wiederholt Gemeinsamkeit angeboten. Noch stehen wir zu diesem Angebot,
obwohl von seiten des Arbeitsministers bisher nichts Konkretes vorgelegt wurde. Werden Sie konkret, Herr Bundesarbeitsminister, und besorgen Sie sich die Zusage zur erforderlichen Anhebung des Bundeszuschusses!
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4235
HeyennIch sehe ein, es wird nicht leicht sein, einem nackten Finanzminister in die Tasche zu greifen,
Aber ich möchte Sie auch warnen: Wenn dieses Kunststück nicht gelingt, dann stehen die Biedenköpfe auf der Matte; der Vertrag der Generationen wird zerstört; 100 Jahre solidarische Rentenversicherung stehen auf dem Spiel, sie werden dann Vergangenheit sein, und die Alterssicherung der Mehrheit unserer Bevölkerung wird für höhere Einkommen einer begüterten Minderheit geopfert worden sein.Lassen Sie mich einiges zu unseren Vorstellungen sagen. Folgende Ziele muß eine Strukturreform umfassen:Erstens.
Die lohn- und beitragsbezogene Alterssicherung muß langfristig erhalten werden.
— Herr Kollege Kolb, ich möchte darum bitten, daß die CDU hier nicht zur Begriffsverwirrung bei den Rentnern beiträgt,
indem sie in Programmentwürfen neuerdings von „leistungsgerechter Rente" spricht, nicht mehr von beitrags- und lohnbezogener Rente.
Vielleicht sollten Sie, Herr Bundesarbeitsminister, einmal das lesen, was Ihre Partei veröffentlicht.Das zweite Ziel: Wir wollen künftige finanzielle Belastungen ausgewogen auf Beitragszahler, Rentner und Staat verteilen. Ich erwarte Beifall, Herr Kolb, denn da stimmen wir überein.Wir wollen aber drittens das Rentensystem so weit wir möglich vorbeugend vor dem Einfluß wirtschaftlicher Schwankungen abschirmen und vor politischer Willkür schützen.
Wir wollen viertens die Einkommenssituation schlecht versorgter älterer Mitbürger und Mitbürgerinnen gezielt und nachhaltig verbessern.
Wir wollen fünftens mehr Gerechtigkeit im Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Alterssicherungssystemen, und zwar wollen wir sie herstellen mit dem Ziel, daß unter Wahrung der jeweiligen Eigenständigkeit gleiche soziale Tatbestände auch gleich behandelt werden.
Wir wollen, daß alle Bürgerinnen und Bürger bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zur Finanzierung herangezogen werden.
Es geht uns bei der finanziellen Stabilisierung auch um die Wiederherstellung der vollen Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit. Wichtig ist eine neue Rentenformel, die die Funktionsfähigkeit des Generationenvertrages auch für den Fall einer sich verändernden Relation von Beitragszahlern und Rentnern weiter sichert. Wir müssen den Bundeszuschuß mit der Beitragssatzentwicklung verknüpfen, und es ist notwendig, den Bundeszuschuß zunächst auf mindestens 20 % der Rentenausgaben anzuheben.Erforderlich ist weiter eine Neuordnung der beitragslosen Zeiten, wobei wir das früher weitgehend anerkannte Beitragsdichtemodell nochmals im Hinblick auf seine problematischen Verteilungswirkungen überprüfen wollen.Darüber hinaus sind notwendig: Ausbau der Rente nach Mindesteinkommen, Teilkorrektur der Verschlechterung bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten, Aufhebung der Geringfügigkeitsgrenze, Wiederanhebung der zu leistenden Rentenversicherungsbeiträge für Schwerbehinderte in Werkstätten und der Einstieg in die Anrechnung von Pflegezeiten.
Zentrale Bedeutung hat für uns der Ausbau einer zuverlässigen Grund- oder Mindestsicherung, und zwar ohne Inanspruchnahme der Institution Sozialhilfe und auch innerhalb des regulären Alterssicherungssystems. Dafür gibt es drei Begründungen.Erstens. Nur durch eine zuverlässige Grundsicherung läßt sich Altersarmut verhindern, die andernfalls als Folge der Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt und des Umbruchs im Familienmuster zwangsläufig anwachsen würde.Zweitens. Die Verstärkung von Mindestsicherungselementen im Rentensystem ist die notwendige soziale Flankierung für die Begrenzung des Nettorentenniveaus auf den heutigen Stand.Drittens. Wenn das beitrags- und lohnbezogene Versicherungssystem in Zukunft in immer größerem Umfang — siehe Bundeszuschuß — durch Einsatz von Steuermitteln finanziell gestützt wird, dann ist dies verteilungspolitisch auf die Dauer überhaupt nur zu vertreten, wenn der Staat gleichzeitig jedem Bürger und jeder Bürgerin wenigstens ein Alterseinkommen in einer angemessenen Höhe garantiert.
— Dazu komme ich.Wir haben unser Konzept präzisiert und der Öffentlichkeit vorgestellt. Erfreulicherweise treffen wir auf Zustimmung bei einer Minderheit der Union und der FDP, und Frau Unruh, mit den GRÜNEN haben wir Berührungspunkte. Um so wichtiger wäre es, daß sich nun endlich auch der Bundesarbeitsminister und die etablierten Sozialpolitiker der Koalition wie Elmar Kolb ernsthaft, Elmar, und ohne ideologische Scheuklappen mit unseren Vorschlägen befassen.
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4236 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
HeyennSie sollten, meine Damen und Herren, endlich einmal zur Kenntnis nehmen, daß die soziale Grundsicherung nach unseren Vorstellungen in keinem Fall die durch Beiträge erworbenen Rentenansprüche antastet.
Die soziale Grundsicherung soll als eigenständige und steuerfinanzierte Sozialleistung des Bundes ausgestaltet werden. Sie wird lediglich von der Rentenversicherung im Auftrag durchgeführt. Vorwürfe, daß damit das Versicherungsprinzip gefährdet sei, Herr Kollege Cronenberg, sind, wie wir meinen, deshalb völlig haltlos.
Herr Geißler hat das erkannt. Herr Blüm hat es noch nicht gemerkt. Im Programmentwurf der Union für Ihren Parteitag im Jahre 1988 wird unsere Forderung nach einer sozialen Grundsicherung aufgegriffen. Wenn die CDU dem zustimmt — vielleicht fehlt an dem Tag dann ja der Herr Blüm — , dann will ich herzlich gratulieren, denn dann haben Sie hier schnell von allen anderen, die dies fordern, gelernt.Für uns ist ein wesentliches Reformelement auch die Einführung eines Wertschöpfungsbeitrages. Dabei geht es einerseits um die Flankierung der Altersversorgung gegenüber den Risiken der technologischen Entwicklung. Zum anderen dürfen die zusätzlichen Belastungen des Generationenvertrages nicht allein, Herr Kollege Fuchtel, dem Faktor Arbeit zugerechnet werden, dürfen nicht allein in steigende Versicherungsbeiträge umgelegt werden. Deshalb muß unser Versicherungssystem unbedingt zusätzlich abgestützt werden, um die lohnbezogenen direkten Beiträge in erträglichen Grenzen zu halten. Das muß durch den Wertschöpfungsbeitrag, das muß aber auch durch einen höheren Bundeszuschuß geschehen.Ob es nun eine langfristig wirklich tragfähige Reform der Alterssicherung gibt, das entscheidet sich nicht zuletzt bei der Frage der Alterssicherungssysteme und ihrer Harmonisierung. Die Verschiebungen im Altersaufbau — da habe ich von Herrn Blüm, von Herrn Fuchtel und von Herrn Cronenberg nichts gehört; die stellen sich den Problemen nicht — betreffen nicht nur Arbeiter und Angestellte, sondern die gesamte Gesellschaft.
Deshalb müssen die Angehörigen der verschiedenen Altersicherungssysteme solidarisch zur Sicherung der Altersversorgung beitragen, zumal in den Sondersystemen häufig ohnehin eine bessere Versorgung geboten wird, oftmals ohne eigene Beitragsleistungen.
— Ich komme dazu. — Denn nur wenn die Lasten auf möglichst viele Schultern verteilt werden, wird das System der einkommens- und beitragsbezogenen Alterssicherung auf lange Sicht überleben können.Folgende Schritte — Herr Kollege Kolb, es wird konkreter — zur Harmonisierung möchte ich zur Diskussion stellen:Erstens. Schrittweise Einführung eines offenen Altersversorgungsbeitrages der Beamten entsprechenddem Arbeitnehmerbeitrag zur Rentenversicherung, jedoch ohne Beitragsbemessungsgrenze und verbunden mit einem nach Besoldungsgruppen gestaffelten Bruttoausgleich.Zweitens. Linearisierung der Pensionsformel in der Beamtenversorgung mit einem einheitlichen Steigerungssatz, der bewirkt, daß die volle Höchstpension von 75 % erst nach 45 Dienstjahren erreicht wird, bei gleichzeitiger Einführung einer vollen Zurechnungszeit und der vollen Anerkennung von sonstigen beitragslosen Zeiten wie in der Rentenversicherung.Drittens. Angleichung der Altersgrenzen und der Nebenverdienstgrenzen.Viertens. Einführung eines Rechtsanspruchs auf medizinische und berufliche Rehabilitation und des Grundsatzes „Rehabilitation vor Versorgung" und die Angleichung des Begriffes „Dienstunfähigkeit" an den Begriff „Berufsunfähigkeit" in der Rentenversicherung.Fünftens. Vermeidung von Doppelmitgliedschaften in Beamtenversorgung und Rentenversicherung und Wegfall der Notwendigkeit, Pensionen und Renten nach § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes zu verrechnen.Sechstens. Reform der Altershilfe der Landwirte durch Angliederung des Beitrags- und Leistungsrechts an die allgemeine Rentenversicherung — Herr Eigen horcht auf — und Umwandlung der heute in diesem System versteckt gezahlten massiven Einkommenssubventionen in einen offenen und sozial gestaffelten Beitragszuschuß an Landwirte — keine Kürzung der heute zur Verfügung stehenden Mittel.In der Bundesrepublik, meine Damen und Herren, gibt es Massenarbeitslosigkeit; keiner wird das leugnen. Deshalb ist es unverantwortlich, bei 2,5 Millionen registrierten Arbeitslosen heute aus finanziellen Erwägungen über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu sprechen.
Es ist doch aberwitzig, mit einer solchen Maßnahme Löcher in der Rentenversicherung stopfen zu wollen und andere Löcher im Bereich der Arbeitslosigkeit aufzureißen. Mit uns — das sage ich ganz deutlich — kann über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit so lange nicht einmal diskutiert werden, wie hier in der Bundesrepublik Massenarbeitslosigkeit besteht.Wir erwarten — leider hat die heutige Debatte nicht dazu geführt, weil wir Vorstellungen von der Regierungskoalition und vom Bundesarbeitsminister nur in Andeutungen gehört haben — eine Auseinandersetzung mit unseren Vorschlägen. Wir erwarten den in der Rentenversicherung angekündigten höheren Bundeszuschuß. Wir sagen: Dieser muß 1990 wirksam werden. Wenn das nicht zu schaffen ist, wird unsere solidarische Rentenversicherung zerstört; dann wird, so meinen wir, eine Rentenversicherung zerstört, die Bestandteil der Lebensplanung jedes einzelnen ist und somit einen erheblichen Beitrag zur individuellen Freiheit leistet.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4237
HeyennHerzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kolb.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Jahre wieder — so könnte man sagen — wird das gleiche Ritual abgezogen; Herr Dreßler, ich meine auch Sie damit. Die Argumente und Argumentationshilfen ließen sich eigentlich schon numerieren. Ich sage das jetzt nicht für die eine oder andere Partei. Man könnte, betrachtet man die Rentendebatten der letzten zehn Jahre, sagen: Die jeweilige Opposition hat die einen Argumente gebracht, die wir heute gehört haben, und die jeweilige Regierung hat die anderen gebracht, die wir heute auch gehört haben.
Die Regierung hat sich stets bemüht — das muß man deutlich sagen —, das, was war, besser zu verpacken, und die jeweilige Opposition hat versucht, diese Verpackung auseinanderzureißen.Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren— ich möchte damit das aufnehmen, was der Kollege Heyenn eben gesagt hat — , haben wir uns eigentlich alle einmal verantwortungsvoll hier hingestellt und uns bemüht, die Langfristigkeit gemeinsam anzugehen? Lieber Herr Dreßler, da habe ich aus der letzten Gesundheitsdebatte noch in Erinnerung, daß Sie erklärt haben: Es gibt eine AOK mit 16,6 %.
Heute sagen Sie: Jetzt wollt ihr die Rentner mit einem höheren Beitrag beteiligen. Gehen Sie heute in eine AOK-Versammlung, sagt Ihnen der jeweilige Geschäftsführer: Würden wir nicht die überhöhten Leistungen für die Rentner bezahlen müssen, hätten wir 3 bis 4 Prozentpunkte weniger Beiträge für die Aktiven.
Da kommen sie schon in eine gewisse Diskussion.
— Ich habe gesagt: 3 Prozentpunkte, erklären die, müssen die Aktiven als Ausgleich zusätzlich bezahlen. Das stimmt.Herr Dreßler, zu den astronomischen Zahlen, die Sie vorgerechnet haben.
Von 1982 bis heute
— man sollte einmal zuhören, auch wenn es einem nicht gefällt — hat sich die Zahl der Rentenfälle um1,9 Millionen erhöht. Selbst wenn Sie nur 500 DM pro Rentenfall rechnen würden, ist das eine jährliche Mehrbelastung von 10 Milliarden DM. Wenn Sie mit 1 000 DM rechnen, sind das 20 Milliarden DM. Weil immer so mit 0,1 Punkten hantiert wird: 0,1 Prozentpunkte, Frau Unruh — nicht mit Zinsen gerechnet — ergeben in zehn Jahren eine Mehrbelastung oder ein Weniger von 10 Milliarden DM. Bei einem Prozentpunkt — deswegen gestern meine Frage zu den Zinsen — wären es nach meiner Rechnung 100 Milliarden DM.Auch das möchte ich noch zu Ihnen sagen, Frau Unruh: Von den 14,5 Millionen Rentenfällen haben rund 7 Millionen 20 Versicherungsjahre und weniger. Es gibt eine Menge Leute, die eine Art Taschengeldrente bekommen — Berufskollegen von mir, Handwerker — , die als Lehrling und Geselle einmal Beitrag gezahlt haben,
die heute 400 DM, 450 DM kriegen. Es geht hier um den Bereich des § 55. Deswegen können wir nicht jede kleine Rente als eine Rente betrachten, die der Altersversorgung dient.
— Wenn wir uns über Renten mit 45 Jahren unterhalten, Frau Unruh, werden wir ein ganz anderes Diskussionsfeld bekommen. Dann haben wir uns nämlich über rund 4 Millionen Renten zu unterhalten. Die anderen sind Renten mit weniger Versicherungsjahren. Man muß auch einmal das Haushaltseinkommen sehen, das stellenweise eben auch nur 400 DM beträgt.
Ich sage nur: Wir würden besser tun, wenn wir miteinander fairer umgingen und uns nicht immer so strapazierten.
Nun lassen Sie mich auch für die Zukunft etwas sagen: Es gibt jetzt die Diskussion, ob 3 %, 2,9 % oder 2,8 % richtig sind. Ich habe mit Grinsen zur Kenntnis genommen, daß das Statistische Bundesamt einen Tag nach Beginn des Jahres 1988 erklären konnte, wie hoch die Bruttolohnsteigerung 1987 war. Am 15. Februar 1988 haben die Betriebe die letzte Lohnmeldung für 1987 abgegeben. Also selbst wenn die ganz schnell schafften, wären die frühesten Ende März in der Lage, verläßliche Daten zu bringen.Ich kann das an einer ganz anderen Sache hervorragend beweisen: Sie haben vorhin das Thema Quellensteuer genannt. Selbst wenn die Quellensteuer nicht kommt, eines hat sie schon gebracht: Es gibt eine ganze Menge Gruppen in diesem Staate, die bei jeder Gelegenheit die Unternehmergewinne als das Böse hingestellt, gemeint haben, die Unternehmergewinne seien so drastisch gestiegen. Und jetzt kommt heraus, daß an den 170 Milliarden DM Zinsgewinnen, die in diesen Unternehmergewinnen drinstecken, auch die Kirchen und der DGB beteiligt sind. Und alle
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4238 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Kolberklären: Mich darfst du doch nicht in Sachen Unternehmergewinne hineinnehmen.
Ich finde gut, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir endlich mal wieder zu vernünftigen Zahlen kommen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich an den englischen Premier Disraeli erinnern. Der hat einmal, als ihn ein Abgeordneter auch so mit Statistiken niedermachen wollte, gesagt: Gentlemen, es gibt drei Arten von Lügen: die Lüge, die hundsgemeine Lüge und Statistiken. — Wir sollten uns in Zukunft ein bißchen daran halten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler?
Bitte schön.
Herr Kollege Kolb, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mich auf eine Drucksache des Deutschen Bundestages bezogen habe, die die Unterschrift des amtierenden Arbeitsministers trägt, und wären Sie insoweit geneigt, Ihre ganzen Beschimpfungen mir gegenüber auf die rechte Seite, auf Ihren Herrn Minister, zu lenken?
Lieber Herr Dreßler, ich habe, wenn Sie gut zugehört hätten, erinnerten Sie es— aber da waren Sie so intensiv in der Diskussion mit Ihren Kollegen —, zu Beginn gesagt: Seit zehn Jahren läuft das gleiche Ritual. Seit zehn Jahren kommen die gleichen Rentenanpassungsberichte aus dem Haus dort oben, wo mit Akribie statistische Zahlen zusammengetragen werden. Ich kann mich erinnern, daß ein Herr Dreßler Staatssekretär war und dann diese mit Akribie zusammengetragenen Zahlen genauso verteidigt hat. Deswegen habe ich gesagt, wir sollten die Vergangenheit lassen und uns gemeinsam ein vernünftiges Zukunftskonzept erarbeiten.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir uns — und das geht an den Bundesarbeitsminister — ein verläßliches Konzept schaffen, wie wir in Zukunft brutto oder netto errechnen. Aber sich auf das Statistische Bundesamt zu verlassen, halte ich wirklich für Kaffeesatzleserei. Da war die Frau Buchela in der Vergangenheit mit ihrer Kaffeesatzleserei wesentlich besser, als es manchmal die heutigen Daten sind.
— Nein. Lieber Herr Dreßler, mir ist die Frage der Rentenversicherung deswegen so ernst, weil ich zwei Töchter habe, die in der Zwischenzeit dort auch Beiträge zahlen. Ich habe meinen Töchtern gesagt, mit mir gehe eine Rentenreform nicht, die ihnen nicht garantiere, daß sie von ihren heute geleisteten Beiträgen noch einmal etwas wiedersehen. Das halte ich für uns alle für eine wichtige Aufgabe. Da lasse ich mich nicht über den Leisten ziehen, ob das nun die eine oder die andere Partei ist. Wir können der heutigen jungen Generation nicht sagen: Zahlt Beitrag, und in 20 Jahren: Wir haben uns geirrt.
— Mein lieber Freund Günter Heyenn, ich kann auch in meiner eigenen Partei zukunftweisende Politik betreiben. Wir stehen vor einer solchen gravierenden Veränderung im demographischen Aufbau, daß wir auch in der Frage der Rentensicherung nicht den nächsten Wahltermin im Auge haben, sondern das Jahr 2000 oder 2010 betrachten und dann fragen sollten, wie wir das tun wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, das gilt auch für Sie. Wenn Sie den Bundeszuschuß als Deus ex machina, also als Helfer aus der Notlage, ansehen, dann muß ich Sie fragen: Wollen Sie eigentlich nie mehr regieren? Stellen Sie sich einmal vor, was Sie alles vom Bundesfinanzminister verlangen. Wenn Sie den Bundeszuschuß gegen unendlich treiben, dann kann sich dieser Bundesfinanzminister den Strick nehmen und sich aufhängen.
— Liebe Frau Unruh, dies wäre der Fall, wenn er Ihren Wünschen folgen würde.
Aber Gott sei Dank tut er das nicht, Gott sei Dank macht er eine verantwortungsvolle Politik.Wenn wir schon bei der Zukunft sind, dann sollten wir gemeinsam überlegen, und wir sollten uns nicht mit gegenseitigen Beschuldigungen aus der Vergangenheit überziehen. Wir sollten wirklich fragen: was geschieht, wenn ... Sie wissen, wir können heute schon ausrechnen, wie viele 65jährige wir Mitte des nächsten Jahrhunderts wahrscheinlich haben. Wir wissen auch, wie viele 15jährige und 20jährige wir bis zum Jahre 2010 ungefähr haben. Aber wir können doch eines nicht tun: Wenn sich die Zahl der Rentner verdoppelt, während sich die Zahl der Aktiven verringert, können wir nicht gleichzeitig hoffen, man brauche nur eine Quelle zu finden, die man anbohren könne, Maschinensteuer oder sonstwie genannt.
— Entschuldigen Sie, das Anbohren von Quellen ist manchmal leicht,
aber ob die Quellen dann laufend sprudeln, ist eine wesentlich schwierigere Angelegenheit.
— Liebe Frau Unruh, wissen Sie, es hat doch keinen Wert, Sie haben vorhin einmal gesagt, das sei Politik für die Dummen. Ich muß Ihnen das jetzt einmal zurückgeben. Ich habe die Art und Weise, wie Sie argu-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4239
Kolbmentieren, satt. Sie wollen nicht, daß die Leute den Sachverstand haben, sondern Sie hauen das einfach so hin. Hauptsache ist für Sie: ich bringe die Leute auf die Barrikaden;
wie ich sie wieder herunterbringe, ist eine ganz andere Angelegenheit.
— Liebe Frau Unruh, Sie können auch über Pensionen reden. Pensionen sind eine nach dem Beamtenrecht abgesicherte wohlerworbene Versorgung. Weil Sie heute eine andere Meinung haben, können Sie nicht erklären, daß die Beamten nicht das Recht hätten, eine gesicherte Altersversorgung zu bekommen.
Ich muß jetzt umgekehrt fragen: Wieso wollen Sie jemandem, der in seinem ganzen Leben nicht gearbeitet hat, plötzlich eine sichere Altersversorgung geben? Ist das eigentlich vernünftig? Ich glaube nicht.
— Ich kenne eine ganze Menge.
Noch hat der Herr Kolb hier das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen wir uns einmal die Umfragen unter jungen Menschen an. Es gibt in der Zwischenzeit eine ganze Menge junger Menschen, die sagen: Warum soll ich eigentlich die Last auf mich nehmen, für andere zu sorgen? Ich schaffe gerade so viel, wie ich möchte. — Ich habe heute früh mit einer Klasse von 60 jungen Menschen diskutiert. Ich habe das nicht angeleiert. Ich bin unter anderem gefragt worden: Wie können wir in Zukunft eigentlich die Renten finanzieren, ohne daß wir nicht bis zum letzten belastet werden? Da kommen Sie in eine ganz schwierige Diskussionslage. Nehmen Sie einmal die Leute, die, wie ich, aus dem Bereich kommen, der an die Schweiz grenzt. Die wissen: Wenn sie heute als Ledige in der Schweiz die gleiche Arbeitsleistung wie bei uns erbringen, dann erhalten sie dort netto 35 bis 40 % mehr. Dann fragen die Leute zu Recht: Warum soll ich hier in ein System einzahlen, bei dem mir das nicht garantiert wird?
Deswegen, lieber Herr Dreßler — das geht uns jetzt alle an — , müssen wir natürlich auch fragen, ob es sinnvoll ist, daß unter Ausnutzung der §§ 105 c und 128 AFG Leute, die über 58 Jahre alt sind, mit 60 Jahren eine vorgezogene Rente erhalten können, die so bemessen ist, als ob sie bis 65 Jahre gearbeitet hätten, während derjenige, der anständig bis 63 Jahre arbeitet, plötzlich feststellt — —
— Liebe Frau Unruh, im Gegensatz zu Ihnen bewege ich mich draußen in der Praxis. Ich kenne in der Zwischenzeit eine ganze Menge Fälle, in denen augenzwinkernd zwischen beiden — ich sage: zwischen beiden — vereinbart wird, entweder § 105c oder § 128 AFG auszunutzen, weil das eine Sache ist. Ich nenne auch § 3 Abs. 9 Einkommensteuergesetz: steuerfreie Einnahmen. Bei einer steuerfreien Abfindung von 36 000 DM ist für manchen die Versuchung groß, dies zu tun.
— Einen Augenblick; ich möchte den Gedankengang beenden. —
Wenn ich das alles sehe, muß ich sagen — das ist auch ein bißchen an Freunde meiner eigenen Partei gerichtet — : Die Diskussion um den Vorruhestand ist nicht ganz ehrlich, wenn ich auf der anderen Seite den Tatbestand des § 105 und des § 128 AFG habe, die es ermöglichen, zu einem besseren Vorruhestand mit geringerer Leistung — von dem entsprechenden Betrieb oder sonstwoher finanziert — zu kommen.
Bitte schön.
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordnete Kirschner.
Herr Kollege Kolb, wenn Sie hier schon indirekt einer Erhöhung des Rentenalters bzw. entsprechenden Abschlägen das Wort reden: Ist Ihnen eigentlich die Zahl derjenigen bekannt, die wegen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden müssen, und ist Ihnen bekannt, daß dieses Ausscheiden nur auf Grund ärztlicher Atteste möglich ist?
Die Zahl ist mir bekannt. Interessanterweise ist, nachdem wir die EuB-Regelung verschärft hatten, ein Rückgang dieser Zahl um die Hälfte zu verzeichnen gewesen.
Wenn ich mir das vor Augen halte, habe ich doch den Eindruck, daß manches Attest — ich möchte sagen — leichtfertig ausgestellt worden ist.
— Das behaupte ich, auch wenn das einigen Leuten nicht gefällt. Deswegen sollten wir uns schon einmal fragen, ob wir es uns leisten können, alle mit 55 oder 58 Jahren in Rente zu gehen und dabei zu glauben, daß eine immer kleiner werdende junge Generation das zahlt.
— In der Zwischenzeit sind es eine ganze Menge.Weil wir bei diesem Punkt sind, Herr Kollege Kirschner: Wenn wir in der Lebensplanung frei sind, habe ich absolut nichts dagegen, wenn einer mit 60 in Rente geht. Aber er kann mit 60 nicht eine Rente bekommen, die höher ist, als wenn er bis 65 gearbeitet hätte.
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4240 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Kolb— Natürlich, das ist heute möglich. — Wir sollten schon prüfen, ob wir nicht soziale Gesetze verabschiedet haben, die ein bißchen anders genutzt werden, als wir uns das vorgestellt haben.
— Nein, liebe Frau Unruh. Dort war das ein einmaliger Vorgang. Sie sollten nicht immer behaupten, daß wir Wohltaten verteilen.Herr Kollege Reimann, das Problem besteht ja auch darin: Wenn wir die einen überfordern, riskieren wir, daß die anderen, die im Kostengrenzbereich arbeiten, plötzlich mit ihren Arbeitsplätzen nicht mehr mithalten können. Das sind die Dienstleistungsbetriebe. Wir werden dann erleben, daß die Überforderung dazu führt, daß die Wohltat in dem einen Bereich zur Belastung in den anderen Bereichen wird. Dann würden wir den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.Gutes zu tun und Gutes zu wollen sind zwei Paar Stiefel, egal was man vorbringt. Deswegen darf ich uns allen, die wir verantwortlich Sozialpolitik machen, raten, hinter verschlossenen Türen — ohne daß die Öffentlichkeit vertreten ist und wir Schaukämpfe liefern — einmal die verläßlichen Daten zu nehmen und zu fragen, wen man bis zu welcher Grenze belasten kann.Denjenigen, die das Heil im Bundeszuschuß sehen, möchte ich sagen: Es sollte nicht vergessen werden, daß der Bundeszuschuß von den Steuerzahlern aufgebracht werden muß. Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, daß alles, was wir an Alterslast finanzieren wollen, im Endeffekt von den Beitragszahlern oder Steuerzahlern finanziert werden muß.Wenn der Generationenvertrag nicht mehr stimmt, ist auch die Frage an diejenigen zu richten, die sich in den nächsten zehn Jahren vielleicht in die Rente verabschieden wollen, warum sie selbst diesen Generationenvertrag nur noch nach der einen Seite hin gesehen haben.Mein Kollege Strube hat in der letzten Haushaltsdebatte daran erinnert — ich erwähne das, weil die Bundesregierung hier eine Aufgabe hat — , daß die Knappschaftsversicherung sehr viele Ungerechtigkeiten bringt.
Er hat z. B. darauf hingewiesen, daß die Krankenschwester im Knappschaftskrankenhaus eine wesentlich höhere Rente bekommt als die Krankenschwester in einem anderen Krankenhaus. Ich weiß nicht, ob wir uns solche Dinge leisten können.Dieses Aufgabengebiet, vor dem wir stehen
— einschließlich — , ist so groß, daß, liebe Frau Unruh, für Polemik viel weniger Platz ist als für vernünftiges Arbeiten. Manchen unserer Vorschläge, die wir gemacht haben, müssen wir auch daraufhin überprüfen, wie er langfristig wirkt. Wir stehen jetzt vor einer Zäsur.Lassen Sie mich mit folgendem Hinweis schließen, damit es im Protokoll steht und damit es keiner vergißt: Der 1. Januar 1988 war ein besonderes Datum; ab diesem Tag haben wir nämlich jährlich mehr 65jährige als 15jährige.
In diesem Jahr sind es nur 4 000. Im Jahre 2002 gibt es 231 000 65jährige mehr als 15jährige.Ich plädiere nicht nur für eine gute Altersversorgung, ich plädiere auch dafür, die Finanzierung durch die, die im aktiven Leben stehen, möglich zu machen. Auch die dürfen wir nicht überfordern.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu noch weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Gesundheitsgefährdung durch Kosmetika — Verbot von Natriumlaurylsulfat in Zahncremes und Deklarationspflicht für alle Inhaltsstoffe von Kosmetika
— Drucksache 11/871 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Wilms-Kegel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben genug! Wir haben genug davon, ständig durch neue Aufdeckungen von gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen in Körperpflegemitteln überrascht zu werden. Die Vorkommnisse sind zahlreich. Ich nenne nur einige Beispiele aus den Giftküchen der Kosmetikindustrie.Da erfuhren wir von Dioxan in Haarshampoos, von Pestiziden in Babycremes, von krebserzeugenden Stoffen in Haarsprays, von Dioxin in Tampons, von Thiazolonen zur Konservierung von Kosmetika und von Texapon in Zahncremes. Diese Aufzählung ließe sich noch beliebig fortsetzen.Wir haben genug. Uns geht es nicht um den Schadstoff des Monats, um Angst- und Panikmache.
Wir wollen einfach wissen, was wir uns in die Haareund auf die Haut schmieren. Wir wollen wissen, womit
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4241
Frau Wilms-Kegelwir uns waschen, womit wir uns die Zähne putzen, was wir uns in die Haare sprayen. Wir wollen wissen, womit wir unsere Kinder baden und eincremen. Wir wollen wissen, was in Rasiercremes und Lippenstift enthalten ist. Wir wollen nicht ständig von neuen Berichten über Giftstoffe in Kosmetika erschreckt werden.Sicher werden Sie jetzt einwerfen, daß diese Berichte aber nicht von amtlichen Stellen wie dem Bundesgesundheitsamt stammen und daß das Bundesgesundheitsamt auch stets abgewiegelt hat. Zum Beispiel hat das BGA der Gefährlichkeit des in Zahncremes enthaltenen Texapons widersprochen. Das ist richtig. Wir haben auch nichts anderes erwartet. Das BGA hat nichts aufgedeckt, das BGA hat immer nur reagiert. Uns ist das auch verständlich.Kosmetika müssen vor der Markteinführung nicht vom BGA zugelassen werden. Es gibt dort auch nur zwei Experten für den gesamten Bereich toxikologischer Nebenwirkungen von Lebens- und Körperpflegemitteln. Dafür gibt es aber eine Kommission für kosmetische Erzeugnisse. Von den 13 Mitgliedern dieser Kommission gehören vier — ich wiederhole: vier; das sind 30 % — der Kosmetikindustrie an. Auch ein Herr der Firma Henkel ist dabei, und diese Firma stellt das Texapon her. Daß eine solche Kommission Entwarnung gibt, wenn es um die Frage der Schädlichkeit von Kosmetik-Inhaltsstoffen geht, liegt auf der Hand.Daß dann das BGA, das wohl kaum als unabhängig zu bezeichnen ist, wenn es Gutachten an Mitarbeiter der betroffenen Firmen vergibt, Stoffe wie Texapon in Zahncremes für unbedenklich hält, ist uns klar. Aber daß wir der Empfehlung von Leuten, die in eigener Sache tätig sind, kein Vertrauen schenken, ist wohl auch klar.Daher fordern wir die genaue Kennzeichnung aller Inhaltsstoffe von Kosmetika. Dazu gehören nicht nur die Wirksubstanzen, sondern auch alle Trägerstoffe, Zusätze, Spurenelemente. Wir wollen auch Angaben über Radioaktivität und Tierversuche, die zur Entwicklung der Produkte gemacht wurden. Dann können gesundheitsbewußte Verbraucher selbst entscheiden, welche Körperpflegemittel sie gebrauchen wollen. Wir können dann selbst feststellen oder uns durch Fachleute unseres Vertrauens beraten lassen, ob unser Haarshampoo nur sauberes Haar oder auch Krebs oder Allergien erzeugt.Wir fordern, daß Kosmetika, die krebserzeugende Substanzen enthalten, wie z. B. texaponhaltige Zahncremes, sofort vom Markt verschwinden. Wir wollen uns selbst kundig machen können und nicht nur nach Reklamebildern, Verpackung und Duft entscheiden müssen. Wir wollen nicht nach jedem neuen Bericht über gesundheitsschädliche Stoffe in Kosmetika Angst haben, ob auch die von uns benutzten Produkte betroffen sind. Wir wollen nicht neben der schleichenden Vergiftung von innen durch vergiftetes Wasser, vergiftete Luft und Nahrungsmittel auch noch von außen durch Körperpflegemittel vergiftet werden. Wir haben wirklich genug. Wir wollen Bescheid wissen!
Das Wort hat der Abgeordnete Werner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Zahnpflegecremes haben oberflächenaktive Stoffe, deren Aufgabe es ist, für eine gleichmäßige Verteilung der Substanzen und für die Entfernung bakteriellen Zahnbelags zu sorgen. Durch die Fernsehsendung „Monitor" wurde die Verwendung von Natriumlaurylsulfat, einem Tensid, als oberflächenaktiver Stoff in Zahnpflegemitteln der Bevölkerung als in besonderem Maße gefährlich dargestellt. Das Bundesgesundheitsamt hat daraufhin in einer Expertenrunde im Oktober 1987 die Frage der Bioverträglichkeit von Erzeugnissen mit diesem Stoff eingehend erörtert und kam zu der Schlußfolgerung, daß nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft die in diesem Magazin erhobenen Vorwürfe nicht begründet seien, soweit der Stoff in der üblichen Konzentration bis 2 Prozent Verwendung findet. Diese Einschätzung wurde im übrigen von der Bundeszahnärztekammer geteilt.Darüber hinaus hat eine Studie der Universität Hamburg mit natriumlaurylsulfathaltigen Zahnpasten ergeben, daß sogar Zahnbetterkrankungen bei Versuchspersonen nach regelmäßigem Gebrauch von derartigen Pasten reduziert wurden. Man kann also nicht sagen, daß dieses Tensid grundsätzlich in jedweder Konzentration gefährlich und „giftig" ist. Wie so oft, so gilt auch hier, die nützlichen und ungefährlichen Anwendungsformen zu sehen.Gleichwohl hat das Bundesgesundheitsamt vorgeschlagen, den Grenzwert von 2 Prozent einzuhalten und über die Landeskontrollbehörden die entsprechenden Kontrollen bei den Produzenten durchführen zu lassen; denn es hatte sich ja erwiesen, daß zumindest bei zwei Produkten die entsprechende Konzentration wesentlich höher war. Ein generelles Verbot von Tensiden bei Zahnpflegemitteln ist nach alledem also nicht geboten! Es zeigt sich schon jetzt, daß die Bundesregierung, zumal wenn die Bundesländer entsprechend ihrer Kontrollaufgabe nachkommen, bei der EG-Kommission im Hinblick auf eine Veränderung des Gemeinschaftsrechts darauf hinwirken kann, daß der entsprechende Höchstwert gegebenenfalls auch in der EG generell eingeführt wird.Lassen Sie mich noch anfügen, daß dieser Stoff „Texapon" in den USA sogar als Zusatz bei Lebensmitteln Verwendung findet,
was bei uns ausgeschlossen ist.
Es ist zum zweiten grundsätzlich richtig, daß Kosmetika für den Verwender keine vermeidbaren und zusätzlichen Gesundheitsgefährdungen erbringen dürfen. Deswegen gibt es bereits heute 40 Substanzen, die als gefährdend für bestimmte Personengruppen auf der Grundlage von EG-Bestimmungen eingestuft wurden. Es hat sich gezeigt, daß die entsprechenden Produktangaben für Ärzte und Verbraucher, Angaben im Hinblick auf die inhaltliche Zusammensetzung, die notwendige Aussagekraft bisher bewiesen haben. Im übrigen ist auch anzumerken, daß die Bundesregierung schon vor fast zwei Jahren bei der EG-Kommission vorstellig wurde, um das Gemeinschafts-
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Werner
recht in Zukunft im Hinblick auf die Produktkennzeichnung zu vervollständigen. Es ist also nicht unbedingt notwendig, eine genaue Mengenangabe für alle Substanzen in Kosmetika zu machen. Die Aufzählung in absteigender Reihenfolge nach dem Gewichtsanteil, wie das bisher schon geschieht, ist im übrigen bisher von den Heilberufen in keiner Weise kritisiert worden. Der Kosmetikausschuß der EG-Kommission hat jüngst in keiner Weise eine quantitative oder qualitative Veränderung bei der Kennzeichnungspflicht verlangt.Ich möchte noch anmerken, daß einzelne deutsche Firmen bereits auf freiwilliger Basis begonnen haben, Mengenangaben auszudrucken. Deswegen sind wir der Auffassung, es kann keinerlei zwingenden Grund zur Regulierung staatlicherseits, seitens der Bundesregierung, geben, nachdem wir davon ausgehen können, daß die Wettbewerbslage bald alle Produzenten zu einem entsprechenden Verhalten bringen wird.Wir, die CDU/CSU-Fraktion, stimmen der Überweisung des Antrages 11/871 in die Ausschüsse zu. Wir werden dort alles daransetzen, um weitere Informationen über mögliche Gesundheitsgefährdungen durch Kosmetika, aber auch über deren Eingrenzungsmöglichkeiten, zu bekommen. Wir werden uns dabei allerdings in aller Nüchternheit, ohne an irgendeine Behörde oder auch an Personen Vorwürfe vorab zu richten, mit dem Thema befassen. Denn wir glauben, Sachlichkeit tut hier not! Nicht notwendig ist das Aufrichten von Schreckensgespenstern, wie dies auch hier diesem Antrag der GRÜNEN wiederum zugrunde liegt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Götte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon spät, ich will es kurz machen. Sie haben gehört, worum es geht: „Monitor" hat über schädliche Wirkungen von Zahncremes berichtet. Das hat nicht nur einige Parlamentarier auf den Plan gerufen, sondern auch 600 000 Zuschauer dazu gebracht, die Liste der untersuchten Produkte anzufordern. Dies hat die Beendigung der Produktion einer bestimmten Zahnpastamarke zur Folge gehabt. Massenhaft sollen, wenn man den Medien glauben soll, Zahncremevorräte in die Geschäfte zurückgebracht worden sein.Es geht, wie Sie gehört haben, um Natriumlaurylsulfat, unter dem Namen Texapon bekannt, das unbestritten ab einer bestimmten Konzentration Reizungen der Mundschleimhaut verursacht, also mehr schadet als nützt.Meine Damen und Herren, es ist gut, wenn das Parlament jedem Hinweis auf die Gefährdung der Gesundheit unserer Bürger nachgeht. Aber wir müssen das ohne fanatischen Eifer und sehr nüchtern tun. Wenn wir nämlich bei jedem Ansatz einer Gefährdung gleich Katastrophenstimmung verbreiten, dringende Warnungen ausrufen lassen oder radikale Verbote durchsetzen, wird uns niemand mehr ernst nehmen, wenn es um wirkliche Gefahren und tatsächlich notwendige Warnungen und Verbote geht.
Eine Gefahr für die Gesundheit sieht meine Fraktion — wir haben versucht, uns sachkundig zu machen — in der Verwendung von Texapon in Zahncremes nicht, wenn seine Konzentration unterhalb der 1,5-Prozent-Grenze liegt. Das Bundesgesundheitsamt hält sogar schon einen Grenzwert von 2 % für ausreichend, um gesundheitliche Schäden auszuschließen. Allerdings müßte der Verbraucher dann auch die Möglichkeit haben, sich zu informieren, welche Zahncreme nun was in welcher Konzentration enthält.Damit sind wir beim zweiten Thema, bei der Deklarationspflicht für Kosmetika. Die Bundesregierung hat am 28. Oktober 1987 in einer Fragestunde mitgeteilt, sie habe der EG-Kommission bereits im April 1986 Vorschläge für eine Ergänzung der bestehenden Kennzeichnungspflicht für Inhaltsstoffe kosmetischer Mittel vorgelegt. Wir würden gerne erfahren, Herr Staatssekretär, was daraus geworden ist. Wir wüßten gerne, wie denn diese Vorschläge im einzelnen aussehen und was die Kosmetikindustrie dazu sagt.Meine eigenen Nachforschungen ergaben, daß viele Kosmetikhersteller durchaus bereit sind und es zum Teil schon praktizieren, wie der Kollege der CDU gesagt hat, nach amerikanischem Vorbild die wesentlichen Bestandteile ihrer Produkte zu benennen. Das gilt auch für solche Stoffe, auf die manche Menschen allergisch reagieren, wo es auch besonders notwendig ist, daß diese Stoffe gekennzeichnet sind.Allerdings ist es noch längst nicht ausgemacht, ob alle Verbraucher tatsächlich eine solche Deklaration wünschen. Kosmetik hat bekanntlich nicht nur etwas mit Körperpflege, sondern auch mit Seelenpflege zu tun. Für die Illusion, Schönheit und Jugendlichkeit kaufen zu können, zahlen viele Kundinnen und zunehmend auch immer mehr Männer gerne jeden beliebigen Preis. Solche Leute wollen natürlich nicht erfahren, daß das Zaubermittelchen im goldenen Döschen, das das Austrocknen der Haut verhindern und zu jugendlicher Frische und — ich zitiere — „unvergleichbarem Wohlbefinden" führen soll, in Wirklichkeit nur aus Wasser und ein wenig Fett besteht.Andere dagegen ärgern sich, daß sie keine Möglichkeit haben, festzustellen, was in den Tiegeln, Flakons und Tuben steckt, und sie somit ganz auf die Werberatschläge Dritter angewiesen sind. Wieder andere machen sich, ich meine, zu Recht, Sorgen, ob denn in dem, was sie sich nun kaufen und was sie anwenden, nicht irgendwelche gefährlichen Stoffe versteckt sind, nachdem es so viele Beispiele von Dioxinen in Schampons und von anderen gefährlichen Stoffen in Kosmetika gegeben hat.Die Kosmetikfirmen, so wurde mir gesagt, seien auf keinen Fall bereit, die Rezepte für ihre Produkte preiszugeben, sie wären aber durchaus damit einverstanden, beispielsweise in regelmäßigen Abständen Rechenschaft darüber abzulegen, welche Stoffe sie überhaupt verwenden, und diese Liste dem Gesundheitsamt dann vorzulegen. Wir sollten im Ausschuß prüfen,
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Frau Dr. Göttewas das Bundesgesundheitsamt zu diesem Vorschlag sagt.Die SPD-Fraktion hält es aus gesundheitspolitischen und verbraucherfreundlichen Gründen für notwendig, mehr Aufklärung in die Romantik des Kosmetikmarktes zu bringen. Wie das am sinnvollsten in der Bundesrepublik und in der EG geschehen kann, sollten wir im Ausschuß diskutieren. Wir werden dazu einige konkrete Vorschläge machen.Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag 11/871 der GRÜNEN enthält zwei Anliegen, die zwar miteinander zu tun haben, aber unterschiedlich zu behandeln und zu bewerten sind, und die FDP kommt auch zu unterschiedlichen Schlüssen.
Punkt 1 des Antrags zu den Zahncremes unterstellt, daß die Inhaltsstoffe mit dem bedrohlich klingenden Namen Natriumlaurylsulfat gesundheitlich bedenklich sind und daß Gefahren auf alle Fälle zu vermeiden sind. Das letzte, daß Gefahren unbedingt zu vermeiden sind, ist richtig. Es dürfen nur solche Stoffe zugelassen werden, die gesundheitlich unbedenklich sind. Ich persönlich bezweifele aber, daß es im Bereich der Kosmetik immer geht und immer getan wird. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Behandeln der Gesichtshaut mit Puder und Farbe völlig ohne Einfluß auf die Haut ist, gleich, wie auch immer Farbe und Puder beschaffen sind. Aber dieses Beispiel ist meine persönliche Meinung.
Im Fall der Zahnpasta bewundere ich den Mut der GRÜNEN, nur auf Grund einer Medienmeldung zu wissenschaftlichen Aussagen zu kommen. Ich habe diese Sendung gesehen; mich haben die Versuche, die dort gezeigt wurden, nicht überzeugt. Umfangreiche Untersuchungen des Bundesgesundheitsamts sagen auch: Es gibt keinen Anhaltspunkt für gesundheitliche Gefahren; der Verdacht ist bei Einhaltung der gegebenen Konzentration von 2 % nicht begründet. Ich bewundere aber auch den Mut der GRÜNEN, die sich anmaßen, Autorität im Streit der Wissenschaftler zu sein. Politiker sollten sich nicht für allkompetent und nicht für allwissend halten. Ich muß mich weitgehend auf die Aussagen der Wissenschaft verlassen. Darüber hinaus wäre eine Veränderung der Vorschriften nur über die EG zu erreichen, d. h. EG-Recht muß geändert werden. So bin ich in diesem Punkt auch nicht davon überzeugt, daß es den GRÜNEN wirklich um Gesundheit geht. Ich erinnere mich an einen Spruch von Heiner Geißler, der bei einem ähnlichen Fall einmal sagte: Die GRÜNEN treiben jede Woche eine andere Sau durch das Dorf. Ich glaube, dies ist eine solche.
Zu einer anderen Beurteilung der Sachlage kommt die FDP beim zweiten Punkt, der Deklarationspflicht für Kosmetika. Das halten wir für nötig, aber auch hier gilt EG-Recht. Nur über die EG können hier Änderungen erfolgen. Wir wollen das, wir werden das unterstützen. Die FDP ist da auch schon initiativ geworden, zwar nicht ganz so spektakulär, sondern über Schreiben an das Ministerium. Auch das Ministerium ist bereits aktiv geworden. Die Industrie hat darüber hinaus bereits mitgeteilt, daß sie freiwillig, also ohne auf eine Änderung des Rechts zu warten, Inhaltsstoffe deklarieren will. Wir begrüßen dies vor allem deswegen, weil das Verfahren und die Abhilfe dadurch wesentlich beschleunigt werden können.
Wir werden deshalb den Antrag nicht pauschal ablehnen — weil er von den GRÜNEN kommt, weil in diesem Antrag Gutes mit Schlechtem vermischt ist —, sondern wir werden ihn im Ausschuß sachgerecht behandeln, und die Beiträge von allen Seiten dieses Hauses geben mir Hoffnung, daß dies auch möglich ist.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller , Bachmaier, Frau Blunck, Frau Conrad, Conradi, Fischer (Homburg), Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauff, Jansen, Kiehm, Koltzsch, Lennartz, Frau Dr. Martiny, Menzel, Reimann, Reuter, Schäfer (Offenburg), Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl (Kempen), Waltemathe, Weiermann, Ibrügger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Hilfe für Chemikalien-Geschädigte — Drucksache 11/628 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Meine Damen und Herren! Wir können faktisch direkt an die Diskussion von soeben anknüpfen. In der Europäischen Gemeinschaft befinden sich derzeit rund 80 000 Chemikalien im Handel; ca. 150 dieser Chemikalien haben eine Handelsmenge pro Jahr von mehr als 50 000 Tonnen. Dazu gehören u. a. auch Lösungsmittel, Weichmacher, also sogenannte Massenchemikalien im Haushalt.Ende 1987 hat das Forschungsministerium das Ergebnis eines fünfjährigen Bewertungsverfahrens ökotoxikologischer Prüfung verschiedener Chemikalien veröffentlicht. Im Freilandverfahren wurden unterschiedliche Chemikalien nach anderen, das heißt vor
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Müller
allem biologischen, Systemen bemessen. Man kommt zu drei Ergebnissen, die ich auch im Zusammenhang mit der Diskussion über den vorausgegangenen Tagesordnungspunkt wichtig finde.Erstens. Die Chemikalien verhalten sich je nach biologischem System und Beschaffenheit des jeweiligen biologischen Systems absolut unterschiedlich. Es gibt keinen einheitlichen Bewertungsmaßstab und auch keinen einheitlichen Grenzwert für ein biologisches System. Jeder Mensch reagiert auf Chemikalien unterschiedlich. Das ist der erste wichtige Punkt, weil das die ganze Theorie von den Grenzwerten sehr in Frage stellt.Zweitens. Man hat festgestellt, daß diese lebensnahen Untersuchungen zu einer sehr viel höheren Empfindlichkeit biologischer Systeme gegenüber Laboruntersuchungen kommen. Das heißt, die Untersuchungen, die wir aus den bekannten Tierversuchen kennen, sind demnach im Grund auf verschiedene biologische Systeme nicht übertragbar, weil die meisten biologischen Systeme sehr viel empfindlicher reagieren, als es in diesen Laborversuchen geschieht.Drittens. Die Übertragbarkeit ist auch deshalb sehr problematisch, weil die Wirkung bei den meisten Systemen sehr viel ausgeprägter war, als in den Laboruntersuchungen angenommen worden war.Ich finde, diese Ergebnisse, die der Forschungsminister vorgetragen hat und die leider zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit gefunden haben, sind sehr wichtig. Wir können den Forschungsminister nur unterstützen, mit diesen Forschungsarbeiten — durchgeführt von der Technischen Universität München — fortzufahren.Die täglich neuen Meldungen über die Chemisierung der Umwelt, zum Beispiel in der vorigen Woche über Dioxin in Kaffeefiltern, rufen in der Tat eine gewisse Verunsicherung hervor. Es ist sicher richtig, daß das nicht zur Hysterie führen darf. Dennoch müssen wir aus diesen Vorfällen lernen. Ich glaube, die Folgerungen, die wir daraus teilweise ziehen, sind immer noch mehr als unzureichend. Denn folgende drei Punkte sind auf jeden Fall einstweilen festzuhalten:Erstens. Es gibt keine unschädliche Dosis.
Jede Dosis, jeder Grenzwert ist eine fiktive, das heißt angenommene, Größe.
Beispielsweise beim Zusammentreffen verschiedenster Schadstoffe kann auch eine sehr viel geringere Dosis ganz andere toxische Wirkungen hervorrufen, als sie es allein vermöchte.
Insofern gibt es keinen Grenzwert und keine unschädliche Dosis.
Als zweites müssen wir feststellen: Nach neuen Forschungsergebnissen gibt es Chemikalien, zum Beispiel das Pflanzenschutzmittel Aldicat, deren Dosiswirkung gegenüber der bisher bekannten genau umgekehrt ist: Je geringer die Dosis wird, desto größer wird die Gefährlichkeit. Für diese Stoffe war nach bisherigen Untersuchungen klar, daß sie bei einer hohen Dosis relativ unproblematisch sind. Aber je weiter die Dosis gesenkt wird, desto gefährlicher werden sie. Also auch das gibt es, obwohl wir es uns früher nicht haben vorstellen können. Man muß einfach sehen: Weniger Gift kann unter Umständen sogar mehr Wirkung, mehr Belastung der Umwelt hervorrufen. Auch diese wissenschaftliche Erkenntnis müssen wir einmal ein bißchen genauer nachvollziehen.Der dritte Punkt. Bei dem Zusammenhang zwischen chemischen Schadstoffen und Gesundheitsproblemen gibt es vor allem die Problematik, daß die meisten Auswirkungen erst längerfristig bekannt werden, daß sie also oft erst dann bekannt werden, wenn schon viele Menschen geschädigt sind und eine Reparatur kaum mehr möglich ist. Auch diesen Gesichtspunkt müssen wir erst nehmen, weil die Frage der Anreicherung, beispielsweise im Rückenmark oder im Blutsystem, mit kurzfristigen Analysemethoden überhaupt nicht in den Griff zu bekommen ist, weil es sich um sehr langfristige Vorgänge handelt.Aus all dem müssen wir in unserer Chemiepolitik im Sinn des Vorsorgeprinzips auf jeden Fall die Strategie verfolgen, chemische Schadstoffe so wenig wie möglich zu verwenden und sie, soweit es überhaupt geht, zu substituieren.Wir haben dazu unseren Antrag auf Hilfe für Chemikalien-Geschädigte vorgelegt. Dieser Antrag geht davon aus, daß die drei von mir geschilderten Probleme schon Wirklichkeit geworden sind. Es ist ein Antrag, mit dem man auch hinsichtlich der jetzt im Juni — sicherlich gemeinsam — anzugehenden Frage, nämlich der Beratung des neuen Chemikaliengesetzes, nicht mehr sehr viel weiter kommt. Hier müssen wir vielmehr den Menschen, die jetzt schon betroffen sind, helfen. Es gibt da auch verschiedene Forderungen, die das vom Bundestag verlangen. Dazu gehört u. a. der Beschluß des Petitionsausschusses — der Petitionsausschuß hat ja gesagt, der Bundestag soll sich mit der Frage beschäftigen —,
dazu gehört aber auch, wie ich finde, die Aussetzung eines Berufungsverfahrens der Holzschutzmittel-Geschädigten vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Dieses Gericht erkennt die Gefährlichkeit der Stoffe im Grundsatz an, aber es müßte nach seiner Meinung erst ein umfassendes Beweiserhebungsverfahren durchgeführt werden, was in Frankfurt u. a. auch unter Einschaltung der Bundesanwaltschaft geschieht. Insofern ist es meines Erachtens so, daß wir als Bundestag auf diese Frage Auskunft geben müssen.Die Warnmeldungen sind bekannt: Sie reichen — beispielsweise — von der Gefährlichkeit von Formaldehyd in Spanplatten über Ledersprays — eine Diskussion, die immerhin schon seit acht Jahren läuft; vor acht Jahren haben die ersten Geschädigten diese Warnung an den damaligen Staatssekretär in Rheinland-Pfalz, Professor Töpfer, weitergegeben — bis hin beispielsweise zu Holzschutzmitteln und insbesondere den PCB-haltigen, dioxinverseuchten Stoffen.
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Müller
Wir meinen, daß wir mit unserem Antrag, in dem wir fünf Punkte genannt haben, einen Beratungsgegenstand aufgezeigt haben, der jetzt in einer Anhörung geklärt werden soll. Wir verstehen es so, daß der Antrag jetzt an die Ausschüsse überwiesen wird — das ist ja wohl einhellige Meinung — und daß wir uns dann gemeinsam Gedanken machen, wie wir diese Problematik in Form einer Anhörung weiter verfolgen wollen.Schwerpunktmäßig geht es uns aber vor allem darum, daß wir die Forschungsergebnisse, die ich am Anfang zitiert habe, ausbauen, daß wir zu besseren Regelungen kommen — unser Vorschlag heißt insbesondere: Einführung einer Technischen Anleitung Innenraum —, daß wir die Kennzeichnungsvorschriften sowie die Normen und Grenzwerte verbessern und daß wir insbesondere auf der rechtlichen Seite — Stichwort: Produkthaftungs- und Umwelthaftungsrecht bzw. verschuldensunabhängige Haftung und Beweislasterleichterungen — vorankommen. Da ist das, was die Bundesregierung im Nachvollzug des EG-Rechts mit der Produkthaftung zur Zeit macht, für uns nicht ausreichend. Im Gegenteil: Wir sehen es als halbherzig an.Wir glauben also, daß wir hier einen wichtigen Schritt, einen überfälligen Schritt tun; denn die Problematik liegt seit geraumer Zeit auf dem Tisch. Sie ist gegenwärtig Gegenstand verschiedener Rechtsverfahren, sie ist Gegenstand verschiedener Beratungen des Petitionsausschusses gewesen. Jetzt ist es am Bundestag, zu handeln, und wir sind dazu bereit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst eine Vorbemerkung machen: Wir sind heute in einer Diskussion am Vorabend der Beschlußfassung des Bundesrates über die novellierte Störfallverordnung, die morgen verabschiedet wird. Ich will nur einmal deutlich machen, daß die Bundesregierung damit die erste Regierung ist, die Konsequenzen aus der Sandoz-Katastrophe gezogen
und den Schutz der Menschen in unserem Lande vor Katastrophen noch einmal ganz deutlich verbessert hat. Letzte Lücken in der vorbeugenden Sicherung in diesem Bereich werden jetzt geschlossen. Unsere weltweit führende Position in der Chemiepolitik und in der Vorsorgepolitik hinsichtlich der Chemiepolitik wird dadurch untermauert. Man sollte dies durchaus einmal zum Anlaß nehmen, der Bundesregierung für diese vorzügliche Maßnahme zu danken.
Es stünde auch der Opposition nicht schlecht an, hier einmal ein Wort des Lobes zu verlieren. Sie würden sich dadurch nichts vergeben.Meine Damen und Herren, zum Problem: Die Menschen klagen über Beschwerden, die sie auf Belastungen in Innenräumen zurückführen. Die Ursachen dieser Beschwerden sind kausal schwer zu ermitteln. Es gibt eine Vielzahl von Innenraumbelastungen, die in Betracht gezogen werden müssen, bis hin zum Rauchen, auch Belastungen am Arbeitsplatz. Das individuelle Prozeßrisiko ist damit sehr groß und eine klare Schadenszurechnung wie z. B. im Contergan-Fall nicht möglich. Auch eine Fondslösung ist aus diesem Grund problematisch. Man wird deshalb sicherlich noch weiter nachdenken müssen.Wie gehen wir nun dieses Problem an? Ich sage noch einmal: Unsere Chemiepolitik ist grundsätzlich vorsorgeorientiert.
Die von den Unionsparteien und der von ihnen getragenen Bundesregierung verfolgte Politik sieht einen vorbeugenden Schutz des Menschen vor. Ich sage das deshalb, Herr Kollege Müller, weil wir uns natürlich nicht nur stur an Grenzwerten orientieren, sondern diese Grenzwerte bereits so festlegen, daß sie mögliche Gefährdungen, denkbare Gefährdungen mit einschließen und es nicht erst bis zum konkreten Gefährdungssachverhalt kommt.Sie wissen ja selber, daß die Grundstruktur unserer Chemiepolitik — Chemikaliengesetz, das übrige Stoffrecht, das Gefahrstoffrecht — so umfassend ist, wie wir es nirgendwo anders haben. Das Ziel des Chemikaliengesetzes, an dem wir ja jetzt gemeinsam arbeiten, ist ganz einfach, einen noch umfassenderen und wirksameren Gesundheitsschutz sicherzustellen, damit wir hier in dieser Sache den Menschen in diesem Lande noch mehr dienen.Wir haben das zersplitterte Gefahrstoffrecht zusammengefaßt — um es deutlich zu sagen. Wir haben hier Regelungen und Beschränkungen erlassen, die hinsichtlich ihres Umfanges und der Schärfe der Grenzwerte bislang ohne Beispiel sind. Ich darf nur darauf hinweisen, daß wir eine Vielzahl von Verboten und Beschränkungen haben. Wir haben z. B. Pentachlorphenol verboten. Das Verbot wird in der EG notifiziert. Die Verordnung kann zur Zeit noch nicht erlassen werden, da die EG eine eigene Verbotsrichtlinie vorbereitet und die Bundesregierung dadurch bis Mitte 1988 zum Stillhalten gezwungen ist. Ich darf aber sagen, daß wir mittlerweile ja so weit sind, daß die Produktion von PCP in der Bundesrepublik seit längerem eingestellt ist, auch das eine Vorsorgemaßnahme.Für den zweiten Problemstoff, Formaldehyd, sind in der Gefahrstoffverordnung ausgesprochen niedrige Grenzwerte vorgesehen. Ich sage das nur einmal deutlich, weil bei all dem, was wir hier gemacht haben, ebenso wie in der Verordnung für Wasch-, Reinigungs- und Pflegemittel, Schärfen vorgesehen sind, die es nirgendwo anders gibt.
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4246 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Dr. Lippold
Wenn Sie in die Verordnung für Stoffe, Zubereitung und Erzeugnisse gehen, dann haben wir dort Summengrenzwerte, die weltweit ihresgleichen suchen.
Ich mache nur einmal deutlich, ohne in falsche Sicherheit zu wiegen, daß wir hier eine ganze Menge tun, Herr Reimann, weil ich gerade verhindern will, daß — wie es gelegentlich doch anklingt — dieses Angstmachen, dieses Panikmachen hier immer wieder herauskommt. Ich sage dies auch deutlich, weil ein klein wenig, Herr Kollege Müller, in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt, wir würden bezüglich dieser gefährlichen Stoffe bisher nicht hinreichend aktiv sein.Ich sage noch einmal ganz deutlich: Es wird geforscht. Sie haben es gerade gesagt. Weitere Forschungsmaßnahmen sind geplant. Ich glaube, wir wollen da gemeinsam in die gleiche Richtung. Wir informieren den Verbraucher umfassend durch das Bundesgesundheitsamt, durch Bundesministerien und Verbraucherinstitutionen. Wir sehen eine Erweiterung der Kennzeichnungsvorschriften im Rahmen der Umsetzung der EG-Zubereitungsrichtlinie vor, die vom Ministerrat im ersten Durchgang beschlossen ist und voraussichtlich bis 1989 in nationales Recht umgesetzt werden kann. Damit haben wir über das Kennzeichnungsrecht eine ausgesprochen wertvolle Hilfe zum Selbstschutz.Wir haben die Norm- und Grenzwerte für Chemikalien in den letzten Jahren ständig verschärft. Wir haben sie vorsorgeorientiert festgelegt. Wir gehen nicht nur auf Stoffverbote und halten generelle weitere Verbote nicht für hilfreich und meinen, daß manchmal die Zurückführung des Inverkehrbringens einzelner Stoffe in die Hände der Verbraucher an Hand von Expositions- und Verwendungsbeschränkungen vorgenommen werden sollte. Darauf haben wir hingewiesen. Ich erinnere insgesamt an die Vorsorgemaßnahmen, an den gesamten Komplex für werdende Mütter, um nur ein Beispiel zu nennen, wo wir ganz deutlich gehandelt haben.Darüber hinaus verbietet die Gefahrstoffverordnung die Exposition für alle Beschäftigten mit den stark gefährdenden, krebserzeugenden Stoffen. Die Herstellung und Verwendung weiterer krebserregender Gefahrstoffe ist eingeschränkt. Es wird unter Einschaltung des Ausschusses für Gefahrstoffe, dem auch Vertreter der Verbraucher angehören, geprüft, ob weitere Verwendungsverbote vorgeschrieben werden.Beim gegenwärtigen Zeitpunkt ist — wie gesagt — hier ein generelles Verwendungsverbot nicht vorgesehen. Es wird jedoch geprüft, inwieweit Stoffe aus dem Katalog der alten Stoffe mit Beschränkungen bis zum Verbot belegt werden. Sie wissen, daß wir daran arbeiten. Das Altstoffkonzept wird im Zuge der Diskussion, die der Kollege Müller angesprochen hat, jetzt mitberaten werden. Ich halte dies für sehr wichtig, und ich freue mich, daß die Bundesregierung mit allem Nachdruck darauf dringt, diese Entwicklung nicht nur national, sondern auch international voranzutreiben.Auch hier noch einmal einen herzlichen Dank dafür, daß wir insbesondere auch im OECD-Bereich und in verschiedenen anderen internationalen Gremien versuchen, das voranzutreiben.Wir prüfen darüber hinaus den weiteren Einsatz von Ersatzstoffen. Ich glaube, daß das wichtig ist.Die Weiterentwicklung der Produkthaftung erfolgt durch die Umsetzung im Entwurf des Produkthaftungsgesetzes, das jetzt kommt. Ich will hier gar nicht auf die verschiedenen Bereiche im einzelnen eingehen. Ich glaube aber, Herr Kollege Müller, man kann dies nicht einfach herabwürdigen und sagen: Das ist alles völlig unzureichend. Auch hier ist manchmal ein internationaler Vergleich ausgesprochen hilfreich.Die Einbeziehung der Entwicklungsrisiken ist eine Frage, über die wir sicherlich noch sprechen werden. Wir sind der Meinung, daß wir da der künftigen EG-Regelung nicht vorgreifen sollten. Ich glaube aber, daß auch das vernünftig ist.Mit der Verbesserung der Stellung der Geschädigten im Umwelthaftungsrecht beschäftigt sich bereits jetzt eine interministerielle Arbeitsgruppe. Die jüngste erstinstanzliche Rechtsprechung läßt ohnehin eine erhöhte Sensibilität der Gerichte für die Belange der Betroffenen erkennen. Wir sollten deshalb daran denken, daß Beweiserleichterungen nicht unbedingt zur reinen Verdachtshaftung führen dürfen. Die Entwicklung von Erleichterungen des Kausalitätsnachweises sollte deshalb auch weiterhin der Rechtsprechung überlassen bleiben. Wir werden, wie gesagt, prüfen, wie weitere Ergänzungen des Haftungsrechts in dieser interministeriellen Arbeitsgruppe vorgenommen werden können.Nach den mir vorliegenden Informationen übernehmen die gesetzlichen Krankenversicherungen die Kosten — das betrifft den letzten Punkt Ihres Antrages — , wenn ein Versicherter Schäden an seiner Gesundheit erleidet. Das heißt, es gibt eine ganze Reihe von Bereichen, in denen sicherlich etliches getan wird. Ich halte es nicht für schlecht, wenn wir immer wieder verdeutlichen, daß wir hier international eine führende Position haben. Ich glaube, es muß den Menschen in unserem Lande deutlich gemacht werden, daß in keinem anderen Land der Welt so vorsorgeorientiert gehandelt wird. Damit soll keine falsche Beruhigung verbunden werden, aber hier soll deutlich gemacht werden, daß für Angst- und Panikmache bei uns in der Bundesrepublik Deutschland kein Raum ist.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns heute über den Antrag der SPD „Hilfe für Chemikalien-Geschädigte" unterhalten, sollte eines klar sein: Es darf überhaupt nicht zu solchen Schäden, insbesondere Gesundheitsschäden, kommen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4247
Frau Dr. SegallDazu dienen die bestehenden Regelungen wie etwa das Chemikaliengesetz, das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz und die darauf beruhenden Verordnungen, etwa die Gefahrstoffverordnung.Leider verkennt die Opposition wieder einmal, mit welcher Vehemenz in diesem Bereich das Bundesministerium für Umwelt tätig ist. Warum, so frage ich die SPD, soll die Bundesregierung aufgefordert werden, den Bürger vor Holzschutzmitteln zu schützen, wenn dieser Schutz durch die PCP-Verordnung, die kurz vor der Verabschiedung steht, bald gewährleistet sein wird?
Diese Verordnung wird PCP endgültig verbieten! Haben Sie das übersehen?Ganz ähnlich beurteile ich die Ausführungen, die die SPD in ihrem Antrag zum Formaldehyd macht. Auch hier erwecken Sie den Eindruck, die Bundesregierung sei untätig. Das Gegenteil ist der Fall. Die Koalition hat in der Gefahrstoffverordnung umfassend Formaldehydgefahren vorgebeugt. Holzwerkstoffe wie Spanplatten, Tischlerplatten, Furnier- und Faserplatten dürfen nur vertrieben werden, wenn die durch den Holzwerkstoff verursachte Konzentration des Formaldehyds einen sehr niedrigen Grenzwert nicht überschreitet. Bei Wasch-, Reinigungs- und Pflegemitteln ist ebenfalls die Einhaltung eines niedrigen Grenzwertes Voraussetzung für die Inverkehrbringung, und Sie wissen ganz genau, daß dies nur einige Maßnahmen sind. Es bedarf der von der SPD beantragten Aufforderung daher nicht, soweit in ihr legislative Vorbeugemaßnahmen verlangt werden.Doch wie ist es nun um die sogenannten Chemikalien-Geschädigten bestellt? Die SPD fordert, im Rahmen der gesetzlichen Regelung der Produkthaftung eine Gefährdungshaftung auch für Risiken, die sich erst nach der Inverkehrbringung einstellen und die selbst durch sorgfältigste Prüfung objektiv nicht feststellbar waren, sogenannte Entwicklungsrisiken, einzuführen. Inzwischen liegt der Entwurf eines Produkthaftungsgesetzes vor; er hat in dieser Woche das Kabinett passiert. Darin ist die Haftung für Entwicklungsrisiken ausdrücklich ausgeschlossen worden, und das aus gutem Grund.
Diese Haftung würde eine Schadenersatzpflicht für Produktfehler auslösen, die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt der Inverkehrbringung selbst bei Wahrung aller zumutbaren Sorgfalt nicht erkannt werden konnten. Die Erkennbarkeit beurteilt sich, wie gesagt, objektiv nach dem Stand der Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt des Inverkehrbringens.Dem Hersteller hilft es also nicht, wenn er persönlich den Fehler nicht erkennen konnte, sondern er ist nur von der Haftung befreit, falls objektiv mit dem Fehler nicht gerechnet werden konnte. Man kann doch von ihm nicht mehr verlangen, insbesondere wenn man bedenkt, welch eine umfangreiche Produktpalette durch das Produkthaftungsgesetz erfaßt wird. Produkte im Sinne des Gesetzes sind nämlichalle beweglichen Sachen, selbst solche Sachen, die Teil einer anderen Sache sind. Nun stellen Sie sich einmal vor, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie würden für diesen unüberschaubaren Bereich eine verschuldungsunabhängige Haftung für Entwicklungsrisiken statuieren. Was sagen Sie dem kleinen und mittleren Unternehmer, der dieses unabsehbare Risiko nirgendwo versichert bekommt — ein unüberschaubares Risiko, das also letztlich er selbst tragen muß? Ist das unternehmerfreundliche Politik der SPD?Im übrigen bleibt es ja unbenommen, in bestimmten extremen Gefahrenbereichen einzelgesetzlich — ich betone: einzelgesetzlich — , d. h. nur für bestimmte Produkte eine Gefährdungshaftung für Entwicklungsrisiken vorzusehen.Besonders gut sieht es natürlich immer wieder aus, wenn man Verbote fordert. So fordert auch der SPD-Antrag ein Verbot, und zwar von allen besonders gefährlichen Stoffen, und er will zwingend vorschreiben, weniger gefährliche Ersatzstoffe zu verwenden. Da teile ich Ihre Meinung; so sollte man vorgehen.Nur ist es eben Augenwischerei, wenn man meint, daß pünktlich zum Verbot der entsprechende weniger gefährliche oder am besten der überhaupt völlig unschädliche Ersatzstoff zur Verfügung steht. Ich kenne diese Debatte — jetzt kommt Herr Carstensen gerade — aus dem Bereich der Pflanzenschutzmittel. Wie häufig mußten wir es hier schon erleben, daß wir den einen Stoff, dessen Gefahren wir kennen, verboten haben und einen vermeintlich umweltfreundlichen Ersatzstoff zuließen, um dann kurze Zeit später feststellen zu müssen, daß dieser Ersatzstoff noch schädlicher ist als der inzwischen verbotene Stoff.Ihre Ausführungen, Herr Müller, eröffnen noch ein weiteres Feld von Unsicherheiten bei der Vorhersage nach Laborversuchen, wie Sie eben ausgeführt haben.Und noch eines, Herr Müller: Mit der Beweislastumkehr sollten wir sehr viel vorsichtiger und sehr viel differenzierter umgehen und dabei nicht Produkthaftung und Umwelthaftung in einen Topf werfen.
Zusammenfassend kann man sagen, daß der Antrag der SPD zu kurz gedacht ist und den ChemikalienGeschädigten nicht hilft. Die Fraktion der FDP lehnt deshalb diesen Antrag ab.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Garbe.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Kopfschmerzen, Augenbrennen, Übelkeit, Nervenzucken, ständig nötige ärztliche Behandlungen; bei den Kindern sind die Allergien so schlimm geworden, daß es zu Bronchitis und Asthmaanfällen gekommen ist; durch das morgendliche Niesen blutet ständig die Nase; Störung der Gesamtpersönlichkeit — ja, meine Herren und Damen, che-
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4248 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Frau Garbemikaliengeschädigt zu sein ist schon sehr fatal. Das Geschilderte ist nur ein kleiner Ausschnitt der Auswirkungen und Beschwerden.Wer in diese Situation hineingerät, verdient unsere besondere Hilfe. Insofern begrüßen wir ganz ausdrücklich die Initiative der SPD-Fraktion, die rechtliche Lage der Chemikalien-Geschädigten zu verbessern. Wir hoffen sehr, daß alle Anregungen und Forderungen von der Bundesregierung aufgegriffen und umgesetzt werden.Jedoch, verehrte Kollegen und Kolleginnen der SPD, trotz aller Zustimmung zu den konkreten Vorschlägen Ihrer Fraktion lassen Sie mich bitte in aller Kürze an dem Antrag auch etwas Kritik üben.Im Antrag heißt es:Insbesondere sind Verbote der als besonders gefährlich erkannten Stoffe ... von der Bundesregierung möglichst bald zu erlassen.Die Bundesregierung hat jedoch ganz deutlich gemacht, daß von ihr nicht geplant ist, über das beabsichtigte PCP-Verbot hinaus für bestimmte Stoffe ein generelles Verwendungsverbot vorzusehen: Cadmium, Asbest, Paraformaldehyd. Trotz der bekannten Gesundheitsschäden durch diese Stoffe soll die gesundheitliche Belastung also fortgeführt werden.In diesem Zusammenhang kritisieren wir zum wiederholten Mal von dieser Stelle aus die unverantwortliche Verharmlosungskampagne, die vom Bundesgesundheitsamt seit Jahren gegen Holzschutzmittelgeschädigte inszeniert wird. So behauptet Professor Lingk vom BGA laut Presse vom 8. Oktober 1987 — ich zitiere — :Auch zwischen gesundheitlichen Beschwerden von Verbrauchern und dem Einsatz des pilztötenden Wirkstoffs Pentachlorphenol ist kein Zusammenhang festgestellt worden.Tatsache ist allerdings, daß unserer Fraktion bereits mehrere ärztliche Atteste, darunter auch einige von Gesundheitsämtern, vorliegen, die einen solchen Zusammenhang erweisen. Tatsache ist, daß sich in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und Hamburg Dutzende von Elterninitiativen gebildet haben, deren Kinder in PCP-verseuchten Kindergärten krank geworden sind. Die GRÜNEN werden dafür sorgen, daß die Bundesregierung hierzu im Umweltausschuß Rede und Antwort steht.
Hier möchte ich auch noch einmal sagen: Gefordert ist eine grundsätzliche Chemiewende, wie sie von meinen Kollegen und Kolleginnen bereits in der letzten Legislaturperiode konzeptionell vorgetragen und beantragt wurde.
Bei den massiv Chemikalien-Geschädigten zeigt sich ja nur die Spitze des Eisbergs, besser gesagt: die sichtbare Spitze des inhalierten und inkorporierten Giftbergs. Sie wissen alle, daß durch die Chemikalienflut in unserer Umwelt wir alle, aber insbesondere unsere Kinder sensibilisiert sind. Allergien und Atemwegserkrankungen nehmen galoppierend zu. Es ist ja auchkein Wunder. Schon mit dem Frühstückstrunk in der Schule trinken die Kinder Stabilisatoren, Farbstoffe, Geschmacksverstärker, Süßstoffe usw. Längst befinden wir uns nämlich in einer Kunststofffreßwelle.
Übrigens, der letzte EG-Gipfel hat für Eßwaren die Gleichung weiter festgeklopft: Eßwaren, das ist plastikverschweißte Hygiene plus gentechnologisches Food-design.
Wer die Flut der Chemikalienschäden abmildern und die notwendig werdende Hilfe geben will, der muß mit uns die Chemisierung des Alltags aufs Korn nehmen, auch — ich wende mich wieder einmal an die SPD — wenn ein Herr Rappe in Ihrer Fraktion ist.
— Oder ich sage: obwohl.Ich muß zum Schluß kommen. Hilfe für Chemikalien-Geschädigte ist dringend notwendig. Hilfe vor Chemikalienschäden wird es aber nur geben, wenn wir endlich zu naturbelassener Nahrung und zu möglichst naturnahen Produkten zurückkehren.Danke schön.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Kein Widerspruch. So beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesordnungspunkt 3 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Brauer, Frau Hensel, Frau Saibold und der Fraktion DIE GRÜNENFinanzielle Beteiligung des Bundes an dem naturzerstörenden Hotelbauprojekt im Dalyan-Delta
— Drucksache 11/1666 —Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein, Frau Blunck, Frau Faße, Hiller , Müller (Pleisweiler), Schäfer (Offenburg), Frau Schmidt (Nürnberg), Bindig, Brück, Dr. Hauchler, Dr. Holtz, Frau Luuk, Frau Dr. Niehuis, Schanz, Schluckebier, Toetemeyer, Lennartz, Dr. Hauff, Frau Conrad, Kiehm, Müller (Düsseldorf), Reuter, Dr. Schöfberger, Schütz, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDFinanzmittel der DEG zum Bau eines Touristik-Hotels in Dalyan
— Drucksache 11/1872 —Interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart. — Kein Widerspruch. So beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4249
Vizepräsident Frau RengerIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Brauer.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 28 km nördlich der Insel Rhodos mündet auf türkischem Festland der DalyanFluß und bildet eines der ökologisch bedeutsamsten Gebiete des Mittelmeerraums. Dort ist das einzige Brutgebiet der streng geschützten Unechten Karettschildkröte, dort sind Eisvogel, Kormoran, Reiher, Kraniche und viele seltene Pflanzen und Tierarten zu Hause.
Genau dort, dort am Strand, hat der Bau eines 620-
Betten-Luxushotels begonnen, der mit 10,7 Millionen DM aus Entwicklungshilfegeldern mitfinanziert wird. Das kann nicht im Sinne der Steuerzahler sein.
Er will nicht Naturzerstörung betreiben, er will nicht Vernichtungshilfe bezahlen; er will sich für bedrohte Tier- und Pflanzenwelt einsetzen, er will so großartige Naturräume für die Zukunft erhalten.
Nach europaweiten Protesten gegen diese Umwelt- und Entwicklungshilfepolitik gab die Bundesregierung ein Gutachten in Auftrag. Es kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, daß keinerlei Hotels im DalyanGebiet gebaut werden sollten. Dies sei im Interesse der Erhaltung der natürlichen Ressourcen und der besonderen ökologischen und landschaftlichen Gegebenheiten für die Zukunft der Türkei wichtiger als die kurzfristigen Vorteile von Großinvestitionen.
Sollte jedoch — nur für diesen Fall, wird das in dem Gutachten festgestellt — , aus rein ökonomischen und politischen Gründen das 620-Betten-Hotel gebaut werden, so gelte es, strenge Maßstäbe zur Schadensbegrenzung festzulegen. Mit der Einrichtung des seit Jahren ins Auge gefaßten Nationalparks sei dies nur bedingt zu vereinbaren. Es wären starke Verluste an Naturnähe in Kauf zu nehmen. Die fortschreitende Störung der Population der Unechten Karettschildkröte könnte nur verlangsamt, aber nicht aufgehoben weren. — So weit das Gutachten, das von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde.
Mit diesem Hotelbau würde die Fortpflanzung dieser Art verhindert. Sie wäre zum Aussterben verurteilt. Das ist eine Art, die 250 Millionen Jahre überstanden hat und vielfach als heilig verehrt wurde.
Wie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit aus diesem Gutachten die Umweltverträglichkeit des Hotels ableitet, ist — milde ausgedrückt — völlig unverständlich und kann nur als Irreführung der Öffentlichkeit gewertet werden. Wenn der Bundesminister behauptet, durch Auflagen sei ein umweltgerechter Bau und Betrieb der Hotelanlagen möglich, so gibt er sich auch noch der Lächerlichkeit preis. Glaubt denn wirklich jemand ernsthaft daran, daß die Touristen um 20 Uhr die Fenster verdunkeln,
nachts nicht den Strand betreten, von Mai bis Oktober das Gelege der Schildkröten am Strand in Ruhe lassen?
Ist das umweltgerechter Betrieb eines 620-Betten-Hotels, wenn abends die Sonnenschirme hereingeholt werden sollen? Das ist doch lächerlich. Glaubt denn wirklich jemand daran, daß einer Ersterschließung mit einem 620-Betten-Hotel nicht andere Hotels folgen?
Nach der Entscheidung des Ministers für das 620-
Betten-Hotel hat sich der ansonsten so zurückhaltende Europarat eingemischt. Mit Mehrheit hat sich das zuständige Komitee gegen jeglichen Bau und gegen die im Bau befindlichen Projekte im Dalyan-Gebiet ausgesprochen und ist damit nicht dem bundesdeutschen Antrag gefolgt. Dieses Mehrheitsergebnis wird einfach ignoriert: ein bezeichnendes Beispiel für die Unglaubwürdigkeit der Umweltpolitik. Dieses Verhalten macht deutlich, was die Bundesregierung von demokratischen Prinzipien hält, wenn die anderen europäischen Länder im Umweltschutz fortschrittlicher sind.
Zwei der größten Touristikunternehmen der Bundesrepublik, nämlich TUI und Neckermann, die bislang Ausflüge in die Bucht von Dalyan anboten, haben dies auf Grund von Hinweisen durch den World Wildlife Found und die Aktion Artenschutz aus dem Programm genommen. Sind diese gewinnorientierten Touristikunternehmen mittlerweile bessere Umweltschützer als Minister Töpfer? Peinlich!
Es ist wahr: Wenn der Hotelbau nicht sofort eingestellt wird, dann hat diese Regierung aus Gründen des Geldes und der hohen Gewinnerwartung — so steht es in einer Antwort der Bundesregierung; Herr Köhler sitzt hier — die Ausrottung der letzten Karettschildkröten betrieben und einen unwiederbringlichen Naturraum zerstört.
Wir GRÜNEN fordern, daß die geplanten 10,7 Millionen DM nicht als Hotelbauzuschuß, sondern für die Schaffung eines Nationalparks im Dalyan-Delta verwendet werden.
Es stünde unserer Entwicklungshilfe, die in vielen Ländern mithilft, die Natur zu zerstören, gut an, einmal für die Natur und für bedrohte Tierarten zu wirken.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hoffmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß das Umweltbewußtsein viel mehr als ein Schlagwort ist, brauche ich hier nicht darzulegen. Das Verständnis für unsere Natur und den Schutz unseres eigenen Lebensraumes
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4250 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Frau Hoffmann
sowie aller in ihm lebenden Wesen gründet sich auf unseren gesunden Menschenverstand.Die Geschwindigkeit, mit der sich in den letzten Jahren der ökologische Gedanke in unserem Lande und das damit verbundene Umdenken entwickelt haben, ist wohl einzigartig. Dazu haben wir alle beigetragen, und der Beitrag jedes einzelnen unter uns zählt. Jedes Projekt wird heutzutage in Deutschland unter ökologischen Gesichtspunkten betrachtet,
ja Umwelttechnologien finden sogar schon bei dem Bau von Einfamilienhäusern Anwendung. Mit dieser Entwicklung dienen wir der gesamten Welt als Vorbild und werden auch als solches im Ausland angesehen.
In diesem Zusammenhang müssen wir auch uns befreundete Staaten wie die Türkei nach besten Möglichkeiten unterstützen, zumal sich der Umweltschutz dort leider noch in seinem Anfangsstadium befindet.
— Hören Sie doch einmal zu, meine Damen und Herren. Nicht so aufgeregt!Das Hotelprojekt im Dalyan-Delta zeigt uns aber, daß die türkische Seite sehr wohl bereit ist, mit uns in konstruktiver Weise auf den Umwelt- und Artenschutz hinzuwirken. Wir dürfen nämlich nicht der Utopie verfallen, meine Kollegen von der grünen Fraktion, daß dieses Hotel nicht auch ohne unser Mitwirken gebaut würde. Es liegt allein in unserer Hand, inwieweit der Umwelt- und Artenschutz und natürlich vor allem auch der der Caretta caretta berücksichtigt wird. Auf die Frage, warum das Kaunos-Projekt dann überhaupt in Angriff genommen wurde, bleibt zu sagen, daß die Information des World Wildlife Fund die DEG in Köln erst zwei Tage vor der Grundsteinlegung des Hotels erreichte, zu einem Zeitpunkt, als Vertreter der DEG bereits aus Anlaß der geplanten Grundsteinlegung in der Türkei waren.
Es ist dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu verdanken, daß dann kurze Zeit später zwei Gutachter nach Dalyan geschickt wurden, um an Ort und Stelle die ökologischen Belastungen einer touristischen Nutzung der Region Köycegiz zu prüfen.
Die Wissenschaftler der Technischen Hochschule Darmstadt kamen in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, daß das Hotel zweifelsohne einen negativen Einfluß auf die Umwelt und auf die Population der Caretta caretta ausüben würde. Diese Tatsachen waren aber der DEG bis zur Intervention des WWF, der sich bereits im Herbst 1986 mit diesem Problem an das Präsidialamt des türkischen Ministerpräsidenten gewandt hatte, nicht bekannt. Bei der ersten vorangegangenen Vorortprüfung des geplanten Projektes hatte die DEG die damals gültigen Umweltkriterien erörtert, war aber von der türkischen Seite auf keinerlei Umweltrelevanz des Standortes hingewiesen worden.
Da nun aber die türkische Regierung unmißverständlich klargemacht hat, daß das Kaunos Beach Hotel in jedem Fall, auch ohne Mitwirkung des deutschen Partners, gebaut würde,
hat man sich entschieden, auf die türkische Seite so einzuwirken, daß die ökologischen Aspekte und vor allen Dingen der Schutz der Meeresschildkröten beim Bau und Betreiben auf das peinlichste beachtet werden.
Die türkische Regierung versprach, in jeder Hinsicht den deutschen Auflagen zu entsprechen. So hat der damalige türkische Kultur- und Tourismusminister, Herr Dr. Yilmaz, heute Außenminister seines Landes, versprochen, das deutsche Gutachten und die Auflagen zur Reduzierung des Hotelprojekts in jeder Hinsicht zu berücksichtigen. So wird das Becken von Köycegiz in der Form eines Nationalparks gesetzlich geschützt. Weiterhin soll als einzige Hotelanlage dieses auf 620 Betten reduzierte Hotel in der Region entstehen. Schließlich wird sich die türkische Regierung dafür einsetzen, daß weitere wirksame Maßnahmen zum Schutze dieser Meeresschildkröten ergriffen werden. Die türkische Regierung hat also nicht nur akzeptiert, daß sie bei diesem Projekt durch die deutschen Stellen beraten wird, sondern vielmehr versprochen, daß sie sämtliche ökologischen Aspekte bei diesem Projekt berücksichtigen wird, ja sie hat uns sogar um weitere Hilfe in Hinsicht auf den Natur- und Artenschutz in ihrem ganzen Lande gebeten.Meine Damen und Herren, wir reden hier von Umweltschutz und Artenschutz in der Türkei und nicht in unserem eigenen Lande. Wir reden von Maßnahmen in einem Lande, in dem wir nicht die Souveränität besitzen, welches aber versprach, den ökologischen Auflagen unserer Seite zu entsprechen. Ich glaube, wir sollten den Türken hierzu Gelegenheit geben.Meine Damen und Herren, ich empfehle die Überweisung der Anträge der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN an den zuständigen Ausschuß.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Beitrag von Frau Hoffmann veranlaßt mich zu drei Feststellungen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4251
Frau Dr. HartensteinErstens. Wenn dieses geplante Touristikprojekt im Dalyan-Delta realisiert wird, dann bleibt der Naturschutz und insbesondere der Artenschutz hoffnungslos auf der Strecke.
Zweitens. Das von Ihnen genannte Gutachten, das auch wir kennen, zeigt genau das Gegenteil dessen, was Sie hier behaupten. Es kommt zu vernichtenden Ergebnissen im Hinblick auf dieses bis jetzt noch einigermaßen unberührte Ökosystem.Drittens. Alle schönen und wohlklingenden Beteuerungen, man wolle mit strengen Auflagen das Schlimmste verhüten, sind im Grunde nichts anderes als pure Kosmetik. Was sollen z. B. Auflagen wie die, daß der intensiv genutzte Badestrand nicht 1,5 km, sondern nur 500 m lang sein darf, wenn man auf der anderen Seite Hotelkomplexe mit 500, 600, ja vielleicht sogar mit 2 000 Betten baut? Oder was sollen Bestimmungen wie die, daß abends, bitte schön, auch die Sonnenschirme und die Ständer wegzuräumen sind oder daß z. B. die Tennisplätze keine Flutlichtanlagen bekommen dürfen, damit die armen scheuen Schildkrötenmütter bei der Eiablage nicht behindert werden? So steht das dort wörtlich. Wenn Sie auf solche Auflagen zugunsten des Naturschutzes vertrauen, dann, glaube ich, ist Ihnen nicht mehr zu helfen.Können Sie mir sagen, wie die Einhaltung solcher Bestimmungen überhaupt noch kontrolliert werden kann, wenn die Hotelkomplexe einmal stehen, wenn der Jachthafen gebaut ist, wenn die Sportanlagen gebaut sind, wenn die Bungalows gebaut sind, wenn die Feriendörfer und die Parkplätze gebaut sind? Dies alles steht im Gutachten. Frau Kollegin Hoffmann, mit Verniedlichungen und Beschönigungen kommen wir diesem Problem nicht bei.Die Bundesregierung muß sich fragen lassen, wie sie Entwicklungspolitik eigentlich versteht und wie sie es übrigens auch mit der Einhaltung internationaler Abkommen hält, die sie selber unterzeichnet hat. Gilt der Satz noch, daß jedes Entwicklungsprojekt auf den ökologischen Prüfstand muß? Dann ist festzustellen, daß das Dalyan-Projekt den „Öko-TÜV" nicht bestanden hat. Gilt der Satz noch — Herr Staatssekretär Dr. Köhler hat dies im Juni letzten Jahres gesagt — , „daß wir uns in klarer Weise zu unseren Verpflichtungen aus internationalen Abkommen bekennen"? Dann ist festzustellen, daß genau das Gegenteil geschieht. Die finanzielle Förderung des Dalyan-Projektes führt nämlich zur Auslöschung der letzten Brutstätten der Karettschildkröte im Mittelmeerraum, aber nicht nur das. Zerstört werden gleichzeitig unersetzliche Lebensräume zahlreicher seltener Tier- und Pflanzenarten.Dies beklagt übrigens auch Bundesumweltminister Töpfer in einem an uns gerichteten Brief vom Oktober 1987, in dem er mitfühlend sagt, das Dalyan-Gebiet sei „ein weitgehend unberührtes Naturerbe", und es müsse „in seiner ursprünglichen Naturschönheit erhalten" werden. Zustimmung! Nur, die Frage ist: Was hat der Umweltminister dazu getan? Die Bundesregierung hat durch ihre Vertreter in der DEG ihre Finanzzusagen gegeben, ohne daß eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist und obwohl sie wußte, daß seit zehn Jahren Bestrebungen im Gangesind, einen Nationalpark im Dalyan-Gebiet auszuweisen. Es wäre sehr wohl ihre Pflicht gewesen, zuerst die Umweltauswirkungen zu prüfen, bevor sie öffentliche Gelder in Millionenhöhe vergibt.
Es wäre auch ihre Pflicht gewesen, die Studie zu veröffentlichen. Sie hat dies nicht getan, sie hat sie geheimgehalten, weil nämlich dann die aus der Sicht der Regierung fatalen Ergebnisse zutage gekommen wären. Es ist aber jetzt ihre Pflicht, Konsequenzen aus den Ergebnissen dieser Studie zu ziehen. Dazu ist es noch nicht zu spät.Deshalb sollten Sie jetzt handeln. Haben Sie doch den Mut, jetzt, nachdem neue Erkenntnisse vorliegen, zu einer offenkundig falschen Entscheidung nein zu sagen. Dann tun Sie dem Artenschutz etwas zugute. Dann sind auch Ihre Bekenntnisse zur ökologischen Wahrung des Naturhaushaltes nicht nur reine Sonntagsreden.In unserem Antrag fordern wir, die Mittel für den Hotelbau zurückzuziehen und Mittel in gleicher Höhe der Türkei für die Ausweisung besonderer Schutzgebiete und für die Einrichtung eines Nationalparks zur Verfügung zu stellen. Das ist ein sinnvoller Weg. Aktive Hilfsangebote liegen auch vor von seiten des Europarates, von seiten der Vereinten Nationen und von seiten des World Wildlife Fund. Es stünde der Bundesrepublik gut an, sich in diese Front pro natura einzureihen.
Meine Damen und Herren, gefühlvolle Worte allein genügen wahrlich nicht. Der Artenschutz braucht Taten. Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen. In Anbetracht der Eilbedürftigkeit bitten wir darum, daß sofort über diesen Antrag abgestimmt wird.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Feldmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist keine Frage: Wir tragen weltweit eine gemeinsame Verantwortung für die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Weltweit, in Ost und West, in Industrieländern und Entwicklungsländern, ist diese Verantwortung sehr spät erkannt worden.Die FDP-Fraktion bekennt sich ausdrücklich zu einem umfassenden Natur- und Umweltschutz.
Das ist und bleibt ein Schwerpunkt liberaler Politik.
Hierzu gehört auch die Forderung, der Ökologie in den Entwicklungsländern ein stärkeres Gewicht zu geben.
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4252 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Dr. FeldmannEine in sich geschlossene und realistische Umweltpolitik ist auch aus fremdenverkehrspolitischer Sicht erforderlich. Natur und Landschaft sind das Grundkapital des Fremdenverkehrs. Das sage ich ausdrücklich auch als Fremdenverkehrspolitiker.
— Ich freue mich über Ihren Beifall.
— Die werden wir ziehen, keine Sorge. — Nur Erhaltung und Pflege der Natur ermöglichen dem Fremdenverkehr eine langfristig gesicherte Existenzgrundlage. — Auch hier müßten Sie klatschen.Damit touristische Vorhaben nicht zu vermeidbaren Schäden in Natur und Umwelt führen, sollte vor ihrer Verwirklichung grundsätzlich eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden.
Das hat die FDP bereits 1985 in ihrem Fremdenverkehrskonzept beschlossen.
Eine rechtzeitige Umweltverträglichkeitsprüfung hätte auch im vorliegenden Fall des geplanten Kaunos Beach Hotels im Dalyan-Delta erfolgen müssen. Die Bundesregierung hat jedoch erst spät von der Umweltproblematik Kenntnis erhalten und verspätet eine Umweltverträglichkeitsstudie erstellen lassen. Wir erwarten daher von der Bundesregierung, daß sie künftig rechtzeitig eine eingehende Überprüfung aller Entwicklungsprojekte auf ihre ökologischen Folgewirkungen hin veranlaßt und die Projekte der DEG in das ab 1. Januar 1988 in Kraft gesetzte neue Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung des BMZ einbezieht.Es muß auch die Frage erlaubt sein, ob es Aufgabe der DEG ist, touristische Großprojekte zu fördern. Hilfen beim Aufbau einer kleinbetrieblichen und mittelständischen Fremdenverkehrsstruktur sind für die Empfängerländer sinnvoller und für die Umwelt sicher gefahrloser.Wir haben Verständnis, daß die Türken bemüht sind, ihre touristische Infrastruktur auszubauen; denn Tourismus ist auch in der Türkei ein wichtiger und wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Wir können die Türken vor den Fehlern anderer Sonnenländer nur warnen. Das touristische Grundkapital des Landes darf nicht leichtfertig verspielt werden.
Aber hier geht es — ganz konkret, Frau Saibold — nicht nur um die Zersiedlung einer reizvollen Küstenlandschaft. Es geht hier um die Sicherung — wie auch Ihr Vertreter betont hat — eines der letzten Reservate einer bedrohten Tierart.
Artenerhaltung ist eine gemeinsame Aufgabe. Auchdie Türkei hat ihre Mitverantwortung durch die Unterzeichnung des Berner Artenschutzabkommens dokumentiert. Aber wir sind Realisten. Wir können die Türkei nicht daran hindern, dieses Projekt durchzuführen.
— Ersatzfinanziers vielleicht ohne jegliche umweltpolitische Skrupel, stehen bereit, um sofort einzuspringen.Einfluß können wir nur nehmen, wenn wir uns nicht zurückziehen, sondern unsere finanzielle Hilfe von Auflagen und von Bedingungen abhängig machen.
Frau Kollegin Hartenstein, nur so können wir verhindern, daß Naturschutz und Umweltschutz auf der Strecke bleiben; nur so.Unter diesem Gesichtspunkt wäre es falsch, dem SPD-Antrag zuzustimmen. Wir sollten uns deshalb darum bemühen, die im Szenario B vorgeschlagene Alternative durchzusetzen, d. h. Einrichtung eines Nationalparks unter Ausweisung einer besonderen Schutzzone, Beschränkung des Beach-Hotels auf maximal 620 Betten, Beachtung strenger Auflagen für Bau und Durchführung und Maßnahmen zum Schutz der Caretta caretta auch außerhalb der Region.
— Hören Sie doch einmal aufmerksam zu.Die FDP erwartet von der Bundesregierung, daß sie diesen Gesichtspunkten Rechnung trägt und ihre Entscheidung von einer völkerrechtlich bindenden Erklärung der türkischen Regierung abhängig macht. Dazu ist es eben nicht nötig, daß wir schon heute darüber abstimmen. Eine weitere parlamentarische Beratung ist erforderlich, um diese Bindungswirkung herbeizuführen und die B-Lösung durchzuführen.
Ich beantrage daher die Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Haushaltsausschuß und den Umweltausschuß.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Trotz einer ganzen Reihe von klarstellenden Antworten der Bundesregierung und auch entsprechenden Erläuterungen in den zuständigen Ausschüssen dieses Hauses
bekommen wir in der letzten Zeit immer wieder Aussagen zu dem Hotelbauprojekt im Dalyan-Delta, die
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988 4253
Parl. Staatssekretär Dr. Köhlerleider ein Gemisch von Dichtung und Wahrheit sind.
Ich benutze deshalb die Gelegenheit dieser Debatte, um darzustellen, wie die Tatsachen liegen und wo, wie leider allzu häufig, weder Dichtung noch Wahrheit im Spiel sind.Ich kann es Ihnen, Frau Kollegin Hartenstein, nicht ersparen, festzustellen, daß der Antrag Ihrer Fraktion in weiten Teilen einen mehr als leichtfertigen Umgang mit den Tatsachen offenbart. Das können wir Punkt für Punkt belegen.
Ich ergreife ferner gern die Gelegenheit, festzustellen, Kollege Feldmann, daß ich Ihnen dankbar bin für den Hinweis auf die verschärften Richtlinien zur Umweltprüfung, die wir Anfang dieses Jahres in Kraft gesetzt haben und die auch für die DEG maßgeblich zu sein haben.
Nun zu den Tatsachen. Richtig ist, daß der DalyanBucht besondere ökologische Bedeutung zukommt als dem wichtigsten, aber selbst im Mittelmeer keineswegs letzten Brutgebiet der Unechten Karett-Schildkröte.
— Lieber Herr Brauer, Sie werden sich schon mit den Tatsachen befassen müssen; denn die Frage ist: Wollen wir hier ein Problem lösen, oder wollen wir hier einen Schautanz aufführen?Die Bundesregierung hat, sobald ihr die ökologischen Probleme bei dem u. a. — es geht um 25 % des gesamten Investments — von der DEG finanzierten Hotelbauprojekt bekannt wurden, eine Umweltverträglichkeitsprüfung veranlaßt. Auf dieser Grundlage drängen wir im Gespräch mit der türkischen Regierung auf umfassende Maßnahmen, um die KarettSchildkröte und die anderen natürlichen Reichtümer des Dalyan-Deltas zu schützen: So sollen der ursprüngliche Tourismusentwicklungsplan revidiert, ein Nationalpark unter Ausweisung besonderer Schutzzonen eingerichtet und keine weiteren touristischen Großprojekte durchgeführt werden.
Dies sind erreichte Ergebnisse, die man, wenn der Gesamthintergrund etwas befriedigender wäre, sogar Erfolge nennen könnte. Sie haben eine gemeinsame Grundlage: Nur die weitere Teilnahme der DEG an diesem Hotelbauprojekt hat es uns ermöglicht, Einfluß auf den Schutz der Umwelt im Dalyan-Delta zu nehmen. Hätten wir es uns einfach gemacht, hätten wir uns bei Bekanntwerden der ersten Bedenken aus dem Projekt zurückgezogen, dann hätten wir hier heute wahrscheinlich einen sehr netten Abend miteinander,
und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Im Dalyan-Delta würde der Tourismus entsprechend der ursprünglichen Planung in einer Weise entwickelt, die jede Sorge um die Ökologie dieses Gebiets zunichte machen würde, und jede Sorge käme zu spät.
Deshalb sind wir zu der Auffassung gekommen, daß sich ein Ausstieg der DEG aus dem Hotelbauprojekt aus ökologischen Gründen nicht rechtfertigen läßt.
Meine Damen und Herren, der Antrag der GRÜNEN enthält eine Forderung, der ich gern zustimme. Auch die Bundesregierung befürwortet die Ausweisung des Dalyan-Deltas als Nationalpark. Deshalb arbeitet sie mit der türkischen Regierung auf die Einrichtung eines Nationalparks in der gesamten Region hin. Auch die Träger des Projektes haben in Verbindung mit den DEG-Engagements strenge Auflagen zu erfüllen.Schließlich noch eine wichtige Klarstellung. Das geplante Hotelprojekt steht nicht im Widerspruch zur Berner Konvention und zu dem immer wieder zitierten Beschluß des Ständigen Ausschusses vom Dezember 1987.Ich möchte die Debatte nicht mit technischen Einzelheiten belasten.
Fest steht, das Kaunos-Beach-Hotel ist — wenn Sie zuhören, hören Sie schon, was ich Ihnen sage — als eine in Art. 9 des Berner Übereinkommens vorgesehene Ausnahme zulässig. Ich habe in meiner Antwort auf die Frage des Abgeordneten Brauer im einzelnen erläutert, weshalb der Bau des Hotels kein Verstoß gegen die angesprochene Empfehlung des Ständigen Ausschusses der Berner Konvention darstellt, und darf Sie insofern auf das verweisen, was Sie schon wissen.Meine Damen und Herren, das Hotelbauprojekt im Dalyan-Delta ist gewiß nicht das, was sich die deutsche Entwicklungshilfe in idealer Weise unter Schonung der Umwelt und unter Tourismusförderung vorstellt. Das Festhalten an der DEG-Beteiligung war aber in diesem Fall der einzige Weg, größeren Schaden abzuwenden. Er schafft die Grundlage für eine engere technische Zusammenarbeit mit der Türkei im Bereich des Umweltschutzes und hat uns gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, in Zukunft in einem intensiven umweltpolitischen Dialog mit unseren türkischen Partnern immer wieder darauf hinzuweisen, woran es sichtlich noch fehlt, daß die Schonung der Umwelt Entwicklung nicht behindert, sondern auf lange Sicht erst möglich macht.Sie werden auch darüber zu entscheiden haben, ob wir diese Chance aus der Hand geben können.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
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4254 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1988
Vizepräsident Frau RengerWir kommen zu den Anträgen der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/1666 und 11/1872. Die Fraktion DIE GRÜNEN und die Fraktion der SPD wünschen, wie Sie schon wissen, daß über ihre Anträge sofort abgestimmt wird. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP beantragen Überweisung der Anträge zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Nach ständiger Übung gehen die Anträge auf Ausschußüberweisung den Abstimmungen in der Sache vor.Wir stimmen jetzt darüber ab. Wer für die Anträge, die Vorlagen an die soeben genannten Ausschüsse zuüberweisen, stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Überweisung ist beschlossen. Damit entfällt die sofortige Abstimmung über die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD.Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, den 26. Februar 1988, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.